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-The Project Gutenberg EBook of Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter, by
-Felix Pinner
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-
-Title: Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter
-
-Author: Felix Pinner
-
-Editor: Wilhelm Ostwald
-
-Release Date: July 24, 2017 [EBook #55188]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK EMIL RATHENAU UND DAS ELEKTRISCHE ZEITALTER ***
-
-
-
-
-Produced by Peter Becker, Reiner Ruf, and the Online
-Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This
-file was produced from images generously made available
-by The Internet Archive)
-
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- ####################################################################
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
- Der vorliegende Text wurde anhand der 1918 erschienenen Buchausgabe
- so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung
- und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend
- korrigiert. Fremdsprachliche Ausdrücke können in verschiedenen
- Variationen auftreten. Diese wurden nicht korrigiert, wenn sie im
- Text mehrmals auftreten. Auch andere inkonsistente Schreibweisen,
- einschließlich Personennamen (z.B. ‚Sigismund/Sigmund Schuckert‘)
- wurden nicht vereinheitlicht.
-
- Der Übertrag (‚Transport‘) der Tabelle ‚Gewinn- und Verlust-Conto‘
- zu Beginn der Seite 122 wurde vom Bearbeiter entfernt.
-
- Die von der Normalschrift abweichenden Schriftschnitte wurden
- in der vorliegenden Fassung mit den nachfolgenden Sonderzeichen
- gekennzeichnet:
-
- kursiv: _Unterstriche_
- fett: =Gleichheitszeichen=
- gesperrt: +Pluszeichen+
-
- ####################################################################
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-
-
-
- [Illustration:
-
- Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H. Leipzig.
-
- Nach einem Bilde von Prof. Max Liebermann.
-
- Dr. Emil Rathenau]
-
-
-
-
- Grosse Männer
-
- Studien zur Biologie des Genies
-
- Herausgegeben von
-
- Wilhelm Ostwald
-
- Sechster Band
-
- Emil Rathenau
-
- und
-
- das elektrische Zeitalter
-
- Von
-
- Felix Pinner
-
- Leipzig
-
- Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H.
-
- 1918
-
-
-
-
- Emil Rathenau
-
- und
-
- das elektrische Zeitalter
-
- Von
-
- Felix Pinner
-
- Mit einer Heliogravüre
-
- [Illustration]
-
- Leipzig
- Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H.
- 1918
-
- [Illustration]
-
-
-
-
- Copyright 1918
- by Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H.
- in Leipzig
-
-
- Druck von +Paul Dünnhaupt+, Cöthen i. A.
-
-
-
-
-Vorwort
-
-
-Als die „Akademische Verlagsgesellschaft“ an mich die Aufforderung
-richtete, eine Lebensgeschichte Emil Rathenaus zu schreiben, habe
-ich diesen Vorschlag mit Freuden angenommen. Gab er mir doch die
-Möglichkeit, das Bild einer großen, und in jedem Zuge ihres Wesens
-reizvollen Persönlichkeit aus dem Hintergrund ihrer Zeitgeschichte
-heraustreten zu lassen und den wechselseitigen Einfluß von
-Persönlichkeit und Organisation, der für die großen Kaufleute der
-letzten Epoche deutscher Wirtschaft typisch gewesen ist, an einem
-großen, wohl dem größten Beispiel darzustellen. Gerade dieses Bild und
-dieses Leben wird zeigen, wie falsch es ist, wenn man die Kraft und
-das Wesen der deutschen Industriewirtschaft -- was ja heute häufig in
-der Kritik des Auslandes +und+ leider auch des Inlands geschieht
--- ganz allein aus dem Organisatorischen ableitet und ihnen damit
-den Charakter einer unpersönlichen, zwar durchschnittlich starken,
-aber doch höchster Einzelleistungen nicht fähigen Kultur aufprägen
-will. Emil Rathenau, und nicht nur er allein -- neben dem mindestens
-ein halbes Dutzend ähnlicher Kopfe über einen gehobenen Durchschnitt
-in Geniehöhen hinausragt -- beweist, daß Persönlichkeiten in dem
-Deutschland der Organisation und des „Militarismus“ durchaus nicht
-zu verkümmern brauchten. Wo sind im Bereiche des viel gepriesenen
-englischen Individualismus während der letzten Jahrzehnte die
-Erscheinungen gewesen, die einen Vergleich mit Emil Rathenau, Albert
-Ballin, Georg v. Siemens, August Thyssen, Emil Kirdorf, Guido v.
-Donnersmarck aufnehmen konnten? -- Gewiß mag das Mittelmaß an
-Persönlichkeitswerten, der Mensch, Bürger und Kaufmann mittlerer
-Größe in England und in anderen Ländern freier gelebt, geschaffen,
-über seine Zeit und Arbeit verfügt haben als in Deutschland, aber
-die +große+ Persönlichkeit konnte sich in Deutschland so stark
-und frei ausleben wie nirgend wo anders. Allerdings haben sich alle
-diese deutschen Schöpfernaturen den Gesetzen, die sie zuerst kraft
-ihrer Eigenart und Überlegenheit aufgestellt haben, später freiwillig
-unterworfen gemäß dem klugen Spruch des Wagnerschen Hans Sachs, der das
-Wesen jeder schöpferischen Meisterschaft darin sieht, die Regeln zuerst
-aufzustellen und ihnen dann zu folgen. Daraus und nicht aus dem Mosaik
-des Zusammenwirkens vieler, zu großen höchstpersönlichen Leistungen
-unfähiger Mittelmäßigkeiten sind die deutschen Organisationen
-entstanden, die sich in ihrer Wirkung als so stark und unüberwindlich
-erwiesen haben.
-
-Das Bild der Persönlichkeit Emil Rathenaus, das ich in diesem Buche
-zeichnen möchte, soll sozusagen in einem +doppelten Rahmen+
-gefaßt sein. Der engere stellt die +Geschichte der A. E. G.+ dar,
-der weitere die +allgemeine deutsche Wirtschaftsentwicklung+,
-wie sie sich in jenem Zeitalter gestaltet hat, von dem Emil Rathenau
-so viel empfing, dem er aber auch nicht weniger zurückgab. Eine
-solche Darstellung bald nach dem Tode eines Mannes nicht als Skizze,
-sondern als sorgfältig ausgeführtes Bild zu versuchen, hat seine
-Schwierigkeiten, aber auch seine Vorteile. Die Nähe noch frischer oder
-halbfrischer Geschehnisse mag dem Urteil die Distanz erschweren und
-auch der Sammlung des vollständigen Materials in mancher Beziehung
-hinderlich sein, da mit Rücksicht auf den soeben Gestorbenen und noch
-Lebende sich manche Quellen vorerst nicht öffnen werden. Bei einem
-volkswirtschaftlich zu Wertenden ist der Nachteil, der aus solcher
-Zurückhaltung erwachsen könnte, allerdings nicht so groß wie bei einem
-Künstler oder selbst einem Politiker. Das Privat- und Intimmenschliche,
-auf das sie sich erstrecken könnte, spielt bei der zutreffenden
-Schilderung einer wirtschaftlichen Persönlichkeit, wenngleich es
-durchaus nicht ohne Wichtigkeit ist, doch nicht die gleiche Rolle wie
-bei einem Dichter oder Musiker. Die Geschäftsgeheimnisse hinwiederum
-brauchen vor dem rückschauenden Auge nicht so sorgsam und so lange
-gehütet zu werden wie manche politischen Geheimnisse (meist nicht
-der großen, sondern der kleinen Art). Denn das Geschäftsgeheimnis
-verliert seinen diskreten Charakter in dem Augenblick, in dem das
-Geschäft oder die Geschäftsreihe, deren Teil es ist, seinen Abschluß
-erreicht hat. Bei Emil Rathenau im besonderen liegt der Fall für den
-Geschichtsschreiber so, daß ein wirklich bedeutendes Schriftenmaterial
-+innerer+ Art gar nicht vorhanden ist. Es könnte im wesentlichen
-nur in Briefen bestehen, und ein Briefschreiber war Rathenau im
-Gegensatz zu Werner v. Siemens, dessen interessanten Briefwechsel
-kürzlich Conrad Matschoß veröffentlicht hat, ganz und gar nicht.
-Persönlichkeit, Zeit, Arbeits- und Ruhensart Rathenaus widerstrebten
-der Beschaulichkeit, auf deren Boden ein Bedürfnis zum Briefschreiben
-und die Kunst des Briefschreibens erwachsen können. Die Privatbriefe,
-die Rathenau mit seinen Angehörigen und Freunden wechselte, sind rein
-familiär und meist knapp gehalten, ohne besondere stilistische und
-menschliche Eigenart und bekunden höchstens -- was wir auch ohnedies
-wissen -- daß Rathenau ein guter Sohn, Gatte und Vater gewesen ist. Mit
-Berufs- und Geschäftsfreunden korrespondierte Rathenau nur selten in
-persönlicher Weise, wichtige Auseinandersetzungen wurden meist mündlich
-erledigt. Viel bessere Proben seines fachlichen Stils als Briefe bieten
-die Geschäftsberichte der A. E. G., an deren Abfassung sich Rathenau
--- in Gemeinschaft mit seinem Sohn Walther -- bestimmend zu beteiligen
-pflegte, ferner Denkschriften, Reden, von denen ich einige besonders
-kennzeichnende ganz oder auszugsweise wiedergebe.
-
-Im ganzen war das dokumentarische Material, das einer Bearbeitung
-unterzogen werden mußte, trotzalledem außerordentlich umfangreich.
-Die Geschäftsberichte nicht nur der A. E. G. selbst, sondern der
-wichtigeren Tochter- und Konkurrenzgesellschaften, die sehr zerstreuten
-Zeitungsberichte über Generalversammlungen und sonstige Vorgänge bei
-dem Konzern, Verträge, Denkschriften und Vorlagen der verschiedensten
-Art mußten durchgearbeitet werden. Diese Vorbereitung war nicht
-ganz einfach, weil die A. E. G. wie die meisten und leider auch die
-allergrößten unserer gewerblichen Unternehmungen keine systematischen,
-nach volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten geführten Archive besitzt,
-sondern sich mit der -- lediglich für geschäftliche Bedürfnisse
-hinreichenden -- Registratur begnügt, in die ja wohl Geschäftsdokumente
-zunächst auch gehören, aus der aber wenigstens die wichtigeren nach
-Ablauf einer gewissen Frist in Archive überführt werden sollten.
-Die ganzen Registraturen zu durchforschen ist naturgemäß für den
-volkswirtschaftlichen Schriftsteller ebenso undurchführbar und
-unlohnend, wie es den Geschäftsunternehmungen nicht zugemutet werden
-könnte, eine solche Durchforschung zu gestatten. So blieb nichts übrig,
-als jeweils solche Dokumente zu erbitten, deren Studium sich mir im
-Laufe meiner Arbeit als notwendig oder wünschenswert erwiesen hatte,
-ein Verfahren, das natürlich bei aller erzielten Reichhaltigkeit
-+absolute+ Vollständigkeit des Materials nicht zu gewährleisten
-vermag.
-
-Gerade bei einer solchen Verfassung der dokumentarischen Verhältnisse
-bietet die +schnelle+ Inangriffnahme einer biographischen
-Bearbeitung eher Vorteile als Nachteile. Denn mit der fortschreitenden
-Zeit werden diese Verhältnisse nicht besser, sondern schlechter.
-Die Registraturen entrücken immer mehr der Zugänglichkeit, die sich
-ständig häufende Fülle des Nebensächlichen erdrückt das Wesentliche,
--- und vor allem die Personen, die heute noch durch ihre Kenntnis der
-zurückliegenden Vorgänge, durch ihre lebendige Erinnerung den Schlüssel
-zu den toten Akten in den Händen haben, verschwinden allmählich aus
-dem Betrieb und aus dem Leben. Die neueren Leiter haben aber an die
-Gegenwart zu denken, nicht an die Vergangenheit.
-
-Gerade aber die Erinnerung Mitlebender ist eine schätzenswerte und
-unersetzbare Quelle für die Nachschaffung wirtschaftlicher Vorgänge.
-Ich konnte sie erfreulicherweise reich zum Fließen bringen, und wenn
-auch in manchen Einzelzügen die Schilderung, mehr noch das Urteil der
-noch lebenden Mitarbeiter und Freunde Emil Rathenaus auseinanderging,
-so haben gerade diese Darstellungen, verbunden mit meiner eigenen
-persönlichen Kenntnis des Menschen Rathenau mir eine plastische
-Vorstellung von diesem gegeben, die keine Distanz des späteren
-Biographen ersetzen könnte.
-
-Gedenken möchte ich noch der zahlreichen, wenn auch nicht immer ebenso
-reichen Literatur, die bereits vor meiner Arbeit über Emil Rathenau und
-die A. E. G. vorlag. Für die ersten Abschnitte, etwa bis zur Befreiung
-von den Fesseln der Verträge mit Siemens & Halske, vermochte sie mir
-manche wertvolle Hilfe zu leisten. Für die Darstellung der Reifezeit
-und der Zeit der Reife, wie auch besonders für die Schilderung der
-wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenhänge bin ich im wesentlichen
-auf mich selbst angewiesen gewesen.
-
- +Berlin-Friedenau+, im Jahre 1917.
-
- Dr. Felix Pinner.
-
-
-
-
-Litteratur
-
-
- Arthur Wilke, Die Berliner Elektrizitätswerke. Berlin 1890. F. A.
- Günther & Sohn.
-
- Dr. Hermann Hasse, Die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft und
- ihre wirtschaftliche Bedeutung. Heidelberg 1902. Karl Winter.
-
- Dr. Emil Kreller, Die Entwicklung der deutschen elektrotechnischen
- Industrie. Leipzig 1903. Dunker & Humblot.
-
- Dr. Friedrich Fasolt, Die sieben größten deutschen
- Elektrizitätsgesellschaften, ihre Entwickelung und
- Unternehmertätigkeit. Dresden 1904. O. V. Böhmert.
-
- A. E. G. Zeitung, Festnummer 2. 10. 1908.
-
- A. E. G. 1883-1908, herausgegeben von der Gesellschaft.
-
- Conrad Matschoß, Die geschichtliche Entwickelung der Allgemeinen
- Elektrizitäts-Gesellschaft in den ersten 25 Jahren ihres Bestehens.
- Jahrbuch des Vereins Deutscher Ingenieure, 1909, 1. Bd. Julius
- Springer, Berlin.
-
- B. E. W. 1884-1909, herausgegeben von der Gesellschaft.
-
- Dr. Felix Pinner, Emil Rathenau, „Der Kaufmann und das Leben“.
- Beiblatt der Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis.
- Leipzig, Februar 1913. Ernst Poeschel.
-
- Artur Fürst, Emil Rathenau, der Mann und sein Werk. Vita, Deutsches
- Verlagshaus. Berlin.
-
- Gedenkblatt zum Todestage Emil Rathenaus. Berlin, Juni 1915.
-
- Emil Schiff, Allgemeine Elektrizitäts Gesellschaft und Berliner
- Elektrizitäts-Werke. Berlin 1915. Franz Siemenroth.
-
- Conrad Matschoß, Geschichtliche Entwickelung der Berliner
- Elektrizitäts-Werke von ihrer Begründung bis zur Übernahme durch
- die Stadt. Jahrbuch des Vereins Deutscher Ingenieure. Berlin 1916.
-
- A. Riedler, Emil Rathenau und das Werden der Großwirtschaft. Julius
- Springer. Berlin 1916.
-
- Werner v. Siemens, Lebenserinnerungen. 9. Auflage. Berlin 1912.
- Julius Springer.
-
- Francis Arth. Jones, Thomas Alva Edison. Sechzig Jahre aus dem
- Leben eines Erfinders. Frankfurt a. M. Otto Brandner.
-
- Dr. ing. Gustav Siegel, Der Staat und die Elektrizitätsversorgung.
- Berlin 1915. Georg Stilke.
-
- G. Klingenberg, Elektrische Großwirtschaft unter staatlicher
- Mitwirkung. Berlin 1916.
-
- Archiv der Handelszeitung des Berliner Tageblattes.
-
- Archiv der Zeitschrift „Die Bank“, Herausgeber Alfred Lansburgh.
- Berlin.
-
-
-
-
-Inhaltsverzeichnis
-
-
- Seite
-
- Vorwort V
-
- Litteratur X
-
- Erstes Kapitel: Jugendjahre 1
-
- Zweites Kapitel: Zwischenspiel 35
-
- Drittes Kapitel: Wirtschaftliche Vorbedingungen 48
-
- Viertes Kapitel: Technische Vorbedingungen 59
-
- Fünftes Kapitel: Licht 80
-
- Sechstes Kapitel: Die Deutsche Edison Gesellschaft 100
-
- Siebentes Kapitel: Zentralstationen 129
-
- Achtes Kapitel: A. E. G. 146
-
- Neuntes Kapitel: Ausdehnung und Befreiung 155
-
- Zehntes Kapitel: Das Finanz- und Trust-System 186
-
- Elftes Kapitel: Krisis 223
-
- Zwölftes Kapitel: Konzentration 251
-
- Dreizehntes Kapitel: Weltwirtschaft 280
-
- Vierzehntes Kapitel: Großkraftversorgung 317
-
- Fünfzehntes Kapitel: Gemischt-wirtschaftliche Unternehmung 336
-
- Sechzehntes Kapitel: Charakterbild 350
-
-
-
-
-Erstes Kapitel
-
-Jugendjahre
-
-
-Emil Rathenau wurde am 11. Dezember 1838 in Berlin geboren. In der
-Rede, die er am Vorabend seines 70. Geburtstages hielt, erzählte er,
-nicht ohne beziehungsreichen Stolz:
-
-„Als ich die Lebensreise antrat, gab es in unserer Vaterstadt ein
-interessantes Erlebnis: Die Vollendung der ersten preußischen
-Eisenbahn. Die Berliner sollen in hellen Haufen begeistert zum
-Potsdamer Tor hinausgepilgert sein, um den Zug nach Steglitz abfahren
-zu sehen. Viel zu langsam (nach heutigen Begriffen) bewegte er sich
-vorwärts, ohne Schlaf- und ohne Speisewagen; und doch war die Eisenbahn
-ein gewaltiger Fortschritt gegen die Postkutsche, in der mein Vater aus
-der Uckermark als Jüngling, meine Mutter als Kind mit ihren Eltern aus
-der Mark hierher übersiedelten.“
-
-Rathenaus Großeltern väterlicherseits und namentlich mütterlicherseits
-waren für die damalige Zeit wohlhabende Leute gewesen. Sein
-Vater wurde früh Rentier und betätigte sich nur hier und da
-in Gelegenheitsgeschäften. In der Mischung von geschäftigem
-Unternehmungsdrang und schnellem Überdruß an einer seßhaften,
-geordneten Geschäftlichkeit, die der ganzen Familie etwas eigen
-gewesen zu sein scheint, die sich entschiedener in dem Lebensgang
-seines ältesten und seines jüngsten Sohnes ausprägte und die eine
-Zeitlang auch den mittleren und begabtesten Sohn Emil zu erfassen
-drohte, scheint bei dem Vater die Abneigung gegen eine ausdauernde
-Geschäftstätigkeit das überwiegende Element gewesen zu sein. Gewiß
-nicht aus Unlust zur Arbeit, sondern zu einer Arbeit, die ihm nicht
-zusagte, seinen Wünschen und Fähigkeiten nicht zu entsprechen
-schien. Ein strenger, Fremden und Verwandten gegenüber nicht gerade
-entgegenkommender Mann, dessen Denkungsweise aber rechtlich und redlich
-war, so wird er von denen geschildert, die ihn gekannt haben. Sein
-Anteil an der Erziehung seiner Kinder war offenbar nicht sehr positiv,
-er hielt sie äußerlich streng, aber er verstand und versuchte es nicht,
-auf ihre innere Bildung Einfluß zu gewinnen, und zu diesem Zwecke in
-ihr Charakter- und Seelenleben einzudringen. Sie entwickelten sich,
-im Guten wie im Schlechten, ohne ihn und trotz ihm, und da er kein
-sehr hohes Alter erreichte (er starb im Jahre 1871), verwischte und
-verfärbte sich die Einwirkung seiner Persönlichkeit in dem späteren
-Leben der erwachsenen Söhne ziemlich schnell. Emil Rathenau hat in der
-selbstbiographischen Skizze, die in seinem Nachlaß vorgefunden wurde,
-das Verhältnis zu seinen Eltern mit ein paar kurzen und ziemlich kühlen
-Worten geschildert:
-
-„Mein Vater hat sich bald nach meiner Geburt vom Geschäft
-zurückgezogen. Er war streng und gewissenhaft und führte eine korrekte
-Ehe mit der klugen und geistreichen Mutter, die Ehrgeiz besaß und
-Eleganz in ihrer Erscheinung bis an ihr spätes Lebensalter zu bewahren,
-die Schwäche hatte. Für die Erziehung der drei Söhne scheuten die
-Eltern keine Kosten, aber sie überließen die Sorge hierfür der Schule
-und Privatlehrern, weil das gesellige und gesellschaftliche Leben ihnen
-die Muße nicht ließ, den wilden Knaben die erforderliche Aufmerksamkeit
-zu widmen.“
-
-Auch der Mutter werden in dieser sachlich-knappen Darstellung keine
-Worte innerer Beziehung gewidmet und es mag richtig sein, daß auch sie
-trotz unleugbarer geistiger Begabungen und Interessen keine eigentliche
-Menschenerzieherin im innerlichen Sinne des Wortes gewesen ist. Dennoch
-wirkten der mütterliche Einfluß und das Gefühl für die Mutter in
-dem Leben der Kinder ganz anders nachhaltig wie die Beziehungen zum
-Vater fort. Hier war nicht nur Respekt, hier war Liebe und herzliche
-Zuneigung auf beiden Seiten, und wie sehr auch Entwicklung und
-Veranlagung die Söhne später auseinander führten, ja entfremdeten,
-der Mutter hingen sie alle treu an, und namentlich Emil Rathenau ließ
--- auch in den Zeiten, in denen seine Tage nicht mehr die Fülle der
-Arbeit fassen wollten -- kaum einen Sonntag vergehen, an dem er die
-Frau, die in seltenem und klugem Greisenalter den stolzen Aufstieg
-des Sohnes erleben, seinen Stern noch im Zenith sehen durfte, nicht
-zu einem Plauderstündchen besuchte. Den Kindern gegenüber hatte sie
-jene Herzensfreundlichkeit besessen, die die Grundlage jedes wirklich
-schönen Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern ist und die bei
-tüchtigen und guten Kindern auch einmal einen bewußten Erziehungsplan
-ersetzen kann.
-
-Emil Rathenau besuchte, wie seine Brüder, zunächst die alte Berliner
-Knabenschule von Marggraf in der Sophienstraße, wo die Vorschüler in
-ziemlich patriarchalischer Weise auf das Gymnasium vorbereitet wurden.
-Die Privatanstalt verließ Emil Rathenau nach einiger Zeit mit seinem
-älteren Bruder, der das nach Ansicht des Schulvorstehers unverzeihliche
-Vergehen begangen hatte, den Unterricht durch Knallerbsen zu stören.
-Im Jahre 1849 kam er auf das Gymnasium zum grauen Kloster, das damals
-von dem älteren Professor Bellermann geleitet wurde. Wie so viele,
-die später im praktischen Leben bedeutende Männer geworden sind,
-war Emil Rathenau kein Musterschüler, und den meisten Fächern, die
-auf dem humanistischen Gymnasium gelehrt wurden, vermochte er nicht
-viel Interesse abzugewinnen. Immerhin hielt er sich auf leidlichem
-Niveau. Die Selbstkritik seiner Leistungen auf dem Gymnasium hat er
-in die Worte zusammengefaßt: „An Begabung fehlte es mir weniger als
-an häuslichem Fleiß.“ Die interessanten und aufregenden Begebnisse
-politischer Art, die in die ersten Schuljahre Rathenaus fielen,
-lenkten naturgemäß seine und seiner Mitschüler Aufmerksamkeit von
-den Schuldingen ab, so sehr auch die Eltern und Lehrer die Jugend
-durch Vorhaltungen und Strafen ihrer Wirkungssphäre zu entrücken
-versuchten. Die Ereignisse des Jahres 1848 hat Rathenau meist auf
-der Straße miterlebt. Die ausführliche Schilderung, die er in seinen
-Aufzeichnungen von ihnen gibt, läßt erkennen, daß der Eindruck auf ihn
-und die damalige Schuljugend ein starker war, aber ebenso auch, daß
-dieser Eindruck ganz im Sensationellen, Straßenjungen-Romantischen
-wurzelte und ihm kaum eine Ahnung der politischen Hintergründe
-beigemischt war. „Es war eine lustige Zeit für die Jungen, da die
-neuerrungene Freiheit sich häufig auch auf den Schulunterricht
-erstreckte und Eltern und Lehrer im Ernst der Zeit den strengen
-Gehorsam nicht als das oberste Gesetz mehr zu betrachten schienen.“ --
-Einen ernsten und tiefen Eindruck machte wohl nur die Überführung der
-Märzgefallenen nach dem Friedrichshain. Hier traf die Wucht und Tragik
-der Ereignisse auch die Kinderseele. „Unvergeßlich“ nannte Rathenau
-diese Stunde.
-
-„Wir beobachteten das Schauspiel von den Fenstern eines kleinen Hauses
-am Schloßplatz, das jetzt dem Neubau des Marstalls zum Opfer gefallen
-ist; es gehörte der Firma Krüger & Peterson, deren Tabakgeschäft durch
-den Verkauf von Hyazinthenzwiebeln in Berlin bekannt geworden war. Der
-Schloßplatz, die Kurfürstenbrücke, König- und Burgstraße waren dicht
-gedrängt, alles schwarz; überall wehten Trauerfahnen von den Dächern
-und an Fenstern, und auf Balkonen standen Männer und Frauen in tiefer
-Trauer. Die nicht endenden Züge von offenen Särgen konnten sich nur
-mühsam und langsam durch die enge Menschengasse gen Osten bewegen. Auf
-den Balkonen des Schlosses und gegenüber standen entblößten Hauptes der
-König und sein Gefolge über der Stelle, von der die Kartätschen ihren
-Weg durch die Breitestraße zur d’Heureuseschen Konditorei genommen und
-manche Erinnerung an die blutigen Ereignisse in Straßenbrunnen und
-Häusern zurückgelassen hatten.“
-
-Mit dem Zeugnis für Unterprima verließ Rathenau schließlich das
-Gymnasium. Über seinen zukünftigen Beruf hatte er noch wenig
-nachgedacht. Technische Neigungen hatten sich wohl gelegentlich
-gemeldet, waren aber nicht so stark und bestimmend gewesen, daß die
-technische Laufbahn sozusagen im festen Plan eines zielbewußten
-Willens gelegen hätte. Die Entscheidung brachten vielmehr, wie so
-häufig im Leben, Familienbeziehungen. Rathenau wurde Maschinenbauer
-und lernte sein Handwerk von der Pike auf. „Da weder Terpsichore noch
-andere Musen an meiner Wiege gestanden,“ erzählt er launig, „reiste
-ich auch ohne ihr Geleit in die Lehre nach Schlesien.“ Dort besaßen
-seine reichen Verwandten, die Liebermanns, industrielle Betriebe,
-die für die damalige Zeit als sehr respektabel gelten konnten. Die
-Wilhelmshütte, bei Sprottau, ein Eisenwerk mit Maschinenbauanstalt, das
-seine Entstehung wie viele der damals noch karg gesäten industriellen
-Unternehmungen des preußischen Landes Friedrich dem Großen verdankte,
-später in Privatbesitz übergegangen war, aber erst in den Händen von
-Rathenaus Großvater mütterlicherseits, Liebermann und dessen Söhnen
-sich schnell einen gewissen industriellen Ruf erworben hatte, diente
-Rathenau als Lehrstelle. Die Lehre war wie die väterliche Erziehung zu
-Hause streng, und das verwandtschaftliche Verhältnis zu den Inhabern
-der Fabrik schaffte dem jungen Maschinenbauer in der Arbeit keine
-Erleichterung. „Proletarier in blauer Bluse und mit zerschundenen
-Händen“ nannte er sich, als er in späteren Jahren auf diesen Abschnitt
-seines Lebens zurückblickte. Das Herrensöhnchen durfte er -- zu seinem
-eigenen Besten -- nicht spielen und der tüchtige Mestern, der den
-technischen Betrieb ziemlich selbständig leitete, behandelte ihn wie
-jeden beliebigen anderen Praktikanten auch. Der junge Rathenau, der
-doch immerhin die Primareife besaß, niemals gering von sich dachte und
-sich wohl damals schon zu Höherem berufen fühlte, mag manchmal unter
-dem Joch geknirscht haben, und sich etwas inferior vorgekommen sein,
-zumal wenn er den nicht nur äußerlich feinkultivierten Haushalt seiner
-Verwandten als Kontrast zu seiner damaligen Lage betrachtete. Erblickte
-der Lehrling im Arbeitskittel seine „vornehmen“ Kusinen von ferne, so
-wich er einer Begegnung lieber aus und drückte sich, wenn es ging, um
-eine naheliegende Ecke, tief beschämt, wenn er inne ward, daß sie ihn
-doch gesehen und sich an seiner Verlegenheit geweidet hatten. -- Volle
-4½ Jahre mußte er aushalten und er hielt aus. Von seiner Lehrzeit
-hat Rathenau die folgende Schilderung gegeben:
-
-„Das Werk hatte mein Großvater, ein hervorragender Industrieller
-unserer Stadt, mit seinen Söhnen eben erworben. Es lag in hübscher
-Gegend am Bober, besaß schöne Wohnhäuser und einen großen Park, und
-prächtige Wälder in der näheren und weiteren Umgebung machten den
-Aufenthalt angenehm.
-
-Der Reichtum an Holzbeständen und Wiesenerzen, die die Verhüttung
-lohnten, Wasserkräfte von mäßiger Stärke und sehr billige Arbeitslöhne
-hatten im niederschlesischen Revier zur Errichtung von Hochöfen und
-Walzwerken Anlaß gegeben, und namentlich erstere versorgten fast die
-ganze Monarchie mit einfachem Guß und Poterien, die roh oder mit
-einer schönen weißen Emaille auf den Markt kamen. In den Gießhütten
-stellte sich bald das Bedürfnis nach Kupolöfen ein, um die Hallen
-und Arbeitskräfte durch Herstellung von Maschinen- und Bauguß besser
-zu verwerten. Die Wilhelmshütte hatte einen Hochofen von mäßigen
-Dimensionen, dessen Gase ungenutzt in die Luft stiegen und die Gegend
-mit hellen Flammen erleuchteten. Das Kolbengebläse wurde durch ein
-mittelschlächtiges Wasserrad angetrieben, wie es Scharwerker jener
-Zeit herstellten; bei der Konstruktion hatte man offenbar mehr auf
-billige und solide Herstellung als auf hohen Nutzeffekt Wert gelegt.
-Die Maschinenfabrik baute landwirtschaftliche Maschinen, meist
-nach englischem Muster, Pumpen, Wasserstationen, Weichen, Radsätze
-für Eisenbahnwagen, Apparate für Gasanstalten, Einrichtungen für
-Brennereien und Mühlen jeder Art, daneben wurde all und jedes, was das
-Publikum verlangte, auch wenn es in sehr losem Zusammenhang mit dem
-Maschinenbau stand, hergestellt, zum Beispiel eiserne Bettstellen,
-Turmuhren und dergleichen. Diese Vielseitigkeit wurde eingeschränkt,
-als bald nach meinem Antritt A. Mestern die Leitung des Werkes
-übernahm. Dieser begabte Techniker hatte sein gemeinsam mit Tischbein
-in Magdeburg betriebenes Zivil-Ingenieur-Geschäft aufgegeben und war
-auf Fr. Walz’ Empfehlung als Sozius in die Firma getreten. Er war
-ein reiner Empiriker und hatte meines Wissens weder im praktischen
-Betriebe noch auf Hochschulen Erfahrungen gesammelt, aber sein feines
-Auge und Gefühl, sein Verständnis der kinematischen Vorgänge, sein
-Talent in der Formgebung und Abmessung aller Konstruktionen ersetzten
-diesen Mangel an Ausbildung. Mestern kannte die Dampfmaschine in
-ihrer damaligen primitiven Ausführung, und wenn er nach einfachen
-Formeln, wie sie in England gebräuchlich zu sein schienen, die
-Hauptabmessungen festgestellt hatte, konstruierte er vertikale oder
-Balanzier-Maschinen mit gotischem Gestell oder auf blanken Säulen
-gelagerter Schwungradwelle. Viel Fleiß verwendete er auf Ausgestaltung
-der Formen im Geschmack seiner Zeit, auf tadellose Bearbeitung von
-unzähligen blanken Pfeilern; das Publikum der 50er Jahre des vorigen
-Jahrhunderts liebte und bezahlte solche Erzeugnisse, legte aber wenig
-Wert auf die ökonomische Wirkung, die es weder zu beurteilen noch zu
-messen verstand. Obwohl Sachverständige die Bedeutung der Expansion des
-Dampfes zu schätzen wußten, begnügten viele Konstrukteure sich mit der
-unvollkommenen Wirkung nicht entlasteter Schieber und Drosselklappen,
-und die Kunst im Bau dieser langsam laufenden Maschinen bestand zumeist
-in der Bearbeitung der Einzelteile mit nichts weniger als vollendeten
-Werkzeugen. Die schwachen Hobelmaschinen vibrierten schon bei winzigen
-Spänen, und da genaue Flächen einer gründlichen Nacharbeit in jedem
-Falle bedurften, begann man häufig sogleich mit der Handarbeit, um die
-Zeit des Aufspannens zu ersparen.
-
-Eine neue Ära des Maschinenbaues begann mit der Corliß-Dampfmaschine
-nach amerikanischen Mustern. Ihr vorangegangen war eine Periode des
-Maschinenbaues mit U-förmiger Grundplatte, deren Dampfzylinder und
-Geradführung an dieser seitlich befestigt waren; das Schwungradlager
-mit mehrteiliger Büchse lag so in derselben, daß die Kurbel gegen die
-gedrehte Fläche lief; der hohle Raum der Grundplatte war mit einem
-Holzdeckel geschlossen und diente als Schrank für Werkzeuge; auf der
-Grundplatte stand der von einem Riemen angetriebene Regulator.
-
-Die Konstruktion der Corliß-Maschine mit ihren getrennten Ein-
-und Auslaßschiebern wurde in allen Größen und in einer Ausführung
-hergestellt, die dem amerikanischen Original nicht nachstand;
-sie führten sich durch das bestechende Äußere und die Ökonomie
-des Dampfes rasch ein, trotzdem die Verkaufspreise den teuerern
-Herstellungskosten entsprechend hohe waren. Für Reversier-Walzwerke
-und Gebläsemaschinen wurde die Schiebersteuerung beibehalten, und
-bei den Wasserhaltungsmaschinen für das Waldenburger Revier büßte
-die Katarakt-Ventil-Steuerung ihre Bedeutung nicht ein. Als ich
-die Wilhelmshütte nach 4½jähriger Tätigkeit verließ, war sie
-eine Maschinenfabrik, die sich eines guten Rufes in den Kreisen der
-Industrie erfreute und den besten Fabriken gleichwertig erachtet wurde.“
-
-Die lange praktische Lehrzeit, die weit über das hinausging, was heute
-ein akademisch gebildeter Ingenieur auf diesem Gebiete zu leisten hat,
-gab Rathenau eine gründliche handwerkliche Kenntnis des Maschinenbaus,
-für den er immer eine gefühlsmäßige Vorliebe behielt, mit auf den
-Lebensweg.
-
-Rathenaus Austritt aus der Wilhelmshütte wurde durch die Mobilmachung
-der preußischen Armee aus Anlaß des italienischen Krieges
-herbeigeführt. Er sollte beim 2. Garde-Regiment eintreten, als der
-Friede von Villafranca geschlossen wurde. Damit wurde der Eintritt in
-das Heer zunächst aufgeschoben, der junge Mann ging aber nicht wieder
-zur Wilhelmshütte zurück, sondern entschloß sich, seiner technischen
-Bildung zunächst eine wissenschaftliche Grundlage zu geben. Aus
-der Erbschaft des Großvaters, die beim Kinderreichtum der Familie
-allerdings in 15 Teile ging, fiel ihm eine an sich bescheidene, für ihn
-aber damals nicht unbedeutende Summe von einigen tausend Talern zu.
-Mit diesem Gelde ausgerüstet, über das er ganz frei verfügen konnte,
-durfte Emil Rathenau, seinem längst gehegten Wunsch nach akademischer
-Durchbildung nachgeben. Er bezog zunächst die polytechnische Schule
-in Hannover. Da seine mathematischen Kenntnisse durch den Schulbesuch
-auf dem „Grauen Kloster“ nur recht mangelhaft gefördert worden waren,
-strebte er danach, sie durch Selbststudien zu ergänzen und hatte sich
-tatsächlich in kurzer Zeit in die Differential- und Integral-Rechnung
-so eingearbeitet, daß er den Vorlesungen, die allerdings keine großen
-Vorkenntnisse der Mathematik voraussetzten, gut folgen konnte. Die
-meisten Lehrer, so der Technologe Karmarsch, der Architekt Debo und
-der Statiker Ritter verstanden es, mit einer geringen Menge von
-Mathematik auszukommen, auch für das Studium des Maschinenbaus in
-seiner damaligen Form war ein Zurückgehen auf mathematische Begriffe
-nicht unbedingt erforderlich. Nicht lange konnte sich aber Rathenau in
-Hannover seinen Studien ruhig hingeben. Ein Streit um die akademische
-Freiheit sah Rathenau und einige preußische Kommilitonen unter den
-Wortführern, was den Zorn der welfischen Lehrer gegen die preußischen
-Studenten erregte. Nach Beendigung der Ferien ging Rathenau darum
-nicht mehr nach Hannover zurück, sondern wandte sich nach Zürich, wo
-Männer wie Zeuner, Reuleaux, Culmann und andere lehrten und in einem
-fast kameradschaftlichen Verhältnis zu ihren Schülern standen. Die
-Diplomprüfung bestand Rathenau, trotzdem die Zeit der schriftlichen
-Arbeiten gerade in die feuchtfröhliche Feier des eidgenössischen
-Schützenfestes fiel, mit der besten Nummer. Mit dem Diplom „eines
-richtig gehenden Ingenieurs“ kehrte der junge Techniker nach Berlin
-zurück. Der Wiedereintritt in die Wilhelmshütte stand ihm wohl offen,
-aber er hatte die Empfindung, daß er mit seiner inzwischen erworbenen
-wissenschaftlichen Methodik nicht mehr so recht unter die dortigen
-Empiriker passen würde. Als einen großen Erfolg betrachteten er und
-die Familie es, als er eine Anstellung in der Lokomotivfabrik von A.
-Borsig erhielt, die damals von dem Sohn des Begründers geleitet wurde.
-Zuerst wurde er im Zeichenbureau beschäftigt und hatte Arbeiten mehr
-untergeordneter Art auszuführen. Bald wurde er aber unter die meist
-älteren Konstrukteure versetzt und konnte sich unter der Leitung des
-Oberingenieurs Flöhringer mit der Konstruktion von Gitterbrücken,
-später unter der Leitung des Obermaschinenmeisters Stambke mit dem
-Entwerfen von Lokomotiven beschäftigen. Sein Gehalt betrug 25 Taler
-monatlich, womit er seine einfachen Bedürfnisse bestreiten konnte,
-ohne die geldliche Hilfe der Eltern in Anspruch zu nehmen. Dagegen
-speiste er Sonntags und an manchen Abenden der Woche im elterlichen
-Haus in der Kronenstraße. Die Tätigkeit bei Borsig befriedigte den
-jungen Ingenieur indessen nicht lange. Der Lokomotivbau wurde ziemlich
-schematisch nach den Entwürfen der Maschinenmeister durchgeführt und
-ließ den Konstrukteuren wenig Spielraum für die freie Entfaltung
-eigener Gedanken. Dazu war auch die Fühlung mit der Praxis, die eine
-solche Tätigkeit wenigstens vorausgesetzt hätte, sehr gering. Denn der
-Besuch der Werkstätten wurde durch Meister und Werkführer, die ihre
-Domäne namentlich den jungen Ingenieuren eifersüchtig verschlossen,
-sehr erschwert. Befand man sich doch damals in einer Zeit, in der
-die alte empirische Technik im Kampfe mit der neu aufkommenden
-wissenschaftlichen Methode stand, die auf den technischen Schulen
-herangebildet wurde und infolgedessen ihre Ideen etwas ungestüm und in
-der Form vielleicht auch etwas überheblich in die Praxis hineinzutragen
-suchte. Emil Rathenau war nicht der Mann, um seine frisch errungenen
-wissenschaftlichen Erkenntnisse sich im praktischen Betriebe um des
-leichten Fortkommens willen wieder langsam abzugewöhnen. Er hätte,
-wenn er ein Durchschnittsmensch und ein Durchschnittstechniker gewesen
-wäre, bei Borsig bleiben und allmählich eine wichtige Stellung,
-wahrscheinlich sogar einen Ober-Ingenieurposten erringen können.
-Aber Rathenau hat sich nie in seinem Leben mit mittelmäßigen Zielen
-begnügt. Er besaß die fruchtbare Unzufriedenheit des nach Großen
-strebenden Charakters, dem seine innere Entwickelung mehr wert war als
-eine gesicherte Existenz. Als er Borsig von seinem Entschluß, bereits
-nach ½jähriger Tätigkeit aus seinem Betriebe auszuscheiden und nach
-+England+ zu gehen, benachrichtigte, schien der Chef einigermaßen
-darüber befremdet, daß Rathenau sein Interesse und seine Absicht, ihn
-bald in eine höhere Stellung aufrücken zu lassen, nicht mit größerem
-Dank anerkannte. Neben dem Bestreben, sich fortzubilden und alles in
-sich aufzunehmen, was die Technik damals in den fortgeschritteneren
-Industrieländern an Gegenwartserfüllungen und Zukunftsmöglichkeiten
-bieten konnte, war es wohl auch der Wandertrieb, der „Durst nach
-weiter Welt“, die ihn bewogen, die aussichtsreiche Stellung in der
-Heimat aufzugeben und sich in England, dem damals an der Spitze
-schreitendem Lande der Technik und Wirtschaft, gründlich umzusehen.
-Mit einem Empfehlungsbrief von Borsig an die große Maschinenfabrik von
-John Penn in Greenwich und einem zweiten des Admiralrates Coupette
-reiste Rathenau über den Kanal. Die Hoffnung einer Anstellung bei Penn
-schien sich zunächst nicht zu verwirklichen und Rathenau war vorerst
-darauf angewiesen, sich durch Annoncen im „Engineer“ eine Stellung
-zu suchen. Ein persönlicher Besuch in der Villa John Penns führte
-aber, ehe sich der junge Ingenieur zur Annahme eines Anerbietens
-der landwirtschaftlichen Maschinen- und Lokomotivfabrik Marshall in
-Gainsborough entschloß, doch noch zum Ziele einer Anstellung in der
-großen Greenwicher Fabrik und er bekam die Stelle eines Draughtsman mit
-30 sh. Wochenlohn. Lassen wir nun Rathenau wieder selbst erzählen, wie
-sich seine Tätigkeit in verschiedenen englischen Fabriken gestaltete:
-
-„Mein Vorgesetzter war ein liebenswürdiger Herr Lobb, der bald
-nach meiner Anstellung zu dem Österreichischen Lloyd überging;
-sein Nachfolger, Mr. Wright, war mir weniger sympathisch. Aber
-dieses Vorurteil war ungerecht, denn gerade ihm verdanke ich meine
-Heranziehung zu größeren Arbeiten. Ein Landsmann, der spätere
-Oberwerftdirektor Meyer, trat in dasselbe Bureau ein. Die teueren
-Lebensbedingungen veranlaßten uns zu einem gemeinsamen Haushalt,
-und wir fanden eine passende Behausung in der Nähe von zwei
-Marineingenieuren Gujod und Dede, die zur Überwachung der im Bau
-befindlichen Panzerkorvette nach England geschickt waren. Während
-wir unser Leben in Gainsborough allesamt sehr bescheiden einrichten
-mußten, fand ich hohe Befriedigung in der geschäftlichen Tätigkeit.
-Die englische Marine muß sehr gute Erfahrungen mit den Schiffen der
-Warrior-Klasse, zu denen „Achilles“ und „Black Prince“, wie ich
-glaube, gehörten, gemacht haben, denn sie ging zu einem ähnlichen
-Typ, dem Bellerophon, über und übertrug der Firma J. Penn & Sons die
-Ausrüstung des Schiffes mit Maschinen, Kesseln und Zubehör. Es war
-die erste 1000 PS-Expansionsdampfmaschine mit Zylinder von 105 Zoll,
-eine Trunk-Maschine, in der die Kurbelwelle zwischen jenen und den
-Kondensatoren gelagert war. Diese Konstruktion war neu, die Firma
-hatte früher meist oszillierende Dampfmaschinen gebaut und durch sie
-einen Weltruf erlangt. Nach Vollendung der Werkstattszeichnungen,
-Transportmittel, die für die ungewöhnlich schweren Arbeitsstücke
-angefertigt werden mußten, und der Gesamtanordnung, die bis in
-die Einzelheiten auf dem Papier festgelegt und in Maßskizzen den
-verschiedenen Abteilungen zur Fertigstellung überlassen wurden,
-befragte mich ein Freund, der nach Deutschland zurückzukehren im
-Begriff stand, ob ich sein Nachfolger in der Firma Easton & Amos zu
-werden wünsche. Die Vielseitigkeit dieses Geschäftes zog mich an und
-ich siedelte nach London über, das ich während meines Aufenthaltes
-in Gainsborough an Sonnabenden jeder Woche nachmittags mit Vergnügen
-aufgesucht hatte, und in dem das großzügige Leben und der enorme
-Verkehr auf den Straßen mich förmlich elektrisierten.
-
-Im Gegensatz zu John Penns prächtigen Werkstatthallen und imposanten
-Werkzeugmaschinen fand ich hier eine elende Baracke, man mußte sich
-erst an die Arbeit in diesen Bureaus gewöhnen, die von den Schlägen
-der Dampfhämmer erzitterten. Auf den Zeichenbrettern häufte sich der
-Kohlenstaub, und während in Gainsborough unsere Kollegen junge lustige
-Leute waren, die Späße trieben und sich amüsierten, befanden sich hier
-meist Familienväter, deren Pünktlichkeit, wie die von Arbeitern, durch
-den Portier und Stundenzettel kontrolliert wurde; sie waren wohl meist
-aus diesem Stande hervorgegangen.
-
-Meine erste Aufgabe war die Konstruktion einer Tunnelbohrmaschine
-nach den Patenten von Captain Beaumont: Eine Scheibe von etwa 5 Fuß
-Durchmesser enthielt an ihrem Umfange zur Achse parallel laufende
-Schlitze, in denen eine große Zahl von Stahlbohrern mit Keilen
-befestigt waren. Die hin- und hergehende Bewegung wurde durch einen
-mit der Scheibe verbundenen Differential-Dampfkolben verursacht, der
-in einem nach Art direkt wirkender Dampfspeisepumpen gesteuerten
-Zylinder vor- und rückwärts lief. Der volle Dampfdruck erfolgte bei
-der Stoßwirkung, während die kleinere Fläche den Rückzug vollendete.
-Waren die Stähle bis an die Befestigung in der Scheibe vor Ort in das
-Gebirge durch schnell aufeinanderfolgende Schläge eingedrungen, so
-erhielt der auf Rollen stehende Truck, der nach jedem Stoß selbsttätig
-vorrückte und sich wieder befestigte, eine geringe Drehung, so daß die
-Löcher in der gewünschten Teilung einen Kreis bildeten. Ein Bohrer in
-seinem Zentrum diente zur Aufnahme der Patrone, durch die die Sprengung
-erfolgte. Hierbei wurde die schwere Maschine auf den radial zur
-kreisrunden Öffnung stehenden Rollen des Trucks so weit zurückgezogen,
-daß man die Débris vor Ort bequem ausräumen konnte. Über das Schicksal
-dieser Maschine ist mir nichts bekannt geworden, dagegen sah ich ein
-anderes Werk meiner damaligen Tätigkeit nach einem Menschenalter noch
-im Betriebe. Es war ein hydraulischer Aufzug mit direktem Antrieb für
-Personentransport, der in dem ersten großen, damals im Bau befindlichen
-Hotel in Brighton aufgestellt wurde. Der sehr lange Stempel stak in
-dem Preßzylinder, für den man einen tiefen Rohrbrunnen in das Erdreich
-gesenkt hatte. Die einzelnen Kolbenteile bestanden aus gußeisernen
-Röhren, die durch Gewinde miteinander verbunden waren. Trotzdem diese
-Konstruktion große Sicherheit den Reisenden bot, erfuhr ich später
-durch Zeitungen, daß im Grand Hotel ein nach diesem Muster erbauter
-Aufzug mit den Passagieren verunglückt sein soll.
-
-Die primitiven Einrichtungen deuteten auf den allmählichen Verfall des
-Werkes, und obgleich ich wegen der Vielseitigkeit der Aufträge eine
-bessere Schule in England kaum hätte wieder finden können, trat ich
-mit achttägiger Kündigung aus der Fabrik aus, die zwar bald nachher
-einen neuen Partner aufnahm, aber später von der Bildfläche, wie ich
-vorausgesehen hatte, verschwand. Der Wert der Grundstücke in der
-City hat hoffentlich die Inhaber oder Gläubiger für ihre Verluste im
-Betriebe entschädigt.
-
-Auf eine Annonce in einem Londoner Fachblatt, durch die ein theoretisch
-erfahrener, der französischen Sprache mächtiger Ingenieur bei hohem
-Salär gesucht wurde, meldete ich mich zum sofortigen Antritt und
-hatte das Glück, aus der großen Zahl von Bewerbern mit 4 Lstrl.
-wöchentlichem Gehalt Anstellung nach kurzer Prüfung bei einer neu
-gegründeten Gesellschaft, die British & Continental Steam Improvements
-Co. firmierte, zu erhalten. Das Bureau der Gesellschaft lag in
-Adelphi Street, Strand, ihr Leiter war ein französischer Chemiker
-namens Martin, auf dessen Erfindungen das Unternehmen gegründet
-war. Der Dienst begann um 10 Uhr; nach dem Luncheon, das ich in
-dem dem Theater gegenüber liegenden Public House stehend, aber mit
-Gemütsruhe einzunehmen pflegte, erschien der Chef; er las die wenigen
-eingegangenen Briefe, besprach die Geschäfte, die ihn kaum mehr als
-mich erregten, und führte mich bei eintretender Dunkelheit in ein
-vornehmes Restaurant zum Mittagessen, das mir wegen der lukullischen
-Genüsse und der gewaltig hohen Preise imponierte. Niemals hatte ich
-für eine so geringe Tätigkeit eine solche Behandlung und Bezahlung
-erfahren. Meine Aufgabe war doppelter Natur; Konstruktionen und
-Schriftstellerei. Beide erstreckten sich auf eine Rauch verzehrende
-Lokomotivfeuerung einerseits und einen Kesselsteinreinigungsapparat
-andererseits; letzteren kannte ich bereits aus meiner früheren
-Tätigkeit; ich entsinne mich nicht, wo er zuerst konstruiert worden
-war, glaube aber aus der Literatur später erfahren zu haben, daß er
-unter dem Namen Schau in der Lokomotivfabrik in Wiener-Neustadt gebaut
-wurde. Auf dem Kessel war ein zweiter Dampfdom so befestigt, daß
-man ihn von den ebenen Dichtungsflächen leicht abnehmen konnte. In
-diesem waren Teller übereinander so angebracht, daß das kaskadenweise
-herabfließende Speisewasser von den oberen zu den unteren langsam in
-der heißen Dampfatmosphäre herabtröpfelte. Da gewisse Verunreinigungen
-bei diesen Temperaturen sich bereits absondern, so wurde die bewußte
-Reinigung häufig erzielt, und da auch die Wärmeverluste unbedeutend
-waren, so hat der Apparat sich zuweilen und jedenfalls bei den
-Versuchen bewährt, wie denn die Salze auf den Tellern bei ihrer
-Herausnahme ad oculus demonstrierten. Mit guten Patenten, genügender
-Reklame und glänzenden Zeugnissen hätte der Erfinder vielleicht durch
-Herstellung en masse einen Gewinn für die Gesellschaft erzielen können,
-dazu aber fehlte ihm kaufmännische Begabung.
-
-Die Lokomotive, in die auf einem der großen Bahnhöfe in London --
-ich entsinne mich nicht, ob Great Eastern, Northern oder Western --
-die neue Feuerung eingebaut wurde, gab befriedigende Resultate in
-ökonomischer Beziehung, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß die
-feuerfesten Konstruktionsteile bei den Stößen und Erschütterungen,
-denen solche Dampfkessel ausgesetzt sind, eine genügend lange Dauer
-besitzen. Die maßgebenden Persönlichkeiten scheinen anderer Ansicht
-gewesen zu sein, denn kaum waren die Meßresultate in ihren Händen, so
-erhielt ich den Auftrag, eine Straßenlokomotive von Aveling und Porter
-mit der Feuerung auszurichten. Technisch bot dieses Kommissorium keine
-Schwierigkeiten, aber die kommerzielle Behandlung öffnete mir die Augen
-über die Geschäftsgebarung, und ich beschloß deshalb, einen neuen
-Wirkungskreis zu suchen.“
-
-Vorher wünschte Rathenau seine Eltern nach zweijähriger Abwesenheit
-wiederzusehen; zumal diese in der Meinung, daß der junge Ingenieur
-sich draußen in der Welt genügend umgesehen habe, und sich nunmehr
-eine dauernde Existenz gründen solle, auf die Rückkehr drängten,
-die nach ihrem Wunsche eine dauernde Heimkehr sein sollte, während
-Rathenau selbst, als er sich zur Heimreise anschickte, noch nicht
-fest entschlossen war, sich für die Dauer im Heimatlande anzusiedeln.
-Indessen gefiel es ihm im Hause Viktoriastraße 3, das die Eltern
-inzwischen bezogen hatten, recht wohl und er ließ sich unschwer
-überreden, seine weiteren Wanderpläne aufzugeben. Den Eltern und
-Freunden kam es bei ihren Plänen zu statten, daß Rathenau, trotz
-aller Lust die Welt kennen zu lernen, doch mit seinem ganzen Herzen
-an Deutschland und besonders seiner Heimatstadt Berlin hing, und
-eigentlich in seinem ganzen Leben niemals ernstlich daran dachte, sich
-wie so viele andere tüchtige Deutsche jener Zeit irgendwo draußen, wo
-es sich zu jener Zeit besser und aussichtsvoller leben ließ, dauernd
-anzusiedeln. In seinem Streben und Denken war Rathenau Kosmopolit.
-In seinem Grundgefühl blieb er trotzdem immer bodenständig. Jeder
-Fortschritt, jede Errungenschaft, jede Verbesserung der Verhältnisse,
-die er irgendwo draußen sah, waren ihm nie allein Inhalt genug. Er
-konnte sie sich nur in Verbindung mit der Heimat denken, der er
-entstammte und der er ihren Nutzen dienstbar machen wollte. So wenig
-sich Rathenau durch die Schranken und Bedingungen des Vaterlandes
-binden oder hemmen ließ, so sehr er alle Fernen nach neuen wissens- und
-nachahmenswerten Einrichtungen abschweifte, in irgend einem fremden
-Boden hätte er nie Wurzel fassen können. Dort sich einfach und bequem
-niederzulassen, wo das Neue bereits entwickelt war, reizte ihn nicht,
-bot seinem Schaffenswillen wohl auch nicht Leistungsmöglichkeit und
-Spielraum genug. Ihn leitete stets das instinktive Bestreben, das Neue
-dorthin zu verpflanzen, wo es sich noch nicht vorfand und ihm schwebte
-wohl schon damals der Gedanke vor, daß in Deutschland ein weiteres
-Arbeitsgebiet offen lag als in fortgeschritteneren Ländern, wo er die
-Hauptstraßen bereits durch einen zu starken Wettbewerb besetzt fand.
-„Trotz schmaler Kost und wenig Geld“, sind Emil Rathenau, der in dem
-berechtigten Stolz, auf eigenen Füßen zu stehen, schon damals auch die
-kleinste geldliche Beisteuer des Vaters nicht mehr angenommen hatte,
-die Jahre in England unvergeßlich geblieben. Außer den technischen
-Erkenntnissen, die er ihnen verdankte, gaben sie ihm den freien Blick
-des Staats- und Weltbürgers und eine ausgeprägte +demokratische
-Anschauungsweise+, deren Fundament sich nie verlor, wenngleich
-der Geschäftsmann sie später aus Opportunitätsgründen, vielleicht
-auch aus Mangel an Zeit für politische Interessen, nicht mehr
-sonderlich betonte, allerdings auch nie verleugnete. Auch der spätere
-Gegensatz zu der aufkommenden sozialdemokratischen Agitation mit
-ihrer Erschwerung der Arbeiterbehandlung und Arbeiterökonomie für das
-Unternehmertum mag dazu beigetragen haben, den demokratischen Grundton
-der Rathenauschen Denkweise zu dämpfen. In den englischen Jahren
-warf er sich ihr aber mit Entschiedenheit in die Arme. Bedeutete sie
-doch eine reife Betätigung und Erfüllung der ringenden Bestrebungen,
-deren jähes gewaltsames Aufflackern der heranwachsende Knabe im
-Jahre 1848 staunend, wenn auch wohl nicht verstehend, miterlebt,
-für die der junge polytechnische Student dann im engen Kreise
-mitgekämpft hatte. Das waren Erinnerungen, die in der englischen Luft
-wieder aufgewacht waren und ihm manche Einrichtungen der englischen
-Bürgerfreiheit als glücklich und nachahmenswert erscheinen ließen.
-Auch die +Freihändlerlehre+ mochte sich dem jungen Deutschen
-damals so tief ins Gemüt gesenkt haben, daß er Zeit seines Lebens nie
-so recht von ihr loskam, auch hier allerdings später die Theorie den
-Zweckmäßigkeitsgründen seiner besonderen Interessensphäre anpassend.
-
-Nun machte Emil Rathenau zum ersten Mal den Versuch, seßhaft zu werden
-und sich eine Position zu schaffen, wie sie den Augen der Familie
-wohlgefiel. Ein wohlsituierter Bürger und tüchtiger Fabrikbesitzer,
-das war das Ziel, das den Eltern vorschwebte und das sich immerhin um
-eine wesentliche Spielart von den Lebens- und Wirtschaftsbedingungen
-unterschied, die sonst in den damaligen jüdischen Kreisen Berlins
-und Deutschlands üblich waren. In der Industrie hatten die jüdischen
-Kaufleute damals erst in geringem Umfange Fuß gefaßt. Handel und Finanz
-waren noch ausgesprochener als heute die Hauptgebiete ihrer Betätigung,
-und die kombinierten, großkapitalistischen und großgewerblichen
-Methoden, durch die sie späterhin den Übergang auch in die Industrie
-fanden, erschienen damals noch wenig ausgebildet. Allerdings
-fehlte es nicht an Ausnahmen. Der Stern des industriellen Gründers
-Strousberg, der allerdings durch eine Welt von dem soliden deutschen
-Industrietypus geschieden war, stand damals noch im Zenith. In Berlin
-waren es gerade Rathenaus Verwandte, die Liebermanns und Reichenheims,
-die als Industrielle sich bereits einen soliden Reichtum und ein
-großes bürgerliches Ansehen geschaffen hatten. Mitglieder der Familie
-Liebermann besaßen neben der schon erwähnten Wilhelmshütte in Sprottau
-eine bedeutende Tuchweberei, die Familie Reichenheim gleichfalls
-eine blühende Textilfabrik im schlesischen Wüste-Giersdorf. Auch die
-noch jetzt als Aktiengesellschaft bestehende Textil-Firma Anton und
-Alfred Lehmann befand sich im Besitz von Verwandten Rathenaus. Gerade
-diese Beispiele aus der Familie, die sich allerdings nach dem Tode
-des Großvaters Liebermann nicht mehr allzuviel um Emil Rathenau und
-sein Elternhaus kümmerte, werden dazu beigetragen haben, den jungen
-Rathenau der industriellen Laufbahn zuzuführen. Nach der Rückkehr aus
-England begab er sich auf die Suche nach einem geeigneten, bereits
-bestehenden und eingeführten Unternehmen. Durch Familienbeziehungen
-gelangte Rathenau an eine Fabrik, die damals verkäuflich war und auch
-den Eltern eine geeignete Grundlage für eine Selbständigkeit zu bieten
-schien. Es war die kleine Maschinenfabrik von M. +Webers+, die in
-der Chausseestraße, dem damaligen Berliner Maschinenfabrikenviertel,
-unweit der alten Berliner Anstalten von Schwartzkopf, Borsig,
-Wöhlert und Engells gelegen war. Die Fabrik beschäftigte nicht mehr
-als 40-50 Arbeiter und betrieb neben dem Bau von Dampfmaschinen
-die Herstellung von Einrichtungen für Gas- und Wasserwerke. Auch
-Zentrifugalpumpen, Lokomobilen und was sonst zu dem Betrieb einer
-damaligen Maschinenfabrik gehörte, wurde gelegentlich hergestellt.
-Daneben führte das Unternehmen, gewissermaßen als Monopol, sämtliche
-Apparaturen aus, die die Königlichen Theater brauchten. Emil Rathenau
-prüfte die Grundlage des Betriebes, von denen die technische trotz
-ziemlich primitiver Methoden einen besseren Eindruck machte als die
-kaufmännische, und war grundsätzlich zu einem Erwerb bereit. Die
-Verfassung, in der sich das Unternehmen damals befand, wurde von ihm
-wie folgt geschildert:
-
-„Aus einem früheren Vergnügungslokal, Bella Vista, war ein
-hübsches Wohnhaus mit Vorgarten stehen geblieben, das sich durch
-schmuckes Äußeres hervortat; hinter diesem lag die Fabrik in dem
-früheren Tanzsaal, der sich als Seitenflügel dem einstöckigen
-Wohnhause anschloß; Dampfkessel, wie sie unter bewohnten Räumen
-zu jener Zeit zulässig waren, und eine ihrer Größe entsprechende
-Dampfmaschine trieben vermittels Wellentransmission die einfachen
-Werkzeugmaschinen, wie sie Chemnitzer und Berliner Fabriken
-herstellten. Die Fabrik hatte einen guten Ruf. Der spätere Rektor
-der technischen Hochschule in Darmstadt hatte als technischer Leiter
-die Bügel- und Balanziermaschinen etwas modernisiert und mit einer
-Expansionsvorrichtung versehen, die sich recht bewährt hat. Ein
-Glockenventil, das auf und mit dem Schieber sich bewegte, wurde von
-dem unrunden Konus auf der Spindel des Zentrifugalregulators geöffnet
-und geschlossen.“ -- Der junge Ingenieur konnte und wollte das
-Wagnis, das auch über die ihm zur Verfügung stehenden finanziellen
-Kräfte hinausging, nun allerdings nur in Gemeinschaft mit einem
-tüchtigen und gleichgesinnten Kaufmann übernehmen. Für die Fabrik mit
-Grundstücksgebäuden und Inventar -- dazu gehörte ein großer Garten mit
-schönen alten Bäumen -- wurden 75000 Taler gefordert und von dem Käufer
-eine Anzahlung von einem Drittel dieses Betrages verlangt, über das
-Emil Rathenau nur zum Teil verfügte. An Geldmännern, die sich an dem
-Geschäft beteiligen wollten, fehlte es nicht. Doch konnte sich Rathenau
-nicht zur Wahl eines stillen Teilhabers entschließen. Ein Sozius
-fand sich aber bald in der Person des um zwei Jahre jüngeren Julius
-+Valentin+, den Rathenau als Nachbarkind vom Monbijouplatz und
-als jüngeren Schulgenossen vom Grauen Kloster her kannte. Die beiden
-jungen Männer trafen sich ganz zufällig. Auf der Straße begegnete
-Rathenau einige Zeit nach seiner Rückkehr aus England dem jungen
-Valentin, der ihm den Eindruck eines intelligenten, offenen Menschen
-machte. Den ersten gegenseitigen Fragen nach dem „Woher“, nach den
-Lebensschicksalen beider seit der gemeinsamen Schulzeit, folgte bald
-die Frage nach dem „Wohin“, den Plänen für die Zukunft.
-
-Rathenau erzählte schließlich, daß er etwas Eigenes unternehmen
-wolle, auch schon eine bestimmte Sache in Aussicht habe, daß ihm
-aber noch der Kaufmann fehle. Auf die Frage, ob er dieser Kaufmann
-sein wolle, und ob er sich mit einem bestimmten Kapital beteiligen
-könne, bat sich Valentin Bedenkzeit aus, gestand auch ganz offen,
-daß er nicht nur über die zu erwerbende Maschinenfabrik, sondern
-auch über Rathenau selbst vorher Erkundigungen einziehen müsse.
-Einige Tage nachher bat sich Valentin von Rathenau eine schriftliche
-Erklärung aus, daß er ihn zum Sozius bei der Fabrik nehmen wolle. Den
-jungen Ingenieur verstimmte diese Vorsicht ganz und gar nicht, sie
-gefiel ihm sogar, und man vereinbarte weitere Besprechungen. Diese
-fanden statt, und man wurde miteinander einig. Rathenau und Valentin
-erwarben gemeinsam die Maschinenfabrik, und der Jugendbekanntschaft
-folgte eine enge, fast zehnjährige Geschäftsgenossenschaft und bald
-eine herzliche Freundschaft, die auch die geschäftliche Trennung
-überdauerte, in manchen späteren gemeinsam geplanten, wenn auch nicht
-ausgeführten Projekten ihren Ausdruck fand, und das ganze Privatleben
-der beiden trefflich zueinander passenden Männer durchzog. Wenn man
-den glaubhaften Schilderungen des in seinem Verhältnis zu Rathenau
-selten bescheidenen Valentin folgt, so ist Emil Rathenau schon in der
-damaligen gemeinsamen Tätigkeit der führende, aktive und bestimmende
-Teil gewesen, während Valentin sich anpaßte und bemüht war, die
-Gedanken und Anregungen Rathenaus, so gut ihm das möglich war,
-auszuführen. Daß auch Valentin kein gewöhnlicher Mensch gewesen ist,
-zeigen die immerhin respektablen Erfolge in seiner späteren eigenen
-Tätigkeit. In der Leitung der Maschinenfabrik Webers jedenfalls
-vereinigten und ergänzten sich die beiden Charaktere auf das beste,
-und es ist vielleicht nie wieder ein äußerlich Gleichgeordneter mit
-Rathenau, der im Verkehr mit Menschen als eigenwillig, rücksichtslos,
-ja manchmal sogar als hart galt, so gut und glatt ausgekommen wie
-Valentin. Dieser rühmt besonders die feine, taktvolle Art, mit der sein
-damaliger Sozius bei gemeinsamen Verhandlungen und Beratungen jedes
-Pochen auf seine Überlegenheit, jede besserwisserische Art vermied.
-„Ja sogar, wenn man Aufklärung, Belehrung bei ihm suchte, hatte man am
-Ende den Eindruck, als ob Rathenau, der klar und mit ausgeprägtem Sinn
-für das Wesentliche auseinanderzusetzen und zu antworten verstand, als
-der Gewinnende, Belehrte und Dankbare aus der Unterhaltung schied.“
--- Ungefähr zu derselben Zeit, als die Maschinenfabrik M. Webers in
-den Besitz der beiden Freunde überging, heiratete Rathenau Mathilde
-Nachmann, die Tochter eines angesehenen und wohlhabenden Bankiers, und
-die Mitgift, die er erhielt, bildete zum Teil die finanzielle Einlage,
-die er in die Sozietät mit einbrachte. Mathilde war Emil Rathenau sein
-ganzes Leben hindurch eine treue und kluge Lebensgefährtin, die in den
-jungen Jahren der ersten kaufmännischen Tätigkeit an den Plänen und
-Arbeiten ihres Mannes ihren beratenden Anteil nahm und ihm später in
-den Jahren des beschäftigungslosen, manchmal unbefriedigten Suchens
-stützend und anspornend zur Seite stand. Als dann das Lebenswerk
-Rathenaus auf fester Grundlage errichtet war, die Tätigkeit wuchs, sich
-verzweigte und die Tages-, manchmal auch die Nachtstunden des Mannes in
-immer zunehmenden Umfange fortnahm, lernte sie sich bescheiden, gerade
-weil sie verstand, daß große Männer mehr ihrem Werke als sich und ihren
-Nächsten gehören. Sie konnte sich auch bescheiden, weil sie der Liebe
-ihres Mannes, +des+ Teils seines Denkens und Fühlens, der dem
-Menschen und Privatmann verblieb, stets sicher war und stets sicher
-sein durfte. So wenig Emil Rathenau für seine Familie im weiteren Sinne
-übrig hatte, so innig war er mit seiner engsten Familie verwachsen, so
-selbstverständlich fest war sein Familienzusammengehörigkeitsgefühl mit
-seinen nächsten Angehörigen. Unzertrennbar wie er den Eltern, besonders
-der Mutter anhing, fühlte er sich auch Frau und Kindern verbunden.
-Dieses Bewußtsein linderte auch in den späteren Jahren die Klage der
-Lebensgefährtin, daß sie von ihrem Manne so wenig hätte, und „es kaum
-so viele Romane gäbe, wie sie in ihren einsamen Stunden lesen müßte.“
-Daß an eine ins Einzelne gehende Teilnahme der Gattin an der Arbeit des
-Gatten in späteren Jahren in der Rathenauschen Ehe gar nicht mehr zu
-denken war, erscheint bei der Größe, dem Umfange und der Vielseitigkeit
-dieser Arbeit nicht verwunderlich. Auch die aktiengesellschaftliche
-Form und die strenge Scheidung, die Rathenau -- wie wir noch später
-sehen werden -- zwischen seinen eigenen Vermögensinteressen und denen
-der Aktiengesellschaft stets wahrte, ließ eine enge Fühlungnahme
-der Gattin mit den Geschäften des Gatten, zu der Mathilde Rathenau
-an sich durchaus fähig gewesen wäre, nicht entstehen. Wie weit ihre
-Geschäftsfremdheit in späteren Jahren gegangen ist, zeigt ein Vorfall,
-den mir Rathenau einmal persönlich erzählt hat. Die A. E. G. hatte
-seit einiger Zeit die Herstellung der lichtstarken und stromsparenden
-Metallfadenlampen aufgenommen und dafür eine große geschäftliche
-Propaganda entfaltet. In seiner eigenen Wohnung am Schiffbauerdamm
-brannten aber noch ganz gemütlich die altmodischen Kohlenfadenlampen,
-bis eines Abends Frau Mathilde einmal den Gatten fragte: „Sag mal,
-Emil, Ihr macht doch jetzt in den Zeitungen so viel für eine neue
-Lampe Reklame. Können wir die nicht auch bei uns einführen?“ -- Dieser
-Vorfall, der zugleich für die völlige Gleichgültigkeit kennzeichnend
-ist, mit der Emil Rathenau immer nur das Allgemeine, nie das Spezielle
-sehend, sein Privatleben wenigstens in äußeren Dingen behandelte, kann
-gegen den tiefen inneren Ernst, mit dem Rathenau die Ehe -- allerdings
-weitab von jeder modernen Emanzipation -- ansah und behandelte, nicht
-das geringste besagen. Frau Mathilde wird diesen Vorfall wahrscheinlich
-ebenso von der gemütlichen, humoristischen Seite genommen haben, wie
-die harmlose Galanterie, die ihr Mann, besonders auf Reisen -- und zwar
-je älter er wurde, umso mehr -- jungen oder klugen Damen, mit denen
-er gern und gut plauderte, entgegengebracht hat. Wußte sie doch, daß
-dabei keine Spur von Erotik, sondern nur angeborene Ritterlichkeit
-dem weiblichen Geschlechte gegenüber mitspielte, die diesem innerlich
-keuschen, jeder groben Sinnlichkeit abholden Manne stets eigen war,
-eine Ritterlichkeit, die er der Gattin selbst stets entgegengebracht
-hatte.
-
-Aber kehren wir wieder zu dem jungen Rathenau und seiner
-Maschinenfabrik zurück. Kurz nach ihm hatte auch der Sozius Valentin
-geheiratet, und die beiden Familien wohnten nun in dem der Fabrik
-vorgelagerten Wohnhause in der Chausseestraße, einträchtig beisammen.
-Abends nach getaner Arbeit zogen die beiden Ehepaare nicht selten
-gemeinsam in das Stadtinnere, nach der Friedrichstadt, wo es damals
-noch an jeder Kanalisation fehlte und die Abwässer in offenen
-Rinnsteinen, an den Straßenübergängen nur von Bohlen überdeckt, sich
-ihren Weg suchten, an warmen Sommerabenden einen wenig angenehmen Duft
-verbreitend. Die baulichen und hygienischen Verhältnisse ließen auch
-in der Zeit, als Berlin schon Reichshauptstadt geworden war, noch
-viel zu wünschen übrig. Die Einführung der Gasbeleuchtung hatte die
-wenig fortgeschrittene Kommunalverwaltung zunächst einer englischen
-Gesellschaft überlassen, die Gründung des ersten öffentlichen
-Schlachthofes und der ersten Markthalle durch Strousberg betrachtete
-man mit Mißtrauen und suchte ihr, statt sie zu unterstützen, allerlei
-kleinliche Hindernisse in den Weg zu legen. Rathenau, der ja die damals
-viel besseren Verhältnisse in englischen Großstädten kannte, empfand
-die Rückständigkeit der Vaterstadt schmerzlich, und auf den gemeinsamen
-Abendspaziergängen entwarf er, dessen Hirn stets voll von Plänen
-steckte und dem besonders beim Sprechen die Projekte nur so zudrängten,
-nicht selten kühne und großzügige Modernisierungsvorschläge.
-
-Die Tätigkeit Rathenaus in der Maschinenfabrik M. Webers dauerte fast
-10 Jahre. Als die beiden Freunde die Leitung übernahmen, verstanden sie
-von dem Fabrikbetriebe, wie Rathenau selbst zugab, wenig oder nichts.
-Der alte Webers hatte einen Buchhalter hinterlassen, der Valentin
-in die Mysterien der einfachen kaufmännischen Tätigkeit einweihte.
-Rathenau glaubte eine ähnliche Stütze in dem Ingenieur zu finden, der
-den technischen Arbeiten in Bureau und Werkstatt vorgestanden hatte.
-Dieser Mann, verstimmt darüber, daß sein früherer Chef das Anwesen
-verkauft hatte, ohne ihn zu fragen, ob er selbst darauf reflektiere,
-zog sich aus dem Geschäft zurück, um eine eigene Fabrik zu begründen
-und Emil Rathenau war somit allein auf sich selbst angewiesen. Der
-wichtigste Gegenstand bei seinem Eintritt war die Herstellung des
-Schiffes für Meyerbeers Oper „Die Afrikanerin“, die von dem Königlichen
-Opernhaus damals vorbereitet wurde. Rathenaus Interesse für derartige
-Theaterarbeiten war gering. Weder die Bühne noch die Balletteusen,
-für deren Gruppendarstellungen er schmiedeeiserne Konstruktionen
-auszuführen hatte, übten eine Anziehungskraft auf ihn aus. Zu dem
-Programm des Unternehmens gehörten, wie wir schon gesehen haben, außer
-Dampfmaschinen von nicht erheblicher Größe, Apparate für Gasanstalten
-und Wasserwerke, wie sie in den beschränkten Werkstätten und mit den
-vorhandenen einfachen Hilfsmaschinen ausgeführt werden konnten. Auch
-Schieber von den kleinsten bis zu den größten Abmessungen bildeten eine
-lohnende Spezialität. Über die technischen Zustände, die Rathenau in
-der Fabrik vorfand, und über die Versuche, sie auf eine höhere Stufe zu
-heben, lassen wir ihn am besten wieder selbst berichten:
-
-„Während Aufträge auf gewisse Gegenstände ohne Mühe und regelmäßig
-einliefen und die listenmäßigen Preise ohne Feilschen erzielten,
-schwankten die Bestellungen auf Dampfmaschinen, und diese Schwankungen
-erschwerten den geordneten Werkstattbetrieb. Brauchbare und
-leistungsfähige Arbeiter lassen sich nur erziehen, wenn sie die
-Überzeugung gewinnen, daß ihre Beschäftigung eine dauernde ist und
-das Unternehmen im Aufblühen sich befindet, denn mit dem Wachsen der
-Bestellungen nimmt auch ihr Verdienst zu. Der Bau von Dampfmaschinen
-nach Preislisten, wie viele amerikanische Fabriken ihn später
-aufgenommen haben, lag zuerst in meiner Absicht, aber ich sah bald, daß
-jeder Kunde neue Wünsche äußerte und die von mir festgelegten Typen
-diesen nicht entsprachen. Lag die fertige Maschine rechts, wünschte
-man das Spiegelbild, war das Schwungrad als Riemscheibe ausgebildet,
-forderte man besondere Scheiben, befand sich die Kondensation hinter
-dem Dampfzylinder, legte man Wert auf den Antrieb der Luftpumpe von
-der Kurbel usw. Unter solchen Umständen beschloß ich eine neue Type
-zu schaffen, in der Hoffnung, daß mit derselben die Kritik aufhören
-würde, und in dieser Erwartung habe ich mich nicht getäuscht, denn
-viele hundert Maschinen von 1 PS bis zu ansehnlichen Leistungen wurden
-ohne Änderungen der Modelle ausgeführt und verkauft; freilich sorgte
-ich stets, daß sie auf der Höhe der Technik verblieben. Diese Maschinen
-nannte ich zum Unterschiede von Lokomobilen auf Rädern transportable
-Dampfmaschinen. Sie bildeten ein in sich abgeschlossenes Ganze. Die
-vertikale Maschine war mit ihrer Grundplatte an dem sauber gearbeiteten
-stehenden Dampfkessel befestigt; die einfache Feuerbüchse erhielt
-durch herabhängende (Fieldsche) Röhren genügende Heizfläche, und die
-aufsteigenden Rauchgase wurden durch eine mit feuerfestem Material
-bekleidete Eisenwand abwärts und dann in den Schornstein geführt.
-Die Montage der Maschinen nahm geringe Zeit in Anspruch, sie konnten
-in tadelloser Ausführung fast immer sogleich vom Lager oder aus
-den Werkstätten geliefert werden, hatten einen ganz befriedigenden
-ökonomischen Effekt und so viele Vorzüge vor stationären Maschinen
-mit schwerfälligen Kesselanlagen, Einmauerungen, Schornsteinen usw.,
-daß die Firma sich bald eines Rufes erfreute und die Fabrikate über
-die ganze Welt absetzte. Weitere Spezialfabrikationen bauten sich auf
-direkt gesteuerten Dampfpumpen auf, die die Schwungradpumpen allmählich
-ersetzten, auf Zentrifugalpumpen, darunter solche für Hochdruck und
-direkten Dampfmaschinenantrieb, auf Ejektoren für Kondensationszwecke
-und dergleichen, während Dampfmaschinen und Dampfkessel in allen
-Größen, wie sie damals üblich waren, auf besondere Bestellung gebaut
-wurden. Es muß hier bemerkt werden, daß der schöne Garten modernen
-Werkstätten für Kessel- und Maschinenbau inzwischen Platz gemacht und
-Umsatz sowie Arbeiterzahl mit jedem Jahre sich vermehrt hatten. Außer
-den laufenden Bestellungen betätigten wir uns in Konstruktionen für
-das Heer und die Marine.
-
-Die Firma Siemens & Halske hatte uns den Auftrag zur Herstellung einer
-10 PS transportablen Dampfmaschine erteilt, die auf Rädern dergestalt
-hergestellt war, daß Dampfkessel und Maschinen auf der Hinterachse,
-Dynamo- und Erregermaschine auf einem leichten schmiedeeisernen
-Gestell ruhten. Der Betrieb erfolgte mittels Riemen. Die Versuche mit
-Scheinwerfern wurden entweder auf dem Tegeler Schießplatze oder der
-damals unbebauten Genthinerstraße, wo die Bureaus des Ingenieurkomitees
-sich befanden, wie ich meine, mit befriedigendem Erfolge ausgeführt.
-
-An ersterer Stelle hatten wir bereits größere Leistungen aufgewiesen.
-Unter Leitung eines sehr befähigten, damals als Hauptmann fungierenden
-Offiziers hatten wir einen drehbaren Panzerturm für zwei 50
-cm-Geschütze erbaut; die Panzerplatten waren so schwer, wie sie die
-englische Firma damals walzen konnte, umgaben aber hauptsächlich
-+den+ Teil des Turmes, in dem die Minimalscharten sich befanden,
-während der übrige Teil des Ringes aus sehr starken Flächen und die
-gewölbte Kalotte aus einer Doppellage von diesen gebildet wurde. Die
-Drehung des solid und genial konstruierten Turmes erfolgte durch das
-Gewicht von Artilleristen mittelst Hebel und Tritte vorwärts und
-rückwärts in mäßigem Tempo. Fast eine Kunst war die Auswechslung der
-schweren und langen Geschützröhren in dem niedrigen Turm; ohne Kräne
-und Winden mußte sie in wenigen Stunden erfolgen. Diese Röhren wurden
-in Eisenblechlafetten durch zwei voneinander unabhängige Vorrichtungen
-so bewegt, daß der ideelle Drehpunkt in der Schießscharte verblieb und
-diese auf ein Minimum reduziert werden konnte.
-
-Die Mannschaft wurde allmählich mit den Manipulationen so vollkommen
-vertraut, daß es eine Freude war, die schwierigen Exerzitien zu
-beobachten. Welche Einfachheit der Übungen im Vergleich zu den
-heutigen Manövern, bei welchen alle Neuerungen der modernen Technik
-zur Anwendung gebracht sind! Über die zahlreichen Feldbefestigungen,
-die wir ausführten, gehe ich hinweg zu dem Barackenlager, das in Tegel
-errichtet, vorher aber in einem Exemplar in unserer Fabrik aufgestellt
-wurde. Gebogene I-Eisen, durch einen Ring zu einer Kuppel vereinigt und
-mit einem halben Stein ausgewölbt, bildeten hohe, luftige Wohnräume
-für etwa je 16 Mann; kleinere Baracken waren für Offiziere, Küchen,
-Latrinen usw. bestimmt. Bei Ausbruch des französischen Krieges hatte
-das für eine Kompagnie in Tegel bestimmte Lager die Aufmerksamkeit
-auf sich gelenkt, und der damalige Direktor der Charité Esse, Virchow
-und andere Zelebritäten bestürmten uns, zwei solcher Baracken, für
-die das Material noch vorhanden war, in dem Königin Augusta-Hospital
-zu errichten. Acht Damen, darunter meine Frau, übernahmen die Pflege
-der Verwundeten, deren Lob und Dank sie erwarben. Die hohe Protektorin
-wünschte mir als Urheber des zeitgemäßen Gedankens und seiner
-Verwirklichung ihre Anerkennung persönlich auszusprechen, aber die
-Auszeichnungen, die meine Frau erfuhr, schienen mir eine ausreichende
-Belohnung für die zur Befriedigung meiner patriotischen Gesinnung
-bewirkte Leistung.
-
-Als die Kriegserklärung erfolgte, stand das Geschäft plötzlich still,
-der Gütertransport auf den Bahnen hatte aufgehört, die besten Arbeiter
-waren zu den Fahnen berufen, Aufträge liefen nicht mehr ein, und
-niemand wußte, welche Ausdehnung der Zustand nehmen würde. Da erhielten
-wir die Anfrage, ob wir Minentorpedos anfertigen könnten. Die anderen
-Berliner Fabriken hatten es abgelehnt, sich auf die Herstellung
-der völlig neuen und von unseren Fabrikaten gänzlich verschiedenen
-Konstruktionen einzulassen, und so erhielten wir den großen Auftrag
-zu den von uns auskömmlich berechneten Preisen. Das Material wurde
-auf Requisitionsschein herbeigeschafft, und die mit der Fabrikation
-beschäftigten Beamten, wie ich selbst, von der Dienstpflicht im Heere
-befreit. In kurzer Zeit waren Werkstätten und Höfe für den neuen
-Zweck eingerichtet. Verzinkereien angelegt, große Feuer zum Biegen
-der Bleche gebaut und Drehbänke für Herstellung der Schrauben und
-Zünder angeschafft. Die ungewohnte Arbeit ging anfänglich schwer
-vonstatten; es fehlte an guten Holzkohlenblechen, die die unsanfte
-Behandlung vertrugen, und auch die Dichtung ließ zu wünschen übrig.
-Allmählich lernten wir und unsere Arbeiter jedoch die Behandlung, und
-jeder Torpedo wurde anstandslos abgenommen. Als die Konkurrenz sah,
-wie immer neue Arbeiter von uns eingestellt wurden, die sie aus Mangel
-an Beschäftigung entlassen mußten, bewarben auch sie sich um diese
-Aufträge und erhielten sie, da unsere Leistungen erschöpft waren. Aber
-die höheren Preise, die man ihnen zugebilligt hatte, wurden uns nicht
-nur für die noch in Ausführung und Bestellung gegebenen, sondern
-auch für die bereits abgelieferten Torpedos in einem schmeichelhaften
-Schreiben über unsere Leistungen gewährt.
-
-So beschlossen wir, unsere Fabrikation beträchtlich zu erweitern. Die
-Kesselschmiede wurde damals in Berlin noch recht primitiv betrieben.
-Bei Arbeiten aus dünnen Blechen, wie bei Gasbehältern, erhielten wir
-kaum die Auslagen für Material und Lohn ersetzt, wie wir zuletzt beim
-Bau in Nauen zu unserem Bedauern erfahren hatten, und nicht viel
-besser erging es bei Dampfkesseln, Brücken, Dächern, Trägern usw.,
-die nach Gewicht geliefert und verrechnet wurden. Die einzige Hilfe,
-uns aus dieser üblen Lage zu befreien, war auch in diesem Zweig die
-Aufnahme von Spezialfabrikaten, denn die Herstellung der Torpedos
-hatte gezeigt, daß wir billig zu arbeiten in der Lage waren. Da mit
-feinerem Material auch die Arbeit sich verbessern mußte, nahmen
-wir den Bau von Stahlkesseln auf, die zwar neue Konstruktionen und
-Einrichtungen erforderten, aber auch bessere Verkaufspreise erzielten,
-da wir mit Preisunterbietungen seitens der Konkurrenz nicht mehr
-zu rechnen brauchten. Auch hier zahlten wir Lehrgeld; denn als ich
-in den Weihnachtsfeiertagen durch die Kesselschmiede ging und die
-Arbeiten betrachtete, sah ich, daß an verschiedenen Bördelungen der
-Feuerröhren infolge mangelhaften Materials Längsrisse entstanden waren.
-Der Fabrikant der Bleche schob die Schuld von sich auf nicht genügend
-langsame Abkühlung nach dem Biegen der Flansche, ich vermutete die
-Ursache in der Unzuverlässigkeit des Materials und überlegte, ob es
-nicht geraten sei, die weitere Fabrikation solange zu sistieren, bis
-Erfahrungen aus dem Betriebe vorlägen. Seit länger als 30 Jahren ist
-der von mir gefertigte Stahlkessel im Betriebe einer Tuchfabrik, und
-der Besitzer ist seines Lobes voll.
-
-Eine andere von mir eingeführte Fabrikation hat sich seit meiner
-Zeit zu außerordentlicher Höhe entfaltet: die Verarbeitung von
-Wellblechen. In der Fabrik für Eisenbahnbedarf von Pflug erbaute ich
-zwei freitragende Dächer aus Wellblech von erheblicher Spannweite über
-der großen Schmiede. Interessant ist, daß gerade auf diesem Grundstücke
-die A. E. G. etwa zehn Jahre später ihre erste Fabrikationsstätte
-errichtet hat. Indem ich jener Fabrik gedenke, erinnere ich mich, daß
-nicht nur die ersten Dampfheizungen in den Waggons unter den Sitzen
-der Reisenden, sondern auch Niederdruck-Wasserheizungen in Wohnhäusern
-von mir ausgeführt sind: sie bewiesen, daß man ideale Behaglichkeit
-erreichen kann, wenn man die Kosten der Anlage nicht spart. --
-Kompressoren wurden gebaut, um Gefäße mit komprimierter Luft zu füllen,
-mit der die Soldaten in langen Minengängen sich ernährten. Sie trugen
-die kurzen Röhren über den Tornistern auf dem Rücken und konnten
-dadurch ihre Arme frei bewegen. Erwähnenswert ist auch die Herstellung
-einer +Dampfturbine+. Sie bestand aus zwei miteinander verbundenen
-Scheiben, die, durch dünne Zwischenlagen voneinander getrennt, den
-Dampf von der Mitte nach dem Umfang durch Schaufeln ausströmen ließen,
-die in den Zwischenlagen ausgespart waren. Die Querschnitte der
-Aktionsturbinen erweiterten sich der Expansion des Dampfes entsprechend
-nach dem Umfang zu, und dieser strömte durch die hohle Welle in das
-Rad, das in einem Gebäude rotierte, um den Auspuff in die Atmosphäre zu
-leiten. Bei der geringen Heizfläche der stehenden Dampfkessel und der
-wenig ökonomischen Wirkung war es immer nur minutenweise möglich, die
-Turbine im Leerlauf zu erhalten, und die Versuche wurden aufgegeben.
-Hätte man die Geschwindigkeit zu steigern, Kondensation anzuwenden und
-die erzeugte Arbeit auf die noch wenig bekannten Dynamos zu übertragen
-verstanden, die Fortsetzung der Versuche wäre beim Übergang von
-Aktions- zu Reaktionsrädern vielleicht von Erfolg gekrönt worden.“
-
-Diese Schilderung zeigt, daß alles von Rathenau damals an Neuerungen
-Versuchte, zwar im einzelnen ganz schöne Erfolge brachte, aber doch den
-Rahmen für eine großzügige Erweiterung oder gar für eine grundlegende
-Umgestaltung des im ganzen primitiven Betriebes nicht abgeben konnte.
-Über die Grenzen, die der damaligen Maschinen-Industrie in Deutschland
-noch gesetzt waren, fand sich das Unternehmen nicht hinaus. Es gab in
-der Maschinenfabrikation jener Zeiten bestimmte Typen, an denen zwar
-hier und da kleinere oder größere Verbesserungen angebracht wurden,
-die aber doch im großen und ganzen ziemlich festlagen. Bahnbrechende
-Erfindungen wurden nicht gemacht, für großzügige Experimente wurde
-nicht viel Geld ausgegeben. Emil Rathenau, der noch mit einem anderen
-Ingenieur den ganzen technischen Stab der Maschinenfabrik bildete,
-saß in jener Zeit fleißig am Reißbrett und betätigte sich, ohne schon
-eine Spur seiner späteren schöpferischen Kaufmannsbegabung erkennen
-zu lassen, hauptsächlich als Konstrukteur. Mit dem, was sich mit
-den Mitteln seiner Fabrik verwirklichen ließ, war er innerlich nicht
-zufrieden. Damals durchgrübelte er in den freien Stunden, die ihm
-der nicht überhastete Betrieb ließ, bereits die Möglichkeiten des
-Maschinenbaus, und Ideen, die später in der Hochdruck-Zentrifugalpumpe
-und der Dampfturbine ihre Verwirklichung fanden, fühlte und dachte er
-schon bis an die Schwelle ihrer Konstruierbarkeit problematisch vor.
-Zum großen Konstrukteur fehlte ihm weder die technische Phantasie
-noch die intime Kenntnis der maschinellen Praxis, aber wohl das
-breite Zwischengebiet, das zwischen diesen beiden Exponenten liegt.
-Er hatte das Gefühl dafür, welche Erfindung nottat, und wußte wohl
-auch die Richtung ungefähr zu treffen, in der sie zu gewinnen
-war. Er verstand es auch trefflich, die vielen kleinen und großen
-Hindernisse zu beseitigen, die auf dem Wege von der prinzipiell
-gelungenen Konstruktion bis zu ihrem glatten und geschäftlich
-rationellem Funktionieren in der Praxis wie Steingeröll auf einer schon
-tracierten, aber noch nicht applanierten Chaussee zu liegen pflegen.
-Aber die Chaussee zu bauen vermochte er nicht. Dazu fehlte es seinem
-technischen Sinn an gleichmäßiger Kraft, seiner Arbeit an Freiheit und
-Selbständigkeit. Darunter scheinen auch seine konstruktiven Versuche in
-der Maschinenfabrik gelitten zu haben. Gänzlich neue Gebilde vermochte
-er nicht zu schaffen. Damals bemächtigte sich seiner zeitweilig sogar
-eine gewisse Resignation hinsichtlich der Entwickelungsfähigkeit
-des Maschinenbaus überhaupt, und seinem Sozius klagte er in der
-beginnenden Stimmung des Überdrusses an dem ewigen Kreislauf des
-kleinen Betriebes, daß die Kolbendampfmaschine in allem Großen und
-Wesentlichen wohl für alle Zeiten festgelegt sei, und an ihr höchstens
-mittlere und kleine Verbesserungen noch erreicht werden konnten.
-Es war schon nach einigen Jahren ersichtlich, daß die Tätigkeit in
-der Maschinenfabrik dem ruhelos schweifenden Geist Rathenaus, der
-Entwickelungsfeld, Weite und die Möglichkeit des vollen Schaffens vor
-sich sehen mußte, keine dauernde Befriedigung zu bieten vermochte.
-Wäre Emil Rathenau eine Durchschnittsnatur gewesen, ein Mensch, dem
-es genügt hätte, einen guten und entwickelungsfähigen Wohlstand zu
-gründen, so würde er in der Chausseestraße zufrieden geblieben sein,
-mit der Aussicht, es vielleicht allmählich zu einer Position zu
-bringen, wie sie seine Verwandten Liebermann sich geschaffen hatten.
-Das Gefühl und der Wert des Erwerbens und Besitzens haben aber
-Rathenau in seiner Handlungsweise nie geleitet. Gelderwerb war ihm eine
-Begleiterscheinung der Arbeit und ein äußeres Zeichen für ihren Erfolg.
-Persönlich bedürfnislos, ohne Sinn für Wohlleben und Luxus, auch in
-der Zeit des Reichtums noch dem Geld mit kleinbürgerlichen Gefühlen
-gegenüberstehend, so ist er allezeit geblieben. Nur die Seligkeit des
-Schaffens war es, die ihn beflügelte und befriedigte. Seinem Werke
-diente er, weil er in dem Werke und mit ihm wachsen, sich ausleben
-konnte, nicht weil er durch Geld genießen und Macht üben wollte. Es
-ist kein Wunder, daß einen so gearteten Menschen nach wenigen Jahren
-ruhigen Wirkens im gemäßigten Klima Überdruß und Unrast überfielen.
-Nicht lange vermochte er sie sich und den Seinen zu verbergen. „Lassen
-Sie mich heraus,“ bat er den Sozius, Valentin. „Behalten Sie mein Geld
-im Geschäft, ich will keinen Pfennig heraushaben.“ -- „Aber warum
-wollen Sie unser gutes Unternehmen, unsere harmonische Zusammenarbeit
-im Stich lassen?“ fragte bekümmert der Freund. „Ich finde darin
-keine Zukunft für mich, ich komme mir auch manchmal unseren Kunden
-gegenüber wie ein Betrüger vor. Unsere heutigen Maschinen verbrauchen
-viel mehr Kohlen, als sie dürften. Die Abnehmer rügen es nicht, aber
-gerade deswegen drückt es mich. Gewiß sind unsere Fabrikate nicht
-schlechter als die anderer Firmen. Das ganze Niveau ist zu niedrig. Es
-müßte gehoben werden, aber in einer Fabrik wie unserer, mit unseren
-Mitteln muß ich daran verzweifeln, es heben zu können.“ So sprach
-Rathenau, zuerst aus vorübergehenden Stimmungen heraus, die Valentin
-zurückzudrängen versuchte. „Ich will Ihre Stimmungen und Verstimmungen
-nicht benutzen, um mich zu bereichern. Wenn Sie aus der Firma
-herausgehen, bleibe auch ich nicht. Dann liquidieren wir eben oder
-verkaufen die Fabrik gemeinsam.“ Der Gedanke, den Sozius und Freund
-der ihm lieb gewordenen Unternehmung zu entziehen, hielt Rathenau dann
-wieder eine Zeitlang von seinem Vorhaben zurück. Aber die Stimmungen
-wurden immer düsterer, die Klagen immer dringlicher. „Es ist die
-typische Veränderungssucht der Rathenaus, ihr Mangel an Sitzfleisch,“
-so urteilte vielleicht die Familie über die Nöte des schwer ringenden
-Mannes. Wer mochte ihn damals verstanden haben? -- Nach dem Kriege
-von 1870/71 schien ein Ausweg zu winken. Ein großer Auftrag der
-Militärverwaltung auf Umarbeitung von 800000 Gewehren sollte vergeben
-werden. Rathenau gibt von dem Vorgang folgende Schilderung:
-
-„Während der Torpedoauftrag zu Ende ging, erfuhr ich, daß man in
-den Spandauer Gewehrfabriken sich mit Umänderung der Visiere auf
-den eroberten Chassepotgewehren herumquälte und gern Offerten der
-Privatindustrie entgegennehmen würde. Ich begab mich unverweilt in
-das Bureau des Dezernenten und führte aus, daß die Umänderungen mit
-den hier üblichen Mitteln kostspielig und zeitraubend seien, daß
-ich mit modernen amerikanischen Millingmaschinen die Arbeit, deren
-Selbstkosten in Spandau ich auf fünf Taler schätzte, für ebensoviel
-Mark liefern würde. Der alte General hielt mich zuerst für einen
-Hochstapler oder Wahnsinnigen, wie ich aus seinen Fragen und Mienen
-sah, im weiteren Verlauf der Unterhaltung gewann er indessen die
-Überzeugung, daß meine Offerte Ernst sei, als ich als Garantie für
-die Erfüllung meiner Verpflichtungen eine imposante Summe (300000
-Taler) bei einer ersten hiesigen Bank zu hinterlegen mich erbot.
-Obwohl ich keine Zusage erhielt, daß der Auftrag an uns zur Vergebung
-gelangen würde, veranlaßte ich einen Freund, der die Fabrikation
-der oben bezeichneten Maschinen durch seine Tätigkeit in Amerika
-genau kennen gelernt hatte, schleunigst nach den Vereinigten Staaten
-abzureisen und sich zu vergewissern, in welcher kürzesten Zeit der
-ausgedehnte Maschinenpark zu beschaffen sei. Ein Probevisier hatte
-er mitgenommen, und bald erhielt ich ein Kabeltelegramm, daß ein
-großer Teil der Werkzeuge und Maschinen in vier Monaten, der Rest in
-gewissen, näher bezeichneten Perioden zur Verladung gelangen würde. Mit
-diesem Telegramm begab ich mich nach der Zimmerstraße in das Bureau
-des Dezernenten, der fast sprachlos war, als ich auf seine Fragen die
-Absendung meines Delegierten kurz und bündig schilderte. Er hätte mir
-weder einen Auftrag erteilt, noch in sichere Aussicht gestellt, meine
-Handlungsweise sei nicht zu rechtfertigen; als ich ihm entgegenhielt,
-daß die Arbeit in kürzester Zeit vollendet werden müsse, daß weder
-die Königlichen Fabriken noch ein Dritter hierzu in der Lage seien,
-daß mit den alten Werkzeugmaschinen präzise Arbeit nicht hergestellt
-werden könne und meine Mittel mir gestatteten, für die Möglichkeit,
-eine große Bestellung zu erlangen, eine Summe zu opfern, beruhigte
-sich der alte Herr und entließ mich mit dem Versprechen, die Offerte
-wohlwollend zu prüfen. Als wir am Weihnachtsheiligabend desselben
-Jahres unsere Kinder unter dem Baum zu bescheren gerade im Begriff
-waren, meldete sich der Adjutant des Generals mit dem Auftrage, uns zu
-befragen, ob wir den geforderten Preis für Änderung von 800000 Visieren
-um 50 Pfg. das Stück zu reduzieren geneigt seien; in diesem Falle würde
-der Auftrag uns, sonst aber der inzwischen aufgetauchten Konkurrenz
-erteilt werden. Ohne lange Überlegung lehnten wir den Vorschlag ab,
-nicht weil wir an einen ernsten Wettbewerb glaubten, sondern weil nach
-Lage der Dinge diese Behandlung uns nicht fair erschien. Der Konkurrent
-ging, wie vorauszusehen war, bei der Arbeit zugrunde, denn er hatte
-weder die Mittel, die neuen Arbeitsmethoden einzuführen, noch kannte
-er diese. Sein Untergang war die Erweckung der Nähmaschinenfabrik von
-+Ludwig Loewe & Co.+, die bis dahin Erfolge nicht aufzuweisen
-gehabt hatte. Nach meinen Kalkulationen sind an diesem Auftrage mehrere
-Millionen verdient worden, aber wichtiger als der einmalige Gewinn war
-die hierdurch herbeigeführte Annäherung an die Firma Pratt, Whitney
-& Co. in Hartford, Conn., deren Maschinen- und Werkzeugbau Loewe an
-Stelle der unlohnenden Nähmaschinen aufnahm und hiermit das Verdienst
-erwarb, den amerikanischen Machine tools eine würdige Stätte in unserem
-Vaterlande zu bereiten.“
-
-Das Fehlschlagen dieses Geschäfts bedeutete aber für die
-Maschinenfabrik Rathenaus nicht nur einen entgangenen Gewinn und eine
-entgangene Entwicklungsmöglichkeit, sondern brachte auch einen --
-wenn auch nicht allzu schweren -- Geldverlust mit sich. Im Vertrauen
-auf das erwartete Geschäft, an dessen Zustandekommen die Sozien
-nicht zweifelten, hatten sie zur Aufbringung der erforderlichen
-beträchtlichen Kapitalien einen stillen Teilhaber aufgenommen oder
-doch mit ihm einen Vertrag abgeschlossen, nach dem er einen Betrag von
-600000 Mark einbringen sollte. Nachdem das Geschäft sich zerschlagen
-hatte, mußte dieser Vertrag gelöst werden, wobei dem Kapitalisten eine
-Abstandssumme von 20000 Mark zu zahlen war. Die Frage, ob Rathenau dem
-Unternehmen treu geblieben sein würde, wenn es durch den großen Auftrag
-der Militärverwaltung auf eine verbreiterte, und vielleicht wesentlich
-veränderte Grundlage gestellt worden wäre, ist schwer zu beantworten.
-Auch auf dem Gebiet der Waffen- und Werkzeugmaschinen-Industrie waren
-große Entwickelungsmöglichkeiten vorhanden, wie ja der Werdegang der
-Löweschen Fabrik zeigte, die später einen ganzen Kranz gewaltiger
-Unternehmungen der Waffen- und Munitionsindustrie, ihrer Hilfs- und
-Nebengewerbe und der Werkzeugmaschinenfabrikation um sich gruppiert
-hat. Hinter dem großartigen und vielgestaltigen Sonnensystem der A. E.
-G. mit seinen Ausstrahlungen nach allen Seiten und Himmelsrichtungen
-bleibt die beschränkte Spezialfabrikation des „Waffenkonzerns“
-aber nicht nur an Umfang, sondern auch an Fülle der Formen und
-Gestaltungen, an Möglichkeiten zur Betätigung des kaufmännischen
-Ingeniums und des industriellen Schaffenswillens so weit zurück,
-daß sie fast einförmig erscheint. Ob einen Emil Rathenau, dem der
-Formenreichtum und die gewaltigen Maße der A. E. G. kaum genügten,
-dessen Phantasie den Wundern der Elektrizität himmelhoch nachfliegen
-durfte, die nüchterne Klein- und Präzisionskunst der Waffenindustrie
-und der Drehbänke dauernd gefesselt hätte, will mir nicht sonderlich
-glaubhaft erscheinen. Für die Entwickelung der deutschen Industrie
-ist es jedenfalls gut gewesen, daß Emil Rathenau als 33jähriger eine
-Enttäuschung bei einem kleineren Werke erlebte, um für größere Aufgaben
-freizubleiben, zu denen er erst als Reiferer mit 43 Jahren gelangen
-sollte.
-
-Den Jahren der gewerblichen Beschäftigungslosigkeit und der
-Kriegsdepression, in denen Rathenau und Valentin, um ihrer Fabrik
-überhaupt eine größere Arbeit zuzuführen, dem ihnen an sich fremden
-Auftrag aus dem Gebiet der Waffenindustrie nachgegangen waren, folgte
-bald die +Gründerperiode+ mit ihrem Überschwung, ihren stürmischen
-Hoffnungen und schweren Enttäuschungen. An alledem sollte auch die
-Webers’sche Maschinenfabrik Anteil haben. Die Inhaber entschlossen
-sich, da die Räume in der Chausseestraße eine Vergrößerung, wie
-sie diese planten, nicht zuließen, eine neue Fabrik nach modernen
-Grundsätzen auf billigem Gelände in der Nähe der Stadt zu errichten.
-Sie erwarben einen geeigneten Komplex von großer Ausdehnung in
-Martinikenfelde für 70000 Taler. Der Plan war großzügig angelegt. An
-den beiden gegenüberliegenden Straßenfronten lagen nach Martinikenfelde
-zu die mächtige Eisengießerei, an der Huttenstraße die ihr an Größe
-entsprechende Modellierwerkstatt und Dreherei und zwischen ihnen auf
-der westlichen Seite Schmiede und Kesselschmiede. Im Mittelpunkte
-befand sich die zentrale Dampferzeugungsstation, die alle Maschinen
-des ausgedehnten Werkes durch wohl isolierte Röhren mit Dampf
-versorgte. Die Kondensation erfolgte durch Ejekteure, deren Bau die
-Firma neuerdings aufgenommen hatte, auch nur ein Schornstein war auf
-dem Werke vorhanden.
-
-„Die Gießerei bestand aus einem Längsschiff von ca. 20 Meter
-Spannweite und einer beträchtlichen Höhe und Länge. Sie war mit großen
-Kupolöfen, schweren Lauf- und Drehkranen, tiefen Dammgruben und allen
-Vorrichtungen einer modernen Gießhalle ausgerüstet, um die schwersten
-Stücke in Sand, Masse und Lehm zu gießen. An ihren Enden schlossen sich
-zweistöckige Gebäudeflügel an; der eine diente als Modelltischlerei
-und Modellboden, der andere für Kleinguß, der mit Maschinen geformt
-wurde. -- Die Montagehalle war in Form und Größe der Gießerei ähnlich,
-die sich ihr anschließende Dreherei mit kräftigen Werkzeugen reichlich
-versehen. Auch in den anderen Werkstätten ließen die Einrichtungen
-nichts zu wünschen übrig.“
-
-Rathenau faßte später sein Urteil über die Anlage in die Worte
-zusammen: „Es war eine Fabrik aus einem Guß, wie sie Berlin
-nicht besaß.“ Schon während des Baues waren in der Gründerzeit
-Offerten von Großbanken zur Umwandlung des Unternehmens in eine
-+Aktien-Gesellschaft+ immer wieder ihren Inhabern gemacht worden.
-Rathenau hatte sie zuerst standhaft zurückgewiesen, ja er hatte sogar
-ein großes Kapital unter nicht leichten Bedingungen von privater Seite
-beschafft, um den Klauen des Geldmarktes zu entschlüpfen, dem er eine
-unüberwindliche Abneigung entgegenbrachte und trotzdem, so bekannte er
-später resigniert, „entging ich meinem Schicksal nicht.“
-
-„Ein befreundetes Bankhaus hatte mit einer ersten Bank sich verbunden
-und meinen Sozius zum Verkauf überredet. Trotz der ungewöhnlichen
-Bedingungen, die ich in der Erwartung stellte, daß sie die Käufer
-abschrecken würden, gingen sie zu meinem Bedauern auf diese ein und
-verwandelten das gutrentierende Unternehmen in eine Aktiengesellschaft.
-Ich übernahm keine Aktie, erhielt vielmehr den gesamten Kaufpreis
-in bar ausgezahlt, die Leitung der Geschäfte mußten wir trotz allem
-Widerwillen für einige Zeit übernehmen, da eine geeignete Direktion
-nicht sogleich sich finden ließ und die zweckmäßige Umwertung der
-Bestände von nicht zu unterschätzendem Wert war. Die Geschäfte gingen
-zunächst glänzend, als aber der Krach von 1873 hereinbrach und das
-große und sehr geschätzte Bankinstitut, das die Gründung durchgeführt
-hatte, von diesem am stärksten betroffen wurde, erlitten wir zwar keine
-Einbuße an dem vorhandenen Betriebskapital, aber die Obligationen,
-die für den Bau der neuen Fabrik uns zugesichert waren, konnten nicht
-zur Ausgabe gelangen, und Hypotheken waren nicht zu beschaffen. Mein
-Entschluß war sofort gefaßt: Nachdem die Fabrikbauten schleunigst
-vollendet und alle Gläubiger befriedigt waren, legten wir unsere
-Stellungen nieder und überließen das weitere Geschick der Gesellschaft,
-die später liquidierte. Den fast täglich an mich herantretenden,
-zuweilen sehr verlockend erscheinenden Anerbietungen, das glänzende
-Unternehmen zurückzuerwerben, entzog ich mich durch eine lange Reise.
-Gewiß wäre es ein gutes Geschäft gewesen, die beiden Werke billig zu
-kaufen und den früheren Betrieb mit vergrößerten Mitteln aufzunehmen,
-aber dieses Ansinnen widerstrebte mir. Geradezu verfolgt hat mich
-mit seinen Anträgen der reiche Verwandte eines Großindustriellen der
-Branche, der Kriegsmaterial in Martinikenfelde fabrizieren wollte,
-große Aufträge der Regierung hinter sich hatte und über sehr erhebliche
-pekuniäre Mittel verfügte. Der Kauf kam ohne meine Mitwirkung
-zustande, die schöne Fabrik wurde umgestaltet, und ihr Besitzer
-stellte die Zahlungen ein, nachdem er das große Vermögen der Erzeugung
-von Stahl geopfert hatte. Aus dem Konkurs erwarben die Waffen- und
-Munitionsfabriken dieses Werk und gestalteten es für ihre Zwecke um.“
-
-Das Bankinstitut, das an der Finanzierung sich beteiligte, war
-die Preußische Boden-Kredit-Aktienbank, deren Direktor Schweder
-Aufsichtsrat-Vorsitzender bei der „Berliner Union“ -- so hieß die neue
-Aktiengesellschaft -- geworden war. Er hatte Rathenau und Valentin
-sogar größere Geldmittel als sie beanspruchten, förmlich aufgedrängt,
-indem er in den Aufsichtsratssitzungen darlegte, daß es auf 300000
-Mark mehr oder weniger bei einer solchen Gründung nicht ankomme.
-Infolgedessen war das finanzielle sowohl wie das betriebliche Gewand
-des neuen Unternehmens den Gewohnheiten jener Zeit entsprechend
-sehr reichlich bemessen worden. Man hatte neue Fabrikationszweige
-aufgenommen und wenn auch alles organisch gut gegliedert und nach dem
-Rathenauschen Urteil „wie aus einem Guß“ hingestellt war, so setzte es
-doch die pünktliche und regelmäßige Zuführung immer neuer Geldmittel
-voraus. Als nun die Krise hereinbrach, stockte der Kapitalzufluß
-plötzlich, die bereits gedruckten Schuldverschreibungen konnten nicht
-mehr emittiert werden und zu allem Überfluß brach Schweder, eine der
-verwegensten Spekulantennaturen jener Periode, finanziell zusammen
-und wurde seines Direktorpostens bei der von ihm geleiteten Bank
-enthoben. Als daraufhin die Direktoren der „Berliner Union“ bei dieser
-Bank vorstellig wurden und um die Hergabe der ihnen zugesagten Mittel
-ersuchten, wurde ihnen ein kühl ablehnender Bescheid. Die Bank habe
-sich zu nichts verpflichtet, sie könne und wolle als Hypothekenbank
-überhaupt derartige industrielle Geschäfte nicht mehr machen und die
-Herren möchten sich an Schweder halten. Mit diesem Bescheid mußten
-sich Rathenau und Valentin zufrieden geben. Es blieb nichts anderes
-übrig als die Liquidation der Gesellschaft, bei der die Gläubiger
-nichts verloren, die Aktionäre allerdings nur sehr wenig retteten.
-Mit geschmälertem aber immerhin noch ansehnlichem Besitz -- jeder der
-beiden Teilhaber verfügte damals aus dem Verkauf der Aktien über ein
-Vermögen von etwa 900000 M. -- ging Rathenau nach 10jähriger Tätigkeit
-aus seinem ersten Unternehmen heraus. Aber er behielt doch als nie
-vergessene Lehre aus der ganzen Angelegenheit die später für seine
-großen Transaktionen sehr nützliche und heilsame Abneigung gegen
-Geschäfte zurück, für die er vorher das Geld nicht bar im Kasten
-hatte. Ihm, dem sich gewisse persönliche Erfahrungen hartnäckig bis
-zur Grenze der Zwangsvorstellung einprägten, hatte sich für allezeit
-ein Mißtrauen gegen Banken und Bankiers eingegraben, von denen er,
-wenn es irgend ging, bei seinen Geschäften nicht abhängig sein wollte.
-Hier liegt die erste tiefe Wurzel für seine Bankguthabenpolitik in der
-A. E. G.-Zeit, die wir später noch kennen lernen werden. Auch eine
-unüberwindbare Antipathie gegen Effektenspekulationen jeder Art hatten
-die Erlebnisse und Erfahrungen der Gründerjahre in ihn gelegt. Der
-Zusammenbruch Schweders, die Liquidation der „Berliner Union“, und das
-tragische Schicksal seines Schwiegervaters Nachmann, der nach schweren
-Börsenverlusten aus dem Leben schied, waren die Fälle, die sich von
-dem gleichgestimmten Hintergrund der allgemeinen Zeitverhältnisse für
-ihn besonders scharf abhoben und ihn persönlich tief berührten. Sein
-Unterbewußtsein hat diese Eindrücke nie vergessen.
-
-
-
-
-Zweites Kapitel
-
-Zwischenspiel
-
-
-Emil Rathenau war in einer ungünstigen Zeit frei geworden. Wir haben
-bereits gesehen, daß die Krisis, die der Gründerzeit folgte, mit in
-die letzten Phasen seiner ersten Unternehmung hineingespielt hatte.
-Wenngleich seine Trennung von der Maschinenfabrik zweifellos früher
-oder später auch ohnedies erfolgt wäre, so ist sie doch durch den
-mißglückten Aufschwung und den darauf folgenden Zusammenbruch, mit
-denen die Rathenau-Valentinsche Fabrik der Zeitentwicklung Rechnung
-trug, beschleunigt worden. Inzwischen war die Krisis hereingebrochen,
-und für einen halbverkrachten Unternehmer, als der Rathenau damals
-in den Augen der Öffentlichkeit erscheinen mußte, war es nicht
-leicht, etwas Neues und Besseres zu finden, das ihm voll zusagte. Vom
-Standpunkt der damals nächstliegenden Situation aus beurteilt war das
-vielleicht ein „Pech“, vom Standpunkte der langsichtigen Entwickelung
-aber ein Glück für den innerlich noch nicht Ausgereiften. Hätte er
-seine erste Fabrik vor oder in den Gründerjahren aufgegeben, so würde
-die hochflutende Welle der Konjunktur ihn vielleicht schnell wieder
-an irgend einen anderen Strand geführt haben. Von dem hochgestimmten,
-der Selbstkritik und der Kritik der Dinge abholden Schwunge der Zeit
-getragen, würde er vielleicht -- wie so viele andere auch -- Arbeit
-und Kredit in einer Sache engagiert haben, der es an solider Grundlage
-und dauernder Lebensfähigkeit fehlte. Selbst eine in der Anlage gute
-Sache hätte von der Sturmflut der wenig später hereinbrechenden Krisis
-untergraben und fortgespült werden können. Ein zweites Mißlingen
-hätte ihm aber innerlich und äußerlich zweifellos noch schwerer
-geschadet, hätte sein Selbstvertrauen und das Vertrauen, das andere
-ihm entgegenbrachten, völlig erschüttern können. So war es wohl für
-ihn am besten, daß er, der innerlich noch nicht fertig geworden, der
-noch nicht im Feuer des doppelten Kampfes mit sich selbst und mit
-der Außenwelt dreimal gehärtet war, nach der Aufgabe seiner ersten
-Selbständigkeit in eine Zeit geriet, die aus Erfahrung kritisch
-geworden war, die ein berechtigtes Mißtrauen vor neuen Gründungen und
-Unternehmungen hatte. Im Jahre 1875 war die Auflösung der „Berliner
-Union“ vollendet, und nun tat der siebenunddreißigjährige Rentier, der
-seinen wahren Beruf noch nicht gefunden hatte, eigentlich 8 Jahre, --
-sonst die produktivsten Jahre des Manneslebens -- nichts Bestimmtes,
-wenn man eben für das unablässige Suchen und das leidenschaftliche
-Lernen eines reifenden Charakters den Ausdruck „nichts Bestimmtes tun“
-gebrauchen will. Die Familie, besonders die weitere, die Reichenheims
-und Liebermanns, die etwas hinter sich gebracht hatten, deren
-gefestigter Wohlstand sich von dem Aufschwung der Gründerzeit vornehm
-zurückgehalten hatte, aber auch von den Folgen des Zusammenbruches
-verschont geblieben war, gebrauchte wahrscheinlich solche Ausdrücke,
-und vielleicht -- wenn sie unter sich war -- noch weniger respektvolle.
-Für sie war Emil Rathenau der kleine Verwandte, der Fiasko erlitten
-hatte, der sich mit einer Menge von nicht ernstzunehmenden Projekten
-herumtrug und herumschlug, dem man darum auch keine rechte Zukunft
-zutraute. Emil Rathenau schwankte und irrlichtellierte in dieser
-Zeit tatsächlich ziemlich viel hin und her. Er faßte Pläne, ließ sie
-wieder fallen, erwärmte sich anfänglich für irgend einen ihm von den
-Brüdern oder Fremden zugetragenen Vorschlag, und lehnte -- manchmal im
-letzten Augenblick -- wenn der andere sich schon darauf eingerichtet
-hatte, aus irgend einem eigensinnigen oder nebensächlichen Vorwande
-ab. Sein älterer Bruder zum Beispiel, der eine glückliche Hand bei
-dem Kaufe und Wiederverkauf von Häusern zeigte, hatte ihn einmal
-zur Teilnahme an einem derartigen Geschäft, das Rathenau von ferne
-zunächst einen plausiblen Eindruck zu machen schien, aufgefordert.
-Man war übereingekommen, 80000 Taler für das Objekt anzulegen, der
-Bruder hatte das Grundstück aber nur zu einem höheren Preise bekommen
-können und Emil, dem das ganze seinem Charakter fernliegende Geschäft
-inzwischen leid geworden war, benutzte den Vorwand des überschrittenen
-Preises, um sich von der Sache loszusagen. „Behalte du das Haus lieber
-alleine,“ sagte er zu dem Bruder, der ihm den Kaufabschluß melden
-kam. Ein anderes Mal, als es sich um den von Rathenau eine Zeitlang
-erwogenen Ankauf der sogenannten Jablochkoff-Patente für elektrische
-Bogenlampen-Beleuchtung handelte, die in der Avenue de l’opéra in Paris
-mit vielem Reklame-Tam-Tam als erste elektrische Straßenbeleuchtung
-größeren Umfangs angewendet worden war, erwog er mit demselben
-Bruder den Plan, daß jeder zum gemeinsamen Ankauf jener Patente für
-Deutschland einen Teil des erforderlichen Geldes beschaffen sollte.
-Auch hier kam es aber nicht zum Kaufabschluß, und die Verstimmungen,
-die sich aus diesen gescheiterten Unternehmungen ergaben, waren so
-stark, daß eine Aussöhnung zwischen den beiden Brüdern nie mehr
-erfolgte.
-
-Für die Menschen, die ihn damals sahen und kannten, soll Emil Rathenau,
-wie manch’ einer von den Zeitgenossen berichtet, keineswegs den
-Eindruck eines überragend genialen Mannes gemacht haben, dessen Stunde
-noch nicht gekommen ist, und der im vollen Bewußtsein seiner Kraft
-den richtigen Augenblick für sein Hervortreten abwartet. Er trug noch
-immer den Marschallstab im Tornister, aber der Durchschnittsmensch
-sah es ihm nicht an, und er hatte, wo und wann er auch immer mit
-Plänen an jemanden herantrat, Mißtrauen oder die noch schlimmere
-Gleichgültigkeit, kurz alle jene Hemmungen zu überwinden, die dem
-Anfänger, erst recht aber dem, der zum zweiten Mal anfangen will,
-im Wege stehen. Nur wer selbst mit Genieaugen Menschen und Dingen
-durch die äußere Schale auf den Grund blickte, wie Werner v. Siemens,
-spürte aus Rathenaus Reden und Entwürfen den göttlichen Funken
-überspringen. „Dem Mann geben wir Geld,“ sagte er, und machte sein
-Versprechen trotz skeptischer Einwände und passiver Resistenz seiner
-Mitarbeiter schließlich wahr. Für die meisten übrigen Menschen aber
-mochte Rathenau, der stets bereitwillig die Lippen von dem überfließen
-ließ, wessen sein Herz voll war, in jener Zeit manche Züge von Hjalmar
-Ekdal, dem ewigen Genie von morgen, an sich gehabt haben. Eine
-gewisse leidenschaftliche Beflissenheit und Verbissenheit konnten
-dem werdenden Genius eigen sein, aber dieselben Eigenschaften weist
-auch häufig die problematische Natur auf. Auch für Rathenau selbst
-war die Wartezeit zwischen der ersten provisorischen Unternehmung,
-die im Niedergang einer alten, überlebten Epoche zerbröckelte, und
-der zweiten endgültigen Schöpfung, die im Aufstieg einer neuen Zeit
-sich zu weltenweiten Formen auswuchs, keineswegs immer die bewußt
-gewählte, in jedem Augenblick gut ausgefüllte Ruhe- und Lernpause, als
-die sie in den Rückblicken des Vollendeten erscheint. Gar manchmal,
-wenn der Akkumulator des phantasiebegabten Kopfes zu viel von der
-aufgespeicherten Gedankenkraft von sich gegeben und sich erschöpft
-hatte, kamen Stunden und Tage der Verzagtheit, der Trübsal, in
-denen der beschäftigungslose Vierziger sich in seine Wohnung in der
-Eichhornstraße mit grauen Gedanken einspann. Aber solche Zeiten wurden
-von der ihm eigenen Schwungkraft des Wesens bald überwunden, und im
-Notfalle half die Ablenkung und Abwechselung einer Reise, wie denn
-Emil Rathenau Zeit seines Lebens vom Reisetrieb beseelt war und auch
-in den späteren Jahren der Arbeitsüberlastung aus geschäftlichen und
-privaten Reisen -- mochten sie auch noch so kurz sein -- immer wieder
-Frische und Nervenergänzung mit heim brachte. Wenn somit den in der
-Vollkraft der Jahre stehenden Mann die Tatenlosigkeit manchmal drückte,
-so zeigt doch seine ganze spätere Entwickelung, besonders die Art, wie
-er im richtigen Augenblick mit genialer Intuition und unbeirrbarer
-Entschlossenheit zugriff und alle Zweifelsucht von sich abstreifte,
-daß +nicht er+ es gewesen war, der in jener Warteperiode an
-Ziellosigkeit, an Stagnation krankte, sondern die +Zeit+. Jene
-Zeit, in der die Triebkräfte der alten Wirtschaftsordnung abgestorben
-waren und die der neuen Epoche nach dem ersten überschwänglichen
-Aufflackern in der Gründerperiode noch nicht so recht Wurzelboden
-gefunden hatten. Rathenau wartete -- innerlich betrachtet -- nicht
-aus Unentschlossenheit, sondern aus Prinzip, und, wenn seine
-oberflächlichen Einsichten auch manchmal vielleicht ihn selbst der
-hamletischen Charakterschwäche anklagen mochten, die instinktiven,
-tieferen Einsichten waren stark genug, um sich dieser Selbstkritik und
-der Kritik der Außenwelt gegenüber durchsetzen zu können. Es waren
-nicht Jahre der inneren Klarheit, der bewußten Selbstzügelung und
-überlegenen Voraussicht, die Emil Rathenau damals durchmachte, sondern
-+Jahre+ des inneren +Kämpfens+ und +Ringens+. Mit dieser
-Feststellung setzt man die Größe des Mannes und seines Charakters nicht
-herab, dessen Bild weder menschlich-richtig, noch glaubhaft erscheinen
-würde, wenn man ihm nur geniale Frühzüge andichten wollte. Zu seiner
-vollen Entfaltung ist Rathenau, wie so viele seiner Zeitgenossen, erst
-dadurch gelangt, daß die Zeit sein Werk und sein Werk +ihn+ zu
-einer Höhe trug, die er unter weniger glücklichen Bedingungen kaum
-erreicht hätte. Was er vorher darstellte, war ein Charakterboden, auf
-dem alle die reichen Saaten der Zeit Wurzel fassen und in reicher Blüte
-aufgehen konnten.
-
-Der Fehler mancher früheren Biographen, den +jungen+ Rathenau zu
-bewußt, zu klar und gewissermaßen zu seherisch-weise darzustellen,
-ist vom Standpunkt des nachgeborenen Betrachters verständlich
-und er ähnelt der Art der dichterischen oder zweckhistorischen
-Schilderung, die ihrem Helden bereits pränumerando Gedankengänge und
-Ereignisdarstellungen prophetisch in den Mund legt, welche erst viel
-später als Ergebnis von Notwendigkeiten, Zufällen, sich kreuzenden
-Entwickelungsrichtungen in Kampf und Wirrnis verwirklicht wurden.
-So wird von oberflächlichen Schilderern vielfach die Geschichte der
-Reichsgründung in der Weise gelehrt, als ob Bismarck bereits, als er
-die preußische Ministerpräsidentschaft übernahm, die genauen Pläne für
-den Aufbau des Reiches und die Politik, die zu ihm führte, fertig in
-seinem Kopfe getragen hätte, als ob Moltke, da er Chef des preußischen
-Generalstabs wurde, seine drei großen Kriege und ihren genauen
-Hergang bereits in ihren „notwendigen“ Grundzügen vor Augen gehabt
-hätte. Wer bewußt Geschichte miterlebt hat, weiß, wie ganz anders die
-Dinge sich zu entwickeln pflegen, wie auf dem großen Schachbrett der
-Geschehnisse Zug und Gegenzug abwechseln, wieviel verschiedene Züge in
-einem bestimmten Augenblick möglich sind, und wieviel Zufälligkeiten,
-Gegenströmungen und Wechselwirkungen einen Entschluß zeitigen und seine
-Folgen bilden. Die Rathenauschilderer, die in seinem Leben alles auf
-Gesetzmäßigkeit, auf Notwendigkeit und Vorherbestimmung zurückführen,
-die der Ansicht sind, daß dem 37jährigen, als er seine Maschinenfabrik
-Webers aufgab und sich zur ersten Ausreise nach Amerika anschickte,
-seine ganze spätere Entwickelung und die ganze spätere Entwickelung der
-Industrie wenigstens in ihren Umrissen klar vor Augen gestanden haben,
-können allerdings eines zu ihrer Entschuldigung anführen: Rathenau
-selbst hat in der schon verschiedentlich erwähnten Jubiläumsrede die
-Gedankenwelt, die ihn damals an der Wende zweier Generationen und
-wirtschaftlicher Epochen erfüllte, so dargestellt, als ob er nicht
-erst als rückschauend Betrachtender, sondern schon als Miterlebender
-Vergangenheit und Zukunft mit voller Klarheit erkannt und durchschaut
-hätte. Die betreffenden Ausführungen sind interessant genug, um hier
-wörtlich wiederholt zu werden. Rathenau erzählte:
-
-„Als in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ich die erste
-Phase geschäftlicher Tätigkeit abgeschlossen hatte, erwog ich, ein
-Dreißiger damals, ob ich den mit Leib und Seele zugetanen Beruf
-wieder aufnehmen oder einer neuen Technik mich zuwenden sollte. An
-Anerbietungen fehlte es nicht, aber der Großmaschinenbau schien seine
-Bedeutung in Berlin eingebüßt zu haben, und die Geburtsstadt mochte ich
-ungern verlassen.
-
-Mit der Erhebung zur Reichshauptstadt hatten die Berliner Verhältnisse
-sich wesentlich geändert: Der Wert von Grund und Boden, die Preise der
-Lebensbedürfnisse und infolgedessen die Arbeitslöhne waren so gewaltig
-gestiegen, daß die großen Maschinenbauanstalten von Borsig, Egells,
-Schwartzkopf, Wöhlert, Hoppe und andere sich anschickten, ihre Fabriken
-aus dem Norden der Stadt, wo sie seit Begründung betrieben wurden, in
-die weitere Umgebung zu verlegen, oder das Feld früher ersprießlicher
-Tätigkeit aufzugeben. Auf den weitläufigen Geländen entstanden
-neue Straßenzüge, an der Stelle lärmender Werkstätten erhoben sich
-Wohnhäuser und Mietskasernen, und wo aus hohen Schornsteinen dichter
-Qualm zu den Wolken emporgestiegen war, wirbelten dünne Rauchsäulen
-von den häuslichen Herden. In den Vororten aber waren bei dem Mangel
-an Verkehrsgelegenheit geschulte Arbeitskräfte mit Schwierigkeit zu
-beschaffen. Ein noch wichtigerer Faktor beeinflußte meinen Entschluß,
-von der unmittelbaren Aufnahme einer neuen Tätigkeit abzustehen und
-den völligen Verlauf der Krisis abzuwarten, die in der Finanzwelt und
-Industrie unzählige Opfer gefordert hatte: Patriotische Fabrikherren,
-die trotz eigener Sorgen in der schweren Zeit die Angehörigen ihrer
-im Felde stehenden Arbeiter mit reichen Mitteln unterstützt hatten,
-ernteten hierfür keinen Dank, sondern mußten nach dem Kriege mit
-Bedauern wahrnehmen, daß die Wogen der sozialdemokratischen Bewegung
-sich höher auftürmten als zuvor. Männer, wie Siemens, Schwartzkopf,
--- auch ich hatte die Ehre, der kleinen Vereinigung anzugehören, --
-hofften vergeblich durch Wohlfahrtseinrichtungen und den Bau von
-Wohnhäusern die Unzufriedenheit der Arbeiter einzudämmen.
-
-Unter diesen Verhältnissen war eine Wiederbelebung des einst
-hochgefeierten Berliner Maschinenbaus frühestens mit dem Ersatz der
-physischen Arbeit durch selbsttätig wirkende Maschinen oder bei
-vollkommener Ausnutzung der der Berliner Arbeiterschaft eigenen
-Geschicklichkeit und Intelligenz zu erwarten. Unter ähnlichen
-Bedingungen waren vollendete Arbeitsmethoden in den Vereinigten Staaten
-von Nord-Amerika entstanden, allerdings unter Befolgung des Prinzips,
-das Zahl und Wahl der Produkte durch Teilung der Arbeit beschränkte.
-Leider steht in den heimischen Werken die weitgehende Spezialisierung
-der Erzeugnisse auch jetzt noch hinter der amerikanischen zurück,
-trotzdem die Fabrikation aus ihr große Vorteile ziehen würde.
-
-Dieses amerikanische System war in Berlin nicht unbekannt. Intelligente
-Fabrikanten hatten mehr oder weniger automatisch arbeitende Maschinen
-von Amerika eingeführt, konnten ihnen jedoch in ihren Betrieben
-genügende Geltung nicht verschaffen, weil entweder die Präzision der
-Leistung damals noch nicht hoch genug eingeschätzt, oder die Rückkehr
-zu altmodischen Werkzeugen durch die Gewohnheit zu sehr begünstigt
-wurde.
-
-Im Gegensatz zu diesen Erfahrungen erblickte ich in den Maschinen
-Werkzeuge der Zukunft; ich war überzeugt, daß ihre vortrefflichen
-Eigenschaften die Abneigung der Arbeiter allmählich überwinden und eine
-ihrer Bedeutung entsprechende Verwendung sichern würden.“
-
-Zweifellos hat Rathenau damals wie kaum ein anderer seiner Zeitgenossen
-das sichere Gefühl gehabt, daß eine gründliche Umwandlung der ganzen
-industriellen Technik und Arbeitsmethoden bevorstehe. Und zweifellos
-hat ihn dies Gefühl mit dazu veranlaßt, mit der vollkräftigen Gründung
-eines neuen Unternehmens erst dann zu beginnen, wenn sich die neue
-Lage einigermaßen übersehen lasse, wenn sich der neue Boden derart
-gefestigt haben würde, daß auf ihm ein tragfähiger Bau errichtet
-werden könnte. Was aber die Einzelheiten der von ihm gegebenen
-Schilderung, was ihre scharfe Präzisierung und Schattierung anlangt,
-so darf nicht vergessen werden, daß es sich bei ihr nicht um eine
-impulsive Beschreibung aus der geschilderten Zeit heraus, sondern
-um eine rückschauende Darstellung handelt, gesehen mit der Brille
-des durch Erfahrungen hindurchgegangenen Mannes, geklärt im Spiegel
-der Distanz, geordnet und gerichtet nach den +Ergebnissen+ der
-Strömungen, die in ihren +Ursprüngen+ und Anfängen geschildert
-werden. Vergleicht man mit dieser bewußten Darstellung die Zeugnisse
-Mitlebender, so möchte man der Ansicht zuneigen, daß in Emil Rathenau
-damals, als er an der Wende zweier Zeiten und Unternehmungen stand,
-bei aller Denk- und Sehschärfe, die ihn stets ausgezeichnet haben,
-doch mehr Chaos gewesen ist, als er später selbst zugegeben und gewußt
-hat. Das Vorhandensein eines derartigen kreisenden Chaos würde ja auch
-die ungemeine Ursprünglichkeit, Kraft und Ausdauer seiner späteren
-Leistung nicht abschwächen, sondern erst recht verständlich machen.
-Jede völlig durchsichtige Klarheit wird auf die Dauer kraftlos, matt
-und unschöpferisch, und nur das Ringen der wechselnden Gedanken vermag
-fortzeugendes Leben, Formen und Gestalten zu gebären. Für Emil Rathenau
-bildeten die 8 Jahre, die zwischen der Aufgabe seiner Maschinenfabrik
-und der Gründung der Deutschen Edison Gesellschaft lagen, das
-Staubecken, in das die neuen Kräfte von allen Seiten strömten, in
-dem sich -- oft unter Schmerzen, unter drängender Hoffnungs- und
-Zweifelsfülle -- aus der Tüchtigkeit das Genie bildete. Fast spürt
-man angesichts dieser Pause Neigung an Zarathustra zu denken, dem der
-Dichter an die Stirn seiner Geistesgeschichte die Worte schrieb: „Als
-Zarathustra 30 Jahre alt war, verließ er seine Heimat und den See
-seiner Heimat und ging ins Gebirge. Hier genoß er seines Geistes und
-seiner Einsamkeit und wurde 10 Jahre nicht müde. Endlich aber wandelte
-sich sein Herz --“. Auch Zarathustra trug keine Klarheit in seine
-Einsiedelei, sondern er brachte erst Klarheit und Entschiedenheit aus
-ihr mit zurück. Der moderne Zarathustra der Industrie mußte allerdings
-nicht in die Einsamkeit, sondern in die Welt gehen, um sich mit dem
-Geiste anzufüllen, den er später in Taten umsetzen wollte. Die erste
-große Reise, die Rathenau schon im Jahre 1876, also ein Jahr nach der
-Auflösung der „Berliner Union“ antrat, ging nach +Amerika+, dem
-Lande der technischen Verheißungen. Ein langgehegter Wunsch, mit dem
-schon der 28jährige während seines englischen Aufenthaltes gespielt
-hatte, fand damit seine Erfüllung. Den äußeren Anlaß zu der Reise bot
-die +Weltausstellung in Philadelphia+, eine der wirklich großen
-Ausstellungen, auf der fruchtbare technische Gedanken verkündet
-wurden und von der aus sie ihren Weg in die Welt fanden. Für Emil
-Rathenau, der später als großer Kaufmann und Industrieller von den
-Reklameausstellungen, mit denen gewisse Länder und Städte ihren
-Fremdenverkehr zu heben suchten, nur recht wenig hielt, bedeutete die
-Ausstellung in Philadelphia eine Offenbarung. Was ihm in den Jahren
-der mühsamen Kleinarbeit, der beschränkten Enge in seiner Berliner
-Maschinenfabrik vor dem geistigen Auge gestanden hatte, an dessen
-Erreichung er aber damals verzweifelte, hier war es verwirklicht
-und erfüllt. „Was ich im Geiste erschaute, gestaltete sich zur
-Wirklichkeit, und mit reicher Ausbeute kehrte zurück, wer der Heimat
-neue Arbeitsprozesse und Industrien zu beschaffen gedachte.“ Damit
-meinte Rathenau nicht so sehr die Dampfmaschine, die in Amerika
-damals eher auf einer niedrigeren Stufe der Entwickelung stand als
-in Deutschland und England. Die 1400 PS vertikale Corlißmaschine,
-die in der Mitte der Maschinenhalle paradierte, imponierte zwar dem
-Maschinenbauer Rathenau durch den einfachen und soliden Bau, sowie
-den langsamen und sanften Gang, aber er hatte doch bereits ähnliches
-gesehen. Viel stärker fesselten ihn die Holzbearbeitungs- und
-Werkzeugmaschinen für Präzisionsarbeiten, die automatischen Maschinen
-zur Herstellung von Massenfabrikaten, neuartige und feine Instrumente
-zum Messen, wie sie die deutschen Fabriken nicht einmal kannten. Auch
-die Schreibmaschine fand sein lebhaftes Interesse. Im allgemeinen war
-es die neuartige technische und wirtschaftliche Betriebsökonomie, die
-arbeitssparenden und leistungsverbessernden Maschinen, die Rathenau
-in Philadelphia und in den amerikanischen Fabriken bewunderte,
-während die räumlichen und sozialen Einrichtungen ihm im Verhältnis
-zu den deutschen vernachlässigt zu sein schienen. Auch die deutsche
-Industrie hatte damals in Philadelphia ausgestellt, und breite Kreise
-der öffentlichen Meinung in Deutschland waren patriotisch-kurzsichtig
-genug, um die „soliden und bewährten“ Leistungen der heimischen
-Industrie den amerikanischen Bluffkonstruktionen an die Seite oder
-noch voranzustellen. Wer den Unterschied wahrheitsgemäß feststellte,
-wie Professor Reuleaux, der von der deutschen Industrie damals das
-bittere, von unseren Neidern und Konkurrenten noch jahrzehntelang auch
-dem längst führend gewordenen deutschen Gewerbe entgegengehaltene
-Wort „billig und schlecht“ prägte, wer erkannte und aussprach,
-daß die deutsche Fabrikation sich damals zum großen Teil auf
-Vergangenheitsgleisen bewegte, während in der amerikanischen
-Industrie die konstruktiven Neugedanken vorwärts stürmten, der wurde
-„gesteinigt und verbrannt“. Emil Rathenau gehörte weder zu den
-radikalen Verächtern der Heimat, deren guten Industrieboden, deren
-schlummernde Entwickelungsmöglichkeiten er wohl würdigte, noch zu den
-Selbstzufriedenen, die da ständig priesen, „wie wir es so herrlich
-weit gebracht hätten.“ „Die Schätze der Maschinenhalle blieben mir
-unvergeßlich,“ so erzählte er und in der Tat hat er sich das, was er
-dort sah, so tief eingeprägt, daß er es in dem Augenblicke, in dem er
-davon Gebrauch machen konnte, nur aus der Kammer des Gedächtnisses
-hervorzuholen brauchte. Im Geiste noch übertrumpft mag die mächtige
-Phantasie Rathenaus auch die derzeitigen Höchstleistungen des
-+Großmaschinenbaus+ schon damals haben. Denn was Rathenau zu
-jener Zeit in Philadelphia sah, war neben dem, was er später an
-gewaltigen Aggregaten von den Konstrukteuren seiner Drehstrom- und
-Hochspannungsmaschinen verlangte und erreichte, das reine Kinderspiel.
-
-Aber so stark auch die Anregungen auf dem Gebiete der Maschinentechnik
-waren, so sehr sie gerade den gelernten Maschinenbauer reizten und
-beschäftigten, es war vielleicht zu viel des Neuen, das auf ihn
-einstürmte und ihm die Wahl schwer machte. „Mir schien, als brauche ich
-nur ins volle Menschenleben hineinzugreifen, um mir die Fabrikation
-zu sichern, die mich interessierte,“ schrieb er. Aber die Fülle
-der Gesichte, die den Schauenden und Lernenden überwältigte, hätte
-entsagungsvoll eingedämmt und eingeschränkt werden müssen, sobald
-es ans praktische Ausführen gegangen wäre. Er war ja nicht nur nach
-Amerika gereist, um zu lernen, sein Wissen zu bereichern und zu
-vertiefen, sondern auch um eine geschäftliche Idee, eine faßbare
-Grundlage für eine neue aussichtsreiche Unternehmung mit nach Hause
-zu bringen. Der frühere Sozius Valentin begleitete ihn auf dieser
-Reise, und beide waren sich darüber klar, daß sie ihr gutes Geld
-nicht ausschließlich für eine wissenschaftliche Studienreise ausgeben
-durften, sondern als einen Spesenbetrag betrachten müßten, den sie sich
-aus den geschäftlichen Früchten dieser Reise vervielfacht zurückholen
-wollten. Mehrere amerikanische Städte und Fabriken wurden darum
-besucht, und es wurde nach einer aussichtsreichen Sache gesucht, die
-man mit den zur Verfügung stehenden, immerhin nicht unbeschränkten
-Mitteln und Kräften nach Deutschland verpflanzen könnte. Daß diese
-Mittel für die gewaltigen Maße einer in Deutschland nach amerikanischem
-Muster zu errichtenden Großmaschinenfabrik nicht ausreichten, sagten
-sich die beiden Freunde wohl ohne weiteres. Wenn Rathenau diese
-notgedrungene Entsagung nicht zu schwer fiel, so war dies darauf
-zurückzuführen, daß sich noch etwas anderes bot, das ihn technisch kaum
-weniger fesselte, dazu aber leichter und schneller praktische Erfolge
-versprach:
-
-In Philadelphia hatte Rathenau das Telephon und Mikrophon, eine
-dem Gedanken nach deutsche Erfindung, zuerst praktisch brauchbar
-ausgeführt in überzeugender Funktion gesehen. „Das Telephon und das
-fast gleichzeitig mit ihm erfundene Mikrophon haben, vielleicht wegen
-ihrer verblüffenden Einfachheit, die Bewunderung niemals erregt, die
-minder bedeutsamen Errungenschaften der Technik zuteil geworden war.
-Mich elektrisierten förmlich die ingeniösen Apparate...“ Rathenau
-schwankte, ob er ihre Erzeugung im Großen aufnehmen sollte, aber die
-Befürchtung, daß einerseits fremde Patente den Absatz ins Ausland
-erschwerten und andererseits die Herstellung so außerordentlich,
-so fast handwerksmäßig leicht war, daß sie einen verheerenden
-Wettbewerb anlocken mußte, ließ ihn vorsichtig sein. Der Kaufmann in
-Rathenau bändigte eben fast immer die Leidenschaft des technischen
-Gründers. Er entschloß sich, keine Telephonfabrik zu bauen, sondern
-nur eine Konzession für eine Berliner Telephonzentrale nachzusuchen,
-gewissermaßen das Telephon in Berlin in Generalentreprise zu nehmen.
-Die Stadt Berlin hätte die Sache vielleicht mit ihm gemacht, aber
-der damalige Polizeipräsident v. Madai wollte die Konzession, die
-Rathenau brauchte, nicht erteilen. „Das Telephon ist ein Reichsregal,“
-entschied Herr v. Madai, und, wenn sich auch später bei der Beratung
-des Telegraphengesetzes ergab, daß er geirrt hatte, Rathenau fürchtete
-zu jener Zeit die Scherereien des Instanzenweges und bot dem damaligen
-Generalpostmeister Stephan, dem Verweser des angeblichen Regals,
-die Durchführung in Reichsregie an. Aber der sonst so weitsichtige
-Stephan versagte zunächst. Er stellte sich auf den Standpunkt, den die
-Verteidiger der Postkutsche der Einführung der Eisenbahnen gegenüber
-eingenommen hatten und prophezeite, daß eine Telephonzentrale in Berlin
-höchstens 23 Anschlüsse finden würde. Diesen rückständigen Standpunkt
-nahm er ein, trotzdem die Postverwaltung damals mit dem telephonischen
-Überlandverkehr zwischen verschiedenen Ortschaften Versuche gemacht und
-günstige Erfolge erzielt hatte. Die städtische Schaltzentrale hielt die
-Postbehörde dagegen für ein unlösliches Problem. Später kam Stephan
-von selbst auf die Idee zurück, er bot Rathenau an, die Einführung
-des Telephons im öffentlichen Postdienst auf Reichskosten zu leiten.
-Rathenau, den inzwischen schon ganz andere Dinge beschäftigt und
-tiefer in das Wesen der elektrischen Industrie hineingeführt hatten,
-nahm trotzdem an, weil er sich mit der elektrischen Technik praktisch
-vertraut machen wollte. Ihre Zukunftskraft hatte ihn inzwischen mit
-Macht gepackt, um ihn nie mehr loszulassen.
-
-Den ihm von Stephan übertragenen Auftrag führte er ehrenamtlich
-aus, ohne eine Vergütung dafür zu beanspruchen oder anzunehmen.
-Nachdem er die grundlegende Organisation geschaffen hatte, verließ
-er das Arbeitszimmer im Reichspostamt, das ihm Stephan für die Zeit
-seiner Tätigkeit im Telephondienste der Post eingeräumt hatte. Da
-Schwachstromanlagen dem Feinmechaniker mehr Spielraum als dem Ingenieur
-gewährten, so wandte er sich seinem alten Plan, nach kurzer Übung
-auf dem Schwachstromgebiete zu der durch die Elektrizität veredelten
-Technik zurückzukehren, ohne längeres Besinnen wieder zu. An einer
-Tätigkeit, die ihm innerlich nichts mehr sagte, ihm keine Rätsel
-mehr aufgab, hielt er nicht fest, auch wenn sie ihm noch so gute
-geschäftliche Erfolge versprochen hätte.
-
-An die großartige Verbindung und die gegenseitige Befruchtung
-der Maschinentechnik und der Elektrizität, die Rathenau auf sein
-ureigenstes Schaffensgebiet, zu der großen Leistung seines Lebens
-führen sollten, dachte dieser damals noch nicht. Die gewaltige Weite
-und Tiefe der zukünftigen Verschwisterung hatte sich vor seinem
-Auge noch nicht aufgetan, und wenn er auch einige Blicke in die
-Werkstatt der Elektrizität geworfen hatte, so lag es doch nicht
-in seiner Absicht, sich zum Meister dieser Werkstatt zu machen,
-sondern er dachte an Rückkehr zum „veredelten“ Maschinenbau. Der
-„Dynamo“, der Hauptträger der maschinellen Elektrotechnik, befand
-sich damals allerdings noch immer in einem primitiven Zustand und
-ließ die gewaltige Entwickelung, die er bald -- besonders auf Grund
-der Anforderungen nehmen sollte, die Rathenau seinen Konstrukteuren
-stellte, noch nicht ahnen. Wie so viele technische Erfindungen wurde er
-nicht aus sich heraus, aus seiner eigenen konstruktiven Idee zur vollen
-Leistungsfähigkeit entwickelt und ihm dann die Anwendungsmöglichkeit
-geschaffen, sondern als sich die praktischen Bedürfnisse einstellten
-und immer größere Ansprüche an ihn stellten, wurden die Heere der
-Techniker mobilisiert, die besten Ingenieurgehirne aufgeboten, um ihm
-seine Geheimnisse abzulauschen und ihm die Leistungen abzuringen, die
-der Anwendungszweck von ihm forderte.
-
-
-
-
-Drittes Kapitel
-
-Wirtschaftliche Vorbedingungen
-
-
-Die Wirtschafts-Geschichte aller Epochen und Länder weist wohl kaum
--- trotz der japanischen Emanzipation -- einen zweiten Fall auf, in
-dem sich ein Volk in seinem ganzen ökonomischen Leben so grundsätzlich
-und grundlegend wandelte, in die Breite, Tiefe und Höhe reckte, wie
-das deutsche Volk nach dem wahrhaft schöpferischen Einigungskriege von
-1870/71. Ich weiß, daß ich eine Binsenwahrheit niederschreibe, die von
-pathetischen Rednern, denen das unbegreifliche Wunder dieser Befreiung
-und Beflügelung elementarer Volkskräfte nie das Hirn erhellt hat, so
-oft leer hingesprochen worden ist, daß sie fast zur Phrase versteinte.
-Wenn man eine Erscheinung, wie die Emil Rathenaus, wenn man ein Werk,
-wie das des großen Organisators der Elektrizität in seinen Wurzeln und
-Verzweigungen, in seinem Werden und Sein verstehen will, darf man sich
-nicht schämen, diese Binsenwahrheit dreimal unterstrichen noch einmal
-auszusprechen, nachdem man sie von allem Phrasenwerk gereinigt und mit
-dem Blut des Gedankens wieder gefüllt hat.
-
-Was der Schöpfer des geeinten Deutschland politisch erreicht
-hat, war schon nach wenigen starken Schritten des Volkes auf der
-neuerschlossenen Bahn klar und im Resultat abzuschätzen. Nach Bismarcks
-entscheidender staatsmännischer Tat hat es in Deutschland einen
-großen politischen Gedanken nicht mehr gegeben, brauchte es auch auf
-lange Zeit keinen mehr zu geben. Die erobernde Arbeit, die jetzt zu
-leisten war, ist wirtschaftliche Arbeit gewesen, selbst die Ansätze
-zu einer deutschen Kolonialpolitik, die nach den nun einmal verpaßten
-Möglichkeiten einer vollblütigen deutschen Kolonialwirtschaft mehr
-ein Luxus des mächtig gewordenen und reich werdenden Deutschlands
-waren, als eine wirtschaftliche Notwendigkeit, mußten Nebensache
-bleiben. Darin -- noch mehr als in dem subalternen Niveau der
-epigonischen Regierungskunst -- liegt wohl der tiefste Grund dafür,
-daß sich die Persönlichkeiten mit Schöpferwillen und Schöpferkraft
-im Deutschland der nachbismärckischen Zeit nicht der Politik,
-sondern dem Wirtschaftsleben zuwendeten, daß wir in Deutschland eine
-Überfülle bedeutender, ja großer Kaufleute und Industrieller, so
-wenig politische Talente besaßen. Der schöpferische Mensch drängt
-dahin, wo es zu schaffen gibt, und besonders Männer des großen Wurfes
-fanden in der Politik nicht das Feld, das ihrem Schaffensbedürfnis
-genügte, ganz abgesehen davon, daß sich ihr Temperament an den
-ständigen Reibungen und fruchtlosen Hemmungen (es gibt auch fruchtbare)
-mit dem Bureaukratenstaat müde gelaufen hätte. Es konnten wohl
-Organisatoren jener stillen, schmiegsamen Art, wie Stephan und Miquel
-im preußisch-deutschen Staate ihren Platz finden, eine volle und
-vielleicht übervolle Kraft wie Dernburg wurde darin nie heimisch,
-überschritt allenthalben die ihr gezogenen Grenzen, fand die Einheit
-ihres Werkes auf Schritt und Tritt von hochmütiger Verständnislosigkeit
-durchkreuzt und kapitulierte schließlich vor dem Geist Erzbergers.
-
-Die politische Sammlung, die die bis 1870 verzettelten, durcheinander
-und gegeneinander streitenden Kräfte des Volkes in Richtung und
-Zusammenwirkung brachte, vermochte aber allein für sich und aus sich
-zunächst das neue wirtschaftliche Deutschland noch nicht zu schaffen,
-wenngleich eine Änderung und ein Aufschwung gegenüber dem bisherigen
-binnenwirtschaftlich beschränkten Zustand des Landes sofort sichtbar
-wurde, wenngleich aus dem Boden fast fabelhaft schnell frisches Grün
-emporsproß, vielleicht zu schnell emporwucherte. Aber all das war nur
-eine Verstärkung, eine Beschleunigung einer in ihrer Art und Richtung
-bisher schon im Flusse befindlichen Entwicklung. Es war nicht die
-Etablierung des neuen, technisch wie organisatorisch völlig anders
-gearteten Systems, das bisher noch nicht dagewesene Betriebsformen,
-Arbeitsmethoden, Wirtschaftsgebilde in Deutschland auf die Füße
-stellte, Kanäle und breite Tore auf den Weltmarkt öffnete, aus dem
-nach innen gerichteten, an versteckten Meereswinkeln träumenden
-Binnenlande den modernsten und expansivsten Industriestaat, den
-emsigsten Exporteur der Welt schuf. Dazu bedurfte es erst einer
-völligen Umdüngung des freigerodeten Bodens, der für die neue Ökonomie
-aufnahmefähig sein sollte. Die tüchtigen Industrieunternehmungen des
-Landes erhielten sofort nach dem Kriege einen verstärkten Antrieb
-gerieten in ein schnelleres Tempo der Entwicklung. Krupp, Borsig,
-Siemens fingen an wirklich groß zu werden. Sie und ein paar andere
-Werke wuchsen in die Statur von Weltfirmen hinein, aber die deutsche
-Industrie wuchs noch nicht zur Weltindustrie. Es gab schon große
-Industriepersönlichkeiten, Männer von jener zähen, soliden Genialität,
-die von unten, von klein herauf strebten, ihre Geschäfte Schritt für
-Schritt aufbauten, ihren Unternehmungen nur den gerade unbedingt
-notwendigen Schuß von Spekulation beimischten und geliehenes Geld
-wenn überhaupt, so nur widerwillig, gewissermaßen contre coeur
-und contre honneur aufnahmen. Noch in unsere heutige ganz anders
-geartete Zeit ragen Reste dieser Familienindustriewirtschaft hinein.
-Man denke an die Tradition bei Aktiengesellschaften wie Siemens &
-Halske und Krupp, an den alten Magnaten- und Gewerkenreichtum in
-Westfalen und Oberschlesien. Neben diesen Industriepersönlichkeiten
-und Industriefamilien mit durchaus intensiver Finanzwirtschaft standen
-schon damals große, oder doch wenigstens berühmte Finanziers. Sie
-waren entweder ihrem Grundzuge nach reine Bankiers wie damals noch die
-Bleichröders, Mendelsohns, Schicklers, die Industriefinanzierungen nur
-gelegentlich mitmachten, oder sie konnten, wenn sie die wechselseitigen
-Befruchtungsmöglichkeiten von Industrie und Bankgeschäft schon
-erkannten -- wie einer der Bahnbrecher des modernen Finanzwesens, David
-Hansemann -- den neuen Weg nur vorsichtig beschreiten, weil sich in
-ihrer Hand zu jener Zeit lange noch nicht die Kapitalien gesammelt
-hatten, die für eine Industriefinanzierung großen Stils notwendig
-sind. Die damals größte Bank Deutschlands, die Diskontogesellschaft,
-verfügte in den 70er Jahren über ein Kapital von 60 Millionen Mark,
-unser heutiges führendes Institut, die Deutsche Bank, nur über
-ein solches von 45 Millionen. Die Mittel dieser Banken und des
-Kapitalmarktes flossen in jenen Zeiten abgesehen von den Beträgen, die
-der Handel beanspruchte, in weit größerem Umfange als den Industrien
-den Eisenbahngesellschaften zu, die sich damals noch im Privatbesitz
-befanden und deren Aktien wie Obligationen mit den wichtigsten Posten
-in der Anlagenbilanz des nationalen Kapitals bildeten.
-
-Einer allerdings hat schon damals -- und zwar schon vor dem Kriege
--- seiner Zeit und ihren Möglichkeiten mit ungeduldigem Geniewurf
-vorausgreifend, beides, das Industrielle und das Finanzielle, in
-denkbar größtem Maße zu vereinen versucht, sich nicht damit begnügen
-können, ein einziges Unternehmen in Ruhe auszubauen, sondern sein
-Bedürfnis und seine glänzenden Fähigkeiten im Anregen, Finanzieren und
-Verwirklichen immer neuer Projekte betätigen müssen. +Strousberg+,
-dessen Größe nur allzusehr im „Entwerfen“ lag, und den nicht nur
-seine nach einem Sündenbock suchende Zeitgenossenschaft, sondern auch
-die geschichtliche Registratur als das böse Musterbeispiel einer
-„Gründerei nur um des Gründens willen“, als das Symbol jener sinn-
-und skrupellosen Wertetreiberei der ersten siebziger Jahre verewigt
-hat. Er war es nicht, war nicht Symbol, nicht Urheber, sondern Opfer
-dieser in allen Fäulnisfarben schillernden Periode. Ihre Wurzeln
-waren nicht die seinen; der Krieg, der die eigentlichen Gründer groß
-machte, hatte ihn, der damals gerade zuviel auf die Karte seiner
-rumänischen Bahnbauten gesetzt hatte, bereits empfindlich geschwächt.
-Die Atmosphäre der Gründerjahre ergriff den schon unsicher Gewordenen,
-und in ihren Zusammenbruch wurde der Ausschweifend-Geniale, der seine
-Saatkörner auf zu viele Äcker ausgestreut hatte, als einer der ersten
-mit hineingezogen. Den guten, den fruchtbaren Grundkern in Strousberg
-und seiner Methode anzuerkennen, ist Pflicht desjenigen, der die Art
-und das Werk eines Emil Rathenau in ihrer ganzen Bedeutung für unsere
-deutsche Wirtschaft erkennen und würdigen will. Wer Rathenau unbedingt
-bejaht, darf Strousberg nicht unbedingt verneinen. Denn Strousberg
-hat schon das vorgeschwebt, was Rathenau und die anderen großen
-Industriellen in den Jahrzehnten um die Wende des 19. Jahrhunderts auf
-ihren begrenzteren, aber geschlosseneren und intensiver bearbeiteten
-Arbeitsgebieten verwirklichen konnten. Woran Strousberg scheiterte,
-das waren Anomalien der Charakterveranlagung und der Zeitverhältnisse,
-die seinen Plänen und Absichten ebenso stark zuwiderliefen, wie die
-Schöpfungen Rathenaus und der anderen Nachsiebziger durch Harmonien
-der Umstände gefördert und hochgetragen wurden. Der Vergleich zwischen
-Strousberg und Rathenau ist darum ganz besonders lehrreich, wenn man
-die historischen Wurzeln und Bedingtheiten einer Erscheinung wie der
-Emil Rathenaus verstehen lernen will. Strousbergs Entwickelung und
-geschäftlicher Höhepunkt lagen in einer Zeit, in der größere Bildungen
-industrieller Natur in Deutschland zwar an sich möglich waren, aber
-doch mangels entwickelter Kapitalmächte und Geldorganisationen,
-mangels einer ausgebildeten modernen Fabrikationstechnik nicht in
-verhältnismäßig kurzer Zeit hingeworfen werden konnten. Die bedächtige
-Entwicklung von innen heraus, der stufenweise Aufbau vom kleineren
-zum größeren war nötig, um dem industriellen Wachstum Gesundheit und
-Dauerhaftigkeit zu verleihen. So entwickelten Krupp und Siemens ihre
-Betriebe, so betrieb Wilhelm v. Mevissen seine Eisenbahnbaupolitik.
-Die kühneren Perspektiven eines Friedrich List waren nur Theorien, die
-zwar mit treffsicherem Blick für die Praxis erdacht waren, aber doch
-erst in einer späteren Zeit verwirklicht werden konnten. Strousberg
-ging ohne Rücksicht auf die Zeitumstände zu Werke. Er sprang mit
-Volldampf in seine Projekte. Nicht aus kleinen Anfängen und Entwürfen
-wuchsen seine Werke allmählich über sich hinaus, sondern seine
-Verwirklichungen blieben fast immer hinter dem Idealbild seiner Pläne
-zurück. Interessant und bezeichnend war es schon, wie er die Geldmittel
-für seine Gründungen aufbrachte. Sein Kapital stammte -- wenigstens
-in der ersten Periode seiner Gründungstätigkeit -- vorwiegend aus
-England, dem Lande, das ihm den Namen und die industriellen Maßstäbe
-gebildet, aber wohl auch für deutsche Verhältnisse etwas verbildet
-hatte. Es war ein geistreicher und geschickter Gedanke Strousbergs, den
-damals sehr erheblichen Unterschied zwischen dem niedrigen englischen
-und dem hohen deutschen Geldleihsatz als rentensteigernden Faktor in
-seine Rechnung einzustellen. Der Gedanke war nicht einmal ganz neu
-in jener Zeit, aber er war sonst nicht von Deutschen, sondern meist
-von Engländern ausgegangen und hatte zum Beispiel dazu geführt, daß
-englische Kapitalisten und Unternehmer in Deutschland Kohlenbergwerke
-(wie die Hibernia), Gasanstalten (wie die Berliner Imperial Gas
-Association), zu deren Errichtung von deutscher Seite es an Kapital
-oder auch an Unternehmungsgeist fehlte, mit eigenen Mitteln und unter
-eigener Verantwortung gründeten. Strousberg wollte selbst gründen,
-selbst die vollen industriellen Chancen ausnützen und das englische
-Kapital, das er verwendete, auf den bescheidenen Platz des mit einer
-festen Rente abgefundenen Finanz- oder Bankkapitals verweisen. Auch
-das ließ sich durchführen, und versprach sogar hohen Ertrag, wenn mit
-der bei einer Verringerung jener Zinsdifferenz eintretenden Gefahr
-des plötzlichen Abziehens der englischen Gelder gerechnet und gegen
-die Nachteile, die aus einer derartigen Geldentziehung erwachsen
-mußten, Vorsorge getroffen worden wäre. Eine solche Vorsorge hätte
-darin bestehen können, das englische Kapital entweder so fest an die
-deutschen Unternehmungen zu fesseln, daß eine plötzliche Abziehung
-nicht hätte vorgenommen werden können. Dann hätte Strousberg aber
-diesem Kapital einen starken Einfluß auf die Verwaltung und Verfassung
-seiner Unternehmungen einräumen, wahrscheinlich ihnen sogar einen
-englischen Sitz und englische Rechtsform, ihren Aktien einen
-englischen Markt geben müssen (+deutsche+ Aktien würden ja bei
-einer Krise auf den +deutschen+ Markt geworfen worden sein). Da
-Strousberg aber seinen Geldgebern einen solchen Anteil an der Macht
-nicht einräumen wollte, hätte er sich auf eine andere Art gegen die
-Gefahr der Kapitalentziehung sichern müssen. Er hätte das englische
-Kapital nur als eine vorübergehende, vorläufige Finanzgrundlage
-seiner Unternehmungen betrachten und dafür sorgen müssen, daß es
-allmählich entsprechend der langsameren Kapitalbildung auf dem
-deutschen Geldmarkte oder auch vermittels der eigenen Erträgnisse
-seiner Unternehmungen durch deutsches Kapital ausgewechselt werden
-konnte. Das hätte aber einmal einen Verzicht auf die langfristige
-Ausnutzung der Zinsdifferenz, an deren dauerndes und ununterbrochenes
-Vorhandensein Strousberg geglaubt zu haben schien, zur Bedingung
-gehabt; ferner hätte es einen ruhigen, geduldigen Ausbau der Gründungen
-verlangt, nicht jenes überstürzte Eiltempo der Expansion, das in dem
-Temperament Strousbergs begründet lag. Schon in finanzieller Hinsicht
-waren Strousbergs Werke also auf einer historischen Anomalie gegründet.
-Dasselbe gilt von ihrer industriellen und technischen Anlage. Seine
-Entwürfe und Ideen waren meist gut, oft zukunftsreich und immer
-genialisch, die Mittel, mit denen er sie ausführte, oft unzulänglich.
-Denn der intellektuelle Defekt in diesem bewunderungswürdig
-scharfsinnigen und positiven Gehirn bestand darin, daß Strousberg
-keinen Sinn für die praktischen Hemmungen der Materie hatte, daß er
-seiner eigenen Phantasie gegenüber durchaus unkritisch war. Sein
-Positivismus war ein Rausch, keine fest verankerte Weltanschauung,
-er war zu sehr Bau+künstler+ und zu wenig Bau+meister+.
-Seiner Phantasie schwebte ein großzügiges Eisenbahnsystem von Rumänien
-durch Deutschland bis zum Atlantischen Ozean vor, aber die Art, wie
-er nun an allen Ecken und Enden, wo sich ihm gerade eine Möglichkeit
-bot, Linien anzulegen begann, in der Hoffnung, das Stückwerk werde
-sich schon von selbst zum Ganzen runden, war ganz und gar systemlos.
-Der Gedanke, die Lokomotiven, Waggons, Schienen, Eisenteile und den
-sonstigen Bedarf für seine Bahnen in eigenen Betrieben herzustellen,
-war von industrieller Folgerichtigkeit und Fruchtbarkeit, aber es
-war vermessen und ein Zeichen gänzlich falscher Einschätzung des
-Entwicklungsgesetzes, die Konzentrationsidee, den Gedanken der
-Selbstbedarfsdeckung, des gemischten Fabrikationsprozesses gleich mit
-einem umfassenden Radikalismus zu beginnen, bis zu dem er heute nach 50
-industriellen Entwicklungsjahren kaum gediehen ist. Das konnte keine
-gesunde Grundlage für mächtige Unternehmungen, kein gerundetes Ganzes
-geben, sondern es wurde Stückwerk, das beim ersten naturnotwendigen
-Rückschlag der Entwicklung, beim ersten Kampf der Idee mit der
-Materie zerbrechen mußte. Die Dortmunder Union, das erste, fast ein
-Menschenalter zu früh angewendete Beispiel eines gemischten Eisen- und
-Stahlwerks, wie es später eine der schöpferischsten Ideen der deutschen
-Industrie wurde, ist in der praktischen Anlage so verunglückt, daß
-immer neue Sanierungen notwendig wurden und doch Jahrzehnte hindurch
-den Boden des Fasses nicht erreichten. Noch haltloser waren die
-Grundlagen für das von Strousberg geplante große Werk in Zbirow bei
-Pilsen, das ebenfalls die ganze Eisenfabrikation vom Erz bis zum
-Eisenbahnbedarf umfassen sollte. Hier war nicht nur die Anlage, sondern
-auch der Standort, die Rohstoffgrundlage verfehlt. Auch den übrigen
-Gründungen Strousbergs, den Markthallen, Schlachthöfen, Zeitungen, die
-er gewissermaßen nebenbei aus dem unerschöpflichen Füllhorn seines
-Ideenreichtums schüttete, lag fast stets ein guter Gedanke zu Grunde,
-die Ausführung aber war flüchtig und sorglos. Es war vielleicht die
-verhängnisvollste Schwäche Strousbergs, daß er, der Nichtfachmann, der
-seine Unternehmungen auf die Technik einer künftigen Zeit anlegte,
-nicht einmal die Technik seiner Zeit völlig beherrschte. So sehr er
-sich in seinem Memoirenwerk dagegen wehrt, er +hat+ manchmal
-schlecht gebaut, trotz des meist ehrlichen Willens, gut zu bauen, weil
-er nicht imstande war, sich die richtigen Fachleute auszusuchen und
-weil er zu schnell bauen wollte und mußte.
-
-Aber nicht nur in den Zeitumständen, auch in den Charaktereigenschaften
-war Emil Rathenau fester gegründet, als der so ähnlich begabte
-Stammesgenosse. In dem wesentlichen Grundzug ihrer finderischen
-Natur waren diese beiden Juden einander nahe verwandt. Beide von
-einer -- bei aller Fähigkeit für das Komplizierte -- schlichten
-und fast naiven Konstruktivität, Strousberg naiver, Rathenau
-schlichter, beide von hellseherischer Phantasie für zukünftige
-Möglichkeiten und Notwendigkeiten, Strousberg schweifender auf die
-Möglichkeiten, Rathenau -- wenigstens in der Arbeit -- nüchterner
-auf die Notwendigkeiten gerichtet. Des einen, des Bahnenkönigs
-Unternehmungsgeist, trotzdem er nie eine Sache um des Gründergewinns,
-sondern nur um des meist guten industriellen Gedankens willen gründete,
-etwas fessel- und hier und da auch wahllos umherspringend, des andern
-Schaffen bei allen gelegentlichen gedanklichen Exkursionen von einer
-einheitlichen Grundidee gebändigt und beherrscht, sich selbst mit
-eiserner Selbstzucht stets wieder auf den Boden der Wirklichkeit
-zurückzwingend. Strousberg hat auf +viele+ Gebiete der Industrie
-übergegriffen, Rathenau hat +eine+ Industrie mit höchster
-Vertiefung und Vielseitigkeit ausgebaut und die Nebenindustrien,
-denen er sich zuwandte, doch immer unter die Gesichtspunkte des
-elektrotechnischen Gewerbes gestellt. Bei aller Verwandtschaft der
-spirituellen Intelligenz, der Begabung und der Methode, eine starke
-Verschiedenheit weniger der Temperamente, als der Hemmungen der
-Temperamente. Strousberg drängte gewaltsam vorwärts und überstürzte.
-Rathenau hat gezeigt, daß er wohl zu warten verstand.
-
-Unter solchen Umständen ist es falsch zu sagen, daß Glück oder Unglück
-die entscheidende Rolle in dem Leben dieser beiden Männer gespielt
-haben, wie dies Strousberg in seiner im russischen Schuldgefängnis
-geschriebenen Selbstbiographie von sich behauptet hat. Es ist richtig,
-daß die 6 Millionen Taler Entschädigung, die Strousberg gerade in
-seiner kritischen Zeit an Rumänien infolge fehlerhafter Ausführung
-eines Bahnenbaus zahlen mußte, seinen Zusammenbruch beschleunigt
-haben. Aber dieses Schicksal traf ihn nicht unverdient, und es wurde
-aufgewogen durch manchen Glückszufall, aus dem er früher hatte
-Nutzen ziehen können. Emil Rathenau andererseits ist durch das Glück
-nie sonderlich verwöhnt worden und gerade die vielen Reserven,
-Hindernislinien und Schutzgräben, von denen er um sein Werk nicht
-genug ziehen konnte, um es gegen jeden Schicksalsschlag, gegen
-jeden ungünstigen Zufall zu sichern, zeigen den Unterschied seiner
-industriellen Bauweise von der Strousbergs.
-
-Die vorangegangene Schilderung hat gezeigt, welche große Bedeutung
-die +zeitlichen Umstände+ als Vorbedingung für ein Werk,
-wie das Rathenaus gehabt haben, wenngleich sie keineswegs allein
-ausschlaggebend für das Wachstum seiner Persönlichkeit und seiner
-Schöpfung gewesen sind. Man kann sagen, daß die letzten 3 Jahrzehnte
-in Deutschland deswegen so viel schöpferische Persönlichkeiten und
-Leistungen in Handel und Gewerbe hervorgebracht haben, weil sie
-selbst so schöpferisch waren und Gelegenheit, ja förmlich Zwang zu
-produktiver Tätigkeit boten. In dem Agrarland Deutschland war noch
-so viel Platz für große Industrieunternehmungen, es gab so viele
-ungehobene industrielle Rohstoffe, so viel überschüssiges, früher
-auf den Weg der Auswanderung gedrängtes Menschenmaterial, daß die
-Entwicklung, nachdem einmal die Bahn durch Beseitigung der politischen
-Hemmungen, durch Freimachung und Anreicherung der kapitalbildenden
-Kräfte geebnet war, mächtig vorwärts drängen mußte. Man brauchte sich
-nur von dieser Entwicklung tragen zu lassen, um es zu etwas zu bringen
-und selbst die +mäßige+ Begabung konnte sich ansehnliche Ziele
-stecken. Die +große+ aber fand Baustoff und Werkzeug zu stärkstem
-Vollbringen. Man kann den Anteil, den Zeit und Persönlichkeit an den
-gewerblichen Schöpfungen unseres Zeitalters hatten, vielleicht am
-besten charakterisieren, wenn man sagt, daß die Männer dieser Zeit mit
-der Stromrichtung schwimmen konnten. Sie hatten -- natürlich nur im
-Großen, und nicht im einzelnen betrachtet -- kein zähes Gestrüpp an
-Gewohnheiten, Vorurteilen erst auszuroden, ehe sie mit der eigentlichen
-Arbeit beginnen konnten. Sie brauchten nicht einen erheblichen Teil
-ihrer besten Kraft darauf zu wenden, erst den Kampf des Positiven gegen
-das Negative zu führen, wie etwa der gedankliche Bahnbrecher Friedrich
-List, sie brauchten auch keiner spröden Materie langsame Gestaltung
-abzuzwingen, wie David Hansemann, Alfred Krupp und Werner Siemens. Sie
-fanden den Boden gepflügt und gedüngt. Gewiß, nur fruchtbare Körner
-konnten auf ihm aufgehen. Aber das fruchtbare Korn wird, wenn es auf
-einen guten und bereiten Boden fällt, anders und stärker gedeihen, als
-wenn es in Brachland oder dünnen Sandboden gesenkt wird.
-
-Es spricht nicht gegen unsere Auffassung von den wirtschaftlichen
-Wirkungen der reichsdeutschen Gruppierung um die staatenbildende
-Zentrifugalkraft Preußens, wenn man feststellt, daß einmal der
-wirtschaftliche Zusammenschluß Norddeutschlands und der spätere
-Hinzutritt Süddeutschlands zu dem deutschen Zollverein schon vor dem
-deutsch-französischen Kriege stattgefunden hatten und daß nachher noch
-fast ein Jahrzehnt hinging, ehe die moderne Wirtschaftsbewegung mit
-voller Kraft einsetzte. Vor dem Kriege war durch die Zollbündnisse,
-die den politischen Reichsgedanken vorbereiten halfen, wohl eine
-gewisse Einheit schon de jure erreicht. Das blieb auch ganz gewiß
-nicht ohne befruchtende Wirkung auf das Wirtschaftsleben und führte
-schon in der Mitte der 60er Jahre zu günstigen Geschäftskonjunkturen.
-Aber die große Revolutionierung des Wirtschaftsbodens, von der wir
-gesprochen haben, wurde dadurch höchstens angekündigt, noch nicht
-eingeleitet. Dies konnte erst geschehen, nachdem die wirtschaftliche
-Einheit durch die feste politische Form endgültig geworden, gegen
-jede Bedrohung von innen und außen gesichert war. Die allgemeine
-Überzeugung, daß die Einheit politisch und kriegerisch noch einmal
-würde erprobt und verteidigt werden müssen, hinderte vorerst das
-organische Zusammenwachsen der einzelnen Glieder Deutschlands zu
-einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet. +Nach dem Kriege+ setzte der
-+subjektive+ Aufschwung sofort ein und zwar in einem Tempo, daß ihm
-der objektive Aufschwung nicht zu folgen vermochte. Da keine genügende
-Zahl von industriellen Unternehmungen und von den sie repräsentierenden
-Wertpapieren da war, an denen die spekulative Hochbewertung sich
-hätte genug tun können, nahm der Aufschwung die Form der künstlichen
-„Wertschafferei“ und „Werttreiberei“ an, die sich auch am +fingierten+
-Wert entzündeten. Die +wirklichen+ Werte an industriellen Objekten, an
-Grund und Boden, an Waren und Rohstoffen wurden gewaltig übersteigert,
-wie das immer der Fall ist, wenn der Kreis der realen Tatsachen
-nicht schnell genug erweitert und auf den Umfang der neuen geistigen
-Möglichkeiten gebracht werden kann. Die Plötzlichkeit, mit der die
-deutsche Binnenwirtschaft vor weltwirtschaftliche, ja imperialistische
-Probleme gestellt wurde, zeitigte ein gewaltiges schöpferisches
-Bedürfnis, dem die schöpferischen Verwirklichungen nicht im gleichen
-Tempo folgen konnten. Die Zukunftsphantasien, die den Gründern und
-Spekulanten jener Zeit vor Augen standen, waren dabei sicherlich nicht
-einmal falsch gesehen oder übertrieben. Was seither verwirklicht
-wurde, hat jene Phantasiegemälde längst überboten und in Schatten
-gestellt. Falsch war nur die Bemessung der Distanz, der Zeitspanne,
-in der man zur Verwirklichung jener Ideen kommen zu können glaubte.
-Man glaubte Tal und Berg im Sprung überwinden zu können, während eine
-mühselige Wanderung über Hügel und Einsenkungen, durch Schluchten und
-Gestein notwendig war. Was diesen Trugschluß damals noch so wesentlich
-förderte, war der französische Milliardensegen, der sich unerwartet
-und unvorbereitet über Deutschland ergoß. Man glaubte, daß mit diesem
-Gelde jede Distanz überwunden werden könnte und hatte noch nicht
-die vorher nirgends so augenfällig gewordene, erst anläßlich dieser
-gewaltigsten gegenwertlosen Geldübertragung der Geschichte möglich
-gewordene Erfahrung gemacht, daß ein Überfluß an Geld eine gesunde
-Entwicklung nicht fördert, sondern stört. Nur Geld, das Kapital
-geworden ist oder Kapital werden kann, das heißt für das sich eine
-gesunde Anlagemöglichkeit findet, vermag Früchte zu tragen. Das Geld,
-das beschäftigungslos umhertreibt oder zu zwecklosen Experimenten
-verwendet wird, schafft eine künstliche Kaufkraft, eine ungesunde
-Unternehmungslust, bringt die Faktoren der Preisbildung, die Ventile
-der Marktregulierung in Unordnung und treibt in Krisen hinein, in denen
-die künstlichen Gebilde zusammenbrechen müssen, ehe wieder richtige
-Wertmaßstäbe gewonnen werden können.
-
-Durch die Delirien dieser Krise mußte erst die subjektive
-Aufschwungskraft des wirtschaftlichen Deutschland nach seiner Einigung
-hindurchgehen, ehe der wirkliche, wohlfundierte Aufstieg begonnen
-werden konnte. In dieser Krise wurde schon die Spreu von dem Weizen
-gesondert, und wer sie überlebte, hatte schon halb bewiesen, daß er
-würdig und fähig war, an den Mühsalen und Früchten des aufsteigenden
-Weges teilzunehmen. Emil Rathenau gehörte zu jenen, die sich durch das
-falsche Gold der Gründerjahre nicht hatten blenden lassen. Er hatte
-seine gewaltige Bejahungskraft, seine Phantasie, die doch nicht weniger
-lebendig und beweglich waren als die des verwegensten Abenteurers aus
-der Gründerzeit, vollkräftig und doch fast unbeschädigt durch die Jahre
-getragen, die rings um ihn von Orgien der Unternehmungslust erfüllt
-gewesen waren. So war er rein und stark für die kommenden Jahre der
-Stärke geblieben.
-
-
-
-
-Viertes Kapitel
-
-Technische Vorbedingungen
-
-
- „Als Emil Rathenau seine Siegeslaufbahn begann, war die
- Elektrotechnik wenig mehr als ein bescheidener Versuch, die
- großartigen Forschungen der Physik des vorigen Jahrhunderts
- nützlicher Verwertung zu erschließen. Die Erfindungen trugen noch
- deutlich den Stempel ihrer Geburtsstätte -- es waren Erzeugnisse
- instrumentaler Technik. Werner v. Siemens, selbst aus dieser
- hervorgegangen, war der erste, dessen weitschauender Geist die
- Notwendigkeit erkannte, die Hilfe eines Bundesgenossen, der
- Maschinentechnik, herbeizurufen, das Studium der Elektrotechnik
- den Technischen Hochschulen zuzuweisen, und mit dem Maschinenbau
- auf das Innigste zu verschmelzen. Schwierig war die Aufgabe,
- die er damit den technischen Hochschulen erteilte, fehlte es
- denselben doch zunächst an geeigneten Lehrkräften, die mit
- theoretischem Wissen praktisches Können vereinten. Da brachte
- Hilfe die schnell sich entwickelnde Technik selber. Hervorragende
- Maschineningenieure, technische Physik beherrschend, traten in die
- Werkstätten der Elektrotechnik und wurden bald ihre Lenker und
- Leiter. Als der ersten einer -- Emil Rathenau. Es war ein großes
- Glück für die deutsche Elektrotechnik, daß ihr neben Siemens ein
- Mann erstand, von gleichen Überzeugungen beseelt, mit genialer
- Veranlagung zum Maschineningenieur erzogen, der, zwar nicht mit ihm
- vereint, wohl aber im edelsten Wetteifer mit ihm gleichen Zielen
- zustrebte. Dem Wirken dieser beiden Männer verdankt die deutsche
- Elektrotechnik ihre erstaunlich schnelle Entwicklung.“
-
- (Prof. Dr. Slaby in einer Festrede zur Feier des 25jährigen
- Bestehens der A. E. G.)
-
-Im vorigen Kapitel haben wir gesehen, welche allgemeinwirtschaftlichen
-Bedingungen Emil Rathenau vorfand, als er am Anfang der 80er Jahre
-daranging, ein neues Unternehmen aufzubauen. Jetzt soll untersucht
-werden, wie es mit der +Entwicklung+ der +elektrotechnischen
-Industrie+ stand, der sich Rathenau zuwandte, weil er auf ihrem
-Gebiet die größten Zukunftsmöglichkeiten für einen technischen Kaufmann
-sah.
-
-Die Elektrotechnik, als Grundlage der Elektrizitäts-Industrie, das
-heißt einer praktisch-wirtschaftlichen Ausnutzung der Wissenschaft
-von der Elektrizität ist viel jünger als die Erfindung oder besser
-als die Findung der galvanischen Kraft. Sie ist ganz und gar ein
-Kind des 19. Jahrhunderts und setzte zu ihrer Ausbildung die
-Pionierdienste voraus, die auf allgemein-technischem Gebiete erst
-die Physik und die Chemie leisten mußten. Der erste Schritt in das
-seitdem experimentell vielfach durchleuchtete Gebiet einer ihrem
-inneren Wesen nach noch immer geheimnisvollen Kraft wurde halb durch
-Zufall getan. Lange Zeit ging die herrschende Ansicht dahin, daß
-die magnetischen und elektrischen Erscheinungen nicht miteinander
-zusammenhingen. Ein dänischer Physiker Hans Chrystian Oersted
-entdeckte 1820 das Prinzip des Elektromagnetismus, indem er bemerkte,
-daß eine auf seinem Experimentiertische befindliche Magnetnadel
-durch galvanischen Strom abgelenkt wurde. Deutsche, französische
-und englische Forscher warfen sich bald darauf mit intensiver
-Energie auf das neue Gebiet der Wissenschaft und suchten die schmale
-Eingangspforte durch systematische Arbeit zu erweitern. Während
-man auch nach der Entdeckung Oersteds zunächst noch an der Ansicht
-festhielt, daß nicht die Elektrizität, sondern der Magnetismus die
-einfachere, grundlegende Kraft sei, begründete Ampère die Theorie,
-daß das Grundphänomen das elektrische sei und daß alle Äußerungen
-des Magnetismus auf elektrischen Strömen beruhten, eine Theorie, die
-als erwiesen gelten konnte, nachdem gezeigt worden war, daß durch
-elektrischen Strom ein Magnetfeld erzeugt werden konnte. Damit war
-die industriell so außerordentlich fruchtbar gewordene Einwirkung der
-elektrischen Kraft auf den Grundstoff aller modernen industriellen
-Betätigung, das Eisen, festgestellt, das die Eigentümlichkeit besitzt,
-durch einen elektrischen Strom sehr kräftig magnetisiert zu werden.
-Gauß und Weber gelangten auf Grund ihrer Arbeiten im Jahre 1833 zur
-Erfindung des +elektrischen Telegraphen+ und stellten bald darauf die
-erste telegraphische Verbindung auf eine kurze Strecke -- zwischen
-ihren beiden Arbeitsstätten in Göttingen -- her. Damit schien die
-deutsche Forschung, nachdem sie dieses eminent praktische Problem
-wissenschaftlich gelöst hatte, sich zunächst begnügen zu wollen.
-Für eine praktische Ausnutzung fehlte es in Deutschland damals an
-einer entwickelten Industrie und gerade umgekehrt wie bei späteren
-großen Erfindungen, die im Auslande gemacht, aber in Deutschland
-systematisch-praktisch durchgebildet wurden, ließ man bei den ersten
-epochemachenden Entdeckungen auf dem Gebiete der Elektrotechnik
-die grundsätzlichen Erkenntnisse der Wissenschaft ohne Folgen. Wie
-später auch das von dem deutschen Physiker Philipp Reis erfundene
-Telephon wurde der elektrische Telegraph in Amerika entwickelt.
-Schon im Jahre 1835 konstruierte der Amerikaner Samuel Morse den
-nach ihm benannten Fernschreibapparat, auch andere Amerikaner und
-Engländer, wie Wheatstone und Coke befaßten sich erfolgreich mit der
-Ausbildung des Telegraphen. Im Jahre 1844 wurde die erste öffentliche
-Telegraphenleitung zwischen Washington und Boston eingerichtet und
-dem öffentlichen Verkehr zugänglich gemacht. Die verkehrstechnische
-Entwicklung des Telegraphen schritt nun mit schnellen Schritten fort.
-In Amerika, wo besonders große Entfernungen zu überwinden sind, war
-das Bedürfnis nach rascher Nachrichtenübermittelung naturgemäß am
-stärksten, und der praktische Sinn überdies am schnellsten bereit,
-die Errungenschaften der Technik nutzbar zu machen. Aber auch Europa
-rührte sich. England, Frankreich und Deutschland vermochten sich
-der Bedeutung nicht zu entziehen, die der Telegraph für das ganze
-wirtschaftliche, soziale und politische Leben gewinnen mußte. Die Welt
-war damals bereits aus dem handwerklichen in das maschinelle Zeitalter
-getreten, und sie rückte auch immer entschiedener in das Zeichen
-des Verkehrs. Im Jahre 1838 war die erste Eisenbahn in Deutschland
-fertiggestellt worden, nun folgten allenthalben neue Schienenwege, und
-die Eisenbahnverwaltungen erkannten bald die Vorteile, die es ihnen
-bot, ihre Linien von telegraphischen Leitungen begleiten zu lassen. So
-trafen sich die Bedürfnisse der maschinellen Verkehrstechnik mit denen
-der elektrischen. Der erste Anstoß für die Einführung des Telegraphen
-kam in Preußen allerdings nicht von der verkehrspolitischen, sondern
-von der militärischen Seite her. Die Kommission des preußischen
-Generalstabes für die Einführung der elektrischen Telegraphen übertrug
-im Jahre 1847 dem Artillerieleutnant +Werner Siemens+ die Herstellung
-einer unterirdischen Telegraphenlinie von Berlin nach Großbeeren zu
-Versuchszwecken. Eine glücklichere Wahl hätte die Militärbehörde
-nicht treffen können. Damit wurde zum ersten Male der Mann mit
-der Lösung einer bedeutsamen Aufgabe betraut, der zu den größten
-technischen Konstrukteuren aller Zeiten gehörend, die Entwicklung
-der elektrotechnischen Industrie in ihrer ersten, grundlegenden
-Periode anregen, führen und verkörpern sollte wie kein zweiter in
-Deutschland, wie nur wenige andere in der ganzen Welt. In der Mitte
-zwischen technischer Wissenschaft und Praxis stehend, war es Werner
-Siemens in einer Zeit, in der eine tiefe Kluft zwischen der Theorie
-und der ausübenden Technik gähnte, vergönnt, sich beide Gebiete ganz
-zu eigen zu machen, auf beiden Gebieten Gedanken aus erster Hand, von
-primärem Wert und schöpferischer Auswirkung zu prägen und miteinander
-zu verschmelzen. Die eiserne Folgerichtigkeit seines technischen
-Denkens, und die nie ermüdende und nie abschweifende Konstanz seiner
-Arbeit ermöglichten es ihm, die fruchtbaren Gedanken zur industriellen
-Reife zu entwickeln. Kein schnelles Blitzlicht, das hier und dorthin
-springend dunkle Gebiete der Forschung einen Augenblick erhellt und es
-dann anderen oder auch dem Zufall überläßt, sie dauernd aufzuklären,
-sondern eine ruhig brennende Flamme, die sich von dem zu erforschenden
-Gegenstand nicht früher abkehrt, bis sie ihn von allen Seiten
-abgeleuchtet hat. Nicht so geniefunkelnd, experimentell-geistreich und
-vielseitig wie der amerikanische „Zauberer“ Thomas Alva Edison, aber
-nicht weniger finderisch als dieser. Der ernste Kopf, das tiefe Auge,
-die feste Hand des Niederdeutschen, eine Natur, die mit einer Sache
-ringt und sie nicht läßt, bevor sie sich ihm ergeben hat. Gewiß, auch
-Werner Siemens fehlte manches, wovon später noch zu reden sein wird.
-Aber es war vielleicht gut, daß ihm dieses fehlte, wofür in seiner
-Zeit die Bedingungen wenigstens in Deutschland noch nicht vorhanden
-waren, was ihn möglicherweise in der Sicherheit seines Wesens und
-Wollens nur beirrt, in der Gradlinigkeit seines Schaffens zersplittert
-hätte. Gerade dadurch, daß Werner Siemens die Möglichkeiten und
-Forderungen +seiner+ Zeit so völlig erschöpfte, erschöpfte er sich in
-ihnen, ging die Entwicklung schließlich über ihn hinweg, vermochte er
-sich einer anderen Zeit nicht mehr so recht anzupassen.
-
-Werner Siemens wurde im Jahre 1816 in Lenthe in Hannover als Sohn
-eines Gutspächters geboren. Schon den jungen Gymnasiasten drängten
-Begabung und Neigung zur Technik. Da das Studium auf der Bauakademie,
-dem damals einzigen technischen Lehrfach, dem Vater zu kostspielig
-war, wurde auf Anraten eines Freundes der Familie ein Kompromißweg
-gefunden. Werner Siemens sollte preußischer Pionieroffizier werden,
-wo er Gelegenheit haben würde, dasselbe zu lernen wie auf der
-Bauakademie. Wie so viele strebsame Jünglinge aus den deutschen Mittel-
-und Kleinstaaten wandte sich Siemens nach Preußen. „Der einzige
-feste Punkt in Deutschland ist jetzt der Staat Friedrichs des Großen
-und die preußische Armee,“ sagte ihm zustimmend der Vater, als er
-seinen Entschluß zu erkennen gab. Werner Siemens wurde aber nicht
-Pionier-, sondern Artillerieoffizier, da ihm gesagt wurde, daß er
-als solcher bedeutend bessere militärische Aussichten und dieselbe
-technische Vorbildung haben würde. Die Zeit auf der Artillerie- und
-Ingenieurschule nutzte der junge Mann in ernster Weise aus, auch als
-Offizier in verschiedenen preußischen Garnisonstädten befaßte er
-sich mit wissenschaftlichen Studien und Experimenten. Die Erfindung
-Jacobis, Kupfer in metallischer Form durch den galvanischen Strom aus
-reiner Lösung von Kupfervitriol niederzuschlagen, veranlaßte ihn,
-sich im Jahre 1840 mit der Galvanisierung zu beschäftigen. In der
-Zitadelle von Magdeburg, in der er eine ihm wegen Sekundierens beim
-Duell auferlegte Festungshaft absolvieren sollte, richtete er sich,
-ganz zufrieden mit der ihm ermöglichten Muße, ein Laboratorium ein,
-und es glückte ihm, ein neues Verfahren galvanischer Versilberung und
-Vergoldung zu entdecken. Der praktische Sinn des jungen Offiziers
-äußerte sich darin, daß er, obwohl als Militär in der Wahl der Mittel
-zur Einleitung von Geschäften sehr beschränkt, darauf bedacht war,
-aus seiner Erfindung Kapital zu schlagen. Es gelang ihm, mit der
-Neusilberfabrik J. Heninger einen Vertrag abzuschließen, auf Grund
-dessen er dieser eine Anstalt für Vergoldung und Versilberung nach
-seinen Patenten gegen Gewinnbeteiligung einrichtete. Seinen Bruder
-Wilhelm schickte er nach England, damit er dort den Versuch mache,
-die elektrolytischen Patente und das später erfundene Verfahren der
-Vernickelung zu verwerten. Diesem glückte es auch, die Patente für
-1500 Pfd. Sterl. an eine englische Firma zu verkaufen. Bald lenkten
-größere Aufgaben das Interesse Werner Siemens auf sich. Er beteiligte
-sich an den Versuchen, die Leonhardt im Auftrage des Generalstabes
-der preußischen Armee über die Frage der Ersetzbarkeit der optischen
-Telegraphie durch elektrische anstellte. Siemens konstruierte einen
-Zeigertelegraphen mit Selbstunterbrechung, dessen Herstellung er
-einem jungen Mechaniker namens +Halske+ anvertraute. Kurze
-Zeit später fand er in dem damals neu auf dem englischen Markte
-erschienenen Guttapercha ein ausgezeichnetes Isolationsmaterial für
-unterirdische elektrische Drahtleitungen, wie sie damals angesichts
-der herrschenden Meinung, daß oberirdische Leitungen zu leicht der
-Zerstörung ausgesetzt seien, für allein anwendbar gehalten wurden. Er
-stellte ferner auch eine Schraubenpresse her, durch die der erwärmte
-Guttapercha unter Anwendung hohen Drucks nahtlos um den Kupferdraht
-gepreßt wurde. Siemens Entschluß, sich ganz der Entwicklung des
-Telegraphenwesens zu widmen, stand nun fest. Er veranlaßte im Jahre
-1847 den Mechaniker G. Halske, mit dem die gemeinsame Arbeit ihn näher
-verbunden hatte, eine Telegraphenbauanstalt zu begründen, in die er
-nach seiner Verabschiedung aus dem Heeresdienste selbst eintreten
-wollte. Das Betriebskapital von 6000 Talern lieh ihm ein Vetter, der
-Justizrat Siemens, der Vater des später so berühmt gewordenen ersten
-Direktors der Deutschen Bank Georg von Siemens. Die Werkstatt wurde
-in einem Hinterhaus der Schönebergerstraße in der Nähe des Anhalter
-Bahnhofs eröffnet. Siemens selbst wollte seine ganze Kraft dem neuen
-Unternehmen erst widmen, wenn die Generalstabskommission zur Einführung
-des elektrischen Telegraphen ihre Aufgabe voll erfüllt hatte. So sehr
-er auch die ihm offenstehende Laufbahn, sich dank seiner beherrschenden
-Stellung in der Telegraphenkommission allmählich zum Schöpfer und
-Leiter des preußischen Staatstelegraphen aufzuschwingen, als zu eng,
-zu wenig selbständig, zu bureaukratisch ablehnte, hier lag doch in
-der damaligen Zeit noch das Feld, auf dem er am entscheidendsten
-an der Verwirklichung seiner Pläne mitarbeiten konnte. Bald darauf
-wurde auch die bereits erwähnte erste unterirdische Telegraphenlinie
-Berlin-Großbeeren und die oberirdische Linie Berlin-Potsdam
-fertiggestellt, und von dem freien Blick dieses kaufmännischen
-Soldaten zeugt es, daß er -- im Gegensatz zu den Heeresbehörden --
-dafür eintrat, daß die neuen Linien nicht nur dem Militär, sondern
-auch dem Publikum zur Verfügung stehen mußten. Die März-Revolution
-und der dänische Krieg von 1848 unterbrachen die systematische Arbeit
-am Telegraphen. Wir sehen Siemens als Kriegstechniker in Kiel,
-Friedrichsort und Eckernförde, wo er die Verteidigung dieser Seehäfen
-durch Minensperren -- die ersten, die jemals gelegt wurden -- und
-durch Hafenbatterien durchführte. Nach Berlin zurückgekehrt, nahm
-Siemens die telegraphischen Projekte mit Hochdruck wieder auf. Der
-brave Halske hatte, unbeirrt durch Revolution und Kriegsgeschrei, seine
-Telegraphenapparate auch ohne Bestellung weiter fabriziert und dadurch
-das junge Unternehmen vor dem Zusammenbruch bewahrt. Die Zuversicht
-sollte sich lohnen. Es gab bald Arbeit in Hülle und Fülle. Eine große
-unterirdische Telegraphenlinie von Berlin nach Eisenach und eine
-oberirdische von dort nach Frankfurt, wo damals das erste deutsche
-Parlament tagte, waren im Auftrage des preußischen Handelsministeriums
-zu bauen. Die Loslösung des Telegraphen vom rein militärischen
-Interesse, seine Verwendung im Dienste des Verkehrs war eine Tatsache.
-Siemens zog nun endgültig den Soldatenrock aus und trat als offener
-Teilhaber in die Firma Siemens & Halske ein. Die Periode der Versuche,
-der tastenden Anfänge und kleinen Dimensionen ist überwunden. Die
-Entwicklung verstärkt, verbreitert, vervielfältigt sich, geht ins
-Große und trägt die Firma Siemens & Halske zur Bedeutung nicht nur des
-ersten elektrotechnischen Unternehmens in Deutschland, sondern eines
-Welthauses empor.
-
-Neben Telegraphenanlagen wurden bald Läutewerke für Bahnanlagen,
-Meßinstrumente hergestellt. Der im Jahre 1850 nach Europa gekommene
-Morse-Apparat wurde von der Firma mit vielen Verbesserungen versehen
-und zu einer Vollendung gebracht, die ihn über alle früheren Systeme
-weit hinaushob. Das Absatzgebiet wurde über Deutschland hinaus
-erweitert. Insbesondere in Rußland verstand es die junge Firma,
-die im Jahre 1849 immer noch mit 32 Arbeitern auskam, festen Fuß
-zu fassen; neben kleineren Telegraphenlinien wurden die großen
-Strecken Petersburg-Warschau, Moskau-Kiew-Odessa, Petersburg-Reval
-und Petersburg-Helsingfors fertiggestellt. Werner Siemens hatte
-das Glück, energische und tüchtige Brüder zu besitzen, denen er
-die Geschäfte im Auslande anvertrauen konnte, was dazu beitrug,
-den Familiencharakter der Siemensschen Unternehmungen zu wahren,
-und trotz der notwendig gewordenen Dezentralisation aufrecht zu
-erhalten. Wie Karl Siemens das russische Geschäft, den technischen
-Weisungen des genialen Werner folgend, aber kaufmännisch mit einem
-hohen Grade von Selbständigkeit und Geschick entwickeln konnte, so
-vermochte Wilhelm Siemens, der früh nach England gegangen war, trotz
-der starken Konkurrenz in diesem technisch dem damaligen Deutschland
-überlegenen Lande, eine starke Stellung zu erkämpfen. Er lieferte
-für den indischen Telegraphen Materialien und Apparate und eröffnete
-einen lohnenden Fabrikationszweig durch die Konstruktion des nach
-ihm benannten Wassermessers. Entscheidend wurde die Betätigung in
-England für die Bedeutung, die sich die Firma Siemens & Halske in
-der +Kabelfabrikation+ und in der Kabellegung erwerben sollte.
-Zunächst beschränkte man sich auf die Herstellung von Kabeln und
-elektrischen Apparaten für die Unterwassertelegraphie, und entwickelte
-grundlegende Methoden für Kabelprüfung und Fehlerbestimmung. Die
-erste selbständige Kabellegung für die Linie Kartagena-Oran, die
-von der französischen Regierung in Auftrag gegeben worden war, aber
-infolge ungünstiger Formation des Meeresbodens dreimal mißglückte,
-forderte schwere Opfer, die die Brüder Siemens nicht entmutigten,
-aber den vorsichtigen, jeder Großzügigkeit baren Halske veranlaßten,
-die Trennung des Londoner Geschäfts von dem Berliner zu beantragen.
-Diese erfolgte und das Londoner Geschäft ging unter der Firma Siemens
-Brothers in den Besitz der Brüder Wilhelm, Werner und Karl über. Das
-Vertrauen in die Leistungsfähigkeit dieser Firma für den Bau von
-Überseekabeln hat nicht getrogen. Im Laufe der Jahre gelang es Siemens
-Brothers mit einem direkten Kabel von Irland nach Amerika das Monopol
-eines damals unter den Auspizien Sir William Penders gebildeten
-Kabelringes zu durchbrechen und andere große Überseekabel in Auftrag
-zu bekommen. Kein Geringerer als der große Gelehrte Sir William
-Thomson hatte das erste Siemenskabel geprüft und für fehlerfrei und
-außerordentlich sprechfähig erklärt. Vorangegangen war die Errichtung
-einer eigenen Guttaperchafabrik in England, die notwendig wurde, da
-die einzige englische Fabrik, die bis dahin nahtlos mit Guttapercha
-umpreßte Drähte nach dem Siemensschen System herstellte, offenbar
-im Interesse jenes Kabelringes bei der Lieferung von gereinigter
-Guttapercha an Siemens Brothers Schwierigkeiten gemacht hatte. Die
-Gesellschaft, die von den Brüdern Werner, Wilhelm und Karl Siemens
-für den Bau der Kabellinie Irland-Amerika gegründet wurde, mußte ihr
-Kapital auf dem Kontinent aufbringen, da der englische Markt durch
-die übermächtige Konkurrenz verschlossen war. Schon vorher hatte
-der ständig nach neuen Projekten ausschauende Geist Werner Siemens
-ein anderes gewaltiges Werk ersonnen und ausgeführt. Es handelte
-sich um nichts geringeres, als um den Bau einer Indo-Europäischen
-Überland-Telegraphen-Linie, die England über Preußen, Rußland und
-Persien mit seiner Kolonie Indien verband. Zu diesem Zwecke wurde
-eine englische Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 425000 Pfd.
-Sterl. gegründet, die sämtliche Konzessionen von den beteiligten
-Regierungen erwarb und die Linie bis zum Jahre 1869 fertigstellte.
-Der Bau, die Lieferungen an Materialien und Apparaten und die
-Unterhaltung der ganzen Linie wurde der Firma Siemens & Halske
-übertragen, die sich ihrerseits mit einem Fünftel des Aktienkapitals
-an dem Unternehmen beteiligte. Die Indo-Europäische Überland-Linie
-und die Kabelgesellschaft Irland-Amerika bilden die ersten Fälle von
-sogenannten Betriebsunternehmungen, die nicht im fremden Auftrag,
-sondern auf eigene Initiative von einer Fabrikationsgesellschaft in
-der elektrischen Industrie gegründet worden sind. Für Werner Siemens
-sind es Ausnahmefälle geblieben, die nicht einem geschäftlichen
-System entsprangen, sondern der Verwirklichung technischer und
-verkehrspolitischer Lieblings-Gedanken dienen sollten, weil diese
-Verwirklichung auf anderem Wege nicht hätte erfolgen können. Zu
-den Prinzipien der Firma Siemens & Halske gehörten derartige
-Eigen-Gründungen durchaus nicht, und wir werden später sehen, daß
-hier gerade ein Ansatzpunkt für das kaufmännisch anders geartete und
-modernere System Emil Rathenaus lag.
-
-Schon der unternehmerische Wagemut, den damals die Firma Siemens &
-Halske an den Tag legte und der die Grenzen der Firma immer weiter ins
-Weltwirtschaftliche und Großbetriebliche hinausschob, sagte Halske,
-dem ersten Sozius Werner Siemens und Mitbegründer der Firma nicht zu.
-Sein ehrlicher, gediegener, aber immerhin begrenzter und ängstlicher
-Geist liebte nur Geschäfte, die er überblicken konnte. Wohl fühlte er
-sich nur in kleineren Dimensionen, das andere schien ihm ein Wagen,
-das dem Hazardieren verwandt war. Darum schied er im Jahre 1868 aus
-der Firma, der er in den ersten Jahren ihres Bestehens als geschickter
-und tüchtiger Feinmechaniker hatte treffliche Dienste leisten können,
-die ihm aber entwachsen war, seitdem sich die Firma handwerkliche
-Talente, wie er eins war, zu Dutzenden gegen mäßige Bezahlung halten
-konnte. An Bedeutung für das Geschäft war Halske schon lange hinter
-Siemens Jugendfreund William Meyer, der jahrelang die Stellung eines
-Oberingenieurs und Prokuristen bekleidet hatte, zurückgeblieben. Meyers
-Nachfolger, der frühere Leiter des Hannoverschen Telegraphenwesens Karl
-Frischen, überragte als Persönlichkeit Halske noch beträchtlicher.
-Endlich wuchs in der Person des Herrn v. Hefner-Alteneck, der aus
-dem jüngeren Schülerstabe Werner Siemens stammend, als Chef des
-Konstruktionsbureaus tätig war, eine Kraft heran, der als technischer
-Erfinder in der Folgezeit Bedeutendes leisten sollte und als
-Konstrukteur neben Werner Siemens wohl bestehen konnte. Damit war
-Halskes Platz als erster Mitarbeiter Werner Siemens in einer dem neuen
-Charakter des Geschäfts entsprechenden Weise schon lange besetzt
-worden, ehe er ihn noch verlassen hatte.
-
-Alles was die Firma Siemens & Halske, was die Elektrizitätsindustrie
-in der vergangenen Periode geleistet hatte, was auch noch
-den Hauptinhalt des nächsten Jahrzehnts bildete, gehörte der
-+Schwachstromindustrie+, das heißt der Erzeugung von Elektrizität
-auf +chemischem Wege+ an. In Deutschland waren in dieser ersten
-Blüteperiode der Elektrizitätsindustrie nur verhältnismäßig wenige
-größere Firmen neben Siemens & Halske tätig. Bedeutung erwarben
-außerdem eigentlich nur die Firmen Felten & Guilleaume in Mülheim a.
-Rh., Gebr. Naglo und H. Poege in Chemnitz. Im übrigen gab es wohl
-eine ganze Anzahl von kleinen Betriebswerkstätten, die mit wenigen
-Arbeitern auskamen, und sich auf die Anfertigung von Apparaten,
-kleineren Telegraphenanlagen, Instrumenten usw. beschränkten. Über
-eine nationale, kaum lokale Bedeutung gingen aber diese Betriebe
-nicht hinaus. Wie wenig auch Siemens & Halske damals noch trotz
-ihres internationalen, weit ausgesponnenen Geschäfts dem entsprachen,
-was wir heute unter einem Großunternehmen verstehen, geht daraus
-hervor, daß diese Firma im Jahre 1869 nur 250, im Jahre 1875 nur
-600 Arbeiter beschäftigte, eine Anzahl, die ungefähr die Hälfte der
-damals in der ganzen deutschen Elektrizitätsindustrie verwandten
-Arbeiter darstellte. Die überragende Bedeutung der Firma Siemens &
-Halske in dieser Periode hatte insofern ihr gutes, als der deutschen
-Elektrizitätsindustrie dadurch die konjunkturellen Ausschreitungen und
-die darauf folgende Krise erspart blieben, die in den anderen damals
-industriell weiter entwickelten Ländern infolge der Übergründungen
-elektrotechnischer Unternehmungen unausbleiblich gewesen waren. Die
-erste der großen elektrotechnischen Krisen berührte infolgedessen
-Deutschland nur verhältnismäßig wenig. Am stärksten hatte sie England
-betroffen, wo die industrielle Elektrotechnik namentlich nach den
-ersten großen Erfolgen des Kabelbaus mit einer Hochflut von Gründungen
-und Projekten eingesetzt hatte. Die hohen Dividenden der ersten
-Kabelunternehmungen hatten zur Nachahmung angestachelt, und das
-Publikum riß sich förmlich um die Papiere von Aktiengesellschaften, die
-irgend etwas mit Elektrizität zu tun hatten. Da die Aktien nach dem
-englischen Gesetz auf den kleinen Betrag von 1 Pfd. Sterl. ausgegeben
-werden konnten, ergriff das elektrische Spekulationsfieber auch die
-kleinsten Kapitalistenschichten. Ein Börsenkrach fegte diese ungesunden
-Auswüchse schließlich fort und die englische Regierung hielt es
-für richtig, als im Jahre 1880 mit der Lichtelektrizität ein neues
-Feld für Gründungen auf elektrotechnischem Gebiete sich zu eröffnen
-schien, mit einem beschränkenden Gesetz, der Electric Lighting Act,
-einzugreifen. Durch dieses Gesetz, das elektrische Beleuchtungsanlagen
-für die Dauer von 20 Jahren als ein Monopol der Regierung erklärte,
-wurde aber nicht nur die Entwicklung der Gründerei und Spekulation,
-sondern auch die der elektrotechnischen Industrie behindert, was sich
-in den kommenden Zeiten der zweiten elektrotechnischen Blüteperiode,
-in der die +Starkstrom-Industrie+ zur Geltung kam, als ein
-schwerer Nachteil für England erwies. Die großen Erfolge der deutschen
-Starkstromindustrie, die dieser die unbestrittene Führung in Europa
-sicherten, sind einmal dadurch ermöglicht worden, daß in Deutschland
-dank der soliden Vorherrschaft der Firma Siemens & Halske kein
-kapitalistischer Zusammenbruch den Enthusiasmus für elektrische
-Gründungen abgekühlt hatte; dann aber auch dadurch, daß England, das
-gegebene Hauptwettbewerbsland, schon unangenehme Erfahrungen mit der
-industriellen Elektrotechnik hinter sich hatte, von denen sich weder
-die Regierung, noch das Publikum im richtigen Augenblick befreien
-konnten.
-
-Das große historische Verdienst Werner v. Siemens lag nicht nur
-in der hervorragenden Mitwirkung, die er der Entwicklung der
-Schwachstromtechnik hatte angedeihen lassen, sondern in der
-+schöpferischen Wendung+, die er der +Starkstromtechnik+ durch seine
-grundlegende Erfindung des sogenannten +dynamo-elektrischen+ Prinzips
-im Jahre 1866 gegeben hatte. Dieses Prinzip besteht darin, daß
-Elektrizität nicht wie beim Schwachstrom auf chemischem Wege (durch
-Elemente oder Batterien), sondern auf physikalischem Wege durch die
-elektromagnetische Induktionsmaschine erzeugt wird. Werner v. Siemens
-schildert seine Versuche auf diesem Gebiete und die Ergebnisse,
-zu denen er durch sie gelangte, in seinen Lebenserinnerungen
-folgendermaßen:
-
-„Bereits im Herbst des Jahres 1866, als ich bemüht war, die
-elektrischen Zündvorrichtungen mit Hilfe meines Zylinderinduktors
-zu vervollkommnen, beschäftigte mich die Frage, ob man nicht durch
-geschickte Benutzung des sogenannten Extrastromes eine wesentliche
-Verstärkung des Induktionsstromes hervorbringen könnte. Es wurde mir
-klar, daß eine elektromagnetische Maschine, deren Arbeitsleistung durch
-die in ihren Windungen entstehenden Gegenströme so außerordentlich
-geschwächt wird, weil diese Gegenströme die Kraft der wirksamen
-Batterie beträchtlich vermindern, umgekehrt eine Verstärkung der
-Kraft dieser Batterie hervorrufen müßte, wenn sie durch eine äußere
-Arbeitskraft in der entgegengesetzten Richtung gewaltsam gedreht
-würde. Dies mußte der Fall sein, weil durch die umgekehrte Bewegung
-gleichzeitig die Richtung der induzierten Ströme umgekehrt wurde. In
-der Tat bestätigte der Versuch diese Theorie, und es stellte sich
-dabei heraus, daß in den feststehenden Elektromagneten einer passend
-eingerichteten elektromagnetischen Maschine immer Magnetismus genug
-zurückbleibt, um durch allmähliche Verstärkung des durch ihn erzeugten
-Stromes bei umgekehrter Drehung die überraschendsten Wirkungen
-hervorzubringen.
-
-Es war dies die Entdeckung und erste Anwendung des allen
-dynamo-elektrischen Maschinen zu Grunde liegenden dynamo-elektrischen
-Prinzips. Die erste Aufgabe, welche dadurch praktisch gelöst wurde,
-war die Konstruktion eines wirksamen elektrischen Zündapparates ohne
-Stahlmagnete, und noch heute werden Zündapparate dieser Art allgemein
-verwendet. Die Berliner Physiker, unter ihnen Magnus, Dove, Rieß, du
-Bois-Reymond, waren äußerst überrascht, als ich ihnen im Dezember
-1866 einen solchen Zünderinduktor vorführte und an ihm zeigte, daß
-eine kleine elektromagnetische Maschine ohne Batterie und permanente
-Magnete, die sich in einer Richtung ohne allen Kraftaufwand und in
-jeder Geschwindigkeit drehen ließ, der entgegengesetzten Drehung einen
-kaum zu überwindenden Widerstand darbot und dabei einen so starken
-elektrischen Strom erzeugte, daß ihre Drahtwindungen sich schnell
-erhitzten.“
-
-Die Priorität der Siemensschen Erfindung ist bald nach ihrer
-Bekanntgabe von verschiedenen Seiten bestritten worden. Die Engländer
-Wheatstone und Varley nahmen für sich die Gleichzeitigkeit der Idee
-in Anspruch. Immerhin hat Werner v. Siemens das dynamo-elektrische
-Prinzip zuerst literarisch dargestellt, konstruktiv mit Hilfe des
-sogenannten Doppel-T-Ankers ausgeführt, und ihm den Namen gegeben.
-Sein Verdienst wird nicht geschmälert, wenn man selbst annimmt, daß er
-etwas erfunden habe, was damals in dem Gang der wissenschaftlichen und
-technischen Entwicklung logisch begründet und sozusagen in der Luft
-lag. Dies zeigt im Gegenteil, daß seine Erfindung systematischer Arbeit
-und folgerichtigem Denken, nicht einem Zufall ihr Dasein verdankt.
-Richtig ist hingegen, daß Werner v. Siemens weder die Dynamomaschine
-zu voller praktischer Brauchbarkeit entwickelt, noch den ganzen
-Umfang ihrer industriellen Nutzungsmöglichkeit erkannt und mit der
-sonst bei ihm gewohnten Energie zu verwirklichen gesucht hat. Sein
-Gedanken- und Arbeitskreis war doch wohl zu sehr von den Problemen der
-Schwachstromtechnik erfüllt, seine Kraft zu sehr von der lebenslangen
-Beschäftigung mit ihr absorbiert, als daß er sich dem Neuland der
-Starkstromtechnik hätte mit unverminderter Schaffensfähigkeit zuwenden
-können. Dazu gehörte eine unverbrauchte Frische, eine Jugend mit
-Zukunftsaugen, nicht der Rest eines mit Arbeit und Gedanken überfüllten
-Lebens.
-
-Die praktische Verwertbarkeit der Dynamomaschine wurde gefördert
-durch die Einführung des sogenannten Pacinottischen Ringankers und des
-Hefnerschen Wickelungssystems (Trommelanker), aber erst Gramme baute
-im Jahre 1869 die erste wirklich gut funktionierende und industriell
-brauchbare Dynamomaschine, die kontinuierlichen Gleichstrom erzeugte.
-Werner v. Siemens hat selbstverständlich als der bedeutende Techniker
-und der klare Kopf, der er war, erkannt, daß die neue Erfindung
-eine große Tragweite besitze. An seinen Bruder Wilhelm schrieb er
-schon im Jahre 1866: „Die Effekte der dynamo-elektrischen Maschine
-müssen bei geeigneter Konstruktion kolossale werden. Die Sache ist
-sehr ausbildungsfähig und kann eine neue Ära des Elektromagnetismus
-anbahnen. Magnet-Elektrizität wird billig werden und kann nun zur
-Lichterzeugung, für elektrochemische Zwecke, ja selbst wieder zum
-Betriebe von kleinen elektromagnetischen Maschinen zum Vorteil
-verwandt werden.“ -- Man sieht, das sind Worte, in denen die höchsten
-Erwartungen und Hoffnungen sich widerspiegeln, aber es ist merkwürdig,
-die Hand Werner v. Siemens war bei den Ausführungsmaßnahmen auf dem
-neuen, als gewaltig erkannten Gebiet nicht mehr so sicher, fest
-und glücklich wie früher, die Phantasie arbeitete nicht mehr so
-hoffnungsfreudig und kühn, und die Durchführung wirkt sozusagen kleiner
-als der Gedanke. Wenn Werner v. Siemens auch recht wohl erkannte, daß
-die Erzeugung starker Gleichströme und großer Strommengen für die
-Lichterzeugung von großer Bedeutung sein werde, so sah er doch auf
-diesem Gebiete hauptsächlich nur die äußerlich pompöse Bogenlampe, die
-in den 70er Jahren erfunden worden war, und für die Siemens & Halske in
-der Hefner-Alteneckschen Differential-Lampe ein besonders gutes Modell
-besaßen. Die unscheinbarere, aber für die elektrische Beleuchtung viel
-wichtiger gewordene Glühlampe lehnte Siemens nicht gerade ab. Er ließ
-sich, als Emil Rathenau mit genialem Blick die großartige Zukunft
-dieser Lampe erkannt hatte und zu ihrer Einführung in Deutschland die
-Unterstützung der damals maßgebenden deutschen elektrotechnischen Firma
-nachsuchte, sogar ziemlich leicht von ihrem Wert überzeugen, aber seine
-ganze Stellung zur Glühlampe war doch mehr passiv. Sie mußte ihm erst
-plausibel gemacht, fast aufgedrängt werden. Er riß sie nicht an sich,
-wie er vor 30 Jahren den Telegraphen an sich gerissen hatte. Auch von
-der gewaltigen quantitativen Ausdehnungsfähigkeit der Dynamomaschine
-machte er sich nicht das richtige Bild. Als Emil Rathenau, der in
-den ersten Jahren seiner Tätigkeit für die Edison-Gesellschaft die
-Maschinen vertragsgemäß bei Siemens & Halske bauen lassen mußte, von
-Siemens bis dahin unerhört große Maschinentypen verlangte, sah ihn
-der große Konstrukteur verwundert, und fast geringschätzig wie einen
-überspannten Dilettanten an, und sagte ihm: „Gewiß, bauen kann ich
-Ihnen solche Maschinen, aber gehen werden sie nicht.“ Emil Rathenau
-ließ die Maschinen schließlich aber doch bauen, und sie gingen nicht
-nur, sondern es gingen auch noch solche, neben denen sich seine ersten
-heute als Zwerge ausnehmen würden. Emil Rathenau reichte als positiver
-Techniker auch nicht entfernt an Werner v. Siemens heran, aber in
-diesen Dingen und zu diesen Zeiten hatte er den größeren technischen
-Weitblick.
-
-Auch im Kaufmännischen ging Werner v. Siemens nicht ganz mit der
-aufkommenden neuen Zeit mit, wenngleich ein Unternehmen, wie das von
-Siemens & Halske naturgemäß genug innere Triebkraft und Elastizität
-besaß, um seine Stellung -- allerdings hier und da nach einigem Zaudern
--- allen Methoden der Konkurrenz gegenüber zu verteidigen, und wo
-es nottat, sich ihnen anzupassen. Einrosten ließ diese Firma ihren
-Betrieb auch auf der Höhe der Entwicklung nicht, lebendig blieb ihr
-Geschäft auch in der Folgezeit, aber das +Bahnbrechende+ ging doch
-in mancher Hinsicht verloren. Das Kämpfen wurde nicht verlernt, aber
-doch das Angreifen und Erobern. Die Zeiten, in denen Werner Siemens
-nacheinander sechs Außenseiterlinien gegen den englischen Kabelring
-aufbot, und immer eine neue Linie begann, wenn sich der Ring mit der
-früheren verglichen hatte, wichen ruhigeren Perioden, in denen nicht
-das Erringen des Besitzes, sondern seine Wahrung dem Ganzen den Stempel
-aufdrückte. Das lag sozusagen an der zunehmenden „Klassizität“, in die
-sich Werner v. Siemens hineinwuchs. Der Grundzug seines Wesens war
-ja nie loderndes Temperament, heiße Flamme gewesen, wie sie manchmal
-auch Grauköpfe noch zu Ausbrüchen, Überraschungen, Neuerungen bringen
-mögen. Die ruhige Wärme, die gleichmäßige Kraft, die seiner ganzen
-Natur eigen war, gaben seinem reifen Alter etwas Zurückhaltendes,
-in sich Geschlossenes, manchmal Abweisendes. Eine gewisse --
-wenigstens äußere -- Abkühlung war bei Menschen seines Schlages
-mit den zunehmenden Jahren nicht zu vermeiden. Wir haben bereits
-früher einmal gesagt, daß Werner v. Siemens in der Mitte zwischen
-Wissenschaft und Technik stand und durch die eine die andere zu erobern
-trachtete. In seinen späteren Jahren suchte er immer tiefer von dem
-Technischen in das Wissenschaftliche vorzudringen, und wie ernst seine
-Wissenschaftlichkeit nicht nur war, sondern auch von der Zunft und
-ihren Königen genommen wurde, zeigt sich darin, daß Männer wie Magnus,
-Dove, du Bois und Helmholtz ihm eng befreundet waren und ihn durchaus
-als ihresgleichen betrachteten. Du Bois-Reymond sagte von ihm, daß er
-nach Beanlagung und Neigung in weit höherem Maße der Wissenschaft als
-der Technik angehöre und Werner Siemens war mit dieser Charakteristik
-durchaus zufrieden. Er wurde philosophischer Ehrendoktor, Mitglied
-der Akademie der Wissenschaften, und war als solches nicht nur
-genötigt, sondern auch gern bereit, sich über Probleme der angewandten
-technischen Wissenschaft hinaus, auch mit rein naturwissenschaftlichen
-Untersuchungen und Arbeiten allgemeiner Art zu beschäftigen. Diese
-Beschäftigung und dieser Umgang mußten auch auf die kaufmännische Seite
-seiner Tätigkeit zurückwirken. Er wurde als Kaufmann sehr vornehm, und
-als der alte Kaiser Wilhelm ihm durch die Ernennung zum Kommerzienrat
-eine Ehre erweisen wollte, bemerkte er ablehnend zu dem Beauftragten
-des Monarchen: „Premierleutnant, Dr. phil. honoris causa und
-Kommerzienrat vertrügen sich nicht, das mache ja Leibschmerzen.“ -- Es
-wäre indes völlig falsch, wenn man Werner Siemens, wie dies hier und da
-geschehen ist, kaufmännische Talente und Neigungen absprechen wollte.
-Er besaß sie in hohem Maße, wie sich schon in seiner ersten Periode der
-technischen Erfindungen, für die er mit großer Geschäftsgewandtheit
-noch als Offizier sofort die richtige kaufmännische Ausnutzung
-zu finden wußte, hinlänglich gezeigt hat; wie noch stärker die
-spätere meisterhafte Ausnutzung aller nationalen und internationalen
-Kaufmannschancen bewies. Man vergleiche damit z. B. die Weltfremdheit,
-mit der ein Gauß auf jede kommerzielle Verwertung seines Telegraphen
-verzichtet hatte, man vergleiche damit auch moderne Erfinder, wie
-Nernst, Röntgen, Ehrlich usw., die zwar -- im Zeitalter der technischen
-Ausnutzung -- sehr wohl verstanden, Industrielle für ihre Entdeckungen
-zu interessieren und Kapital aus ihnen zu schlagen, aber trotzdem
-Gelehrte gewesen und geblieben sind. Werner Siemens war -- das kann
-man auch seiner eigenen anders lautenden Ansicht gegenüber aufrecht
-erhalten -- im Kerne seines Wesens vor allem nicht nur praktischer
-Techniker, sondern auch praktischer Kaufmann. Er beherrschte nicht nur
-die großen, sondern auch die kleinen kaufmännischen Mittel und konnte
-nicht nur klug, sondern auch gerissen sein. Erst nachdem er sich in
-diesen Richtungen so weit ausgelebt hatte, als es die Bedingungen
-seiner Zeit und seine Veranlagung erlaubten, gab er der +dritten
-Fähigkeit+ seiner reichen Natur freie Bahn, die vielleicht nicht
-die innerste, aber doch die innerlichste seines Wesens war, in der
-er am reinsten und klarsten zu einer Vertiefung und Sammlung seiner
-Gedankenarbeit, zu einem einheitlichen, geschlossenen Wissensbild, zu
-einer Klarheit über sich, die Wurzeln und Kräfte seiner Welt gelangen
-konnte. Diese Verinnerlichung und Veredelung seines Wesens, die
-gewiß nur wenig mit Akademikerstolz, mit geschmeichelter Eitelkeit
-des wissenschaftlich Anerkannten zu tun hatte, ehrt den Menschen
-Siemens gewiß; diese schließliche seelische Intensivierung ist
-keine geringe ethische Leistung für einen von Hause aus praktisch
-veranlagten Menschen, dessen Leben lange Zeit im Zeichen der äußersten,
-vielgestaltigsten Expansion gestanden hatte. Dem industriellen Kaufmann
-und seinem Unternehmen hat sie naturgemäß nicht in gleicher Weise zum
-Vorteil gereicht.
-
-Die Starkstromtechnik brachte bald das zu Wege, was in den Zeiten der
-Schwachstromtechnik -- wenigstens in Deutschland -- nicht gelungen war.
-Es entstand neben Siemens & Halske eine ganze Reihe von Unternehmungen,
-die sich im industriellen Großbetrieb der Elektrotechnik zuwandten.
-Auf dem Gebiete des Telegraphen und des Kabels hatten die Verhältnisse
-so gelegen, daß zur Gründung von Betrieben, die den Bau von großen
-Telegraphenlinien und Kabelverbindungen für fremde oder auch für
-eigene Rechnung unternehmen wollten, umfangreiche Kapitalien und
-eingehende Erfahrungen nötig waren. An solche Aufgaben traute man
-sich in Deutschland, besonders angesichts des Vorsprungs, den Siemens
-& Halske darin erworben hatten, nicht heran. Für die Herstellung von
-Apparaten, Instrumenten und Materialien der Schwachstromindustrie
-genügten aber kleinere Mechanikerbetriebe, die der großgewerblichen
-Methoden entraten konnten, da es auf die feinmechanische Arbeit, nicht
-auf die Maschinentechnik ankam. Dies wurde mit einem Schlage anders,
-als die Starkstromtechnik auf dem Plane erschien. Dynamomaschinen,
-elektrische Lampen usw. ließen sich nur in fabrikmäßigen Betrieben
-herstellen. Hierzu waren aber weder -- wenigstens in der ersten Zeit
--- besonders große Kapitalien nötig, noch war die weit überlegene
-Konkurrenz älterer Fabriken zu überwinden. Die Firma Siemens & Halske
-mußte hier genau so von vorn anfangen, wie alle anderen Fabriken, und
-es gab eine ganze Menge von Fachleuten, die in der Maschinentechnik
-ebenso große, vielleicht noch größere Vorkenntnisse besaßen, als die
-Ingenieure dieser Firma. Gegen Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre
-entstanden infolgedessen mehrere elektrotechnische Fabriken, die sich
-vornehmlich der Starkstromindustrie zuwandten. Von ihnen sind besonders
-zu erwähnen die Elektrizitätsgesellschaft vorm. Schuckert und die
-Deutschen Elektrizitätswerke Garbe, Lahmeyer & Co., die später in die
-Kommanditges. und schließlich in die Elektrizitäts-Aktiengesellschaft
-W. Lahmeyer & Co. überführt wurde. Ihre Entstehung hat mit der
-Lichtelektrizität, die -- ihrerseits vorbereitet durch die Konstruktion
-der Dynamomaschine -- wiederum eine Reihe weiterer Unternehmungen wie
-die Deutsche Edison-Ges. (A. E. G.), die Helios-Elektrizitäts-Ges., die
-Elektrizitäts-Akt.-Ges. Kummer ins Leben rief, noch nicht viel zu tun.
-Jene Gründungen -- Schuckert und Lahmeyer -- beruhten hauptsächlich
-auf der Fabrikation von Dynamomaschinen. Besonders die Entwicklung
-der Schuckertschen Fabrik illustriert deutlich die Bedeutung, die die
-praktische Ausgestaltung der Dynamomaschine für die geschäftlichen
-Aussichten neuer Unternehmungen in der Elektrizitätsindustrie gehabt
-hat.
-
-Johann Sigmund Schuckert gehört zu den interessanteren Persönlichkeiten
-der deutschen Elektrizitätsindustrie, und darum seien seinem
-ungewöhnlichen Lebens- und Entwicklungsgang einige Worte gewidmet.
-Schuckert hat keine Ingenieurbildung erhalten, sondern er stammte aus
-ganz einfacher Mechanikerlaufbahn, und ist in dieser Hinsicht von allen
-bekannten Persönlichkeiten der deutschen Elektrizitätsindustrie am
-meisten Halske ähnlich. Während dieser aber alles, was er geworden ist,
-seinem Sozius Siemens verdankte, dessen fortreißende Persönlichkeit den
-für bescheidene Verhältnisse Geschaffenen über die ihm sonst gesetzten
-Grenzen hinaushob, ohne ihn doch auf der erreichten Höhe heimisch
-machen zu können, besaß Schuckert die +Energien des Auftriebs+
-in sich selbst. In einer mechanischen Werkstätte seiner Vaterstadt
-Nürnberg duldete es ihn nur gerade die drei Lehrjahre. Dann ging er
-auf die Wanderschaft durch eine Reihe von größeren deutschen Städten.
-In Berlin arbeitete er eine Zeitlang im Betriebe von Siemens & Halske.
-Allmählich brachte er es bis zum Werkmeister, die Mußestunden, die ihm
-seine Berufsarbeit ließ, zu seiner technischen Fortbildung benutzend.
-Sein Wandertrieb führte ihn schließlich nach Amerika, wo er auch
-bei Edison tätig war. Im Jahre 1873 kehrte er nach Nürnberg zurück,
-wo er eine kleine Werkstätte errichtete und sich mit der Reparatur
-von Nähmaschinen und der Herstellung von Instrumenten und Apparaten
-beschäftigte, die er zum Teil selbst konstruierte oder verbesserte.
-Seine Fabrikate verleugneten nicht den Fachmann, der die Elemente
-der Feinmechanik nicht nur technisch, sondern auch handwerklich bis
-ins Kleinste studiert hatte. Im Jahre 1875 baute er seine erste
-Dynamomaschine, und die vorzüglichen Eigenschaften, die sie besaß,
-schufen seinen Erzeugnissen Ruf, seinem Geschäft die Grundlage für den
-Aufschwung. Auch die Bogenlampe und später die Glühlampe traten hinzu,
-wodurch sich das Unternehmen allmählich zum größeren elektrotechnischen
-Etablissement auswuchs, das in Alexander Wacker einen tüchtigen
-Kaufmann fand, der die technische Arbeit Schuckerts so lange glücklich
-ergänzte, als er sich nicht zu unbeherrschten Experimenten hinreißen
-ließ.
-
-In technischer und kaufmännischer Hinsicht richteten sich die
-meisten der damals neugegründeten Firmen bis zum Beginn der 90er
-Jahre noch immer nach dem +Vorbild+ von Siemens & Halske, die
-damals ihren Vorrang noch unbestritten behaupteten. Sie begannen als
-offene Handelsgesellschaften und sobald es galt, ihnen eine straffere
-handelsrechtliche Form zu geben, bedienten sie sich der Rechtsnatur
-der +Kommanditgesellschaft+, die auch Siemens & Halske (Inhaber
-Werners Bruder Karl und Werners Söhne Arnold und Wilhelm) nach dem
-im Jahre 1890 erfolgten Austritt Werner v. Siemens aus der Firma
-gewählt hatten. Erst später, als die A. E. G. sich immer stärker mit
-ihren neuen Geschäftsmethoden an die Seite von Siemens & Halske und
-an dieser vorbei in den Vordergrund schob, wurde auch für die anderen
-Unternehmungen der Elektrizitätsindustrie die +Aktiengesellschaft+
-die gegebene Form, für die sich Emil Rathenau schon bei der Gründung
-seiner Gesellschaft im Jahre 1883 ohne Zögern, und ohne an irgend
-welche Vorbilder zu denken, entschieden hatte. Selbst Siemens &
-Halske konnten schließlich nicht umhin, ihr Unternehmen auch in
-dieser Hinsicht ihrer jüngeren Konkurrenz anzupassen und wandelten
-im Jahre 1897 ihre Kommanditgesellschaft als letzte der großen
-Elektrizitätsfirmen in eine Aktiengesellschaft um. Der Typ Rathenau
-hatte endgültig gesiegt. Werner v. Siemens, der im Jahre 1892 gestorben
-war, hatte diesen Umschwung allerdings nicht mehr erlebt. Ob er ihn
-gebilligt hätte, ist schwer zu sagen. Noch im Jahre 1889, als er
-seine Lebenserinnerungen schrieb, äußerte er sich über die Frage der
-rechtlichen Form von gewerblichen Unternehmungen folgendermaßen:
-
- „Es führt mich dies auf die Frage, ob es überhaupt dem
- allgemeinen Interesse dienlich ist, daß sich in einem Staate
- große Geschäftshäuser bilden, die sich dauernd im Besitze der
- Familie des Begründers erhalten. Man könnte sagen, daß solche
- großen Häuser dem Emporkommen vieler kleineren Unternehmungen
- hinderlich sind und deshalb schädlich wirken. Es ist das gewiß in
- vielen Fällen auch zutreffend. Überall, wo der Handwerksbetrieb
- ausreicht, die Fabrikation exportfähig zu erhalten, wirken große
- konkurrierende Fabriken nachteilig. Überall dagegen, wo es sich
- um die Entwicklung neuer Industriezweige und um die Eröffnung des
- Weltmarktes für schon bestehende handelt, sind große zentralisierte
- Geschäftsorgane mit reichlicher Kapitalansammlung unentbehrlich.
- Solche Kapitalansammlungen lassen sich heutigen Tages für
- bestimmte Zwecke allerdings am leichtesten in der Form von
- Aktiengesellschaften herbeiführen, doch können diese fast immer nur
- reine Erwerbsgesellschaften sein, die schon statutenmäßig nur die
- Erzielung möglichst hohen Gewinnes im Auge haben dürfen. Sie eignen
- sich daher nur zur Ausbeutung von bereits vorhandenen, erprobten
- Arbeitsmethoden und Einrichtungen. Die Eröffnung neuer Wege ist
- dagegen fast immer mühevoll und mit großem Risiko verknüpft,
- erfordert auch einen größeren Schatz von Spezialkenntnissen und
- Erfahrungen, als er in den meist kurzlebigen und ihre Leitung
- oft wechselnden Aktiengesellschaften zu finden ist. Eine solche
- Ansammlung von Kapital, Kenntnissen und Erfahrungen kann sich nur
- in lange bestehenden, durch Erbschaft in der Familie bleibenden
- Geschäftshäusern bilden und erhalten. So wie die großen
- Handelshäuser des Mittelalters nicht nur Geldgewinnungsanstalten
- waren, sondern sich für berufen und verpflichtet hielten, durch
- Aufsuchung neuer Verkehrsobjekte und neuer Handelswege ihren
- Mitbürgern und ihrem Staate zu dienen, und wie dies Pflichtgefühl
- sich als Familientradition durch viele Generationen fortpflanzte,
- so sind heutigen Tages im angebrochenen naturwissenschaftlichen
- Zeitalter die großen technischen Geschäftshäuser berufen, ihre
- ganze Kraft dafür einzusetzen, daß die Industrie ihres Landes im
- großen Wettkampfe der zivilisierten Welt die leitende Spitze, oder
- wenigstens den ihr nach Natur und Lage ihres Landes zustehenden
- Platz einnimmt.“
-
-Man sieht also, Werner v. Siemens fühlt das Bedürfnis, sich und
-seinen Typus des großindustriellen Geschäftshauses noch nach zwei
-Seiten hin zu verteidigen, einmal gegenüber dem von ihm überwundenen
-+Handwerksbetrieb+, den er zur Zeit seiner Anfänge in Deutschland
-noch als den herrschenden vorgefunden hatte, ferner gegenüber dem
-Aktienbetrieb, der damals schon im Begriff war, seinen Typus zu
-überwinden. Inzwischen hat sich gezeigt, daß die Nachteile, die er
-den Aktiengesellschaften zuschreibt, nämlich die Notwendigkeit, hohe
-Gewinne zu erzielen und +auszuschütten+, dieser Rechtsform
-zwar anhaften können, aber nicht anzuhaften brauchen. Es gibt
-Aktiengesellschaften, die Gewinne ebenso zurückzuhalten und im
-Betriebe weiterarbeiten zu lassen verstehen, wie Privathäuser.
-Man braucht gar nicht einmal an die Friedrich Krupp Akt.-Ges., an
-die Thyssenschen, Hanielschen Unternehmungen und an viele andere
-zu denken, deren Aktien sich in einer Hand oder in den Händen
-einer geschlossenen Gruppe befinden. Wir wissen jetzt, daß auch
-die eigentlichen Aktiengesellschaften, die nicht Privathäuser
-in Aktiengesellschaftsform, sondern republikanische Gebilde mit
-zersplittertem Aktienbesitz sind, die Nachteile, die ihnen Werner
-v. Siemens zuschreibt, sehr wohl vermeiden und über das jeweilige
-Aktionärinteresse hinaus bei zweckentsprechender Verwaltung eine solide
-+Innenkultur+ treiben können. Diesen Beweis hat kein anderer
-so glänzend erbracht, wie der zweite große technische Kaufmann der
-deutschen Elektrizitätsindustrie: Emil Rathenau.
-
-
-
-
-Fünftes Kapitel
-
-Licht
-
-
-Emil Rathenau benutzte, wie wir schon gehört haben, die Zeit
-zwischen seinen beiden Arbeitsperioden viel zu Reisen, die teils
-der Unterrichtung, teils der Erholung dienten. Auch der schwankende
-Gesundheitszustand seines zweiten Sohnes Erich, der seit einer
-schweren Erkältung, die er sich auf dem Eise zugezogen hatte, an einer
-Herzkrankheit litt, veranlaßte die Familie, häufig Kurorte und Bäder
-aufzusuchen. Es mag vielleicht nur ein eigenartiger +Zufall+ sein,
-daß Emil Rathenau, ebenso wie er sich die entscheidenden Anregungen
-für neue Phasen seiner beruflichen Tätigkeit auf Reisen holte -- in
-England, von den Weltausstellungen in Philadelphia und Paris --,
-auch die wichtigsten persönlichen Beziehungen auf Reisen anknüpfte.
-Die Ausnutzung solcher Zufälle, in mancher Hinsicht möglicherweise
-auch die geeignete Prädisposition für ihre Herbeiführung, ist aber
-doch zweifellos von der „Reisestimmung“ begünstigt worden. Die
-größere Freiheit und Leichtigkeit der veränderten Atmosphäre, die
-Losgebundenheit von der latenten Trägheit, in die auch dieser Arbeiter
-trotz aller in ihm wirkenden Energien des Gedankens und der Tat
-ebenso wie andere Mitglieder seiner Familie gelegentlich verfallen
-konnte, wenn sein Leben sich in gewohnten Gleisen ohne zwingende
-Arbeitsnötigung hinspann, erfrischten und verjüngten ihn, hoben seine
-Entschlußkraft und sein Selbstvertrauen. „Geistige Luftveränderung“
-ist ihm stets sehr gut bekommen, so wenig auch für ihn ein dauernder
-Ortswechsel denkbar war. Wir werden später sehen, daß Emil Rathenau
-die finanzielle Beihilfe zur Gründung seiner Deutschen Edison
-Gesellschaft einer zufälligen Begegnung in Bad Langenschwalbach
-verdankte. Auch die Anknüpfung näherer Beziehungen zu Werner v.
-Siemens, die so wichtig für ihn werden sollten, vollzog sich auf
-einer Schweizer Reise. Kennen gelernt hatte Rathenau den Altmeister
-der deutschen Elektrizität, wie wir schon berichteten, bereits lange
-vorher, als er noch Besitzer der Maschinenfabrik Webers war. Am
-Anfang der 70er Jahre hatte Emil Rathenau mit Siemens, Schwartzkopff
-und anderen der kleinen Vereinigung Berliner Fabrikanten angehört,
-die durch patriarchalische Wohlfahrtseinrichtungen, wie den Bau von
-Arbeiterhäusern gehofft hatten, der jungen sozialdemokratischen
-Bewegung den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Die Bekanntschaft
-war damals aber nur ziemlich oberflächlicher Art gewesen. Zwischen
-dem berühmten technischen Industriellen und dem bescheidenen jungen
-Fabrikbesitzer war es zu einem näheren Verkehr nicht gekommen.
-Immerhin war die frühere Beziehung dazu hinreichend, daß sich Werner
-v. Siemens des damaligen Vereinsgenossen erinnerte, als dieser auf der
-Rückreise vom Engadin in Bad Alveneu mit ihm zusammentraf. Nach dem
-Mittagessen entspann sich eine zunächst wohl konventionell einsetzende,
-dann allmählich wärmer werdende Unterhaltung. Man erörterte die
-Möglichkeiten des damals aufkommenden elektrischen Lichts. Rathenau,
-der gerade über Zukunftsprobleme zündend zu sprechen wußte, beklagte
-die Rückständigkeit Berlins in der elektrischen Beleuchtung gegenüber
-Paris, wo die Avenue de l’opéra und die Place de la Concorde jeden
-Abend im Glanz von Jablochkoff-Kerzen erstrahlten. Emil Rathenau,
-der sich -- wie wir wissen -- vorübergehend selbst mit dem Plan, die
-Jablochkoff-Patente für Deutschland zu erwerben, beschäftigt, die Idee
-aber bald wieder fallen gelassen hatte, warf die Bemerkung hin, daß die
-Leipziger Straße mit Hefner-Altenecks Differential-Lampen beleuchtet,
-die französische Hauptstadt in Schatten stellen würde. Werner v.
-Siemens gefiel die Anregung, vielleicht schmeichelte sie ihm auch nur,
-und er lud Rathenau ein, in Berlin weiter darüber zu sprechen. Bei
-seinem Besuch begleitete er Rathenau zur Tür des Chefkonstrukteurs,
-mit dem Rathenau persönlich bekannt war, seitdem er für die erste
-von Siemens & Halske konstruierte elektrische Scheinwerferanlage die
-Dampfmaschine geliefert hatte. Hefner-Alteneck, der merkwürdigerweise
-seiner eigenen Erfindung nur eine beschränkte praktische Entwickelung
-zuzutrauen schien, fragte Rathenau skeptisch, ob ihm der Alte gesagt
-hätte, wie er die Aufgabe zu lösen denke oder ob er selbst es wisse.
-Ihm sei das Problem schleierhaft. Hefner-Alteneck dachte bei diesem
-Ausspruch vielleicht noch mehr als an die technische Schwierigkeit der
-Anlage an die schwer zu überwindende Konkurrenz der Gasbeleuchtung,
-die bereits im Jahre 1880, bei einem Versuch, den Pariser Platz
-mit Bogenlampen zu beleuchten, hervorgetreten war. Die probeweise
-hergestellte Anlage war damals nicht zur Ausführung gekommen, weil
-die Gasfachleute das neue elektrische Licht wirksam zu übertrumpfen
-in der Lage gewesen waren. Mit etwas bitterer Selbstironie hatte
-Hefner-Alteneck damals bemerkt, daß es zu den guten Eigenschaften des
-elektrischen Lichtes gehörte, überall da, wo es sich auch nur von ferne
-blicken lasse, zu einer mächtigen Gasbeleuchtung die Veranlassung
-zu bieten. Daß der Gedanke Rathenaus, die Leipziger Straße mit
-Differentiallampen zu beleuchten, übrigens doch nicht so ganz aus der
-Welt lag, zeigte sich etwa 1½ Jahre später. Damals -- im Herbst
-1882 -- führten Siemens & Halske nach einem kurzen Versuche mit einer
-Glühlichtbeleuchtung in der Kochstraße eine Bogenlampenbeleuchtung
-in der Leipziger Straße durch. Beide fanden aber keinen so rechten
-Anklang beim Publikum. Das Glühlicht in der Kochstraße imponierte
-infolge der noch unentwickelten Lampen, die sich mit ihrem roten Licht
-kaum vom Gas unterschieden, nur wenig, das Bogenlicht in der Leipziger
-Straße, das von 4 Deutzer Gasmaschinen zu je 12½ PS erzeugt wurde,
-stellte sich, trotzdem mit der verwendeten Gasmenge die zehnfache
-Lichtwirkung wie beim reinen Gaslicht erzielt wurde, sehr teuer, denn
-die Lampenbrennstunde kam auf 38 Pfennige zu stehen. Rathenau, der die
-Unvollkommenheit der Siemensschen Versuche nicht verkannte, sprach
-damals die Überzeugung aus, daß trotz alledem der Sieg des elektrischen
-Lichts in der Straßenbeleuchtung nicht ausbleiben werde.
-
-Die Möglichkeit, mit Siemens & Halske an der elektrischen Beleuchtung
-Berlins zu arbeiten, war jedenfalls nach jenem Besuch bei Werner
-Siemens, der sich nur halbinteressiert gezeigt hatte, und bei
-Hefner-Alteneck, der Rathenau -- zum Teil vielleicht aus einem
-Konkurrenzgefühl heraus -- völlig abgewiesen hatte, vorerst erledigt.
-Sie stellte für ihn aber nicht den einzigen oder auch nur den besten
-Weg dar, auf dem er sich dem Gebiet der elektrischen Beleuchtung
-nähern konnte. Dazu war er -- die große Zukunft der Lichtelektrizität
-erkennend -- fest entschlossen. War es nicht die Differentiallampe,
-die er Siemens gegenüber wohl nur vorgeschlagen hatte, weil er so am
-schnellsten dessen mächtige Unterstützung zu finden hoffte, so war es
-ein anderer Typus. Diesen fand er mit divinatorischer Sicherheit auf
-der Pariser Elektrizitäts-Ausstellung im Jahre 1881, wo Thomas Alva
-+Edison+ sich eben anschickte, sein neues Beleuchtungssystem, in
-dessen Mittelpunkt als Hauptstück die +Kohlenfadenlampe+ stand,
-der europäischen Öffentlichkeit vorzuführen.
-
-Bevor wir uns der Edisonschen Erfindung und ihrer umwälzenden
-Bedeutung für die Lichtelektrizität zuwenden, wollen wir einen kurzen
-Rückblick auf die früheren Versuche auf dem Gebiete des elektrischen
-Lichts werfen. Die erste -- allerdings nicht praktisch gewordene --
-Verwendung der Elektrizität zur Erzeugung von Licht ist sehr früh
-erfolgt, lange bevor der elektrische Telegraph, der doch mehr als ein
-Menschenalter vor dem elektrischen Licht die Welt eroberte, entdeckt
-worden war. Der berühmte englische Chemiker Humphry +Davy+
-stellte im Jahre 1808, also nur 18 Jahre nach der Entdeckung Galvanis,
-den fundamentalen, für seine eigene wissenschaftliche Leistung
-allerdings nur nebensächlichen Versuch an, der unter dem Namen des
-elektrischen Lichtbogens berühmt geworden ist und die Grundlage
-für das Verfahren der Bogenlichterzeugung bildet. Davy hatte zwei
-zugespitzte Kohlenstäbchen mit den Polen einer galvanischen Kette
-verbunden, und beobachtete, daß zwischen den Spitzen eine leicht
-gebogene Flamme entstand, wenn man die vorher in Berührung gebrachten
-Kohlenspitzen vorsichtig auseinanderzog. Von da bis zur Anwendung der
-Bogenlampe in der Praxis war aber ein weiter Weg. Solange man auf
-Schwachstrom angewiesen war, kam man über vereinzelte Versuche nicht
-hinaus, als gebräuchliches Beleuchtungssystem wollte die Bogenlampe
-nicht Fuß fassen. Im Jahre 1846 wurde die Lampe, der „potenzierte
-Mondschein“, wie man sie damals nannte, bei der Erstaufführung der
-Meyerbeerschen Oper „Der Prophet“ in Paris als Bühnenbeleuchtung
-benutzt. Als Straßenbeleuchtung erschien das neue Licht zu grell und
-„augenschädlich“. Diese ungünstigen Eigenschaften verbunden mit einer
-noch ziemlich starken Unzuverlässigkeit des Lichtes, ließen den Versuch
-einer Straßenbeleuchtung, den Jacobi im Jahre 1850 in Petersburg
-machte, scheitern. Dagegen erwies es sich gerade der genannten
-Eigenschaften wegen als besonders geeignet für Leuchtturmlicht.
-Und besonders nachdem der berühmte englische Elektro-Physiker
-+Faraday+ zum wissenschaftlichen Berater der Korporation, die
-die Instandhaltung des gesamten englischen Leuchtturmwesens zur
-Aufgabe hatte, ernannt worden war, fand das Bogenlicht ausgedehnte
-Anwendung bei Leuchttürmen. Dabei bediente sich Faraday aber als
-Kraftquellen nicht mehr großer galvanischer Batterien, wie das bei
-den früheren Versuchen (auch in St. Petersburg) geschehen war,
-sondern von ihm hergestellter magnetelektrischer Maschinen, die nach
-dem von Faraday entdeckten Prinzip der Induktion hergestellt worden
-waren. Diese Maschinen, bei denen die induzierende Wirkung durch
-die Kraft permanenter Stahlmagnete hervorgerufen wurde, arbeiteten
-indes trotz ihrer Größe und im Verhältnis zu ihrer Größe wie ihren
-Kosten sehr unökonomisch, so daß sich ihre Verwendung für Zwecke,
-in denen andere, billigere Beleuchtungsarten zur Verfügung standen
-und nicht besonders starke Einzellichter benötigt wurden, verbot.
-Erst die Erfindung des dynamoelektrischen Prinzips, bei dem sich die
-induzierenden Magnete und der erzeugte Strom gegenseitig verstärkten,
-und die hieraus folgende schnelle Entwickelung immer vollkommenerer
-Dynamomaschinen schufen hierin Wandel. Es schoß bald eine große
-Anzahl von Bogenlampen-Konstruktionen aus dem Boden. Das ganze System
-krankte aber noch an dem Nachteil, daß für jede Lampe eine besondere
-Dynamomaschine als Kraftquelle benötigt wurde, was das Bogenlicht als
-Beleuchtung dem aus zentralen Kraftquellen gespeisten Gas unterlegen
-machte. Die erste Erfindung, nach der aus +einer+ Maschine mehrere
-Stromkreise gespeist werden konnten, ging von Jablochkoff aus, von
-dessen Lampen wir bereits mehrfach, unter anderem zum Beginn dieses
-Kapitels gesprochen haben. Das Pariser Warenhaus „Louvre“ wurde zuerst
-mit Jablochkoff-Kerzen erleuchtet, es folgten mehrere öffentliche
-Plätze und Straßen in Paris, darunter die Avenue de l’opéra, deren
-strahlendes Licht Emil Rathenau als Berliner Lokalpatriot in Gegensatz
-zu der rückständigen Beleuchtung seiner Vaterstadt gestellt hatte.
-Zur Krafterzeugung für diese eine kurze Straße waren damals noch
-drei Zentralstationen notwendig. Kurze Zeit später, im Jahre 1878,
-konstruierte Hefner-Alteneck die nach ihm benannte Differentiallampe,
-deren Prinzip von Werner Siemens herrührt. Hier wurde derselbe Erfolg
-der Speisung mehrerer Lampen aus einer Kraftquelle solider und
-vollkommener erreicht als bei Jablochkoff, wobei die Differentiallampe
-auch durch andere Verbesserungen, wie die Verwendung der sogenannten
-Dochtkohlen, reineres Licht usw. ausgestaltet worden war. Dennoch
-war man, wie wir gesehen haben, im Hause Siemens & Halske nicht so
-wagemutig und unternehmend wie in Paris, was die Beleuchtung von
-öffentlichen Straßen mit Bogenlampen anlangt. Werner Siemens stand
-derartigen neuen Problemen passiver gegenüber als den Erfindungen
-seiner Jugendzeit, und dem Konstrukteur Hefner-Alteneck fehlte
-bei aller Tiefe und Gründlichkeit der technischen Anschauung doch
-der Feuergeist und die Einbildungskraft des großen Erfinders. Man
-beschränkte sich zunächst auf die Beleuchtung von Hallen, Innenräumen
-usw. und der Gedanke der zentralen Kraftstation auch in der
-primitivsten Form war den vorsichtigen Technikern der Firma Siemens &
-Halske noch „schleierhaft“.
-
-Die große Belebung sollte der Industrie des elektrischen Lichtes aber
-nicht von der Bogenlampe, sondern von der +Glühlampe+ kommen.
-Die Bogenlampe war bei ihrer großen Intensität und Lichtstärke nur
-für die Beleuchtung von Straßen und großen Innenräumen zu verwenden,
-nicht für die Erhellung von Wohnräumen. Ihr Licht brannte -- namentlich
-in der ersten Zeit -- flackerig und unregelmäßig und sie sonderte
-verhältnismäßig viel Kohlenruß ab.
-
-Experimentelle Versuche mit der Glühlampe sind gleichfalls schon sehr
-früh angestellt worden. Das Prinzip bestand darin, Kohlen oder Metalle
-in luftleer gemachtem Raume so zu erhitzen, daß sie leuchteten, ohne
-zu verbrennen. Als im Jahre 1859 C. G. Farmer in Newport sein Haus
-mit 42 Platinfaden-Lampen beleuchtete, war dies nicht der erste, wohl
-aber der erste größere Versuch dieser Art. Eine weitere Ausdehnung
-der Erfindung scheiterte auch hier daran, daß große galvanische
-Batterien, auf die man vorläufig als Kraftquellen angewiesen blieb,
-sehr teuer herzustellen waren und trotzdem eine für praktische Zwecke
-nur beschränkte Kraftmenge lieferten. Im Großen gelang erst Thomas Alva
-+Edison+, dem Verbesserer des Mikrophons -- unter Benutzung von
-Dynamomaschinen -- die Herstellung und Verwendung von Glühlampen. In
-seinem Laboratorium zu Menlo-Park, einem Vorort von New York, begann
-Edison im Jahre 1878, angeregt durch den Anblick der ersten Bogenlampe,
-die er sah, und deren Mängel er bei aller Bewunderung sofort erkannte,
-mit Hilfe eines Kreises von Assistenten und Schülern die systematische
-Arbeit an der Glühlampe, die er trotz aller anfänglichen Fehlschläge
-mit großer Zähigkeit fortsetzte. Es ist eigentümlich, daß Edison
-seine ersten Versuche nicht mit Kohlenfäden, sondern mit Metallfäden
-machte, zu denen ja die Glühlampenindustrie in neuerer Zeit schließlich
-nach dem Umwege über die Kohlenfadenlampe wieder zurückgekehrt ist.
-Damals mißglückten die 13 Monate lang fortgeführten Versuche mit
-Platindrähten, mit Platin-Iridiumdrähten und anderen Metallen, weil es
-nicht gelingen wollte, die Drähte bei genügender Erhitzung unschmelzbar
-zu machen. Versuche, die Drähte mit Oxyden zu umwickeln, ließen eine
-Lampe mit hoher Widerstandsfähigkeit entstehen, aber solche Lampen
-erlitten bald Kurzschluß. Durch einen Zufall kam Edison auf die
-Idee, Kohlenfäden zu benutzen. Das Experiment glückte mit verkohlten
-Baumwollfäden, aber die Brenndauer der Lampe war noch nicht lang
-genug. Es dauerte noch einige Zeit, ehe er den geeigneten Stoff zur
-Herstellung der Kohlenfäden in den Bambusfasern gefunden hatte. Mit der
-Erzeugung der Lampe, auf die Edison bald in Amerika und Europa Patente
-nahm, war aber nur der Keim der neuen Beleuchtungsart gefunden. Für das
-ihm im Januar 1880 erteilte amerikanische Patent auf die Glühlampe hat
-Edison folgende Beschreibung seiner Erfindung geliefert:
-
- „Ich, Thomas Alva Edison, von Menlo Park, New-Jersey, Vereinigte
- Staaten von Amerika, habe eine Verbesserung an elektrischen Lampen
- und in der Methode der Fabrikation dieser Lampen erfunden, die ich
- im Folgenden einzeln beschreibe:
-
- Das Objekt dieser Erfindung ist die Herstellung elektrischer
- Lampen mit weißglühendem Licht, die einen so starken Widerstand
- leisten, daß sie die praktische Verteilung des elektrischen
- Lichtes gestatten. Die Erfindung beruht auf einem Licht spendenden
- Körper von verkohltem Draht, der dergestalt gedreht ist, daß er
- dem Durchgang des elektrischen Stromes hohen Widerstand leistet
- und gleichzeitig nur eine geringe Oberfläche für die Ausstrahlung
- darbietet. Die Erfindung besteht ferner in der Verwendung von
- Brennern von großer Widerstandskraft in einem nahezu vollkommenen
- Vakuum, die das Oxydieren und eine Beschädigung des Konduktors
- durch die Luft verhindern. Der so durch Platindrähte in die
- evakuierte Birne geleitete Strom wird im Glas verschlossen.
- Die Erfindung umfaßt ferner die Methode der Herstellung von
- Konduktoren aus Kohlenstoff von hoher Widerstandskraft, damit sie
- imstande sind, ein weißes Glühlicht zu liefern.
-
- Vordem hat man weißes Glühlicht von Kohlenstiften mit ein bis vier
- Ohm Widerstand erhalten und in verschlossenen Gefäßen gehabt,
- worin die Luft durch Gase ersetzt war, die sich chemisch nicht
- verbinden. Die Leitungsdrähte sind immer stark gewesen, so daß
- ihre Widerstandskraft manchmal geringer als jene des Brenners ist.
- Überhaupt waren die Versuche früherer Arbeiter darauf gerichtet,
- den Widerstand des Kohlenstifts zu vermindern. Die aus dieser
- Praxis erwachsenden Nachteile sind, daß eine Lampe mit nur ein
- bis vier Ohm Widerstand in großer Anzahl zu vielfachem Bogenlicht
- nicht ohne Verwendung von Konduktoren von enormen Dimensionen zu
- benutzen ist, sowie daß wegen des geringen Widerstands der Lampe,
- die Leitungsdrähte stark und die Konduktoren gut sein müssen, und
- eine Glaskugel nicht dicht gehalten werden kann, wo die Drähte
- eingeleitet und fest verbunden sind. Deshalb verzehrt sich der
- Kohlenstift, weil stets ein vollkommenes Vakuum vorhanden sein muß,
- um den Kohlenstift dauerhaft zu erhalten, besonders wenn dieser nur
- klein ist und hohen elektrischen Widerstand leistet.
-
- Die Verwendung von Gas in dem Empfänger führt bei dem Luftdruck,
- wiewohl dieser die Kohle nicht angreift, in kurzer Zeit zur
- Zerstörung, entweder durch das Ausfegen durch die Luft, oder durch
- die von dem rapiden Durchströmen des Gases über die nur lose
- verbundene, noch erhitzte Oberfläche der Kohle erzeugte Reibung.
- Die Methode habe ich umgestaltet. Ich habe gefunden, wie selbst ein
- gut verkohlter Baumwollfaden in einer verschlossenen Glasbirne,
- woraus die Luft bis auf ein Millionstel gepumpt ist, dem Durchgang
- des Stromes 100-500 Ohm Widerstand leistet, und daß er auch bei
- sehr hoher Temperatur durchaus aushält. Ferner, daß, wenn der
- Faden als Spirale gedreht und verkohlt ist, oder wenn die Fasern
- gewisser Pflanzen, die einen Rückstand von Kohle aufweisen, nach
- Erhitzung in einem geschlossenen Raum gedreht werden, sie bis zu
- 2000 Ohm Widerstand leisten, ohne zur Ausstrahlung einer größeren
- Oberfläche als drei Sechzehntel eines Zolls zu bedürfen. Baumwoll-
- und Leinenfaden habe ich verkohlt probiert, Holzsplitter, auf
- verschiedene Weise gedrehte Papiere, auch Lampenruß, Graphit und
- Kohle in der verschiedensten Weise mit Teer gemischt und daraus
- Drähte von verschiedener Länge und Stärke gedreht.“
-
-Mit der bloßen Konstruktion der Glühlampe begnügte sich indes ein
-Mann der praktischen Ausnutzung wie Edison nicht. Er glaubte seine
-Arbeit nicht eher beendigen zu können, als bis er ein bis ins Kleinste
-durchkonstruiertes, alle Erfordernisse der praktischen Nutzbarkeit
-berücksichtigendes Beleuchtungssystem fertiggestellt hatte. Die
-Hauptstücke waren die Glühlampe und die nach damaligen Begriffen
-riesige Stromerzeugungsmaschine (im Volksmund Jumbo genannt), ein
-sogenannter „Schnelläufer“ von 150 PS. Die Verbindung zwischen beiden
-hatte ein mit allen Finessen feinmechanischer Inspiration ausgedachtes
-und ausgeführtes Netz von Apparaten zu schaffen. Emil Rathenau, der
-das Ganze auf der Pariser Ausstellung sah, schilderte den Eindruck
-folgendermaßen: „Edisons Beleuchtungssystem war bis in die Einzelheiten
-so genial erdacht und sachkundig durchgearbeitet, daß man meinte,
-es sei in unzähligen Städten jahrzehntelang erprobt gewesen. Weder
-Fassungen, Umschalter, Schmelzsicherungen, Lampenträger noch andere
-zur Installation gehörige Gegenstände fehlten, und die Stromerzeugung,
-die Regulierung, die Leitungen mit ihren Abzweigen, Hausanschlüssen,
-Elektrizitätsmessern usw. waren mit staunenswertem Verständnis und
-unvergleichlichem Genie durchgebildet.“
-
-Dem Eindruck, wie ihn Rathenau hier 27 Jahre nach dem auslösenden
-Erlebnis schilderte, ist wohl, wie wir das schon in einem anderen Falle
-feststellen zu können glaubten, ein gewisser Schuß retrospektiver
-Phantasie beigemischt. So urteilte nicht der unmittelbar Erlebende,
-sondern der Zurückschauende, der inzwischen eine lange Periode der
-Entwickelung, Durchbildung und Vervollkommnung mit angesehen und
-sein ganzes Leben und Tun mit ihr so identifiziert hatte, daß er die
-Fähigkeit zur historischen Kritik vielleicht nicht mehr in vollem Maße
-besaß. Gewiß, Rathenau, dem die Gabe in seltenem Maße zu eigen war,
-eine Erfindung -- auch wenn sie nur in ihrer Urzelle vorlag -- mit
-blitzschneller Prophetie bis zu ihrer höchsten Vollendung zu Ende zu
-denken, hat in Paris in dem Edisonlicht mehr gesehen als alle anderen,
-vielleicht sogar mehr als der Erfinder selbst. Er war überhaupt wohl
-der einzige, der die +ganze+ Zukunftskraft der Erfindung erfaßte,
-wie er denn auch derjenige gewesen ist, der am meisten zu ihrer
-Ausbildung getan hat. Seine Tat war vom technischen Standpunkt aus
-betrachtet keine primäre, sondern eine „zweithändige“, aber technisch
-doch keine Epigonenleistung und praktisch direkt von schöpferischer
-Prägung. Um dies zu verstehen, muß man sich vergegenwärtigen, daß
-der +allgemeine+ Eindruck des Edisonlichts in Paris durchaus
-nicht einhellig und mit dem Rathenaus identisch war. Es gab gewiß
-genug Leute, die von der neuen Erfindung fasziniert waren, ohne doch
-ihren ganzen Zukunftswert zu erfassen. Es gab auch wieder andere,
-die kühl blieben und das Glühlicht -- ohne seinen praktischen Wert
-ganz zu verneinen -- weit hinter das Bogenlicht stellten. Es fehlte
-aber auch schließlich nicht an Fachleuten, die die ganze Geschichte
-für Humbug, für eine Spielerei erklärten. So hielt ein namhafter
-Techniker im Saal der Ausstellung einen wissenschaftlichen Vortrag,
-in dem er die Edisonsche Erfindung mit Ironie abtat und am Schluß die
-Behauptung aufstellte, daß in Paris eine Edisonsche Glühlichtanlage
-zum ersten, aber wohl auch zum letzten Male im Betrieb gewesen sei.
-Derartige Aussprüche können heute nur noch komisch wirken. Immerhin
-war die Edison-Beleuchtung -- das sollte gerade Rathenau in den ersten
-Jahren, als er sich praktisch mit Installationen befaßte, erfahren
--- keineswegs so vollkommen, wie er sie rückschauend geschildert
-hat. Sie litt vielleicht nicht in der Anlage, wohl aber in der
-Durchführung an großen Mängeln und Unvollkommenheiten. Edison ist
-stets mehr ein genialer Experimentierer, ein origineller Erfinder,
-als ein systematischer Forscher, ein exakter Konstrukteur gewesen.
-Diesen Stempel trug auch seine Pariser Glühlichtanlage, und alles
-was er in derselben Art bereits in Amerika gemacht hatte, deutlich
-an der Stirn. Besonders die Maschinen waren nicht gut konstruiert,
-und noch schlechter ausgeführt. Es war alles mehr empfunden, als
-genau errechnet; die Maße der Spannungen und Belastungen usw.
-waren in ziemlich primitiver empirischer Weise gewählt, sozusagen
-nach dem Gefühl. Man hielt sich an eine Schablone, die man bei den
-ersten Versuchen gefunden hatte und war zufrieden, wenn sie halbwegs
-stimmte. Den Grundsatz „Probieren geht über Studieren“ hat auch die
-Arbeit des Autodidakten Edison trotz ihrer genialen Faktur nicht
-verleugnet. Gewiß leidet jede große Erfindung unter derartigen
-anfänglichen Unvollkommenheiten der Ausführung und des Details, aber
-es ist sehr fraglich, ob die damalige amerikanische Elektrotechnik
-imstande gewesen wäre, sie so schnell zu beseitigen, wie dies Rathenau
-später tat. Jedenfalls waren derartige Mängel in Paris vorhanden,
-und während ein technisch-kritisches Genie wie Rathenau über diese
-leicht zu beseitigenden Nebensächlichkeiten hinwegblickte und nur den
-genialen Kern der Idee und den guten Grundzusammenhang der ganzen
-Anlage sah, blieben kleinere Geister, weniger scharfe Augen an den
-mangelhaften Äußerlichkeiten haften und erschöpften ihre Kritik an
-ihnen. -- Trotzdem aber die Wirkung der Edisonschen Ausstellung
-gerade in Fachkreisen keine einhellige war, ist selten der Eindruck
-einer technischen Demonstration so nachhaltig gewesen, wie der des
-Edison-Lichts in Paris.
-
-Die Pariser Elektrizitätsausstellung vom Jahre 1881 erlangte für
-das elektrische Glühlicht dieselbe epochemachende Bedeutung wie
-die Pariser Weltausstellung von 1878 für das Bogenlicht. Die
-französische Hauptstadt war damals das unbestrittene Zentrum der
-modernen Elektrizitätsentwickelung, die gerade in ihr effektvollstes,
-brillantestes Stadium, das der „Lichtwunder“ getreten war. Während
-Frankreich in der früheren Geschichte der angewandten Elektrizität
-keine besonders ausschlaggebende Rolle gespielt, in der Technik der
-elektrischen Telegraphen, Kabel und Maschinen den Pionierländern
-Amerika, England und Deutschland nur eben gefolgt war, riß es in der
-Beleuchtungsfrage oder wenigstens in ihrer ersten praktischen Anwendung
-(denn von den grundlegenden Erfindungen der Lichtelektrizität war
-in Frankreich keine gemacht worden) die Führung an sich. Für diese
-Erscheinung können zwei Gründe angeführt werden. Einmal war gerade der
-französische Volkscharakter und der ihm anhaftende Ehrgeiz, in seiner
-Hauptstadt Paris die erste Welt- und Fremdenstadt der Erde zu sehen,
-besonders empfänglich für Wirkungen, wie sie das elektrische Licht als
-großstädtischer Faktor ausüben mußte. Ferner war besonders die damalige
-Zeit, in der sich die französische Republik von dem militärischen
-und politischen Schlage des Krieges von 1870/71 zu erheben begann,
-angefüllt mit leidenschaftlichen Bemühungen, das an Prestige auf
-jenen Gebieten Verlorene durch wirtschaftliche und kulturelle Werke,
-oder vielleicht besser durch wirtschaftliche und kulturelle Effekte
-wettzumachen. Die Republik warb mit solchen Mitteln aufs neue um die
-Bewunderung der Welt, die den Diplomaten und Soldaten des Kaiserreichs
-durch den unglücklichen Krieg zu einem großen Teile verloren gegangen
-war. Die Weltausstellung wurde hier in die moderne internationale
-Form gegossen, in der sie die nächsten Jahrzehnte beherrschen sollte,
-als ein Mittelding zwischen einer wissenschaftlichen, technischen
-und gewerblichen Demonstrationsstätte und einem den Fremdenverkehr
-anziehenden Sensations- und Amüsierbetrieb. Sie war hier nicht
-so sehr der Ausdruck einer großen gewerblichen und technischen
-Leistungsfähigkeit und Fortschrittlichkeit, deren überquellende innere
-Kräfte nach äußerer Darstellung drängten, als die Bekundung eines
-ehrgeizigen Glänzenwollens. Nicht die Befriedigung des Schaffens,
-sondern der Drang nach Wirkung beherrschte diese Ausstellungen, und
-gerade der Umstand, daß das eigene Schaffen der französischen Nation
-damals nicht auf einer Höhe stand, die es gestattete, großartige
-Ausstellungswirkungen hervorzurufen, ließ es notwendig erscheinen,
-den +Welt+charakter der Ausstellungen in bisher nicht üblich
-gewesener starker und wie man zugeben muß national vorurteilsloser
-Weise zu betonen. Dieses Weltausstellungssystem ist im Laufe der
-Jahre, als es jede mittlere Nation, jede mäßig interessante Stadt
-nachzuahmen versuchte, allmählich zu Tode gehetzt worden und es verlor
-an Zugkraft, je häufiger sich derartige Ausstellungen wiederholten.
-Das Ungewöhnliche wird gewöhnlich, wenn es regelmäßig wiederkehrt und
-dabei noch verkleinlicht wird. Die Welt stumpft gegen Sensationen ab,
-die einander zu ähnlich sehen. Trotz dieser späteren Entwickelung und
-trotz der zweifelhaften Motive, die den ersten Pariser Ausstellungen
-zu Grunde lagen, darf ihr gewaltiger Wert für die Verbreitung und
-Popularisierung technischer Fortschritte nicht verkannt werden. Gerade
-auf dem Gebiete der elektrischen Lichtindustrie haben sie durch die
-überzeugende, wirkungsvolle Darstellung, die sie einem ungewöhnlich
-großen internationalen Kreis von den damaligen Errungenschaften
-der Technik gaben, eine sehr beträchtliche Beschleunigung in der
-praktischen Anwendung herbeigeführt. Die Vorführung des Edisonschen
-Beleuchtungssystems wirkte an dieser Stelle mit ganz anderer
-internationaler Anregungskraft, als wenn die Erfindung in irgend einer
-amerikanischen Stadt mit nüchternem Nutzungszweck durchgeführt und ihre
-internationale Propaganda in Europa nur durch Beschreibungen in Büchern
-und Zeitungen vermittelt worden wäre.
-
-Auf Naturen wie Emil Rathenau, deren Energien der Anregung durch
-eine überzeugende Demonstration bedurften (ebenso wie er später
-die Demonstration am gut gewählten Beispiel als das nachhaltigste
-Wirkungsmittel auf andere erkannte und benutzte), waren die Eindrücke
-in Paris derartig überwältigend, daß sie alles innere Schwanken, alle
-Wahlnöte und Entschlußhemmungen mit einem Schlage beseitigten. Aus
-dem reflektierenden Zauderer, der auf Enttäuschungen ebenso stark und
-schnell reagiert hatte wie auf Hoffnungen, war mit einem Male der
-sehnige, bestimmte Tatmensch geworden, der Rathenau, einmal in die
-richtige Bahn gestellt, bis an sein Lebensende geblieben ist. Die
-Fülle der Gesichte und Möglichkeiten war durch den Anblick des „Ziels“
-gebändigt und vereinheitlicht. Das verwirrende Durcheinander der
-gangbaren Wege war zur Straße geworden, deren Lauf mit Notwendigkeit
-vorgeschrieben war. Rathenau glaubte, als er Edisons Beleuchtungssystem
-zuerst sah, sich seiner ganzen Art nach im Sturm der neuen Aufgabe
-bemächtigen zu können. Als nicht sofort festzustellen war, von
-wem man die Patente und Nutzungsrechte erwerben könne, kabelte er
-kurzentschlossen an Edison nach New York, er möge sich sofort auf das
-Schiff setzen und in einer dringenden, für beide Teile außerordentlich
-wichtigen Angelegenheit nach Europa kommen. Edison erklärte dies zur
-Zeit für unmöglich und riet dem ihm unbekannten deutschen Ingenieur,
-sich an seine Pariser Vertreter zu wenden. Wäre Rathenau der leicht
-zu entflammende, aber von Schwierigkeiten schnell wieder abgekühlte
-Stimmungsmensch gewesen, für den er damals vielfach gehalten wurde,
-so hätte er bald die Büchse ins Korn geworfen. Aber es bildete die
-erste große Probe auf den inneren Stahl, der in dem Charakter des
-Mannes enthalten war, mit welcher Energie und Zähigkeit er aus dem
-Labyrinth der Edisonschen Patent- und Rechtsverwirrnis die Verträge
-herauszuzwingen verstand, die er für eine gesicherte Anwendung des
-Edisonlichts in Deutschland haben zu müssen meinte.
-
-Edison hatte zur Verwertung seiner Patente zunächst zwei Gesellschaften
-gegründet. Die Edison Electric Light Company mit dem Sitz in New York
-sollte die Patente für Amerika verwerten, eine Tochtergesellschaft
-gleichen Namens in London sollte Europa bearbeiten. Sie veranstaltete
-die erste elektrische Ausstellung im Crystal Palace und baute die
-erste elektrische Zentralstation -- oder was man damals so bezeichnete
--- in Europa. Von ihr abgezweigt wurde wieder die +Compagnie
-Continentale Edison+, der die Verwertung aller Edisonschen Patente
-auf dem europäischen Kontinent übertragen wurde. Sie errichtete
-wieder zwei Untergesellschaften, die Société électrique Edison, die
-sich mit der Ausführung privater Beleuchtungsanlagen beschäftigte,
-und als Fabrikationsunternehmen die Société industrielle commerciale
-Edison, die in Ivry bei Paris Maschinen und Apparate herstellte. Die
-Rechtsverhältnisse waren also reichlich kompliziert, was nicht so sehr
-an der Vielheit der Gesellschaften, als an der unklaren Organisation
-und Kompetenzverteilung zwischen ihnen lag. Auch Rathenau hat später
-in seiner industriellen und finanztechnischen Praxis das System der
-Dezentralisation und Verschachtelung mit Vorliebe angewandt, aber er
-beherrschte doch dieses System derart, daß er jederzeit die Zügel in
-der Hand behielt. Zwischen den von ihm gegründeten Unternehmungen
-waren die rechtlichen Beziehungen und Aufgaben so klar geordnet und
-verteilt, daß Zweifel niemals entstehen konnten, wie dies bei den
-Edisonschen Gesellschaften damals und auch weiterhin noch der Fall war.
-„Edison hatte,“ so erzählt Rathenau, „seine europäischen Interessen in
-die Hände von Gesellschaften gelegt, deren Ideal zum wenigsten darin
-bestand, die Welt mit einem Kulturwerk zu beglücken; und so gelang
-es erst nach unsäglichen Schwierigkeiten, Verträge zu vereinbaren,
-die das Fundament solider deutscher Gesellschaften bilden konnten.“
-Nachdem die unberechtigten Ansprüche verschiedener Gesellschaften
-abgewiesen bzw. abgefunden worden waren, wurde der grundlegende
-Vertrag schließlich mit der +Compagnie Continentale Edison in
-Paris+ abgeschlossen. Ähnlich wie in Frankreich sollte danach auch
-für Deutschland eine Fabrikationsgesellschaft und eine zweite zur
-Herstellung von Zentralstationen gegründet werden. So großzügig wie
-die Sache geplant war, ließ sie sich allerdings zunächst noch nicht
-verwirklichen. Während der Verhandlungen hatte sich der finanzielle
-Himmel infolge einer von Paris ausgehenden Krisis umwölkt. Der etwas
-gewaltsame Industrialismus, mit dem Frankreich über die Schlappe von
-1870/71 hinwegzukommen hoffte, hatte zu einem Rückschlag geführt,
-und die englische Elektrizitätskrise, die aus einer Überspannung im
-Gründerwesen auf dem Gebiete der Kabeltelegraphie entstanden war,
-trug dazu bei, daß man gerade Neugründungen auf dem Gebiete der
-Elektrizitätsindustrie damals mit Zurückhaltung begegnete. Rathenau
-ließ sich von dem einmal gewählten Wege auch durch dieses Hemmnis
-nicht abbringen. Er suchte in Berlin in den maßgebenden Bankkreisen
-Unterstützung für sein Projekt zu finden. Er besuchte Bleichröder
-und andere führende Finanzgrößen. Ohne Erfolg. Die „Großen“ auf dem
-Gebiete des Kapitals hielten sich kühl zurück. Schließlich lernte
-Rathenau bei einem Besuch seiner Mutter in Bad Langenschwalbach
-+Ludwig von Kaufmann+, den Schwiegersohn Jacob Landaus und
-Mitinhaber des Bankhauses +Jacob Landau+ kennen. Es gelang ihm,
-diesen für die Idee zu interessieren. Es war in verschiedenen Berliner
-Unterredungen, die sich an dieses Langenschwalbacher Zusammentreffen
-knüpften, vereinbart worden, ein Bankenkonsortium zu bilden, das die
-neue Gesellschaft errichten und mit Geld ausstatten sollte. Infolge der
-finanziellen Krise kamen die Verhandlungen zunächst ins Stocken. Das
-Bankenkonsortium hatte die Geldmittel natürlich nur +vorstrecken+
-wollen, und zwar angesichts seiner nicht sehr starken eigenen
-Kapitalskraft, nur für kurze Zeit. Jahrelange Vorschüsse, wie sie
-die finanziellen Trustunternehmungen gewährten, die Rathenau später
-für derartige Zwecke gegründet hatte, konnten und wollten Rathenaus
-Geldgeber dem Ingenieur, dessen Enthusiasmus die einzige Garantie
-war, die er bieten konnte, nicht anvertrauen. Man hatte daher von
-vornherein geplant, das zur Gründung erforderliche Geld sofort durch
-Ausgabe der Aktien an das Publikum aufzubringen. Als dies unmöglich
-wurde, verzichtete man auf die sofortige Ausführung des Planes.
-Rathenau sorgte indessen dafür, daß die einmal angeknüpften Beziehungen
-zwischen ihm und der Bankengruppe nicht völlig abgebrochen wurden. Er
-komplizierte die Situation, schon damals sein leidenschaftlich vorwärts
-drängendes Temperament durch realpolitische Erwägungen zügelnd,
-nicht dadurch, daß er die Bedingung „Alles oder nichts“ stellte. Er
-schlug ein Kompromiß vor, das den Mittelweg zwischen völliger Aufgabe
-und unbestimmter Vertagung des Projekts darstellte. Es sollte eine
-+Studiengesellschaft+ mit dem geringen Kapital von 250000 Mark
-gegründet werden. Diese sollte die Arbeit unverzüglich aufnehmen
-und Rathenau war überzeugt, daß sie den praktischen Wert der neuen
-Beleuchtung einwandfrei dartun würde. Geschah dies aber, so war die
-Gründung eines größeren Unternehmens später wesentlich leichter, als
-wenn wiederum ganz neue Verhandlungen hätten angeknüpft und neue
-Vorbedingungen hätten geschaffen werden müssen. Es war also auf diesem
-Wege manches zu gewinnen, und wenig zu verlieren.
-
-Die Studiengesellschaft trat denn auch bald auf Grund der deutschen
-Edisonpatente ins Leben. Die drei Patentansprüche des ersten und
-grundlegenden Patentes lauteten folgendermaßen:
-
-1. Eine elektrische Lampe, die durch Weißglühen Licht gibt, und in der
-Hauptsache aus Kohlefasern von großem Widerstand besteht, hergestellt
-und mit den metallischen Drähten verbunden, wie beschrieben.
-
-2. Ein Faden oder Streifen aus Kohlefasern, welche in solcher Weise
-in Spiralform gewunden ist, daß nur ein Teil der Oberfläche dieses
-Kohlenleiters (ca. 5 mm) Licht ausstrahlt.
-
-3. Die Platindrähte wie beschrieben an dem Kohlenfaden zu befestigen
-und das Ganze in einem geschlossenen Gefäß zu karbonisieren.
-
-(Der Widerstand ist je nach der Menge des abgelagerten Lampenrusses
-klein oder groß herstellbar.)
-
-Die Studiengesellschaft verfolgte den doppelten Zweck, praktische
-Erfahrungen für die Glühlampentechnik zu sammeln, und das Publikum
-mit dem neuen Licht bekannt zu machen. Ein paar kleinere Anlagen
-wurden für den Berliner Börsencourier und das Böhmische Brauhaus
-geschaffen. Dann wandte man sich etwas größeren Aufgaben zu. Der
-Unionklub in der Schadowstraße und die benachbarte Ressource von
-1794 erteilten den Auftrag zur Ausführung von Musteranlagen. Die
-Ressource veranstaltete zur Feier der gelungenen Beleuchtung ein
-Bankett, das so etwas wie ein gesellschaftliches Ereignis für Berlin
-darstellte. Gerade während Hugo Pringsheim in einer schwungvollen Rede
-das neue Licht und den Schöpfer der Anlage, Emil Rathenau, feierte,
-verdüsterte sich allmählich, wie Rathenau später ausplauderte, das
-Licht und der diensthabende Ingenieur meldete mit schreckensbleichem
-Gesicht, daß er die Anlage nicht halten könne. In der gehobenen
-Festesstimmung bemerkte niemand das Verschwinden des Ehrengastes, der
-im Gesellschaftsanzuge die persönliche Führung der Anlage bis zum
-Morgen übernahm, und mit zwei Ingenieuren durch eifriges Kühlen der
-Lager mit dem für die Sektkühler bestimmten Eis den Betrieb aufrecht
-erhielt. Ein Verlöschen des Lichts an dieser sichtbaren Stelle wäre
-ein harter Schlag für das Schicksal der elektrischen Beleuchtung
-geworden und noch ein stärkerer für das Schicksal des in der Gründung
-befindlichen Unternehmens, dessen Aktien in kurzer Zeit herausgebracht
-werden sollten. Das Gelingen wirkte dagegen wie eine besonders wirksame
-Propaganda. Weitere Privatanlagen entstanden bald in Berlin. Auch
-eine Straßenbeleuchtung wurde versucht und zwar in der Wilhelmstraße
-zwischen den Linden und der Leipzigerstraße. Die Wirkung war zumal bei
-dem am Eröffnungstage herrschenden Schneefall eindrucksvoll. Trotzdem
-ist das intimere Glühlicht in der Folgezeit bei Straßenbeleuchtungen
-hinter dem lichtstarken Bogenlicht stets zurückgetreten. In München,
-wo der Ingenieur Oscar von +Miller+ im Jahre 1882 die erste
-deutsche Elektrizitätsausstellung veranstaltet hatte, von dem größten
-Teil der Aussteller aber im Stich gelassen worden war, sprang die
-Studiengesellschaft entschlossen ein. Sie übernahm fast die ganze
-Versorgung des als Ausstellungsgebäude dienenden Kristallpalastes
-mit Elektrizität. Unter ihren Vorführungen erregte besonders die
-Beleuchtung eines zu diesem Zwecke errichteten kleinen Theaters, in
-dem Balletts aufgeführt wurden, Bewunderung nicht nur beim Publikum,
-sondern auch bei Fachleuten. Namentlich faszinierte sie den Intendanten
-der Kgl. Schauspiele in München so, daß er sogleich einen Vertrag über
-die Einrichtung der elektrischen Beleuchtung des Residenztheaters, der
-kleineren der beiden Königlichen Bühnen Münchens, die zur Aufführung
-von Schauspielen und Spielopern diente, abschloß. Die Grundlage dieses
-Vertrages war, daß die Deutsche Edison Gesellschaft das ganze Risiko
-des Gelingens oder Mißlingens auf sich nehmen mußte.
-
-Oscar v. Miller hatte Rathenau die tatkräftige Hilfe bei der Rettung
-der gefährdeten Ausstellung nicht vergessen. Rathenau hinwiederum
-hatte in dem Münchener Ingenieur einen für die Sache der Elektrizität
-begeisterten, durch Tatkraft und Wagemut ausgezeichneten Mann
-gefunden, der ihm als Mitarbeiter bei seinem Unternehmen wie kein
-anderer geeignet erschien. Er bewog ihn daher, in die Deutsche
-Edison Gesellschaft als Mitdirektor einzutreten, als diese -- durch
-die bisherigen technischen und propagandistischen Erfolge der
-Studiengesellschaft gut vorbereitet -- am 19. April 1883 mit einem
-Aktienkapital von 5 Millionen Mark gegründet und am 5. Mai desselben
-Jahres in das Handelsregister eingetragen wurde. Das Bankenkonsortium,
-das Emil Rathenau zwei Jahre vorher zusammengebracht hatte, hielt
-ihm trotz mancher Zweifel und Meinungsverschiedenheiten, die sich
-inzwischen eingestellt hatten, die Treue. Es war ihm sogar, als es an
-die endgültige Konstituierung des Unternehmens ging, gelungen, eine
-Erweiterung dieses Konsortiums herbeizuführen, das ursprünglich aus
-den Firmen Jacob Landau in Berlin, Gebr. Sulzbach in Frankfurt a.
-M. und der Nationalbank für Deutschland in Berlin bestanden hatte.
-Einen Überblick über seine Mitglieder gibt der erste Aufsichtsrat der
-Neuen Edison Gesellschaft, der sich aus folgenden Persönlichkeiten
-zusammensetzte:
-
- Bankier Rudolph Sulzbach in Firma Gebrüder Sulzbach in Frankfurt a.
- M., Vorsitzender.
-
- Ludwig von Kaufmann, in Firma Jacob Landau in Berlin,
- Stellvertretender Vorsitzender.
-
- J. F. Bailey, Administrateur délegué der Compagnie Continentale
- Edison in Paris.
-
- Bankier Edmund Becker, in Firma Becker & Co. in Leipzig.
-
- Rechtsanwalt Robert Esser II in Köln.
-
- Kommerzienrat Paul Gaspard Friedenthal in Breslau, in Firma
- Breslauer Discontobank Friedenthal & Co.
-
- Stadtrichter Julius Friedenthal in Breslau, Direktor der Breslauer
- Wechslerbank.
-
- Bankier Moritz Guggenheimer, in Firma Guggenheimer & Co. in München.
-
- Bankier Hermann Köhler, Disponent der Firma Gebrüder Sulzbach in
- Frankfurt a. M.
-
- Konsul Dr. Kunheim, in Firma Kunheim & Co. in Berlin.
-
- Bankier Hugo Landau, in Firma Jacob Landau in Berlin.
-
- Assessor a. D. Dr. Hermann Löwenfeld, Direktor der Nationalbank für
- Deutschland in Berlin.
-
- Bankier Carl Schlesinger-Trier, in Firma C. Schlesinger, Trier &
- Co. in Berlin.
-
- Kommerzienrat Wilhelm Wolf in Berlin.
-
-Es war also für ein Unternehmen von mäßigem Umfang ein ziemlich
-mitgliederreiches Kollegium, das im ganzen 14 Köpfe umfaßte. Darin lag
-insofern eine gewisse Absicht, als man einmal durch einen stattlichen
-Aufsichtsrat mit Namen von gutem Klang eine gewisse werbende Wirkung
-auf die Öffentlichkeit und die für eine Aktienbeteiligung in Betracht
-kommende Kapitalistenwelt erzielen wollte. Ferner hielten es aber
-auch die hauptsächlich beteiligten Bankfirmen Jacob Landau und Gebr.
-Sulzbach für notwendig, sich im Aufsichtsrat doppelt vertreten zu
-lassen, einmal um sich bei den Abstimmungen des Kollegiums den ihnen
-gebührenden Einfluß zu sichern, andererseits aber auch, um eine
-möglichst weitgehende Kontrolltätigkeit ausüben zu können. Da der große
-Aufsichtsrat für eine intensive Beteiligung an den innergeschäftlichen
-Dingen nicht geeignet war, zweigte man von ihm einen aus 5 Mitgliedern
-bestehenden +Arbeitsausschuß+ ab, der die Aufgabe hatte, der
-Direktion bei der Führung der Geschäfte zur Seite zu stehen und wohl
-auch auf die Finger zu sehen. Man war wohl von der Lebenskräftigkeit
-der Rathenauschen Idee durchaus überzeugt, man schätzte die Energie und
-die Tüchtigkeit des Direktors auch sehr hoch ein, aber man hielt ihn
-für zu schlau und zu eigenwillig, um sich ihm rückhaltlos anvertrauen
-zu können. Es zeigte sich schon hier, und es hat sich in den ersten
-Jahren der Edison Gesellschaft wiederholt gezeigt, daß das Genie Emil
-Rathenaus mit dem Kritizismus und dem gelegentlichen Mißtrauen einer
-kleingeistigen Umgebung manchmal recht schwer zu kämpfen hatte. Von
-einem großzügigen Verständnis für seine aufs Ganze gerichtete Art und
-seine hochfliegenden Pläne, das ihm später sein Aufsichtsrat stets
-entgegenbrachte, war anfänglich noch wenig zu spüren. Man glaubte
-ihn, in dem man noch immer etwas vom Projektemacher witterte, fest an
-der Kandare halten zu müssen, und wenn er seinen Willen schließlich
-auch stets zur Geltung zu bringen wußte, so genügte in den Zeiten,
-in denen seine Autorität noch nicht über allen Zweifel gefestigt
-war, doch häufig nicht sein einfaches Wort, um überall Vertrauen zu
-finden, sondern es waren manchmal laute und stille Kämpfe nötig, zu
-deren Durchführung es seiner ganzen Zähigkeit bedurfte. Zur Erledigung
-der kaufmännischen Geschäfte, zum Teil wohl auch zur Überwachung
-seiner Geschäftsleitung im inneren Betriebe war ihm als Helfer
-Felix +Deutsch+, der bis dahin in dem der Firma Jacob Landau
-nahestehenden Strontianitkonsortium und in deren Zuckerinteressen sich
-bewährt hatte, beigegeben worden. Deutsch hat, ohne daß er darum je
-nötig hatte, das Vertrauen seiner Auftraggeber zu enttäuschen, doch
-vom ersten Augenblick an seine Aufgabe so aufgefaßt, daß er mit ihr
-vornehmlich dem Unternehmen, in dessen Dienste er trat, förderlich
-war und förderlich sein wollte. Er hat die überragende Bedeutung Emil
-Rathenaus wie seine moralische Zuverlässigkeit keinen Augenblick
-verkannt, hat sich redlich Mühe gegeben, einen Standpunkt zu gewinnen,
-der dem des genialen Mannes ebenbürtig war und es ist ihm sowohl als
-Helfer und Mitarbeiter Rathenaus, wie später auch schöpferisch in dem
-ihm ziemlich selbständig überlassenen Kreis der Absatz-Organisation
-gelungen, eine des Meisters würdige Arbeit zu leisten.
-
-
-
-
-Sechstes Kapitel
-
-Die Deutsche Edison Gesellschaft
-
-
-Als die Deutsche Edison Gesellschaft gegründet wurde, verfügte sie
-keineswegs über eine starke und gefestigte Position. Was ihr an
-Kapitalmacht zur Seite stand, um ihr über die schwierigen Anfänge
-hinwegzuhelfen, war trotz mancher gut angesehener Namen, die im
-Bankenkonsortium vertreten waren, nicht eben hervorragend und geeignet,
-die junge Gesellschaft gegen die Fährnisse der Konjunkturen und die
-Bedrohungen durch eine übermächtige Konkurrenz sicherzustellen.
-Von den damals führenden Großbanken war keine an der Gesellschaft
-beteiligt. Die Nationalbank für Deutschland, die selbst erst im
-Jahre 1881 gegründet worden war, verfügte über ein Kapital von 40
-Millionen Mark, das aber nur zur Hälfte eingezahlt war, und hatte in
-den folgenden Jahren mit eigenen Schwierigkeiten genug zu tun. Sie wie
-auch die Breslauer Diskontobank, die gleichfalls in der Bankengruppe
-vertreten war, stand unter Landauschem Einfluß. Diese Aktienbanken
-waren also höchstens als Ableger des Bankierkonsortiums, nicht als
-weitere unabhängige Finanzquellen zu betrachten und konnten einem
-jungen industriellen Unternehmen jedenfalls keinen sonderlichen
-Rückhalt geben. Viel Spielraum zum Experimentieren stand Emil Rathenau
-also nicht zur Verfügung. Er mußte schnell vorwärtskommen und die
-Tragfähigkeit seiner Schöpfung beweisen. In der II. Etage des Hauses
-Leipziger Str. 94, in der Rathenau und Deutsch mit einem Buchhalter und
-einer Schreibmaschine ihr Heim aufgeschlagen hatten, wurde denn auch
-mit Hochdruck gearbeitet. Aber nicht nur zu arbeiten galt es, sondern
-auch zu paktieren und zu diplomatisieren. Zuerst mußten die Verträge
-mit der Pariser Edison Gruppe einer Revision unterzogen werden, denn
-es hatte sich erwiesen, daß sie in der Form, wie sie im Jahre 1881
-vereinbart worden waren, nicht aufrechterhalten werden konnten. Der
-Plan, neben der Fabrikationsgesellschaft eine besondere Gesellschaft
-für den Bau von Zentralen zu gründen, wurde fallen gelassen, da
-Zweifel bestanden, ob eine solche in nächster Zeit auf genügende
-Aufträge würde rechnen können. Man wollte nicht Kapital in einer
-besonderen Gesellschaft festlegen, um es etwa nachher brach liegen
-zu lassen. Es wurde vielmehr der Fabrikationsgesellschaft auch das
-Baugeschäft übertragen; dafür wurde sie mit einem erhöhten Kapital von
-5 Millionen Mark statt dem ursprünglich in Aussicht genommenen von 2
-Millionen Mark ausgestattet. Durch diese Art der Finanzierung war ein
-freieres Disponieren über die zur Verfügung stehenden Gesamtkapitalien
-ermöglicht. Die französische Edison-Gesellschaft beteiligte sich mit
-Aktienkapital nicht an dem deutschen Unternehmen. Dagegen erhielt
-sie 1500 Genußscheine. Weitere 1000 Genußscheine wurden den ersten
-Zeichnern des Aktienkapitals ausgefolgt. Die Inhaber der 2500
-Genußscheine hatten Anspruch auf 35% des nach Zahlung einer Dividende
-von 6% verbleibenden Gewinnüberschusses. Der mit der französischen
-Gesellschaft abgeschlossene Vertrag, der in das Statut der Deutschen
-Edison Gesellschaft aufgenommen wurde, hatte folgenden Wortlaut:
-
- +Rechtsverhältnisse zu der Compagnie
- Edison in Paris, sowie zu Herrn
- Thomas Alva Edison und der Edison
- Electric Light Company of Europe
- Lim. zu New York.+
-
-
-§ 35.
-
-Die Deutsche Edison Gesellschaft für angewandte Electricität erwirbt
-von der Compagnie Continentale zu Paris mit Genehmigung des Herrn
-Thomas Alva Edison und der Edison Electric Light Company of Europe lim.
-zu New York, unter Anwendung des Art. 209 b des Allgemeinen Deutschen
-Handelsgesetzbuches das Recht der gewerblichen Ausnützung der in § 3
-bezeichneten Erfindungen des Herrn Edison und der vorgedachten Electric
-Light Company und zwar für das gesamte deutsche Reichsgebiet als
-ausschließliches Recht, insbesondere nachbezeichnete Befugnisse:
-
-1. Das Recht, sämtliche zu den im § 3 dieses Statuts spezialisierten
-(gleichviel ob patentierten oder nicht patentierten) Edisonschen
-Verfahren gehörigen Maschinen zu fabrizieren oder auch in den
-Werkstätten ausländischer Edisonscher Gesellschaften fabrizieren zu
-lassen, während die Herstellung in sonstigen Fabriken, so lange die
-Compagnie Continentale besteht, nur mit deren Genehmigung statthaft
-ist; ferner die gedachten Objekte zu beziehen und zu verkaufen;
-
-2. das Recht, Installationen für Beleuchtungs- und
-Kraftübertragungszwecke einzurichten oder die hierauf bezüglichen
-Befugnisse anderen einzuräumen;
-
-3. das Recht, die ad I und II gedachten Gegenstände selbst zu benutzen,
-sowie deren Benutzung Dritten zu gestatten.
-
-Eine andere Gewähr, als die für die gegenwärtige Existenz der Patente
-wird bezüglich derselben von Herrn Edison, der Edison Electric Light
-Company und der Compagnie Continentale nicht übernommen.
-
-Das Recht der Fabrikation (ad I) erstreckt sich auch auf die bei den
-elektrischen Bahnen zur Verwendung kommenden Maschinen, Apparate,
-Utensilien und Materialien, nicht aber auf die Anwendung derselben.
-
-Die Gesellschaft ist hinsichtlich ihrer gewerblichen Tätigkeit (§ 3)
-und hinsichtlich der ihr vorstehend eingeräumten Rechte nur beschränkt
-durch diejenigen Rechte, welche der Firma Siemens & Halske in Berlin
-laut der am 13. März 1883 zwischen dieser Firma einerseits und dem
-Herrn Edison und der Edison Electric Light Company, der Compagnie
-Continentale sowie sonstigen Konsorten andererseits abgeschlossenen
-beiden Verträge eingeräumt sind, wogegen aber auch die Rechte, welche
-in den gedachten Verträgen dem Herrn Edison, der Electric Light Company
-und deren Rechtsnachfolgern zugestanden sind, auf die Deutsche Edison
-Gesellschaft von selbst übergehen, sofern dieselbe spätestens innerhalb
-4 Wochen nach ihrer Eintragung in das Handelsregister eine schriftliche
-Annahmeerklärung zu Händen der Herren Siemens & Halske abgiebt.
-
-Als Erwerbspreis für die vorstehend beschriebenen Rechte wird an die
-Compagnie Continentale zu Paris die Summe von Dreihundertfünfzigtausend
-Reichsmark bar aus dem Vermögen der Gesellschaft bezahlt. Es findet
-aber eine Amortisierung dieser Summe in der Weise statt, daß die
-Compagnie Continentale auf die ihr im folgenden § 41 zugebilligten
-Prästationen so lange verzichtet, bis dieselben den Betrag von 350000
-Reichsmark erreicht haben. In dem Maße, in welchem dieser Betrag aus
-dem Geschäftsbetriebe der Gesellschaft aufkommt, fließt er den Aktivis
-der letzteren zu, während der Erwerbspreis der dafür gemäß Vorstehendem
-erworbenen Rechte immer nur mit dem entsprechenden Minderbetrage in die
-Bilanz eingestellt werden darf, bis er spätestens bei Erreichung der
-vollen Summe aus den Aktivis gänzlich verschwindet.
-
-Neben den vorstehend gedachten 350000 Reichsmark gelten auch diejenigen
-Vermögensvorteile, welche der Compagnie Continentale sonst in dem
-gegenwärtigen Statut eingeräumt worden sind (vergl. §§ 12 und 41), als
-Äquivalente für die gemäß dem Vorstehendem und § 36 erworbenen Rechte.
-
-Der Wert der von Herrn Edison, der Edison Electric Light Company und
-der Compagnie Continentale gemäß diesem Statut (§§ 35, 36) eingeräumten
-Rechte wird hiermit auf den mehrgedachten Betrag von 350000 Reichsmark
-und die in vorstehendem Alinea bezeichneten Äquivalente festgesetzt.
-
-
-§ 36.
-
-Die Compagnie Continentale in Paris verpflichtet sich, der Gesellschaft
-und zwar dieser ausschließlich alle einschlägigen patentierten und
-nicht patentierten Erfindungen, Verbesserungen und Erfahrungen,
-welche dem Herrn Edison, der Edison Electric Light Company, oder ihr
-selbst für elektrische Beleuchtungen und Kraftübertragung bereits zu
-Gebote stehen oder in deren Besitz Herr Edison, die Electric Light
-Company oder sie selbst bis zum 15. November 1886 noch gelangen wird,
-für Deutschland im ganzen Umfange der im § 35 erwähnten Verfahren
-mitzuteilen, und sie in ihrem Geschäftsbetriebe für Deutschland auf
-jede Art dergestalt zu unterstützen, daß sie in der Lage ist, die
-Fabrikation in dem nämlichen Grade der technischen Vollkommenheit
-auszuführen wie die Compagnie Continentale selbst.
-
-Insbesondere soll die Pariser Gesellschaft verpflichtet sein, der
-Gesellschaft auf deren Kosten geeignete Instrukteure zu stellen. Die
-Deutsche Edison Gesellschaft ist in allen diesen Beziehungen zur
-Reziprozität verpflichtet.
-
-
-§ 37.
-
-Sobald die Gesellschaft in das Gesellschaftsregister eingetragen ist,
-erhält dieselbe von der Compagnie Continentale diejenigen Vollmachten
-des Herrn Edison und der Light Company zu New York ausgehändigt, deren
-dieselbe zur Führung etwaiger, wegen Verletzung der durch diesen
-Vertrag auf sie zu übertragenden Rechte erforderlichen gerichtlichen
-und außergerichtlichen Maßnahmen bedürfen wird.
-
-Dem Herrn Edison und der Light Company wird hiermit das ihnen laut
-ihres Vertrages mit der Compagnie Continentale vom 15. November 1881
-gewährleistete Recht, sich an allen wegen unbefugter Nachahmung
-der von ihnen patentierten Erfindungen zu führenden Prozessen
-akzessorisch zu beteiligen, sowie an jedem anderen Rechtsstreit und
-Verwaltungsverfahren, welcher auf Antrag der Lizenzberechtigten in Gang
-gebracht werden sollte, ausdrücklich reserviert.
-
-
-§ 38.
-
-Die Deutsche Edison Gesellschaft übernimmt ihrerseits die
-Verpflichtung, für den Schutz der in Rede stehenden Edison-Patente
-auf ihre Kosten Sorge zu tragen, und von jeder zu ihrer Kenntnis
-gelangenden Verletzung der einschlägigen Patentrechte der Compagnie
-Continentale in Paris unverzüglich Mitteilung zu machen. Ist zur
-Inschutznahme der gedachten Patente ein prozessualisches Einschreiten
-erforderlich, so dürfen Vergleiche hierüber nur mit Genehmigung der
-Compagnie Continentale abgeschlossen werden.
-
-
-§ 39.
-
-Die Compagnie Continentale ist verpflichtet, der Gesellschaft an
-deren Sitz unter der Bedingung der Gegenseitigkeit das erforderliche
-Aktenmaterial zu dem im § 37 gedachten Zweck jederzeit zur Verfügung zu
-stellen.
-
-
-§ 40.
-
-Für den Fall der Auflösung der Gesellschaft, insbesondere für den Fall
-der Liquidation fallen die derselben übertragenen Patentrechte, soweit
-sie sich zu jener Zeit noch in Kraft befinden sollten, an die Compagnie
-Continentale zu Paris unentgeltlich zurück.
-
-
-§ 41.
-
-Außer den in dem § 12 bestimmten Vorteilen, welche die Gesellschaft
-der Compagnie Continentale eingeräumt hat, ist dieselbe verpflichtet,
-an die Compagnie Continentale in Paris halbjährlich nach Abschluß der
-Gesellschafts-Rechnungen folgende Prästationen, zahlbar an die Kasse
-der letzteren, zu entrichten:
-
-a) für jede durch die Deutsche Edison Gesellschaft oder deren
-Lizenzberechtigte oder durch die Firma Siemens & Halske auf Grund des
-im § 35 erwähnten Vertrages in Benutzung genommene oder verkaufte
-Lampe, unabhängig von der Lichtstärke derselben 16⅔% des jeweiligen
-Selbstkostenpreises, zu welchem die Deutsche Edison Gesellschaft ihre
-Lampen fabriziert oder bei einer auswärtigen Edison Gesellschaft
-entnehmen wird, keinesfalls aber mehr als 25 Pfennige pro Stück; von
-dieser Abgabe sind jedoch diejenigen Lampen befreit, welche die Firma
-Siemens & Halske gemäß dem vorgedachten Vertrage, sowie die Deutsche
-Edison Gesellschaft selbst im Bereiche ihrer eigenen Geschäfts- und
-Fabrikationsräume verwenden wird;
-
-b) eine Abgabe für jede von der Deutschen Edison Gesellschaft oder
-von der Firma Siemens & Halske auf Grund des mehrgedachten Vertrages
-innerhalb des Deutschen Reiches ausgeführte Glühlampenbeleuchtung;
-diese Abgabe wird entrichtet für jede in solchen Glühlampen tatsächlich
-verbrauchte Maschinen-Pferdekraft gleich 75 Kilogrammeter per Sekunde.
-Die Feststellung dieser in Lampen verbrauchten Pferdekraft hat nach
-dem elektrischen Maßsystem zu erfolgen; für die ersten 50 hiernach bei
-einer Anlage in Rechnung kommenden Pferdekräfte beläuft sich die Abgabe
-auf 12½ Mark pro Pferdekraft, für jede weitere Pferdekraft auf 16
-Mark; für außerordentliche Anlagen, die vorübergehend eingerichtet
-werden, wird diese Abgabe nicht entrichtet. Bei Anlagen gemischter
-(Glüh- und Bogenlicht-)Beleuchtung wird diese Abgabe nur für die in
-den Glühlichtlampen verbrauchten Pferdekräfte bezahlt. Die Abgaben
-werden fällig für die von der Gesellschaft selbst in Benutzung
-genommenen resp. verkauften Lampen und Dynamomaschinen mit Ende des
-jeweilig laufenden Semesters, für die von der Firma Siemens & Halske
-auf Grund des mehrgedachten Vertrages, sowie von etwaigen Lizentiaten
-der Gesellschaft benutzten oder verkauften Lampen und Maschinen
-jedesmal alsbald nach Eingang. Die Deutsche Edison Gesellschaft wird
-der Compagnie Continentale zu Paris allmonatlich eine Liste der
-ihrerseits sowie seitens ihrer Lizentiaten oder der Herren Siemens &
-Halske in Deutschland veräußerten zur Glühlichtbeleuchtung verwendbaren
-Stromerzeugungs-Maschinen unter Angabe der näheren Details zufertigen.
-
-Von jeder in Glühlicht verbrauchten Maschinen-Pferdekraft und von jeder
-Lampe ist jedoch diese Angabe nur einmal zu leisten.
-
-
-§ 42.
-
-Solange und in so weit die Gesellschaft nicht in der Lage sein wird,
-die zur Anwendung des Edisonschen Glühlichtsystems nötigen Maschinen,
-Apparate, Utensilien und Materialien bezw. Teile derselben selbst
-zu fabrizieren oder durch die Firma Siemens & Halske fabrizieren zu
-lassen, jedoch nicht länger als auf die Dauer eines Jahres, hat die
-Compagnie Continentale in Paris die zur Anwendung der einschlägigen
-Edisonschen Verfahren nötigen Maschinen, Apparate, Utensilien und
-Materialien zum Selbstkostenpreise an die Gesellschaft zu liefern.
-
-Eine Ausnahme hiervon bilden die Lampen, welche der Deutschen
-Gesellschaft zu demselben Preise wie der Compagnie Continentale und
-der Société électrique zu Paris frei an Bord des Dampfers in New York
-geliefert werden.
-
-
-§ 43.
-
-Die Compagnie Continentale verpflichtet sich, der Deutsches Edison
-Gesellschaft die zur Errichtung von Installationen oder auch
-Zentralstationen erforderlichen Hilfskräfte, insbesondere das
-technische Personal, auf Kosten der letzteren zur Verfügung zu stellen.
-
-
-§ 44.
-
-Die Compagnie Continentale wird die Gebühren für die in §§ 3 und 36
-erwähnten Patente jedesmal rechtzeitig vor Verfall an das Deutsche
-Reichs-Patentamt entrichten und die Belege darüber der Deutschen Edison
-Gesellschaft spätestens einen Monat vor Ablauf der letzten Frist
-zustellen.
-
-
-§ 45.
-
-Die Compagnie Continentale in Paris hat das Recht, zwei ständige
-Kommissarien zur Wahrnehmung ihrer Befugnisse und Interessen der
-Gesellschaft gegenüber zu bestellen.
-
-Diese Kommissarien partizipieren als solche, wenn sie nicht schon
-Mitglieder des Aufsichtsrats sind, an der Tantieme des letzteren und
-es stehen ihnen, soweit es sich um die Wahrung der Vertragsrechte
-der Compagnie Continentale handelt, sämtliche den Mitgliedern
-des Aufsichtsrats in diesem Statut eingeräumten Revisions- und
-Kontroll-Befugnisse zu.
-
-
-§ 46.
-
-Die Bestimmungen dieses Titels können ohne Genehmigung der Compagnie
-Continentale in Paris nicht geändert werden.
-
- * *
- *
-
-Ein Vertreter der Compagnie Continentale Edison in Paris trat in den
-Aufsichtsrat der Deutschen Edison Gesellschaft ein. Daneben wurden
-noch zwei Kommissare der französischen Gesellschaft bestellt, die die
-Geschäftstätigkeit des neuen Unternehmens unter dem Gesichtspunkte der
-Interessenwahrnehmung der Compagnie Continentale zu überwachen hatten.
-Es waren Herr Louis Rau, administrateur délégué de C. C. E. in Paris
-und der deutsche Rechtsanwalt und Notar A. Simson in Berlin.
-
-Abgesehen von der juristischen Auseinandersetzung mit Edison und den
-von ihm gegründeten Gesellschaften war aber noch eine schwierigere mit
-der deutschen Konkurrenz zu bewerkstelligen. Insbesondere erschien es
-nicht als ratsam, die Tätigkeit ohne Übereinkommen mit der stärksten
-Konkurrenzfirma +Siemens & Halske+ zu beginnen, umsomehr, als
-die Edisonpatente nicht mehr als unerschütterlich gelten konnten.
-Es hätten Versuche gemacht werden können, Glühlampen von ähnlicher
-Beschaffenheit und Güte unter Umgehung der Edisonschen Patente
-herzustellen und solche Versuche sind auch, je erfolgreicher das neue
-Licht sich bewährte, und je mehr es sich beim Publikum einführte,
-in großer Zahl unternommen worden. Wenigstens die leistungsfähigste
-Elektrizitätsfirma Deutschlands galt es von einem derartigen Vorgehen
-zurückzuhalten. In einem der ersten Geschäftsberichte der Deutschen
-Edison Gesellschaft wird von der illegitimen Konkurrenz gesprochen
-und ihre Erzeugnisse werden als „billig und schlecht“ bezeichnet.
-Infolge dieser Eigenschaften waren sie vielleicht nicht allzusehr zu
-fürchten. Etwas ganz anderes wäre es aber gewesen, wenn die Firma
-Siemens & Halske mit ihren reichen technischen Mitteln und ihren
-großen Erfahrungen in der elektrischen Feinmechanik an die Aufgabe,
-eine Konkurrenzlampe herzustellen, herangegangen wäre. Dies galt es zu
-verhindern, und so wurde, noch bevor die Deutsche Edison Gesellschaft
-sich endgültig konstituierte, gleichsam als eine der Vorbedingungen
-für ihre rechtliche und wirtschaftliche Lebensfähigkeit ein umfassender
-Vertrag mit der Firma Siemens & Halske abgeschlossen, an dem Edison,
-die europäischen Edisongesellschaften, das Gründungskonsortium der
-Deutschen Edison Gesellschaft und die Rechtsnachfolger Edisons, unter
-denen insbesondere die zu gründende Deutsche Edison Gesellschaft
-namhaft gemacht wurde, als Vertragsgenossen teilnahmen. Nach dem
-Vertrage verpflichteten sich Siemens & Halske, die Edison-Patente
-nicht anzufechten und zu stören, sondern im Gegenteil alles zu
-tun, um ihre Aufrechterhaltung zu fördern. Ein damals schwebender
-Prozeß zwischen Edison und Siemens & Halske, bei dem es sich um eine
-angebliche Verletzung der Siemensschen Dynamomaschinen-Patente durch
-Edison handelte, wurde bei dieser Gelegenheit durch Vergleich aus der
-Welt geschafft. Rathenau entschloß sich nicht leicht zu dem Pakt mit
-der älteren Konkurrenzfirma, zumal er damals wie auch später noch die
-Empfindung hatte, daß trotz der geschriebenen Verträge eine wirkliche
-Harmonie, ein ehrliches Vertrauensverhältnis schwer herzustellen sein
-würde. Aber es blieb ihm tatsächlich kein anderer Ausweg und das
-Bankenkonsortium forderte wenigstens nach dieser Seite hin gesicherte
-Verhältnisse. Ein Streit mit der Firma Siemens & Halske hätte für
-das junge Unternehmen, gleich wie er auch juristisch und tatsächlich
-schließlich ausgelaufen wäre, doch sicher jahrelange Kämpfe und
-Unruhen mit sich gebracht und wäre jedenfalls die denkbar schlechteste
-Beigabe für die zielbewußte Arbeit der ersten entscheidenden Jahre
-gewesen. So kam denn der rechtlich durch die eigenartige Stellung der
-vielen Kontrahenten zueinander sehr verwickelte Vertrag zustande,
-der 10 Jahre lang in Geltung bleiben sollte. Die Deutsche Edison
-Gesellschaft übernahm von Siemens & Halske mit der Edison Gruppe
-geschlossene Patentausnutzungs-Verträge in der Weise, daß Siemens &
-Halske ihre Abgaben nicht an die ausländischen Edison Gesellschaften,
-sondern an die Deutsche Edison Gesellschaft abzuführen hatten,
-während diese die Hälfte der ihr so zugeflossenen Beträge ebenso wie
-ihre eigenen Abgaben an die Pariser Gesellschaft weitergeben mußte.
-Wirtschaftlich erhielt also die Firma Siemens & Halske die Stellung
-einer Unter-Lizenznehmerin der Deutschen Edison Gesellschaft, wenn sie
-auch rechtlich direkte Lizenznehmerin der ausländischen Edisongruppe
-blieb. -- Natürlich war für Rathenau diese „Einrangierung“ der Firma
-Siemens & Halske in sein deutsches Glühlampenmonopol nicht ohne
-Zugeständnisse an das alte Elektrizitätshaus zu erreichen gewesen.
-Die Übertragung der Siemensschen Verträge mit der Pariser Gruppe auf
-die Deutsche Edison Gesellschaft war nur die +eine+ Seite des
-Vertragskomplexes zwischen den beiden Gruppen. Ein zweiter Teil bestand
-darin, daß Siemens & Halske im Verhältnis der Vertragsgenossen das
-alleinige Recht erhielten, Maschinen, Apparate und Materialien für
-Beleuchtungsanlagen nach dem System Edison herzustellen, die sie zu
-Meistbegünstigungspreisen an die Deutsche Edison Gesellschaft liefern
-und die diese von Siemens & Halske beziehen mußte. Glühlampen und
-Zubehör durften beide Gesellschaften selbst herstellen. Hinsichtlich
-ihres Bezuges von Dampf- und Hilfsmaschinen war die Deutsche Edison
-Gesellschaft nicht auf den Bezug von S. & H. angewiesen. Was
-Bogenlampen anlangt, so sollte die Deutsche Edison Gesellschaft
-die nach dem System von S. & H. gebauten verwenden müssen, sofern
-nicht Edison eine eigene Lampe erfinden und exploitieren würde.
-Als Gegenleistung für diese Zugeständnisse verpflichtete sich die
-Firma Siemens & Halske, keine elektrischen Anlagen zu gewerblichen
-Zwecken (sogenannte Zentralstationen) zu betreiben. Die vertraglichen
-Abmachungen, die einer +Teilung+ der +Fabrikations- und
-Interessengebiete+ auf dem Gebiete der elektrischen Beleuchtung
-zwischen beiden Unternehmungen gleichkamen, wurden dadurch bekräftigt,
-daß die Firma Siemens & Halske der jüngeren Gesellschaft, die für die
-Propagierung des Edisonlichts eine weitverzweigte und leistungsfähige
-Absatzorganisation benötigte, ihre eigenen Vertreter in allen Teilen
-des Deutschen Reiches für diese Zwecke zur Verfügung stellte. --
-Der für die Entwickelung der Deutschen Edison Gesellschaft so
-wichtig gewordene Hauptvertrag mit Siemens & Halske soll nachstehend
-gleichfalls in seinen wesentlichsten Bestimmungen wörtlich
-wiedergegeben werden.
-
-
-§ 3.
-
-Die Firma Siemens & Halske verpflichtet sich für die Dauer des
-gegenwärtigen Vertrages, die dem Herrn Edison bezw. der Light-Company
-für das Deutsche Reich erteilten, die elektrische Glühlicht-Beleuchtung
-betreffenden Patente weder mit dem Antrag auf Nichtigkeits-Erklärung
-noch sonst anzufechten; sie ist im Gegenteil gehalten, tunlichst
-dahin mitzuwirken, daß diese Patente in ihren wesentlichen Teilen
-aufrechterhalten und hinsichtlich ihrer gesetzlichen Wirkung allseitig
-beachtet bleiben.
-
-Dagegen räumen Herr Edison, die Light-Company, die Continentale und das
-Konsortium hierdurch der Firma Siemens & Halske für das Deutsche Reich
-auf die Dauer des gegenwärtigen Vertrages das Recht ein, den Gegenstand
-der durch die vorbezeichneten Glühlicht-Patente geschützten Erfindungen
-uneingeschränkt gewerbsmäßig herzustellen, herstellen zu lassen, in
-Verkehr zu bringen und feilzuhalten. Die Kontrahenten zu 2. bis 7.
-entsagen demgemäß für sich und ihre Rechtsnachfolger dem Recht, selbst
-oder durch ihre Agenten oder sonstigen Vertreter der vorbeschriebenen
-Ausnutzung der Glühlicht-Patente von Seiten der Herren Siemens &
-Halske, sei es im Rechtswege, sei es in irgend einer anderen Weise ein
-Hindernis entgegenzusetzen, während die letzteren als Entgelt hierfür,
-sowie für die weiteren ihnen in diesem Vertrage von dem anderen Teile
-eingeräumten Vorteile die Verbindlichkeit übernehmen, nach näherer
-Maßgabe der §§ 4 und 6 eine Abgabe
-
- a) für die Verwendung der Glühlicht-Lampen und ihrer akzessorischen
- Teile zur Beleuchtung,
-
- b) für die Veräußerung solcher Lampen
-
-zu entrichten.
-
-
-§ 4.
-
-..... Diese Abgabe wird entrichtet für jede in den Glühlampen
-tatsächlich verbrauchte Pferdekraft (= 75 Kilogrammeter per 1 Sekunde).
-Die Feststellung dieser in den Lampen verbrauchten Pferdekraft hat nach
-dem elektrischen Maß-System zu erfolgen. Es wird vorbehalten, künftig
-eine möglichst einfache und sichere Art der Erhebung dieser Abgabe zu
-vereinbaren. Für die ersten fünfzig hiernach bei einer Anlage überhaupt
-in Rechnung kommenden Pferdekräfte beläuft sich die Abgabe auf 25.--
-Mark pro Pferdekraft, für jede weitere Pferdekraft auf 32.-- Mark. Für
-außerordentliche Anlagen, die vorübergehend eingerichtet werden, wird
-diese Abgabe nicht entrichtet.
-
-..... Von Stromerzeugungsmaschinen, welche die Herren Siemens & Halske
-veräußern, ohne selbst oder durch ihre Agenten oder Monteure die
-Installation auszuführen, haben sie eine Abgabe nicht zu entrichten.
-
-
-§ 5.
-
-Die Herren Siemens & Halske entsagen für die Dauer des gegenwärtigen
-Vertrages dem Recht, permanente Anlagen mit dem gewerblichen
-Zweck der Abgabe von Licht gegen Bezahlung des Licht-Verbrauchs
-zu betreiben. Dieser Verzicht umfaßt unbedingt jede Anlage, aus
-welcher jedermann Licht beziehen kann, betrifft indessen nicht
-den Betrieb solcher Anlagen, bei welchen das Eigentum der Anlagen
-innerhalb eines Zeitraumes von längstens 6 Jahren auf den resp. die
-Licht-Konsumenten übergeht, auch wenn solche bis zum Eigentumsübergang
-als Lichtlieferungsanstalten angesehen werden könnten, und ferner nicht
-den Betrieb solcher Anlagen, welche nur dem Zweck der in § 4 erwähnten
-vorübergehenden Beleuchtungen dienen.
-
-
-§ 6.
-
-Auf jede Glühlampe, welche die Herren Siemens & Halske im Deutschen
-Reich anwenden oder zum Zweck der Anwendung im Deutschen Reich
-veräußern, ausschließlich jedoch aller derjenigen Lampen, welche
-sie von Herrn Edison oder dessen Rechtsnachfolgern beziehen, und
-ausschließlich derjenigen, welche sie im Bereich ihrer eigenen
-Fabrikations- und Geschäftsräume verwenden, werden die Herren Siemens
-& Halske -- in besonderer Anerkennung der Verdienste des Herrn Edison
-in der Erfindung und Durchführung der Glühlicht-Lampe -- an diesen
-beziehungsweise an den von ihm jeweilig als empfangsberechtigt
-bezeichneten Rechtsnachfolger eine Abgabe entrichten. Die dieser
-Abgabe unterliegenden Lampen werden von den Herren Siemens & Halske
-bei der Fabrikation durch ein besonderes Merkmal kenntlich gemacht
-werden. Ein ähnliches Merkmal wird auch seitens der künftigen Deutschen
-Edison Gesellschaft bei den von ihr in Deutschland in Verkehr
-gebrachten Lampen angewendet werden. Die Abgabe wird unabhängig von
-der Lichtstärke der Lampen festgesetzt auf 33⅓% (dreiunddreißig ein
-Drittel Prozent) des jeweiligen Selbstkostenpreises, zu welchem die
-Lampen in der Fabrik der Light-Company zu New York resp. in derjenigen
-Fabrik, der die künftige Deutsche Edison Gesellschaft die Mehrzahl
-ihrer Lampen entnimmt, hergestellt werden und welchen Herr Edison bezw.
-seine Rechtsnachfolger halbjährig nach Semestral-Abschluß der Bücher
-den Herren Siemens & Halske mitteilen werden. Die Abgabe pro Lampe
-darf indessen in keinem Falle den Betrag von 50 Pf. (fünfzig Pfennig)
-übersteigen.
-
-Das Minimum des Preises, zu welchem Herr Edison und seine
-Rechtsnachfolger die Glühlampen in Deutschland verkaufen dürfen,
-soll der jeweilige Selbstkostenpreis der Fabrik der Light-Company
-zu New York oder derjenigen Fabrik, der die künftige Deutsche
-Edison-Gesellschaft die Mehrzahl ihrer Lampen entnimmt, unter
-Zurechnung eines Gewinnaufschlages von 33⅓% sein, auch wenn und wo
-ein Rabatt gewährt wird. Die so festgesetzte untere Preisgrenze ist für
-die Herren Siemens & Halske gleichfalls verbindlich.
-
-
-§ 7.
-
-Die Abgabe (§ 6) wird nicht gezahlt für alle Glühlampen, welche die
-Herren Siemens & Halske von Herrn Edison beziehungsweise der ins Leben
-zu rufenden Deutschen Aktien-Gesellschaft (§ 1) oder seinen sonstigen
-Rechtsnachfolgern erwerben.
-
-Im Geschäftsverkehr zwischen diesen und den Herren Siemens & Halske
-werden den letzteren vielmehr, unbeschadet etwaiger künftiger
-Verständigung über weitergehende Vergünstigungen, mit Rücksicht auf die
-vertragsmäßigen Gegenleistungen der Herren Siemens & Halske folgende
-Vorzugs-Verkaufspreise zugesichert:
-
- a) Auf Glühlampen bis zu 16 Kerzenstärken erhalten die Herren
- Siemens & Halske einen Rabatt von 25% (fünfundzwanzig Prozent) des
- Preiskourant-Satzes, mindestens aber einen Rabatt, der den irgend
- einem anderen Abnehmer in Deutschland gewährten um wenigstens 10%
- des Preiskourant-Satzes übersteigt.
-
- b) Wird der Preiskourant-Satz der vorbezeichneten Lampen für
- Deutschland loko Berlin unter 4 Mark herabgesetzt, so erhalten
- die Herren Siemens & Halske die Lampe zu einem Preise, der um
- mindestens 5% niedriger ist, als der irgend einem anderen Abnehmer
- in Deutschland bewilligte. Stellt sich der so normierte Preis
- höher als der nach Litt. a) von einem Preis von 4 Mark oder mehr
- berechnete, so sind die Herren Siemens & Halske berechtigt, die
- Lieferung zu diesem letzteren Preise zu fordern.
-
- c) Auf Glühlampen von mehr als 16 Kerzenstärken erhalten die Herren
- Siemens & Halske auf den Preiskourant-Satz einen Rabatt, welcher
- den irgend einem anderen deutschen Abnehmer gewährten um wenigstens
- 5% des Preiskourant-Satzes übersteigt.
-
-Die Herren Siemens & Halske sind befugt, selbstverfertigte oder
-von Dritten bezogene Lampen -- unter Einhaltung der in § 6 am
-Ende gezogenen unteren Preisgrenze -- zu einem ihnen beliebigen
-Preise zu verkaufen, während sie die von Herrn Edison bezw. dessen
-Rechtsnachfolgern, das heißt ohne Leistung einer Abgabe bezogenen
-Lampen nicht unter dem Edisonschen Preiskourant-Satz und nicht mit
-einem höheren, als dem auf diesen Edisonschen Preiskourantsatz Dritten
-gewährten Rabatt weiter veräußern dürfen.
-
-
-§ 8.
-
-Herr Edison und die Kontrahenten zu 3. bis 7. entsagen mit Rücksicht
-auf die vertragsmäßigen Gegenleistungen der Herren Siemens & Halske
-für sich und alle ihre Rechtsnachfolger in der Ausnutzung der
-Edison-Patente, zu Gunsten der Herren Siemens & Halske, dem Rechte,
-Maschinen, Apparate und Materialien anzufertigen, welche bei ihren
-Anlagen in Deutschland für elektrische Beleuchtung zur Verwendung
-kommen.
-
-Ausgenommen von vorstehender Entsagung bleiben:
-
- a) Glühlampen,
- b) sockets (Lampenhalter),
- c) safety-catches (Sicherheitsausschalter),
- d) commutators (Umschalter),
- e) alle solche Gegenstände, welche die Herren Siemens & Halske
- selbst, nachdem sie solche eingekauft, ohne Bearbeitung weiter
- verkaufen würden, als blanke Drähte, Porzellan-Isolatoren und
- dergl.,
- f) Dampfmaschinen oder sonstige Motoren, Dampfkessel und Hilfsmittel
- für Betriebskraft,
- g) Kandelaber und Befestigungsteile für die Anbringung der Lampen.
-
-In der Anschaffung und Anfertigung ihres Bedarfs an Gegenständen der
-Kategorien zu a) bis g) sind Herr Edison und seine Rechtsnachfolger
-nicht beschränkt. Dagegen verpflichten sie sich, gleichfalls aus der
-oben gedachten Rücksicht, alle sonstigen nachstehend unter 1. bis 4.
-einschließlich aufgeführten Gegenstände unter folgenden Modalitäten
-ausschließlich von den Herren Siemens & Halske fabrizieren zu lassen
-und zu beziehen, und zwar:
-
- 1. Stromerzeugungs-Maschinen nach Edisonschen Modellen, welche
- die Herren Siemens & Halske zu fabrizieren und zu Preisen
- zu liefern haben, die für innerhalb Berlin zur Installation
- gelangende Maschinen unverpackt franko Ausstellungsort in Berlin,
- für andere Maschinen einschließlich der Verpackung und franko
- Bahnhof Berlin die Ausgangspreise nicht übersteigen, zu denen die
- Société industrielle et commerciale Edison in Paris die gleichen
- Typen jeweilig franko Bahnhof Paris einschließlich der Verpackung
- abgibt. Für die innerhalb des ersten Fabrikationsjahres, von
- dem Zeitpunkte ab gerechnet, mit welchem die Verpflichtung der
- Herren Siemens & Halske zur Fabrikation beginnt oder zu welchem
- tatsächlich Bestellungen erfolgt und akzeptiert sind, ausgeführten
- Lieferungen darf jedoch der Preis der Herren Siemens & Halske den
- vorbeschriebenen Pariser Preis um 5% übersteigen;
-
- 2. Conductoren Edisonscher Spezialkonstruktion, boites de jonction
- und T-Stücke, sowie alle übrigen hier nicht besonders aufgeführten,
- zu dem Edisonschen Leitungssysteme gehörenden Gegenstände, welche
- die Herren Siemens & Halske verpackt loko Berlin Bahnhof bezw.
- unverpackt loko Berlin franko Aufstellungsort zu Preisen zu
- liefern haben, die denjenigen Preis nicht übersteigen, zu welchem
- die Société industrielle et commerciale Edison in Paris diese
- Gegenstände inklusive Verpackung franko Pariser Bahnhof abgibt.
-
- 3. Kabel zur Glühlicht-Beleuchtung und Bogenlicht-Beleuchtung, die
- Spezial-Konstruktionen der Firma Siemens & Halske sind, welche die
- Herren Siemens & Halske zu liefern und loko Fabrik ausschließlich
- der Verpackung mit einem Rabatt zu berechnen haben, der den irgend
- einem anderen deutschen Abnehmer in derselben Rechnungsperiode
- gewährten Rabatt um 5% des Lieferungspreises übersteigt.
-
- 4. Leitungsdrähte für die Installation im Innern der Gebäude,
- welche Herr Edison und seine Rechtsnachfolger gleichfalls
- vorzugsweise von den Herren Siemens & Halske beziehen sollen,
- sofern und solange diese Firma jene Gegenstände unter den
- gleichen Bedingungen, insbesondere in gleicher Qualität, zu dem
- nämlichen oder einem geringeren Preise und innerhalb der gleichen
- Lieferungszeiten liefert, als zu welchen dieselben loko Berlin von
- einem anderen Lieferanten bezogen werden können.
-
-..... Die Verpflichtung der Herren Siemens & Halske, Maschinen etc.
-unter obigen Bedingungen zu liefern, beginnt sechs Monate nach
-Vollziehung dieser Vertrages.
-
-..... Im Fall die Herren Siemens & Halske eine Kündigung des Vertrages
-ausgesprochen haben, werden Herr Edison und seine Rechtsnachfolger --
-in besonderer Anerkennung der Verdienste des Herrn Dr. Werner Siemens
-und der von ihm geleiteten Firma in der Erfindung und Durchführung der
-Dynamo-Maschine -- für die Dauer des gegenwärtigen Vertrages von jeder
-solchergestalt in ihren eigenen Werkstätten angefertigten Maschine
-an die Herren Siemens & Halske eine Abgabe entrichten. Diese Abgabe
-wird festgesetzt auf 5% (fünf Prozent) desjenigen Preises, welcher
-den Herren Siemens & Halske für eine stromerzeugende Maschine der
-betreffenden Type zuletzt tatsächlich gezahlt ist, bezw. -- bei neuen
-Typen -- nach dem Obigen (siehe Nr. 1 etc.) zu zahlen sein würde.
-
-
-§ 11.
-
-Herr Edison und seine Rechtsnachfolger entsagen mit Rücksicht auf
-die vertragsmäßigen Gegenleistungen der Herren Siemens & Halske
-für Deutschland dem Recht, bei Bogenlicht-Beleuchtungen irgend
-ein anderes System als dasjenige der Herren Siemens & Halske oder
-ein von Herrn Edison selbst erfundenes zu exploitieren und den zu
-Bogenlicht-Beleuchtungen gebrauchten Zubehör aus einer anderen
-Bezugsquelle als von den Herren Siemens & Halske zu entnehmen,
-unbeschadet der im § 8 bestimmten Ausnahmen. Nur Kohlenstäbe fallen
-nicht unter diese Vereinbarung (§ 9 in fin.).
-
- * *
- *
-
-Das Abkommen zwischen der Deutschen Edison Gesellschaft und Siemens
-& Halske hatte für beide Teile seine Vorteile und Nachteile. Für
-die ältere Firma, deren weitverzweigter Geschäftskreis dadurch nur
-in einem, überdies ziemlich weit an der Peripherie gelegenen Teile
-berührt wurde, hatte es zunächst mehr die Bedeutung eines Ausgleichs
-über ein neues, den alten Geschäftsstamm ergänzendes Zukunftsgebiet,
-keineswegs die Tragweite einer Teilung bisherigen Alleinbesitzes
-mit einem neu hinzukommenden Konkurrenten. So wurde es wenigstens
-damals von den Leitern der Firma S. & H. aufgefaßt. Auf diesem neuen
-Gebiete, dem der Lichtelektrizität, sicherte man sich das Recht, die
-beste damals vorhandene Glühlampe zu produzieren. Die der Deutschen
-Edison Gesellschaft gegenüber höhere Lizenzgebühr nahm man in den
-Kauf, glaubte diesen Nachteil aber dadurch hinlänglich ausgeglichen zu
-haben, daß man das ausschließliche Recht, Maschinen und Materialien
-für Beleuchtungszwecke nach dem Edisonschen System herzustellen und
-dazu einen bedeutenden Pflichtabnehmer für diese Fabrikate sowie
-für die eigene Bogenlampenkonstruktion gewann. Der Verzicht auf die
-sogenannten „Konzessionen“, das heißt das Recht, Zentralstationen zur
-Erzeugung und gewerblichen Abgabe von Lichtstrom für eigene Rechnung
-zu errichten, fiel der Firma Siemens & Halske damals nicht schwer.
-Sie hielt diesen Zentralenbau in eigener Regie für etwas Unsolides,
-mit dem Odium der Gründerei Behaftetes und hätte -- wenigstens zu
-jener Zeit -- wohl auch ohne diese Bindung nicht an die Errichtung
-solcher Stationen gedacht. Der ganze Vertrag war für die Firma insofern
-wertvoll, als er ihr die Möglichkeit bot, die neue Konkurrenz, deren
-Kapitals- und Industriekraft ihr gewiß nicht ebenbürtig war, deren
-Unternehmungslust aber sehr groß und lebhaft zu sein schien, auf ein
-Sondergebiet, das der Glühlampenbeleuchtung, zu beschränken. Für
-die Deutsche Edison Gesellschaft waren manche der einschränkenden
-Bedingungen -- darüber war sich Emil Rathenau schon damals nicht im
-Unklaren -- hemmend, wenngleich nicht so sehr für die nächste Zeit, die
-auf dem gewählten Sondergebiet vorerst mehr als genug Arbeit bot, als
-für die weitere Entwickelung. Dafür erwarb die junge Gesellschaft aber
-ein Rechtsmonopol für Glühlampen Edisonschen Systems in Deutschland,
-schaltete die stärkste Konkurrenz auf dem wichtigen Zentralenbaugebiet
-aus und hatte die Gewähr, diejenigen Hilfsanlagen, die sie selbst
-nicht herstellen durfte, von der leistungsfähigsten Fabrikationsfirma
-zu günstigen Preisen geliefert zu erhalten. Schließlich war die enge
-Geschäftsverbindung mit dem großen Hause Siemens & Halske für den
-geschäftlichen Ruf eines neu gegründeten Unternehmens an sich, ganz
-unabhängig von dem Inhalt der Verträge, wertvoll genug. Sie hob es über
-die Fährnisse und Unsicherheiten der Vertrauensfrage Abnehmern und
-Aktionären gegenüber mit einem Schlage soweit hinaus, wie dies sonst
-nur durch jahrelange gute Leistungen und Erträgnisse möglich gewesen
-wäre, und gab ihm von vornherein den Rahmen der Ernsthaftigkeit und
-industriellen Bedeutung. Eine Gesellschaft, die Siemens & Halske eines
-Interessenteilungs-Vertrages für würdig hielten, mußte -- so wird man
-sich damals gesagt haben -- doch eine ernsthafte Grundlage besitzen,
-und der „Vertrag mit Siemens, der Rathenau an Händen und Füßen
-fesselte“ -- so drückte sich ein bekannter Finanzmann aus -- „war für
-das junge Unternehmen nichtsdestoweniger ein Glück, weil es eben ein
-Vertrag mit Siemens war.“
-
-Nach Erledigung dieser rechtlichen und vertraglichen
-Grundkonstruktionen konnte sich die neue Verwaltung mit Intensität
-ihrer industriellen Arbeit widmen. Dabei war sie sich durchaus der
-Tatsache bewußt, daß das neue Beleuchtungssystem in seiner praktischen
-Anwendung und Handhabung noch nicht völlig über die Periode der
-Versuche und Kinderkrankheiten hinausgewachsen war. Rückschläge und
-Mißerfolge -- namentlich in der Hand von ungeübten Unternehmern --
-waren leicht möglich, und hätten der Volkstümlichkeit der jungen
-Beleuchtung schweren Schaden bringen können. In der ersten eigenen
-Blockstation, Friedrichstraße 85, von der aus man die umliegenden
-Häuser und Etablissements mit elektrischem Licht speiste, mußten die
-Ingenieure der Gesellschaft, darunter Rathenau und Oscar v. Miller,
-noch immer persönlich scharfen Überwachungsdienst leisten, damit
-die Maschinen in richtigem Gang blieben, und wenn doch einmal, was
-gar nicht so selten vorkam, die elektrische Beleuchtung plötzlich
-erlosch, mußten die Gäste im Café Bauer, das zu den Abnehmern
-jener ersten Station gehörte, mit guter Laune über die unangenehme
-Situation hinweggebracht werden, eine Aufgabe, die allerdings -- wie
-Oscar v. Miller humorvoll zu erzählen pflegte -- bei den Kollegen
-am wenigsten begehrt war. Hatte die Deutsche Edison Gesellschaft
-schon selbst trotz ihrer besonderen Erfahrungen auf dem Gebiete des
-Glühlampen-Lichts mit derartigen Schwierigkeiten zu kämpfen, so mußte
-sie sich die Lizenzanträge, die ihr in großer Zahl zugingen, doppelt
-und dreifach daraufhin ansehen, ob die Firmen, von denen sie ausgingen,
-die erforderliche technische Gewähr für zuverlässige Ausführung
-boten. In ihrem ersten Geschäftsbericht hebt die Edisongesellschaft
-ausdrücklich hervor, daß sie unter Verzicht auf den durch unbeschränkte
-Lizenzerteilung zu erzielenden Nutzen unter dem Schutz der deutschen
-Edison-Patente nur Firmen vereinigen dürfe, die durch ihre bisherigen
-Leistungen und durch ihre bevorzugte Stellung in der Industrie dem
-Publikum genügende Sicherheit für sorgfältige Installation und
-Garantien dafür boten, daß sie nicht auf Kosten der Qualität eine
-Preiskonkurrenz herbeiführen würden. Infolge dieser vorsichtigen
-Verkaufspolitik wurden im ersten Geschäftsjahre nur mit der Firma J.
-Schuckert in Nürnberg und der Firma Heilmann, Ducommun & Steinlen
-in Mülhausen Lizenzverträge abgeschlossen, nach denen sie gegen
-Erstattung gewisser Abgaben und gegen die Verpflichtung, die Lampen
-ausschließlich von der Deutschen Edison Gesellschaft zu beziehen,
-zur Benutzung der Edisonschen Patente berechtigt waren. Trotz dieser
-selbstgewählten Beschränkung waren bei Ablauf des ersten im ganzen
-noch nicht 8 Monate umfassenden Geschäftsjahres der Gesellschaft in
-Deutschland bereits 138 Dynamomaschinen mit mehr als 12000 Lampen unter
-dem Schutze der Edisonschen Patente in Tätigkeit. Die ersten Maschinen,
-Apparate usw. mußten noch von ausländischen Edison-Gesellschaften
-bezogen werden, da die Firma Siemens & Halske nicht sofort mit
-der Lieferung von Edison-Maschinen beginnen konnte, sondern erst
-umfassende Vorbereitungen für die Produktion treffen mußte. Hierbei
-trat denn die Mangelhaftigkeit der Edisonschen Original-Maschinen
-klar zutage. Eisenteile zerbrachen häufig, die Widerstände waren
-falsch berechnet. Kurz, die Deutsche Edison Gesellschaft hatte mit
-diesen Maschinen viel Ärger. Schon in kurzer Zeit gelang es der Firma
-Siemens & Halske aber dank ihrer ausgezeichneten und geschulten
-Kräfte und der reichen Mittel, die ihr zur Verfügung standen, sich
-der übernommenen Aufgabe in so vollendeter Weise zu entledigen, daß
-die Deutsche Edison Gesellschaft ihren Bedarf ausschließlich in ihren
-Werkstätten decken konnte. Für die Herstellung von Antriebsmotoren
-zum Betriebe der Dynamomaschinen, bei deren Bezug die Gesellschaft
-nicht an S. & H. gebunden war, entwarf die Edison-Gesellschaft, nachdem
-es sich herausgestellt hatte, daß die zu verwendenden Motoren die
-bisherigen Ansprüche überstiegen, Spezialkonstruktionen, die nach ihren
-Anweisungen von einer Berliner Maschinenfabrik hergestellt wurden.
-Auch hier ging es nicht ohne Fehlschläge ab. Für die Herstellung
-von Glühlampen, die den wesentlichsten Teil der neuen Beleuchtung
-bildeten, richtete die Gesellschaft dagegen eigene Fabrikationsanlagen
-auf Grund der in Amerika und Frankreich gemachten Erfahrungen
-ein; die Erzeugungsfähigkeit der Fabrik wurde auf zunächst 150000
-Lampen jährlich bemessen und im ersten Geschäftsjahre -- in einer
-Verkaufszeit von 6 Monaten -- wurden 25000 Stück abgesetzt. An größeren
-Installationsaufträgen waren u. a. auszuführen: Die endgültigen
-Beleuchtungsanlagen in den beiden Münchener Königlichen Theatern,
-dem Residenztheater und dem Opernhaus, und eine Anlage in dem neuen
-Königlichen Residenztheater zu Stuttgart. Im ganzen wurden 27 Anlagen
-mit 33 Maschinen hergestellt, unter deren Bestellern sich Maschinen-,
-Zucker- und Papierfabriken, Spinnereien, Webereien, Geschäftshäuser und
-Restaurants befanden. Dabei leisteten Felix Deutsch seine Beziehungen
-namentlich zur Zuckerindustrie gute Dienste. Auch hier waren die
-Ergebnisse aber zunächst keineswegs so befriedigend, wie man das
-erhofft hatte. Abgesehen von den Störungen, die durch die anfänglich
-gelieferten schlechten amerikanischen Maschinen hervorgerufen
-wurden, konnten sich die Kunden auch nur schwer an die sogenannten
-„Schnelläufer“ gewöhnen, die mit den 300 Touren, die sie in jener Zeit
-liefen, für damalige Begriffe ein Höllengeräusch machten. In eigenem
-Betrieb wurde die kleine von der Versuchsgesellschaft übernommene
-Zentralstation ausgebaut, die von dem Grundstück des Unionklubs in der
-Schadowstraße diesen sowie die Ressource von 1794 mit elektrischer
-Energie versorgte. Eine Erweiterung mit dem Zwecke, auch das in der
-Nähe gelegene Aquarium so wie einige andere Nachbarbetriebe mit Licht
-zu versorgen, wurde in die Wege geleitet. Die im Jahre 1883 in Berlin
-abgehaltene Hygiene-Ausstellung wurde dazu benutzt, das Glühlicht in
-großem Maßstabe dem Publikum der Reichshauptstadt vorzuführen.
-
-Für das Jahr 1883, das erste Geschäftsjahr des neuen Unternehmens,
-wurde folgende Bilanz aufgestellt:
-
- =Bilance für das erste Geschäftsjahr=,
- abgeschlossen per 31. Dezember 1883.
-
- _Aktiva._ M. Pf.
-
- An Kasse-Conto 7.720.07
-
- „ Effekten-Conto 3½ pCt. Pr. St.
- Schld. (Kaution) nom. M.
- 150.-- 150.05
-
- „ Waaren-Conto 204.248.01
-
- „ Conto-Corrent-Conto
- a) Guthaben bei diversen Banken 4.103.672.--
- b) Guthaben auf Forderungen in
- lfd. Rechnung 548.298.27 4.651.970.27
-
- „ Inventarien-Conto
- I. Mobilien 11.727.97
- II. Comptoir- und
- Bureau-Utensilien 4.219.95
- III. Technische Instrumente,
- Apparate und Chemikalien 5.929.55
- IV. Bücher und Pläne 2.387.60
- V. Werkzeuge 1.233.85
- ----------
- 25.498.92
- ab 10% Abschreibung 2.550.-- 22.948.92
-
- „ Immobilien-Conto
- Grundstück Friedrichstrasse 85 227.211.38
-
- „ Vorschuss-Conto Compagnie
- Continentale Paris, Rest der
- an dieselbe, für Ausnutzung
- der Edison-Patente gezahlten
- Erwerbspreise von M.
- 350.000 per 31. Dezember
- 1883 (§ 35 der Statuten) 336.133.45
-
- „ Centralstation Schadowstrasse 9
- Union-Club und Ressource 1794 54.739.05
-
- „ Patent-Conto 2.000.--
- ------------
- 5.507.121.20
-
-
- _Passiva._ M. Pf.
-
- Per Actien-Capital-Conto 5.000.000.--
- „ Conto-Corrent-Conto
- Creditoren in laufender Rechnung
- 303.137.03
-
- „ Hypotheken-Conto
- auf Friedrichstrasse 85 haftende
- Hypothek 30.000.--
-
- „ Gewinn- und Verlust-Conto
- Reingewinn 173.984.17
-
- „ Dividenden-Conto per 1883
- 4% v. M. 5.000.000 resp.
- 10.000 Act. à M. 13.35 M. 133.500
-
- „ Rückstellungs-Conto
- für unternommene Anlagen M. 40.000
-
- „ Gewinn-Uebertrag pro 1884 M. 484.17
- _____ ____________
- 5.507.121.20
-
- =Gewinn- und Verlust-Conto=
- per 31. Dezember 1883.
-
- _Debet._ M. Pf.
-
- An Handlungs-Unkosten-Conto
- I. Gehälter 56.563.70
-
- II. Reisekosten 4.203.75
-
- III. Schreib- und Zeichen-Material,
- Druckkosten, Formulare
- und Bureaubedürfnisse
- 6.529.48
-
- IV. Porti, Depeschen, Insertionen
- und öffentliche
- Blätter 5.926.68
-
- V. Miethe und Instandhaltung
- der Dienstlokale 6.641.50
-
- VI. Feuer-Versicherung 861.48
-
- VII. Stempel, Steuern, Einkommen-
- und Mieths-Steuer 4.993.70
- _________
- 85.720.29
-
- An Organisations-Conto
- Druck der Actien und Statuten, Prospekte,
- Eintragungskosten, Fertigstellung und
- Controllzeichnung der Actien und
- Publikationen durch die Presse 12.323.33
- „ Inventarien-Conto
- 10 pCt. Abschreibung von 25.498.92 2.550.--
- Reiner Gewinn 173.984.17
- __________
- 274.577.79
-
- _Credit._ M. Pf.
- Per Waaren-Conto 160.151.23
- Per Zinsen-Conto 114.426.56
- __________
- 274.577.79
-
- * *
- *
-
-Wir sehen aus dieser Bilanz, daß nach Ablauf des ersten Geschäftsjahres
-das eingezahlte Kapital der Gesellschaft von 5 Millionen Mark erst zu
-einem kleinen Teil in Anspruch genommen und in den Betrieb überführt
-worden war. Ein Betrag von 4.103.672 Mark war noch bar vorhanden und
-als Guthaben der Gesellschaft bei verschiedenen Banken niedergelegt.
-Trotzdem konnte auf das Aktienkapital von 5 Millionen Mark eine
-Dividende von 4% für die Zeit von der Gründung der Gesellschaft bis
-zum Bilanzabschluß zur Ausschüttung gebracht werden, was aber zum Teil
-dadurch ermöglicht wurde, daß neben dem Warengewinn von 160.151 Mark
-ein Zinsgewinn von 114.426 Mark aus dem Bankguthaben der Gesellschaft
-zufloß.
-
-In den folgenden Jahren schritt die technische Entwickelung rüstig
-fort. Trotz mancher Rück- und Fehlschläge war der Siegeszug des
-Edison-Lichts nicht mehr aufzuhalten, besonders nachdem es der
-Gesellschaft gelungen war, eine Bogenlampenkonstruktion zu erwerben,
-bei der es möglich wurde, Bogenlicht und Glühlicht rationell in
-demselben Stromkreise zu brennen. Diese Lampe füllte auch die
-Lücke aus, die bisher zwischen der sechzehnkerzigen Glühlampe
-und der Bogenlampe von 1000 Normalkerzen bestanden hatte, da man
-ihre Lichtstärke durch Regulierung des Stromverbrauchs in weiten
-Grenzen bis zu 100 Kerzen Leuchtkraft herab vermindern konnte.
-Damit wurde eine der Hauptvorbedingungen für die Einrichtung von
-Zentralstationen, die Straßen und Innenräume gleichzeitig versorgen
-konnten, gegeben. Die neue Bogenlampe bewährte sich gleich gut in
-Wohnungen wie in Werkstätten, in Theatern wie auf Straßen und gewann
-schon in wenigen Monaten unter der großen Zahl von Bogenlampen, die
-allenthalben angeboten wurden, solchen Ruf, daß die Deutsche Edison
-Gesellschaft nur selten Glühlichtbeleuchtungen ausführte, bei denen
-nicht einige oder mehrere Bogenlampen mit verwendet wurden. Mit dem
-neuen System hatte die Deutsche Edison Gesellschaft zwar, bei der
-damals herrschenden Praxis des Patentamts, neue Erfindungen nur in
-begrenztem Umfange zu schützen, kein Monopol für gemischtes Licht
-erworben, aber trotz der Intensität, mit der sich fast die gesamte
-Konkurrenz sofort dem neuen Gebiete zuwandte, einen Vorsprung erlangt,
-der so schnell nicht einzuholen war. Auf Grund ihrer Erfahrungen
-hatte sie eine Spezialfabrikation der neuen Lampe eingerichtet, die
-es ihr ermöglichte, diese in einer Vollendung herzustellen, wie
-sie die Konkurrenz damals noch nicht erreichen konnte. Derartige
-Vorsprünge lassen sich gerade in der Elektrotechnik allerdings nur
-verhältnismäßig kurze Zeit hindurch aufrechterhalten, und, selbst
-wenn unablässig weiter gearbeitet und der Zwischenraum durch neue
-Verbesserungen aufrecht zu halten versucht wird, gelingt es meist
-nach einiger Zeit der Konkurrenz, den Anschluß wieder zu finden. So
-schnell war dies damals bei dem gemischten Licht der Deutschen Edison
-Gesellschaft aber nicht möglich, und infolgedessen wurde gerade von
-der stärksten Konkurrenzfirma, Siemens & Halske, die sich in ihrer
-bisherigen fast monopolistischen Beherrschung des Bogenlampengeschäfts
-durch die neue Erfindung ernstlich bedroht sah, eine Einwirkung auf
-nichttechnischem Gebiete versucht. Siemens & Halske bestritten der
-Deutschen Edison Gesellschaft auf Grund des zwischen beiden Firmen
-geschlossenen Vertrages das Recht, Bogenlampen anderer Konstruktion als
-der von Siemens & Halske verwendeten herzustellen oder zu beziehen.
-Der Vermittlungs-Vorschlag der Deutschen Edison Gesellschaft, Siemens
-& Halske die Anfertigung der neuen Lampen vorzugsweise zu bestimmten
-Preisen zu übertragen, wurde nicht angenommen, und es kam zwischen den
-beiden Firmen zu ihrem ersten Prozeß. Auch sonst hatte die Edison
-Gesellschaft ihre Patente und Konstruktionen gegen Einsprüche und
-Verletzungen zu verteidigen. Insbesondere die Swan United Electric
-Light Co. in London, die Besitzerin der englischen Edisonpatente,
-hatte einerseits eine Klage auf Nichtigkeit der Edison-Patente in
-Deutschland angestrengt, und andererseits behauptet, daß die von ihr
-hergestellten und in Deutschland vertriebenen sogenannten Swanlampen
-die Edison-Patente nicht berührten. Es entwickelte sich ein Rattenkönig
-von Prozessen, da umgekehrt auch die Deutsche Edison Gesellschaft gegen
-Agenten und Abnehmer der Swan Electric Co. Klagen bei verschiedenen
-Landgerichten wegen Patentverletzung eingereicht hatte. Solange die
-Prozesse schwebten, konnten, wie es in solchen Fällen zu geschehen
-pflegt, wirksame Mittel gegen eine Herstellung und Vertreibung der
-„rechtswidrig hergestellten“ Lampen nicht ergriffen werden. Selbst als
-die Hauptklagen vom Reichsgericht zu Gunsten der Edison Gesellschaft
-entschieden waren, gelang es nicht mehr, eine völlige Aufrechterhaltung
-der Edison-Patente zu erreichen, da die Gegner in gewissen rechtlich
-als Nebenpunkte figurierenden Teilen ihrer Klage durchdringen konnten,
-womit aber bei der Lage der damaligen Technik die Edison-Patente
-tatsächlich gefallen waren. Streng genommen sind sie niemals derart in
-Kraft gewesen, daß sie ein tatsächliches Monopol für die Herstellung
-der Glühlampen gewährten. Es gab stets Konkurrenzfirmen, sowohl in
-Deutschland als auch anderswo, die sich außerhalb der Patente zu
-stellen wußten, und so wäre es auch Rathenau an sich möglich gewesen,
-seine Glühlampenfabrikation ohne die belastenden Verträge mit Edison
-aufzunehmen. Er hätte vielleicht als „Patent-Freibeuter“ nicht viel
-mehr Prozesse führen müssen, wie er in seiner Eigenschaft als Wahrer
-der legitimen Edisonschen Rechte gegen die Freibeuter zu führen
-gezwungen war. Aber er wählte zum Teil aus Redlichkeit, zum Teil,
-um die große Zugkraft des berühmten Erfindernamens und die damals
-beste und fertigste Glühlampe sowie die von Edison bereits gemachten
-Erfahrungen sich nutzbar machen zu können, den geraden Weg. Bitter
-hat er es gelegentlich beklagt, daß „dem großen Meister der Tribut
-seiner Erfindung vorenthalten worden sei und daß selbst die technische
-Autorität eines Slaby nicht ausgereicht hätte, um den Richtern seine
-wissenschaftliche Überzeugung, mit der er für die Erhaltung der
-deutschen Patente eingetreten war, glaubhaft zu machen.“ Wieviel
-Intriguenspiel und inneres Unrecht bei diesen „rechtlich“ zu Gunsten
-der Gegner entschiedenen Prozessen mit im Spiel war, zeigt allein
-die Tatsache, daß dieselbe Swan Electric Co., die in Deutschland
-die Edison-Patente bekämpfte und zu Fall brachte, in England selbst
-Inhaberin dieser Patente war und daß es ihr dort gelang, sie noch etwa
-10 Jahre lang gegen alle Einsprüche aufrecht zu erhalten. Angesichts
-solcher Widersprüche wird die Bitterkeit, mit der Rathenau häufig genug
-von den Patententtäuschungen jener Zeit sprach, wohl verständlich.
-
-Die geschilderten Umstände dürften gezeigt haben, daß es nicht die
-bequemen Monopolrechte waren, denen es zuzuschreiben war, daß die
-Deutsche Edison Gesellschaft vorwärts kam, sich Namen und Erfolge
-errang. Kaufmännische Zähigkeit und technische Tüchtigkeit errangen
-diese Erfolge und bewirkten, daß die junge Gesellschaft die von
-ihr rechtmäßig erworbenen Monopole auch tatsächlich verdiente. Sie
-mußte sie sozusagen täglich erwerben, um sie zu besitzen. Überall
-da, wo die Einführung der Lichtelektrizität am schwersten war,
-da war die Deutsche Edison Gesellschaft zu finden. Die kleineren
-isolierten Einrichtungen, die mit Hilfe von Agenten und selbständigen
-Installateuren verhältnismäßig leicht ausgeführt werden konnten,
-überließ sie ihren Lizenzträgern. Sie selbst befaßte sich fast
-ausschließlich mit dem Bau umfangreicherer Anlagen wie Blockstationen,
-Beleuchtungen von Theatern, Kauf- und Warenhäusern, ausgedehnten
-gewerblichen Etablissements. Den bereits geschilderten Anlagen
-im Jahre 1883 folgten im nächsten Jahre die Blockstation in der
-Friedrichstraße 85, die das Café Bauer, die Gebäude Unter den Linden
-26 und 27 mit Strom versorgte und eine Lichtkapazität von 2000
-Lampen erhielt. Der Schnelldampfer „Werra“ des Norddeutschen Lloyd
-und das chinesische Panzerschiff „Chen Yuen“ erhielten durch die
-Gesellschaft Edison-Anlagen. Den Theaterbeleuchtungen in München und
-Stuttgart folgten solche in Schwerin, Dessau und Halle. Das Bayerische
-Landtagsgebäude, das Preußische Kultusministerium und die Friedrich
-Wilhelmsuniversität in Berlin erteilten Aufträge. In Spinnereien,
-Webereien, Druckereien, Mühlen, Brauereien fand das neue Licht
-wegen seiner Annehmlichkeit und Sicherheit immer größeren Eingang,
-besonders nachdem die Maschinen zuverlässiger ausgeführt wurden
-und regelmäßiger funktionierten. Derartige größere Anlagen waren
-durch selbständige Abnehmer, Agenten oder Installationsingenieure
-nicht einzurichten, sie erforderten eine so eingehende Kenntnis der
-neuen Methoden, eine so umfangreiche Bauorganisation, daß sie nur
-von der Edison-Gesellschaft selbst vorgenommen werden konnten und
-nicht nur eine Projektierung durch diese Firma, sondern auch eine
-sorgfältige Überwachung der Installationen durch alle Stadien von
-der Zentralstelle aus erforderten. Sollte das Werk wirksam seinen
-Meister loben, und dem neuen Licht die Anhängerschaft immer weiterer
-Kreise werben, so mußten alle wichtigen und schwierigen Anlagen unter
-eigener Verantwortlichkeit ausgeführt werden. Besonders Deutsch, der
-von Anfang an die Licht- und Kraftanlagen sowie das Installations-
-und Absatzgeschäft unter sich hatte, erkannte, gewitzigt durch die
-Klagen, die ihm in seinen Abnehmerkreisen fehlerhaft ausgeführte
-Anlagen eingetragen hatten, die Notwendigkeit, die bisherigen
-Absatzmethoden, wie sie in der Elektrizitätsindustrie, namentlich
-auch bei Siemens & Halske, üblich gewesen waren, einer gründlichen
-Reform zu unterziehen. An die Stelle des Agenten, Installateurs und
-Händlers, der Maschinen, Apparate, Lampen und Materialien bezog,
-setzte er das +eigene Installationsbureau+, das allmählich in
-allen wichtigeren Städten des In- und Auslands entstehen, die dort
-vorkommenden Aufträge ausführen und durch lebendige, individuelle
-Propaganda, solide Arbeit und wirksame Beispiele die in Betracht
-kommenden Betriebe zur Einführung der elektrischen Beleuchtung anregen
-sollte. Bereits im Jahre 1885 wurde das erste Installationsbureau
-in München errichtet, zum Teil um den partikularischen Interessen
-und Eigenheiten entgegenzukommen, zum Teil weil man in der Stadt
-der Elektrizitätsausstellung von 1883 und der ersten elektrischen
-Theaterbeleuchtung einen besonders gut vorbereiteten Boden zu finden
-hoffte. Leipzig, Breslau, Köln, Hamburg und Straßburg i. E. folgten
-bereits in den nächsten Jahren. Die Entwickelung des Geschäfts in der
-ersten Periode der Gesellschaft, die mit dem Jahre 1886 abschließt,
-wird dadurch am besten gekennzeichnet, daß im Jahre 1883 27 Anlagen mit
-33 Maschinen und 4729 Lampen hergestellt wurden, während am Schlusse
-des Jahres 1886 durch die Gesellschaft bereits 260 Anlagen mit 70000
-Glühlampen und 1000 Bogenlampen in Betrieb gesetzt waren.
-
-Dieser Entwickelung des Absatzes und der Geschäftsorganisation
-entspricht auch das Wachstum der Fabrikations- und
-Geschäftseinrichtungen. Bereits nach wenigen Monaten hatte die
-Gesellschaft ihre Bureauräume im Hause Leipzigerstraße 94 aufgegeben,
-zum Teil weil sie zu eng wurden, zum Teil weil die Nähe eines in die
-Parterre-Räume eingezogenen Caféetablissements mit wenig vornehmem
-Konzert- und Nachtbetrieb unangenehm fühlbar wurde. Die Gesellschaft
-hatte alsdann auf Veranlassung des rührigen Deutsch das Grundstück
-Friedrichstraße 85 erworben. Deutsch hatte einen Erwerb der ganzen
-damals verkäuflichen 400 Quadratruten vorgeschlagen. Rathenau, der
-bei Neuerwerbungen immer sehr vorsichtig zu Werke ging, hatte von
-diesen 400 Quadratruten 200 abgestrichen. Er huldigte überhaupt dem
-Grundsatz „Eher zu klein, als zu groß“ und diesem Grundsatz hat es
-seine Gesellschaft zu verdanken gehabt, daß ihre Betriebe stets
-überbeschäftigt waren, und jene Halbleere, die die Produktionskosten
-und Zinsen so abnorm steigert, auch in Zeiten schlechter Konjunktur
-vermieden wurde. Auf die Chancen, gute Konjunkturen ganz auszunutzen,
-besonders wenn sie überraschend auftraten, mußte allerdings bei einem
-solchen System verzichtet werden. In dem Gebäude Friedrichstraße
-85, in dessen Kellerräumen die schon mehrfach erwähnte Blockstation
-untergebracht war, befanden sich die Bureauräume, indes auch nur
-kurze Zeit. Als das erste Fabrikgebäude in der Schlegelstraße,
-die Lampenfabrik, auf dem einstmals von Strousberg für einen
-Schlachthof, später für eine Markthalle in Aussicht genommenen
-Gelände fertiggestellt war, wurden die Bureauräume im Interesse
-einheitlicher Verwaltung bereits Mitte März 1884 in die Fabrik verlegt.
-Die Parterre-Räumlichkeiten des Hauses Friedrichstraße wurden an
-Laden-Geschäfte vermietet, in den oberen Räumen wurde eine permanente
-Ausstellung von Erzeugnissen der Gesellschaft eingerichtet. Die
-neue Fabrik hatte einen Umfang und Einrichtungen erhalten, in denen
-jährlich 300000 Glühlampen hergestellt werden konnten. Man glaubte
-damals, mit solchen Dimensionen einen gewaltigen Spielraum für weitere
-Ausdehnungsmöglichkeiten der Zukunft erschlossen zu haben. Mit welchen
-Riesenschritten die Ansprüche wachsen würden und wie bald und wie
-oft neue Erweiterungen dieser Grundfabrik notwendig werden würden,
-hat selbst ein Elektrizitäts-Optimist wie Emil Rathenau damals nicht
-vorhergesehen.
-
-Die Bilanz von Ende 1886 gewährte schon ein ganz anderes Bild als
-die erste von 1883. Das Anfangskapital von 5 Millionen Mark, mit dem
-die Gesellschaft bei ihrer Gründung ziemlich reichlich ausgestattet
-worden war, ist auch jetzt noch nicht aufgezehrt. 1.724.886 Mark
-werden noch als Bankguthaben flüssig gehalten. Daneben aber sind die
-Immobilien (Friedrichstraße und Schlegelstraße) bereits auf 829.502
-Mark angewachsen, die Blockstation in der Friedrichstraße erscheint
-mit 132.843 Mark, die in der Schadowstraße mit 50.102 Mark; Aktien der
-Städtischen Elektrizitätswerke werden mit 557.200 Mark aufgeführt,
-Maschinen und Apparate mit 162.756 Mark, Waren mit 491.938 und
-Forderungen in laufender Rechnung mit 1.724.886 Mark. Die Geldmittel
-sind also zum großen Teil in den Betrieb geflossen und in werbende
-Anlagen überführt worden. Die offenen Schulden der Gesellschaft sind
-nur gering und betragen 392.912 Mk., und es hätte aus dem Reingewinn
-von 324.870 Mk. bequem eine Dividendensteigerung auf 6%, nachdem in den
-ersten beiden Jahren 4% und im dritten Jahre 5% gezahlt worden waren,
-vorgenommen werden können. Um zu verstehen, warum dies nicht geschah,
-warum die Gesellschaft sogar 1886 und Anfang 1887 in eine Krise -- die
-einzige wirklich bedrohliche in ihrer ganzen Geschichte -- geriet, muß
-noch von anderen Dingen gesprochen, eine andere Entwickelungsreihe
-verfolgt werden, die uns zeigen wird, daß der unternehmerische Geist
-Rathenaus sich in den bereits geschilderten Dingen nicht erschöpft
-hatte, andererseits aber auch, daß er sich trotz seiner unleugbaren
-Erfolge noch nicht zum +entscheidenden+ Erfolg durchgerungen
-hatte.
-
-
-
-
-Siebentes Kapitel
-
-Zentralstationen
-
-
-Der Name Zentralstation ist uns in den früheren Kapiteln schon öfter
-begegnet. Bereits in den Verträgen mit Edison und Siemens wird von
-Zentralstationen gesprochen. In dem ersten Vertrage mit Edison im
-Jahre 1881 hieß es, daß abgesehen von der Fabrikationsgesellschaft
-eine zweite für den Bau von Zentralstationen errichtet werden sollte,
-in dem zweiten endgültigen Vertrage von 1883, der die Gründung nur
-+einer+ Gesellschaft vorsieht, ist von Zentralstationen in
-diesem Zusammenhange nicht mehr die Rede. Es heißt darin schlechthin,
-daß die Deutsche Edison Gesellschaft das Recht, Installationen für
-Beleuchtungs- und Kraftübertragungswerke einzurichten, von Edison
-erwirbt. Im Vertrage mit Siemens & Halske wird der Edison Gesellschaft
-bekanntlich das Recht vorbehalten, allein Zentralstationen für eigene
-Rechnung zu bauen. Daß der Begriff Zentralstation überhaupt so früh
-auftaucht, ist nicht darauf zurückzuführen, daß er in der damaligen
-Zeit bereits in großem Maßstabe und in vielen Beispielen verwirklicht
-war. Er lebte -- wenigstens in einer Form, die diesen Namen wirklich
-verdiente -- eigentlich erst allein in der Idee Emil Rathenaus, der
-sich dafür keineswegs auf Vorbilder, sondern höchstens auf gewisse
-Ansätze in den damals in der Lichtelektrizität am meisten entwickelten
-Ländern Amerika und Frankreich berufen konnte. Was zu jener Zeit
-die Regel, den Typus bildete, waren isolierte Lichtanlagen, die ein
-Haus, eine Fabrik, einen Park, eine Straße oder mehrere benachbarte
-Häuser in einem beschränkten Radius versorgen konnten. Edison war dem
-Gedanken des Zentralwerks allerdings bereits früh nachgegangen und
-hatte auch eine Zentrale, die einen Stadtteil südlich von Wallstreet
-mit Licht versehen sollte, errichtet. Aber diesem genialen Techniker
-war doch nur bis zu einem gewissen Grade die Fähigkeit gegeben, ein
-technisches Verfahren industriell auszubauen. Seine Anschauungen von
-finanziellen Dingen waren naiv, und an betrieblicher Methodik fehlte
-es ihm so gut wie ganz. Edison hat denn auch aus seinen großartigen
-Erfindungen nur verhältnismäßig geringen und fast niemals dauernden
-Nutzen wirtschaftlicher Art gezogen. Wie wenig die Edisonsche Zentrale,
-obwohl für einen ersten Versuch sinnreich erdacht, doch dem entsprach,
-was wir später unter einer Großstation verstanden, geht daraus hervor,
-daß die Herstellung von Maschinen mit 150 PS als ganz besonders
-großartiger Fortschritt bezeichnet wurde. Bei der Broadway-Zentrale
-wurden die Dynamos nach Edisons eigener Aussage auf bloße Vermutung
-hin gebaut. Die gewählte Spannung von 110 Volt reichte denn auch
-nicht aus. Auch sonst wurde rein empirisch, ohne jede Systematik
-vorgegangen, wenig berechnet und viel probiert. Die Folge war, daß von
-den parallel geschalteten Maschinen die eine stille stand, während die
-andere bis auf 1000 Umdrehungen lief und dabei wippte. Zur Messung
-bediente die „Edison Beleuchtungsgesellschaft“ sich alter chemischer
-Geräte, die bald zufroren, bald rotglühend wurden, bald in Brand
-gerieten. „Voltometer“, so hat Edison in der „Electrical Review“
-erzählt, „besaßen wir schon gar nicht. Wir benutzten Glühlampen. Mit
-Mathematikern ließ ich mich erst recht nicht ein, da ich bald fand,
-wie ich es ein gut Teil besser treffen konnte als sie mit ihren
-Ziffern, und so fuhr ich im Vermuten fort.“ Gewiß hat ein so glänzender
-Experimentator wie Edison alle Anstände, die aus solchem Vorgehen
-entstehen mußten, immer, wenn sie sich zeigten, durch seine genialen
-Kombinationen zu beseitigen verstanden, aber schließlich kam dabei
-doch nur ein Werk zustande, das in seinem empirisch-primitiven Aufbau
-auf die Persönlichkeit eines so erfinderischen Kopfes wie Edison
-gestellt blieb, und überall dort keine Nachahmung finden konnte, wo
-eine ähnlich überlegene Persönlichkeit als Leiter fehlte. 8 Jahre
-lang arbeitete das Edisonsche Werk auf diese Weise. Schule konnte es
-natürlich nicht machen, da ihm die systematische Durchbildung, die
-sichere wissenschaftliche Grundlage fehlte. Emil Rathenau erkannte
-die Mängel eines solchen gefühlsmäßigen Vorgehens auf den ersten
-Blick. Er war sich klar darüber, daß eine wirklich epochemachende
-Zentral-Station nicht auf dem Versuch und dem Zufall, sondern nur auf
-dem festen Boden der wissenschaftlichen Methodik aufgebaut sein mußte.
-Seine Einbildungskraft lebte nicht von dem Experiment, sondern von der
-Konstruktion. Auch +er+ war voller Phantasie und rechnete mit
-neuartigen Antriebsmaschinen, kunstvoll durchgearbeiteten Kabelsystemen
-und wenn er vor den Grenzen der Gegenwart nicht halt machte, so
-ließ er doch die Wege in die Zukunft, ehe er sie betrat, stets von
-dem Mathematiker genau durchforschen. Er fragte sich, warum eine
-Vergrößerung und Vervielfältigung, eine Sammlung und Verteilung der
-in kleinem Rahmen geschaffenen Anlagen nicht möglich sein sollte. Er
-suchte nach den Gründen, die einer Übertragung ins Große hätten im Wege
-stehen können und fand, daß es keine gab, die unüberwindlich gewesen
-wären. Denn die Hemmnisse lagen alle nur noch in der Durchführung,
-nicht mehr im Prinzip. Gerade aber die Probleme der Durchführung ließen
-sich, das wußte er, nur auf wissenschaftliche Weise lösen. Wenn er
-daher mit dem damals der übrigen Welt noch nicht geläufigen oder nur
-in unvollkommener Form bekannten Begriff der Zentralstation wie mit
-etwas Selbstverständlichem operierte, so hatte er seine bestimmten
-Gründe dafür. Er erreichte damit, daß dieser anscheinend harmlose
-Begriff -- und zwar in einem ihm günstigen Sinne -- in seine Verträge
-aufgenommen wurde, was ihm deswegen nicht besonders schwer fiel, weil
-die Vertragsgegner diesem Begriff teils zweifelnd, teils sogar direkt
-mißtrauisch gegenüberstanden und das mit ihm gekennzeichnete Gebiet
-der Wagnisse und Fährnisse gern dem „Phantasten“ überlassen wollten.
-Selbst ein Mann wie Werner v. Siemens lächelte über die Idee der
-Zentralstation, und erklärte es für eine Utopie, daß man den Leuten
-jemals aus einer Zentrale elektrisches Licht in die Häuser würde leiten
-können, wie man es mit dem Gaslicht machte. Die Gasfachleute stellten
-sich gleichfalls ungläubig, aber durch ihre Ironie klang doch ein
-Unterton von Furcht vor der neuen Konkurrenz, die ihnen vielleicht
-auch noch die Hausbeleuchtung streitig machen könnte, nachdem sie
-ihnen bereits in der Straßen-, Fabrik- und Theaterbeleuchtung Boden
-abgerungen hatte. Daß Rathenau eigentlich als einziger die Idee erfaßte
-und trotz aller Anfeindungen von wissenschaftlich-autoritativer und
-technisch-praktischer Seite an ihr festhielt, ist ein Beweis seines
-originellen, unabhängigen und im Grunde schöpferischen technischen
-Denkens.
-
-Trotzdem aber der Gedanke absolut klar, folgerichtig und fertig
-entwickelt vor dem Geiste Rathenaus stand, sah es zunächst noch nicht
-so aus, als ob er bald verwirklicht werden würde. In den Jahren der
-Versuchsgesellschaft konnte an die Schaffung einer Zentralstation
-natürlich nicht herangegangen werden. Es fehlte an dem technischen
-Apparat, es fehlte auch an den geldlichen Mitteln. Das erste Jahr der
-Deutschen Edison Gesellschaft sah lediglich die Verwirklichung einer
-Reihe von Einzelanlagen und die Vollendung einer +Blockstation+
-(in der Schadowstraße) sowie die Inangriffnahme einer zweiten größeren
-(in der Friedrichstraße). Sie wurden in den ersten Geschäftsberichten
-und Bilanzen der Gesellschaft als Zentralstationen bezeichnet. Mit
-Unrecht. Sie waren im technischen Sinne keine Zentralen, sondern
-isolierte Anlagen, die -- über den Umfang einer größeren Einzelanlage
-kaum hinausgehend -- mehrere Verbraucher versorgten, weil jeder
-dieser Verbraucher einen zu geringen Bedarf für eine eigene Anlage
-hatte. Weder die Technik war zentral, noch die Verteilung. Denn die
-Krafterzeugung erfolgte nicht durch Großmaschinen, sondern durch
-eine große Zahl kleiner „Schnellläufer“, von denen jeder nur eine
-beschränkte Anzahl von Lampen speiste. Die Verteilung erfolgte
-nicht unter Benutzung der öffentlichen Straßen und Verkehrswege
-für die Kabellegung, sondern auf dem weit kostspieligeren Wege der
-Kabelführung durch privates Gelände. Nur unter besonders günstigen
-Bedingungen, nämlich dann, wenn genügend gut zueinander gelegene
-Abnehmerbetriebe da waren, die die Leistung der Anlage voll ausnutzen
-konnten, waren die Voraussetzungen für die Rentabilität solcher
-Blockstationen gegeben. Aber selbst in der Schadowstraße, und in der
-Friedrichstraße, also in besonders gut gelegenen Stadtteilen, waren
-diese Voraussetzungen nicht vorhanden, denn es konnte nur ein Teil
-des erzeugten Stromes abgesetzt werden, und die Erträgnisse reichten
-kaum für die notwendigen Abschreibungen, geschweige denn für eine
-Verzinsung der Kapitalien aus. Emil Rathenau, für den derartige
-Blockstationen nur ein Kompromiß, eine Abschlagszahlung auf die
-vollkommenere Idee der Zentralstation darstellten, gelangte sehr
-bald zu der Ansicht, daß ein ähnliches Schicksal der Unrentabilität
-sehr bald auch die übrigen Stationen erreichen werde, die die
-Lieferung elektrischer Ströme mit Umgehung der öffentlichen Straßen
-ins Werk setzten. Er war der Ansicht, daß diese Blockstationen nur
-Übergangsgebilde darstellen, die verschwinden müßten, nachdem sie
-ihren eigentlichen Zweck, als Demonstrationsunternehmungen zu dienen,
-erfüllt hätten, und die nächste große Etappe in der Entwickelung,
-nämlich die öffentliche Zentralstation, erreicht war. Die spätere
-Gestaltung der Dinge hat ihm auch durchaus recht gegeben. Es haben
-sich in der Licht- und Krafterzeugung nur +die+ Einzelanlage,
-die genau auf die Bedürfnisse des Verbrauchers berechnet war, sich
-seinem Betriebe in Produktion und Bedarf anpassen konnte, also im
-wesentlichen die industrielle Einzelanlage und ferner die öffentliche
-Zentralstation erhalten. Die Blockstation ist völlig verschwunden, wenn
-man nicht Einzelanlagen mehrerer Verbraucher oder solche, bei denen
-ein Hauptverbraucher nach vorher ungefähr festgelegtem Bedarfsplan an
-Nachbarbetriebe Energie abgibt, als Blockstationen bezeichnen will.
-
-Die Entwickelung von der Blockstation bis zur Zentrale, die zunächst
-noch im weiten Felde zu liegen schien, ging aber schließlich wider
-Erwarten schnell vor sich. Die Praxis folgte in diesem glücklichen
-Falle -- einem der wenigen, in dem Rathenaus fast immer richtige
-Diagnostik +schneller+ als er erwartet hatte, durch die Tatsachen
-bestätigt wurde -- nicht dem behutsamen Gang der allgemeinen
-Anschauungen, sondern dem Siebenmeilenstiefelschritt der Rathenauschen
-Phantasie. Professor +Slaby+, dem doch niemand langsames Denken
-und mangelndes Einbildungsvermögen in elektrischen Dingen wird
-nachsagen können, erzählte später, daß er beim Anblick der ersten
-Rathenauschen Blockstation, die aus zahlreichen winzigen Maschinen,
-von sogenannten Schnellläufern betrieben, mit bewunderungswerten
-Regulierungsmethoden die elektrische Kraft sammelte, um sie in
-einige umliegende Häuser zu verteilen, begeistert ausgerufen habe:
-„Die Lichtzentrale des kommenden Jahrhunderts.“ -- „O nein,“
-erwiderte Rathenau lächelnd, „wie verkennen Sie den unersättlichen
-Elektrizitätshunger der Menschheit, der in wenigen Jahren sich
-einstellen wird. Statt dieser Kellerräume mit ihrem ohrenbetäubenden
-Lärm sehe ich hohe, luftige Riesenhallen mit vieltausendpferdigen
-Maschinen, die automatisch und geräuschlos Millionenstädte mit Licht
-und Kraft versorgen. Zuvor haben wir den Maschinenbau für diese
-Leistungen zu erziehen.“ Slaby und wohl auch Rathenau selbst haben
-damals kaum gedacht, daß schon ein Jahr nach diesem Zwiegespräch die
-erste Zentralstation projektiert und kaum ein halbes Jahr später im
-Betrieb sein würde.
-
-Der demonstrative Erfolg der Einzel-Installationen, der Blockstationen
-und der Anlage in der Hygieneausstellung war groß gewesen. Es hatten
-sich daraufhin in verschiedenen Stadtgemeinden Vereinigungen von
-Haus- und Ladenbesitzern gebildet, die mit Anträgen zur Beleuchtung
-ihrer Lokale von abgeschlossenen Stationen aus an die Gesellschaft
-herantraten. Die Schwierigkeit bestand darin, die Genehmigung der
-Stadt Berlin wegen Überlassung städtischen Grund und Bodens zur
-Legung von Leitungen zu erhalten, und man bezweifelte, daß die
-Stadtverwaltung, als Eigentümerin des Konkurrenzbetriebes der
-städtischen Gaswerke, diese Genehmigung in absehbarer Zeit erteilen
-würde. Die Kommunalbehörde war aber in diesem Falle besser als
-ihr Ruf. Im Roten Hause erinnerte man sich daran, daß man bereits
-einmal, als Rathenau vor einer Reihe von Jahren mit dem Plan einer
-städtischen Telephonzentrale an die Stadtverwaltung herangetreten
-war, die Vorschläge dieses Mannes kurzsichtig abgelehnt hatte. Man
-entschloß sich also, trotz der städtischen Gasinteressen, der Idee
-der elektrischen Lichtzentrale näherzutreten, und erwog sogar, ob man
-das Werk in städtischer Regie errichten solle. Dafür war aber weder
-die Mehrheit der Stadtverordneten, noch der vorsichtig abwägende
-Oberbürgermeister +Forkenbeck+, der damals an der Spitze der
-hauptstädtischen Verwaltung stand, zu haben. Es setzte sich die zu
-jener Zeit zweifellos richtige Überzeugung durch, daß ein erstes
-Experiment auf so schwierigem Gebiete nicht mit bureaukratischen
-Kräften gelöst werden könnte, daß in einer noch so sehr der technischen
-Ausgestaltung und Erprobung bedürfenden Unternehmung nicht städtische
-Mittel größeren Umfanges investiert werden dürften. Am 24. Januar
-1884 wurde von der Stadtverordnetenversammlung nach langen erregten
-Debatten, in denen besonders der Bürgermeister +Duncker+ die
-Vorlage mit den Worten verteidigte: „Alles Risiko entfällt auf die
-Gesellschaft, alle finanziellen Vorteile fallen auf die Stadt,“
-ein Vertrag genehmigt. Das Monopol der +ausschließlichen+
-Straßenbenutzung, das bei einem Teil der Stadtverordneten besonderen
-Widerspruch hervorgerufen hatte, fiel allerdings, wenigstens de
-jure. De facto ist es nicht durchbrochen worden, da die Stadt Berlin
-anderweitige Konzessionen nicht mehr erteilt hat. Die Zersplitterung,
-die in manchen anderen, besonders ausländischen Großstädten, wie New
-York, Paris usw., die Entwickelung der Zentralen sehr gehemmt hat,
-wurde dadurch in der Berliner Elektrizitätsversorgung glücklicherweise
-vermieden. Durch den Konzessionsvertrag wurde der Deutschen Edison
-Gesellschaft das Recht eingeräumt, in den Straßen eines beträchtlichen
-im Stadtinnern gelegenen Teils von Berlin, begrenzt durch einen um
-den Werderschen Markt gezogenen Kreis mit einem Halbmesser von 800 m,
-Leitungen zur Fortführung elektrischer Ströme von einer oder mehreren
-Zentral-Stationen aus zu legen und zur Anlage dieser Leitungen die
-Straßendämme und Bürgersteige zu benutzen. Die Stadt Berlin bedang sich
-natürlich Gegenleistungen aus, die u. a. in einer jährlichen Abgabe von
-der Bruttoeinnahme wie vom Reingewinn bestanden. Gewonnen war mit dem
-neuen Vertrage viel. Die Gesellschaft war durch das Recht, die Straßen
-für ihre Leitungen zu benutzen, der Notwendigkeit enthoben, kleine
-Sonderstationen für die zu beleuchtenden Häuserblocks zu beschaffen,
-sich zu diesem Zwecke in jedem Einzelfall teure Lokalitäten zu mieten
-und kostspielige Kabelführungsverträge abzuschließen.
-
-Mit dem technischen Gedanken der Zentralstation war auch in Rathenaus
-Kopfe sofort schon die +finanzielle+ und +rechtliche+ Form
-da, in der er am besten verwirklicht werden konnte. Es sollte eine
-besondere Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 3 Millionen Mark
-gegründet werden, an der die Deutsche Edison Gesellschaft bezw. ihre
-Aktionäre beteiligt werden konnten. „Um im Interesse unserer Aktionäre
-die Aktien der neuen Gesellschaft diesen zu einem angemessenen Kurse
-reservieren zu können, haben wir von einer festen Begebung der Aktien
-an ein Bankierkonsortium Abstand genommen, mit einem solchen jedoch
-die Verabredung getroffen, daß es gegen eine mäßige Gewinnbeteiligung
-uns die Abnahme von 80% des gesamten Kapitals garantiert. Wir zweifeln
-nicht, daß uns aus dem Verkauf dieser Aktien schon in diesem Jahre
-ein entsprechender Nutzen erwachsen wird.“ -- Dies sind die Worte,
-mit denen die Gründung der Städtischen Elektrizitätswerke, der
-ersten Tochtergesellschaft der Deutschen Edison Gesellschaft, im
-Geschäftsbericht von 1883 angekündigt wird. In dem gleichen Bericht
-findet sich schon ein +programmatischer Satz+ über die Behandlung
-von Zentralstationen und Tochterunternehmungen im allgemeinen, der
-einige der wichtigsten Richtlinien, die die Gesellschaft später beim
-Ausbau ihres Beteiligungssystems befolgt hat, wenn auch noch in
-ziemlich einfacher Form, enthält. Er lautet: „Im übrigen liegt es nicht
-in unserer Absicht, den liquiden Vermögensstand dauernd durch eigene
-Übernahmen großer Zentralstationen zu alterieren. Vielmehr verfolgen
-wir das System, solche Stationen mit Hilfe unserer Geldmittel zwar
-einzurichten, dieselben aber spätestens nach erfolgter Inbetriebsetzung
-selbständigen Gesellschaften zu überlassen, um so unser Kapital immer
-wieder für neue Unternehmungen flüssig zu machen.“ -- Hier ist das
-Ideal gekennzeichnet, dem Emil Rathenau von Anfang an zugestrebt hat,
-das er allerdings gerade in den ersten Zeiten und gerade bei der
-ersten Tochtergründung, wie wir später sehen werden, nicht sofort
-verwirklichen konnte. Es bedurfte erst eines elastischen und fein
-ausgebildeten Finanz- und Beteiligungssystems, mit sinnreich angelegten
-Kapitalsammlungs-, Aufsparungs- und Verteilungsvorrichtungen, um
-stets die Freiheit der Verfügung über die eigenen Betriebsmittel
-und die in Gründungsbauten anzulegenden Kapitalien zu behalten und
-das finanzielle Gleichgewicht unabhängig von den Zufälligkeiten der
-Geld- und Industriekonjunkturen, unbeeinflußt von unvorhergesehenen
-Entwickelungen in den Finanzbedürfnissen der Tochterunternehmungen,
-sicherzustellen.
-
-An einer anderen Stelle des Geschäftsberichtes für 1883, in der
-von eingeleiteten Verhandlungen mit anderen Städten über die
-Einrichtung elektrischer Zentralen gesprochen wird, findet sich
-gleichfalls ein Satz, der wert ist, hier wiedergegeben zu werden. Er
-lautet: „Wir sind indessen weit entfernt, die Organisation solcher
-Lokal-Beleuchtungs-Gesellschaften mit Ausschluß jeder Konkurrenz
-nur aus eigenen Mitteln zu bewirken, sondern werden vielmehr die
-Kooperation solcher Kräfte, welche naturgemäß zur Einführung des
-neuen Lichts berufen scheinen, mit Dank begrüßen; insbesondere
-hoffen wir, auch auf dem Wege der +Genossenschafts-Assoziation+
-die Wohltaten des elektrischen Lichtes selbst kleineren Städten
-und Industriebezirken zugänglich zu machen, welche entweder eine
-Beleuchtung von Zentralstellen überhaupt noch nicht besitzen, oder
-vermöge ihrer natürlichen Hilfsmittel imstande sind, das elektrische
-Licht billiger als andere Beleuchtungen zu erzeugen.“ Diese Stelle ist
-in zweifacher Hinsicht bemerkenswert. Einmal zeigt sie das Bestreben,
-Aktionäre, Geldgeber und Finanzkonsortium, denen vielleicht damals
-noch vor den Risiken des gänzlich unerprobten Zentralenbaus in eigener
-Regie etwas bange war, die Beruhigung zu geben, daß man nicht mit
-vollen Segeln auf das noch von der Gründerkrisis her gefürchtete Meer
-der Unternehmertätigkeit hinausfahren werde. Ferner aber klingen
-hier auch schon Ideen über verteiltes Risiko und verteilten Einfluß
-zwischen Privatunternehmung und Lokal-Verwaltungen an, die zwar in
-der dort geschilderten Form der genossenschaftlichen Assoziation nie
-verwirklicht worden sind, aber doch später in der ähnlichen Form der
-gemischt-wirtschaftlichen Unternehmung zur Durchführung gelangten.
-Es dauerte allerdings Jahrzehnte, bis dieses Zusammenarbeiten von
-privatem und öffentlichem Kapital sich durchsetzte. Es ist aber ein
-Beweis für den durchdringenden Blick Rathenaus, daß er damals schon das
-unzweifelhaft vorliegende Bedürfnis erkannte. Bevor der Zentralenbau
-zu dieser Zusammenarbeit gelangte, mußte erst die Privatunternehmung
-allein eine ausgedehnte erfolg-, aber auch zum Teil verlustreiche
-Arbeit leisten, und die kommunale Verwaltung mußte gleichfalls die
-Methoden der öffentlichen Unternehmung ausbilden. Erst dann gelang es,
-die Kräfte und Mittel beider organisatorisch zusammenzufassen.
-
-Der von der Stadtverordnetenversammlung genehmigte Vertrag mit der
-Stadt Berlin wurde am 6. Februar 1884 vom Magistrat, und am 19. Februar
-desselben Jahres von der Deutschen Edison Gesellschaft vollzogen. Das
-ganze Jahr 1884 und ein Teil des Jahres 1885 gingen mit den Bauarbeiten
-hin.
-
-Die +Städtischen Elektrizitätswerke+, eine neu gegründete
-Aktiengesellschaft, der die Deutsche Edison Gesellschaft die ihr von
-der Stadt gewährte Konzession zur Einführung des elektrischen Lichts
-in einem zentralen Berliner Stadtteil überließ, hatten dafür die
-Verpflichtung übernommen, alle Maschinen, Apparate und Utensilien zur
-Erzeugung und Verwendung des elektrischen Stroms zu meistbegünstigten
-Preisen ausschließlich von der Edison Gesellschaft zu beziehen. Die
-Lieferungen hielten sich im Jahre 1884 noch in engen Grenzen, die
-Gewinne bei dem Bau der beiden geplanten Zentralen wurden, um den
-zukünftigen Nutzen aus den Lieferungen ungeschmälert zu erhalten,
-über Handlungsunkosten abgeschrieben. Von den Aktien der Städtischen
-Elektrizitätswerke behielt die Edison Gesellschaft nur 560000 Mark
-für sich zurück, die übrigen wurden teilweise von den Aktionären
-der Edison Gesellschaft bezogen, teilweise zum Parikurse dem
-Bankenkonsortium überlassen. Es mag wohl die Aktionäre enttäuscht
-haben, daß der „entsprechende Nutzen“, der im vorjährigen Bericht aus
-diesen Transaktionen schon für 1884 in Aussicht gestellt worden war,
-ausblieb. Auch sonst wickelten sich die Bau- und Installationsarbeiten
-bei der Zentralstation nicht ganz glatt ab. Zwar funktionierte der
-elektrische Teil der Anlage von Anfang an ohne Tadel, die Durchführung
-der Installationen wird als völlig gelungen und als mustergiltig
-bezeichnet. Aber die Dampfmaschinen, die die Gesellschaft auf den
-Wunsch der Stadtverwaltung, die heimische Industrie bei ihren Aufträgen
-zu berücksichtigen, bei der Firma Borsig bestellte, hatten sich bei
-Ablauf der kontraktlichen Liefertermine „noch nicht so bewährt, wie das
-der Ruf der mit der Konstruktion beauftragten Firma erwarten ließ.“
-Die Städtischen Elektrizitätswerke leiteten aus der Verzögerung der
-Termine Schadenersatzansprüche gegen die Deutsche Edison Gesellschaft
-als Generalunternehmerin der gesamten Anlage her, gegen die diese
-Gesellschaft allerdings durch Garantien der Maschinenfabrik gedeckt
-war. Nach einiger Zeit wurden die bestehenden Differenzpunkte durch
-beiderseitiges Entgegenkommen aus der Welt geschafft. Der mißglückte
-Teil der motorischen Anlage mußte unter der direkten Aufsicht der
-Edison Gesellschaft einer Remontierung unterzogen werden, die von der
-Firma Kuhn in Stuttgart zur Zufriedenheit durchgeführt wurde. Die erste
-Zentrale in der Mauerstraße war somit erst in der zweiten Hälfte des
-Jahres 1886 in Betrieb gekommen, der sich nach Angabe der Gesellschaft
-nunmehr tadellos und regelmäßig abwickelte. Eine der ersten größeren
-Aufgaben, die den Städtischen Elektrizitätswerken gestellt wurde, war
-die Beleuchtung der beiden königlichen Theater, des Opernhauses und
-des Schauspielhauses. Sie wurde nach anfänglichen Schwierigkeiten mit
-gutem Gelingen durchgeführt. Es folgten die Reichsbank, das Hotel
-Kaiserhof und eine Anzahl von Bankgeschäften im Zentrum der Stadt.
-Die elektrische Straßenbeleuchtung machte nur langsame Fortschritte.
-Eigentlich wurden in den ersten Jahren nur die von Siemens & Halske
-früher angelegten, und bis dahin mit besonderen Antriebsmaschinen
-versorgten Straßenbeleuchtungen, also im wesentlichen die in der
-Leipziger Straße übernommen, deren Kosten sich durch den Strombezug
-aus der Zentralstation in der Mauerstraße erheblich verbilligten,
-nämlich von 36 auf 4 Pfennige für die Lampenbrennstunde. Aber auch
-dieser Preis war im Vergleich mit dem des Gaslichts noch hoch, und
-erst später, als mit der zunehmenden Vergrößerung und der wachsenden
-Spannung der elektrischen Maschinen die Ausnutzung der Kohlen beim
-elektrischen Licht sich erhöhte, konnten die Preise, die später nicht
-mehr nach Lampenstunden, sondern nach Kilowattstunden berechnet wurden,
-wesentlich herabgesetzt werden.
-
-Die Stadtverwaltung, die die anfänglichen Hemmnisse vielleicht etwas
-stutzig gemacht hatten, die vielleicht auch die Zeit gekommen glaubte,
-die Werke zu günstigen Bedingungen an sich zu bringen, verlangte
-die Errichtung zweier weiterer Zentralen, abgesehen von den beiden
-schon erbauten, und finanzielle Garantien für die Fähigkeit der
-Gesellschaft, diese Aufgabe durchzuführen. Insbesondere wurde die
-Erhöhung des Grundkapitals von 3 auf 6 Millionen Mark gefordert.
-Da in den ersten Jahren die Werke mangels jeglicher Erfahrungen
-im Zentralenbetrieb mit Verlust arbeiteten, und die ersten beiden
-Zentralen in der Markgrafenstraße mit 6 Dampfmaschinen und in der
-Mauerstraße mit 3 Dampfmaschinen, jede nach Edisonschem Vorbild mit
-nur 150 PS ausgestattet, über die Voranschläge hinausgehende Summen
-verschlangen, war die Situation für die Städtischen Elektrizitätswerke
-und die hinter ihr stehende Edison Gesellschaft eine sehr heikle. Der
-damalige Direktor Geh. Postrat Ludewig wurde damit beauftragt, ein
-Gutachten abzufassen, ob die Gesellschaft die neue Finanzbelastung
-ertragen könnte und wie sich bei Erfüllung der von der Stadt
-geforderten Garantien die Lage der Werke gestalten würde. Ludewig kam
-zu einem niederschmetternden Ergebnis. „Erfüllen wir die Forderungen
-der Stadt, so sind wir bankerott.“ Dieses Gutachten rief unter den
-Aktionären und den Geldleuten eine wahre Panik hervor, und es mußte
-unbedingt etwas geschehen, wenn der Zusammenbruch, der nicht nur für
-die Städtischen Werke, sondern auch für die gesamte Zentralen-Idee
-von den verhängnisvollsten Folgen begleitet gewesen wäre, verhütet
-werden sollte. Rathenau, der die Gefahr erkannte, innerlich aber in
-dem festen Glauben an seine Sache keinen Augenblick wankend geworden
-war, bewies zum ersten Male die Unbeirrbarkeit, die ihn in kritischen
-Lagen stets auszeichnete. Er, der in weniger zugespitzten Situationen
-die Vorsicht selbst war, setzte alles auf eine Karte. Es blieb ihm
-allerdings wohl auch keine andere Wahl, da eine weniger entschlossene
-Haltung wahrscheinlich den Zusammenbruch nicht nur der Städtischen
-Werke, sondern auch der Deutschen Edison Gesellschaft, jedenfalls aber
-seine Ausschaltung aus beiden Unternehmungen herbeigeführt hätte. Als
-Aufsichtsrat und Aktionäre ihn mit Vorwürfen bestürmten, erklärte er
-sich bereit, 1.500.000 Mark Aktien der Städtischen Elektrizitätswerke
-zum Kurse von 95% zurückzuerwerben. Man ging gern auf sein Angebot ein.
-Was damals als tollkühnes Wagnis erschien, hat sich später als ein sehr
-gutes Geschäft erwiesen, ja es ist der A. E. G. später noch häufig zum
-Vorwurf gemacht worden, daß sie zuviel an den B. E. W. verdiene und
-daß sie sich bei der Aktienübernahme zuviel Vorteile in vertraglicher
-und verwaltungstechnischer Hinsicht habe zusichern lassen. Zu
-diesen späterhin besonders scharf bekämpften Vorteilen gehörte die
-Einführung der sogenannten Verwaltungsgemeinschaft zwischen der Edison
-Gesellschaft und ihrem Tochterunternehmen, ferner die Einräumung von
-Gründerrechten in der Art, daß die Gesellschaft bei Kapitalserhöhungen
-die Hälfte der neuen Aktien zum Parikurse beziehen durfte. Man kann
-es Rathenau indes nicht verdenken, daß er sich das Risiko, das er
-ganz allein zu tragen bereit war, gehörig bezahlen lassen wollte. Der
-Geh. Oberpostrat Ludewig, der sich der Situation so wenig gewachsen
-gezeigt hatte, wurde mit einer angemessenen Abfindung aus seinem Amt
-entfernt, und Emil Rathenau, Oscar v. Miller sowie der inzwischen zum
-Vorstandsmitglied der Edison Gesellschaft aufgerückte Felix Deutsch
-übernahmen die Leitung der Gesellschaft, die dem Mutterunternehmen
-aus ihren Einnahmen einen bestimmten Betrag als Beisteuer zu den
-Verwaltungskosten zahlte, wogegen die Verwaltung von der Edison
-Gesellschaft geführt und bestritten wurde.
-
-Bei Gelegenheit der finanziellen Stärkung der Städtischen
-Elektrizitätswerke, die vielleicht keine offene, wohl aber eine
-heimliche Reorganisation bedeutete, wurden die Beziehungen zur
-Stadt -- dieses Äquivalent wußte Rathenau immerhin herauszuschlagen
--- gefestigt und für die Gesellschaft im großen und ganzen
-verbessert. Die Abgaben vom Reingewinn wurden eingeschränkt, die
-vom Installationsgeschäft völlig aufgehoben, wogegen für die
-Installationen aber die freie Konkurrenz ausdrücklich zugelassen
-werden mußte. Die Straßenbeleuchtung sollte erweitert werden und
-zwar besonders durch die Einbeziehung der Straße „Unter den Linden“
-(1888). Das Konzessionsgebiet wurde ausgedehnt und umfaßte jetzt einen
-Stadtteil, der von der Besselstraße bis zum Oranienburger Tor, von
-der Wallner-Theater-Straße bis zum Ende der Bellevue-Straße reichte.
-Dieser ganze Stadtteil mußte mit Kabeln ausgerüstet werden. Zwei
-neue Zentralstationen, in der Spandauerstraße und am Schiffbauerdamm
-waren anzulegen und mit je 2000 Pferdekräften zunächst für je 6000
-Lampen, die bis zum Jahre 1892 auf 24000 bezw. 12000 gesteigert werden
-sollten, auszustatten. Die Zentrale in der Mauerstraße war erheblich zu
-erweitern. Die Maschinen für diese Anlagen wurden bei der belgischen
-Fabrik van der Kerkhoven in Gent bestellt. Emil Rathenau benutzte die
-Gelegenheit, um von den kleineren Schnellläufermaschinen von nicht
-mehr als 150 PS, mit denen die erste Zentrale in der Markgrafenstraße
-gegen seinen Willen auf Verlangen des zur Vorsicht mahnenden
-Bankenkonsortiums ausgestattet worden war, zu großen „Langsamläufern“
-überzugehen, die schnell bis auf 1000 PS gesteigert wurden. Er
-stand dabei im Gegensatz zur ganzen Fachwelt, selbst zu Edison, der
-die Meinung vertrat, daß die Kraft mehrerer Kleinmaschinen besser
-ausgenutzt und den jeweiligen Strombedürfnissen richtiger angepaßt
-werden könnte als die einer Großmaschine. Auch die Sachverständigen der
-früheren Bankengruppe der Städtischen Elektrizitätswerke hatten sich
-von dieser durch die Autorität des Erfinders Edison gestützten Ansicht
-nicht abbringen lassen und das war ein weiterer Grund für die Banken
-gewesen, Rathenau das Geld für die Erweiterung der Elektrizitätswerke
-zu verweigern. Wenn er schon mit den kleinen Maschinen keine
-Rentabilität erzielte, so würde er sie -- dies war ihr Argument -- mit
-großen sicherlich nicht erreichen. Rathenau war damals der einzige, der
-von großen Maschinen das Heil erwartete, nicht nur aus technischen,
-sondern auch aus ökonomischen Gründen, denn er hielt es für wichtig,
-daß ihre Aufstellung viel weniger Platz in Anspruch nahm als die vieler
-Kleinmaschinen, was bei den hohen städtischen Bodenpreisen immerhin
-ins Gewicht fiel. Als er bei den Städtischen Werken nun unabhängig
-von fremdem Einfluß geworden war, konnte er seine Pläne hinsichtlich
-des Großmaschinenbaus unbehindert zur Durchführung bringen und hatte
-die Genugtuung, daß sich selbst Edison nach einer Besichtigung der
-neuen Zentralen von der Überlegenheit der Neuerung überzeugen ließ.
-Erst durch das von Rathenau gegen die ganze damalige übrige Fachwelt
-durchgesetzte Prinzip der Großmaschinen ist die Grundlage für die
-gewaltige Entwickelung des Zentralenbaus gelegt worden.
-
-Die Kosten des Bauprogramms wurden auf 9 Millionen Mark berechnet,
-die zur Hälfte in Aktien, zur Hälfte in Obligationen aufzubringen
-waren. Die Firma der Gesellschaft wurde umgewandelt in +Berliner
-Elektrizitätswerke+. Durch die Forderungen der Stadt war die
-Tragfähigkeit der ersten großen Elektrizitätszentrale auf eine harte
-Probe gestellt worden. Nachdem diese aber bestanden war, schlug die
-Belastungsprobe zum Segen für das Unternehmen aus, das dadurch in
-seinem Wachstum und seiner Stärke in einer Weise gefördert wurde, die
-es wahrscheinlich, sich selbst überlassen, nicht so schnell erreicht
-haben würde.
-
-An den Schluß dieses Kapitels sei der Wortlaut der Rede gesetzt,
-die Emil Rathenau am Vorabend der Einführung des elektrischen
-Lichtbetriebes in der Straße „Unter den Linden“ hielt:
-
- „Es ist uns ein Bedürfnis, im Namen der Berliner Elektrizitätswerke
- den Spitzen der Städtischen Verwaltung unseren Dank dafür
- auszusprechen, daß Sie uns gestattet haben, an einer Schöpfung
- mitzuwirken, deren epochemachende Bedeutung weit über die Grenzen
- dieser Stadt hinaus greift und deren Vollendung überall mit Freuden
- begrüßt werden wird. Diese Schöpfung beweist aufs neue, mit
- welchem Verständnis die Stadt Berlin jede neue Errungenschaft der
- Wissenschaft und Technik dem Wohle der Bürgerschaft dienstbar zu
- machen weiß. Das „lichtvolle“ Werk, dessen Generalprobe Sie soeben
- beigewohnt haben, tritt würdig in die Reihe der schon bestehenden
- Wohlfahrtseinrichtungen, welche der Erleichterung des Verkehrs,
- der Befriedigung der Lebensbedürfnisse und der immer weiteren
- Ausgestaltung des täglichen Komforts zu dienen berufen sind. Die
- Naturkraft des neunzehnten Jahrhunderts, welche im Telegraphen und
- im Telephon sich bereits überall das Bürgerrecht erworben hat, soll
- in Zukunft der gesamten Bevölkerung zugängig gemacht werden, dem
- Wohlhabenden in der Form strahlenden Lichts, dem Handwerker als
- Werkzeug des täglichen Gebrauches.
-
- Unsere Stadt tritt mit dem heutigen Tage in eine neue
- Entwickelungsphase ihres Beleuchtungswesens ein; neben das
- Gaslicht, das bisher die Alleinherrschaft behauptete, tritt heute
- gleichzeitig das elektrische Licht, und die Zukunft wird lehren,
- welchem von beiden der Sieg gehört.
-
- 80 Jahre sind es her, daß in dieser selben Straße „Unter den
- Linden“ das bescheidene Öllämpchen von der ersten Gasflamme
- verdrängt wurde und es wird vielleicht nicht weiterer 80 Jahre
- bedürfen, um, wie damals die erste, so dereinst die letzte
- Gasflamme als staunenswerte Kuriosität betrachtet zu wissen.
-
- Nicht leicht war die Entscheidung, auf welchem Wege am raschesten
- und sichersten das erstrebte Ziel zu erreichen sei, zumal
- da städtische Interessen hinzuweisen schienen, welche schon
- in Gasanstalten, den Wasserwerken und last not least, der
- unübertroffenen Kanalisation zu unbestrittenem Erfolge verholfen
- hatten. Die Erkenntnis aber, daß die junge Industrie sich frei
- entfalten müsse, bevor sie völlig in den Dienst des städtischen
- Ärars treten durfte, hat Früchte gezeitigt, welche die Bewunderung
- aller Nationen erregen. Und in dieser Entwicklung betätigt sich
- gleichzeitig das Walten ausgleichender Gerechtigkeit, denn an
- seiner Geburtsstätte hat der elektrische Strom seine größte
- Verbreitung gefunden, obgleich es eine Zeitlang schien, als ob die
- neue Welt uns diesen Ruhm streitig machen wolle.
-
- Weit hinter dieser zurück steht das übrige Europa; in England
- erschwert der Wille des Parlaments die Errichtung elektrischer
- Zentralstationen und Frankreich konnte, trotz des hohen Fluges,
- den es in der Ausstellung des Jahres 1881 zu nehmen schien, weder
- in der Städtebeleuchtung noch in der elektrotechnischen Industrie
- mit uns Schritt halten. So können wir mit Stolz behaupten, daß wir
- an der Spitze aller Kulturvölker marschieren, die in erster Linie
- berufen waren, das Prinzip der elektrischen Beleuchtung zu fördern
- und sich nutzbar zu machen.
-
- Diese Erfolge verdanken wir nicht zum wenigsten der Weisheit und
- Einsicht unserer Behörden, welche der Privatindustrie freien
- Spielraum ließen, und sie vor allen schädlichen Hemmnissen und
- Beschränkungen bewahrten. So konnten wir in freier Entfaltung aller
- unserer Kräfte das große Werk fördern helfen, das, noch früher als
- gehofft und beabsichtigt war, als fertiges und vollendetes Ganzes
- vor Ihnen stehen wird. Ein hoher Wille, dem wir uns in Ehrfurcht
- beugen, hat uns diese Beschleunigung unserer Arbeiten nahe gelegt,
- und wir sind stolz darauf, daß wir diesem Willen trotz mancher
- entgegenstehender Hindernisse gerecht werden konnten.
-
- So wird denn die elektrische Beleuchtung der prächtigsten Straße
- der Reichshauptstadt schon mit dem morgigen Abend definitiv
- beginnen.
-
- Freilich konnten wir, die wir an der Lösung dieser gewaltigen
- Aufgabe mitzuwirken das Glück hatten, nicht immer gleich allen
- Wünschen in dem Umfange Rechnung tragen, wie es das Publikum, das
- nach elektrischem Licht sich sehnt, in seiner leicht erklärlichen
- Ungeduld beanspruchte, und auch dem Maß des zunächst Erreichbaren
- entsprach. Vielleicht nicht immer den weitgehenden Erwartungen, die
- gerade auf diesem Gebiet der Technik mehr als auf jedem anderen
- sich geltend zu machen pflegen. Das Publikum steht eben unserer
- Aufgabe im allgemeinen zu fern, um deren ganze Schwierigkeit voll
- ermessen zu können, und es vergißt leicht, wie neu die Sache
- eigentlich noch ist, deren Ausbildung und Realisierung wir uns
- gewidmet haben. Es vergißt dies um so eher, als die Elektrizität,
- trotz der ihr noch anhaftenden Jugendfehler uns schon jetzt ganz
- unvergleichliche Dienste leistet. So mag man denn das immer noch
- unvermeidliche Mißverhältnis zwischen unserem Wollen und unserem
- Vollbringen in der Überzeugung entschuldigen, daß die Naturkraft,
- die schon in ihren Kinderjahren so Gewaltiges zu leisten vermochte,
- zu noch Größerem berufen ist, wenn Sie derselben Ihren Schutz mit
- wohlwollender Nachsicht so lange angedeihen lassen, bis sie völlig
- erstarkt ist und in freiem Fluge ihre Schwingen zu regen vermag.
- Wir aber, die wir den Berliner Elektrizitätswerken vorstehen,
- werden, wie bisher, so auch in Zukunft mit redlichem Eifer
- bemüht bleiben, die neue Schöpfung zu einer der Reichshauptstadt
- würdigen Stellung emporzuheben und dafür zu sorgen, daß die
- führende Stellung in der Elektrotechnik, die Deutschland in beiden
- Hemisphären einnimmt, ihm dauernd erhalten werde.
-
- Das Verdienst für diese Führerschaft gebührt, wie nochmals
- betont sei, in erster Reihe den Leitern unserer Stadt, die
- mit weitsichtigem Blick, trotz der Bedenken vieler, daß die
- Elektrizität andere städtische Unternehmen beeinträchtigen werde,
- den Mut besaßen, für die Verwirklichung jener Ideen einzutreten,
- welche die Bürgerschaft von Berlin schon jetzt als weise und
- wohltätig erkannt hat.
-
- Darum bitte ich Sie, Ihr Glas mit mir zu erheben, und einzustimmen
- in den Ruf: Berlin, die Stadt der Intelligenz, die darum auch die
- Stadt des Lichtes werden müßte, sowie die Verwaltung derselben, sie
- lebe hoch!“
-
-
-
-
-Achtes Kapitel
-
-A. E. G.
-
-
-Wir haben im vorigen Kapitel gesehen, daß die Idee und Ausführung
-einer Berliner Zentralstation die Deutsche Edison Gesellschaft in
-ernste Gefahr gebracht hatte, nicht weil die Lösung des technischen
-Problems -- abgesehen von gewissen anfänglichen Hemmnissen --
-Schwierigkeiten oder Enttäuschungen verursachte, sondern weil das
-finanzielle Gleichgewicht zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft
-verloren zu gehen drohte. Die geldlichen Erfordernisse für die
-Zentralstation, die mit einem Kapital von 3 Millionen Mark gegründet
-worden war und nach 3 Jahren 9 Millionen Mark neues Geld brauchte,
-waren zu groß, als daß sie im richtigen Verhältnis zu den Finanzen der
-Muttergesellschaft gestanden hätten, die noch immer mit einem Kapital
-von 5 Millionen Mark arbeitete. Ein derartiges Über-den-Kopf-Wachsen
-der Tochtergesellschaft würde dann möglich und unbedenklich gewesen
-sein, wenn die Zentralstation in der öffentlichen Meinung gesichert
-und bewährt genug gewesen wäre, um ein eigenes kapitalistisches
-Leben führen, und ihre geldlichen Erfordernisse selbständig auf dem
-Anlagemarkt befriedigen zu können. Das war aber, wie wir gesehen
-haben, nicht der Fall. Im Gegenteil, nicht nur die Öffentlichkeit und
-die Stadt Berlin als Konzessionsgeberin, sondern auch die Aktionäre,
-der eigene Aufsichtsrat und die Banken standen der Gesellschaft
-skeptisch gegenüber, und waren froh, als Emil Rathenau ihnen ihren
-riskanten Aktienbesitz, wenn auch mit Verlust, abnahm. Mit dieser
-Transaktion war nun zwar die Tochtergesellschaft gerettet, aber die
-Muttergesellschaft war mit einer finanziellen Last beschwert, die
-sie in ihrem bisherigen Zustande und mit ihren bisherigen Kräften
-nicht tragen konnte, selbst wenn sie ihre ganzen flüssigen Mittel
--- besonders die ihr verbliebenen 1,7 Millionen Mark Bankguthaben
--- für die Berliner Elektrizitätswerke verwendet hätte, was sie
-aber, ohne ihre eigene Entwickelung als Fabrikationsgesellschaft zu
-beeinträchtigen, eigentlich gar nicht tun durfte. Dennoch schien
-Emil Rathenau eine Zeitlang wohl oder übel entschlossen gewesen zu
-sein, seine letzte Geldreserve zu opfern und das Problem der B. E.
-W. auf Kosten seiner Deutschen Edison Gesellschaft zu lösen, die zu
-diesem Behufe ihre Kräfte aufs äußerste hätte anspannen und sich
-wahrscheinlich hätte überlasten müssen. Da die flüssigen Mittel
-dieser Gesellschaft aber allein zu jenem Zwecke nicht ausgereicht
-hätten, wurde der außerordentlichen Generalversammlung vom 10. Februar
-1887 eine Kapitalserhöhung um 2 Millionen Mark vorgeschlagen. Eine
-stärkere Inanspruchnahme des Kapitalmarktes verbot sich deswegen,
-weil am politischen Horizont schwere Wolken aufgezogen waren und ein
-Krieg mit Rußland im Bereiche der Möglichkeit zu liegen schien. Wäre
-diese Kapitalstransaktion damals zur Ausführung gelangt, so hätte
-durch sie nur eine isolierte Lösung der +einen+ brennenden
-Frage, nämlich derjenigen der Städtischen Elektrizitätswerke,
-herbeigeführt werden können. Die Dinge lagen aber bei der Deutschen
-Edison Gesellschaft schon seit geraumer Zeit so, daß abgesehen von dem
-Problem der Elektrizitätswerke noch mehrere andere zur Entscheidung
-drängten, weil die Grenzverhältnisse der Gesellschaft gegenüber ihren
-wichtigsten Geschäftsfreunden unerfreulich, ja unhaltbar geworden
-waren. Es handelte sich um die Pariser Edison Gesellschaft und um
-die Firma Siemens & Halske, die aus Interessen-Freunden immer mehr
-zu Interessen-Gegnern geworden waren oder zu werden drohten. Mit
-Siemens & Halske hatte dieser Zustand schon zu mehreren Prozessen
-geführt, von denen wir den wichtigsten über die Frage, ob die Edison
-Gesellschaft nur Bogenlampen nach dem Siemensschen System verwenden
-dürfte, bereits erwähnt hatten. Auch die fabrikatorische Einengung
-der Edison Gesellschaft, die in der Verpflichtung bestand, Maschinen
-und Materialien mit Ausnahme von Glühlampen unter Verzicht auf die
-Selbstherstellung nur von S. & H. zu beziehen, machte sich mit jedem
-Schritte mehr fühlbar, den die Gesellschaft in ihrer Entwickelung
-vorwärts tun wollte. Das Gleiche galt von den Beschränkungen
-und Auflagen, mit denen das Vertragsverhältnis zu der Compagnie
-Continentale die Edison Gesellschaft belastet hatte. Die Zeit, in der
-die Abgaben an die Pariser Edison Gesellschaft und der Verzicht auf
-Gewinne aus wichtigen Absatzartikeln, die die Gesellschaft von Siemens
-& Halske beziehen mußte, die Lebensfähigkeit des Unternehmens nicht
-beeinträchtigten, war sehr bald vorübergegangen. Als die Deutsche
-Edison Gesellschaft ihr Geschäft auf die Glühlampenfabrikation
-beschränkte und diese noch dazu mit hohen Abgaben an den Erfinder
-belastete, glaubte sie ein Monopol erworben zu haben. Ein Monopol,
-geschützt rechtlich durch Patente und tatsächlich durch Einrichtungen
-und Erfahrungen, die anderen Fabrikationsfirmen nicht zu Gebote
-standen. Technische Vorsprünge können aber erfahrungsgemäß in einer
-Zeit starken technischen Wettbewerbs nur eine Zeitlang gegenüber der
-Konkurrenz aufrecht gehalten werden. Nach einigen Jahren war es dieser
-sogar gelungen, so wesentliche Verbesserungen an der Lampe anzubringen,
-daß es zeitweilig starker Anstrengungen der Ingenieure der Gesellschaft
-bedurfte, um sich die Spitze nicht nehmen zu lassen. Der Monopolschutz
-versagte in der Praxis so gut wie vollständig. 5 richterliche
-Erkenntnisse hatten bis zum Jahre 1887 die Monopolrechte der
-Gesellschaft im wesentlichen bestätigt, eine definitive Entscheidung
-war noch immer nicht ergangen. Inzwischen war fast die Hälfte der
-Patentdauer verstrichen, und die Gesellschaft besaß keine hinreichenden
-Handhaben, um gegen die angeblichen Patentbrecher vorzugehen, die zwar
-riskierten, bei einem späteren obsiegenden Endurteil der Deutschen
-Edison Gesellschaft zum Schadensersatz verurteilt zu werden, inzwischen
-aber an der Herstellung von Glühlampen nicht verhindert werden konnten.
-Das Warten auf diesen Endsieg und die sich etwa daran schließende
-retrospektive Verfolgung der früher erfolgten Patentverletzungen war
-für eine Erwerbsgesellschaft eine unlohnende und unsichere Sache,
-selbst wenn die Patentrechte schließlich durchgesetzt worden wären.
-Im entgegengesetzten Falle aber -- der ja bei der Deutschen Edison
-Gesellschaft schließlich praktisch eintrat -- würde die Gesellschaft
-ihre ganze Existenzberechtigung verloren haben, wenn sie sich bis zur
-Entscheidung der Patentfrage nur auf ihr beanspruchtes Monopolrecht
-und nicht auf Leistungen gestützt hätte, die auch unabhängig von
-diesem Monopolrecht ihr eine starke Stellung im Wettbewerb sicherten.
-Dieser Wettbewerb war, angelockt durch die glänzenden und, wie man
-glaubte, leicht zu erringenden Erfolge der Lichtelektrizität,
-immer größer geworden. Die Errichtung einer Glühlampenfabrik schien
-eine leichte, mit verhältnismäßig kleinem Kapital durchzuführende
-Unternehmung zu sein. Fast alle elektrotechnischen und verwandten
-Betriebe, daneben noch andere Unternehmer, errichteten Lampenfabriken.
-Auf dem Gebiete des Dynamo-Baus lagen die Verhältnisse nicht anders.
-Hier waren Patentrechte, die das Prinzip des Dynamos erfaßten,
-überhaupt nicht vorhanden, und höchstens spezielle Typen patentierbar.
-Jeder konnte sich eine eigene Dynamo-Type konstruieren, und neben
-den elektrotechnischen Fabriken gingen auch Maschinenfabriken
-vielfach dazu über, zur Unterstützung des Absatzes ihrer Motoren
-die eigene Herstellung von Dynamomaschinen aufzunehmen. Auch das
-Gebiet der Installation wurde stark umworben. Unternehmer für Gas-
-und Wasseranlagen dehnten ihre Betriebe auf elektrische Anlagen
-ähnlicher Art aus. In einer solchen Zeit verstärkten und ungehemmten
-Wettbewerbs konnte die Deutsche Edison Gesellschaft nicht ohne dauernde
-Beeinträchtigung ihrer Position und Entwickelungsmöglichkeit so weiter
-existieren, wie sie gegründet worden war: gebunden durch Beschränkungen
-nach verschiedenen Richtungen, belastet durch Abgaben, die bei einem
-Monopol gerechtfertigt gewesen wären, bei einem nahezu unbegrenzt
-freien Wettbewerb aber ihren Sinn verloren hatten. Das Ideal für
-Rathenau wäre schon damals die Befreiung von +allen+ hemmenden
-Verträgen gewesen, sowohl denen mit der Compagnie Continentale als
-auch mit Siemens & Halske. Das erstere ließ sich erreichen, aber nur
-dadurch, daß die Bindung an Siemens & Halske enger gestaltet wurde. Die
-völlige Selbständigmachung nach allen Richtungen -- besonders zu einem
-Zeitpunkte, in dem die auf 10 Jahre geschlossenen Verträge noch nicht
-abgelaufen waren und ihre vorzeitige Ablösung auf dem Vergleichswege
-nur unter Aufwendung großer Abfindungssummen möglich gewesen wäre --
-hätte finanzielle Ansprüche an die Gesellschaft gestellt, denen sie in
-einer Zeit, in der die Stützung der Berliner Elektrizitätswerke ihre
-ganzen Mittel und ihren ganzen Kredit schon über Gebühr in Anspruch
-nahm, auch nicht entfernt gewachsen war. Eine Lösung ließ sich damals
-also nur durch engere Anlehnung der Edison Gesellschaft an Siemens &
-Halske, und die Bankkräfte, die ihr diese Anlehnung zuführen konnte,
-erreichen. Bereits im September 1886 wurden Verhandlungen eingeleitet,
-die sich über volle 8 Monate hinzogen. Sie kamen ins Stocken, wurden
-wieder aufgenommen, aufs neue abgebrochen und führten schließlich
-zu einem komplizierten Vertrags- und Vertragslösungskomplex, der
-der Generalversammlung vom 23. Mai 1887 zugleich mit dem verspätet
-veröffentlichten Geschäftsbericht und der Bilanz für das Jahr 1886
-vorgelegt wurde. Die Vorbedingung für die Lösung vom Edison-Konzern
-bildete, wie schon gesagt, die Änderung des Vertragsverhältnisses mit
-Siemens & Halske, durch die -- wie es in der Vorlage an die Aktionäre
-hieß -- die „Gleichberechtigung beider Firmen in technischer und
-kommerzieller Beziehung auf dem von ihnen gemeinschaftlich vertretenen
-Arbeitsfelde anerkannt wurde.“ Die Grundlage des Neuabkommens mit S. &
-H. war die folgende:
-
-I. Der Bau und Betrieb von Zentralstationen, die beträchtliche
-Geldmittel, reiche Erfahrungen und wohlgeschulte Kräfte erfordern,
-wird durch Kooperation beider Firmen im In- und Auslande bewirkt.
-Der Grundsatz, daß die Edison Gesellschaft die Konzessionen nehmen
-sollte, wurde dabei nicht fallen gelassen, dagegen hatte die
-Bauausführung in Gemeinschaft mit Siemens & Halske zu erfolgen. Alle
-Stromlieferungsunternehmungen von mehr als 100 PS, deren Konzession
-Siemens & Halske erwarben, hatten sie der Edison Gesellschaft gegen
-Erstattung der Unkosten anzubieten, die die Finanzierung, den
-Bau und die Einrichtung der Zentralen zu besorgen hatte, während
-Siemens & Halske Maschinen und Kabel lieferten. Verzichtete die
-Edison-Gesellschaft auf den Bau, so blieb ihr doch das Recht, gegen
-eine Entschädigung die Hausinstallationen auszuführen. Auch dieses
-Recht konnte sie gegen eine bestimmte Abgabe an S. & H. abtreten.
-Konzessionen auf elektrolytische Einzelanlagen und elektrische Anlagen
-für den Betrieb von Eisenbahnen brauchten S. & H. nicht an die Edison
-Gesellschaft abzutreten.
-
-II. Auf dem Gebiete der isolierten Anlagen wurden die der Ausdehnung
-der eigenen Fabrikationsfähigkeit der Edison Gesellschaft
-entgegenstehenden Schranken beseitigt. Zu diesem Zwecke wurde es der
-Gesellschaft erlaubt, Kraftmaschinen bis zu 100 PS selbst herzustellen.
-
-III. Die Glühlampenfabrikation wurde durch eine Konvention vor einer
-gegenseitig ruinösen Preiskonkurrenz geschützt.
-
-Das Hauptzugeständnis, das der Deutschen Edison Gesellschaft hier
-gemacht wurde, lag in der Erlaubnis, Maschinen bis zu 100 PS selbst
-bauen zu dürfen. Es war dürftig genug und mußte mit der Aufteilung
-des bisher der Edison Gesellschaft allein zustehenden Zentralenbaus
-unter beide Firmen bezahlt werden, zu der sich Rathenau gerade in
-dem damaligen Zeitpunkte etwas leichter verstand, weil das Berliner
-Musterbeispiel eines solchen Zentralenbaus die großen finanziellen
-Ansprüche, die dieser Geschäftszweig stellte, deutlich dargetan hatte.
-Überdies bedeutete diese Teilung des Zentralengebietes insofern keine
-allzugroße Änderung im Vertrage, als ja auch schon vorher die Deutsche
-Edison Gesellschaft bei Zentralenbauten einen erheblichen Teil der
-Anlage, nämlich die elektrischen Maschinen, Kabel und sonstigen
-Materialien von S. & H. hatte beziehen müssen. Allerdings war das
-in Aussicht genommene Zusammenwirken beider Firmen im Zentralenbau
-insofern ein wunder Punkt in dem gegenseitigen Verhältnis beider
-Firmen, als die Fassung dieser Vertragsbestimmung ziemlich dehnbar
-war, und nur bei beiderseitigem guten Willen ein ersprießliches
-Zusammenwirken versprach. Böswilligkeit oder passive Resistenz auf
-einer Seite konnten das Zusammenwirken im Zentralengeschäft sehr
-erschweren.
-
-Die Voraussetzung für dieses Abkommen zwischen der Edison Gesellschaft
-und Siemens & Halske bildete eine Regelung der Vertragsbeziehungen
-zu der Compagnie Continentale. Beide deutschen Firmen besaßen das
-Ausnutzungsrecht für die Edison-Patente, beide waren dafür mit einer
-Abgabenpflicht belastet. Die Deutsche Edison Gesellschaft war ferner
-durch satzungsmäßige Bestimmungen zu Gunsten der Compagnie beschränkt
-und schließlich an sie durch die der französischen Gesellschaft
-übergebenen Genußscheine gebunden. Die satzungsmäßigen Beschränkungen
-bestanden hauptsächlich darin, daß die Deutsche Edison Gesellschaft
-für die Glühlicht-Beleuchtung sich ausschließlich des Edisonschen
-Systems bedienen und daß sie Patente, Patentausnutzungsrechte
-sowie alle hierher gehörigen Rechte aller Art, betreffend die
-Anwendung technischer Prozeduren, Erfindungen und Geheimnisse nur
-mit Genehmigung der Compagnie Continentale erwerben durfte. Die
-Verhandlungen mit der französischen Edison Gruppe wurden nicht von
-der Deutschen Edison Gesellschaft, sondern von der Firma Siemens &
-Halske geführt, die sich durch ihren Unterhändler, den Bürgermeister
-a. D. Rosenthal, zum Befremden Rathenaus und hinter seinem Rücken in
-das Eigentum der deutschen Edisonpatente gesetzt hatten. Rathenau
-war dadurch noch mehr auf die Mitwirkung von S. & H. bei der von ihm
-geplanten Loslösung von der Compagnie Continentale angewiesen. S. &
-H. schlossen ein Abkommen, das die Beseitigung aller Beschränkungen
-und Abgaben, die Rück-Übertragung der 1500 Genußscheine der Compagnie
-Continentale und den +gemeinsamen Erwerb+ der Patente durch S. &
-H. sowie die Deutsche Edison Gesellschaft (nicht nur wie bisher das
-Ausnutzungsrecht) ermöglichte. Der Firma S. & H. waren aus diesem
-Abkommen Kosten von 809000 Mark erwachsen, von denen sie selbst
-ein Drittel, nämlich 269666 Mark, die Deutsche Edison Gesellschaft
-75000 Mark für den Rückerwerb von 1500 im Besitz der französischen
-Gesellschaft befindlichen Genußscheinen übernahm und ferner auf die
-noch etwa 170000 Mark betragende Restsumme verzichtete, die von dem der
-Compagnie Continentale seinerzeit als Vorschuß auf die Patentabgaben
-gezahlten Betrage von 350000 noch verblieben und in der obigen Summe
-von 809000 Mark verrechnet war. Der Rest von 294334 Mark wurde von
-einem durch Siemens & Halske gebildeten Bankenkonsortium unter Führung
-der Deutschen Bank übernommen, das ebenso wie die Firma Siemens &
-Halske einen Teil der 7 Millionen Mark neuen von der Deutschen Edison
-Gesellschaft auszugebenden Aktien zeichnen sollte.
-
-Die Deutsche Edison Gesellschaft hatte im ganzen einschließlich
-50000 Mark, die zum Rückerwerb der restlichen 1000 seinerzeit an die
-Gründer begebenen Genußscheine dienten, 295000 Mark bereitzustellen.
-Die Aufbringung dieser Summe fiel der Gesellschaft, die damals
-stille Reserven kaum aufgesammelt hatte, nicht leicht. 195000 Mark
-sollten den außerordentlichen (offenen) Reserven entnommen werden,
-von denen damals ein Rückstellungskonto in Höhe von 145743 Mark und
-eine außerordentliche Reserve von 95000 Mark bestand. Diese wurden
-demnach durch die Entnahme bis auf 45000 Mark verzehrt. Ferner
-bestand noch ein gesetzlicher Reservefonds von 47674 Mark. Das
-war alles, was der Gesellschaft an Reserven verblieb. Die innere
-Verfassung des Unternehmens war damals also eine ziemlich schwache,
-und wenn im Geschäftsbericht für 1886, wohl um die Aktionäre über
-die unbehagliche Situation hinwegzutrösten, mit Genugtuung darauf
-hingewiesen wurde, daß in den bisherigen 4 Geschäftsjahren Reserven
-von 284667 Mark aufgesammelt, buchmäßige Abschreibungen von 239912
-Mark vorgenommen und 883500 Mark an Dividenden gezahlt worden seien,
-so bedeutete diese Zusammenstellung vom Standpunkt der späteren
-Rathenauschen Reserven- und Bilanzpolitik betrachtet, eine ziemlich
-herbe Kritik, was das Verhältnis der gezahlten Dividenden zu den
-zurückgehaltenen Beträgen anlangt. Es waren Dividenden ausgeschüttet
-worden, die -- wenn sie auch an sich niedrig waren, -- Emil Rathenau
-in späteren Jahren im Verhältnis zu dem erzielten Gewinn entschieden
-als viel zu hoch betrachtet haben würde. Das war vielleicht nötig
-gewesen, um die Aktionäre des jungen Unternehmens nicht sofort vor
-den Kopf zu stoßen, den technischen und finanziellen Kredit nicht zu
-gefährden und das Bankenkonsortium zufriedenzustellen, das zu großen
-Entsagungen nicht bereit war. Die Folge davon war die mangelhafte
-Fundierung der Gesellschaft bei Gelegenheit der Vertragsrevision
-mit der Edison-Gruppe. Nicht nur die Reserven mußten geplündert
-werden, sondern auch die Aktionäre mußten auf einen Teil ihrer Rente
-verzichten. Von dem 308626 Mark betragenden Überschuß mußten 100000
-Mark abgezweigt werden, um den Restbetrag der aus Anlaß des Ausgleichs
-mit der Edison-Gruppe aufzubringenden Summe herbeizuschaffen. Statt
-6%, wie erwartet worden war, konnten die Aktionäre nur 4% erhalten.
-In der Generalversammlung vom 23. Mai 1887 herrschte darum eine
-recht ungemütliche Stimmung, und zum ersten Male trat eine kräftige
-Opposition hervor, die sich gegen nicht eingelöste Versprechungen
-usw. richtete. Die Aktionäre Michelet und Jacob kritisierten die
-Verwaltung mit scharfen Worten und gaben Protest gegen die Beschlüsse
-der Versammlung zu Protokoll. Hugo Landau, der stellvertretende
-Vorsitzende des Aufsichtsrats und Vertreter der Bankengruppe, erklärte
-demgegenüber, daß nur durch die Verkürzung der Dividende die fehlenden
-100000 Mark aufgebracht werden könnten. Werde das abgelehnt, so sei
-die Transaktion nicht durchzuführen. Der Vertrag mit S. & H. und die
-Kapitalserhöhung kämen nicht zustande. Statt eine gesunde und große
-Zukunft zu gewärtigen, müßte die Gesellschaft mit ihren jetzigen
-unzureichenden Mitteln in eine Periode verschärfter Konkurrenz
-eintreten. Der Kampf könnte ohne wesentliche Herabschreibung der
-Aktiva dann nicht mit Aussicht auf Erfolg aufgenommen werden. Die
-+Sanierung+ wurde also als drohendes Gespenst an die Wand gemalt.
-Sie wurde vermieden, denn die Generalversammlung genehmigte die Anträge
-der Verwaltung schließlich mit großer Mehrheit, und sie tat gut
-daran. Schon im nächsten Geschäftsjahr 1887/88, das infolge Verlegung
-des Bilanztermins auf den 30. Juni 1½ Jahre umfaßte, konnte eine
-Dividende von 7% für das Jahr und 10½% auf 1½ Jahre bei sehr
-vorsichtiger Bilanzierung ausgeschüttet werden, und die Aktionäre haben
-sich über schlechte Abschlüsse, und nicht eingehaltene Versprechungen
-nie wieder zu beklagen gehabt.
-
-Die 7 Millionen Mark neuen Aktien, von denen Siemens & Halske 1
-Million Mark übernahmen, erhielten für 1887/88 nur 4% Bauzinsen. In
-den Aufsichtsrat traten als Vertreter von Siemens & Halske, Arnold
-von Siemens, der Sohn Werners, und Bürgermeister a. D. Rosenthal,
-ferner als Vertreter des neuen Bankenkonsortiums Dr. Georg Siemens
-(Deutsche Bank), August Klönne (Schaaffhausenscher Bankverein),
-Geh. Kommerzienrat A. Delbrück (Delbrück, Leo & Co.) sowie
-Eisenbahnpräsident A. Jonas (Discontogesellschaft) ein. Trotzdem wurde
-der Mitgliederbestand des Aufsichtsrats nicht erhöht. Er betrug wie
-zuletzt 11 Köpfe, eine Reihe von bisherigen Aufsichtsratsmitgliedern
-mußte den Bankenvertretern ihren Platz räumen. Bereits früher waren
-verschiedene Mitglieder, darunter der Vertreter der Nationalbank für
-Deutschland, Assessor Löwenfeld ausgeschieden. Im Jahre 1888 wurde der
-Geschäftsinhaber der Berliner Handelsgesellschaft Carl Fürstenberg
-in den Aufsichtsrat gewählt, der späterhin -- besonders nach dem
-Ausscheiden Georg Siemens -- der eigentliche finanzielle Berater Emil
-Rathenaus geworden ist und ihm in enger Freundschaft bis an sein
-Lebensende verbunden blieb.
-
-Die Gesellschaft legte nach ihrer Lösung vom Edison-Konzern den Namen
-„Deutsche Edison Gesellschaft“ ab und nahm den Namen „+Allgemeine
-Elektrizitäts-Gesellschaft+“ an, unter dem sie groß und berühmt
-geworden ist.
-
-
-
-
-Neuntes Kapitel
-
-Ausdehnung und Befreiung
-
-
-Die folgenden Jahre der Gesellschaft, die ersten unter der Firma
-Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft, standen im Zeichen einer
-+Expansion+ nach allen Richtungen. Die neuen Mittel im Betrage von
-7 Millionen Mark jungen Aktien, deren Ausgabe die Generalversammlung
-vom 23. Mai 1887 beschlossen hatte, sollten in erster Linie zu dem
-Ausbau der Berliner Elektrizitätswerke verwendet werden, aber dieser
-Ausbau erfolgte nur allmählich, und wenn er schließlich auch wesentlich
-höhere Kapitalien verschlang, als damals vorgesehen war, so konnte
-ein Teil des Aktienerlöses aus der Emission von 1887 zunächst flüssig
-gehalten und zu anderen Zwecken verwendet werden. Schon zu dieser Zeit
-verfolgte Emil Rathenau das Prinzip, in finanzieller Hinsicht über den
-augenblicklichen und im Augenblick übersehbaren Bedarf ausgestattet,
-in der Einleitung jedes neuen Geschäfts nicht von der Geldbewilligung
-durch Banken und Aktionäre abhängig zu sein, und eine „Von der Hand
-in den Mund-Politik“, wie sie ihm einmal beinahe verhängnisvoll
-gewesen wäre, zu vermeiden. Die Bilanz vom 30. Juni 1888 wies noch
-ein Bankguthaben von 6401740 Mark auf, was allerdings zum Teil damit
-zusammenhing, daß die Verhandlungen mit der Stadt Berlin über den neuen
-Vertrag sich länger als erwartet hinzogen, und erst im August 1888
-zum Abschluß gelangten, so daß im Geschäftsjahr 1887/88 nur 400.000
-Mark zu der Erweiterung der schon bestehenden Zentralen verwendet
-wurden. Umso stärker und über die Voranschläge weit hinausgehend
-gestaltete sich das Geldbedürfnis der Berliner Elektrizitäts-Werke in
-den nächsten Jahren, da die Nachfrage nach Licht- und Kraftanschlüssen
-sich im Zusammenhang mit dem Bau neuer Zentralen über Erwarten
-steigerte. Die gesamten Investitionen sollten nach dem Bauentwurf
-von 1887 9 Millionen Mark betragen, sie schwollen schon im nächsten
-Jahre auf 18 Millionen Mark an. Die A. E. G., die abgesehen von der
-Erhöhung ihrer Aktienbeteiligung ein Darlehen von 3 Millionen Mark
-zugesagt hatte, mußte dieses auf 6 Millionen Mark erhöhen. Abgesehen
-davon bezog sie die Hälfte der neuausgegebenen 3 Millionen Mark B.
-E. W.-Aktien in Ausnutzung ihrer Gründerrechte zu pari, und an der
-Übernahme der anderen Hälfte beteiligte sie sich nach Maßgabe ihres
-Aktienbesitzes mit 549000 Mark. Einen Teil der Mittel für die Zeichnung
-der neuen Aktien beschaffte sie sich dadurch, daß sie mit ansehnlichem
-Nutzen 1044000 Mark von ihrem im ganzen 2.044.000 Mark betragenden
-Aktienbesitz erster Emission verkaufte, die sie erst im Jahre vorher
-zum Kurse von 95% von den Banken übernommen hatte. Zwar hatten die B.
-E. W. ihre Dividendenzahlung noch nicht aufgenommen, aber es stand
-doch schon fest, daß bereits im Jahre 1889/90 die erste Dividende
-in ansehnlicher Höhe würde ausgezahlt werden können. Diese Aussicht
-schuf den Aktien der B. E. W. eine ganz andere Bewertung als noch vor
-kurzer Zeit, und erleichterte infolgedessen die Abstossungstransaktion
-der A. E. G. Die Gesellschaft verfolgte auch späterhin bei den B.
-E. W. wie bei anderen Aktienbeteiligungen das Prinzip, bei Ausübung
-des Bezugsrechtes auf junge Aktien einen entsprechenden Teil der
-alten Aktien zu realisieren, sofern dies mit Gewinn ermöglicht werden
-konnte. In solchen Austauschtransaktionen lag jedesmal ein sicherer
-Zwischengewinn, denn die alten Aktien konnten stets zu höheren Kursen
-abgestoßen werden, als die jungen Aktien erworben wurden, während diese
-für die A. E. G. denselben Beteiligungs- und Kapitalswert besaßen.
-Ganz besonders groß und glatt zu erzielen waren die Zwischengewinne
-bei den Transaktionen mit den B. E. W.-Aktien, da die A. E. G. bei
-dieser Gesellschaft ja infolge ihrer Gründerrechte die Hälfte der neuen
-Aktien zu pari beziehen konnte, während infolge der hohen Dividenden
-der Gesellschaft ihr Kurs und damit auch ihre Verwertungsmöglichkeit
-für die A. E. G. wesentlich über dem Parikurse lag. Emil Rathenau
-hat einmal in einer Generalversammlung erklärt, daß er -- auch als
-das Kapital der B. E. W. auf viele Zehnmillionen stieg -- den Besitz
-der A. E. G. dauernd nie über 2 Millionen Mark hinaus zu steigern
-brauchte. Mit einem solchen Kapital konnte er die Tochtergesellschaft
-völlig beherrschen. Dieses Prinzip der Kontrollausübung mit sparsamen
-Geldmitteln, fußend auf guter Verwaltung und Autorität, war überhaupt
-charakteristisch für das Rathenausche Beteiligungssystem, doch konnte
-es nicht überall so schnell und wirksam zur Geltung gebracht werden
-wie bei den B. E. W. Manche Beteiligungen kosteten viel mehr Geduld
-und viel größere und länger festliegende Investierungen. Übrigens hat
-sich Emil Rathenau durch den Gesichtspunkt der hohen Zwischengewinne,
-die ihm das Pari-Bezugsrecht für die Hälfte der Neuemissionen der B.
-E. W. ermöglichte, nicht dazu verleiten lassen, die Finanzpolitik der
-B. E. W. auch dort unter diesen Gesichtspunkt zu stellen, wo deren
-eigene Kapitalinteressen andere Rücksichten erheischten. Wäre das der
-Fall gewesen, so hätte er überhaupt nur Stammaktien, bei denen die
-Differenz zwischen dem Paribezugsrecht und dem Börsenkurse allein in
-größerem Umfange zu realisieren war, ausgegeben. In Wirklichkeit sind
-aber durch die B. E. W. neben Stammaktien im Betrag von 44100000 Mark
-auch 4½%ige Vorzugsaktien von 20 Millionen Mark (deren Börsenpreis
-nie erheblich über den Paristand gehen konnte), und fast 60 Millionen
-Mark Obligationen ausgegeben worden, bei denen ein Bezugs- und
-Verwertungsrecht der A. E. G. überhaupt nicht in Frage kam.
-
-Neben der kräftigen Weiterentwickelung der B. E. W., die nach kaum
-10jährigem Bestehen etwa 30 Millionen Mark in ihren Betrieben angelegt
-hatten, und nur in den ersten Jahren die Festlegung erheblicher Mittel
-seitens der A. E. G. verlangten, während sie sich später mit ihrer
-zunehmenden Rentabilität selbständig mit Kapital versorgen konnten,
-erforderte das Fabrikations- wie das sonstige Beteiligungsgeschäft
-der A. E. G. beträchtliche neue Mittel. Die Glühlampenfabrik erfuhr
-eine gewaltige Ausdehnung. Gegen 90000 Stück Lampen im Jahre 1886
-wurden im nächsten, 18 Monate umfassenden Geschäftsjahr 1887/88
-bereits 300000 Stück abgesetzt. Ein paar Jahre später zählte der
-Absatz nach Millionen. Die zunehmende Konkurrenz zwang allerdings zu
-Preisherabsetzungen und zu Verbesserungen in der Ökonomie der Lampen,
-die nur durch Verbilligungen des Herstellungsprozesses ausgeglichen
-werden konnten. Die Aufnahme der Dynamomaschinenfabrikation, die für
-Maschinen bis zu 100 PS durch den neuen Vertrag mit Siemens & Halske
-der Gesellschaft ermöglicht worden war, und für die erst noch das
-Edisonsche, dann später ein eigenes System verwendet wurde, erforderte
-die Errichtung einer besonderen Fabrik. Es wurde bereits im Jahre 1887
-die Weddingsche Maschinenfabrik samt dem zugehörigen von der Acker-,
-Hermsdorfer-, Feld- und Hussitenstraße begrenzten Gelände erworben und
-ausgebaut. Auch eine neue Fabrik für Leitungsmaterial wurde errichtet,
-desgleichen eine Akkumulatorenfabrik, nachdem die Gesellschaft mit
-Rücksicht auf die zukünftige Bedeutung, die sie den Apparaten zur
-Aufspeicherung des elektrischen Stromes beimaß, die Patentrechte der
-Electrical Power Storage Company für das Deutsche Reich erworben
-hatte. Im Jahre 1888/89 wandte sich die Gesellschaft ferner der
-Herstellung +elektrischer Straßenbahnen+ zu. Um sogleich mit
-einem fertigen und in allen Teilen erprobten System hervortreten zu
-können, erwarb Rathenau -- der sich nie gern mit Vorarbeiten abgab,
-wo fertige Resultate bereits vorlagen -- die Erfindungen und Patente
-des im amerikanischen Eisenbahnwesen bekannten Konstrukteurs J. Frank
-Sprague und sicherte sich dadurch vertragsgemäß weitgehende Erfahrungen
-auf dem Gebiete der elektrischen Straßenbahnen. Auch elektrische
-Grubenbahnen wurden in den Tätigkeitskreis der Gesellschaft gezogen.
-Die Zahl der inländischen und ausländischen Installationsbureaus wurde
-fernerhin vermehrt. Die Herstellung isolierter Anlagen, für die die
-Gesellschaft nach dem neuen Vertrage mit Siemens & Halske nun auch
-die +Maschinen+ selbst herstellen durfte, nahm beträchtlich
-zu, insbesondere erhielt die Gesellschaft wieder eine Reihe von
-Aufträgen für Theaterbeleuchtungen sowie industrielle Stationen, und
-mit Genugtuung wurde im Jahre 1892 festgestellt, daß die Gesellschaft
-nunmehr den ganzen Bedarf derartiger Anlagen von der Dampfmaschine
-bis zur Glühlampe selbst herstelle. Inzwischen war nämlich neben der
-Dynamomaschine auch der Elektromotor, ferner die Herstellung von Gummi-
-und anderem Isolationsmaterial in den Produktionskreis der Gesellschaft
-gezogen worden. Elektrische Pumpen, Winden, Aufzüge und Krähne wurden
-gleichfalls fabriziert und außer dem ersten großen Anwendungsgebiet
-des elektrischen Starkstroms, der Beleuchtungselektrizität, begann
-das zweite, das im Laufe der Entwickelung ungleich wichtiger werden
-sollte, das Gebiet des +Kraftstroms+ an Bedeutung zu gewinnen.
-Die elektrische Kraftübertragung, die Emil Rathenau schon früh an
-Stelle der Dampfkraft setzen wollte, weil er sie als ökonomischer
-und leistungsfähiger ansah, faßte allmählich Fuß, wenngleich sich
-die Industrie nur schwer von ihrer Überlegenheit beim Betrieb von
-Fabriken, Bergwerken usw. überzeugen ließ, und die demonstrative
-Vorführung am Muster-Beispiel, die Rathenau sonst gern eindrucksvoll
-zur Wirkung kommen ließ, hier viel schwieriger wie auf anderen Gebieten
-durchzuführen war. Denn Blockstationen, Beleuchtungszentralen,
-elektrische Bahnen, konnte die A. E. G. selbst erbauen und betreiben,
-um an ihnen den Wert der Elektrizität zu beweisen. Der überzeugende
-Nachweis der elektrischen Ökonomie im Fabrikbetriebe war viel
-schwieriger zu erbringen. Rathenau konnte nicht eigene Bergwerke,
-Hütten, Hochöfen erwerben, um vergleichende Tabellen über die Kosten
-des Dampf- und des elektrischen Betriebes aufzustellen. Die Industrie
-ihrerseits, noch immer gegen die unbedingte Zuverlässigkeit des
-elektrischen Betriebes mißtrauisch, fürchtete Störungen, und gab sich
-zu gefährlichen Experimenten nicht leicht her. Dampfkrafttechniker
-und Elektrotechniker bekämpften sich mit Ökonomie-Statistiken, und
-jeder wollte nachweisen, daß seine Methode die billigere sei und den
-Vorzug verdiene. Emil Rathenau hat die Heranziehung der Elektrizität
-als Kraftquelle mit den von Jahr zu Jahr steigenden Kohlenpreisen
-einerseits und andererseits mit der Notwendigkeit begründet, die
-allmählich sich aufbrauchenden Kohlenvorräte der Erde dadurch zu
-„strecken“, daß nur der Kraftantrieb durch Kohle zu erfolgen habe,
-während die eigentliche Krafterzeugung durch die mit Kohle in
-Bewegung gesetzte Elektrizität erfolgen müsse, eine Anschauung, die
-vom Standpunkte einer weitsichtigen Entwickelung aus betrachtet,
-zweifellos Berechtigung besitzt. Einen großen Schritt auf dem Wege der
-Kraftübertragung tat im Jahre 1890 die A. E. G. durch die Ausbildung
-eines von ihrem Ingenieur +Dolivo Dobrolowsky+ ausgebildeten
-neuen Stromsystems, das als Drehstrom- oder Mehrphasensystem für
-die Kraftübertragung eine fundamentale Bedeutung erlangt hat. Die
-Kraftübertragung, die bis dahin technischer Behandlung nur in engen
-räumlichen Grenzen fähig war, wurde damit auch auf weitere Entfernungen
-hin möglich. Noch wichtiger für die damalige Zeit war es wohl, daß
-durch das Drehstromsystem der +Wechselstrom+ mit seinen hohen
-Spannungen und größeren Leistungen sich endgültig gegenüber dem bis
-dahin vorherrschenden Gleichstrom durchzusetzen vermochte, nachdem
-er bis dahin mehrere Jahre lang einen nicht gerade erfolgreichen
-Kampf gegen den Gleichstrom geführt hatte. Die technische Welt
-war längere Zeit in zwei Lager gespalten gewesen, und gerade die
-größten Autoritäten, wie Siemens und Edison, bis zu einem gewissen
-Grade auch Rathenau, hatten sich durch die bis dahin eingeführten
-unvollkommenen Systeme des Wechselstroms meist einphasiger Natur
-nicht für die neue Stromart gewinnen lassen. In Amerika kämpften
-Georg Westinghouse, in England Ferranti, in Deutschland besonders die
-Helios-Elektrizitäts-Gesellschaft für den Wechselstrom. Es wurden von
-diesen auch große Krafterzeugungswerke errichtet, die aber weder in
-technischer, noch in wirtschaftlicher Beziehung die Überlegenheit des
-Wechselstromsystems zu erweisen vermochten, trotzdem manche von ihnen,
-besonders das Ferrantische Werk in Deptford bei London mit großzügigen
-Baugedanken, namentlich auf dem Gebiete der Großmotorentechnik
-errichtet worden waren. Erst das mehrphasige Drehstromsystem, das nach
-einem von dem italienischen Physiker Ferraris entwickelten Prinzip
-von verschiedenen Konstrukteuren, mit besonderem Erfolg von Dolivo
-Dobrolowsky ausgeführt worden war, brachte die endgültige Entscheidung.
-
-Die A. E. G. fand Gelegenheit, die starke Wirkung ihres
-Drehstromsystems und der dadurch ermöglichten Kraftübertragung in
-die Ferne auf der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in
-Frankfurt a. M. im Jahre 1891 vorzuführen, unter deren hervorragenden,
-von der Leistungsfähigkeit der Starkstromtechnik zum ersten Male
-ein zusammenfassendes Bild gebenden Veranstaltungen die Fernleitung
-Lauffen-Frankfurt a. M. im Mittelpunkt des Interesses stand. Die
-Idee, mit Hilfe des neuerfundenen Drehstroms die Wasserkräfte des
-Neckarfalles bei Lauffen 175 km weit auf elektrischem Wege nach
-Frankfurt a. M. zu überführen, ging von dem Ingenieur Oscar v. Miller
-aus, der ebenso wie in München vor 9 Jahren auch der leitende Geist
-der Frankfurter Elektrizitätsausstellung war. Miller, dieser nicht
-nur geschickte, sondern auch geistvolle Organisator und Herold der
-Elektrizitäts-Propaganda, der es wie kaum ein anderer verstand, das
-repräsentative Bild einer modernen technischen Kultur aus ihren
-historischen Fundamenten aufzubauen, in ihrem Gegenwartswert greifbar
-lebendig zu machen und zugleich ihre Zukunftsperspektiven aufzurollen,
-Oscar v. Miller, der später in der Schöpfung des Deutschen Museums
-einen klassischen Ausdruck für seine „gehobene Ausstellungskunst“
-fand, suchte nach einem „Schlager“ für die Frankfurter Ausstellung,
-der über die bereits anderweitig gezeigten „Errungenschaften“ der
-Elektrizität nicht nur dem Grade nach hinausging, sondern etwas ganz
-Neues bieten sollte. Die modernsten Lampen, die damals gerade in voller
-Entwickelung stehenden Techniken des Zentralen- und Bahnenbaus, alles
-das wurde selbstverständlich in Frankfurt gezeigt, das waren doch
-aber nur Verbesserungen von technischen Prozessen, die anderswo auf
-Ausstellungen oder im praktischen Betriebe bereits vorgeführt worden
-waren, Feinheiten des Details und des Fortschritts, die eigentlich
-nur den Techniker voll interessierten. Das ganz Neue, das er suchte,
-fand Oscar v. Miller nun bei der A. E. G., deren Mit-Direktor er
-bis vor wenigen Jahren gewesen war, bevor er dem an ihn ergangenen
-Rufe folgte, die Frankfurter Ausstellung zu organisieren. Miller,
-der übrigens bereits 1882 in München den allerdings damals mehr
-spielerischen Versuch gemacht hatte, eine Fernleitung vermittelst
-Gleichstroms nach dem System von Deprez vorzuführen, kannte von der
-A. E. G. her das Dobrolowskysche Drehstrom-Verfahren. Er wußte auch,
-daß Emil Rathenau entgegen den Zweifeln und Einwänden, mit denen
-ein großer Teil der Elektriker der Fernübertragung des elektrischen
-Stroms noch immer begegnete, die kühnsten und höchsten Erwartungen in
-dieses Verfahren setzte. Es galt diesen latenten Kräften und Ideen die
-Vorbedingungen der Verwirklichung zu geben, da sonst damals auf anderem
-Wege die Mittel zur praktischen Nutzanwendung der Erfindung noch nicht
-geschaffen werden konnten. Die Fernübertragung war gewissermaßen
-nur die sensationelle Einkleidung für das weniger wirkungsvolle,
-aber für die damalige Entwickelungsstufe der Elektrizität weit
-wichtigere Drehstromsystem. Hinter dem +Schlager+ verbarg sich
-das vielumstrittene +Problem+, und Oscar v. Miller leistete
-weit mehr als ausstellungstechnische Arbeit, indem er einer der
-zukunftskräftigsten, aber auch am schwersten zu verwirklichenden Ideen
-der angewandten Elektrizität durch Dornengestrüpp die Wege bahnte.
-Denn die zu überwindenden Hindernisse waren groß. Sie bestanden
-nicht so sehr in den maschinellen Vorbedingungen der Anlage, die
-auf eine so hohe Spannung eingerichtet werden mußte, wie sie damals
-noch unerhört war. Daß man Maschinen von genügender Größe und
-Stärke herstellen konnte, ist Emil Rathenau und Oscar v. Miller nie
-zweifelhaft gewesen. Die Maschinenfabrik Oerlikon bei Zürich in der
-Schweiz lieferte auch eine tadellos funktionierende Maschine von
-mehr als 200 Pferdestärken, mit der es möglich war, eine Spannung
-von 16000 Volt -- eine für jene Zeit außerordentliche Leistung -- zu
-erzeugen. Die Anwendung einer derartigen Hochspannung gestattete es
-auch, Kupferleitungen zu verwenden, die einen verhältnismäßig geringen
-Durchmesser aufwiesen, während bei starkem Gleichstrom wesentlich
-größere und direkt unwirtschaftliche Kupferdurchschnitte notwendig
-gewesen waren. Auch genügend widerstandsfähige Isolatoren konnten
-gebaut werden. An der Erzeugungsstelle, und an der Verbrauchsstelle
-des Stroms wurden Transformatoren eingebaut, die die Heraufsetzung und
-Wiederherabsetzung des dreiphasigen Stroms tadellos bewirkten. Schwerer
-waren die Hemmungen zu überwinden, die der Durchleitung des damals
-als sehr gefährlich geltenden Hochspannungsstroms durch die zwischen
-der Erzeugungs- und der Verbrauchsstelle liegenden Landstrecken im
-Wege standen. Württemberg, Baden, Hessen und Preußen hatten die
-Genehmigung zur Durchführung der Leitungen über ihr Gebiet zu erteilen.
-Nach großen Schwierigkeiten und Widerständen namentlich seitens der
-Postverwaltung, die eine Störung ihrer Schwachstromleitungen durch
-die Hochspannungsanlagen befürchtete, gelang auch dies, aber erst
-längere Zeit nach Eröffnung der Ausstellung in Frankfurt konnte die
-Fernleitung in Betrieb gesetzt werden. Dann aber brannten in Frankfurt
-a. M. eines Abends 1000 Glühlampen, die mit Wasserkraftstrom aus
-dem 175 km entfernten Kraftwerk gespeist waren. Um die trotz der
-Übertragung nicht verminderte Stärke des Fernstroms zu zeigen, wurde in
-Frankfurt ein Wasserfall betrieben, der vermittelst einer durch einen
-Drehstrommotor in Bewegung gesetzten Kreiselpumpe in Tätigkeit gesetzt
-wurde. Charakteristisch für den reifen und klaren Blick, mit dem Emil
-Rathenau das Fernleitungsproblem schon im Jahre 1891 sah, ist die Rede,
-die er bei der Besichtigung der Frankfurter Anlage vor den Festgästen
-gehalten hat. Sie ist interessant genug und gibt außerdem ein so
-bezeichnendes Bild von der Art, mit der Rathenaus reale Phantasie
-Zukunftsentwickelungen schon aus Erfindungen, die erst sozusagen in
-den Anfangsgründen vorlagen, gedanklich vorwegnahm, daß sie hier im
-Wortlaut wiedergegeben werden soll:
-
- „Meine Hochgeehrten Herren!
-
- Wenn wir auch das Verdienst in keiner Weise für uns in Anspruch
- nehmen, daß Sie, meine hochgeehrten Herren, von weit hergekommen
- sind, um sich durch den Augenschein zu überzeugen, auf welche
- Entfernung der elektrische Strom zur Übertragung der Kraft des
- Neckars mit Erfolg verwendet werden kann, so können wir doch
- nicht umhin, Ihnen unseren ehrerbietigen und verbindlichsten Dank
- auszusprechen, daß Sie uns gestattet haben, die Anregung dazu zu
- geben und in diesem Sinne heiße ich Sie willkommen.
-
- Es möchte als Selbstverherrlichung erscheinen, wenn die, welche an
- dem eben vollendeten Werke mitgewirkt haben, sich in Betrachtungen
- verlören, über etwaige Umwälzungen, die das Gelingen dieser Aufgabe
- herbeiführen kann, und ich überlasse es deshalb der begeisterten
- Phantasie Fernstehender, Zukunftsbilder auszumalen; aber vom rein
- technischen Standpunkte aus wollen Sie mir gestatten, einige Worte
- über die Kraftübertragung hier auszusprechen.
-
- Wenn wir, uns des wohlgelungenen Werkes freuend, Rückblicke in
- die Vergangenheit werfen und sinnend in die Zukunft schauen, so
- geschieht dies nicht in dem selbstgenügenden Sinne, in welchem
- Goethe seinen alternden Faust zum Augenblicke sagen läßt: „Verweile
- doch, du bist so schön.“ Wir glauben nicht einen Idealzustand, ein
- endgültiges Ziel erreicht zu haben. Wir möchten uns dem kühnen
- Bergsteiger vergleichen, welcher, nachdem wieder ein großer Teil
- des Weges zurückgelegt ist, stehen bleibt und auf die überwundenen
- Schwierigkeiten zurückblickt, dabei aber doch das Endziel nicht aus
- den Augen verliert.
-
- Die Kultur unserer Erde ist den Jugendjahren entwachsen, sie tritt
- in das ernste Alter der Männlichkeit, wo die volle Kraft zur
- Verfügung steht, wo es aber zu Ende sein muß mit dem übermütigen
- Brausen und Vergeuden der Jugend, und was hier im Bilde von der
- Kraft gesagt ist, müssen wir auf die Kraft im wissenschaftlichen
- Sinne, auf das eigentliche Lebensprinzip unserer Erde mit
- bedeutungsvollem Ernst anwenden. Die Zunahme der Bevölkerung und
- ihre dichtere Verbreitung auf dem besser gelegenen Teil unserer
- Erde zwingen uns, mit dem Vorhandenen haushälterisch umzugehen.
- Die Not hat uns suchen gelehrt, und wir lernen, die Entfernungen
- aufzuheben und auszugleichen. Ein Baum, ein Rind, ein Getreidefeld
- ist an der einen Stelle kaum des Aneignens wert und wird weit
- entfernt von dort so hoch geschätzt, daß einer großen Mehrzahl
- der Bevölkerung nur unter schwerer Arbeit es möglich ist, diese
- zur Erhaltung notwendigen Erzeugnisse unserer Erde, unser Aller
- Mutter, sich zu verschaffen. Nicht anders ergeht es uns mit
- jener belebenden Naturkraft, der Sonnenwärme, welche wir in den
- mannigfachsten und wunderbar erscheinenden Formen auf unserer
- Erde aufgespeichert finden. Die Quelle, der Wassersturz, die Ebbe
- und Flut des Ozeans, sie alle sind Kräfte, welche der menschliche
- Geist sich dienstbar machen kann und muß, soll er anders die
- Herrschaft über die Erde behaupten, und doch gestatten ihm sehr oft
- oder vielleicht zumeist die scheinbar zufällig sich entwickelnden
- Lebensbedingungen der Individuen nicht, diese Kräfte am günstigsten
- auszunutzen. Als der Mensch überhaupt darauf kam, die elementaren
- Naturkräfte sich dienstbar zu machen, waren es nur Wind und
- Wasser, die er sich gefügig zu machen vermochte, und Jahrhunderte,
- Jahrtausende vergingen, ohne daß ein Fortschritt verzeichnet werden
- konnte. Erst unserem Jahrhunderte, dem des Dampfes, blieb es
- vorbehalten, die Kräfte der Erde dem Menschen zu erschließen und
- die in der Kohle angehäufte Sonnenwärme in ihren Urzustand wieder
- zurückzubringen, sie zu zwingen, sich wieder als Kraft und so als
- Arbeit dem Menschen zu betätigen. Der Dampf wiederum war es, der es
- ermöglichte, die Kraft zu verteilen, einerseits durch Verbesserung
- der Transportmittel, andererseits, indem man es bald lernte, seine
- Wirkung direkt auf Entfernungen, die man für große hielt, zu
- übertragen; ja man lernte es auch, die Dampfkraft zu teilen und
- mehreren den Nutzen einer großen Einrichtung gemeinschaftlich und
- zu gleicher Zeit zuzuführen.
-
- Bei weitem überflügelt hat aber der, wie man ihn bisher nannte,
- elektrische Funke den Dampf. Wir haben es heute gezeigt, daß auf
- eine Entfernung von über 170 km mit mathematischer Gewißheit
- Elektrizität die ihr von einem Wasserfall zugeführte Kraft
- überträgt, und was heute auf 175 km und mit 16000 Volt Spannung
- gelingt, wird gewiß in +wenig Jahren mit 100000 Volt auf weit
- riesigere Entfernungen ein Leichtes sein+.
-
- Aber nicht allein dieser fast märchenhafte Erfolg, der Überwindung
- von Zeit und Raum ist uns klargelegt; Sie werden, meine hochgeehrte
- Versammlung, bei Ihrer Rückkehr nach der Ausstellung dort gewahren
- können, wie die auf nur 4 Millimeter starke Drähte eingezwängte
- und über weite Strecken fortgeleitete Kraft von mehr als 200
- Pferdestärken an der Ankunftsstelle den verschiedenartigsten
- Zwecken dienstbar gemacht wird, wie sie nicht nur mit einem Aufwand
- von etwa 80 Pferdestärken eine Wassermenge 10 Meter in die Höhe
- drückt, um dieselbe als Wasserfall hinabsprudeln zu lassen, wie sie
- dann noch an verschiedenen Stellen dem Gebote eines geringen Drucks
- auf einen Hebel folgend, eine große Anzahl von Lampen aufglühen
- läßt, wie sie endlich ohne jede Schwierigkeit geringe Teile ihrer
- Kraft, 1/10 Pferdekraft, abgibt, um mittels einer kleinen, fast
- spielzeugartigen und doch dauerhaften und betriebsfähigen Maschine,
- einen Luftfächer zu bedienen.
-
- Die großartige Verteilungsfähigkeit der Elektrizität ist es, welche
- den Versuch der Übertragung auf große, sehr große Entfernungen
- erst so recht zu einem bedeutungs- und wertvollen gemacht hat.
- Wenn wir daran denken, daß es das ungewußte Sinnen der Menschheit,
- das zielbewußte Streben der Forscher, Erfinder, der Leute der
- Zukunft, wie ich den Ingenieur bezeichnen möchte, ist, menschlicher
- Arbeit das Gebiet des Nachdenkens, das Gebiet der individuellen
- Tätigkeit vorzubehalten und immer weiter zu erschließen, alle
- rein mechanische, gedankenlose Tätigkeit aber durch Unterjochen
- der Naturkraft durch Maschinen zu vollbringen, so darf ich den
- jetzt eingeschlagenen Weg kühn als denjenigen bezeichnen, auf dem
- Jahrhunderte mit Erfolg weiter wandeln können. Wir dürfen uns auch
- weiter der Überzeugung nicht verschließen, daß die Unterstützung
- unserer Tätigkeit durch die Arbeitsleistung der Tierwelt längst
- nicht mehr ausreicht, und das Zugpferd und der Zugochse von
- rechtswegen schon längst der Vergangenheit angehören müßten. Das
- Zeitalter des Dampfes hat hierin großes getan, aber wie jeder
- rapide und bedeutende Fortschritt auch Nachteile gezeitigt; so
- haben wir besonders auf dem Gebiete des Handwerkers mit Bedauern
- sehen müssen, daß dem Individualismus die Maschinenarbeit den
- Garaus gemacht hat, so daß wir bis vor kurzem uns gewöhnt hatten,
- mit dem Ausdruck „Handwerksarbeit“ eine gedankenlose mechanische
- Nachahmung zu bezeichnen. Es liegt aber in der Natur des Dampfes,
- als Betriebskraft, für große Betriebe mit Erfolg verwendet
- werden zu können. Wir haben kein Mittel, um mit materiellem
- und technischem Vorteil den Dampf direkt in die Wohnung des
- Kleinmeisters zu führen, ebenso wenig können wir die Wirkungen des
- Dampfes, sei es durch Transmissionen oder durch andere Art, gut auf
- erhebliche Entfernungen übertragen. Ganz anders die Elektrizität!
- Die neuesten Fortschritte werden uns gestatten, +großartige
- Krafterzeugungszentren an beliebigen Stellen+, im Bergwerk, an
- der Meeresküste, um die Ebbe und Flut zu benutzen, an den großen
- Katarakten anzulegen, die dort vorhandenen, bisher zwecklos
- vergeudeten Kräfte in nutzbringende Elektrizität umzusetzen, diese
- in, wir können fast sagen, +beliebige Entfernungen+ zu versenden
- und dort in beliebiger Art zu verteilen und zu verbrauchen. Wir
- können dem Handwerkmeister seine Nähmaschine elektrisch betreiben,
- wir heizen ihm sein Bügeleisen, wir rüsten dem Vergolder die
- chemischen Bäder für seine Erzeugnisse. Wir geben noch dazu einem
- jeden die Beleuchtung in der Stärke und an dem Orte und zu der
- Zeit, wo sie am vorteilhaftesten ist. Und wenn wir schließlich den
- Elektromotor mit anderen ähnlichen Maschinen vergleichen, so finden
- wir, daß er den geringsten Raum einnimmt, daß seine Einrichtung
- die einfachste ist, daß er keine Wartung braucht und keine Gefahr
- des Explodierens vorhanden ist, vor allem aber, daß er ökonomisch
- deshalb am vorteilhaftesten arbeitet, weil sein Kraftverbrauch
- sich mit seiner Belastung selbsttätig regelt. Und wie wir so an
- der Verbrauchsstelle sehen, daß die Elektrizität sich bemüht, eine
- sparsame Betriebskraft zu sein, so auch an der Erzeugungsstelle.
- Das schlechteste Feuerungsmaterial, das bisher den Transport nicht
- lohnte, weil zu viel tote Last mit ihm davon geschleppt werden
- mußte, wird am Orte, wo es gefunden wird, immer noch mit Vorteil
- zum Betriebe von Erregermaschinen Verwendung finden können, und so
- sehen wir vor uns, daß die Fortleitung und Verteilung der Kraft
- als Elektrizität von der schönsten ausgleichenden Wirkung ist. Wir
- können dadurch den Vorteil großartiger Zentralisation erreichen
- und ersparen daher viel nutzlose Betriebskraft und Arbeit, und wir
- können andererseits in vollkommenster Weise die dezentralisierte
- Kraft dem Einzelnen in dem kleinsten Teilchen zugängig machen und
- beleben dadurch das Schaffensvermögen und die Schaffensfreudigkeit
- der Einzelnen zum Wohle Aller und des Ganzen. Es ist auch nicht
- zu unterschätzen, daß die Elektrizität als Verteiler von Kraft die
- natürlichen Wasserkräfte wieder zu Ehren gebracht hat, welche durch
- den Dampf in die Ecke gedrückt, ein im Verhältnis zu ihrem hohen
- ökonomischen Werte zu bescheidenes Dasein fristeten.
-
- In diesem Sinne bitte ich Sie, meine hochgeehrte Versammlung,
- diesen, unseren ersten, in den Einzelheiten gewiß noch der
- Ausarbeitung bedürftigen Versuch als einen neuen Schritt auf
- der Bahn der menschenbeglückenden Zivilisation wohlwollend zu
- betrachten. Ich möchte aber meine herzliche Begrüßung und den
- Ausdruck meiner hohen Freude über Ihre Anwesenheit, welche ich
- zugleich im Namen aller mitbeteiligten ausführenden Firmen und
- Männer der Wissenschaft und Praxis auszusprechen die Ehre habe,
- nicht schließen, ohne der überaus nutzbringenden Fürsorge der hohen
- Reichs- und Staatsbehörden unseren tiefgefühlten Dank ehrerbietigst
- abzustatten, ohne welche dieser Versuch nicht hätte unternommen
- werden können. Ich bitte die anwesenden hohen und geehrten Herren
- Vertreter der Regierungen diesen, unseren ehrfurchtsvollen Dank
- auch an dieser Stelle entgegennehmen zu wollen.“
-
-Die Frankfurter Anlage wurde bei aller epochemachender Wirkung, die
-nach Schluß der Ausstellung noch zu experimentellen Zwecken auf
-eine Spannung von 30000 Volt gesteigert wurde, nur als ein Versuch
-aufgefaßt, der nicht als dauernde Einrichtung, sondern als eine
-lediglich für die Zeit der Ausstellung berechnete Demonstration
-in Geltung bleiben sollte. Trotz des großen Aufsehens, das dieses
-Probebeispiel in wissenschaftlichen, technischen und Laienkreisen
-machte, hat es ziemlich lange gedauert, bis sich die Kraftübertragung
-und erst gar die Fernübertragung elektrischer Kraft praktisch in
-vollem Umfange durchgesetzt hat. Die großen Verwirklichungen auf
-diesem Gebiete gehören erst einer viel späteren Zeit an. Die ersten
-Zweckanwendungen, die dem Frankfurt-Lauffener Experiment folgten,
-wurden in der Schweiz vorgenommen, wo Wasserkräfte in großer
-Zahl zur Verfügung standen und die zu überwindenden Entfernungen
-verhältnismäßig gering waren. Die A. E. G. selbst hat mit den
-+Kraftübertragungswerken Rheinfelden+ bereits in den nächsten
-Jahren eine praktische Durchführung der Fernübertragung größeren
-Umfanges in Angriff genommen. Mit Maschinenleistungen von 15000 PS
-sollten elektrische Ströme bei diesem Werk 50 km weit an große und
-kleine Abnehmer geliefert werden. Dieser erste Dauer-Anwendungsversuch
-hat noch manche schwierige, nur durch langwierige geduldige Arbeit zu
-lösende Probleme theoretischer und praktischer Natur aufgeworfen, zumal
-da er mit den ersten Versuchen, die Turbine statt der Kolbenmaschine
-als Antrieb für Dynamomaschinen zu verwenden, zusammenfiel. Er hat
-aber gerade durch die zu überwindenden Schwierigkeiten außerordentlich
-lehrreich und klärend gewirkt und über die durch das Lauffener
-Experiment bereits festgelegten und im großen ganzen bis heute
-unverändert gebliebenen Grundgedanken der Fernübertragung hinaus
-viele wichtige Erfahrungen eingetragen. Ist die Lauffen-Frankfurter
-Fernübertragung als die erste experimentell-theoretische Lösung des
-Problems zu bezeichnen, so stellt die Rheinfeldener Unternehmung
-das Schulbeispiel der praktischen systematischen Durchbildung
-der Fernübertragung dar. Neben der technischen Bedeutung hat die
-Inangriffnahme des Kraft- und Fernübertragungs-Problems für die A.
-E. G. noch eine wichtige geschäftliche Folge gehabt. Durch sie sind
-die Beziehungen der Gesellschaft zu der schweizerischen Industrie und
-Finanz mitangebahnt bezw. es sind diese Beziehungen, die noch von einer
-anderen Seite her, nämlich von der Aufnahme der Aluminium-Erzeugung auf
-elektrischem Wege in Neuhausen, eingeleitet wurden, derart erweitert
-worden, daß sie für die fabrikatorische, besonders aber für die
-finanztechnische Entwickelung der Gesellschaft eine große Bedeutung
-erhielten.
-
-Das Drehstromsystem, dieses Rückgrat der modernen Kraftübertragung,
-hatte übrigens auch mit dem Lauffen-Frankfurter Erfolge die starke
-Opposition, die der Wechselstrom in einem Teile der Fachwelt gefunden
-hatte, noch keineswegs völlig überwunden. Der Streit der technischen
-Sachverständigen verstummte erst einige Jahre später, und sogar
-für die Stadt Frankfurt a. M., die doch gerade in ihren Mauern die
-Elektrizitätsausstellung veranstaltet hatte, um für den damals
-geplanten Bau eines städtischen Elektrizitätswerkes das beste und
-modernste System ausfindig zu machen, war es trotz des großen Erfolges
-der Lauffener Fernübertragung nicht ohne weiteres ausgemacht, daß für
-ihr Werk das Drehstromsystem zur Anwendung kommen müßte. Als dies
-doch schließlich geschah, wurde die Ausführung einer ausländischen
-Gesellschaft übertragen. Gleichstrom- und Wechselstrom-Anhänger
-kämpften noch bei dieser Gelegenheit scharf gegeneinander. Von den
-letzteren wurde auf die Vorteile der Unabhängigkeit vom Verbrauchsort,
-des kleineren Querschnitts der Kupferleitungen und der billigeren
-Erzeugungskosten, die besonders für Kraftzwecke in die Wagschale
-fielen, von den ersteren auf die Mängel, die dem Wechselstrom damals
-noch für die Lichtelektrizität anhafteten, sowie auf die angeblichen
-Gefahren der Hochspannung hingewiesen. Rathenau nahm auch nach dem
-Frankfurt-Lauffener Erfolge noch einen vermittelnden Standpunkt
-ein, und wollte die Frage „Gleichstrom oder Wechselstrom“ von den
-Bedürfnissen des jeweiligen Anwendungsfalles abhängig machen. Durch die
-Verbesserung des Drehstromlichtes wurde schließlich diese Streitfrage
-endgültig zugunsten des moderneren Systems gelöst.
-
-Aber nicht nur die fabrikationstechnische Entwickelung der A. E. G.
-kam nach Überwindung der Krise von 1887 in Schwung, auch auf einem
-anderen Gebiete begann sie eine weitreichende und bis zu einem gewissen
-Grade neuartige Tätigkeit auszuüben. Wir haben gehört, daß schon bei
-der Gründung der Gesellschaft nicht nur die Fabrikationstätigkeit,
-sondern der Erwerb von Konzessionen zum Zwecke der Errichtung von
-Zentralstationen in ihr Programm aufgenommen worden war. Auf dieses
-Feld der Gründung und Finanzierung von Tochterunternehmungen, von denen
-elektrotechnische Lösungen zunächst beispielmäßig zu Anwendungszwecken
-in der Praxis durchgeführt wurden, war die Gesellschaft umsomehr
-angewiesen, als ihre fabrikatorische Tätigkeit durch die Verträge mit
-der ersten deutschen Fabrikationsgesellschaft Siemens & Halske nach
-vielen Seiten hin eingeengt war. Es trafen also sozusagen Neigung und
-Zwang zusammen, um einen guten Teil der Kräfte der Gesellschaft auf das
-Gebiet des Unternehmergeschäfts zu leiten. In der ersten Periode des
-Unternehmens von 1883-1887, als die Kraftquellen noch spärlich flossen,
-wurde ihre Gründungstätigkeit voll und sogar übermäßig beansprucht
-durch das große Werk der Berliner Elektrizitätswerke. In der zweiten
-Periode konnte sich das Unternehmer- und Beteiligungsgeschäft der
-Gesellschaft freier und vielfältiger betätigen dank dem größeren
-Reichtum der Mittel und dem stärkeren finanziellen Rückhalt, den der
-A. E. G. die Erweiterung ihrer Bankengruppe und die erfolgreiche
-Entwickelung ihrer ersten großen Tochtergesellschaft verliehen
-hatten. Der Umstand, daß die Schranken der Fabrikationstätigkeit in
-dieser zweiten Periode zum Teil niedergelegt worden waren, zog die
-Gesellschaft von dem Unternehmergeschäft aber nicht ab, sondern
-verstärkte in mancher Hinsicht sogar ihre Neigung zu Geschäften auf
-diesem Gebiet. Denn um in den neu aufgenommenen Fabrikationszweigen
-nicht erst selbst die Anfangsgründe mühsam auf empirischem Wege sich
-aneignen zu müssen und der bereits vorher in ihnen tätig gewesenen
-Konkurrenz sofort gewachsen zu sein, erwarb die Gesellschaft fertige
-Verfahren, in die sie dann sofort mit entwickelter Produktion eintrat.
-Das konnte aber am besten dadurch geschehen, daß sie Gesellschaften,
-die diese Verfahren bisher betrieben hatten, in sich aufnahm, oder
-daß sie für diese Verfahren besondere Gesellschaften bildete, um sie
-von ihrem bisherigen Arbeitsgebiete zu trennen, ihr eigenes Risiko
-zu begrenzen und der neuen Fabrikation Spielraum zu Experimenten,
-Fehlschlägen und Investitionen zu lassen, durch die sie nicht so direkt
-berührt wurde wie beim Eigenbetrieb. Über die verschiedenen Arten
-und Zwecke der Untergesellschaften soll später eine systematische
-Darstellung versucht werden, hier soll nur rein historisch über die
-Gründungen und Beteiligungen der Gesellschaft in der eben behandelten
-Periode berichtet werden. Zu den ersten Beteiligungsinteressen der
-A. E. G. gehörten die an der +General Electric Co.+ in New York
-und an der +Compagnie Internationale d’Electricité+ in Lüttich.
-Beide Verbindungen standen hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt:
-„Austausch von Erfahrungen -- Gegenseitige Absatzunterstützung in den
-beiderseitigen Arbeitsgebieten“. -- Die General Electric Co. in New
-York vereinigte die verschiedenen amerikanischen Edison-Gesellschaften
-zu einem großen Unternehmen, dem größten, das damals in der
-elektrotechnischen Industrie Amerikas bestand. Die Finanzierung
-erfolgte durch ein Konsortium erster deutscher und amerikanischer
-Firmen, in das die A. E. G. mit einem Anteil von 250000 Doll. eintrat,
-der später auf 400000 Doll. erhöht wurde. Es ist bezeichnend für
-die Fortschritte, die in dem kurzen Zeitraum von 8 Jahren in der
-Durchbildung der deutschen Starkstrom- und Beleuchtungstechnik wie
-in den Methoden ihrer Bewirtschaftung gemacht worden waren, daß ihre
-Hilfe bei der erst jetzt einsetzenden Organisation der zwar technisch
-bahnbrechenden, aber lange unsystematisch arbeitenden Unternehmungen
-in Amerika nachgesucht wurde und gewährt werden konnte. Emil Rathenau
-überzeugte sich durch einen persönlichen Besuch in Amerika, der ihm wie
-stets solche Besichtigungsreisen große Anregungen brachte, von „den
-vortrefflichen Einrichtungen und den ausnahmsweise günstigen Aussichten
-dieses größten elektrotechnischen Unternehmens der neuen Welt.“ Weder
-der aufgefrischte Enthusiasmus für die technische Welt Amerikas noch
-die alte Liebe zu dem großen Edison verhinderten aber, daß die A. E. G.
-einige Jahre später den Besitz an General Electric-Aktien veräußerte,
-als dies mit Nutzen (der Gewinn betrug allerdings nur 85459 Mark)
-geschehen konnte und naheliegendere Aufgaben wichtiger wurden als die
-amerikanische Freundschaftsbeteiligung, die ihren eigentlichen Zweck
-bereits erfüllt hatte. So wurde dieser Faden verloren und erst nach
-Jahren wieder aufgenommen, als die A. E. G. durch ihre Fusion mit
-der Union Elektrizitäts-Ges. in neue Beziehungen zu dem Konzern der
-General Electric trat. Eine ähnliche technisch-kontrollierende und
-geschäftlich-ausdehnende Bedeutung wie die Beteiligung an der General
-Electric hatte auch der Erwerb von 500000 Frcs. Aktien der Compagnie
-Internationale d’Electricité in Lüttich. Diese Gesellschaft war aus
-einer Firma hervorgegangen, deren Erzeugnissen die A. E. G. seit
-Jahren mit Erfolg den deutschen Markt erschlossen hatte. Bei dieser
-Anknüpfung war zum Teil der Gedanke maßgebend, daß die Compagnie
-Internationale umgekehrt neben ihren Fabrikaten auch denen der A. E.
-G. in den westlichen Ländern Europas, die deutschen Gesellschaften aus
-nationalen Gründen damals schwer zugänglich waren (gemeint war wohl in
-erster Linie Frankreich), Eingang verschaffen sollte. Der Gesellschaft
-wurde die Generalvertretung der A. E. G. für Belgien und Frankreich
-übertragen. Auch verschaffte sich diese durch die Aktienbeteiligung
-an dem belgischen Unternehmen den deutschen Vertrieb einer von der
-Compagnie Internationale exploitierten neuen Lampe, die in der
-Beleuchtungstechnik eine gewisse Rolle zu spielen versprach, da sie die
-Vorzüge des Glühlichts mit denen des Bogenlichts zu vereinigen schien.
-Auch hier war die Interessennahme nur eine vorübergehende. Bereits im
-Jahre 1891 wurden die Aktien zum Nennwerte wieder verkauft, nachdem
-die A. E. G. durch eigene Konstruktionen in den Stand gesetzt worden
-war, die Fabrikate, die den Hauptgegenstand der Lütticher Fabrikation
-bildeten, selbst herzustellen. -- Wenig ersprießlich gestaltete
-sich zunächst auch die Beteiligung der in London von der A. E. G.
-mitbegründeten +Key’s Electric Co.+, die an Stelle einer Filiale
-für den Verkauf der Erzeugnisse der A. E. G. in England tätig sein
-sollte. Von dem 15000 Pfd. Strl. betragenden Kapital erwarb die A. E.
-G. zuerst die Hälfte, schließlich 13500 Pfd. Strl. Die Gesellschaft
-zeigte sich in dieser Form ihrer Aufgabe nicht gewachsen, zumal auch
-in England die Einführung und der Vertrieb deutscher Produkte auf
-nationalistischen Widerstand stieß. Die A. E. G. glaubte trotzdem für
-die Erschließung des englischen Absatzgebietes noch weitere Opfer
-bringen zu sollen. Sie formte das genannte Unternehmen unter Änderung
-der Firma in „The Electrical Company Ltd.“ zur Vertretung ihrer
-alleinigen Interessen um, erwarb die in fremdem Besitz befindlichen
-Aktien und Gründeranteile und beseitigte die vorhandene Unterbilanz,
-nachdem sie die ihr dadurch verursachten Verluste in ihrer eigenen
-Bilanz bereits vorher abgeschrieben hatte. Auch in dieser Form
-vermochte sich die Gesellschaft aber nicht auf die Dauer zu halten.
-
-Sehr früh wurde der Grund zu einer neuen elektrischen Technik
-gelegt, die in nicht langer Zeit zu einer großen industriellen
-Bedeutung gelangen und der Gesellschaft ansehnliche Erträge bringen
-sollte. Es handelt sich um die Gewinnung von +Aluminium+ auf
-elektrischem Wege. In der Generalversammlung vom 22. November 1888
-äußerte sich Emil Rathenau auf Anfragen aus Aktionärkreisen zum
-ersten Male ausführlich über seine Anschauungen und Pläne auf diesem
-elektrolytischen Gebiete. Auch hier fehlte es nicht an Fachleuten, die
-von Utopien und Phantastereien sprachen, auch hier hat die Entwicklung
-bewiesen, daß Emil Rathenaus in die Zukunft dringender Blick die
-technischen Möglichkeiten durchaus sicher und zutreffend abgeschätzt
-hat und daß seine „phantastisch klingenden“ Worte vom Standpunkt der
-späteren Verwirklichungen aus betrachtet eher noch zu vorsichtig
-gewählt waren. Die Bedeutung der elektrischen Legierungs-Verfahren,
-so bemerkte Rathenau in jener Generalversammlung, der ersten, in
-der er mit einer größeren Rede hervortrat, sei durchaus nicht zu
-unterschätzen. Es sei anzunehmen, daß die Verbindungen des Aluminiums
-mit Eisen als Ferro-Mangan und mit Kupfer als Aluminium-Bronze der
-Metallindustrie sogleich neue Bahnen eröffnen würden. Das Problem
-der Aluminiumgewinnung bestehe darin, das Metall mittels des
-elektrischen Stromes aus seinen häufig in der Natur vorkommenden
-Verbindungen (hauptsächlich der Tonerde) auszuscheiden und ohne jede
-Zutat zu gewinnen. Die bisherige kleine Fabrik habe gute Erfahrungen
-für den Großbetrieb geschaffen. -- In Zürich war unterdessen eine
-„Metallurgische Gesellschaft“ mit gleichen Zielen ins Leben getreten.
-Rathenau hielt es seiner Gewohnheit nach als kluger Taktiker für
-zweckmäßig, statt eines Konkurrenzkampfes, eines Wettrennens beider
-Unternehmungen um das beste und billigste Verfahren, eine Vereinigung
-der zwei Gruppen und Techniken herbeizuführen. Eine solche empfahl
-sich für die A. E. G. besonders, weil der Züricher Gesellschaft die
-Wasserkräfte des Rheinfalls bei Schaffhausen zur Verfügung standen,
-die ihr bei gleicher technischer Leistungsfähigkeit jedenfalls eine
-billigere Produktion ermöglicht hätten als der auf Kohlenfeuerung
-angewiesenen Fabrik der A. E. G. Der Schweizerischen Gruppe hinwiederum
-erschien eine Anlehnung an die stärkere Finanzmacht und an die
-größere Absatzorganisation der A. E. G. zweckmäßig. Da schon auf
-anderen geschäftlichen Gebieten gute Beziehungen zwischen der A. E.
-G. und den maßgebenden Schweizer Persönlichkeiten bestanden, gelang
-es rasch, eine Grundlage zur Verständigung zu finden, nachdem eine
-gegenseitige Prüfung der beiden Verfahren befriedigt hatte. Es wurde
-eine Gesellschaft mit 10 Mill. Frcs. Kapital gegründet, von dem die
-A. E. G. 1½ Mill. Frcs. übernahm. Der Besitz der Wasserkräfte
-des Rheins, die Vereinigung der beherrschenden europäischen Patente
-und Verfahren stellten der Gesellschaft auf die Dauer einen Schutz
-gegen jede Konkurrenz in Aussicht. Den Alleinverkauf der Produkte
-des Neuhausener Werks übernahm die A. E. G. für Deutschland und
-Rußland. Die Erwartungen der Industrie für Verwendung des leichten
-Metalls wurden allerdings nicht so rasch erfüllt, als man bei
-fabrikmäßiger Herstellung des bis dahin kostbaren Erzeugnisses
-vorausgesetzt hatte. Zu den Schwierigkeiten des Großbetriebs gesellte
-sich neben mangelnder Erfahrung in der Behandlung, Unkenntnis der
-Verwendungszwecke. Ferner warf durch den zollfreien Import begünstigt,
-die ausländische Konkurrenz ihre Überproduktion zu Schleuderpreisen
-auf den deutschen Markt. Erst allmählich gelang es der Neuhausener
-Gesellschaft, die Schwierigkeiten des Gewinnungsprozesses vollkommen
-zu beseitigen und das Produkt zu einem den Vorausberechnungen
-entsprechenden, konkurrenzfähigen Preise herzustellen. In der Folge
-hat sich das Aluminium, das erst nur als Kuriosität betrachtet und
-in etwas spielerischer Weise zu allen möglichen und unmöglichen
-Gebrauchsgegenständen des täglichen Bedarfs, wie Federhaltern, Büchsen
-etc. verwendet wurde, in der Industrie und im Militärbedarf immer
-mehr eingebürgert. Der Absatz stieg förmlich von Tag zu Tag, die
-Selbstkosten wurden immer weiter herabgedrückt und die vorhandene
-Anlage konnte auf die volle Leistung ausgebaut werden, die die
-Gesellschaft dem Rheinfall zu entnehmen berechtigt war. Bereits nach
-wenigen Jahren stellte sich die Produktion der Gesellschaft auf 1
-Million Kilo, für 1892 wurde zum ersten Mal die Dividendenzahlung
-mit 8% aufgenommen, die im nächsten Jahre auf 10% stieg. Die
-Gesellschaft vermochte die Kosten für ihre Erweiterung bereits aus
-verfügbaren Mitteln zu decken und die ursprünglichen Aktienzeichner
-waren, nachdem die Gesellschaft zur Rentabilität und damit zur
-kapitalistischen Selbständigkeit gelangt war, nicht mehr genötigt,
-neue Investitionsmittel in dem Unternehmen festzulegen, sie konnten
-sogar einen Teil der von ihnen ursprünglich übernommenen Aktien
-auf den Markt bringen und dort mit Gewinn abstoßen. Nachdem die in
-Neuhausen gemachten Erfahrungen die fabrikatorische Lage hinreichend
-geklärt hatten, konnte auch das Konsortium für die Verwertung der
-Aluminium-Patente in +Österreich+, dem die A. E. G. gleichfalls
-angehörte, zu dem Bau einer Fabrik in Lend-Gastein und zur Ausnutzung
-der ihr daselbst gehörigen Wasserkraft mit einem Gefälle von über 100 m
-schreiten.
-
-Die eigene Betätigung, die die A. E. G. auf dem Gebiete der
-+Akkumulatoren-Herstellung+ nach Erwerb der Electrical Power
-Storage Company für Deutschland geplant, und, um zunächst die
-notwendigen Erfahrungen unter geringem Kostenaufwand gewinnen
-zu können, in mäßigem Umfange aufgenommen hatte, fand bald ihr
-Ende, nachdem die Gesellschaft im Verein mit Siemens & Halske die
-bewährte Akkumulatorenfabrik Müller & Einbeck erworben und in eine
-Aktiengesellschaft unter der Firma Akkumulatorenfabrik Akt.-Ges.
-Hagen umgewandelt hatte. Dieser Akkumulatorenfabrik, die nach dem
-System Tudor arbeitete und die von der A. E. G. erst zu machenden
-Erfahrungen bereits in erheblichem Grade gesammelt hatte, überließen
-sowohl die A. E. G. als auch Siemens & Halske ihre Patente. Von den
-Aktien wurde der überwiegende Teil von Siemens & Halske, der A. E.
-G. und den Vorbesitzern, der kleinere Teil von den Finanzgruppen der
-beiden Gesellschaften übernommen. Der Vorsprung, den diese Gesellschaft
-damals an sich schon besaß, die technischen Ergänzungen, die ihr durch
-die Akkumulatorenabteilungen der beiden Elektrizitätsgesellschaften
-zugeführt wurden, und die Stärke, die ihr die Finanzbeteiligung
-sowie die Kundschaft dieser Gesellschaften gewährten, haben
-die Stellung der Akkumulatorenfabrik Hagen, die später auch in
-Berlin Fabriken errichtete, so gefestigt, daß sie nicht nur eine
-glänzende Rentabilität, sondern auch eine marktbeherrschende, fast
-monopolistische Stellung in Deutschland erringen konnte. -- Im Jahre
-1890 erwarb die A. E. G. schließlich den größten Teil der Aktien der
-Akt.-Ges. für Bronze- und Zinkgußwaren vorm. +J. C. Spinn & Sohn+
-im Umtausch gegen Aktien der Berliner Elektrizitätswerke. Damit
-gliederte sich die Gesellschaft ein Unternehmen an, das die Herstellung
-von Beleuchtungskörpern als Spezialität betrieb und ergänzte damit ihr
-Glühlampengeschäft in wirksamer Weise.
-
-Neben dieser Gruppe von Beteiligungs-Unternehmungen, die im
-wesentlichen dazu dienten, entweder bestimmte elektrische
-Produktionsprozesse von dem Hauptunternehmen abzusondern bezw.
-einen Einfluß auf derartige der Gesellschaft bis dahin fernstehende
-Fabrikationen zu gewinnen, oder die auch den Zweck verfolgten,
-Hilfsorganisationen für den Absatz in bestimmten Produkten und Ländern
-zu schaffen, wurde eine andere Gruppe von Beteiligungsunternehmungen
-ausgebildet, mit der Aufgabe, Muster- und Anwendungsbeispiele für
-+stromverbrauchende+ Werke zu schaffen. Nachdem man in Amerika
-bereits seit einiger Zeit mit der Umwandlung von Pferdebahnen
-in elektrischen Betrieb günstige technische wie wirtschaftliche
-Erfahrungen gemacht hatte, entschloß sich die A. E. G. zur Anlage einer
-elektrischen +Straßenbahn in Halle+. Sie tat dies, indem sie sich
-unter maßgebender Beteiligung an einem zur Übernahme der dortigen
-Stadtbahn und zu ihrem elektrischen Ausbau gegründeten Finanzsyndikat
-die Betriebführung der neuen Bahn für 10 Jahre sicherte. Das Projekt
-wurde mit bestem Gelingen durchgeführt und bildete ein so wirksames,
-von staatlichen und kommunalen Kommissären, Vertretern von vielen
-europäischen Straßenbahngesellschaften studiertes Demonstrationsobjekt,
-daß nicht nur die elektrische Straßenbahnführung in Halle auch auf
-den bisher noch im Pferdebetrieb verbliebenen Linien eingeführt
-wurde, sondern sofort eine Anzahl neuer Elektrisierungspläne in
-anderen Städten zur Verwirklichung gelangte. Allerdings führte die
-A. E. G. diese Betriebe nicht mehr ausschließlich in eigener Regie
-durch, sondern baute sie zum Teil für Rechnung von Kommunen oder
-Straßenbahngesellschaften, an denen sie sich allerdings vielfach
-durch kleinere Aktienübernahmen beteiligte. Zu erwähnen sind aus
-diesen Jahren die Bahnen in Breslau, Gera, Kiew, Chemnitz, Essen,
-Dortmund, Christiania, Lübeck und Plauen. Charakteristisch für die
-kleinlichen Bedenken, die zu jener Zeit der Einführung der elektrischen
-Straßenbahnen entgegengehalten wurden, ist die, auch in der Presse
-damals vielfach erörterte, Furcht gewesen, daß die Starkstromleitungen
-der Straßenbahnen die Schwachstromleitungen, die die Post für ihre
-Telegraphen- und Telephonnetze unterhielt, stören könnte. Es war der
-Technik ein Leichtes, diese Gefahr durch geeignete Vorrichtungen zu
-bannen. Auch der ästhetische Gesichtspunkt in Form einer Opposition
-gegen die „unschöne Oberleitung“ wurde damals von manchen Kreisen nur
-zu wirksam gegen die elektrischen Bahnen ins Feld geführt. Er hat zum
-Beispiel die Elektrisierung der Berliner Straßenbahn solange verzögert,
-daß die Reichshauptstadt erst wesentlich später als viele andere
-deutsche Städte elektrische Bahnen erhielt.
-
-Gleichzeitig mit dem Erwerb der Spragueschen Patente für den
-elektrischen Straßenbahnbau und der Inangriffnahme der Elektrifizierung
-der Stadtbahn in Halle hatte sich die A. E. G. im Jahre 1890
-durch Aktienübernahme Einfluß auf die +Allgemeine Lokal- und
-Straßenbahn+ gesichert, die eine Reihe von Beteiligungen an damals
-noch mit Pferden betriebenen Straßenbahnen besaß. Bei dem Erwerb
-leitete die Gesellschaft einmal der Gesichtspunkt, daß die betreffenden
-Aktien aus dem Konsortialbestande einer nach Entlastung strebenden
-Bank billig zu haben waren, andererseits das Bestreben, eine Reihe von
-Objekten für die Anwendung ihres elektrischen Straßenbahnsystems sich
-fest zu sichern. Der Nutzen, den der Erwerb dieses Aktienpostens für
-die Gesellschaft im Gefolge haben konnte, erwies sich erst später.
-In der Generalversammlung vom 26. November 1891 kritisierte ein
-Aktionär sowohl diesen Ankauf wie auch den der Spinn & Sohn-Aktien.
-Die Allgemeine Lokal- und Straßenbahn-Gesellschaft zahle nur 5%
-Dividende. Großen Ertrag verspreche eine derartige Kapitalsanlage
-nicht, und was die technischen Umgestaltungspläne der Gesellschaft
-anlange, so solle man in dem Bestreben, alles selber machen zu wollen,
-nicht die finanzielle Übersicht verlieren und die Rücksicht auf die
-Geldbeschaffung außer acht lassen. Man möge den Nebenindustrien
-auch etwas zukommen lassen, und nicht die ganze Welt aufkaufen.
-Die günstigen Erträgnisse, die die Aktien der Allgemeinen Lokal-
-und Straßenbahn-Gesellschaft später aufwiesen, die vorteilhaften
-Bauaufträge, die sie der Gesellschaft zuführten, haben indes die
-Berechtigung auch dieser Transaktion erwiesen.
-
-Auch mit dem Problem der +elektrischen Untergrundbahnen+
-befaßte sich die A. E. G. frühzeitig, und es ist nicht ihre
-Schuld, wenn andere Weltstädte, insbesondere London, Paris und New
-York, früher ihre „Subways“ und „Metropolitains“ erhalten haben
-als die deutsche Hauptstadt. Im Geschäftsbericht für das Jahr
-1890/91 schreibt die Gesellschaft: „Ein Projekt von ungewöhnlicher
-Bedeutung für die Verkehrsinteressen der Stadt Berlin haben wir
-den Behörden zur Konzessionserteilung eingereicht. Es betrifft den
-Bau einer elektrischen Untergrundbahn, die in zwei sich kreuzenden
-Achsen nord-südlich und ost-westlich und zwei konzentrischen
-Ringen in beträchtlicher Tiefe unter dem Niveau der Straßen den
-Hauptverkehrsadern folgen wird. Wir hoffen zuversichtlich, daß dieses
-Unternehmen, dem vom Publikum und der Presse eine sympathische
-Beurteilung zuteil wird, auch bei den Behörden die Unterstützung finde,
-deren es zu seiner Verwirklichung bedarf.“ -- Diese Hoffnung sollte
-indes nicht erfüllt werden. Die Gesellschaft bereitete technisch
-alles aufs Beste für dies -- wie man zugeben muß -- großzügige
-Untergrundbahn-Projekt vor, sie ließ sich Verfahren für neuartige
-Tunnelvortriebsapparate patentieren, und rief eine Gesellschaft mit
-beschränkter Haftung für den Bau von Untergrundbahnen ins Leben.
-Das Projekt scheiterte indes sowohl an den Hemmnissen, die ihm
-die Aufsichtsbehörden entgegensetzten, wie auch an dem geringen
-Entgegenkommen, das die Stadt Berlin bewies. Mehr Erfolg hatte
-bekanntlich das von der Firma Siemens & Halske sowie der Deutschen Bank
-geplante und durchgeführte Projekt einer Hoch- und Untergrundbahn, die
-zunächst von Osten nach Westen unter Einbeziehung des Verkehrs mit
-dem Potsdamer Platz führte. In der Generalversammlung interpelliert,
-warum die A. E. G. nicht dem Siemens & Halskeschen Projekt Konkurrenz
-gemacht habe, erklärte Rathenau, daß man es für besser erachte, nicht
-in einen zu scharfen Wettbewerb zu dieser Firma zu treten, durch den
-man nur die Preise verderben würde. Man erwarte, daß Siemens & Halske
-in einem anderen, ähnlich gelagerten Falle der A. E. G. gegenüber
-ebensolche Zurückhaltung zeigen würden. Abgesehen von diesen nach
-außen hin zugegebenen Gründen war man wohl damals schon darauf
-bedacht, die Konkurrenzfirma, mit der man noch in dem bekannten
-Interessengemeinschaftsverhältnis stand, schonend zu behandeln, da
-Rathenau zu jener Zeit schon die Lösung des im Jahre 1887 auf 10 Jahre
-geschlossenen Vertrages anstrebte, diese aber nur bei gutem Willen der
-Firma S. & H. erreichen zu können Aussicht hatte.
-
-Am wenigsten entwickelte sich bei der A. E. G. eigentlich +der+
-Geschäftszweig, den man ursprünglich am sorgfältigsten zu pflegen
-beabsichtigt hatte: +der Zentralenbau+. Die A. E. G. hatte
-das erste große Musterbeispiel für eine Elektrizitätszentrale in
-den Berliner Elektrizitätswerken geschaffen und war nach diesen
-Erfolgen und Erfahrungen die nächste dazu, für ähnliche Werke,
-die anderswo errichtet werden sollten, als Baufirma herangezogen
-zu werden. Dennoch war ihre Tätigkeit auf diesem Gebiete sowohl
-für eigene Rechnung auf Grund erteilter Konzessionen als auch im
-fremden Auftrag verhältnismäßig gering. Konzessionsbauten wurden in
-Eisenach und im Berliner Villenvorort Wannsee errichtet, es handelte
-sich aber hierbei nur um kleinere Unternehmungen, denen keine große
-Bedeutung zukam. Eine weit wichtigere Schöpfung war die +Compania
-Generale Madrilena de Electricidad in Madrid+, eine Zentrale, die
-im Zusammenwirken mit der Besitzerin der Madrider Gasanstalten, der
-Compagnie Madrilene d’Eclairage et de Chauffage par le Gaz in Paris,
-unter erheblicher Aktienbeteiligung der A. E. G. errichtet wurde.
-Infolge der ausnahmsweise günstigen Verhältnisse in Madrid war diese
-Zentrale, die sich eng an das Vorbild der Berliner Elektrizitätswerke
-anlehnte, in technischer wie in finanzieller Hinsicht ein voller und
-schneller Erfolg; umsomehr als diese Unternehmung sich weit günstiger
-entwickelte, als eine andere gleichfalls in Madrid arbeitende englische
-Konkurrenzgesellschaft. Die Gesellschaft begann bereits nach 2 Jahren
-mit der Dividendenzahlung, schüttete in der Folge hohe Erträgnisse
-aus, und mußte andauernd erweitert werden. Bereits nach wenigen Jahren
-konnte die A. E. G. ihr Aktieninteresse mit einem Buchgewinn von etwa 1
-Mill. Mark abstoßen, und dieses gute und glatte Geschäft, das aber auch
-für die A. E. G. eine Ausnahme bildete, während die meisten übrigen
-Gründungen eine geduldigere Behandlung erforderten, trug in erster
-Linie dazu bei, in der deutschen Elektrizitätsindustrie den Glauben
-an die leichten und großen Gewinnchancen des Unternehmergeschäfts zu
-erwecken, ein Glauben, der für viele Elektrizitäts-Firmen späterhin
-verhängnisvoll werden sollte.
-
-Dieser „Treffer“ in Madrid war aber, solange der Vertrag mit Siemens &
-Halske in Geltung war, der einzige Lichtblick in dem sonst unergiebigen
-Zentralenbau-Geschäft. Der Vertrag hemmte an allen Ecken und Enden.
-Die Bedingung, große Maschinen und Kabel von Siemens & Halske zu
-beziehen, erschwerte die Kalkulation, gestattete keine ökonomischen
-Projektierungen und verringerte die Wettbewerbsfähigkeit +beider+
-Vertragsgesellschaften gegenüber der ungebundenen Konkurrenz, die sich
-auf dem ureigenen Gebiet Rathenauscher Initiative die Unfreiheit der
-beiden stärksten Gesellschaften zunutze machte. Besonders die Firma
-Schuckert in München, die sich fabrikatorisch damals auf der Höhe
-ihrer Leistungsfähigkeit befand, sehr gute Maschinen herstellte und
-in allem Technischen der Konkurrenz nicht nachstand, warf sich auf
-den Zentralenbau und stellte zeitweilig allein mehr Werke her, als
-Siemens & Halske und die A. E. G. zusammen. Dabei wurde man sich in
-der A. E. G. bald darüber klar, daß die Firma Siemens & Halske oder
-wenigstens manche ihrer Beamten in der Zentralenfrage nicht den guten
-Willen hatten, den Vertrag seinen Absichten gemäß loyal zu erfüllen.
-Kamen zum Beispiel eine Gemeinde oder ein Unternehmer zu Siemens, der
-damals namentlich bei Behörden noch immer als die höchste Autorität
-in elektrischen Dingen galt, mit der Frage, ob und wie sie ein
-Elektrizitätswerk bauen könnten, so empfahl ihnen der Altmeister Werner
-v. Siemens zwar in durchaus korrekter Weise, wegen Konzession und
-Projektierung sich mit der A. E. G. in Verbindung zu setzen. Darüber
-hinaus kümmerte sich aber der alte Herr um Einzelheiten des Geschäfts
-nicht mehr wie in den früheren Zeiten seiner industriellen Vollkraft.
-Er hörte die an ihn Empfohlenen oder ihm Bekannten zwar höflich an, zur
-Besprechung der Einzelfragen verwies er sie aber an seine Prokuristen,
-Oberingenieure usw. Und wenn die Frager in diese Regionen kamen, wehte
-meist ein ganz anderer Wind. Die „Halbgötter“ der Firma Siemens waren
-eifersüchtig auf den jungen Ruhm, die kräftige Unternehmungslust und
-die wachsende Bedeutung der Berliner Konkurrenzfirma. „Was brauchen Sie
-dazu die Juden?“ fragten sie diejenigen, die mit Projektierungswünschen
-an sie gewiesen wurden. Sie wollten der A. E. G. weder Konzessionen
-zuweisen, noch selbst welche übernehmen, denn sie hätten sie ja
-an die A. E. G. vertragsgemäß weitergeben müssen. So empfahlen sie
-meistens den Anfragern, die Anlagen in eigener Regie zu errichten.
-Die Kapitalien würden sie sich ja auch ohne die A. E. G. beschaffen
-können, und den Bau, die Maschinenlieferung usw. würden ihnen Siemens
-& Halske ebensogut direkt liefern können als indirekt durch die A.
-E. G. Derartige Fälle kamen wiederholt zur Kenntnis Rathenaus und
-seiner Mitdirektoren. Man war empört, beschwerte sich, aber die
-Tatbestände waren so geschickt verschleiert, daß Vertragsverletzungen
-nicht nachgewiesen werden konnten. Sogar im eigenen Aufsichtsrat,
-in dem verschiedene Vertreter des Siemens-Konsortiums saßen, konnte
-die Direktion mit ihren Beschwerden nicht hinreichend durchdringen.
-Es fehlte nicht an Intriguen und Kabalen, und es gab Zeiten, in
-denen an jedem Tage ein anderer A. E. G.-Direktor seine Demission
-einreichte. Die Situation war in dieser Weise nicht länger haltbar.
-Diese Überzeugung kam schließlich nicht nur bei der A. E. G., sondern
-auch bei Siemens & Halske zum Durchbruch. Die A. E. G. war allmählich,
-das merkte man jetzt auch bei Siemens, eine solche Macht, eine solche
-Lebenskraft geworden, daß man sie -- durch den besten Vertrag --
-nicht mehr niederhalten konnte, umsomehr wenn dieser Vertrag nicht
-nur die Freiheit der A. E. G., sondern auch die eigene zu Gunsten
-lachender Dritter hemmte. Georg von Siemens, der Direktor der Deutschen
-Bank, der Zeit seines Lebens ein Verehrer und Freund Emil Rathenaus
-gewesen ist, auch Objektivität und volkswirtschaftlichen Sinn genug
-besaß, um die engherzige Knebelung einer Gesellschaft, die das Zeug
-hatte, Mehrerin der deutschen Industriekraft zu werden, zu Gunsten
-seiner Bankinteressen nicht mitzumachen, erbot und bemühte sich als
-Vermittler, eine vorzeitige Lösung des Vertrages auf gütlichem Wege
-herbeizuführen. Nach schwierigen Verhandlungen gelang am 20. Juni 1894
-die endgültige Auseinandersetzung. Die A. E. G. verpflichtete sich, an
-Siemens & Halske eine Entschädigungssumme von 696742 Mark zu zahlen.
-Darauf waren aber Bestellungen auf Maschinen und Kabel in Anrechnung
-zu bringen, die die A. E. G. noch bis zum 1. Januar 1900 von Siemens
-& Halske beziehen sollte und die zum Meistbegünstigungspreise mit 13%
-Rabatt geliefert werden mußten.
-
-So wichtig die endgültige Trennung der A. E. G. von Siemens & Halske
-auch war, weder im Geschäftsbericht für das Jahr 1893/94 noch in der
-Generalversammlung wurde dieser Vorgang eingehender behandelt. -- Bald
-nach Lösung des Vertrages wurde der Bau des +Kabelwerks+ an der
-Oberspree begonnen und damit der Fabrikation der A. E. G. das letzte
-ihr noch fehlende Hauptglied eingefügt. Auch die Maschinenfabrikation
-wurde erweitert. Die Befreiung von den Vertragsfesseln äußerte
-sich sofort in einer sichtbaren Zunahme des Zentralenbaus. Der
-Geschäftsbericht für 1893/94 verzeichnet bereits Bauaufträge für
-Barcelona, Sevilla, Craiova, Freihafengebiet Kopenhagen und Straßburg.
-Außerdem wurde für die B. E. W. eine neue Zentralanlage an der
-Oberspree errichtet, die die Vorstädte Berlins und die umliegenden
-Ortschaften mit elektrischem Strom versorgen sollte. Hier wie in
-Straßburg gelangte das Drehstromsystem in großem Maßstabe zur Anwendung.
-
- * *
- *
-
-Überblicken wir den zuletzt behandelten Abschnitt, der von der
-Überwindung der Krisis von 1886/87 und dem zweiten Vertragsabschluß
-mit Siemens & Halske bis zur vollständigen Vertrags- und
-Betätigungsfreiheit Mitte 1894 reicht, so finden wir, daß diese
-Periode, vielleicht die entscheidende und grundlegende für die
-Fundierung und Richtungsentwickelung der Gesellschaft --, im Inneren
-voll von drängender, vielgestaltiger und doch deswegen nicht
-unbeherrschter Gestaltung, auch das +äußere Bild+ der Gesellschaft
-wesentlich verändert hat. Zunächst in den Kapitalverhältnissen. Der
-Erhöhung des Aktienkapitals von 5 auf 12 Millionen Mark im Jahre 1887
-folgte im April 1889 eine weitere Erhöhung auf 16 Millionen Mark.
-Dabei konnten die Aktien der Gesellschaft zum ersten Male mit einem
-äußerlich sichtbaren Agio begeben werden. Sie wurden zum Kurse von
-150% herausgebracht und 2 Millionen Mark flossen in den Reservefonds,
-der dadurch die statutenmäßige und gesetzliche Höhe bereits um
-501364 Mark überschritt. Im nächsten Jahre 1890/91 erfolgte eine
-dritte Kapitalserhöhung um wieder 4 Millionen Mark auf 20 Millionen
-Mark, wobei die neuen Aktien zu dem weiter erhöhten Kurse von 165%
-ausgegeben wurden und nach Abzug sämtlicher Provisionen, Spesen,
-Stempelkosten usw. 2378115 Mark in den Reservefonds flossen. Von
-der Generalversammlung (29. November 1890) hatte sich ferner die
-Verwaltung die Ermächtigung erteilen lassen, Obligationen in Höhe
-des Aktienkapitals auszugeben, nicht ohne daß aus Aktionärkreisen
--- der Oppositionsredner war der angesehene Inhaber des Bankhauses
-N. Helfft & Co. -- die Warnung ergangen wäre, den Geschäftsbetrieb
-zu weit auszudehnen und die Aktion durch eine uferlose Expansion
-zu beunruhigen. Emil Rathenau belächelte innerlich diese Warnungen
-kleingeistiger Aktionärvorsicht, die von seiner pflichtgemäßen
-Verwaltungsvorsicht so sehr verschieden war. -- In jener Zeit konnte
-er allerdings noch nicht auf die Erfolge seiner Finanzwirtschaft
-verweisen, mit denen er später alle ähnlichen Einwendungen leicht
-zu schlagen vermochte. Georg v. Siemens und Rathenau entschuldigten
-die immer neuen Geldforderungen gewissermaßen mit den großen
-Geldbedürfnissen der B. E. W., in denen man bald 30 Millionen Mark
-investiert haben werde. Man tröstete die Aktionäre damit, daß die
-Stadt Berlin die Berliner Werke sicher später einmal übernehmen würde,
-vielleicht schon im Jahre 1895, wobei man dann das ausgelegte Geld auf
-Heller und Pfennig, dazu mit einem ansehnlichen Gewinn, zurückerhalten
-müßte.
-
-Trotz der großen Agiogewinne, mit denen die Reserven stattlich
-aufgefüllt werden konnten, sah Emil Rathenau aber bald ein, daß es
-nicht zweckmäßig sein würde, den Emissionskredit der Gesellschaft
-allzusehr anzuspannen und den Marktwert der Aktien durch eine
-Überproduktion an Aktienkapital zu entwerten. „Wir verkennen den
-Vorteil nicht, der bei dem gegenwärtigen Kursstande unserer Papiere
-der Gesellschaft durch Ausgabe neuer Aktien erwachsen würde,
-glauben aber mit Rücksicht auf eine möglichst gleichbleibende Rente
-von derselben für jetzt Abstand nehmen zu sollen, nachdem wir --
-allerdings bei progressiver Steigerung der Gewinnziffern -- in rascher
-Folge Kapitalserhöhungen durchgeführt haben, die das ursprüngliche
-Gesellschaftsvermögen von 5 auf 20 Millionen Mark vermehrten.“
--- Der Finanzpolitiker, der stets eine feine Witterung für die
-Imponderabilien des Geld- und Kapitalmarktes bekundet hat, erkannte in
-einem Augenblick, in dem der Aktienkurs seinen höchsten Stand erreicht
-hatte, und mancher andere vielleicht dem Agio noch seine letzten
-Möglichkeiten abgepreßt haben würde, daß der Aktienemissionskredit nun
-zunächst einmal einer längeren Schonung bedürfe und das Gefäß, das
-jetzt vielleicht noch nicht ganz angefüllt sei, durch einen neuen
-Aufguß zum Überlaufen gebracht werden könne. Also entschloß sich
-Rathenau, zunächst einmal ein anderes Mittel der Geldbeschaffung zu
-wählen und Obligationen auszugeben. Auch hier nahm er jedoch bei weitem
-nicht den ganzen Spielraum, den er sich von der Generalversammlung
-hatte geben lassen, in Anspruch. Im Jahre 1890/91 wurden 5 Millionen
-Mark Obligationen ausgegeben, mit deren Auslosung sofort begonnen
-wurde. Eine meisterhafte Hand in der Verteilung und Niedrighaltung
-der Kapitalien für das Gründungsgeschäft tritt schon hier zu Tage. Im
-Geschäftsbericht für 1893/94 wird bemerkt: „Da wir die Finanzierung
-fast aller größeren Unternehmungen potenten Bankkonsortien überlassen
-haben, in denen wir uns angemessene Beteiligungen vorbehielten, so
-wird unser Geldbedarf im Verhältnis zu dem Kapitalsaufwand, den
-diese Anlagen erfordern, in mäßigen Grenzen sich bewegen.“ Schon
-damals gelang es Rathenau, mit einem kleinen eigenen Kapital große
-Unternehmergeschäfte in Bewegung zu setzen. Verschiedene glückliche
-Geschäfte, die er zum Teil im Gegensatz zur herrschenden Auffassung
-und zu den Ansichten der Banken mit großem Erfolge durchgeführt
-und durchgehalten hatte, schufen ihm den Ruf eines glücklichen
-und scharfsinnigen Finanziers. So drängten sich die Konsorten zu
-seinen Geschäften, und er, dem es letzten Endes immer nur auf die
-industriepolitische Seite ankam, überließ ihnen gerne einen Teil der
-finanziellen Chance, wenn sie ihm halfen, einen entsprechenden Teil der
-finanziellen Last und des finanziellen Risikos zu tragen.
-
-Trotzdem innerhalb des von uns behandelten Zeitabschnittes eine
-gewerbliche Krise, die der A. E. G. zwar nichts anhaben konnte, der
-aber Rathenau durch die vorsichtige Behandlung des Emissionsmarktes
-Rechnung trug, die Verhältnisse unsicher machte, brauchte die
-Dividende der Gesellschaft nur vorübergehend und nicht erheblich
-gesenkt zu werden. Sie zeigt von 1887-1893 folgende Kurve: 7, 9,
-10, 9, 7½, 8¼, 9%. Sehr interessant ist das Bild, das die
-Bilanz der Gesellschaft im Vergleich mit denen an früheren markanten
-Abschnittspunkten gewährt. Immobilien sind bis Ende 1894 auf 2807455
-Mark, Maschinen und Apparate auf 1220000 Mark, Werkzeuge auf 263000
-Mark, Fabrikutensilien auf 60000 Mark, Waren auf 4108925 Mark, Guthaben
-in laufender Rechnung einschließlich der bei Zweigniederlassungen
-auf 6613742 Mark, Forderungen für Installationen auf 535848 Mark,
-Wechsel auf 247128 Mark und Kautionen auf 579712 Mark gestiegen. Es
-ergibt sich danach eine Summe des Fabrikationsgeschäfts von 16435810
-Mark. Das Finanzgeschäft wird dargestellt durch Effekten von 5976266,
-Konsortialien von 2963348 Mark und 1913253 Mark Guthaben bei den
-B. E. W., also zusammen durch 10852867 Mark. Daneben erscheint als
-gleitender Faktor in der Bilanz das Bankguthaben von 7933463 Mark,
-wohlgemerkt in einem Zeitpunkte, in dem seit mehreren Jahren weder
-neues Aktien-, noch Obligationenkapital der Gesellschaft zugeflossen
-war. Die Kreditoren von 2575873 Mark sind gegenüber den festliegenden
-und flüssigen Aktivwerten bescheiden und stellen keine Verschuldung,
-sondern laufende, durch den Stand des regulären Geschäfts bedingte
-Verbindlichkeiten dar, die durch die Aktiva -- und zwar schon durch
-die sofort greifbaren -- weit überdeckt sind. Die äußere Finanzlage
-der Gesellschaft muß also als glänzend bezeichnet werden. Zum Teil
-hing das damit zusammen, daß die B. E. W. durch Obligationenausgabe
-in der Lage gewesen waren, einen großen Teil der ihnen geleisteten
-Vorschüsse zurückzuzahlen. Auch war vom Effektenbestande einiges
-verkauft worden. Die +innere+ Fundierung der Gesellschaft, nicht
-zu verwechseln mit der äußeren Finanzlage, ist befriedigend, aber nicht
-mehr als dies, wenn man sie in Vergleich stellt zu der Reservenfülle,
-die in späteren Jahren erreicht wurde. Der ordentliche Reservefonds,
-der bei einem Kapital von 20 Millionen Mark 4479479 Mark enthielt,
-ist fast ausschließlich aus den Agiogewinnen der Kapitalserhöhungen
-zusammengesetzt. Eine solche Reserve kann wertvoll sein, wenn der
-innere Wert der mit hohem Agio begebenen Aktien dem äußeren Kurse
-entspricht, er kann aber auch ein Truggebilde darstellen, wenn die
-Emissionskurse und die Dividenden künstlich und ungesund in die Höhe
-getrieben worden sind. Eine außerordentliche Reserve von 500000 Mark
-und ein Rückstellungskonto von 550000 Mark sind zweifellos als echte
-Reserven zu bezeichnen, denn sie stammen aus den erzielten Gewinnen.
-Stille Reserven enthielt die Bilanz der Gesellschaft im Jahre 1894 wohl
-erst in bescheidenem Umfange; sie ruhten zumeist in dem Effektenbesitz,
-wenngleich dieser damals über alle Schwankungen noch keineswegs
-hinaus war und deshalb eigene Vorsichtsreserven brauchte, die auf ihm
-ruhenden Reserven also erst zum Teil für das Gesamtunternehmen in
-Rechnung gestellt werden konnten. Die Abschreibungen auf Anlagekonten,
-die damals noch sichtbar gemacht wurden, waren angemessen, zum Teil
-sogar reichlich, sie betrugen bei Maschinen etwa 10%, bei Werkzeugen,
-Modellen usw. etwa 20%. Hier und da wurden Extraabschreibungen
-vorgenommen. Auch hier kann man von Überschuß-Reserven, die über die
-Sicherung der einzelnen Anlagekonten wesentlich hinausgingen, auf die
-sie vorgenommen worden waren, kaum schon sprechen.
-
-
-
-
-Zehntes Kapitel
-
-Das Finanz- und Trust-System
-
-
-In einem kurzen Jahrzehnt war es dem bauenden Genie Rathenaus gelungen,
-aus einer eng begrenzten Spezialfabrikation trotz aller technischen
-und vertraglichen Fesseln, ein großes, universelles Fabrik- und
-Geschäftsunternehmen zu machen. Die kleine Glühlampe hatte den Weg zu
-großen industriellen Neuschöpfungen erhellt. Sie hatte auch in dem
-ringenden Chaos des Rathenauschen Hirns den schöpferischen Funken, die
-klärende Flamme entzündet.
-
-Im vorigen Kapitel haben wir die äußere Expansion der Allgemeinen
-Elektrizitäts-Gesellschaft in dem ersten Abschnitt ihrer veränderten
-Gestalt geschildert, die Verbreiterung der Fabrikation und die ersten,
-aber schon kräftigen und vielfältigen Anfänge des Beteiligungs-
-und Unternehmergeschäfts. Der jetzt zu behandelnde Zeitraum, der
-ungefähr die Jahre 1895-1901 umfaßt, und von der Gewinnung der
-vollständigen Handlungsfreiheit der A. E. G. bis zum Ausbruch der
-großen Elektro-Krise um die Jahrhundertwende reicht, ist erfüllt von
-den starken Fortschritten dieser doppelten Expansion, die sich ins
-Große und Reiche auslebt. Daneben aber und im Gleichschritt mit dieser
-ständigen Mehrung der +Quantität+ des Besitzes und Einflusses
-entwickelt sich -- mehr unterirdisch und zunächst nur dem eingeweihten
-Auge sichtbar -- ein Prozeß der Konsolidierung und Organisierung der
-zunächst nach außen bewegten Kräfte, der zu einer stärkeren Festigung
-der Fundamente, zu einer Dichtung des Gebälks, zu einer inneren
-Auspolsterung mit freien, beliebig hin- und herschiebbaren Reserven
-führt. Dadurch wird für das Ganze eine Elastizität erreicht, die in der
-Lage ist, Verschiebungen, Erschütterungen und Verluste, die von außen
-an das Unternehmen oder einzelne Teile herantreten, im wachsenden Maße
-innerlich auszugleichen und somit auf den Weg der Rentenstabilisierung,
-der Sicherstellung und Festigung der Aktiendividende führt. Die
-Fabrikation wird nicht nur ausgedehnt, sondern auch teils durch
-technische, teils durch finanzielle Ökonomie verbilligt, und somit in
-die Lage gesetzt, wettbewerbsfähiger liefern und Konjunkturabschläge
-ausgleichen zu können. In das Unternehmergeschäft, das bisher
-unorganisiert, sozusagen von Augenblickserwägungen geleitet war, wird
-System gebracht. -- Mit wenigen Strichen soll zunächst das Bild der
-+äußeren Fortentwickelung+ der Gesellschaft in dieser Periode
-gezeichnet werden.
-
-In den Geschäftsberichten der Jahre 1894 und 1895 war bereits
-auf die zunehmende Bedeutung der +Kraftübertragung+ für die
-elektrische Industrie hingewiesen worden, nachdem die Bestrebungen, die
-Elektrotechnik der Kraftübertragung und Kraftverteilung zuzuführen,
-infolge des Beharrungsvermögens der Verbraucher lange erfolglos
-geblieben waren. Zwei Entwickelungen waren es, die dann in der Frage
-des elektrischen Antriebes der Arbeitsmaschinen den Bann brachen:
-Die -- nach kurzem Zögern -- rapide Entwickelung des Drehstroms, die
-Möglichkeit der Verwendung, Umformung und Verteilung hochgespannter
-Ströme, die technisch wie ökonomisch dem bisher verwendeten Gleichstrom
-und Wechselstrom weit überlegen waren, und ferner das Beispiel
-der ersten +Straßenbahnen+, die sofort und schlagend die
-Betriebsbilligkeit der Elektrizität als Antriebs- und Arbeitsfaktor
-erwiesen. „Die Elektrotechnik vertieft sich zur Maschinenindustrie.“
-Im Straßenbahnbau war die A. E. G. von Anfang an ebenso frei gewesen
-wie Siemens & Halske, in der Entwickelung der Kraftübertragung hemmte
-das vertragliche Verbot der Herstellung großer Maschinen und hierdurch
-wurde die Ausnutzung des starken Vorsprungs, den der Gesellschaft das
-von ihr zuerst und besonders wirkungsvoll dargestellte Drehstromsystem
-ermöglicht hätte, verhindert, zumal eine Monopolisierung dieses bald
-allenthalben von der Konkurrenz adoptierten Systems -- wie das bei
-großen elektrischen Erfindungen üblich ist -- nicht gelang. Die erste
-technische Aufgabe nach der Erlangung der völligen Fabrikationsfreiheit
-war die Erweiterung der Maschinenfabrikation. 84541 qm wurden zu
-diesem Zwecke längs des Humboldthains zwischen der Brunnen- bis zur
-Hussitenstraße von der Berliner Lagerhof-Ges. in Liqu. erworben und
-mit der alten Maschinenfabrik durch eine Tunnelbahn verbunden. 2
-Millionen Mark neue A. E. G.-Aktien, die bei dem damaligen Kurse
-einen Wert von mehr als 5 Millionen Mark repräsentierten und 341667
-Mark in bar mußten für die Grundstücke allein bezahlt werden. Für
-den Ausbau wurden die Mittel der Gesellschaft um weitere 5 Millionen
-Mark Obligationen und 3 Millionen Mark neue Aktien vermehrt, von
-denen allerdings 1 Million Mark zum Erwerb von 2 Millionen Mark
-Anteilen der +Elektrochemischen Werke Bitterfeld G. m. b. H.+
-dienten und der Rest zum Kurse von 175% den Aktionären angeboten
-wurde. Die zweite große Ergänzung des fabrikatorischen Prozesses der
-Gesellschaft, das +Kabelwerk+, das Material für unterirdische
-Leitungen erzeugen sollte, nachdem die Gesellschaft schon seit längerer
-Zeit oberirdisches Leitungsmaterial herstellte, wurde im Jahre 1896
-begonnen. Dafür wurde ein Gelände von 102,120 qm an der Oberspree,
-unmittelbar neben der neuen Kraftstation der B. E. W. erworben; dahin
-wurde die gesamte Leitungsmaterialfabrikation verlegt, so daß der
-bisher durch die Fabrik für oberirdisches Leitungsmaterial belegte
-Werkstattraum in der Ackerstraße für andere Zwecke frei wurde.
-Zugleich gewann die Gesellschaft durch den neuen Grundstückskauf einen
-wertvollen Wasserstraßenanschluß. Von den bestehenden Fabrikanlagen
-wurde die Glühlampenfabrikation durch Hinzunahme neuer Räume auf dem
-Grundstück Schlegelstraße so beträchtlich erweitert, daß sie im Jahre
-1895/96 600000 Lampen mehr erzeugen konnte als im Vorjahre und daß
-die Erhöhung der gesamten Produktion auf das Doppelte im Bedarfsfalle
-mit den geschaffenen Betriebseinrichtungen vorgenommen werden konnte.
-Eine Anzahl von neuen Modellen, besonders Lampen hoher Spannung, die
-eine wesentliche Ausdehnung der Netze von Beleuchtungsstationen ohne
-starke Kosten ermöglichten, wurde in den nächsten Jahren geschaffen.
-Im Jahre 1897/98 stieg der Absatz weiter um 900000 Lampen gegenüber
-der gleichfalls wesentlich erhöhten Zahl des Vorjahres; in den Jahren
-1898/99 und 1899/1900 um je 1 Million. Damit war die Leistungsfähigkeit
-der erweiterten Fabrik erschöpft und es mußte zu einer neuen Ausdehnung
-geschritten werden. Dabei wurde auch Vorsorge für die Haltung eines
-größeren Lagerbestandes getroffen. Die Preise für Glühlampen waren
-infolge der starken Konkurrenz in dieser Zeit ständig unter Druck, und
-in den Kreisen der Fabrikanten wurde vielfach über unauskömmliche, zum
-Teil ruinöse Preise geklagt. Im Geschäftsbericht für das Jahr 1895/96
-trat die A. E. G. diesen Anschauungen mit folgenden Worten entgegen:
-„Trotzdem der Marktpreis der Glühlampen sich über das frühere Niveau
-nicht erhoben hat, müssen wir der, auch von Fabrikanten vielfach
-ausgesprochenen Ansicht entgegentreten, daß derselbe die Lieferung
-eines sorgfältig sortierten und geprüften Fabrikates nicht gestatte.
-Bei zweckmäßigen Einrichtungen und entsprechendem Umsatz ist der Preis
-dieses nach Millionen zählenden Massenartikels auskömmlich.“ -- In
-den nächsten Jahren bis zur Krise kam die rückläufige Preisbewegung
-auf dem Kohlenfadenlampen-Markte nicht zum Stillstand. Erst nachdem
-eine Reihe schwacher und nicht konkurrenzfähiger Betriebe zum Erliegen
-gekommen war, gelang ein Zusammenschluß der verbliebenen Fabriken im
-+Kohlenfadenlampensyndikat+. Im Jahre 1898 erwarb die A. E. G. die
-Nernstlampe, die nach dem Erfinder Prof. Dr. Nernst in Göttingen diesen
-Namen erhalten hat, und suchte, zunächst durch Laboratoriumsarbeit die
-praktische Verwertbarkeit dieser Lampe zu erreichen und sie für die
-Fabrikation vorzubereiten. Darüber wurde im Geschäftsbericht dieses
-Jahres geschrieben:
-
-„Im Laboratorium beschäftigen wir uns seit Mitte März mit der
-Erfindung des Herrn Professors Dr. Nernst in Göttingen. Das Prinzip
-derselben läßt sich kurz dahin charakterisieren, daß, ähnlich wie beim
-Gasglühlicht anstatt leuchtender Kohlenpartikelchen Substanzen von
-besserer Lichtemission durch die Flammgase zum Glühen gelangen, so auch
-in der neuen Lampe anstatt Kohlenkörper, die sowohl beim elektrischen
-Bogen- wie Glühlicht bisher praktisch ausschließlich zur Verwendung
-kamen, unverbrennliche Substanzen von hohem Lichtvermögen durch
-den galvanischen Strom zur blendenden Weißglut erhitzt werden. Die
-Hauptschwierigkeiten, die der Übertragung der Erfindung in die Praxis
-anfänglich entgegenstanden, und welche einerseits die Anregung der im
-kalten Zustande isolierenden Glühkörper, andererseits die Erzielung
-genügender Haltbarkeit und Konstanz der Glühkörper bot, können jetzt
-als bis zum gewissen Grade überwunden angesehen werden. Der Nutzeffekt
-der Lampen ist z. Zt. etwa derjenige kleinerer Bogenlampen, also
-erheblich besser als derjenige der bisherigen Glühlampen. Es steht zu
-hoffen, daß sich der Nutzeffekt noch merklich steigern wird, und daß
-sich Glühkörper bis zu fast beliebigen Kerzenstärken werden herstellen
-lassen. In der Bequemlichkeit oder Handhabung sind die neuen Lampen
-den Bogenlampen offenbar überlegen, stehen aber darin den gewöhnlichen
-Glühlampen erheblich nach. Wir glauben nicht, daß die neue Lampe die
-bisherigen Systeme elektrischer Beleuchtung verdrängen wird, vielmehr
-scheint uns sicher, daß sie neben jenen ihr Anwendungsgebiet sich
-erobern wird.“
-
-Die Exploitation der Lampe nahm indes unerwartet viel Zeit in Anspruch,
-trotzdem unermüdlich unter tätiger und ratender Mitarbeit Emil
-Rathenaus an ihr gearbeitet und experimentiert wurde. 1899 hieß es:
-„Die technische und wirtschaftliche Bedeutung der Nernstlampe werden
-wir zu erproben Gelegenheit haben, sobald die im Bau begriffenen
-Werkstätten uns in den Stand setzen, die der regen Nachfrage
-entsprechenden Mengen herzustellen. Das Hauptpatent ist in Deutschland
-nach Erledigung verschiedener Einsprüche erteilt worden. Die Option auf
-die übrigen Patente mit Ausnahme derer für Österreich-Ungarn, Italien
-und der Balkanländer haben wir ausgeübt.“ -- Die Hauptschwierigkeit lag
-danach nicht mehr in der Konstruktion, sondern in der Produktion, deren
-Überführung ins Große sich Hindernisse in den Weg stellten. Sie waren
-auch im folgenden Jahre noch nicht behoben. Endlich im Jahre 1900/01
-war das Stadium der Versuche und Enttäuschungen überwunden, worüber die
-Gesellschaft mit folgenden Sätzen im Geschäftsbericht quittierte:
-
-„Ein voller Erfolg ist nach jahrelanger, mühsamer Arbeit die Einführung
-der Nernstlampe geworden. Die schöne und zugleich sparsame Lichtquelle
-befindet sich in Hunderttausenden von Exemplaren bereits im Gebrauch
-und gewinnt infolge sehr günstiger Betriebserfahrungen und der äußerst
-befriedigenden Meßresultate der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt
-täglich weitere Kreise.“
-
-Vermochte die A. E. G. auf dem Gebiete der Beleuchtungstechnik
-ihre dominierende Stellung (wenn auch unter ständiger, gewaltiger
-Steigerung der Absatzquantität) nur gerade zu behaupten, während
-ihren Plänen, neue Vorsprünge vor der Konkurrenz zu gewinnen,
--- wie die Folgezeit lehren sollte -- trotz der Nernstlampe ein
-durchschlagender und dauernder Erfolg nicht beschieden war, so wurden
-auf anderen Gebieten Leistungen vollbracht, die durchaus den Stempel
-des Neuartigen, Schöpferischen trugen. Hierher gehört vor allem
-die klassische Durchbildung und praktisch-großartige Nutzanwendung
-der Kraftübertragung in Stromerzeugungswerken, die das Höchstmaß
-der damals möglichen Leistungsfähigkeit zu erreichen und ständig
-zu erweitern suchten. Gerade dadurch, daß Rathenau auf dem Gebiete
-des Wechselstroms nichts überstürzte und andere Unternehmungen,
-so die Helios-Gesellschaft in Köln, englische und schweizerische
-Gesellschaften den Wettlauf um die halbfertigen, halbgelungenen
-Verwirklichungen ausfechten ließ, erwies er die Geduld und die
-Kunst des Meisters. Er hatte sehr richtig erkannt, daß die Motoren
-und auch die Lampen erst einer gründlichen Durchbildung für das
-Hochspannungssystem bedurften, die nicht im Handumdrehen zu erreichen
-war. Seine ersten nach dem Drehstromsystem erbauten Zentralen waren,
-nachdem diese Schwierigkeiten überwunden waren, von überzeugender
-Schlagkraft und Reife. Die Zentrale in Straßburg i. E. wurde im
-Jahre 1895 rechtzeitig eröffnet, um die Stromlieferung für die
-elsaß-lothringische Landesausstellung übernehmen zu können. Die neue
-Zentrale an der Oberspree trat im Jahre 1896 in Tätigkeit mit einer
-Anlage, die auf 50000 Pferdekräfte zugeschnitten war und einen Teil der
-Vororte Berlins mit billiger Energie nach einem besonders vorteilhaften
-Tarif versorgen sollte. Die Werke der Berliner Elektrizitätswerke
-wurden dadurch ergänzt und die B. E. W. übernahmen das fertiggestellte
-Werk, nachdem sein Funktionieren zweifelsfrei erwiesen war. Die
-moderne Außenanlage wurde bei der nächsten Vertragserneuerung dem
-Vertrage mit der Stadt Berlin eingegliedert, und man sorgte dafür,
-daß der in Oberschöneweide erzeugte Hochspannungsstrom auch in
-das innere Weichbild Berlins eingeführt werden konnte, wo er in 5
-Unterstationen umgeformt wurde. Die Riesenmaschinen der neuen Zentrale
-erregten die Bewunderung der ganzen Fachwelt, deren Vertreter wie
-seinerzeit bei der Straßenbahn in Halle aus aller Herren Länder zur
-Besichtigung herbeieilten. Es folgten die Anfänge der Versorgung
-des oberschlesischen Industriebezirks mit Licht- und Kraftstrom,
-verbunden mit der Elektrifizierung oberschlesischer Straßenbahnen.
-In Zaborze und Chorzow wurden zunächst Zentralstationen errichtet,
-die das Fundament für die +Oberschlesischen Elektrizitätswerke+
-abgaben, und im Laufe der Zeit unter der Firma Schlesische
-Elektrizitäts- und Gas-Aktiengesellschaft sich zu einem der wenigen
-ganz großen Überlandzentralen-Werke Deutschlands auswuchsen. Die
-Kraftübertragungswerke Rheinfelden, deren schwierige Wasserbauten
-infolge ungünstiger Witterungsverhältnisse und des dadurch
-herbeigeführten hohen Wasserstandes des Rheins nicht mit der
-planmäßigen Schnelligkeit gefordert werden konnten, reiften ihrer
-Vollendung entgegen. Hier wie in anderen modernen Zentralstationen
-wurden +Turbinen+ großer Maßstäbe als Antriebsmaschinen
-verwendet. Auch auf diesem Gebiete trat das echt Rathenausche Prinzip
-deutlich hervor, nicht zu warten, bis der Absatz allmählich den
-Erzeugungsstätten zufloß, sondern sich für besonders rationell zu
-erzeugende Kraft Groß-Abnehmer zu schaffen. Die Kraftübertragungswerke
-Rheinfelden überließen die Hälfte ihrer verfügbaren Kraft auf die
-Dauer der Konzession großen elektrochemischen Fabriken, die von der A.
-E. G. und ihrem Konzern zu diesem Behufe gegründet oder unterstützt
-worden waren und deren Produktionsnutzen auf dem Prinzip des billigen
-Kraftbezuges beruhte. Der Standort der billigen Betriebskraft fing
-auch in der elektrotechnischen Industrie an, eine maßgebende Bedeutung
-neben dem Standort der günstigen Produktions- und Absatzverhältnisse
-zu erlangen. Die Elektrochemie, der sich die A. E. G. besonders
-durch Errichtung der Elektrochemischen Werke in Bitterfeld mit ihren
-Zweigunternehmungen in Rheinfelden zugewendet hatte, betätigte sich
-in der ersten Zeit besonders durch Erzeugung von Kalziumkarbid, um
-später durch die elektrochemische Herstellung von Luftstickstoff eine
-gewaltige Bedeutung zu erlangen. -- Lizenzen der elektrochemischen
-Verfahren wurden an ausländische Gesellschaften, in Polen, in
-Frankreich, in der Schweiz usw. übertragen, an denen sich das
-Stammunternehmen beteiligte.
-
-In dieser Zeit beginnt auch das +ausländische+ Gründungs- und
-Beteiligungsgeschäft, das schon vorher in kleineren und mittleren
-Unternehmen betätigt worden war, große Formen anzunehmen. Die Werke in
-Madrid, Barcelona, Bilbao, Craiova, Kopenhagen hatten die A. E. G. im
-Auslandsgeschäft heimisch gemacht. Im Jahre 1894 wird durch Übernahme
-der Aktien der von der Stadtgemeinde Genua und der italienischen
-Regierung konzessionierten Società di Ferrovie Elettriche e Funicolare
-(Elektrische Tram- und Drahtseilbahnen) die Zusammenfassung und
-Elektrifizierung des gesamten Straßenbahn- und Krafterzeugungswesens
-der lebendigsten italienischen Hafenstadt eingeleitet. Schon im
-nächsten Jahre wird diese Gesellschaft zum Erwerb sämtlicher
-Aktien der Società dei Tramways Orientali veranlaßt, die mit den
-Konzessionsrechten zum Bau und zum Betrieb elektrischer Trambahnen für
-den Osten von Genua und für die Vororte bis Nervi ausgerüstet war.
-Die Netze beider Verkehrsunternehmen sollten zusammen ausgebaut und
-in einheitlichem Betriebe geführt werden. Nahezu gleichzeitig mit
-dem Erwerb der Società dei Tramways Orientali wird der A. E. G. von
-der Stadt Genua die Konzession für den Bau und Betrieb eines Werkes
-zur Erzeugung von Licht und Kraft erteilt, die einer neugegründeten
-italienischen Aktiengesellschaft „Officine Elettriche Genovesi“
-übertragen wird. Die Interessen der drei Gesellschaften wiesen auf
-enges Zusammengehen hin, damit alle Vorteile ausgenutzt würden, die
-sich aus der Zusammenlegung der Betriebe ergeben konnten. Die schon
-an sich starke Position der A. E. G. in der Elektrizitätsversorgung
-Genuas wird noch dadurch verstärkt und ergänzt, daß die seit Jahren
-bestehende große Pferdebahn der Compania Generale Francese, die Genua
-mit Sampierdarena, Pegli, Voltri und Pontedecimo verband, in den
-Besitz einer neugegründeten italienischen Aktiengesellschaft, der
-Unione Italiana, übergeführt und dem Netz der A. E. G. -- wenn auch
-nicht durch direkte finanzielle Beteiligung, so doch durch Bau- und
-Betriebseinfluß -- angegliedert wird. Alle drei Trambahnunternehmen,
-die eine Gleislänge von 90 km besitzen, werden in elektrischen Betrieb
-überführt und mit dem Strom der Offizine Elettriche Genovesi, des neuen
-Kraftwerks, gespeist. Diese mustergültige Konzentration des gesamten
-Elektrizitätswesens einer großen Stadt bietet eine Fülle finanzieller,
-organisatorischer und technischer Arbeit, zu deren Bewältigung ebenso
-wie für andere gegenwärtige und zukünftige Aufgaben ähnlicher Art
-eine besondere Finanzgesellschaft, die „+Bank für elektrische
-Unternehmungen in Zürich+“ mit einem Kapital von 30 Mill. Fr.
-gegründet wird. Sie übernimmt zunächst den Hauptaktienbesitz der A.
-E. G. an den italienischen Gesellschaften, zu denen im Laufe der Zeit
-Betriebe in Mailand, Venedig und Neapel treten.
-
-Noch breitere Dimensionen, weitere Perspektiven weist ein zweites
-Auslandsunternehmen auf, das zum ersten Mal die Pioniere der A. E. G.
-nach +Übersee+ führt. In Buenos Aires und in Santiago de Chile
-werden im Jahre 1897 Konzessionen zur Errichtung von Zentralstationen
-für die Erzeugung von Kraft und Licht erworben. Straßenbahnprojekte
-ergänzen diese Konzessionen. An der chilenischen Unternehmung
-beteiligen sich neben der A. E. G. und ihren Finanzfreunden, die dem
-Löwe-Konzern nahestehende Gesellschaft für Elektrische Unternehmungen
-und das Haus Wernher, Beit & Co. in London. Die südamerikanischen
-Werke, zu denen später noch Gründungen in Montevideo und Rosario
-treten, werden in einer +Deutsch-Überseeischen Elektrizitäts-Ges.+
-zusammengefaßt. Diese Gesellschaft entwickelt sich so gewaltig, daß zu
-ihrer Finanzierung später fast alle deutschen Banken, unter der Führung
-der Deutschen Bank hinzugezogen werden, und daß ihr technischer Ausbau
-ein Zusammenarbeiten der A. E. G. mit Siemens & Halske wünschenswert
-erscheinen läßt. Es entsteht und wächst ein Unternehmen, dessen Kapital
-schließlich 150 Millionen Mark an Aktien und über 100 Millionen
-Mark an Obligationen erreichte, das größte Kulturwerk deutscher
-Auslandswirtschaft.
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-Neben der +zentralistischen+ Tätigkeit der A. E. G. in den eigenen
-Fabriken war seit der Schaffung der B. E. W. in immer stärkerem
-Umfange die +dezentralisierende+ getreten, die sich in der
-Gründung von Zweigunternehmungen, Tochter- und Enkelgesellschaften
-aller Art ausdrückte. Es wurde ein Weg beschritten, zunächst scheinbar
-unabsichtlich oder doch ohne feste programmatische Absicht, der von
-Fall zu Fall, wie es jeweilig die einzel-geschäftliche Erwägung
-zweckmäßig erscheinen ließ, zu Außenansiedelungen führte, die dem
-Stammunternehmen in irgend einer Hinsicht von Nutzen sein und als
-Stützpunkte dienen konnten. Die Methode der Dezentralisation, der
-Abzweigung exzentrischer Unternehmergebiete vom Hauptunternehmen
-durch Schaffung juristisch selbstständiger Gesellschaften oder
-auch der Zusammenfassung einer Reihe von verwandten, miteinander
-in Beziehung stehenden oder einander ergänzenden Unternehmungen in
-einer Gruppe, sei es durch eine übergeordnete Mantelunternehmung
-oder durch gegenseitige Aktienbeteiligung, ist nicht von Rathenau
-erfunden worden. In dem Zeitalter, das durch Konzentration groß wurde,
-lag sie sozusagen in der Luft. Die dezentralisierenden Seiten des
-sogenannten Verschachtelungssystems entlasteten die Leiter der großen
-Gruppenunternehmungen von einer Kleinarbeit und einer aktienrechtlichen
-Verantwortlichkeit für Einzelheiten ihrer weitverzweigten Geschäfte,
-die sie bei einer streng zentralistischen Verwaltung in der
-Entfaltung ihrer Kräfte behindert, vielleicht erdrückt hätten. Die
-zusammenfassenden Seiten dieses Systems boten ihnen trotzdem die
-Möglichkeit, jederzeit alle Ausstrahlungen ihrer Unternehmungen zu
-überblicken und zu überwachen. Vor Rathenau und gleichzeitig mit ihm
-waren in der heimischen und der ausländischen Industrie trustartige
-Gebilde entstanden, so besonders in den Vereinigten Staaten von
-Amerika, wo sie sich als eine Folge des dort üblichen Finanz- und
-Kapitalsystems herausbildeten. Zusammenballung unter ständigem Kampf
-mit Konkurrenten war die Tendenz, in der unter der rein plutokratischen
-Ordnung in Amerika Vermögen und Unternehmungen in die Breite strebten.
-Die Häufung der +Quantität+ gab hier oft den Ausschlag, und
-die großen Trustherren des Landes erweiterten ihren Aktienbesitz
-durch Zusammenschweißung vielfach heterogener Wirtschaftsgebilde,
-getrieben häufig nur von dem Willen zur Macht und zum Reichtum.
-Rivalitätsneid, Agiotage, Plusmacherei, Spekulationssucht und andere
-unsachliche Nebenerscheinungen des kapitalistischen Unternehmertums
-nahmen im Transaktionswesen einen ungebührlich breiten Raum ein
-und durchseuchten auch das Wurzelreich der Trustkombinationen. Die
-Operationen am Aktienmarkte, nicht die wirtschaftlichen Interessen
-der Industrie bildeten häufig die Triebfeder für Effektengeschäfte.
-Nicht die Wertebildung, sondern die Wertebemessung war ihr Ziel. Es
-konnte durch rasche Manöver besser erreicht werden als durch geduldige
-Arbeit, und der Kurs ließ sich schneller beeinflussen als die Rente.
-Da der Gewinn am Kurse schon an sich den Gewinn an der Rente um ein
-Vielfaches übertrifft, indem er sozusagen die Kapitalisierung des
-letzteren darstellt, da überdies Schwankungen des Kurses sich ungleich
-häufiger ins Werk setzen lassen als Schwankungen der Rente, findet
-derjenige, der auf eine schnelle Häufung großer Kapitalien ausgeht, in
-dem Manipulieren, das heißt dem Hin- und Herschieben von industriellen
-Wertpapieren eine Potenzierung +der+ Gewinnmöglichkeiten, die
-ihm die Entwickelung von industriellen Werten bietet. Nur durch
-die skrupellose Schaffung und Ausnutzung von künstlichen oder gar
-fiktiven Werteverschiebungen und Wertevergrößerungen, für die
-industrielle Vorgänge geschickt als Vorwand benutzt oder konstruiert
-wurden, erklärt sich die schnelle Bildung mancher amerikanischen
-Riesenvermögen. Ebensowenig wie behauptet werden kann, daß unsere
-deutschen Verhältnisse von derartigen Erscheinungen und Auswüchsen
-ganz frei gewesen sind -- wir werden später noch sehen, daß gerade
-das Rathenausche Unternehmergeschäft, falsch nachgeahmt, zu ganz
-ähnlichen Mißbräuchen des Effekteninstruments, allerdings in den
-kleineren Maßen unseres Landes geführt hat --, ebensowenig soll dem
-amerikanischen Trustsystem jeder sachlich-wertvolle Inhalt, jeder
-industriell-zweckvolle Gesichtspunkt abgesprochen werden. Neben der
-rein kapitalistischen Macht wurde vielfach auch industrielle Macht
-angestrebt, und im Entwurf, wenn auch nicht in der Ausführung, hatten
-die Spekulationen der Trustkönige fast stets einen wirtschaftlich
-wertvollen Kern, weshalb manchen dieser Männer auch -- im Anfange ihrer
-Tätigkeit wenigstens -- der gute Glaube nicht unbedingt abgesprochen
-werden kann. An wirtschaftlicher Phantasie fehlte es ihnen häufig
-nicht, wohl aber an wirtschaftlicher Solidität, und sie zogen es
-bald -- nachdem sie die großen Schwierigkeiten zäher Industriearbeit
-kennen gelernt hatten -- vor, Effektenpolitik zu treiben, statt
-Wirtschaftspolitik. Viele der großen Trusts haben infolgedessen
-Jahrzehnte gebraucht, ehe sie das ihnen bei ihrer Taufe mitgegebene
-reichliche „Wasser“ aus ihren Eingeweiden aussondern konnten, und die
-unorganische Anlage mancher der amerikanischen Bahnsysteme hat sich
-bis in die heutige Zeit als unheilbar erwiesen. Auch die elektrischen
-Konzerne der Vereinigten Staaten litten jahrzehntelang unter den
-Schäden zu leichter Zimmerung.
-
-Wenn nun im Laufe der Jahre, nachdem die Expansionsmöglichkeiten selbst
-in Amerika eine gewisse Einengung erfahren haben, die Entwickelung
-auch in diesem Lande zu einer gewissen Intensität der Wirtschaft
-hinlenkte, wenn auch hier die Effektenfluktuationen allmählich
-ruhiger wurden, das Land des Trustsystems hat es bisher eigentlich
-nur zu Unternehmungsgruppen gebracht, die man +Flächentrusts+
-nennen kann. Es wird eine Anzahl von Unternehmungen, die denselben
-Zweck verfolgen und einander ungefähr ähnlich organisiert sind,
-zusammengebracht, um die Konkurrenz zwischen ihnen auszuschließen und
-den Markt in den von ihnen hergestellten Waren oder den von ihnen
-geleisteten Arbeiten zu monopolisieren. Die amerikanischen Trusts sind
-im allgemeinen Gegenstücke zu unseren deutschen +Kartellen+.
-Sie verfolgen denselben Zweck wie diese, wenngleich sie ihn nie so
-voll erreicht haben, weil in Amerika die größeren industriellen
-Neubildungsmöglichkeiten ein Außenseitertum mehr begünstigten als
-unsere extensiv ziemlich erschöpfte und nur im wesentlichen noch
-intensiv zu entwickelnde Industrie. Der wirtschaftliche Vorteil
-der amerikanischen Trusts besteht nun fast lediglich darin, ihre
-Beteiligten davor zu bewahren, die Waren ohne den von ihnen für
-notwendig gehaltenen Produktionsnutzen abgeben zu müssen. Die
-Politik, die sie betreiben, ist daher nicht nur in der Absicht,
-sondern auch in der Wirkung reine Produzentenpolitik. Sie stärkt die
-Erzeugerschicht und leistet der Volkswirtschaft damit einen -- wenn
-auch einseitigen -- Dienst, indem sie die Rente des in der Industrie
-arbeitenden Kapitals schützt und mehrt, und das Gesamtkapital des
-Landes, allerdings vielleicht unter Schädigung anderer Schichten,
-nach einer bestimmten Richtung hinlenkt. Wird ihre Politik maßvoll
-gehandhabt, so braucht sie, und dasselbe gilt von der Politik der
-deutschen Kartelle, auch den Interessen der Konsumenten nicht zuwider
-zu laufen. Ist ihre Preisdiktatur aber rücksichtslos, so kann die damit
-verbundene Schädigung der Konsumenten oder Weiterverarbeiter so groß
-sein, daß sie der gesamten volkswirtschaftlichen Ökonomie des Landes
-abträglich wird. In der Praxis haben die amerikanischen Trustherren,
-die „reichen Räuber“, begünstigt durch eine auf ihre industriellen
-Interessen zugeschnittene Hochschutzzollpolitik, tatsächlich die
-Kapitalbildung des Landes in eine industrieplutokratische Richtung
-gezwungen, wie sie sich in keinem anderen Lande auch nur annähernd
-so scharf ausgeprägt hat. Den amerikanischen Flächentrusts sind aber
-die ökonomischen Vorteile, wenn auch nicht gänzlich fremd, so doch
-verhältnismäßig wenig vertraut, die sich aus der +Vertiefung+
-des Produktionsprozesses durch Selbstbedarfsherstellung und
-Selbstabsatzdeckung ergeben können. Derartige +Tiefentrusts+, wie
-sie besonders die deutsche Industrie herausgebildet hat, verfolgen
-an sich nicht die Tendenz der Marktbeherrschung. Sie wollen nicht
-so sehr an dem teuren Absatz einer Ware verdienen, als an der
-billigen Produktion. Sie wollen diese Ware so billig wie möglich
-+herstellen+, um sie -- trotz Erzielung ihres angemessenen
-Unternehmer-Nutzens -- so wettbewerbsfähig, das heißt so wohlfeil wie
-möglich +verkaufen+ zu können. Sie erreichen dies dadurch, daß
-sie die Ware in einem möglichst lückenlosen Produktionsprozeß in allen
-Stadien der Rohstoffbeschaffung, Weiterverarbeitung und Endproduktion
-selbst erzeugen und sie so -- unbelastet mit den Produktionsnutzen der
-Vor-Unternehmer (Roh- und Halbstofflieferanten) -- lediglich unter
-Einkalkulierung ihres Schlußgewinnes in den Verkehr bringen können. Die
-volkswirtschaftlichen Vorteile dieses Systems liegen auf der Hand.
-Sie sind produzenten-fördernd und zugleich konsumenten-dienlich und
-selbst wenn der Tiefentrust zugleich ein Monopol besitzt oder -- wie
-dies in der deutschen Montanindustrie der Fall ist -- sich mit anderen
-Unternehmungen ähnlicher Art durch Kartelle usw. zu einem Monopol
-zusammenschließt, sind die Gefahren der Monopolisierung nicht so groß
-wie bei dem Flächentrust, weil selbst ein hoher Preisaufschlag beim
-Verkauf durch die Ersparnis an den Produktionskosten kompensiert oder
-doch verringert wird. Ähnliche Ersparnisse kann der Flächentrust --
-wie dies ja in Amerika teilweise der Fall ist -- nur durch äußerste
-Spezialisierung, also auf dem ganz entgegengesetzten Wege, machen,
-zum Beispiel dadurch, daß eine Fabrik oder eine Fabrikengruppe nicht
-Werkzeugmaschinen verschiedener Art, sondern nur eine ganz bestimmte
-Werkzeugmaschinentype, daß eine andere Gruppe nur Automobilreifen, eine
-dritte nur Fahrradreifen usw. herstellt. Eine solche Spezialisierung
-läßt sich aber nur in der Verfeinerungsindustrie, nicht in den unteren
-gewerblichen Stufen erreichen, sie entzieht dem Unternehmer auch den
-Überblick über die Gesamtheit seiner Industrie, hindert manchmal darum
-sein technisches Fortschreiten und setzt jedenfalls seinen, lediglich
-auf einen bestimmten Produktionsprozeß zugeschnittenen Betrieb der
-Gefahr aus, konkurrenz- und damit lebensunfähig zu werden, sobald von
-irgend einer anderen Seite ein besseres Verfahren gefunden wird oder
-die Konjunktur seinem Erzeugnisse ungünstig wird.
-
-Schon aus der Gegenüberstellung von Tiefen- und Flächentrust werden wir
-erkannt haben, daß die trustartigen Erscheinungen, die Emil Rathenau
-in Amerika vorgefunden haben mochte, als er sich anschickte, sein
-Beteiligungs- und Unternehmungssystem zu schaffen, von ihm keineswegs
-nur kopiert zu werden brauchten, um die ihm vorgeschriebenen Probleme
-lösen zu können. Was er dort sah und von dort übernehmen konnte,
-war eigentlich nur die Form der Effektenverschachtelung. Diese
-konnte ihm an sich naturgemäß nichts bedeuten, sondern er bediente
-sich ihrer nur, um die ganz eigenartigen und neuartigen Aufgaben
-durchzuführen, vor die ihn seine Arbeit -- erst von Fall zu Fall,
-dann allmählich systematisch aus- und um sich greifend -- stellte.
-Das von ihm geschaffene Trustsystem läßt sich weder als Flächen- noch
-als Tiefentrust bezeichnen, es hat Merkmale von beiden und daneben
-Eigenschaften, die jenen beiden Systemen ganz fremd sind. Es ist auch
-nicht ausschließlich auf die Bildung von industriellen Werten bedacht,
-wenngleich diese stets ausschlaggebend im Vordergrunde stehen. Es trägt
-auch manche Bestandteile des Effektengeschäfts in sich, die zuerst
-vielleicht unbewußt und unbeabsichtigt als Folgen der industriellen
-Bildungen in Erscheinung treten, dann aber, als sie in ihrem Wert
-und Nutzen erkannt sind, gern ausgebeutet und zur Gewinnung von
-Geldmitteln benutzt werden, die später als erwünschtes Subsidienkapital
-dem industriellen Prozeß wieder zugeführt werden. Als Selbstzweck,
-das heißt als Mittel lediglich zum Zwecke der Geldansammlung werden
-derartige Effektengeschäfte aber niemals betrachtet, und weil dies
-nicht der Fall ist, können sich Effekten-Gesichtspunkte niemals zu
-Herren der industriellen Gesichtspunkte machen. Die Effektengewinne
-fallen sozusagen als reife Früchte vom Baume der industriellen
-Entwickelung, und dürfen sich nie hervordrängen, wenn die industrielle
-Frucht noch nicht gereift ist.
-
-Das Rathenausche Trustsystem wurde ganz von innen heraus aufgebaut.
-Es waren Geschäfte da, die gemacht werden sollten, und zwar mit dem
-geringsten Aufwand von Mitteln, Abhängigkeiten und Reibungen. Beispiele
-sollten gegeben, Versuche unternommen werden. Alle diese Unternehmungen
-suchten sich die Formen, die ihnen paßten, Formen, die nicht durch
-ein Übermaß von Organisationsschwere, technischem Apparat den Inhalt
-bedrückten, die aber genug Organisationskraft und Tragfähigkeit
-besaßen, um nicht durch eine mangelhafte Durchführung die Sache zu
-gefährden. Elastisch in seiner Beweglichkeit, fest in seiner Konstanz,
-vielfältig in der Fülle und Verschiedenheit seiner Erscheinungen war
-das Trustsystem Emil Rathenaus; es fanden sich Formen in ihm vor, die
-nur +einmal+ angewendet wurden, es gab aber auch Typen, die in
-verwandten Fällen mit mehr oder weniger großen Abweichungen wiederholt
-wurden. Wenn es auch empirisch aufgebaut wurde, so mußte es doch
-in einem gewissen Stadium seiner Entwickelung das Feuer logischer
-Durchschmelzung und Gliederung, die Kontrolle der Idee durchschreiten.
-Dieses Stadium war in dem Zeitraum von 1895-1900 gekommen, dessen
-äußeren Entwickelungsgang wir oben geschildert haben. Deshalb dürfte
-sich an dieser Stelle zweckmäßig der Versuch anschließen, das
-Trustsystem Emil Rathenaus als ein Gebilde sui generis in seinen
-Grundrissen und Grundzwecken zu untersuchen.
-
-Die erste große Gruppe der Tochterunternehmungen der A. E. G.
-verfolgte Zwecke der Demonstration. Werke dieser Art waren die
-Berliner Elektrizitätswerke, die Stadtbahn in Halle, zu einem Teil
-auch die Kraftübertragungswerke Rheinfelden und die Elektrochemischen
-Werke in Bitterfeld. Durch sie sollten wichtige Anwendungsgebiete
-der Elektrizitätsindustrie in der Methode geklärt und der Praxis
-erschlossen werden. Ein Schulbeispiel wurde aufgestellt, an dem der
-Produzent, wie der Konsument lernen sollte. Die A. E. G. lernte die
-Methodik der praktischen Ausführung eines theoretisch bereits gelösten
-Problems, der Konsum wurde durch die Vorteile, die ihm vor Augen
-geführt wurden, zur Nachahmung und Benutzung angefeuert. War eine Idee
-für die Ausführung im Großen, für die dauernde praktische Nutzanwendung
-noch nicht reif, waren vor allem noch Zweifel vorhanden, ob sich diese
-Idee in der Praxis ebenso bewähren würde wie in der Theorie, oder
-war das technische Rüstzeug für die Ausführung eines Problems noch
-nicht durchgebildet genug, so wurden der Kostenersparnis halber nur
-Studiengesellschaften mit kleinem Kapital gegründet, sofern die bloße
-Laboratoriumsarbeit in den eigenen Fabriken nicht die Sicherheit der
-praktischen Bewährung zu bieten vermochte. Dies war zum Beispiel bei
-der ersten Einführung des Edisonlichtes selbst, beim Akkumulatorenbau,
-bei den elektrischen Vollbahnen, beim Untergrundbahnenbau, bei
-der drahtlosen Telegraphie usw. der Fall. Waren anderswo bereits
-reifere Stadien der Erfahrung erreicht, so suchte Rathenau -- um
-sich zeitraubende Umwege zu ersparen und nicht hinter der Konkurrenz
-zurückzubleiben -- sich ihre Benutzung zu sichern, entweder indem er
-die Unternehmungen, die im Besitze brauchbarer Erfahrungen waren,
-erwarb, oder indem er seine Verfahren ihnen überwies, und sich an dem
-so geschaffenen Gemeinschaftsbetriebe beteiligte. Auf solche Weise kam
-zum Beispiel die Beteiligung an der Akkumulatorenfabrik Berlin-Hagen
-zustande, die gemeinsam mit Siemens & Halske erfolgte, indem die
-A. E. G. in diese Gesellschaft ihre eigenen Akkumulatorenpatente
-einbrachte und mit den von den Vorbesitzern des Hagener Werkes
-benutzten Tudor-Patenten vereinigte. In solchen Fällen handelte es
-sich meist um Produktionsprozesse, die die Gesellschaft für sich nicht
-als hauptsächlich betrachtete und vornehmlich deswegen pflegte, um
-Ergänzungen ihrer Hauptproduktionen herbeizuführen. Betriebszweige
-ersten Ranges entwickelte sie meist selbständig, und die oben
-erwähnten Demonstrationsunternehmungen hatten den Zweck, sie populär
-zu machen, wenn der Konsum sich ihnen nur zögernd zuzuwenden schien.
-Das geschah hauptsächlich bei den Werken, die als Groß-Produzenten
-oder Groß-Verwender elektrischen Stroms in Betracht kamen. Ihre
-Produktions- und Absatzverhältnisse mußten erst sinnfällig geklärt,
-ihre Rentabilitäts- und Wettbewerbsbedingungen praktisch erprobt
-werden, ehe fremde Unternehmer sich ihnen zuwendeten. Der Einfluß der
-Berliner Elektrizitätswerke auf den Zentralenbau war, wie wir schon
-gesehen haben, außerordentlich stark, nachdem erst das Unternehmen
-den Kinderschuhen entwachsen war. Sehr schnell wirkte das Beispiel
-der Stadtbahn in Halle, zu dessen Besichtigung sofort Interessenten
-aus ganz Deutschland und Europa zusammenströmten. Frühere Erfahrungen
-aus amerikanischen Städten hatten hier den Bauproblemen wie der
-Aufnahmefähigkeit des Publikums vorgearbeitet. Ziemlich langsam, aber
-dann umso intensiver wirkte das Beispiel der Kraftübertragung.
-
-Das Demonstrations-Motiv blieb aber nicht lange das einzige oder
-hauptsächlich ausschlaggebende beim Unternehmergeschäft. Auch nachdem
-das gelungene Beispiel aufgestellt war, kamen die Interessenten nun
-nicht in genügender Zahl sofort herbei, um es für ihre Rechnung
-nachahmen zu lassen, und außerdem kamen die, welche es nachahmen
-lassen wollten, nicht alle mit ihren Aufträgen zu der A. E. G. Auch
-die Konkurrenz tat sich um und machte sich die werbende Kraft der
-gelungenen Probestücke zunutze. Bei Interessenten, die noch nicht
-ganz von der industriellen Lebensfähigkeit der Anlagen überzeugt
-oder auch nicht allein in der Lage waren, ihre Kosten und Risiken zu
-tragen, mußte nachgeholfen werden, indem sich die A. E. G. an der
-Kapitalaufbringung oder sogar an der Betriebsführung beteiligte. Bei
-Objekten, die von der Konkurrenz umworben wurden, mußten gleichfalls
-finanzielle und betriebliche Beihilfen zugesagt werden. Neben das
-Motiv der Anregung traten bald das Motiv der Nachhülfe sowie das
-Motiv des Wettbewerbs. Hier erscheint die Unternehmer-Beteiligung
-aber immerhin noch als ein Mittel zum Zweck der Alimentierung des
-+Fabrikationsgeschäfts+ mit Aufträgen, immer wieder von der
-Tendenz begleitet, für die allgemeine Ausdehnung der angewandten
-Elektrizität Propaganda zu machen. Die guten Erfahrungen, die
-mit diesen Beteiligungsgeschäften gemacht wurden (und zwar nicht
-nur in ihrer Rückwirkung auf die Fabrikation, sondern in rein
-effekten-technischer Hinsicht) ließen aber neben die sekundären
-Motive der Effektenbeteiligungen ebenso stark schließlich ihren
-+Selbstzweck+ treten. Der Effektenbesitz rentierte sich so
-gut, daß das Bestreben der A. E. G. ganz von selbst darauf hinging,
-ihn in geeigneter Weise zu mehren. Die Unternehmungen, an denen sie
-beteiligt war, wurden nicht nur durch ihre Bauaufträge, sondern
-die in ihrem Betriebe fortlaufend hervortretenden Betriebs- und
-Erweiterungsbedürfnisse zu einer ständigen Abnehmerschicht für die
-A. E. G., ihre alljährlichen Dividendenerträgnisse führten der
-Gesellschaft auch regelmäßig namhafte Summen zu. Daneben gab der
-Effektenbesitz auch Gelegenheit zu vorteilhaften Transaktionen mit
-der Wertpapier+substanz+. Günstige Bezugsrechte auf neue Aktien
-konnten ausgeübt, billig erworbene Effekten nach Eintritt oder nach
-Besserung der Rentabilität abgestoßen werden. Häufig wurden beide
-Transaktionen vereinigt und aus dem alten Besitz Aktien mit Buchgewinn
-abgestoßen, während das Beteiligungsinteresse durch Übernahme
-billigerer junger Aktien wieder aufgefüllt wurde. Je mehr sich der
-betriebstechnische, verwaltungstechnische und finanzielle Umkreis
-derartiger Geschäfte mehrte, desto nötiger wurde seine Gruppierung
-und Organisierung in besonderen zusammenfassenden Verwaltungs- und
-Aktionsunternehmungen, die die Hauptgesellschaft von einem verwirrenden
-Zuviel an Belastung und Arbeit befreiten, wie es bei einem im
-Grunde die Fabrikation pflegenden Unternehmen den eigentlichen Kern
-nicht überwuchern durfte. Es wurden Neben-Zentralen, sogenannte
-Mantel-Gesellschaften gegründet, die nicht Unternehmungen besonderer
-Art +schaffen+, sondern diese verwalten, überwachen und ihre
-Bedürfnisse befriedigen sollten. Sie nahmen dem Konzern-Mittelpunkt
-Funktionen ab, sie fügten ihm aber auch andererseits Kräfte und
-Hilfsquellen zu, über die er ohne sie wahrscheinlich nicht hätte
-verfügen können. Bei derartigen Mantelgesellschaften sind solche,
-die als bankähnliche Institute die finanziellen Aufgaben der
-Unternehmungen zu übernehmen hatten, zu unterscheiden von anderen,
-die eine technische und betriebliche Überwachung durchführen sollten.
-Zu den letzteren Unternehmungen gehörten die +Allgemeine Lokal-
-und Straßenbahn-Akt.-Ges.+ für den Geschäftszweig „Elektrische
-Bahnen“ und die +Elektrizitätslieferungsgesellschaft+ für
-die Abteilung „Elektrizitätswerke“. Die Allgemeine Lokal- und
-Straßenbahn-Gesellschaft war ein bereits vorher bestehendes
-Unternehmen, dessen Aktien die A. E. G. im Jahre 1890 aus dem damals
-entlastungsbedürftigen Portefeuille der Nationalbank für Deutschland
-erworben hatte. Der Geschäftsbericht der A. E. G. verzeichnet über
-den Erwerb nur eine kurze Begründung: „Wir haben uns damit bei
-einem in solider Entwickelung befindlichen Unternehmen beteiligt
-und eine bleibende Unterlage für ein aussichtsvolles Vorgehen auf
-Einführung des elektrischen Betriebes gewonnen.“ Der zunächst in den
-Vordergrund tretende Zweck der Angliederung war nicht die Schaffung
-eines „Mantels“ für neu zu errichtende oder zu erwerbende elektrische
-Bahnen, sondern die Gewinnung eines Stammes eigener Pferdebahnen,
-die als Objekte für die Überführung in den elektrischen Betrieb
-benutzt werden konnten. Das Versuchs- und Demonstrationsmotiv
-spielt also hier noch stark hinein, und das Unternehmerbaumotiv
-steht zunächst im Mittelpunkt der Erwerbung. Später verschiebt
-sich die Aufgabe der Allgem. Lokal- und Straßenbahn immer stärker
-nach der Richtung einer Holding- und Verwaltungsorganisation für
-alte und neuzuerwerbende Straßenbahninteressen. Sie wird eine
-echte Mantelgesellschaft großen Stils. Daneben werden im Laufe der
-Jahre noch kleinere Konzernunternehmungen für den Bahnenbetrieb,
-so z. B. die Schlesische Kleinbahn-Akt.-Ges. erworben. -- Die
-+Elektrizitätslieferungsgesellschaft+, die von vornherein als
-Betriebs- und Verwaltungsgesellschaft errichtet ist, wurde im Jahre
-1897 ins Leben gerufen. Im Geschäftsbericht desselben Jahres wird ihr
-Zweck folgendermaßen geschildert: „Nach dem Muster der Allgem. Lokal-
-und Straßenbahn-Gesellschaft haben wir eine Stromlieferungsgesellschaft
-unter der Firma „Elektrizitätslieferungsgesellschaft“ gegründet. Wie
-jene eine Anzahl von elektrischen Bahnen in sich vereinigt und nach
-einheitlichem Prinzip und mit wirtschaftlichem Erfolge verwaltet,
-wird diese den Betrieb auch von Elektrizitätswerken übernehmen, die
-den kostspieligen Apparat einer selbständigen Organisation nicht zu
-tragen vermögen oder einer längeren Entwickelungszeit bedürfen, bevor
-sie eine angemessene Rente gewähren. Wir haben das gesamte 5 Mill. M.
-betragende Aktienkapital unserem Effektenbestande zu dauerndem Besitz
-einverleibt und einen maßgebenden Einfluß auf die Geschäftsführung
-der Gesellschaft uns gesichert.“ Weiterhin wird dann bemerkt, daß
-die Preise und Bedingungen für den Bau von Zentralen mit Rücksicht
-auf die engen Beziehungen der Elektrizitätslieferungsgesellschaft
-zur A. E. G. in billiger Weise durch Verträge festgelegt sind. Ein
-Teil der Aktien der Elektrizitätslieferungsgesellschaft wurde später
-übrigens den Berliner Elektrizitätswerken übereignet, als bei diesen
-die Wahrscheinlichkeit eintrat, daß die Verträge mit der Stadt Berlin,
-die ihren Hauptinhalt bildeten, nicht erneuert werden würden. Die B.
-E. W. haben sich schon in den letzten Jahren vor dem Vertragsablauf,
-und später noch entschiedener, zu einer Mantelgesellschaft für
-Stromerzeugungswerke ausgebildet, da der bei ihnen nach der Übernahme
-der Werke durch die Stadt Berlin eintretende Rückfluß freigewordener
-Anlagekapitalien mit dem gerade um diese Zeit akut werdenden
-Geldbedürfnis anderer in der Entwickelung befindlicher Unternehmungen
-des Konzerns zusammentraf. Ihren Hauptbesitz bildeten einige Zeit
-die „Elektrowerke“ in Bitterfeld, die auf Braunkohlengrundlage die
-Stromerzeugung in großem Maßstabe mit der Tendenz der Fernübertragung
-aufnahmen. Als die Entwickelung der Elektrowerke nicht die gewünschten
-schnellen Fortschritte machte, wurde diese Beteiligung indes von den
-B. E. W. der A. E. G. selbst übertragen und später das ganze Werk von
-den Reichsstickstoffwerken übernommen. Durch den früher erfolgten
-Erwerb von Aktien der Elektrizitätslieferungsgesellschaft seitens
-der B. E. W. wurde eine doppelte Verschachtelung herbeigeführt, die
-nicht das einzige Beispiel für die indirekten Beteiligungs-Methoden
-des Systems Rathenau ist. Die Mantelgesellschaft erwarb -- und
-zwar lediglich aus finanztechnischen Gründen -- die Aktien einer
-anderen Mantelgesellschaft, der Weg von dem äußersten Mantel
-bis zu den direkten Produktionsgesellschaften führte hier über
-zwei Stufen. Ähnliche Mehrstufigkeiten traten z. B. dadurch in
-Erscheinung, daß die Elektrizitätslieferungsgesellschaft territoriale
-Unter-Elektrizitätslieferungsgesellschaften in Bayern, Sachsen,
-Thüringen und so weiter gründete, in denen die bayerischen, sächsischen
-und thüringischen Stromwerke zusammengefaßt waren. Den größten Teil der
-Aktien dieser territorialen Elektrizitätslieferungsgesellschaften nahm
-die Berliner Elektrizitätslieferungsgesellschaft in ihr Portefeuille.
-Stellt man folgende Stammtafel auf:
-
- Aktien des +Elektrizitätswerkes Plauen+ besitzt die
- +Sächsische Elektrizitätslieferungs-Ges.+, Aktien der Sächs.
- E. L. G. besitzt die +Elektrizitätslieferungsgesellschaft
- Berlin+, Aktien der E. L. G. Berlin besitzen die B. E. W. --
- Aktien der B. E. W. besitzt die A. E. G.,
-
-so erhält man das System der Verschachtelung bis zum vierten Gliede
-fortgeführt. -- Übrigens wird bei den sogenannten Mantelgesellschaften
-das Prinzip, Aktien von Werken einer bestimmten Gattung nur jeweilig
-der dafür geschaffenen Trust-Gesellschaft zu übergeben, nicht
-immer ganz konsequent durchgeführt. So besitzt zum Beispiel die
-Elektrizitätslieferungsgesellschaft Anteile der Brenner Werke G. m.
-b. H. und der Elektromotor G. m. b. H. Hier handelt es sich aber
-immerhin um Gesellschaften, die als Hilfswerke für Stromunternehmungen
-bezw. als Erzeugungsstätten für Produkte, die bei der Stromverwendung
-gebraucht werden, in Betracht kommen. Eine solche Verwandtschaft
-ist aber -- wenigstens äußerlich -- nicht vorhanden, wenn zum
-Beispiel die Elektrizitätslieferungsgesellschaft Aktien der Lahrer
-Straßenbahn-Akt.-Ges. erwirbt. Erklären wird sich diese Anomalie
-wahrscheinlich dadurch, daß irgend ein Werk der E. L. G. den Strom
-für die Lahrer Straßenbahnen liefert und sich diese Beziehung durch
-Aktienbesitz zu festigen wünscht. In manchen Fällen werden auch
-finanzielle Gründe für derartige Systemlosigkeiten maßgebend sein,
-manchmal vielleicht auch nur Zufälligkeiten. An Prinzipienreiterei hat
-das System Rathenau nie gekrankt, und es hat sich manche sozusagen
-künstlerische Regellosigkeit leisten können, weil es in den großen
-Grundgedanken so ganz logisch aufgebaut war.
-
-Neben den industrie- und verwaltungstechnischen Mantelgesellschaften
-stehen die vielleicht noch wichtigeren +finanztechnischen+.
-Die bedeutendste und erste von ihnen ist die „Bank für elektrische
-Unternehmungen in Zürich“. Dieses Unternehmen ist im Jahre 1896
-mit einem zunächst zu 50% eingezahlten Aktienkapital von 30 Mill.
-Frcs. und einem autorisierten, aber erst allmählich ausgegebenen
-Obligationenkapital in derselben Höhe begründet worden. Es wurde im
-Laufe der Zeit auf 75 Mill. Frcs. Aktien und mehr als 75 Mill. Frcs.
-Obligationen erhöht. Als Zweck der Gesellschaft wurde im Statut
-angegeben: „Übernahme und Durchführung von Finanzgeschäften, insoweit
-dieselben Bezug haben auf die Vorbereitung, den Bau, den Erwerb, den
-Betrieb, die Umwandlung oder die Veräußerung von Unternehmungen im
-Gebiet der angewandten Elektrotechnik, insbesondere der Beleuchtung,
-Kraftübertragung, des Transportwesens und der Elektrochemie.“ --
-Der erste Inhalt, der dieser großen, von vornherein mit bewußter
-Absicht ihrer weitausgreifenden Ziele und Grenzen geschaffenen Form
-gegeben wurde, bestand -- wie wir schon gesehen haben -- in den
-wichtigen italienischen Elektrounternehmungen (in Genua), denen
-sich die A. E. G. in der damaligen Zeit eben zugewandt hatte. Neben
-der Erkenntnis, daß das Beteiligungsgeschäft des Konzerns ganz
-allgemein bis zu einem Umfang und einer Verzweigung gediehen sei,
-die die Schaffung einer besonderen Finanzgesellschaft erforderlich
-machten, war schon damals für die Wahl eines in der neutralen Schweiz
-liegenden Gesellschaftssitzes der Gedanke maßgebend, daß es zweckmäßig
-sei, große Auslandsbeteiligungen nicht in Deutschland, sondern im
-neutralen Ausland zu verankern; ein Gedanke, der sich gerade in den
-im Weltkriege eingetretenen chauvinistischen Irrungen und Wirrungen
-als psychologisch durchaus richtig erwiesen hat, wenn er auch die
-deutschen Interessen im feindlichen Auslande -- neben dem italienischen
-Besitz verwaltete die Bank für elektrische Unternehmungen (kurz
-Elektrobank genannt) insbesondere auch den großen Besitz an Aktien der
-St. Petersburger Gesellschaft für elektrische Beleuchtung vom Jahre
-1886 -- nicht so wirksam zu schützen vermochte, wie dies erwünscht
-gewesen wäre. Außer dieser Dislozierung deutscher Auslandsinteressen
-verfolgte die Errichtung der Finanzgesellschaft der A. E. G. in der
-Schweiz noch verschiedene andere Zwecke. Zunächst einmal bot die
-freiere Aktiengesetzgebung der Schweiz einen größeren Spielraum für
-Aktien-Transaktionen, wie sie den Haupttätigkeitskreis der neuen
-Gesellschaft bildeten. Ferner wurde damit die Einbeziehung der Schweiz
-in den Aktions-Radius der A. E. G. in zweifacher Richtung angestrebt.
-Einmal sollte die Produktions- und Absatzsphäre der Gesellschaft auf
-das elektrischen Unternehmungen von jeher besonders günstige Gebiet
-der Schweiz ausgedehnt werden, das mit seinen reichen Wasserkräften
-für die Erzeugung billiger Elektrizität und besonders für die damals
-aufkommende Kraftübertragung einen besonders guten Entwickelungsboden
-abgab, das in der Fernübertragung, im Vollbahnenwesen späterhin
-bahnbrechende Leistungen sah. Zweitens sollte der Kapitalmarkt der
-Schweiz und vielleicht auch indirekt derjenige anderer ausländischer
-Staaten, die vielleicht einer direkten Bearbeitung durch deutsche
-industrielle und finanzielle Kräfte nicht so leicht zugänglich gewesen
-wären, dem Emissionskredit der A. E. G. erschlossen werden. Alle
-diese Zwecke sind in mehr oder weniger starkem Grade auch erreicht
-worden. Die Elektrobank wurde, so eng sie stets auch an die A. E. G.
-angeschlossen blieb, ein Unternehmen, das sehr stark in der Schweiz
-verwurzelte, in dem Schweizer Einfluß sich zur Geltung zu bringen
-verstand, und durch das Schweizer Kapitalien dem A. E. G.-Konzern und
-umgekehrt deutsche Kapitalien der Schweiz zuflossen. Als die russische
-Regierung während des Weltkrieges die schon erwähnten Petersburger
-Elektrizitätswerke als „deutsche Unternehmungen“ mit Zwangsmaßnahmen
-aller Art bedrohte, konnte von der schweizerischen Regierung mit Recht
-darauf hingewiesen werden, daß die Bank für elektrische Unternehmungen,
-die Hauptbesitzerin der Aktien der Gesellschaft für elektrische
-Beleuchtung, durchaus kein überwiegend deutsches Unternehmen sei
-und daß von den 75 Millionen Francs Aktien der Gesellschaft sich
-nur 14512000 Francs im Besitze der A. E. G. befänden. Wenngleich
-der gesamte Besitz des A. E. G.-Konzerns einschließlich dem ihrer
-Bankengruppe und ihrer Tochtergesellschaften größer ist und sich auch
-im deutschen Publikum namhafte Beträge von Elektrobank-Aktien befinden
-mögen, so ist doch auch der Schweizer Eigenbesitz an Aktien und
-namentlich an Obligationen der Elektrobank sehr erheblich.
-
-Der Zweck dieser Elektrobank ist in ihrem Statut bereits in gedrungener
-Kürze, aber eigentlich mit allen wichtigen Merkmalen umgrenzt worden.
-In späteren Geschäftsberichten wurden die Finanzmethoden, die die
-Gesellschaft zur Anwendung brachte, eingehender unterschieden. Sie
-benutzte folgende juristische Formen der Beteiligung:
-
- 1. Dauernde Aktienbeteiligungen,
-
- 2. Stille Beteiligungen (als „Partecipacioni“ besonders in Italien
- üblich),
-
- 3. Vorschüsse im Kontokorrent,
-
- 4. Vorschüsse gegen Hinterlegung von Aktien und Obligationen,
-
- 5. Syndikatsbeteiligungen und vorübergehende Anlagen.
-
-Diese Formen sind so gewählt, daß sie allen Bedürfnissen der
-Unternehmer- und Industrietätigkeit gerecht werden können. Um dies
-zu verstehen, müssen wir diesen Bedürfnissen etwas näher nachzugehen
-versuchen. Die Methoden der Finanzierung neuer Unternehmungen, die
-Rathenau vorfand, waren ziemlich primitiv. Wenn man Bauprojekte
-nicht von irgend einem geldkräftigen Unternehmer, einer Kommune,
-einer fremden Aktiengesellschaft usw. im festen risikolosen Auftrag
-erhielt (was aber namentlich in den ersten Zeiten der angewandten
-Elektrotechnik nur selten der Fall war), mußte man die Geldmittel
-für zunächst in eigener Regie auszuführende Werke entweder selbst
-bereitstellen, von Banken borgen oder am Kapitalmarkt beschaffen.
-Alle derartige Methoden waren aber sozusagen nur von kurzem Atem.
-Sie schafften zinsloses Geld nur für verhältnismäßig kurze Zeit, und
-hinter dem Industriellen stand der Kapitalist, stets nach schneller
-Rente, kurzfristiger Rückgewährung des Kapitals und eventuell noch nach
-möglichst hohen Zwischengewinnen drängend. Baldigen und hohen Nutzen
-erwartete er von einer neuen Industrie, der er noch nicht so recht
-traute und deren Risikoprämie er also verhältnismäßig hoch bemaß und
-kurz begrenzte. Die Solidität der Bauarbeiten mußte darunter leiden,
-und den Unternehmungen war nicht genügend Zeit und Raum zum Ausreifen
-gegönnt. Wir haben gesehen, daß durch solche Verhältnisse selbst ein
-so aussichtsreiches und gutfundiertes Unternehmen wie die Berliner
-Elektrizitätswerke an den Rand der Krise geführt wurde, daß nicht
-nur die Aktionäre, sondern auch die Banken bei dieser Gesellschaft
-vorzeitig das Vertrauen verloren. Schon damals wurde es Rathenau,
-der von der Notwendigkeit der eigenen Unternehmertätigkeit stets
-fest durchdrungen war, vollkommen klar, daß er mit den bisherigen
-Finanzierungsmethoden diese Unternehmertätigkeit und damit die
-Entwickelung der Elektrizitätsindustrie nicht in dem gewünschten Tempo
-vorwärts bringen könnte. Zwar wuchs mit den Erfolgen der ersten Werke
--- mit den technischen wie finanziellen -- auch der Emissionskredit
-und die Emissionsgeduld beim Kapitalistenpublikum und bei den Banken.
-Immerhin war die Hebelkraft, die man auf diese Weise gewinnen
-konnte, noch zu gering, und von zu vielen Zufälligkeiten abhängig.
-Man konnte dem Publikum vielleicht zu gleicher Zeit zwei oder drei
-Papiere werdender, aber noch nicht werbender Unternehmungen derselben
-Art anbieten, überall hätte man subsidiär wohl noch den Kredit der
-A. E. G. einsetzen müssen. Außerdem war man von den Banken, als
-Emissionsvermittlern, Garanten und Vorschußgebern abhängig, und was
-das zu bedeuten hatte, wußte Rathenau aus der Praxis ziemlich genau.
-Eine derartige Abhängigkeit war ihm unsympathisch und sie paßte auch
-nicht in seine planmäßig festen Baukalkulationen. Schließlich mußte
-man sich auch nach Industrie- und Börsenkonjunkturen richten. Man lief
-somit Gefahr, daß in einem Augenblicke, in dem irgend ein Bauprogramm
-dringend fortgeführt werden mußte, die Erweiterung einer Anlage sich
-als zweckmäßig und gar notwendig erwies, kein Geld aufzutreiben war,
-weil die Verhältnisse auf dem Emissionsmarkte gerade ungünstig lagen.
-Hier nun sollte das Finanzierungssystem sichernd, ergänzend, helfend,
-vermittelnd und vorsorgend eingreifen. Es war nicht lediglich eine
-Vermittelungsorganisation, die den geldbedürftigen Unternehmungen am
-Anlagemarkte mit ihrem eigenen gefestigteren Kredit Kapital besorgte,
-es war selbst ein Kapitalmarkt im Kleinen, ein Sammel- und Staubecken,
-das in günstigen Zeiten der Geldkonjunktur sich mit Kapital vollsog
--- gleichgültig ob es zunächst eine bestimmte Verwendung dafür
-hatte --, um es zu geeigneten Zeiten an die Bauunternehmungen des
-Konzerns weiterzugeben. Ähnlich wie der unregelmäßige Wasserzufluß
-eines Gebirgsbaches zu Zeiten des Wasserreichtums in einer Talsperre
-aufgesammelt wird, um die konstanten Ansprüche eines Kraftwerkes
-auch in Perioden der Wasserarmut befriedigen zu können, war auch das
-Stauwerk des Finanzsystems organisiert. „In den nächsten Jahren wird
-eine Reihe von neuen Aufgaben an uns herantreten, zu deren Lösung wir
-uns jetzt schon rüsten müssen.“ Mit solchen oder ähnlichen Worten
-sind von der A. E. G. selbst und ihren Finanzgesellschaften häufig
-genug Kapitalserhöhungen begründet worden, für die im Augenblick
-ihrer Durchführung bestimmte Anlässe noch nicht vorlagen oder doch
-noch nicht klar hervorgetreten waren. Emil Rathenau hielt darauf, daß
-in seinen Kassen nie der Boden sichtbar wurde und sorgte dafür, daß
-stets mehr Geld darin war, als er für alle im Augenblick übersehbaren
-Ausgaben brauchte. Es mußten stets beträchtliche Kapitalreserven für
-unvorhergesehene Mehrausgaben oder für neue, plötzlich hervortretende
-Projekte verfügbar gehalten werden. Nur dadurch konnte er stets die
-+besten+ Geschäfte machen, daß er allen anderen Mitbewerbern in
-geldlicher Bereitschaft und geldlicher Leistungsfähigkeit überlegen
-war. Er war stets Gläubiger, nie Schuldner der Banken, und blieb durch
-die beträchtlichen Bankguthaben, die er so unterhielt, nicht nur
-von den großen Geldinstituten unabhängig, sondern er schuf sich eine
-solche Position, daß sie um ihn werben mußten und sich zur Teilnahme
-an seinen Finanzierungen, an seinen Konsortial- und Kreditgeschäften
-drängten. Denn das ist gerade das Geniale an seinem System der
-Finanzgesellschaften: Sie waren wohl stets in der Lage und gerüstet,
-ihm das Höchstmaß der etwa verlangten finanziellen Kraftanspannung zu
-leisten, er nutzte diese theoretische Höchstbelastung aber praktisch
-nie aus, sondern verteilte die Ansprüche auf einen möglichst weiten
-Kreis ihm zur Verfügung stehender Geldquellen. Nachdem er die feineren
-und zuverlässigen Methoden der Finanzierung ausgebildet hatte,
-verzichtete er durchaus nicht auf die älteren und primitiven. Neben
-dem neuen Trustsystem wendete er das alte Konsortialsystem weiter an,
-und die Banken, die ihm zuerst nur vorsichtig Kredit gegeben hatten,
-beteiligten sich später gern an seinen neuen, wenn auch zunächst noch
-nicht rententragenden Unternehmungen, weil sie bald aus Erfahrung
-wußten, daß die mageren Jahre bei ihnen durch darauffolgende fette
-mehr als reichlich ausgeglichen würden. So legten sie gewissermaßen
-die Bankguthaben, die Rathenau bei ihnen unterhielt, wieder in seinen
-industriellen Unternehmungen an und zogen aus der Zinsdifferenz
-zwischen beiden Konsortialgewinne. Rathenau selbst hinwiederum
-brauchte nicht die ganzen ihm zur Verfügung stehenden Kapitalien in
-industriellem Risiko festzulegen, sondern war in der Lage, einen
-Teil davon, wenngleich auch dieser letzten Endes indirekt seinem
-Unternehmergeschäft wieder zugute kam, als Bankgeld flüssig zu halten.
-
-Die reichlichen Mittel, die ihm jederzeit für Unternehmungen zur
-Verfügung standen, wurden nun in der verschiedensten Form den jungen
-Bauwerken zur Verfügung gestellt, teils als einfache Vorschüsse mit
-längerer oder kürzerer Rückzahlungsfrist, teils als fundierte Darlehen
-(Obligationen oder Hypotheken), teils als aktives Beteiligungskapital,
-je nachdem die Bedürfnisse der jungen Werke dies erforderten und
-ihre Baureife es zuließ. Mit fortschreitender Entwickelung wurde
-vielfach die formlosere Art der Kapitalhergabe in die gebundenere
-umgewandelt. Während der Anlaufszeit, die junge Unternehmungen bis zu
-dem Zeitpunkt erforderten, in dem sie sich „freigebaut“ hatten und
-zinstragend geworden waren, betätigten sich die Finanzgesellschaften,
-das Beteiligungskonto der Hauptgesellschaft und die Bankenkonsortien
-als kapitalische „Vorwärmer“ für sie, indem sie ihren Geldbedarf
-sicherstellten, das Risiko und entsprechend auch die kapitalistische
-Gewinnchance übernahmen. Der Emissionskredit der alten bewährten
-Unternehmungen trat gewissermaßen solange für die Finanzbedürfnisse
-der jungen werdenden Betriebe ein, bis deren eigener Emissionskredit
-gereift war und selbständig auf dem Kapitalmarkt tätig sein konnte.
-Sobald dieses Stadium erreicht war, erledigten die flügge gewordenen
-Gesellschaften nicht nur ihre zukünftige Geldbeschaffung selbständig
-(wobei die Finanzgruppen des Konzerns häufig Teilbeträge der neuen
-Emissionen noch weiter übernahmen, aber nicht um den geldsuchenden
-Tochtergesellschaften die Geldbeschaffung zu erleichtern, sondern
-um selbst an den durch sie gebotenen günstigen Anlagemöglichkeiten
-teilzunehmen); sondern die Vorwärmer-Gesellschaften konnten dazu
-schreiten, die früher von ihnen übernommenen Kapitalbeteiligungen
-unter Ausnutzung der inzwischen eingetretenen Wertsteigerungen
-soweit abzustoßen, als es ihnen zweckmäßig erschien. Derartige
-„Realisierungen“ rententragend gewordener Beteiligungen sorgten
-dafür, daß die Finanz- und Konsortialkonten aus dem Wechsel ihrer
-Bestände selbst einen Teil der Mittel gewinnen konnten, die sie für
-neue Aufgaben brauchten. Der Effektenbesitz alimentierte und ergänzte
-sich aus sich selbst. Da der Umfang dieser Aufgaben aber ständig
-anwuchs, reichten die Realisations- und Abbaufonds meist nicht aus,
-um die Anlage- und Aufbaufonds vollständig zu speisen. Es wurden
-Kapitalserhöhungen der Finanzstammunternehmungen, Verstärkungen der
-zentralen Geldquellen selbst, von Zeit zu Zeit nötig. Gelegentlich
-fügte es sich auch so, daß neugegründete Unternehmungen die ihnen
-mitgegebenen Kapitalien nicht sofort vollständig verwenden konnten.
-Sie stellten sie dann zeitweilig den Finanzgesellschaften zur
-Verfügung, die sie ihrerseits teils wieder zur Deckung akuter
-Geldbedürfnisse anderer Betriebswerke verwandten, um sie ihren
-Eigentümern im gegebenen Augenblicke zurückzustellen. Neben die
-Disposition über dauernde Anlagekapitalien trat dann die Disposition
-über vorübergehend verfügbare Mittel, die Finanzgesellschaften wurden
-zu Ausgleichsstellen, die sich von den wirklichen Banken nur noch durch
-die Begrenzung ihrer Geschäftsgebiete, nicht durch das Wesen ihrer
-Geschäfte unterschieden.
-
-Im allgemeinen wurde bei dem Rathenauschen Finanzsystem nicht der
-Nachdruck auf dauernde, unlösliche Aktien-Verkapselung gelegt. Je
-selbständiger die Tochtergesellschaften in ihrer Finanzgebarung
-gestellt werden konnten, umso mehr ihrer Wertpapiere wurden aus den
-Portefeuilles der Konzerngesellschaften an den freien Markt gegeben.
-An dem Besitz von Dreiviertel-Majoritäten oder auch nur einfachen
-Majoritäten wurde nicht pedantisch festgehalten, sondern das Streben
-darauf gerichtet, daß der Konzernzusammenhang bei verhältnismäßig
-kleinen Aktienbeteiligungen durch innere Bande, durch den Magnetismus
-des wechselseitigen Interesses und der Gewohnheit erhalten blieb.
-Nicht die Majoritätskontrolle, sondern die Hingezogenheit der freien
-Aktionäre zum Konzern der A. E. G. sollte und konnte fast stets die
-Verbindung wahren. Die Besetzung der Aufsichtsratskollegien mit
-Konzernmitgliedern, und auch der Herdentrieb der freien Aktionäre,
-die die Vertretung ihrer Aktien in den Generalversammlungen meist der
-Konzerngesellschaft oder ihren Banken überließen, unterstützte die
-Aufrechterhaltung der Herrschaft auch in solchen Fällen, in denen
-der Konzern an sich in der Minderheit war. So zum Beispiel besaß die
-A. E. G. zeitweilig nicht mehr als 1 Million Aktien der B. E. W. und
-vermochte doch das mit einem Aktienkapital von 60 Millionen Mark
-arbeitende Unternehmen in allen Einzelheiten zu leiten, trotzdem ihr
-die Bestimmung darüber zeitweilig durch eine aus Kreisen der freien
-Aktionäre gebildete Opposition streitig zu machen versucht wurde. Eine
-solche Herrschaft mit geringem Eigenbesitz konnte nur durch einen
-Konzern ausgeübt werden, der ein hohes Maß von immanenter Macht und
-Autorität besaß, und der das ihm entgegengebrachte Vertrauen trotz
-mancher gegen ihn vorgebrachten Einzel-Kritiken nie getäuscht hat.
-
-Ein Trustsystem der geschilderten Art war aber nicht nur imstande,
-die Emissionskraft der ihm angehörenden Unternehmungen sozusagen zu
-„eskomptieren“, auf indirektem Wege früher zur Geltung zu bringen,
-als es auf direktem Wege möglich gewesen wäre; es hat sie auch in
-außerordentlicher Weise erweitert und verbreitert, und zwar dadurch,
-daß es die Emissionen durch Teilung und Abwechslung reizvoller und
-verdaulicher für den Kapitalmarkt zu gestalten vermochte. Hätte die
-A. E. G. ihr Finanzsystem streng zentralistisch ausgebaut, hätte sie
-die Kosten ihrer Unternehmertätigkeit nur durch ihre eigenen Aktien
-und Obligationen bestritten, oder auch nur in vorbereitender Weise
-aufgebracht, so würde das an dem +industriellen+ und +technischen+
-Wert des Gesamtanlagenkomplexes und der Sicherheit der ihn
-repräsentierenden Kapitalanlage eigentlich nichts geändert haben. Ob
-ein Betriebsunternehmen direkt von der A. E. G. oder von einer ihrer
-Finanzgesellschaften finanziert wurde, wäre für die industrielle
-Entwickelung dieses Unternehmens und seiner Rente gleichgültig gewesen,
-nicht aber für die Geldaufbringung am Kapitalmarkt. Hätte die A. E.
-G. 500 oder 1000 Millionen eigener Aktien und einen ähnlichen Betrag
-eigener Obligationen am Geldmarkt aufnehmen müssen, statt nur 200
-Millionen Mark, so würde der Marktwert der A. E. G.-Aktien zweifellos
-unter einem Überangebot gelitten haben, ihre Emissionskraft wäre
-vermindert worden, da sich der Kapitalmarkt gesträubt und schließlich
-ganz geweigert hätte, immer dasselbe Papier aufzunehmen. Viel günstiger
-gestaltete sich die Situation dadurch, daß der Emissionskredit des
-Gesamtkonzerns auf eine ganze Reihe von A. E. G.-Unternehmungen
-verteilt wurde. Er wurde vor Überanstrengung bewahrt, denn die
-Tochtergesellschaften behielten ebenso wie die Hauptgesellschaft jede
-ihren Einzel-Kredit für sich, und empfingen von ihrer Zugehörigkeit
-zum Gesamtkonzern noch eine Beigabe moralischer Art, die ihren eigenen
-Kredit festigte und steigerte.
-
-Dem rückschauenden Blick wird es vielleicht scheinen, daß dieses
-Rathenausche Finanz- und Trustsystem, das -- so kompliziert es in
-der Darstellung sich auch ausnehmen mag, -- doch wie jede einem
-wirtschaftlichen Bedürfnis organisch angepaßte Methode im Kerne
-und Aufbau ganz einfach ist, die Zeitgenossen sofort gewonnen und
-überzeugt haben muß. In dieser Ansicht wird man noch bestärkt,
-wenn man sich vergegenwärtigt, daß bereits ein paar Jahre später
-die ganze Konkurrenz in der Elektrizitätsindustrie das Bestreben
-zeigte, dieses System nachzuahmen und die mit ihm -- anscheinend
-so mühelos -- erzielten Erfolge auch ihrerseits zu erreichen.
-Aber es war nicht der gesunde, innere, nur in geduldiger Arbeit
-zu entwickelnde Kern, der diese Mitläufer +überzeugt+ hatte,
-sondern meist die von ihnen mißverstandenen und für die Hauptsache
-gehaltenen äußeren Oberflächenwirkungen, die sie +blendeten+.
-In den damals mit Rathenau liierten Bankkreisen war man von den
-fachlichen Finanzierungsbanken innerlich durchaus nicht begeistert.
-Einmal fürchtete man von ihnen einen Übergriff auf ihr eigenes
-Geschäftsgebiet, sah in ihnen das Instrument, durch das sich
-Rathenau von den Emissionsbanken unabhängig machen, diese jedenfalls
-ihrer finanziellen Vorherrschaft -- soweit die Finanzierung seiner
-Unternehmungen in Frage kam -- entkleiden wollte. Die Banken ahnten
-wohl, daß hier ein Industrieller den Versuch machte, ihnen die
-herrschende Stellung im Industrieleben allmählich zu nehmen und
-ihnen die Rolle von dienenden Gliedern in seinem Bereich anzuweisen.
-Außerdem war der letzte, vielleicht unbewußte Rest von Mißtrauen in
-die Neuerungen des Mannes noch immer nicht geschwunden, von dem erst
-endgültig zu erweisen war, ob er ein schöpferischer Umwälzer aller
-Werte, oder nur ein glänzend begabter, doch unruhiger Experimentierer
-war, dessen kühnes, vielstöckiges Architekturwerk doch eines Tages
--- in sich selbst überbaut -- zusammenbrechen konnte. Es gibt ja
-Brücken- und Gebäudekonstruktionen, deren Tragfähigkeit die technische
-Wissenschaft als sicher, ja übersicher errechnet hat und die doch auf
-den Laien einen gefährlichen Eindruck machen. Man hatte sich an der
-Gründung der Elektrobank -- fasziniert von der Neuartigkeit der Idee,
-und unter dem Einfluß der Rathenauschen Erfolge -- kapitalistisch
-beteiligt. Aber es kam hier, -- ähnlich wie seinerzeit bei den
-Berliner Elektrizitätswerken, wenn auch in weit weniger krisenhafter
-Weise -- bald dahin, daß die Banken an der Ertragfähigkeit des neuen
-Unternehmens zweifelten und sich von den ihnen zu groß erscheinenden
-Aktienbeteiligungen, die das Publikum ihnen nicht bereitwillig genug
-abnehmen wollte, zu entlasten wünschten. In der Tat war in diesen
-ersten Jahren ihres Bestehens die Elektrobank, wie das nicht anders
-zu erwarten war, mit jungen, meist noch halbfertigen Unternehmungen
--- besonders den ausländischen Werken in Genua, Barcelona, Bilbao,
-Buenos Aires, Santiago -- angefüllt, die sich nur langsam zur
-Rentabilität entwickelten und von Rathenau bewußtermaßen nicht zur
-schnellen Einträglichkeit getrieben wurden. Mit Mühe und Not zahlte die
-Elektrobank Dividenden von 5%. Darin lag keine Emissionschance für ihre
-Aktien und was aus den „exotischen“ Werten ihres Portefeuilles werden
-würde, war noch eine ganz offene Frage. Die Banken hatten vielleicht
-gewünscht, daß um ihrer Beteiligung an der Mantelgesellschaft willen,
-die in deren Besitz befindlichen Betriebswerke etwas gewaltsam
-gefördert worden wären. Aber Rathenau war viel zu sehr Industrieller,
-als daß er finanztechnische Momente den bautechnischen hätte,
-auch nur vorübergehend, voranstellen können. Er, der inzwischen
-so erstarkt war, daß er Konzessionen -- wie manchmal am Anfang --
-nicht mehr zu machen brauchte, hätte aber gerade in diesem Punkte
-zuallerletzt Bankwünschen nachgegeben. Das entscheidende Interesse
-legte er stets den produzierenden Unternehmungen und niemals den
-finanzierenden Hilfsgesellschaften bei. Das Mittel, mit dem er die
-latenten Schwierigkeiten in dem Falle der Elektrobank beseitigte,
-war genau dasselbe wie das im Falle der Berliner Elektrizitätswerke
--- vor einem Jahrzehnt -- angewandte. Er übernahm kurz entschlossen
-die gesamten Elektrobank-Aktien der Bankgruppe zu vorteilhaftem Kurse
-und gewann die Mittel dazu durch Erhöhung des Kapitals der A. E. G.
-um 12 Millionen Mark, die allerdings nicht sämtlich zum Umtausch der
-Elektrobank-Aktien benötigt wurden. Dieser erfolgte in der Weise, daß
-für je 5 vollgezahlte Elektrobank-Aktien zu 1000 Frcs. nom. 2000 M.
-junge A. E. G.-Aktien angeboten wurden. Hierbei gelangte die A. E.
-G. zu dem lächerlich geringen Buchpreise von 400 Mark für das Stück
-in den Besitz von 28640000 Frcs. Elektrobank-Aktien, sie erwarb also
-fast das ganze damals 30 Mill. Frcs. betragende Aktienkapital. Im
-Geschäftsbericht des Jahres 1897/98 wird der Erwerb nur kurz begründet:
-„Die Angliederung einer Trust-Gesellschaft war ratsam, und das uns
-nahestehende Institut in Zürich wegen der in Angriff genommenen
-internationalen Geschäfte hierfür vorzüglich geeignet.“ -- Für einen
-Schritt, der vielleicht in den Augen Emil Rathenaus den Keim für ein
-sehr gutes Geschäft darstellte, in den Augen der Aktionäre aber als ein
-großes Wagnis erscheinen mußte, waren diese paar Zeilen der Begründung
-ziemlich dürftig. Allerdings wurde den Aktionären der A. E. G. auf
-Wunsch ein ausführlicher Bericht über die Situation der Elektrobank
-zur Verfügung gestellt, aber bei der statistischen Ungeklärtheit der
-die ausländischen Unternehmungen betreffenden Fragen, enthielt er
-natürlich auch nur Konjekturen, keine unumstößlichen Tatsachen. In
-der General-Versammlung sah sich Emil Rathenau denn auch veranlaßt,
-den Erwerb der Elektrobank-Aktien näher zu motivieren. In seinen
-Ausführungen klingen die Unstimmigkeiten mit der Bankengruppe, die
-den Entschluß der Fusion mit der Elektrobank letzten Endes ausgelöst
-hatten, nur leise an. In ihrem wesentlichen Teile bedeuten sie eine
-Rechtfertigung des Systems der Trustgesellschaften im allgemeinen. Sie
-sind gerade darum interessant genug, um nachstehend in ihrem Wortlaut
-wiedergegeben zu werden, Rathenau sagte:
-
-„Zur Durchführung der von uns ins Leben gerufenen Unternehmungen
-hatten wir uns bisher mit einem aus potenten Finanzkräften bestehenden
-Konsortium verbunden, und diese Vereinigung wird vielleicht auch in
-Zukunft aufrecht erhalten werden. Aber wir verhehlen uns nicht, daß
-die Banken als Vermittler des Kapitals zwischen dem Publikum und dem
-Unternehmer der jeweiligen Stimmung des ersteren Rechnung tragen und
-in Perioden wirtschaftlichen Niederganges und politischer Wirren ihre
-Mitwirkung leicht versagen könnten. Gerade in solchen Zeitläuften,
-deren baldige Wiederkehr freilich vorläufig nicht zu befürchten ist,
-am wenigstens für uns, die wir mit lohnenden Aufträgen versorgt sind,
-bedarf der Fabrikant ihrer Unterstützung zur Erlangung von Arbeiten,
-mit denen er seine Werkstätten beschäftigen und den Stamm geschulter
-Arbeiter erhalten kann. Schon aus diesem Grunde erachten wir es als
-eine Pflicht, Geldquellen für den steigenden Kapitalbedarf, den die
-ausgedehnten Unternehmungen fortdauernd hervorrufen, rechtzeitig uns zu
-sichern. Diese Vorsicht scheint uns umsomehr geboten, als wir in einer
-Industrie stehen, von der wir nicht wissen, wie lange ihr die Gunst
-des Publikums erhalten bleibt. Denn es sind durch die Leichtigkeit der
-Geldbeschaffung in den vergangenen Jahren zahlreiche Unternehmungen
-gegründet worden, die ihre Lebensfähigkeit noch zu erweisen haben;
-Enttäuschungen irgend welcher Art können aber ein Mißtrauen
-verursachen, das sich auch auf gesunde Unternehmungen erstreckt.
-Unter solchen Umständen werden gut organisierte und kapitalkräftige
-Trustgesellschaften, welche den inneren Wert von Unternehmen
-erkennen, die sich noch in der Vorbereitung befinden, den Mangel an
-Unternehmungslust ersetzen können. Für die großen ausländischen und
-überseeischen Unternehmungen, welche eine um so größere Bedeutung
-für uns erlangen, je mehr die Geschäfte im Mutterlande abnehmen,
-tritt aber das unabweisbare Bedürfnis einer Trustgesellschaft hervor,
-welche ein internationales Gepräge besitzt und kapitalkräftig genug
-ist, um die Führung in solchen Unternehmungen zu übernehmen. Eine
-solche Organisation besteht bereits in der unter dem Patronat der
-Schweizerischen Kreditanstalt in Zürich wirkenden Bank für elektrische
-Unternehmungen, die auf einem politisch neutralen Gebiet, unter dem
-Schutz einer für Trustgesellschaften günstigen Gesetzgebung im Juli
-1895 gegründet wurde. Ein solches großes, bereits in voller Tätigkeit
-befindliches internationales Organ für unsere Zwecke in noch höherem
-Maße als bisher nutzbar zu machen, halten wir für zweckentsprechend.“
-
-Die Aktionäre der A. E. G. haben, wie sich bald zeigte, die Transaktion
-nie zu beklagen gehabt. Die Dividende der Elektrobank erhöhte sich
-sehr bald auf 6½% und dann nach einem zweijährigen Rückschlag, der
-sie in den Jahren der Elektrokrise auf 6% zurückführte, weiter auf
-10 und 12%. Die A. E. G. wurde dadurch in die Lage versetzt, jeden
-beliebigen Teil ihrer Elektrobank-Aktien mit ansehnlichem Kursgewinn
-wieder zu veräußern, eine Möglichkeit, von der sie auch in den ihr
-zweckmäßig erscheinenden Grenzen Gebrauch machte. Wieder einmal hatte
-Emil Rathenau recht behalten und eine zunächst unerfreulich scheinende
-Situation zum Vorteil gewandt. Späterhin wurde der Versuch gemacht, die
-Organisation der Elektrobank auf eine grundsätzlich breitere Grundlage
-zu stellen und ihren Wirkungskreis über den Bezirk der A. E. G. hinaus
-zu erweitern. In ihrem Geschäftsbericht für 1903/04 finden sich
-folgende Programmsätze:
-
- „Nachdem wir uns früher hauptsächlich mit der Finanzierung solcher
- neuen Unternehmungen abgegeben haben, deren technische Ausführung
- durch die uns nahestehende Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft
- besorgt wurde, haben wir im Laufe des letzten Berichtsjahres den
- ausdrücklichen Beschluß gefaßt, unsere geschäftliche Tätigkeit
- insbesondere auch auszudehnen auf die Beschaffung der nötigen
- Geldmittel für bereits bestehende Unternehmungen und die
- Bevorschussung von Werten solcher, beides eventuell in Verbindung
- mit technischer und administrativer Reorganisation des Betriebes
- und mit dadurch zu erzielender Höherbewertung der eigentümlich
- erworbenen oder mit Ausbedingung von Optionsrechten bevorschusster
- Werte solcher Unternehmungen. Unsere Bank soll mit anderen Worten
- +ein allgemeines Finanzierungsinstitut+ der Elektrizitätsindustrie
- sein.“
-
-Zur besseren Durchführbarkeit dieser Ziele wurde in Berlin
-ein Zweigbureau geschaffen, das von Dr. Walther Rathenau, dem
-Administrateur und eigentlichen Kopf der Elektrobank geleitet wurde.
-In dieser Zeit war die fast völlige Union zwischen der A. E. G. und
-der Elektrobank einer Lockerung insofern gewichen, als die A. E. G.
-langsam größere Posten ihres Aktienbesitzes der Elektrobank abstieß.
-Ferner hatte die Annäherung der Union-Elektrizitäts-Gesellschaft an
-die A. E. G. zwar eine erhebliche Anzahl von Beteiligungen dieser
-Gesellschaft dem Portefeuille der A. E. G. zugeführt, andere wiederum
-einer selbständig bleibenden Trustgesellschaft der „Gesellschaft für
-elektrische Unternehmungen“ überlassen. Auch neue schweizerische
-Interessentenkreise traten der Elektrobank nahe, und gerade an
-Finanzierungen aus der von der A. E. G. unabhängigen Schweizer
-Elektrizitätsindustrie war wohl gedacht, wenn die Grenzen der Tätigkeit
-der Elektrobank etwas weitergerückt wurden. Überdies wuchs auch
-die Deutsch-Überseeische Elektrizitätsgesellschaft, die in ihren
-Anfängen vorwiegend von der Elektrobank entwickelt worden war, immer
-mehr über das Wurzelreich des A. E. G.-Konzerns hinaus. Sie brauchte
-zur Speisung ihres gewaltigen Kapitalbedarfs stärkerer Quellen, als
-die A. E. G. und ihr engeres Bankenkonsortium zu bieten vermochten.
-Die Gruppe der Deutschen Bank, die an der D. Ü. E. G. schon seit
-der Gründung beteiligt gewesen war, wurde schließlich die führende
-Bankverbindung der großen südamerikanischen Elektrizitätsunternehmung
-und als solche gelangte auch ihre Stellung in der Elektrobank, die
-ja noch immer einen beträchtlichen Teil der Deutsch-Überseeischen
-Aktien besaß, zu ausgeprägterer Bedeutung. Aus allen diesen Gründen
-erschien eine allzugroße Isolierung der Elektrobank auf den A. E.
-G.-Konzern nicht mehr erwünscht, und wenn die A. E. G.-Note bei der
-Züricher Finanzgesellschaft auch stets die vorherrschende blieb, so
-sollte sie doch nicht mehr die einzige sein. In späteren Jahren ist der
-Elektrobank durch die Fusion mit der +Elektrizitäts-Akt.-Ges. vorm.
-Lahmeyer+, der Finanzgesellschaft des von der A. E. G. aufgenommenen
-Felten-Guilleaume-Lahmeyerkonzerns, ein neues großes Einflußgebiet
-zugeführt worden. Sie übernahm von dem 25 Millionen Mark betragenden
-Kapital der Lahmeyergesellschaft 21720000 Mark gegen Hingabe von
-16290000 Frcs. neuer Elektrobank-Aktien. Es fand also eine Verkapselung
-zweier Finanzgesellschaften ineinander statt, die beide ohne förmliche
-Fusion juristisch selbständig nebeneinander bestehen blieben.
-
- * *
- *
-
-Werfen wir zum Schluß auch dieses Kapitels unserer Gewohnheit nach
-noch einen Blick auf die Entwickelung der Erträgnisse und der
-Bilanzaufstellungen der A. E. G. in dem soeben behandelten Abschnitt,
-den die Jahre 1894 und 1900 umrahmen. Die Entwickelung der Kapitalien
-ist folgende: Im Jahre 1895/96 wurde das Stammkapital von 20 auf 25
-Millionen Mark erhöht, im Jahre 1896/97 auf 35 Millionen Mark, im
-Jahre 1897/98 auf 47 Millionen Mark, im Jahre 1898/99 auf 60 Millionen
-Mark, eine Höhe, die es auch im Jahre 1899/1900 nicht überschritt.
-Das Obligationenkapital wurde in dieser Zeit von 4844000 auf 14046500
-Mark gesteigert. Der ordentliche Reservefonds stieg von 4479479 auf
-22027621 Mark, wie früher ausschließlich durch Agiobeträge, die ihm
-bei den verschiedenen Kapitalerhöhungen zuflossen. Daneben wurde
-die freie oder außerordentliche Reserve von 500000 auf 5 Mill.
-M. vermehrt. Neben diesen offenen Reserven sind aber die stillen
-Rücklagen in ganz anderer Weise gestärkt worden als in den früheren
-Perioden. Die Gesellschaft hat die dazwischen liegende große Expansion
-nicht nur zur Erzielung hoher Agiogewinne, sondern auch zur inneren
-Festigung des Unternehmens durch Zurückhaltung beträchtlicher Teile
-der erzielten Gewinne benutzt, und sich so aufs beste gerüstet und
-gewappnet, die folgenden Jahre des Rückschlages und der Krisis nicht
-nur unerschüttert zu überstehen, sondern auch ausnutzen zu können.
-In dem von der A. E. G. gewählten System waren die stillen Reserven
-darum die echten Reserven, die offenen -- wenigstens soweit der
-gesetzliche Reservefonds in Frage kam -- nur der Ausfluß des hohen
-Markt- und Emissionswertes der A. E. G.-Aktie. Offene Reserven
-brauchen durchaus nicht immer wirkliche Schutzwälle zu sein, die um
-das Aktienkapital gelegt sind, um es gegen Stöße und Erschütterungen
-zu sichern und zu verhindern, daß Verluste sofort die Kapitalsubstanz,
-den inneren Fundus einer Gesellschaft treffen können. Sie brauchen
-es besonders dann nicht zu sein, wenn sie aus Agiogewinnen stammen.
-Denn Agiomöglichkeiten können künstlich durch hochgetriebene oder
-leichtfertige Gewinnausschüttungen herbeigeführt werden, da sich ja
-der Kurs einer Aktie und damit das Aufgeld bei Kapitalerhöhungen nach
-der Höhe der gezahlten Dividenden zu richten pflegen. Gerade wenn ein
-zu großer Teil der verdienten Gewinne auf Kosten der Abschreibungen
-und Rückstellungen als Dividende ausgeschüttet wird, läßt sich der
-Aktienkurs steigern, und in der Zeit, von der wir sprechen, war
-die Bilanzkritik bei der Presse und bei den Aktionären noch nicht
-ausgebildet genug, als daß nicht derartige Versuche auf dem Gebiet der
-künstlichen Agiotage möglich gewesen wären und die Wirtschaftswelt
-hätten irre führen können. In der Elektrizitätsindustrie insbesondere,
-die in den von uns behandelten Jahren unter einem Überschwange der
-Tendenzbeurteilung bei den Produzierenden sowohl wie auch beim Publikum
-stand, war ein besonders geeigneter Nährboden für eine derartige
-Ausnutzung des Aktienagios vorhanden. Es wurde überreichlich von ihm
-Gebrauch gemacht, und wir werden später sehen, daß die auf diese Weise
-geschaffenen großen offenen Reserven mancher Unternehmungen dem Anprall
-der Krise durchaus nicht standhielten und sozusagen auf den ersten
-Anhieb zusammenstürzten, das innere Leben der Gesellschaften, die sie
-decken sollten, sofort dem Ansturm preisgebend. In der Rathenauschen
-Bilanz war die Expansion, die zur Bildung der großen offenen Reserven
-geführt hatte, Hand in Hand mit einer Konsolidierung der inneren
-Werte gegangen, und die Echtheit der inneren Reserven wirkte auch auf
-den Bestand der äußeren Reserven zurück. Worin bestanden nun diese
-inneren Reserven? -- Ein Vergleich der Bilanzen von 1894 und von
-1900 zeigt es deutlich. Während im Jahre 1894 noch die sämtlichen
-Anlagekonten der A. E. G. in der Bilanz mit sichtbaren Wertansätzen
-erschienen, die einen vielleicht +verhältnismäßig+ niedrigen,
-aber doch absolut betrachtet, noch einen recht hohen Bewertungsgrad
-darstellten, werden im Jahre 1900 nur noch Grundstücke, Gebäude und
-Vorräte mit Effektivansätzen bewertet. Maschinen, die 1894 noch mit
-1220000 Mark ausgewiesen worden waren, erscheinen jetzt lediglich mit
-pro-Memoria-Beträgen von je 1 Mark. Sie sind also ganz abgeschrieben
-worden, trotzdem ihr wirklicher Wert in dieser Zeit nicht verringert,
-sondern um viele Millionen Mark -- entsprechend dem gewaltigen
-Anwachsen der A. E. G.-Unternehmungen -- vergrößert worden ist. In
-diesen Konten liegen also sehr beträchtliche innere Reserven, die
-sich von Jahr zu Jahr steigerten, denn alles, was in einem Jahre
-an neuen Maschinen, Werkzeugen, Utensilien usw. angeschafft wurde,
-gelangte sofort wieder voll zur Abschreibung. Während im Jahre 1894
-auf Werkzeuge 20%, auf Maschinen 10% abgesetzt worden waren, betrugen
-im Jahre 1899/1900 die Abschreibungssätze auf diesen Konten volle
-100%. Emil Rathenau hatte, um diese Bilanzierungsmethode möglichst
-unkontrolliert von der Öffentlichkeit und den Aktionären durchführen
-zu können, seit einigen Jahren die Gewohnheit angenommen, nur die
-Ergebnisse der Fabrikation, des Produktionsgeschäftes -- und auch
-diese nur soweit es ihm paßte -- in der Gewinn- und Verlustrechnung
-auszuweisen. Die gesamten Erträge des Finanzgeschäftes, und zwar
-sowohl die Rentenerträgnisse der im Besitz der A. E. G. befindlichen
--- auf Effekten- und Konsortialkonto verbuchten -- Wertpapiere und
-Beteiligungen wie auch die Gewinne aus Effektentransaktionen wurden
-überhaupt nicht eingestellt, sondern zu Abschreibungen entweder auf
-Effekten oder auf Anlagen benutzt. Dabei richtete sich das Ausmaß der
-vorzunehmenden Abschreibungen nicht nach den wirklichen jeweiligen
-+Ergebnissen+ der Effektenkonten, die ja immerhin einen zufälligen
-Faktor darstellten, und somit auch ein Moment der Zufälligkeit in die
-Abschreibungspolitik der Gesellschaft gebracht hätten. Sie wurden
-vielmehr nach dem Abschreibungsbedürfnis reguliert, das durch die Höhe
-der Zugänge auf den regelmäßig bis auf 1 Mark herunterzubuchenden
-Anlagekonten und durch den Stand der übrigen Konten (Gebäude,
-Grundstücke, Vorräte usw.) bestimmt wurde. Reichten also die aus dem
-Effektengeschäft stammenden Beträge nicht aus, so mußten noch Teile
-aus dem Fabrikationsgewinn abgezweigt und zu Abschreibungen mit
-herangezogen werden. Je gewaltiger die so heruntergeschriebenen Anlagen
-der Gesellschaft anwuchsen, desto größer mußten naturgemäß auch die
-hinter den Eine-Mark-Posten stehenden inneren Reserven sich erhöhen.
-Über die Bedeutung dieses später nur noch quantitativ, nicht mehr
-grundsätzlich geänderten Abschreibungssystems für die innere und äußere
-Entwickelung der Gesellschaft, für ihre Finanzen und die Stellung der
-Aktionäre zu ihr, wird noch später zusammenfassend zu sprechen sein.
-Hier soll nur im historischen Entwickelungsgange auf den Zeitpunkt
-hingewiesen werden, in dem diese Methode in das Finanzsystem der
-Gesellschaft eintritt und auf den Kontrast, in dem sie zu den früheren
-Bilanzierungsgewohnheiten steht. In dieser Hinsicht ist sie als Symptom
-für den fortschreitenden Konsolidierungsprozeß der Gesellschaft zu
-bewerten.
-
-Abgesehen von diesem Zeichen der Konsolidierung weist die Bilanz von
-1899/1900 aber auch noch andere interessante Merkmale auf. Auch bei
-den übrigen Anlagekonten ist eine stärkere Abschreibungspolitik
-sichtbar. Während zum Beispiel früher auf Gebäude nur 2% abgeschrieben
-wurden, werden jetzt neben den ordentlichen Abschreibungen in derselben
-Höhe noch außerordentliche Abschreibungen vorgenommen, die dreimal
-so hoch sind wie die Pflichtabschreibungen. Es gelangen also auf
-Gebäude jetzt 8% gegen 2% früher zur Abschreibung, das sind für solche
-Anlagen ungewöhnlich hohe Prozentsätze. Das Effektenkonto wird mit
-20984364 Mark gegen 5976266 Mark ausgewiesen, das Konsortialkonto
-mit 4837794 gegen 2963348 Mark. Daneben werden noch die Aktien der
-Bank für elektrische Unternehmungen mit 11395290 Mark aufgeführt.
-Die Effektenbestände sind also in sehr erheblichem Umfang gestiegen.
-Vergleicht man aber die Buchwerte mit dem Nominalbesitz an
-Wertpapieren, so zeigt sich, daß die Effektenbestände durchschnittlich
-viel niedriger zu Buche stehen als im Jahre 1894. In der Bilanz
-erscheint ferner -- und dies ist für die Flüssigkeit des Status,
-nicht so sehr für die Solidität der Bewertung charakteristisch -- ein
-Bankguthaben von 15620344 Mark gegen ein solches von 7933463 Mark in
-der Vergleichsbilanz. Die Gesamtdebitoren betragen 47037896 Mark gegen
-16996308 Mark, die Gesamtkreditoren 19301579 Mark gegen 2575873 Mark.
-Bei einem Kapital von 60 Millionen Mark weist jede Seite der Bilanz
-jetzt einen Saldo von 133420023 Mark gegen einen solchen von 35542941
-Mark bei einem Kapital von 20 Millionen Mark in der Vergleichsperiode
-auf. Trotzdem die Werte im Jahre 1900 viel niedriger bemessen sind als
-im Jahre 1894, trotzdem also ein großer Teil dieser Werte nur durch
-innere Reserven, nicht durch sichtbare Bilanzwerte belegt ist, stellt
-sich sogar der Gesamtbetrag der sichtbaren Aktiva im Verhältnis zum
-Aktienkapital ganz unvergleichlich höher als im Jahre 1894. D. h. mit
-einer Kapitalverdreifachung ist eine Expansion ausgeführt worden, die
-die Werte des Unternehmens weit mehr als verdreifacht hat.
-
-Trotz dieser starken inneren Konsolidierung und der Zurückbehaltung
-großer Gewinnteile ist die Rente der Aktionäre in diesem Abschnitt
-ständig gestiegen. Die Dividende betrug im Jahre 1893/94 9%, sie ging
-dann in den folgenden Jahren bis 1895/96 auf 11% und 13%. In den Jahren
-1896/97-1899/1900 betrug sie 15%.
-
-
-
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-Elftes Kapitel
-
-Krisis
-
-
-Die bisherige Schilderung des Entwickelungsganges der A. E. G. seit
-der Überwindung der Krisis des Jahres 1887 wird bei dem Leser den
-Eindruck einer unaufhaltsamen, im Innern von mächtiger, manchmal
-ungestümer Triebkraft bewegten, von den äußeren Verhältnissen im
-großen und ganzen begünstigten Vorwärts- und Aufwärtsbewegung gemacht
-haben. Dieser Eindruck war auch vom Verfasser gewollt, denn er gibt
-ein richtiges Spiegelbild von dem inneren Schwung und dem Tempo, die
-Rathenaus Persönlichkeit wie das von seinem Geist geschaffene und
-erfüllte Werk stets, doch vielleicht nie so feurig beflügelten wie in
-jenem Zeitraum. Es waren die Jahre, in denen die Persönlichkeit sich
-am reichsten und freiesten entfaltete, in denen die Schöpfung den
-Ausdruck der Persönlichkeit und der Eigenart des Schöpfers annahm, in
-denen sie die bestimmenden Formen ihres Charakters, ihrer äußeren und
-inneren Gestalt, kurz ihres Entwickelungsgesetzes fand. Der Besitz
-der A. E. G. ist in späteren Perioden vielleicht noch stärker gemehrt
-worden, die Expansion noch vielgestaltiger fortgeschritten. Das
-geschah aber dann zum Teil infolge der automatisch nach Erweiterung
-drängenden Schwerkraft des kernhaft gewordenen Unternehmens, nicht
-mehr so sehr durch höchstpersönliche Leistung am werdenden Werk. Die
-Entwickelung +nach 1902+ hätte man sich zur Not auch ohne Emil
-Rathenau vorstellen können, die +vor 1900+ aber keinesfalls. Alle
-Keime begannen in dieser schöpferischen Periode bereits aufzugehen,
-alle Möglichkeiten traten bereits in den Kreis des Unternehmens,
-alle Fundamente wurden gefestigt und alle Grenzen fingen an, sich
-abzuzeichnen. Die Ideen traten hervor, ohne sich allerdings bereits
-ganz zu erfüllen, oder gar zu erschöpfen. Aber das Werk ließ
-bereits die Umrisse erkennen, das Wesenhafte an Rathenaus Art und
-Leistung hatte sich ausgeprägt. Seine Art der Industriepolitik,
-der Unternehmerpolitik, der Finanzpolitik und der Sozialpolitik
-ist grundsätzlich hier bereits festgelegt. Was dann noch kam, war
-gewiß keineswegs bloße Wiederholung oder nur Anwendung und Ausbau im
-Quantitativen, keineswegs nur das Abrollen und Anschwellen einer im
-Lauf befindlichen Lawine, aber es war doch das Fortschreiten auf dem
-bereits gebahnten und gerichteten Wege. Die Verfeinerungsarbeit, die
-nun folgte, die eine naturgemäß im Expansionsgange liegende Häufung
-der Mengen und Mittel vor einer Ausartung ins Nichts-als-Kolossale
-bewahren, und darum einer ganz besonders eindringlichen inneren
-Verarbeitung unterziehen mußte, warf tagtäglich neue Probleme auf,
-erforderte ständig eine Verjüngung und Erneuerung der Methoden. Sie
-stellte an die Individualität immer frische geistige Anforderungen,
-damit die Gefahr der Schematisierung und Mechanisierung vermieden
-wurde, die eine unbeherrscht so stark anschwellende Masse schließlich
-starr und unproduktiv gemacht hätte. Eine Organisation, die nur
-vergrößert, nicht stets kontrolliert und erneuert wird, muß schließlich
-zur Bürokratie werden und leidet unter ihrem eigenen Gewicht. Dies im
-zunehmenden Tagesdrang der kleinen und großen Geschäfte vermieden,
-daneben jedoch neuen Problemen frisches Augenmaß gegeben zu haben,
-bleibt die geistige Leistung der nachfolgenden Schaffensperiode
-Rathenaus.
-
-Das große Bild jener Grundlegung in den Entwickelungsjahren bis
-1900 durfte nicht durch zu starkes Betonen der Retardations- und
-Rückschlagsmomente, der Nebenwirkungen, Auswüchse, der richtigen
-und falschen Nachahmungen beschwert und beunruhigt werden, wenn
-es voll wirken sollte. An solchen Zügen hat es natürlich auch in
-jenen Zeiten des Aufschwungs nicht gefehlt, weder innerhalb, noch
-außerhalb des A. E. G.-Kreises. Auf sie ist gelegentlich auch bereits
-hingewiesen worden, so besonders auf die langsame, kühle Verwirklichung
-mancher heiß und kühn konzipierten technischen und wirtschaftlichen
-Erkenntnisse, auf den Überschwang mancher Projekte und die falsche
-Abschätzung mancher Dimensionen, schließlich auch auf die falsche,
-mißverstandene Anwendung mancher Methoden durch dritte. Wir haben
-gesehen, daß in der vergangenen Epoche die Führung und Tonangabe,
-wenn auch nicht in der elektrischen Industrie, so doch in ihrer
-Fortentwickelungstendenz von der Firma Siemens & Halske auf die A.
-E. G. übergegangen war. Ihre Schwungkraft, ihr Expansionswille und
-die Art seiner Betätigung gaben der ganzen Industrie die bestimmende
-Note. Auf ihrem Fluge war sie bald von einem ganzen Schwarm von
-Mitläufern umringt, die ihr Tempo mitzuhalten, wenn gar noch zu
-übertreffen versuchten. Überspannung, heftiger Konkurrenzkampf,
-der noch durch die Energie und Eifersucht, mit der sich die früher
-allein herrschende Firma Siemens & Halske aus ihrem bereits etwas
-satt gewordenen Entwickelungstemperament heraus zur Wehr setzte,
-gesteigert und vertieft wurde, gaben schon in den letzten Jahren des
-zu Ende gehenden neunzehnten Jahrhunderts den Verhältnissen in der
-Elektrizitätsindustrie immer stärker das Gepräge. Überproduktion
-und Preisrückgänge waren die Folgen. Sie traten umso schärfer in
-Erscheinung, als die großen Anregungen der Elektrizitätsbewegung, die
-von der Konstruktion der Dynamomaschine, der Erfindung des Bogen-
-und Glühlichts ihren Ausgang genommen und ihre Kraft zwei Jahrzehnte
-hindurch in ständig anschwellendem Strom betätigt hatten, ihren
-Höhepunkt überschritten zu haben und in die Periode des Auslaufs zu
-kommen schienen, ohne daß zunächst neue motorische Kräfte an ihre
-Stelle traten. Die Krise kündigte sich durch mehr als ein Zeichen
-an, und es kam jetzt darauf an, ob alle Unternehmungen der Industrie
-ebenso wie die A. E. G. trotz des Sturmschritts des letzten Jahrzehnts
-ausreichende Sicherheitsventile gegen die Wucht plötzlichen Überdrucks,
-innere Kraftausgleichsquellen gegen Rückschläge geschaffen hatten.
-
-Von Emil Rathenau war mit der Wahrscheinlichkeit, ja Notwendigkeit
-eines Rückschlages immer gerechnet worden. Trotz allem Optimismus für
-die große Zukunft und die unverwüstliche Lebenskraft der elektrischen
-Idee überließ sich seine praktische Arbeit nie unbeherrscht diesem
-felsenfesten Vertrauen in den Enderfolg, sondern sie wurde auf Schritt
-und Tritt von dem latenten Pessimismus überwacht, der die Durchführung
-dieser Idee gegen alle nur denkbare Zufälle und Mißhelligkeiten nicht
-genug versichern konnte. „Ich traue auf meinen Stern, also brauche
-ich mich nicht vorzusehen,“ diese beliebte Devise der Optimisten war
-Rathenau ganz und gar fremd. Bereits in den letzten Jahren des zu
-Ende gehenden Jahrhunderts hat Rathenau die Krisis nahen gefühlt,
-während die Konkurrenz sich noch mit ungeminderter Leidenschaft dem
-Gründungstaumel hingab. Ganz besonders auf dem scharf umstrittenen
-Gebiete des elektrischen Straßenbahnbaus legte sich die A. E. G.
-sichtbare Zurückhaltung auf. Dem Handelsredakteur eines großen
-süddeutschen Blattes vertraute Emil Rathenau bereits längere Zeit
-vor Ausbruch der Krisis seine Befürchtungen an. „Flaumacherei,
-Baissemanöver, Neid gegenüber der ihn überflügelnden Konkurrenz“ wurden
-Rathenau damals von anderen Elektrizitätsfachleuten in der Presse
-vorgeworfen, als seine Äußerungen an die Öffentlichkeit gelangten.
-In den offiziellen Kundgebungen der A. E. G. wird zum ersten Male im
-Geschäftsbericht für das Jahr 1898/99 das Nahen der Krisis angedeutet,
-nachdem bereits in der oben wiedergegebenen Generalversammlungsrede
-im Jahre 1898 gelegentlich des Erwerbes der Elektrobank-Aktien auf
-die ungesunden Gründungen in der Elektrizitätsindustrie, und auf die
-Wahrscheinlichkeit eines früher oder später eintretenden Rückschlags
-hingewiesen worden war. Die Gesellschaft spricht im Jahre 1898/99
-von eventuell bevorstehenden schlechteren Zeiten und einer für die
-Elektrizitätsindustrie drohenden Überproduktion. Im Bericht für das
-Jahr 1899/1900 wird schon ein deutlicheres Warnungssignal gegeben.
-Nachdem konstatiert worden ist, daß die Geschäftslage noch günstig
-sei, daß die Summe der auf das laufende Jahr übertragenen Aufträge
-den Umsatz des abgelaufenen Jahres wesentlich übersteige und die
-Gesellschaft auch im neuen Jahre mit lohnenden Arbeiten bisher
-reichlich versehen worden sei, heißt es: „Ungeachtet dessen mahnt
-die schwindende Zuversicht in den Fortbestand der industriellen
-Hochkonjunktur zu verstärkter Vorsicht bei Aufnahme neuer Geschäfte,
-die zu ihrer Entwickelung erfahrungsgemäß einer Reihe von Jahren
-bedürfen.“ -- Weiter unten wird aber schon die tröstliche Versicherung
-gegeben: „Gegen die Nachteile einer etwaigen Überproduktion im Lande
-hoffen wir, durch die Einrichtungen unserer Fabriken und deren
-Bewertung uns wirksam schützen zu können.“ In der Generalversammlung
-vom 6. Dezember des Jahres 1900 unterstrich Rathenau diese Mitteilungen
-noch, indem er ausführte, es könne niemand leugnen, daß die Konjunktur
-ihren Höhepunkt überschritten habe. Vorläufig sei allerdings der
-Rückgang noch mäßig. Als einer der Gründe für den Rückschlag wurde
-angegeben, daß zu viele neue Unternehmungen gegründet seien. Am
-frühesten zeigten sich Spuren der beginnenden Stauung denn auch
-im +Unternehmergeschäft+. Der Geschäftsbericht der Bank für
-elektrische Unternehmungen für das Jahr 1899/1900 geht diesen
-Spuren nach und schildert sie folgendermaßen, zugleich zeigend, daß
-die Trustorganisation für das Unternehmergeschäft nach Versagen des
-Kapitalmarktes genau so funktioniere und wirke, wie das von Emil
-Rathenau gedacht worden war:
-
- „Die nicht unerhebliche Steigerung der Preise fast sämtlicher,
- für die elektrische Industrie in Betracht fallender Rohprodukte
- und die daraus sich ergebende Preiserhöhung der Fabrikate, hat
- glücklicherweise den Umfang der geschäftlichen Tätigkeit der
- großen Elektrizitätsgesellschaften bisher nicht beeinträchtigt. Im
- Gegenteil wird von vielen Seiten während des ganzen Berichtsjahres
- eine erfreuliche Andauer der Beschäftigung und eine Steigerung
- der Umsätze gemeldet, welche häufig sogar den Gewinn-Ausfall
- auszugleichen vermocht hat, der dadurch entstand, daß die Preise
- der Fabrikate nicht im gleichen Verhältnis hinaufgesetzt werden
- konnten, wie die Preise der Rohstoffe und Hilfsmaterialien für die
- Konstruktion der elektrotechnischen Produkte sich steigerten.
-
- Diese Preissteigerung der Rohstoffe und Hilfsmaterialien hat sich
- aber, mehr noch als beim Bau, beim Betrieb der elektrotechnischen
- Maschinen und Anlagen fühlbar gemacht. Man denke nur an die sehr
- erhebliche Erhöhung der Selbstkosten des elektrischen Stromes, wie
- sie sich für diejenigen Zentralen, die auf Dampfkraft angewiesen
- sind, aus der Preissteigerung der Kohle um rund 50% ergeben mußten.
- Eine Reihe von diesen Anlagen ist dadurch in ihrer finanziellen
- Entwickelung im abgelaufenen Jahr gehemmt worden, und da
- infolgedessen den großen Elektrizitätsgesellschaften die definitive
- Abstoßung ihrer finanziellen Beteiligungen an von ihnen ins Leben
- gerufenen Unternehmungen nicht erleichtert worden ist, so hat
- sich in neuester Zeit eine gewisse Zurückhaltung in der Übernahme
- von Aufträgen, mit welchen finanzielle Leistungen seitens der
- Unternehmerfirmen verknüpft sind, geltend gemacht. Daß die großen
- Gesellschaften diesen Standpunkt, jedenfalls nicht zum Nachteil des
- eigentlichen legitimen Unternehmer- und Fabrikations-Geschäftes,
- einnehmen können, erleichtert und ermöglicht ihnen gerade der
- erfreuliche Umstand, daß sie bis jetzt auch ohnedies auf allen
- Gebieten vollauf und zu lohnenden Preisen beschäftigt zu sein
- scheinen.
-
- Unter solchen Umständen finden Banken, welche, wie die
- unsrige, sich speziell mit der Übernahme und Durchführung
- von Finanzgeschäften auf elektrotechnischem Gebiet abgeben,
- Gelegenheit genug, sich zu betätigen, und es hat der Umfang unserer
- Geschäftsverbindungen und die Anlage unserer Betriebsmittel in
- Beteiligungen aller Art bei elektrotechnischen Unternehmungen auch
- im abgelaufenen Jahr wieder zugenommen. Immerhin genügten hierfür
- die von uns schon früher beschafften Mittel, während wir von der
- Begebung weiterer Obligationen unserer Bank bei der im ganzen
- ungünstigen Disposition des Geldmarktes glaubten absehen zu sollen.“
-
-Nichtsdestoweniger wird für das Jahr 1899/1900 bei der A. E. G. noch
-die unverminderte Dividende von 15% ausgeschüttet. Das folgende Jahr
-bringt einen Rückgang auf 12%, wobei allerdings zu berücksichtigen
-ist, daß diesmal 13 Millionen Mark junge Aktien, die im Vorjahre
-nur die Hälfte der Dividende erhielten, voll daran teilnehmen. So
-wird noch immer eine Dividendensumme von 7,2 Millionen Mark gegen
-8025000 Mark im Vorjahre herausgewirtschaftet. Der Niedergang kann
-nun von niemandem mehr geleugnet werden. Die starken wohlfundierten
-Unternehmungen halten den Stoß bewunderungswürdig gut aus, aber in
-dem leichten Gebälk der schwächer gezimmerten Gesellschaften kracht
-und knirscht es bereits. Der Geschäftsbericht des Jahres 1900/1901
-setzt sofort mit Krisenstimmung ein. „Fast zwei Jahrzehnte lang hat
-die elektrotechnische Industrie immer neue lohnende Aufgaben gefunden
-und sich einer stetigen Entwickelung erfreut; die bekannten Vorgänge
-in unserem Wirtschaftsleben mußten eine vorläufige Unterbrechung
-dieser Bewegung mit Notwendigkeit herbeiführen. Auf die Anzeichen
-drohender Überproduktion und ungesunder Übertreibung haben wir in den
-letzten Jahren oftmals hingewiesen. Wie schmerzlich auch der scharfe
-Rückgang in der Konjunktur empfunden wird und wie berechtigt die
-Klagen über Schäden und Einbußen sind: der auf Vervollkommnung der
-Arbeitsmethoden bedachte Fabrikant und Techniker wird zugeben, daß nur
-normal beschäftigte Werkstätten Zeit und Muße zu Verbesserungen und
-Verbilligungen finden, während die zwei- und dreifachen Schichten, wie
-sie jahrelang zur Notwendigkeit geworden waren, Ausgestaltungen und
-Neuerungen der Fabrikationsmethoden erschwerten.“ -- Von Resignation
-oder Waffenstreckung also trotz der Enttäuschungen und Rückschläge
-keine Spur. Auch hier der feste Wille, sich von Mißhelligkeiten nicht
-unterkriegen zu lassen und sogar aus ihnen noch Vorteil für die Zukunft
-zu ziehen. Zur Verzweiflung lag allerdings bei der A. E. G. auch
-noch kein Anlaß vor: „Wir konnten annähernd den gleichen Umsatz wie
-im Vorjahre abrechnen und waren in den meisten Abteilungen unseres
-Geschäftsbetriebes und der Fabrikation befriedigend beschäftigt; neuen
-Unternehmungen gegenüber legen wir uns aber große Beschränkungen auf.“
--- Auch die Aussichten werden nicht als direkt ungünstig geschildert,
-wenigstens was die Arbeits+quantität+ anlangt: „Nach den ultimo
-September gemachten Aufstellungen erreichen die fakturierten Umsätze
-nahezu die der gleichen Periode des Vorjahres, ebenso die vorliegenden
-Aufträge, soweit Bahnunternehmungen und Bestellungen für die Berliner
-Elektrizitätswerke, deren Bautätigkeit einstweilen zum Abschluß gelangt
-ist, nicht in Betracht kommen.“ Nun aber kommt der wunde Punkt:
-
- „Diese Ziffern wären unter den gegenwärtigen Zeitverhältnissen
- befriedigend, wenn die Akquisitionstätigkeit der Konkurrenz,
- welche ohne Rücksicht auf Herstellungskosten um jeden Auftrag
- kämpft, nicht zu andauerndem Rückgang der Preise führte. Da
- unter diesen Umständen ein Urteil über die zukünftige Gestaltung
- des wirtschaftlichen Lebens schwer zu gewinnen ist, müssen wir
- damit rechnen, daß ein Aufschwung gleich dem der letzten Jahre,
- dem die Elektrotechnik ihre Größe verdankt, sich nicht sogleich
- erneuern werde. Vielfach haben Unternehmungen, welche in der
- Hochflut der Konjunktur ohne innere Notwendigkeit entstanden
- und mit ungenügender Sachkenntnis geleitet waren, das Vertrauen
- in die Ergiebigkeit unserer Industrie erschüttert. Es wird die
- Aufgabe der auf solider Grundlage errichteten und mit Umsicht
- und Verständnis geleiteten Werke sein, dieses Vertrauen wieder
- herzustellen. Aber hierdurch allein wird die Schwierigkeit der
- Lage, die teilweise auf notorischer Überproduktion der Fabriken
- beruht, nicht beseitigt. Die mißlichen Verhältnisse werden
- schwinden, und die deutsche Elektrotechnik wird ihre Macht und
- Bedeutung, welche sie im Wettbewerbe der Nationen in Chicago und
- Paris gezeigt hat, erfolgreich auf dem Weltmarkt betätigen, wenn
- neue Handelsverträge, wie wir hoffen, unseren Waren die Märkte
- befreundeter Nationen offen halten, und wenn die kräftigeren
- Unternehmungen durch zweckmäßige Organisation und rationelle
- Arbeitsteilung die Versuchs-, Fabrikations- und Verkaufsspesen auf
- das geringste Maß herabmindern. Im eigenen Interesse, wie in dem
- der elektrotechnischen Industrie ist deshalb unser Bestreben darauf
- gerichtet, in dem angedeuteten Sinne zu wirken, und wir halten uns
- die Initiative hierfür zu ergreifen für berechtigt, weil die innere
- und äußere Lage unserer Gesellschaft die Vermutung ausschließen
- sollte, daß sie auf das Zustandekommen derartiger Projekte
- angewiesen ist.“
-
-Noch weiter werden die hier angedeuteten Gesichtspunkte betreffend die
-ruinöse Konkurrenz und das Mißtrauen des Kapitals, von dem gerade die
-Elektrizitätsindustrie in den letzten Jahren außerordentlich verwöhnt
-worden war, ausgesponnen und daneben noch andere negative Momente,
-so die langsame Verwirklichung der von der Elektrizitätsindustrie
-mit Ungeduld erwarteten Elektrisierung der Vollbahnstrecken, in dem
-Geschäftsbericht der Elektrobank für das Jahr 1900/01 geschildert:
-
- „Die von kompetenten Fachleuten schon vor geraumer Zeit gemachte
- und geäußerte, anfänglich aber vielfach bestrittene Wahrnehmung,
- daß die Konjunktur in der elektrischen Industrie für einmal
- ihren Höhepunkt erreicht habe, hat durch den Geschäftsgang in
- dem Zeitraum, über welchen wir Bericht und Rechnung zu erstatten
- haben, eine Bestätigung gefunden, welche an der Richtigkeit
- dieser Tatsache heute wohl niemanden mehr zweifeln läßt. Zwar
- sind wenigstens die größeren Etablissements der elektrischen
- Industrie noch immer befriedigend beschäftigt. Aber der Bau
- neuer elektrischer Anlagen, sowohl für Beleuchtung, als für
- Straßenbahnen und für Kraftübertragung, hat doch insofern eine
- fühlbare Einschränkung erfahren, als es den Unternehmerfirmen nicht
- mehr so leicht gemacht ist, durch gleichzeitige Finanzierung der
- zu erstellenden Werke sich vorteilhafte Bestellungen zu sichern:
- Das Kapital drängt sich zu Anlagen in elektrischen Werten nicht
- mehr so heran, wie vor einigen Jahren. Das hat zur Folge, daß die
- Konstruktionsfirmen diejenigen Aufträge bevorzugen, welche für
- sie keine finanziellen Leistungen involvieren, selbst wenn die
- dabei zu erzielenden Preise weniger günstig sind. Daneben kommt
- das eigentliche Fabrikationsgeschäft, welches sich die Erzeugung
- der vielfältigen Verbrauchsgegenstände für die bereits bestehenden
- Anlagen zur Aufgabe stellt, immer mehr zur Geltung. Die Zeit muß
- lehren, ob alle die großen Konstruktionsunternehmungen, welche die
- elektrische Industrie namentlich in Deutschland und der Schweiz
- zu so hoher Blüte gebracht haben, auch auf dieser reduzierten
- Basis genügende und lohnende Beschäftigung finden, namentlich
- wenn neben der gegenseitigen inländischen auch die ausländische,
- speziell amerikanische Konkurrenz in der Folge sich noch intensiver
- geltend machen sollte. Jedenfalls ist die heutige Situation ein
- Ansporn, allen Bestrebungen, welche neue Arten der Verwendung der
- elektrischen Energie zu finden bezwecken, die größte Aufmerksamkeit
- zu widmen. Angesichts der unbestrittenen Höhe, welche die
- Leistungsfähigkeit unserer elektrischen Industrie, wissenschaftlich
- und praktisch, erreicht hat, darf man zuversichtlich hoffen, daß
- es ihr gelingen wird, die Aufgabe zu lösen, der Elektrizität
- Anwendung auf immer weiteren Gebieten zu sichern und sich damit
- die Möglichkeit ausreichender Tätigkeit auch in Zukunft zu wahren.
- So dürfte eine neue, der frühern nahekommende Blütezeit für die
- elektrische Industrie namentlich dann zu erwarten sein, wenn
- es gelingen sollte, das Problem eines rationellen elektrischen
- Vollbahn-Betriebes endgültig zu lösen, ein Problem, welches
- namentlich für kohlenarme, aber wasserkraftreiche Länder, wie die
- Schweiz, von sehr großer Bedeutung ist und bleiben wird.
-
- Für unsere Bank ist der eingetretene Unterbruch in der mehrjährigen
- glänzenden Entwicklung der Elektrizitätsbranche bis jetzt nur
- insofern von Einfluß gewesen, als auch wir uns mehr mit unseren
- bisherigen Geschäften und deren weiteren Forderung, als mit neuen
- Unternehmungen abgegeben haben.“
-
-Das Jahr 1901/1902 bringt noch eine Vertiefung der Krisis. Die
-Dividende der A. E. G. sinkt bis auf 8% und neben der Kritik
-der äußeren Dinge wird auch die Selbstkritik schärfer, wird die
-Notwendigkeit anerkannt, aus den begangenen Fehlern und Irrtümern zu
-lernen, aber doch zugleich eingestanden, daß ein Ende des Niederganges
-noch nicht abzusehen und eine volle Erkenntnis der Heilmittel noch
-nicht möglich ist. Lassen wir wieder den Geschäftsbericht in Rathenaus
-diesmal besonders scharf geprägten Worten sprechen:
-
- „Wie der wirtschaftliche Aufschwung des letzten Jahrzehntes sich um
- die aufblühende elektrotechnische Industrie konzentrierte, so steht
- diese in der gegenwärtigen Periode im Mittelpunkte des allgemeinen
- Niederganges; ja es darf heute kaum mehr geleugnet werden, daß
- die elektrische Krisis eher eine der Ursachen als eine Folge der
- wirtschaftlichen Gesamterkrankung darstellt.
-
- Die Ursachen der Krisis waren übermäßige Investitionen bei
- Betriebsunternehmungen, die weder mit der Kapitalskraft des
- Landes noch mit den landesüblichen Ansprüchen an Verzinsung im
- Einklang standen, mangelhafte Prüfung und Überkapitalisation
- dieser Unternehmungen; ungerechtfertigte +Erweiterung der
- Fabrikationsstätten+ auf Grund der +Aufträge+, die aus +Lieferung
- für eigene Unternehmungen stammten+ und daher nur einmalige
- waren, Ausbreitung der Geschäfts- und Verkaufsorganisationen über
- dasjenige Maß hinaus, das durch die Basis der Fabrikation gegeben
- war.
-
- Die Bedeutung und Zukunft der Elektrotechnik als Faktor des
- modernen Lebens wird durch die Kalamität der Industrie nicht
- verringert; im Gegenteil ist zu erwarten, daß die durch Besorgnis
- gesteigerte Emsigkeit neue Gebiete und neue Anwendungen erschließen
- und die Kenntnis und Beherrschung der vorhandenen erweitern wird.
- Wenn auch diese Rückwirkung der elektrotechnischen Industrie zugute
- kommen wird, eine Gesundung wird schwerlich sofort erfolgen. Fürs
- erste handelt es sich darum, dem vorhandenen Zustand ins Auge zu
- sehen und das Mißverhältnis zwischen Produktionsfähigkeit und
- Konsum rückhaltlos zu konstatieren. Dies wird dem Kapitalisten
- heute leichter sein als vor einem Jahre, nachdem inzwischen
- vielfach Ergebnisse und Bewertungen in scharfen Kontrast zu
- mannigfachen hoffnungsvollen Erklärungen und Voraussagen getreten
- sind. Welche Mittel zu ergreifen sein werden, um unsere Industrie
- zu konsolidieren, haben wir wiederholt ausgesprochen. Ein engeres
- Zusammenschließen der großen Firmen wird sich kaum vermeiden
- lassen, wenn die Verkaufspreise der Erzeugnisse wieder auf ein
- der Fabrikation lohnendes Niveau gebracht werden sollen. Daß aber
- eine Beschleunigung des Zusammenschlusses leicht zu Übereilungen
- führen könnte, scheint uns durch die Tatsache erwiesen, daß noch
- im +Verlauf des letzten Jahres+ erhebliche +Verschiebungen in der
- relativen Bewertung der einzelnen Unternehmungen+ stattgefunden
- haben und anscheinend dauernd sich vollziehen. Schon aus diesem
- Grunde scheint uns ein klares Erfassen der Situation die
- nächstliegende Vorbedingung für spätere Sanierung.“
-
-Noch pessimistischer klingt’s im Geschäftsbericht der Elektrobank:
-
- „Der Rückschlag auf dem Gebiete der Elektrizitätsindustrie,
- der sich schon im Vorjahre als recht intensiv erwies, hat
- im Berichtsjahre leider weitere Fortschritte gemacht, und
- es ist noch nicht abzusehen, wann die rückläufige Bewegung
- einem wiederkehrenden Aufschwunge weichen wird. Speziell das
- Unternehmergeschäft, das für Institute, wie das unsrige,
- in erster Linie in Betracht fällt, hat an Umfang noch mehr
- eingebüßt. Zweifelsohne trägt daran die allgemeine Depression
- der wirtschaftlichen Lage in Europa, welche durch den ungewissen
- Ausgang der Verhandlungen über den Abschluß neuer Zoll- und
- Handelsverträge noch verstärkt wird, eine Hauptschuld. Daneben
- wirkt aber mit, daß die Anlagen auf dem Gebiete der elektrischen
- Zentralstationen und Straßenbahnen, soweit es sich wenigstens
- um hinsichtlich ihrer Ertragsfähigkeit gerechtfertigte Projekte
- handelt, in den hierfür einstweilen in Betracht fallenden Ländern
- zum guten Teil bereits ausgeführt sein dürften. Eine weitere
- Betätigung nach dieser Richtung wird sich also entweder auf
- entferntere, politisch und wirtschaftlich weniger entwickelte
- Länder erstrecken oder durch eine Verbilligung der Anlagekosten
- und des Betriebes die Vorteile der elektrischen Beleuchtung
- und Traktion auch solchen Gemeinwesen zugänglich zu machen
- suchen müssen, die man für derartige Einrichtungen bis anhin
- nicht als genügend lohnende Objekte betrachten konnte. Wohl hat
- sich die deutsche und schweizerische Elektrizitätsindustrie
- auch schon wiederholt an große ausländische Beleuchtungs- und
- Transport-Unternehmungen herangemacht, und wir selbst haben
- uns finanziell an solchen interessiert; die Frage bleibt aber
- noch offen, ob namentlich die daherige überseeische Tätigkeit
- überall eine mit den vermehrten Risiken aller Art im Einklang
- stehende Entlohnung dabei findet. Und was die Ausdehnung
- elektrischer Einrichtungen im Beleuchtungs- und Traktionswesen
- auf wirtschaftlich minder entwickelte Gemeinwesen anbetrifft, so
- scheint man auch da schon jetzt oft bis an die äußerste Grenze des
- Berechtigten gegangen zu sein.
-
- Solange die Elektrizitäts- und deren Hilfsgesellschaften über,
- wie es damals schien, unerschöpfliche Geldmittel verfügten,
- wurden die ihnen sich bietenden Unternehmungen häufig mit einem,
- den tatsächlichen Verhältnissen widersprechenden Optimismus
- eingeschätzt, und die an der Erteilung von Konzessionen
- interessierten Organe nahmen nicht selten zum eigenen Nachteil
- keinen Anstand, Bewerber nur deshalb zu bevorzugen, weil sie
- glänzende Zugeständnisse machten und hohe Erträge in Aussicht
- stellten. Nach dieser Richtung wird die jetzt zuweilen beklagte
- Zurückhaltung des Kapitals Wandel schaffen, indem es die
- Bedingungen des Zustandekommens und die Chancen neu zu schaffender
- Elektrizitätsunternehmungen sorgfältiger prüft als bisher.
- Andererseits werden aber auch die Kreise, welche die Hebung der
- Gemeinden und die Förderung des Verkehrs durch Einführung von
- elektrischem Licht und elektrischen Bahnen mit fremden Mitteln
- anstreben, im eigenen Interesse auf die zukünftige Prosperität
- dieser Schöpfungen bedacht sein und den privaten Unternehmungen
- durch Gewährung günstiger Bedingungen das mit Übernahme derselben
- verbundene Risiko erleichtern müssen.
-
- Unter den gegenwärtigen Verhältnissen liegt einstweilen nach
- wie vor das Schwergewicht der Tätigkeit der großen elektrischen
- Konstruktionsfirmen in der Fabrikation aller Einrichtungen für
- den täglichen, laufenden Gebrauch und Verbrauch der elektrischen
- Bedarfsgegenstände aller Art. Hier aber zeigt sich immer mehr, daß
- die vorhandenen Fabrikationseinrichtungen für die gegenwärtigen
- Bedürfnisse mehr als genügend sind. Daraus resultiert ein ungemein
- intensiver Wettbetrieb und ein Preisniveau für die Erzeugnisse,
- das kaum mehr den richtigen industriellen Nutzen läßt. Daß
- dabei diejenigen Gesellschaften, welche in den guten Zeiten auf
- möglichst hohe Rücklagen und Abschreibungen Bedacht genommen
- und vor allem für die höchste technische Vervollkommnung ihrer
- Fabrikationseinrichtungen Sorge getragen haben, im Konkurrenzkampf
- am günstigsten dastehen, ja vielleicht diesen allein zu überdauern
- vermögen, ist selbstverständlich. Vielleicht wird auch für
- unsere europäischen Elektrizitäts-Gesellschaften ein engerer
- Zusammenschluß nach amerikanischem Vorbild zur Notwendigkeit, bei
- dem die weniger günstig produzierenden Anlagen einstweilen zum
- Stillstand verurteilt werden könnten, bis die Verhältnisse sich
- wieder gebessert haben werden. Aber wenn auch verschiedene Gruppen
- ihre Interessen vereinigen, so wird eine durchgreifende Besserung
- erst allmählich und in dem Maße eintreten, wie die heutigen
- Anwendungsarten der elektrischen Industrie auf neue Gebiete sich
- erweitern. Wird auch in dieser Richtung unablässig gearbeitet,
- und dürfen wir auch in die Fähigkeit, Intelligenz und Energie der
- Vertreter unserer elektrischen Wissenschaft und Praxis für die
- Zukunft alles Zutrauen haben, so müssen wir doch zugestehen, daß
- speziell im abgelaufenen Jahr neue, epochemachende Erfindungen auf
- elektrischem Gebiete nicht gemacht, auch längst anhängige wichtige
- Probleme, wie insbesondere der elektrische Vollbahnbetrieb, sehr
- weit nicht gefördert worden sind.“
-
-Doch gerade hier werden die Interessenten nicht ohne Hoffnungsschimmer
-entlassen:
-
- „So düster das vorstehend entworfene Bild sein mag, so fehlen
- doch auch gewisse Lichtblicke nicht, die leicht eine Wendung zum
- Besseren einleiten könnten: Die starke Verbilligung vieler für die
- Elektrotechnik wichtiger Rohmaterialien, insbesondere von Kupfer
- und Eisen, hat bereits mit zur Herabsetzung der Preise elektrischer
- Maschinen, Kabel usw. beigetragen und wird die Erstellung
- neuer elektrischer Einrichtungen, sowie die Ausdehnung des
- Anwendungsgebietes der elektrischen Energie zweifelsohne fördern.
- Auch die ganz außerordentliche Geldflüssigkeit, die sich seit
- längerer Zeit geltend macht, muß früher oder später das Kapital
- veranlassen, sich wieder eine höhere Verzinsung bei der Industrie
- zu suchen. Das kann auch der Elektrizitätsbranche zugute kommen.
- Wie bald, das ist freilich schwer vorauszusagen.“
-
-Das Jahr 1902/03 bringt endlich den ersten Schritt zur Lösung und
-Überwindung der Krise. Die Dividende der A. E. G. kann zwar noch nicht
-wieder über 8% hinaus erhöht werden, aber bei der Elektrobank und der
-Elektrizitäts-Lieferungsgesellschaft werden Steigerungen von 6 auf 6½
-und 7 auf 7½% vorgenommen. Das Wesentlichste aber ist, daß das Mittel
-nicht nur gefunden, sondern auch zum erstenmal in durchgreifender
-Weise zur Anwendung gebracht wird, das den schlimmsten und am bösesten
-verwucherten Keim der Krisis, die Überproduktion und den ruinösen
-Konkurrenzkampf, zu ertöten geeignet ist. Dieses Mittel heißt
-+Konzentration+. Bis dahin in der Elektrizitätsindustrie mit ihren
-völlig dezentralisierenden, durch keinerlei Kontrollvereinbarungen
-abgedämpften Absatzmethoden völlig unbekannt, ergriff der Gedanke der
-Konzentration diese Industrie, geboren aus der Not des Zusammenbruches
-und der Kraft des Kontrastes, nun stärker als jedes andere Gewerbe,
-die Macht der Schwachen völlig erschütternd, die der Starken aus der
-Erbschaft jener außerordentlich mehrend. Er hat die ganze Entwickelung
-des folgenden Jahrzehntes beherrscht, aber auch diesen ganzen
-Zeitraum gebraucht, um die Reste der früheren individualistischen
-Entwicklungsära völlig aufzusaugen und zu verdauen. Bevor wir diesen
-Weg weiterverfolgen, wird es notwendig sein, zu untersuchen, wie sich
-die Situation der +gesamten Industrie+ in dem Hexenkessel der Krisis
-gestaltet und verändert hat. Was wir bisher von ihr gesehen haben, war
-aus dem Spiegel der A. E. G. zurückgeworfen und gab -- abgesehen von
-subjektiv gefärbten, übrigens immerhin zurückhaltenden Darstellungen
-der Lage des Allgemeingewerbes -- nur die Wirkungen auf das A. E.
-G.-Unternehmen selbst wieder. Dieses Bild muß durch die Schicksale der
-anderen in der Industrie tätigen Unternehmungen, ihre Ursachen und ihre
-Folgen, ergänzt werden. Erst dann wird das Verständnis der Krise und
-das Verständnis ihrer Überwindung ganz erschlossen werden können.
-
-Wie wirkte nun der Niedergang auf die übrigen Unternehmungen der
-Elektrizitätsindustrie? -- Wenden wir uns zunächst zu der Firma
-+Siemens & Halske+, die erst im Jahre 1897 -- nach dem Tode Werner
-Siemens -- in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden war. Das
-Kapital dieser Gesellschaft hatte bei der Gründung 35 Millionen Mark
-betragen, hatte also genau dieselbe Höhe wie das damalige Aktienkapital
-der A. E. G., auf das allerdings zu jener Zeit nur 32586000 Mark
-eingezahlt waren. In den Jahren 1898 und 1899 trug die Gesellschaft
-dem stürmischen Expansionstempo in der Elektrizitätsindustrie durch
-Erhöhungen von je 5 Millionen Mark Rechnung, und im April 1900, also
-in einer Zeit, in der der kluge und vorsichtige Emil Rathenau bereits
-warnend von der schwindenden Zuversicht in die Konjunktur sprach und
-sich wohlweislich hütete, den Kapitalmarkt noch in Anspruch zu nehmen
-(nachdem er sich allerdings vorher zu geeigneter Zeit reichlich mit
-Mitteln versehen hatte), erfolgte bei Siemens & Halske noch eine
-dritte größere Kapitalvermehrung um 9500000 Mark. Die Aktien wurden
-allerdings nur teilweise -- in Höhe von 4,5 Millionen Mark -- auf dem
-Kapitalmarkt untergebracht, 5 Millionen Mark übernahm die Familie
-Siemens, die der Aktiengesellschaft dafür Aktien der Siemens Brothers
-& Co. in London und der russischen elektrotechnischen Werke Siemens &
-Halske überließ. Damit war das Kapitalbedürfnis der Siemens & Halske
-Akt.-Ges. in jener Zeit der Hochspannung aber noch keineswegs gedeckt.
-Im Jahre 1898 wurde eine Obligationenanleihe von 20 Millionen Mark, im
-Jahre 1900 eine weitere von 10 Millionen Mark aufgenommen. Auch auf dem
-Gebiete des Obligationenkredits hatte Emil Rathenau seine Bedürfnisse
-in jener vor-kritischen Periode niedriger zu halten verstanden und
-im Jahre 1900 eine Anleihe von 15 Millionen Mark, also nur die Hälfte
-der von Siemens & Halske beanspruchten Obligationen-Mittel ausgegeben.
--- Die Folge der von Siemens & Halske gerade in der kritischen Zeit
-auf sich genommenen neuen Zinslasten war, daß dieses alte, historisch
-und technisch viel tiefer als die A. E. G. verwurzelte Unternehmen
-dennoch von der Krisis schärfer angefaßt wurde als die jüngere
-Konkurrenzgesellschaft. Die Aktiengesellschaft Siemens & Halske,
-die in den ersten beiden Jahren ihres Bestehens Dividenden von 10%
-ausgeschüttet hatte, mußte im Jahre 1900/01 auf 6%, im Jahre 1901/02
-sogar auf 4% heruntergehen, zum Teil auch deswegen, weil sie das
-Unternehmer- und Beteiligungsgeschäft, das bei der A. E. G. schon durch
-jahrelangen Ausbau gefestigt worden war, erst in den letzten Jahren
-vor der Krisis eingerichtet, und infolgedessen noch nicht hinlänglich
-geschützt hatte.
-
-Immerhin hielt sich die Siemens & Halske Akt.-Ges. naturgemäß doch ganz
-anders als die übrigen Elektrizitätsunternehmungen, die der zweiten
-und dritten Kategorie angehörten. Sie blieb nicht nur lebenskräftig
-und unerschüttert, sondern auch aufnahmefähig zur Übernahme
-schwachgewordener Elemente der Elektrizitätsindustrie und konnte,
-gestützt auf ihren unverwüstlichen Fundus, trotz einer nicht gerade
-elastischen, sondern eine freie Bewegung erschwerenden Organisation
-an der gewaltigen Konzentrationsbewegung, die nach Überwindung
-der Krisis einsetzte, mit erstaunlicher Aktivität teilnehmen. Für
-alle anderen Unternehmungen, -- mit Ausnahme der A. E. G. und der
-Siemens & Halske-Akt.-Ges. -- waren die destruktiven Einwirkungen
-der Krisis aber derart schwer, daß sie nicht nur von dem akuten
-Rückschlag in ihren Grundfesten erschüttert wurden, sondern auch die
-Reorganisationskraft für alle Dauer einbüßten. Bei ihnen wurden --
-ob nun die volle Schwere der Krisis sogleich, oder erst später nach
-außenhin hervortrat -- nicht nur die Bezirke an der Peripherie, sondern
-der Lebensnerv von der Krisis getroffen. Zum offenen Zusammenbruch
-kam es sofort bei der +Elektrizitätsgesellschaft vormals Schuckert in
-Nürnberg+, bei der +Akt.-Ges. Elektrizitätswerk (vorm. O. L. Kummer)+
-in +Dresden+ und bei der +Helios-Akt.-Ges. für Elektrizität+ in
-+Köln+. Die Schuckert-Gesellschaft in Nürnberg war -- wie wir schon
-gesehen haben -- ein Unternehmen, das eine ausgezeichnete technische
-Leistungsfähigkeit und einen vorzüglichen Ruf in der Fachwelt besaß
-und sich diese auch trotz aller späteren Fehlschläge und Mißerfolge,
-die sie auf organisatorisch-finanziellem Gebiet erlitt, bewahren
-konnte. Ihre Anfänge und die Persönlichkeit ihres grundtüchtigen
-Gründers haben wir bereits an früherer Stelle geschildert, und
-späterhin auch gesehen, wie sich die Firma in den achtziger und am
-Anfang der neunziger Jahre die vertragliche Gebundenheit der A. E.
-G. und der Siemens & Halske-Ges. im Zentralenbau derart zunutze zu
-machen verstand, daß sie zeitweilig mehr Elektrizitätswerke bauen
-konnte, als die beiden Berliner Unternehmungen zusammen. Ihre
-Dynamomaschinen besaßen vorzügliche technische Eigenschaften, auf dem
-Gebiete der kombinierten Bogen- und Glühlichtbeleuchtung gelangen
-ihr treffliche Konstruktionen. Bereits in den Jahren 1883-1886 baute
-die Gesellschaft elektrische Straßenbahnen (zwischen Schwabing bei
-München und Ungarbad) und Industriebahnen (bei Rosenheim). 1887, also
-wenige Jahre nach der Errichtung der Berliner Elektrizitätswerke,
-wurde in Lübeck die erste Elektrizitätszentrale von Schuckert gebaut,
-seine Scheinwerferkonstruktionen (mit parabolischen Spiegeln) wurden
-zeitweilig in der deutschen Marine ausschließlich verwendet. Kurzum
-eine Zeitlang hatte es den Anschein, als ob die Gesellschaft sich als
-drittes großes Gestirn neben der A. E. G. und Siemens & Halske am
-Elektrizitätshimmel dauernd behaupten würde. Der gesellschaftliche
-Entwickelungsgang des Unternehmens führte im Jahre 1888 zur Bildung
-einer Kommanditgesellschaft mit einem Kapital von 2 Millionen Mark,
-an der neben Johann Siegismund Schuckert auch Hugo Ritter von Maffei
-von der Maschinenfabrik Maffei in München, die Maschinenfabrik
-Augsburg-Nürnberg und der A. Schaaffhausensche Bankverein beteiligt
-waren. In demselben Jahre wurde die Elektrotechnische Fabrik
-Spieker & Co. in Köln aufgenommen. Im Jahre 1893, also in demselben
-Jahre, in dem sich die A. E. G. endgültig von Siemens & Halske frei
-machte, erfolgte die Umwandlung des Schuckert-Unternehmens in eine
-Aktiengesellschaft, an der auch die Firma Felten & Guilleaume, die
-in Mülheim am Rhein ein Kabelwerk betrieb, Anteil nahm. Das Kapital
-betrug 12 Mill. M., es wurde im Jahre 1896 bereits auf 18 Mill.
-M., im Jahre 1897 weiter auf 22,5 Mill. M. erhöht, wobei ein Teil
-der jungen Aktien zu dem hohen Kurse von 265% an die Firma Gebr.
-Naglo als Kaufpreis für deren Fabrikunternehmen gegeben wurde; im
-Jahre 1898 stieg das Kapital weiter auf 28 Millionen Mark und im
-Jahre 1899 auf 42 Millionen Mark, bei welcher Gelegenheit das noch
-im Umlauf befindliche Kapital der +Continentalen Gesellschaft für
-elektrische Unternehmungen+, der Trust- und Beteiligungsgesellschaft
-des Schuckert-Konzerns, erworben wurde. Anleihen von 10, 10 und 15
-Millionen Mark wurden in den Jahren 1898, 1899 und 1901 aufgenommen
-und standen in schlechtem Verhältnis zu der Höhe des Aktienkapitals.
-Die bald nach der Aktiengründung einsetzende Periode der schnellen
-Expansion hatte der ruhige und solide, allen phantastischen Plänen
-abholde Joh. Siegismund Schuckert, der, solange er lebte, die
-technische Seele und das Gewissen des Unternehmens gewesen war, nicht
-mehr miterlebt. An seine Stelle trat Alexander Wacker, der zuerst die
-Generalvertretung der Firma Schuckert für Mittel- und Norddeutschland
-innegehabt, dann mit der zunehmenden Ausdehnung des Geschäfts die
-kaufmännische Leitung in Nürnberg übernommen hatte. Alexander Wacker
-schloß sich der Hochkonjunktur in der Elektrizitätsindustrie mit vollen
-Segeln an. Er nahm das Unternehmergeschäft nach Rathenauschem System
-auf und betrieb die fabrikatorische Expansion in großem Stile. Die
-Dividenden der Gesellschaft steigerten sich schnell von 9 auf 15%,
-bei den Kapitaltransaktionen wurde das sich aus den hohen Dividenden
-ergebende Agio des Aktienkurses bis zur letzten Neige ausgenutzt, ohne
-daß dabei aber auf die innere Stärkung des Unternehmens Rücksicht
-genommen worden wäre. Die hohen offenen Agio-Reserven vermochten das
-Unternehmen nicht vor dem Niederbruch zu bewahren. Für das Jahr 1900/01
-war im Geschäftsbericht noch eine Dividende von 10% vorgeschlagen.
-Weil aber als Folge des Krachs der Leipziger Bank 4,2 Millionen Mark
-für den Erwerb von Aktien der Bosnischen Elektrizitätswerke seitens
-der Gesellschaft sofort zu zahlen waren, die nach den ursprünglichen
-Abmachungen erst in 2 Jahren hätten fällig sein sollen, wurde die
-Dividendenzahlung von der Generalversammlung sistiert. 714602 Mark
-Unkosten und Disagio aus der Begebung der letzten noch im Krisisjahre
-1901 aufgenommenen Anleihe von 15 Millionen Mark belasteten überdies
-den Abschluß, die Erträgnislosigkeit der Continentalen Gesellschaft
-für elektrische Unternehmungen beeinträchtigte ihn weiterhin. Die
-Vorgänge bei der Gesellschaft wurden im Bayerischen Abgeordnetenhause
-einer abfälligen Kritik unterzogen, was die geschäftliche Entwickelung
-natürlich keineswegs förderte. Im Jahre 1901/02 fiel der Umsatz von
-72 auf 49 Millionen Mark und das Resultat dieses Jahres gipfelte nach
-Aufzehrung des Gewinnvortrages von 5549689 Mark in einem Verlust von
-nicht weniger als 15399317 Mark, durch den auch der Reservefonds in
-Anspruch genommen wurde. Die Gesellschaft war in ihren Grundlagen
-erschüttert und „fusionsreif“ geworden.
-
-Ganz ähnlich entwickelten sich die Verhältnisse bei der
-+Kummer-Gesellschaft+. Sie war als Aktiengesellschaft im
-Jahre 1894 errichtet worden und aus der Firma O. L. Kummer, die
-in den achtziger Jahren durch den Marineingenieur gleichen Namens
-gegründet worden war, hervorgegangen. Auch hier eine stürmische
-Kapitalssteigerung von 1,5 Millionen Mark auf 2,5 Millionen Mark im
-Jahre 1896, auf 4,5 Millionen Mark im Jahre 1897, auf 7,5 Millionen
-Mark im Jahre 1898, auf 10 Millionen Mark im Jahre 1899, hohe
-Dividenden bis zu 10%, Ausnutzung des Aktienkurses zur Agiotage
-und eine über den engen Rahmen des Unternehmens weit hinausgehende
-Beteiligung am Unternehmergeschäft. Am 31. Dezember 1900 waren die
-offenen Schulden einschließlich der Bankschulden infolge des in den
-letzten Jahren schon verringerten Emissionskredites bis auf 9150239
-Mark angewachsen, erreichten also fast die Höhe des Aktienkapitals.
-Die von den Gesellschaftern beabsichtigte Geldbeschaffung zur
-Finanzierung schwebender Projekte auf dem Gebiet des Bahnen- und
-Zentralenwesens konnte nicht mehr durchgeführt werden, nachdem
-die Begebung einer Obligationenanleihe von 2,5 Millionen Mark nur
-teilweise geglückt war. Zuerst glaubte die Verwaltung mit einer
-Sistierung der Dividendenzahlungen über die Krisis hinwegzukommen.
-Der Geschäftsbericht für das Jahr 1900 berichtet sogar noch über
-die Schaffung von Ingenieurbureaus in Hannover, Bielefeld, München,
-Breslau und von mehreren in Japan und China errichteten Vertretungen.
-Bald aber wurde es klar, daß die Verhältnisse des Unternehmens nicht
-ohne Sanierung zu ordnen waren, doch auch dieser Ausweg war nach
-kurzer Zeit nicht mehr gangbar. Die Situation verschlimmerte sich
-rapide. Das Finanzinstitut, auf das sich die Gesellschaft seit ihrer
-Gründung gestützt hatte, die Creditanstalt für Industrie und Handel,
-geriet selbst in Schwierigkeiten, und es schwand die Möglichkeit, mit
-seiner Hilfe die Sanierung durchzuführen. Anderweitig eingeleitete
-Verhandlungen zerschlugen sich und am 15. Juni 1901 mußte wegen
-Zahlungsunfähigkeit der +Konkurs+ über die Gesellschaft eröffnet
-werden. Aus ihren Trümmern entstand späterhin auf gänzlich neuer
-Grundlage die Sachsenwerk-Akt.-Ges., ein Elektrizitätsunternehmen, das
-sich sehr langsam zu einer mäßigen Rentabilität entwickelte, bis ihm
-die Kriegskonjunktur zu außerordentlich günstigen Verhältnissen verhalf.
-
-Ein ähnliches Schicksal erlebte die +Helios
-Elektrizitäts-Akt.-Ges.+ Ihr Ursprung geht zurück auf die im Jahre
-1882 mit 200000 Mark Aktienkapital gegründete Kommanditgesellschaft
-für elektrisches Licht und Telegraphenbau P. Berghausen in Köln. Im
-Jahre 1884 wurde diese Firma mit einem Kapital von 1 Million Mark in
-eine Aktiengesellschaft umgewandelt; 1886 erfolgte eine Erhöhung auf
-2 Millionen Mark, 1890 eine zweite auf 3,1 Millionen Mark. Das Jahr
-1894 führte zu einer Sanierung des Unternehmens durch Herabsetzung
-des Kapitals auf 2056000 Mark, das Jahr 1895 bereits wieder zu
-einer Erhöhung auf 3 Millionen Mark. Nunmehr geht es wie bei allen
-übrigen Gesellschaften im stürmischen Tempo weiter. Das Jahr 1897
-sieht sogar zwei Kapitalerhöhungen, um 1 und 4 Millionen Mark, das
-Jahr 1898 eine Erhöhung um 2 Mill. M. und das Jahr 1899 schließlich
-eine solche um 6 Millionen Mark, so daß das Kapital der Gesellschaft
-beim Ausbruch der Krisis auf 16 Millionen Mark angewachsen war.
-Daneben wurden in den Jahren 1896 und 1898 Obligationsanleihen von
-1 und 3 Millionen Mark, im Jahre 1900 eine solche von 10 Millionen
-Mark und im Jahre 1901 noch eine von 6 Millionen Mark aufgenommen.
-Dividenden von 11 und 12% stützten das auf so schmaler Grundlage
-hochgetürmte Kapitalgebäude eine Zeitlang. Die Gesellschaft war in ganz
-besonders starkem Maße bestrebt, das Rathenausche Unternehmergeschäft
-nachzuahmen und sie schuf sich zu seiner Unterstützung eine ganze
-Reihe von Finanz- und Beteiligungsgesellschaften, so die Akt.-Ges. für
-Elektrizitätsanlagen in Köln, die Bayerische Elektrizitäts-Ges. Helios,
-die Elektrizitätsgesellschaft Felix Singer in Berlin, die Bank für
-elektrische Industrie in Wien. Aber die Krisis warf alle diese Gebilde
-über den Haufen. Die Betriebe und Tochterunternehmungen vermochten den
-Anprall des Konjunkturrückschlages nicht auszuhalten, das Jahr 1900/01
-schloß mit einer Unterbilanz von 4906417 Mark, die im folgenden Jahre
-auf 8853094 Mark stieg. Eine im Jahre 1902 beschlossene Sanierung
-konnte das Unternehmen nicht lebensfähig machen, das Jahr 1903/04 ergab
-eine neue Unterbilanz von 5283953 Mark und die Gesellschaft mußte in
-Liquidation treten, nachdem mit den Obligationären und Bankengläubigern
-ein kompliziertes Abkommen zur Rettung der Masse getroffen worden war
-und die großen Elektrizitätskonzerne eine Anzahl von Beteiligungen
-übernommen hatten.
-
-
-Nicht ganz so scharf wie die vorstehend geschilderten Unternehmungen
-wurden einige andere von der Krisis gefaßt, wenigstens gelang
-es ihnen, den offenen Zusammenbruch zu vermeiden. Die +Union
-Elektrizitäts-Akt.-Ges.+ in Berlin, die im Jahre 1892 gegründet worden
-war, verdankt ihre Existenz starken Kapital- und Industriekräften, die
-allerdings damals noch bei weitem nicht die Bedeutung und Macht erlangt
-hatten, die sie heute besitzen. An ihrer Gründung waren beteiligt die
-Akt.-Ges. Ludw. Loewe & Co. in Berlin, die damals noch außer ihrer
-Werkzeugmaschinenfabrik die später auf die Deutschen Waffen- und
-Munitionsfabriken übergegangene Waffenfabrik Martinikenfelde besaß,
-ferner die Dresdner Bank, die Firma Thyssen & Co. in Mülheim, deren
-Industriemacht zu jener Zeit gleichfalls noch nicht so entwickelt war
-wie jetzt, schließlich die Thomson Houston Electric Co. in Boston,
-die im Jahre 1892 aus einer Fusion zwischen der Thomson Houston
-Co. mit der -- uns schon aus den Rathenauschen, allerdings nur
-vorübergehend geknüpften Beziehungen bekannt gewordenen -- General
-Edison Electric Co. hervorgegangen war. Die beiden Hauptgründer, die
-Firma Ludw. Löwe und die Thomson Houston Electric Co. hatten mit der
-Errichtung der „Union“ ganz bestimmte Zwecke verfolgt und daher das
-junge Unternehmen durch langfristige Verträge an sich gefesselt. Löwe
-sicherte sich -- ähnlich wie dies in dem Vertrage zwischen Siemens
-& Halske und der Deutschen Edison-Ges. der Fall gewesen war -- bei
-der neuen Gesellschaft auf 25 Jahre ein Monopolrecht für den Bau und
-die Lieferung aller von ihr benötigten elektrischen Maschinen, die
-Firma Thomson Houston Electric Co. übertrug der Union ihre bekannten
-und ausgezeichneten Straßenbahnbau-Patente, nach denen bis zum Jahre
-1897 etwa 70% aller elektrischen Straßenbahnen in Amerika und 50%
-aller europäischen Straßenbahnen gebaut waren. Dem Straßenbahnbau
-widmete sich die junge Gesellschaft auch vornehmlich und auf diesem
-Gebiete übertraf sie bald die anderen, auch die größten deutschen
-Elektrizitätsgesellschaften in dem Umfang ihrer Tätigkeit. Ihr eigenes
-Anfangskapital war nur klein, es betrug 1,5 Millionen Mark. Da ihre
-Fabrikation nur gering war und der Straßenbahnbau, ihr Spezialfach,
-sie hauptsächlich auf das Unternehmergeschäft hinwies, gliederte
-sie sich schon im Jahre 1894 in der „Gesellschaft für elektrische
-Unternehmungen“ ein Finanzunternehmen an, das mit dem Zehnfachen ihres
-Kapitals, nämlich 15 Millionen Mark, arbeitete. Bald aber wurde auch
-die Union E. G. von dem Expansionstaumel in der Elektrizitätsindustrie
-erfaßt. Ihr Aktienkapital wurde im Jahre 1896 auf 3 Millionen Mark,
-und bis zum Jahre 1900 in schnellen Sprüngen auf 24 Millionen Mark
-gesteigert. Daneben wurden noch 10 Millionen Mark Obligationen
-aufgenommen. Auch diese Gesellschaft vermochte es in der kurzen Zeit
-ihrer Schnellentwickelung nicht zu einer soliden inneren Durchbildung
-zu bringen. Ihre Dividenden von 12% gingen im Jahre 1899/1900 auf 10%,
-im nächsten Jahre auf 6% und in 1901/02 auf 4% zurück. Immerhin schien
-es, als ob diese Gesellschaft die Krisis besser überwinden würde als
-manche anderen Unternehmungen der Industrie, ja sie benutzte sogar die
-Zeit stillerer Beschäftigung, um die maschinellen Einrichtungen ihrer
-Fabrik durch Einführung besonders trefflicher Werkzeugmaschinen und
-vorteilhafte Anordnung und Anwendung „in einer Weise zu vervollkommnen,
-wie sie ihresgleichen kaum finden.“ (Geschäftsbericht für 1900/01.)
-Aber gerade die Kosten dieser inneren Umwälzung und die drückende Bürde
-des schlechtrentierenden Effektenbesitzes, den die Gesellschaft im
-Gegensatz zur A. E. G. nicht durch Vornahme innerer Abschreibungen auf
-einen gefahrlos niedrigen Stand herabgeschrieben hatte, und der daher
-in der Krisis immer weitere Kursabbuchungen verlangte, führte auch bei
-dieser Gesellschaft einen Schwächezustand herbei. Dieser veranlaßte
-sie, nachdem das Bilanzgleichgewicht bis in das Jahr 1901/02 künstlich
-aufrecht erhalten worden war, in dem Anschluß an die A. E. G. Hilfe zu
-suchen. Dem kritischen Prüferauge Emil Rathenaus hielt das notdürftig
-gezimmerte Bilanzgerüst nicht stand, und bevor die endgültige Übernahme
-der Union durch die A. E. G. erfolgte, mußte die Bilanz noch im
-Juni 1903 in einer Zwischenaufstellung einer gründlichen Säuberung
-unterzogen werden. Ein buchmäßiger Verlust von 2549933 Mark war das
-äußere Zeichen dieser verspäteten Krisen-Reaktion.
-
-Noch länger konnte die +Elektrizitätsgesellschaft vorm. Lahmeyer
-in Frankfurt a. M.+ den vollen Umfang der Schäden verschleiern,
-den ihr die Krisis verursacht hatte. Diese Gesellschaft führte ihren
-Ursprung zurück auf die im Jahre 1896 als offene Handelsgesellschaft
-gegründeten Deutschen Elektrizitätswerke Garbe, Lahmeyer & Co. Von
-dieser bezw. von dem Ingenieur W. Lahmeyer wurde im Jahre 1890 mit
-1,2 Millionen Mark Kapital die Kommanditgesellschaft W. Lahmeyer
-gegründet, die hauptsächlich große Dynamos bauen sollte. Diese Firma
-wieder errichtete im Jahre 1893 die „Elektrizitätsgesellschaft vorm.
-W. Lahmeyer in Frankfurt a. M.“ mit einem Kapital von 500000 Mark
-sowie die „Aktiengesellschaft für den Bau und Betrieb elektrischer
-Anlagen“, die eine für die Fabrikation, die andere für die Ausführung
-von Elektrizitätsanlagen. Später wurden beide Unternehmungen, da
-sich der getrennte Betrieb organisatorisch nicht bewährte, wieder
-miteinander fusioniert. Das Kapital der Gesellschaft, das im Jahre 1893
-1,7 Millionen Mark betrug, wurde 1896 auf 3 Millionen Mark, 1897 auf
-4 Millionen Mark, 1899 auf 6 Millionen Mark und 1900 auf 10 Millionen
-Mark erhöht. Im Jahre 1901 wurde das Aktienkapital gelegentlich
-der Angliederung der „Deutschen Gesellschaft für elektrische
-Unternehmungen“, der Finanzgesellschaft des Lahmeyer-Konzerns, auf
-rund 20 Millionen Mark erhöht, daneben wurden im Jahre 1898, 1901 und
-1902 Anleihen von 2, 4 und 10 Millionen Mark aufgenommen. Bei dieser
-Gesellschaft liegt also das Schwergewicht der Kapitalsvermehrung
-schon direkt in der Krisenzeit. Die Gesellschaft zahlte auch ihre
-Höchstdividende von 11% noch im Jahre 1899/1900, im Jahre 1900/01 ging
-sie auf 10% herab, und erst die beiden folgenden Jahre brachten die
-völlige Einstellung der Dividendenzahlungen. Das Jahr 1901/02 ergab
-einen Verlust von 2493871 Mark, das Jahr 1902/03 einen solchen von
-371698 Mark, wodurch der Reservefonds so gut wie vollständig aufgezehrt
-wurde. Wenn es dieser Gesellschaft gelang, die Bilanzreinigung
-länger als andere Unternehmungen hinauszuschieben, so war dies auf
-den Umstand zurückzuführen, daß eine verhältnismäßig gute, aber auf
-Kosten zu niedriger Konkurrenzpreise erreichte Beschäftigung und ein
-relativ befriedigender Geldbestand die latente Schwäche zeitweilig
-zu übertünchen gestatteten und die akute Gefahr hinausschoben.
-Auf die Dauer war eine derartige Bilanzierung aber natürlich nicht
-aufrechtzuerhalten. Auch die Verlustjahre 1901/02 und 1902/03 brachten
-keine wirkliche Gesundung. Eine im Jahre 1905 vorgenommene Vereinigung
-des Fabrikationsgeschäfts der Gesellschaft mit dem Kabelwerk Felten
-& Guilleaume in Mülheim am Rhein, einem in sich durchaus kräftigen
-und lebensfähigen Unternehmen, gestattete eine Aufrechterhaltung der
-Scheingesundheit für ein paar weitere Jahre. Erst im Jahre 1910 ließ
-sich die innere Schwäche der Gesellschaft nicht länger verbergen und
-die Gesellschaft fiel als Fusionsobjekt der A. E. G. anheim.
-
-Günstiger als diese Unternehmungen, die den großen führenden
-Konzernen nach zur Universalität in der elektrischen Fabrikation
-strebten und sich von Emil Rathenau auf das gefährliche Gebiet
-der Unternehmergeschäfte locken ließen, überstanden die
-guten elektrotechnischen Spezialfabriken die Krise der Jahre
-1900-1903. Kabel- und Drahtwerke, Apparatefabriken, Dynamowerke,
-Instrumentenfabriken, die ihre Spezialität sorgfältig ohne
-Großmannssucht und ohne Übergriffe auf andere Gebiete ausbildeten,
-konnten sich auch späterhin gegen die erdrückende und aufsaugende
-Übermacht der großen Konzerne behaupten, der sich die „gemischten
-Unternehmungen“ zweiten und dritten Ranges ohne Ausnahme nicht
-gewachsen zeigten.
-
-Es bleibt noch zu untersuchen, weswegen die +Krisis+ des Jahres
-1900/01 die Elektrizitätsindustrie +stärker mitnahm als jede andere
-gewerbliche Depression+ vorher und nachher, wenigstens soweit die
-von uns vornehmlich behandelte Periode von der Gründung der A. E.
-G. bis zur Gegenwart in Betracht kommt. Wohl stand der Anfang der
-achtziger Jahre in der Elektrizitätsindustrie, namentlich in der
-englischen, unter dem Zeichen einer Kabelkrisis, die durch die vielen
-Gründungen von Telegraphen- und Kabelgesellschaften entstanden war.
-Gerade aber die beginnende Epoche der Starkstromindustrie und die
-Erfindung des elektrischen Bogen- und Glühlichts trugen dazu bei,
-diese Krisis verhältnismäßig schnell zu überwinden. Indem man sich
-in England unter dem Eindruck der Schäden und Verluste, die eine
-übermäßige Gründungstätigkeit auf dem Gebiete der Schwachstromtechnik
-dort verursacht hatte, vor ähnlichen Gefahren und Auswüchsen auf dem
-Gebiete der Lichtelektrizität in Zukunft durch gesetzliche Hemmungen
-und Kontrollen schützen zu müssen meinte, trug man dazu bei, das
-Schwergewicht der Starkstromtechnik nach anderen Ländern zu verlegen,
-von denen besonders Deutschland, dank der Voraussicht und der Energie
-Emil Rathenaus, die Führung auf dem neuen Gebiete übernahm. Die kurze
-Krisis von 1891/92 berührte natürlich auch die Elektrizitätsindustrie,
-aber sie hinterließ keine tieferen Spuren. Die Entwickelungskräfte,
-von denen die Industrie damals getrieben wurde, der Zentralenbau,
-der Straßenbahnbau und die Anfänge der Kraftübertragung, waren
-noch frisch, und zeigten bislang keine Spuren von Erschöpfung. Das
-Unternehmergeschäft war noch nicht allzusehr umstritten, und überhaupt
-die Konkurrenz in der Elektrizitätsindustrie noch verhältnismäßig
-gering, die Expansionsfreiheit bei großen Unternehmungen wie bei
-Siemens & Halske und der A. E. G. beschränkt und durch Verträge
-gehindert. Diese Verhältnisse hatten sich in dem folgenden Jahrzehnt
-gründlich verändert. Die großen Erfindungen und Entwickelungsprobleme
-der achtziger Jahre hatten einen starken und zahlreichen Wettbewerb
-auf den Plan gelockt, der sich fast ganz frei betätigen und
-ausbreiten konnte, denn die Dynamomaschine und die Glühlampe, die
-technischen Träger dieser Entwickelung, hatten sich durch Patente
-nicht monopolisieren lassen. Dadurch wurden diese Erfindungen und die
-ihnen innewohnenden industriellen Möglichkeiten sehr schnell aus- und
-abgenützt, alle der Anwendung zugänglichen Objekte in kurzer Zeit
-herausgesucht und bearbeitet und zwar unter Bedingungen, die mit dem
-zunehmenden Wettbewerb sich für die Industrie verschlechterten. Die
-Zeit von 1890 bis 1900 war eine Periode der schnellen, umfassenden
-und gründlichen Durchführung, Verbesserung und Ausbildung früherer
-Erfindungen, keine Periode neuer schöpferischer und befruchtender
-Gedanken, eine Periode der Industrialisierung, keine der technischen
-Grundlegung. Der Zentralenbau hatte noch nicht den großen Schritt zur
-Überlandzentrale und erst recht noch nicht den größeren zu der Montan-
-oder Wasserkraftzentrale mit weiterem Fernübertragungsradius getan. Der
-Lichtelektrizität erstand in der scheinbar schon stark zurückgedrängten
-+Gastechnik+ ein alter, aber verjüngter Wettbewerber wieder, der
-mit Zähigkeit, Geschick und Glück dem elektrischen Eindringling die
-Spitze zu bieten, ja ihn zurückzuschlagen suchte. Das Gasglühlicht,
-die geniale Erfindung Auer v. Welsbachs, mit seinem großen technischen
-und ökonomischen Fortschritt gegenüber der alten Gaslampe nahm
-den Kampf gegen die stagnierende Technik der Kohlenfadenlampe auf.
-In der Mitte der neunziger Jahre war es, als die damals gegründete
-+Deutsche Gasglühlicht-Akt.-Ges.+ (+Auer-Gesellschaft+)
-Dividenden von 100 und 130% ausschüttete und das märchenhafte Phantom
-am deutschen Börsenhimmel wurde, bis die Krisis auch diesen Kometen
-vorerst wieder verdunkelte. Jene Konstruktion hatte gleichfalls dem
-Versuch, sie in die Fesseln des Patentes zu schlagen, gespottet. Die
-Patentfreiheit hatte das Monopol der Auer-Gesellschaft zwar vernichtet,
-die Konkurrenz des Gasglühlichts gegenüber dem elektrischen Glühlicht
-aber wesentlich gesteigert. Später bedeutete das hängende Gasglühlicht
-einen weiteren bedeutenden Fortschritt an Lichthelle, Lichtschönheit
-und Gasersparnis. Selbst das an die elektrische Bogenlampe verlorene
-Terrain suchte die Gaslampe durch neue gelungene Konstruktionen
-wiederzuerobern. Demgegenüber gelang der Lichtelektrizität in dieser
-Zeit kein ganz großer Wurf. Die elektrische Metallfadenlampe, mit der
-Auer v. Welsbach seiner Deutschen Gasglühlicht-Ges. die durch die
-Überproduktion im Gasglühlichtgebiete erschütterte Sonderstellung
-wiederzugeben versuchte, war noch nicht auf dem Plan erschienen; die
-Nernstlampe, so ingeniös ihre Idee auch war und so enormen Aufwand an
-Kapital und Arbeit in der Konstruktion und Propaganda die A. E. G.
-ihr auch widmete, blieb eine Sonderlichtquelle von schönem, reichem
-und stromsparendem Licht. Sie bedeutete für gewisse Zwecke einen
-beachtenswerten Fortschritt, es fehlte ihr aber doch das Zündende und
-Einfache, das sie zu einem Massenbeleuchtungsartikel hätte machen
-können. Der Optimismus Emil Rathenaus sollte sich diesmal nicht ganz
-als gerechtfertigt erweisen. „Wiederum stehen wir,“ so hatte Rathenau
-in der Generalversammlung der A. E. G. vom November 1899 prophezeit,
-„wie damals in Paris an der Wiege einer neuen Beleuchtungsart.“
-Gerade aber das, was Rathenau von der Erfindung der elektrolytischen
-Beleuchtungskörper erwartet hatte, daß „das elektrische Licht mit
-ihr nicht länger seinen Triumphzug auf Paläste und vornehme Häuser
-beschränken würde, sondern vielmehr in die Hütten und Werkstätten
-Minderbemittelter eindringen und den Wettbewerb mit untergeordneten
-Beleuchtungsmitteln auch ökonomisch bestehen würde,“ hat sich mit
-der Nernstlampe noch nicht erfüllt. Diese Aufgabe wurde erst mit der
-Metallfadenlampe gelöst. -- Auch auf dem Gebiet der elektrischen
-Bahnen schien ein Stillstand einzutreten. Im +Strassenbahnbau+
-mußte sich der Kreis der +möglichen+ Aufträge mit ihrer Erledigung
-allmählich erschöpfen, und je stürmischer die Elektrifizierung der
-Straßenbahnen in der vorangegangenen Periode vor sich gegangen war,
-desto stärker war der Abfall in der Beschäftigung, nachdem der größte
-Teil der lokalen Pferdebahnen in den elektrischen Betrieb überführt
-war. Dieser Geschäftszweig schrumpfte zusammen und stellte bald kein
-ergiebiges Tätigkeitsfeld mehr für eine so umfangreich gewordene
-Industrie wie die elektrische dar. Was jetzt noch an Aufträgen
-einging, setzte sich aus der Nachlese der Straßenbahnbau-Tätigkeit
-und dem im Verhältnis zu den großen Fabrikationsanlagen der Werke
-geringen Reparatur- und Ergänzungsgeschäft zusammen. Der Bau von
-+Untergrundbahnen+ wollte noch nicht so recht vorwärts schreiten,
-und die Unternehmung im Reiche hielt es für richtig, fürs erste einmal
-die Erfahrungen abzuwarten, die man mit der Elektrischen Hoch- und
-Untergrundbahn in Berlin machen würde. Vollends die +Elektrifizierung
-der Vollbahnen+, die von den Elektrizitätsfachleuten, voran Emil
-Rathenau, als das große, ertragreiche Zukunftsgebiet bezeichnet wurde,
-stieß auf schwer zu überwindende Hemmungen. Die Staatsbahnverwaltungen,
-die über die ökonomische Frage, und die militärischen Behörden,
-die über die Betriebssicherheit im Kriege recht skeptisch dachten,
-standen den großen, stürmisch geäußerten Plänen der Industrie sehr
-zurückhaltend gegenüber, und waren nur für eine langsame, vorbereitende
-Versuchsarbeit auf kurzen Strecken zu gewinnen. Alles, was in dieser
-Epoche auf elektrischem Gebiet geleistet wurde, war somit -- oft sehr
-wertvolle und verdienstliche -- Kleinarbeit, bot aber keine großen,
-in die Zukunft weisenden, die Phantasie und das Kapital anregenden
-Ausblicke. Der bisher stürmisch dahinsausende Wagen der Entwickelung
-verlangsamte seinen Lauf, es traten Reibungen und Hemmungen auf und der
-Schwung drohte verloren zu gehen.
-
-Als letztes, die Krisis auslösendes und verschärfendes Moment traten
-die +Auswüchse des Unternehmergeschäfts+ hinzu, das von einer
-Rathenauschen Spezialität zu einer allgemeinen Übung der Industrie
-geworden war, ohne aber in dieser allgemeinen Anwendung die Solidität,
-Sicherheit und Rückendeckung zu besitzen, die ihr der Erfinder und
-Meister für seinen Sonderfall gegeben hatte. Eine Zeitlang hatte
-dieses Unternehmergeschäft der Industrie verstärktes Leben einhauchen
-können, gerade diese künstliche Belebung des Pulsschlages mußte aber
-umso früher zu einer Erschöpfung und Erschlaffung führen. Die Fabriken
-waren, wie die A. E. G. es in ihrem Geschäftsbericht ausgedrückt hatte,
-auf Grund von Aufträgen, die aus Lieferungen für eigene Unternehmungen
-stammten, und darum nur einmalige waren, ungerechtfertigt erweitert
-worden. Von dieser falschen Einschätzung des Verhältnisses zwischen
-Unternehmer- und Fabrikationsgeschäft hatte sich sogar die A. E. G.
-nicht ganz freihalten können; die meisten übrigen Gesellschaften der
-elektrotechnischen Industrie hatten ihre ganze Schwerkraft darauf
-eingestellt.
-
-Rathenaus System war zwar in seinen Äußerlichkeiten nachgeahmt, aber
-nicht in seinem organischen Wesen begriffen und übernommen worden.
-Was Emil Rathenau in jahrelanger geduldiger Arbeit Stein auf Stein
-setzend, vom Kleineren zum Größeren schreitend, keinen Schritt tuend,
-ohne den vorigen gesichert und gefestigt zu haben, aufgebaut hatte,
-sollte von den anderen in der raschen Arbeit weniger Jahre zu gleicher
-Höhe geführt werden. Der industrielle Baugedanke, der bei Rathenau
-die Hauptsache gebildet hatte, aus dessen Durchführung erst alle
-anderen gefolgt, die Auftragsgewinne, die Effektengewinne usw. als
-Früchte langsam gereift waren, trat bei den anderen mehr und mehr in
-den Hintergrund. Sie bauten ihre Unternehmungen nicht so selbstlos
-wie möglich, damit sie als dauernde Rentenquellen ihren späteren,
-dann aber endgültigen Wert erhielten, sondern sie suchten sich schon
-an der Ausführung zu bereichern. Sie hielten die Effekten nicht
-vorsichtig zurück, bis sie wirklich emissionsreif geworden waren,
-sondern wollten den Emissions- und Finanzgewinn schnell pflücken. Die
-Banken, die ihnen nahestanden, drängten zu häufigen und schnellen
-Transaktionen, bei denen auch die Finanzinstitute umsetzen und
-verdienen konnten. Sie machten sich so zu den Herren der Finanzpolitik,
-während sie bei Rathenau stets die Diener geblieben waren. Das
-Mißverhältnis der Finanzkapitalien zu den Industriekapitalien,
-das wir bei einigen der jüngeren Gesellschaften oben festgestellt
-haben, ist charakteristisch für die falsche Anwendung der Methode
-Rathenau. So gelangen den Nachahmern zwar vielleicht am Anfang einige
-Transaktionen -- wenigstens scheinbar. Die schlechten Erfahrungen,
-die das Kapitalistenpublikum aber schließlich mit der Mehrzahl der
-erworbenen Werte machte, diskreditierte bald ihren Emissionskredit und
-den der Elektrizitätsindustrie überhaupt. Denn es ist verständlich,
-daß für die zu Tage getretenen Enttäuschungen und Auswüchse nicht
-die falsche Anwendung des Systems Rathenau, sondern das System
-an sich verantwortlich gemacht wurde. Gerade in Hausseperioden
-wie in Krisenzeiten unterscheidet und sichtet das Publikum nicht
-ruhig und unbefangen, sondern es ist geneigt, zu verallgemeinern,
-statt zu unterscheiden. Der Rausch wie der Katzenjammer führen zu
-stimmungsmäßigem, nicht zu kritischem Urteil.
-
-Auch hier wieder machte die Firma Siemens & Halske eine rühmliche
-Ausnahme. Das Finanzierungssystem, das auch sie schließlich gezwungen
-war anzunehmen, hat sie nicht leichtfertig gehandhabt. Daran hinderte
-sie die anerzogene Gründlichkeit und Ehrlichkeit ihrer industriellen
-Methoden. Aber die Tatsache, daß sie sich erst verhältnismäßig
-spät entschloß, Rathenau auf den von ihm eingeschlagenen Wegen zu
-folgen, hat es ihr nicht gestattet, den Vorsprung des Rivalen, wenn
-er auch vielleicht nur 3-4 Jahre alt war, einzuholen. Das zeigt die
-Rentabilität ihrer Finanzgesellschaften deutlich. Die „Schweizerische
-Gesellschaft für elektrische Industrie“, die das Siemens & Halskesche
-Gegenstück zu der Rathenauschen Bank für elektrische Unternehmungen
-bildete, hat nur eine Rente von durchschnittlich 6% erreicht gegenüber
-einer solchen von 12% der Elektrobank. -- Die „Elektrische Licht-
-und Kraftanlagen-Gesellschaft“, die denselben Zwecken diente wie die
-Elektrizitätslieferungsgesellschaft der A. E. G., zahlte, nachdem
-sie lange Zeit nur eine bescheidene Rente von durchschnittlich
-5% erbracht hatte, in den letzten Friedensjahren 7% gegen 10
-und 12% der Elektrizitätslieferungsgesellschaft. Ein ähnliches
-bescheidenes Erträgnis haben auch die Siemenssche „Akt.-Ges. für
-Elektrizitätsanlagen“ und die „Siemens Elektrische Betriebe Akt. Ges.“
-bisher nicht überschritten.
-
-
-
-
-Zwölftes Kapitel
-
-Konzentration
-
-
-Jede große Krisis in der Wirtschaftsgeschichte hat neben dem
-allgemeinen Gesetz der Ebbe und Flut, des aus der Überspannung
-geborenen Rückschlages, noch irgendeinen bestimmten Sondercharakter
-und somit besondere Ursachen und Folgen, die sie von ihren Schwestern
-unterscheiden. D. h. nicht im innersten, wesenhaften Kern und
-auch nicht so sehr in der Art und Zahl der äußeren Merkmale oder
-Ausstrahlungen sind die Krisen voneinander verschieden, sondern
-in dem größeren oder geringeren Nachdruck, mit dem sie gewisse
-wirtschaftliche Adern und Schichten treffen, in der Stärke, mit
-der sie aus ihnen gespeist werden und in der Intensität, mit der
-solche Schichten von ihnen umgelagert werden. Fast alle Krisen
-weisen ungefähr dieselben Symptome auf, aber in der einen ist dieses
-Hauptsymptom stärker ausgeprägt, in der anderen jenes, während die
-Symptome zweiten Ranges nur eine mitschwingende, schwächer nuancierte
-Bedeutung haben. Diese Differenzierung und Unterscheidung äußert sich
-in den Ursachen, Ausdruckserscheinungen und Folgen der einzelnen
-Krisen. Gewisse Krisen entstehen hauptsächlich durch die Erfindung
-neuer revolutionierender Techniken oder durch die Schaffung neuer
-wirtschaftsverändernder Wettbewerbs- und Transportmittel. Andere
-haben ihren Grund in geldlichen Bewegungen, in monetären Umwälzungen,
-Häufungen oder Verknappungen von Zahlmitteln, sei es aus Metall
-oder Papier, die die Kaufkraft des Geldes nach oben oder nach unten
-von ihrem normalen Stande entfernen. Manche Krisen wieder entstehen
-durch den Wechsel wirtschaftspolitischer Systeme (Freihandel oder
-Schutzzoll), die gewisse Wirtschaftsformen in ihren Bedingungen
-begünstigen, andere wiederum benachteiligen. Auch soziale und
-politische Veränderungen können Revolutionen wirtschaftlicher Art
-zur Folge haben. Den verschiedenen Ursachen entsprechen auch stets
-die verschiedenen Äußerungs- und Wirkungserscheinungen der einzelnen
-Krisen, und jede von ihnen weist sozusagen die Gegenbilder des
-vorausgegangenen Aufschwungs und namentlich des ihm fast stets auf
-dem Fuße folgenden Überschwangs auf. Frühere Krisen hatten ihre
-Ursachen in der Entdeckung neuer großer Gold- oder Silberläger, in
-der Verdrängung von Manufakturen durch Maschinentechniken, in der
-Ausweitung der lokalen Absatzkreise zu nationalen oder internationalen
-durch die Entwickelung der Eisenbahnen und Dampfschiffe. In diesem
-Sinne war ferner die Krisis von 1873 vornehmlich eine durch politische
-und damit auch wirtschaftliche Maßstabsvergrößerung hervorgerufene,
-sowie durch geldliche Hyperthrophie begünstigte Wertveränderungskrise.
-Die von 1881, aus Frankreich stammend, hatte ihre Ursache im Gegenteil
-in einer Verkleinerung der Maßstäbe, gegen die sich der französische
-Wirtschaftsgeist, dazu bestimmt von der unternehmerischen zur
-rentnerischen Hauptfunktion überzugehen, in einer krampfhaften, doch
-vergeblichen Aufwallung zu wehren strebte. Die Krise von 1907 hatte
-ihren Ursprung in einer wirtschaftspolitischen Umwälzung der Ver.
-Staaten von Amerika, die zu einer Hochkonjunktur im dortigen Trustwesen
-und zu einer Übergründung innerlich schwach konstruierter Trustgebilde
-geführt hatte. Der internationale Güteraustausch und das überseeische
-Transportwesen waren denn auch von dieser Krise am schärfsten betroffen
-worden. Die Krise von 1913 war hinwiederum wenigstens für Deutschland
-eine typische Großstadtkrise, von der die gut konsolidierte Industrie
-und die gleichfalls gesunde Landwirtschaft nur oberflächlich berührt
-wurden, während der städtische Grundbesitz und seine künstlich
-hochgezüchteten Blüten, das Terrain-, Kaufhaus-, Theater- und
-Etablissementswesen ihre bis dahin schärfste Erschütterung erlebten.
-
-Die Krisis von 1901 war dagegen die ausgesprochene +Krise der
-Großindustrie+, hervorgerufen durch die starken Wucherungen,
-die mit der Expansion der zur Großwirtschaft strebenden Gewerbe
-naturnotwendig verbunden waren. Die allenthalben ins Breite dringenden,
-in individueller Geschäftspolitik bis dahin ungehemmt entwickelten
-Großunternehmungen „stießen sich hart im Raume“, rieben sich aneinander
-und verstanden noch nicht, Fühlung miteinander zu nehmen, sich
-miteinander zu organisieren, in die Absatzgebiete zu teilen und
-gewisse Absatzfunktionen gemeinsam auszuüben. Die +Krisis+ des
-+freien, ungezügelten Wettbewerbs+ war gekommen, nachdem die
-ihr vorangegangene Epoche zu unerhört raschem Wachstum, aber auch zu
-starken Energieverlusten geführt hatte. Die Krisis, die nun folgte, war
-das deutlichste Negativ jener Entwickelungsperiode. Sie trug aber auch
-bereits das Gegengift in sich, die Keime zur Gesundung und Überwindung,
-und diese ergaben sich logisch aus der Natur und der Art der Krankheit.
-Überproduktion der zu schnell ausgedehnten Wirtschaftskräfte und
-Überflutung der beschränkten heimischen Märkte: das war die Krankheit
-gewesen. Planmäßige Eroberung der Auslandsmärkte einerseits,
-Konzentration und gegenseitiger Ausgleich der zersplitterten
-Industriekräfte andererseits, das waren die angewandten Heilmittel.
-
-Die Konzentration erfolgte in den verschiedensten Formen, je nachdem
-der Charakter, das Entwicklungsstadium und die Vorgeschichte der
-verschiedenen Industrien sie forderten oder begünstigten. In den
-Gewerben, die Massenfabrikate herstellten, also in der Kohlenindustrie,
-in den roheren Stadien der Eisenindustrie, erfolgte der Zusammenschluß
-auf dem Wege der +Kartellierung+, d. h. der Vereinigung der
-Produzenten zur Regelung und gemeinsamen Erledigung gewisser Teile
-ihres Geschäftes unter Aufrechterhaltung der bisherigen freien
-Besitzverhältnisse. Die Not der Krisenjahre von 1901/02 war es, die
-nach dem bekannten Worte die Kartelle der Montanindustrie teils erst
-schuf, teils festigte und dauerhaft ausbaute. Daneben trat aber auch
-bereits das +Konzentrationsprinzip+ der +Verschmelzung+,
-der Zusammenfassung mehrerer sich ergänzender Betriebe sowohl der
-Breite als auch der Tiefe nach als generelle Tendenz oder auch
-als Mode stärker hervor. Das große und gemischte Montanwerk, das
-vorher in einer Reihe von Unternehmungen, so bei Krupp, dem Bochumer
-Verein usw. als Einzelerscheinung schon verwirklicht worden war,
-begann sich zum Typus in der Montanindustrie auszugestalten. Wo
-Zusammenballungstendenzen verwirklicht wurden, drängten sie zum großen
-und gemischten Werk, das alle Stufen der Produktion vom untersten
-Rohstoff bis zum verfeinertsten Fertigfabrikat umfaßte und in dieser
-Vertiefung des Produktionsprozesses und in der Unabhängigmachung von
-allen Märkten außer dem letzten Markte der fertigen Verbrauchsartikel
-das Ideal des für den Produzenten höchsten und für den Konsumenten
-geringsten Unternehmergewinns suchte. Das kleine und reine Werk,
-das sich außerhalb dieser Produktionsordnung zu halten versuchte,
-wurde konkurrenzunfähig. Einmal, weil die gemischten Werke sich
-ihre Rohstoffe billiger zu beschaffen, ihre Selbstkosten durch
-Großfabrikation zu ermäßigen und darum die Verkaufspreise niedriger zu
-stellen vermochten, zweitens weil die großen gemischten Werke bald die
-Verbände in den Stufenfabrikaten beherrschten, denen sie gemeinsam mit
-den reinen Werken, -- zum Teil ihren eigenen Abnehmern -- angehörten
-und deren Preisbildung sie zu ungunsten der reinen Werke regeln
-konnten. Das Trustsystem benutzten sie also dazu, um sich die eigenen
-Rohstoffe zu verbilligen, das Kartellsystem u. a. dazu, um sie ihrer
-Konkurrenz zu verteuern.
-
-In anderen Industrien hatten sich die Vertrustungs- und
-Verschmelzungstendenzen noch reiner ausgeprägt als in der
-Montanindustrie, die sowohl Massenartikel als auch individuelle
-Produkte umfaßte und in deren Konzentration sich infolgedessen
-das System der Kartellierung mit dem der Vertrustung vermengte.
-Reine Vertrustungs-Konzentration fand in der großen chemischen
-Farbenindustrie statt, +reine Vertrustungs-Konzentration+ war
-auch der +Weg der Elektrizitäts-Industrie+. Umfassende und
-vielfältige Gestaltung der Produktion, weitgehende Selbstbedarfsdeckung
-und Selbstabsatzwirtschaft waren hier unter Führung der Großkonzerne
-schon lange vor der Krisis wenigstens von einem Teil der Industrie
-angestrebt und erreicht worden. Die Krisis führte alsdann eine
-Ergänzung und Verstärkung dieser Vertrustungsbewegung dadurch herbei,
-daß eine Reihe der vorher selbständig entwickelten Konzerne miteinander
-verschmolzen wurde. Vor der Krise war das Konzentrationsprinzip in
-einer Zusammenfassung von Spezialbetrieben zu Gemischtbetrieben zum
-Ausdruck gekommen, nachher wirkte es sich in der Zusammenfassung
-mehrerer Gemischtbetriebe zu Kolossalbetrieben aus. Wir haben
-bei der Schilderung der Einwirkungen, die die Krisis auf die
-einzelnen Unternehmungen ausübte, bereits gesehen, daß eine Reihe
-von Unternehmungen der Elektrizitätsindustrie schwach, unfähig zur
-selbständigen, wettbewerbsfähigen Weiterexistenz, -- wie man zu sagen
-pflegt -- fusionsreif wurde. Sie hatten aber -- wenn auch nicht
-mehr mit eigener Zentrilfugalkraft ausgestattet -- zum Teil genug
-an technischen Werten, Kundschaft und Beteiligungsbesitz in sich,
-daß ihre Angliederung einem oder dem anderen der großen Konzerne
-verlockend erscheinen mußte. Konnten diese doch so ihr Machtgebiet
-erweitern und -- was vielleicht manchmal noch entscheidender für
-sie war -- eine Erweiterung des Machtgebietes der Konkurrenz
-verhindern. Der Faktor des +Dualismus+, der seit jener Krisis
-die Entwickelung der Elektrizitätsindustrie zu beherrschen begann,
-also die Existenz und der Gegensatz von zwei stark, ausdehnungs-
-und kristallisationsfähig gebliebenen Gruppen, der A. E. G. und der
-Siemens & Halske-Ges., hat die Konzentrationsbewegung wenn auch
-nicht veranlaßt, so doch sehr gefördert und beschleunigt. Es ist
-seither für die Verschmelzungsbewegung in der Elektrizitätsindustrie
-charakteristisch geworden, daß immer, wenn der eine der beiden Konzerne
-eine größere Angliederung vornahm, bald auch der andere zu einer
-ähnlichen Erweiterung schritt, um das Gleichgewicht in der Machtlage
-und der Marktbeherrschung wieder herzustellen. Der Übernahme der
-„Union“-Elektrizitätsgesellschaft durch die A. E. G. folgte sofort die
-Aufnahme der Schuckert-Ges. durch Siemens & Halske. Die Angliederung
-der Lahmeyer-Gesellschaft durch die A. E. G. zog den Anschluß der
-Bergmann Elektrizitätswerke an Siemens & Halske nach sich.
-
-Die Tatsache, daß die Konzentration in der Elektrizitätsindustrie fast
-ausschließlich auf dem Wege der Verschmelzung und nicht auf dem der
-Kartellierung erfolgte, war aber nicht auf den zufällig oder doch nur
-historisch begründeten Umstand zurückzuführen, daß in der Krisis von
-1901/02 eine Reihe von Unternehmungen fusionsreif wurde und von den
-starkgebliebenen Werken zu niedrigen Preisen und günstigen Bedingungen
-(unter geschickter Ausnutzung des eigenen Aktienagios) erworben
-werden konnte. Sie beruhte vielmehr auch auf dem natürlichen Umstand,
-daß die Elektrizitätsindustrie als Erzeugerin meist komplizierter,
-individueller Produkte sich für die Gleichmacherei einer Kartellierung
-im allgemeinen nicht eignete. Für die Spezialgebiete, auf denen die
-Elektrizitätsindustrie Massenartikel erzeugte, also hauptsächlich
-auf dem Gebiete der Glühlampen- und Kabelerzeugung sind sehr wohl
-Preis- und Kontingentierungssyndikate zustande gekommen, die nicht nur
-die gemischten Konzerne, sondern auch Spezialfabriken umfaßten. Im
-Geschäftsbericht des Jahres 1902/03 der A. E. G. werden die Gründe
-für den Vertrustungscharakter der Elektrizitätskonzentration in ganz
-ähnlicher Weise geschildert. Es heißt da:
-
- „Die bisher zumeist bekannten und betretenen Wege industrieller
- Konsolidierung, Bildung von Kartellen, Syndikaten und
- Verkaufsvereinigungen, sind für die Elektrotechniker aus zwei
- Gründen schwerer gangbar: Einmal, weil die Fabrikation in zahllose
- Gattungen von Erzeugnissen verschiedenster Konstruktion und
- Bewertung sich spaltet, sodann, weil nicht Zwischenprodukte,
- sondern für den Einzelkonsum bestimmte Endprodukte hergestellt
- werden, und nicht der weiterverarbeitende Fabrikant, sondern
- der Verbraucher selbst in der Hauptsache die Kundschaft unserer
- Industrie bildet. Das kaufende Publikum aber wünscht nicht auf die
- Auswahl konkurrierender Produkte zu verzichten und entschließt sich
- ungern, von einer monopolisierenden Organisation seinen Bedarf zu
- beziehen.
-
- Unsere Unternehmungen sind daher darauf angewiesen,
- organisatorische Ersparnis durch gruppenweise Zusammenfassung
- anzustreben, und die bisher dutzendfach geleistete
- Projektierungsarbeit, Propaganda und Verkaufstätigkeit auf eine
- drei- oder vierfache zu beschränken. Daß daneben allgemeine
- Verständigungen über Auswahl der Typen, Auslandsgeschäfte,
- allgemein geschäftliches Vorgehen und mannigfache Einzelgebiete
- durch Zusammenschlüsse dieser Art erleichtert werden, liegt auf der
- Hand.
-
- Auch sind Syndizierungen solcher Produkte keineswegs
- ausgeschlossen, bei denen die individuelle Nüanzierung wenig
- bedeutet, und bei denen geringe Korrekturen der Verkaufspreise über
- Gewinn und Verlust bei der Fabrikation entscheiden. Dies zeigt das
- Zustandekommen der Verkaufsstelle Vereinigter Glühlampenfabriken.“
-
-Anfangs hatte es den Anschein, als ob die A. E. G. schnell und
-energisch die Führung bei der Konzentrationsbewegung in die Hand
-nehmen würde, die sie theoretisch bereits in verschiedenen offiziellen
-Auslassungen als notwendig bezeichnet hatte. Doch stellten sich der
-Verwirklichung dieser Theorie manche inneren und äußeren Hindernisse
-entgegen. Bereits im Jahre 1897 wurde zwischen der A. E. G. und
-der Löweschen „Union-Elektrizitäts-Gesellschaft“ über eine Fusion
-verhandelt. Das Projekt zerschlug sich an dem hohen Preise, den die
-Union damals noch fordern zu können glaubte und Rathenau schritt
-unter Verzicht auf die Angliederung zu einer Erweiterung seiner
-eigenen Werke unter Erhöhung des Aktienkapitals. Auch mit Schuckert
-in Nürnberg wurden im Jahre 1901, also bereits nach Ausbruch der
-Krisis Verhandlungen eingeleitet, die damals noch in dem Bestreben
-gipfelten, die allmählich unhaltbar gewordenen Wettbewerbsverhältnisse
-in der Industrie zu erleichtern und sozusagen sanierend zu wirken.
-Diese Verhandlungen wurden aber zu jener Zeit mehr grundsätzlich
-und dilatorisch als auf konkret-geschäftlicher Grundlage geführt.
-Schuckert war damals schon wankend geworden, aber der Tag seines
-Zusammenbruchs war noch nicht gekommen. In der Generalversammlung vom
-5. Dezember 1901 interpellierte ein Aktionär die Verwaltung der A.
-E. G. über die bekanntgewordenen Gerüchte hinsichtlich einer Fusion
-mit der Nürnberger Gesellschaft. Emil Rathenau gab die Tatsache
-der Verhandlungen zu, stellte aber eine nahe Entscheidung nicht in
-Aussicht. Es sei erklärlich, so legte er dar, daß sich Verwaltungen
-zweier Konkurrenzunternehmungen in Zeiten der Krisis miteinander
-über die Marktlage aussprachen und Erwägungen anstellten, in welcher
-Weise sie sich durch engeren Anschluß ergänzen könnten. Ein festes
-Programm oder andere Ergebnisse als eine persönliche Annäherung
-der Verwaltungen hätten die jüngsten Verhandlungen, die von beiden
-Seiten ohne Leidenschaft (und wohl auch ohne sonderlichen Eifer)
-geführt wurden, bisher nicht gezeigt. Es ließe sich auch nicht
-übersehen, ob ein Resultat erzielt werden würde. Unmöglich könne
-man eine derartige Transaktion in wenigen Tagen zu Ende bringen. --
-Wer die Naturgeschichte wirklich aussichtsreicher und ernsthafter
-Transaktionen kennt, sieht sofort, daß hier nicht der Boden und
-die Atmosphäre vorhanden waren, in denen Entschlüsse wachsen. Die
-öffentliche Behandlung so heikeler Verhandlungen ertötet ihre
-Entwickelungsfähigkeit und die Realität ihrer Aussichten, zumal wenn
-ein kalter akademischer Hauch durch derartige Erörterungen geht.
-Rathenau, der kühne und unabhängige Rechengeist, dem das Urteil
-der kompakten Majoritäten sonst immer so gleichgültig gewesen ist,
-scheint mitten in der Krisis, aus der er den Ausweg noch nicht
-sieht, etwas unschlüssig und unsicher. Seine eigene Schöpfung ist
-gut konsolidiert, durch jahrzehntelange Auspolsterung mit inneren
-und äußeren Reserven so geschützt, wie Vorsicht und Voraussicht nur
-schützen können, und dennoch leidet sie unter den schlechten Zeiten,
-muß sie sich vor neuen Geschäften hüten. Soll sie sich mit einer
-so großen und mangelhaft organisierten Masse belasten, wie es die
-Schuckertgesellschaft ist? -- Rathenau tut auch jetzt noch, als wenn
-er Aktionäre und Kapitalistenpublikum verachte und Außenstimmen keinen
-Einfluß auf das innere Rädergetriebe seiner Gesellschaft einräume:
-„Weder Anfeuerungen, noch Furcht, Enttäuschungen hervorzurufen,
-werden uns bestimmen, auf einen voreiligen Abschluß der Verhandlungen
-hinzuwirken,“ ruft er trotzig aus, der Spekulation zugewandt, die
-offenbar die Ungewißheit über den Ausgang der Verhandlungen ausgenutzt
-hat und nunmehr ungeduldig und unsicher hinsichtlich der Früchte ihrer
-Manipulationen geworden ist. Aber trotz dieser zur Schau getragenen
-Gleichgültigkeit gibt es damals doch anscheinend für Rathenau einen
-außenstehenden Faktor, von dem er sich abhängig fühlt, von dem er
-nicht genau weiß, ob er sich günstig oder ungünstig zu der Transaktion
-stellen wird: den Kapitalmarkt, der -- wie er instinktiv fühlt --
-Anlagen in Elektrizitätsunternehmungen nach den gemachten schlechten
-Erfahrungen noch mißtrauisch gegenübersteht. „Das Publikum ist mit
-Recht weittragenden Kombinationen gegenüber skeptisch geworden
-und wir teilen diese Skepsis.“ Daß es nicht innerste industrielle
-Überzeugung ist, die ihn hemmt, sondern augenblickliche finanzielle
-Unsicherheit, geht wieder aus dem prinzipiellen Bekenntnis zur
-Konzentrationspolitik hervor, das er den negativen Sätzen sofort folgen
-läßt: „Daß die materiellen Voraussetzungen für lohnende Geschäfte auf
-dem Gebiet der Verständigung liegen, ist nicht zweifelhaft.“ -- Er
-schildert die Ersparnisse im Laboratorium, bei den Arbeiten auf dem
-Erfindungsgebiete, bei den Versuchsarbeiten, bei der Propaganda, die
-auf dem Wege der Konzentration zu finden waren. „Eine solche Teilung
-der Arbeit könnte auch eine Mehrheit von Fabrikationsunternehmungen
-umfassen,“ sagt er, und deutet damit an, daß nicht nur an
-Interessengemeinschaft, sondern an völlige Fusion gedacht wird. Den
-in der Öffentlichkeit im Anschluß an die Konzentrationstendenzen in
-der Elektrizitätsindustrie schon damals von Theoretikern geäußerten
-Befürchtungen, daß diese Tendenzen zu einem Elektrizitätsmonopol
-führen könnten, tritt er beruhigend entgegen. „Die Grenzen werden
-uns gezogen durch die Notwendigkeit, den Wettbewerb zu erhalten, der
-für den technischen Fortschritt ebenso unentbehrlich ist, wie für
-die Verhinderung einer Monopolwirtschaft.“ -- Die Aktionäre werden
-aus alledem nicht recht klug geworden sein. Ein halbes Ja, dem ein
-halbes Nein folgt. Das Resumée ist mehr auf Nein gestimmt. „Weder
-Expansionslust noch Waghalsigkeit werden bestimmend sein. -- Es ist
-nicht beabsichtigt, für irgendwelche Kombinationen jetzt neue Mittel
-zu investieren, noch die Liquidität und die Kreditfähigkeit der A. E.
-G. zu beeinflussen.“ Der tiefblickende Bilanzkenner Rathenau witterte
-wohl, daß bei Schuckert der Boden des Fasses mit dem schlechten
-Abschluß für das Jahr 1900/01 noch nicht erreicht sei und er sollte
-recht behalten. In der nächsten Generalversammlung am 2. Dezember 1902,
-als sich das Schicksal von Schuckert bereits erfüllt hat, erlebte er
-die Genugtuung, daß ein Aktionär -- anscheinend derselbe, der ihn
-in der vorigen Generalversammlung wegen des langsamen Fortgangs der
-Verhandlungen mit der Nürnberger Gesellschaft befragte -- seiner
-Freude darüber Ausdruck gab, daß aus der Fusion nichts geworden sei.
-Die Freude teilten nicht alle Kenner und nicht alle Getreuen im Hause
-der A. E. G. In einer dreiwöchentlichen eingehenden Prüfung, die
-Vertrauensmänner der A. E. G., besonders Walther Rathenau und Deutsch
-an Ort und Stelle in Nürnberg vorgenommen hatten, waren einige zu der
-Überzeugung gelangt, daß diese Fusion trotz alledem zweckmäßig und
-erstrebenswert sei. Sie meinten, daß die Schuckertschen Fabrikbetriebe
-und auch die Beteiligungen soviel Wertvolles enthielten, daß ihre
-Erwerbung in jedem Falle eine außerordentliche Bereicherung des A.
-E. G.-Konzerns, nicht nur einen Zuwachs an Umfang, sondern auch
-an Qualität darstellen würde. Es käme nur auf die Bedingungen der
-Übernahme an. Ließen sie sich annehmbar gestalten, so sei das Geschäft
-zu machen, schon wegen der Gewinnung der wichtigen Stützpunkte in
-Süddeutschland, über die Schuckert verfügte. Man müßte 25 Millionen
-Mark in die Nürnberger Unternehmungen stecken, um sie auf die Höhe
-zu bringen. Allerdings könnte man eine solche Summe den bisherigen
-Leuten der Schuckert-Ges. nicht ohne weiteres anvertrauen, sondern es
-müßten erste A. E. G.-Leute für die Dauer nach Nürnberg gesetzt werden.
-Emil Rathenau scheint in jenen Zeiten unter einer Art Depression,
-einer Erschlaffung der Willens- und Entschlußkräfte gestanden zu
-haben, die ihm nicht gestattete, selbst das entscheidende Wort zu
-sprechen, wie er es in früheren Fällen, so beim Rückerwerb der B. E.
-W. und bei der Übernahme der Elektrobank ohne Zaudern, mit durchaus
-sicherem inneren Gefühl getan hatte, unbekümmert um die Bedenklichkeit
-und Gefährlichkeit der Lage, die auch bei jenen Transaktionen in
-den äußeren Verhältnissen vorhanden gewesen war. Die Kraft der
-Initiative war ihm zeitweilig verloren gegangen, wie schon in der
-bereits erwähnten Generalversammlung vom 5. Dezember 1901 zu erkennen
-gewesen war, in der er auf einen Angriff aus Aktionärkreisen, der
-sich gelegentlich der Einstellung seiner beiden Söhne in den Vorstand
-gegen die Aufrichtung einer „Dynastie Rathenau“ gerichtet hatte, die
-Erklärung abgab: Er müsse seine Nachfolge vorbereiten, denn er selbst
-gedenke sich in absehbarer Zeit von der Leitung der Gesellschaft
-zurückzuziehen, allerdings gehe es gegen sein Gefühl, der A. E. G.
-in der Zeit der Krisis den Rücken zu kehren. Das werde er erst tun,
-wenn für das Unternehmen wieder eine Zeit des Aufschwungs gekommen
-sei. Und was er sonst nie getan hatte, weder vorher noch nachher,
-tat er im Falle der Schuckert-Fusion. Er überließ, in einem Anfall
-von Unentschlossenheit, der seinem Charakter -- wie wir ja wissen --
-gelegentlich nicht fremd war, die Entscheidung dem Direktorium. Er
-beschloß, sich der Majorität seiner Kollegen zu fügen. Gründe und
-Gegengründe drangen damals bis in die Öffentlichkeit. In einem offenbar
-von +einer+ Verwaltungsseite inspirierten Artikel, der Anfang 1902
-seinen Weg in die Presse fand, wurden die Vorteile der Angliederung
-breit ausgemalt. Es hieß darin:
-
- „Die Herstellungskosten des fertigen Fabrikates werden
- erfahrungsgemäß durch die Preise für die Rohmaterialien und durch
- die Arbeitslöhne wenig beeinflußt, (?) es kommt außerdem hinzu,
- daß, wenn diese beiden Summanden fallen, alle Fabrikanten ziemlich
- denselben Nutzen davon haben. Die Preise der fertigen Fabrikate
- geben dann ganz allgemein nach und für eine einzelne Fabrik kann
- beim Verkauf ein ins Gewicht fallender Nutzen hierdurch nicht
- erzielt werden. Es bleiben somit allein die +Generalunkosten+
- übrig, durch deren Reduzierung Ersparnisse erzielt werden können,
- und der Zweck der Fusion A. E. G.-Schuckert ist in der Tat
- der, die beiderseitige Fabrikation durch ein Zusammenarbeiten
- zu verbilligen, dadurch, daß sich die Generalunkosten beider
- Gesellschaften, welche teils durch die eigentliche Fabrikation,
- teils durch den Verkauf der fertigen Fabrikate entstehen, sich
- ermäßigen.
-
- Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser Zweck durch die Fusion
- erreicht werden würde, und es ist auch leicht einzusehen, daß damit
- ein +Vorsprung+ erreicht wird, welcher von anderen Firmen nicht
- leicht hinfällig gemacht werden kann. Augenblicklich, so kann man
- sagen, halten sich die Unkosten aller großen Fabriken so ziemlich
- das Gleichgewicht, der Nutzen, den die Fabrikation abwirft, ist
- gleich schlecht. -- Wenn nun zwei Gesellschaften imstande sind, den
- wesentlichsten Faktor, der im Selbstkostenpreis seinen Ausdruck
- findet, herabzumindern, so müssen die anderen Fabriken erst Mittel
- und Wege finden und suchen, um das Gleiche zu erreichen, bevor das
- Gleichgewicht wieder hergestellt wird. Früher oder später tritt das
- natürlich ein, und von dann an wird ein weiteres Fallen der Preise
- wieder allmählich beginnen, bis wieder weitere Ersparnisse, um die
- Fabrikation rentabel zu machen, nötig werden.“
-
-Ferner enthielt dieser Artikel einen genauen Plan über die Organisation
-der Unkostenersparnis und der Arbeitseinteilung, die zwischen den
-beiden Fabrikationsstätten in Berlin und Nürnberg vorgenommen werden
-sollte. -- Trotz aller Propaganda für den Plan überwog im Kollegium
-schließlich die Abneigung. -- Es wurde zwar noch ein Versuch gemacht,
-wenigstens den Beteiligungsbesitz der Schuckert-Gesellschaft, an
-dem der A. E. G. anscheinend am meisten gelegen war, unter deren
-Einfluß zu bringen. Nachdem die umfassende Interessenvereinigung
-nicht zustande gekommen war, wurden zwischen dem Finanzkonsortium
-der A. E. G. und der Schuckert-Gesellschaft bezw. der Continentalen
-Gesellschaft für elektrische Unternehmungen, der Finanzgesellschaft
-Schuckerts, Verhandlungen eingeleitet mit dem Ziele, daß das genannte
-Konsortium der Schuckert-Gruppe einen Vorschuß von 7½ Millionen Mark
-gewähren solle. Als Unterpfand für das Darlehen sollten die im Besitz
-der „Continentalen“ befindlichen Effekten dienen, die das Berliner
-Konsortium möglichst günstig verwerten und aus denen das Darlehen
-allmählich abgetragen werden sollte. -- Auch diese Verhandlungen,
-die wochenlang hin und her gingen, wurden schließlich ohne Resultat
-abgebrochen; damit war die Annäherung zwischen der A. E. G. und
-Schuckert endgültig gescheitert. -- Später kam bekanntlich zwischen
-der Siemens & Halske-Gesellschaft und Schuckert ein Abkommen zustande,
-wonach die beiderseitigen Starkstrombetriebe in eine Gesellschaft
-mit beschränkter Haftung, die +Siemens-Schuckert-Werke+,
-eingebracht wurden. Von deren 90 Millionen Mark betragenden
-Stammanteilen übernahmen Siemens & Halske 45050000 Mark, die
-Elektrizitätsgesellschaft Schuckert 44950000 Mark. Die Gründung dieser
-Gesellschaft erfolgte im März 1903, also ein Jahr nach dem Scheitern
-der Verhandlungen mit der A. E. G. Sie richtete die zusammengebrochene
-Schuckert-Gesellschaft wieder empor, indem sie ihr die meisten
-Fabrikbetriebe abnahm. Das Schwachstromgeschäft, die Beteiligungen, auf
-die doch bei den Verhandlungen mit der A. E. G. von dieser gerade der
-Hauptwert gelegt worden war, und die Finanzierungsaufgaben verblieben
-bei den unabhängig erhaltenen Stammgesellschaften. In dieser Form, die
-vielleicht etwas umständlich war, aber die Parität sorgfältig wahrte,
-haben sich die Siemens-Schuckert-Werke gekräftigt und bald nach der
-Überwindung der Krisis eine aufsteigende Entwickelung genommen.
-
-Ob unter den Gründen, die die Fusionspläne bei der A. E. G. aus
-dem Stadium der Grundsätzlichkeit in den Bereich der Aktualität
-rückten, das Beispiel eine Rolle gespielt hat, das die Erweiterung
-des Machtgebiets der Siemens & Halske-Gesellschaft durch die
-Angliederung der Schuckertschen Fabriken gab, oder ob umgekehrt die
-A. E. G.-Pläne Siemens & Halske anregten, kann nicht zweifelsfrei
-festgestellt werden. Die Transaktion zwischen der A. E. G. und der
-Union-Elektrizitätsgesellschaft schwebte zur gleichen Zeit, wie die
-zwischen Siemens und Schuckert und sie wurde sogar einige Tage früher
-veröffentlicht. Wo die Priorität des ersten inneren Gedankens lag, läßt
-sich nicht feststellen; zweifellos waren beiden Parteien die geführten
-Fusionsverhandlungen der anderen Gruppe nicht verborgen geblieben,
-und sie hatten damit einander beeinflußt und angespornt. Was in jenem
-obenerwähnten Zeitungsartikel als ein Vorsprung bezeichnet worden
-war, der erst allmählich von der Konkurrenz eingeholt werden müßte,
-hatte sich blitzschnell in der Taktik der beiden führenden Konzerne
-paralysiert. Keine von ihnen wartete ab, daß ein solcher Vorsprung
-zugunsten der anderen eintrat. Das Machtverhältnis sollte sich
-nicht verschieben, es mußte sofort wieder das frühere Gleichgewicht
-hergestellt werden. Das Gesetz des Dualismus begann zu wirken.
-
-Die A. E. G. konnte aber den Weg der Konzentration nicht nur aus
-konkurrenztaktischen, sondern aus sachlichen Gründen betreten,
-umsomehr, als er ihr schon seit langem als der zweckmäßigste, ja der
-einzig gangbare erschienen war. Dazu kam, daß die Krisis den Tiefpunkt
-überschritten hatte und sich bereits wieder hellere Ausblicke zu
-zeigen begannen. Die Furcht, bei einer Transaktion neue große Mittel
-zu investieren, war zwar noch nicht geschwunden. Aber immerhin war
-doch in den Wertverhältnissen der einzelnen Unternehmungen zueinander
-jetzt etwas mehr von jener Klarheit geschaffen, die Rathenau noch im
-Jahre vorher vermißt hatte, als er im Geschäftsbericht für 1901/02
-schrieb: „Daß aber eine Beschleunigung des Zusammenschlusses leicht zu
-Übereilungen führen könnte, scheint uns durch die Tatsache erwiesen,
-daß noch im Verlauf des letzten Jahres erhebliche Verschiebungen in
-der relativen Bewertung der einzelnen Unternehmungen stattgefunden
-haben und anscheinend dauernd sich vollziehen.“ Das hieß auf
-deutsch: Die Dividenden- und Kursverhältnisse, die doch bei Fusionen
-den Maßstab für den Aktienumtausch oder die Bewertung der Aktiva
-anderer Unternehmungen abgeben mußten, boten nicht nur vor, sondern
-noch +in+ der Krisis ein falsches Bild. Man hätte auf ihrer
-Grundlage die zu erwerbenden Objekte zu teuer bezahlt und mußte erst
-warten, bis die Krisis, dieser untrügliche Prüfstein der Werte und
-Potenzen, die Fusionsobjekte genügend verbilligt haben würde. In der
-Generalversammlung vom Dezember 1902 war Emil Rathenau sogar noch
-deutlicher geworden und hatte, nachdem doch schon empfindliche Schäden
-bei manchen Gesellschaften zu Tage getreten waren, mit dem untrüglichen
-Scharfblick des Kritikers seine Zweifel darüber ausgesprochen, „ob
-einige Gesellschaften, die einer Sanierung unterzogen worden und sich
-damit genügend organisiert glaubten, nun auch wirklich gesundet wären.“
-Die Prognose war richtig, denn schon die nächstjährigen Bilanzen
-brachten neue, noch viel schwerere Verluste bei den halbsanierten
-Unternehmungen zu Tage. Das Jahr 1902/03 erst konnte als Tiefpunkt
-der Krisis bezeichnet werden; und erst jetzt ließ sich mit Sicherheit
-erkennen, was bei den erschütterten Elektro-Unternehmungen seinen
-Wert behalten hatte und was abgestorben war. Nicht vor dem Frühjahr
-1903 entschlossen sich darum sowohl die A. E. G. wie Siemens &
-Halske zu ihren ersten großen Konzentrationsgeschäften. Fast
-gleichzeitig mit der Transaktion Siemens-Schuckert wurde der erste
-Vertrag mit der „Union-Elektrizitätsgesellschaft“ den Aktionären
-der A. E. G. vorgelegt. Er enthielt lediglich den Vorschlag einer
-Interessengemeinschaft zwischen beiden Unternehmungen, und sollte --
-wie in der beschlußfassenden Generalversammlung erklärt wurde -- den
-Beweis liefern, daß eine Verständigung der sich zusammenschließenden
-Firmen auch ohne Verzicht auf ihre Individualität erreicht werden
-könne. Diese Selbstbeschränkung, die in Wirklichkeit aber nur
-eine Halbheit war und als solche auch wohl von Rathenau innerlich
-erkannt wurde, hatte ihren Grund weniger in Zweckmäßigkeitsfragen,
-als in persönlichen Rücksichten und Vorbehalten auf beiden Seiten.
-Bei der A. E. G. wollte man anscheinend noch immer nicht an die
-große Kapitalstransaktion herangehen, die mit einer vollständigen
-Fusion unumgänglich verbunden gewesen wäre, auch hielt man die
-Bilanz-Verhältnisse bei der Union wohl noch immer nicht für geklärt
-genug, als daß man auf der damaligen Bewertungsbasis die Objekte der
-Union dauernd und unwiderruflich hätte aufnehmen wollen. Bei der
-Union hinwiederum konnte man sich zu dem Opfer der völligen Aufgabe
-der Selbständigkeit noch nicht recht entschließen. Endlich schien
-sich auch eine vorherige Auseinandersetzung mit den amerikanischen
-Verbindungen der Union als zweckmäßig zu erweisen. Man machte also aus
-der Not eine Tugend und rühmte bei der unvollkommenen Transaktion die
-Erhaltung der Individualität beider Unternehmungen. Der geschlossene
-Vertrag hatte nach den damals den Aktionären beider Gesellschaften
-gemachten ausführlichen Mitteilungen den Zweck, eine Zusammenfassung
-und möglichste Vereinigung der technischen und kommerziellen Kräfte und
-Leistungen beider Gesellschaften herbeizuführen. Für ihn sollten die
-folgenden Bestimmungen und Grundsätze gelten.
-
-1. +Identität der Geschäftsführung+ und Verwaltung, soweit dies
-gesetzlich zulässig ist;
-
-2. +Arbeitseinteilung+, entsprechend der Eigenart der
-beiderseitigen Fabrikationseinrichtungen, unter Austausch der
-kommerziellen und technischen Erfahrungen;
-
-3. Möglichste +Erhaltung+ des gegenwärtigen
-+Beschäftigungsverhältnisses+ beider Gesellschaften;
-
-4. Tunliche +Verschmelzung+ der +auswärtigen Organisationen+.
-
-Im einzelnen wurde bestimmt, daß die beiderseitigen Direktoren
-gemeinschaftlich die Geschäfte beider Gesellschaften als
-Gesamtdirektoren leiten. Die Zahl der Direktoren wurde auf zehn
-festgesetzt, wovon sieben der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft
-und drei der Union angehören sollten. Die Mitglieder der
-+Aufsichtsräte+ beider Gesellschaften bildeten zusammen den
-gemeinsamen +Delegationsrat+ der Gesellschaften. In dem
-Delegationsrate führten die Mitglieder jedes Aufsichtsrates zusammen
-zwölf Stimmen, ohne Rücksicht auf die Zahl der Abstimmenden. Die
-Aufsichtsräte beider Gesellschaften waren bei der Beschlußfassung über
-folgende Gegenstände an die Beschlüsse des Delegationsrates gebunden:
-
-1. Erweiterung oder Abtretung von Fabrikationseinrichtungen, im Falle
-es sich um mehr als 1% des Aktienkapitals der betreffenden Gesellschaft
-handelte.
-
-2. Dauernde Investitionen im Betrage von mehr als 2% des Aktienkapitals
-der betreffenden Gesellschaft.
-
-3. Abänderungen des Interessengemeinschaftsvertrages.
-
-4. Ausgabe von Obligationen.
-
-Über folgende Gegenstände sollten die Aufsichtsräte beider
-Gesellschaften nur in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des
-Delegationsrates beschließen: Vorschläge an die Generalversammlungen,
-betreffend Statutenänderung, Fusion mit anderen Unternehmungen,
-Kapitalserhöhung und -herabsetzung, Auflösung einer Gesellschaft,
-Anstellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern. -- Abgesehen
-von den obigen Einschränkungen, behielten die Aufsichtsräte ihre
-bisherigen Funktionen bei. Die Aufsichtsratsmitglieder der A. E. G.
-wurden zu den Aufsichtsratssitzungen der Union E. G. eingeladen und
-nahmen daran mit beratender Stimme teil und umgekehrt. Jede der beiden
-Gesellschaften sollte zunächst in der bisher bei ihr üblichen Weise
-eine Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung aufmachen. Von dem
-Gewinn- oder Verlustsaldo dieser Vorbilanz der A. E. G. sollten von
-dieser der Union E. G. 4/19 gutgebracht bzw. belastet werden, während
-die Union E. G. von dem Gewinn- oder Verlustsaldo ihrer Vorbilanz an
-die A. E. G. 15/19 gutzubringen bzw. zu belasten hatte. Auf Grund der
-ermittelten Gewinn- oder Verlustziffer stellte dann jede Gesellschaft
-für sich ihre gesetzlich und statutarisch vorgeschriebene Bilanz auf.
-Der Vertrag sollte vom 1. Juli 1903 ab auf eine Dauer von 35 Jahren
-in Kraft treten. Über alle die Auslegung des Vertrages betreffenden
-oder sonst sich aus ihm ergebenden Streitigkeiten sollte ein
-Schiedsgericht entscheiden. Zur Begründung dieses Vertrages, der eine
-aktienrechtlich außerordentlich seltene und interessante Verquickung
-der Verwaltungsorgane zweier Gesellschaften darstellte, verlas
-Generaldirektor Rathenau in der Generalversammlung eine Erklärung, aus
-der wir folgendes hervorheben:
-
- „Mit dem Vertrag, den wir mit der Union Elektrizitätsgesellschaft
- getätigt haben, tritt die deutsche elektrotechnische Industrie
- in die Phase der Associationen, die seit Jahren zur Heilung
- ihrer Schäden von uns empfohlen werden. Daß der Zusammenschluß
- der Gesellschaften neben anderen Zwecken die Hebung der durch
- gegenseitige Unterbietungen unlohnend, zuweilen verlustbringend
- gewordenen Geschäfte auf eine dem Fabrikationsgewinn entsprechende,
- angemessene Höhe verfolgt, wird nicht in Abrede gestellt. Aber
- dieser Zweck soll weder durch willkürliche Preisfestsetzungen,
- noch durch Syndikatsbildungen erreicht werden, für welche die
- Elektrotechnik ihrer Natur nach sich weniger als andere Industrien
- eignet.....
-
- ... Unser Vertrag mit der Union zeigt, daß eine Verständigung
- der sich zusammenschließenden Firmen +auch ohne Verzicht
- auf ihre Individualität+ erzielt werden kann. Der nach dem
- Vorgang der A. E. G. erfolgte Zusammenschluß anderer Firmen
- der Elektrizitätsindustrie beweist ferner, daß auch an anderen
- maßgebenden Stellen Befürchtungen vor den ungünstigen Folgen
- der Vertrustung zu weichen beginnen. Auch in Amerika hat die
- Trustbildung technische Fortschritte nicht ausgeschlossen, sondern
- gefördert, und nicht mit Unrecht wird darauf hingewiesen, daß
- in diesem Lande noch immer mehr erfunden und versucht wird wie
- in Europa.... Von keiner Seite ist bisher behauptet worden, daß
- die Interessengemeinschaft unserer Gesellschaft mit der Union
- inkongruente Elemente zusammengeführt habe; es werden vielmehr von
- allen Seiten Gründe angeführt, die gerade für diese Kombination
- sprechen. Bei unserer umfangreichen Tätigkeit, welche über die
- gesamte Starkstromtechnik sich erstreckt, +hatten wir dem Bau
- elektrischer Eisenbahnen weniger Bedeutung+ geschenkt als die sich
- hauptsächlich auf dieses Gebiet konzentrierende Union, der noch
- dazu die Versuche und Erfahrungen befreundeter Gesellschaften in
- Amerika zur Verfügung stehen. Von jeher hat dieses Land gerade
- im elektrischen Transportwesen einen Vorsprung erlangt, den es
- bei der Eigenart der dortigen Verhältnisse voraussichtlich noch
- länger zu bewahren imstande sein wird. Die Fabriken der A. E. G.
- und der Union ergänzen sich so glücklich, daß nur verhältnismäßig
- wenige, in beiden Unternehmungen gleichzeitig ausgeübte Betriebe
- im Interesse der Einheitlichkeit verschmolzen zu werden brauchen.
- Außerdem können Aufträge, welche die Union bisher anderweitig
- vergeben mußte, den Werkstätten der A. E. G. im Interesse beider
- zufallen. Im Besitze der Union befinden sich keine Aktien ihrer
- Trustgesellschaft. Die +Finanzgesellschaft bleibt außerhalb des
- Vertrages+; ebenso sind die selbständigen, ausländischen Geschäfte
- in die jetzige Kombination nicht einbezogen worden. Immerhin
- sichert die gewählte Form des Abschlusses die Möglichkeit weiterer
- Angliederungen solcher Unternehmungen, die den geschaffenen Konzern
- zu ergänzen oder zu stärken geeignet sind.
-
- Die von uns gewählte Art des Zusammengehens steht der formellen
- Fusion vielleicht insofern nach, als diese einen scheinbar weniger
- umständlichen Verwaltungsapparat erfordert und der +Gedanke einer
- Verschmelzung, von dem man ursprünglich ausgegangen war, braucht
- auch deshalb nicht aus dem Auge verloren zu werden+. Für jetzt
- wird man sich begnügen, den Zusammenschluß einer tatsächlichen
- Fusion so zu nähern, daß materielle Nachteile aus dem +etwas
- künstlicheren Aufbau+ weder für die Gesellschaften noch für die
- Aktionäre entstehen. Die verschiedenen Momente kann man ihrem
- wesentlichen Inhalte nach dahin zusammenfassen: Die gegenwärtige
- Lage der Industrie macht den Zusammenschluß der elektrotechnischen
- Firmen zu einer Notwendigkeit. Die wirtschaftlichen Vorteile des
- Zusammenschlusses sind so erheblich, daß ihnen gegenüber die
- Bedenken verschwinden. Interessen dritter werden nicht verletzt,
- weder Einzelner noch der Allgemeinheit. Dem Lande aber wird das
- Fortbestehen einer seiner schönsten und stärksten Industrien
- gesichert.“
-
-Wenngleich in den die Interessengemeinschaft begründenden Ausführungen
-auf die verbleibende Selbständigkeit der beiden Unternehmungen ein
-gewisser Nachdruck gelegt worden war, so betonte doch dasselbe
-Verwaltungsdokument, in einem gewissen Widerspruch zu diesem
-Individualitätsprinzip bereits, „daß der Gedanke einer Verschmelzung,
-von dem man ursprünglich ausgegangen war, deshalb nicht aus dem Auge
-verloren zu werden brauchte.“ Daß man bei der A. E. G. die gefundene
-Form von vornherein nur für eine vorläufige hielt und sobald als
-möglich in eine endgiltige umzuwandeln bestrebt war, geht aus allen
-nachprüfbaren Umständen hervor. Auch weiterhin blieb man in jener
-Zeit der Konzentrationsbewegung, die man während der Krisis aus
-praktischen Gründen hatte zurückdämmen müssen, mit Entschlossenheit
-zugewandt und hielt sie mit dem vorstehend geschilderten Abkommen
-noch nicht für erledigt. Der Geschäftsbericht für 1902/03 stellte
-fest: „der +erste Schritt+ in der Richtung, die wir stets als die
-wünschenswerte bezeichneten, ist geschehen: die vier bedeutendsten
-Unternehmungen unserer Industrie sind heute zu zwei Gruppen vereinigt,
-die mehr als dreiviertel der Gesamtproduktion repräsentieren.“
--- An einer weiteren Stelle hieß es: „In gemeinsamem Interesse
-wünschen und hoffen wir, daß die zentralisierende Bewegung in der
-Elektrotechnik andauert und unterstützt vom guten Einvernehmen der
-leitenden Persönlichkeiten die Erfolge zeitigt, deren, wenn auch
-nicht alleinige, Voraussetzung sie bildet.“ -- In demselben Bericht
-konnte schon auf ein paar weitere Ergebnisse der Transaktionspolitik
-hingewiesen werden, die sich allerdings -- vom Standpunkte der großen
-Entwickelung aus betrachtet -- als Nebengeschäfte darstellen. Die A.
-E. G. beteiligte sich an der Umwandlung der bekannten Maschinenfabrik
-+Gebr. Körting+ in Hannover in eine Aktiengesellschaft, von
-deren 16 Millionen Mark betragendem Kapital sie 1,1 Millionen Mark
-übernahm. Die elektrische Abteilung des Unternehmens wurde von der
-A. E. G. ganz erworben und als G. m. b. H. insbesondere zum Zweck
-der Herstellung von Generator-Gasanlagen für elektrische und andere
-Betriebe organisiert. -- Auch zwischen den beiden Großkonzernen,
-der A. E. G. und Siemens & Halske, die sich bereits früher einmal
-bei der Gründung der Akkumulatorenwerke Berlin-Hagen zu gemeinsamer
-Betätigung zusammengefunden hatten, spannen sich unter dem Einfluß
-der Konzentrationsbewegung weitere Fäden. Die beiderseitigen
-funkentelegraphischen Systeme Arco-Slaby und Braun wurden in der
-Gesellschaft für drahtlose Telegraphie (System Telefunken) vereinigt.
-Nur in gemeinsamer technischer und kommerzieller Ausgestaltung der
-zu entwickelnden Anfänge konnte man hoffen, dem mächtigen englischen
-Marconi-System, das auf ein Weltmonopol namentlich in der drahtlosen
-Schiffstelegraphie hinsteuerte, die Spitze zu bieten. Auch an dem
-Bau eines großen Unternehmens in Valparaiso für Licht-, Kraft- und
-Bahnbetrieb beteiligten sich die beiden Konzerne. Fertiggestellt
-sollte das Werk der Deutsch-Überseeischen Elektrizitätsgesellschaft,
-jenem gewaltigen südamerikanischen Sammelunternehmen, zugeführt werden,
-in das neben der A. E. G. und der Deutschen Bank damit auch Siemens
-& Halske eintraten. Derartige gelegentliche Gemeinschaftsgeschäfte
-führten aber letzten Endes keineswegs zu einer engeren Zusammenfassung
-der beiden Gesamtgruppen. Die Hauptstrome liefen weiter getrennt
-nebeneinander und vielfach sogar auseinander.
-
-Die +konzentrative Hauptrichtung+ der A. E. G. blieb in dieser
-Zeit aber auf den Ausbau der Verbindung mit der „Union“ und den
-Anschluß an das amerikanische Interessengebiet dieser Gesellschaft
-gerichtet. Diese Angelegenheit erschien Emil Rathenau so wichtig,
-daß er sich im Herbst 1903 zu einer Reise nach Amerika entschloß.
-Wie in früheren Fällen schon war ihm auch diesmal die Auffrischung
-nach den niederdrückenden Zeiten der Krisis ein körperliches und
-geistiges Bedürfnis, wie früher schon war die amerikanische Reise
-ein Jungbrunnen für seine Energien, eine Quelle neuer bezwingender
-Eindrücke, die den auch auf der Höhe des Erfolges und des Ruhmes
-frisch und naiv gebliebenen, genau so wie den jungen, unbekannten
-Ingenieur enthusiasmierten. Diesmal erschien er aber in der Neuen
-Welt nicht als einer, der einen kleinen Teil des drüben angehäuften
-Geistesreichtums in sich aufnehmen und zur Errichtung einer
-bescheidenen Existenz im Heimatlande mit sich forttragen wollte,
-sondern als ein Geistesherrscher, ein Industriekönig, der den
-führenden Männern drüben als Gleichberechtigter entgegenzutreten
-und mit ihnen über die +Verteilung der elektrischen Welt+ zu
-verhandeln beabsichtigte. Er kam nicht nur, um zu nehmen, sondern
-auch um zu geben, um auszutauschen. Gewiß hatte die amerikanische
-Elektrizitätsindustrie, der die Welt und der Rathenau das elektrische
-Glühlicht verdankte, inzwischen erfolgreich weiter gearbeitet und
-Erstaunliches geleistet. Aber auch die deutsche Elektrizitätsindustrie
-sah auf eine Periode glänzender Vollbringungen, systematischer
-Durcharbeitungen zurück und konnte namentlich im Zentralenwesen, auf
-dem Gebiete der Kraftübertragung, der Metallurgie und Elektrochemie
-wertvolle Kompensationen anbieten.
-
-Der ordentlichen Generalversammlung vom 12. Dezember 1903 wohnte
-Rathenau nicht bei. Es war kein Wunder, daß aus Kreisen der
-Aktionäre Interesse und Neugierde laut wurden, welche Zwecke die
-Reise des Generaldirektors verfolge, mit der sich auch schon
-die Presse angelegentlich beschäftigt hatte. Den Fragern wurde
-eingehende Auskunft. Die Union-Elektrizitäts-Ges., so hieß es, war
-eine Tochtergesellschaft der amerikanischen Thomson Houston Co.,
-von der sie als Wirkungsgebiet Mittel- und Nordeuropa zugewiesen
-erhalten und mit der sie einen Austausch von Erfindungen, Patenten
-und Konstruktionen vereinbart hatte. Später wurde die Thomson Houston
-Co. -- wie wir schon wissen -- mit der Edison Electric zu der General
-Electric Co. verschmolzen, deren Aktienkapital den stattlichen
-Betrag von 42 Millionen Dollar erreichte. Die amerikanischen
-Interessenten sahen nun eine Beeinträchtigung für sich darin, daß die
-A. E. G., die territorial unbeschränkt war, in Wettbewerb mit den
-Tochtergesellschaften der General Electric auf +den+ Gebieten des
-Weltmarkts treten konnte, die der Union verschlossen waren. Bei der
-engen Interessenverbindung, die zwischen der A. E. G. und der Union
-neuerdings bestand, war damit die Beschränkung auch für die Union
-praktisch hinfällig geworden. Der Präsident der General Electric war
-persönlich nach Europa gekommen, um mit der A. E. G.-Union-Gruppe
-auf vorbereiteter Basis ein neues Übereinkommen zu treffen, dessen
-Voraussetzung sein sollte, daß die Tochtergesellschaften der General
-Electric, die britische und die französische Thomson Houston Co.,
-denen die Mittelmeergebiete zugewiesen waren, sich der Abgrenzung der
-Organisationsgebiete anschlossen. Neben diesen Absatzfragen gab es auch
-technische Angelegenheiten zu regeln. Diese bezogen sich insbesondere
-auf die +Turbinenfrage+. Die A. E. G. hatte den Turbinenbau
-aufgenommen, aus dem Bestreben heraus, sich neue Geschäftszweige zu
-schaffen, nachdem manche der alten unter dem starken Wettbewerb in
-ihrer Ergiebigkeit gelitten hatten. „Die Konstruktion von Dampfturbinen
-haben wir mit dem ihrer Bedeutung entsprechenden Nachdruck entwickelt
-und die hierbei erzielten günstigen Ergebnisse haben uns bestimmt,
-die Fabrikation dieses für stationäre Betriebe und die Seeschiffahrt
-gleich wichtigen Motors, welcher ein hervorragendes Organ auch der
-elektrischen Stromerzeugung zu werden verspricht, in großem Umfange
-zu betreiben. Zur Erfüllung dieser Aufgabe genügen unsere für andere
-Zwecke der Technik geschaffenen Einrichtungen nicht, aber wir sind bis
-zur Vollendung der neuen Projekte in der Lage, die noch zu schaffenden
-Typen, sowie die Hilfsmittel und Werkzeuge zu ihrer Herstellung im
-praktischen Gebrauche zu erproben.“ So hieß es im Geschäftsbericht für
-das Jahr 1902/03. Die A. E. G. stützte sich bei ihren Plänen auf die
-+Riedler-Stumpf+schen Patente. Die General Electric besaß die
-wertvolle und bereits weiter entwickelte +Curtis Turbine+. Während
-die General Electric große Typen herstellte, versuchte die A. E. G.,
-der für diese Zwecke damals unbeschränkte Mittel nicht zur Verfügung
-standen, die Konstruktion kleinerer Typen. Eine Vereinigung beider
-Systeme und eine damit zu erreichende Vervollkommnung des Turbinenbaus
-wurde von den Gruppen angestrebt. In der Zeit der Anwesenheit des
-Präsidenten der General Electric in Europa waren die Schwierigkeiten
-mit den Mittelmeergesellschaften noch nicht gelöst. Dagegen war es
-gelungen, mit der +Brown Boveri-Ges.+, die zur Ausnutzung ihrer
-Parsons Patente die Turbinia Parsons Marine-Akt.-Ges. gegründet und
-auch einige Aufträge für die deutsche Marine erhalten hatte, ein
-Abkommen zu treffen. Die A. E. G. übernahm im Anschluß daran 5625000
-Frcs. Aktien der Brown Boveri & Cie.-Ges. in Baden (Schweiz). Auch
-hier war ein Erfolg auf dem Konzentrationswege erreicht worden, der
-zwar keine Verbindung erster Größe, doch immerhin eine solche von
-Wichtigkeit auf einem Spezialgebiet darstellte.
-
-Die Reise Emil Rathenaus nach den Ver. Staaten löste alle noch offenen
-Probleme und überwand alle Schwierigkeiten. Am 27. Februar 1904 konnte
-eine außerordentliche Generalversammlung einberufen werden, von der die
-Anträge auf +völlige Verschmelzung+ der A. E. G. mit der Union
-E. G. genehmigt wurden. Aus der ausführlichen Denkschrift, die den
-Aktionären in der Generalversammlung vorgelegt wurde, sei das Folgende
-wiedergegeben:
-
- „Die Schranken, welche die Verschmelzung unserer Gesellschaften
- hinderten, sind beseitigt, und, nachdem die Beziehungen zu
- den amerikanischen Gesellschaften eine den neu zu schaffenden
- Verhältnissen entsprechende Gestaltung gefunden haben, erscheint
- die Fusion jetzt als letzte Konsequenz der Interessengemeinschaft,
- die eine Etappe auf diesem Wege war und sein sollte.
-
- In der Generalversammlung vom 12. Dezember 1903 sind Andeutungen
- über den Zweck der Reise des Generaldirektors der Gesellschaft
- nach den Vereinigten Staaten gemacht worden. Im Vordergrunde des
- Interesses stand die Regelung der zukünftigen Beziehungen der
- Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft zur General Electric Co.,
- der mächtigsten Trägerin der elektrischen Industrie in der Neuen
- Welt. Die Werke dieser Gesellschaft sind von gewaltigem Umfang; sie
- verfügt über einen großen Stab fähiger Männer aus der Wissenschaft
- und Praxis und fördert mit reichen Mitteln und seltener
- Freigebigkeit die Ziele der elektrischen Industrie in Laboratorien
- und Versuchswerkstätten.
-
- Eine innige Annäherung an diese Organisation erschien umso
- erstrebenswerter, als schon das Bündnis der Union E. G. mit der
- inzwischen von der General Electric Co. aufgesaugten Thomson
- Houston Co. die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft in
- hervorragendem Maße für die Interessengemeinschaft bestimmt hatte.
-
- Es bestehen europäische Tochtergesellschaften der General Electric
- Co. für England, Frankreich und die Mittelmeerländer; sie haben
- den Namen Thomson Houston beibehalten. In den Vereinigten Staaten
- von Nord-Amerika werden von der General Electric Co. kontrolliert:
- Edison General Electric Co., Thomson Houston Electric Co., Fort
- Wayne Electric Works, Stanley Electric Manufacturing Co., Eddy
- Electric Corporation, General Incandescent Arc Light Co., Sprague
- Electric Co. und Northern Electric Co.
-
- Das Gebiet der Union E. G. war Deutschland, Mittel- und Nord-Europa
- und die Balkanstaaten. In Österreich, Rußland und Belgien hat sie
- unter Beteiligung einheimischer Finanzinstitute die österreichische
- bezw. russische Union E. G. und die Union Electrique in Brüssel
- errichtet.
-
- Die einzelnen Gesellschaften sind durch Verträge untereinander
- und mit der Muttergesellschaft auf den ihr zugewiesenen
- Bezirk geographisch beschränkt, aber frei, die Gebiete durch
- Separatabkommen zu erweitern; so hat die Union Electrique durch
- eine Vereinbarung mit der Mittelmeergesellschaft, kurz Meditomson
- genannt, das Recht erlangt, unter gewissen Bedingungen auch in
- Italien Geschäfte abzuschließen.
-
- Das alle Gesellschaften gemeinsam verbindende Element ist der
- wechselseitige Austausch von Patenten und Erfahrungen.
-
- Auf den Beitritt zu diesem Konzern und die Anbahnung
- freundschaftlicher Beziehungen auch zu den europäischen
- Unternehmungen waren unsere Bemühungen nicht weniger
- gerichtet, als auf die Verallgemeinerung der wichtigen
- technischen und kommerziellen Interessen, welche wir in unseren
- Dampfturbinen-Patenten und denen von Riedler-Stumpf besaßen. Die
- Vereinigung der letzteren mit den Patenten der Curtisgruppe, die
- die General Electric Co. zur eigenen Ausübung in den Vereinigten
- Staaten erworben hatte und für andere Länder zu verwerten im
- Begriff stand, erschien uns nützlich.
-
- Unsere zahlreichen Verträge mit den amerikanischen und europäischen
- Gesellschaften enthalten folgende Hauptpunkte:
-
- 1. Eine Vereinbarung, nach welcher die Allgemeine
- Elektrizitäts-Gesellschaft und die General Electric Co. ihre
- Gebiete für sich und ihre Tochtergesellschaften gegenseitig
- abgrenzen und jede Partei der anderen Patente und Erfahrungen für
- die betreffenden Gebiete überläßt.
-
- Das ausschließliche Gebiet der General Electric Co. umfaßt im
- wesentlichen die Vereinigten Staaten von Nord-Amerika und Kanada,
- das der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft Deutschland mit
- Luxemburg, Österreich-Ungarn, europäisches und asiatisches Rußland,
- Finnland, Holland, Belgien, Schweden, Norwegen, Dänemark, Schweiz,
- Türkei und die Balkanstaaten.
-
- Für die Gebiete der europäischen Tochtergesellschaften sind
- langsichtige Separatabkommen geschlossen, für die anderen
- Weltteile einschließlich Süd-Amerika ist ein gemeinsames Arbeiten
- der beiden großen Elektrizitätsgesellschaften in Aussicht
- genommen, Abmachungen, welche ein langjähriges und ersprießliches
- Zusammenwirken erwarten lassen.
-
- Auf die Vereinbarungen über Italien werden wir später noch
- zurückkommen; in Spanien und Griechenland bleiben die bisherigen
- Verhältnisse einstweilen unverändert.
-
- 2. Die General Electric Co. und die Allgemeine
- Elektrizitäts-Gesellschaft gründen eine Gesellschaft
- mit 3 Millionen Mark zur Verwertung der Riedler-Stumpf-
- und Curtis-Patente im Gebiete der Allgemeinen
- Elektrizitäts-Gesellschaft. Hierbei sind die Patente von Curtis
- mit 1,8 Millionen Mark, die von Riedler-Stumpf mit 1,2 Millionen
- Mark bewertet. Die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft hat sich
- eine Lizenz gesichert. Sie erlangt hiermit auch das Lieferungsrecht
- nach allen außereuropäischen Ländern mit Ausnahme der Vereinigten
- Staaten und Kanada, für welche die General Electric Co. die
- Riedler-Stumpf-Rechte erwirbt.
-
- 3. Das Recht der Benutzung von Curtis-Patenten für
- Betriebsmaschinen von Schiffen war der International Curtis
- Marine Turbine Co. vorbehalten. Diese hat der Allgemeinen
- Elektrizitäts-Gesellschaft Lizenz für deren europäisches Gebiet
- erteilt, wogegen die letztere der Marine Turbine Co. die Verfügung
- über Riedler-Stumpf-Patente für Schiffsbewegungszwecke gestattet.
-
- 4. Mit den Professoren Riedler und Stumpf besitzt und
- bearbeitet die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft deren
- Dampfturbinen-Patente in der Gesellschaft zur Einführung von
- Erfindungen m. b. H. Die Patente sind nunmehr an die Vereinigte
- Dampf-Turbinen-Gesellschaft und für Nord-Amerika an die
- General Electric Co. übergegangen, die Marine-Rechte an die
- Marine-Turbinen-Gesellschaften, während die genannten Erfinder
- an den der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft gewährten
- Gegenleistungen beteiligt werden.
-
- 5. Mit der British Thomson Houston Co. ist ein analoger Vertrag,
- wie der mit der General Electric Co. über das Exportgeschäft
- geschlossen worden. Es sind der englischen Gesellschaft aber
- außerdem im Interesse der Geschäftsbetriebe noch gewisse
- Befugnisse eingeräumt worden, u. a. die finanzielle Beteiligung
- an der englischen Tochtergesellschaft der Allgemeinen
- Elektrizitäts-Gesellschaft und an einer in England etwa zu
- gründenden Gesellschaft für Herstellung von Nernstlampen. Dagegen
- bleibt der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft das Recht,
- außer anderen Fabrikaten auch Turbinen nach England zu liefern,
- vorbehalten.
-
- 6. Wie mit der britischen Gesellschaft findet auch mit
- der französischen Thomson Houston Co. ein gegenseitiger
- Austausch der Patente und Erfahrungen statt. Die Allgemeine
- Elektrizitäts-Gesellschaft wird ihre französische Organisation
- auf den Verkauf ihrer Erzeugnisse in Frankreich beschränken und
- Maschinen, sowie Dampfturbinen nur an die französische Gesellschaft
- liefern, welcher eine Option auf den Bezug von Aktien der Société
- Française d’Electricité A. E. G. bis zu einem gewissen Betrage
- zugesichert ist. Dagegen garantiert die französische Thomson
- Houston Co. der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft einen dem
- bisherigen Umsatz an Maschinen in Frankreich entsprechenden Bezug
- von Dynamos.
-
- Aus den Verträgen ergibt sich für uns das Recht und die Pflicht,
- folgende Gesellschaften zu gründen:
-
- I. eine Gesellschaft für den Bau von Dampfturbinen, Turbodynamos
- und deren Zubehör. Die „Allgemeine Dampfturbinen-Gesellschaft“ soll
- mit einem nach Bedarf einzuzahlenden Aktienkapital von 5 Millionen
- Mark ausgerüstet werden. Die Aktien zeichnet die Allgemeine
- Elektrizitäts-Gesellschaft. Als Fabrikanlage werden Grundstücke,
- Gebäude und Maschinen der Union E. G., deren Fabrikbetrieb mit dem
- der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft verschmolzen worden ist,
- voraussichtlich dienen. Die vorgenannten Immobilien würden der
- Allgemeinen Dampfturbinen-Gesellschaft auf eine Reihe von Jahren
- mit dem Rechte des Erwerbes verpachtet werden. Die technische
- Leitung wird Herrn Direktor Lasche, in dessen Hände der Turbinenbau
- der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft sich gegenwärtig bereits
- befindet, übertragen.
-
- II. Die oben erwähnte Turbinen-Licenz-Gesellschaft; diese ist unter
- der Firma „Vereinigte Dampfturbinen-Gesellschaft m. b. H.“ bereits
- errichtet.
-
- III. Eine italienische Gesellschaft mit einem Kapital von
- 6 Millionen Lire, auf die die bisherigen Organisationen
- der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft und der Thomson
- Houston-Gesellschaft, sowie die italienischen Turbinen-Patente
- sämtlicher Gruppen übergehen.
-
- IV. Zwischen der Union Electrique in Brüssel und der Société
- Belge d’Electricité A. E. G. ist ein analoges Abkommen, wie es
- zwischen der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft und Union
- Elektrizitäts-Gesellschaft besteht, einstweilen getroffen; eine
- förmliche Fusion dieser Gesellschaften dürfte vielleicht später
- sich vollziehen.
-
- Sind schon die Aufwendungen für die genannten Gesellschaften,
- den Erwerb von Patenten und die Gewährung von Vorschüssen und
- aus den erwähnten Transaktionen von beträchtlichem Belang, so
- erfahren sie noch eine Vermehrung durch Übernahme von Aktien
- der Österreichischen Union E. G., an der die hiesige Union E.
- G. hervorragend beteiligt ist, und die wir sowohl aus diesem
- Interesse, als auch zur Schaffung geeigneter Fabrikationsstätten
- in Österreich, einer durchgreifenden Rekonstruktion zu unterziehen
- beabsichtigen.
-
- Endlich wird die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft die häufig
- im Wege des Kredits beschafften +Betriebsmittel der Union E. G.+,
- falls sie ihre durch zwei Jahrzehnte bewährte Finanzgebarung auch
- auf diese Geschäfte übertragen will, +ergänzen und verstärken
- müssen+.
-
- Zur +Beschaffung+ der für die Durchführung des vorgezeichneten
- Programms erforderlichen +Kapitalien+ unterbreiten wir folgende
- Vorschläge Ihrer geneigten Erwägung:
-
- Die Union E. G. verfügte nach der Bilanz vom 30. Juni 1903 über
- Effekten und Anlagen im eigenen Betriebe zum Buchwerte von ca.
- 13 Millionen Mark, aber die Objekte befinden sich größtenteils
- in der Entwicklung, haben keinen Börsenkurs und würden deshalb
- schwer flüssig gemacht werden können. Zur Verwertung dieser
- Vermögensobjekte wird die Union E. G. unter Gewährleistung
- angemessener Erträgnisse den größten Teil dieses Besitzes der
- Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft überlassen und dafür von
- ihr 6,5 Millionen Mark nominal neu auszugebender Allgemeine
- Elektrizitäts-Gesellschafts-Aktien mit Gewinnberechnung vom 1. Juli
- 1903 empfangen. Diese 6,5 Millionen Mark neuer Aktien hat sich der
- Union E. G. gegenüber ein Konsortium zu einem Kurse von 210% tel
- quel netto ohne Stückzinsenberechnung abzunehmen bereit erklärt.
-
- Vermöge dieser Transaktion würde die Union in den Besitz von
- Barmitteln in Höhe von ca. 13650000 Mark gelangen, und die
- Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft die erworbenen Effekten unter
- Abzug der aus dieser Transaktion entstehenden Spesen und Zinsen
- weit unter dem Buchwerte bei der Union E. G. inventarisieren dürfen.
-
- Sollte dieses Anerbieten Ihre Zustimmung finden, so
- würden wir gleichzeitig den Antrag stellen, die bisherige
- +Interessen-Gemeinschaft+ der beiden Gesellschaften +aufzuheben+
- und den Umtausch der Aktien der Union E. G. gegen solche der
- Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft im Verhältnis der durch
- die Interessengemeinschaft festgesetzten Relationen von 3:2 zum
- Zwecke einer späteren Fusion bezw. Liquidation der Union E. G.
- zu vollziehen. Diese Verschmelzung würde wesentlich noch dadurch
- erleichtert werden, daß Immobilien, Betriebsinventarien, Waren und
- Materialien teils auf die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft
- übergehen, welche zugleich Kasse, Wechsel, Kautionen, Vorräte,
- Debitoren, Versicherungsprämien und Patente zu übernehmen hätte.
- Da die Reserven der Union E. G. den aus der Bilanz sich ergebenden
- Verlust des letzten Jahres reichlich decken, so wäre das teils
- in bar, teils in sofort realisierbaren Werten vorhandene
- Gesellschaftskapital der Union E. G. zur Durchführung sämtlicher
- Transaktionen vorhanden.
-
- Aktionäre der Union E. G., welche über die Hälfte des
- Aktienkapitals verfügen, haben den eventuellen Umtausch ihrer
- Aktien unter diesen Bedingungen zugesagt, und wir zweifeln nicht,
- daß die übrigen ihrem Beispiel folgen werden.
-
- Aber auch die Aktionäre der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft
- hätten Grund zur Zufriedenheit, denn ihre Gesellschaft würde
- gegen Hergabe von 22½ Millionen neuer Aktien und Übernahme von
- 10 Millionen Obligationen erstens 34 Millionen liquider Mittel,
- zweitens Effekten, Zentralen und Bahnen, welche bei der Union E.
- G. mit mehr als 13 Millionen Mark zu Buche stehen, und drittens
- Rechte, Erfahrungen, Patente, die gesamten Grundstücke und
- Fabrikanlagen und die Organisation dieser Gesellschaft erlangen,
- sowie in den alleinigen und ausschließlichen Besitz der Rechte
- und Verträge treten, die namens der deutschen Gruppe mit den oben
- erwähnten Parteien geschlossen sind.“
-
-Das äußere Resultat, sozusagen der Mantel, mit dem die Fülle der neuen
-Lebens- und Schaffensformen umkleidet wurde, ist die Kapitalserhöhung
-der A. E. G. um 26 auf 86 Millionen Mark. Die vielen kleineren und
-größeren Kräfte, die mit den Transaktionen des 27. Februar 1904 dem
-Fundus der A. E. G. zugefügt wurden, setzten ihr Wirken fort, aber
-ihr Pulsschlag, ihre Richtung und ihr Taktschritt wird dem größeren
-Leben der A. E. G. angepaßt, ihren Gesichtspunkten und Interessen
-eingeordnet, -- gewiß nicht im ersten Wurfe, sondern in langsamer,
-zusammenschweißender und abschließender Organisationsarbeit. Allmählich
-gingen sie auf in dem regelmäßig und einheitlich arbeitenden
-Räderwerk, das der Betrieb eines Riesenunternehmens wie der A.
-E. G. darstellte, darstellen mußte, wenn nicht Reibungsverluste,
-Desorganisation, Absterben von Trieben den Organismus verfallen lassen
-sollten. Nur wer die ungeheuren Schwierigkeiten und die gewaltige
-Menge an Kleinarbeit, Disharmonik und Unstimmigkeit kennt, die mit
-einer Eingliederung und Abstimmung oft heterogener Fusionselemente
-verbunden sind, wer es einmal gesehen hat, wie neben den durch die
-Fusion erhaltenen und belebten Kräften auch andere der Verpflanzung
-sich widersetzen und verkümmern, ja wie manchmal der ganze theoretisch
-fein ausgeklügelte Fusionsgedanke sich bei der Verwirklichung
-als irrtümlich und verfehlt erweist, der kann ermessen, welche
-kaufmännische Leistung die +Durchführung+ einer so umfangreichen
-und vielgestaltigen Transaktion wie der vorstehend geschilderten
-bildet. Für den Außenstehenden ist die Angelegenheit damit erledigt,
-daß der Plan der Transaktionsarchitektur im großen festgelegt ist,
-die Personalveränderungen in den höchsten Stufen, bei Aufsichtsrat
-und Vorstand, erfolgt und die Generalversammlungsformalitäten erfüllt
-sind. Die neuen Aktien sind da und verbergen dem Außenstehenden das
-Chaos, das noch besteht, das Durcheinander der Meinungen, Gewohnheiten
-und Methoden, das nun erst zu ordnen, in Reih und Glied zu bringen
-ist. Welche ungeheure Menge an Fehlschlägen, an Verstimmungen,
-an Vergewaltigungen nach der papierenen Beschlußfassung über die
-Verschmelzung noch zu entstehen vermag, ahnt der Aktionär nicht, dessen
-Wertpapiere nur eine andere Uniform angezogen haben. Oder er bekommt
-es manchmal erst später zu erfahren, wenn sich herausstellt, daß das
-Mißlingen der Fusionsdurchführung die Rente und die Aktie entkräftet
-hat. Auch solche Fälle von unheilbarer Fusionskrankheit gibt es,
-und gerade in der Elektrizitätsindustrie ist ein sehr lehrreiches
-Beispiel dieser Art in der Fusion des Felten Guilleaume Carlswerks
-mit der Elektrizitäts-Ges. Lahmeyer zu finden, die kurze Zeit nach
-der Verschmelzung der A. E. G. mit der Union E. G. aus derselben
-Konzentrationstendenz heraus und mit ähnlichen Absichten erfolgte.
-Hier war nicht Kräftigung, sondern Schwächung die Folge der in der
-Durchführung mißlungenen Fusion, und bei der später wieder erforderlich
-werdenden Trennung war es gerade die Reorganisationskraft der A. E.
-G., die das Übel heilen mußte und heilen konnte. Nicht nur in der
-Anlage von Fusionsplänen, sondern auch in ihrer Durchführung haben
-Rathenau und seine Mitarbeiter stets eine überragende Meisterschaft
-bekundet. Gewiß gab es auch bei ihnen im einzelnen Rückstände
-im Einschmelzungsprozeß, aber die große Reservekapazität ihrer
-Unternehmungen gestattete es diesen, derartige Verluste bei Fusionen
-leicht zu verwinden, ja von vornherein mit in die Rechnung einzustellen.
-
-Das Gesetz der Rivalität und des +Dualismus+ wurde durch die
-Ausdehnung der A. E. G. auf das amerikanische Interessengebiet
-augenblicklich in Tätigkeit gesetzt. Siemens & Halske leiteten bald
-nach Bekanntwerden der Reise Rathenaus nach Amerika und der damit
-verbundenen Pläne Verhandlungen mit dem +Westinghouse-Konzern+
-ein, der zeitweilig seinen mit großer Kühnheit und Vielseitigkeit
-entworfenen Unternehmungen größere Ausdehnung zu geben verstanden
-hatte als selbst die General Electric. Georg Westinghouse, ein Geist
-von hohen technischen und kaufmännischen Fähigkeiten, hatte ähnliche
-Bahnen beschritten wie Rathenau, aber gerade bei ihm machte sich
-verhältnismäßig früh das Fehlen einer soliden Fundierung, einer inneren
-Festigung und Sicherung der durch die Expansion eroberten großen und
-mit verschwenderischer Fülle ausgestatteten Gebiete geltend. Die
-amerikanische Krisis des Jahres 1907 erschütterte die Fundamente seiner
-Gründungen und stellte sie vor die Notwendigkeit einer Reorganisation.
-Die Westinghouse-Gesellschaft mußte sich damals unter Receiverschaft
-(Zwangsverwaltung) begeben, während Emil Rathenau die Genugtuung hatte,
-daß die von ihm beratene General Electric den Sturm überstehen konnte.
-So waren es letzten Endes hüben und drüben nur wenige der aus der
-großen Schwungkraft der Elektrizitätsbewegung geborenen Unternehmungen,
-die aus der Feuerprobe der Krisis ungeschwächt hervorgingen. Die
-wenigen allerdings, die stark blieben, wurden durch den Verlust und
-den Fall der anderen noch stärker und konnten einen Teil der Werte
-aufraffen, die von den anderen hatten aufgegeben werden müssen.
-
-
-
-
-Dreizehntes Kapitel
-
-Weltwirtschaft
-
-
-Es kamen die Jahre der Reife und der Ernte. Nachdem die Krisis
-überwunden, der Besitz durch sie gemehrt, die früher mit unzulänglichen
-Mitteln unternommene Einflußausdehnung auf die verwandte Industrie der
-Neuen Welt mit gesammelter Kraft wiederholt, die überseeische Tätigkeit
-durch mächtige Stützpunkte und gewaltige Kulturbauten fest gegründet
-worden war, brauchte eine Erschütterung der Position nicht mehr
-befürchtet zu werden. Eines der größten Unternehmungen Deutschlands
-nicht nur, sondern auch eines der bekanntesten im Auslande war die
-A. E. G. geworden. Der Weltruf war geschaffen. Nur wenige deutsche
-Industrie-Unternehmungen standen ihr darin gleich. Vielleicht Krupp,
-Siemens, die Hamburg-Amerika-Linie und der Norddeutsche Lloyd. Die
-Riesenhüttenwerke Rheinland-Westfalens konnten es an internationaler
-Popularität mit ihr nicht aufnehmen, weil sie für breite Teile ihres
-Absatzes nicht unmittelbar, sondern durch die großen Montanverbände,
-Kohlensyndikat, Stahlwerksverband, Walzdrahtverband usw. mit der
-Auslandskundschaft in Berührung traten.
-
-Nach der stilleren Laboratoriumsarbeit, der inneren Ausgestaltung
-der Betriebe und Methoden, die in der Zeit der Krisis und Nachkrisis
-zu Ersparnissen und Verbilligungen in der Arbeit führen sollten,
-kam wieder die Zeit des kühnen Planens, der neuen Entwürfe und
-Geschäfte. Es wurde nicht mehr gespart, sondern gewagt, um zu
-gewinnen. Millionen wurden wieder auf eine Karte gesetzt, und
-die Zurückhaltung gegenüber neuen Projekten, die Rathenau in den
-Generalversammlungen der vergangenen Jahre gepredigt hatte, drückte
-nicht mehr auf die Schaffensfreudigkeit. Die Fenster wurden weit
-wie nie zuvor geöffnet, und frische Luft drang von allen Seiten in
-Bureauräume und Fabrikhallen. Auch in äußeren Dingen wurde mehr auf
-Repräsentation und würdige Aufmachung gegeben als vorher. Man mußte
-auch dadurch erweisen, daß man an der Spitze der deutschen Industrie
-marschierte und Welthaus geworden war. Statt des engen und veralteten
-Verwaltungsgebäudes, das die A. E. G. von den B. E. W. gemietet und
-mit ihnen geteilt hatte, entstand der in seiner Schlichtheit schöne
-und monumentale +Messelbau+ am Friedrich Karl-Ufer. Statt der
-roten Backsteinfabriken, wie sie die 80er und 90er Jahre in einer
-unschönen Mischung von Kasernen- und Trutzburgenstil geschaffen hatten,
--- Bauwerke, die den Fabrikcharakter mehr verdecken, als zum Ausdruck
-bringen sollten -- entstanden die Maschinen- und Turbinenhallen Peter
-+Behrens+, massige, dabei doch leichte und lichte Zweckbauten
-aus Stein, Beton und Eisen, die mit selbstbewußter Sachlichkeit, doch
-ohne Aufdringlichkeit den Verwendungszweck der Gebäude betonten. Das
-Großgewerbe fand seinen künstlerischen Stil und die Kunst begann das
-Großgewerbe zu verstehen.
-
-Neue große Fabrikbauten entstanden an allen Betriebsstätten des
-Unternehmens. Die Grundstücke der Union E. G. in der Sickingen-
-und Huttenstraße wurden zur Verlegung ganzer gesonderter
-Produktionsabteilungen benutzt. Neben dem Kabelwerk Oberspree wurden
-neue Betriebe, so ein Messingwalzwerk, eine eigene Eisen- und
-Stahldrahtfabrik, eine Automobilfabrik errichtet. Schließlich als
-die in der Stadt und nahe der Stadt liegenden Grundstückskomplexe
-der Gesellschaft nicht mehr ausreichten, wurde in Hennigsdorf am
-neuen Großschiffahrtsweg Berlin-Stettin im Jahre 1909 ein weites
-zusammenhängendes Gelände erworben, auf dem neue Betriebe entstanden
-und der Expansionsdrang sich frei ausleben konnte.
-
-Die Selbstbedarfsdeckung und die Vielseitigkeit im Produktionsprozeß
-wurden weiter ausgedehnt, und gingen soweit, daß eigene Porzellan-,
-Gummi- und Papierfabriken als Hilfsbetriebe entstanden. Dabei hat
-sich die A. E. G. allerdings nicht eigensinnig auf die Durchführung
-eines lückenlosen Selbstbedarfsdeckungsprinzips versteift, wo es
-nicht rationell in den herrschenden Marktverhältnissen begründet
-war. Als zum Beispiel die französische Gummireifen-Firma Michelin
-plötzlich dazu überging, die Verkaufspreise ihrer Fabrikate um 50%
-herabzusetzen, stellte Rathenau kurzentschlossen die Eigenproduktion in
-diesem Artikel ein, denn er konnte seinen Bedarf am Markte billiger
-eindecken. Das System der Selbstbedarfsdeckung wurde von der A. E. G.
-auch nicht soweit ausgedehnt, daß das Gleichgewicht des Aufbaus durch
-die Angliederung „schwerer“ Nebenbetriebe beeinträchtigt worden wäre.
-Insbesondere hielt sich Rathenau davon zurück, die Hauptrohstoffe
-seiner Produktion in eigenen Betrieben zu erzeugen. Ein Strousberg
-hätte vielleicht den jährlichen Kupferverbrauch von zuletzt mehr als
-30000 t zum Anlaß genommen, sich eine eigene Kupfermine in Amerika
-zu kaufen. Emil Rathenau war ein zu vorsichtiger Rechner, um in
-derartige Nebenbetriebe, die ihm möglicherweise eine etwas günstigere
-Materialbeschaffung gestattet hätten, ein Kapital zu investieren,
-das im Mißverhältnis zu den Anlagen seiner Hauptwerke stand und mit
-dem er in seinen Verfeinerungsbetrieben weit mehr verdienen konnte.
-Bei aller Großzügigkeit in der Fabrikationspolitik war er doch frei
-von jeder Großmannssucht. Er suchte Wirkungen, nicht Effekte. Auch
-der Versuchung, eine Kohlenzeche zu erwerben, widerstand er, denn
-er hätte deren Produkte nur zum Teil ausnutzen können, zum anderen
-Teil verkaufen und damit Geschäftszweige aufnehmen müssen, die
-seinem Gebiet ganz fern lagen. Die Feldererwerbungen im Bitterfelder
-Braunkohlenrevier dienten nicht der Brennstoffversorgung der A.
-E. G., sondern der Stromerzeugung besonderer Kraftwerke. Eine
-eigene Stahlanlage in Steinfort schuf sich der A. E. G.-Konzern nur
-indirekt durch das Felten-Guilleaume-Carlswerk in Mülheim, dessen
-Aktienmajorität er im Jahre 1910 erwarb. Im allgemeinen verfolgte
-Rathenau das Prinzip, über den Kreis der Elektrizitätsindustrie nicht
-hinauszugehen, und von Erwerbungen, die nur teilweise in diesen
-Kreis hineingehörten, mit beträchtlichen Abschnitten aber in andere
-Industrien hineinragten, wollte er nicht viel wissen. Dafür war er aber
-darauf bedacht, sein eigenes Gebiet, das der Elektrizitätsindustrie, so
-weit als möglich auszubauen, innerhalb dieses Gebietes alle möglichen
-Techniken und Betriebszweige zu entwickeln, alle Absatzmöglichkeiten
-durch Sonderorganisationen zu pflegen und alle Hilfsindustrien, soweit
-dies mit angemessenen Kosten möglich war, sich anzugliedern.
-
-Eine eigenartige Entwickelung nahm im neuen Jahrhundert die
-+Beleuchtungs-Industrie+. Die A. E. G. hatte durch Übernahme und
-Entwickelung der +Nernstlampe+ die Führung auf diesem Urgebiete
-der Starkstromtechnik, die sie bei ihrer Gründung durch den Erwerb der
-Edisonpatente für Deutschland inne gehabt hatte, sich von neuem sichern
-und festigen wollen. Große Mittel waren in diese Lampe investiert
-worden, der Erfolg hatte sich allmählich eingestellt, überwältigend
-wäre er nie geworden, -- auch wenn die +bessere+ Metallfadenlampe
-nicht gekommen wäre, und sofort über die gute Nernstlampe den Sieg
-davon getragen hätte.
-
-Die sogenannten „ökonomischen“ Lampen waren nicht aus einer in sich
-selbst begründeten Fortentwickelung der elektrischen Glühlampe
-entstanden, sondern sie wurden gesucht und gefunden, weil das
-Gasglühlicht in seinen modernen Formen die „stromfressende“, teure und
-lichtschwache Kohlenfadenlampe völlig zu verdrängen drohte. Zuerst
-hatte man es mit einer Verbesserung der Ökonomie des Kohlenfadens
-versucht und durch die sogenannte Metallisierung dieses Fadens in
-der Tat eine Stromersparnis von etwa 30% zu erreichen verstanden.
-Das genügte aber nicht lange und höhere Glühtemperaturen ertrug der
-Kohlenfaden nicht. Schon vorher war Nernst auf den Plan getreten. Er
-nahm an, daß unter den metallisch leitenden Körpern (den sogenannten
-Leitern I. Klasse) sich keine Substanz befinde, die für die Herstellung
-einer wirklich ökonomischen Lampe geeignet sei. Er benutzte darum als
-Glühkörper seltene Oxyde, bei denen die Leitfähigkeit elektrolytischer
-Natur ist, die allerdings den Nachteil haben, den elektrischen Strom
-erst in der Wärme zu leiten. Es dauerte darum stets einige Zeit,
-ehe die Nernstlampe zu leuchten begann. Die Glühstäbchen mußten
-erst glühend geworden sein. Die A. E. G. hat auf alle mögliche
-Weise versucht, diesen Nachteil zu beheben oder doch abzumildern.
-Sie stellte in der sogenannten Expreßlampe eine Kombination der
-Heizspirale der Nernstlampe mit sofort leuchtenden Glühfäden her,
-ein höchst kunstreiches Produkt, das aber naturgemäß nicht zur
-Billigkeit eines Massenartikels zu bringen war. Auch die sogenannte
-Mehrfach-Lampe, die eine Anordnung mehrerer Nernstlampen zur Verwendung
-für die verschiedensten Zwecke darstellte, konnte den Hauptnachteil
-nicht beheben. Es ist eine seltsame Ironie des Schicksals, daß es
-gerade Auer von Welsbach, der Erfinder des Gasglühlichts war, dem
-als zweiter großer Wurf seines Lebens die Konstruktion +der+
-elektrischen Lampe gelang, die einzig und allein imstande gewesen
-ist, die Niederlage des elektrischen Glühlichts im Kampfe mit dem
-Gasglühlicht zu verhindern. Auer von Welsbach teilte die Ansicht
-Nernsts nicht, daß unter den Metallen keine für die Herstellung
-ökonomischer Lampen geeignete Substanz zu finden sei. Nach langen
-und mühevollen Versuchen gelang es ihm, im Osmium der Platingruppe
-(wer erinnert sich nicht der ersten Versuche Edisons vor Herstellung
-des Kohlenfadens?) ein Metall zu finden, das nur im elektrischen
-Lichtbogen geschmolzen werden konnte. Helles Licht, große Fortschritte
-in der Stromökonomie und verhältnismäßig lange Lebensdauer waren
-schon die Vorzüge dieser ersten Metallfadenlampe, die den Anstoß
-zu neuen, immer vollkommeneren Konstruktionen gab. Emil Rathenau,
-der die Nernstlampe doch gewiß außerordentlich hoch eingeschätzt
-hatte, besaß wissenschaftliche Einsicht und kritische Objektivität
-genug, um sofort zu erkennen, daß die Bahn Auer von Welsbachs die
-erfolgversprechendere war und daß seine eigene Mühe und der gewaltige
-Aufwand, den er an die Nernstlampe gewandt hatte, diese nicht zu retten
-vermochten. Eine Spezialfabrik, die in eine solche grundsätzlich
-„überwundene“ Konstruktion viele Millionen hineingesteckt haben
-würde, ohne sie schließlich produktiv machen zu können, hätte den
-Schlag wahrscheinlich überhaupt nicht verwunden. Auch ein gemischtes
-Unternehmen, das aus großen Reserven die entstandenen Verluste
-nicht hätte ausgleichen können, würde schwer unter dem Fehlschlag
-gelitten haben. Die A. E. G., die alle für die Nernstlampe gemachten
-Investitionen sofort abgeschrieben hatte, vermochte ihn angesichts
-ihrer inneren Stärke ohne äußerlich erkennbare Schäden zu überwinden,
-und konnte sich sofort mit erheblichen Geldkräften der neuen Industrie
-der „seltenen Metalle“ zuwenden. Im Jahre 1909 wird der Nernstlampe
-auch offiziell im Geschäftsbericht der Begräbnisschein ausgestellt.
-„Nur noch Ersatzbrenner und Projektionslampen werden verkauft.“ Bis
-die A. E. G. eine leistungsfähige Metallfadenlampe aus Wolfram-Erz
-hergestellt hatte, verging natürlich einige Zeit. Neben ihr arbeiteten
-noch andere Firmen, darunter Siemens & Halske, die in der Tantallampe
-eine Erstkonstruktion von nicht so erheblicher Stromersparnis als
-Stoßfestigkeit hergestellt hatten, unermüdlich an der Ausgestaltung
-der Metallfadenlampe. Ein bedeutender Fortschritt gelang der General
-Electric Co. durch die Erzeugung der +Metalldrahtlampe+, bei
-der der gespritzte Metallfaden durch den gezogenen Metalldraht
-ersetzt worden war. Die A. E. G. hatte auf Grund ihres technischen
-Austauschvertrages mit der General Electric Anspruch auf die
-Auslieferung der Erfahrungen dieser Gesellschaft. Schließlich kam
-zwischen der A. E. G., der Siemens & Halske-Ges. und der Deutschen
-Gasglühlicht-Gesellschaft (Auer) ein Gegenseitigkeitsvertrag zustande,
-auf Grund dessen alle diese Gesellschaften zur Vermeidung von
-Patentkonflikten ihre Konstruktionen austauschten. Auch andere Firmen
-wandten sich dem neuen Gebiete zu, aber durch Reichsgerichtsurteil
-wurde den obengenannten drei Gesellschaften, zu denen später
-auch noch die Bergmann-Elektrizitätswerke als Lizenznehmer
-traten, der Patentschutz für die Metalldrahtlampe gesichert. Eine
-Metallfadenlampen-Konvention nach dem Muster der Verkaufsvereinigung
-für Kohlenfadenlampen war von manchen Seiten zur Bekämpfung der bald
-eintretenden scharfen Konkurrenz vorgeschlagen worden. Die A. E. G.
-lehnte eine solche Konvention diesmal ab, mit der Begründung, daß die
-technische und ökonomische Höchstleistung der Metallampe noch nicht
-erreicht sei und eine Festlegung von Absatzkontingenten die freie
-Entwickelung hemmen könnte. Einige Zeit später schritt die A. E. G.
-sogar zu mehrmaligen beträchtlichen Herabsetzungen der Verkaufspreise
-für die Metalldrahtlampen und zwar besonders für die größeren
-Lampentypen, in denen sie damals leistungsfähigere Konstruktionen
-besaß als in den kleinen Lampen. Ihre Absicht war es dabei offenbar,
-die Verbraucher an die größeren Lampen zu gewöhnen, die sie ihnen zu
-ungefähr denselben Preisen lieferte wie vorher die kleinen. Neben ihren
-Fabrikationsinteressen mochten sie dabei auch die Interessen ihrer
-Stromerzeugungswerke geleitet haben. Erst während des Krieges ist eine
-lose Preiskonvention zwischen den größeren Metallfadenlampenfabriken
-zustande gekommen. -- Auch mit der Metalldrahtlampe war der
-Höhepunkt der Entwickelung noch nicht erreicht. Es folgte die
-+Halbwattlampe+, bei der der Glühfaden nicht mehr im luftleeren,
-sondern im gasgefüllten Raum eingespannt war. Zuerst wurde diese
-Lampe nur für ganz große Formen hergestellt, in denen sie weniger
-der Glühlampe, als der Bogenlampe Konkurrenz machte. In letzter
-Zeit ist es aber auch gelungen, kleine Halbwattlampen herzustellen.
-Die Ökonomie der elektrischen Lampe ist im Laufe der Entwickelung
-seit Erfindung der Glühlampe außerordentlich verbessert worden. Die
-Halbwattlampe verbraucht weniger als den zehnten Teil des Stromes, den
-die Kohlenfadenlampe mit mehr als 5 Watt für die Normalkerze anfänglich
-in Anspruch nahm.
-
-Auf dem Gebiete der +Kraftübertragung+ begann in den ersten
-Jahren des neuen Jahrhunderts die vorher in mühseliger technischer
-und propagandistischer Arbeit ausgestreute Saat ihre reichen Früchte
-zu tragen, und zwar sowohl auf dem Gebiete der Einzelanlagen als
-auch auf dem der Zentralen. Die Industrie ging in immer stärkerem
-Umfange zur Benutzung des elektro-motorischen Antriebes über. Die
-+elektrische Fördermaschine+ begann sich in den Bergwerken
-einzubürgern. Die Dampfmaschine setzte sich zwar anfangs energisch
-zur Wehr und ihre Techniker konstruierten eine Dampfförderanlage,
-die die Vorzüge der elektrischen Förderung wettzumachen versuchte
-und in wenigen Jahren Verbesserungen erreichte, wie sie vorher in
-Jahrzehnten nicht hatten erzielt werden können. Hüben und drüben
-wurde mit ökonomischen Tabellen in den industriellen Zeitschriften
-für die Vorteile dieses oder jenes Systems gestritten. Es nützte der
-Dampfförderanlage nicht viel. Der Kampf war scharf, aber nur kurz.
-An Betriebssicherheit und Bequemlichkeit war die elektrische Anlage
-namentlich für die Personenbeförderung der Dampfanlage überlegen.
-Auch auf den +Hochofen-+ und +Stahlwerksanlagen+, bei den
-+Reversierstraßen der Walzwerke+ setzte sich die elektrische
-Kraftübertragung rasch durch. Hier galt es einen Kampf mit dem Gasmotor
-zu führen, der allerdings nicht so leicht gewonnen werden konnte, wie
-der mit der Dampfförderanlage. Die Verwendung des Turbinenantriebes für
-Dynamos brachte die Elektrizität auch auf diesem Gebiet in Vorteil,
-zumal da es hierdurch möglich war, die Abfallgase mehr als bisher
-nutzbar zu machen. Immerhin behauptete sich der Gasmotor für manche
-Zwecke. Auch in anderen Industriezweigen, in der Braunkohlenindustrie,
-in der Papierindustrie, in der Textilindustrie, die großer
-Heißdampfmengen bedarf, drang die Kraftübertragung im Verein mit der
-Turbine vor. „Die Zeit der Groß-Elektromotoren ist im Beginnen“ heißt
-es im Geschäftsbericht der A. E. G. für 1903/04.
-
-Die Hochkonjunktur für +Zentralstationen+, für die das letzte
-Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts den Höhepunkt gebracht
-hatte, war in den Jahren der Krisis und in der Folgezeit merklich
-abgeflaut. Zwar wurden auch jetzt im Inlande, namentlich aber im
-Auslande noch Zentralstationen errichtet, doch der Regiebetrieb
-überwog den Unternehmer-Betrieb. Auch an Aufträgen für Ergänzungs-
-und Ersatzlieferungen für alte Zentralen fehlte es nicht. Der
-Geschäftszweig war aber im ganzen viel ruhiger geworden, und infolge
-der scharfen Konkurrenzbedingungen nicht mehr so lohnend wie früher.
-Schwung kam erst in ihn wieder hinein, als sich das Lokalwerk zur
-+Überlandzentrale+ auswuchs, vermittelst des Hochspannungssystems
-der Versorgungsradius der Kraftwerke sich ausdehnte und neben dem
-städtischen Bedarf auch die Industrie und das platte Land in die
-Versorgung von Zentralwerken einbezogen werden konnten. Erst jetzt --
-wiederum begünstigt durch die Ausgestaltung des Turbodynamos -- kam das
-Drehstromsystem, das vorher etwas rohe und ökonomisch wie technisch
-nicht ganz befriedigende Ergebnisse geliefert hatte, zu voller und
-reifer Auswirkung. Aber die technische Leistungsfähigkeit war eher
-erreicht als das Gleichgewicht der wirtschaftlichen Durchbildung.
-Emil Rathenau warnte vor Überlandzentralen, die nur ländliche Bezirke
-versorgten. Der ungleichmäßige, zeitweilig anschwellende, dann wieder
-erheblich nachlassende Bedarf, die zu geringe Beanspruchung des Stroms
-in den dünn besiedelten ländlichen Verbrauchsstätten machten die großen
-Kosten des weit auseinandergezogenen Hochspannungsnetzes nicht bezahlt.
-Erst der Anschluß von industriellen Verbrauchern, die Einbeziehung
-lokaler Kraftwerke, die von den Überlandzentralen den Strom zu
-niedrigeren als ihren eigenen Erzeugungskosten beziehen und ihn durch
-ihre Anlagen umformen sowie verteilen konnten, ließen die Zentralen
-rentabel arbeiten. An besonders geeigneten Stellen, im Kraftwerk an
-der Oberspree, im oberschlesischen Industriebezirk schuf die A. E. G.
-Musterbeispiele moderner und ökonomisch arbeitender Überlandzentralen.
-Zu typischer Bedeutung gelangte das neue System erst in den Jahren
-1907 bis 1909. Im englischen Kohlenrevier von Newcastle führte die
-A. E. G. ein Kabelnetz von 130 km Länge mit 10000 bis teilweise
-20000 Volt Spannung aus, im südafrikanischen Randminen-Gebiete
-errichtete sie das gewaltige Elektrizitätswerk der +Victoria
-Falls und Transvaal Power Co.+ mit Wasserkraftantrieb, das einen
-beträchtlichen Teil der Goldminen Transvaals mit Energie versorgte,
-während allerdings ein anderer Teil an seinen eigenen Kraftzentralen
-festhielt. Als dieses Projekt in der Öffentlichkeit bekannt wurde,
-warf man der unternehmenden Gesellschaft wie der bauausführenden
-A. E. G. Phantasterei vor und hielt es technisch, besonders aber
-wirtschaftlich für außerordentlich gewagt, eine oberirdische
-Fernleitung 800 Kilometer weit von den Victoria-Fällen durch die Wüste
-nach dem Rand zu legen. „Die deutsche Elektrizitätsindustrie ist an der
-Ausführung des Planes durch ihr gewordene große Aufträge wesentlich
-interessiert. Sie hat sich dadurch vielleicht ebenfalls etwas ins
-Utopische hineinziehen lassen. Die Utopie ist aber eine Insel, die
-schwer mit heilem Schiffe zu umsegeln ist,“ so hieß es in einer der
-gelesensten Berliner Zeitungen. Nichtsdestoweniger gelang das kühne
-Unternehmen. In Deutschland erstand durch die A. E. G. das +Märkische
-Elektrizitätswerk+ bei Eberswalde, das eine Anzahl märkischer Kreise
-versorgte und in neuester Zeit zu einem gemischt-wirtschaftlichen
-Unternehmen unter Beteiligung der Provinz Brandenburg umgestaltet
-wurde. Im westfälischen Bezirk wurde das +Elektrizitätswerk
-Westfalen+ am Standorte der Kohle errichtet, im Saargebiet
-gleichfalls ein großes Elektrizitätswerk unter denselben Bedingungen.
-Zur Ausrüstung des Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerks, der
-größten Montanzentrale Deutschlands, lieferte die A. E. G. Turbodynamos
-von 21500 K. V. A. Ständig wurden diese Größenmaße überboten und im
-Kriegsjahre 1915/16 erhielt dasselbe Werk von der A. E. G. Turbodynamos
-von 60000 K. V. A. Auch in Braunkohlenrevieren entstanden große
-Kraftwerke. Die Hochspannung wurde schließlich bis auf 100000 Volt und
-mehr gesteigert. Über diese Werke, ihre rechtliche, wirtschaftliche
-und technische Bedeutung soll in einem besonderen Kapitel gesprochen
-werden. Hier seien sie nur als vorläufige Endpunkte einer mit der
-Schaffung der Überlandzentralen eingeleiteten Entwickelung kurz erwähnt.
-
-Eine gleiche Entwickelung vom Kleinen zum Großen, vom Lokal- zum
-Überland- und Fernbetrieb wie im Zentralenwesen vollzog sich auch
-auf dem zweiten großen Ausdehnungsgebiete der Elektrizität, bei den
-+elektrischen Bahnen+. Allerdings kam hier die Entwickelung noch
-schwerer in Fluß und der Ausbreitung stellten sich größere Widerstände
-entgegen als dem Bau zentraler Kraftwerke. Insbesondere bekundeten die
-Staatsbahnverwaltungen in der Frage der Elektrisierung der Vollbahnen
-Zurückhaltung. Emil Rathenau schätzte die Widerstände anfänglich wohl
-zu gering ein, seinem lediglich auf den Fortschritt eingestellten
-Geist war die bureaukratische und fiskalische Bedächtigkeit, mit
-der die Verwaltungsbehörden diese Dinge anfaßten oder vielmehr nach
-Möglichkeit von sich fernhielten, unverständlich. Er hatte daher
-nicht mit ihr gerechnet und das Problem der Vollbahnen für gelöst oder
-doch für lösbar gehalten, nachdem die technische Seite und vielleicht
-auch die ökonomische, wie sie für große privatwirtschaftliche
-Betriebe sich dargestellt hätte, ihre grundsätzliche Klärung gefunden
-hatten. Bereits um die Wende des 20. Jahrhunderts sprach Rathenau in
-den Geschäftsberichten der A. E. G. viel davon, daß die Lösung des
-elektrischen Vollbahnproblems zu den nächsten großen Aufgaben der
-Zukunft gehöre. Er hatte aber dabei wohl nicht genügend berücksichtigt,
-daß eine aktive Art der demonstrativen Propaganda, wie sie die
-Elektrizitätsindustrie unter seiner Führung bei der Einführung der
-früheren großen Unternehmungstypen entwickelt hatte, auf diesem Gebiete
-unmöglich war. Für Eigenbetriebe war hier wenigstens in Deutschland
-wegen des Eisenbahnmonopols kein Raum, in anderen Ländern verbot der
-Umfang der notwendigen Kapitalinvestitionen große Unternehmergeschäfte
-im Vollbahnbau.
-
-So entwickelte sich der Großbahnenbetrieb nur langsam, tastend und
-versuchsweise. Die Staatsbahnverwaltung verlangte umfangreiche Vor-
-und Probearbeiten. Auf der Militärbahnstrecke Berlin-Zossen wurde ein
-elektrischer Versuchsbahnbetrieb eingerichtet, an dem neben der A.
-E. G. auch Siemens & Halske sich beteiligten. Die zu diesem Behufe
-bereits im Jahre 1902 gebildete Studiengesellschaft bekundete schnell
-ihre elektrotechnische Leistungsfähigkeit, indes gestattete der
-Oberbau der Strecke nur eine Schnelligkeit von 125 km in der Stunde.
-Um größere Schnelligkeiten zu erreichen, war eine Verstärkung des
-Oberbaus der Strecke erforderlich. Nachdem diese durchgeführt war,
-gelangen mühelos Stundengeschwindigkeiten bis zu 200 km. Damit war
-die Schnelligkeitshöchstgrenze, über die man vorerst praktisch nicht
-hinausgehen wollte, erreicht und die Studiengesellschaft beendete
-im Jahre 1905 vorläufig ihre Arbeiten, nachdem sie die technische
-Seite des Problems hinlänglich klargestellt hatte. Das von der A.
-E. G. und Siemens & Halske auf Grund der Erfahrungen ausgearbeitete
-+Projekt+ einer +elektrischen Schnellbahn Berlin-Hamburg+,
-durch das die Elektrizitätsindustrie an einer Stelle der stärksten
-Verkehrsakkumulation sozusagen in medias res springen wollte, erschien
-der Regierung zu kühn. Es war dazu bestimmt, Schreibtischarbeit zu
-bleiben. Dagegen entschloß sich die preußische Eisenbahnverwaltung in
-schrittweisem Vorgehen zu einem zweiten Stadium der Versuchsarbeiten.
-Es wurde -- auch hier wieder ohne Überstürzung und Beschleunigung
--- der Ausbau einer größeren für den praktischen Verkehr bestimmten
-+Vollbahnstrecke Magdeburg-Halle-Leipzig+ begonnen und zunächst
-der Streckenteil Dessau-Bitterfeld in Angriff genommen. An dieser
-Strecke sollte die betriebliche und wirtschaftliche Seite der
-elektrischen Fernbahn studiert werden. Gemäß dem Grundsatz, daß bei
-der Ausprobierung des Problems möglichst vielseitige Konstruktionen
-und Erfahrungen gesammelt und aus ihrem Zusammenarbeiten die beste
-praktische Lösung gefunden werden sollte, wurden verschiedene
-Elektrizitätsfirmen zur Beteiligung aufgefordert, neben der A. E. G.
-auch Siemens & Halske, die Bergmann Elektrizitätswerke und andere
-leistungsfähige Unternehmungen. Noch eine weitere -- kleinere --
-Strecke Lauban-Königszelt, die nicht ausschließlich durch Flachland
-führte, sondern größere Steigungen zu überwinden hatte, wurde in
-Angriff genommen.
-
-Schon vorher hatte die A. E. G. sich auf eigene Faust mit dem
-Schnellbahnsystem in seinen verschiedensten Formen, wenn auch
-in kleineren Ausmaßen beschäftigt. Dabei hatte sie sich auf
-das Einphasen-Wechselstromsystem gestützt, das die „Union“ ihr
-aus dem amerikanischen Patentkreis in die Fusion eingebracht
-hatte. Zunächst wurde es bei der Elektrisierung der Anhalter
-Vorortbahnstrecke Berlin-Groß-Lichterfelde-Ost, dann auf der Strecke
-Spindlersfeld-Johannisthal, beidemal im Auftrage der Preußischen
-Staatsbahnverwaltung, ausprobiert und bewährte sich schon in der
-ersten Anlage. Auch der Stadt- und Vorortverkehr von Hamburg-Altona
-wurde nach demselben System teilweise in den elektrischen Betrieb
-überführt, daneben wurden mehrere Gebirgsstrecken, so die Linie
-Berchtesgaden-Salzburg, die Stubaitalbahn erbaut. Auch im Auslande
-konnte die A. E. G. ihr Einphasen-Wechselstromsystem zur Anwendung
-bringen, auf einer schwedischen Linie und auf der Strecke Padua-Fusina.
-Die London Brighton und South East Bahn (Victoria Station) bezog ihre
-elektrische Ausrüstung ebenfalls von der A. E. G. Um die elektrische
-Städtebahn Köln-Düsseldorf mußte ein langwieriger Konzessionsstreit
-geführt werden. Um das Bild der Betätigung der A. E. G. auf dem Gebiete
-der elektrischen Vollbahnen vollständig zu machen, soll noch auf die
-+Hamburger Hochbahn+ hingewiesen werden, die von der A. E. G.
-gemeinsam mit Siemens & Halske erbaut wurde, ferner auf die +A. E.
-G. Schnellbahn-Gesellschaft+, ein die Stadt Berlin in der Richtung
-Gesundbrunnen-Neukölln durchquerendes Untergrundbahn-Unternehmen, das
-in eigener Regie von der A. E. G. gebaut wird. Das Projekt wurde im
-Jahre 1907 den Behörden unterbreitet, die Fertigstellung des Baus,
-bei dem schwierige Wasseruntertunnelungen nach neuartigen Systemen
-unternommen wurden, ist in einigen Jahren zu erwarten. Das Kapital
-dieses Unternehmens, das ganz allein von der A. E. G. finanziert wird,
-beträgt 42500000 M.
-
-Im Zusammenhang mit den Bestrebungen auf dem Gebiet des Fernbahnenbaus
-wurde die +Lokomotivfabrikation+ aufgenommen, die sich bald
-zu einem umfangreichen Geschäftszweig entwickelte. Bereits im
-Jahre 1909/10 waren tausend Lokomotiven von den Fabriken der
-Gesellschaft geliefert. Ergänzt wurden die Fabrikationen auf dem
-Gebiet der motorischen Beförderungsmittel durch die Aufnahme
-des +Automobilbaus+. Zu diesem Zwecke wurde in den ersten
-Jahren des neuen Jahrhunderts die Automobilfirma Kühlstein in
-Charlottenburg übernommen und eine eigene Fabrik neben dem Kabelwerk
-Oberspree errichtet, die sowohl Benzin-Automobile wie Elektromobile
-herstellte. Gerade auf diesem Gebiet blieben der Gesellschaft aber
-Anfangsschwierigkeiten und Kinderkrankheiten nicht erspart. Die
-schwere Automobil-Krise der Jahre 1907/08 traf auch ihre Fabriken,
-und die Neue Automobil-Gesellschaft, die den Vertrieb der A. E.
-G.-Automobile besorgte, mußte erst einer durchgreifenden Reorganisation
-unterworfen werden, ehe aus dem von ihr bearbeiteten Geschäftszweige
-ein rentables Unternehmen werden konnte. Bei der Automobilindustrie
-sind die Erfahrungen der Krisenjahre auf ganz besonders fruchtbaren
-Boden gefallen, sie hat die Unsicherheitsfaktoren, die gerade
-in ihrer Fabrikation liegen, ebenso wie die ungewöhnlich großen
-Reklameaufwendungen richtig einschätzen gelernt, und ist seither eine
-der bestfundierten und reichsten Industrien Deutschlands geworden.
-
-Die gewaltig steigenden Leistungen und Ausmaße der elektrischen
-Großkraftwerke auf allen Gebieten wären nicht möglich gewesen ohne
-die schnelle und glückliche Entwickelung der +Turbinen+ und der
-Turbodynamos. Emil Rathenau hatte sich in richtiger Voraussicht dieser
-Entwickelung, mit dem sicheren Instinkt des geborenen Maschinenbauers,
-dem neuen Gebiete frühzeitig zugewandt, und den Turbinenbau noch in
-den Krisenjahren 1901 und 1902 als einen der neuen Geschäftszweige
-aufgenommen, die dazu dienen sollten, die infolge der starken
-Konkurrenz geschmälerten Gewinne der alten Produktionen zu ergänzen
-und zu ersetzen. Er hatte sich nicht lange mit der eigensinnigen
-Beschränkung auf die eigenen Turbinensysteme aufgehalten, sondern diese
-nur als Kompensationsobjekte benutzt, um die besten damaligen Patente
-in seinen Bereich zu ziehen und durch Verschmelzung mit seinen eigenen
-einen möglichst vollkommenen Typ zu gewinnen. Er bekannte sich zu dem
-Standpunkte, lieber eine vollkommene Maschine in einem vertraglich
-beschränkten Absatzgebiet zu verkaufen, als für eine schlechtere
-Maschine die ganze Welt freizuhaben. Diese Grundsätze kamen in den
-Verträgen mit der General Electric und der Brown Boveri-Gesellschaft
-zum Ausdruck. Die Turbine errang sich auf verschiedenen Gebieten
-bald eine beherrschende Stellung. Große Kraftleistung, regelmäßiger
-Gang, Geräuschlosigkeit und geringe Raumbeanspruchung zeichneten sie
-vor den Kolbenmaschinen aus, ihre Größen- und Leistungsmaße erwiesen
-sich schlechthin als unbegrenzt. Mit Leistungen von 3000 bis 6000 PS
-begann die Turbine ihre Entwickelung, bis zu Leistungen von 60000 PS
-ist sie zurzeit schon gelangt. Als die beiden Hauptanwendungsgebiete
-hatten -- das wurde bald klar -- der Kraftantrieb bei Schiffen und die
-Verbindung mit dynamoelektrischen Maschinen im sogenannten Turbodynamo
-zu gelten. Schon im Jahre 1905 wurde der Hapag-Dampfer „Kaiser“ mit
-2 Turbinen von je 6000 PS ausgerüstet, die vom ersten Tage an ohne
-Störung liefen. Schnell griff die Kriegsmarine die neue Errungenschaft
-auf, die damit erreichbare größere Schnelligkeit der Schiffe gab
-für sie den Ausschlag. Zuerst wurden ein paar Torpedobootdivisionen
-mit Turbinen ausgerüstet, dann der kleine Kreuzer „Mainz“. Die
-gemachten Erfahrungen führten dahin, daß schließlich auch die
-größten Schiffsneubauten der Marine Turbinenantrieb erhielten. Die
-Handelsmarine entschloß sich etwas langsamer zur allgemeinen Einführung
-der Turbinen. Hier war das Problem der Wirtschaftlichkeit, das für
-die Kriegsmarine gegenüber der offenkundig größeren Schnelligkeit an
-Bedeutung zurücktrat, erst zu lösen. Ferner wirkte zuerst der Umstand
-störend, daß der Turbinenantrieb nur in +einer+ Laufrichtung
-des Schiffes wirksam war. Für die Rückwärtsbewegung mußte eine
-zweite Turbine oder ein zweiter Turbinensatz eingebaut werden. Die
-Umschaltung der Turbinen gelang erst eine Reihe von Jahren später
-durch Transformatoren (Föttinger Transformator). Nachdem die englische
-Cunard-Linie ihre beiden Rekordbrecher-Schiffe „Lusitania“ und
-„Mauretania“ unter Subvention der englischen Regierung gebaut und
-mit Turbinenantrieb versehen hatte, verschloß sich auch der deutsche
-Handelschiffsbau bei seinen Großschiffen der Turbine nicht länger. Die
-Hamburg-Amerika-Linie versah ihre gewaltigen Bauten der Imperatorklasse
-mit Turbinen, der Norddeutsche Lloyd verhielt sich zunächst allerdings
-noch abwartend. -- Im Kraftantrieb wie im Schiffsbau hat allerdings
-der Dieselmotor in den letzten Jahren sich einen Platz neben der
-Turbine zu erringen verstanden, doch bewährte sich jener bislang nur
-für kleinere Schiffseinheiten und für Privatzentralen, nicht so sehr
-für Großkraftwerke und es ist ein Fall bekannt geworden, in dem eine
-neue große Kraftzentrale die zuerst von ihr eingebauten Dieselmotoren
-wieder stillgelegt und dafür Turbinen verwendet hat. Die A. E. G. hat
-denn auch nur Dieselmotoren kleineren Typs in ihr Fabrikationsprogramm
-aufgenommen.
-
-Der große Erfolg der Turbine führte naturgemäß bald dahin, auch
-dieses Produktionsgebiet starker Konkurrenz auszusetzen, und zwar
-umsomehr, als es von zwei verschiedenen Industriegruppen aus zu
-erreichen und zu erobern war: von der +Elektrizitätsindustrie+
-und von der +Maschinenindustrie+ aus. Fast alle namhaften
-Elektrizitätswerke und Maschinenfabriken bemächtigten sich der Turbine
-und konnten, nachdem die Technik des Turbinenbaus die grundsätzlichen
-Schwierigkeiten überwunden hatte und zu einer typischen Fabrikation
-geworden war, unschwer brauchbare Konstruktionen herstellen: das
-übliche Schicksal neuer Produktionszweige, in denen sich technische
-Vorsprünge bei der systematischen Durchbildung und dem öffentlichen
-Charakter der modernen Technik nicht lange aufrecht erhalten
-lassen. Die Turbinenfabrikation wurde infolgedessen bald aus einem
-privilegierten und einträglichen Geschäft zu einem landläufigen
-und scharf umstrittenen. Überproduktion und Preisdruck waren die
-Folge dieser Entwickelung, die sich höchstens durch eine allgemeine
-Syndizierung, nicht durch Einzelverträge hätte beseitigen oder mildern
-lassen. Ein allgemeines Syndikat kam bei der Verschiedenartigkeit der
-Fabrikate und der Fabrikanten indes nicht zustande, die Sonderverträge
-aus früherer Zeit hatten aber ihre Bedeutung verloren. Infolgedessen
-löste die A. E. G. nach einiger Zeit auch ihr Turbinenabkommen mit der
-Gesellschaft Brown Boveri & Cie. in Baden (Schweiz) und brachte den von
-ihr früher erworbenen Besitz an Aktien dieser Gesellschaft wieder zur
-Abstoßung.
-
- * *
- *
-
-Die Krisis von 1907/08 hatte den starken und gefestigten Unternehmungen
-der deutschen Elektrizitätsindustrie nicht viel anzuhaben vermocht.
-Die A. E. G. hatte ihre Dividende von 12% unverkürzt aufrecht
-erhalten können, und das Jahr 1908/09, das in der allgemeinen
-Konjunktur bereits Ansätze zu einer Wiederbelebung aufwies, brachte
-den Aktionären sogar eine vorsichtige Erhöhung auf 13%. Die großen
-Arbeiten und schwebenden Probleme der A. E. G. waren während der
-kritischen Zeit nicht unterbrochen, kaum verlangsamt worden. Von
-einer Cäsur wie in 1901/02 war hier nichts zu spüren gewesen. Der
-Umfang des Geschäftes, namentlich für Großmaschinen, und die Preise
-hatten sich besonders gegen das Ende der Krisis wohl etwas gesenkt,
-es setzten auch zeitweilig der Auftrieb und der jährliche Zuwachs
-aus, auf die ein blühendes Unternehmen wie jeder lebendige Organismus
-vielleicht vorübergehend, aber nicht dauernd verzichten kann, wenn
-statt des Aufbaus nicht ein Abbau der Kräfte eintreten soll. -- Im
-Geschäftsbericht für 1907/09 wird mit knappen Strichen das Bild der
-schwindenden Krisis gezeichnet:
-
- „Die Krisis, die Handel und Gewerbe während der jüngsten Jahre
- niederhielt, hatte ihren Ursprung in Amerika. Wie in mehreren
- früheren Fällen, ist indes auch die Besserung des Wirtschaftslebens
- von dort ausgegangen. Ihre Ausdehnung auf die heimische Konjunktur
- wurde zunächst durch politische Besorgnisse und durch die
- Unsicherheit über die deutsche Finanzreform verzögert. Erst in den
- letzten Monaten zeigen sich erfreulicherweise auch in Deutschland
- wieder vertrauenerweckende Ansätze zu einer Hebung der gewerblichen
- Tätigkeit. Wenngleich nun die deutsche Elektrizitätsindustrie sich
- gegenüber der jüngsten Krisis verhältnismäßig widerstandsfähig
- erwiesen hatte, so begrüßt sie doch das Wiedererwachen des
- Unternehmungsgeistes mit lebhafter Befriedigung und knüpft daran
- die zuversichtliche Erwartung auf kräftige Anregungen und lohnende
- Beschäftigung.
-
- War eine der Ursachen der Krisis die Geldklemme gewesen, so wurde
- durch deren Beseitigung die Erholung eingeleitet. Die A. E. G. war
- auch während der kritischen Periode des Geldmarktes mit verfügbaren
- Mitteln überaus reichlich versorgt. Die Geldflüssigkeit, die
- in vielen Fällen als Folge darniederliegender Gewerbstätigkeit
- anzusehen ist, erklärte sich, soweit unsere Gesellschaft in
- Betracht kommt, größtenteils aus den niedrigen Preisen der Metalle,
- wie der sonstigen Rohstoffe und damit unserer Lagerbestände. Bei
- Lieferungen und Bauausführungen hat sich diese Liquidität schon als
- nutzbringend erwiesen.
-
- Die Gefahr einer Elektrizitätssteuer ist glücklich abgewendet
- worden, nur Beleuchtungsmittel werden seit dem 1. Oktober d. J.
- besteuert. Für die Verbraucher elektrischer Beleuchtungsmittel wird
- diese Belastung insofern weniger empfindlich, als Leuchtkörper
- für das Gas ebenfalls von der Steuer betroffen werden, und die
- elektrischen Lichtquellen neuerdings so gebessert sind, daß
- sie trotz der Steuer beträchtliche Ersparnisse gegen früher
- ermöglichen.“
-
-Nicht so glimpflich war die neue Krisis an den wenigen gemischten
-Fabriken vorübergegangen, die sich abseits von dem Dualismus der beiden
-führenden Großkonzerne noch bis dahin eine volle Selbständigkeit
-gewahrt hatten. Die Kräfte, die sie nach den Blutverlusten der Krise
-von 1901-1903 in den folgenden Jahren des Aufschwungs langsam wieder
-angesammelt hatten, waren ihnen durch den bald von frischem entbrannten
-Wettbewerb und die Angriffe der neuen Krisenzeit wieder verloren
-gegangen. Viel Hoffnung, es den führenden Gruppen noch gleichtun,
-diese an Leistungsfähigkeit und Finanzkraft erreichen zu können,
-besaßen sie nicht mehr. Immer breiter dehnte sich das Wurzelreich der
-„Großen“ unter der Erde, das Geäst ihrer üppigen Baumkronen über der
-Erde aus, immer stärker sog es die Kräfte des Bodens in sich hinein,
-nahm Licht und Luft für sich in Anspruch. Die größten Kapitalmächte
-des Landes waren ihnen dienstbar geworden, speisten ihren Geldhunger,
-konnten und wollten anderen Wettbewerbern nicht die riesigen Mittel
-zuführen, die zur Behauptung neben den führenden Gruppen, oder
-gar zur Überwindung jener Konzerne notwendig gewesen wären. Und
-neue Geldmächte, die vielleicht ein Interesse an der Stärkung und
-Stützung mittlerer Unternehmungen gehabt hätten, konnten sich auf dem
-aufgeteilten und größtenteils kultivierten Kapitalboden Deutschlands
-nicht mehr bilden. Denn ebenso wie in der Elektrizitätsindustrie lagen
-die Wettbewerbsverhältnisse auch im Bankgewerbe. Auch hier war die
-Welt vergeben, Machtverschiebung nicht mehr durch Neubildung, sondern
-nur noch durch Konzentration und Fusion möglich. So nahte denn für
-die Elektrizitätsindustrie die +zweite Fusionsära+, auch diese
-wieder nach einer Krisis, die die Schwachen geschwächt und die Starken
-gestärkt hatte.
-
-Zuerst wurde der Konzern +Felten Guilleaume Lahmeyer+ fusionsreif.
-Die Felten Guilleaume Lahmeyerwerke in Mülheim und Frankfurt waren
-1905 durch Zusammenschluß der Felten Guilleaume Carlswerk-Akt.-Ges.
-mit der Fabrikationsabteilung der Elektrizitäts-Akt.-Ges. vorm. W.
-Lahmeyer & Co. entstanden. Der Zusammenschluß war die Frucht jener
-ersten Konzentrationsperiode in der Elektrizitätsindustrie gewesen und
-die beiden stattlichen Provinzunternehmungen hatten versucht, sich
-nach demselben Prinzip, nach dem die beiden großen Berliner Gruppen
-vorgegangen waren, gegenseitig zu stützen und zu ergänzen. Der Versuch
-mißlang, trotzdem das Mülheimer Carlswerk als ein altes, wohlsituiertes
-und tragfähiges Unternehmen recht wohl den Kern hätte bilden können,
-um den sich eine starke und leistungsfähige Elektrizitätsgesellschaft
-gemischter Art kristallisieren konnte. Das Carlswerk war hervorgegangen
-aus der schon im Jahre 1826 gegründeten offenen Handelsgesellschaft
-Felten & Guilleaume, seine Ursprünge reichten also sogar weiter
-zurück als die der Siemens & Halske-Ges. und gar der A. E. G. Das
-Unternehmen war aber erst viel später der Elektrizitätsindustrie
-nähergetreten und befaßte sich auch dann noch als Spezialfabrik fast
-ausschließlich mit der Erzeugung von Draht, Kabeln und metallurgischen
-Fabrikaten für die Zwecke der angewandten Elektrizität. So standen
-die Dinge noch, als die offene Handelsgesellschaft nebst ihrer
-Filiale in Nürnberg Ende 1899 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt
-wurde. Damals war allerdings bei den Inhabern des Werkes -- und
-darin lag einer der Hauptzwecke der Aktiengründung -- bereits der
-Gedanke entstanden, der Zeitrichtung folgend, das Unternehmen zu
-einem elektrischen Universalbetrieb auszubauen. Unter den Zwecken
-der Aktiengesellschaft war auch die „Erlangung von Konzessionen
-zur gewerblichen Ausnutzung der Elektrizität und deren Ausbeutung
-im eigenen Betriebe oder mittels sonstiger Verwertung“ in den
-Gesellschaftsvertrag aufgenommen. Es war vielleicht kein Schaden
-für die Gesellschaft, daß die nahende Krisis eine umfangreichere
-Betätigung der Gesellschaft auf neuen Gebieten, insbesondere im
-Unternehmergeschäft, zunächst verhinderte. Erst nach Überwindung der
-Krise tauchten die Ausdehnungspläne von neuem auf, und erhielten
-durch die Konzentrationsbeispiele bei der Konkurrenz einen stärkeren
-Nachdruck. Auch der Weg war vorgeschrieben. Er lag nicht in der
-Errichtung eigener Fabriken mit neuen Geschäftszweigen, insbesondere
-auf dem Gebiete der Maschinen- und Lampenherstellung, die eine zu lange
-Anlaufszeit bis zur Produktionsreife gefordert und die Gesellschaft
-gezwungen hätten, eine Menge von Betriebserfahrungen, neuen Techniken
-aus dem Nichts zu schaffen und bis zur Wettbewerbsfähigkeit mit einer
-hochentwickelten Konkurrenz zu vervollkommnen. Der Weg der Angliederung
-schien schnelleren und leichteren Erfolg zu versprechen. Zeitweilig
-hatte man sich mit dem naheliegenden Gedanken getragen, mit der
-Kölner Helios-Gesellschaft, dem größten rheinischen Unternehmen auf
-dem Gebiete der Licht- und Kraftelektrizität, zusammenzugehen, aber
-ehe derartige Pläne sich verwirklichen konnten, kam der Zusammenbruch
-des „Helios“, aus dem es, wie sich bald zeigte, auch mit Hilfe eines
-stärkeren Werkes, keine Rettung mehr gab. So blieb eigentlich nur
-Lahmeyer in Frankfurt übrig. In der Theorie ergänzten sich beide
-Werke recht gut, vielleicht sogar besser als die Kontrahenten bei
-den bisherigen Fusionen in der Elektrizitätsindustrie. Während
-bei Siemens-Schuckert, bei der A. E. G. und der Union sich Werke
-miteinander vereinigt hatten, die vielfach dieselben Erzeugnisse
-herstellten und gleichartige Geschäftszweige betrieben, deckten sich
-die Produktionen des Carlswerkes und der Lahmeyer-Gesellschaft nur zum
-kleinen Teile. Dem „gemischten Starkstromwerk“ Lahmeyer fehlte die
-Kabel- und Drahtindustrie vollständig, in der Schwachstrom-Technik,
-die Felten und Guilleaume seit langem ganz besonders gründlich
-ausgebildet und noch vor kurzem durch die Aufnahme des Baues von
-Telephon- und Telegraphen-Apparaten ergänzt hatten, war Lahmeyer
-nur ganz geringfügig tätig gewesen. Seine Hauptbedeutung lag in der
-Fabrikation von elektrischen Maschinen, Motoren und Apparaten (in
-denen im Jahre 1904/05 die Ablieferung 4783 Stück mit 164000 PS, gegen
-25829 Stück mit 667773 PS bei der A. E. G. betragen hatte) und in
-dem Bau von elektrischen Anlagen für eigene oder fremde Rechnung.
-Ebenso wie Felten und Guilleaume eine Ergänzung ihres Betriebes durch
-den Maschinenbau und das Anlagengeschäft schon seit längerer Zeit
-anstrebten, hatte sich Lahmeyer bereits verschiedentlich mit der
-Frage der Errichtung und des Erwerbs eines Kabelwerks beschäftigt.
-Gut angelegt, litt und scheiterte der Plan des Zusammenschlusses an
-der schlechten Durchführung. Was bei Siemens-Schuckert wenigstens
-betrieblich, wenn auch nicht in gleicher Weise finanzpolitisch, was
-bei der A. E. G.-Union in beiden Richtungen restlos gelungen war,
-die +organische+ Verschmelzung und Vereinheitlichung, zwischen
-Mülheim und Frankfurt kam sie nicht zustande. Gerade die „in die Augen
-springenden Vorteile der Transaktion“, von denen der Geschäftsbericht
-der Lahmeyer-Werke sprach, die Gunst der organisatorischen und
-geschäftlichen Vorbedingungen, verleiteten offenbar zu einer zu
-leichten Behandlung der Organisationsfrage. Da sich beide Betriebe
-gut zu ergänzen schienen, glaubte man, die Zusammenarbeit und der
-Zusammenschluß würden sich von selbst einstellen, brauchten nicht erst
-durch sorgfältige Organisations- und Abtönungskunst herbeigeführt
-zu werden. Die Folge war, daß beide Betriebe, in der Verwaltung
-selbständig gelassen, nebeneinander und zu wenig miteinander arbeiteten.
-
-Die Selbständigkeit entwickelte sich mit der Zeit zu stark, das
-Selbständigkeitsgefühl der örtlichen Direktionen verschärfte sich
-allmählich zur Eifersucht, und die lokale Trennung, die zuerst
-nur passive Hemmungen verursacht hatte, führte schließlich zu
-lokalpatriotischen Absonderungen und Störungen. So kam es, daß am
-Ende aus dem „Nebeneinander“, das nicht gleich von Anfang an zu einem
-„Miteinander“ geworden war, in vielen Dingen ein „Gegeneinander“
-wurde. Beide Teile verfolgten zum mindesten im Kleinen, im
-Betriebsdetail, eine eigene Geschäftspolitik, wenn es dem Aufsichtsrat
-auch im allgemeinen gelingen mochte, die Gegensätze in der großen
-Geschäftspolitik immer wieder auszugleichen oder wenigstens nicht
-zum offenen Ausbruch kommen zu lassen. Eine solche Zwiespältigkeit
-der Richtung, die das Gesamtunternehmen naturgemäß außerordentlich
-schädigen, den Nutzen der Sammlung beeinträchtigen und die Kraft des
-Auftriebs dämpfen mußte, hatte Emil Rathenau bei seinen Fusionen immer
-klug zu verhindern gewußt und zwar gleich in den ersten Keimen. Auch er
-nahm wohl geeignete Direktoren und Aufsichtsräte aus den angegliederten
-Unternehmungen mit zu sich hinüber, aber sie durften keine
-Nebenregierungen bilden, mußten sich anpassen und wurden, wenn sie dies
-nicht konnten oder wollten, bald wieder ausgeschifft. Selbständige
-Arbeit duldete auch er und wünschte sie sogar, aber sie mußte sich
-streng sachlich äußern, sich dem Willensgesetze seiner Persönlichkeit
-und dem Entwickelungsgesetze der A. E. G. unterordnen, dem er selbst
-trotz aller scheinbaren Autokratie gehorchte. An Ungerechtigkeiten,
-ja an Gewalttätigkeiten und sonstigen Zusammenstößen auf persönlichem
-Gebiete hat es auch in seinem System nicht gefehlt, aber Rathenau hielt
-es immer noch für besser, einmal einer einzelnen Persönlichkeit unrecht
-zu tun, als die Ordnung des Gesamtunternehmens zu gefährden, dessen
-streng zentralistische Leitung nicht angetastet werden durfte.
-
-Für die Konzentration Felten Guilleaume-Lahmeyer war es abgesehen
-von der dualistischen Organisation nachteilig, daß die Frankfurter
-Abteilung sozusagen unkonsolidiert in die Fusion hineingenommen worden
-war. Die Union wie die Schuckertwerke waren bei ihrem Übergang auf
-die Hauptwerke einer gründlichen Bilanzreinigung unterzogen worden,
-ihre zu hohen Buchwerte waren auf einen Stand abgeschrieben worden,
-der den Bilanzmaßstäben der aufnehmenden, durch und durch gesunden
-Unternehmungen entsprach. Auch die Verfassung der Lahmeyerwerke hätte
-einen derartigen Umwertungsprozeß erforderlich gemacht. Statt dessen
-wurden die Buchwerte unverändert übernommen, da eine innere Sanierung
-dem streng paritätischen Charakter dieser doch von „zwei gleichwertigen
-und ebenbürtigen Gesellschaften“ beschlossenen Fusion nicht entsprochen
-hätte. So krankte das Gesamtwerk weiter an der Krankheit des einen
-der beiden Beteiligten, und die Gefahr lag nahe, daß auch das gesunde
-Unternehmen schließlich angesteckt werden würde. Dieser in der
-Gesamtanlage der Vereinigung anfänglich begangene Fehler mußte in der
-weiteren Entwickelung umso nachteiliger hervortreten, als es nicht das
-gesunde, tragfähige Kabelwerk, sondern das schwache Dynamowerk war, bei
-dem sich die Hauptexpansion der folgenden Jahre abzuspielen hatte, bei
-dem der Hauptwettbewerb mit der überlegenen Konkurrenz auszufechten und
-auszuhalten war. Das Kabelwerk war in sich geschlossen und nur noch in
-den unteren Stufen der Selbstbedarfsdeckung, also im Montanbetriebe,
-auszubauen. Bei ihm war der Wettbewerb nicht -- wie im Maschinen-,
-Turbinen- und Lampenfach oder im Unternehmergeschäft des Frankfurter
-Werks -- ungeregelt, sondern durch das Kabelkartell vor ruinösem
-Preiskampf gesichert. Somit traf es sich unglücklich, daß gerade der
-schlecht organisierte, schlecht fundierte und mangelhaft geleitete
-Teil des zersplitterten Unternehmens den ungünstigen Zeitverhältnissen
-besonders stark ausgesetzt war.
-
-In den ersten beiden Jahren nach der Fusion, 1905 und 1906, war, --
-wohl auf Grund einer unbekümmerten, mit Zukunftshoffnungen rechnenden
-Bilanzpolitik -- der Versuch einer aufsteigenden Rentenentwickelung
-gemacht und es waren Dividenden von 10 und 11% ausgeschüttet worden,
-aber schon im Jahre 1907, das doch eigentlich ein Hochkonjunkturjahr
-war, mußte die Gesellschaft auf 10% heruntergehen, dann ging es weiter
-abwärts auf 8%, 6 und 4%. -- In Frankfurt, namentlich aber auch in
-Mülheim mußte man sich jetzt sagen, daß die Dinge so nicht weitergehen
-konnten, sollten die guten Gewinne der Mülheimer Abteilung nicht durch
-die Zuschüsse, die das Dynamowerk in den letzten Jahren gefordert
-hatte, vollends aufgezehrt werden. Aussicht auf Besserung war nirgends
-zu sehen, sofern das Dynamowerk weiter seine Selbständigkeit behaupten
-wollte. So entschloß man sich zu Verhandlungen mit der A. E. G., die
-von Dr. Walther Rathenau über die grundsätzlichen Punkte hinweg geführt
-wurden, ehe der Vorstand der A. E. G. sich mit ihnen beschäftigte.
-Der +Abschluß+ erfolgte in +zwei Etappen+. Zunächst wurde
-die Elektrizitäts-Gesellschaft vormals Lahmeyer in Frankfurt a. M.,
-die bei der Fusion des Dynamowerks mit Felten Guilleaume bestehen
-geblieben war und das Beteiligungsgeschäft selbständig weitergeführt
-hatte, mit der Bank für elektrische Unternehmungen in Zürich, der
-Finanzgesellschaft der A. E. G., in Verbindung gebracht. Auch die
-Elektrizitäts-Gesellschaft Lahmeyer, die für ihre an die Felten
-Guilleaume-Lahmeyerwerke im Jahre 1905 abgetretenen Fabrikanlagen 15
-Millionen Mark Aktien der letzteren Gesellschaft erhalten und ins
-Portefeuille genommen hatte, war durch den Dividendenrückgang des
-Fabrikations-Unternehmens, der für ihren Haupteffektenposten eine
-bedeutende Mindereinnahme mit sich brachte, in Mitleidenschaft gezogen
-worden und hatte ihre eigene Dividende von 7 auf 4% ermäßigen müssen.
-Als nunmehr von ihrem 25 Millionen Mark betragenden Aktienkapital
-21720000 Mark auf die Züricher Elektrobank übergingen, wurden auf
-je 4000 Mark Lahmeyer-Aktien 3000 Frcs. neue Elektrobank-Aktien
-gegeben, so daß 16290000 Frcs. dieser Elektrobank-Aktien für die
-Durchführung des den Lahmeyer-Aktionären anheimgegebenen Umtausches
-erforderlich waren. Mit dieser ersten Transaktion aus der Gruppe
-der A. E. G.-Lahmeyer-Geschäfte, die sich lediglich zwischen den
-beiderseitigen Finanzgesellschaften abspielte, war aber doch schon eine
-Brücke auch zwischen den Fabrikationsunternehmungen geschlagen. Denn
-die 14 Millionen Mark Aktien der Felten & Guilleaume Lahmeyerwerke
-(1 Million Mark war vorher abgestoßen worden), die sich im Besitze
-der Elektrizitäts-Ges. Lahmeyer befunden hatten, waren damit nebst
-2 weiteren Millionen Mark aus Konzernbesitz in den Machtbereich der
-A. E. G. gelangt. Ein so kleiner Aktienbesitz erschien aber für die
-Ausübung der Macht seitens der A. E. G. nicht ausreichend. Auf ihr
-fußend konnte Rathenau eine Neuordnung der Verhältnisse bei dem Felten
-Guilleaume-Lahmeyer-Konzern noch nicht durchführen. Der +ersten
-Transaktion+, die Ende August 1910 vor sich ging, folgte Mitte
-Oktober nach weiteren eingehenden Verhandlungen die +zweite+
-entscheidende. Sie war von dem Gelingen des Aktienaustausches zwischen
-der Bank für elektrische Unternehmungen und der Elektrizitäts-Ges.
-vormals Lahmeyer abhängig gemacht worden und führte zu folgenden
-Anträgen an die Generalversammlung der A. E. G. vom 15. Oktober 1910:
-
- „1. Das Grundkapital der Gesellschaft wird um 30 Millionen Mark auf
- 130 Millionen Mark erhöht durch Ausgabe von 30000 auf den Inhaber
- lautenden Aktien über je 1000 Mark, die für das mit dem 30. Juni
- 1911 abschließende Geschäftsjahr den halben Gewinnanteil erhalten
- und sonst den übrigen Aktien gleichstehen.
-
- Von diesen Aktien werden:
-
- a) 8777 Stück den Herren Geheimer Kommerzienrat Theodor
- von Guilleaume und Kommerzienrat Max von Guilleaume zu
- Mülheim am Rhein zum Nennwert überlassen gegen Hergabe
- von nominal 16 Millionen Mark Aktien der Felten &
- Guilleaume-Lahmeyerwerke-Aktien-Gesellschaft zu Mülheim am Rhein
- nebst Gewinnanteilscheinen vom 1. Januar 1910 ab;
-
- b) 11223 Stück werden der Felten &
- Guilleaume-Lahmeyerwerke-Aktien-Gesellschaft zu Mülheim am
- Rhein zum Nennwert überlassen gegen Einbringung der sämtlichen
- 10 Millionen Mark nominal Aktien einer neu zu gründenden
- Aktiengesellschaft unter der Firma A. E. G.-Lahmeyer-Werke
- Aktiengesellschaft oder unter einer anderen Firma, zu Frankfurt
- a. M., die die gesamte Abteilung Frankfurt (Dynamowerk) der
- Felten & Guilleaume-Lahmeyerwerke Aktiengesellschaft zu
- Mülheim am Rhein, mit allen zugehörigen Immobilien, Maschinen,
- Beständen, Vorräten und Aufträgen, jedoch ohne Übernahme von
- Schuldverbindlichkeiten und Außenständen, besitzen soll.
-
- c) 10000 Stück der Berliner Handels-Gesellschaft und der
- Direktion der Diskonto-Gesellschaft zu Berlin gemeinschaftlich
- zum Kurse von 200% und einem Spesenbauschbetrag von je 100 Mark
- für jede Aktie ohne Stückzinsenberechnung überlassen und mit der
- Verpflichtung, die sämtlichen übernommenen 10000 Stück-Aktien
- alsbald nach Eintragung des Kapitalserhöhungsbeschlusses in das
- Handelsregister den Besitzern der 100 Millionen Mark alter Aktien
- unter Offenhaltung einer mindestens zweiwöchentlichen Frist zum
- Kurse von 200% und einem Spesenbauschbetrag von 100 Mark für
- jede Aktie zum Bezuge derart anzubieten, daß auf je 10000 Mark
- Nennwert alter Aktien eine neue Aktie bezogen werden kann.
-
- Die Ausgabe dieser 10000 Stück Aktien erfolgt zur Verstärkung der
- Betriebsmittel.“
-
-Den Anträgen wurde folgende Begründung gegeben:
-
- „Als die Felten & Guilleaume-Lahmeyerwerke Akt.-Ges. für
- das Jahr 1909 nur 6% Dividende verteilte, weil der in den
- letzten Jahren bei ihrem Dynamowerk in Frankfurt a. M.
- eingetretene Rückgang die früheren guten Dividenden der Felten
- & Guilleaume-Gesellschaft beeinträchtigte, wurden Verhandlungen
- wegen Abstoßung des Frankfurter Werkes veranlaßt. Diese haben
- zu einer Verständigung mit der A. E. G. geführt, nach der die
- Felten & Guilleaume-Gesellschaft das Dynamowerk an die A. E.
- G. gegen Hergabe von neuen A. E. G.-Aktien abstößt. Das Werk
- wird der A. E. G. in Form einer mit einem Aktienkapital von 10
- Millionen Mark und mit Reserven von 3 Millionen Mark ausgestatteten
- Aktiengesellschaft übergeben; diese neue Gesellschaft übernimmt die
- Fabriken und Anlagen des Dynamowerks nebst Inventar und Vorräten,
- jedoch ausschließlich Debitoren und Kreditoren. Das Werk geht
- hiermit auf ein Unternehmen über, das die Kraft und Mittel zu
- dessen vorteilhafter Ausgestaltung besitzt. Zugleich wird die A.
- E. G. infolge der bei der Überlassung ihrer Aktien festgesetzten
- Relation das Frankfurter Werk zu niedrigem Buchwert in ihre Bilanz
- einstellen können. Für die Felten & Guilleaume-Gesellschaft
- ergibt sich der nicht zu unterschätzende Vorteil, daß sie die
- von ihr für das Frankfurter Werk bisher verwendeten erheblichen
- Kapitalien in Zukunft nutzbringend in ihren Stammwerken anlegen
- wird. Hiermit bessert sie ihre bisherige Situation wesentlich,
- indem sie an Stelle von Verlusten aus dem Dynamowerk Gewinne aus
- den frei gewordenen Mitteln ziehen kann. Zu der Übernahme des
- Dynamowerks hat sich die A. E. G. indes nur unter der Voraussetzung
- entschlossen, daß ihr gleichzeitig ein ausreichender Betrag Aktien
- der Felten & Guilleaume-Gesellschaft zu günstigen Bedingungen
- überlassen wurde. Indem weit ausschauende Großaktionäre der Felten
- & Guilleaume-Gesellschaft 16 Millionen M. Aktien an die A. E. G.
- abtreten, erlangt diese in Gemeinschaft mit der +befreundeten
- Elektrobank in Zürich 32 Millionen Mark Aktien von den im ganzen
- 55 Millionen betragenden Felten & Guilleaume-Aktien und hiermit
- entscheidenden Einfluß+ auf die in hohem Ansehen stehende
- Gesellschaft, aus deren Firma der Name Lahmeyer in Zukunft
- ausscheidet. Zudem erwachsen der A. E. G. Vorteile daraus, daß
- sie mit der Übernahme des Frankfurter Dynamowerks eine lästige
- Konkurrenz beseitigt, mit dem Dynamowerk materielle und ideelle
- Werte zu günstigen Bedingungen erwirbt, einen +neuen Stützpunkt
- in Süddeutschland+ erlangt und durch innige Verbindung ihres
- Kabelwerks mit dem alten Mülheimer Carlswerk auch auf dem +Gebiet
- des Seekabelwesens+ die Führung übernimmt. Indem die A. E. G. in
- dieser Weise ihre Stellung von neuem um ein erhebliches stärkt,
- wird dieser Zusammenschluß auch der von dem Dynamowerk befreiten
- Felten & Guilleaume-Gesellschaft die Bahn zu neuer erfolgreicher
- Tätigkeit ebnen.
-
- Der Erwerb der 16 Millionen Mark Felten & Guilleaume-Aktien erfolgt
- gegen Hergabe neuer A. E. G.-Aktien in einem Umtauschverhältnis,
- das der A. E. G. die Einstellung in die Bilanz zu niedrigem
- Buchwert gestattet. Während die vorstehenden Transaktionen
- 20 Millionen Mark neue A. E. G.-Aktien erfordern, soll den
- Aktionären gleichzeitig ein Bezugsrecht auf 10 Millionen Mark
- Aktien angeboten werden, um die Mittel für den Betrieb und die
- Ausgestaltung des Dynamowerks zu schaffen.“
-
-Das Prinzip der Gesamttransaktion bestand also darin, daß die
-mißlungene Verbindung zwischen der Frankfurter Lahmeyer-Fabrik und dem
-Carlswerk durch einen resoluten Schnitt wieder beseitigt wurde. Der
-Frankfurter Teil wurde mit der A. E. G. verschmolzen, der Mülheimer
-Teil und die Finanzgesellschaft traten durch Aktienbeteiligung in den
-Konzern der A. E. G. ein. Da der Kurs der A. E. G.-Aktien zur Zeit
-jener Transaktion ungefähr 260% betrug, stellten die 11223000 Mark
-jungen Aktien, die mit halber Dividendenberechtigung für 1910/11 bei
-der Übernahme des Lahmeyer-Dynamowerks in Zahlung gegeben wurden,
-einen rechnerischen Wert von etwa 28,4 Millionen Mark dar. In der
-Bilanz der A. E. G. erschien das Werk allerdings nur mit einem Betrage
-von 10 Millionen Mark, das heißt in Höhe des Nominalkapitals der A.
-E. G.-Unternehmungen-Akt.-Ges., welchen Namen die zur Aufnahme der
-Frankfurter Werke der Felten & Guilleaume-Lahmeyerges. neu gegründete
-Aktiengesellschaft schließlich erhielt. Diese blieb in Zukunft nicht in
-ihrer bisherigen Gestalt, das heißt als gemischtes Elektrizitätswerk,
-bestehen. Die Hauptabteilungen, die als Produktionsstätten die
-Wirtschaftlichkeit der entsprechenden Berliner Betriebe nicht
-erreichten, so die Maschinenfabrik, die Lampenfabrik wurden aufgegeben
-bezw. mit den Berliner Betrieben zusammengelegt. Aufrechterhalten und
-weiterentwickelt wurden in Frankfurt nur einige Sonderbetriebe, so
-die Stellwerk-Abteilung, in der elektrische Signalapparate als neuer
-Produktionszweig aufgenommen wurden, ferner die Scheinwerferabteilung,
-die hauptsächlich für den Bedarf von Heer und Marine arbeitete. Die
-Beschränkung der Frankfurter Abteilung hatte zur Folge, daß ein
-beträchtlicher Teil des in Frankfurt benutzten Fabrikgeländes frei
-wurde, der an die Adlerwerke vorm. Kleyer veräußert werden konnte und
-somit einen Gegenwert für die Aufgabe der Frankfurter Betriebsstätten
-und die damit verbundenen Substanzenverluste bildete.
-
-Die technische und industrielle Bereicherung, die die A. E. G. aus dem
-Transaktionskomplex mit dem Felten & Guilleaume-Lahmeyerkonzern gewann,
-war vielleicht nicht so groß wie jene, die ihr bei dem Zusammenschluß
-mit der Union zugeflossen war. Die Bedeutung lag hier mehr auf dem
-Gebiete der Verringerung des Wettbewerbs und der Absatzausdehnung,
-die durch die neuen starken Stützpunkte in Süddeutschland und dem
-industriereichen Westen gefördert werden konnte. Dem kräftigen,
-wohl arrondierten und wohl proportionierten Wirtschaftskörper
-der A. E. G. waren nicht so sehr neue Lebensquellen, neue
-Befruchtungsmöglichkeiten nötig, sondern er schob die Grenzen seines
-Wirtschafts- und Wirkungsgebiets, der Schwerkraft, dem drängenden
-Wachstumsbedürfnis seiner industriellen Kraft Raum schaffend, weiter
-vor. Der Wille zur Macht und zur Entwickelung der Macht, der jedem
-blühenden Wirtschaftskörper unzertrennlich innewohnt, war hier die
-Haupttriebfeder des Handelns. Rein wirtschaftlich betrachtet, gehörte
-die Aufnahme der Lahmeyerwerke zu den Geschäften, die sich nicht sofort
-und nicht unmittelbar völlig bezahlt machen, und es gehörte schon die
-ganze strotzende Gesundheit der A. E. G. und die Fülle ihrer Säfte
-dazu, um einen so schweren Bissen wie das Lahmeyerwerk zu verdauen und
-zu verarbeiten. Erst allmählich begann diese Fusion sowie auch die
-Verbindung mit dem Carlswerk ihre Früchte zu tragen.
-
-War Triebfeder und Ergebnis der Lahmeyer-Transaktion für die
-A. E. G. in erster Linie Machterweiterung, so konnte es nicht
-ausbleiben, daß das die Verhältnisse in der Elektrizitätsindustrie
-beherrschende Gesetz des +Dualismus+ die Wurzel für einen +Gegenzug+
-des +Siemens-Schuckert-Konzerns+ bildete. Dieser erfolgte
-nicht so stürmisch, so „Zug um Zug“ wie in der ersten großen
-Konzentrationsperiode, in der die Machtverhältnisse noch nicht so
-gefestigt, die Möglichkeiten der Ausdehnung noch zahlreicher, die
-Auswahl unter den Fusionsobjekten noch größer, die ganze Entwickelung
-noch mehr im Fluß gewesen war. Beide Konzerne waren inzwischen in
-ihrem Besitz, in ihrer inneren Verfassung reicher, weiter und sicherer
-geworden und konnten ihre Transaktionen langsam vorbereiten und
-überlegen. Sie brauchten sich der neuen Objekte nicht ungeduldig zu
-bemächtigen, sondern konnten die Dinge an sich herankommen lassen.
-So dauerte es noch fast ein Jahr, bis die Siemens-Schuckert-Werke
-auf die Machterweiterung der A. E. G. damit antworteten, daß sie
-sich durch Aktienerwerb und Verwaltungseinfluß an dem letzten
-bis dahin noch unabhängig gebliebenen „gemischten“ Großwerk der
-Elektrizitätsindustrie, den +Bergmann-Elektrizitätswerken+, beteiligten.
-
-Die Bergmann-Elektrizitätswerke in Berlin waren nicht als
-gemischtes Werk gegründet worden, sondern hatten sich,
-ursprünglich als Spezialfabrik für Isolier-Leitungsrohre und
-Spezial-Installations-Artikel errichtet, erst später und in
-allmählichem Ausbau zum elektrischen Universalunternehmen entwickelt.
-Ihre Geschichte, ihr Kampf und ihr Schicksal ist in mehr als einer
-Hinsicht charakteristisch für die Gestaltung der Verhältnisse in der
-deutschen Elektrizitätsindustrie nach der Krise von 1901/03. Im Jahre
-1893 wurde die Gesellschaft mit dem kleinen Kapital von 1 Million
-Mark zur Herstellung der oben erwähnten Sonderartikel gegründet, sie
-ging hervor aus der seit 1891 bestehenden offenen Handelsgesellschaft
-S. Bergmann & Co. in Berlin. Sigmund Bergmann, ihr Gründer, stammte
-aus der Schule des Amerikaners Edison, mit dem er jahrelang als
-Associé zusammengearbeitet hatte und der ihm auch später stets in
-enger Freundschaft verbunden blieb. Bergmann gründete im Jahre 1897,
-während er seinen Wohnsitz noch in New York hatte, außerdem die
-Bergmann-Elektromotoren- und Dynamo-Werke, die gleichfalls zuerst nur
-mit einem Kapital von 1 Million Mark arbeiteten. Im Jahre 1900 wurden
-beide Gesellschaften miteinander fusioniert und das Kapital des damit
-den Weg der gemischten Werke beschreitenden Gesamtunternehmens erhielt
-einen Umfang von 8,5 Millionen Mark. Die Gesellschaft, technisch aufs
-beste und modernste ausgerüstet und mit den neuesten amerikanischen
-Konstruktionen arbeitend, hatte bis zum Jahre 1900 ihre Dividenden
-auf 23% gesteigert. Die Krisis brachte nur einen Rückgang auf den
-immerhin noch sehr hohen, von keiner anderen Elektrizitätsgesellschaft
-jemals gezahlten Satz von 17%. Nach der Krisis stellte sich die
-Dividende jahrelang auf 18%. Die hohe Rente bot die Möglichkeit zur
-Erzielung großer Agiogewinne bei den verschiedenen und häufigen
-Kapitalerhöhungen. Die Aktienkurse bewegten sich zwischen 200 und 300%.
-Bei Neuemissionen konnten Begebungskurse von durchschnittlich 200%
-festgesetzt werden, und kein geringeres Institut als die Deutsche Bank
-wurde für den Aufsichtsrat und als Bankverbindung für die Gesellschaft
-gewonnen.
-
-Diese äußerlich glänzende Entwickelung hatte aber eine Schattenseite.
-Sigmund Bergmann war ein ausgezeichneter Techniker, ein moderner,
-tatkräftiger Industrieller, aber er, der Amerikaner unter den deutschen
-Elektrikern, glaubte die amerikanischen Industrie- und Finanzmethoden
-nach Deutschland übertragen zu können, wo doch Emil Rathenau längst
-einen Typus und ein System entwickelt hatte, das dem amerikanischen
-weit überlegen war und die nach diesem arbeitenden Unternehmungen
-letzten Endes schlagen +mußte+. Bergmann mangelte bei seinen
-außerordentlichen technischen und industriellen Fähigkeiten eine
-ebenbürtige kaufmännische Veranlagung. Er kopierte hier eigentlich
-nur, was ihm die großen Konkurrenzwerke bereits erfolgreich vorgemacht
-hatten. Ganz ging ihm aber die +finanzielle Meisterschaft+ eines
-Emil Rathenau ab, er besaß nicht das eigene finanzielle Urteil,
-geschweige denn die originale, schöpferische Finanzkunst des A.
-E. G.-Gründers. So ließ er sich auf der Bahn, die ihm die ersten
-großen technischen Erfolge seines Unternehmens mit ihren hohen
-Dividendenresultaten eröffnet hatten, gern und kritiklos weitertreiben.
-Er nutzte unbekümmert um die innere Konsolidierung, um die Sicherung
-seiner Basis durch starke Reservestellungen, die Möglichkeiten aus,
-die ihm die hohen äußeren Renten boten. Seine Finanztechnik bestand
-in der Ausmünzung des +Aktienagios+, und er glaubte genug
-Rücklagen zu haben, wenn er die ihm aus seinen Kapitalserhöhungen
-zufließenden stattlichen Aufgelder in den Reservefonds einstellte.
-Seine Finanzpolitik war ein grundsätzliches Gegenbild zu der Emil
-Rathenaus, der sich nie durch die Agiochancen dazu verführen ließ,
-seine Dividenden höher zu bemessen, als ihm dies seine streng
-sachliche, hypervorsichtige Bilanzierung gestattete. Sigmund Bergmann
-war dabei zweifellos finanziell gutgläubig, seine Finanzpolitik kann
-nicht etwa als +leichtfertige+ Agiotage bezeichnet werden, und in
-einer anderen, nicht so sehr durch übermächtigen Wettbewerb älterer
-Unternehmungen beengten Industrie hätte sie vielleicht sogar passieren
-können. Bergmanns Tragik war, daß er 10 oder 15 Jahre zu spät kam, und
-in seiner Fachtüchtigkeit einen Gegner wie Emil Rathenau vorfand, der
-nicht nur fachtüchtig, sondern universal-tüchtig war und obendrein
-im Besitz, im Vorsprung war. Bergmann fand die ungeheuer schwere
-Aufgabe vor, nicht nur unter gleichen Bedingungen die stärksten Gegner
-zu besiegen, sondern noch deren beträchtliche Vorgabe einzuholen.
-Der Mut, mit dem der finanziell naive Techniker an die gewaltige
-Aufgabe heranging, ist bewunderungswürdig, bewunderungswürdig auch,
-was er unter so ungünstigen Bedingungen industriell erreicht hat.
-Der Ausbau seiner kleinen Spezialbetriebe zu einem großen modernen
-elektrotechnischen Universalwerk, das sich in technischer Beziehung
-durchaus neben der A. E. G. und Siemens-Schuckert sehen lassen konnte,
-ist eine hervorragende Leistung, die ohne bedeutende Organisationskraft
-nicht zu bewältigen war. Da er große und zahlreiche Werke schnell
-bauen mußte, auch in der kostspieligen Außenorganisation, die ihn zur
-Errichtung vieler auswärtiger und ausländischer Installations- und
-Konstruktionsbureaus zwang, und schließlich in der Fundierung des
-Unternehmergeschäfts, die er durch die Gründung einer Trustgesellschaft
-„der Bergmann Elektrische Unternehmungen-Akt.-Ges.“ zu stützen
-versuchte, den großen Vorbildern nachstreben mußte, konnte er
-allerdings wohl finanziell gar nicht so vorsichtig und bedächtig
-vorgehen wie Emil Rathenau. Er konnte sich nicht den Luxus leisten,
-das Geld auf die hohe Kante zu legen, sondern mußte häufige und
-umfangreiche Kapitalerhöhungen vornehmen, und dabei so beträchtliche
-Agiobeträge wie möglich hereinbringen. Er war spät gekommen und
-mußte schnell vorwärts, wenn er noch mit an die Spitze wollte. Der
-finanziell Einsichtige hätte wissen müssen, daß er so Gefahr lief,
-sich letzten Endes in geldlichen Schwierigkeiten zu verfangen, der
-industriell Wagemutige und Schaffensfreudige hat das Experiment doch
-versucht, und ist daran gescheitert. Bergmanns Tragödie ist die
-Tragödie des Nachgeborenen, der mit all seiner Schaffenskraft beendete
-Entwickelungen, verschlossene Kanäle, gelöste Probleme vorfindet, wie
-Rathenaus Glück das Glück des Schöpfers ist, der gerade im Augenblicke
-zu schaffen beginnt, in dem die Zeit seinen Plänen entgegenreift,
-in dem Baugrund und Baumaterial nur des Baumeisters warten. Den
-einen haben die Verhältnisse niedergehalten, den anderen haben sie
-emporgetragen.
-
-Sigmund Bergmann war es zwar in den Tagen des Glücks gelungen, die
-erste deutsche Bank zur Unterstützung seiner Finanzgebarung zu
-gewinnen. Aber gerade hier hat sich erwiesen, wie wenig auch die
-beste Bank (wenn sie nicht gerade selbst industrielle Unternehmungen
-entwickelt) in der Lage und gewillt ist, rein industrielle
-Finanzpolitik zu treiben, die eigene, rein sachliche und nur den
-Interessen des Unternehmens dienende Finanzpolitik des industriellen
-Leiters zu ersetzen. Gerade dieses negative Ergebnis bei Bergmann
-illustriert in scharfem Kontrast, wie sehr umgekehrt Emil Rathenau,
-der sein eigener Finanzminister war, die Bankier-Begabung zustatten
-gekommen sein muß. Die Deutsche Bank hat Sigmund Bergmanns falsche
-Finanzpolitik, die ihr selbst bei den vielen Kapitalserhöhungen schöne
-Provisions- und Emissionsgewinne einbrachte, bereitwillig und ohne
-Kritik mitgemacht, so lange alles gut ging. Als aber die Zeit der
-Dividendenrückgänge, des Schwachwerdens im Konkurrenzgeschäft, das
-Versagen des Emissionsmarktes und die durch keine Kapitalserhöhungen
-mehr zu behebenden Geldschwierigkeiten kamen, hat die Deutsche Bank
-der Gesellschaft und ihrem Leiter nicht die starke finanzielle
-Rückendeckung gewährt, die ihn vielleicht noch (oder vielleicht
-auch nicht mehr) hätte retten können. Sie hat vielmehr die
-Bergmann-Gesellschaft zur Aufgabe ihrer Selbständigkeit, zum Anschluß
-an einen der großen Konzerne gedrängt und die weitere Geldhergabe
-von dieser Kapitulation abhängig gemacht. Mit diesen Worten soll
-der Deutschen Bank gewiß nicht der Vorwurf einer illoyalen,
-unzuverlässigen Handlungsweise gemacht, sondern nur gezeigt werden,
-daß auch die größten Banken nicht gewillt und imstande sind, schon mit
-Rücksicht auf ihre eigenen Aktionäre gar nicht imstande sein können,
-junge Industrie-Unternehmungen im Kampf gegen große übermächtige
-Konkurrenzkonzerne durchzuhalten und in ihrer Entwickelung zu stützen;
-insbesondere dann nicht, wenn diese Kapitalmächte -- wie das im
-deutschen Wirtschaftsleben nicht selten der Fall ist -- in Beziehungen
-zu einem jener großen Konkurrenzkonzerne stehen und im Interesse der
-wertvolleren Verbindung die minder wertvolle preiszugeben geneigt
-sind. Die Unabhängigkeit eines Industrieunternehmens, besonders eines
-mittleren, noch nicht zum ersten Range emporgestiegenen, kann nur auf
-dem Wege erreicht werden, den Rathenau einschlug, nämlich dem der
-finanziellen Selbständigkeit. Unbedingt Herr im eigenen Hause bleibt
-nur +der+ Industrielle, der sich frei von Bankgeld und Bankenhilfe
-hält, der genug eigene Geldmittel aufsammelt, um damit auch Krisen
-überwinden, in Zeiten schlechten Emissionswetters seine Bedürfnisse
-decken zu können. Beispiele für solche selbständige Finanzpolitik,
-die zwar die Banken gelegentlich benutzt, darin aber nicht so weit
-geht, daß sie von Banken beherrscht werden kann, bieten abgesehen von
-der A. E. G., Siemens & Halske, Krupp, die Hamburg-Amerika-Linie, die
-Gelsenkirchener Bergwerksgesellschaft, der Bochumer Gußstahlverein,
-die großen Anilinfarbengesellschaften und eine erhebliche Anzahl in
-der letzten Zeit reich gewordener Unternehmungen kleineren Formats.
-Gegenbeispiele der durch Banken in ihrer sachlichen Geschäftspolitik
-zeitweilig beeinflußten Unternehmungen sind außer Bergmann u. a. die
-Phönix-Akt.-Ges. in ihrer früheren Periode, in der sie durch die
-Banken zum Eintritt in den Stahlwerksverband gezwungen wurde, die
-Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hütten-Ges., die Hohenlohewerke,
-die Deutschen Erdölwerke. Nur +ein+ großes Beispiel, bei dem
-sich industrielle Selbständigkeit mit starker Verschuldung bei Banken
-vereinigt hat, kennt die Geschichte der deutschen Großindustrie:
-den Fall +August Thyssens+. Dieser Ausnahmefall weist aber
-so viele seltene, einzigartige Vorbedingungen auf, daß er gerade
-dadurch die Regel bestätigt. Eine große, kühne und ganz besonders
-im Komplizierten sich erweisende Finanzkunst, die in ihrer Art der
-ganz anders gerichteten Emil Rathenaus ebenbürtig war, die mit dem
-persönlichen Kredit ebenso überlegen operierte, wie Rathenau mit dem
-Aktienkredit, unterstützte hier die industrie-kaufmännische Begabung.
-August Thyssen verstand es, so viele Kreditquellen zu benutzen, und die
-Konkurrenzströmungen auf dem Kapitalmarkte so geschickt gegeneinander
-auszuspielen, daß er stets Herr der Lage blieb und schließlich eine
-Macht wurde, mit der es kein Bankgläubiger verderben durfte, -- in
-guten Zeiten, weil er den großen Kunden zu verlieren fürchtete, in
-schlechten, weil er die Sicherheit des geliehenen Geldes besser durch
-Nachgiebigkeit als durch Rücksichtslosigkeit gewährleistet glauben
-mußte.
-
-Kehren wir zu den Verhältnissen der Elektrizitätsindustrie zurück.
-Die Bergmann-Elektrizitätswerke mußten, durch den Konkurrenzkampf der
-letzten Jahre geschwächt, mitten in großen Erweiterungsplänen und
-Geldbedürfnissen, ihre Dividende im Jahre 1910 von 18 auf 12%, im
-folgenden Jahre auf 5% herabsetzen. Der überanstrengte Emissionskredit
-brach damit zusammen, die unvollendeten Pläne konnten nicht mehr weiter
-geführt werden. In dieser Situation gab es keinen anderen Ausweg als
-den Anschluß an einen der großen Konkurrenzkonzerne. Die Deutsche
-Bank vermittelte die Anlehnung an den Siemens-Schuckert-Konzern,
-dem sie ja selbst finanziell nahestand. Auch mit der A. E. G. war
-verhandelt worden, aber diese konnte sich nicht dazu entschließen,
-Bergmann die von ihm verlangte, wenigstens halbe Selbständigkeit
-zu gewähren, war wohl auch durch die Angliederung des Felten
-Guilleaume-Lahmeyer-Konzerns vorerst gesättigt und brauchte kein
-Unternehmen mehr zu erwerben, das ihr nur Machterweiterung, aber
-keine Ergänzung durch neue Betriebszweige bot. So kam die Anlehnung
-der Bergmannwerke an Siemens-Schuckert zustande. Das Kapital der
-Bergmann-Werke wurde von 29 auf 52 Millionen Mark erhöht, davon
-übernahmen die Siemens-Schuckertwerke 8½ Millionen Mark. Aus ihrem
-Konzern trat Theodor Berliner in die Generaldirektion der Bergmannwerke
-neben Sigmund Bergmann ein, er übernahm die kaufmännische und
-finanzielle Führung, während die technische bei Bergmann verblieb.
-Die industriellen Baupläne wurden, mit +dem+ Teil des neuen
-Geldes, der nicht zur Ablösung bereits verbauter, vorläufig durch
-Bankkredit beschaffter Mittel erforderlich war, zu Ende geführt. Das
-Unternehmergeschäft dagegen wurde liquidiert. Der früher hochrentablen
-Bergmann-Aktie stand eine Reihe magerer Jahre bevor, bis der Krieg auch
-diesem Unternehmen, wie so manchen anderen durch Betätigung auf dem
-seiner eigentlichen Natur fremden Gebiet der Munitionsherstellung eine
-unerwartet schnelle Erholung brachte.
-
-Die Geschichte der Bergmannwerke hat den Beweis erbracht, daß ein
-aussichtsreicher Wettbewerb gegen die beiden herrschenden Groß-Konzerne
-auf dem Gebiete der +Neuerrichtung von Werken+ ebensowenig
-möglich war, wie er durch Fusion bereits bestehender Unternehmungen
-mittlerer Größe im Falle Felten Guilleaume-Lahmeyer auf die Dauer
-sich hatte behaupten können. Dies Aufgehen der beiden letzten
-Konkurrenzbetriebe gemischter Natur in die Interessenkreise der beiden
-„Großen“ hatte nunmehr die Situation in voller Reinheit und Klarheit
-hervortreten lassen, auf die die ganze Entwickelung seit Beginn der
-Konzentrationsperiode sichtlich hingedrängt hatte. Das Prinzip des
-Dualismus hatte sich voll ausgewirkt. Nur zwei Gruppen, die A. E.
-G. und Siemens-Schuckert, standen sich jetzt noch gegenüber. Es war
-kein Wunder, daß die Monopolfurcht, die schon gelegentlich der ersten
-großen Fusionen im Jahre 1903 in der Öffentlichkeit hervorgetreten
-war, von neuem auftauchte. Vom konsequent durchgeführten Dualismus
-bis zum Monopolismus war ja nur -- so fürchtete ein Teil der
-öffentlichen Meinung -- ein Schritt. Ein offener oder ein geheimer
-Vertrag zwischen den beiden Gruppen konnte den deutschen Konsum der
-Herrschaft eines Elektrizitätsmonopols ausliefern. In der Mitteilung,
-die der Siemens-Schuckertkonzern gelegentlich der Transaktion mit
-Bergmann bekannt gab, verwahrte er sich allerdings mit Nachdruck gegen
-Monopolbestrebungen. Man wolle kein Monopol, und man halte es nicht
-einmal für nützlich im Interesse der Elektrizitätsindustrie. Darum
-beabsichtige man auch nicht, die kaufmännische Selbständigkeit der
-Bergmann-Elektrizitätswerke durch die Übernahme der Bergmann-Aktien
-anzutasten. Diese Gesellschaft solle ihre Bewegungsfreiheit auch
-weiter behalten. Eine +nachhaltige+ Beunruhigung über die
-Monopolfrage kam denn auch infolge der letzten Fusionen in der
-Elektrizitätsindustrie nicht auf oder sie verlor sich doch bald. Das
-war zum Teil darauf zurückzuführen, daß man den Monopolen in manchen
-Kreisen nicht mehr so streng ablehnend gegenüberstand, wie noch vor 10
-Jahren, nachdem man erkannt hatte, daß ihre Macht durch Staatskontrolle
-zu beschränken sei, während die betriebliche Wirtschaftlichkeit
-durch sie zweifellos gefördert werde. Auf der anderen Seite hatte
-man aber gerade in der Zwischenzeit die Erfahrung gemacht, daß die
-Vereinigungsidee in der Elektrizitätsindustrie über den Dualismus A. E.
-G.--Siemens-Schuckert nur schwer hinwegschreiten würde. Zwischen beiden
-Konzernen waren viele Berührungspunkte entstanden, sie saßen in manchen
-Produktionsgesellschaften, wie den Akkumulatorenwerken Hagen, in der
-Telefunkengesellschaft, in vielen Betriebsgesellschaften, wie der
-Deutsch-Überseeischen Elektrizitätsgesellschaft, der St. Petersburger
-Gesellschaft für elektrische Beleuchtung, der Hamburger Hochbahn
-usw. zusammen, sie gehörten verschiedenen Kartellen an, hatten sogar
-gelegentlich geheime Submissionsabmachungen getroffen, und doch waren
-die Grundgegensätze zwischen ihnen dadurch keineswegs beseitigt, oder
-auch nur gemildert worden. Wenn man mit Persönlichkeiten aus einem der
-beiden Häuser von der Konkurrenz sprach, so waren es durchaus nicht
-immer Worte des gegenseitigen Verständnisses, der Anerkennung, der
-Würdigung, die man über den anderen zu hören bekam. Die Gefühle der
-Rivalität, des Konkurrenzneides, waren mehr als je vorherrschend. Statt
-eine Annäherung im großen herbeizuführen, hatten die gelegentlichen
-geschäftlichen Verbindungen nur das heimliche Gegensatzgefühl, die
-innere Kampfstellung verschärft. Und dieser Gegensatz blieb nicht auf
-akademische Erörterungen beschränkt, er trat auch auf den Absatzmärkten
-allenthalben in Erscheinung. Überall war das Bestreben fühlbar, den
-Gegner zu verdrängen, an Leistung zu überbieten und im Preise zu
-unterbieten, seine Produkte schlecht zu machen, seine Geschäftspraxis
-zu bemängeln. Wenn auch bei großen Geschäften der eine manchmal
-vornehm hinter dem anderen zurücktrat, er tat es nur mit innerlichem
-Ingrimm, und in kleinen Geschäften wurde der Konkurrenzkampf oft
-bis aufs Messer ausgefochten. Man hat gesagt, daß dieser Gegensatz
-in Personenfragen begründet sei und mit dem Rücktritt der alten, im
-gegenseitigen Kampf aufgewachsenen Personen verblassen und schließlich
-ganz verschwinden werde. Das mag bis zu einem gewissen Grade richtig
-sein, vorläufig ist aber mit einem Absterben dieser persönlichen
-Stimmungen noch lange nicht zu rechnen. Der Patrizierstolz der Familie
-Siemens hat sich nun bereits bis ins dritte Glied fortgeerbt, und ist
-noch immer stark und unerschüttert. Der A. E. G.-Geist, der nicht
-einmal so sehr in der weniger fruchtbaren Dynastie Rathenau verkörpert
-ist, wie in den vielen noch lebenden Mitarbeitern Emil Rathenaus aus
-seinen ersten Anfängen, will und braucht ebenfalls keine Kompromisse
-zu schließen. Ob vielleicht die veränderte Weltlage, die nach
-Beendigung des Krieges zweifellos in Erscheinung treten wird, einen
-Zusammenschluß der Elektrizitätskonzerne aus Gründen der Verteidigung
-des Weltmarktbesitzes herbeiführen wird -- wie sie während des Krieges
-schon zu einer Vereinigung der Anilinkonzerne geführt hat und wie ihre
-Vorahnung vor dem Kriege bereits ein Bündnis zwischen Hapag und Lloyd
-zu Wege brachte -- läßt sich jetzt noch nicht beurteilen. Es ist aber
-nicht ganz von der Hand zu weisen, daß auch hier vielleicht die Sachen
-stärker sein werden als die Personen.
-
-Bei Beurteilung der Monopolfrage darf nicht außer acht gelassen
-werden, daß die elektrischen Großkonzerne, die gemischten Betriebe,
-nicht die einzigen Unternehmungen auf dem Gebiete der deutschen
-Elektrizitätsindustrie sind. Es besteht sowohl auf dem Starkstrom-
-wie auch auf dem Schwachstromgebiet noch eine erhebliche Anzahl
-leistungsfähiger und unabhängiger Spezialbetriebe, die gewisse
-Sonderprodukte herstellen und die darin eine beachtenswerte Konkurrenz
-für die Großkonzerne bilden. Es gibt fast kein elektrotechnisches
-Erzeugnis, angefangen von der kleinen Glühlampe und dem Telephonapparat
-bis zu der größten Dynamomaschine, das nicht in Spezialfabriken
-hergestellt wird. Man kann annehmen, daß die Produktion dieser
-Spezialfabriken sich zu der der Großkonzerne etwa wie 1:3 verhält.
-Eine Reihe der Spezialfabriken, wie zum Beispiel das Sachsenwerk,
-die elektrotechnische Fabrik Rheydt, die Telephonfabrik Berliner,
-die Mix & Genest-Gesellschaft, die Elektrizitätsgesellschaft Poege,
-die Hackethal-Draht- und Kabelwerke, die Fabrik isolierter Drähte
-Vogel, das Kabelwerk Cassierer, hat sich im Kriege finanziell sehr
-günstig entwickelt und große Reserven aufgehäuft. Dadurch dürfte die
-Konkurrenzfähigkeit dieser Gesellschaften nach dem Kriege gegenüber dem
-früheren Stand wesentlich gesteigert worden sein. Solange der Dualismus
-zwischen der A. E. G. und Siemens-Schuckert erhalten bleibt, werden
-auch die Spezialfabriken ihre Stellung behaupten können.
-
-Etwas anders liegen die Verhältnisse auf dem Gebiete der
-+Betriebsunternehmungen+. Hier beherrschen die beiden Gruppen
-ziemlich allein das Feld und sowohl im Unternehmergeschäft,
-als auch bei den Auftragsbauten für Rechnung von besonderen
-Betriebsgesellschaften, Kommunen und sonstigen Behörden findet sich
-für sie kaum ein nennenswerter Wettbewerb. Das Prinzip des Dualismus,
-der wechselseitigen Konkurrenz beider Konzerne, reicht aber auf diesem
-Gebiet nur bis zur Projektionsgenehmigung und Auftragserteilung für den
-Bau im ganzen, manchmal, wenn beide Gruppen zusammenarbeiten oder sich
-über Projekte verständigen, scheidet es auch schon vorher aus. In der
-Durchführung des Baus, meist auch in der späteren Materialversorgung,
-werden die Gruppen kaum noch durch eine Einwirkung der Konkurrenz
-gestört. Diese Gestaltung der Dinge hat in der Öffentlichkeit vielfach
-die Furcht vor einem privaten Strommonopol hervorgerufen. Gerade aber
-hier würde es auch einem solchen Monopol schwer sein, seine Macht zu
-einer Vergewaltigung der Konsumenten, die doch hauptsächlich nur in
-einer Heraufschraubung der Tarife bestehen könnte, zu mißbrauchen.
-Besonders gilt das für den Kraftstrom. Sobald bei der Tarifbemessung
-für elektrische Kraft nämlich die Elektrizitätswerke zu hohe Preise
-forderten, würde die Anlage von Privatkraftzentralen für größere
-Verbraucherbetriebe, die schon bisher den Strom vielfach vorteilhafter
-liefern konnten als öffentliche Zentralen nicht ganz moderner Art und
-Leistungsfähigkeit, eine solche Ausdehnung nehmen, daß die öffentliche
-Stromversorgung jede Aussicht verlieren würde, an großindustrielle
-Betriebe Strom überhaupt abzusetzen. Wurden doch von öffentlichen
-Elektrizitätswerken im Jahre 1913 nur 2800 Millionen Kwstd. nutzbar
-abgegeben gegen 10000 Millionen Kwstd. von Einzelanlagen[1]. Was aber
-den kommunalen Stromverbrauch für Licht- und Kraftzwecke anlangt,
-so ist seine Abgabe von der Erteilung der Konzessionen seitens der
-Kommunalbehörden abhängig, die sich vertraglich gegen eine Ausnutzung
-der Strommonopole zur Erzielung unangemessener Preise schützen können,
-wobei die Angemessenheit der Preise durch den sachverständigen
-Vergleich mit anderen Werken und Verträgen der gleichen Art nicht
-schwer festzustellen ist. Vielfach haben auch Städte, Kreise und
-sonstige öffentliche Körperschaften die Stromwerke in eigenen
-Betrieb genommen, um statt des privaten Monopols ein öffentliches zu
-schaffen. Auch verschiedene +Staaten+ haben sich Einfluß auf die
-Elektrizitätserzeugung innerhalb ihrer Grenzen durch Errichtung von
-eigenen großen Kraftwerken, Beschlagnahme der Wasserkräfte, Kohlenläger
-usw. gesichert.
-
-Das hindert allerdings nicht, daß die elektrischen Großkonzerne
-durch geschickte „Strategie“ verschiedentlich kommunalpolitische
-Elektrizitätsprojekte geschädigt haben. Ein Beispiel bildet
-das Vorgehen des A. E. G.-Konzerns im Falle der Berliner
-Elektrizitätswerke, nachdem diese auf die Stadt Berlin übergegangen
-waren. Hier hat die A. E. G. mit ihrem Märkischen Elektrizitätswerk
-die Berliner Elektrizitätserzeugung sozusagen „eingekreist“, indem sie
-durch ihren die Bildung eines gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens
-vorsehenden Vertrag mit der Provinz Brandenburg der Stadt Berlin
-jede Möglichkeit nahm, sich mit dem Stromabsatz ihrer Werke über
-deren altes Versorgungsgebiet auszudehnen, wie es wohl im Rahmen
-einer großzügigen und ökonomischen Berliner Elektrizitätspolitik
-gelegen hätte. In ähnlicher Weise ist die Stadt Mülhausen i. E. an
-der Errichtung eines leistungsfähigen kommunalen Werkes verhindert
-worden, weil ringsherum große, mit Wasserkraft und Montankraft
-arbeitende Privatwerke entstanden, die ihr an Wettbewerbsfähigkeit
-überlegen waren. Aber auch in diesen Fällen kann man nicht sagen,
-daß die eigentlichen Verbraucherinteressen durch das Vorgehen der
-Großkonzerne gelitten haben, denn es ist ja gerade die aus höherer
-Leistungsfähigkeit sich ergebende Möglichkeit der Unterbietung,
-die das private Großwerk dem kommunalen Lokalwerk überlegen macht.
-Beeinträchtigt werden vielmehr nur kommunale Interessen, wobei die
-Frage, ob es überhaupt kommunalpolitisch gerechtfertigt ist, daß eine
-Gemeinde über ihr eigenes Weichbild hinaus als Stromlieferant auftritt,
-offenbleiben soll. -- Im Falle der Berliner Elektrizitätswerke steht
-übrigens nicht das kommunalpolitische Verwaltungs-Prinzip dem privaten
-Unternehmerprinzip, sondern dem gemischt-wirtschaftlichen Prinzip
-gegenüber, da ja die Märkischen Elektrizitätswerke durch Beteiligung
-der Provinz Brandenburg zu einem halböffentlichen Unternehmen geworden
-sind. Durch den Hinweis auf öffentliche Interessen wird man also diesen
-Widerstreit -- auch bei aller Sympathie für die Reichshauptstadt --
-nicht in ihrem Sinne lösen können. Was der Stadt Berlin recht ist, muß
-schließlich der Provinz Brandenburg billig sein. Es bleibt ein rein
-wirtschaftlicher Kampf übrig, in dem letzten Endes wirtschaftliche
-Leistungsfähigkeit und geschickte Geschäftstaktik den Ausschlag geben
-müssen.
-
-Ein besonderes Wort sei noch den sogenannten
-+Installationsmonopolen+ gewidmet. Darunter versteht man
-den von manchen Stromlieferungswerken ausgeübten Zwang auf die
-Stromabnehmer, die Hausinstallationen, die Anschlüsse an das
-Kabelnetz des Stromwerkes usw. von ihnen selbst oder von den ihnen
-nahestehenden Fabrikationsgesellschaften vornehmen zu lassen und
-die dazu erforderlichen Apparate durch sie zu beziehen. Derartige
-Installationsmonopole, die bei konsequenter Durchführung den
-Handwerkerstand der unabhängigen Elektromechaniker bald völlig
-beseitigen würden, sind neuerdings in fast allen Konzessionsverträgen
-ausdrücklich verboten, die Zentral-Regierungen in den einzelnen
-Bundesstaaten haben sie in Erlassen bekämpft, und auch die
-großen Elektrizitätsgesellschaften haben erkannt, daß derartige
-Installationsmonopole (nicht zu verwechseln mit den Einrichtungs-
-und Materiallieferungsmonopolen oder den Lieferverträgen mit
-Meistbegünstigung für den Bedarf der Stromwerke selbst) weder
-durchzusetzen sind, noch den Fabrikationsgesellschaften selbst zum
-Nutzen gereichen, da diese an der Vernichtung eines selbständigen und
-leistungsfähigen Installateur-Standes keineswegs ein Interesse haben.
-
-
-
-
-Vierzehntes Kapitel
-
-Großkraftversorgung
-
-
-Die Entwicklung der elektrischen Stromversorgung, die von
-der Blockstation über die Zwischenetappen der +Lokal-+ und
-+Überlandzentrale+ zum großen +Zentral-+ und +Fernkraftwerk+ schritt,
-ist im letzten Jahrzehnt besonders durch zwei Dinge vorbereitet
-und ermöglicht worden. Einmal durch die Lösung des technischen
-Problems der +Fernübertragung hochgespannter+ Ströme über beliebig
-weite Strecken und ferner durch die juristisch-organisatorische
-„Erfindung“ der +gemischt-wirtschaftlichen+ Unternehmung. Die letztere
-war in Wirklichkeit allerdings nur das Verwaltungskleid, das der
-ersteren gesucht und gefunden wurde. Die grundsätzliche Lösung des
-Fernübertragungsproblems liegt schon Jahrzehnte zurück, sie war
-mit der Einführung des Drehstromsystems gegeben, das wir an +der+
-Stelle unseres Buches, die ihm im historischen Gange der Untersuchung
-zukam, bereits behandelt haben. Wenn es auch noch ziemlich lange
-dauerte, bis die neue Erfindung trotz schon anfänglich verblüffender
-Demonstrationswirkung in größerem Umfange angewendet wurde und
-die Praxis der Theorie auf ihre damals dem vorausschauenden Genie
-schon erkennbaren Wege folgte, so lag dies daran, daß man in der
-Elektrizitätsindustrie erst die Verwendung hochgespannter Ströme
-zu hinreichender Leistungsfähigkeit entwickeln und ebenso sicher
-ihre Umwandlung in niedrige Spannungen beherrschen mußte. Ganz
-besonders für die Fernübertragung kam es auf diese Ausbildung der
-Transformatoren-Technik an. Denn in den Zentralwerken war, um deren
-günstige Ökonomie auszunutzen, die Erzeugung höchster Spannungen
-nötig, ebenso für die Übertragung nach den Verbrauchsstätten durch
-die weiten dazwischen liegenden Strecken. An den letzteren mußte der
-Strom, um für manche Verwandlungszwecke erst brauchbar zu werden,
-auf niedrige Spannungen wieder zurückgebracht werden. Besonders die
-Lichtelektrizität verlangte eine solche Verringerung der Spannung.
-Neben den Maschinen, Transformatoren und Generatoren, die für die
-großen Ausmaße hergestellt und erprobt werden mußten, bedurfte auch
-das Leitungsnetz einer Einrichtung für die erforderlichen hohen
-Volt-Spannungen. Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß die
-Leitungsdrähte mit der Zunahme der Spannung nicht verstärkt zu werden
-brauchten, sondern im Gegenteil eine Verringerung ihres Querschnittes
-zuließen und daß gerade darin einer der Hauptvorteile der Hochspannung
-lag. Auf der anderen Seite war aber für besonders gutes, zug- und
-druckfestes Material und für eine minutiöse Isolierung Sorge zu tragen.
-
-Nachdem diese technischen Vorbedingungen gelöst waren, stand das
-Problem großzügiger und billiger Stromerzeugung bald klar vor
-Augen: die Elektrizität konnte in Zukunft viel vorteilhafter an
-den +Fundstätten+ der +Antriebsenergie+, also an Orten,
-wo Wasserkräfte oder Kohle aus erster Hand zur Verfügung standen,
-gewonnen werden, als an den +Verbrauchsorten+ des elektrischen
-Stromes, wo sie bisher erzeugt worden war, nachdem man die zu ihrer
-Gewinnung erforderliche Kohle mit der Bahn oder mit dem Schiff
-dorthingeschafft hatte. Der Vorteil des neuen Systems lag einmal darin,
-daß die Massenproduktion in großen Zentralwerken die Gewinnungskosten
-verbilligte und ferner darin, daß durch die Herstellung größerer
-Absatzgebiete ein besserer Ausgleich zwischen Stromproduktion und
-Strombeanspruchung ermöglicht wurde. Je größer das Versorgungsgebiet
-eines Elektrizitätswerkes ist, desto vielseitigere und vielzeitigere
-Anwendungsmöglichkeiten bieten sich in ihm für den elektrischen
-Strom. Kraftstrom und Lichtstrom, Industriebedarf, Hausbedarf und
-Straßenbahnbedarf ergänzen einander. Wenn der eine Verbraucher feiert,
-arbeitet der andere, alle Tages- und Nachtzeiten werden ausgenutzt, die
-steil ansteigenden und wieder abfallenden Beanspruchungskurven, die zu
-ungleichmäßiger Beschäftigung und schlechter Ausnutzung der Anlagen
-führen, -- werden gemildert, oder gar ganz aufgehoben. Eine geschickte
-Produktionspolitik, die eine möglichst gleichmäßige Erzeugung in den
-Hauptwerken herbeizuführen sucht, und den außergewöhnlichen Bedarf
-durch kleinere Spitzenwerke deckt, eine großzügige Absatzpolitik,
-die sich für die sogenannten Vacuen selbst Abnehmer schafft oder
-erzieht, können den wirtschaftlichen Effekt wesentlich verbessern.
-Ein neuer Standort für Industrien bildete sich im Anschluß an diese
-Großkraftwerke heraus. Neben den Gewerben, die an den Gewinnungsstätten
-für Kohle, Erze und sonstige industrielle Rohstoffe sich niedergelassen
-hatten, neben den Verfeinerungsindustrien in und bei den Großstädten
-wurden nunmehr auch in der Nähe der Großkraftwerke Betriebe, namentlich
-chemischer Art (Stickstofferzeugung aus Luft) und metallurgischer Art
-errichtet, mit dem Zwecke, die billige Kraft auszunutzen. Aber auch
-dort, wo die Kraft nicht an Ort und Stelle verbraucht werden konnte,
-sondern transportiert werden mußte -- und hier tritt ja der Hauptzweck
-der Fernkraftwerke in Erscheinung -- bedeutete es eine sehr große
-Ersparnis an Transportkosten, daß die körperlich schwere Kohle nicht
-mehr auf Schienen- und Wasserwegen an die lokalen Erzeugungsstätten
-der elektrischen Energie geschafft zu werden brauchte, sondern daß der
-körperlose Strom in fertigem Zustande sozusagen an die Verbrauchsorte
-„hinübertelegraphiert“ werden konnte. Ein besonderer Vorteil ergab
-sich noch insofern, als auch ganz minderwertige Brennstoffe, die einen
-Transport nicht lohnten, für die Krafterzeugung an ihrem Fundorte noch
-mit Nutzen verwendet werden konnten.
-
-Derartige Kraftwerke auf Wasser- oder Kohlengrundlage, die nicht
-immer allergrößten Umfanges waren und vielfach an Ausmaßen hinter
-einem Unternehmen wie den Berliner Elektrizitätswerken zurückblieben,
-wenn sie diese auch an technischer und wirtschaftlicher Ökonomie
-übertrafen, wurden im vorletzten und besonders letzten Jahrzehnt
-allenthalben in den großen Montanrevieren und an Wasserkraft-Standorten
-(Niederdruckwerke) errichtet. In Rheinland-Westfalen erstand das
-Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk Hugo Stinnes, das zum Teil
-unter Ausnutzung der von den Hochöfen entweichenden Gichtgase zum
-Motorenantrieb eine große Anzahl von Stadt- und Landgemeinden mit
-Strom versorgte, ferner das Elektrizitätswerk Westfalen, an dessen
-Gründung die A. E. G. mitwirkte, das aber später in ein rein kommunales
-Verbandsunternehmen überführt wurde. Auch in Oberschlesien und im
-Saarrevier wurden von der A. E. G. ähnliche Werke errichtet. In allen
-deutschen Braunkohlenrevieren traten gleichfalls Montankraftwerke ins
-Leben, namentlich im rheinischen Braunkohlenrevier, im mitteldeutschen,
-niederlausitzer und bitterfelder Gebiet. Eines der größten und
-modernsten waren die +Elektrowerke+ in Bitterfeld, die von der
-A. E. G. erbaut und später auf die B. E. W., nach deren Abtretung der
-Berliner Werke an die Stadt Berlin, überführt wurden. Sie wurden auf
-eine Erzeugungsfähigkeit von mehreren Millionen Kilowattstunden im
-Jahre eingerichtet. Vor dem Kriege waren zwischen den B. E. W. und
-der Stadt Berlin Verhandlungen geführt worden, um eine Verlängerung
-des Vertrages zwischen diesen beiden Parteien unter der Bedingung zu
-erreichen, daß der Strom für die Berliner Werke aus Bitterfeld bezogen
-werden sollte. Diese Verhandlungen wurden von den B. E. W. abgebrochen,
-nachdem sie während des Krieges in den staatlichen Stickstoffwerken
-in Bitterfeld an Ort und Stelle einen Abnehmer gefunden hatten,
-der von ihnen 500 Mill. Kwstd. jährlich bezog, während ein anderes
-Unternehmen, die Elektrosalpeterwerke, einen weiteren Lieferungsvertrag
-von 250 Mill. Kwstd. jährlich abschloß. Diese Verträge, die einen
-Stromverkaufspreis von nur 1 Pf. für die Kwstd. vorsahen gegen einen
-durchschnittlichen Licht- und Kraftpreis der B. E. W. von zuletzt
-13,32 Pf., erwiesen sich allerdings später infolge der unerwartet
-ungünstigen Selbstkostenentwickelung des Braunkohlenbergbaus im Kriege
-als recht unvorteilhaft für die Elektrowerke, und die Folge davon
-war, daß die A. E. G. den B. E. W. das Interesse an den Elektrowerken
-wieder abnahm, um es mit ihren reicheren Mitteln erst selbst zur
-Reife zu bringen.[2] Auch die preußische Regierung hat bereits
-mehrere große Fernkraftwerke auf Kohlenbasis errichtet, so das Werk
-Muldenstein für den Bedarf der Staatsbahnstrecke Dessau-Bitterfeld;
-ferner ist ein noch größeres Kraftwerk bei Wittenberg im Bau
-begriffen, das den Bedarf für die Elektrifizierung der Berliner
-Stadt- und Ringbahn decken soll und daneben mit dem Märkischen
-Elektrizitätswerk, dem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen des A. E.
-G.-Konzerns, an dem sich neuerdings die Provinz Brandenburg führend
-beteiligt hat, einen langjährigen Lieferungsvertrag abgeschlossen
-hat. In den meisten dieser Dampfkraftwerke auf Montanbasis wird
-der Brennstoff auf mechanischen Rosten verfeuert, wobei auch die
-minderwertigsten Kohlen, die für Heiz- und Brikettierungszwecke
-unbrauchbar sind, Verwendung finden können. Neuerdings hat man auch
-mit dem System der +Vergasung der Kohle+ in Generatoren zum
-Zwecke der Elektrizitätserzeugung gute Erfolge erzielt, ein Gebiet,
-auf dem wieder die A. E. G. in Gemeinschaft mit einer Reihe anderer
-Unternehmungen bahnbrechend vorging. Dieses noch der Ausbildung
-bedürfende System ist deswegen besonders aussichtsreich, weil es
-einmal die Möglichkeit gibt, den Brennwert der Kohle fast vollständig
-auszunutzen und ferner eine Verwertung der meisten Nebenprodukte wie
-Mineralöle, Ammoniak usw. gestattet. Sogar der in Mooren gewonnene
-+Torf+ läßt sich für die Zwecke der Energieerzeugung mit
-Nutzen verwenden, wie die vom Siemens-Schuckertkonzern errichtete
-Überlandzentrale Wiesmoor, die allmählich ganz Ostfriesland, Oldenburg
-und die anstoßenden Gebiete mit Strom versorgen soll, erwiesen
-hat. Auf der Grundlage von Wasserkräften wurden namentlich in den
-süddeutschen Staaten große Stromerzeugungswerke errichtet, so in
-Bayern das staatliche Walchenseewerk, die Isarwerke, die Ampèrewerke,
-die Lech-Elektrizitätswerke, in Baden das Murgtalwerk usw. An eine
-Ausnutzung der großen Wasserkräfte des Oberrheins unter Mitwirkung des
-Reiches wird demnächst herangegangen werden.
-
-Emil Rathenau hat den Problemen der Großkraftversorgung in den
-letzten Jahren seines Lebens lebendige und fast jugendliche
-Anteilnahme entgegengebracht. Greisenhafte Müdigkeit oder jene
-Abgeklärtheit des Alters, die von Werner v. Siemens Besitz ergriff,
-waren ihm gänzlich fremd. Er, der Zeit seines Lebens für die private
-Elektrizitätswirtschaft eingetreten war, der er die Sphäre seiner
-Leistung und den Erfolg seines Lebens verdankt, besaß Elastizität
-genug, um umzulernen, als die Verhältnisse sich änderten und über die
-Grenzen hinauswuchsen, die der privaten Erzeugung gezogen werden.
-Die fachliche und sachliche Einsicht, daß die Tendenz, ganz große
-Elektrizitätswerke zu errichten, nicht nur aus politischen, sondern
-auch aus wirtschaftlichen Gründen zu stark geworden sei, als daß sie
-mit der denkbar größten Leistungssteigerung privater Werke noch dauernd
-hätte aufgehalten werden können, genügte, um diesen Realpolitiker
-umzustimmen und ihm neue Gedankengänge zu eröffnen. Als ich Rathenau
-im Mai 1914 aufsuchte, nachdem er von schwerer Krankheit scheinbar
-genesen, seine Arbeit wieder aufgenommen hatte, sah er mich aus seinen
-hellfragenden, klugen Augen ganz wie früher an. Er war durchaus mitten
-im Strom lebendiger Probleme und als ich neben anderen Fragen, auch
-die eines Elektrizitätsmonopols streifte, war ich erstaunt, von ihm
-Ansichten zu hören, die ich dem alten Privatindustriellen am wenigsten
-zugetraut hätte. Ich habe damals unter dem frischen Eindruck seiner
-Darlegungen ihren Gedankengang folgendermaßen aufgezeichnet:
-
- „Der ganz billige Strom, wie wir ihn zu Kraftzwecken unbedingt
- brauchen, kann nur in Betrieben hergestellt werden, die über
- das Ausmaß auch unserer bisherigen größten Zentralen weit
- hinausgehen. Die Stadt Berlin verbraucht im Jahre alles in
- allem zurzeit vielleicht 300 Millionen Kilowattstunden, der
- preußische Eisenbahnfiskus dagegen dürfte auf seiner einzigen
- kleinen elektrischen Vollbahnstrecke Dessau-Bitterfeld bei vollem
- Betriebe fast das Doppelte an Strom verbrauchen. Es ist also
- durchaus natürlich, daß der preußische Staat, zumal bei einer
- fortschreitenden Elektrifizierung der Vollbahnen, Kraftwerke bauen
- muß, die in bezug auf die Leistungsfähigkeit selbst die größten
- lokalen Werke und Überlandzentralen weit übertreffen werden. Da nun
- die Herstellungskosten des Stromes sich mit der Größe der Anlagen
- und der produzierten Menge progressiv verringern, da andererseits
- aber die staatlichen Werke ihre Kapazität sowie die für einen
- regelmäßigen Bahnbetrieb unumgänglich notwendige Reservekapazität
- nicht und vor allem nicht zu jeder Zeit voll ausnutzen können,
- ist es natürlich, daß sie dazu übergehen, und auch schon dazu
- übergegangen sind, Strom an Private abzugeben. Bereits kürzlich
- hat eines der staatlichen Werke auf dem Wege der Submission ein
- Stromkontingent von ca. 30 Mill. Kilowattstunden ausgeboten. Wenn
- wir in unseren lokalen Elektrizitätswerken den Strom uns dadurch
- billiger schaffen können, daß wir ihn von einem staatlichen
- Riesenwerk beziehen, so sehe ich gar keinen Grund, warum wir uns
- eigensinnig gegen einen derartigen Verzicht auf eigene Erzeugung
- sperren sollen. Wir beziehen dann einfach Strom statt Kohlen
- und benutzen die lokalen Anlagen für Stromverteilungszwecke.
- Die technischen Möglichkeiten der Stromherstellung im großen
- sind beinahe unbegrenzt. Es wäre durchaus möglich, daß der ganze
- Bedarf Europas an elektrischer Energie an einem Orte hergestellt
- würde und die elektrische Fernübertragung wäre durchaus imstande,
- diesen zentral hergestellten Strom über ganz Europa und noch
- weiterhin zu versenden. Natürlich wird es in der Praxis zu einer
- derartigen intensiven Konzentrierung der Stromherstellung
- nicht kommen. Immerhin aber wird man voraussichtlich über die
- jetzige Dezentralisation und Verzettelung hinausstreben müssen.
- Ein Reichsmonopol allerdings ist für Deutschland wohl kaum
- noch durchführbar, nachdem Einzelstaaten wie Bayern und Baden
- bereits mit Hilfe ihrer Wasserkräfte durch Errichtung riesiger
- Werke ihre Stromproduktion auf dem Wege der einzelstaatlichen
- Gesetzgebung geregelt haben. Wohl aber wäre es denkbar, daß
- man für Preußen zu einer monopolistischen Gestaltung der
- Stromerzeugung unter staatlicher Führung oder Mitwirkung gelangte.
- Das notwendige Korrelat für eine derartige großzügige Regulierung
- der Stromproduktion müßte allerdings ein Enteignungsgesetz für
- die Zwecke elektrischer Anlagen, besonders für Kabelführungen
- durch private und öffentliche Grundstücke bilden. Heute sind,
- um derartige Durchführungen zu ermöglichen, komplizierte
- Privatverträge erforderlich, die oft durch kleinliche Motive
- erschwert werden.“
-
-Es waren keine Projekte und spekulativen Phantasien, wie sie Rathenau
-manchmal aus irgend einer Stimmung heraus entwickelte, um sie ebenso
-schnell wieder zu vergessen. Diese Darlegungen gaben wohldurchdachte
-Anschauungen wieder, die sich bei ihm und seinem Kreise über die
-Fortführung einer Hauptrichtung ihres Gewerbes gebildet hatten und
-deren systematisch-theoretische Durcharbeitung auch bald danach von
-Mitgliedern dieses Kreises in Angriff genommen wurde. Anfang 1915
-veröffentlichte Dr. ing. Gustav +Siegel+ in den Preußischen
-Jahrbüchern unter dem Titel „Der Staat und die Elektrizitätsversorgung“
-eine Arbeit, in der er den von Rathenau entwickelten Plan mit einem
-ausführlichen Zahlen- und Datenmaterial zu begründen und die Tatsache,
-daß die Reichszuständigkeit für das vorgeschlagene Monopol durch
-Präjudiz in verschiedenen Einzelstaaten behindert werde, durch den
-Vorschlag der Bildung eines +Reichselektrizitätsverbandes+ zu
-überwinden suchte. Rathenau selbst schrieb dem Aufsatz ein kurzes
-Vorwort, in dem er sich zu dem Grundgedanken zustimmend äußerte. Drei
-Gesichtspunkte stellte er darin in den Vordergrund: Einmal Befriedigung
-des Verbrauchs zu niedrigen Strompreisen, zweitens die Schaffung neuer
-Einnahmequellen für den Staat und drittens die wenigstens teilweise
-Erhaltung des Tätigkeitsgebietes für die bisherigen Träger des
-Elektrizitätsgebietes. Rathenau schrieb:
-
- „Die seit einer Reihe von Jahren gepflogenen Erörterungen über
- die seitens des Staates gegenüber der Elektrizität einzunehmende
- Haltung haben durch das starke Bedürfnis nach Erhöhung der
- Staatseinnahmen einen neuen Anstoß erhalten. Wenn die auf
- diesem Gebiete gestellte Aufgabe eine zweckmäßige Lösung
- finden soll, ist darauf Bedacht zu nehmen, unter Befriedigung
- des Verbrauchs zu niedrigen Strompreisen dem Staate in der
- Elektrizität eine Quelle zu neuen Einnahmen zu schaffen, indem
- ihm nicht über das unvermeidliche Erfordernis hinaus Aufgaben
- und Lasten auferlegt werden und den bisherigen Trägern der
- Elektrizitätsunternehmungen die Tätigkeit vorbehalten bleibt,
- in der sie sich Jahrzehnte hindurch bewährt haben. Einen zu
- diesem Ziele führenden Weg scheint mir der Verfasser der Arbeit
- „Der Staat und die Elektrizitätsversorgung“ zu weisen, indem er
- empfiehlt, die elektrische Arbeit an den Energiequellen durch
- staatliche Großkraftwerke zu erzeugen und den Strom mit einem
- durch die wirtschaftlichere Erzeugung ermöglichten Gewinn den
- Stromverteilungsunternehmen zu überlassen, die die für sie
- erforderlichen Leitungsnetze anschließen und betreiben. Diesem
- Grundgedanken der mir vorliegenden Arbeit pflichte ich durchaus
- bei. Ohne zu den Ausführungen im Einzelnen Stellung zu nehmen,
- möchte ich die eine Bemerkung hinzufügen, daß der von dem
- Verfasser empfohlene Reichs-Elektrizitätsverband, der die von
- den Einzelstaaten zu betreibenden Großkraftwerke zusammenfassen
- soll, dahin ausgestaltet werden könnte, daß er die gesamten
- Einnahmen aus dem Stromabsatz der Elektrizitätswerke einzieht und
- nach Entschädigung der Einzelstaaten für die von ihnen gemachten
- Aufwendungen und nach ihrer angemessenen Beteiligung an den
- Überschüssen den verbleibenden Ertrag an das Reich zur Befriedigung
- des hier am dringendsten fühlbaren Bedürfnisses nach neuen
- Einnahmen abführt.“
-
-Siegel selbst sucht in seiner Arbeit nachzuweisen, daß die für ein
-Elektrizitätsmonopol zumeist vorgebrachten Gründe, soweit sie den
-Schutz der Verbraucher vor einer Vergewaltigung und Ausnutzung durch
-private Elektrizitätsmonopole wie den Schutz der Installateure
-vor einer Ausschaltung durch den überlegenen Wettbewerb der
-Fabrikationsgesellschaften betreffen oder im Interesse der politischen
-und militärischen Macht des Staates über die Kraftquelle der Zukunft
-vorgebracht werden, nicht zwingend genug seien. Wenn er trotzdem
-einer Zentralisation der Stromerzeugung und im gewissen Sinne auch der
-Stromverteilung zustimmt, so tut er dies lediglich aus Gründen der
-technischen und wirtschaftlichen Ökonomie.
-
- „Es handelt sich darum, unmittelbar an ergiebigen Kraftquellen,
- an den Fundstätten der Brennstoffe, an den Wasserkräften,
- den Torfmooren, oder wo sonst sich billige Betriebsstoffe in
- ausreichender Menge finden, Elektrizitätserzeugungsstätten größten
- Umfangs zu errichten und +sie durch ein nach einem einheitlichen
- Plane ausgebautes Hochspannungsnetz zu verbinden+, das sich über
- das ganze Reich erstrecken und den Ausgleich aller verfügbaren und
- benötigten Elektrizitätsmengen bilden soll. Diese Aufgabe stellt
- sowohl in finanzieller wie organisatorischer Hinsicht schwierige
- Probleme, die zwar auch ohne Mithilfe des Staates vielleicht im
- Laufe von Jahrzehnten überwunden werden könnten, die aber durch
- sein Eingreifen +schneller+, +zuverlässiger+ und +vollständiger+
- einer glücklichen Lösung entgegengeführt würden.“
-
-Siegel untersucht die Möglichkeiten und Bedingungen der
-einzelnen Vorschläge, auf Grund deren eine Vereinheitlichung der
-Elektrizitätserzeugung unter Wahrung der Interessen des Staates,
-der Verbraucher und der Erzeuger durchgeführt werden könnte. Ein
-lediglich kontrollierendes Elektrizitätsschutzgesetz, das keine
-wirtschaftliche oder technische Umgestaltung der Verhältnisse,
-sondern nur eine Abwägung der Interessen aller beteiligten Kreise
-durch Zuweisung der Kontrolle an den Staat, Festlegung günstiger
-Bezugsbedingungen für den Konsum, und Beseitigung der Wege- und
-Leitungsschwierigkeiten für die Stromerzeugung auf dem Wege staatlicher
-Gesetze und Verwaltungsnormative herbeiführen würde, lehnt er aus
-zwei Gründen ab. Es würde einen Hemmschuh für die freie Entwicklung
-der immerhin von starken Konkurrenzen, wie dem Gas, dem Petroleum,
-dem Treiböl bedrängten Elektrizitätserzeugung bedeuten und dem
-Staate keine Erträgnisse zuführen. Auch ein derartiges Schutzgesetz,
-verbunden mit einem finanziellen Nutzen für den Staat, wird als
-unsachgemäß bezeichnet. Denn eine Regelung, die darin bestehen
-würde, die Erzeugung des elektrischen Stromes in den bisherigen
-Händen, also denen der Privatindustrie, der kommunalen und der
-gemischt-wirtschaftlichen Werke zu belassen, um den Staat an ihr nur
-durch das Recht der Konzessionserteilung sowie durch Anteile am
-Umsatz, Gewinn oder sonstige Abgaben zu beteiligen, würde letzten Endes
-auf eine +Elektrizitätssteuer+ hinauslaufen, wie sie gelegentlich
-der Reichs-Finanzreform von 1909 bereits einmal vorgeschlagen, aber
-abgelehnt worden war. Eine solche Steuer-Ordnung müßte, da sie die
-betriebliche Ökonomie der Elektrizitätsindustrie nicht verbessern,
-sondern die bisherigen Methoden der Erzeugung beibehalten würde,
-infolge der den Werken aufgebürdeten neuen Lasten eine Erhöhung der
-Selbstkosten und dadurch eine Steigerung der Strompreise im Gefolge
-haben, während doch umgekehrt die Bedürfnisse der Konsumenten --
-und zwar mit berechtigtem Nachdruck -- gerade auf eine Ermäßigung
-der Strompreise hindeuten. Eine solche fiskalische Methode würde
-letzten Endes auch den Interessen des Staats zuwiderlaufen, da eine
-Verteuerung der Strompreise oder auch nur eine Erhaltung des jetzigen,
-den Möglichkeiten der neuzeitlichen Technik nicht mehr entsprechenden
-Preisniveaus die Einnahmen, die der Staat aus der Elektrizitätsregelung
-erwartet, schmälern oder doch jedenfalls den von der Zukunft erhofften
-Zuwachs stark herabmindern würde.
-
-Eine +dritte+ -- die radikalste -- +Möglichkeit+ bestünde
-darin, halbe Maßnahmen jeder Art zu vermeiden, und sofort an die
-gesamte Monopolisierung der Elektrizitätserzeugung und -Verteilung
-heranzugehen. Diese Forderung besticht durch ihre staatssozialistische
-Entschiedenheit und wird insbesondere von politischen Schriftstellern,
-aber technischen Laien erhoben, die damit die Ausschaltung der
-Privatindustrie am gründlichsten herbeiführen, die staatlichen
-Einnahmen am stärksten steigern zu können meinen. Siegel geht davon
-aus, daß der Staat nur die öffentlichen Elektrizitätswerke mit
-einer nutzbaren Stromabgabe von 2,8 Milliarden Kilowattstunden,
-nicht die viel umfangreicheren Einzelanlagen privater Erzeuger, mit
-der viel größeren Stromabgabe von 10 Milliarden Kwstd. erwerben
-würde und erwerben könnte. Der Erwerb der unzähligen, auf die
-einzelnen Verbraucherbetriebe zugeschnittenen Privatanlagen käme
-aus betrieblichen wie finanziellen Gründen nicht in Betracht. Er
-würde dem Staat eine zersplitterte, statt einer zentralisierten
-Elektrizitätswirtschaft aufhalsen und das Anlagekapital auf weit
-über 6 Milliarden Mark steigern. Bereits bei der Übernahme der 4000
-öffentlichen Elektrizitätswerke müßte das aufzuwendende Kapital
-2,9 Milliarden Mark betragen, und bei einem daraus zu erzielenden
-Reinertrag von 167 Milliarden Mark würde für den Staat nach Abzug
-der Zinsen von 4½% für das Anlagekapital ein frei verfügbarer
-Überschuß von nur 37 Milliarden Mark verbleiben. Das sei bei einem
-so riesigen Anlagekapital ein viel zu geringer Ertrag. Die ganze
-Konstruktion eines solchen Monopols wäre aber weder vom Standpunkte
-des Produzenten, noch von dem des Konsumenten, noch schließlich
-auch von dem der Staatswirtschaft aus fortschrittlich, sondern
-würde eher Keime zur Stagnation, oder gar zum Rückschritt in
-sich tragen. Die Übernahme der vielen verschiedenartigen, teils
-veralteten, teils halbmodernen, teils modernen Erzeugungsstätten zu
-ihrem Gegenwarts- oder Vergangenheitswerte durch den Staat müßte
-den Übergang zu einer wirklich zeitgemäßen Großerzeugung in wenigen
-billig arbeitenden Zentralwerken erschweren, infolgedessen einer
-Ermäßigung der Strompreise entgegenstehen, den Wettbewerb der privaten
-Einzelanlagen und der übrigen konkurrierenden Kraftquellen stärken,
-der Zukunftsentwicklung der Elektrizitätswirtschaft den Weg verlegen
-und somit auch den -- an sich schon geringen -- staatlichen Ertrag
-des Elektrizitätsmonopols gefährden. Siegel kommt infolgedessen auf
-Grund seiner theoretischen Gründe und praktischen Berechnungen zu
-der Empfehlung des oben erwähnten +gemischten+ Systems, bei
-dem der Staat, ohne sich mit der Übernahme und Bezahlung alter und
-veralteter Werke zu belasten, nur die zentralen Hauptkraftwerke an
-den Standorten der Wasserkräfte, der Kohlenläger, der Torfmoore usw.
-errichten, diese untereinander und mit den bestehenden öffentlichen
-Privatwerken durch Hochspannungsanlagen verbinden und die letzteren
-als Verteilungs- und Reserveanlagen in Privatbetrieb weiter bestehen
-lassen würde, soweit er es nicht für zweckmäßig erachtete, einige
-ganz besonders moderne Anlagen, die den Anforderungen zentraler
-Erzeugung entsprechen, zur Beschleunigung und Erleichterung seiner
-Produktionsaufnahme zu erwerben. Die Privatwerke sollen bei diesem
-System durch die vorteilhafte Preisstellung der Zentralwerke veranlaßt
-werden, von diesen den Strom zu besseren Bedingungen zu beziehen, als
-sie ihn selbst in ihren eigenen Werken herstellen könnten. Besonders
-leistungsfähige Privatwerke sollen aber auch berechtigt werden, an
-staatliche Fernleitungen elektrische Kraft zu liefern, sofern sie dies
-zu gleichen Preisen wie die Staatswerke zu tun vermöchten. Einen
-gesetzlichen Zwang für die Privatwerke, Strom von den Staatszentralen
-zu beziehen, will Siegel nicht schaffen, er erwartet die allmähliche
-freiwillige Zentralisation vielmehr von den Vorteilen des billigeren
-Bezuges. Die +Verteilung+ des Stroms soll wie bisher in den Händen
-der privaten, kommunalen und gemischt-wirtschaftlichen Unternehmungen
-verbleiben, die dadurch in die Lage versetzt würden, für ihre Anlagen
-weitere Beschäftigung und für ihre Kapitalien weitere Verzinsung zu
-finden, die auch besser als der Staat in der Lage seien, für die
-Ausdehnung des Stromabsatzes werbend tätig zu sein. Die Träger der
-staatlichen Unternehmung sollen die Bundesstaaten sein, die sich
-ähnlich wie bei den Eisenbahnen zu einem „Reichs-Elektrizitätsverband“
-zusammenschließen müßten.
-
-Siegel errechnet bei einem Kapitalaufwand des Staates für den ersten
-Ausbau der Fernleitungszentralen von 400 Millionen Mark, bei einem
-durchschnittlichen Selbstkostenpreis von 1 Pfennig pro Kwstd. und einem
-Verkaufspreis von durchschnittlich etwa 2,6 Pfennig auf Grund einer
-jährlichen Verkaufsmenge von 6 Milliarden Kwstd., einen Reinüberschuß
-des Staates von 60 Millionen Mark. Hinsichtlich der Zukunftsentwicklung
-legt Siegel seiner Phantasie keine Zügel an. Er schreibt:
-
- „Nach einem weiteren Ausbau wird eine nutzbare Abgabe von
- etwa 12 Milliarden Kilowattstunden in Frage kommen; die Zahl
- der Kraftwerke dürfte sich dann auf etwa 35 erhöht haben. Die
- Gesamtkosten betragen mit einem entsprechend erweiterten Ausbau der
- Hochspannungsleitungen etwa 650 Millionen Mark. Unter ähnlichen
- Verhältnissen wie beim ersten Ausbau läßt sich selbst unter
- Verringerung des Verkaufspreises noch ein Reinüberschuß von etwa 90
- Millionen Mark für den Staat erzielen. Es dürfte auf diese Weise
- möglich sein, vielleicht im Laufe eines Jahrzehnts einen großen
- Teil des gesamten Kraftbedarfs Deutschlands, der einschließlich
- der Eisenbahnen weiter oben auf etwa 80 Milliarden Kilowattstunden
- geschätzt wurde, aus den staatlichen Kraftwerken zu liefern,
- selbstverständlich unter entsprechender Erhöhung der Reineinnahme
- des Staates.“
-
-Während sich Siegels Untersuchung auf eine Zusammenstellung der
-+wirtschaftlichen+ Grundgedanken des Problems beschränkt und
-die technischen wie statistischen Nachweise, sofern sie überhaupt
-gegeben sind, in einer gewissen al fresco-Manier behandelt werden,
-hat sich Professor Georg +Klingenberg+, Direktor und Leiter der
-Abteilung Elektrizitätswerke der A. E. G., mit einer statistisch
-wie technisch sorgfältig durchgeführten Studie in einem Vortrag,
-den er unter dem Titel „Elektrotechnische Großwirtschaft unter
-staatlicher Mitwirkung“[3] in Frankfurt a. M. hielt, mit derselben
-Frage beschäftigt. Der Gedankengang seiner Ausführungen ist genau
-derselbe wie bei Dr. Siegel, kleine Abweichungen brauchen hier nicht
-hervorgehoben zu werden, auf technische und ökonomische Details,
-so lehrreich sie auch sein mögen, kann ich im Rahmen dieses Buches
-leider nicht eingehen. Interessant sind aber die Ergebnisse, zu denen
-Klingenberg kommt. Er faßt sie in folgenden Leitsätzen zusammen:
-
-1. Die Zusammenfassung großer Gebiete zu einer einheitlichen und
-großzügigen Elektrizitätswirtschaft läßt sich mit dem heutigen System
-der Einzelanlagen nicht erreichen. Nur der Staat ist imstande, die
-entgegenstehenden rechtlichen Schwierigkeiten zu beseitigen; hieraus
-folgt die Notwendigkeit des staatlichen Eingriffs.
-
-2. Es empfiehlt sich nicht, den staatlichen Betrieb auch auf die
-Verteilung elektrischer Arbeit zu erstrecken. Die Verteilung muß
-vielmehr Sache derjenigen bleiben, die sie heute schon besorgen. Der
-Staat muß sich auf die Erzeugung des Stromes und die Verkupplung der
-Kraftwerke durch Hochspannungsleitungen beschränken.
-
-3. Das Übergewicht großer Werke gegenüber mittleren und kleinen
-entsteht durch die geringeren Erzeugungskosten des Stromes, durch die
-Ausnutzung billiger Brennstoffe und vor allem durch die Verkupplung der
-Werke, die zur Verbesserung des Ausnutzungsfaktors und zur Verminderung
-der Reserven führt. Diese Vorteile werden durch die erhöhten
-Umformungs- und Fortleitungskosten zwar vermindert, als Endergebnis
-bleibt jedoch eine ziffernmäßige Überlegenheit des staatlichen
-Betriebes.
-
-4. Es werden Untersuchungen über die gegenseitigen Versorgungsgrenzen
-mehrerer mit verschiedenen Brennstoffen arbeitender Großkraftwerke
-angestellt.
-
-5. Ein staatlicher Wettbewerb mit den bestehenden großen und mittleren
-Werken würde zu einem Mißerfolg führen. Der Staat kann deshalb nur
-auf dem Wege vorgehen, daß er die bestehenden Werke als Abnehmer zu
-gewinnen sucht. Für die bereits vorhandene Erzeugung ist dies nur
-teilweise möglich, dagegen läßt sich der +Zuwachs+ fast restlos
-für die staatlichen Werke sichern.
-
-6. Der Staat muß zu diesem Zwecke eine Anzahl von Großkraftwerken
-an geeigneten Stellen errichten, sie mit 100000 Volt-Leitungen
-untereinander verbinden, und an diese Umformerwerke anschließen, die
-zur Versorgung der Verteilungsorganisation dienen. Die Einführung einer
-Reihe von technischen Normalien ist hierbei wünschenswert.
-
-7. Es muß ferner eine einheitliche staatliche Organisation für diese
-Aufgaben geschaffen werden.
-
-8. Unter Voraussetzung der zu erwartenden Entwicklung darf für das Jahr
-1926 mit folgenden Zahlen für Preußen gerechnet werden:
-
- Gesamte Erzeugung der staatlichen Werke 10 Milliarden Kwstd.
- Anlagekapital 900 Millionen Mark.
- Jährlicher Reingewinn 41 Millionen Mark.
-
-9. Weitere Einnahmen lassen sich nur durch eine Besteuerung
-erzielen. Von den vielen möglichen Steuerformen empfiehlt sich eine
-unmittelbare +Besteuerung der Beleuchtungselektrizität+ und des
-+Beleuchtungsgases+ in Höhe von 10 v. H. des Rechnungsbetrages und
-eine mittelbare durch Besteuerung der +Kohle+. Insgesamt wird ein
-Erträgnis aus der Elektrizitätswirtschaft und den Steuern für 1926 von
-320 Millionen Mark errechnet.
-
-Die Arbeit Klingenbergs hat in der Fachwelt manche Kritik
-hervorgerufen. Insbesondere hat sich der Direktor des Städtischen
-Elektrizitätswerkes in Kiel, +Dr. Voigt+, in der Hauptversammlung
-der Vereinigung der Elektrizitätswerke, die im wesentlichen
-die kommunalen Werke umfaßt, gegen die Vorschläge Klingenbergs
-gewandt, denen er das uneingestandene Motiv unterlegte, daß
-die Elektrizitätsindustrie sich eine gute Geschäftskonjunktur
-durch die Aufträge, die die Errichtung der neuen staatlichen
-Elektrizitätszentralen mit sich bringen würde, schaffen wolle. Er
-nannte im besten Falle die Erträgnisse des Monopols für den Staat sehr
-bescheiden, erwartete sogar im Gegensatz zu Klingenberg Fehlbeträge
-und fürchtete Nachteile für die Kommunen, deren Gasbetriebe durch
-das Monopol nicht weniger beeinträchtigt werden würden als die
-Elektrizitätsbetriebe. „Die Aufgabe der staatlichen Großkraftwerke
-sei letzten Endes auf die Stillsetzung der Ortskraftwerke gerichtet.
-Damit werde eine große Zahl von Trägern selbständigen Lebens und
-selbständiger Wirtschaft zugunsten einer Zentralisation ausgeschaltet,
-deren technisch-wirtschaftliche Notwendigkeit nicht bewiesen sei.“
-Auf die Dauer werde neben der staatlichen Elektrizitätserzeugung eine
-private oder gemeindliche Gaswirtschaft nicht bestehen können, deren
-Verstaatlichung würde -- wenn die Ergebnisse des Elektrizitätsmonopols
-gut seien, aus dem Wunsch nach weiteren finanziellen Einnahmequellen
-heraus, wenn sie schlecht seien, aus dem Wunsch nach ihrer Verbesserung
-heraus -- bald folgen und schließlich würde der Staat auch die Urquelle
-beider Kräfte, die Kohle, mit Beschlag belegen. Die Klingenbergschen
-Pläne zielten auf eine äußere und einseitige Zusammenfassung der im
-Lande gebrauchten elektrischen Kräfte hin, während die natürliche
-Entwicklung auf eine wirtschaftliche Sammlung aller an ein und
-demselben Ort vorhandenen Energiemengen (offenbar durch die Kommunen.
-Der Verf.) gerichtet sei.
-
-Klingenberg hat auf die Darlegungen Voigts geantwortet und die
-Überzeugung ausgesprochen, daß die technisch mögliche Modernisierung
-und Verbilligung der Stromerzeugung in zentralen Großkraftwerken, die
-nach Voigts Ansicht ganz von selbst sich vollziehen werde, nur durch
-staatliche Mitwirkung gelöst werden könne. Nur durch den Staat, der
-allein die Macht hierfür besitze, würden sich die politischen Grenzen
-zwischen den einzelnen Wegeberechtigten und deren partikularistische
-Eigeninteressen soweit überwinden lassen, daß Großkraftwerke
-geschaffen werden könnten. Von den bestehenden Werken weisen nur ganz
-wenige befriedigende Ausnutzung auf. Das gelte insbesondere von den
-städtischen Werken, die in ihrer bisherigen Entwickelung nur sehr
-langsam auf die industrielle Versorgung eingegangen seien. Die Werke
--- auch die meisten großstädtischen -- seien viel zu klein, um größere
-Industrien wirtschaftlich versorgen zu können. Aber nur durch die
-Einbeziehung industriellen Anschlusses, nur durch die möglichst weit
-getriebene Vermischung eines verschiedenartigen Verbrauches ließen
-sich die höchstmöglichen wirtschaftlichen Vorteile erzielen, und
-so gute Ergebnisse erreichen, wie sie durch die besten städtischen
-Belastungen, nämlich die Straßenbahnen, erzielbar seien. Damit würden
-die Erzeugungskosten auf einen Bruchteil der bisherigen heruntergehen.
-
-Zu dieser Kontroverse ist zu sagen, daß der rein technisch-ökonomische
-Kern des Klingenbergschen Vorschlages zweifellos richtiger und
-überzeugender ist als die von allen möglichen außerwirtschaftlichen,
-kommunalpolitischen und partikularistischen Gesichtspunkten beeinflußte
-Gegenargumentation Voigts, womit aber nicht gesagt werden soll, daß
-in dieser Angelegenheit nur der technisch-ökonomische Gesichtspunkt
-Beachtung verdient, wenn er zweifellos auch den wichtigsten Faktor des
-Problems darstellt.
-
-Dennoch werden auch die Klingenbergschen Vorschläge oder vielmehr
-Ergebnisse, an den hohen Erwartungen gemessen, mit denen man auf Grund
-der großzügigen Perspektiven Rathenaus der Lösung der Monopolfrage
-entgegensah, manch einen etwas enttäuscht haben. Klingenberg, der seine
-Rechnung nur für Preußen aufgestellt, gelangt auf Grund eines von den
-Staatswerken gedeckten Stromverbrauchs von 10 Milliarden Kwstd. und
-bei einem Anlagekapital von 900 Millionen Mark für das Jahr 1926 zu
-einem jährlichen Reingewinn von 41 Millionen Mark. Siegel berechnete
-den in ganz Deutschland durch Staatswerke zu deckenden Stromverbrauch
-nach Fertigstellung der von ihm vorgeschlagenen Anlagen auf 6 Milliard.
-Kwstd. und kam bei einem Anlagekapital von 400 Mill. M. auf 60 Mill.
-M. jährlichen Reingewinn. Sind Klingenbergs Berechnungen richtig, so
-folgt daraus, daß jene Siegels -- auf die Kilowattstunde berechnet --
-viel zu optimistisch waren. Die Klingenbergschen Ergebnisse, die wohl
-als besser fundiert gelten müssen, können aber vom Standpunkte der
-Staatsfinanzwirtschaft betrachtet, nicht sehr befriedigen. Er will
-im Jahre 1926 -- also erst nach einem Jahrzehnt -- dem Staate eine
-Einnahme von 41 Millionen Mark zuführen, muß aber zu diesem Zwecke
-in einer Zeit, in der Kapital sehr knapp sein wird, 900 Millionen
-Mark investieren. Auch ihm selbst haben offenbar die finanziellen
-Resultate, die sich allerdings nach Überwindung des Übergangsstadiums,
-nach Amortisierung der alten, jetzt noch im lokalen Verteilungsprozeß
-mitzuschleppenden Werke wesentlich erhöhen dürften, nicht genügt.
-Darin liegt denn offenbar auch der Grund, daß er seinen Vorschlag
-mit einer +Besteuerung+ der Beleuchtungselektrizität und des
-Beleuchtungsgases -- die ja vom Standpunkt der Konkurrenzfähigkeit der
-deutschen Industrie auf dem Weltmarkte vielleicht nicht gefährlich,
-aber vom Standpunkt der Verbraucherinteressen doch bedauerlich wäre
--- verknüpft, daß er auch die zweifellos auf einem ganz anderen
-Blatte stehende Besteuerung der Kohle mit heranzieht, und ihr sogar
-den Hauptanteil (200 Millionen Mark) an seiner mit 320 Millionen Mark
-balanzierenden „Finanzreform“ aufbürdet.[4]
-
-Die Frage der Reichskonzentration, die recht schwierig geworden
-ist, nachdem Bayern und Sachsen bereits selbständig Wege
-beschritten haben, wie sie Klingenberg vorgeschlagen hat, wird
-von diesem gar nicht behandelt, während sie von Siegel mit dem
-Wort Reichs-Elektrizitätsverband leichthin abgetan worden ist.
-Ganz so einfach dürfte es ja nicht sein, die Wasser-Elektrizität
-Bayerns zum Beispiel mit der Kohlen-Elektrizität Preußens auf eine
-gemeinsame Formel zu bringen, abgesehen davon, daß gerade die
-größeren Bundesstaaten nicht ohne weiteres bereit sein werden, ihre
-Elektrizitätskompetenzen auf das Reich übergehen zu lassen oder auch
-nur Teile davon in eine Reichs-Elektrizitätsgemeinschaft einzubringen.
-
-Nach alledem kommen wir zu dem Ergebnis, daß der Gedanke der zentralen
-Krafterzeugung der technischen und ökonomischen Folgerichtigkeit
-nicht entbehrt, daß er aber starke Hemmnisse, die zum Teil aus der
-Belastung der Gegenwart mit Rudimenten der Vergangenheitsentwickelung,
-zum Teil aus dem bundesstaatlichen und kommunalen Partikularismus
-stammen, überwinden muß, ehe er zu voller Wirkung und Reife erwachsen
-kann. Die Ernte dieses fruchtbaren Gedankens wird erst in der
-Zukunft gepflückt werden[5]. Viel wird dabei auf die Frage ankommen,
-welche Entwickelung in den nächsten Jahren das Vollbahnenproblem
-nehmen wird. Geht der Staat nach dem Kriege in verstärktem Tempo
-zur +Elektrifizierung der Vollbahnen+ über, wie das allerdings
-nach den Erfahrungen des militärischen Verkehrs und bei der starken
-Verschuldung aller kriegführenden Staaten nicht gerade erwartet
-werden kann, so würden zur Deckung des Strombedarfs für die Bahnen
-sowieso riesige Zentralstromwerke errichtet werden müssen, die
-ganz natürlich zur Unterbringung ihrer überschüssigen Kapazitäten
-versuchen würden, auch andere Großabnehmer an sich zu ziehen. Daß
-auch der preußische Staat in solchem Falle danach streben würde,
-diese Tendenz durch ein Strommonopol zu unterstützen, erscheint
-naheliegend. Ebenso ist damit zu rechnen, daß sich bei einer solchen
-Entwickelung, wenn nämlich die Anlageinvestitionen sowieso vorgenommen
-werden müßten, und zur Deckung des zusätzlichen Absatzes an Private
-nur vergrößert zu werden brauchten, die Erträgnisbedingungen für das
-Staatsmonopol wesentlich verbessern würden. Je stärker nämlich in
-der Zusammensetzung von neuem Bedarf (für die Bahnen) und von altem
-Bedarf (für bestehende Verteilungsanlagen) der neue Bedarf, bei dem
-eine Verzinsung und Amortisierung alter Anlagen nicht mehr in Betracht
-kommt, dominieren würde, desto stärker und ungestörter würden sich
-in der Monopolwirtschaft die technischen und ökonomischen Wirkungen
-und Vorteile des Großkraftwerk-Betriebes ausprägen können. In jedem
-Falle, ob nun die Elektrifizierung der Vollbahnen das Monopolproblem
-begünstigen würde oder ob dieses sich ohne eine solche Stütze
-durchzusetzen hätte, bleibt es fraglich, ob der Monopolgesetzgeber die
-Frage des Anschlusses der bisherigen privaten Erzeuger -- öffentlicher
-Werke und Einzelanlagen -- an das Monopolnetz so ganz von deren freiem
-Willen abhängen lassen könnte, wie dies sowohl Siegel wie Klingenberg
-voraussetzen. Das Riesenproblem der Kriegslastendeckung wird vielleicht
-tiefere Eingriffe in das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht
-der Privaten erforderlich machen und insbesondere dürfte ein
-Elektrizitätsmonopol sich nicht damit begnügen, den viel geringeren
-Teil der Elektrizitätserzeugung zu erfassen, der in den öffentlichen
-Werken vereinigt ist, und den weit größeren Teil frei zu lassen, der in
-den Einzelanlagen zum Ausdruck kommt. Gewiß ist für manche Unternehmer
-die Versorgung durch Einzelanlagen, trotz der an sich höheren
-Produktionskosten des Stroms in meist kleinen und oft unmodernen
-Betrieben infolge der Ersparnis der Kosten des Leitungsnetzes
-vorteilhafter als der Bezug aus einer öffentlichen, wenn auch ganz
-modernen Zentrale. Es wird aber auch Fälle geben, in denen, namentlich
-bei günstiger Lage der Zentralen, das Gegenteil zutrifft. Will man
-aber schon den Besitzer einer bereits bestehenden Privatanlage um
-der Kapitalien willen, die er in seine Zentrale gesteckt hat, nicht
-zwingen, vom Staatsnetz teureren Strom zu beziehen, als er ihn sich in
-seiner eigenen Anlage selbst herstellen könnte, so fällt doch diese
-Rücksicht fort bei dem Unternehmer, der erst eine Privatanlage schaffen
-oder eine schon bestehende erweitern will. Ihm schmälert man kein
-wohlerworbenes Recht, wenn man ihn durch gesetzlichen Zwang oder durch
-Prohibitiv-Steuer veranlaßt, seinen Strombedarf bei den Staatswerken
-zu decken. Die Furcht Klingenbergs, daß dann ein Teil der Industrie
-wieder von der elektrischen Kraftübertragung zur Dampftransmission
-zurückkehren würde, erscheint mir kaum begründet. Der +ganze+
-Zusatzbedarf jedenfalls, gleichgültig ob er sonst durch öffentliche
-Werke oder private Einzelanlagen gedeckt werden würde, gebührt
-dem Monopol. Erst dann kann dieses auf die große und einträgliche
-Neubeschäftigung rechnen, die ihm die Grundlage für eine sichere und
-ergiebige Gewinn-Kalkulation bietet.
-
-
-
-
-Fünfzehntes Kapitel
-
-Gemischt-wirtschaftliche Unternehmung
-
-
-Wenn man der Stellungnahme Rathenaus und seines Kreises für das
-Elektrizitätsmonopol in der oben geschilderten Art neben den
-objektiven, volkswirtschaftlichen Gründen auch so etwas wie ein
-subjektives, sozusagen -- im erlaubten Sinne -- eigennütziges
-Motiv unterlegen wollte, so könnte es im folgenden liegen: Der
-kluge Realpolitiker, der sich bei allem Gedankenschwung nie an
-Unmöglichkeiten klammerte, dessen Stärke darin bestand, immer nur
-zu wollen, was er konnte, hatte wohl erkannt, daß die Tendenz zum
-Staatsmonopol so stark sei, daß ihr auf die Dauer nicht Widerstand
-zu leisten war. Gewisse Widerstände, denen Konzessionsanträge von
-Privatgesellschaften für Großkraftwerke seit einiger Zeit bei der
-Regierung begegneten, zeigten ihm, daß man dort die Zukunft nicht zu
-„präjudizieren“, sondern sich die Freiheit des Handelns zu erhalten
-wünschte. War sich die Privatunternehmung aber einmal klar darüber
-geworden, daß sie die Zukunft auf dem Gebiete der Stromerzeugung
-nicht mehr so würde beherrschen können wie die Vergangenheit und
-zum Teil auch noch die Gegenwart, so war es für sie unklug, sich
-gegen eine doch unvermeidliche Entwickelung zu sträuben, schließlich
-besiegt zu werden und unter Bedingungen kapitulieren zu müssen, die
-sie dann nicht mehr stellen, mit bestimmen oder auch nur beeinflussen
-könnte. Bis zur Rolle des Expropriierten hat sich Emil Rathenau nie
-drängen lassen. Er hielt es in solcher Lage für besser, mit den
-Zukunftsmächten in einem Zeitpunkte zu paktieren, in dem er ihnen noch
-als Gleichstarker, Ebenbürtiger, in freier Verhandlungs-, Forderungs-
-und Konzessionsfähigkeit gegenübertreten konnte. Er wollte lieber
-beizeiten einen Teil seiner Macht und seines Besitzes an Kräfte,
-deren schließliche Überlegenheit er erkannt hatte, hergeben, um sich
-durch dieses Opfer den anderen Teil zu erhalten, anstatt später einmal
-alles zu verlieren. Auf unseren Fall übertragen: Rathenau hielt es
-für richtiger und vorteilhafter, früh ein Strommonopol vorzuschlagen,
-auf dessen Konstruktion und Beschaffenheit er bestimmend einwirken
-konnte, statt schließlich eins nehmen zu müssen, bei dessen Formung und
-Verwaltung er ausgeschaltet sein würde. Sein Elektrizitätsmonopol mit
-der Zentralkraftherstellung durch den Staat und der Verteilung durch
-die bisherigen Privatunternehmer läßt auch deutlich die Aufteilung der
-Macht, des Besitzes, der produktiven und ertragsfähigen Arbeit zwischen
-Staat und Privatindustrie erkennen.
-
-Genau nach diesem diplomatischen Rezept hatte sich Rathenau bereits
-vorher mit einem anderen -- kleineren, wenn auch für die Zeit seiner
-Geltung sehr wichtigen -- Problem abgefunden, nämlich dem Problem der
-+kommunalen+ und sonstigen +öffentlich-korporativen Einfluß-
-und Besitzansprüche+ auf dem Gebiete der Elektrizitätserzeugung.
-Die Gefahr war auch hier die völlige Überführung der Stromversorgung
-und Stromverteilung auf die Gemeinden, Kreise, Provinzen usw. und
-damit die Expropriierung der Privatindustrie gewesen, die Lösung wurde
-in der +gemischt-wirtschaftlichen Unternehmung+ gefunden. Diese
-ist im Verhältnis zum staatlichen Elektrizitätsmonopol, der Betriebs-
-und Verwaltungsform der Größtkraftversorgung von morgen, das Gewand,
-das die Großkraftversorgung der letzten Vergangenheit und zum Teil
-auch noch der Gegenwart sich geschaffen hat. Eine Schöpfung, die im
-+Prinzip+ bereits wieder überholt und überwunden ist, in der
-Praxis aber die Verhältnisse gegenwärtig noch stark beherrscht. Ist das
-Elektrizitätsmonopol die Rechts- und Betriebsform, der die zentrale
-Fernkraftversorgung zudrängt, so ist die gemischt-wirtschaftliche
-Unternehmung die typische Rechtsform der +Überlandzentrale+.
-
-Um die ganze Atmosphäre, die historische Bedingtheit zu
-verstehen, in der sich die gemischt-wirtschaftliche Unternehmung
-entwickelte, muß man etwas weiter ausholen und sich kurz die
-Entwicklung des +Staatssozialismus+ vergegenwärtigen, ehe
-man sich dem für uns in Betracht kommenden damit verschwisterten
-+Kommunalsozialismus+ zuwenden und neben dem technischen auch den
-öffentlich-wirtschaftlichen Wurzelboden der gemischt-wirtschaftlichen
-Unternehmung verstehen lernen kann.
-
-Eine Zeitlang hat es den Anschein gehabt, als ob der Staats- und
-Kommunalsozialismus mit raschen Schritten das wirtschaftliche Gebiet
-mit Beschlag belegen wolle, das den von ihm bereits beherrschten
-Verwaltungsfeldern benachbart oder verwandt ist. Nachdem das Reich und
-die Einzelstaaten mit bedeutendem Organisations- und Finanzerfolge die
-großen Verkehrsmittel, wie Eisenbahnen, Post, Telegraph und Telephon,
-verstaatlicht hatten, nachdem auch in den Kommunen vielfach mit Erfolg
-versucht worden war, Anstalten lokaler Ausbreitung und öffentlichen
-Charakters, wie Straßenbahnen, Schlachthäuser, Wasserwerke, Gas-
-und Elektrizitätswerke, in eigenen Betrieb zu nehmen, schien die
-Entwicklung darauf hinzuzielen, die privatwirtschaftlichen Reste
-innerhalb dieses von der Theorie bereits mit Entschiedenheit für
-die öffentliche Unternehmung in Anspruch genommenen Gebietes auch
-praktisch zu verdrängen. Es gab eine Zeit -- und sie liegt gar nicht
-einmal weit zurück --, in der es zum Beispiel für die städtischen
-Verwaltungsorgane, für die Presse und die Bürgerschaft von Berlin
-außer Zweifel stand, daß alle Straßenbahnen und Elektrizitätswerke
-beim Erlöschen der Privat-Konzessionen städtisch werden müßten; in der
-es das Ziel jeder großzügigen Gemeindepolitik war, alle derartigen
-Anstalten in kommunale Verwaltung zu bringen, einerseits um die
-Anstalten den öffentlichen Gesichtspunkten besser und unabhängiger von
-privaten Unternehmerinteressen dienstbar zu machen, andererseits auch,
-um die aus den Anstalten erzielten Unternehmergewinne den Kommunen in
-vollem Umfang zuzuführen.
-
-Der Kreis der für den öffentlichen Betrieb geeigneten Unternehmungen
-erweiterte sich immer mehr. Die bereits öffentlich betriebenen
-Gewerbe zogen andere nach sich, die als Hilfsgewerbe für sie wichtig
-waren. Der preußische Staat errichtete in Westfalen staatliche
-Kohlenbergwerke, um den Kohlenbezug für seine Bahnen sicherzustellen
-und sich von der Preisdiktatur des Kohlensyndikats unabhängig zu
-machen. Das war in einer Zeit, in der die Kartellbildungen noch neu
-waren und, namentlich was die Roh- und Halbstoffindustrien anlangt,
-nicht nur bei den Konsumenten, sondern auch bei den Regierenden
-Beklemmungen erweckten und Gegenwehr erheischten. Den schlüpfrigen
-Boden eines Kartellgesetzes scheute man sich zu betreten, da man
-nicht wußte, wie sich die neuen Organisationen entwickeln würden, da
-man auch fürchtete, für die Gesamtwirtschaft vielleicht fruchtbare
-(und tatsächlich außerordentlich fruchtbar gewordene) Möglichkeiten
-durch Bureaukratismus und Polizeimaßregeln zu verbauen. So versuchte
-man es mit einer indirekten Methode der Sicherung, indem man in
-staatlichen Konkurrenzwerken Gegengewichte gegen die Überspannung
-des Unternehmereigennutzes zu schaffen suchte. Aus dieser Stimmung
-heraus motivierte man die neuen Unternehmungen nicht nur mit
-den fiskal-wirtschaftlichen Beweggründen der Sicherstellung des
-Kohlenbedarfs für die staatlichen Bahnen, sondern man stellte sie
-auch unter die Gesichtspunkte der Wahrung allgemeiner Bürger- (das
-heißt Verbraucher-)Interessen. Es mag dahingestellt sein, ob man
-sich damals klar darüber war, wie weit man mit solchen immerhin nur
-in beschränktem Umfange vorgenommenen Experimenten das angestrebte
-Ziel überhaupt erreichen konnte, oder ob man mit der Möglichkeit
-rechnete, diesen Experimenten im Erfolgsfalle eine breitere Basis
-zu geben, oder ob man vielleicht nur aus einer Stimmung, nicht aus
-einem durchdachten Plane heraus staatssozialistischen und auch
-bodenreformerischen Bestrebungen, die sich damals zu einem System
-gerundet hatten, eine Konzession machen wollte. Jedenfalls griff die
-staatssozialistische Theorie die vereinzelten Eroberungszüge, die die
-öffentliche Unternehmung aus dem Gebiet der Kommunikationsmittel in
-das Gebiet der Produktionsmittel unternahm, sofort begeistert auf und
-verallgemeinerte sie zu Forderungen, nach denen die Bodenschätze und
-Bodenwerte eines Landes nicht von einzelnen Unternehmern nach Belieben
-ausgenutzt werden dürften, sondern im Interesse der Allgemeinheit
-verwendet werden müßten. Damit war eine Atmosphäre geschaffen,
-in der es auch im kommunalen Leben als überaus rückständig galt,
-Unternehmungen öffentlicher Art mit lokal umgrenztem Wirkungskreise
-privaten Unternehmern zu überlassen.
-
-Es ist aber bald ein Rückschlag eingetreten. Er mußte eintreten, da
-es sich zeigte, daß staatssozialistische Experimente, auf schmaler
-Grundlage zaghaft und ohne volle Konsequenz ausgeführt, ohne
-organische Umbildung des ganzen Wirtschaftslebens auf ungünstige
-Betriebsbedingungen angewiesen, ohne Monopolrechte dem in vielen
-Dingen freieren Wettbewerb der Privatunternehmer unterlegen, keinen
-überzeugenden und namentlich keinen schnellen Erfolg haben konnten.
-Die Verstaatlichung der Eisenbahnen gelang, weil hier ein Monopol
-geschaffen wurde, dessen ganze Organisation dem bureaukratischen
-Apparat entgegenkam und dessen Betrieb mehr die verwaltende als die
-propagandistische Seite der Kaufmannstätigkeit in Anspruch nahm. Die
-Ordnung, die Sicherheit, die Einheitlichkeit bedeuteten hier mehr
-als die bloße geschäftliche Nutzwirkung, die möglicherweise beim
-Privatbetriebe größer gewesen wäre als beim Staatsbetriebe. Was aber
-für die Kommunikationsmittel galt, das galt nicht in gleicher Weise
-für die Produktionsmittel. Die teurere Betriebsweise des Staates,
-die im bureaukratischen Betriebe wie in der staatssozialistischen
-Idee begründeten Hemmungen des unternehmerischen Agens, würden auch
-bei einer vollständigen Verstaatlichung vieler Produktionsmittel
-(namentlich solcher, die in ihrem Absatzradius nicht auf die
-Staatsgrenzen beschränkt, sondern auf den Ausfuhrmarkt angewiesen
-sind) den volkswirtschaftlichen Nutzeffekt der Industrien
-herabgedrückt haben, ohne daß diese Nachteile auf der anderen Seite
-durch so große Vorteile wie bei den Eisenbahnen aufgewogen worden
-wären. Ganz besonders augenfällig mußte diese Unterlegenheit des
-staatlichen Betriebes in Erscheinung treten, als der Staat auf
-privatkapitalistischem Boden mit der Privatindustrie in Wettbewerb
-trat, als er sich nicht die monopolistische Form schuf, die seiner
-Verwaltungsmethode entsprach. Hier mußte er den Kürzeren ziehen, nicht
-nur weil seine Arbeits- und Verwaltungsweise weniger beweglich war,
-sondern auch weil er in seiner Unternehmerpolitik naturgemäß sozialer
-und rücksichtsvoller sein mußte als die Privatindustrie.
-
-Die Tatsache, daß die staatssozialistischen Eroberungszüge in das
-Gebiet der Produktionsmittel, geführt mit dem Rüstzeug und auf dem
-Boden der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, unergiebig ausgelaufen
-sind und auslaufen mußten, schien vor dem Kriege fast festzustehen.
-Was der Krieg an +unfreiwilligen+ und durch die Verhältnisse
-erzwungenen staatssozialistischen Verwirklichungen umfassenderer Art
-gebracht hat, welche Erfahrungen -- sie schienen zuerst günstiger, dann
-wieder ungünstiger zu sein, als man erwartet hatte -- dabei gemacht
-wurden, braucht uns hier ebenso wenig zu interessieren wie die Folgen,
-die sich daraus ergeben werden. Denn wir sprechen von dem Zeitpunkt
-und den Zeitverhältnissen, aus denen die gemischt-wirtschaftliche
-Unternehmung historisch entstand und die wir in ihren Ursachen und
-Anlässen zu erklären haben.
-
-In dieser Zeit war nun die Folge der wenig erfolgreichen
-staatssozialistischen Experimente, daß die Stimmung in den Kreisen der
-Regierenden unsicher wurde, und neues Feld für staatssozialistische
-Versuche nicht mehr zu gewinnen war. Der Fiskus, der bei der ganzen
-Sache viel riskiert und wenig gewonnen hatte, sträubte sich und
-verlangte aus dem Spiel gelassen zu werden, und somit war der
-Bildung von Unternehmungen, die eine rein staatliche Verwaltung
-und beträchtliche staatliche Mittel erforderten, zunächst der Weg
-erschwert. Dennoch war die Luft inzwischen mit staatssozialistischen
-Ideen derart getränkt worden, daß ein völliger Rückzug nicht mehr gut
-möglich war. So kam man denn schließlich zu dem +Aushilfsgebilde+
-der +halböffentlichen Betriebs- und Verwaltungsform+. Verschiedene
-brennende Probleme der Industriepolitik suchte man mit ihr zu
-bewältigen. So stellte die Diamantenregie Dernburg-Fürstenbergs ein
-gelungenes, für die Privatunternehmung und den Staat vorteilbringendes
-Beispiel, die Regelung des Kaliabsatzes, die der Industrie als
-solcher nur Unsegen und dem Staate keinerlei Vorteil brachte, ein
-mißglücktes Beispiel dieser halbstaatlichen Verwaltungsform dar.
-Alle diese Experimente liegen aber nicht mehr ausschließlich in der
-Richtung des Staatssozialismus; sie laufen nicht lediglich auf eine
-Regulierung, Machtbeschränkung und Erziehung der Produzenten im
-staatlichen und Konsumenten-Interesse hinaus. Zu derselben Zeit, da
-der Staat seine Bemühungen, den großen Unternehmerorganisationen mit
-Staatssozialismus beizukommen, fast schon aufgeben wollte, hatten die
-Unternehmer erkannt, welche Möglichkeiten ihnen der Staatssozialismus
-für die Aufrechterhaltung ihrer künstlichen Marktregelungen zu
-bieten vermochte. Das Argument, daß man die wirtschaftliche Lage,
-wie sie durch die ehemals als Feinde bekämpften Kartelle seit Jahren
-befestigt worden war, im volkswirtschaftlichen Interesse nicht
-zusammenbrechen lassen dürfe, daß aus der Auflösung dieser oder jener
-„bewährten Organisation“ unberechenbare Folgen sich ergeben würden,
-wurde nicht selten als Vorspann für die Forderung oder Verwirklichung
-halböffentlicher Regelungen von den privaten Unternehmern selbst
-benutzt und die Verbraucher mußten noch froh sein, wenn bei derartigen
-auf Anregung der Produzenten vorgenommenen Regelungen durch gewisse
-Lieferungsvorschriften auch auf sie Rücksicht genommen wurde.
-
-Diese ganze Hemmung und Umbiegung einer in ihrer Art und Richtung
-anfänglich recht entschiedenen Bewegung ist aber nicht lediglich auf
-die obengeschilderte wirtschaftliche und betriebliche Überlegenheit
-der Privatindustrie über die Staatsindustrie (wohlgemerkt, wenn sie
-nach dem System und auf dem Boden der Privatindustrie arbeitet),
-sondern auch auf die Überlegenheit der privatwirtschaftlichen
-+Finanztechnik+ über die staatswirtschaftliche zurückzuführen. Es
-ist durchaus kein Zufall, daß die Resignation des Staatssozialismus
-mit dem damals vielleicht vorläufigen, aber doch recht entschiedenen
-+Siege der Industrieaktie+, ja sogar der Industrieobligation,
-über die Staatsrente zeitlich zusammenfiel. Einstmals besaß die
-staatliche Unternehmung vor der privaten den einen, manche Nachteile
-ausgleichenden Vorteil der wesentlich billigeren Geldbeschaffung.
-Hier hat die neuere Entwicklung abschwächend gewirkt. Als der Staat
-noch sein Leihgeld mit nur 3 oder 3½% zu verzinsen brauchte, die
-Privatindustrie aber für das ihrige 5 bis 6% oder noch mehr zahlen
-mußte, bestand hinsichtlich der Sicherheit und Stabilität zwischen
-Staats- und Privatpapieren eine scharfe Trennungslinie. Auch heute sind
-Staatsanleihen theoretisch noch sicherer als die besten Privatpapiere,
-aber je mehr die großgewerblichen Kartelle und Trustgebilde die
-privatindustrielle Rente ausgeglichen und befestigt haben, um so
-mehr ist die +praktische+ Sicherheitsgrenze verwischt worden.
-Dazu kam, daß die zunehmende Industrialisierung unserer Wirtschaft
-schon im Frieden eine andauernde Verteuerung der Lebenshaltung und
-ein andauerndes Sinken des Geldwerts im Gefolge hatte, wodurch der
-Rentner veranlaßt worden ist, auf eine höhere Verzinsung seines
-Kapitals hinzuarbeiten. Es war eben die Rückwirkung der überwiegend im
-Produzenteninteresse liegenden Wirtschaftspolitik, die der Staat in
-den letzten Jahrzehnten getrieben hatte und vielleicht mit Rücksicht
-auf die Gesamtwirtschaft und ihre Stellung im Wettbewerb auch treiben
-mußte, daß der Staat nun diese Politik bei seiner Finanzgebarung am
-eigenen Leibe nachteilig zu spüren bekam. Jedenfalls hatte diese
-Entwicklung, welche die althergebrachte, in der Finanzwissenschaft
-beinahe zum Dogma gewordene Lehre von dem Abstand zwischen Staatsrente
-und Industriepapier zuungunsten der Staatsrente verschob, für eine
-Weiterbildung der staatssozialistischen Ansätze starke finanzpolitische
-Hemmungen geschaffen.
-
-Die zurückflutende Welle der staatssozialistischen Bewegung hat
-naturgemäß auch die Entwicklung des +Kommunalsozialismus+, die
-an sich schon durch allerlei Reibungen in ihrem zeitweilig kräftigen
-Vorwärtsdrängen gehemmt worden war, nicht unberührt gelassen. Das
-bureaukratische Betriebssystem ist mit seinen Nachteilen und Vorteilen
-in der Kommune und der sonstigen öffentlichen Körperschaft ungefähr
-dasselbe wie im Staate. Das schwerfällige Rechnungs- und Haushaltswesen
-der öffentlichen Gemeinschaften, das ohnehin die Beweglichkeit und
-Elastizität der privaten Unternehmertätigkeit nicht zuläßt, macht
-sich vielleicht in den Kommunen noch störender bemerkbar, weil
-bei ihnen nicht nur der eigene Instanzenzug, sondern auch der der
-übergeordneten Staatsbehörde zu berücksichtigen ist. Selbst wenn eine
-Kommune Unternehmungen in eigenen Betrieb übernehmen wollte, ist ihr
-dies häufig (man denke an die Erfahrungen der Stadt Berlin in der
-Straßenbahn-Verstadtlichungsfrage und bei dem Ankaufsgebot auf das
-Tempelhofer Feld) durch die Staatsregierung erschwert, wenn nicht ganz
-unmöglich gemacht worden.
-
-Ein weiterer und sehr wichtiger Grund, der einer allzustarken
-Ausdehnung des Kommunalsozialismus -- selbst wenn betriebliche
-Gründe, von denen noch die Rede sein wird, ihm nicht von selbst
-schon gewisse Schranken gezogen hätten -- hinderlich werden mußte,
-war wieder die Finanzierungsfrage, die sich für die Kommunen noch
-schwieriger gestaltete als für den Staat. Der Kapitalmarkt, schon
-an sich den festverzinslichen Rentenwerten nicht mehr so geneigt
-wie früher, vermochte die sich von Jahr zu Jahr häufende Menge von
-Stadt- und Kommunalanleihen nicht mehr aufzunehmen; das Wettrennen
-zwischen den Staaten, Kommunen, Bodenkreditanstalten und industriellen
-Unternehmungen um den günstigsten Platz auf dem Anleihemarkte
-drohte diesen der Schonung dringend bedürftigen Markt völlig zu
-desorganisieren. Die Städte hatten unter diesen Umständen Mühe,
-ihren bei den erhöhten Anforderungen der modernen Kommunalpolitik
-schon an und für sich stark angeschwollenen Geldbedarf für reine
-Verwaltungszwecke recht und schlecht zu decken. Die Aufgaben des
-Kommunalsozialismus mußten so nach Möglichkeit eingeschränkt oder
-zurückgestellt werden, und sie ließen sich leichter zurückstellen
-als die übrigen öffentlichen Aufgaben. Man kann der Regierung
-infolgedessen nicht so unrecht geben, wenn sie die Kommunen mehrfach
-zur Einschränkung ihrer Anleiheausgaben aufgefordert und so indirekt
-auf eine Eindämmung des reinen Kommunalsozialismus hingewirkt hat.
-Emil Rathenau, der diese Entwickelung frühzeitig erkannt hatte,
-machte verschiedene Versuche, um aus ihr Nutzen zu ziehen oder doch
-die sich daraus für die Elektrizitätsbewegung ergebenden Nachteile
-zu beseitigen. Ein erster Versuch in dieser Richtung, der darin
-bestand, +Elektrotreuhandbanken+ zu errichten, die den Kommunen
-und Korporationen zur Errichtung von Elektrizitätsunternehmungen
-Obligationenkredit einräumen sollten, führte zu keinem rechten
-Ergebnis. Dagegen bürgerte sich die ähnlichen Zwecken dienende
-gemischt-wirtschaftliche Unternehmung ziemlich schnell und umfassend
-ein und die Kommunalpolitik nahm bereitwillig diese Form an, als das
-Großgewerbe -- den Zeichen der Zeit folgend -- sie ihr sozusagen auf
-halbem Wege entgegenbrachte. Man hat sie hier sogar in verhältnismäßig
-kurzer Zeit praktisch wirkungsvoller auszugestalten vermocht, als dies
-dem Staat gelungen ist. Allerdings gerade denjenigen Vorteil, den
-der theoretische Befürworter und Ausgestalter dieser Form, Geheimrat
-Freund, vielleicht als den ausschlaggebenden angesehen hat, konnte sie
-nicht erbringen. Sie vermochte nicht mit der privatwirtschaftlichen
-Initiative und Beweglichkeit die billigere Geldbeschaffung der Kommunen
-zu vereinigen, eben weil eines der Hauptmotive zu ihrer Bildung und
-zur Abkehr der Kommunen von eigenen Betrieben die Überspannung des
-Kommunalkredits gewesen ist.
-
-Anwendung gefunden hat die Form der gemischt-wirtschaftlichen
-Unternehmung bisher hauptsächlich bei Elektrizitätswerken (Kraft-,
-Lichtwerken und elektrischen Bahnen), Kleinbahnbetrieben, und mit
-schwächeren Ansätzen auf dem Gebiet der Grundstücksunternehmung. Im
-nachfolgenden soll ausschließlich von dem uns im Rahmen unserer Arbeit
-vornehmlich angehenden Anwendungsgebiet der Elektrizitätsbetriebe die
-Rede sein.
-
-Will man verstehen, warum gerade das +elektrische Lokal-
-und Überlandunternehmen+ die Hauptanwendungsform für die
-gemischt-wirtschaftliche Unternehmung geworden ist, so muß
-man notwendig auf die Entstehung und Geschichte der lokalen
-Elektrizitätsunternehmungen zurückgehen. Sie gehörten im Anfang nicht
-zu jenen Betrieben, die mit städtischen Mitteln und in städtischer
-Verwaltung errichtet wurden. Das hat seinen Grund vor allem darin, daß
-vor der Elektrizitätszentrale die Gasanstalt da war. Die Errichtung der
-ersten lokalen Zentralbeleuchtungsanstalt war naturgemäß eine wichtige
-Angelegenheit jeder einigermaßen fortgeschrittenen Kommunalpolitik.
-Es bildete eine fast unerläßliche Aufgabe jeder größeren Kommune,
-eine zentrale Beleuchtung einzuführen, die nicht nur eine helle
-Lichtwirkung, sondern auch eine bequeme Bedienung ermöglichte. Diese
-Möglichkeit bot zuerst das Gas, und da die Privatunternehmung nicht
-mit einer an der Gasherstellung interessierten Spezialindustrie
-zusammenhing, und da sich überdies die Städte damals noch nicht damit
-befreunden konnten, ihren Straßengrund der privaten Röhrenverlegung
-preiszugeben, so mußten die Kommunen, wenn sie sich modernes Licht
-schaffen wollten, die Gaszentralen und die verteilenden Röhrennetze in
-vielen Fällen selbst errichten (wenngleich auch auf diesem Gebiete der
-Privatunternehmung ein größeres Arbeitsfeld verblieb). Als dann geraume
-Zeit später die elektrische Beleuchtung aufkam, zögerten die Kommunen,
-die ja ihr Beleuchtungssystem in eine immerhin moderne Verfassung
-gebracht hatten, neben ihren Gaswerken noch Elektrizitätswerke zu
-bauen. Das Bedürfnis dafür schien nicht unbedingt vorhanden zu sein,
-zumal da die Gasbeleuchtung den Kampf mit der Elektrizität tatkräftig
-und lange Zeit erfolgreich führte. Das Elektrizitätswerk stellte zudem
-eine technisch wesentlich kompliziertere, in ihrem Betriebe besonders
-in der ersten Zeit schwerer zu übersehende Unternehmung dar als die
-Gaszentrale. Auch beschränkte sich die Elektrizität nicht auf das
-Beleuchtungsgebiet, vielmehr griff sie in der Form von Antriebsenergie
-für alle Arten von Maschinen direkt auf das industrielle Leben über
-und in den allgemeinen Produktionsprozeß hinein. Man scheute sich
-daher in kommunalen Kreisen zunächst, eine so vielfältige und schwer
-übersehbare Produktion in eigene Verwaltung zu übernehmen. Da griff
-denn die Elektrizitätsindustrie -- als Großinteressentin an der
-Ausbreitung der elektrischen Energie -- wie wir dies in unserem Buche
-bereits ausführlich geschildert haben, mit privater Initiative ein.
-Die privaten Elektrizitätswerke, an die zumeist auch elektrische
-Straßenbahnnetze angeschlossen wurden, entwickelten sich trotz der
-beträchtlichen Abgaben, die an die Kommunen zu entrichten waren,
-so nutzbringend, daß die Privatindustrie gern die ganze kommunale
-Elektrizitätsversorgung dauernd in ihrer Hand behalten hätte. Je mehr
-aber die hohe Nutzwirkung der Stromerzeugung ersichtlich wurde, desto
-mehr zeigte sich bei den Kommunen das Bestreben, diese Quelle reichlich
-strömender Gewinne völlig für sich mit Beschlag zu belegen. Es kam
-die Periode, in der allenthalben die Verstadtlichung der elektrischen
-Kraftwerke und Straßenbahnen angestrebt und vielfach auch durchgesetzt
-wurde.
-
-Zweifellos haben die Kommunen dabei keine schlechten Erfahrungen
-gemacht. Die von ihnen geführten Betriebe wurden vielfach geschickt
-verwaltet, ihre Erträgnisse befruchteten die kommunalen Finanzen,
-und für die Verbraucher ergaben sich befriedigende Verhältnisse.
-Dennoch ist die kommunalsoziale Strömung im Elektrizitätswesen schon
-nach kurzer Zeit verlangsamt worden. Daran waren neben den oben
-geschilderten finanziellen Gründen auch verwaltungspolitische und
-betriebstechnische schuld. Die Übernahme von Elektrizitätswerken,
-elektrischen Straßenbahnen usw. in städtische Regie erforderte
-eine beträchtliche Verstärkung der kommunalen Beamten- und
-Arbeiterschaft; sie schuf verwickelte Besoldungsprobleme und rapide
-anschwellende Pensionsetats. Überdies erforderte die Eigenart
-des elektrischen Betriebes die Anstellung besonders tüchtiger
-und demgemäß auch teurer Kräfte, deren Bezahlung innerhalb der
-kommunalen Beamtenschaft Schwierigkeiten bot. Alles dies in einer
-Zeit, in der die Kommunalpolitik notgedrungen auf größtmöglichste
-Sparsamkeit und auf Einschränkung der Ausgaben hinarbeiten mußte. Das
-ausschlaggebende Moment war aber doch wohl das betriebstechnische.
-Die +Elektrizitätswerke+ fingen an +zu groß+ zu werden,
-als daß ihr Wirkungsgebiet sich hätte auf eine einzige mittlere oder
-selbst große Kommune beschränken können. Elektrizitätszentralen,
-die auf der Höhe der Technik und Wirtschaftlichkeit stehen
-sollten, mußten neben der Zentralstadt nicht nur die Vororte und
-benachbarten Landkreise, sondern auch weitere Zentralstädte in ihren
-Versorgungsradius ziehen. Den einzelnen Kommunen wuchs mit anderen
-Worten das Problem der wirtschaftlichen Elektrizitätsversorgung
-aus den Händen. Sie machten zwar gelegentlich den Versuch, sich zu
-Verbänden oder Verbands-Aktiengesellschaften zusammen zu schließen,
-aber solche Versuche gelangen doch nur ausnahmsweise, zumal da sich
-gleichzeitig die Elektrizitätserzeugung der großen Industriezentren
-mit überzeugendem Nutzen an privatindustrielle Produktionsstätten
-anzulehnen begann, die einen Teil ihrer überschüssigen oder billig
-zu erzeugenden Kraft für die Elektrizitätserzeugung hergeben
-konnten. Hier liegt die große produktive Leistung Hugo Stinnes,
-der -- ohne eigentlich Elektrizitätsfachmann zu sein -- eine
-derartige Elektrizitätserzeugung auf montanindustrieller Basis zum
-ersten Mal in großem Stile aufnahm, die Gichtgase seiner Hochöfen
-als Antriebskraft für riesige Dynamomaschinen benutzte und in
-seinem Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk eine technisch
-wie kaufmännisch gleich hervorragende Organisation schuf. In diese
-Organisation zog er eine große Reihe rheinisch-westfälischer Groß- und
-Kleinstädte, Landgemeinden und Privatkonsumenten mit hinein. Was Emil
-Rathenau vorschwebte, als er vor Jahrzehnten bereits aus den damaligen
-Schwierigkeiten seiner privaten Kraftwerke heraus ein Zusammenwirken
-zwischen Privatindustrie und Gemeinden auf genossenschaftlicher
-Grundlage vorschlug, was er später beim Elektrizitätswerk Straßburg
-i. E. durch Verbindung eines Konzessionsvertrages mit einer mäßigen
-Aktienbeteiligung der Kommune vorbereitend anbahnte, ist beim
-Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk aus den Unzulänglichkeiten
-lokaler Elektrizitätsversorgung heraus voll verwirklicht und in reifer
-Form angewendet worden.
-
-Hugo Stinnes hat nicht nur zuerst das technische Problem der
-montanindustriellen Großzentrale bewältigt, er hat auch zugleich
-die grundsätzliche wirtschaftliche Unternehmungsform gefunden,
-die es gestattete, einen privaten Industriebetrieb mit einer oder
-mehreren kommunalen Körperschaften zu einem Interessenverbande zu
-vereinigen. Er wählte die Form der Privat-Aktiengesellschaft, an deren
-Finanzierung sich sowohl das private Unternehmerkapital als auch die
-Kommunen beteiligten, und in deren Verwaltungsrat sowohl Vertreter
-der beteiligten Kommunen als auch der privaten Unternehmerkreise
-saßen. Ging beim Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk die
-Anregung zur Bildung eines gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens
-von der Rohstofflieferantin, der Montanindustrie, aus, so gab
-bei anderen Bildungen dieser Art die Materiallieferantin, die
-Elektrizitätsindustrie, den Anstoß. Diese Industrie, die seit
-langem mit der Errichtung von Elektrizitätswerken in eigener Regie
-oder in der Regie von Tochterunternehmungen günstige finanzielle
-Erfolge erzielt hatte, indem sie sich nicht nur für den Absatz ihrer
-Fabrikate Stützpunkte schuf, sondern auch noch die Quelle reichlich
-und ziemlich gleichmäßig fließender Rentengewinne erschloß, diese
-Industrie hat sehr schnell eingesehen, daß sie mit der neuen Form der
-gemischt-wirtschaftlichen Unternehmung, mit dieser Konzession an den
-sozialen Zeitgedanken, der streng kommunalsozialistischen Bewegung den
-Wind wenigstens teilweise würde aus den Segeln nehmen können. Was sie
-praktisch aufgab, war nicht sehr viel. Das absolute privatindustrielle
-Selbstbestimmungsrecht, das ihr übrigens vorher schon durch die
-Konzessionsverträge mit den Kommunen beschnitten gewesen war, wurde
-durch die Beteiligung der Kommunen am Stimmrecht und an der Verwaltung,
-sowie durch gewisse kommunale Veto- und Forderungsrechte allerdings
-bis zu einem gewissen Grade eingeschränkt. Dafür bot ihr aber die
-Kontrolle durch öffentliche Verwaltungsorgane einen wirksamen Schutz
-gegen Angriffe, denen sie vorher ausgesetzt war. Ferner behielt die
-Privatindustrie die besonders wertvolle Möglichkeit, die von ihr
-in Gemeinschaft mit den Kommunen betriebenen Elektrizitätswerke
-als Arbeitszubringer und Abnehmer für ihre Fabrikate zu benutzen,
-fast unbeschränkt bei. Ebenso blieb ihr das Renteninteresse an den
-Unternehmungen erhalten, wenn auch der Quantität nach durch die
-Beteiligung der Kommunen etwas verringert; der Qualität nach wurde es
-durch die moralische und manchmal auch rechtliche Garantieübernahme
-seitens der Kommunen sogar noch erhöht.
-
-Ob die Interessen der Kommunen und der Verbraucher bei der
-gemischt-wirtschaftlichen Unternehmung ebenso gut aufgehoben gewesen
-sind, wie die der Privatindustrie, ist eine Frage, die sich nicht
-allgemein entscheiden und bejahen läßt. Ein gewisser Nachteil für
-die Kommunen mag darin liegen, daß eine gemeinsame Beteiligung
-und Tätigkeit in denselben Unternehmungen sie aus übergeordneten
-Behörden zu Wirtschaftsgenossen und Geschäftsteilnehmern der
-Unternehmer macht, ein Verhältnis, das gewiß Gefahren mit sich
-bringt, deren Vermeidung besondere Klugheit und Charakterfestigkeit
-der kommunalen Vertreter erfordert. Dabei war besonders anfänglich
-der Kaufmann dem Verwaltungsbeamten in der geschäftlichen Praxis,
-noch mehr in der industriellen Technik so sehr überlegen, daß die
-theoretisch zugestandenen Aufsichts- und Mitbestimmungsrechte
-nicht immer wirkungsvoll zur Geltung gebracht werden konnten. Das
-lag aber oft nicht an der Formulierung dieser Rechte, die meist
-ausreichend war und einer besonderen gesetzlichen Regelung, wie
-sie zum Beispiel Freund gefordert hat, nicht bedurfte, sondern
-eben an der mangelhaften Handhabung. Gerade in dieser Hinsicht
-hat der Kommunalbeamte im Laufe der Entwickelung und durch diese
-viel gelernt. Die Möglichkeiten der Erfahrung und der Vergleichung
-haben ihn geschult. Eine Kontrolle durch fachmännische Revisoren
-ist bei Elektrizitätswerken heute fast schematisch möglich. Es läßt
-sich ziemlich genau bestimmen, welche Stromkosten ein Kraftwerk
-je nach seiner Größe, seiner betriebstechnischen Grundlage (als
-montanindustrielles, Fernleitungs- oder lokales Werk) haben, und welche
-Strompreise es berechnen darf. Schwieriger schon ist die Kontrolle,
-ob die von den privaten Unternehmergesellschaften berechneten Preise
-für Maschinen- und Materiallieferungen angemessen sind, aber auch
-in dieser Hinsicht sind die Kontrollaufgaben für eine tüchtige
-Kommunalverwaltung schließlich recht wohl zu erfüllen. Prinzipiell
-wird man das System der gemischt-wirtschaftlichen Unternehmung in der
-elektrischen Stromerzeugung schon deswegen billigen können, weil in dem
-Entwicklungsprozeß der Stromerzeugung, der sich gegenwärtig vollzieht,
-die gemischte Unternehmung eine nützliche Übergangsstufe zu den höheren
-Betriebsformen darstellt, die wir im vorigen Kapitel geschildert haben.
-
-
-
-
-Sechzehntes Kapitel
-
-Charakterbild
-
-
-a)
-
-Wenn man sich den großen Tatmenschen vorstellt, so sieht man
-ihn gemeiniglich als absoluten Willensmenschen von unbeirrbarer
-Geistesschärfe, unerschütterlicher Entschlußkraft und
-Entschlußdurchführung, von immer gleichbleibender Energie des
-Entwerfens und Arbeitens. Unentschlossenheit, Schwankungen des
-Intellektes und des Willens traut man ihm und seiner ganzen Art nicht
-zu. Hat er Nerven, so sind es stählerne, federnde, die ihn nicht in
-der Entfaltung seiner Geisteskräfte hemmen, sondern ihn beschwingen,
-ihn über körperliche Anfechtungen und Schwächen hinwegtragen, seinem
-Geist, wenn er in zu einsame Höhen der Abstraktion fliegen will, die
-Verbindung mit dem Körper, dem Humusboden der Realität erhalten. So
-sieht vielleicht das Bild des Genies der Tat für den Fernstehenden aus,
-wie es sich am Ende einer festliegenden und festlegenden Entwickelung
-geformt hat. Mit so abgeschlossenen und verschlossenen Zügen tritt das
-Genie vielleicht aus den Kämpfen seines Innenlebens, aus den Stürmen
-seines Werdegangs der Öffentlichkeit entgegen, der es nur die fertigen
-Tatsachen, nicht den schweren Weg, auf dem es zu ihnen gelangt ist, nur
-die äußeren Ergebnisse, nicht den aufreibenden und oft verzweifelten
-Kampf der Möglichkeiten, der ihnen voranging, zeigen will und zeigt.
-So ist es auch erklärlich, daß zunächst nur das +äußere+ Bild des
-großen Mannes in die Geschichte übergeht und erst die eindringende
-Nachforschung des psychologischen Geschichtsschreibers notwendig ist,
-um es zu verinnerlichen, um hinter der +Maske+ das Gesicht hervortreten
-zu lassen. Man hat gesagt, daß niemand vor seinem Kammerdiener der
-große Mann bleibt, und man kann mit der gleichen Berechtigung sagen,
-daß niemand vor dem Spiegel seines eigenen Inneren oder dem seiner
-nächsten Umgebung der eiserne Tatenmensch bleibt, als den ihn die
-Fernstehenden nach seinen Taten ansehen. Shakespeare hat seinem Hamlet,
-diesem genialischen Typus der Halbheit und Unentschlossenheit, der
-ewigen einander lähmenden Schwankungen und Streitereien des Gemüts
-und des Verstandes in Fortinbras einen Tatmenschen, einen Typus des
-Positivismus gegenübergestellt. Jener zergrübelt, dieser handelt.
-Hamlet ist ein bis ins Feinste ausgeführtes Bildnis, Fortinbras eine
-nur den Zwecken des Kontrastes dienende Skizze. Hätte Shakespeare
-diese Skizze weiter ausgeführt, so würde er gefunden haben, daß auch
-Fortinbras nicht nur klares Wissen, gradliniger Wille ist. Er, der
-tiefe Menschenkenner, würde sicherlich zu dem Ergebnis gekommen sein,
-daß auch der Tatmensch nicht immer sofort instinktiv das Richtige
-sieht und das Richtige tut, sondern daß auch ihm die Fülle der
-Gesichte oft beängstigend entgegendrängt, daß auch er sich in Streit
-und Widerstreit, in leidenschaftlichen Diskussionen mit sich selbst
-und anderen erst aus dem verwirrenden Zuviel der Möglichkeiten auf
-den klaren Weg der Notwendigkeit retten muß. Das Entscheidende und
-Unterscheidende ist es eben, +daß+ er sich rettet, daß er nicht in dem
-Strauchwerk der Reflexion hängen bleibt wie der hamletische Charakter,
-der ihm an +vielen+ Gaben nicht unterlegen zu sein braucht, dem aber
-die +eine+ Gabe fehlt, in sich Ordnung zu schaffen, seiner Gedanken und
-Gefühle doch schließlich Herr zu werden, nachdem er sie genug in sich
-hat ringen und wühlen lassen. Gewiß tritt mancher schöpferische Gedanke
-intuitiv, sozusagen blitzartig vor den Geist des Tatmenschen hin. Er
-hat sich vielleicht nie oder nur obenhin mit dem Problem beschäftigt,
-das dieser Gedanke löst. Er erhält Antwort, ohne gefragt zu haben,
-findet Gold, ohne daß er danach zu graben brauchte. Die Überlieferung
-berichtet von manchen großen Taten, die so entstanden sind, aber sie
-verschweigt, wie viel öfter der sogenannte Instinkt den schöpferischen
-wie den problematischen Menschen irregeführt hat. Die Bewunderung der
-Masse vor dem genialen Instinkt würde vielleicht geringer werden,
-wenn sie erfaßte, daß gerade zu dem psychischen Bild Hamlets schnelle
-Gedankenblitze und Gedankensprünge gehören, die dem geistreichen
-Menschen in gehobener Stimmung oft einen Goldwert der Idee vortäuschen,
-der sich bei nüchterner Überlegung nur als blinder Glanz erweist.
-
-Wie nahe die Grenzen problematischen Wesens und tatkräftiger
-Veranlagung beieinander liegen können, wie schmal manchmal die
-Wasserscheide ist, von der der Lauf eines Lebens zu diesem oder jenem
-Charakter führen kann, zeigt gerade die Geschichte Emil Rathenaus. Nach
-einer frisch, doch keineswegs ungewöhnlich geführten Jugend drohte
-sein Dasein -- eine beklemmend lange Zeit -- in Unentschlossenheit
-zu zerfließen, und doch hat sich derselbe Mann später zu einem
-Tatmenschen stärkster Prägung entwickelt. Es ist eben nicht nur
-Charakter+material+ zur Bildung eines Charakters erforderlich,
-sondern auch das taugliche Objekt, an dem sich dieses Material bewähren
-kann. Sicherlich gibt es nicht nur Begabungen, sondern auch Charaktere,
-die ihre beste Energie im Suchen um einen geeigneten Platz aufbrauchen,
-ihn vielleicht nie finden oder, wenn sie ihn endlich gefunden haben,
-nicht mehr Vollkraft genug besitzen, um auf ihm Großes zu wirken. Das
-tägliche Leben kennt viele solcher halben Helden, die Geschichte weiß
-nicht ebensoviel von ihnen zu erzählen, denn ihr Schicksal erfüllt
-sich meistens nicht im Licht, sondern im Dunkel. Hätte Emil Rathenau
-ganz mit denselben Geistes- und Charaktereigenschaften erst zehn Jahre
-später seinen wahren Beruf, sein wahres Objekt gefunden, und dann nicht
-mehr die Frische gehabt, um sich ganz darin auszuleben und auszuwirken,
-oder wäre er über die Krise der Berliner Elektrizitätswerke
-gestrauchelt und hätte nicht die Kraft besessen, um zum dritten
-Male anzufangen, die Geschichte hätte kaum etwas von ihm gewußt und
-in dem Gedächtnis seiner Bekannten hätte er höchstens als begabter
-„Lebensverfehler“ fortgelebt.
-
-Emil Rathenaus Charakter rückte wohl deswegen eine Zeitlang scheinbar
-so dicht in die Nähe der problematischen, weil er ganz ungewöhnlich
-voll von Gegensätzen und Widersprüchen war, die sich mit dem
-zunehmenden Alter nicht etwa verringerten oder abschliffen, sondern
-im Gegenteil bis zur Wunderlichkeit und Skurrilität verschärften.
-Hierin lag vielleicht letzten Endes der Grund für die Langsamkeit,
-mit der er sich in die entscheidende Bahn fand, mit der er den Boden
-erreichte, auf dem er endlich Wurzel fassen und den festen Punkt
-für die Ausgleichung seiner starken Charakterschwankungen finden
-konnte. Aber hierin lag auch der Grund für die Kraft, den Reichtum,
-die Mannigfaltigkeit und die Elastizität seiner Natur, die sich
-niemals länger in einer Richtung festhalten ließ, als dies ihrer
-Entwickelung förderlich war und die bei aller sachlichen Konsequenz
--- wenn es von höherem Gesichts- oder Gefühlspunkte zweckmäßig war --
-auch einmal inkonsequent sein konnte. Dem außenstehenden Beobachter
-mochte vielleicht manchmal als Sprunghaftigkeit, als Impressionismus
-erscheinen, was doch nur ein freies und souveränes Spiel mit den
-äußeren Formen der Logik war, ein Spiel, das manchmal vielleicht
-den Gesetzen der Umwelt, niemals aber den Gesetzen der eigenen
-Natur zuwiderlief. Den Mitlebenden oft unverständlich, sich selbst
-vielfach nicht bewußt, sprang Rathenaus schneller Instinkt manchmal
-über Zwischenglieder der logischen Entwickelung hinweg, an denen
-andere nicht vorüberkamen oder vor denen sie wenigstens stutzten.
-Seine Entschlüsse und Maßnahmen, die aus einem derartigen geistigen
-Telegrammstil entsprangen, erschienen anderen darum oft verkehrt und
-nicht folgerichtig, zumal Rathenau sie häufig nicht bewußt begründen
-konnte. Die rückschauende Beurteilung mußte sie fast stets als treffend
-und zweckmäßig anerkennen, was Rathenau verschiedentlich den Ruf
-prophetischer Gabe eingetragen hat. In der schönen Grabrede, die er
-seinem Vater hielt, hat Walther Rathenau diese Gabe folgendermaßen
-geschildert: „Wer ihm nahe gestanden hat, der weiß es, wie erschütternd
-es war, wenn er in seiner einfachen Sprache von Dingen erzählte,
-die ihm selbstverständlich erschienen; aber diese Dinge waren nicht
-selbstverständlich, denn es waren keine Erinnerungen und es war
-keine Gegenwart. Was er schilderte und was er erzählte, das war die
-Zukunft, und in dieser Zukunft sah er so klar, wie wir sehen in unserer
-Zeit und in dem, was wir von der Vergangenheit wissen. So kamen die
-Menschen von weit her und fragten ihn: was wird aus dieser Technik,
-was wird aus jenem Verkehr, was wird aus dieser Wirtschaftsform und
-was wird aus jener Entwickelung? Und dann gab er ihnen stille Antwort
-und wunderte sich nur über das Eine, daß der andere nicht als ein
-Selbstverständliches schmählte, was er ihm aussprach.“
-
-Gegensätze und Widersprüche des Charakters können die Tatkraft einer
-Intelligenz lähmen und zerreiben, wie wir das nur zu oft auch bei
-klugen und scharfsinnigen Menschen zu beobachten vermögen. Aber sie
-können einem Wirken auch jene Fruchtbarkeit geben, die der einfach
-organisierten Natur nicht erreichbar ist, weil sie nicht die ganze
-Tiefe, Fülle und Vielgestaltigkeit der Probleme ausschöpfen kann, die
-der komplizierte Charakter -- stets auf den Kampf und den Ausgleich
-zwischen seinen verschiedenen Gegensätzen angewiesen -- aufwerfen
-und in glücklichen Fällen lösen wird. Jeder Mensch und besonders der
-sanguinische hat Zeiten des Optimismus und Pessimismus, schwankt
-zwischen verschiedenen Stimmungen auf und nieder. Hochgefühl, frische
-Spannkraft auf der einen Seite, Depression, Unzufriedenheit und
-Überdruß auf der anderen Seite wechseln miteinander ab. Wie sehr hier
-eine der Triebkräfte jeder Leistung, jedes Fortschritts und jeder
-Entwickelung liegt, zeigt die Übertragung dieser Schwankungen auf
-die Geschichte allgemeiner Gestaltungen, die sozusagen von diesem
-Auf und Nieder leben, aus dem Wechsel von Hausse und Baisse, von
-Ebbe und Flut ihre immer neue motorische Lebenskraft ziehen. Fehlten
-die Pendelschwingungen dieses geistigen „Perpetuum mobile“, so
-würde die Uhr bald stille stehen, jede Fortentwickelung im Marasmus
-ersticken. Bei Emil Rathenau war die Wellenlinie zwischen Optimismus
-und Pessimismus außerordentlich stark ausgeprägt. Beide Pole standen
-einander ganz schroff entgegen. Daher lebte der Organismus so stark,
-wirkte der Ausgleich so fruchtbar, war der entladende Funke von so
-zündender Durchschlagsgewalt. So kraß Wärme und Kälte in dem Wesen Emil
-Rathenaus aber auch in Erscheinung treten konnten, so wenig ließ der
-reale Tatsachensinn, der in der Mitte zwischen den beiden Polen stand,
-zu, daß sie mit ihrem +Übermaß+ Einfluß auf die praktische Arbeit
-gewinnen konnten. Sie hatten im richtigen Moment anzufeuern und im
-richtigen Momente abzukühlen, hatten sich gegenseitig zu beobachten und
-zu kontrollieren. War die rechte Mischung erreicht, so war damit die
-Bahn und das Tempo der Arbeit festgelegt. Beide wurden dann unbeirrt
-und unbeirrbar festgehalten bis zum Ende. Optimistische Voreiligkeit
-und pessimistische Hemmung durften ihre Konstanz nicht mehr stören.
-
-+Optimist+ war Rathenau stets im Entwerfen, und noch vielmehr
-in der Absteckung des Feldes, auf dem entworfen oder verwirklicht
-werden sollte. Die Ziele, die er seiner elektrischen Technik stellte,
-wurden mit fast unbegrenzter Phantasie so weit als nur irgend denkbar
-gestellt. Sein Ideal war, die Welt mit Elektrizität zu durchdringen.
-Oft im Gespräch mit Fachgenossen, noch mehr mit Laien und Frauen
-erging er sich in kühnen Zukunftskombinationen, die sich bis zu Jules
-Verneschen Sphären versteigen konnten. Wenn er in den bescheidenen
-Anfängen der Lichtelektrizität von den Möglichkeiten sprach, zu
-denen die neue Beleuchtungsart einmal führen könnte, mochte das den
-Zeitgenossen phantastisch klingen. Für uns, die wir die Verwirklichung
-seiner Pläne miterlebt haben, wirken diese Äußerungen als fast exakt
-wissenschaftliche Voraussagung einer Entwickelung, die kommen mußte,
-wie sie gekommen ist, und die doch nur dieser eine damals gerade so
-vorhergesehen hat. Dasselbe war bei der elektrischen Kraftübertragung
-der Fall, wenngleich hier noch einige andere an die große Zukunftskraft
-der Erfindung vielleicht nicht weniger stark geglaubt haben als
-Rathenau. Ihren optimistischen, phantasievollen Charakter auch jetzt
-noch bis zu einem gewissen Grade behalten haben die Rathenauschen
-Prophezeiungen über das elektrische Fernbahnsystem, dessen Durchführung
-nur langsam fortschreitet, trotz alledem jedoch im Bereiche der
-Wahrscheinlichkeit liegt. Aber, wenn Rathenau ins Schwärmen kam, konnte
-er auch Ideen entwickeln, zu deren Verwirklichung heute noch nicht
-die geringsten Ansätze vorliegen, die zu verwirklichen die Menschheit
-vielleicht auch nie unternehmen wird, weil der erreichbare Erfolg
-in keinem Verhältnis zu dem technischen Aufwand steht. Warum sollte
-man, so meinte er, nicht dahin kommen, daß alle Wohnungen von großen
-Elektrizitätszentralen aus geheizt werden, daß jede Wohnung mit einer
-Anlage versehen ist, die sie von einer Zentrale her elektrisch mit
-Kälte für die Eisherstellung versorgt? Fast stets waren derartige
-Kombinationen -- auch wenn sie Dinge nebensächlicher Art betrafen --
-technisch richtig gesehen. Das verstand sich für einen so gewiegten
-Fachmann von selbst. Rathenau war sich aber recht wohl bewußt, daß er
-in solchen lässigen Gesprächen mehr beispielmäßig als ernst sprach und
-er würde es sich verbeten haben, wenn ihn jemand beim Wort genommen
-und seine praktische Mitwirkung bei der Ausführung derartiger Projekte
-verlangt haben würde. Solche Phantasien im großen und im kleinen waren
-aber doch kennzeichnend für den gewaltigen Glauben, mit dem Rathenau
-seiner Wissenschaft anhing, für die stets beschwingte Vorstellungswelt,
-in der dieser Praktiker lebte und aus der er sich Kraft und
-Lebendigkeit für seine Arbeit immer wieder aufs neue holte, wenn ihn
-die Kleinlichkeiten und Schwierigkeiten mancher Einzeltätigkeit zu
-ermüden und niederzudrücken drohten.
-
-Optimist war Rathenau nicht nur in seiner technischen Weltanschauung,
-sondern auch im Entwerfen und Unternehmen, wenn es sich um die
-Bewältigung einer neuen bestimmten Aufgabe oder eines Aufgabenkomplexes
-handelte. Seine Initiative war frisch, sein Plan großzügig, seine
-Stimmung hoffnungsfreudig angeregt, sein Einfluß auf die Tätigkeit
-der Mitarbeiter anfeuernd. Kurzum der Rausch des Schaffens erfüllte
-und bewegte ihn, wie nur je einen Künstler, der von der Inspiration
-ergriffen ist. Sobald aber vom Entwerfen zum Ausführen geschritten
-wurde, trat eine merkwürdige Erkältung ein. Ernüchterung, Mißtrauen
-und Zweifel an der Arbeit und ihrer Lösung überkamen ihn, er quälte
-sich und die Mitarbeiter mit Bedenken, Abänderungsplänen, immer neuen
-Einwürfen und Fragen. Kein Ergebnis erschien ihm vollkommen genug,
-keine Leistung genügte ihm. Dieser Abfall der Stimmung hatte aber nun
-nicht wie bei optimistischen Plänemachern die Wirkung, daß er der
-Sache schnell überdrüssig wurde und sie mißmutig und müde beiseite
-legte, um sich neuen Projekten zuzuwenden. Im Gegenteil, nun, da der
-Schwung, das Hochgefühl des Schaffens verloren gegangen war, trat
-eine andere Eigenschaft seines Charakters in Erscheinung, die seine
-Mitarbeiter und Untergebenen bewunderten, aber auch fürchteten. Es
-war eine Zähigkeit ohne Gleichen, die allen das Leben schwer machte,
-kein Ausruhen, keine Ablenkung für ihn und für die anderen zuließ.
-Die spröde Materie mußte sozusagen bis ins Kleinste durchknetet, der
-Arbeitsprozeß immer wieder von neuem wiederholt werden, bis das Höchste
-an Inhalt und Form aus dem Stoffe herausgearbeitet war. Ein Abschweifen
-zu anderen Plänen gab es dabei selten, wenigstens nicht, wenn es sich
-um die Bewältigung einer großen Aufgabe handelte. Der Meister, der
-sonst viele Zügel auf einmal in der Hand halten konnte, konzentrierte
-sich dann ganz auf die eine Sache, Schwierigkeiten konnten ihn nie
-schrecken, sie veranlaßten ihn höchstens, die bereits geleistete Arbeit
-über den Haufen zu werfen und das Problem von einer ganz anderen Seite
-anzupacken. Auch in finanziellen Dingen trat dieser Gegensatz zwischen
-optimistischem Schwung und kritischer, ja übertriebener Vorsicht
-oft auffallend in Erscheinung. Vor finanziellen Wagnissen, neuen
-großen Unternehmungen und Gründungen schreckte er nie zurück, aber er
-begann nie eine Sache zu verwirklichen, bis er sie nicht gründlich
-nach allen Seiten hin fundiert hatte. Damit, daß er jemandem, der
-ihm ein Projekt vortrug, in freudigen Worten seine erste Zustimmung
-ausgedrückt hatte, war er -- wie manche Erfinder und Unternehmer zu
-ihrer Verblüffung inne wurden -- noch keineswegs für die Durchführung
-gewonnen. Solche Leute schickte er gewöhnlich zu dem Fachdirektor,
-der das betreffende Gebiet bearbeitete, mit dem Auftrag, alles
-einzelne zu besprechen und zu verabreden. Hier wurden nun häufig die
-überschwänglichen Hoffnungen, denen sich die Besucher auf Grund ihrer
-Unterredung mit Rathenau hingegeben hatten, wesentlich herabgemindert.
-War aber einmal ein Projekt als reif und aussichtsvoll anerkannt, so
-trug Rathenau kein Bedenken, seine Verwirklichung in freigebiger Weise
-mit Geldmitteln zu unterstützen. Vor großen geldlichen Transaktionen
-ist er nie zurückgescheut, das Kapital der A. E. G. war ihm stets zu
-niedrig, und als es auf 60 Millionen Mark angelangt war, erklärte er
-Aktionären, denen das Tempo der Expansion zu schnell gegangen war,
-daß er sich freuen würde, wenn er es auf 100 Millionen bringen könne.
-Dabei war ihm doch häufig sozusagen vor seiner eigenen „Courage“
-bange. Die Sorge vor Rückschlägen, vor unerwarteten Entwickelungen
-raubte ihm den Schlaf mancher Nacht, und wenn er sein Unternehmen nie
-genug mit Reserven auspolstern konnte, so tat er dies weniger, weil
-er sich von dem großen Spartopf nicht trennen konnte, sondern weil
-er, Zeit seines Lebens beherrscht von den schlimmen Erfahrungen, die
-er mit seiner Maschinenfabrik in der Gründerzeit gemacht hatte, ein
-überstarkes Gegengewicht gegen die großen Risiken und Gefahren, denen
-er durch seine extensive Geschäftspolitik die Gesellschaft aussetzen
-+mußte+, für unbedingt nötig hielt. Als ich ihn einmal ein paar
-Jahre vor seinem Tode besuchte, sagte er mir wörtlich: „Sie glauben gar
-nicht, welch ein Stein mir vom Herzen gefallen ist, als ich die offenen
-Reserven in diesem Jahre auf 50% des verantwortlichen Aktienkapitals
-bringen konnte.“
-
-Höchst widerspruchsvoll war auch das Verhältnis Rathenaus +zum
-Gelde+. Bei den Geschäften seiner Unternehmungen schaltete er damit
-in einer Weise, die an Großzügigkeit nichts zu wünschen übrig ließ.
-Aussichtsreiche, gut begründete Geschäfte stattete er in durchaus
-splendider Weise aus, knauserte nicht mit Einrichtungskosten,
-Spesen, Versuchs- und Propagandaopfern. In technische Ideen, die ihm
-zukunftsreich erschienen, konnte er Millionen hineinstecken, ehe er
-noch Aussicht hatte, einen Pfennig wieder herauszuholen. So legte er
-zum Beispiel die Netze neuer elektrischer Bahnen manchmal in einem
-Umfange an, der die bisherigen Verkehrszahlen weit übertraf und alle
-Vorkalkulationen außer acht ließ. Dabei ging er von der optimistischen
-Ansicht aus, daß die modernere Verkehrsform die Frequenz auf eine
-ganz andere als die bisherige Stufe stellen würde. Nicht nur dem
-Inhalt seiner Unternehmungen gab er, was notwendig war, sondern er
-hatte auch Sinn für die Form, die Ausstattung, das Dekorum. Zwischen
-dieser Großzügigkeit bei Ausgaben, die er sozusagen nur auf dem Papier
-übersah und nur auf ihrem Wege durch Projekte, Rechnungsauszüge
-und Bilanzen verfolgen konnte, und dem Ausgabeetat, der zu seiner
-unmittelbaren persönlichen Sphäre gehörte, gewissermaßen unter
-seinen Augen verbraucht wurde, bestand aber ein großer Unterschied.
-Hier war er kleinlich bis zum Geiz, weniger aus System -- denn ein
-System hätte zweifellos die geistig sichtbaren mit den körperlich
-sichtbaren Ausgaben auf eine Stufe gestellt und die nur scheinbare
-Verschiedenheit zwischen ihnen überwunden -- sondern aus Gewohnheit und
-Beharrungsträgheit. Wir können ja vielfach bei selfmademen, die aus
-kleinen Anfängen sich zu großen Verhältnissen hinaufgearbeitet haben,
-die Beobachtung machen, daß sie mit den Maßen ihrer Geschäfte in allen
-Hauptdingen gewachsen sind, aber in gewissen +Äußerlichkeiten+ und
-+Nebensachen+ sich von den alten Befangenheiten und Beschränktheiten
-nicht zu befreien vermögen. Daß eine den neuzeitlichen Anforderungen
-entsprechende Fabrik, ein modernes Geschäftshaus gebaut werden muß,
-sieht ein solcher selfmademan stets ein, zur Anschaffung einer neuen
-Kopiermaschine kann er sich dagegen viel schwerer entschließen. In
-seiner Jugend ist man, so meint er, mit dem alten Kontormaterial sehr
-gut ausgekommen. Warum muß man jetzt neue und kostspieligere Moden
-einführen? Für jüngere Kaufleute, die derartige Reminiszenzen aus ihrer
-bescheidenen Werdezeit nicht mit sich herumschleppen und gleich in
-größere Verhältnisse hineingeboren sind, ist ein derartiges Verhalten
-unverständlich, es erscheint ihnen kleinlich, unlogisch, ja lächerlich.
-Von Emil Rathenau werden viele Züge solcher Kleinlichkeit erzählt, und
-mit den Anekdoten, die über seine Sparsamkeit in kleingeschäftlichen
-und privaten Dingen über ihn im Umlauf sind, könnte man ein Kapitel
-füllen, das an Umfang das längste dieses Buches übertreffen würde.
-Das würde zwar ganz unterhaltend sein, aber doch die kleinen
-Schönheitsflecke, die auch im Bilde dieses Großen nicht fehlen, über
-Gebühr betonen. Einiges, was für dieses Bild charakteristisch ist,
-möge immerhin erzählt werden. So konnte Rathenau es nicht über sich
-gewinnen, aus der Hausverwaltung des unmittelbaren Geschäftsgebäudes
-der A. E. G. sich ganz auszuschalten. Dabei begnügte er sich nicht mit
-gelegentlichen Stichproben. Er ließ sich über alle Anschaffungen, die
-gemacht werden mußten, Bericht erstatten. Jeder neue Linoleumläufer
-mußte von ihm genehmigt sein, und er konnte recht ungemütlich werden,
-wenn er Botenjungen im Hause unbeschäftigt herumlungern sah. Wenn
-bei den Generalversammlungen der Gesellschaft drei Garderobiers den
-Aktionären die Mäntel und Hüte abnahmen, konnte er den Hausverwalter
-heftig zur Rede stellen, und ihm vorrechnen, daß für diesen Zweck auch
-zwei Beamte völlig ausreichend seien. Auch in Personalangelegenheiten
-behielt er sich die letzte Entscheidung vor bis zur Anstellung von
-Maschinenschreiberinnen hinab. Alle nicht ganz geringfügigen Zulagen
-bedurften seiner Genehmigung. Es war aber vielleicht nicht nur die
-alte Gewohnheit, von der er sich nicht zu trennen vermochte, sondern
-einem derartigen Abschweifen und Haftenbleiben an geschäftlichem
-Kleinkram, bei dem möglicherweise wirklich erzielbare Ersparnisse den
-Zeitaufwand auch nicht im entferntesten lohnten, den die Oberleitung
-und kostbarste Kraft des Unternehmens an sie wendete, lagen wohl noch
-andere Ursachen zu Grunde. Die eine von ihnen bestand vielleicht
-darin, daß Emil Rathenau, wie viele praktische Kaufleute, die „von
-der Pike auf gedient haben,“ mit der persönlichen „Kontrolle bis ins
-Kleinste“, wenn er sie auch nur in einem ganz schmalen Ausschnitt des
-gewaltigen Gesamtbetriebes zur Geltung bringen konnte, bei seinem
-Personal den Eindruck erwecken wollte, als ob sein Auge und sein
-Interesse allgegenwärtig seien. Möglicherweise wollte er dadurch einen
-erzieherischen Eindruck auf Kontrollierte und Kontrolleure ausüben.
-Wahrscheinlicher ist es aber, daß dieser bewußte Beweggrund, wenn er
-wirklich mitspielte, nur eine Art Vorwand darstellte für ein unbewußtes
-Bedürfnis, das überlastete Menschen, die aber doch nicht stillsitzen
-und sich einer völligen Muße hingeben können, häufig dazu zwingt, sich
-ein Ventil gegen Überspannung zu schaffen. Die ständige ununterbrochene
-Beschäftigung mit großen und schwierigen geschäftlichen Problemen
-würde solche Männer frühzeitig aufreiben und aufbrauchen, und es ist
-ja auch schon häufig beobachtet worden, daß derart überanstrengte
-Persönlichkeiten, die stets mit voller Kraft arbeiteten, plötzlich
-geistig oder körperlich zusammenbrachen. Bei anderen wieder sucht sich
-die Natur selbsttätig einen gewissen Ausgleich. Dieser kann in der
-Beschäftigung mit Sport, Kunst, Spiel oder auch in der Geselligkeit
-bestehen. Er kann aber auch sehr wohl darin liegen, daß sie sich für
-gewisse Zeiten mit kleingeschäftlichen Dingen beschäftigen, zu deren
-Behandlung sie keine eigentliche Geistesarbeit aufzuwenden brauchen und
-die sie gerade aus diesem geistigen Ausruhebedürfnis heraus häufig ganz
-schablonenhaft (wie sie es in ihrer Jugend gelernt haben), erledigen.
-Emil Rathenau hatte außerhalb seines Geschäftes keine Interessen. Er
-besuchte zwar regelmäßig -- aber meist nur zu leichteren Stücken --
-das Theater, im übrigen war er gänzlich kunstfremd. Musik, Malerei
-sagten ihm nichts. Er konnte nicht einmal der Kunstsammlerei, die
-manche reichen Leute auch ohne innere Beziehung zur Kunst betreiben,
-einen Geschmack abgewinnen. Von Politik und von Fragen des Gemeinlebens
-hielt er sich fast gänzlich fern. Spiel und gesellige Anregung reizten
-ihn nicht. Auch die Fähigkeit auszuruhen, ohne irgend etwas äußerlich
-Greifbares zu tun, besaß seine unruhige Natur nicht. So ruhte er in
-der Beschäftigung mit geschäftlichem Kleinkram aus, wobei er sich
-natürlich bemühte, die sachlich wenig ergiebige, für sein persönliches
-Gleichgewicht aber nützliche und heilsame Tätigkeit durch logische
-Erwägungen vor sich selbst und anderen zu rechtfertigen. Auf einem
-ganz ähnlichen Blatte stand es zum Beispiel auch, wenn er manchmal mit
-der Stadtbahn nach Niederschöneweide ins Kabelwerk hinausfuhr, statt
--- wie die übrigen Direktoren und höheren Beamten -- Automobile dazu
-zu benutzen. Er redete sich dann ein, daß die Fahrt mit der Stadtbahn
-ökonomischer sei als die Automobilfahrt, bei der Benzin, Gummi usw.
-verbraucht würden. Der folgerichtige Denkprozeß hätte ihn natürlich
-dahin geführt, daß der Zeitverlust, den er bei der Stadtbahnfahrt
-erleiden mußte, ökonomisch für ihn in keinem Verhältnis zu den
-verhältnismäßig geringen Unkosten stand, die bei einer Automobilfahrt
-entstanden. Aber trotzdem war in diesem Falle die unbewußte Halblogik
-besser als die schärfste Konsequenz im abstrakten, unpersönlichen
-Denkprozesse. Hätte Rathenau in der Struktur seiner Seele und seines
-Körpers ganz klar lesen können, wie in den Blättern eines Buches, so
-würde er den Vorwand der Materialersparnis erst gar nicht gebraucht
-haben. Er hätte die Frage überhaupt nicht mit rechnenden, sondern mit
-psychologischen oder wenn man will, mit ärztlichen Augen angesehen und
-wäre zu dem Schluß gekommen, daß die Zeit, die er an unwichtige Dinge
-preisgab, für ihn doch im ganzen betrachtet keine zur Arbeit nutzbare
-gewesen wäre.
-
-Noch bescheidener und sparsamer als in kleingeschäftlichen Dingen
-war Rathenau in seinem +Privatleben+. Bedürfnisse hatte er
-nicht, Wohlleben verstand er nicht zu würdigen. Wenn er auch ganz
-und gar nicht frei von Ehrgeiz und dem Bedürfnis nach Anerkennung
-war, im öffentlichen und gesellschaftlichen Leben wollte er keine
-repräsentative Rolle spielen. Er hätte sie auch schlecht gespielt,
-da ihm das leichte Plaudertalent fehlte, und er nur im geistig
-anregenden, ernsthaften Gespräch seine nicht gewöhnliche Fähigkeit
-des Sprechens erweisen konnte. Überdies schätzte Rathenau das Geld,
-seine wirtschaftliche Kraft und Macht zu hoch ein, um es für Dinge
-hinzugeben, die er nicht würdigte, kaum verstand. Seine Sparsamkeit war
-nicht das Hängen am persönlichen Besitz, der ihm niemals eine besondere
-Freude oder auch bloß Interesse bereitete, da er nur arbeitete, um zu
-schaffen, nicht um zu erwerben. Seine Sparsamkeit entsprang vielmehr
-ganz einem sachlichen Wertgefühl gegenüber dem Gelde, das man nicht
-vergeudete oder verschenkte, sondern verwertete, und zwar so, daß
-keine Leistung überzahlt wurde. In großen Dingen des geschäftlichen
-Lebens konnte Rathenau den Wert oder den Kurs einer Leistung nun sehr
-wohl abschätzen, nicht aber in den kleinen Privatangelegenheiten des
-täglichen Lebens. Hier war er, der vom Weltmann nichts, aber auch
-gar nichts an sich hatte, gänzlich unerfahren und die Maße, die er
-an solche Ausgaben anlegte, entstammten noch den kleinbürgerlichen
-Verhältnissen und Zeiten, in denen er aufgewachsen war. Wenn seine
-Mitdirektoren oder Geschäftsfreunde zum Beispiel mit ihm im Schlafwagen
-reisten oder im Hotel wohnten, so gaben sie häufig dem Dienstpersonal
-nach Rathenau noch einmal Trinkgeld, um dieses einigermaßen auf die in
-ihren Kreisen übliche Höhe zu bringen. Rathenau selbst bekam, wenn er
-allein reiste, oft mürrische Gesichter zu sehen, denn er betrachtete
-den Hotelportier, „der ihm ja nichts geleistet hatte,“ mit 50 Pfennigen
-als genügend entlohnt. Es konnte auch vorkommen, daß Rathenau zu
-einer Geschäftsreise nach Zürich, die er mit einem Vorstands- oder
-Aufsichtsratsmitgliede gemeinsam unternahm, in Lackstiefeln erschien
-und auf die Frage, ob er gerade von einer Gesellschaft komme,
-erwiderte: „Das nicht, aber man muß doch solche Stiefeln einmal
-auftragen.“ „In großen Dingen ein Grandseigneur, in kleinen Dingen ein
-Krämer,“ so hat ihn einmal einer seiner Freunde charakterisiert und
-ein anderer, Karl Fürstenberg, hat den hübschen Ausspruch geprägt, daß
-bei Rathenau das Geld bei 3 Mark aufhöre und erst bei 3 Millionen Mark
-wieder anfange. Die Gegensätze in seiner Stellung zum Gelde waren so
-groß, daß sie Emil Rathenau selbst nicht verborgen bleiben konnten.
-Er zwang sich, weil er seine schwache Seite kannte, manchmal direkt,
-seinem Naturell zuwider zu handeln, besonders in solchen Fällen, in
-denen er sich vor anderen genierte, als geizig zu erscheinen. Wenn
-er zum Beispiel mit Bekannten zusammen ein Restaurant besuchte, so
-bezahlte er manchmal die ganze Zeche heimlich, lange vor dem geeigneten
-Zeitpunkt, damit alle späteren Erörterungen über den Zahlungsmodus
-von vornherein abgeschnitten wurden. Ebenso kam es vor, daß er bei
-gemeinsamen Droschken- und Autofahrten den Kutscher vor der Fahrt
-schon entlohnte. Gerade die Umständlichkeit, mit der er freihielt,
-bildet aber die beste Bestätigung dafür, daß ihm das Freihalten und
-Geldausgeben nicht leicht und selbstverständlich von der Hand ging.
-
-Diese kleinbürgerliche Einfachheit, ja Knickerigkeit des Privatlebens
-bei sonst groß gewordenen Lebens- und Schaffensformen ist eine
-Eigenschaft, die vielleicht als Erbteil der +jüdischen+ Rasse
-bezeichnet werden kann. Sie ist ebenso jüdisch wie das entgegengesetzte
-Extrem der üppigen Lebensführung, die sich gerade bei manchen jüdischen
-Emporkömmlingen herauszubilden pflegt. Auch sonst ist der jüdische
-Einfluß in Rathenaus Charakter deutlich zu spüren. Der rechnerische
-Sinn im Schwärmen, der Realismus in der Phantasie, die Kühle im
-Enthusiasmus, die Selbstkritik im Optimismus und schließlich die
-Schärfe und Helle des Intellekts, die trotzdem nicht zur Gedankenblässe
-wird, sondern der Fülle und Farbe fähig ist, alles das sind Zeichen
-des einmal bodenständig gewesenen, aber dann entwurzelten und nun
-wieder nach Verankerung strebenden, darum in seinen Empfindungen häufig
-umschlagenden jüdischen Geistes. Eine Wesens- und Blutsverwandtschaft
-zwischen Rathenau und seinem um 8 Jahre jüngeren Vetter, dem Maler Max
-Liebermann, mit dem er sich allezeit gut verstand und dessen Berufswahl
-er einst gegenüber der ganzen Familie verteidigt hatte, ist hier
-schwer zu verkennen.
-
-Außer dem Unterschied zwischen dem problematischen und dem positiven
-Charakter, von dem wir am Eingang dieses Kapitels ausgingen, ist
-auch für die Beurteilung großer Männer noch ein anderer zu beachten,
-nämlich jener, den Schiller durch den Gegensatz von +naiv+ und
-+sentimentalisch+ gekennzeichnet hat. Ein Tatmensch kann sowohl
-naiv wie auch sentimentalisch sein oder besser gesagt, sowohl der naive
-wie der sentimentalische Mensch kann es zu starken Taten bringen.
-Der ganze Unterschied liegt vielleicht, wenn man den seelischen
-Vorgängen auf den Grund geht, nur im Graduellen. Beim naiven Menschen
-ist die Ausbeute aus den intuitiven Einfällen größer als beim
-sentimentalischen. Er denkt, schafft, ringt leichter, weil ihm mehr
-zufliegt, d. h. weil sein schwingendes, schaffendes Unterbewußtsein
-an den Problemen mitarbeitet, die es selbst seinem Bewußtsein als die
-seinem Wesen adäquatesten sozusagen untergeschoben hat. Einfall und
-bewußte Gedankenarbeit kommen sich bei ihm auf halbem Wege entgegen,
-während sich beim sentimentalischen Menschen die Gedankenbildung fast
-(aber nur +fast+) vom Urgrund an in der quälend offenliegenden
-Sphäre des Bewußtseins, d. h. im Bereiche der Kämpfe, Zweifel und
-Widerstände abspielt und er auch Anlage und Form der Schöpfung, die
-sich dem naiven Schöpfer meist unwillkürlich runden, erst mühsam
-konstruieren muß. Aber man soll nur ja diesen graduellen Unterschied
-nicht zu einem grundsätzlichen machen. Auch sentimentalische Schöpfer
-gehen von Einfällen aus, wenn diese auch unfertiger, geringer
-entwickelt, weniger original sind und mehr von Außendingen angeregt
-zu werden pflegen. Auch sie haben Visionen, indes auf der anderen
-Seite genialen Männern, die wir als Hauptvertreter des naiven Typus
-zu bezeichnen pflegen, wie Luther, Goethe, Friedrich, Napoleon und
-Bismarck problematische Kämpfe der schwersten Art gewiß nicht erspart
-geblieben sind.
-
-Emil Rathenau ist, wenn man ihn von dieser Seite aus betrachtet,
-nicht ganz leicht in eine der beiden Charakterklassen einzuordnen,
-aber im ganzen ist er doch mehr den naiven als den sentimentalischen
-Menschen- und Schöpfernaturen zuzurechnen. Dies zeigt sich einmal
-in dem schon oben angeführten Merkmal, daß bei ihm die Zahl und
-Qualität der „Einfälle“, der intuitiven Gedanken, verhältnismäßig
-groß war. Ferner aber in der echt naiven Art, wie er sich, so sehr
-und vielseitig er auch die Möglichkeiten seiner Begabung auf den ihr
-zugänglichen Gebieten auszubilden bestrebt war, gegen alles abschloß
-und verschloß, was ihm nicht „lag“, was ihn von den Grundlagen seines
-Wesens und seiner Kraft ablenken, zersplittern und unnötigerweise
-mit wahrscheinlich doch zweckloser Arbeit belasten konnte. Der
-sentimentalische Mensch weiß oder fühlt nicht so sicher, was ihm
-nützen oder schaden, fördern oder hemmen wird. Weil er sich aus
-unsicheren Grundlagen heraus seinen wesenhaften und charakteristischen
-Besitz erringen muß, kommt er manchmal auch in die Versuchung, sich
-etwas nutzbar machen zu wollen, was ihm nichts nützen, ihn nicht
-bereichern kann. Er hat, um die gleiche Leistung zu vollbringen wie
-der naive Schöpfer, meist einen größeren Material- und darum auch
-Energieverbrauch aufzuwenden als jener. Seinem Ertrag an Weizen steht
-eine größere Menge Spreu gegenüber. Darüber darf auch die Tatsache
-nicht forttäuschen, daß er, als der selbstkritischere Intellekt,
-gegenüber dem, was er als fertig betrachtet und an die Öffentlichkeit
-gelangen läßt, meist schonungsloser urteilt und es sorgfältiger
-sichtet, als der naive Genius.
-
-Emil Rathenau, der ein großer Fachmann war und den die kleinen
-Künstler vielleicht mitleidig lächelnd als einen Fachmenschen abtun
-werden, stand zum Beispiel jeder Kunst -- mit Ausnahme vielleicht der
-ihm naheliegenden Architektur -- mit gänzlich naivem Unverständnis
-gegenüber. Er hat sie und manches andere, dem näherzukommen er keinen
-Sinn und keine Zeit hatte, aber durchaus nicht etwa geringgeschätzt.
-Im Gegenteil, er hatte eine Art kindlich staunender, echt naiver
-Bewunderung dafür, die er allerdings auch in derselben Weise den
-halsbrecherischen Kunststücken irgendeines Akrobaten entgegenbringen
-konnte. Vielleicht hat er manches, was ihm nicht zugänglich war, sogar
-mit größerer Ehrfurcht betrachtet als die eigenen Leistungen und das
-Gebiet, auf dem sie sich abspielten, und die schriftstellerischen
-Arbeiten seines Sohnes Walther, die er wohl kaum ganz verstand,
-haben ihn gerade darum etwas von jener Art bewundernden Stolzes auf
-den gelehrten und in allen schöngeistigen Sätteln gerechten Sohn
-abgenötigt, wie sie der reiche Kaufmann vor dem „studierten“ Erben
-häufig genug empfindet. Trotz seiner Kunstfremdheit war Emil Rathenau,
-der sich so ängstlich in sein Fachgebiet einschloß, aber im Grunde
-seines Wesens und seines Schaffens eine durch und durch künstlerische
-Natur. Den Fachmenschen charakterisiert Trockenheit, Pedanterie und
-Erdenschwere. Rathenau besaß Schwung, visionäre Kraft und Leidenschaft.
-Seine Geistesklarheit, seine Logik waren nicht von nüchterner
-Abstraktion durchsetzt, sondern sozusagen bluterfüllt und darum auch
-Widersprüchen zugänglich, die ja der Natur gleichfalls nicht so fremd
-sind wie der Wissenschaft.
-
-Bei einer solchen Grundveranlagung war an Emil Rathenau und den
-Eigenschaften seines Wesens nichts alltäglich, schablonenhaft, vielmehr
-alles eigenartig, persönlich, eigenem Boden entwachsen und nach eigenen
-Maßen gebildet. Nichts war eindruckslos, matt und trübe, alles farbig,
-und zwar von starker, gleichzeitig aber subtil vermischter Farbe. Alles
-rundete und gestaltete sich bei ihm zur charakteristischen, bedeutenden
-Form. Nichts blieb ungebildetes, unbeherrschtes Material. Gerade
-dieser unwillkürliche Drang zur Form offenbart die im tiefsten Wesen
-künstlerische Natur dieses Geschäftsmannes.
-
-
-b)
-
-Rudolf +Sulzbach+, der dem Aufsichtsrat der A. E. G. seit
-ihrer Gründung angehörte und mit ihrem Begründer mehr als nur
-geschäftsfreundlich verkehrte, fragte einmal, als in einem Kreise
-von den +technischen Fähigkeiten+ Rathenaus gesprochen wurde,
-einigermaßen erstaunt: „Ist Rathenau denn Ingenieur?“ Herrschte schon
-in dem engeren Kreise, der Emil Rathenau umgab, solche Unwissenheit
-über seine technische Begabung und Leistung, so ist es nicht weiter
-verwunderlich, wenn die weitere Öffentlichkeit von dem Techniker nicht
-viel wußte und ihn so sehr ausschließlich als Kaufmann und Finanzmann
-betrachtete, daß die Legende entstehen und sich jahrelang erhalten
-konnte, die A. E. G. sei gar kein Fabrikationsunternehmen, sondern ein
-rein industrielles Finanzinstitut. Gewiß, Emil Rathenaus einzigartige
-Begabung, sein Genie und das Schöpferische seiner Leistung lagen auf
-industrie-kaufmännischem und industrie-finanziellem Gebiete, aber alles
-dies hätte sich doch nicht zu so geschlossener Wirkung, zu so sicherer
-Schlagkraft und Ausgeglichenheit entwickeln können, wenn es nicht auf
-dem Untergrunde einer zuverlässigen technischen Fähigkeit aufgebaut
-gewesen wäre. Ein Kaufmann, der erst über die technische Grundlage und
-Tragweite seiner wirtschaftlichen Projekte den Fachmann befragen muß,
-wird seine Pläne nie so frei, so sicher, so souverän entwerfen und
-überwachen können, als wenn er selbst der technische Fachmann ist. Er
-ist von dem Urteil anderer abhängig und kann Glück haben, wenn diese
-anderen ein richtiges Urteil besitzen und seinen Plänen kongeniales
-Verständnis entgegenbringen. Er kann aber auch Unglück haben, wenn das
-Urteil seiner Fachleute falsch ist oder sich ihr technischer Ideengang
-nicht ganz harmonisch mit seinem wirtschaftlichen verschmelzen läßt.
-Emil Rathenau war kein sogenannter produktiver Techniker, kein
-Erfinder und Entwerfer, er hat nur selten eine technische Konstruktion
-selbständig von Anfang bis zum Ende durchgeführt. Darin waren ihm
-viele Ingenieure mittleren und kleineren Formats überlegen. Selbst
-in der Maschinenfabrik Webers, wo er doch konstruieren sollte und
-wollte, hat er es nur zu Verbesserungen der Maschinen gebracht. Das
-Hauptresultat seiner Arbeit war ein ziemlich resigniertes Urteil über
-die Unzulänglichkeit der ganzen damaligen Maschinentypen. Dennoch besaß
-er auch auf dem Fachgebiet eine Begabung allerersten Ranges: Er war ein
-technischer +Kritiker+ von ungewöhnlichem Scharf- und Weitblick,
-ein Kritiker, der nicht nur tief in die Einzelheiten und Kleinheiten
-einer Materie eindringen, sondern der neben dem Mikrokosmos auch den
-Makrokosmos, die großen Zusammenhänge, Untergründe und Ausblicke sah.
-Vielleicht ist diese Gabe der technischen Kritik sogar für den Leiter
-eines so weit ausgesponnenen Unternehmens mit gemischter Fabrikation,
-das sozusagen alle Erzeugnisse seines Faches herstellen und sich
-nicht auf die hervorragende Durchführung irgend einer Spezialität
-beschränken darf, wichtiger als die geniale Technikerveranlagung
-positiver Art. Denn der positive Techniker, der ein großes Unternehmen
-leitet, kann immer nur eine beschränkte Anzahl von Konstruktionen
-selbst durchführen oder leiten. Es liegt bei ihm die Gefahr vor, daß
-er gerade +seine+ Konstruktionen für die wichtigsten hält, sie
-in der Gesamtökonomie seiner Fabrikation bevorzugt und darum den
-objektiv richtig wertenden Überblick über den ganzen technischen
-Komplex der Gesamt-Unternehmung aus subjektiven Gründen verliert. --
-Ein technischer Kritiker ist dieser Gefahr nicht so sehr ausgesetzt.
-Auch er kann natürlich, wie jeder Mensch, subjektiv sein, sich in den
-Maßstäben seiner Kritik irren, gewisse Vorlieben und Vorurteile haben.
-Während aber bei dem positiven Techniker der Subjektivismus mit der
-Größe des Talents sehr wohl wachsen, der Eigensinn mit der Eigenart
-sich steigern kann, wird der Kritiker, je klüger, scharfsinniger,
-treffsicherer er denkt, auch umso objektiver in seinem Urteil werden
-und man kann ruhig sagen, daß gerade der große Kritiker sich von
-Willkürlichkeiten in der Wertbemessung im allgemeinen fern halten
-wird. Er hat die Distanz zum Einzelnen und zum Gesamten, die dem
-Erfinder häufig fehlt. Denn das Grundelement seiner Begabung ist
-+vergleichende+ Logik, das des Erfinders +temperamentvolle+
-Logik. Worin tritt nun die Wirksamkeit eines solchen technischen
-Kritikers, wie Emil Rathenau einer war, besonders in Erscheinung? --
-Wenn man es kurz und prägnant zusammenfassen will, kann man vielleicht
-sagen, daß er +einmal+ aus dem bisherigen Stande der Wirtschaft
-und der Technik Bedürfnisse und die Möglichkeiten ihrer Befriedigung
-für die weitere Entwickelung ablesen kann und +zweitens+,
-daß er bei technischen Erfindungen die Frage ihrer praktischen
-Verwertbarkeit treffend zu beurteilen vermag. Die erstere Eigenschaft
-macht den technischen Anreger, und tatsächlich ist Rathenau für seine
-Konstrukteure ein außerordentlich fruchtbarer Anreger gewesen, er
-hat sie auf Ideen gebracht, die nicht selten unter den Händen der
-richtigen Fachleute zu glücklichen Verwirklichungen führten. Er sagte
-zum Beispiel: Wir brauchen, um eine gewisse wirtschaftlich notwendig
-erscheinende Wirkung zu erzielen, jetzt Maschinen oder Transformatoren
-von einer gewissen Stärke und Beschaffenheit. Oder wir brauchen, um die
-elektrische Kraftübertragung in den Fabriken einzuführen, Vorrichtungen
-bestimmter Art und Wirkung, durch die gewisse ökonomische Vorteile
-erreicht werden. Er gab das Ziel an, und manchmal auch den Weg oder
-mehrere Wege, auf denen man zu dem erwünschten Ziel kommen könnte und
-er hat sich in der richtigen Beurteilung des Zieles nur selten geirrt
-und ziemlich häufig auch mit den von ihm vorgeschlagenen Wegen das
-Richtige getroffen. Vielleicht noch erfolgreicher war Rathenau in der
-treffsicheren Beurteilung der in einer Erfindung liegenden praktischen
-Ausnutzungs-Möglichkeiten. Sein Blick dafür war direkt genial, und
-es gibt vielleicht keinen zweiten, der ihm in dieser Hinsicht an
-die Seite zu stellen ist. Seine praktische Vision beim Anblick der
-Edisonlampe sah sofort Jahrzehnte der Entwickelung voraus, die dann
-tatsächlich fast genau so eingetreten ist, wie er sie sich vorgestellt
-hatte. Die Aussichten der Aluminiumherstellung auf elektrochemischem
-Wege erkannte er gleichfalls auf der Stelle und hielt das Verfahren
-und die praktische Arbeit mit diesem durch alle Schwierigkeiten und
-Kosten hindurch aufrecht. Den Wert des Drehstromsystems, der Turbine
-hat er mit schneller Sicherheit begriffen, und auch viele kleinere
-Erfindungen verdanken ihm ihre Ausgestaltung und Nutzanwendung.
-Erfindungen dagegen, die nicht so absolut schlagkräftig waren, wie den
-Jablochkofflampen, dem ersten Wechselstromsystem usw. stand er mit
-abwartender Vorsicht gegenüber. Den Akkumulator, der viele Techniker
-und Gründer blendete, hat er niemals überschätzt, sondern bei aller
-Würdigung seines Wertes doch stets als Stromquelle minderen Ranges
-betrachtet.
-
-Der kritische Techniker dieser Art braucht zwar kein hervorragender
-Könner im Positiven zu sein, aber ohne grundlegende technische
-Vorbildung, ohne genaue Einsicht in die technischen Methoden,
-Erfahrungen und Gesetze kann er seine fruchtbare Arbeit nicht
-ausüben. Ein begabter Dilettant, der nur gewisse mehr oder weniger
-phantasievolle, selbst geistreiche Vorstellungen von technischen
-Dingen hätte -- ein Jules Verne der Praxis -- würde das sichere
-Urteil, diese Grundlage des technischen Kritikers, nicht besitzen,
-er würde vielleicht einmal einen Treffer erzielen, öfter jedoch
-irren und Fehlschläge erleiden. Ein solcher Dilettant, dessen Wissen
-Stückwerk ist, würde, an die Spitze eines großen Unternehmens
-gestellt, mit seiner Autorität im Anregen und Entscheiden großes
-Unheil über seine Gesellschaft bringen können, Geld und Arbeitskräfte
-vergeuden und das Unternehmen zum finanziellen Ruin treiben können.
-Emil Rathenau war ganz und gar kein solcher Dilettant. Er hatte die
-Maschinentechnik in seiner Jugend gründlich gelernt und studiert,
-und mit der Elektrotechnik, wenigstens dem für ihn ausschlaggebenden
-Starkstromwesen, war er sozusagen aufgewachsen. Ihre Gesetze und ihre
-Erscheinungsformen waren ihm nicht angelernter, sondern erworbener
-Besitz.
-
-Neben seiner Fähigkeit der technischen Kritik oder sozusagen
-verbunden mit ihr, besaß Rathenau noch eine andere Gabe, die seine
-Mitarbeit an technischen Dingen für seine Ingenieure zwar manchmal
-wenig angenehm, aber im Interesse eines gelungenen Ergebnisses
-außerordentlich wertvoll machte. Er besaß eine ausgesprochene,
-direkt erfinderische Kunst, Hemmnisse, Fehler und Widerstände in der
-technischen Konstruktion zu überwinden oder doch die Konstrukteure auf
-die richtigen Wege zu ihrer Überwindung hinzuweisen. Diese Kunst, bei
-der es sich um kein bloßes Herumraten, sondern um ernstes Durchdenken
-handelte, wurzelte in zweien seiner grundlegenden Eigenschaften,
-nämlich einmal in seiner intellektuellen Fähigkeit der technischen
-Kritik und ferner in der Unerschütterlichkeit des Willens, mit der er,
-von keinem Fehlschlage entmutigt, immer wieder von neuem durchdachte,
-versuchte und aufstachelte, um schließlich dennoch -- wenn nicht auf
-der Hauptstraße, so doch auf Umwegen -- zum Ziele zu gelangen. Dabei
-begnügte er sich nicht mit einer unvollkommenen oder annehmbaren
-Lösung, sondern er gab nicht eher Ruhe, als bis die höchstmöglichste
-Vollendung erreicht war. Als einmal Felix Deutsch noch in der ersten
-Zeit der A. E. G. von einer Geschäftsreise aus England zurückkehrte,
-empfing ihn Rathenau zu seiner großen Bestürzung mit den Worten:
-„Lieber Deutsch, Sie haben zwar sehr schöne Aufträge gebracht. Das
-nützt aber nichts. Wir sind kaputt. Siemens hat eine neue Lampe, die
-viel besser ist als die unsrige.“ Emil Rathenau setzte sich aber trotz
-dieses Anfalls von Resignation 4 Wochen lang von morgens früh bis
-tief in die Nacht hinein in die Lampenfabrik, und arbeitete mit den
-Konstrukteuren so lange, bis er eine Lampe fertiggebracht hatte, die
-dem Konkurrenzfabrikat mehr als ebenbürtig war. Unsäglich peinigte er
-die armen Techniker, denen er die knifflige Aufgabe zugewiesen hatte,
-die Nernstlampe, aus einer geistreich ersonnenen in eine praktisch
-brauchbare Konstruktion umzuwandeln. Hier liegt vielleicht der einzige
-Fall vor, bei dem sich Rathenau in eine falsche Richtung verrannt, oder
-doch die noch richtigere Bahn verfehlt hatte. Bei dieser Arbeit war der
-Verbrauch Rathenaus an Technikern ganz gewaltig gewesen, und einige von
-ihnen mußten Sanatorien aufsuchen, um sich von der Arbeit und Mitarbeit
-Emil Rathenaus zu erholen.
-
-Leicht gemacht wurden Emil Rathenau seine technischen Erfolge fast nie.
-Er mußte überall ringen, und Lehrgeld bezahlen, viel Mühe und Zeit
-aufwenden, ehe er den Erfolg sah. Dafür hat er aber auch diesen am
-Ende fast stets für sich gehabt, und ein vollständiges Fiasko kaum je
-erlitten.
-
-
-c)
-
-Als +Kaufmann+ wurzelte Emil Rathenau +nicht+ im
-+Händlerischen+, sondern im +Industriellen+. Das heißt, ihn
-interessierte nicht der Verkauf der Ware, und die Technik des Absatzes,
-sondern sein Interesse und seine Arbeit gingen dahin, eine Ware so
-herzustellen und auszustatten, daß sie sich gut verkaufen ließ, daß
-ihre Eigenschaften dazu angetan waren, auf dem Absatzmarkte Nachfrage
-zu erregen, wirkliche Bedürfnisse zu befriedigen oder auch zukünftige
-Bedürfnisse zu wecken. Dabei wußte er sehr wohl, daß man dem Käufer
-auf die Dauer keine Ware aufdrängen konnte, die ihm nicht wirklich
-Vorteile bot. Nicht das Verblüffende, das Effektvolle einer Ware konnte
-das dauernde Bedürfnis nach ihr schaffen, sondern nur das Zweckmäßige,
-das irgendwelche Vorzüge vor der bisherigen Art der Bedarfsdeckung
-bot, eine höhere Stufe der Wirtschaftlichkeit verhieß, neue produktive
-Möglichkeiten eröffnete und neue Aussichten des Gewinnes oder der
-Ersparnis bot. Das Telephon, die Glühlampe, die Kraftübertragung
-führte er in Zeiten, in denen ein großer Bedarf nach ihnen sich noch
-nicht feststellen ließ, vielleicht auch noch gar nicht vorhanden war,
-keineswegs deswegen ein, weil die Einrichtungen technisch sinnreich
-und praktisch effektvoll waren, sondern er sah voraus, welche neuen
-Wirkungen, Leistungen und Vervielfältigungen im Wirtschafts- und
-Verkehrsleben sich mit ihnen erreichen lassen würden. Hier, wo die
-Statistik, die Erfahrung, die zahlenmäßige Kalkulation auf Grund des
-vorhandenen Tatsachenmaterials versagen, wo aber auch die Phantasie
-nicht theoretisch schweifen darf, sondern die realen Voraussetzungen,
-die +Tatsachen+ einer zukünftigen Wirtschaftswelt sich sozusagen
-im Irrealen voraus konstruieren muß, als ob bereits Erfahrungen
-vorlagen, ist das schwierigste, aber auch das erfolgversprechendste
-Gebiet des industriellen Kaufmanns.
-
-Emil Rathenau war ein Meister dieser +realen+, dieser
-+statistischen+ Phantasie. Naturgemäß genügte aber bei
-der Befriedigung erst zu weckender Kaufbedürfnisse nicht die
-einfache ökonomische Fertigstellung einer brauchbaren, ja selbst
-konkurrenzüberlegenen Ware, so daß dann alles übrige der Verkaufs-
-und Handelstechnik überlassen werden konnte. Es war auch notwendig,
-die Ware oder die Leistung so zu zeigen, daß ihre Vorzüge für jeden
-als Verbraucher in Betracht kommenden deutlich in Erscheinung
-treten +mußten+. Diese Propaganda für neuartige Dinge gehörte
-infolgedessen mit zu der Sphäre des industriellen Kaufmanns, in
-der Rathenau lebte und webte. Die Schaffung und Organisation der
-sogenannten Demonstrationsunternehmungen war sogar eine seiner
-ureigenen Aufgaben, zu deren Lösung er die Anregungen und die
-bestimmenden Anweisungen gegeben hat. Anders war es mit dem Absatz
-von sogenannten marktgängigen Waren, von Typen- und Massenartikeln,
-worunter nicht nur solche zu verstehen sind, die in ihren Formen und
-Eigenschaften endgültig oder für längere Zeitspannen festliegen,
-sondern auch solche, die -- wie es bei den meisten Fabrikaten
-einer fortschrittlichen Technik der Fall ist -- in einem ständigen
-Entwickelungs- und Verbesserungsprozeß begriffen sind. Hier griff
-die eigentliche Verkaufsorganisation ein, die für Rathenau aber nur
-eine Sache zweiter Ordnung war. Wenn trotzdem die A. E. G. auch in
-dieser Hinsicht nicht nur mustergültig versorgt war, sondern ganz
-neuartige Wege beschritt, so ist dies dem Umstand zu danken, daß
-ihr von Anfang an in Felix Deutsch, Rathenaus erstem Mitarbeiter,
-eine Kraft zur Verfügung stand, die an händlerischer Begabung die
-mehr aufs Industrielle gerichteten Fähigkeiten des Meisters wirksam
-und glücklich ergänzte. Deutsch war auf seinem ureigenen Gebiete so
-überragend und selbstsicher, daß Emil Rathenau ihm dieses Gebiet
-fast ganz selbständig überließ und sogar zugab, daß die Organisation
-des Verkaufsgeschäfts sich in einer Richtung entwickelte, die seinen
-eigenen Anschauungen anfangs bis zu einem gewissen Grade zuwiderlief.
-Rathenau hatte nämlich in allen Fragen, die er nicht aus erster
-Hand, sozusagen in höchstpersönlicher Art löste (was bei dem ihn
-nur mittelbar interessierenden Verkaufsgeschäft aber nicht der Fall
-war), eine gewisse bewundernde Vorliebe für das Amerikanische. Das
-amerikanische Verkaufssystem bestand nun wesentlich in der Abgabe
-der typischen Artikel und Massenware an Vertreter, Kommissionäre,
-Installateure und Händler, die ihrerseits den Absatz an die Verbraucher
-besorgten. Ein solches System ist einfach für den Fabrikanten, und
-entsprach aus diesem Grunde wohl der minder bedeutsamen Stellung, die
-Rathenau dem Verkaufsgeschäft zuwies. Er wollte es ohne allzugroßen
-Aufwand an Eigenarbeit, Apparatur und Kapital, die nach seiner Ansicht
-besser anderen, ihm wichtiger erscheinenden Gebieten zugeführt werden
-sollten, erledigen und konnte sich dabei immerhin darauf berufen, daß
-die Amerikaner mit diesem System gute Geschäfte machten und einen
-großen Umsatz erzielten. Nun lagen allerdings die Verhältnisse in
-Amerika wohl etwas anders als in Europa. Die Absatzmöglichkeiten des
-weiten und sich rasch auf jungem Kulturboden entwickelnden Landes
-waren an sich größer, der Bedarf war weniger passiv und wandte sich
-ganz von selbst den modernsten Methoden der Technik zu, denn es waren
-dort absolut und relativ viel mehr Unternehmungen und Ausrüstungen
-ganz neu zu schaffen, die sich naturgemäß dann sofort mit den
-zeitgemäßesten Einrichtungen versahen. In der Zeit der Licht- und
-Kraftelektrizität entstanden drüben zum Beispiel erst viele Städte
-oder es wuchsen Ortschaften zu städtischem Umfang an, die, vor das
-Problem der Beleuchtung und Beförderung gestellt, naturgemäß nicht
-die älteren Systeme (Gas und Pferdebahn), sondern die modernsten
-(elektrisches Licht und elektrische Straßenbahnen) wählten. Dasselbe
-war mit neuerstehenden Fabriken, Hüttenwerken usw. der Fall. Sie
-führten sofort die rationellste Art der Kraftübertragung ein. Ganz
-anders lagen die Verhältnisse in den europäischen Ländern. Hier waren
-die Städte und ein großer Teil der Fabrikationsbetriebe bereits, bevor
-die Elektrotechnik ihre Leistungsfähigkeit bis zu voller Überlegenheit
-entwickelt hatte, auf andere Weise eingerichtet gewesen, und es galt,
-sie zur Auswechslung ihrer alten Einrichtungen und zur Ersetzung durch
-neue elektrotechnische Anlagen zu veranlassen, eine Aufgabe, die
-naturgemäß eine größere Aktivität der Elektrizitätsindustrie erforderte
-als in Amerika. Für die Zentralunternehmungen (Elektrizitätswerke
-und Bahnen) erkannte dies auch Rathenau als erster durchaus
-richtig, und seine Gründungen auf jenen Gebieten dienten darum in
-erster Linie dem Zwecke, den Konsum durch anregende Beispiele zur
-Elektrizität hinzuführen, ja sogar hinzuzwingen. Sobald es sich aber
-um Privatzentralen oder sonstige Einzelanlagen handelte, wollte Emil
-Rathenau die Konsequenzen seiner eigenen Idee merkwürdigerweise nicht
-ziehen. Er neigte dem amerikanischen System des Absatzes zu, trotzdem
-man mit diesem doch nicht unmittelbar an den Konsum herankommen, und
-offenbar manche Möglichkeiten des Geschäfts nicht tatkräftig genug
-ausnutzen konnte. Anscheinend fürchtete Rathenau, die Schicht der
-Zwischenhändler, Vertreter-Firmen und Installateure zu verstimmen, die
-zur Zeit der Gründung der A. E. G. das Geschäft zum großen Teil noch
-vermittelte und auf die er bis zu einem gewissen Grade sich stützen
-zu müssen glaubte. Hier war nun Deutsch weitsichtiger als Rathenau
-selbst, indem er die Aussichten der Zukunft über die Beschränktheiten
-der damaligen Gegenwart stellte. Er machte die Inkonsequenz seines
-Meisters nicht mit und bestand, gestützt auf seine Autorität als
-Leiter des Verkaufsgeschäfts, darauf, auch in diesem Gebiete das
-Rathenausche System zur Geltung zu bringen. Rathenau selbst ließ ihn
-gewähren und mußte sich später überzeugen, daß Deutsch recht gehabt
-hatte. Die 300 kaufmännisch-technischen Bureaus, die Deutsch an allen
-größeren Plätzen des In- und Auslandes errichtete, bildeten immer mehr
-die Tragpfeiler der Absatzorganisation und boten die Möglichkeit,
-den Absatz in schneller Progression zu steigern, und alle neuen
-Konstruktionen auf dem direktesten Wege in den Konsum zu bringen. Die
-Bureaus waren nicht nur mit Kaufleuten besetzt, die propagandistisch
-tätig waren und Geschäfte in ihrem Bezirk abschlossen, sondern auch mit
-Technikern, die sich nicht darauf beschränkten, die von der A. E. G.
-gelieferten Anlagen zu montieren, sondern sie auch ständig überwachten,
-Anregungen zu ihrer Anlage, Ergänzung, Verbesserung usw. gaben, Fehler
-beseitigten, Belehrungen über die Anwendung erteilten, Irrtümer in der
-Anwendung korrigierten, kurzum den Kunden dieselben Berater-Dienste
-erwiesen, die ihnen sonst von sogenannten „konsultierenden Technikern“
-geleistet wurden. Naturgemäß verschlang ein solcher Riesenapparat von
-300 technischen Bureaus mit ihrem Beamtenstab, ihren Lagerbeständen,
-ihren Räumlichkeiten gewaltige Summen. Er machte sich nur bei einem
-wirklich großen Umsatz bezahlt, und gewann infolgedessen besonders
-an Einträglichkeit durch die verschiedenartigen großen Fusionen, die
-eine Zusammenlegung der Verkaufsorganisationen der verschmolzenen
-Unternehmungen und eine wesentliche Vergrößerung ihres Umsatzes bei nur
-geringfügig erhöhten Unkosten gestatteten. Gerade der gewaltige Apparat
-der Verkaufsorganisation war ebenso wie das Unternehmergeschäft eine
-der Klippen, an denen die schwächeren Konkurrenzunternehmungen in der
-Elektrizitätsindustrie scheiterten. Sie vermochten den Umsatz nicht
-hereinzubringen, der die großen Spesen dieses Apparates aufgewogen
-hätte.
-
-Emil Rathenau hat sich um das Verkaufsgeschäft -- wie schon gesagt
--- nicht allzusehr gekümmert. Wenn er zum Beispiel auf Reisen war,
-ließ er sich nur in gewissen Abständen eine kurze Aufstellung über die
-Art und die Summe der erfolgten Verkäufe nachsenden. Die Namen der
-Käufer interessierten ihn nicht. Das war Deutsch’s Ressort, der als
-„Globetrotter der A. E. G.“ einen großen Teil des Jahres unterwegs war,
-die Filialen und Bureaus kontrollierte, dort Anregungen geschäftlicher
-und organisatorischer Art gab und dafür sorgte, daß die Einrichtungen
-auf der Höhe blieben. Wenn Rathenau reiste, so geschah dies -- sofern
-nicht Aufsichtsratssitzungen oder Generalversammlungen befreundeter
-Gesellschaften und Transaktionsverhandlungen die Veranlassung dazu
-boten -- fast stets nur, wenn technische oder fabrikatorische Fragen
-zu lösen waren. Insbesondere hatten seine Reisen nach Amerika,
-deren letzte noch im Jahre 1912 geplant war, aber nicht mehr zur
-Ausführung kam, meist sozusagen eine vergleichende Generalrevision
-der jeweiligen technischen Gesamtlage der elektrischen Welt zum
-Zwecke. Er prüfte, wie die beiderseitigen Leistungen und Fortschritte
-zueinander standen, brachte Eindrücke und Anregungen mit heim und
-hielt drüben auch nicht mit den Errungenschaften zurück, die in der
-alten Welt inzwischen gemacht worden waren. Natürlich genügten diese
-gelegentlichen persönlichen Besuche in Amerika nicht, um einen wirklich
-erschöpfenden Ausgleich zwischen kontinentaler und amerikanischer
-Elektrizitätstechnik zu gewährleisten. Sie dienten sozusagen nur der
-Superkontrolle für das von Rathenau bereits früh eingeführte System des
-Austausches mit der General Electric-Gruppe.
-
-Nicht nur gegenüber dem Kaufmann wußte Rathenau das industrielle
-Prinzip zur Geltung zu bringen, sondern auch gegenüber dem Techniker.
-Der manchmal eigensinnige Ehrgeiz vieler, hauptsächlich konstruktiv
-begabter Techniker, alles im eigenen Hause machen zu wollen, für
-jeden Gegenstand eine eigene Konstruktion zu haben, war ihm fremd. Es
-hat der A. E. G. unter der Leitung Rathenaus nie an hervorragenden
-Eigenkonstruktionen gefehlt. Wenn aber durch den Erwerb fremder,
-bereits erprobter Verfahren oder durch die Zusammenlegung eigener und
-fremder Verfahren schneller und vorteilhafter zum Ziele zu kommen war
-als durch die mühselige technische Innenarbeit, so wählte Rathenau,
-dem es letzten Endes nicht nur auf den technischen, sondern auch
-auf den wirtschaftlichen Erfolg ankam, unbedenklich statt des rein
-technischen Weges den technisch-kommerziellen. Von einer bloßen
-schematischen Nachahmung und Benutzung fremder Geistesarbeit war
-die Rathenausche Methode aber auch in solchen Fällen weit entfernt.
-Überall, wo er fremde Konstruktionen erwarb, so bei den Edisonlampen,
-bei den Spragueschen Straßenbahnpatenten, beim Akkumulator und
-der Curtis-Turbine, hat er die übernommenen Gegenstände in steter
-Weiterentwickelung verbessert und durchgebildet, sie so recht
-eigentlich erst zu der Reife gebracht, durch die sie ihre großen
-Erfolge davontrugen.
-
-Für die industrielle Grundlage des kaufmännischen Charakters
-Emil Rathenaus zeugt schließlich auch die innere Ausbildung des
-Kalkulationswesens der A. E. G. Dieses war so organisiert, daß die
-Fabrikationsabteilungen mit dem Verkauf und mit der Preisbemessung für
-die von ihnen hergestellten Waren nicht das geringste zu tun hatten.
-Für sie gab es nur Selbstkostentabellen. Diese übermittelten sie der
-Verkaufsabteilung, der es vorbehalten war, auf der Grundlage jener
-Tabellen die Preise festzusetzen. Damit wurde bezweckt, daß sich die
-Fabrikation von dem Verkaufspreise weder nach oben noch nach unten in
-ihrem Herstellungsprozess beeinflussen lassen sollte. Ihre Aufgabe war
-es, nach rein sachlichen Gesichtspunkten zu produzieren und dabei die
-Ware so gut und so billig wie möglich herzustellen, ohne sich in der
-Qualität ihrer Arbeit durch die Kenntnis der Verkaufspreise beirren
-zu lassen. Stellte die Verkaufsabteilung fest, daß die Selbstkosten
-einer bestimmten Ware im Vergleich mit dem Preise einer gleichartigen
-Ware der Konkurrenz zu hoch waren, so wurde auf ihre Veranlassung in
-die Frage einer Untersuchung und Verbesserung des Produktionsprozesses
-eingetreten. Im übrigen war es das Prinzip Rathenaus, aus den drei
-Faktoren Grundrente, Produktionspreis und Vertriebskosten eine
-Preisstellung zu ermöglichen, die der jedes Konkurrenten gewachsen,
-möglichst aber überlegen war. Über die Faktoren Produktionspreis und
-Vertriebskosten ist schon gesprochen worden. Über das Thema Grundrente
-soll der nächste Abschnitt, der die Grundlage der Rathenauschen
-Finanzpolitik noch einmal zusammenfassend schildern will, Aufschluß
-geben.
-
-
-d)
-
-+Industriefinanzier+ -- das ist das Wort, mit dem Rathenau am
-häufigsten charakterisiert wird, womit man die Größe und Besonderheit
-seiner Leistung am kräftigsten herausheben und umschreiben zu
-können meint. Große Industriegebilde hätten auch andere geschaffen,
-unterschiedlich und neu seien bei Rathenau aber hauptsächlich die
-Finanzierungsmethoden, die in dieser Art und Ausprägung kein anderer
-vor ihm und neben ihm ausgebildet habe, die für eine ganze Generation
-vorbildlich und fruchtbar geworden seien. Drängt sich ein so starker
-Eindruck von dem Wesen und Wirken eines Mannes der Öffentlichkeit
-auf, so muß ihm naturgemäß irgend eine berechtigte Ursache zu Grunde
-liegen. Das Urteil der öffentlichen Meinung braucht nicht umfassend zu
-sein, es braucht das Bild des beurteilten Menschen oder Gegenstandes
-nicht ganz in der Fläche zu decken und nicht ganz bis in die Tiefe
-zu erfassen. Die Beurteilung kann schief und oberflächlich, aber
-sie kann nicht völlig falsch sein. In der Tat war Emil Rathenau
-ein Finanzkünstler ersten Ranges, und in der Tat gehen von hier
-vielleicht die stärksten Einflüsse aus, die er über die Grenzen seiner
-Sondertechnik und Sonderindustrie hinaus auf das Gesamtwirtschaftsleben
-ausgeübt hat, sofern wir allerdings die umwälzenden Einwirkungen der
-von Rathenau beschleunigten „Elektrisierung“ fast aller Verkehrs-
-und Produktionsprozesse als zur elektrischen Sondertechnik gehörend
-betrachten. Unter seinen Methoden, die einfach von anderen Gewerben
-übernommen, zum Gemeingut der Gesamtwirtschaft werden konnten,
-stehen die finanziellen weitaus im Vordergrunde. Das System der
-Selbstbedarfsdeckung und Selbstabsatzwirtschaft, wie es Rathenau für
-die elektrische Industrie erfunden hat, war doch im wesentlichen
-auf diese oder wenige verwandt organisierte Industrien beschränkt,
-in anderen Großgewerben, wie zum Beispiel im Montangewerbe, in der
-chemischen Großindustrie usw. entstanden unabhängig davon ganz andere,
-zum Teil sogar noch radikalere Methoden der „Gemischtwirtschaft“. Das
-Finanz- und Reservensystem Emil Rathenaus dagegen ist weit über die
-Grenzen der Elektrizitätsindustrie hinaus epochemachend geworden, und
-mit Recht konnte Dr. Walther Rathenau in der ersten Generalversammlung,
-die die A. E. G. während des Krieges abhielt, darauf hinweisen, daß
-die großen Reserven der industriellen Unternehmungen, dieses „Mark im
-Knochengerüst des deutschen Industriekörpers“ die schnelle Umstellung
-und Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie im Kriege in erster
-Linie ermöglicht hätten. Nun folgt allerdings daraus, daß Emil Rathenau
-diese Reservenpolitik zuerst im großen Maßstabe angewandt hat, noch
-nicht unbedingt, daß sie ohne ihn überhaupt nicht Eingang im deutschen
-Wirtschaftsleben gefunden hätte. Vielleicht lag sie ohnedies in der
-Richtung unserer Industrieentwickelung und Emil Rathenaus Verdienst
-bestände alsdann nur darin, durch sein erfolgreiches Vorbild diese
-Entwickelung bestärkt und beschleunigt zu haben. Daß sie nicht mit
-+jeder+ großen und reichen Wirtschaftsentwickelung notwendig
-verbunden zu sein braucht, zeigt das Beispiel Englands, wo eine
-viel ältere wirtschaftliche Generation doch nicht annähernd so viel
-Reservekraft der unpersönlichen Unternehmungen, dafür aber mehr
-persönlichen Reichtum angesammelt hatte wie die deutsche, zeigt
-ferner das Beispiel Amerikas, wo man trotz einer fast noch stärkeren
-Industrialisierung im allgemeinen noch nicht die Kinderkrankheit
-jeder Großwirtschaftsbewegung, das System der Agiotage und
-Kapitalverwässerung, überwunden hat.
-
-Und doch -- trotz der großen Ausbildung, Sichtbarkeit und Fernwirkung
-der Rathenauschen Finanzkunst, kann sie nicht als seine grundlegende,
-seine primäre Begabung bezeichnet werden. Rathenau hat niemals
-reine Geschäfte mit dem Gelde und um des Geldes willen gemacht, er
-finanzierte nie aus Freude am Finanzieren, sondern dies war ihm nur
-das -- virtuos angewandte -- Mittel zum Zwecke des Industrialisierens.
-Seine Finanzwirtschaft war sozusagen nur das der Industriewirtschaft
-genau angepaßte Kleid, eine sekundäre Kunst, destilliert aus
-seinen +ursprünglichen+ Begabungen und Eigenschaften, denen
-sie dienen und die sie erst zu voller Wirkung bringen sollte.
-Finanzgewinne wurden von Rathenau -- wenigstens ursprünglich -- nicht
-+angestrebt+, sondern sie fielen als reife Früchte von dem Baume
-seiner Industriepolitik ab. Erst später, als er erkannt hatte, wie
-reiche Geldfrüchte dieser Baum tragen könnte, ging er dazu über, sie zu
-züchten, immer jedoch die Gesichtspunkte der Industriewirtschaft denen
-der Finanzwirtschaft voranstellend, deren Gefahren er wohl kannte und
-deren Verlockungen er darum nie Macht über sich gewinnen ließ.
-
-Entwickelte sich so Rathenaus Finanzkunst, die in der Hochzüchtung,
-Festigung und späteren gewinnreichen Verwertung von Betriebsrenten,
-nicht im Manipulieren mit dem Aktienkurse bestand, ganz aus dem
-Bedürfnis des Industrialisierens, also aus der wirtschaftlichen
-Grundeigenschaft des Mannes, so wurzelte seine finanzielle
-Reservenpolitik vielleicht noch tiefer in einem der Grundgefühle des
-Rathenauschen +Charakters+: nämlich in dem +Pessimismus+.
-In der Kühnheit des Entwerfens industrieller und finanzieller
-Transaktionen keinem der großen Kaufleute unserer Zeit nachstehend,
-übertraf sie Rathenau doch alle in dem Gegengewicht der Vorsicht,
-durch das er diese Kühnheit des Entwurfes bei der Ausführung gegen
-alle möglichen Gefahren zu sichern bestrebt war. Dieses Gegengewicht
-war aus Reserven gebildet, die zum Teil aus zurückgelegten Beträgen
-der Jahresgewinne, zum Teil aus dem zurückhaltend angewandten
-Aktienagio und zum Teil aus Buchvorteilen bei Transaktionen unter
-Ausnutzung dieses Aktienagios stammten, das es der A. E. G. gestattete,
-Fabrikationswerte und Beteiligungen zu außerordentlich niedrigen
-Preisen zu erwerben oder doch so in ihre Bilanz einzustellen.
-Dabei hat sich die Reservenpolitik nie so weit verstiegen, daß von
-einer +ungesunden+ Thesaurierung gesprochen werden könnte,
-wie sie sich in einem Teil der deutschen Verfeinerungsindustrie,
-namentlich im Metallgewerbe, in der chemischen Großindustrie, in der
-Rüstungsindustrie -- unter übertriebener Nachahmung des Rathenauschen
-Vorbildes -- während des letzten Jahrzehnts ohne berechtigten
-wirtschaftlichen Zweck herausgebildet hat. Ein so falsches Bild wie
-bei den Unternehmungen dieser Art, so zum Beispiel den Daimlerwerken,
-den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, den Köln-Rottweiler
-Pulverfabriken, der Deutschen Gasglühlicht-Gesellschaft (Auer),
-den Vereinigten Glanzstofffabriken und vielen anderen, die mit
-verantwortlichen Aktienkapitalien von 10 bis 20 Millionen Mark,
-Vermögenswerte von 50 und 100 Millionen Mark decken, hat die Bilanz
-der A. E. G. niemals gezeigt. Bei ihr standen die Rücklagen immer noch
-in einem ungefähr richtigen Verhältnis zu den Risiken, der Aktienkurs
-war nicht so beschwert mit spekulationstreibenden Rätseln, wenn auch
-das Bilanzbild keineswegs jene Durchsichtigkeit besaß, die der Sinn
-und jedenfalls der Buchstabe des Aktienrechts vielleicht verlangen,
-die der wirtschaftlichen Entwickelung des Aktienwesens aber nicht
-immer zuträglich ist. Niemals hat die A. E. G. jene künstlichen
-Kapitalserleichterungen und Kapitalsverwässerungen vornehmen müssen,
-die das sicherste äußere Kennzeichen einer +ungesunden+
-Reservenanhäufung sind, eine spekulative Unsicherheit in den Besitz
-der Aktien und bis zu einem gewissen Grade auch in die Verwaltung der
-Aktiengesellschaften tragen. Emil Rathenau hat niemals unter Verzicht
-auf das Aktienagio Pari-Aktien oder gar Gratis-Aktien ausgegeben, er
-hat andererseits auch niemals das Agio bis zur letzten Grenze oder
-gar noch darüber hinaus ausgenutzt. Er ging einen Mittelweg, der alle
-Bedürfnisse des gesellschaftlichen Interesses, des Aktionärinteresses
-und des Kapitalmarktes zu berücksichtigen suchte. Ebenso wie die Rente
-und den Aktienkurs suchte er auch das Aktienagio stabil oder doch in
-stabiler, das heißt stetiger Aufwärtsbewegung zu halten.
-
-Damit waren der Grundrente nicht nur günstige, sondern auch sichere
-Verhältnisse geschaffen und das Verhältnis zwischen Kapital plus
-inneren und äußeren Reserven auf der einen Seite und dem Umsatz,
-dem Gewinn und dem Unternehmerrisiko auf der anderen Seite blieb in
-den Formen des Ebenmaßes und Gleichgewichts, die auf Produktion und
-Kalkulation vorteilhaft und festigend einwirkten und in guten Zeiten
-angenehme Überraschungen nicht übermäßigen Umfanges, in schlechten
-Zeiten niemals allzu unangenehme Enttäuschungen bringen konnten.
-Das finanzielle Traggerüst war so gezimmert, daß es auf die denkbar
-größte Belastung eingerichtet war. Dieses Ideal der Sicherheit, das
-für Rathenau mit dem der +allgemeinen und durchschnittlichen+
-Wirtschaftlichkeit zusammenfiel, wurde soweit verfolgt, daß darüber
-die Wirtschaftlichkeit in manchen Einzeldingen allerdings auch außer
-acht gelassen wurde. Dies zeigt sich vornehmlich auch in der von
-Jahr zu Jahr größeren +Anhäufung von baren Mitteln+, die nicht
-im Betriebe werbend angelegt, sondern in Form von Bankguthaben stets
-greifbar gehalten wurden und fast immer die Hälfte des nominellen
-Aktienkapitals, so gewaltig dieses auch zuletzt anwuchs, erreicht
-haben. Der Zweck dieser Bankguthaben, in denen ja allerdings nicht
-allein die Barmittel der A. E. G. selbst vereinigt waren, sondern
-auch ein Teil der überschüssigen Gelder des ganzen Konzerns zum
-Ausdruck kam, bestand in der jederzeitigen völligen Unabhängigkeit
-von den Banken und vom Kapitalmarkte. Die Gesellschaft sollte stets
-bereit und fähig sein, neue Projekte und Geschäfte, die sich ihr vom
-technischen oder industriellen Standpunkte aus boten, durchzuführen,
-gleichgültig, ob die Zeitverhältnisse oder die kapitalbeherrschenden
-Geldmächte solche Unternehmungen gerade begünstigten oder nicht. Bis zu
-einem gewissen Grade war die Geldbeschaffung des Konzerns durch die
-Finanzgesellschaften sichergestellt. Ein Teil von deren Hilfskräften
-aber gerade sowie die eigenen Barmittel der A. E. G. waren in den
-Bankguthaben der A. E. G. (im Gegensatz zu den buchmäßigen Rücklagen,
-die möglichst verborgen gehalten wurden) sichtbar zusammengefaßt und
-mit einem gewissen Stolze zur Schau getragen, als deutliches Zeichen
-der finanziellen Macht und Stärke der Gesellschaft. Industriell ist
-diese Hauptreserve der Gesellschaft in den späteren Jahren selten in
-vollem oder auch nur größerem Umfange in Anspruch genommen worden,
-und das Beispiel anderer großer Industriekonzerne hat gezeigt, daß
-ein wohlfundiertes, gut rentierendes Unternehmen auch von außenher
-fast stets Investitionsmittel erhalten konnte, wenn es sie für
-wichtige Zwecke gebrauchte. Gerade erstklassige Großunternehmungen
-brauchen so riesige Barmittel nicht unbedingt, kleinere und weniger
-gefestigte Gesellschaften können sie sich wiederum nicht leisten.
-Eine rückschauende Kritik wird daher möglicherweise einmal zu dem
-Ergebnis kommen, daß diese großen Flüssigkeitsreserven in stärkerem
-Maße einen Luxus darstellten als die von den Aktionären viel
-heftiger bekämpften Buchreserven. Bei der Struktur unseres Kapital-
-und Bankenwesens, die immer mehr darauf zugeschnitten wurde, die
-einträgliche Industrieanlage vor den sonstigen Kapitalanlagen, der
-Staatsrente, dem Hypothekarkredit usw. zu bevorzugen, erscheint von
-einem industriellen Nützlichkeitsstandpunkte aus betrachtet diese
-übermäßige Anhäufung von Barmitteln für ein industrielles Unternehmen
-vielleicht nicht mehr unbedingt nötig. Vom finanziellen Standpunkte
-aus bedeutet die Barhaltung so großer Teile des Anlagekapitals, die
-nicht im Betriebe gewinnbringende Anlage finden, sondern im günstigsten
-Falle die Zinsen wieder einbringen, die sie kosten, bis zu einem
-gewissen Grade eine unwirtschaftliche Last. Emil Rathenau, der doch
-sonst moderne Entwickelungen so schnell begriffen, häufig sogar ihnen
-vorangegangen ist, kam in dieser Hinsicht von den Verhältnissen in den
-70er und 80er Jahren und den schlechten Erfahrungen, die er damals
-mit der „Berliner Union“, der Deutschen Edison Gesellschaft und den
-Städtischen Elektrizitätswerken gemacht hatte, niemals so recht los. Er
-bedachte nicht, daß sich in der Zwischenzeit nicht nur sein Unternehmen
-bis zu einer Größe und Kraft entwickelt hatte, die es den Banken unter
-keinen Umständen hätte geraten erscheinen lassen, seine Bedürfnisse zu
-ignorieren, sondern daß auch Bankwesen und Kapitalmarkt sich inzwischen
-gewandelt und zu größerer Aufnahmefähigkeit und Aufnahmewilligkeit
-für Industriefinanzierungen vertieft hatten. Wenn sich trotzdem auch
-der Grundsatz der Unabhängigkeit von Banken und Kapitalmarkt für ein
-großindustrielles Unternehmen sehr wohl billigen ließ, so ist doch
-die Übertreibung dieses Grundsatzes, die durch Ansammlung übergroßer
-Barmittel eher umgekehrt eine Beherrschung der Banken anstrebte, nicht
-ebenso ganz zu rechtfertigen.
-
-Die +Krisengefahr+ konnte -- wie sich wiederholt gezeigt hat --
-die übermäßige Höhe der unwirtschaftlichen Barmittel nicht hinreichend
-begründen, höchstens konnte man bis vor ein paar Jahren der Ansicht
-sein, daß die +Kriegsgefahr+ sie fordere. Der gegenwärtige
-Weltkrieg scheint aber -- wohl entgegen der vorher überwiegend
-herrschenden Meinung -- gerade diese Ansicht bis zu einem gewissen
-Grade widerlegt zu haben. Denn er hat -- wenn man von wenigen
-Gewerben, wie der Seeschiffahrt, absieht -- nicht die Folge gehabt,
-die Barmittel der industriellen Unternehmungen in Anspruch zu nehmen
-oder gar aufzubrauchen, sondern er hat im Gegenteil allenthalben diese
-Barmittel in ungeahntem Umfange vergrößert, und Verhältnisse, wie
-sie in dieser Hinsicht vor dem Kriege nur bei einer Minderzahl von
-Gesellschaften, besonders bei der A. E. G., bestanden, für die Mehrzahl
-der Industrieunternehmungen geschaffen. Das Barreservensystem ist im
-Kriege typisch für die deutsche Gesamtindustrie geworden, bei den
-Kriegsmaterialunternehmungen infolge übernormaler Gewinnansammlungen,
-bei vielen Friedensunternehmungen infolge einer immer weiter
-fortschreitenden Liquidierung ihrer Betriebsmittel (Vorräte,
-Außenstände usw.). Welche Wirkung allerdings in dieser Hinsicht ein
-unglücklich verlaufender Krieg gehabt haben würde, der ja auch zu einer
-Besetzung großer deutscher Industriegebiete durch den Feind hätte
-führen können, ist eine andere Frage, die uns veranlassen muß, das
-Urteil über das industrielle Barreservensystem immerhin mit einiger
-Vorsicht abzugeben.
-
-Gerade wenn wir uns die Reserven- und Finanzpolitik Emil Rathenaus
-ansehen, mit ihrer Fülle von verwickelten Erscheinungen und Formen, von
-Mitteln und Zwecken, und ihren wenigen einfachen, manchmal vielleicht
-übertrieben vereinfachten Resultaten, in die am Ende alle diese Ströme
-münden, so finden wir einen der stärksten Grundzüge Rathenauschen
-Wesens und Strebens bekräftigt, der sich auch auf allen anderen seiner
-Wirkungsgebiete nachweisen läßt: +den Drang vom Komplizierten zum
-Einfachen+. Menschen kleineren und mittleren Wuchses beginnen häufig
-mit dem Einfachen und gelangen im Laufe ihrer Tätigkeit immer mehr zum
-Komplizierteren. Ganz anders Rathenau. Seine Anfänge waren kompliziert.
-Er besaß eine erdrückende Fülle der Formen und Möglichkeiten in sich,
-in ihm gärte, wie in vielen genialen Charakteren, ein Chaos, das nach
-Ausdruck, nach Gestaltung rang. Jede Unfertigkeit, jede Unklarheit
-und Ungelöstheit war ihm dabei eine Qual und so strebte er naturgemäß
-nach ihrer Beseitigung. Den Mitlebenden mag die erste Schaffensperiode
-Rathenaus wirr, unübersichtlich und sprunghaft erschienen sein. Sie
-mußte Außenstehenden und in Sonderheit oberflächlich Urteilenden wohl
-auch so erscheinen, wenngleich die mannigfaltigen Kräfte Rathenaus wohl
-innerlich stets schon nach bestimmten Richtungen und Zielen gedrängt
-haben. Erst die zweite Periode brachte -- auch nach außenhin erkennbar
--- die Vereinfachung, die Zusammenfassung der auf verschiedenen Wegen
-vorwärts strebenden Tendenzen. Auch dieser kaufmännische Stratege
-folgte -- wenn auch bis zu einem gewissen Grade unbewußt -- dem
-Grundsatz: „Getrennt marschieren und vereint schlagen“. Und nun trat
-das ein, was stets bei den Leistungen großer Männer zu geschehen
-pflegt. Was während des mühevollen Arbeitens und Ringens solcher
-Männer den Zuschauern unentwirrbar, fragwürdig, im Ziele unklar, im
-Ausgang zweifelhaft erschien, wurde nach erreichten Resultaten allen
-so einleuchtend, so selbstverständlich, daß es gar nicht anders hätte
-kommen können, daß alle schon vorher gewußt und vorher gesagt haben
-wollten, wie es kommen würde. Ein großes Beispiel aus der Geschichte:
-Die Bismarcksche Reichsgründung, von der wir Nachgeborenen den
-Eindruck haben, daß die ganze vorherige Entwickelung mit Notwendigkeit
-darauf hindrängte, die aber doch von ihrem Schöpfer nicht mit wenigen
-mächtigen Hammerschlägen gefügt, sondern aus vielen Möglichkeiten,
-gegen hundert Widerstände und Mißhelligkeiten im erbitterten Ringen
-mit sich selbst und der Umwelt, unter aufreibenden Kleinkämpfen
-durchgesetzt wurde. Wenn man mit dem gewaltigen politischen Werk
-Bismarcks die in ihrer Art gleichfalls imposante Leistung eines großen
-Industrieschöpfers vergleichen darf, so hat sich das Urteil der Welt
-ihr gegenüber mit dem Erfolge in ähnlicher Weise gewandelt. Aber erst
-die lapidaren Linien der Resultate ließen auch die innere Arbeit
-erkennen, die das Ringen um sie verursacht haben mußte.
-
- * *
- *
-
-In dem Bilde des finanziellen Charakters Emil Rathenaus ist einer der
-Hauptzüge die Meisterschaft, mit der er die Aktie behandelte, und es
-ist kaum glaublich, daß derselbe Mann, dessen ganzes öffentliches
-Wirken auf der Grundlage des Aktienwesens aufgebaut ist, im Privatleben
-eine unüberwindliche Scheu vor Aktienerwerb und Aktienbesitz hatte.
-Das ist kaum glaublich und doch müssen wir, da es von Personen,
-die ihm nahestanden, übereinstimmend versichert wird, wohl daran
-glauben, ohne es allerdings hinreichend verstehen und erklären zu
-können. Der kleinbürgerliche Privatcharakter, den wir ja auch schon
-in anderem Zusammenhange in Gegensatz zu seinem geschäftlichen
-Weltbürgertum stellen mußten, scheint sich hier von dem Netzwerke der
-höchstpersönlichen Begebnisse nicht haben befreien zu können mit dem
-Ergebnis, daß Rathenau für sich selbst, und auch für Freunde, die Rat
-von ihm verlangten, alles das abschwor, was er öffentlich verkündet
-hatte. Einem alten Freunde, der ihn einmal fragte, ob er denn jetzt
-A. E. G.-Aktien hinzu kaufen, oder seinen alten Besitz verkaufen
-solle, erwiderte er: „Sie können auch das Spekulieren nie lassen.“ Es
-mag Leute geben, die Emil Rathenau nach solchen Feststellungen für
-unehrlich halten werden und man könnte sich sogar denken, daß ein
-findiger Staatsanwalt für den Fall, daß Rathenaus vielverschlungene
-Aktiengründungen nicht zu einem großen Erfolg, sondern zu einem
-finanziellen Zusammenbruch geführt hätten, aus dem Gegensatz zwischen
-der öffentlichen und der privaten Stellung zur Aktie so etwas wie
-den „bösen Glauben“ konstruiert haben würde. Als feiner Psychologe
-hätte er sich dabei allerdings nicht erwiesen, denn man wird diesen
-Widerspruch nicht klären, wenn man den öffentlichen Charakter Rathenaus
-der Unehrlichkeit, sondern wenn man den privaten Charakter einer
-schrullenhaften Schwäche zeiht. Zweifellos ist Emil Rathenau, dieser
-größte Meisterer des Aktienwesens, die tiefinnerliche Abneigung gegen
-die Aktie nie losgeworden, die ihn schon beherrschte, als er in der
-Gründerzeit gegen die Umwandlung der Maschinenfabrik Webers in eine
-Aktiengesellschaft längere Zeit Widerstand leistete. Da er aber ohne
-sie seine industriellen Pläne nicht ausführen konnte, mußte er sie
-wohl oder übel benutzen, denn sein Drang zum industriellen Schaffen
-war schließlich doch noch größer als seine Abneigung gegen die Aktie.
-Gewissermaßen um sein Gewissen zu beschwichtigen, hat er die Aktie in
-seinem Machtbereich durch die Reservenpolitik immer mehr der Obligation
-angenähert, sozusagen aus ihr ein Surrogat für das festverzinsliche
-Papier gemacht, ohne daß er sich doch entschließen konnte, für seine
-Person von diesem Surrogat Gebrauch zu machen. Als reicher und dabei
-bedürfnisloser Mann war er auf die paar Prozent Mehrzinsen, die ihm die
-Aktie vor der Staatsrente, der Hypothek brachte, nicht angewiesen.
-
-Doppelseitig wie die Stellung Rathenaus zur Aktie war auch die zu
-den Aktionären. Er verachtete und ignorierte die Kapitalisten, die
-ihr Geld ihm und seinen Gesellschaften anvertrauten, keineswegs,
-wie das manche Selbstherrscher des Aktienwesens tun, von denen die
-Aktionäre nur als Objekte, nicht als Subjekte der aktienrechtlichen
-Gesetzgebung und der aktiengesellschaftlichen Interessen betrachtet
-werden. Für Emil Rathenau stand das Interesse der Aktionäre sehr hoch
-und wurde von ihm mit peinlicher Gewissenhaftigkeit wahrgenommen. Bei
-allen Maßnahmen, die er traf, bei allen Vorschlägen, die er machte,
-fragte er sich und seine Mitarbeiter stets: „Was werden die Aktionäre
-dazu sagen, wie schneiden die Aktionäre dabei ab?“ Diese Frage
-beschäftigte ihn unausgesetzt und spielte bei seinen Entschließungen
-eine wichtige Rolle. Er fühlte sich durchaus als Sachwalter fremden
-Vermögens, und in der Tat waren seine Maßnahmen, selbst wenn sie von
-Generalversammlungs-Oppositionen heftig bekämpft wurden, auch vom
-Standpunkte der Aktionäre aus betrachtet, fast immer wohlüberlegt.
-Jedenfalls kann Emil Rathenau kein Fall nachgewiesen werden, in dem
-er berechtigte Interessen der Aktionäre verletzt und Ansprüche,
-die von einem höheren Gesichtspunkte aus begründet waren, nicht zu
-erfüllen versucht hätte. Aber formell erkannte er den außenstehenden
-Aktionären nicht das Recht zu, sich über wichtige gesellschaftliche
-Fragen, die nur aus der Kenntnis der inneren Verhältnisse und Vorgänge
-bei dem Unternehmen begriffen werden konnten, ein Urteil anzumaßen,
-das an fachmännischem Gehalt dem der Verwaltung gleichwertig gewesen
-wäre. Der Tag der Generalversammlung war für Rathenau durchaus
-keine bloße Formalität, keine unbequeme Äußerlichkeit, der aus
-gesetzlichen Gründen genügt werden und die man so schnell als möglich
-erledigen mußte. Er schilderte den Aktionären seine Beweggründe so
-ausführlich, wie er das mit den geschäftlichen Interessen der Firma
-vereinbaren zu können glaubte, gab Auskunft, so weit er es für irgend
-tunlich hielt und gewährte den Aktionären volle Rede-, Frage- und
-Beschwerdefreiheit. In seinen Entschlüssen ließ er sich aber fast nie
-durch sie umstimmen, zumal sie ihm selten etwas Neues vortrugen, einer
-Frage eine Beleuchtung geben konnten, in der er sie nicht schon selbst
-gesehen hatte. Er pflegte ja die ihm vorliegenden Probleme nach allen
-Seiten hin zu durchdenken, sie immer wieder hin- und herzudrehen, ehe
-er zu einem Ergebnis kam. Sein Sohn Walther hat nach dem Tode des
-Vaters einmal Aktionären, die der Ansicht waren, neue Gesichtspunkte
-zur Beurteilung einer Angelegenheit beigebracht zu haben, das Wort
-zugerufen: „Glauben Sie denn nicht, daß wir Phantasie genug besitzen,
-um uns ungefähr alle Einwände, die Sie hier in der Generalversammlung
-vorbringen könnten, schon vorher vorzulegen und sie in Erwägung zu
-ziehen?“ -- Die Aktionäre antworteten auf diesen Ausspruch, -- der ganz
-und gar aus dem Geiste Rathenaus, des Vaters, gesprochen war, wenn
-dieser ihm vielleicht auch nicht die schlagfertige, scharf pointierte
-Fassung gefunden haben würde, -- daß dann ja die Generalversammlung
-nur eine Farce sei und es sich für die Aktionäre nicht lohne, sie zu
-besuchen und in ihr das Wort zu ergreifen. In der Tat läßt sich mit
-einer solchen Aktionärpolitik mancher Mißbrauch treiben, denn keine
-Verwaltung ist unfehlbar und es gibt Fälle, in denen der Außenstehende
-mehr und schärfer sieht, eine bessere Distanz zu den Dingen hat, als
-die doch immerhin im Geschäftsgang befangene Verwaltung. Rathenau hat
-sich solchen Mißbrauch aber eben nie zu schulden kommen lassen. Wenn
-man heute zurückschauend die verschiedenen Kämpfe zwischen ihm und den
-Aktionären betrachtet, so wird man finden, daß +in der Sache+
-fast stets Rathenau recht gehabt hat, und daß die Anträge und Wünsche
-der Aktionäre, wenn ihnen Folge gegeben worden wäre, die A. E. G. von
-der finanziellen Richtung, die sie mit so großer Konsequenz und mit
-so glänzendem Erfolge innehielt, abgelenkt und vielleicht etwas ganz
-anderes aus ihr gemacht hätten.
-
-Niemals ist Emil Rathenau in den Generalversammlungen wegen Schäden,
-fehlerhafter oder schlechter Führung der Geschäfte angegriffen worden,
-sondern das in allen Versammlungen mit seltener Regelmäßigkeit
-wiederkehrende Thema der Opposition waren die angeblich zu niedrigen
-Dividenden. „Tun Sie doch nicht immer nur in den Spartopf hinein,
-sondern nehmen Sie doch auch einmal etwas für die Aktionäre heraus.“ --
-„In guten Zeiten sammeln Sie für die schlechten, in schlechten nehmen
-Sie nichts von den Notreserven, sondern sammeln weiter im Hinblick
-auf die ungeklärte Lage.“ -- „Was nützen uns die Reserven, von denen
-man versprochen hat, daß sie uns einmal zugute kommen werden, wenn
-erst unsere Enkel den Vorteil davon haben sollen.“ -- So und ähnlich
-lauteten die manchmal ganz witzig und klug zugespitzten Wendungen, mit
-denen man ihn -- nicht selten mit Argumenten aus dem Arsenal seiner
-eigenen Logik -- zu schlagen und aus seiner Festung herauszulocken
-suchte. Emil Rathenau blieb kühl bis ans Herz hinan. Er war nicht
-so gewandt wie sein Sohn Walther, der als Aufsichtsratsvorsitzender
-resigniert zu entgegnen pflegte: „Es hat keinen Zweck, der Opposition
-entgegen zu kommen, denn gleichgültig, welche Dividende wir auch
-vorschlagen, es wird stets eine Erhöhung um 2% beantragt werden.“ Wenn
-die Opposition heftig oder gar in der Form verletzend wurde, so konnte
-allerdings auch Emil Rathenau in Harnisch geraten und seine Worte waren
-dann manchmal von einer Bitterkeit, einer persönlichen Gereiztheit,
-die er ruhigen Blutes wohl selbst als zu weit gehend erkannt haben
-würde. -- Zu derart heftigen Kämpfen kam es aber nur in einigen wenigen
-Versammlungen, so in der vom 12. Dezember 1905, als der Führer der
-Opposition, Rechtsanwalt Elsbach, nachdem er die Bilanz undurchsichtig,
-den Geschäftsbericht einen furchtbaren Blender genannt und dem
-Generaldirektor vorgeworfen hatte, daß er seine Versprechungen nicht
-gehalten habe, seine Rede mit den Worten schloß: „Wir bitten nicht
-mehr, fordern wollen wir. Wir sind hier im eigenen Hause und stehen vor
-den Verwaltern unseres Vermögens.“ -- Rathenau entgegnete aufbrausend:
-„Wenn wir in derartiger wenig taktvoller Weise angegriffen, ja
-persönlich besudelt werden, so können wir nichts anderes tun, als Ihnen
-unseren Platz zur Verfügung zu stellen.“ -- Erst Fürstenberg, der kluge
-Dialektiker, der die Verhandlungen gewöhnlich anstelle der dekorativen
-Aufsichtsratsvorsitzenden mit dem Staatssekretärstitel leitete, konnte
-durch seine schlagfertigen Bemerkungen die Situation in solchen Fällen
-wieder einigermaßen herstellen. Derart scharfe Zusammenstöße bildeten
-aber Ausnahmen. Im allgemeinen verliefen die Generalversammlungen ruhig
-und sachlich, und wenn die Aktionäre auch durch sie keinen Einfluß auf
-die Verwaltung zu gewinnen vermochten, so waren diese Tage doch für
-die Besucher nicht selten recht interessant und lehrreich, und diese
-konnten stets die Beruhigung mit davon tragen, daß die Verwaltung ihres
-Vermögens in guten Händen sei.
-
-
-e)
-
-Wenn in der Presse die Unergiebigkeit unseres politischen Lebens, das
-angeblich niedrige Niveau unserer Parlamente und Parlamentsdebatten
-beklagt wird, so empfiehlt man häufig als Abhilfe die Zuwahl unserer
-geistigen und gewerblichen Führer in den Reichstag oder Landtag,
-da man von ihnen glaubt und hofft, daß sie mit ihren anderwärts
-bewährten überlegenen Persönlichkeitswerten auch das parlamentarische
-Leben befruchten, neue und größere Gesichtspunkte in den Kleinkram
-der geschäftspolitischen Verhandlungen bringen könnten. Die Stände
-des Handels und der Industrie haben es auch oft genug beklagt, daß
-ihre Vertreter in den Parlamenten weit spärlicher zu finden seien
-als zum Beispiel Persönlichkeiten aus der Landwirtschaft. Ob die
-so ausgesprochenen Gedanken und Wünsche allgemein betrachtet einen
-berechtigten Kern haben, ist mir stets zweifelhaft gewesen. Die
-Beschäftigung mit der Politik stellt ihre eigenen Ansprüche, fordert
-ihre eigenen Maßstäbe. Nicht geistiges, industrielles oder agrarisches
-Talent ist zu ihrer Ausübung erforderlich, sondern politisches,
-daneben auch politische Leidenschaft. Sie fordert heute bei der Fülle
-der Facharbeit, die im parlamentarischen Leben zu erledigen ist, den
-ganzen Mann, und ist nicht mit den paar beschäftigungslosen oder der
-eigentlichen Beschäftigung abgerungenen Stunden zufrieden, die ihr
-ein auf anderem Gebiete voll in Anspruch genommener Mann etwa widmen
-könnte. Beim Landwirt liegen die Verhältnisse meist etwas anders.
-Die agrarischen Führer sind fast durchweg Berufspolitiker, die aus
-landwirtschaftlichen Kreisen stammen und die Interessengesichtspunkte
-ihrer Herkunft mit in das politische Leben hinübernehmen. Üben
-sie eine landwirtschaftliche Tätigkeit noch aus, so ist sie meist
-nebensächlicher Natur. Es fehlt ihr auch fast stets der schöpferische
-Inhalt, der den großen Industriellen so stark ausfüllt und beansprucht,
-daß er kaum eine seiner Hauptkräfte für eine ganz anders geartete
-politische Tätigkeit einsetzen kann. Für die Richtigkeit dieser
-Ansicht sprechen die Erfahrungen, die wir mit bedeutenden Kaufleuten
-in ihrer parlamentarischen Praxis gemacht haben. In ihrer besten
-schaffenskräftigsten Zeit waren sie nur selten gute, vollgültige
-Politiker. Man wird vielleicht auf Männer wie Hansemann und Camphausen
-verweisen. Aber diese gehörten einer anderen Zeit an. Damals lag
-das wirtschaftliche Leben ganz auf der Linie des politischen. Die
-Wirtschaft wollte frei werden wie der Staatsbürger. Beide hatten
-denselben Weg. Inzwischen ist die wirtschaftliche Freiheit schneller
-zum Ziele gelangt als die politische. Statt nach Zielen orientierte
-sich die Wirtschaft nunmehr nach Interessen. Das war auch auf die
-Stellung der Industriellen nicht ohne Einfluß geblieben. Sie waren
-nun meistens Interessenten, ähnlich wie die Agrarier, nur nicht
-auf einem so geschlossenen und in sich einheitlichen Gebiet wie
-der Landwirtschaft, sondern auf ihrem eigenen Sondergebiete, das
-ja in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht durchaus nicht von
-denselben Interessen beherrscht zu werden brauchte, wie irgend ein
-anderes, nicht minder wichtiges, aber auch nicht minder beschränktes
-Wirtschaftsgebiet. Es gibt Gewerbe, die schutzzöllnerisch sind, andere
-die dem Freihandel zuneigen, es gibt Gewerbe, deren Vertreter politisch
-rechts, andere, deren Vertreter politisch links stehen. Der Hansabund,
-dessen unorganische Zusammensetzung im Gegensatz zu dem homogenen Bund
-der Landwirte schnell zutage trat, ist ein sprechendes Beispiel für
-diese politische Zerfallenheit der Handels- und Industriekreise. Die
-höheren politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte, die früher
-in unserem parlamentarischen Leben zur Geltung kamen, vermochte er
-ebensowenig zurückzubringen, wie das die stärkere Zuwahl bedeutender
-Gewerbetreibender in unsere Parlamente tun könnte, wenn diese nicht
-zugleich einen entwickelten Sinn für Dinge des Gemeinwohls, für
-staatsbürgerliche und staatsgesellschaftliche Interessen hätten.
-
-Emil Rathenau gingen diese Interessen so gut wie völlig ab. Auf seinem
-Fachgebiete universell, in allem Können und Wissen, das diesem
-Fachgebiete irgendwie nützen konnte, unbestrittener Meister, schloß
-er sich von Gesichtspunkten und Fragen des Gesamtinteresses fast
-ebenso entschieden ab, wie von den schönen Künsten, den theoretischen
-Wissenschaften und ähnlichen für ihn abseits liegenden Dingen. Sein
-Leben war so ganz von der Sphäre durchdrungen, in der es zur Vollendung
-gelangte, daß er sicher keine Zeit, und ebensowenig Neigung zu Dingen
-hatte, in denen er es höchstens zu halben Resultaten hätte bringen
-können. Die Mehrzahl der +intensiven+ Schöpfer ist so organisiert,
-ihre Kraft ist an den Boden gebannt, dem sie entwuchs, und nur ganz
-frei und leicht schaffenden Naturen ist es manchmal gegeben, daß ihnen
-ihre Genialität auch auf anders geartete Gebiete folgen darf. Emil
-Rathenau war ein überwiegend naiver Schöpfer, aber darum wurde ihm
-sein Werk nicht leicht. Sein Ringen mit ihm verzehrte alle Kräfte.
-So blieb er denn auch ganz in seinem Werk und dessen Dunstkreise
-befangen. Seine Tätigkeit für gemeinwirtschaftliche Fragen beschränkte
-sich auf eine vorübergehende Gastrolle, die er im Ältestenkollegium
-der Berliner Kaufmannschaft gab. Nach dem Tode seines Sohnes Erich
-zog er sich auch von dieser Tätigkeit und der damit verbundenen
-Geselligkeit zurück. Allgemeine wirtschaftspolitische Anschauungen
-besaß er vielleicht, sie waren aber nach den Interessen seines
-Faches orientiert, ein freies wirtschaftspolitisches Weltbild wurde
-nicht daraus. Er war gegen Kartelle, weil sie der elektrotechnischen
-Industrie nicht „lagen“, er war gegen die hohen Schutzzölle, weil seine
-Industrie einen ausländischen Wettbewerb im Inlande nicht zu befürchten
-brauchte und andererseits stark auf den Export angewiesen war. Er war
-in diesen Dingen Interessent, besaß aber Takt und Selbsterkenntnis
-genug, um seine privatwirtschaftlichen Interessen nicht im Gewande
-des Volkswirts der Allgemeinheit aufzudrängen. Einmal hat er, befragt
-von einer illustrierten Zeitschrift (Illustrierte Zeitung, 27. Januar
-1910), sich über Zollfragen öffentlich ausgelassen. Die Äußerung ist so
-interessant, daß sie hier wiedergegeben werden soll.
-
- „Als Nichtpolitiker möchte ich mich einer Antwort auf die
- erste Frage enthalten, wie sehr ich auch die Bedeutung des
- darin angeregten schiedsgerichtlichen Vertrages für die
- deutsch-französischen Beziehungen und für das gesamte Kulturleben
- zu schätzen weiß.
-
- Mehr berechtigt halte ich mich zur Beantwortung der zweiten
- Frage, die das wirtschaftliche Verhältnis der beiden Länder
- betrifft. Sie bietet mir eine willkommene Gelegenheit, zunächst
- einige grundsätzliche Bemerkungen zu machen. Das unter der Parole
- „Schutz der nationalen Arbeit“ betriebene System hat nunmehr zwar
- schon eine langjährige Geschichte, indes ist damit noch nicht
- ohne weiteres seine Berechtigung erwiesen. Vorteilhafter ist es
- vielmehr, wenn eine Ware möglichst da produziert wird, wo die dafür
- günstigsten Bedingungen gegeben sind. Statt dessen hat es das
- Schlagwort vom Schutz der nationalen Arbeit mit sich gebracht, daß
- heute nicht mehr bloß jedes Land, sondern auch die verschiedenen
- Städte, ja selbst kleine Gemeinden allerlei herstellen möchten,
- was geeigneter anderwärts und unter anderen Bedingungen geschaffen
- werden kann. Um Produktion und Konsum steht es am besten, wenn die
- denkbar höchste Qualität unter möglichst niedrigen Kosten erreicht
- werden kann. Das läßt sich nur erzielen, wenn die Herstellung an
- dem dafür zweckmäßigsten Orte erfolgt, da, wo sie sich am ehesten
- im großen auf höchster Stufenleiter betreiben läßt. Statt dessen
- werden die Produktionsstätten verengt, wenn die Länder sich
- gegeneinander absperren, und wenn dem Vorbilde, das diese in ihrem
- Verhalten zueinander geben, auch Städte und Gemeinden innerhalb der
- einzelnen Länder folgen.
-
- Dieser Auffassung von den Nachteilen des Schutzzollsystems
- pflegen die Vereinigten Staaten von Amerika als ein Beispiel
- entgegengehalten zu werden, das für die Ersprießlichkeit der
- Schutzzölle spreche. Indes nehmen die Vereinigten Staaten eine
- Ausnahmestellung ein. Ich werde da an eine Begegnung mit Mac Kinley
- erinnert. Wir sprachen über den teueren Lebensunterhalt in Amerika
- und ich bezeichnete ihn als eine nachteilige Wirkung der von Mac
- Kinley so eifrig vertretenen Hochschutzzölle. Er stimmte meiner
- Verurteilung dieses Systems und meiner Befürwortung des freien
- Handels im Prinzip zu, nur wollte er meinen Standpunkt nicht für
- die Vereinigten Staaten gelten lassen. Sie bildeten ein Land für
- sich, das auf das Ausland nicht angewiesen wäre. Amerika sei als
- eine Art Robinson Crusoe imstande, seine Bedürfnisse vom Rohprodukt
- bis zum letzten Fabrikat selber herzustellen.
-
- Mindestens bis zu einem gewissen Grade ist dieses Urteil Mac
- Kinleys in der Tat berechtigt. Die sich auf achtzig Millionen
- belaufende Bevölkerung der Vereinigten Staaten stellt einen
- Konsumenten von ungewöhnlicher Größe dar. Da sie zudem fast
- völlig einheitlich in ihrer Sprache, ihren öffentlichen
- Einrichtungen und ihren Lebensgewohnheiten ist, hat sie mehr als
- die Bevölkerung anderer Länder die Möglichkeit, ihre Bedürfnisse
- durch Massenfabrikation zu befriedigen. Indem damit der Arbeit
- der Maschine ein so viel größerer Spielraum gewährt ist, wird die
- Produktion durch die Höhe der Löhne für menschliche Arbeit nur
- verhältnismäßig wenig benachteiligt. Die übrigen Produktionsmittel
- aber stehen dem Lande in der größten Mannigfaltigkeit und Fülle zur
- Verfügung.
-
- Anders die europäischen Länder. Deutschland mit seinen sechzig,
- Frankreich mit vierzig Millionen Einwohnern bleiben in der
- Bevölkerungszahl hinter der amerikanischen stark zurück. Dazu ist
- die Bevölkerung und damit auch die Befriedigung ihrer Bedürfnisse
- hier um vieles differenzierter. Und weiter ist keines dieser Länder
- mit den vielseitigen und reichen Naturschätzen bedacht, die den
- Vereinigten Staaten beschieden sind. In Frankreich ist, da es über
- Kohle und Erz nur in relativ unzureichenden Mengen verfügt, der
- Betrieb von Gewerben, in denen es auf Massenfabrikation ankommt,
- erschwert. Er ist vergleichsweise so viel mehr für Deutschland
- geeignet, dem jene Roh- und Hilfsmaterialien in umfassender
- Menge zu Gebote stehen. Hinwiederum sind Frankreich in manchen
- seiner Weine und in deren vorzüglicher Kultur, sowie in dem durch
- jahrhundertlange Tradition überlegenen Kunst- und Luxusgewerbe
- Produktionszweige gegeben, in denen es berufen ist, die Bedürfnisse
- des Auslandes, unter anderm auch die Deutschlands, zu befriedigen.
-
- Aus dieser meiner Auffassung ergibt es sich als selbstverständlich,
- daß ich alle Schritte, die das bisherige handelspolitische
- Verhältnis Deutschlands zu Frankreich bessern könnten, mit voller
- Sympathie begrüße. Da die hier veranstaltete Umfrage die Anregung
- gibt, „in einem bestimmten Punkte Vorschläge zu machen“, liegt es
- mir nahe, im Hinblick auf etwaige Besprechungen zwischen den beiden
- Regierungen Frankreich darauf hinzuweisen, von welcher Bedeutung
- es für die französische Bevölkerung wäre, wenn ihr die Möglichkeit
- geboten würde, elektrotechnische Fabrikate, für deren Herstellung
- in Deutschland die günstigeren Voraussetzungen bestehen, billiger
- und leichter, als es bisher möglich ist, zu beziehen.
-
- Die deutsche Elektrotechnik nimmt in Europa eine führende
- Stellung ein. Der Vorsprung, den sie erreicht hat, läßt sich
- anderwärts in absehbarer Zeit nicht einholen. Es wäre demnach
- natürlich, daß die Nachbarländer sich die Leistungen der deutschen
- Elektrizitätsindustrie zunutze machten, zumal es keinerlei
- Beschäftigung oder Beruf gibt, in denen die Elektrizität
- nicht in irgend einer Weise Verbesserungen der Arbeits- und
- Lebensbedingungen mit sich bringt. Für die Erzeugnisse der
- elektrotechnischen Industrie besteht aber zwischen Frankreich
- und Deutschland keine handelsvertragliche Verständigung. Die
- Zollschranke, die Frankreich zwischen sich und der Schweiz
- aufgerichtet hat, und die die elektrotechnische Industrie im
- besonderen Grade trifft, gilt laut Vertrag vom Jahre 1871 unter der
- Bezeichnung einer „Meistbegünstigung“ auch für die deutsche Einfuhr
- nach Frankreich. Wenn ein Handelsabkommen zwischen Deutschland
- und Frankreich zustande käme, das den Erzeugnissen der deutschen
- Elektrotechnik die französische Grenze öffnete, würde Frankreich
- damit die Teilnahme an den Fortschritten der Industrie erleichtert
- werden. Für den Vorteil, der sich daraus zugleich für Deutschland
- ergäbe, könnten Frankreich Zugeständnisse bei der Einfuhr seiner
- Weine und kunstgewerblichen Fabrikate gemacht werden. Das hätte
- auch für Deutschland den Vorteil, daß die Lebensfreude hier durch
- die Erzeugnisse Frankreichs gehoben würde.
-
- Statt daß die Lebenshaltung des einen Landes durch die Zollmauer,
- die es von dem andern trennt, niedergehalten wird, schüfe ein
- auf der Grundlage freieren Warenaustausches sich aufbauendes
- Handelsabkommen eine Harmonie der Interessen, die hier und dort
- Arbeit und Genuß mehrten und erleichterten.“
-
-Wir sehen also: Am Anfang ganz gescheite, wenn auch nicht
-übermäßig originelle Ausführungen prinzipieller Natur. Sobald
-aber die Nutzanwendung kommt, steuern sie in das Fahrwasser
-einer Interessenpolitik, die nur auf den Nutzen für die eigene
-Industrie, nicht auf eine wirklich tief durchdachte und objektive
-wissenschaftliche Begründung Wert legt. Hätte Emil Rathenau, als er zu
-schaffen anfing, den Vorsprung, den sich damals Amerika und England in
-der elektrotechnischen Industrie errungen hatten, als etwas gegebenes
-hingenommen und auf eine eigene Betätigung in dieser Industrie
-verzichtet, so würde er nie die A. E. G. geschaffen und zu der ersten
-Elektrizitätsgesellschaft der Welt gemacht haben.
-
-
-f)
-
-Wie ist Emil Rathenau, der die +Sachen+ im allgemeinen so
-trefflich zu behandeln verstand, nun mit +Menschen+ umgegangen?
--- Man könnte vielleicht sagen: Wie mit den Sachen, -- wenn dem Worte
-nicht ein gewisser herabsetzender Beiklang von Gefühllosigkeit,
-von Herzenskälte innewohnte, der in Rathenaus Art, mit Menschen zu
-verkehren, vielleicht manchmal, aber durchaus nicht immer enthalten
-war. Rathenau konnte kühl und uninteressiert, ja schroff und ablehnend
-sein, aber er war durchaus keiner von den Menschen, die über Leichen
-gehen. Er hatte darum für eine so ausgesprochene Eroberernatur
-eigentlich wenig persönliche Konflikte. Er war Gefühlsregungen
-keineswegs unzugänglich und Personen gegenüber, die ihm menschlich
-nahe standen, sogar großer Zartheit fähig. Man konnte seine Art,
-Menschen zu behandeln, eher „sachlich“ nennen, wenn diese Sachlichkeit
-nicht gelegentlich durch persönliche Stimmungen, Gereiztheiten und
-sogar Ungerechtigkeiten getrübt worden wäre. Am besten wird man sein
-Verhältnis, seinen Umgang mit Menschen vielleicht mit dem Worte
-„direkt“ kennzeichnen. Er kannte im Verkehr mit Menschen keine
-Umschweife, keine Nebenwege, keine Umhülltheiten, mit einem Worte keine
-Indirektheiten. Er hielt mit nichts zurück, und täuschte nichts vor.
-Er sagte ehrlich, was er dachte, war in Lob und Tadel, in Anerkennung
-und Kritik offen. Rücksichten auf Stand, Rang und Alter nahm er dabei
-nicht, und er hat einmal -- wie mir ein Augenzeuge berichtete -- eine
-hochgestellte Persönlichkeit seines Konzerns, einen Exzellenzherrn
-in Gegenwart von dritten ziemlich brüsk zur Rede gestellt, weil
-dieser eine von ihm übernommene Aufgabe nicht zu seiner Zufriedenheit
-ausgeführt hatte. Aber so sehr sein Tadel verletzen konnte, so tief
-konnte sein Lob beglücken. Für Mitarbeiter, die viel mit ihrem Chef in
-Berührung kamen, gab es keine schönere Belohnung als eine Anerkennung
-des Meisters, nicht nur deswegen, weil sie selten war, sondern weil
-er ihr oft eine menschlich-warme, den Belobten innerlich berührende
-Form zu geben verstand. Eine so direkte Art der Menschenbehandlung
-war natürlich für das kaufmännische +Verhandeln+ nicht unter
-allen Umständen geeignet. Delikate Besprechungen, in denen zunächst
-sondiert werden mußte, in denen es darauf ankam, vorerst einmal nicht
-das ganze Ziel, die letzte Absicht, das eigentliche Interesse zu
-zeigen und aus dem Gegner, der sich ebenso vorsichtig, abwartend
-und berechnend verhielt, trotzdem das Wissenswerte herauszuholen,
-lagen ihm im allgemeinen nicht. Auch Verhandlungen, bei denen der
-Kontrahent nicht durch sachliche Gründe, sondern durch politische
-List, nicht durch den Inhalt, sondern durch die Form des Gesprächs
-gewonnen werden sollte, verstand Emil Rathenau, trotzdem er am
-Schreibtisch und im monologischen Denkprozeß nicht nur klug, sondern
-auch schlau zu argumentieren vermochte, nicht übermäßig gut zu
-führen. Der +Mensch+, der ihm gegenüber saß, zwang ihn mehr oder
-minder rasch zur Offenbarung seiner Karten. Die Ursprünglichkeit, die
-Ungeduld, das Endziel zu erreichen, sprengten den zurückhaltenden
-Gang umhüllter Unterredungen. Emil Rathenau vermochte im Gespräch
-schlagend, aber nicht ebenso schlagfertig zu sein. Während er im
-uninteressierten Fachgespräch gut zu plaudern verstand, waren für
-Einleitungsverhandlungen zu konkreten Geschäften andere im Konzern
-besser geeignet als er. Denn er sagte hier, wie auch in Zweckgesprächen
-mit Konkurrenten, Vertretern von Behörden usw. zu schnell und zu
-offen, alles was zu sagen und manchmal besser auch nicht zu sagen war,
-wie er denn überhaupt der Ansicht war, daß gute Geschäfte nur solche
-seien, die beiden Kontrahenten zum Vorteil gereichten. Vorsichtig
-zu behandelnde Einleitungsbesprechungen ließ er denn auch meist von
-seinen Direktoren oder von seinem Sohn Walther führen. Standen die
-Dinge aber so, daß eine offene Aussprache am besten zum Ziele führen
-konnte, das heißt handelte es sich um Geschäfte, die überhaupt ganz auf
-diese Weise erledigt werden konnten, oder waren die Erörterungen bei
-anderen Geschäften über das Stadium des Parlamentierens hinausgelangt,
-so war Emil Rathenau der richtige Mann. Dann wurde er zum glänzenden
-Verhändler. Kurz, sachlich, bestimmt formulierte er seinen Standpunkt,
-machte die Konzessionen, die er machen konnte, feilschte nicht viel und
-blieb unbeirrbar bei der Sache. Für Leute, die gleichfalls sachlich zu
-diskutieren verstanden, war es ein Vergnügen mit ihm zu verhandeln,
-eine Leichtigkeit, mit ihm ins Reine zu kommen. Aber auch Abschweifende
-zwang er durch die Suggestion seiner Art und Persönlichkeit gleichfalls
-bald zur Sache.
-
-Ein +schneller+ Menschenkenner war Emil Rathenau nicht. Dazu
-war er zu vertrauensvoll und darum anfänglich stets geneigt, die
-Menschen als das zu nehmen, was sie selbst darstellen und scheinen
-wollten. Seine Naivität veranlaßte ihn, nicht nur die Menschen
-direkt zu +behandeln+, sondern sie auch direkt, das heißt ohne
-Hintergedanken zu +beurteilen+. So kam es, daß ihm auch ein
-weniger wertvoller Mensch anfänglich zu interessieren, zu gefallen, ja
-zu imponieren vermochte. Niemand konnte ihn aber auf die Dauer über
-seinen Wert täuschen. Eine nähere Bekanntschaft offenbarte Rathenau
-bald die wirkliche Natur und Fähigkeit eines Menschen, und wenn er
-diese einmal als unzulänglich erkannt hatte, so war er für allezeit mit
-ihrem Besitzer fertig. Auf eine nachträgliche Revision seines Urteils
-ließ er sich nur höchst selten ein. Dies führte dazu, daß er -- der
-im allgemeinen die Menschen richtig und gerecht einschätzte -- in
-Ausnahmefällen auch einmal aus Vorurteil oder Eigensinn einem Menschen
-unrecht tat. Las er meist auch nicht so schnell in Menschenseelen
-wie andere sogenannte gute Psychologen, so las er doch häufig tiefer
-und gründlicher als diese. Ungewöhnliche Menschen, auch wenn sie
-ihre Eigenart noch nicht greifbar bekundet hatten, vielleicht selbst
-nicht einmal kannten, hat er nicht selten entdeckt, gefördert und an
-die richtige Stelle gesetzt. Als der Professor an der technischen
-Hochschule +Klingenberg+ mit einem in der Konstruktion nicht
-gerade gelungenen Automobilmotor zu Rathenau kam, erkannte dieser im
-Gespräch, welche ungehobenen Schätze technischer Praxis in diesem
-akademischen Professor schlummerten, und ohne langes Besinnen forderte
-er ihn zum Eintritt in die Direktion der A. E. G. auf, in der sich
-Klingenberg ganz so bewährte, wie es Rathenau vorausgesehen hatte.
-Seine Mitarbeiter suchte und erzog er sich auf ganz individuelle Weise,
-und zwar individuell für ihn wie für die anderen. Wenn irgend ein Platz
-zu besetzen, irgend eine Aufgabe zu lösen war, so schaffte er sich
-die Personen hierzu nicht nach dem System, das leider sonst vielfach
-in der Industrie üblich ist, wo man bekannte Fachkräfte durch das
-Angebot eines höheren Gehalts einfach aus ihrem früheren Wirkungskreis
-fortengagiert. Ein derartiges System, bei dem schließlich nicht nur
-Tenoristen-, sondern fast Bankdirektorengehälter für sogenannte erste
-Fachkräfte üblich wurden, hat er seiner Konkurrenz oft vorgeworfen.
-„Auf solche Weise ist es kein Kunststück, Leute zu bekommen,“ hat er
-mir selbst einmal geklagt. Er selbst ging ganz anders zu Werke. Er nahm
-nicht notwendigerweise für einen freigewordenen Posten oder eine zu
-lösende Aufgabe -- abgesehen von Ausnahmen, bei denen die Zeit drängte,
-oder es eine besondere Spezialität unbedingt verlangte, -- einen gerade
-auf diesem Gebiete bewährten oder bekannten Fachmann, es sei denn,
-daß er ihn ebenso leicht wie einen anderen bekommen und ihn ebensogut
-brauchen konnte. Er suchte sich vielmehr unter seinen Leuten denjenigen
-aus, der ihm für diese Sache die beste Eignung zu besitzen schien, auch
-wenn er sich erst in das neue Gebiet einarbeiten mußte. Fähigkeiten,
-nicht Vorkenntnisse waren für ihn ausschlaggebend und er wußte, daß
-Frische, Unbefangenheit, die Gabe, sich eine Materie während der Arbeit
-zu erobern, manchmal wertvoller sind als Wissen, das zur Routine
-geworden ist. Er kannte seine Mitarbeiter genau, schematisierte nicht
-mit Menschen und suchte jeden nach seiner Individualität, nach der Art,
-nicht nur nach dem Maß seiner Leistung zu beschäftigen.
-
-Emil Rathenau hatte das Glück, schon bei der Gründung oder kurz nach
-der Gründung seines Unternehmens Mitarbeiter zu finden, die ihm und
-seiner Gesellschaft ihr ganzes Leben lang treu blieben und so eng mit
-ihr verwuchsen wie er selbst. Daß Deutsch, Mamroth oder Jordan jemals
-hätten aus der A. E. G. ausscheiden, eine andere Stellung suchen oder
-annehmen können, ist ein Gedanke, der allen Beteiligten wohl absurd
-vorgekommen wäre. Diese treue und gute Kameradschaft, die auf der
-Arbeit an der gemeinsamen großen, unter ihren Händen aufblühenden
-Sache, aber auch auf der gegenseitigen Achtung vor der Persönlichkeit
-der anderen beruhte, spricht gleicherweise für den menschlichen Wert
-Rathenaus wie seiner Mitarbeiter. Tüchtige, energische Charaktere von
-eigener Prägung und starkem Wuchs gruppierten sich um den Mittelpunkt
-des Genies, dessen Überlegenheit alle anerkannten, das aber auch
-ihnen Spielraum und Entwickelungsfreiheit für ihre Kräfte gewährte.
-Die Stärke des Vorstandes der A. E. G., sagte mir einmal eines seiner
-Mitglieder, liegt in ihrer seltenen, nicht herbeigeführten, sondern
-„gewordenen“ +Homogenität+. Da war stets ein vollständiges
-Gleichgewicht in dem Verwaltungskörper vorhanden, niemand drängte
-sich vor, niemand blieb zurück, nichts verschob sich, nichts
-mußte verschoben werden. Palastrevolutionen, innere Konflikte und
-Auseinandersetzungen -- abgesehen von Meinungsverschiedenheiten wegen
-sachlicher Fragen -- gab es nicht. Eifersucht, Neid, Intriguen,
-persönliche Motive trugen keine Verwirrung in den Geschäftsgang. Die
-geschäftliche Arbeit spielte sich auf dem Untergrund langjähriger
-persönlicher Freundschaft ab. Viele Jahre hindurch wohnte Emil Rathenau
-mit Deutsch und Mamroth zusammen in einem Hause am Schiffbauerdamm,
-ganz nahe den alten und nicht fern den neuen Geschäftsräumen, Rathenau
-im ersten, Deutsch und Mamroth im zweiten Stockwerk. Rathenau in
-seiner Einfachheit hätte die alte Wohnung vielleicht nie aufgegeben.
-Aber die Kollegen zogen fort, erbauten sich eigene Villenhäuser.
-So entschloß sich denn auch Rathenau als Siebzigjähriger zum Bau
-eines eigenen Hauses in der Viktoriastraße, auf dem Grundstück,
-das seinen Eltern, zuletzt seiner Mutter, gehört hatte und das er
-durch das danebenliegende erweiterte. Pietät gegen einen geliebten
-Menschen erleichterte ihm den Bruch mit der Pietät gegen die gewohnte
-Heimstätte. Um den Umständlichkeiten, den Gemütsbewegungen des Umzuges
-zu entgehen, reiste er nach Wien, als schwerkranker Mann kehrte er
-zurück und kurz, nachdem er sein neues Heim bezogen hatte, mußte er
-sich zur Beinamputation entschließen.
-
-Die Organisation des Vorstandes der A. E. G. ist, wie ich schon sagte,
-nicht geschaffen worden, sie hat sich historisch entwickelt und ist
-gerade darum so innerlich organisch geworden. Es wird von Interesse
-sein, sie nachstehend in der Form, zu der sie sich in den letzten
-Jahren Rathenaus entwickelt hatte, zu schildern.
-
- 1. +Deutsch+:
-
- System der inländischen und ausländischen Zweiganstalten.
- Installation und Fabrikation im Auslande. Organisation
- der 300 Filialen, Installations- und Ingenieurbureaus. --
- Großinstallationsgeschäft, soweit es von Berlin aus geleitet
- wurde, also Einrichtung von Stationen für Berg- und Hüttenwerke,
- Fabriken usw. (Privatanlagen). Fertigstellung der Jahresbilanz
- (nicht Buchwesen). Sozusagen Minister des Äußeren.
-
- 2. +Mamroth+:
-
- Wiederverkaufsgeschäft, Warenhandelsgeschäft, Buchführung,
- Kasse, Gelddispositionen (Anlage der flüssigen Gelder,
- Bankguthaben), Überwachung der Betriebsgesellschaften (nicht der
- Trustunternehmungen). -- Sozusagen Minister des Inneren.
-
- 3. +Jordan+:
-
- (früher im Patentamt tätig, leitete zuerst das Patentbureau der
- A. E. G.) Leitung der gesamten Fabriken der A. E. G. mit Ausnahme
- des +Kabelwerks+, und ausschließlich derjenigen Fabriken, die an
- ausländische Zweiganstalten angegliedert waren. Arbeiterwesen.
-
- 4. Prof. +Klingenberg+:
-
- Bau der Zentralstationen für eigene und fremde Rechnung.
-
- 5. Baurat +Pforr+:
-
- Elektrische Bahnen.
-
- 6. +Emil Rathenau+:
-
- Vereinheitlichung und Kontrolle der Geschäftspolitik,
- Kontrolle der Finanzinvestitionen, technische Politik, wie
- Aufnahme neuer Fabrikationszweige, ferner besondere Mitwirkung
- beim Bahnengeschäft, beim juristischen, litterarischen und
- Patentbureau. Das Kabelwerk, das Erich Rathenau geleitet hatte,
- übernahm nach dessen Tode Emil Rathenau aus Pietät. -- Vertretung
- der Gesellschaft in ihren Ausstrahlungen, Finanzbeteiligungen
- (Aufsichtsräten) in erster Linie E. +Rathenau+, unterstützt
- durch Dr. Walther Rathenau und daneben durch Deutsch, Mamroth
- und Klingenberg. -- Fusionsunternehmungen behandelte E. Rathenau
- mit Dr. Walther Rathenau, Elektrobankunternehmungen Dr. Walther
- Rathenau allein.
-
-Diese Organisation des Vorstandes erwies sich als außerordentlich
-glücklich und leistungsfähig.
-
-„Wir bewältigen damit einen Umsatz von 300 Millionen Mark, wir können
-ebenso gut damit einen Umsatz von einer halben, ja einer ganzen
-Milliarde kontrollieren,“ sagte einmal Deutsch zu einem Frager.
-
-Bei einem Vorstande, der aus so starken Persönlichkeiten
-zusammengesetzt ist, bei einer Gesellschaft, die sich zudem geldlich
-so unabhängig zu halten verstand wie die A. E. G., ist die bestimmende
-geschäftliche Mitwirkung des +Aufsichtsrats+ natürlich nur
-verhältnismäßig gering. Abgesehen von den gesetzlichen Funktionen,
-die er zu erfüllen hat, sind seine Aufgaben im wesentlichen
-dekorativer Natur, nicht in leer repräsentativer Bedeutung, sondern
-in dem Sinne einer Zusammenfassung und Wiederspiegelung wichtiger
-geschäftlicher Beziehungen, die das Unternehmen mit anderen Industrie-
-und Kapitalmächten verbinden. Eine intensive Arbeitsleistung kann ein
-Kollegium von 30 Mitgliedern, das fast schon ein kleines Parlament
-ist und sich nur ein paar Mal im Jahr vollständig versammeln wird,
-naturgemäß nicht vollbringen. Es waren wohl auch zu vielerlei
-Interessen in ihm vertreten, als daß diesem Kollegium ein allzutiefer
-Einblick in alle Geschäftsdetails gegeben werden konnte. Neben den
-Vertretern fast aller Großbanken gehörten Repräsentanten solcher
-Unternehmungen dem Aufsichtsrat der A. E. G. an, die in einer
-hervorragenden Geschäftsverbindung mit ihr standen, so Albert Ballin
-von der Hamburg-Amerika-Linie, Ministerialdirektor a. D. Micke und
-später Dr. Wussow von der Großen Berliner Straßenbahn, ferner die
-Vertreter der früher mit der A. E. G. fusionierten Konzerne der
-„Union“, der Lahmeyerwerke, der Felten & Guilleaume-Gesellschaft.
-Auch die beiden großen Berliner Kohlenhändler Eduard Arnhold in
-Firma Caesar Wollheim und Fritz von Friedländer-Fuld waren in
-ihm vertreten. Als Fachleute, die für eine industrie-technische
-Kontrolle in Betracht kamen, konnten eigentlich nur die früheren,
-inzwischen in den Aufsichtsrat gewählten Vorstandsmitglieder und
-einige wissenschaftliche Praktiker oder Konstrukteure, wie Geheimrat
-Dr. Kirchhoff und bis zu seinem Tode v. Hefner-Alteneck gelten. Den
-Vorsitz im Aufsichtsrat führten nach Georg v. Siemens Ausscheiden zwei
-Exzellenzen, zuerst der preußische Staatsminister a. D. Herrfurth,
-dann der Staatssekretär a. D. Hollmann, Repräsentationsfiguren, die
-offenbar Beziehungen zu Regierungskreisen herstellen sollten und in
-dieser Hinsicht auch wertvolle Dienste leisten konnten, namentlich
-in einer Zeit, in der die A. E. G. als jüngeres Unternehmen noch mit
-dem alten Ruhm und Ruf, den die Konkurrenzfirma Siemens & Halske
-namentlich bei Behörden sich erhalten hatte, ringen mußte. Der
-eigentlich geschäftsführende Vorsitzende war in jenen Zeiten Carl
-Fürstenberg, der finanzielle Vertrauensmann und Freund Emil Rathenaus,
-der den Titel eines stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden
-führte. Nach dem Ausscheiden Hollmanns wurde Dr. Walther Rathenau
-Aufsichtsratsvorsitzender der Gesellschaft und erhielt nach dem Tode
-Emil Rathenaus als solcher den Titel Präsident der A. E. G. Mit diesem
-war eine ausgedehnte und dauernde Arbeitsstellung verbunden, in die
-ein Teil der früher von Emil Rathenau erfüllten Obliegenheiten, u. a.
-die Zusammenfassung der Gesamtpolitik der A. E. G., eingebracht wurde,
-während den anderen Teil der Vorsitzende des Direktoriums Geheimrat
-Felix Deutsch übernahm.
-
-Die ungewöhnliche und geistig leitende Stellung, die dem einzig
-überlebenden Sohne Emil Rathenaus in der von diesem geschaffenen,
-aber doch längst über die Grenzen eines persönlichen und privaten
-Unternehmens hinausgewachsenen Gesellschaft von den bewährten
-Mitarbeitern des Gesellschaftsgründers bereitwillig eingeräumt wurde,
-findet ihre hinreichende Erklärung nicht in einem traditionellen
-Erbgange, nicht in dem Streben nach einer Fortführung der „Dynastie
-Rathenau“ aus dekorativen Gründen. Dem verständnisvollen Leser dieses
-Buches braucht nicht gesagt zu werden, daß nur +sachliche+ Gründe
-zu verantwortlichen Stellungen in der A. E. G. führen, daß solche
-Stellungen nicht ererbt werden konnten, sondern erworben werden mußten.
-Um den Nachweis für die Richtigkeit dieser Ansicht zu führen, aber auch
-deswegen, weil es für das Charakterbild des Vaters nicht ohne Wert sein
-kann, wenn dem Wesen und Wirken der Kinder -- ebenso wie dem der Eltern
--- nachgegangen wird --, wollen wir uns mit den Gestalten der Söhne
-Emil Rathenaus an dieser Stelle kurz befassen. Der Anteil, den sie an
-der Schöpfung des Vaters genommen haben, war nicht gering; er war auch
-nicht äußerlich und zufällig, sondern innerlich und sozusagen organisch.
-
-Emil Rathenaus Söhne sind beide keine Epigonennaturen gewesen. Sie
-haben ihr Licht nicht nur von dem väterlichen Gestirn erhalten, sondern
-durch ausgeprägte Eigenleistungen gezeigt, daß die Kraft des Stammes,
-die das Genie des Vaters formte, in ihnen nicht ermüdete, sondern
-lebendig blieb. Der jüngere von ihnen, +Erich+ Rathenau ist an der
-Schwelle der Mannesjahre einem tückischen Leiden erlegen, das ihn schon
-in den Knabenjahren befiel. Wohl kein Ereignis seines Lebens hat den
-Vater so schwer getroffen, wie dieses Leiden und dieser Tod, es hat ihn
-jahrelang der Geselligkeit und eine Zeitlang fast dem Werke entfremdet.
-Erich Rathenau wird von allen, die ihn kannten, als ein gradliniger,
-schlichter und gütiger Mensch geschildert. Er hatte ohne Zweifel das
-Zeug zu einem hervorragenden Techniker. Das Kabelwerk der A. E. G.,
-das er leitete, hat er zur Vollendung entwickelt. Es war keine Phrase,
-wenn Emil Rathenau, als ihm in einer Generalversammlung vorgeworfen
-wurde, daß er nun auch noch seinen zweiten Sohn in den Vorstand der A.
-E. G. berufen lasse, sein Vorgehen in folgender Weise begründete: „Dem
-tüchtigen Fachmann Erich Rathenau sind von der Konkurrenz so glänzende
-Anerbietungen gemacht worden, daß es besonderer Gegenleistungen seitens
-der A. E. G. bedarf, um ihn zu halten.“
-
-+Walther+ Rathenau, sein älterer Bruder, ist eine kompliziertere
-Natur. Auch er ging vom Technischen aus. Als Ingenieur war er
-in schaffender Weise an der Ausbildung der elektrochemischen
-Arbeitsgebiete der A. E. G. beteiligt, baute und leitete sieben
-Jahre hindurch die drei Fabriken der Elektrochemischen Werke G. m.
-b. H., deren Chlorverfahren er selbständig entwickelt hatte. Im
-Jahre 1899 trat er in den Vorstand der A. E. G., übernahm dort die
-Abteilung „Zentralenbau“ und führte insbesondere das Baugeschäft
-für fremde Rechnung, das vorher etwas vernachlässigt worden war,
-zu ansehnlichem Wachstum. Im Jahre 1901 wurde er mit Karl Frey
-Administrateur der Elektrobank in Zürich, deren Geschäftskreis er ganz
-selbständig verwaltete und deren Geschäftsmethoden er reformierte;
-eine Tätigkeit, die ihn zu weitgehender Mitwirkung an dem Aufbau
-des Trust- und Finanzsystems der A. E. G. berief und fähig zeigte.
-Die Besserung der Beziehungen zu der Konkurrenzfirma Siemens &
-Halske, die eine Verständigung über das Zentralengeschäft und die
-Bildung des Kabelkartells ermöglichte, hat er durch ausgesprochenes
-Verhandlungsgeschick angebahnt. Besonders war seine Hand bei den
-großen Ausdehnungsgeschäften der A. E. G. zu spüren. Die Aufnahme
-der Schuckert-Gesellschaft, für die er sich nach gründlicher
-Untersuchung der Verhältnisse entschieden ins Zeug legte, konnte
-er im Vorstandskollegium nicht durchsetzen. Dieses Schicksal eines
-persönlichen Projektes, dessen Mißlingen er als einen großen und
-dauernden Verlust für die A. E. G. ansah, veranlaßte ihn im Jahre 1902
-aus dem Vorstand der A. E. G. auszuscheiden und einer Aufforderung
-Karl Fürstenbergs zu folgen, in die Berliner Handelsgesellschaft als
-Geschäftsinhaber einzutreten. Aber auch nach seinem Austritt blieb
-Walther Rathenau in enger Fühlung mit der A. E. G., zumal da er seine
-Stellung als Administrateur der Elektrobank beibehielt. Bei der
-Verschmelzung der A. E. G. mit der „Union“ wirkte er in weitgehender
-Weise mit; den Zusammenschluß mit dem Lahmeyer-Konzern, der ja von der
-Elektrobank seinen Ausgang nahm, hat er fast selbständig entworfen,
-desgleichen die erst nach dem Tode Emil Rathenaus eingeleitete Serie
-der B. E. W.- und Elektrowerke-Transaktionen, durch die die Berliner
-Elektrizitätswerke Akt. Ges. nach der Verstadtlichung ihrer Berliner
-Zentralen durch Überführung des größten Teils der Aktien mit der A.
-E. G. nahe verbunden und dann von dem ihr zur Last gewordenen Besitz
-an den Elektrowerken in Bitterfeld befreit wurde. Bei allen diesen
-Entwürfen kamen ihm sein Sinn für die Architektur großer Transaktionen
-und seine konstruktive Begabung zustatten, die er während des Krieges
-in noch größerem Rahmen bei der Rohstoffsicherung für die Zwecke des
-deutschen Heeresbedarfs erweisen konnte.
-
-Hatte sich in Erich Rathenau die naive Seite des väterlichen
-Charakters fortentwickelt, so war Walthers Erbteil die Größe und
-Schärfe des Denkens. Eine Erscheinung von ausgesprochener und sehr
-bewußter Geistigkeit, die sich nicht auf das Fachgebiet des Vaters
-oder das eigene beschränkte, sondern die allgemeinen Probleme des
-wissenschaftlichen, künstlerischen und gesellschaftlichen Lebens ihrer
-Zeit in den Brennspiegel ihrer Persönlichkeit zog. Die nicht nur in
-den +Schaffens-+, sondern auch in den +Lebensformen+, mit
-denen der Vater, wie wir gesehen haben, im Kleinbürgertum seiner
-Herkunft haften geblieben war, frei zum Weltbürgertum emporwuchs
-und darum ihrer Geistigkeit auch Kultur zu geben verstand. Daß eine
-solche Entwickelung auch zu schriftstellerischer Betätigung drängen
-mußte, ist verständlich. An dieser Stelle das Bild des Schriftstellers
-Walther Rathenau und seines litterarischen Schaffens zu zeichnen, ist
-unmöglich. Aber wenn wir feststellen, daß er Tiefe des Gedankens mit
-einer ungewöhnlichen Plastik der Darstellungsweise, Originalität der
-Anschauung mit einem sicheren Blick für das Praktische zu verbinden
-weiß, sind wir uns der Zusammenhänge bewußt, die zwischen dem Geist des
-Vaters und dem des Sohnes bestehen.
-
- * *
- *
-
-Haben wir im Vorstehenden geschildert, wie Emil Rathenau die
-Menschen als einzelne Persönlichkeiten behandelte, so bleibt noch
-zu untersuchen, wie er zu den +Menschengruppen+, zu den
-Kollektivpersönlichkeiten stand, mit denen er in Berührung kam.
-Rathenau hatte, wie fast alle bedeutenden Industriellen seiner Epoche,
-keinen ausgesprochenen Sinn und kein unmittelbares Interesse für das
-+Soziale+. Er war nicht gerade antisozial, aber er war asozial.
-Das Schicksal der Arbeiter- und Beamtenklasse interessierte ihn nicht
-um dieser Menschenschichten oder um der Menschheit willen, sondern weil
-er mit ihnen zu tun hatte, sie für seine industriellen Zwecke und Pläne
-brauchte. Daß die meisten Industriepolitiker keine Sozialpolitiker
-sind, ist erklärlich. Um ein bedeutender Industriepolitiker zu werden
-und zu sein, braucht man die Arbeit eines ganzen Lebens und oft reicht
-sie nicht einmal dazu hin. Auch die Sozialpolitik braucht ihren ganzen
-Mann. Dazu kommt, daß der Industrielle, der verdienen, das Verhältnis
-zwischen Einnahmen und Ausgaben ständig verbessern will, als größten
-Widerstand auf diesem Wege die ständige Forderung des Arbeiters und
-Beamten nach höherer Entlohnung, höherem Anteil am Produktionsertrag
-findet. Der Fabrikant, dessen Streben in der Gegenrichtung fortdrängt,
-hat es naturgemäß am schwersten, den Standpunkt der arbeitenden Klassen
-zu begreifen. Denn er muß erst sich selbst ausschalten, seine stärksten
-Ichgefühle neutralisieren, ehe er beginnen kann, sich in die Seele des
-Arbeiters einzufühlen. So einfach, so primitiv und brutal darf man
-den Gegensatz natürlich nicht darstellen, als ob die unersättliche
-Geldgier des reichen Produzenten dem armen Arbeiter nicht von seinem
-Überfluß ein Teilchen zur Verbesserung seiner Existenzbedingungen
-abgeben will. Gewiß, auch das hat es häufig gegeben und gibt es wohl
-auch noch. Aber gerade bei industriellen Schöpfernaturen spielt das
-Geld nicht die ausschlaggebende Rolle, sondern die Kalkulation,
-die Ökonomie des Produktionsprozesses, das Gedeihen des Werkes.
-Gerade die tiefsten Verelendungen der Arbeiterklasse hatten ihren
-Ursprung nicht in der Willkür zu reichlich verdienender Fabrikanten,
-sondern in der Verschlechterung der Produktionsbedingungen für den
-Industriellen, häufig sogar in dem Aufkommen neuer überlegener
-Produktionseinrichtungen, die die Herstellung der nach den alten
-Verfahren arbeitenden Unternehmer unrentabel machten und sie zum
-Lohndruck zwangen.
-
-Emil Rathenau hat sich mit der Sozialwissenschaft, die derartige
-soziale Übergangskatastrophen zu verhindern oder doch zu mildern
-suchte, nicht bewußt beschäftigt, ebenso wenig war er allerdings auch
-konsequenter Antisozialist, wie zum Beispiel Kirdorf. Er war in dieser
-Hinsicht, wie in mancher anderen, Unternehmer, Realist und Rationalist
-und suchte mit dem Sozialismus, den er als eine wurzelstarke,
-unausrottbare Bewegung erkannt hatte und mit dem er darum rechnen
-mußte, so gut wie möglich fertig zu werden. Konflikte suchte er so
-lange als möglich zu verhindern, denn er wußte, daß eine Niederlage für
-den Arbeitgeber verhängnisvoll werden konnte, daß ein Sieg die Lage für
-ihn nur auf eine verhältnismäßig kurze Zeit sicherte und den Keim zu
-immer neuen Kämpfen bildete. Dabei war seine Art, der Arbeiterbewegung
-Konzessionen zu machen, keineswegs die alte patriarchalische, die
-sich vorzugsweise an das Gemüt wendet und die auch in ganz großen
-Betrieben, wie zum Beispiel bei der Firma Fried. Krupp noch gepflegt
-wird. Seine Methode war vielmehr eine ganz nüchtern rechnungsmäßige,
-die an den Verstand appelliert und vom Verstande geleitet wird.
-Während der Patriarchalismus manchen Forderungen des Sozialismus,
-rein sachlich betrachtet, entgegenkommt, aber stets betont, daß er
-diese Konzessionen freiwillig, gewissermaßen als Wohltat gewähre, dem
-Arbeitenden jedoch keinen Anspruch auf sie einräumen will, war es
-Rathenau ziemlich gleichgültig, in welcher Form er die Forderungen der
-Arbeiter erfüllte. Wenn er sachlich etwas geben mußte, hielt er sich
-nicht lange bei der Formfrage auf, ob er den Arbeitenden ein Recht
-einräume, oder ob er ihnen ein Geschenk mache. Die Hauptfrage war für
-ihn der rechnerische Effekt, die Einwirkung auf die Ökonomie. Erschien
-diese ihm zu nachteilig, so ließ er es lieber auf den Kampf ankommen,
-ehe er nachgab. Im anderen Falle war er zum Entgegenkommen bereit,
-sofern er den Eindruck hatte, daß der Gegner stark genug war, um einen
-Arbeitskampf wagen zu können. Im allgemeinen huldigte er der Ansicht,
-daß es auch wirtschaftlich zweckmäßig sei, Störungen der industriellen
-Arbeit möglichst zu vermeiden, da sie auch dem Unternehmer häufig mehr
-schaden könnten als Zugeständnisse, die er den Arbeitern machte und die
-vielleicht durch Verbesserung der Arbeitsmethoden wieder ausgeglichen
-werden konnten. Von Arbeitskämpfen aus prinzipiellen Gründen wollte er
-nicht viel wissen, und vermied sie, wenn es irgend angängig war.
-
-Naturgemäß haben sich seine Anschauungen und Methoden auch in der
-Arbeiterfrage im Laufe der Zeit verändert und entwickelt. Vor einer
-Reihe von Jahren hielt ihm einmal jemand vor, daß er in der Zeit der
-Hochkonjunktur viele Arbeiter eingestellt habe, die er dann in der
-Periode des Rückschlags nicht behalten konnte. Er erwiderte: „Habe
-ich denn diese Arbeiter alle gezeugt, daß ich +verpflichtet+
-bin, sie zu beschäftigen? Wenn ich Arbeit für sie habe und sie zu
-mir kommen, gebe ich ihnen Beschäftigung, habe ich keine Arbeit mehr
-für sie, muß ich sie entlassen.“ -- Von diesem Standpunkt kam er mit
-den Jahren immer mehr ab, je klarer er erkannte, wie vorteilhaft es
-vom geschäftlichen Standpunkt für ein Großunternehmen ist, einen
-dauernden, treuen und geübten Arbeiterstamm zu besitzen. Natürlich
-führte er diese Ansicht nicht bis zu der Konsequenz durch, nun
-überhaupt keinen Arbeiter mehr zu entlassen, auch wenn es für ihn
-an Beschäftigung fehlte. Aber er suchte die Entlassungen möglichst
-einzuschränken, indem er für Arbeiter, deren Tätigkeit auf einem Gebiet
-beendigt war, neue Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen bestrebt war und
-zur Erreichung solcher Zwecke auch Opfer nicht scheute, von denen er
-wußte, daß sie sich später wieder bezahlt machen würden. Übrigens trug
-sein kaufmännisches System, die A. E. G. vor Beschäftigungskrisen
-sicherzustellen und die Produktion auch in schlechten Zeiten konstant
-zu erhalten, naturgemäß dazu bei, auch die Arbeiterverhältnisse in
-ihren Betrieben zu festigen. Entlassungen fanden in späteren Jahren
-weniger in Zeiten des Konjunkturrückganges als infolge der Einführung
-neuer arbeitersparender Produktionsmethoden statt. Hier war aber der
-Arbeiterrückgang meist nur ein ganz vorübergehender, denn solche neuen
-Produktionsmethoden pflegten sehr schnell den Bedarf anzuregen und
-damit auch die Nachfrage nach Arbeitern wieder zu heben.
-
-In der +Angestelltenfrage+ war der Standpunkt Rathenaus
-grundsätzlich derselbe wie in der Arbeiterfrage. Er stellte sich auf
-den Boden einer nüchternen Tatsachenpolitik, und wenn die Angestellten
-bei ihm trotzdem nicht dasselbe erreichten wie die Arbeiter, so liegt
-das daran, daß ihnen die Macht und Solidarität des Zusammenschlusses
-nicht in demselben Maße zur Seite stand, die ihren Forderungen
-denselben Nachdruck hätte geben können wie der Arbeiterschaft. Immerhin
-versuchte er, soweit es bei einem so großen Betrieb möglich ist, den
-tüchtigen Angestellten den Aufstieg aus den niedrigsten Regionen zu
-ermöglichen. Die Verbesserung der sozialen Lage des Durchschnitts ging
-nur schrittweise vor sich.
-
-Ein eigenartiges Kapitel im sozialen Leben Rathenaus betrifft die
-+Frauenarbeit+. Er schätzte an Frauen besonders die Weiblichkeit,
-und infolgedessen entsprach seinem Gefühl die Frauenarbeit recht wenig.
-Als ihm aber manche seiner Mitarbeiter rechnerisch überzeugend deren
-Vorteile für das Unternehmen dargelegt hatten, gab er seinen Widerstand
-auf und ließ sogar zu, daß Frauen von der A. E. G. in großem Umfange
-eingestellt wurden. In seinem innersten Empfinden blieb er aber immer
-ungläubig und als einmal in irgend einer Zeitung die Meldung zu lesen
-war, daß die Baltimore- und Ohio-Bahn eine Statistik aufgemacht habe,
-nach der die Bezahlung der Frauen bei dieser Gesellschaft um 30%,
-die Leistung aber um 50% geringer sei als die der Männer, ließ er
-überall nachforschen, um Näheres über diese Statistik zu ermitteln.
-Die Ermittelungen fielen negativ aus und es erwies sich, daß die
-Baltimore-Ohio-Bahn überhaupt keine Statistik dieser Art angefertigt
-habe. -- Die Beamten, die er mit dieser Nachforschung beauftragt
-hatte, waren nicht wenig erstaunt, als Rathenau wenige Tage nachher
-gelegentlich des Empfanges einer Studiengesellschaft eine Rede hielt,
-in der er die Vorteile der Frauenarbeit begeistert pries und mit Stolz
-darauf hinwies, daß bei der A. E. G. schon seit langem die Frauenarbeit
-in großem Maßstabe gepflegt würde.
-
-Im Endeffekt hat natürlich Emil Rathenau, wie jeder andere große
-Entwickeler industrieller Arbeit, auch sozial fördernd gewirkt.
-Industrie schaffen, heißt Arbeit schaffen und die Bedingungen der
-Industrie verbessern, heißt auch die Bedingungen der Arbeit verbessern,
-wenngleich eine zu plötzliche, revolutionierende Verbesserung der
-Industrietechnik vorübergehend auch auf die Arbeiterverhältnisse
-drücken kann. Das von Adam Smith aufgestellte Lohngesetz, nach dem die
-Industrie den Arbeiter stets nur so viel verdienen läßt, daß er gerade
-sein Auskommen finden kann, hat doch heute nicht mehr volle Geltung.
-Die soziale Bewegung, aber auch die großartige Industrieentwickelung
-haben zweifellos in den letzten Jahrzehnten dahin gewirkt, die soziale
-Lage zu mindestens des Standes der gelernten Arbeiter zu heben und sie
-der des Kleinbürgertums anzunähern.
-
-
-g)
-
-Wir sind am Ende. Wir haben versucht, ein Menschenleben in seinem
-Sein und Wirken zu schildern, das ein Heldenleben gewesen ist, wie
-nur irgend eines, wenn ihm auch vielleicht der Schimmer der Romantik
-gefehlt hat. An Kämpfen war dieses Leben reich und reich an Erfolgen.
-Mit dem Leben hatte Emil Rathenau zu ringen, und zuletzt auch mit
-dem Tode. Wer den Invaliden sah, als er sich, von dem ersten Anfall
-der tückischen Krankheit kaum erholt, im Rollstuhl nach seinem
-Arbeitszimmer am Friedrich Karl-Ufer fahren ließ, diese zitternden
-Hände, diesen totenblassen Kopf, diese müden Züge, die einst von
-Energie und Lebenswillen durchglüht gewesen waren, gab diesem Mann
-nur noch wenige Wochen. Immer neue Attacken der Krankheit schüttelten
-ihn. Er überwand sie und gewann noch ein paar Jahre. Im Mai 1914, als
-ich ihn zum letzten Male aufsuchte, war er äußerlich ganz der alte.
-Seinen künstlichen Fuß, den ihm ein Meister-Orthopäde konstruiert
-hatte, betrachtete er nur als technisches Problem. In stundenlanger
-Unterhaltung entwickelte er mir damals alle brennenden Fragen der
-Elektrizitätsindustrie, jugendlich, frisch, zukunftsfreudig wie nur je,
-ganz ungebrochener Geist, der sich die Materie untertan gemacht hat.
-Ein Jahr später hatte die Materie doch den Geist überwunden. Am Tage
-der Wiedereroberung von Lemberg schloß Emil Rathenau die Augen.
-
-Können heute noch Männer seinesgleichen wachsen und werden? Die
-Großen aus dem Reiche der Industrie sind gestorben oder sie altern.
-Aus den Reihen der jungen Saat sehen wir noch keinen Halm, der über
-die umstehenden Köpfe soweit hinausragt, wie Saul über die Propheten.
-Unsere Industrieentwickelung ist voller aber auch ruhiger geworden. Es
-sind nur Schritte vorwärts zu tun, langsame oder schnelle, aber keine
-großen Distanzen mehr zu überspringen, im Sturmschritt zu durcheilen
-wie zur Zeit, als Rathenau nicht nur selbst jung war, sondern das Glück
-hatte, die Jugend einer Epoche zu erleben. Es fehlen die neuen, großen
-jungfräulichen Probleme, an denen sich die Begabung zur Vollkraft
-entwickeln, der Feuerfunke des Genius zum lodernden Brand entzünden
-kann. -- Fehlen sie? Oder werden sie aus der ungeheuren Umwälzung
-entstehen, in die dieser lange, schwere und zerstörende Krieg Europa
-gestürzt hat und aus der seine Weltherrschaft nur eine ungeheure Arbeit
-der Geister und Hände erretten könnte? -- Warten wir und hoffen,
-daß uns Deutschen Männer wie Emil Rathenau wieder geschenkt werden,
-die unsere Kraft der Organisation mit dem Blute der Persönlichkeit
-durchtränken und zu noch höherem Werte emporheben können.
-
-
-
-
-Wir machen bei dieser Gelegenheit noch besonders auf die früher
-erschienenen Bände I-V der „Großen Männer“ aufmerksam.
-
-
-Band I
-
-Große Männer.
-
-Von +Wilhelm Ostwald+, 3. u. 4. Aufl. Broschiert M. 14.--.
-
-Die schnelle Folge der Auflagen ist ein Beweis dafür, wie dieses Werk
-die öffentliche Meinung wachgerüttelt hat. Demgemäß haben denn auch
-die vorliegenden Kritiken alle Stufen von glühendem Enthusiasmus bis
-zu wütender Gegnerschaft durchmessen... Es sei wiederholt auf dieses
-bedeutsame Buch hingewiesen, das die so wichtigen Gegenstände der
-Erziehung und Bildung der Jugend in eine ganz neue Beleuchtung rückt
-und aus deren Ergebnis einschneidende Verbesserungsvorschläge gewinnt.
-
- Frankfurter Zeitung.
-
-
-Band II
-
-Zur Geschichte der Wissenschaften und der Gelehrten seit zwei
-Jahrhunderten
-
-nebst anderen Studien über wissenschaftl. Gegenstände, insbesondere
-Vererbung u. Selektion beim Menschen v. +Alphonse de Candolle+.
-Deutsch herausgeg. v. +Wilh. Ostwald+. Brosch. M. 12.--, gebunden
-M. 13.--.
-
-... Die Umsicht und die Gewissenhaftigkeit, mit der das Material
-bearbeitet ist, erweckt ebenso unsere Bewunderung, wie die
-Bescheidenheit, mit der die Ergebnisse vorgetragen werden, unsere
-Sympathie erregt. Forscher und Lehrer sollten sich mit dem Inhalt des
-schönen Werkes vertraut machen.
-
- Prof. Schaum, Leipzig, in „Leipziger Neueste Nachrichten.“
-
-
-Band III
-
-Jacobus Henricus van’t Hoff.
-
-Sein Leben und Wirken von +Ernst Cohen+, Prof. an der
-Reichs-Universität zu Utrecht. Mit 2 Gravuren u. 90 Abbildungen.
-Broschiert M. 14.75, gebunden. M. 16.--.
-
-Das Aufsehen erregende Werk bildet einerseits einen wertvollen Beitrag
-zur Geschichte der exakten Naturwissenschaften, insbesondere der
-Chemie und sucht andererseits die Schätze aufzudecken, die der heutige
-Schulbetrieb für einseitig begabte Menschen, die das Zeug zum „großen
-Mann“ hätten, im Gefolge habe.
-
- „Jahresbericht für das höhere Schulwesen.“
-
-
-BESTELLSCHEIN
-
-Unterzeichneter bestellt hiermit von den im Verlage der
-
-Akademischen Verlagsgesellschaft m. b. H. in Leipzig
-
-erschienenen Bänden der „=Großen Männer=“:
-
- Bd. I: =Große Männer.= Von Wilh. Ostwald. Brosch. M. 14.--,
- gebd. M. 15.--
-
- Bd. II: =Zur Geschichte der Wissenschaften u. der Gelehrten
- seit zwei Jahrhunderten.= Von A. de Candolle -- Wilh. Ostwald.
- Brosch. M. 12.--, gebd. M. 13.--
-
- Bd. III: =Jac. Henr. van’t Hoff.= Von Ernst Cohen. Brosch. M.
- 14.75, gebd. M. 16.--
-
- Bd. IV: =Victor Meyer.= Von Rich. Meyer. Brosch. M. 18.--,
- gebd. M. 20.--
-
- Bd. V: =Ernst Abbe.= Von F. Auerbach. Brosch. M. 18.--, gebd.
- M. 21.--
-
- Ort und Datum Unterschrift (bitte recht deutlich):
-
- ...........................................................
-
-
-
-
-GROSSE MÄNNER
-
-Studien zur Biologie des Genies
-
-Herausgegeben von
-
-WILHELM OSTWALD
-
-
-Band IV
-
-VICTOR MEYER
-
-Leben und Wirken eines deutschen Chemikers und Naturforschers 1848-1897
-
-von
-
-RICHARD MEYER
-
-Geh. Rat, Professor an der Herzogl. Techn. Hochschule zu Braunschweig.
-
-Mit 1 Titelbilde, 79 Textabbildungen und der Wiedergabe eines
-Originalbriefes.
-
-Geheftet M. 18.--; gebunden M. 20.--.
-
-Aus dem Vorwort:
-
-Das vorliegende Werk ist aus einem Nachruf hervorgegangen, den ich auf
-Wunsch des Vorstandes der Deutschen Chemischen Gesellschaft verfaßt
-habe und der in den Berichten der Gesellschaft (41, 4505) im Jahre
-1909 erschienen ist. Wie ich damals ausführte, glaubte ich im ersten
-Augenblick die Aufgabe, ein Lebensbild meines geliebten Bruders zu
-entwerfen, nicht übernehmen zu können. Ich empfand nicht nur die
-großen, allgemeinen Schwierigkeiten, sondern vor allem die besonderen
-persönlichen Bedenken, welche sich aus meinem verwandtschaftlichen
-Verhältnisse zu dem früh Geschiedenen ergaben. Sie wollten sich auch
-durch die Erwägung nicht beschwichtigen lassen, daß die gemeinsam
-verlebte Jugend und unsere durch ein ganzes Leben fortgesetzten
-innigen Beziehungen mir eine Fülle von Erinnerungen und schriftlichen
-Zeugnissen seiner Entwickelung hinterlassen haben, welche eine
-wertvolle Grundlage für ein Lebensbild abgeben konnten. Die Bedenken
-habe ich in eingehender Darlegung zum Ausdruck gebracht. Sie wurden
-freundlich aber entschieden zurückgewiesen -- und so glaubte ich
-mich der verantwortungsvollen und zugleich mir teuren Pflicht nicht
-entziehen zu dürfen.
-
-Als vier Jahre später die Akademische Verlagsgesellschaft mit der
-Aufforderung an mich herantrat, eine ausführliche Biographie zu
-verfassen, habe ich dem nach gründlicher Überlegung Folge gegeben. An
-der Bearbeitung des Werkes hat meine Frau einen wesentlichen Anteil.
-Von der Jugend her in inniger Freundschaft mit uns beiden verbunden,
-stand sie meinem Bruder menschlich nahe und teilte seine künstlerischen
-und literarischen Interessen. Manches hier Niedergeschriebene stammt
-aus ihrer Feder, und vielfach ist die Grenze ihres und meines Anteils
-verwischt.
-
-Dem Texte sind zahlreiche Bildnisse von Personen eingefügt, welche mit
-meinem Bruder in näherer wissenschaftlicher oder freundschaftlicher
-Beziehung gestanden haben. Daher war ich bestrebt, die Betreffenden in
-dem Alter wiederzugeben, in dem sie hauptsächlich mit meinem Bruder
-verkehrten, was in den meisten Fällen, wenn auch nicht immer gelungen
-ist.
-
-Die Darstellung gliedert sich in zwei Abschnitte. Der erste enthält
-die Schilderung des Lebensganges, im zweiten ist die wissenschaftliche
-Lebensarbeit des Mannes im Zusammenhange dargestellt. Dabei konnte
-es aber nicht fehlen, daß die Arbeiten auch schon im ersten Teile
-berührt wurden, soweit sie das innere Leben beeinflußten, und
-weil die Briefe vielfach ganz davon erfüllt sind. -- Den Schluß
-bildet ein Anhang, welcher kurze biographische Notizen über die im
-Text erwähnten Persönlichkeiten enthält. Dabei ließ ich mich von
-demselben Gedanken leiten, welcher +G. W. A. Kahlbaum+ bei der
-Herausgabe von +Liebigs+ Briefwechsel mit +Schönbein+ und
-+Friedr. Mohr+ zur Anfügung umfassender Anmerkungen veranlaßte,
-und welchen er durch die Worte zum Ausdruck brachte: „Als Ideal hat
-uns vorgeschwebt, den Leser so zu stellen, als sei er ein Mitglied
-des Freundeskreises +Liebig-Schönbein+ gewesen, und daher
-über Menschen und Dinge, über Vorgänge und Arbeiten einigermaßen
-orientiert.“ -- Dabei mußte ich auf einen Leserkreis Rücksicht nehmen,
-der sich aus Chemikern und Nicht-Chemikern zusammensetzt.
-
-Die Arbeit wurde im Januar 1914 begonnen. Während ich damit beschäftigt
-war, brach der Weltkrieg aus, der natürlich hemmend darauf einwirken
-mußte. Gleichwohl konnte ich sie zu Ende führen, und wenn jetzt der
-ersehnte Friede anscheinend noch in unbestimmter Ferne liegt, so wird
-doch vielleicht nach mehr als zweijähriger Kriegsdauer der Leserwelt
-die Darbietung eines friedlichen Stoffes nicht unerwünscht sein.
-
- +Braunschweig+, im Oktober 1916.
-
- +Richard Meyer.+
-
-
-Band V
-
-ERNST ABBE
-
-Sein Leben, sein Wirken, seine Persönlichkeit
-
-nach den Quellen und eigenen Erinnerungen dargestellt
-
-von
-
-FELIX AUERBACH
-
-Mit 1 Gravüre, 115 Abbildungen im Text und der Wiedergabe zweier
-Originalschriftstücke.
-
- Geheftet M. 18.-- Gebunden M. 21.--.
-
-Hiermit wird den Lesern die Lebensbeschreibung eines Mannes geboten,
-der wegen der völligen Originalität seiner Persönlichkeit wie seines
-Wirkens, durch die Mannigfaltigkeit seiner Betätigung und doch auch
-wieder durch die einheitliche Größe seines Wesens das Interesse
-weiterer Kreise erwecken und erfüllen muß, als es sonst Biographien tun
-können. Hat doch Ernst Abbe nicht bloß in der wissenschaftlichen Optik
-Bahnbrechendes geleistet, hat er doch nicht bloß die optische Industrie
-auf eine Höhe gebracht, von der aus Deutschland jetzt auf die andern
-Länder mit berechtigtem Stolze herabschaut; sondern auch auf einem ganz
-andern Gebiete, als sozialer Reformator, Unvergleichliches geschaffen
--- auf einem Gebiete, auf dem es leicht ist zu reden und zu schreiben,
-aber ebenso schwer zu handeln, schwer wegen der unumgänglichen
-Voraussetzungen des Herzens, des Charakters und des Verstandes, an die
-jenes Handeln geknüpft ist. Nur selten in Jahrhunderten finden sich
-diese Voraussetzungen in einer und derselben Person vereinigt; bei
-Abbe sind sie es gewesen, und so war diesem einfachen Arbeitersohn ein
-innerer und äußerer Erfolg gleichen Maßes und größten Stils beschieden.
-Im vorliegenden Buche wird, an der Hand des Quellenmaterials und
-persönlichen Erlebnisses, unterstützt durch sorgfältig ausgewählte
-Bildnisse und Illustrationen, der ganze Aufbau dieses Lebens
-dargestellt, und das in einer Weise, die es auch dem Nichtfachmann
-(und Abbe gegenüber sind wir das alle) ermöglicht, Schritt für Schritt
-mitzugehen und die Entwickelung dieses wahrhaft großen Mannes zu
-verfolgen -- nicht nur dem Gelehrten, dem Techniker, dem Industriellen,
-dem Volkswirt; nein, auch ganz einfach dem Menschen, zu dem der große
-Mensch eindringlich spricht. Den Beschluß des Buches bilden Beigaben
-für den, der durch seine Lektüre zu eingehender Beschäftigung mit
-seinem Gegenstande angeregt worden ist.
-
-
-
-
-Fußnoten:
-
-[1] Siehe „Der Staat und die Elektrizitätsversorgung“ von Dr. ing.
-Gustav Siegel.
-
-[2] In letzter Zeit hat die A. E. G. die Elektrowerke an den
-Reichsfiskus verkauft.
-
-[3] Abgedruckt in der „Elektrochemischen Zeitschrift“ 1916, S. 297 ff.
-
-[4] Inzwischen ist die Besteuerung der Kohle ohne Zusammenhang mit dem
-Elektrizitätsproblem bereits zur Durchführung gelangt, und zwar in viel
-höherem Ausmaß, als es Klingenberg vorgeschlagen hatte.
-
-[5] Nach Fertigstellung dieser Ausführungen hat der Verkehrsminister
-v. Breitenbach im Abgeordnetenhause eine stärkere Betätigung des
-preußischen Staates auf dem Gebiete der Großkrafterzeugung angekündigt
-und Pläne entwickelt, die ganz in der Richtung der Rathenau’schen,
-Siegel’schen und Klingenberg’schen liegen. Auch er mußte aber zugeben,
-daß die Vorteile eines solchen Vorgehens zunächst nicht so sehr auf
-dem staatsfinanziellen, als auf dem allgemeinwirtschaftlichen Gebiete
-liegen würden.
-
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Emil Rathenau und das elektrische
-Zeitalter, by Felix Pinner
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK EMIL RATHENAU UND DAS ELEKTRISCHE ZEITALTER ***
-
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-such as creation of derivative works, reports, performances and
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-redistribution.
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-(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
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-things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
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-paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
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-and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
-
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-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
-Foundation
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-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
-http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
-permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
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-The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
-Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
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-business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
-information can be found at the Foundation's web site and official
-page at http://pglaf.org
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-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
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- font-family: sans-serif, serif;
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-
-}
-
- </style>
- </head>
-<body>
-
-
-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter, by
-Felix Pinner
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-
-Title: Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter
-
-Author: Felix Pinner
-
-Editor: Wilhelm Ostwald
-
-Release Date: July 24, 2017 [EBook #55188]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK EMIL RATHENAU UND DAS ELEKTRISCHE ZEITALTER ***
-
-
-
-
-Produced by Peter Becker, Reiner Ruf, and the Online
-Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This
-file was produced from images generously made available
-by The Internet Archive)
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-
-<div class="transnote">
-
-<p class="s3 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
-
-<p class="p0">Der vorliegende Text wurde anhand der 1918 erschienenen
-Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben.
-Zeichensetzung und offensichtliche typographische Fehler wurden
-stillschweigend korrigiert. Fremdsprachliche Ausdrücke können in
-verschiedenen Variationen auftreten. Diese wurden nicht korrigiert,
-wenn sie im Text mehrmals auftreten. Auch andere inkonsistente
-Schreibweisen, einschließlich Personennamen (z.B. ‚Sigismund/Sigmund
-Schuckert‘) wurden nicht vereinheitlicht.</p>
-
-<p class="p0">Der Übertrag (‚Transport‘) der Tabelle ‚Gewinn- und
-Verlust-Conto‘ zu Beginn der <a href="#Seite_122">Seite 122</a> wurde
-vom Bearbeiter entfernt.</p>
-
-<p class="p0 nohtml">Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät
-installierten Schriftart können die im Original <em class="gesperrt">gesperrt</em>
-gedruckten Passagen gesperrt, in serifenloser Schrift, oder aber sowohl
-serifenlos als auch gesperrt erscheinen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="figcenter break-before">
- <a id="frontispiz" name="frontispiz">
- <img src="images/frontispiz.jpg"
- alt="" /></a>
- <p class="s6 center">Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H. Leipzig.</p>
- <p class="s6 center">Nach einem Bilde von Prof. Max Liebermann.</p>
- <p class="s6 center mbot2 ebhide"><a href="images/frontispiz_hr.jpg">&#10063;<br />
- <span class="s5">GRÖSSERE BILDANSICHT</span></a></p>
-</div>
-
-<div class="titelei">
-
-<p class="s1 break-before padtop1"><b>Grosse Männer</b></p>
-
-<p class="s3">Studien zur Biologie des Genies</p>
-
-<p>Herausgegeben von</p>
-
-<p class="s3">Wilhelm Ostwald</p>
-
-<p class="s4 mtop3">Sechster Band</p>
-
-<p class="s1">Emil Rathenau</p>
-
-<p>und</p>
-
-<p class="s3">das elektrische Zeitalter</p>
-
-<p class="mtop2">Von</p>
-
-<p class="s3">Felix Pinner</p>
-
-<p class="padtop5"><span class="mleft0_2">L</span><span class="mleft0_2">e</span><span class="mleft0_2">i</span><span class="mleft0_2">p</span><span class="mleft0_2">z</span><span class="mleft0_2">i</span><span class="mleft0_2">g</span></p>
-
-<p class="mtop1"><b>Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H.</b></p>
-
-<p>1918</p>
-
-<h1>Emil Rathenau<br />
-<span class="s7"><span class="s6">und</span></span><br />
-<span class="s6">das elektrische Zeitalter</span></h1>
-
-<p class="padtop1 mtop1">Von</p>
-
-<p class="s3 padtop1">Felix Pinner</p>
-
-<p class="mtop2">Mit einer Heliogravüre</p>
-
-<div class="figcenter padtop3">
- <a id="deko" name="deko">
- <img class="w4em" src="images/deko.jpg"
- alt="Dekoration" /></a>
-</div>
-
-<p class="padtop5"><span class="mleft0_2">L</span><span class="mleft0_2">e</span><span class="mleft0_2">i</span><span class="mleft0_2">p</span><span class="mleft0_2">z</span><span class="mleft0_2">i</span><span class="mleft0_2">g</span></p>
-
-<p class="mtop1"><b>Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H.</b></p>
-
-<p>1918</p>
-
-<div class="figcenter padtop1">
- <a id="signet" name="signet">
- <img class="w4em" src="images/signet.jpg"
- alt="Dekoration" /></a>
-</div>
-
-<p class="padtop5 break-before">Copyright 1918<br />
-by Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H.<br />
-in Leipzig</p>
-
-<p class="s6 padtop5">Druck von <em class="gesperrt">Paul Dünnhaupt</em>,
-Cöthen i. A.</p>
-
-</div>
-
-<hr class="full" />
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_v" id="Seite_v">[S. V]</a></span></p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="nobreak" id="Vorwort">Vorwort</h2>
-
-</div>
-
-<p>Als die „Akademische Verlagsgesellschaft“ an mich die Aufforderung
-richtete, eine Lebensgeschichte Emil Rathenaus zu schreiben, habe
-ich diesen Vorschlag mit Freuden angenommen. Gab er mir doch die
-Möglichkeit, das Bild einer großen, und in jedem Zuge ihres Wesens
-reizvollen Persönlichkeit aus dem Hintergrund ihrer Zeitgeschichte
-heraustreten zu lassen und den wechselseitigen Einfluß von
-Persönlichkeit und Organisation, der für die großen Kaufleute der
-letzten Epoche deutscher Wirtschaft typisch gewesen ist, an einem
-großen, wohl dem größten Beispiel darzustellen. Gerade dieses Bild und
-dieses Leben wird zeigen, wie falsch es ist, wenn man die Kraft und
-das Wesen der deutschen Industriewirtschaft &mdash; was ja heute häufig in
-der Kritik des Auslandes <em class="gesperrt">und</em> leider auch des Inlands geschieht
-&mdash; ganz allein aus dem Organisatorischen ableitet und ihnen damit
-den Charakter einer unpersönlichen, zwar durchschnittlich starken,
-aber doch höchster Einzelleistungen nicht fähigen Kultur aufprägen
-will. Emil Rathenau, und nicht nur er allein &mdash; neben dem mindestens
-ein halbes Dutzend ähnlicher Kopfe über einen gehobenen Durchschnitt
-in Geniehöhen hinausragt &mdash; beweist, daß Persönlichkeiten in dem
-Deutschland der Organisation und des „Militarismus“ durchaus nicht
-zu verkümmern brauchten. Wo sind im Bereiche des viel gepriesenen
-englischen Individualismus während der letzten Jahrzehnte die
-Erscheinungen gewesen, die einen Vergleich mit Emil Rathenau, Albert
-Ballin, Georg v. Siemens, August Thyssen, Emil Kirdorf, Guido v.
-Donnersmarck aufnehmen konnten? &mdash; Gewiß<span class="pagenum"><a name="Seite_vi" id="Seite_vi">[S. VI]</a></span> mag das Mittelmaß an
-Persönlichkeitswerten, der Mensch, Bürger und Kaufmann mittlerer
-Größe in England und in anderen Ländern freier gelebt, geschaffen,
-über seine Zeit und Arbeit verfügt haben als in Deutschland, aber
-die <em class="gesperrt">große</em> Persönlichkeit konnte sich in Deutschland so stark
-und frei ausleben wie nirgend wo anders. Allerdings haben sich alle
-diese deutschen Schöpfernaturen den Gesetzen, die sie zuerst kraft
-ihrer Eigenart und Überlegenheit aufgestellt haben, später freiwillig
-unterworfen gemäß dem klugen Spruch des Wagnerschen Hans Sachs, der das
-Wesen jeder schöpferischen Meisterschaft darin sieht, die Regeln zuerst
-aufzustellen und ihnen dann zu folgen. Daraus und nicht aus dem Mosaik
-des Zusammenwirkens vieler, zu großen höchstpersönlichen Leistungen
-unfähiger Mittelmäßigkeiten sind die deutschen Organisationen
-entstanden, die sich in ihrer Wirkung als so stark und unüberwindlich
-erwiesen haben.</p>
-
-<p>Das Bild der Persönlichkeit Emil Rathenaus, das ich in diesem Buche
-zeichnen möchte, soll sozusagen in einem <em class="gesperrt">doppelten Rahmen</em>
-gefaßt sein. Der engere stellt die <em class="gesperrt">Geschichte der A. E. G.</em> dar,
-der weitere die <em class="gesperrt">allgemeine deutsche Wirtschaftsentwicklung</em>,
-wie sie sich in jenem Zeitalter gestaltet hat, von dem Emil Rathenau
-so viel empfing, dem er aber auch nicht weniger zurückgab. Eine
-solche Darstellung bald nach dem Tode eines Mannes nicht als Skizze,
-sondern als sorgfältig ausgeführtes Bild zu versuchen, hat seine
-Schwierigkeiten, aber auch seine Vorteile. Die Nähe noch frischer oder
-halbfrischer Geschehnisse mag dem Urteil die Distanz erschweren und
-auch der Sammlung des vollständigen Materials in mancher Beziehung
-hinderlich sein, da mit Rücksicht auf den soeben Gestorbenen und noch
-Lebende sich manche Quellen vorerst nicht öffnen werden. Bei einem
-volkswirtschaftlich zu Wertenden ist der Nachteil, der aus solcher
-Zurückhaltung erwachsen könnte, allerdings nicht so groß wie bei einem
-Künstler oder selbst einem Politiker. Das Privat- und Intimmenschliche,
-auf das sie sich erstrecken könnte, spielt bei der<span class="pagenum"><a name="Seite_vii" id="Seite_vii">[S. VII]</a></span> zutreffenden
-Schilderung einer wirtschaftlichen Persönlichkeit, wenngleich es
-durchaus nicht ohne Wichtigkeit ist, doch nicht die gleiche Rolle wie
-bei einem Dichter oder Musiker. Die Geschäftsgeheimnisse hinwiederum
-brauchen vor dem rückschauenden Auge nicht so sorgsam und so lange
-gehütet zu werden wie manche politischen Geheimnisse (meist nicht
-der großen, sondern der kleinen Art). Denn das Geschäftsgeheimnis
-verliert seinen diskreten Charakter in dem Augenblick, in dem das
-Geschäft oder die Geschäftsreihe, deren Teil es ist, seinen Abschluß
-erreicht hat. Bei Emil Rathenau im besonderen liegt der Fall für den
-Geschichtsschreiber so, daß ein wirklich bedeutendes Schriftenmaterial
-<em class="gesperrt">innerer</em> Art gar nicht vorhanden ist. Es könnte im wesentlichen
-nur in Briefen bestehen, und ein Briefschreiber war Rathenau im
-Gegensatz zu Werner v. Siemens, dessen interessanten Briefwechsel
-kürzlich Conrad Matschoß veröffentlicht hat, ganz und gar nicht.
-Persönlichkeit, Zeit, Arbeits- und Ruhensart Rathenaus widerstrebten
-der Beschaulichkeit, auf deren Boden ein Bedürfnis zum Briefschreiben
-und die Kunst des Briefschreibens erwachsen können. Die Privatbriefe,
-die Rathenau mit seinen Angehörigen und Freunden wechselte, sind rein
-familiär und meist knapp gehalten, ohne besondere stilistische und
-menschliche Eigenart und bekunden höchstens &mdash; was wir auch ohnedies
-wissen &mdash; daß Rathenau ein guter Sohn, Gatte und Vater gewesen ist. Mit
-Berufs- und Geschäftsfreunden korrespondierte Rathenau nur selten in
-persönlicher Weise, wichtige Auseinandersetzungen wurden meist mündlich
-erledigt. Viel bessere Proben seines fachlichen Stils als Briefe bieten
-die Geschäftsberichte der A. E. G., an deren Abfassung sich Rathenau
-&mdash; in Gemeinschaft mit seinem Sohn Walther &mdash; bestimmend zu beteiligen
-pflegte, ferner Denkschriften, Reden, von denen ich einige besonders
-kennzeichnende ganz oder auszugsweise wiedergebe.</p>
-
-<p>Im ganzen war das dokumentarische Material, das einer Bearbeitung
-unterzogen werden mußte, trotzalledem außerordentlich umfangreich.
-Die Geschäftsberichte nicht nur der A. E. G. selbst,<span class="pagenum"><a name="Seite_viii" id="Seite_viii">[S. VIII]</a></span> sondern der
-wichtigeren Tochter- und Konkurrenzgesellschaften, die sehr zerstreuten
-Zeitungsberichte über Generalversammlungen und sonstige Vorgänge bei
-dem Konzern, Verträge, Denkschriften und Vorlagen der verschiedensten
-Art mußten durchgearbeitet werden. Diese Vorbereitung war nicht
-ganz einfach, weil die A. E. G. wie die meisten und leider auch die
-allergrößten unserer gewerblichen Unternehmungen keine systematischen,
-nach volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten geführten Archive besitzt,
-sondern sich mit der &mdash; lediglich für geschäftliche Bedürfnisse
-hinreichenden &mdash; Registratur begnügt, in die ja wohl Geschäftsdokumente
-zunächst auch gehören, aus der aber wenigstens die wichtigeren nach
-Ablauf einer gewissen Frist in Archive überführt werden sollten.
-Die ganzen Registraturen zu durchforschen ist naturgemäß für den
-volkswirtschaftlichen Schriftsteller ebenso undurchführbar und
-unlohnend, wie es den Geschäftsunternehmungen nicht zugemutet werden
-könnte, eine solche Durchforschung zu gestatten. So blieb nichts übrig,
-als jeweils solche Dokumente zu erbitten, deren Studium sich mir im
-Laufe meiner Arbeit als notwendig oder wünschenswert erwiesen hatte,
-ein Verfahren, das natürlich bei aller erzielten Reichhaltigkeit
-<em class="gesperrt">absolute</em> Vollständigkeit des Materials nicht zu gewährleisten
-vermag.</p>
-
-<p>Gerade bei einer solchen Verfassung der dokumentarischen Verhältnisse
-bietet die <em class="gesperrt">schnelle</em> Inangriffnahme einer biographischen
-Bearbeitung eher Vorteile als Nachteile. Denn mit der fortschreitenden
-Zeit werden diese Verhältnisse nicht besser, sondern schlechter.
-Die Registraturen entrücken immer mehr der Zugänglichkeit, die sich
-ständig häufende Fülle des Nebensächlichen erdrückt das Wesentliche,
-&mdash; und vor allem die Personen, die heute noch durch ihre Kenntnis der
-zurückliegenden Vorgänge, durch ihre lebendige Erinnerung den Schlüssel
-zu den toten Akten in den Händen haben, verschwinden allmählich aus
-dem Betrieb und aus dem Leben. Die neueren Leiter haben aber an die
-Gegenwart zu denken, nicht an die Vergangenheit.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_ix" id="Seite_ix">[S. IX]</a></span></p>
-
-<p>Gerade aber die Erinnerung Mitlebender ist eine schätzenswerte und
-unersetzbare Quelle für die Nachschaffung wirtschaftlicher Vorgänge.
-Ich konnte sie erfreulicherweise reich zum Fließen bringen, und wenn
-auch in manchen Einzelzügen die Schilderung, mehr noch das Urteil der
-noch lebenden Mitarbeiter und Freunde Emil Rathenaus auseinanderging,
-so haben gerade diese Darstellungen, verbunden mit meiner eigenen
-persönlichen Kenntnis des Menschen Rathenau mir eine plastische
-Vorstellung von diesem gegeben, die keine Distanz des späteren
-Biographen ersetzen könnte.</p>
-
-<p>Gedenken möchte ich noch der zahlreichen, wenn auch nicht immer ebenso
-reichen Literatur, die bereits vor meiner Arbeit über Emil Rathenau und
-die A. E. G. vorlag. Für die ersten Abschnitte, etwa bis zur Befreiung
-von den Fesseln der Verträge mit Siemens &amp; Halske, vermochte sie mir
-manche wertvolle Hilfe zu leisten. Für die Darstellung der Reifezeit
-und der Zeit der Reife, wie auch besonders für die Schilderung der
-wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenhänge bin ich im wesentlichen
-auf mich selbst angewiesen gewesen.</p>
-
-<p class="mtop2"><em class="gesperrt">Berlin-Friedenau</em>, im Jahre 1917.</p>
-
-<p class="s4 right mright2 mtop2"><b class="sans">Dr. Felix Pinner.</b></p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_x" id="Seite_x">[S. X]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Litteratur">Litteratur</h2>
-
-</div>
-
-<div class="litteratur">
-
-<p>Arthur Wilke, Die Berliner Elektrizitätswerke. Berlin 1890. F. A.
-Günther &amp; Sohn.</p>
-
-<p>Dr. Hermann Hasse, Die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft und
-ihre wirtschaftliche Bedeutung. Heidelberg 1902. Karl Winter.</p>
-
-<p>Dr. Emil Kreller, Die Entwicklung der deutschen elektrotechnischen
-Industrie. Leipzig 1903. Dunker &amp; Humblot.</p>
-
-<p>Dr. Friedrich Fasolt, Die sieben größten deutschen
-Elektrizitätsgesellschaften, ihre Entwickelung und
-Unternehmertätigkeit. Dresden 1904. O. V. Böhmert.</p>
-
-<p>A. E. G. Zeitung, Festnummer 2. 10. 1908.</p>
-
-<p>A. E. G. 1883&ndash;1908, herausgegeben von der Gesellschaft.</p>
-
-<p>Conrad Matschoß, Die geschichtliche Entwickelung der Allgemeinen
-Elektrizitäts-Gesellschaft in den ersten 25 Jahren ihres Bestehens.
-Jahrbuch des Vereins Deutscher Ingenieure, 1909, 1. Bd. Julius
-Springer, Berlin.</p>
-
-<p>B. E. W. 1884&ndash;1909, herausgegeben von der Gesellschaft.</p>
-
-<p>Dr. Felix Pinner, Emil Rathenau, „Der Kaufmann und das Leben“.
-Beiblatt der Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis.
-Leipzig, Februar 1913. Ernst Poeschel.</p>
-
-<p>Artur Fürst, Emil Rathenau, der Mann und sein Werk. Vita, Deutsches
-Verlagshaus. Berlin.</p>
-
-<p>Gedenkblatt zum Todestage Emil Rathenaus. Berlin, Juni 1915.</p>
-
-<p>Emil Schiff, Allgemeine Elektrizitäts Gesellschaft und Berliner
-Elektrizitäts-Werke. Berlin 1915. Franz Siemenroth.</p>
-
-<p>Conrad Matschoß, Geschichtliche Entwickelung der Berliner
-Elektrizitäts-Werke von ihrer Begründung bis zur Übernahme durch
-die Stadt. Jahrbuch des Vereins Deutscher Ingenieure. Berlin 1916.</p>
-
-<p>A. Riedler, Emil Rathenau und das Werden der Großwirtschaft. Julius
-Springer. Berlin 1916.</p>
-
-<p>Werner v. Siemens, Lebenserinnerungen. 9. Auflage. Berlin 1912.
-Julius Springer.</p>
-
-<p>Francis Arth. Jones, Thomas Alva Edison. Sechzig Jahre aus dem
-Leben eines Erfinders. Frankfurt a. M. Otto Brandner.</p>
-
-<p>Dr. ing. Gustav Siegel, Der Staat und die Elektrizitätsversorgung.
-Berlin 1915. Georg Stilke.</p>
-
-<p>G. Klingenberg, Elektrische Großwirtschaft unter staatlicher
-Mitwirkung. Berlin 1916.</p>
-
-<p>Archiv der Handelszeitung des Berliner Tageblattes.</p>
-
-<p>Archiv der Zeitschrift „Die Bank“, Herausgeber Alfred Lansburgh.
-Berlin.</p>
-
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_xi" id="Seite_xi">[S. XI]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Inhaltsverzeichnis">Inhaltsverzeichnis</h2>
-
-</div>
-
-<table class="inhalt" summary="Inhaltsverzeichnis">
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="s5">
- Seite
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Vorwort
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;&nbsp;&nbsp;<a href="#Seite_v">V</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Litteratur
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;&nbsp;&nbsp;<a href="#Seite_x">X</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Erstes Kapitel: Jugendjahre
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;&#8199;<a href="#Seite_1">1</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Zweites Kapitel: Zwischenspiel
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;<a href="#Seite_35">35</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Drittes Kapitel: Wirtschaftliche Vorbedingungen
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;<a href="#Seite_48">48</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Viertes Kapitel: Technische Vorbedingungen
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;<a href="#Seite_59">59</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Fünftes Kapitel: Licht
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;<a href="#Seite_80">80</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Sechstes Kapitel: Die Deutsche Edison Gesellschaft
- </td>
- <td class="vab">
- <a href="#Seite_100">100</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Siebentes Kapitel: Zentralstationen
- </td>
- <td class="vab">
- <a href="#Seite_129">129</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Achtes Kapitel: A. E. G.
- </td>
- <td class="vab">
- <a href="#Seite_146">146</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Neuntes Kapitel: Ausdehnung und Befreiung
- </td>
- <td class="vab">
- <a href="#Seite_155">155</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Zehntes Kapitel: Das Finanz- und Trust-System
- </td>
- <td class="vab">
- <a href="#Seite_186">186</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Elftes Kapitel: Krisis
- </td>
- <td class="vab">
- <a href="#Seite_223">223</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Zwölftes Kapitel: Konzentration
- </td>
- <td class="vab">
- <a href="#Seite_251">251</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Dreizehntes Kapitel: Weltwirtschaft
- </td>
- <td class="vab">
- <a href="#Seite_280">280</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Vierzehntes Kapitel: Großkraftversorgung
- </td>
- <td class="vab">
- <a href="#Seite_317">317</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Fünfzehntes Kapitel: Gemischt-wirtschaftliche Unternehmung
- </td>
- <td class="vab">
- <a href="#Seite_336">336</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- Sechzehntes Kapitel: Charakterbild
- </td>
- <td class="vab">
- <a href="#Seite_350">350</a>
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<hr class="full" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_1" id="Seite_1">[S. 1]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Erstes_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Erstes Kapitel</em><br />
-
-Jugendjahre</h2>
-
-</div>
-
-<p>Emil Rathenau wurde am 11. Dezember 1838 in Berlin geboren. In der
-Rede, die er am Vorabend seines 70. Geburtstages hielt, erzählte er,
-nicht ohne beziehungsreichen Stolz:</p>
-
-<p>„Als ich die Lebensreise antrat, gab es in unserer Vaterstadt ein
-interessantes Erlebnis: Die Vollendung der ersten preußischen
-Eisenbahn. Die Berliner sollen in hellen Haufen begeistert zum
-Potsdamer Tor hinausgepilgert sein, um den Zug nach Steglitz abfahren
-zu sehen. Viel zu langsam (nach heutigen Begriffen) bewegte er sich
-vorwärts, ohne Schlaf- und ohne Speisewagen; und doch war die Eisenbahn
-ein gewaltiger Fortschritt gegen die Postkutsche, in der mein Vater aus
-der Uckermark als Jüngling, meine Mutter als Kind mit ihren Eltern aus
-der Mark hierher übersiedelten.“</p>
-
-<p>Rathenaus Großeltern väterlicherseits und namentlich mütterlicherseits
-waren für die damalige Zeit wohlhabende Leute gewesen. Sein
-Vater wurde früh Rentier und betätigte sich nur hier und da
-in Gelegenheitsgeschäften. In der Mischung von geschäftigem
-Unternehmungsdrang und schnellem Überdruß an einer seßhaften,
-geordneten Geschäftlichkeit, die der ganzen Familie etwas eigen
-gewesen zu sein scheint, die sich entschiedener in dem Lebensgang
-seines ältesten und seines jüngsten Sohnes ausprägte und die eine
-Zeitlang auch den mittleren und begabtesten Sohn Emil zu erfassen
-drohte, scheint bei dem Vater die Abneigung gegen eine ausdauernde
-Geschäftstätigkeit das überwiegende Element gewesen zu sein. Gewiß
-nicht aus Unlust zur Arbeit, sondern zu einer Arbeit, die ihm nicht
-zusagte, seinen Wünschen und Fähigkeiten nicht zu entsprechen
-schien. Ein strenger, Fremden und Verwandten gegenüber nicht gerade
-entgegenkommender Mann, dessen Denkungsweise aber rechtlich und redlich
-war, so wird er von denen geschil<span class="pagenum"><a name="Seite_2" id="Seite_2">[S. 2]</a></span>dert, die ihn gekannt haben. Sein
-Anteil an der Erziehung seiner Kinder war offenbar nicht sehr positiv,
-er hielt sie äußerlich streng, aber er verstand und versuchte es nicht,
-auf ihre innere Bildung Einfluß zu gewinnen, und zu diesem Zwecke in
-ihr Charakter- und Seelenleben einzudringen. Sie entwickelten sich,
-im Guten wie im Schlechten, ohne ihn und trotz ihm, und da er kein
-sehr hohes Alter erreichte (er starb im Jahre 1871), verwischte und
-verfärbte sich die Einwirkung seiner Persönlichkeit in dem späteren
-Leben der erwachsenen Söhne ziemlich schnell. Emil Rathenau hat in der
-selbstbiographischen Skizze, die in seinem Nachlaß vorgefunden wurde,
-das Verhältnis zu seinen Eltern mit ein paar kurzen und ziemlich kühlen
-Worten geschildert:</p>
-
-<p>„Mein Vater hat sich bald nach meiner Geburt vom Geschäft
-zurückgezogen. Er war streng und gewissenhaft und führte eine korrekte
-Ehe mit der klugen und geistreichen Mutter, die Ehrgeiz besaß und
-Eleganz in ihrer Erscheinung bis an ihr spätes Lebensalter zu bewahren,
-die Schwäche hatte. Für die Erziehung der drei Söhne scheuten die
-Eltern keine Kosten, aber sie überließen die Sorge hierfür der Schule
-und Privatlehrern, weil das gesellige und gesellschaftliche Leben ihnen
-die Muße nicht ließ, den wilden Knaben die erforderliche Aufmerksamkeit
-zu widmen.“</p>
-
-<p>Auch der Mutter werden in dieser sachlich-knappen Darstellung keine
-Worte innerer Beziehung gewidmet und es mag richtig sein, daß auch sie
-trotz unleugbarer geistiger Begabungen und Interessen keine eigentliche
-Menschenerzieherin im innerlichen Sinne des Wortes gewesen ist. Dennoch
-wirkten der mütterliche Einfluß und das Gefühl für die Mutter in
-dem Leben der Kinder ganz anders nachhaltig wie die Beziehungen zum
-Vater fort. Hier war nicht nur Respekt, hier war Liebe und herzliche
-Zuneigung auf beiden Seiten, und wie sehr auch Entwicklung und
-Veranlagung die Söhne später auseinander führten, ja entfremdeten,
-der Mutter hingen sie alle treu an, und namentlich Emil Rathenau ließ
-&mdash; auch in den Zeiten, in denen seine Tage nicht mehr die Fülle der
-Arbeit fassen wollten &mdash; kaum einen Sonntag vergehen, an dem er die
-Frau, die in seltenem und klugem Greisenalter den stolzen Aufstieg
-des Sohnes erleben, seinen Stern noch im Zenith sehen durfte, nicht
-zu einem Plauderstündchen besuchte. Den Kindern gegenüber hatte sie
-jene Herzensfreundlichkeit besessen, die die Grundlage jedes wirklich<span class="pagenum"><a name="Seite_3" id="Seite_3">[S. 3]</a></span>
-schönen Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern ist und die bei
-tüchtigen und guten Kindern auch einmal einen bewußten Erziehungsplan
-ersetzen kann.</p>
-
-<p>Emil Rathenau besuchte, wie seine Brüder, zunächst die alte Berliner
-Knabenschule von Marggraf in der Sophienstraße, wo die Vorschüler in
-ziemlich patriarchalischer Weise auf das Gymnasium vorbereitet wurden.
-Die Privatanstalt verließ Emil Rathenau nach einiger Zeit mit seinem
-älteren Bruder, der das nach Ansicht des Schulvorstehers unverzeihliche
-Vergehen begangen hatte, den Unterricht durch Knallerbsen zu stören.
-Im Jahre 1849 kam er auf das Gymnasium zum grauen Kloster, das damals
-von dem älteren Professor Bellermann geleitet wurde. Wie so viele,
-die später im praktischen Leben bedeutende Männer geworden sind,
-war Emil Rathenau kein Musterschüler, und den meisten Fächern, die
-auf dem humanistischen Gymnasium gelehrt wurden, vermochte er nicht
-viel Interesse abzugewinnen. Immerhin hielt er sich auf leidlichem
-Niveau. Die Selbstkritik seiner Leistungen auf dem Gymnasium hat er
-in die Worte zusammengefaßt: „An Begabung fehlte es mir weniger als
-an häuslichem Fleiß.“ Die interessanten und aufregenden Begebnisse
-politischer Art, die in die ersten Schuljahre Rathenaus fielen,
-lenkten naturgemäß seine und seiner Mitschüler Aufmerksamkeit von
-den Schuldingen ab, so sehr auch die Eltern und Lehrer die Jugend
-durch Vorhaltungen und Strafen ihrer Wirkungssphäre zu entrücken
-versuchten. Die Ereignisse des Jahres 1848 hat Rathenau meist auf
-der Straße miterlebt. Die ausführliche Schilderung, die er in seinen
-Aufzeichnungen von ihnen gibt, läßt erkennen, daß der Eindruck auf ihn
-und die damalige Schuljugend ein starker war, aber ebenso auch, daß
-dieser Eindruck ganz im Sensationellen, Straßenjungen-Romantischen
-wurzelte und ihm kaum eine Ahnung der politischen Hintergründe
-beigemischt war. „Es war eine lustige Zeit für die Jungen, da die
-neuerrungene Freiheit sich häufig auch auf den Schulunterricht
-erstreckte und Eltern und Lehrer im Ernst der Zeit den strengen
-Gehorsam nicht als das oberste Gesetz mehr zu betrachten schienen.“ &mdash;
-Einen ernsten und tiefen Eindruck machte wohl nur die Überführung der
-Märzgefallenen nach dem Friedrichshain. Hier traf die Wucht und Tragik
-der Ereignisse auch die Kinderseele. „Unvergeßlich“ nannte Rathenau
-diese Stunde.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_4" id="Seite_4">[S. 4]</a></span></p>
-
-<p>„Wir beobachteten das Schauspiel von den Fenstern eines kleinen Hauses
-am Schloßplatz, das jetzt dem Neubau des Marstalls zum Opfer gefallen
-ist; es gehörte der Firma Krüger &amp; Peterson, deren Tabakgeschäft durch
-den Verkauf von Hyazinthenzwiebeln in Berlin bekannt geworden war. Der
-Schloßplatz, die Kurfürstenbrücke, König- und Burgstraße waren dicht
-gedrängt, alles schwarz; überall wehten Trauerfahnen von den Dächern
-und an Fenstern, und auf Balkonen standen Männer und Frauen in tiefer
-Trauer. Die nicht endenden Züge von offenen Särgen konnten sich nur
-mühsam und langsam durch die enge Menschengasse gen Osten bewegen. Auf
-den Balkonen des Schlosses und gegenüber standen entblößten Hauptes der
-König und sein Gefolge über der Stelle, von der die Kartätschen ihren
-Weg durch die Breitestraße zur d’Heureuseschen Konditorei genommen und
-manche Erinnerung an die blutigen Ereignisse in Straßenbrunnen und
-Häusern zurückgelassen hatten.“</p>
-
-<p>Mit dem Zeugnis für Unterprima verließ Rathenau schließlich das
-Gymnasium. Über seinen zukünftigen Beruf hatte er noch wenig
-nachgedacht. Technische Neigungen hatten sich wohl gelegentlich
-gemeldet, waren aber nicht so stark und bestimmend gewesen, daß die
-technische Laufbahn sozusagen im festen Plan eines zielbewußten
-Willens gelegen hätte. Die Entscheidung brachten vielmehr, wie so
-häufig im Leben, Familienbeziehungen. Rathenau wurde Maschinenbauer
-und lernte sein Handwerk von der Pike auf. „Da weder Terpsichore noch
-andere Musen an meiner Wiege gestanden,“ erzählt er launig, „reiste
-ich auch ohne ihr Geleit in die Lehre nach Schlesien.“ Dort besaßen
-seine reichen Verwandten, die Liebermanns, industrielle Betriebe,
-die für die damalige Zeit als sehr respektabel gelten konnten. Die
-Wilhelmshütte, bei Sprottau, ein Eisenwerk mit Maschinenbauanstalt, das
-seine Entstehung wie viele der damals noch karg gesäten industriellen
-Unternehmungen des preußischen Landes Friedrich dem Großen verdankte,
-später in Privatbesitz übergegangen war, aber erst in den Händen von
-Rathenaus Großvater mütterlicherseits, Liebermann und dessen Söhnen
-sich schnell einen gewissen industriellen Ruf erworben hatte, diente
-Rathenau als Lehrstelle. Die Lehre war wie die väterliche Erziehung zu
-Hause streng, und das verwandtschaftliche Verhältnis zu den Inhabern
-der Fabrik schaffte dem jungen Maschinenbauer in der Arbeit keine
-Erleichterung. „Proletarier in blauer Bluse und<span class="pagenum"><a name="Seite_5" id="Seite_5">[S. 5]</a></span> mit zerschundenen
-Händen“ nannte er sich, als er in späteren Jahren auf diesen Abschnitt
-seines Lebens zurückblickte. Das Herrensöhnchen durfte er &mdash; zu seinem
-eigenen Besten &mdash; nicht spielen und der tüchtige Mestern, der den
-technischen Betrieb ziemlich selbständig leitete, behandelte ihn wie
-jeden beliebigen anderen Praktikanten auch. Der junge Rathenau, der
-doch immerhin die Primareife besaß, niemals gering von sich dachte und
-sich wohl damals schon zu Höherem berufen fühlte, mag manchmal unter
-dem Joch geknirscht haben, und sich etwas inferior vorgekommen sein,
-zumal wenn er den nicht nur äußerlich feinkultivierten Haushalt seiner
-Verwandten als Kontrast zu seiner damaligen Lage betrachtete. Erblickte
-der Lehrling im Arbeitskittel seine „vornehmen“ Kusinen von ferne, so
-wich er einer Begegnung lieber aus und drückte sich, wenn es ging, um
-eine naheliegende Ecke, tief beschämt, wenn er inne ward, daß sie ihn
-doch gesehen und sich an seiner Verlegenheit geweidet hatten. &mdash; Volle
-4½ Jahre mußte er aushalten und er hielt aus. Von seiner Lehrzeit
-hat Rathenau die folgende Schilderung gegeben:</p>
-
-<p>„Das Werk hatte mein Großvater, ein hervorragender Industrieller
-unserer Stadt, mit seinen Söhnen eben erworben. Es lag in hübscher
-Gegend am Bober, besaß schöne Wohnhäuser und einen großen Park, und
-prächtige Wälder in der näheren und weiteren Umgebung machten den
-Aufenthalt angenehm.</p>
-
-<p>Der Reichtum an Holzbeständen und Wiesenerzen, die die Verhüttung
-lohnten, Wasserkräfte von mäßiger Stärke und sehr billige Arbeitslöhne
-hatten im niederschlesischen Revier zur Errichtung von Hochöfen und
-Walzwerken Anlaß gegeben, und namentlich erstere versorgten fast die
-ganze Monarchie mit einfachem Guß und Poterien, die roh oder mit
-einer schönen weißen Emaille auf den Markt kamen. In den Gießhütten
-stellte sich bald das Bedürfnis nach Kupolöfen ein, um die Hallen
-und Arbeitskräfte durch Herstellung von Maschinen- und Bauguß besser
-zu verwerten. Die Wilhelmshütte hatte einen Hochofen von mäßigen
-Dimensionen, dessen Gase ungenutzt in die Luft stiegen und die Gegend
-mit hellen Flammen erleuchteten. Das Kolbengebläse wurde durch ein
-mittelschlächtiges Wasserrad angetrieben, wie es Scharwerker jener
-Zeit herstellten; bei der Konstruktion hatte man offenbar mehr auf
-billige und solide Herstellung als auf hohen Nutzeffekt Wert gelegt.
-Die<span class="pagenum"><a name="Seite_6" id="Seite_6">[S. 6]</a></span> Maschinenfabrik baute landwirtschaftliche Maschinen, meist
-nach englischem Muster, Pumpen, Wasserstationen, Weichen, Radsätze
-für Eisenbahnwagen, Apparate für Gasanstalten, Einrichtungen für
-Brennereien und Mühlen jeder Art, daneben wurde all und jedes, was das
-Publikum verlangte, auch wenn es in sehr losem Zusammenhang mit dem
-Maschinenbau stand, hergestellt, zum Beispiel eiserne Bettstellen,
-Turmuhren und dergleichen. Diese Vielseitigkeit wurde eingeschränkt,
-als bald nach meinem Antritt A. Mestern die Leitung des Werkes
-übernahm. Dieser begabte Techniker hatte sein gemeinsam mit Tischbein
-in Magdeburg betriebenes Zivil-Ingenieur-Geschäft aufgegeben und war
-auf Fr. Walz’ Empfehlung als Sozius in die Firma getreten. Er war
-ein reiner Empiriker und hatte meines Wissens weder im praktischen
-Betriebe noch auf Hochschulen Erfahrungen gesammelt, aber sein feines
-Auge und Gefühl, sein Verständnis der kinematischen Vorgänge, sein
-Talent in der Formgebung und Abmessung aller Konstruktionen ersetzten
-diesen Mangel an Ausbildung. Mestern kannte die Dampfmaschine in
-ihrer damaligen primitiven Ausführung, und wenn er nach einfachen
-Formeln, wie sie in England gebräuchlich zu sein schienen, die
-Hauptabmessungen festgestellt hatte, konstruierte er vertikale oder
-Balanzier-Maschinen mit gotischem Gestell oder auf blanken Säulen
-gelagerter Schwungradwelle. Viel Fleiß verwendete er auf Ausgestaltung
-der Formen im Geschmack seiner Zeit, auf tadellose Bearbeitung von
-unzähligen blanken Pfeilern; das Publikum der 50er Jahre des vorigen
-Jahrhunderts liebte und bezahlte solche Erzeugnisse, legte aber wenig
-Wert auf die ökonomische Wirkung, die es weder zu beurteilen noch zu
-messen verstand. Obwohl Sachverständige die Bedeutung der Expansion des
-Dampfes zu schätzen wußten, begnügten viele Konstrukteure sich mit der
-unvollkommenen Wirkung nicht entlasteter Schieber und Drosselklappen,
-und die Kunst im Bau dieser langsam laufenden Maschinen bestand zumeist
-in der Bearbeitung der Einzelteile mit nichts weniger als vollendeten
-Werkzeugen. Die schwachen Hobelmaschinen vibrierten schon bei winzigen
-Spänen, und da genaue Flächen einer gründlichen Nacharbeit in jedem
-Falle bedurften, begann man häufig sogleich mit der Handarbeit, um die
-Zeit des Aufspannens zu ersparen.</p>
-
-<p>Eine neue Ära des Maschinenbaues begann mit der Corliß-Dampfmaschine
-nach amerikanischen Mustern. Ihr vorangegangen<span class="pagenum"><a name="Seite_7" id="Seite_7">[S. 7]</a></span> war eine Periode des
-Maschinenbaues mit U-förmiger Grundplatte, deren Dampfzylinder und
-Geradführung an dieser seitlich befestigt waren; das Schwungradlager
-mit mehrteiliger Büchse lag so in derselben, daß die Kurbel gegen die
-gedrehte Fläche lief; der hohle Raum der Grundplatte war mit einem
-Holzdeckel geschlossen und diente als Schrank für Werkzeuge; auf der
-Grundplatte stand der von einem Riemen angetriebene Regulator.</p>
-
-<p>Die Konstruktion der Corliß-Maschine mit ihren getrennten Ein-
-und Auslaßschiebern wurde in allen Größen und in einer Ausführung
-hergestellt, die dem amerikanischen Original nicht nachstand;
-sie führten sich durch das bestechende Äußere und die Ökonomie
-des Dampfes rasch ein, trotzdem die Verkaufspreise den teuerern
-Herstellungskosten entsprechend hohe waren. Für Reversier-Walzwerke
-und Gebläsemaschinen wurde die Schiebersteuerung beibehalten, und
-bei den Wasserhaltungsmaschinen für das Waldenburger Revier büßte
-die Katarakt-Ventil-Steuerung ihre Bedeutung nicht ein. Als ich
-die Wilhelmshütte nach 4½jähriger Tätigkeit verließ, war sie
-eine Maschinenfabrik, die sich eines guten Rufes in den Kreisen der
-Industrie erfreute und den besten Fabriken gleichwertig erachtet wurde.“</p>
-
-<p>Die lange praktische Lehrzeit, die weit über das hinausging, was heute
-ein akademisch gebildeter Ingenieur auf diesem Gebiete zu leisten hat,
-gab Rathenau eine gründliche handwerkliche Kenntnis des Maschinenbaus,
-für den er immer eine gefühlsmäßige Vorliebe behielt, mit auf den
-Lebensweg.</p>
-
-<p>Rathenaus Austritt aus der Wilhelmshütte wurde durch die Mobilmachung
-der preußischen Armee aus Anlaß des italienischen Krieges
-herbeigeführt. Er sollte beim 2. Garde-Regiment eintreten, als der
-Friede von Villafranca geschlossen wurde. Damit wurde der Eintritt in
-das Heer zunächst aufgeschoben, der junge Mann ging aber nicht wieder
-zur Wilhelmshütte zurück, sondern entschloß sich, seiner technischen
-Bildung zunächst eine wissenschaftliche Grundlage zu geben. Aus
-der Erbschaft des Großvaters, die beim Kinderreichtum der Familie
-allerdings in 15 Teile ging, fiel ihm eine an sich bescheidene, für ihn
-aber damals nicht unbedeutende Summe von einigen tausend Talern zu.
-Mit diesem Gelde ausgerüstet, über das er ganz frei verfügen konnte,
-durfte Emil Rathenau, seinem längst gehegten Wunsch nach akademischer
-Durchbildung<span class="pagenum"><a name="Seite_8" id="Seite_8">[S. 8]</a></span> nachgeben. Er bezog zunächst die polytechnische Schule
-in Hannover. Da seine mathematischen Kenntnisse durch den Schulbesuch
-auf dem „Grauen Kloster“ nur recht mangelhaft gefördert worden waren,
-strebte er danach, sie durch Selbststudien zu ergänzen und hatte sich
-tatsächlich in kurzer Zeit in die Differential- und Integral-Rechnung
-so eingearbeitet, daß er den Vorlesungen, die allerdings keine großen
-Vorkenntnisse der Mathematik voraussetzten, gut folgen konnte. Die
-meisten Lehrer, so der Technologe Karmarsch, der Architekt Debo und
-der Statiker Ritter verstanden es, mit einer geringen Menge von
-Mathematik auszukommen, auch für das Studium des Maschinenbaus in
-seiner damaligen Form war ein Zurückgehen auf mathematische Begriffe
-nicht unbedingt erforderlich. Nicht lange konnte sich aber Rathenau in
-Hannover seinen Studien ruhig hingeben. Ein Streit um die akademische
-Freiheit sah Rathenau und einige preußische Kommilitonen unter den
-Wortführern, was den Zorn der welfischen Lehrer gegen die preußischen
-Studenten erregte. Nach Beendigung der Ferien ging Rathenau darum
-nicht mehr nach Hannover zurück, sondern wandte sich nach Zürich, wo
-Männer wie Zeuner, Reuleaux, Culmann und andere lehrten und in einem
-fast kameradschaftlichen Verhältnis zu ihren Schülern standen. Die
-Diplomprüfung bestand Rathenau, trotzdem die Zeit der schriftlichen
-Arbeiten gerade in die feuchtfröhliche Feier des eidgenössischen
-Schützenfestes fiel, mit der besten Nummer. Mit dem Diplom „eines
-richtig gehenden Ingenieurs“ kehrte der junge Techniker nach Berlin
-zurück. Der Wiedereintritt in die Wilhelmshütte stand ihm wohl offen,
-aber er hatte die Empfindung, daß er mit seiner inzwischen erworbenen
-wissenschaftlichen Methodik nicht mehr so recht unter die dortigen
-Empiriker passen würde. Als einen großen Erfolg betrachteten er und
-die Familie es, als er eine Anstellung in der Lokomotivfabrik von A.
-Borsig erhielt, die damals von dem Sohn des Begründers geleitet wurde.
-Zuerst wurde er im Zeichenbureau beschäftigt und hatte Arbeiten mehr
-untergeordneter Art auszuführen. Bald wurde er aber unter die meist
-älteren Konstrukteure versetzt und konnte sich unter der Leitung des
-Oberingenieurs Flöhringer mit der Konstruktion von Gitterbrücken,
-später unter der Leitung des Obermaschinenmeisters Stambke mit dem
-Entwerfen von Lokomotiven beschäftigen. Sein Gehalt betrug 25 Taler
-monatlich, womit er<span class="pagenum"><a name="Seite_9" id="Seite_9">[S. 9]</a></span> seine einfachen Bedürfnisse bestreiten konnte,
-ohne die geldliche Hilfe der Eltern in Anspruch zu nehmen. Dagegen
-speiste er Sonntags und an manchen Abenden der Woche im elterlichen
-Haus in der Kronenstraße. Die Tätigkeit bei Borsig befriedigte den
-jungen Ingenieur indessen nicht lange. Der Lokomotivbau wurde ziemlich
-schematisch nach den Entwürfen der Maschinenmeister durchgeführt und
-ließ den Konstrukteuren wenig Spielraum für die freie Entfaltung
-eigener Gedanken. Dazu war auch die Fühlung mit der Praxis, die eine
-solche Tätigkeit wenigstens vorausgesetzt hätte, sehr gering. Denn der
-Besuch der Werkstätten wurde durch Meister und Werkführer, die ihre
-Domäne namentlich den jungen Ingenieuren eifersüchtig verschlossen,
-sehr erschwert. Befand man sich doch damals in einer Zeit, in der
-die alte empirische Technik im Kampfe mit der neu aufkommenden
-wissenschaftlichen Methode stand, die auf den technischen Schulen
-herangebildet wurde und infolgedessen ihre Ideen etwas ungestüm und in
-der Form vielleicht auch etwas überheblich in die Praxis hineinzutragen
-suchte. Emil Rathenau war nicht der Mann, um seine frisch errungenen
-wissenschaftlichen Erkenntnisse sich im praktischen Betriebe um des
-leichten Fortkommens willen wieder langsam abzugewöhnen. Er hätte,
-wenn er ein Durchschnittsmensch und ein Durchschnittstechniker gewesen
-wäre, bei Borsig bleiben und allmählich eine wichtige Stellung,
-wahrscheinlich sogar einen Ober-Ingenieurposten erringen können.
-Aber Rathenau hat sich nie in seinem Leben mit mittelmäßigen Zielen
-begnügt. Er besaß die fruchtbare Unzufriedenheit des nach Großen
-strebenden Charakters, dem seine innere Entwickelung mehr wert war als
-eine gesicherte Existenz. Als er Borsig von seinem Entschluß, bereits
-nach ½jähriger Tätigkeit aus seinem Betriebe auszuscheiden und nach
-<em class="gesperrt">England</em> zu gehen, benachrichtigte, schien der Chef einigermaßen
-darüber befremdet, daß Rathenau sein Interesse und seine Absicht, ihn
-bald in eine höhere Stellung aufrücken zu lassen, nicht mit größerem
-Dank anerkannte. Neben dem Bestreben, sich fortzubilden und alles in
-sich aufzunehmen, was die Technik damals in den fortgeschritteneren
-Industrieländern an Gegenwartserfüllungen und Zukunftsmöglichkeiten
-bieten konnte, war es wohl auch der Wandertrieb, der „Durst nach
-weiter Welt“, die ihn bewogen, die aussichtsreiche Stellung in der
-Heimat aufzugeben und sich in England, dem damals an der Spitze
-schreitendem<span class="pagenum"><a name="Seite_10" id="Seite_10">[S. 10]</a></span> Lande der Technik und Wirtschaft, gründlich umzusehen.
-Mit einem Empfehlungsbrief von Borsig an die große Maschinenfabrik von
-John Penn in Greenwich und einem zweiten des Admiralrates Coupette
-reiste Rathenau über den Kanal. Die Hoffnung einer Anstellung bei Penn
-schien sich zunächst nicht zu verwirklichen und Rathenau war vorerst
-darauf angewiesen, sich durch Annoncen im „Engineer“ eine Stellung
-zu suchen. Ein persönlicher Besuch in der Villa John Penns führte
-aber, ehe sich der junge Ingenieur zur Annahme eines Anerbietens
-der landwirtschaftlichen Maschinen- und Lokomotivfabrik Marshall in
-Gainsborough entschloß, doch noch zum Ziele einer Anstellung in der
-großen Greenwicher Fabrik und er bekam die Stelle eines Draughtsman mit
-30 sh. Wochenlohn. Lassen wir nun Rathenau wieder selbst erzählen, wie
-sich seine Tätigkeit in verschiedenen englischen Fabriken gestaltete:</p>
-
-<p>„Mein Vorgesetzter war ein liebenswürdiger Herr Lobb, der bald
-nach meiner Anstellung zu dem Österreichischen Lloyd überging;
-sein Nachfolger, Mr. Wright, war mir weniger sympathisch. Aber
-dieses Vorurteil war ungerecht, denn gerade ihm verdanke ich meine
-Heranziehung zu größeren Arbeiten. Ein Landsmann, der spätere
-Oberwerftdirektor Meyer, trat in dasselbe Bureau ein. Die teueren
-Lebensbedingungen veranlaßten uns zu einem gemeinsamen Haushalt,
-und wir fanden eine passende Behausung in der Nähe von zwei
-Marineingenieuren Gujod und Dede, die zur Überwachung der im Bau
-befindlichen Panzerkorvette nach England geschickt waren. Während
-wir unser Leben in Gainsborough allesamt sehr bescheiden einrichten
-mußten, fand ich hohe Befriedigung in der geschäftlichen Tätigkeit.
-Die englische Marine muß sehr gute Erfahrungen mit den Schiffen der
-Warrior-Klasse, zu denen „Achilles“ und „Black Prince“, wie ich
-glaube, gehörten, gemacht haben, denn sie ging zu einem ähnlichen
-Typ, dem Bellerophon, über und übertrug der Firma J. Penn &amp; Sons die
-Ausrüstung des Schiffes mit Maschinen, Kesseln und Zubehör. Es war
-die erste 1000 PS-Expansionsdampfmaschine mit Zylinder von 105 Zoll,
-eine Trunk-Maschine, in der die Kurbelwelle zwischen jenen und den
-Kondensatoren gelagert war. Diese Konstruktion war neu, die Firma
-hatte früher meist oszillierende Dampfmaschinen gebaut und durch sie
-einen Weltruf erlangt. Nach Vollendung der Werkstattszeichnungen,
-Transportmittel, die für die ungewöhnlich schweren Arbeitsstücke
-angefertigt<span class="pagenum"><a name="Seite_11" id="Seite_11">[S. 11]</a></span> werden mußten, und der Gesamtanordnung, die bis in
-die Einzelheiten auf dem Papier festgelegt und in Maßskizzen den
-verschiedenen Abteilungen zur Fertigstellung überlassen wurden,
-befragte mich ein Freund, der nach Deutschland zurückzukehren im
-Begriff stand, ob ich sein Nachfolger in der Firma Easton &amp; Amos zu
-werden wünsche. Die Vielseitigkeit dieses Geschäftes zog mich an und
-ich siedelte nach London über, das ich während meines Aufenthaltes
-in Gainsborough an Sonnabenden jeder Woche nachmittags mit Vergnügen
-aufgesucht hatte, und in dem das großzügige Leben und der enorme
-Verkehr auf den Straßen mich förmlich elektrisierten.</p>
-
-<p>Im Gegensatz zu John Penns prächtigen Werkstatthallen und imposanten
-Werkzeugmaschinen fand ich hier eine elende Baracke, man mußte sich
-erst an die Arbeit in diesen Bureaus gewöhnen, die von den Schlägen
-der Dampfhämmer erzitterten. Auf den Zeichenbrettern häufte sich der
-Kohlenstaub, und während in Gainsborough unsere Kollegen junge lustige
-Leute waren, die Späße trieben und sich amüsierten, befanden sich hier
-meist Familienväter, deren Pünktlichkeit, wie die von Arbeitern, durch
-den Portier und Stundenzettel kontrolliert wurde; sie waren wohl meist
-aus diesem Stande hervorgegangen.</p>
-
-<p>Meine erste Aufgabe war die Konstruktion einer Tunnelbohrmaschine
-nach den Patenten von Captain Beaumont: Eine Scheibe von etwa 5 Fuß
-Durchmesser enthielt an ihrem Umfange zur Achse parallel laufende
-Schlitze, in denen eine große Zahl von Stahlbohrern mit Keilen
-befestigt waren. Die hin- und hergehende Bewegung wurde durch einen
-mit der Scheibe verbundenen Differential-Dampfkolben verursacht, der
-in einem nach Art direkt wirkender Dampfspeisepumpen gesteuerten
-Zylinder vor- und rückwärts lief. Der volle Dampfdruck erfolgte bei
-der Stoßwirkung, während die kleinere Fläche den Rückzug vollendete.
-Waren die Stähle bis an die Befestigung in der Scheibe vor Ort in das
-Gebirge durch schnell aufeinanderfolgende Schläge eingedrungen, so
-erhielt der auf Rollen stehende Truck, der nach jedem Stoß selbsttätig
-vorrückte und sich wieder befestigte, eine geringe Drehung, so daß die
-Löcher in der gewünschten Teilung einen Kreis bildeten. Ein Bohrer in
-seinem Zentrum diente zur Aufnahme der Patrone, durch die die Sprengung
-erfolgte. Hierbei wurde die schwere Maschine auf den radial zur
-kreisrunden Öffnung stehenden Rollen des Trucks so weit zurück<span class="pagenum"><a name="Seite_12" id="Seite_12">[S. 12]</a></span>gezogen,
-daß man die Débris vor Ort bequem ausräumen konnte. Über das Schicksal
-dieser Maschine ist mir nichts bekannt geworden, dagegen sah ich ein
-anderes Werk meiner damaligen Tätigkeit nach einem Menschenalter noch
-im Betriebe. Es war ein hydraulischer Aufzug mit direktem Antrieb für
-Personentransport, der in dem ersten großen, damals im Bau befindlichen
-Hotel in Brighton aufgestellt wurde. Der sehr lange Stempel stak in
-dem Preßzylinder, für den man einen tiefen Rohrbrunnen in das Erdreich
-gesenkt hatte. Die einzelnen Kolbenteile bestanden aus gußeisernen
-Röhren, die durch Gewinde miteinander verbunden waren. Trotzdem diese
-Konstruktion große Sicherheit den Reisenden bot, erfuhr ich später
-durch Zeitungen, daß im Grand Hotel ein nach diesem Muster erbauter
-Aufzug mit den Passagieren verunglückt sein soll.</p>
-
-<p>Die primitiven Einrichtungen deuteten auf den allmählichen Verfall des
-Werkes, und obgleich ich wegen der Vielseitigkeit der Aufträge eine
-bessere Schule in England kaum hätte wieder finden können, trat ich
-mit achttägiger Kündigung aus der Fabrik aus, die zwar bald nachher
-einen neuen Partner aufnahm, aber später von der Bildfläche, wie ich
-vorausgesehen hatte, verschwand. Der Wert der Grundstücke in der
-City hat hoffentlich die Inhaber oder Gläubiger für ihre Verluste im
-Betriebe entschädigt.</p>
-
-<p>Auf eine Annonce in einem Londoner Fachblatt, durch die ein theoretisch
-erfahrener, der französischen Sprache mächtiger Ingenieur bei hohem
-Salär gesucht wurde, meldete ich mich zum sofortigen Antritt und
-hatte das Glück, aus der großen Zahl von Bewerbern mit 4 Lstrl.
-wöchentlichem Gehalt Anstellung nach kurzer Prüfung bei einer neu
-gegründeten Gesellschaft, die British &amp; Continental Steam Improvements
-Co. firmierte, zu erhalten. Das Bureau der Gesellschaft lag in
-Adelphi Street, Strand, ihr Leiter war ein französischer Chemiker
-namens Martin, auf dessen Erfindungen das Unternehmen gegründet
-war. Der Dienst begann um 10 Uhr; nach dem Luncheon, das ich in
-dem dem Theater gegenüber liegenden Public House stehend, aber mit
-Gemütsruhe einzunehmen pflegte, erschien der Chef; er las die wenigen
-eingegangenen Briefe, besprach die Geschäfte, die ihn kaum mehr als
-mich erregten, und führte mich bei eintretender Dunkelheit in ein
-vornehmes Restaurant zum Mittagessen, das mir wegen der lukullischen
-Genüsse und der gewaltig hohen Preise imponierte. Niemals hatte ich
-für<span class="pagenum"><a name="Seite_13" id="Seite_13">[S. 13]</a></span> eine so geringe Tätigkeit eine solche Behandlung und Bezahlung
-erfahren. Meine Aufgabe war doppelter Natur; Konstruktionen und
-Schriftstellerei. Beide erstreckten sich auf eine Rauch verzehrende
-Lokomotivfeuerung einerseits und einen Kesselsteinreinigungsapparat
-andererseits; letzteren kannte ich bereits aus meiner früheren
-Tätigkeit; ich entsinne mich nicht, wo er zuerst konstruiert worden
-war, glaube aber aus der Literatur später erfahren zu haben, daß er
-unter dem Namen Schau in der Lokomotivfabrik in Wiener-Neustadt gebaut
-wurde. Auf dem Kessel war ein zweiter Dampfdom so befestigt, daß
-man ihn von den ebenen Dichtungsflächen leicht abnehmen konnte. In
-diesem waren Teller übereinander so angebracht, daß das kaskadenweise
-herabfließende Speisewasser von den oberen zu den unteren langsam in
-der heißen Dampfatmosphäre herabtröpfelte. Da gewisse Verunreinigungen
-bei diesen Temperaturen sich bereits absondern, so wurde die bewußte
-Reinigung häufig erzielt, und da auch die Wärmeverluste unbedeutend
-waren, so hat der Apparat sich zuweilen und jedenfalls bei den
-Versuchen bewährt, wie denn die Salze auf den Tellern bei ihrer
-Herausnahme ad oculus demonstrierten. Mit guten Patenten, genügender
-Reklame und glänzenden Zeugnissen hätte der Erfinder vielleicht durch
-Herstellung en masse einen Gewinn für die Gesellschaft erzielen können,
-dazu aber fehlte ihm kaufmännische Begabung.</p>
-
-<p>Die Lokomotive, in die auf einem der großen Bahnhöfe in London &mdash;
-ich entsinne mich nicht, ob Great Eastern, Northern oder Western &mdash;
-die neue Feuerung eingebaut wurde, gab befriedigende Resultate in
-ökonomischer Beziehung, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß die
-feuerfesten Konstruktionsteile bei den Stößen und Erschütterungen,
-denen solche Dampfkessel ausgesetzt sind, eine genügend lange Dauer
-besitzen. Die maßgebenden Persönlichkeiten scheinen anderer Ansicht
-gewesen zu sein, denn kaum waren die Meßresultate in ihren Händen, so
-erhielt ich den Auftrag, eine Straßenlokomotive von Aveling und Porter
-mit der Feuerung auszurichten. Technisch bot dieses Kommissorium keine
-Schwierigkeiten, aber die kommerzielle Behandlung öffnete mir die Augen
-über die Geschäftsgebarung, und ich beschloß deshalb, einen neuen
-Wirkungskreis zu suchen.“</p>
-
-<p>Vorher wünschte Rathenau seine Eltern nach zweijähriger Abwesenheit
-wiederzusehen; zumal diese in der Meinung, daß der junge<span class="pagenum"><a name="Seite_14" id="Seite_14">[S. 14]</a></span> Ingenieur
-sich draußen in der Welt genügend umgesehen habe, und sich nunmehr
-eine dauernde Existenz gründen solle, auf die Rückkehr drängten,
-die nach ihrem Wunsche eine dauernde Heimkehr sein sollte, während
-Rathenau selbst, als er sich zur Heimreise anschickte, noch nicht
-fest entschlossen war, sich für die Dauer im Heimatlande anzusiedeln.
-Indessen gefiel es ihm im Hause Viktoriastraße 3, das die Eltern
-inzwischen bezogen hatten, recht wohl und er ließ sich unschwer
-überreden, seine weiteren Wanderpläne aufzugeben. Den Eltern und
-Freunden kam es bei ihren Plänen zu statten, daß Rathenau, trotz
-aller Lust die Welt kennen zu lernen, doch mit seinem ganzen Herzen
-an Deutschland und besonders seiner Heimatstadt Berlin hing, und
-eigentlich in seinem ganzen Leben niemals ernstlich daran dachte, sich
-wie so viele andere tüchtige Deutsche jener Zeit irgendwo draußen, wo
-es sich zu jener Zeit besser und aussichtsvoller leben ließ, dauernd
-anzusiedeln. In seinem Streben und Denken war Rathenau Kosmopolit.
-In seinem Grundgefühl blieb er trotzdem immer bodenständig. Jeder
-Fortschritt, jede Errungenschaft, jede Verbesserung der Verhältnisse,
-die er irgendwo draußen sah, waren ihm nie allein Inhalt genug. Er
-konnte sie sich nur in Verbindung mit der Heimat denken, der er
-entstammte und der er ihren Nutzen dienstbar machen wollte. So wenig
-sich Rathenau durch die Schranken und Bedingungen des Vaterlandes
-binden oder hemmen ließ, so sehr er alle Fernen nach neuen wissens- und
-nachahmenswerten Einrichtungen abschweifte, in irgend einem fremden
-Boden hätte er nie Wurzel fassen können. Dort sich einfach und bequem
-niederzulassen, wo das Neue bereits entwickelt war, reizte ihn nicht,
-bot seinem Schaffenswillen wohl auch nicht Leistungsmöglichkeit und
-Spielraum genug. Ihn leitete stets das instinktive Bestreben, das Neue
-dorthin zu verpflanzen, wo es sich noch nicht vorfand und ihm schwebte
-wohl schon damals der Gedanke vor, daß in Deutschland ein weiteres
-Arbeitsgebiet offen lag als in fortgeschritteneren Ländern, wo er die
-Hauptstraßen bereits durch einen zu starken Wettbewerb besetzt fand.
-„Trotz schmaler Kost und wenig Geld“, sind Emil Rathenau, der in dem
-berechtigten Stolz, auf eigenen Füßen zu stehen, schon damals auch die
-kleinste geldliche Beisteuer des Vaters nicht mehr angenommen hatte,
-die Jahre in England unvergeßlich geblieben. Außer den technischen
-Erkenntnissen, die er ihnen verdankte, gaben sie ihm den<span class="pagenum"><a name="Seite_15" id="Seite_15">[S. 15]</a></span> freien Blick
-des Staats- und Weltbürgers und eine ausgeprägte <em class="gesperrt">demokratische
-Anschauungsweise</em>, deren Fundament sich nie verlor, wenngleich
-der Geschäftsmann sie später aus Opportunitätsgründen, vielleicht
-auch aus Mangel an Zeit für politische Interessen, nicht mehr
-sonderlich betonte, allerdings auch nie verleugnete. Auch der spätere
-Gegensatz zu der aufkommenden sozialdemokratischen Agitation mit
-ihrer Erschwerung der Arbeiterbehandlung und Arbeiterökonomie für das
-Unternehmertum mag dazu beigetragen haben, den demokratischen Grundton
-der Rathenauschen Denkweise zu dämpfen. In den englischen Jahren
-warf er sich ihr aber mit Entschiedenheit in die Arme. Bedeutete sie
-doch eine reife Betätigung und Erfüllung der ringenden Bestrebungen,
-deren jähes gewaltsames Aufflackern der heranwachsende Knabe im
-Jahre 1848 staunend, wenn auch wohl nicht verstehend, miterlebt,
-für die der junge polytechnische Student dann im engen Kreise
-mitgekämpft hatte. Das waren Erinnerungen, die in der englischen Luft
-wieder aufgewacht waren und ihm manche Einrichtungen der englischen
-Bürgerfreiheit als glücklich und nachahmenswert erscheinen ließen.
-Auch die <em class="gesperrt">Freihändlerlehre</em> mochte sich dem jungen Deutschen
-damals so tief ins Gemüt gesenkt haben, daß er Zeit seines Lebens nie
-so recht von ihr loskam, auch hier allerdings später die Theorie den
-Zweckmäßigkeitsgründen seiner besonderen Interessensphäre anpassend.</p>
-
-<p>Nun machte Emil Rathenau zum ersten Mal den Versuch, seßhaft zu werden
-und sich eine Position zu schaffen, wie sie den Augen der Familie
-wohlgefiel. Ein wohlsituierter Bürger und tüchtiger Fabrikbesitzer,
-das war das Ziel, das den Eltern vorschwebte und das sich immerhin um
-eine wesentliche Spielart von den Lebens- und Wirtschaftsbedingungen
-unterschied, die sonst in den damaligen jüdischen Kreisen Berlins
-und Deutschlands üblich waren. In der Industrie hatten die jüdischen
-Kaufleute damals erst in geringem Umfange Fuß gefaßt. Handel und Finanz
-waren noch ausgesprochener als heute die Hauptgebiete ihrer Betätigung,
-und die kombinierten, großkapitalistischen und großgewerblichen
-Methoden, durch die sie späterhin den Übergang auch in die Industrie
-fanden, erschienen damals noch wenig ausgebildet. Allerdings
-fehlte es nicht an Ausnahmen. Der Stern des industriellen Gründers
-Strousberg, der allerdings durch eine Welt von dem soliden deut<span class="pagenum"><a name="Seite_16" id="Seite_16">[S. 16]</a></span>schen
-Industrietypus geschieden war, stand damals noch im Zenith. In Berlin
-waren es gerade Rathenaus Verwandte, die Liebermanns und Reichenheims,
-die als Industrielle sich bereits einen soliden Reichtum und ein
-großes bürgerliches Ansehen geschaffen hatten. Mitglieder der Familie
-Liebermann besaßen neben der schon erwähnten Wilhelmshütte in Sprottau
-eine bedeutende Tuchweberei, die Familie Reichenheim gleichfalls
-eine blühende Textilfabrik im schlesischen Wüste-Giersdorf. Auch die
-noch jetzt als Aktiengesellschaft bestehende Textil-Firma Anton und
-Alfred Lehmann befand sich im Besitz von Verwandten Rathenaus. Gerade
-diese Beispiele aus der Familie, die sich allerdings nach dem Tode
-des Großvaters Liebermann nicht mehr allzuviel um Emil Rathenau und
-sein Elternhaus kümmerte, werden dazu beigetragen haben, den jungen
-Rathenau der industriellen Laufbahn zuzuführen. Nach der Rückkehr aus
-England begab er sich auf die Suche nach einem geeigneten, bereits
-bestehenden und eingeführten Unternehmen. Durch Familienbeziehungen
-gelangte Rathenau an eine Fabrik, die damals verkäuflich war und auch
-den Eltern eine geeignete Grundlage für eine Selbständigkeit zu bieten
-schien. Es war die kleine Maschinenfabrik von M. <em class="gesperrt">Webers</em>, die in
-der Chausseestraße, dem damaligen Berliner Maschinenfabrikenviertel,
-unweit der alten Berliner Anstalten von Schwartzkopf, Borsig,
-Wöhlert und Engells gelegen war. Die Fabrik beschäftigte nicht mehr
-als 40&ndash;50 Arbeiter und betrieb neben dem Bau von Dampfmaschinen
-die Herstellung von Einrichtungen für Gas- und Wasserwerke. Auch
-Zentrifugalpumpen, Lokomobilen und was sonst zu dem Betrieb einer
-damaligen Maschinenfabrik gehörte, wurde gelegentlich hergestellt.
-Daneben führte das Unternehmen, gewissermaßen als Monopol, sämtliche
-Apparaturen aus, die die Königlichen Theater brauchten. Emil Rathenau
-prüfte die Grundlage des Betriebes, von denen die technische trotz
-ziemlich primitiver Methoden einen besseren Eindruck machte als die
-kaufmännische, und war grundsätzlich zu einem Erwerb bereit. Die
-Verfassung, in der sich das Unternehmen damals befand, wurde von ihm
-wie folgt geschildert:</p>
-
-<p>„Aus einem früheren Vergnügungslokal, Bella Vista, war ein
-hübsches Wohnhaus mit Vorgarten stehen geblieben, das sich durch
-schmuckes Äußeres hervortat; hinter diesem lag die Fabrik in dem
-früheren Tanzsaal, der sich als Seitenflügel dem einstöckigen
-Wohnhause<span class="pagenum"><a name="Seite_17" id="Seite_17">[S. 17]</a></span> anschloß; Dampfkessel, wie sie unter bewohnten Räumen
-zu jener Zeit zulässig waren, und eine ihrer Größe entsprechende
-Dampfmaschine trieben vermittels Wellentransmission die einfachen
-Werkzeugmaschinen, wie sie Chemnitzer und Berliner Fabriken
-herstellten. Die Fabrik hatte einen guten Ruf. Der spätere Rektor
-der technischen Hochschule in Darmstadt hatte als technischer Leiter
-die Bügel- und Balanziermaschinen etwas modernisiert und mit einer
-Expansionsvorrichtung versehen, die sich recht bewährt hat. Ein
-Glockenventil, das auf und mit dem Schieber sich bewegte, wurde von
-dem unrunden Konus auf der Spindel des Zentrifugalregulators geöffnet
-und geschlossen.“ &mdash; Der junge Ingenieur konnte und wollte das
-Wagnis, das auch über die ihm zur Verfügung stehenden finanziellen
-Kräfte hinausging, nun allerdings nur in Gemeinschaft mit einem
-tüchtigen und gleichgesinnten Kaufmann übernehmen. Für die Fabrik mit
-Grundstücksgebäuden und Inventar &mdash; dazu gehörte ein großer Garten mit
-schönen alten Bäumen &mdash; wurden 75000 Taler gefordert und von dem Käufer
-eine Anzahlung von einem Drittel dieses Betrages verlangt, über das
-Emil Rathenau nur zum Teil verfügte. An Geldmännern, die sich an dem
-Geschäft beteiligen wollten, fehlte es nicht. Doch konnte sich Rathenau
-nicht zur Wahl eines stillen Teilhabers entschließen. Ein Sozius
-fand sich aber bald in der Person des um zwei Jahre jüngeren Julius
-<em class="gesperrt">Valentin</em>, den Rathenau als Nachbarkind vom Monbijouplatz und
-als jüngeren Schulgenossen vom Grauen Kloster her kannte. Die beiden
-jungen Männer trafen sich ganz zufällig. Auf der Straße begegnete
-Rathenau einige Zeit nach seiner Rückkehr aus England dem jungen
-Valentin, der ihm den Eindruck eines intelligenten, offenen Menschen
-machte. Den ersten gegenseitigen Fragen nach dem „Woher“, nach den
-Lebensschicksalen beider seit der gemeinsamen Schulzeit, folgte bald
-die Frage nach dem „Wohin“, den Plänen für die Zukunft.</p>
-
-<p>Rathenau erzählte schließlich, daß er etwas Eigenes unternehmen
-wolle, auch schon eine bestimmte Sache in Aussicht habe, daß ihm
-aber noch der Kaufmann fehle. Auf die Frage, ob er dieser Kaufmann
-sein wolle, und ob er sich mit einem bestimmten Kapital beteiligen
-könne, bat sich Valentin Bedenkzeit aus, gestand auch ganz offen,
-daß er nicht nur über die zu erwerbende Maschinenfabrik, sondern
-auch über Rathenau selbst vorher Erkundigungen einziehen müsse.
-Einige Tage nachher bat sich Valentin von Rathenau<span class="pagenum"><a name="Seite_18" id="Seite_18">[S. 18]</a></span> eine schriftliche
-Erklärung aus, daß er ihn zum Sozius bei der Fabrik nehmen wolle. Den
-jungen Ingenieur verstimmte diese Vorsicht ganz und gar nicht, sie
-gefiel ihm sogar, und man vereinbarte weitere Besprechungen. Diese
-fanden statt, und man wurde miteinander einig. Rathenau und Valentin
-erwarben gemeinsam die Maschinenfabrik, und der Jugendbekanntschaft
-folgte eine enge, fast zehnjährige Geschäftsgenossenschaft und bald
-eine herzliche Freundschaft, die auch die geschäftliche Trennung
-überdauerte, in manchen späteren gemeinsam geplanten, wenn auch nicht
-ausgeführten Projekten ihren Ausdruck fand, und das ganze Privatleben
-der beiden trefflich zueinander passenden Männer durchzog. Wenn man
-den glaubhaften Schilderungen des in seinem Verhältnis zu Rathenau
-selten bescheidenen Valentin folgt, so ist Emil Rathenau schon in der
-damaligen gemeinsamen Tätigkeit der führende, aktive und bestimmende
-Teil gewesen, während Valentin sich anpaßte und bemüht war, die
-Gedanken und Anregungen Rathenaus, so gut ihm das möglich war,
-auszuführen. Daß auch Valentin kein gewöhnlicher Mensch gewesen ist,
-zeigen die immerhin respektablen Erfolge in seiner späteren eigenen
-Tätigkeit. In der Leitung der Maschinenfabrik Webers jedenfalls
-vereinigten und ergänzten sich die beiden Charaktere auf das beste,
-und es ist vielleicht nie wieder ein äußerlich Gleichgeordneter mit
-Rathenau, der im Verkehr mit Menschen als eigenwillig, rücksichtslos,
-ja manchmal sogar als hart galt, so gut und glatt ausgekommen wie
-Valentin. Dieser rühmt besonders die feine, taktvolle Art, mit der sein
-damaliger Sozius bei gemeinsamen Verhandlungen und Beratungen jedes
-Pochen auf seine Überlegenheit, jede besserwisserische Art vermied.
-„Ja sogar, wenn man Aufklärung, Belehrung bei ihm suchte, hatte man am
-Ende den Eindruck, als ob Rathenau, der klar und mit ausgeprägtem Sinn
-für das Wesentliche auseinanderzusetzen und zu antworten verstand, als
-der Gewinnende, Belehrte und Dankbare aus der Unterhaltung schied.“
-&mdash; Ungefähr zu derselben Zeit, als die Maschinenfabrik M. Webers in
-den Besitz der beiden Freunde überging, heiratete Rathenau Mathilde
-Nachmann, die Tochter eines angesehenen und wohlhabenden Bankiers, und
-die Mitgift, die er erhielt, bildete zum Teil die finanzielle Einlage,
-die er in die Sozietät mit einbrachte. Mathilde war Emil Rathenau sein
-ganzes Leben hindurch eine treue und kluge Lebensgefährtin, die in den
-jungen Jahren der ersten<span class="pagenum"><a name="Seite_19" id="Seite_19">[S. 19]</a></span> kaufmännischen Tätigkeit an den Plänen und
-Arbeiten ihres Mannes ihren beratenden Anteil nahm und ihm später in
-den Jahren des beschäftigungslosen, manchmal unbefriedigten Suchens
-stützend und anspornend zur Seite stand. Als dann das Lebenswerk
-Rathenaus auf fester Grundlage errichtet war, die Tätigkeit wuchs, sich
-verzweigte und die Tages-, manchmal auch die Nachtstunden des Mannes in
-immer zunehmenden Umfange fortnahm, lernte sie sich bescheiden, gerade
-weil sie verstand, daß große Männer mehr ihrem Werke als sich und ihren
-Nächsten gehören. Sie konnte sich auch bescheiden, weil sie der Liebe
-ihres Mannes, <em class="gesperrt">des</em> Teils seines Denkens und Fühlens, der dem
-Menschen und Privatmann verblieb, stets sicher war und stets sicher
-sein durfte. So wenig Emil Rathenau für seine Familie im weiteren Sinne
-übrig hatte, so innig war er mit seiner engsten Familie verwachsen, so
-selbstverständlich fest war sein Familienzusammengehörigkeitsgefühl mit
-seinen nächsten Angehörigen. Unzertrennbar wie er den Eltern, besonders
-der Mutter anhing, fühlte er sich auch Frau und Kindern verbunden.
-Dieses Bewußtsein linderte auch in den späteren Jahren die Klage der
-Lebensgefährtin, daß sie von ihrem Manne so wenig hätte, und „es kaum
-so viele Romane gäbe, wie sie in ihren einsamen Stunden lesen müßte.“
-Daß an eine ins Einzelne gehende Teilnahme der Gattin an der Arbeit des
-Gatten in späteren Jahren in der Rathenauschen Ehe gar nicht mehr zu
-denken war, erscheint bei der Größe, dem Umfange und der Vielseitigkeit
-dieser Arbeit nicht verwunderlich. Auch die aktiengesellschaftliche
-Form und die strenge Scheidung, die Rathenau &mdash; wie wir noch später
-sehen werden &mdash; zwischen seinen eigenen Vermögensinteressen und denen
-der Aktiengesellschaft stets wahrte, ließ eine enge Fühlungnahme
-der Gattin mit den Geschäften des Gatten, zu der Mathilde Rathenau
-an sich durchaus fähig gewesen wäre, nicht entstehen. Wie weit ihre
-Geschäftsfremdheit in späteren Jahren gegangen ist, zeigt ein Vorfall,
-den mir Rathenau einmal persönlich erzählt hat. Die A. E. G. hatte
-seit einiger Zeit die Herstellung der lichtstarken und stromsparenden
-Metallfadenlampen aufgenommen und dafür eine große geschäftliche
-Propaganda entfaltet. In seiner eigenen Wohnung am Schiffbauerdamm
-brannten aber noch ganz gemütlich die altmodischen Kohlenfadenlampen,
-bis eines Abends Frau Mathilde einmal den Gatten fragte: „Sag mal,
-Emil, Ihr macht doch jetzt in den Zeitungen<span class="pagenum"><a name="Seite_20" id="Seite_20">[S. 20]</a></span> so viel für eine neue
-Lampe Reklame. Können wir die nicht auch bei uns einführen?“ &mdash; Dieser
-Vorfall, der zugleich für die völlige Gleichgültigkeit kennzeichnend
-ist, mit der Emil Rathenau immer nur das Allgemeine, nie das Spezielle
-sehend, sein Privatleben wenigstens in äußeren Dingen behandelte, kann
-gegen den tiefen inneren Ernst, mit dem Rathenau die Ehe &mdash; allerdings
-weitab von jeder modernen Emanzipation &mdash; ansah und behandelte, nicht
-das geringste besagen. Frau Mathilde wird diesen Vorfall wahrscheinlich
-ebenso von der gemütlichen, humoristischen Seite genommen haben, wie
-die harmlose Galanterie, die ihr Mann, besonders auf Reisen &mdash; und zwar
-je älter er wurde, umso mehr &mdash; jungen oder klugen Damen, mit denen
-er gern und gut plauderte, entgegengebracht hat. Wußte sie doch, daß
-dabei keine Spur von Erotik, sondern nur angeborene Ritterlichkeit
-dem weiblichen Geschlechte gegenüber mitspielte, die diesem innerlich
-keuschen, jeder groben Sinnlichkeit abholden Manne stets eigen war,
-eine Ritterlichkeit, die er der Gattin selbst stets entgegengebracht
-hatte.</p>
-
-<p>Aber kehren wir wieder zu dem jungen Rathenau und seiner
-Maschinenfabrik zurück. Kurz nach ihm hatte auch der Sozius Valentin
-geheiratet, und die beiden Familien wohnten nun in dem der Fabrik
-vorgelagerten Wohnhause in der Chausseestraße, einträchtig beisammen.
-Abends nach getaner Arbeit zogen die beiden Ehepaare nicht selten
-gemeinsam in das Stadtinnere, nach der Friedrichstadt, wo es damals
-noch an jeder Kanalisation fehlte und die Abwässer in offenen
-Rinnsteinen, an den Straßenübergängen nur von Bohlen überdeckt, sich
-ihren Weg suchten, an warmen Sommerabenden einen wenig angenehmen Duft
-verbreitend. Die baulichen und hygienischen Verhältnisse ließen auch
-in der Zeit, als Berlin schon Reichshauptstadt geworden war, noch
-viel zu wünschen übrig. Die Einführung der Gasbeleuchtung hatte die
-wenig fortgeschrittene Kommunalverwaltung zunächst einer englischen
-Gesellschaft überlassen, die Gründung des ersten öffentlichen
-Schlachthofes und der ersten Markthalle durch Strousberg betrachtete
-man mit Mißtrauen und suchte ihr, statt sie zu unterstützen, allerlei
-kleinliche Hindernisse in den Weg zu legen. Rathenau, der ja die damals
-viel besseren Verhältnisse in englischen Großstädten kannte, empfand
-die Rückständigkeit der Vaterstadt schmerzlich, und auf den gemeinsamen
-Abendspaziergängen entwarf er, dessen Hirn stets voll<span class="pagenum"><a name="Seite_21" id="Seite_21">[S. 21]</a></span> von Plänen
-steckte und dem besonders beim Sprechen die Projekte nur so zudrängten,
-nicht selten kühne und großzügige Modernisierungsvorschläge.</p>
-
-<p>Die Tätigkeit Rathenaus in der Maschinenfabrik M. Webers dauerte fast
-10 Jahre. Als die beiden Freunde die Leitung übernahmen, verstanden sie
-von dem Fabrikbetriebe, wie Rathenau selbst zugab, wenig oder nichts.
-Der alte Webers hatte einen Buchhalter hinterlassen, der Valentin
-in die Mysterien der einfachen kaufmännischen Tätigkeit einweihte.
-Rathenau glaubte eine ähnliche Stütze in dem Ingenieur zu finden, der
-den technischen Arbeiten in Bureau und Werkstatt vorgestanden hatte.
-Dieser Mann, verstimmt darüber, daß sein früherer Chef das Anwesen
-verkauft hatte, ohne ihn zu fragen, ob er selbst darauf reflektiere,
-zog sich aus dem Geschäft zurück, um eine eigene Fabrik zu begründen
-und Emil Rathenau war somit allein auf sich selbst angewiesen. Der
-wichtigste Gegenstand bei seinem Eintritt war die Herstellung des
-Schiffes für Meyerbeers Oper „Die Afrikanerin“, die von dem Königlichen
-Opernhaus damals vorbereitet wurde. Rathenaus Interesse für derartige
-Theaterarbeiten war gering. Weder die Bühne noch die Balletteusen,
-für deren Gruppendarstellungen er schmiedeeiserne Konstruktionen
-auszuführen hatte, übten eine Anziehungskraft auf ihn aus. Zu dem
-Programm des Unternehmens gehörten, wie wir schon gesehen haben, außer
-Dampfmaschinen von nicht erheblicher Größe, Apparate für Gasanstalten
-und Wasserwerke, wie sie in den beschränkten Werkstätten und mit den
-vorhandenen einfachen Hilfsmaschinen ausgeführt werden konnten. Auch
-Schieber von den kleinsten bis zu den größten Abmessungen bildeten eine
-lohnende Spezialität. Über die technischen Zustände, die Rathenau in
-der Fabrik vorfand, und über die Versuche, sie auf eine höhere Stufe zu
-heben, lassen wir ihn am besten wieder selbst berichten:</p>
-
-<p>„Während Aufträge auf gewisse Gegenstände ohne Mühe und regelmäßig
-einliefen und die listenmäßigen Preise ohne Feilschen erzielten,
-schwankten die Bestellungen auf Dampfmaschinen, und diese Schwankungen
-erschwerten den geordneten Werkstattbetrieb. Brauchbare und
-leistungsfähige Arbeiter lassen sich nur erziehen, wenn sie die
-Überzeugung gewinnen, daß ihre Beschäftigung eine dauernde ist und
-das Unternehmen im Aufblühen sich befindet, denn mit dem Wachsen der
-Bestellungen nimmt auch ihr Verdienst zu.<span class="pagenum"><a name="Seite_22" id="Seite_22">[S. 22]</a></span> Der Bau von Dampfmaschinen
-nach Preislisten, wie viele amerikanische Fabriken ihn später
-aufgenommen haben, lag zuerst in meiner Absicht, aber ich sah bald, daß
-jeder Kunde neue Wünsche äußerte und die von mir festgelegten Typen
-diesen nicht entsprachen. Lag die fertige Maschine rechts, wünschte
-man das Spiegelbild, war das Schwungrad als Riemscheibe ausgebildet,
-forderte man besondere Scheiben, befand sich die Kondensation hinter
-dem Dampfzylinder, legte man Wert auf den Antrieb der Luftpumpe von
-der Kurbel usw. Unter solchen Umständen beschloß ich eine neue Type
-zu schaffen, in der Hoffnung, daß mit derselben die Kritik aufhören
-würde, und in dieser Erwartung habe ich mich nicht getäuscht, denn
-viele hundert Maschinen von 1 PS bis zu ansehnlichen Leistungen wurden
-ohne Änderungen der Modelle ausgeführt und verkauft; freilich sorgte
-ich stets, daß sie auf der Höhe der Technik verblieben. Diese Maschinen
-nannte ich zum Unterschiede von Lokomobilen auf Rädern transportable
-Dampfmaschinen. Sie bildeten ein in sich abgeschlossenes Ganze. Die
-vertikale Maschine war mit ihrer Grundplatte an dem sauber gearbeiteten
-stehenden Dampfkessel befestigt; die einfache Feuerbüchse erhielt
-durch herabhängende (Fieldsche) Röhren genügende Heizfläche, und die
-aufsteigenden Rauchgase wurden durch eine mit feuerfestem Material
-bekleidete Eisenwand abwärts und dann in den Schornstein geführt.
-Die Montage der Maschinen nahm geringe Zeit in Anspruch, sie konnten
-in tadelloser Ausführung fast immer sogleich vom Lager oder aus
-den Werkstätten geliefert werden, hatten einen ganz befriedigenden
-ökonomischen Effekt und so viele Vorzüge vor stationären Maschinen
-mit schwerfälligen Kesselanlagen, Einmauerungen, Schornsteinen usw.,
-daß die Firma sich bald eines Rufes erfreute und die Fabrikate über
-die ganze Welt absetzte. Weitere Spezialfabrikationen bauten sich auf
-direkt gesteuerten Dampfpumpen auf, die die Schwungradpumpen allmählich
-ersetzten, auf Zentrifugalpumpen, darunter solche für Hochdruck und
-direkten Dampfmaschinenantrieb, auf Ejektoren für Kondensationszwecke
-und dergleichen, während Dampfmaschinen und Dampfkessel in allen
-Größen, wie sie damals üblich waren, auf besondere Bestellung gebaut
-wurden. Es muß hier bemerkt werden, daß der schöne Garten modernen
-Werkstätten für Kessel- und Maschinenbau inzwischen Platz gemacht und
-Umsatz sowie Arbeiterzahl mit jedem Jahre sich vermehrt hatten. Außer
-den laufenden<span class="pagenum"><a name="Seite_23" id="Seite_23">[S. 23]</a></span> Bestellungen betätigten wir uns in Konstruktionen für
-das Heer und die Marine.</p>
-
-<p>Die Firma Siemens &amp; Halske hatte uns den Auftrag zur Herstellung einer
-10 PS transportablen Dampfmaschine erteilt, die auf Rädern dergestalt
-hergestellt war, daß Dampfkessel und Maschinen auf der Hinterachse,
-Dynamo- und Erregermaschine auf einem leichten schmiedeeisernen
-Gestell ruhten. Der Betrieb erfolgte mittels Riemen. Die Versuche mit
-Scheinwerfern wurden entweder auf dem Tegeler Schießplatze oder der
-damals unbebauten Genthinerstraße, wo die Bureaus des Ingenieurkomitees
-sich befanden, wie ich meine, mit befriedigendem Erfolge ausgeführt.</p>
-
-<p>An ersterer Stelle hatten wir bereits größere Leistungen aufgewiesen.
-Unter Leitung eines sehr befähigten, damals als Hauptmann fungierenden
-Offiziers hatten wir einen drehbaren Panzerturm für zwei 50
-cm-Geschütze erbaut; die Panzerplatten waren so schwer, wie sie die
-englische Firma damals walzen konnte, umgaben aber hauptsächlich
-<em class="gesperrt">den</em> Teil des Turmes, in dem die Minimalscharten sich befanden,
-während der übrige Teil des Ringes aus sehr starken Flächen und die
-gewölbte Kalotte aus einer Doppellage von diesen gebildet wurde. Die
-Drehung des solid und genial konstruierten Turmes erfolgte durch das
-Gewicht von Artilleristen mittelst Hebel und Tritte vorwärts und
-rückwärts in mäßigem Tempo. Fast eine Kunst war die Auswechslung der
-schweren und langen Geschützröhren in dem niedrigen Turm; ohne Kräne
-und Winden mußte sie in wenigen Stunden erfolgen. Diese Röhren wurden
-in Eisenblechlafetten durch zwei voneinander unabhängige Vorrichtungen
-so bewegt, daß der ideelle Drehpunkt in der Schießscharte verblieb und
-diese auf ein Minimum reduziert werden konnte.</p>
-
-<p>Die Mannschaft wurde allmählich mit den Manipulationen so vollkommen
-vertraut, daß es eine Freude war, die schwierigen Exerzitien zu
-beobachten. Welche Einfachheit der Übungen im Vergleich zu den
-heutigen Manövern, bei welchen alle Neuerungen der modernen Technik
-zur Anwendung gebracht sind! Über die zahlreichen Feldbefestigungen,
-die wir ausführten, gehe ich hinweg zu dem Barackenlager, das in Tegel
-errichtet, vorher aber in einem Exemplar in unserer Fabrik aufgestellt
-wurde. Gebogene I-Eisen, durch einen Ring zu einer Kuppel vereinigt und
-mit einem halben Stein ausgewölbt, bildeten hohe, luftige Wohnräume
-für etwa je 16<span class="pagenum"><a name="Seite_24" id="Seite_24">[S. 24]</a></span> Mann; kleinere Baracken waren für Offiziere, Küchen,
-Latrinen usw. bestimmt. Bei Ausbruch des französischen Krieges hatte
-das für eine Kompagnie in Tegel bestimmte Lager die Aufmerksamkeit
-auf sich gelenkt, und der damalige Direktor der Charité Esse, Virchow
-und andere Zelebritäten bestürmten uns, zwei solcher Baracken, für
-die das Material noch vorhanden war, in dem Königin Augusta-Hospital
-zu errichten. Acht Damen, darunter meine Frau, übernahmen die Pflege
-der Verwundeten, deren Lob und Dank sie erwarben. Die hohe Protektorin
-wünschte mir als Urheber des zeitgemäßen Gedankens und seiner
-Verwirklichung ihre Anerkennung persönlich auszusprechen, aber die
-Auszeichnungen, die meine Frau erfuhr, schienen mir eine ausreichende
-Belohnung für die zur Befriedigung meiner patriotischen Gesinnung
-bewirkte Leistung.</p>
-
-<p>Als die Kriegserklärung erfolgte, stand das Geschäft plötzlich still,
-der Gütertransport auf den Bahnen hatte aufgehört, die besten Arbeiter
-waren zu den Fahnen berufen, Aufträge liefen nicht mehr ein, und
-niemand wußte, welche Ausdehnung der Zustand nehmen würde. Da erhielten
-wir die Anfrage, ob wir Minentorpedos anfertigen könnten. Die anderen
-Berliner Fabriken hatten es abgelehnt, sich auf die Herstellung
-der völlig neuen und von unseren Fabrikaten gänzlich verschiedenen
-Konstruktionen einzulassen, und so erhielten wir den großen Auftrag
-zu den von uns auskömmlich berechneten Preisen. Das Material wurde
-auf Requisitionsschein herbeigeschafft, und die mit der Fabrikation
-beschäftigten Beamten, wie ich selbst, von der Dienstpflicht im Heere
-befreit. In kurzer Zeit waren Werkstätten und Höfe für den neuen
-Zweck eingerichtet. Verzinkereien angelegt, große Feuer zum Biegen
-der Bleche gebaut und Drehbänke für Herstellung der Schrauben und
-Zünder angeschafft. Die ungewohnte Arbeit ging anfänglich schwer
-vonstatten; es fehlte an guten Holzkohlenblechen, die die unsanfte
-Behandlung vertrugen, und auch die Dichtung ließ zu wünschen übrig.
-Allmählich lernten wir und unsere Arbeiter jedoch die Behandlung, und
-jeder Torpedo wurde anstandslos abgenommen. Als die Konkurrenz sah,
-wie immer neue Arbeiter von uns eingestellt wurden, die sie aus Mangel
-an Beschäftigung entlassen mußten, bewarben auch sie sich um diese
-Aufträge und erhielten sie, da unsere Leistungen erschöpft waren. Aber
-die höheren Preise, die man ihnen zugebilligt hatte, wurden uns nicht
-nur für die noch in Ausführung und Bestellung<span class="pagenum"><a name="Seite_25" id="Seite_25">[S. 25]</a></span> gegebenen, sondern
-auch für die bereits abgelieferten Torpedos in einem schmeichelhaften
-Schreiben über unsere Leistungen gewährt.</p>
-
-<p>So beschlossen wir, unsere Fabrikation beträchtlich zu erweitern. Die
-Kesselschmiede wurde damals in Berlin noch recht primitiv betrieben.
-Bei Arbeiten aus dünnen Blechen, wie bei Gasbehältern, erhielten wir
-kaum die Auslagen für Material und Lohn ersetzt, wie wir zuletzt beim
-Bau in Nauen zu unserem Bedauern erfahren hatten, und nicht viel
-besser erging es bei Dampfkesseln, Brücken, Dächern, Trägern usw.,
-die nach Gewicht geliefert und verrechnet wurden. Die einzige Hilfe,
-uns aus dieser üblen Lage zu befreien, war auch in diesem Zweig die
-Aufnahme von Spezialfabrikaten, denn die Herstellung der Torpedos
-hatte gezeigt, daß wir billig zu arbeiten in der Lage waren. Da mit
-feinerem Material auch die Arbeit sich verbessern mußte, nahmen
-wir den Bau von Stahlkesseln auf, die zwar neue Konstruktionen und
-Einrichtungen erforderten, aber auch bessere Verkaufspreise erzielten,
-da wir mit Preisunterbietungen seitens der Konkurrenz nicht mehr
-zu rechnen brauchten. Auch hier zahlten wir Lehrgeld; denn als ich
-in den Weihnachtsfeiertagen durch die Kesselschmiede ging und die
-Arbeiten betrachtete, sah ich, daß an verschiedenen Bördelungen der
-Feuerröhren infolge mangelhaften Materials Längsrisse entstanden waren.
-Der Fabrikant der Bleche schob die Schuld von sich auf nicht genügend
-langsame Abkühlung nach dem Biegen der Flansche, ich vermutete die
-Ursache in der Unzuverlässigkeit des Materials und überlegte, ob es
-nicht geraten sei, die weitere Fabrikation solange zu sistieren, bis
-Erfahrungen aus dem Betriebe vorlägen. Seit länger als 30 Jahren ist
-der von mir gefertigte Stahlkessel im Betriebe einer Tuchfabrik, und
-der Besitzer ist seines Lobes voll.</p>
-
-<p>Eine andere von mir eingeführte Fabrikation hat sich seit meiner
-Zeit zu außerordentlicher Höhe entfaltet: die Verarbeitung von
-Wellblechen. In der Fabrik für Eisenbahnbedarf von Pflug erbaute ich
-zwei freitragende Dächer aus Wellblech von erheblicher Spannweite über
-der großen Schmiede. Interessant ist, daß gerade auf diesem Grundstücke
-die A. E. G. etwa zehn Jahre später ihre erste Fabrikationsstätte
-errichtet hat. Indem ich jener Fabrik gedenke, erinnere ich mich, daß
-nicht nur die ersten Dampfheizungen in den Waggons unter den Sitzen
-der Reisenden, sondern auch Niederdruck-Wasserheizungen in Wohnhäusern
-von mir ausgeführt sind:<span class="pagenum"><a name="Seite_26" id="Seite_26">[S. 26]</a></span> sie bewiesen, daß man ideale Behaglichkeit
-erreichen kann, wenn man die Kosten der Anlage nicht spart. &mdash;
-Kompressoren wurden gebaut, um Gefäße mit komprimierter Luft zu füllen,
-mit der die Soldaten in langen Minengängen sich ernährten. Sie trugen
-die kurzen Röhren über den Tornistern auf dem Rücken und konnten
-dadurch ihre Arme frei bewegen. Erwähnenswert ist auch die Herstellung
-einer <em class="gesperrt">Dampfturbine</em>. Sie bestand aus zwei miteinander verbundenen
-Scheiben, die, durch dünne Zwischenlagen voneinander getrennt, den
-Dampf von der Mitte nach dem Umfang durch Schaufeln ausströmen ließen,
-die in den Zwischenlagen ausgespart waren. Die Querschnitte der
-Aktionsturbinen erweiterten sich der Expansion des Dampfes entsprechend
-nach dem Umfang zu, und dieser strömte durch die hohle Welle in das
-Rad, das in einem Gebäude rotierte, um den Auspuff in die Atmosphäre zu
-leiten. Bei der geringen Heizfläche der stehenden Dampfkessel und der
-wenig ökonomischen Wirkung war es immer nur minutenweise möglich, die
-Turbine im Leerlauf zu erhalten, und die Versuche wurden aufgegeben.
-Hätte man die Geschwindigkeit zu steigern, Kondensation anzuwenden und
-die erzeugte Arbeit auf die noch wenig bekannten Dynamos zu übertragen
-verstanden, die Fortsetzung der Versuche wäre beim Übergang von
-Aktions- zu Reaktionsrädern vielleicht von Erfolg gekrönt worden.“</p>
-
-<p>Diese Schilderung zeigt, daß alles von Rathenau damals an Neuerungen
-Versuchte, zwar im einzelnen ganz schöne Erfolge brachte, aber doch den
-Rahmen für eine großzügige Erweiterung oder gar für eine grundlegende
-Umgestaltung des im ganzen primitiven Betriebes nicht abgeben konnte.
-Über die Grenzen, die der damaligen Maschinen-Industrie in Deutschland
-noch gesetzt waren, fand sich das Unternehmen nicht hinaus. Es gab in
-der Maschinenfabrikation jener Zeiten bestimmte Typen, an denen zwar
-hier und da kleinere oder größere Verbesserungen angebracht wurden,
-die aber doch im großen und ganzen ziemlich festlagen. Bahnbrechende
-Erfindungen wurden nicht gemacht, für großzügige Experimente wurde
-nicht viel Geld ausgegeben. Emil Rathenau, der noch mit einem anderen
-Ingenieur den ganzen technischen Stab der Maschinenfabrik bildete,
-saß in jener Zeit fleißig am Reißbrett und betätigte sich, ohne schon
-eine Spur seiner späteren schöpferischen Kaufmannsbegabung erkennen
-zu lassen, hauptsächlich als Konstrukteur.<span class="pagenum"><a name="Seite_27" id="Seite_27">[S. 27]</a></span> Mit dem, was sich mit
-den Mitteln seiner Fabrik verwirklichen ließ, war er innerlich nicht
-zufrieden. Damals durchgrübelte er in den freien Stunden, die ihm
-der nicht überhastete Betrieb ließ, bereits die Möglichkeiten des
-Maschinenbaus, und Ideen, die später in der Hochdruck-Zentrifugalpumpe
-und der Dampfturbine ihre Verwirklichung fanden, fühlte und dachte er
-schon bis an die Schwelle ihrer Konstruierbarkeit problematisch vor.
-Zum großen Konstrukteur fehlte ihm weder die technische Phantasie
-noch die intime Kenntnis der maschinellen Praxis, aber wohl das
-breite Zwischengebiet, das zwischen diesen beiden Exponenten liegt.
-Er hatte das Gefühl dafür, welche Erfindung nottat, und wußte wohl
-auch die Richtung ungefähr zu treffen, in der sie zu gewinnen
-war. Er verstand es auch trefflich, die vielen kleinen und großen
-Hindernisse zu beseitigen, die auf dem Wege von der prinzipiell
-gelungenen Konstruktion bis zu ihrem glatten und geschäftlich
-rationellem Funktionieren in der Praxis wie Steingeröll auf einer schon
-tracierten, aber noch nicht applanierten Chaussee zu liegen pflegen.
-Aber die Chaussee zu bauen vermochte er nicht. Dazu fehlte es seinem
-technischen Sinn an gleichmäßiger Kraft, seiner Arbeit an Freiheit und
-Selbständigkeit. Darunter scheinen auch seine konstruktiven Versuche in
-der Maschinenfabrik gelitten zu haben. Gänzlich neue Gebilde vermochte
-er nicht zu schaffen. Damals bemächtigte sich seiner zeitweilig sogar
-eine gewisse Resignation hinsichtlich der Entwickelungsfähigkeit
-des Maschinenbaus überhaupt, und seinem Sozius klagte er in der
-beginnenden Stimmung des Überdrusses an dem ewigen Kreislauf des
-kleinen Betriebes, daß die Kolbendampfmaschine in allem Großen und
-Wesentlichen wohl für alle Zeiten festgelegt sei, und an ihr höchstens
-mittlere und kleine Verbesserungen noch erreicht werden konnten.
-Es war schon nach einigen Jahren ersichtlich, daß die Tätigkeit in
-der Maschinenfabrik dem ruhelos schweifenden Geist Rathenaus, der
-Entwickelungsfeld, Weite und die Möglichkeit des vollen Schaffens vor
-sich sehen mußte, keine dauernde Befriedigung zu bieten vermochte.
-Wäre Emil Rathenau eine Durchschnittsnatur gewesen, ein Mensch, dem
-es genügt hätte, einen guten und entwickelungsfähigen Wohlstand zu
-gründen, so würde er in der Chausseestraße zufrieden geblieben sein,
-mit der Aussicht, es vielleicht allmählich zu einer Position zu
-bringen, wie sie seine Verwandten Liebermann sich geschaffen hatten.
-Das Gefühl und der<span class="pagenum"><a name="Seite_28" id="Seite_28">[S. 28]</a></span> Wert des Erwerbens und Besitzens haben aber
-Rathenau in seiner Handlungsweise nie geleitet. Gelderwerb war ihm eine
-Begleiterscheinung der Arbeit und ein äußeres Zeichen für ihren Erfolg.
-Persönlich bedürfnislos, ohne Sinn für Wohlleben und Luxus, auch in
-der Zeit des Reichtums noch dem Geld mit kleinbürgerlichen Gefühlen
-gegenüberstehend, so ist er allezeit geblieben. Nur die Seligkeit des
-Schaffens war es, die ihn beflügelte und befriedigte. Seinem Werke
-diente er, weil er in dem Werke und mit ihm wachsen, sich ausleben
-konnte, nicht weil er durch Geld genießen und Macht üben wollte. Es
-ist kein Wunder, daß einen so gearteten Menschen nach wenigen Jahren
-ruhigen Wirkens im gemäßigten Klima Überdruß und Unrast überfielen.
-Nicht lange vermochte er sie sich und den Seinen zu verbergen. „Lassen
-Sie mich heraus,“ bat er den Sozius, Valentin. „Behalten Sie mein Geld
-im Geschäft, ich will keinen Pfennig heraushaben.“ &mdash; „Aber warum
-wollen Sie unser gutes Unternehmen, unsere harmonische Zusammenarbeit
-im Stich lassen?“ fragte bekümmert der Freund. „Ich finde darin
-keine Zukunft für mich, ich komme mir auch manchmal unseren Kunden
-gegenüber wie ein Betrüger vor. Unsere heutigen Maschinen verbrauchen
-viel mehr Kohlen, als sie dürften. Die Abnehmer rügen es nicht, aber
-gerade deswegen drückt es mich. Gewiß sind unsere Fabrikate nicht
-schlechter als die anderer Firmen. Das ganze Niveau ist zu niedrig. Es
-müßte gehoben werden, aber in einer Fabrik wie unserer, mit unseren
-Mitteln muß ich daran verzweifeln, es heben zu können.“ So sprach
-Rathenau, zuerst aus vorübergehenden Stimmungen heraus, die Valentin
-zurückzudrängen versuchte. „Ich will Ihre Stimmungen und Verstimmungen
-nicht benutzen, um mich zu bereichern. Wenn Sie aus der Firma
-herausgehen, bleibe auch ich nicht. Dann liquidieren wir eben oder
-verkaufen die Fabrik gemeinsam.“ Der Gedanke, den Sozius und Freund
-der ihm lieb gewordenen Unternehmung zu entziehen, hielt Rathenau dann
-wieder eine Zeitlang von seinem Vorhaben zurück. Aber die Stimmungen
-wurden immer düsterer, die Klagen immer dringlicher. „Es ist die
-typische Veränderungssucht der Rathenaus, ihr Mangel an Sitzfleisch,“
-so urteilte vielleicht die Familie über die Nöte des schwer ringenden
-Mannes. Wer mochte ihn damals verstanden haben? &mdash; Nach dem Kriege
-von 1870/71 schien ein Ausweg zu winken. Ein großer Auftrag der
-Militärverwaltung auf Umarbeitung von 800000 Gewehren<span class="pagenum"><a name="Seite_29" id="Seite_29">[S. 29]</a></span> sollte vergeben
-werden. Rathenau gibt von dem Vorgang folgende Schilderung:</p>
-
-<p>„Während der Torpedoauftrag zu Ende ging, erfuhr ich, daß man in
-den Spandauer Gewehrfabriken sich mit Umänderung der Visiere auf
-den eroberten Chassepotgewehren herumquälte und gern Offerten der
-Privatindustrie entgegennehmen würde. Ich begab mich unverweilt in
-das Bureau des Dezernenten und führte aus, daß die Umänderungen mit
-den hier üblichen Mitteln kostspielig und zeitraubend seien, daß
-ich mit modernen amerikanischen Millingmaschinen die Arbeit, deren
-Selbstkosten in Spandau ich auf fünf Taler schätzte, für ebensoviel
-Mark liefern würde. Der alte General hielt mich zuerst für einen
-Hochstapler oder Wahnsinnigen, wie ich aus seinen Fragen und Mienen
-sah, im weiteren Verlauf der Unterhaltung gewann er indessen die
-Überzeugung, daß meine Offerte Ernst sei, als ich als Garantie für
-die Erfüllung meiner Verpflichtungen eine imposante Summe (300000
-Taler) bei einer ersten hiesigen Bank zu hinterlegen mich erbot.
-Obwohl ich keine Zusage erhielt, daß der Auftrag an uns zur Vergebung
-gelangen würde, veranlaßte ich einen Freund, der die Fabrikation
-der oben bezeichneten Maschinen durch seine Tätigkeit in Amerika
-genau kennen gelernt hatte, schleunigst nach den Vereinigten Staaten
-abzureisen und sich zu vergewissern, in welcher kürzesten Zeit der
-ausgedehnte Maschinenpark zu beschaffen sei. Ein Probevisier hatte
-er mitgenommen, und bald erhielt ich ein Kabeltelegramm, daß ein
-großer Teil der Werkzeuge und Maschinen in vier Monaten, der Rest in
-gewissen, näher bezeichneten Perioden zur Verladung gelangen würde. Mit
-diesem Telegramm begab ich mich nach der Zimmerstraße in das Bureau
-des Dezernenten, der fast sprachlos war, als ich auf seine Fragen die
-Absendung meines Delegierten kurz und bündig schilderte. Er hätte mir
-weder einen Auftrag erteilt, noch in sichere Aussicht gestellt, meine
-Handlungsweise sei nicht zu rechtfertigen; als ich ihm entgegenhielt,
-daß die Arbeit in kürzester Zeit vollendet werden müsse, daß weder
-die Königlichen Fabriken noch ein Dritter hierzu in der Lage seien,
-daß mit den alten Werkzeugmaschinen präzise Arbeit nicht hergestellt
-werden könne und meine Mittel mir gestatteten, für die Möglichkeit,
-eine große Bestellung zu erlangen, eine Summe zu opfern, beruhigte
-sich der alte Herr und entließ mich mit dem Versprechen, die Offerte
-wohlwollend zu prüfen. Als<span class="pagenum"><a name="Seite_30" id="Seite_30">[S. 30]</a></span> wir am Weihnachtsheiligabend desselben
-Jahres unsere Kinder unter dem Baum zu bescheren gerade im Begriff
-waren, meldete sich der Adjutant des Generals mit dem Auftrage, uns zu
-befragen, ob wir den geforderten Preis für Änderung von 800000 Visieren
-um 50 Pfg. das Stück zu reduzieren geneigt seien; in diesem Falle würde
-der Auftrag uns, sonst aber der inzwischen aufgetauchten Konkurrenz
-erteilt werden. Ohne lange Überlegung lehnten wir den Vorschlag ab,
-nicht weil wir an einen ernsten Wettbewerb glaubten, sondern weil nach
-Lage der Dinge diese Behandlung uns nicht fair erschien. Der Konkurrent
-ging, wie vorauszusehen war, bei der Arbeit zugrunde, denn er hatte
-weder die Mittel, die neuen Arbeitsmethoden einzuführen, noch kannte
-er diese. Sein Untergang war die Erweckung der Nähmaschinenfabrik von
-<em class="gesperrt">Ludwig Loewe &amp; Co.</em>, die bis dahin Erfolge nicht aufzuweisen
-gehabt hatte. Nach meinen Kalkulationen sind an diesem Auftrage mehrere
-Millionen verdient worden, aber wichtiger als der einmalige Gewinn war
-die hierdurch herbeigeführte Annäherung an die Firma Pratt, Whitney
-&amp; Co. in Hartford, Conn., deren Maschinen- und Werkzeugbau Loewe an
-Stelle der unlohnenden Nähmaschinen aufnahm und hiermit das Verdienst
-erwarb, den amerikanischen Machine tools eine würdige Stätte in unserem
-Vaterlande zu bereiten.“</p>
-
-<p>Das Fehlschlagen dieses Geschäfts bedeutete aber für die
-Maschinenfabrik Rathenaus nicht nur einen entgangenen Gewinn und eine
-entgangene Entwicklungsmöglichkeit, sondern brachte auch einen &mdash;
-wenn auch nicht allzu schweren &mdash; Geldverlust mit sich. Im Vertrauen
-auf das erwartete Geschäft, an dessen Zustandekommen die Sozien
-nicht zweifelten, hatten sie zur Aufbringung der erforderlichen
-beträchtlichen Kapitalien einen stillen Teilhaber aufgenommen oder
-doch mit ihm einen Vertrag abgeschlossen, nach dem er einen Betrag von
-600000 Mark einbringen sollte. Nachdem das Geschäft sich zerschlagen
-hatte, mußte dieser Vertrag gelöst werden, wobei dem Kapitalisten eine
-Abstandssumme von 20000 Mark zu zahlen war. Die Frage, ob Rathenau dem
-Unternehmen treu geblieben sein würde, wenn es durch den großen Auftrag
-der Militärverwaltung auf eine verbreiterte, und vielleicht wesentlich
-veränderte Grundlage gestellt worden wäre, ist schwer zu beantworten.
-Auch auf dem Gebiet der Waffen- und Werkzeugmaschinen-Industrie waren
-große Entwickelungsmöglichkeiten vorhanden, wie ja der<span class="pagenum"><a name="Seite_31" id="Seite_31">[S. 31]</a></span> Werdegang der
-Löweschen Fabrik zeigte, die später einen ganzen Kranz gewaltiger
-Unternehmungen der Waffen- und Munitionsindustrie, ihrer Hilfs- und
-Nebengewerbe und der Werkzeugmaschinenfabrikation um sich gruppiert
-hat. Hinter dem großartigen und vielgestaltigen Sonnensystem der A. E.
-G. mit seinen Ausstrahlungen nach allen Seiten und Himmelsrichtungen
-bleibt die beschränkte Spezialfabrikation des „Waffenkonzerns“
-aber nicht nur an Umfang, sondern auch an Fülle der Formen und
-Gestaltungen, an Möglichkeiten zur Betätigung des kaufmännischen
-Ingeniums und des industriellen Schaffenswillens so weit zurück,
-daß sie fast einförmig erscheint. Ob einen Emil Rathenau, dem der
-Formenreichtum und die gewaltigen Maße der A. E. G. kaum genügten,
-dessen Phantasie den Wundern der Elektrizität himmelhoch nachfliegen
-durfte, die nüchterne Klein- und Präzisionskunst der Waffenindustrie
-und der Drehbänke dauernd gefesselt hätte, will mir nicht sonderlich
-glaubhaft erscheinen. Für die Entwickelung der deutschen Industrie
-ist es jedenfalls gut gewesen, daß Emil Rathenau als 33jähriger eine
-Enttäuschung bei einem kleineren Werke erlebte, um für größere Aufgaben
-freizubleiben, zu denen er erst als Reiferer mit 43 Jahren gelangen
-sollte.</p>
-
-<p>Den Jahren der gewerblichen Beschäftigungslosigkeit und der
-Kriegsdepression, in denen Rathenau und Valentin, um ihrer Fabrik
-überhaupt eine größere Arbeit zuzuführen, dem ihnen an sich fremden
-Auftrag aus dem Gebiet der Waffenindustrie nachgegangen waren, folgte
-bald die <em class="gesperrt">Gründerperiode</em> mit ihrem Überschwung, ihren stürmischen
-Hoffnungen und schweren Enttäuschungen. An alledem sollte auch die
-Webers’sche Maschinenfabrik Anteil haben. Die Inhaber entschlossen
-sich, da die Räume in der Chausseestraße eine Vergrößerung, wie
-sie diese planten, nicht zuließen, eine neue Fabrik nach modernen
-Grundsätzen auf billigem Gelände in der Nähe der Stadt zu errichten.
-Sie erwarben einen geeigneten Komplex von großer Ausdehnung in
-Martinikenfelde für 70000 Taler. Der Plan war großzügig angelegt. An
-den beiden gegenüberliegenden Straßenfronten lagen nach Martinikenfelde
-zu die mächtige Eisengießerei, an der Huttenstraße die ihr an Größe
-entsprechende Modellierwerkstatt und Dreherei und zwischen ihnen auf
-der westlichen Seite Schmiede und Kesselschmiede. Im Mittelpunkte
-befand sich die zentrale Dampferzeugungsstation, die alle Maschinen
-des<span class="pagenum"><a name="Seite_32" id="Seite_32">[S. 32]</a></span> ausgedehnten Werkes durch wohl isolierte Röhren mit Dampf
-versorgte. Die Kondensation erfolgte durch Ejekteure, deren Bau die
-Firma neuerdings aufgenommen hatte, auch nur ein Schornstein war auf
-dem Werke vorhanden.</p>
-
-<p>„Die Gießerei bestand aus einem Längsschiff von ca. 20 Meter
-Spannweite und einer beträchtlichen Höhe und Länge. Sie war mit großen
-Kupolöfen, schweren Lauf- und Drehkranen, tiefen Dammgruben und allen
-Vorrichtungen einer modernen Gießhalle ausgerüstet, um die schwersten
-Stücke in Sand, Masse und Lehm zu gießen. An ihren Enden schlossen sich
-zweistöckige Gebäudeflügel an; der eine diente als Modelltischlerei
-und Modellboden, der andere für Kleinguß, der mit Maschinen geformt
-wurde. &mdash; Die Montagehalle war in Form und Größe der Gießerei ähnlich,
-die sich ihr anschließende Dreherei mit kräftigen Werkzeugen reichlich
-versehen. Auch in den anderen Werkstätten ließen die Einrichtungen
-nichts zu wünschen übrig.“</p>
-
-<p>Rathenau faßte später sein Urteil über die Anlage in die Worte
-zusammen: „Es war eine Fabrik aus einem Guß, wie sie Berlin
-nicht besaß.“ Schon während des Baues waren in der Gründerzeit
-Offerten von Großbanken zur Umwandlung des Unternehmens in eine
-<em class="gesperrt">Aktien-Gesellschaft</em> immer wieder ihren Inhabern gemacht worden.
-Rathenau hatte sie zuerst standhaft zurückgewiesen, ja er hatte sogar
-ein großes Kapital unter nicht leichten Bedingungen von privater Seite
-beschafft, um den Klauen des Geldmarktes zu entschlüpfen, dem er eine
-unüberwindliche Abneigung entgegenbrachte und trotzdem, so bekannte er
-später resigniert, „entging ich meinem Schicksal nicht.“</p>
-
-<p>„Ein befreundetes Bankhaus hatte mit einer ersten Bank sich verbunden
-und meinen Sozius zum Verkauf überredet. Trotz der ungewöhnlichen
-Bedingungen, die ich in der Erwartung stellte, daß sie die Käufer
-abschrecken würden, gingen sie zu meinem Bedauern auf diese ein und
-verwandelten das gutrentierende Unternehmen in eine Aktiengesellschaft.
-Ich übernahm keine Aktie, erhielt vielmehr den gesamten Kaufpreis
-in bar ausgezahlt, die Leitung der Geschäfte mußten wir trotz allem
-Widerwillen für einige Zeit übernehmen, da eine geeignete Direktion
-nicht sogleich sich finden ließ und die zweckmäßige Umwertung der
-Bestände von nicht zu unterschätzendem Wert war. Die Geschäfte gingen
-zunächst glänzend, als aber der<span class="pagenum"><a name="Seite_33" id="Seite_33">[S. 33]</a></span> Krach von 1873 hereinbrach und das
-große und sehr geschätzte Bankinstitut, das die Gründung durchgeführt
-hatte, von diesem am stärksten betroffen wurde, erlitten wir zwar keine
-Einbuße an dem vorhandenen Betriebskapital, aber die Obligationen,
-die für den Bau der neuen Fabrik uns zugesichert waren, konnten nicht
-zur Ausgabe gelangen, und Hypotheken waren nicht zu beschaffen. Mein
-Entschluß war sofort gefaßt: Nachdem die Fabrikbauten schleunigst
-vollendet und alle Gläubiger befriedigt waren, legten wir unsere
-Stellungen nieder und überließen das weitere Geschick der Gesellschaft,
-die später liquidierte. Den fast täglich an mich herantretenden,
-zuweilen sehr verlockend erscheinenden Anerbietungen, das glänzende
-Unternehmen zurückzuerwerben, entzog ich mich durch eine lange Reise.
-Gewiß wäre es ein gutes Geschäft gewesen, die beiden Werke billig zu
-kaufen und den früheren Betrieb mit vergrößerten Mitteln aufzunehmen,
-aber dieses Ansinnen widerstrebte mir. Geradezu verfolgt hat mich
-mit seinen Anträgen der reiche Verwandte eines Großindustriellen der
-Branche, der Kriegsmaterial in Martinikenfelde fabrizieren wollte,
-große Aufträge der Regierung hinter sich hatte und über sehr erhebliche
-pekuniäre Mittel verfügte. Der Kauf kam ohne meine Mitwirkung
-zustande, die schöne Fabrik wurde umgestaltet, und ihr Besitzer
-stellte die Zahlungen ein, nachdem er das große Vermögen der Erzeugung
-von Stahl geopfert hatte. Aus dem Konkurs erwarben die Waffen- und
-Munitionsfabriken dieses Werk und gestalteten es für ihre Zwecke um.“</p>
-
-<p>Das Bankinstitut, das an der Finanzierung sich beteiligte, war
-die Preußische Boden-Kredit-Aktienbank, deren Direktor Schweder
-Aufsichtsrat-Vorsitzender bei der „Berliner Union“ &mdash; so hieß die neue
-Aktiengesellschaft &mdash; geworden war. Er hatte Rathenau und Valentin
-sogar größere Geldmittel als sie beanspruchten, förmlich aufgedrängt,
-indem er in den Aufsichtsratssitzungen darlegte, daß es auf 300000
-Mark mehr oder weniger bei einer solchen Gründung nicht ankomme.
-Infolgedessen war das finanzielle sowohl wie das betriebliche Gewand
-des neuen Unternehmens den Gewohnheiten jener Zeit entsprechend
-sehr reichlich bemessen worden. Man hatte neue Fabrikationszweige
-aufgenommen und wenn auch alles organisch gut gegliedert und nach dem
-Rathenauschen Urteil „wie aus einem Guß“ hingestellt war, so setzte es
-doch die pünktliche und regelmäßige Zuführung immer neuer Geldmittel
-voraus. Als nun die<span class="pagenum"><a name="Seite_34" id="Seite_34">[S. 34]</a></span> Krise hereinbrach, stockte der Kapitalzufluß
-plötzlich, die bereits gedruckten Schuldverschreibungen konnten nicht
-mehr emittiert werden und zu allem Überfluß brach Schweder, eine der
-verwegensten Spekulantennaturen jener Periode, finanziell zusammen
-und wurde seines Direktorpostens bei der von ihm geleiteten Bank
-enthoben. Als daraufhin die Direktoren der „Berliner Union“ bei dieser
-Bank vorstellig wurden und um die Hergabe der ihnen zugesagten Mittel
-ersuchten, wurde ihnen ein kühl ablehnender Bescheid. Die Bank habe
-sich zu nichts verpflichtet, sie könne und wolle als Hypothekenbank
-überhaupt derartige industrielle Geschäfte nicht mehr machen und die
-Herren möchten sich an Schweder halten. Mit diesem Bescheid mußten
-sich Rathenau und Valentin zufrieden geben. Es blieb nichts anderes
-übrig als die Liquidation der Gesellschaft, bei der die Gläubiger
-nichts verloren, die Aktionäre allerdings nur sehr wenig retteten.
-Mit geschmälertem aber immerhin noch ansehnlichem Besitz &mdash; jeder der
-beiden Teilhaber verfügte damals aus dem Verkauf der Aktien über ein
-Vermögen von etwa 900000 M. &mdash; ging Rathenau nach 10jähriger Tätigkeit
-aus seinem ersten Unternehmen heraus. Aber er behielt doch als nie
-vergessene Lehre aus der ganzen Angelegenheit die später für seine
-großen Transaktionen sehr nützliche und heilsame Abneigung gegen
-Geschäfte zurück, für die er vorher das Geld nicht bar im Kasten
-hatte. Ihm, dem sich gewisse persönliche Erfahrungen hartnäckig bis
-zur Grenze der Zwangsvorstellung einprägten, hatte sich für allezeit
-ein Mißtrauen gegen Banken und Bankiers eingegraben, von denen er,
-wenn es irgend ging, bei seinen Geschäften nicht abhängig sein wollte.
-Hier liegt die erste tiefe Wurzel für seine Bankguthabenpolitik in der
-A. E. G.-Zeit, die wir später noch kennen lernen werden. Auch eine
-unüberwindbare Antipathie gegen Effektenspekulationen jeder Art hatten
-die Erlebnisse und Erfahrungen der Gründerjahre in ihn gelegt. Der
-Zusammenbruch Schweders, die Liquidation der „Berliner Union“, und das
-tragische Schicksal seines Schwiegervaters Nachmann, der nach schweren
-Börsenverlusten aus dem Leben schied, waren die Fälle, die sich von
-dem gleichgestimmten Hintergrund der allgemeinen Zeitverhältnisse für
-ihn besonders scharf abhoben und ihn persönlich tief berührten. Sein
-Unterbewußtsein hat diese Eindrücke nie vergessen.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_35" id="Seite_35">[S. 35]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Zweites_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Zweites Kapitel</em><br />
-
-Zwischenspiel</h2>
-
-</div>
-
-<p>Emil Rathenau war in einer ungünstigen Zeit frei geworden. Wir haben
-bereits gesehen, daß die Krisis, die der Gründerzeit folgte, mit in
-die letzten Phasen seiner ersten Unternehmung hineingespielt hatte.
-Wenngleich seine Trennung von der Maschinenfabrik zweifellos früher
-oder später auch ohnedies erfolgt wäre, so ist sie doch durch den
-mißglückten Aufschwung und den darauf folgenden Zusammenbruch, mit
-denen die Rathenau-Valentinsche Fabrik der Zeitentwicklung Rechnung
-trug, beschleunigt worden. Inzwischen war die Krisis hereingebrochen,
-und für einen halbverkrachten Unternehmer, als der Rathenau damals
-in den Augen der Öffentlichkeit erscheinen mußte, war es nicht
-leicht, etwas Neues und Besseres zu finden, das ihm voll zusagte. Vom
-Standpunkt der damals nächstliegenden Situation aus beurteilt war das
-vielleicht ein „Pech“, vom Standpunkte der langsichtigen Entwickelung
-aber ein Glück für den innerlich noch nicht Ausgereiften. Hätte er
-seine erste Fabrik vor oder in den Gründerjahren aufgegeben, so würde
-die hochflutende Welle der Konjunktur ihn vielleicht schnell wieder
-an irgend einen anderen Strand geführt haben. Von dem hochgestimmten,
-der Selbstkritik und der Kritik der Dinge abholden Schwunge der Zeit
-getragen, würde er vielleicht &mdash; wie so viele andere auch &mdash; Arbeit
-und Kredit in einer Sache engagiert haben, der es an solider Grundlage
-und dauernder Lebensfähigkeit fehlte. Selbst eine in der Anlage gute
-Sache hätte von der Sturmflut der wenig später hereinbrechenden Krisis
-untergraben und fortgespült werden können. Ein zweites Mißlingen
-hätte ihm aber innerlich und äußerlich zweifellos<span class="pagenum"><a name="Seite_36" id="Seite_36">[S. 36]</a></span> noch schwerer
-geschadet, hätte sein Selbstvertrauen und das Vertrauen, das andere
-ihm entgegenbrachten, völlig erschüttern können. So war es wohl für
-ihn am besten, daß er, der innerlich noch nicht fertig geworden, der
-noch nicht im Feuer des doppelten Kampfes mit sich selbst und mit
-der Außenwelt dreimal gehärtet war, nach der Aufgabe seiner ersten
-Selbständigkeit in eine Zeit geriet, die aus Erfahrung kritisch
-geworden war, die ein berechtigtes Mißtrauen vor neuen Gründungen und
-Unternehmungen hatte. Im Jahre 1875 war die Auflösung der „Berliner
-Union“ vollendet, und nun tat der siebenunddreißigjährige Rentier, der
-seinen wahren Beruf noch nicht gefunden hatte, eigentlich 8 Jahre, &mdash;
-sonst die produktivsten Jahre des Manneslebens &mdash; nichts Bestimmtes,
-wenn man eben für das unablässige Suchen und das leidenschaftliche
-Lernen eines reifenden Charakters den Ausdruck „nichts Bestimmtes tun“
-gebrauchen will. Die Familie, besonders die weitere, die Reichenheims
-und Liebermanns, die etwas hinter sich gebracht hatten, deren
-gefestigter Wohlstand sich von dem Aufschwung der Gründerzeit vornehm
-zurückgehalten hatte, aber auch von den Folgen des Zusammenbruches
-verschont geblieben war, gebrauchte wahrscheinlich solche Ausdrücke,
-und vielleicht &mdash; wenn sie unter sich war &mdash; noch weniger respektvolle.
-Für sie war Emil Rathenau der kleine Verwandte, der Fiasko erlitten
-hatte, der sich mit einer Menge von nicht ernstzunehmenden Projekten
-herumtrug und herumschlug, dem man darum auch keine rechte Zukunft
-zutraute. Emil Rathenau schwankte und irrlichtellierte in dieser
-Zeit tatsächlich ziemlich viel hin und her. Er faßte Pläne, ließ sie
-wieder fallen, erwärmte sich anfänglich für irgend einen ihm von den
-Brüdern oder Fremden zugetragenen Vorschlag, und lehnte &mdash; manchmal im
-letzten Augenblick &mdash; wenn der andere sich schon darauf eingerichtet
-hatte, aus irgend einem eigensinnigen oder nebensächlichen Vorwande
-ab. Sein älterer Bruder zum Beispiel, der eine glückliche Hand bei
-dem Kaufe und Wiederverkauf von Häusern zeigte, hatte ihn einmal
-zur Teilnahme an einem derartigen Geschäft, das Rathenau von ferne
-zunächst einen plausiblen Eindruck zu machen schien, aufgefordert.
-Man war übereingekommen, 80000 Taler für das Objekt anzulegen, der
-Bruder hatte das Grundstück aber nur zu einem höheren Preise bekommen
-können und Emil, dem das ganze seinem Charakter fernliegende Geschäft
-inzwischen leid geworden war, benutzte den Vorwand des überschrittenen
-Prei<span class="pagenum"><a name="Seite_37" id="Seite_37">[S. 37]</a></span>ses, um sich von der Sache loszusagen. „Behalte du das Haus lieber
-alleine,“ sagte er zu dem Bruder, der ihm den Kaufabschluß melden
-kam. Ein anderes Mal, als es sich um den von Rathenau eine Zeitlang
-erwogenen Ankauf der sogenannten Jablochkoff-Patente für elektrische
-Bogenlampen-Beleuchtung handelte, die in der Avenue de l’opéra in Paris
-mit vielem Reklame-Tam-Tam als erste elektrische Straßenbeleuchtung
-größeren Umfangs angewendet worden war, erwog er mit demselben
-Bruder den Plan, daß jeder zum gemeinsamen Ankauf jener Patente für
-Deutschland einen Teil des erforderlichen Geldes beschaffen sollte.
-Auch hier kam es aber nicht zum Kaufabschluß, und die Verstimmungen,
-die sich aus diesen gescheiterten Unternehmungen ergaben, waren so
-stark, daß eine Aussöhnung zwischen den beiden Brüdern nie mehr
-erfolgte.</p>
-
-<p>Für die Menschen, die ihn damals sahen und kannten, soll Emil Rathenau,
-wie manch’ einer von den Zeitgenossen berichtet, keineswegs den
-Eindruck eines überragend genialen Mannes gemacht haben, dessen Stunde
-noch nicht gekommen ist, und der im vollen Bewußtsein seiner Kraft
-den richtigen Augenblick für sein Hervortreten abwartet. Er trug noch
-immer den Marschallstab im Tornister, aber der Durchschnittsmensch
-sah es ihm nicht an, und er hatte, wo und wann er auch immer mit
-Plänen an jemanden herantrat, Mißtrauen oder die noch schlimmere
-Gleichgültigkeit, kurz alle jene Hemmungen zu überwinden, die dem
-Anfänger, erst recht aber dem, der zum zweiten Mal anfangen will,
-im Wege stehen. Nur wer selbst mit Genieaugen Menschen und Dingen
-durch die äußere Schale auf den Grund blickte, wie Werner v. Siemens,
-spürte aus Rathenaus Reden und Entwürfen den göttlichen Funken
-überspringen. „Dem Mann geben wir Geld,“ sagte er, und machte sein
-Versprechen trotz skeptischer Einwände und passiver Resistenz seiner
-Mitarbeiter schließlich wahr. Für die meisten übrigen Menschen aber
-mochte Rathenau, der stets bereitwillig die Lippen von dem überfließen
-ließ, wessen sein Herz voll war, in jener Zeit manche Züge von Hjalmar
-Ekdal, dem ewigen Genie von morgen, an sich gehabt haben. Eine
-gewisse leidenschaftliche Beflissenheit und Verbissenheit konnten
-dem werdenden Genius eigen sein, aber dieselben Eigenschaften weist
-auch häufig die problematische Natur auf. Auch für Rathenau selbst
-war die Wartezeit zwischen der ersten provisorischen Unternehmung,
-die im Niedergang einer alten, überlebten<span class="pagenum"><a name="Seite_38" id="Seite_38">[S. 38]</a></span> Epoche zerbröckelte, und
-der zweiten endgültigen Schöpfung, die im Aufstieg einer neuen Zeit
-sich zu weltenweiten Formen auswuchs, keineswegs immer die bewußt
-gewählte, in jedem Augenblick gut ausgefüllte Ruhe- und Lernpause, als
-die sie in den Rückblicken des Vollendeten erscheint. Gar manchmal,
-wenn der Akkumulator des phantasiebegabten Kopfes zu viel von der
-aufgespeicherten Gedankenkraft von sich gegeben und sich erschöpft
-hatte, kamen Stunden und Tage der Verzagtheit, der Trübsal, in
-denen der beschäftigungslose Vierziger sich in seine Wohnung in der
-Eichhornstraße mit grauen Gedanken einspann. Aber solche Zeiten wurden
-von der ihm eigenen Schwungkraft des Wesens bald überwunden, und im
-Notfalle half die Ablenkung und Abwechselung einer Reise, wie denn
-Emil Rathenau Zeit seines Lebens vom Reisetrieb beseelt war und auch
-in den späteren Jahren der Arbeitsüberlastung aus geschäftlichen und
-privaten Reisen &mdash; mochten sie auch noch so kurz sein &mdash; immer wieder
-Frische und Nervenergänzung mit heim brachte. Wenn somit den in der
-Vollkraft der Jahre stehenden Mann die Tatenlosigkeit manchmal drückte,
-so zeigt doch seine ganze spätere Entwickelung, besonders die Art, wie
-er im richtigen Augenblick mit genialer Intuition und unbeirrbarer
-Entschlossenheit zugriff und alle Zweifelsucht von sich abstreifte,
-daß <em class="gesperrt">nicht er</em> es gewesen war, der in jener Warteperiode an
-Ziellosigkeit, an Stagnation krankte, sondern die <em class="gesperrt">Zeit</em>. Jene
-Zeit, in der die Triebkräfte der alten Wirtschaftsordnung abgestorben
-waren und die der neuen Epoche nach dem ersten überschwänglichen
-Aufflackern in der Gründerperiode noch nicht so recht Wurzelboden
-gefunden hatten. Rathenau wartete &mdash; innerlich betrachtet &mdash; nicht
-aus Unentschlossenheit, sondern aus Prinzip, und, wenn seine
-oberflächlichen Einsichten auch manchmal vielleicht ihn selbst der
-hamletischen Charakterschwäche anklagen mochten, die instinktiven,
-tieferen Einsichten waren stark genug, um sich dieser Selbstkritik und
-der Kritik der Außenwelt gegenüber durchsetzen zu können. Es waren
-nicht Jahre der inneren Klarheit, der bewußten Selbstzügelung und
-überlegenen Voraussicht, die Emil Rathenau damals durchmachte, sondern
-<em class="gesperrt">Jahre</em> des inneren <em class="gesperrt">Kämpfens</em> und <em class="gesperrt">Ringens</em>. Mit dieser
-Feststellung setzt man die Größe des Mannes und seines Charakters nicht
-herab, dessen Bild weder menschlich-richtig, noch glaubhaft erscheinen
-würde, wenn man ihm nur geniale Frühzüge andichten<span class="pagenum"><a name="Seite_39" id="Seite_39">[S. 39]</a></span> wollte. Zu seiner
-vollen Entfaltung ist Rathenau, wie so viele seiner Zeitgenossen, erst
-dadurch gelangt, daß die Zeit sein Werk und sein Werk <em class="gesperrt">ihn</em> zu
-einer Höhe trug, die er unter weniger glücklichen Bedingungen kaum
-erreicht hätte. Was er vorher darstellte, war ein Charakterboden, auf
-dem alle die reichen Saaten der Zeit Wurzel fassen und in reicher Blüte
-aufgehen konnten.</p>
-
-<p>Der Fehler mancher früheren Biographen, den <em class="gesperrt">jungen</em> Rathenau zu
-bewußt, zu klar und gewissermaßen zu seherisch-weise darzustellen,
-ist vom Standpunkt des nachgeborenen Betrachters verständlich
-und er ähnelt der Art der dichterischen oder zweckhistorischen
-Schilderung, die ihrem Helden bereits pränumerando Gedankengänge und
-Ereignisdarstellungen prophetisch in den Mund legt, welche erst viel
-später als Ergebnis von Notwendigkeiten, Zufällen, sich kreuzenden
-Entwickelungsrichtungen in Kampf und Wirrnis verwirklicht wurden.
-So wird von oberflächlichen Schilderern vielfach die Geschichte der
-Reichsgründung in der Weise gelehrt, als ob Bismarck bereits, als er
-die preußische Ministerpräsidentschaft übernahm, die genauen Pläne für
-den Aufbau des Reiches und die Politik, die zu ihm führte, fertig in
-seinem Kopfe getragen hätte, als ob Moltke, da er Chef des preußischen
-Generalstabs wurde, seine drei großen Kriege und ihren genauen
-Hergang bereits in ihren „notwendigen“ Grundzügen vor Augen gehabt
-hätte. Wer bewußt Geschichte miterlebt hat, weiß, wie ganz anders die
-Dinge sich zu entwickeln pflegen, wie auf dem großen Schachbrett der
-Geschehnisse Zug und Gegenzug abwechseln, wieviel verschiedene Züge in
-einem bestimmten Augenblick möglich sind, und wieviel Zufälligkeiten,
-Gegenströmungen und Wechselwirkungen einen Entschluß zeitigen und seine
-Folgen bilden. Die Rathenauschilderer, die in seinem Leben alles auf
-Gesetzmäßigkeit, auf Notwendigkeit und Vorherbestimmung zurückführen,
-die der Ansicht sind, daß dem 37jährigen, als er seine Maschinenfabrik
-Webers aufgab und sich zur ersten Ausreise nach Amerika anschickte,
-seine ganze spätere Entwickelung und die ganze spätere Entwickelung der
-Industrie wenigstens in ihren Umrissen klar vor Augen gestanden haben,
-können allerdings eines zu ihrer Entschuldigung anführen: Rathenau
-selbst hat in der schon verschiedentlich erwähnten Jubiläumsrede die
-Gedankenwelt, die ihn damals an der Wende zweier Generationen und
-wirtschaftlicher Epochen erfüllte, so dargestellt, als ob er nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_40" id="Seite_40">[S. 40]</a></span>
-erst als rückschauend Betrachtender, sondern schon als Miterlebender
-Vergangenheit und Zukunft mit voller Klarheit erkannt und durchschaut
-hätte. Die betreffenden Ausführungen sind interessant genug, um hier
-wörtlich wiederholt zu werden. Rathenau erzählte:</p>
-
-<p>„Als in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ich die erste
-Phase geschäftlicher Tätigkeit abgeschlossen hatte, erwog ich, ein
-Dreißiger damals, ob ich den mit Leib und Seele zugetanen Beruf
-wieder aufnehmen oder einer neuen Technik mich zuwenden sollte. An
-Anerbietungen fehlte es nicht, aber der Großmaschinenbau schien seine
-Bedeutung in Berlin eingebüßt zu haben, und die Geburtsstadt mochte ich
-ungern verlassen.</p>
-
-<p>Mit der Erhebung zur Reichshauptstadt hatten die Berliner Verhältnisse
-sich wesentlich geändert: Der Wert von Grund und Boden, die Preise der
-Lebensbedürfnisse und infolgedessen die Arbeitslöhne waren so gewaltig
-gestiegen, daß die großen Maschinenbauanstalten von Borsig, Egells,
-Schwartzkopf, Wöhlert, Hoppe und andere sich anschickten, ihre Fabriken
-aus dem Norden der Stadt, wo sie seit Begründung betrieben wurden, in
-die weitere Umgebung zu verlegen, oder das Feld früher ersprießlicher
-Tätigkeit aufzugeben. Auf den weitläufigen Geländen entstanden
-neue Straßenzüge, an der Stelle lärmender Werkstätten erhoben sich
-Wohnhäuser und Mietskasernen, und wo aus hohen Schornsteinen dichter
-Qualm zu den Wolken emporgestiegen war, wirbelten dünne Rauchsäulen
-von den häuslichen Herden. In den Vororten aber waren bei dem Mangel
-an Verkehrsgelegenheit geschulte Arbeitskräfte mit Schwierigkeit zu
-beschaffen. Ein noch wichtigerer Faktor beeinflußte meinen Entschluß,
-von der unmittelbaren Aufnahme einer neuen Tätigkeit abzustehen und
-den völligen Verlauf der Krisis abzuwarten, die in der Finanzwelt und
-Industrie unzählige Opfer gefordert hatte: Patriotische Fabrikherren,
-die trotz eigener Sorgen in der schweren Zeit die Angehörigen ihrer
-im Felde stehenden Arbeiter mit reichen Mitteln unterstützt hatten,
-ernteten hierfür keinen Dank, sondern mußten nach dem Kriege mit
-Bedauern wahrnehmen, daß die Wogen der sozialdemokratischen Bewegung
-sich höher auftürmten als zuvor. Männer, wie Siemens, Schwartzkopf,
-&mdash; auch ich hatte die Ehre, der kleinen Vereinigung anzugehören, &mdash;
-hofften vergeblich durch Wohlfahrtseinrichtungen und den Bau von
-Wohnhäusern die Unzufriedenheit der Arbeiter einzudämmen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_41" id="Seite_41">[S. 41]</a></span></p>
-
-<p>Unter diesen Verhältnissen war eine Wiederbelebung des einst
-hochgefeierten Berliner Maschinenbaus frühestens mit dem Ersatz der
-physischen Arbeit durch selbsttätig wirkende Maschinen oder bei
-vollkommener Ausnutzung der der Berliner Arbeiterschaft eigenen
-Geschicklichkeit und Intelligenz zu erwarten. Unter ähnlichen
-Bedingungen waren vollendete Arbeitsmethoden in den Vereinigten Staaten
-von Nord-Amerika entstanden, allerdings unter Befolgung des Prinzips,
-das Zahl und Wahl der Produkte durch Teilung der Arbeit beschränkte.
-Leider steht in den heimischen Werken die weitgehende Spezialisierung
-der Erzeugnisse auch jetzt noch hinter der amerikanischen zurück,
-trotzdem die Fabrikation aus ihr große Vorteile ziehen würde.</p>
-
-<p>Dieses amerikanische System war in Berlin nicht unbekannt. Intelligente
-Fabrikanten hatten mehr oder weniger automatisch arbeitende Maschinen
-von Amerika eingeführt, konnten ihnen jedoch in ihren Betrieben
-genügende Geltung nicht verschaffen, weil entweder die Präzision der
-Leistung damals noch nicht hoch genug eingeschätzt, oder die Rückkehr
-zu altmodischen Werkzeugen durch die Gewohnheit zu sehr begünstigt
-wurde.</p>
-
-<p>Im Gegensatz zu diesen Erfahrungen erblickte ich in den Maschinen
-Werkzeuge der Zukunft; ich war überzeugt, daß ihre vortrefflichen
-Eigenschaften die Abneigung der Arbeiter allmählich überwinden und eine
-ihrer Bedeutung entsprechende Verwendung sichern würden.“</p>
-
-<p>Zweifellos hat Rathenau damals wie kaum ein anderer seiner Zeitgenossen
-das sichere Gefühl gehabt, daß eine gründliche Umwandlung der ganzen
-industriellen Technik und Arbeitsmethoden bevorstehe. Und zweifellos
-hat ihn dies Gefühl mit dazu veranlaßt, mit der vollkräftigen Gründung
-eines neuen Unternehmens erst dann zu beginnen, wenn sich die neue
-Lage einigermaßen übersehen lasse, wenn sich der neue Boden derart
-gefestigt haben würde, daß auf ihm ein tragfähiger Bau errichtet
-werden könnte. Was aber die Einzelheiten der von ihm gegebenen
-Schilderung, was ihre scharfe Präzisierung und Schattierung anlangt,
-so darf nicht vergessen werden, daß es sich bei ihr nicht um eine
-impulsive Beschreibung aus der geschilderten Zeit heraus, sondern
-um eine rückschauende Darstellung<span class="pagenum"><a name="Seite_42" id="Seite_42">[S. 42]</a></span> handelt, gesehen mit der Brille
-des durch Erfahrungen hindurchgegangenen Mannes, geklärt im Spiegel
-der Distanz, geordnet und gerichtet nach den <em class="gesperrt">Ergebnissen</em> der
-Strömungen, die in ihren <em class="gesperrt">Ursprüngen</em> und Anfängen geschildert
-werden. Vergleicht man mit dieser bewußten Darstellung die Zeugnisse
-Mitlebender, so möchte man der Ansicht zuneigen, daß in Emil Rathenau
-damals, als er an der Wende zweier Zeiten und Unternehmungen stand,
-bei aller Denk- und Sehschärfe, die ihn stets ausgezeichnet haben,
-doch mehr Chaos gewesen ist, als er später selbst zugegeben und gewußt
-hat. Das Vorhandensein eines derartigen kreisenden Chaos würde ja auch
-die ungemeine Ursprünglichkeit, Kraft und Ausdauer seiner späteren
-Leistung nicht abschwächen, sondern erst recht verständlich machen.
-Jede völlig durchsichtige Klarheit wird auf die Dauer kraftlos, matt
-und unschöpferisch, und nur das Ringen der wechselnden Gedanken vermag
-fortzeugendes Leben, Formen und Gestalten zu gebären. Für Emil Rathenau
-bildeten die 8 Jahre, die zwischen der Aufgabe seiner Maschinenfabrik
-und der Gründung der Deutschen Edison Gesellschaft lagen, das
-Staubecken, in das die neuen Kräfte von allen Seiten strömten, in
-dem sich &mdash; oft unter Schmerzen, unter drängender Hoffnungs- und
-Zweifelsfülle &mdash; aus der Tüchtigkeit das Genie bildete. Fast spürt
-man angesichts dieser Pause Neigung an Zarathustra zu denken, dem der
-Dichter an die Stirn seiner Geistesgeschichte die Worte schrieb: „Als
-Zarathustra 30 Jahre alt war, verließ er seine Heimat und den See
-seiner Heimat und ging ins Gebirge. Hier genoß er seines Geistes und
-seiner Einsamkeit und wurde 10 Jahre nicht müde. Endlich aber wandelte
-sich sein Herz &mdash;“. Auch Zarathustra trug keine Klarheit in seine
-Einsiedelei, sondern er brachte erst Klarheit und Entschiedenheit aus
-ihr mit zurück. Der moderne Zarathustra der Industrie mußte allerdings
-nicht in die Einsamkeit, sondern in die Welt gehen, um sich mit dem
-Geiste anzufüllen, den er später in Taten umsetzen wollte. Die erste
-große Reise, die Rathenau schon im Jahre 1876, also ein Jahr nach der
-Auflösung der „Berliner Union“ antrat, ging nach <em class="gesperrt">Amerika</em>, dem
-Lande der technischen Verheißungen. Ein langgehegter Wunsch, mit dem
-schon der 28jährige während seines englischen Aufenthaltes gespielt
-hatte, fand damit seine Erfüllung. Den äußeren Anlaß zu der Reise bot
-die <em class="gesperrt">Weltausstellung in Philadelphia</em>, eine der wirklich großen
-Ausstellungen, auf der<span class="pagenum"><a name="Seite_43" id="Seite_43">[S. 43]</a></span> fruchtbare technische Gedanken verkündet
-wurden und von der aus sie ihren Weg in die Welt fanden. Für Emil
-Rathenau, der später als großer Kaufmann und Industrieller von den
-Reklameausstellungen, mit denen gewisse Länder und Städte ihren
-Fremdenverkehr zu heben suchten, nur recht wenig hielt, bedeutete die
-Ausstellung in Philadelphia eine Offenbarung. Was ihm in den Jahren
-der mühsamen Kleinarbeit, der beschränkten Enge in seiner Berliner
-Maschinenfabrik vor dem geistigen Auge gestanden hatte, an dessen
-Erreichung er aber damals verzweifelte, hier war es verwirklicht
-und erfüllt. „Was ich im Geiste erschaute, gestaltete sich zur
-Wirklichkeit, und mit reicher Ausbeute kehrte zurück, wer der Heimat
-neue Arbeitsprozesse und Industrien zu beschaffen gedachte.“ Damit
-meinte Rathenau nicht so sehr die Dampfmaschine, die in Amerika
-damals eher auf einer niedrigeren Stufe der Entwickelung stand als
-in Deutschland und England. Die 1400 PS vertikale Corlißmaschine,
-die in der Mitte der Maschinenhalle paradierte, imponierte zwar dem
-Maschinenbauer Rathenau durch den einfachen und soliden Bau, sowie
-den langsamen und sanften Gang, aber er hatte doch bereits ähnliches
-gesehen. Viel stärker fesselten ihn die Holzbearbeitungs- und
-Werkzeugmaschinen für Präzisionsarbeiten, die automatischen Maschinen
-zur Herstellung von Massenfabrikaten, neuartige und feine Instrumente
-zum Messen, wie sie die deutschen Fabriken nicht einmal kannten. Auch
-die Schreibmaschine fand sein lebhaftes Interesse. Im allgemeinen war
-es die neuartige technische und wirtschaftliche Betriebsökonomie, die
-arbeitssparenden und leistungsverbessernden Maschinen, die Rathenau
-in Philadelphia und in den amerikanischen Fabriken bewunderte,
-während die räumlichen und sozialen Einrichtungen ihm im Verhältnis
-zu den deutschen vernachlässigt zu sein schienen. Auch die deutsche
-Industrie hatte damals in Philadelphia ausgestellt, und breite Kreise
-der öffentlichen Meinung in Deutschland waren patriotisch-kurzsichtig
-genug, um die „soliden und bewährten“ Leistungen der heimischen
-Industrie den amerikanischen Bluffkonstruktionen an die Seite oder
-noch voranzustellen. Wer den Unterschied wahrheitsgemäß feststellte,
-wie Professor Reuleaux, der von der deutschen Industrie damals das
-bittere, von unseren Neidern und Konkurrenten noch jahrzehntelang auch
-dem längst führend gewordenen deutschen Gewerbe entgegengehaltene
-Wort „billig und schlecht“ prägte, wer erkannte und aussprach,
-daß<span class="pagenum"><a name="Seite_44" id="Seite_44">[S. 44]</a></span> die deutsche Fabrikation sich damals zum großen Teil auf
-Vergangenheitsgleisen bewegte, während in der amerikanischen
-Industrie die konstruktiven Neugedanken vorwärts stürmten, der wurde
-„gesteinigt und verbrannt“. Emil Rathenau gehörte weder zu den
-radikalen Verächtern der Heimat, deren guten Industrieboden, deren
-schlummernde Entwickelungsmöglichkeiten er wohl würdigte, noch zu den
-Selbstzufriedenen, die da ständig priesen, „wie wir es so herrlich
-weit gebracht hätten.“ „Die Schätze der Maschinenhalle blieben mir
-unvergeßlich,“ so erzählte er und in der Tat hat er sich das, was er
-dort sah, so tief eingeprägt, daß er es in dem Augenblicke, in dem er
-davon Gebrauch machen konnte, nur aus der Kammer des Gedächtnisses
-hervorzuholen brauchte. Im Geiste noch übertrumpft mag die mächtige
-Phantasie Rathenaus auch die derzeitigen Höchstleistungen des
-<em class="gesperrt">Großmaschinenbaus</em> schon damals haben. Denn was Rathenau zu
-jener Zeit in Philadelphia sah, war neben dem, was er später an
-gewaltigen Aggregaten von den Konstrukteuren seiner Drehstrom- und
-Hochspannungsmaschinen verlangte und erreichte, das reine Kinderspiel.</p>
-
-<p>Aber so stark auch die Anregungen auf dem Gebiete der Maschinentechnik
-waren, so sehr sie gerade den gelernten Maschinenbauer reizten und
-beschäftigten, es war vielleicht zu viel des Neuen, das auf ihn
-einstürmte und ihm die Wahl schwer machte. „Mir schien, als brauche ich
-nur ins volle Menschenleben hineinzugreifen, um mir die Fabrikation
-zu sichern, die mich interessierte,“ schrieb er. Aber die Fülle
-der Gesichte, die den Schauenden und Lernenden überwältigte, hätte
-entsagungsvoll eingedämmt und eingeschränkt werden müssen, sobald
-es ans praktische Ausführen gegangen wäre. Er war ja nicht nur nach
-Amerika gereist, um zu lernen, sein Wissen zu bereichern und zu
-vertiefen, sondern auch um eine geschäftliche Idee, eine faßbare
-Grundlage für eine neue aussichtsreiche Unternehmung mit nach Hause
-zu bringen. Der frühere Sozius Valentin begleitete ihn auf dieser
-Reise, und beide waren sich darüber klar, daß sie ihr gutes Geld
-nicht ausschließlich für eine wissenschaftliche Studienreise ausgeben
-durften, sondern als einen Spesenbetrag betrachten müßten, den sie sich
-aus den geschäftlichen Früchten dieser Reise vervielfacht zurückholen
-wollten. Mehrere amerikanische Städte und Fabriken wurden darum
-besucht, und es wurde nach einer aussichtsreichen Sache gesucht, die
-man mit den zur Verfügung<span class="pagenum"><a name="Seite_45" id="Seite_45">[S. 45]</a></span> stehenden, immerhin nicht unbeschränkten
-Mitteln und Kräften nach Deutschland verpflanzen könnte. Daß diese
-Mittel für die gewaltigen Maße einer in Deutschland nach amerikanischem
-Muster zu errichtenden Großmaschinenfabrik nicht ausreichten, sagten
-sich die beiden Freunde wohl ohne weiteres. Wenn Rathenau diese
-notgedrungene Entsagung nicht zu schwer fiel, so war dies darauf
-zurückzuführen, daß sich noch etwas anderes bot, das ihn technisch kaum
-weniger fesselte, dazu aber leichter und schneller praktische Erfolge
-versprach:</p>
-
-<p>In Philadelphia hatte Rathenau das Telephon und Mikrophon, eine
-dem Gedanken nach deutsche Erfindung, zuerst praktisch brauchbar
-ausgeführt in überzeugender Funktion gesehen. „Das Telephon und das
-fast gleichzeitig mit ihm erfundene Mikrophon haben, vielleicht wegen
-ihrer verblüffenden Einfachheit, die Bewunderung niemals erregt, die
-minder bedeutsamen Errungenschaften der Technik zuteil geworden war.
-Mich elektrisierten förmlich die ingeniösen Apparate...“ Rathenau
-schwankte, ob er ihre Erzeugung im Großen aufnehmen sollte, aber die
-Befürchtung, daß einerseits fremde Patente den Absatz ins Ausland
-erschwerten und andererseits die Herstellung so außerordentlich,
-so fast handwerksmäßig leicht war, daß sie einen verheerenden
-Wettbewerb anlocken mußte, ließ ihn vorsichtig sein. Der Kaufmann in
-Rathenau bändigte eben fast immer die Leidenschaft des technischen
-Gründers. Er entschloß sich, keine Telephonfabrik zu bauen, sondern
-nur eine Konzession für eine Berliner Telephonzentrale nachzusuchen,
-gewissermaßen das Telephon in Berlin in Generalentreprise zu nehmen.
-Die Stadt Berlin hätte die Sache vielleicht mit ihm gemacht, aber
-der damalige Polizeipräsident v. Madai wollte die Konzession, die
-Rathenau brauchte, nicht erteilen. „Das Telephon ist ein Reichsregal,“
-entschied Herr v. Madai, und, wenn sich auch später bei der Beratung
-des Telegraphengesetzes ergab, daß er geirrt hatte, Rathenau fürchtete
-zu jener Zeit die Scherereien des Instanzenweges und bot dem damaligen
-Generalpostmeister Stephan, dem Verweser des angeblichen Regals,
-die Durchführung in Reichsregie an. Aber der sonst so weitsichtige
-Stephan versagte zunächst. Er stellte sich auf den Standpunkt, den die
-Verteidiger der Postkutsche der Einführung der Eisenbahnen gegenüber
-eingenommen hatten und prophezeite, daß eine Telephonzentrale in Berlin
-höchstens 23 Anschlüsse finden<span class="pagenum"><a name="Seite_46" id="Seite_46">[S. 46]</a></span> würde. Diesen rückständigen Standpunkt
-nahm er ein, trotzdem die Postverwaltung damals mit dem telephonischen
-Überlandverkehr zwischen verschiedenen Ortschaften Versuche gemacht und
-günstige Erfolge erzielt hatte. Die städtische Schaltzentrale hielt die
-Postbehörde dagegen für ein unlösliches Problem. Später kam Stephan
-von selbst auf die Idee zurück, er bot Rathenau an, die Einführung
-des Telephons im öffentlichen Postdienst auf Reichskosten zu leiten.
-Rathenau, den inzwischen schon ganz andere Dinge beschäftigt und
-tiefer in das Wesen der elektrischen Industrie hineingeführt hatten,
-nahm trotzdem an, weil er sich mit der elektrischen Technik praktisch
-vertraut machen wollte. Ihre Zukunftskraft hatte ihn inzwischen mit
-Macht gepackt, um ihn nie mehr loszulassen.</p>
-
-<p>Den ihm von Stephan übertragenen Auftrag führte er ehrenamtlich
-aus, ohne eine Vergütung dafür zu beanspruchen oder anzunehmen.
-Nachdem er die grundlegende Organisation geschaffen hatte, verließ
-er das Arbeitszimmer im Reichspostamt, das ihm Stephan für die Zeit
-seiner Tätigkeit im Telephondienste der Post eingeräumt hatte. Da
-Schwachstromanlagen dem Feinmechaniker mehr Spielraum als dem Ingenieur
-gewährten, so wandte er sich seinem alten Plan, nach kurzer Übung
-auf dem Schwachstromgebiete zu der durch die Elektrizität veredelten
-Technik zurückzukehren, ohne längeres Besinnen wieder zu. An einer
-Tätigkeit, die ihm innerlich nichts mehr sagte, ihm keine Rätsel
-mehr aufgab, hielt er nicht fest, auch wenn sie ihm noch so gute
-geschäftliche Erfolge versprochen hätte.</p>
-
-<p>An die großartige Verbindung und die gegenseitige Befruchtung
-der Maschinentechnik und der Elektrizität, die Rathenau auf sein
-ureigenstes Schaffensgebiet, zu der großen Leistung seines Lebens
-führen sollten, dachte dieser damals noch nicht. Die gewaltige Weite
-und Tiefe der zukünftigen Verschwisterung hatte sich vor seinem
-Auge noch nicht aufgetan, und wenn er auch einige Blicke in die
-Werkstatt der Elektrizität geworfen hatte, so lag es doch nicht
-in seiner Absicht, sich zum Meister dieser Werkstatt zu machen,
-sondern er dachte an Rückkehr zum „veredelten“ Maschinenbau. Der
-„Dynamo“, der Hauptträger der maschinellen Elektrotechnik, befand
-sich damals allerdings noch immer in einem primitiven Zustand und
-ließ die gewaltige Entwickelung, die er bald &mdash; besonders auf Grund<span class="pagenum"><a name="Seite_47" id="Seite_47">[S. 47]</a></span>
-der Anforderungen nehmen sollte, die Rathenau seinen Konstrukteuren
-stellte, noch nicht ahnen. Wie so viele technische Erfindungen wurde er
-nicht aus sich heraus, aus seiner eigenen konstruktiven Idee zur vollen
-Leistungsfähigkeit entwickelt und ihm dann die Anwendungsmöglichkeit
-geschaffen, sondern als sich die praktischen Bedürfnisse einstellten
-und immer größere Ansprüche an ihn stellten, wurden die Heere der
-Techniker mobilisiert, die besten Ingenieurgehirne aufgeboten, um ihm
-seine Geheimnisse abzulauschen und ihm die Leistungen abzuringen, die
-der Anwendungszweck von ihm forderte.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_48" id="Seite_48">[S. 48]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Drittes_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Drittes Kapitel</em><br />
-
-Wirtschaftliche Vorbedingungen</h2>
-
-</div>
-
-<p>Die Wirtschafts-Geschichte aller Epochen und Länder weist wohl kaum
-&mdash; trotz der japanischen Emanzipation &mdash; einen zweiten Fall auf, in
-dem sich ein Volk in seinem ganzen ökonomischen Leben so grundsätzlich
-und grundlegend wandelte, in die Breite, Tiefe und Höhe reckte, wie
-das deutsche Volk nach dem wahrhaft schöpferischen Einigungskriege von
-1870/71. Ich weiß, daß ich eine Binsenwahrheit niederschreibe, die von
-pathetischen Rednern, denen das unbegreifliche Wunder dieser Befreiung
-und Beflügelung elementarer Volkskräfte nie das Hirn erhellt hat, so
-oft leer hingesprochen worden ist, daß sie fast zur Phrase versteinte.
-Wenn man eine Erscheinung, wie die Emil Rathenaus, wenn man ein Werk,
-wie das des großen Organisators der Elektrizität in seinen Wurzeln und
-Verzweigungen, in seinem Werden und Sein verstehen will, darf man sich
-nicht schämen, diese Binsenwahrheit dreimal unterstrichen noch einmal
-auszusprechen, nachdem man sie von allem Phrasenwerk gereinigt und mit
-dem Blut des Gedankens wieder gefüllt hat.</p>
-
-<p>Was der Schöpfer des geeinten Deutschland politisch erreicht
-hat, war schon nach wenigen starken Schritten des Volkes auf der
-neuerschlossenen Bahn klar und im Resultat abzuschätzen. Nach Bismarcks
-entscheidender staatsmännischer Tat hat es in Deutschland einen
-großen politischen Gedanken nicht mehr gegeben, brauchte es auch auf
-lange Zeit keinen mehr zu geben. Die erobernde Arbeit, die jetzt zu
-leisten war, ist wirtschaftliche Arbeit gewesen, selbst die Ansätze
-zu einer deutschen Kolonialpolitik, die nach den nun einmal verpaßten
-Möglichkeiten einer vollblütigen deutschen Kolonialwirtschaft mehr
-ein Luxus des mächtig gewordenen und reich werdenden Deutschlands
-waren, als eine wirtschaftliche Notwendigkeit, mußten Nebensache
-bleiben. Darin &mdash; noch mehr als in dem subalternen Niveau der
-epigonischen Regierungskunst &mdash; liegt wohl<span class="pagenum"><a name="Seite_49" id="Seite_49">[S. 49]</a></span> der tiefste Grund dafür,
-daß sich die Persönlichkeiten mit Schöpferwillen und Schöpferkraft
-im Deutschland der nachbismärckischen Zeit nicht der Politik,
-sondern dem Wirtschaftsleben zuwendeten, daß wir in Deutschland eine
-Überfülle bedeutender, ja großer Kaufleute und Industrieller, so
-wenig politische Talente besaßen. Der schöpferische Mensch drängt
-dahin, wo es zu schaffen gibt, und besonders Männer des großen Wurfes
-fanden in der Politik nicht das Feld, das ihrem Schaffensbedürfnis
-genügte, ganz abgesehen davon, daß sich ihr Temperament an den
-ständigen Reibungen und fruchtlosen Hemmungen (es gibt auch fruchtbare)
-mit dem Bureaukratenstaat müde gelaufen hätte. Es konnten wohl
-Organisatoren jener stillen, schmiegsamen Art, wie Stephan und Miquel
-im preußisch-deutschen Staate ihren Platz finden, eine volle und
-vielleicht übervolle Kraft wie Dernburg wurde darin nie heimisch,
-überschritt allenthalben die ihr gezogenen Grenzen, fand die Einheit
-ihres Werkes auf Schritt und Tritt von hochmütiger Verständnislosigkeit
-durchkreuzt und kapitulierte schließlich vor dem Geist Erzbergers.</p>
-
-<p>Die politische Sammlung, die die bis 1870 verzettelten, durcheinander
-und gegeneinander streitenden Kräfte des Volkes in Richtung und
-Zusammenwirkung brachte, vermochte aber allein für sich und aus sich
-zunächst das neue wirtschaftliche Deutschland noch nicht zu schaffen,
-wenngleich eine Änderung und ein Aufschwung gegenüber dem bisherigen
-binnenwirtschaftlich beschränkten Zustand des Landes sofort sichtbar
-wurde, wenngleich aus dem Boden fast fabelhaft schnell frisches Grün
-emporsproß, vielleicht zu schnell emporwucherte. Aber all das war nur
-eine Verstärkung, eine Beschleunigung einer in ihrer Art und Richtung
-bisher schon im Flusse befindlichen Entwicklung. Es war nicht die
-Etablierung des neuen, technisch wie organisatorisch völlig anders
-gearteten Systems, das bisher noch nicht dagewesene Betriebsformen,
-Arbeitsmethoden, Wirtschaftsgebilde in Deutschland auf die Füße
-stellte, Kanäle und breite Tore auf den Weltmarkt öffnete, aus dem
-nach innen gerichteten, an versteckten Meereswinkeln träumenden
-Binnenlande den modernsten und expansivsten Industriestaat, den
-emsigsten Exporteur der Welt schuf. Dazu bedurfte es erst einer
-völligen Umdüngung des freigerodeten Bodens, der für die neue Ökonomie
-aufnahmefähig sein sollte. Die tüchtigen Industrieunternehmungen des
-Landes erhielten sofort nach dem Kriege einen verstärkten An<span class="pagenum"><a name="Seite_50" id="Seite_50">[S. 50]</a></span>trieb
-gerieten in ein schnelleres Tempo der Entwicklung. Krupp, Borsig,
-Siemens fingen an wirklich groß zu werden. Sie und ein paar andere
-Werke wuchsen in die Statur von Weltfirmen hinein, aber die deutsche
-Industrie wuchs noch nicht zur Weltindustrie. Es gab schon große
-Industriepersönlichkeiten, Männer von jener zähen, soliden Genialität,
-die von unten, von klein herauf strebten, ihre Geschäfte Schritt für
-Schritt aufbauten, ihren Unternehmungen nur den gerade unbedingt
-notwendigen Schuß von Spekulation beimischten und geliehenes Geld
-wenn überhaupt, so nur widerwillig, gewissermaßen contre coeur
-und contre honneur aufnahmen. Noch in unsere heutige ganz anders
-geartete Zeit ragen Reste dieser Familienindustriewirtschaft hinein.
-Man denke an die Tradition bei Aktiengesellschaften wie Siemens &amp;
-Halske und Krupp, an den alten Magnaten- und Gewerkenreichtum in
-Westfalen und Oberschlesien. Neben diesen Industriepersönlichkeiten
-und Industriefamilien mit durchaus intensiver Finanzwirtschaft standen
-schon damals große, oder doch wenigstens berühmte Finanziers. Sie
-waren entweder ihrem Grundzuge nach reine Bankiers wie damals noch die
-Bleichröders, Mendelsohns, Schicklers, die Industriefinanzierungen nur
-gelegentlich mitmachten, oder sie konnten, wenn sie die wechselseitigen
-Befruchtungsmöglichkeiten von Industrie und Bankgeschäft schon
-erkannten &mdash; wie einer der Bahnbrecher des modernen Finanzwesens, David
-Hansemann &mdash; den neuen Weg nur vorsichtig beschreiten, weil sich in
-ihrer Hand zu jener Zeit lange noch nicht die Kapitalien gesammelt
-hatten, die für eine Industriefinanzierung großen Stils notwendig
-sind. Die damals größte Bank Deutschlands, die Diskontogesellschaft,
-verfügte in den 70er Jahren über ein Kapital von 60 Millionen Mark,
-unser heutiges führendes Institut, die Deutsche Bank, nur über
-ein solches von 45 Millionen. Die Mittel dieser Banken und des
-Kapitalmarktes flossen in jenen Zeiten abgesehen von den Beträgen, die
-der Handel beanspruchte, in weit größerem Umfange als den Industrien
-den Eisenbahngesellschaften zu, die sich damals noch im Privatbesitz
-befanden und deren Aktien wie Obligationen mit den wichtigsten Posten
-in der Anlagenbilanz des nationalen Kapitals bildeten.</p>
-
-<p>Einer allerdings hat schon damals &mdash; und zwar schon vor dem Kriege
-&mdash; seiner Zeit und ihren Möglichkeiten mit ungeduldigem Geniewurf
-vorausgreifend, beides, das Industrielle und das Finan<span class="pagenum"><a name="Seite_51" id="Seite_51">[S. 51]</a></span>zielle, in
-denkbar größtem Maße zu vereinen versucht, sich nicht damit begnügen
-können, ein einziges Unternehmen in Ruhe auszubauen, sondern sein
-Bedürfnis und seine glänzenden Fähigkeiten im Anregen, Finanzieren und
-Verwirklichen immer neuer Projekte betätigen müssen. <em class="gesperrt">Strousberg</em>,
-dessen Größe nur allzusehr im „Entwerfen“ lag, und den nicht nur
-seine nach einem Sündenbock suchende Zeitgenossenschaft, sondern auch
-die geschichtliche Registratur als das böse Musterbeispiel einer
-„Gründerei nur um des Gründens willen“, als das Symbol jener sinn-
-und skrupellosen Wertetreiberei der ersten siebziger Jahre verewigt
-hat. Er war es nicht, war nicht Symbol, nicht Urheber, sondern Opfer
-dieser in allen Fäulnisfarben schillernden Periode. Ihre Wurzeln
-waren nicht die seinen; der Krieg, der die eigentlichen Gründer groß
-machte, hatte ihn, der damals gerade zuviel auf die Karte seiner
-rumänischen Bahnbauten gesetzt hatte, bereits empfindlich geschwächt.
-Die Atmosphäre der Gründerjahre ergriff den schon unsicher Gewordenen,
-und in ihren Zusammenbruch wurde der Ausschweifend-Geniale, der seine
-Saatkörner auf zu viele Äcker ausgestreut hatte, als einer der ersten
-mit hineingezogen. Den guten, den fruchtbaren Grundkern in Strousberg
-und seiner Methode anzuerkennen, ist Pflicht desjenigen, der die Art
-und das Werk eines Emil Rathenau in ihrer ganzen Bedeutung für unsere
-deutsche Wirtschaft erkennen und würdigen will. Wer Rathenau unbedingt
-bejaht, darf Strousberg nicht unbedingt verneinen. Denn Strousberg
-hat schon das vorgeschwebt, was Rathenau und die anderen großen
-Industriellen in den Jahrzehnten um die Wende des 19. Jahrhunderts auf
-ihren begrenzteren, aber geschlosseneren und intensiver bearbeiteten
-Arbeitsgebieten verwirklichen konnten. Woran Strousberg scheiterte,
-das waren Anomalien der Charakterveranlagung und der Zeitverhältnisse,
-die seinen Plänen und Absichten ebenso stark zuwiderliefen, wie die
-Schöpfungen Rathenaus und der anderen Nachsiebziger durch Harmonien
-der Umstände gefördert und hochgetragen wurden. Der Vergleich zwischen
-Strousberg und Rathenau ist darum ganz besonders lehrreich, wenn man
-die historischen Wurzeln und Bedingtheiten einer Erscheinung wie der
-Emil Rathenaus verstehen lernen will. Strousbergs Entwickelung und
-geschäftlicher Höhepunkt lagen in einer Zeit, in der größere Bildungen
-industrieller Natur in Deutschland zwar an sich möglich waren,<span class="pagenum"><a name="Seite_52" id="Seite_52">[S. 52]</a></span> aber
-doch mangels entwickelter Kapitalmächte und Geldorganisationen,
-mangels einer ausgebildeten modernen Fabrikationstechnik nicht in
-verhältnismäßig kurzer Zeit hingeworfen werden konnten. Die bedächtige
-Entwicklung von innen heraus, der stufenweise Aufbau vom kleineren
-zum größeren war nötig, um dem industriellen Wachstum Gesundheit und
-Dauerhaftigkeit zu verleihen. So entwickelten Krupp und Siemens ihre
-Betriebe, so betrieb Wilhelm v. Mevissen seine Eisenbahnbaupolitik.
-Die kühneren Perspektiven eines Friedrich List waren nur Theorien, die
-zwar mit treffsicherem Blick für die Praxis erdacht waren, aber doch
-erst in einer späteren Zeit verwirklicht werden konnten. Strousberg
-ging ohne Rücksicht auf die Zeitumstände zu Werke. Er sprang mit
-Volldampf in seine Projekte. Nicht aus kleinen Anfängen und Entwürfen
-wuchsen seine Werke allmählich über sich hinaus, sondern seine
-Verwirklichungen blieben fast immer hinter dem Idealbild seiner Pläne
-zurück. Interessant und bezeichnend war es schon, wie er die Geldmittel
-für seine Gründungen aufbrachte. Sein Kapital stammte &mdash; wenigstens
-in der ersten Periode seiner Gründungstätigkeit &mdash; vorwiegend aus
-England, dem Lande, das ihm den Namen und die industriellen Maßstäbe
-gebildet, aber wohl auch für deutsche Verhältnisse etwas verbildet
-hatte. Es war ein geistreicher und geschickter Gedanke Strousbergs, den
-damals sehr erheblichen Unterschied zwischen dem niedrigen englischen
-und dem hohen deutschen Geldleihsatz als rentensteigernden Faktor in
-seine Rechnung einzustellen. Der Gedanke war nicht einmal ganz neu
-in jener Zeit, aber er war sonst nicht von Deutschen, sondern meist
-von Engländern ausgegangen und hatte zum Beispiel dazu geführt, daß
-englische Kapitalisten und Unternehmer in Deutschland Kohlenbergwerke
-(wie die Hibernia), Gasanstalten (wie die Berliner Imperial Gas
-Association), zu deren Errichtung von deutscher Seite es an Kapital
-oder auch an Unternehmungsgeist fehlte, mit eigenen Mitteln und unter
-eigener Verantwortung gründeten. Strousberg wollte selbst gründen,
-selbst die vollen industriellen Chancen ausnützen und das englische
-Kapital, das er verwendete, auf den bescheidenen Platz des mit einer
-festen Rente abgefundenen Finanz- oder Bankkapitals verweisen. Auch
-das ließ sich durchführen, und versprach sogar hohen Ertrag, wenn mit
-der bei einer Verringerung jener Zinsdifferenz eintretenden Gefahr
-des plötzlichen Abziehens der englischen Gelder gerechnet und<span class="pagenum"><a name="Seite_53" id="Seite_53">[S. 53]</a></span> gegen
-die Nachteile, die aus einer derartigen Geldentziehung erwachsen
-mußten, Vorsorge getroffen worden wäre. Eine solche Vorsorge hätte
-darin bestehen können, das englische Kapital entweder so fest an die
-deutschen Unternehmungen zu fesseln, daß eine plötzliche Abziehung
-nicht hätte vorgenommen werden können. Dann hätte Strousberg aber
-diesem Kapital einen starken Einfluß auf die Verwaltung und Verfassung
-seiner Unternehmungen einräumen, wahrscheinlich ihnen sogar einen
-englischen Sitz und englische Rechtsform, ihren Aktien einen
-englischen Markt geben müssen (<em class="gesperrt">deutsche</em> Aktien würden ja bei
-einer Krise auf den <em class="gesperrt">deutschen</em> Markt geworfen worden sein). Da
-Strousberg aber seinen Geldgebern einen solchen Anteil an der Macht
-nicht einräumen wollte, hätte er sich auf eine andere Art gegen die
-Gefahr der Kapitalentziehung sichern müssen. Er hätte das englische
-Kapital nur als eine vorübergehende, vorläufige Finanzgrundlage
-seiner Unternehmungen betrachten und dafür sorgen müssen, daß es
-allmählich entsprechend der langsameren Kapitalbildung auf dem
-deutschen Geldmarkte oder auch vermittels der eigenen Erträgnisse
-seiner Unternehmungen durch deutsches Kapital ausgewechselt werden
-konnte. Das hätte aber einmal einen Verzicht auf die langfristige
-Ausnutzung der Zinsdifferenz, an deren dauerndes und ununterbrochenes
-Vorhandensein Strousberg geglaubt zu haben schien, zur Bedingung
-gehabt; ferner hätte es einen ruhigen, geduldigen Ausbau der Gründungen
-verlangt, nicht jenes überstürzte Eiltempo der Expansion, das in dem
-Temperament Strousbergs begründet lag. Schon in finanzieller Hinsicht
-waren Strousbergs Werke also auf einer historischen Anomalie gegründet.
-Dasselbe gilt von ihrer industriellen und technischen Anlage. Seine
-Entwürfe und Ideen waren meist gut, oft zukunftsreich und immer
-genialisch, die Mittel, mit denen er sie ausführte, oft unzulänglich.
-Denn der intellektuelle Defekt in diesem bewunderungswürdig
-scharfsinnigen und positiven Gehirn bestand darin, daß Strousberg
-keinen Sinn für die praktischen Hemmungen der Materie hatte, daß er
-seiner eigenen Phantasie gegenüber durchaus unkritisch war. Sein
-Positivismus war ein Rausch, keine fest verankerte Weltanschauung,
-er war zu sehr Bau<em class="gesperrt">künstler</em> und zu wenig Bau<em class="gesperrt">meister</em>.
-Seiner Phantasie schwebte ein großzügiges Eisenbahnsystem von Rumänien
-durch Deutschland bis zum Atlantischen Ozean vor, aber die Art, wie
-er nun an allen Ecken und Enden, wo sich ihm gerade eine<span class="pagenum"><a name="Seite_54" id="Seite_54">[S. 54]</a></span> Möglichkeit
-bot, Linien anzulegen begann, in der Hoffnung, das Stückwerk werde
-sich schon von selbst zum Ganzen runden, war ganz und gar systemlos.
-Der Gedanke, die Lokomotiven, Waggons, Schienen, Eisenteile und den
-sonstigen Bedarf für seine Bahnen in eigenen Betrieben herzustellen,
-war von industrieller Folgerichtigkeit und Fruchtbarkeit, aber es
-war vermessen und ein Zeichen gänzlich falscher Einschätzung des
-Entwicklungsgesetzes, die Konzentrationsidee, den Gedanken der
-Selbstbedarfsdeckung, des gemischten Fabrikationsprozesses gleich mit
-einem umfassenden Radikalismus zu beginnen, bis zu dem er heute nach 50
-industriellen Entwicklungsjahren kaum gediehen ist. Das konnte keine
-gesunde Grundlage für mächtige Unternehmungen, kein gerundetes Ganzes
-geben, sondern es wurde Stückwerk, das beim ersten naturnotwendigen
-Rückschlag der Entwicklung, beim ersten Kampf der Idee mit der
-Materie zerbrechen mußte. Die Dortmunder Union, das erste, fast ein
-Menschenalter zu früh angewendete Beispiel eines gemischten Eisen- und
-Stahlwerks, wie es später eine der schöpferischsten Ideen der deutschen
-Industrie wurde, ist in der praktischen Anlage so verunglückt, daß
-immer neue Sanierungen notwendig wurden und doch Jahrzehnte hindurch
-den Boden des Fasses nicht erreichten. Noch haltloser waren die
-Grundlagen für das von Strousberg geplante große Werk in Zbirow bei
-Pilsen, das ebenfalls die ganze Eisenfabrikation vom Erz bis zum
-Eisenbahnbedarf umfassen sollte. Hier war nicht nur die Anlage, sondern
-auch der Standort, die Rohstoffgrundlage verfehlt. Auch den übrigen
-Gründungen Strousbergs, den Markthallen, Schlachthöfen, Zeitungen, die
-er gewissermaßen nebenbei aus dem unerschöpflichen Füllhorn seines
-Ideenreichtums schüttete, lag fast stets ein guter Gedanke zu Grunde,
-die Ausführung aber war flüchtig und sorglos. Es war vielleicht die
-verhängnisvollste Schwäche Strousbergs, daß er, der Nichtfachmann, der
-seine Unternehmungen auf die Technik einer künftigen Zeit anlegte,
-nicht einmal die Technik seiner Zeit völlig beherrschte. So sehr er
-sich in seinem Memoirenwerk dagegen wehrt, er <em class="gesperrt">hat</em> manchmal
-schlecht gebaut, trotz des meist ehrlichen Willens, gut zu bauen, weil
-er nicht imstande war, sich die richtigen Fachleute auszusuchen und
-weil er zu schnell bauen wollte und mußte.</p>
-
-<p>Aber nicht nur in den Zeitumständen, auch in den Charaktereigenschaften
-war Emil Rathenau fester gegründet, als der so ähnlich<span class="pagenum"><a name="Seite_55" id="Seite_55">[S. 55]</a></span> begabte
-Stammesgenosse. In dem wesentlichen Grundzug ihrer finderischen
-Natur waren diese beiden Juden einander nahe verwandt. Beide von
-einer &mdash; bei aller Fähigkeit für das Komplizierte &mdash; schlichten
-und fast naiven Konstruktivität, Strousberg naiver, Rathenau
-schlichter, beide von hellseherischer Phantasie für zukünftige
-Möglichkeiten und Notwendigkeiten, Strousberg schweifender auf die
-Möglichkeiten, Rathenau &mdash; wenigstens in der Arbeit &mdash; nüchterner
-auf die Notwendigkeiten gerichtet. Des einen, des Bahnenkönigs
-Unternehmungsgeist, trotzdem er nie eine Sache um des Gründergewinns,
-sondern nur um des meist guten industriellen Gedankens willen gründete,
-etwas fessel- und hier und da auch wahllos umherspringend, des andern
-Schaffen bei allen gelegentlichen gedanklichen Exkursionen von einer
-einheitlichen Grundidee gebändigt und beherrscht, sich selbst mit
-eiserner Selbstzucht stets wieder auf den Boden der Wirklichkeit
-zurückzwingend. Strousberg hat auf <em class="gesperrt">viele</em> Gebiete der Industrie
-übergegriffen, Rathenau hat <em class="gesperrt">eine</em> Industrie mit höchster
-Vertiefung und Vielseitigkeit ausgebaut und die Nebenindustrien,
-denen er sich zuwandte, doch immer unter die Gesichtspunkte des
-elektrotechnischen Gewerbes gestellt. Bei aller Verwandtschaft der
-spirituellen Intelligenz, der Begabung und der Methode, eine starke
-Verschiedenheit weniger der Temperamente, als der Hemmungen der
-Temperamente. Strousberg drängte gewaltsam vorwärts und überstürzte.
-Rathenau hat gezeigt, daß er wohl zu warten verstand.</p>
-
-<p>Unter solchen Umständen ist es falsch zu sagen, daß Glück oder Unglück
-die entscheidende Rolle in dem Leben dieser beiden Männer gespielt
-haben, wie dies Strousberg in seiner im russischen Schuldgefängnis
-geschriebenen Selbstbiographie von sich behauptet hat. Es ist richtig,
-daß die 6 Millionen Taler Entschädigung, die Strousberg gerade in
-seiner kritischen Zeit an Rumänien infolge fehlerhafter Ausführung
-eines Bahnenbaus zahlen mußte, seinen Zusammenbruch beschleunigt
-haben. Aber dieses Schicksal traf ihn nicht unverdient, und es wurde
-aufgewogen durch manchen Glückszufall, aus dem er früher hatte
-Nutzen ziehen können. Emil Rathenau andererseits ist durch das Glück
-nie sonderlich verwöhnt worden und gerade die vielen Reserven,
-Hindernislinien und Schutzgräben, von denen er um sein Werk nicht
-genug ziehen konnte, um es gegen jeden Schicksalsschlag, gegen
-jeden ungünstigen Zufall zu sichern,<span class="pagenum"><a name="Seite_56" id="Seite_56">[S. 56]</a></span> zeigen den Unterschied seiner
-industriellen Bauweise von der Strousbergs.</p>
-
-<p>Die vorangegangene Schilderung hat gezeigt, welche große Bedeutung
-die <em class="gesperrt">zeitlichen Umstände</em> als Vorbedingung für ein Werk,
-wie das Rathenaus gehabt haben, wenngleich sie keineswegs allein
-ausschlaggebend für das Wachstum seiner Persönlichkeit und seiner
-Schöpfung gewesen sind. Man kann sagen, daß die letzten 3 Jahrzehnte
-in Deutschland deswegen so viel schöpferische Persönlichkeiten und
-Leistungen in Handel und Gewerbe hervorgebracht haben, weil sie
-selbst so schöpferisch waren und Gelegenheit, ja förmlich Zwang zu
-produktiver Tätigkeit boten. In dem Agrarland Deutschland war noch
-so viel Platz für große Industrieunternehmungen, es gab so viele
-ungehobene industrielle Rohstoffe, so viel überschüssiges, früher
-auf den Weg der Auswanderung gedrängtes Menschenmaterial, daß die
-Entwicklung, nachdem einmal die Bahn durch Beseitigung der politischen
-Hemmungen, durch Freimachung und Anreicherung der kapitalbildenden
-Kräfte geebnet war, mächtig vorwärts drängen mußte. Man brauchte sich
-nur von dieser Entwicklung tragen zu lassen, um es zu etwas zu bringen
-und selbst die <em class="gesperrt">mäßige</em> Begabung konnte sich ansehnliche Ziele
-stecken. Die <em class="gesperrt">große</em> aber fand Baustoff und Werkzeug zu stärkstem
-Vollbringen. Man kann den Anteil, den Zeit und Persönlichkeit an den
-gewerblichen Schöpfungen unseres Zeitalters hatten, vielleicht am
-besten charakterisieren, wenn man sagt, daß die Männer dieser Zeit mit
-der Stromrichtung schwimmen konnten. Sie hatten &mdash; natürlich nur im
-Großen, und nicht im einzelnen betrachtet &mdash; kein zähes Gestrüpp an
-Gewohnheiten, Vorurteilen erst auszuroden, ehe sie mit der eigentlichen
-Arbeit beginnen konnten. Sie brauchten nicht einen erheblichen Teil
-ihrer besten Kraft darauf zu wenden, erst den Kampf des Positiven gegen
-das Negative zu führen, wie etwa der gedankliche Bahnbrecher Friedrich
-List, sie brauchten auch keiner spröden Materie langsame Gestaltung
-abzuzwingen, wie David Hansemann, Alfred Krupp und Werner Siemens. Sie
-fanden den Boden gepflügt und gedüngt. Gewiß, nur fruchtbare Körner
-konnten auf ihm aufgehen. Aber das fruchtbare Korn wird, wenn es auf
-einen guten und bereiten Boden fällt, anders und stärker gedeihen, als
-wenn es in Brachland oder dünnen Sandboden gesenkt wird.</p>
-
-<p>Es spricht nicht gegen unsere Auffassung von den wirtschaft<span class="pagenum"><a name="Seite_57" id="Seite_57">[S. 57]</a></span>lichen
-Wirkungen der reichsdeutschen Gruppierung um die staatenbildende
-Zentrifugalkraft Preußens, wenn man feststellt, daß einmal der
-wirtschaftliche Zusammenschluß Norddeutschlands und der spätere
-Hinzutritt Süddeutschlands zu dem deutschen Zollverein schon vor dem
-deutsch-französischen Kriege stattgefunden hatten und daß nachher noch
-fast ein Jahrzehnt hinging, ehe die moderne Wirtschaftsbewegung mit
-voller Kraft einsetzte. Vor dem Kriege war durch die Zollbündnisse,
-die den politischen Reichsgedanken vorbereiten halfen, wohl eine
-gewisse Einheit schon de jure erreicht. Das blieb auch ganz gewiß
-nicht ohne befruchtende Wirkung auf das Wirtschaftsleben und führte
-schon in der Mitte der 60er Jahre zu günstigen Geschäftskonjunkturen.
-Aber die große Revolutionierung des Wirtschaftsbodens, von der wir
-gesprochen haben, wurde dadurch höchstens angekündigt, noch nicht
-eingeleitet. Dies konnte erst geschehen, nachdem die wirtschaftliche
-Einheit durch die feste politische Form endgültig geworden, gegen
-jede Bedrohung von innen und außen gesichert war. Die allgemeine
-Überzeugung, daß die Einheit politisch und kriegerisch noch einmal
-würde erprobt und verteidigt werden müssen, hinderte vorerst das
-organische Zusammenwachsen der einzelnen Glieder Deutschlands zu
-einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet. <em class="gesperrt">Nach dem Kriege</em> setzte
-der <em class="gesperrt">subjektive</em> Aufschwung sofort ein und zwar in einem Tempo,
-daß ihm der objektive Aufschwung nicht zu folgen vermochte. Da
-keine genügende Zahl von industriellen Unternehmungen und von den
-sie repräsentierenden Wertpapieren da war, an denen die spekulative
-Hochbewertung sich hätte genug tun können, nahm der Aufschwung die
-Form der künstlichen „Wertschafferei“ und „Werttreiberei“ an, die sich
-auch am <em class="gesperrt">fingierten</em> Wert entzündeten. Die <em class="gesperrt">wirklichen</em>
-Werte an industriellen Objekten, an Grund und Boden, an Waren und
-Rohstoffen wurden gewaltig übersteigert, wie das immer der Fall ist,
-wenn der Kreis der realen Tatsachen nicht schnell genug erweitert
-und auf den Umfang der neuen geistigen Möglichkeiten gebracht werden
-kann. Die Plötzlichkeit, mit der die deutsche Binnenwirtschaft
-vor weltwirtschaftliche, ja imperialistische Probleme gestellt
-wurde, zeitigte ein gewaltiges schöpferisches Bedürfnis, dem die
-schöpferischen Verwirklichungen nicht im gleichen Tempo folgen konnten.
-Die Zukunftsphantasien, die den Gründern und Spekulanten jener Zeit vor
-Augen standen, waren dabei sicherlich nicht einmal<span class="pagenum"><a name="Seite_58" id="Seite_58">[S. 58]</a></span> falsch gesehen oder
-übertrieben. Was seither verwirklicht wurde, hat jene Phantasiegemälde
-längst überboten und in Schatten gestellt. Falsch war nur die Bemessung
-der Distanz, der Zeitspanne, in der man zur Verwirklichung jener
-Ideen kommen zu können glaubte. Man glaubte Tal und Berg im Sprung
-überwinden zu können, während eine mühselige Wanderung über Hügel und
-Einsenkungen, durch Schluchten und Gestein notwendig war. Was diesen
-Trugschluß damals noch so wesentlich förderte, war der französische
-Milliardensegen, der sich unerwartet und unvorbereitet über Deutschland
-ergoß. Man glaubte, daß mit diesem Gelde jede Distanz überwunden
-werden könnte und hatte noch nicht die vorher nirgends so augenfällig
-gewordene, erst anläßlich dieser gewaltigsten gegenwertlosen
-Geldübertragung der Geschichte möglich gewordene Erfahrung gemacht, daß
-ein Überfluß an Geld eine gesunde Entwicklung nicht fördert, sondern
-stört. Nur Geld, das Kapital geworden ist oder Kapital werden kann,
-das heißt für das sich eine gesunde Anlagemöglichkeit findet, vermag
-Früchte zu tragen. Das Geld, das beschäftigungslos umhertreibt oder
-zu zwecklosen Experimenten verwendet wird, schafft eine künstliche
-Kaufkraft, eine ungesunde Unternehmungslust, bringt die Faktoren der
-Preisbildung, die Ventile der Marktregulierung in Unordnung und treibt
-in Krisen hinein, in denen die künstlichen Gebilde zusammenbrechen
-müssen, ehe wieder richtige Wertmaßstäbe gewonnen werden können.</p>
-
-<p>Durch die Delirien dieser Krise mußte erst die subjektive
-Aufschwungskraft des wirtschaftlichen Deutschland nach seiner Einigung
-hindurchgehen, ehe der wirkliche, wohlfundierte Aufstieg begonnen
-werden konnte. In dieser Krise wurde schon die Spreu von dem Weizen
-gesondert, und wer sie überlebte, hatte schon halb bewiesen, daß er
-würdig und fähig war, an den Mühsalen und Früchten des aufsteigenden
-Weges teilzunehmen. Emil Rathenau gehörte zu jenen, die sich durch das
-falsche Gold der Gründerjahre nicht hatten blenden lassen. Er hatte
-seine gewaltige Bejahungskraft, seine Phantasie, die doch nicht weniger
-lebendig und beweglich waren als die des verwegensten Abenteurers aus
-der Gründerzeit, vollkräftig und doch fast unbeschädigt durch die Jahre
-getragen, die rings um ihn von Orgien der Unternehmungslust erfüllt
-gewesen waren. So war er rein und stark für die kommenden Jahre der
-Stärke geblieben.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_59" id="Seite_59">[S. 59]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Viertes_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Viertes Kapitel</em><br />
-
-Technische Vorbedingungen</h2>
-
-</div>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Als Emil Rathenau seine Siegeslaufbahn begann, war die
-Elektrotechnik wenig mehr als ein bescheidener Versuch, die
-großartigen Forschungen der Physik des vorigen Jahrhunderts
-nützlicher Verwertung zu erschließen. Die Erfindungen trugen noch
-deutlich den Stempel ihrer Geburtsstätte &mdash; es waren Erzeugnisse
-instrumentaler Technik. Werner v. Siemens, selbst aus dieser
-hervorgegangen, war der erste, dessen weitschauender Geist die
-Notwendigkeit erkannte, die Hilfe eines Bundesgenossen, der
-Maschinentechnik, herbeizurufen, das Studium der Elektrotechnik
-den Technischen Hochschulen zuzuweisen, und mit dem Maschinenbau
-auf das Innigste zu verschmelzen. Schwierig war die Aufgabe,
-die er damit den technischen Hochschulen erteilte, fehlte es
-denselben doch zunächst an geeigneten Lehrkräften, die mit
-theoretischem Wissen praktisches Können vereinten. Da brachte
-Hilfe die schnell sich entwickelnde Technik selber. Hervorragende
-Maschineningenieure, technische Physik beherrschend, traten in die
-Werkstätten der Elektrotechnik und wurden bald ihre Lenker und
-Leiter. Als der ersten einer &mdash; Emil Rathenau. Es war ein großes
-Glück für die deutsche Elektrotechnik, daß ihr neben Siemens ein
-Mann erstand, von gleichen Überzeugungen beseelt, mit genialer
-Veranlagung zum Maschineningenieur erzogen, der, zwar nicht mit ihm
-vereint, wohl aber im edelsten Wetteifer<span class="pagenum"><a name="Seite_60" id="Seite_60">[S. 60]</a></span> mit ihm gleichen Zielen
-zustrebte. Dem Wirken dieser beiden Männer verdankt die deutsche
-Elektrotechnik ihre erstaunlich schnelle Entwicklung.“</p>
-
-<p class="right mright2">(Prof. Dr. Slaby in einer Festrede zur Feier des 25jährigen
-Bestehens der A. E. G.)</p></div>
-
-<p>Im vorigen Kapitel haben wir gesehen, welche allgemeinwirtschaftlichen
-Bedingungen Emil Rathenau vorfand, als er am Anfang der 80er Jahre
-daranging, ein neues Unternehmen aufzubauen. Jetzt soll untersucht
-werden, wie es mit der <em class="gesperrt">Entwicklung</em> der <em class="gesperrt">elektrotechnischen
-Industrie</em> stand, der sich Rathenau zuwandte, weil er auf ihrem
-Gebiet die größten Zukunftsmöglichkeiten für einen technischen Kaufmann
-sah.</p>
-
-<p>Die Elektrotechnik, als Grundlage der Elektrizitäts-Industrie, das
-heißt einer praktisch-wirtschaftlichen Ausnutzung der Wissenschaft
-von der Elektrizität ist viel jünger als die Erfindung oder besser
-als die Findung der galvanischen Kraft. Sie ist ganz und gar ein
-Kind des 19. Jahrhunderts und setzte zu ihrer Ausbildung die
-Pionierdienste voraus, die auf allgemein-technischem Gebiete erst
-die Physik und die Chemie leisten mußten. Der erste Schritt in das
-seitdem experimentell vielfach durchleuchtete Gebiet einer ihrem
-inneren Wesen nach noch immer geheimnisvollen Kraft wurde halb durch
-Zufall getan. Lange Zeit ging die herrschende Ansicht dahin, daß
-die magnetischen und elektrischen Erscheinungen nicht miteinander
-zusammenhingen. Ein dänischer Physiker Hans Chrystian Oersted
-entdeckte 1820 das Prinzip des Elektromagnetismus, indem er bemerkte,
-daß eine auf seinem Experimentiertische befindliche Magnetnadel
-durch galvanischen Strom abgelenkt wurde. Deutsche, französische
-und englische Forscher warfen sich bald darauf mit intensiver
-Energie auf das neue Gebiet der Wissenschaft und suchten die schmale
-Eingangspforte durch systematische Arbeit zu erweitern. Während
-man auch nach der Entdeckung Oersteds zunächst noch an der Ansicht
-festhielt, daß nicht die Elektrizität, sondern der Magnetismus die
-einfachere, grundlegende Kraft sei, begründete Ampère die Theorie,
-daß das Grundphänomen das elektrische sei und daß alle Äußerungen
-des Magnetismus auf elektrischen Strömen beruhten, eine Theorie, die
-als erwiesen gelten konnte, nachdem gezeigt worden war, daß durch
-elektrischen Strom ein Magnetfeld erzeugt<span class="pagenum"><a name="Seite_61" id="Seite_61">[S. 61]</a></span> werden konnte. Damit war
-die industriell so außerordentlich fruchtbar gewordene Einwirkung der
-elektrischen Kraft auf den Grundstoff aller modernen industriellen
-Betätigung, das Eisen, festgestellt, das die Eigentümlichkeit besitzt,
-durch einen elektrischen Strom sehr kräftig magnetisiert zu werden.
-Gauß und Weber gelangten auf Grund ihrer Arbeiten im Jahre 1833 zur
-Erfindung des <em class="gesperrt">elektrischen Telegraphen</em> und stellten bald darauf
-die erste telegraphische Verbindung auf eine kurze Strecke &mdash; zwischen
-ihren beiden Arbeitsstätten in Göttingen &mdash; her. Damit schien die
-deutsche Forschung, nachdem sie dieses eminent praktische Problem
-wissenschaftlich gelöst hatte, sich zunächst begnügen zu wollen.
-Für eine praktische Ausnutzung fehlte es in Deutschland damals an
-einer entwickelten Industrie und gerade umgekehrt wie bei späteren
-großen Erfindungen, die im Auslande gemacht, aber in Deutschland
-systematisch-praktisch durchgebildet wurden, ließ man bei den ersten
-epochemachenden Entdeckungen auf dem Gebiete der Elektrotechnik
-die grundsätzlichen Erkenntnisse der Wissenschaft ohne Folgen. Wie
-später auch das von dem deutschen Physiker Philipp Reis erfundene
-Telephon wurde der elektrische Telegraph in Amerika entwickelt.
-Schon im Jahre 1835 konstruierte der Amerikaner Samuel Morse den
-nach ihm benannten Fernschreibapparat, auch andere Amerikaner und
-Engländer, wie Wheatstone und Coke befaßten sich erfolgreich mit der
-Ausbildung des Telegraphen. Im Jahre 1844 wurde die erste öffentliche
-Telegraphenleitung zwischen Washington und Boston eingerichtet und
-dem öffentlichen Verkehr zugänglich gemacht. Die verkehrstechnische
-Entwicklung des Telegraphen schritt nun mit schnellen Schritten fort.
-In Amerika, wo besonders große Entfernungen zu überwinden sind, war
-das Bedürfnis nach rascher Nachrichtenübermittelung naturgemäß am
-stärksten, und der praktische Sinn überdies am schnellsten bereit,
-die Errungenschaften der Technik nutzbar zu machen. Aber auch Europa
-rührte sich. England, Frankreich und Deutschland vermochten sich
-der Bedeutung nicht zu entziehen, die der Telegraph für das ganze
-wirtschaftliche, soziale und politische Leben gewinnen mußte. Die
-Welt war damals bereits aus dem handwerklichen in das maschinelle
-Zeitalter getreten, und sie rückte auch immer entschiedener in das
-Zeichen des Verkehrs. Im Jahre 1838 war die erste Eisenbahn in
-Deutschland fertiggestellt worden, nun folgten allenthalben<span class="pagenum"><a name="Seite_62" id="Seite_62">[S. 62]</a></span> neue
-Schienenwege, und die Eisenbahnverwaltungen erkannten bald die
-Vorteile, die es ihnen bot, ihre Linien von telegraphischen Leitungen
-begleiten zu lassen. So trafen sich die Bedürfnisse der maschinellen
-Verkehrstechnik mit denen der elektrischen. Der erste Anstoß für
-die Einführung des Telegraphen kam in Preußen allerdings nicht von
-der verkehrspolitischen, sondern von der militärischen Seite her.
-Die Kommission des preußischen Generalstabes für die Einführung der
-elektrischen Telegraphen übertrug im Jahre 1847 dem Artillerieleutnant
-<em class="gesperrt">Werner Siemens</em> die Herstellung einer unterirdischen
-Telegraphenlinie von Berlin nach Großbeeren zu Versuchszwecken. Eine
-glücklichere Wahl hätte die Militärbehörde nicht treffen können.
-Damit wurde zum ersten Male der Mann mit der Lösung einer bedeutsamen
-Aufgabe betraut, der zu den größten technischen Konstrukteuren aller
-Zeiten gehörend, die Entwicklung der elektrotechnischen Industrie in
-ihrer ersten, grundlegenden Periode anregen, führen und verkörpern
-sollte wie kein zweiter in Deutschland, wie nur wenige andere in
-der ganzen Welt. In der Mitte zwischen technischer Wissenschaft und
-Praxis stehend, war es Werner Siemens in einer Zeit, in der eine
-tiefe Kluft zwischen der Theorie und der ausübenden Technik gähnte,
-vergönnt, sich beide Gebiete ganz zu eigen zu machen, auf beiden
-Gebieten Gedanken aus erster Hand, von primärem Wert und schöpferischer
-Auswirkung zu prägen und miteinander zu verschmelzen. Die eiserne
-Folgerichtigkeit seines technischen Denkens, und die nie ermüdende
-und nie abschweifende Konstanz seiner Arbeit ermöglichten es ihm,
-die fruchtbaren Gedanken zur industriellen Reife zu entwickeln.
-Kein schnelles Blitzlicht, das hier und dorthin springend dunkle
-Gebiete der Forschung einen Augenblick erhellt und es dann anderen
-oder auch dem Zufall überläßt, sie dauernd aufzuklären, sondern eine
-ruhig brennende Flamme, die sich von dem zu erforschenden Gegenstand
-nicht früher abkehrt, bis sie ihn von allen Seiten abgeleuchtet hat.
-Nicht so geniefunkelnd, experimentell-geistreich und vielseitig wie
-der amerikanische „Zauberer“ Thomas Alva Edison, aber nicht weniger
-finderisch als dieser. Der ernste Kopf, das tiefe Auge, die feste
-Hand des Niederdeutschen, eine Natur, die mit einer Sache ringt und
-sie nicht läßt, bevor sie sich ihm ergeben hat. Gewiß, auch Werner
-Siemens fehlte manches, wovon später noch zu reden sein wird. Aber
-es war vielleicht gut, daß ihm dieses fehlte, wofür in<span class="pagenum"><a name="Seite_63" id="Seite_63">[S. 63]</a></span> seiner Zeit
-die Bedingungen wenigstens in Deutschland noch nicht vorhanden waren,
-was ihn möglicherweise in der Sicherheit seines Wesens und Wollens
-nur beirrt, in der Gradlinigkeit seines Schaffens zersplittert hätte.
-Gerade dadurch, daß Werner Siemens die Möglichkeiten und Forderungen
-<em class="gesperrt">seiner</em> Zeit so völlig erschöpfte, erschöpfte er sich in ihnen,
-ging die Entwicklung schließlich über ihn hinweg, vermochte er sich
-einer anderen Zeit nicht mehr so recht anzupassen.</p>
-
-<p>Werner Siemens wurde im Jahre 1816 in Lenthe in Hannover als Sohn
-eines Gutspächters geboren. Schon den jungen Gymnasiasten drängten
-Begabung und Neigung zur Technik. Da das Studium auf der Bauakademie,
-dem damals einzigen technischen Lehrfach, dem Vater zu kostspielig
-war, wurde auf Anraten eines Freundes der Familie ein Kompromißweg
-gefunden. Werner Siemens sollte preußischer Pionieroffizier werden,
-wo er Gelegenheit haben würde, dasselbe zu lernen wie auf der
-Bauakademie. Wie so viele strebsame Jünglinge aus den deutschen Mittel-
-und Kleinstaaten wandte sich Siemens nach Preußen. „Der einzige
-feste Punkt in Deutschland ist jetzt der Staat Friedrichs des Großen
-und die preußische Armee,“ sagte ihm zustimmend der Vater, als er
-seinen Entschluß zu erkennen gab. Werner Siemens wurde aber nicht
-Pionier-, sondern Artillerieoffizier, da ihm gesagt wurde, daß er
-als solcher bedeutend bessere militärische Aussichten und dieselbe
-technische Vorbildung haben würde. Die Zeit auf der Artillerie- und
-Ingenieurschule nutzte der junge Mann in ernster Weise aus, auch als
-Offizier in verschiedenen preußischen Garnisonstädten befaßte er
-sich mit wissenschaftlichen Studien und Experimenten. Die Erfindung
-Jacobis, Kupfer in metallischer Form durch den galvanischen Strom aus
-reiner Lösung von Kupfervitriol niederzuschlagen, veranlaßte ihn,
-sich im Jahre 1840 mit der Galvanisierung zu beschäftigen. In der
-Zitadelle von Magdeburg, in der er eine ihm wegen Sekundierens beim
-Duell auferlegte Festungshaft absolvieren sollte, richtete er sich,
-ganz zufrieden mit der ihm ermöglichten Muße, ein Laboratorium ein,
-und es glückte ihm, ein neues Verfahren galvanischer Versilberung und
-Vergoldung zu entdecken. Der praktische Sinn des jungen Offiziers
-äußerte sich darin, daß er, obwohl als Militär in der Wahl der Mittel
-zur Einleitung von Geschäften sehr beschränkt, darauf bedacht war,
-aus seiner Erfindung Kapital zu<span class="pagenum"><a name="Seite_64" id="Seite_64">[S. 64]</a></span> schlagen. Es gelang ihm, mit der
-Neusilberfabrik J. Heninger einen Vertrag abzuschließen, auf Grund
-dessen er dieser eine Anstalt für Vergoldung und Versilberung nach
-seinen Patenten gegen Gewinnbeteiligung einrichtete. Seinen Bruder
-Wilhelm schickte er nach England, damit er dort den Versuch mache,
-die elektrolytischen Patente und das später erfundene Verfahren der
-Vernickelung zu verwerten. Diesem glückte es auch, die Patente für
-1500 Pfd. Sterl. an eine englische Firma zu verkaufen. Bald lenkten
-größere Aufgaben das Interesse Werner Siemens auf sich. Er beteiligte
-sich an den Versuchen, die Leonhardt im Auftrage des Generalstabes
-der preußischen Armee über die Frage der Ersetzbarkeit der optischen
-Telegraphie durch elektrische anstellte. Siemens konstruierte einen
-Zeigertelegraphen mit Selbstunterbrechung, dessen Herstellung er
-einem jungen Mechaniker namens <em class="gesperrt">Halske</em> anvertraute. Kurze
-Zeit später fand er in dem damals neu auf dem englischen Markte
-erschienenen Guttapercha ein ausgezeichnetes Isolationsmaterial für
-unterirdische elektrische Drahtleitungen, wie sie damals angesichts
-der herrschenden Meinung, daß oberirdische Leitungen zu leicht der
-Zerstörung ausgesetzt seien, für allein anwendbar gehalten wurden. Er
-stellte ferner auch eine Schraubenpresse her, durch die der erwärmte
-Guttapercha unter Anwendung hohen Drucks nahtlos um den Kupferdraht
-gepreßt wurde. Siemens Entschluß, sich ganz der Entwicklung des
-Telegraphenwesens zu widmen, stand nun fest. Er veranlaßte im Jahre
-1847 den Mechaniker G. Halske, mit dem die gemeinsame Arbeit ihn näher
-verbunden hatte, eine Telegraphenbauanstalt zu begründen, in die er
-nach seiner Verabschiedung aus dem Heeresdienste selbst eintreten
-wollte. Das Betriebskapital von 6000 Talern lieh ihm ein Vetter, der
-Justizrat Siemens, der Vater des später so berühmt gewordenen ersten
-Direktors der Deutschen Bank Georg von Siemens. Die Werkstatt wurde
-in einem Hinterhaus der Schönebergerstraße in der Nähe des Anhalter
-Bahnhofs eröffnet. Siemens selbst wollte seine ganze Kraft dem neuen
-Unternehmen erst widmen, wenn die Generalstabskommission zur Einführung
-des elektrischen Telegraphen ihre Aufgabe voll erfüllt hatte. So sehr
-er auch die ihm offenstehende Laufbahn, sich dank seiner beherrschenden
-Stellung in der Telegraphenkommission allmählich zum Schöpfer und
-Leiter des preußischen Staatstelegraphen aufzuschwingen, als zu eng,
-zu wenig selbständig, zu bureaukratisch ablehnte, hier lag<span class="pagenum"><a name="Seite_65" id="Seite_65">[S. 65]</a></span> doch in
-der damaligen Zeit noch das Feld, auf dem er am entscheidendsten
-an der Verwirklichung seiner Pläne mitarbeiten konnte. Bald darauf
-wurde auch die bereits erwähnte erste unterirdische Telegraphenlinie
-Berlin-Großbeeren und die oberirdische Linie Berlin-Potsdam
-fertiggestellt, und von dem freien Blick dieses kaufmännischen
-Soldaten zeugt es, daß er &mdash; im Gegensatz zu den Heeresbehörden &mdash;
-dafür eintrat, daß die neuen Linien nicht nur dem Militär, sondern
-auch dem Publikum zur Verfügung stehen mußten. Die März-Revolution
-und der dänische Krieg von 1848 unterbrachen die systematische Arbeit
-am Telegraphen. Wir sehen Siemens als Kriegstechniker in Kiel,
-Friedrichsort und Eckernförde, wo er die Verteidigung dieser Seehäfen
-durch Minensperren &mdash; die ersten, die jemals gelegt wurden &mdash; und
-durch Hafenbatterien durchführte. Nach Berlin zurückgekehrt, nahm
-Siemens die telegraphischen Projekte mit Hochdruck wieder auf. Der
-brave Halske hatte, unbeirrt durch Revolution und Kriegsgeschrei, seine
-Telegraphenapparate auch ohne Bestellung weiter fabriziert und dadurch
-das junge Unternehmen vor dem Zusammenbruch bewahrt. Die Zuversicht
-sollte sich lohnen. Es gab bald Arbeit in Hülle und Fülle. Eine große
-unterirdische Telegraphenlinie von Berlin nach Eisenach und eine
-oberirdische von dort nach Frankfurt, wo damals das erste deutsche
-Parlament tagte, waren im Auftrage des preußischen Handelsministeriums
-zu bauen. Die Loslösung des Telegraphen vom rein militärischen
-Interesse, seine Verwendung im Dienste des Verkehrs war eine Tatsache.
-Siemens zog nun endgültig den Soldatenrock aus und trat als offener
-Teilhaber in die Firma Siemens &amp; Halske ein. Die Periode der Versuche,
-der tastenden Anfänge und kleinen Dimensionen ist überwunden. Die
-Entwicklung verstärkt, verbreitert, vervielfältigt sich, geht ins
-Große und trägt die Firma Siemens &amp; Halske zur Bedeutung nicht nur des
-ersten elektrotechnischen Unternehmens in Deutschland, sondern eines
-Welthauses empor.</p>
-
-<p>Neben Telegraphenanlagen wurden bald Läutewerke für Bahnanlagen,
-Meßinstrumente hergestellt. Der im Jahre 1850 nach Europa gekommene
-Morse-Apparat wurde von der Firma mit vielen Verbesserungen versehen
-und zu einer Vollendung gebracht, die ihn über alle früheren Systeme
-weit hinaushob. Das Absatzgebiet wurde über Deutschland hinaus
-erweitert. Insbesondere in Rußland verstand es die junge Firma,
-die im Jahre 1849 immer noch mit 32 Arbeitern<span class="pagenum"><a name="Seite_66" id="Seite_66">[S. 66]</a></span> auskam, festen Fuß
-zu fassen; neben kleineren Telegraphenlinien wurden die großen
-Strecken Petersburg-Warschau, Moskau-Kiew-Odessa, Petersburg-Reval
-und Petersburg-Helsingfors fertiggestellt. Werner Siemens hatte
-das Glück, energische und tüchtige Brüder zu besitzen, denen er
-die Geschäfte im Auslande anvertrauen konnte, was dazu beitrug,
-den Familiencharakter der Siemensschen Unternehmungen zu wahren,
-und trotz der notwendig gewordenen Dezentralisation aufrecht zu
-erhalten. Wie Karl Siemens das russische Geschäft, den technischen
-Weisungen des genialen Werner folgend, aber kaufmännisch mit einem
-hohen Grade von Selbständigkeit und Geschick entwickeln konnte, so
-vermochte Wilhelm Siemens, der früh nach England gegangen war, trotz
-der starken Konkurrenz in diesem technisch dem damaligen Deutschland
-überlegenen Lande, eine starke Stellung zu erkämpfen. Er lieferte
-für den indischen Telegraphen Materialien und Apparate und eröffnete
-einen lohnenden Fabrikationszweig durch die Konstruktion des nach
-ihm benannten Wassermessers. Entscheidend wurde die Betätigung in
-England für die Bedeutung, die sich die Firma Siemens &amp; Halske in
-der <em class="gesperrt">Kabelfabrikation</em> und in der Kabellegung erwerben sollte.
-Zunächst beschränkte man sich auf die Herstellung von Kabeln und
-elektrischen Apparaten für die Unterwassertelegraphie, und entwickelte
-grundlegende Methoden für Kabelprüfung und Fehlerbestimmung. Die
-erste selbständige Kabellegung für die Linie Kartagena-Oran, die
-von der französischen Regierung in Auftrag gegeben worden war, aber
-infolge ungünstiger Formation des Meeresbodens dreimal mißglückte,
-forderte schwere Opfer, die die Brüder Siemens nicht entmutigten,
-aber den vorsichtigen, jeder Großzügigkeit baren Halske veranlaßten,
-die Trennung des Londoner Geschäfts von dem Berliner zu beantragen.
-Diese erfolgte und das Londoner Geschäft ging unter der Firma Siemens
-Brothers in den Besitz der Brüder Wilhelm, Werner und Karl über. Das
-Vertrauen in die Leistungsfähigkeit dieser Firma für den Bau von
-Überseekabeln hat nicht getrogen. Im Laufe der Jahre gelang es Siemens
-Brothers mit einem direkten Kabel von Irland nach Amerika das Monopol
-eines damals unter den Auspizien Sir William Penders gebildeten
-Kabelringes zu durchbrechen und andere große Überseekabel in Auftrag
-zu bekommen. Kein Geringerer als der große Gelehrte Sir William
-Thomson hatte das erste Siemenskabel geprüft und für fehlerfrei und<span class="pagenum"><a name="Seite_67" id="Seite_67">[S. 67]</a></span>
-außerordentlich sprechfähig erklärt. Vorangegangen war die Errichtung
-einer eigenen Guttaperchafabrik in England, die notwendig wurde, da
-die einzige englische Fabrik, die bis dahin nahtlos mit Guttapercha
-umpreßte Drähte nach dem Siemensschen System herstellte, offenbar
-im Interesse jenes Kabelringes bei der Lieferung von gereinigter
-Guttapercha an Siemens Brothers Schwierigkeiten gemacht hatte. Die
-Gesellschaft, die von den Brüdern Werner, Wilhelm und Karl Siemens
-für den Bau der Kabellinie Irland-Amerika gegründet wurde, mußte ihr
-Kapital auf dem Kontinent aufbringen, da der englische Markt durch
-die übermächtige Konkurrenz verschlossen war. Schon vorher hatte
-der ständig nach neuen Projekten ausschauende Geist Werner Siemens
-ein anderes gewaltiges Werk ersonnen und ausgeführt. Es handelte
-sich um nichts geringeres, als um den Bau einer Indo-Europäischen
-Überland-Telegraphen-Linie, die England über Preußen, Rußland und
-Persien mit seiner Kolonie Indien verband. Zu diesem Zwecke wurde
-eine englische Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 425000 Pfd.
-Sterl. gegründet, die sämtliche Konzessionen von den beteiligten
-Regierungen erwarb und die Linie bis zum Jahre 1869 fertigstellte.
-Der Bau, die Lieferungen an Materialien und Apparaten und die
-Unterhaltung der ganzen Linie wurde der Firma Siemens &amp; Halske
-übertragen, die sich ihrerseits mit einem Fünftel des Aktienkapitals
-an dem Unternehmen beteiligte. Die Indo-Europäische Überland-Linie
-und die Kabelgesellschaft Irland-Amerika bilden die ersten Fälle von
-sogenannten Betriebsunternehmungen, die nicht im fremden Auftrag,
-sondern auf eigene Initiative von einer Fabrikationsgesellschaft in
-der elektrischen Industrie gegründet worden sind. Für Werner Siemens
-sind es Ausnahmefälle geblieben, die nicht einem geschäftlichen
-System entsprangen, sondern der Verwirklichung technischer und
-verkehrspolitischer Lieblings-Gedanken dienen sollten, weil diese
-Verwirklichung auf anderem Wege nicht hätte erfolgen können. Zu
-den Prinzipien der Firma Siemens &amp; Halske gehörten derartige
-Eigen-Gründungen durchaus nicht, und wir werden später sehen, daß
-hier gerade ein Ansatzpunkt für das kaufmännisch anders geartete und
-modernere System Emil Rathenaus lag.</p>
-
-<p>Schon der unternehmerische Wagemut, den damals die Firma Siemens &amp;
-Halske an den Tag legte und der die Grenzen der Firma immer weiter ins
-Weltwirtschaftliche und Großbetriebliche hinaus<span class="pagenum"><a name="Seite_68" id="Seite_68">[S. 68]</a></span>schob, sagte Halske,
-dem ersten Sozius Werner Siemens und Mitbegründer der Firma nicht zu.
-Sein ehrlicher, gediegener, aber immerhin begrenzter und ängstlicher
-Geist liebte nur Geschäfte, die er überblicken konnte. Wohl fühlte er
-sich nur in kleineren Dimensionen, das andere schien ihm ein Wagen,
-das dem Hazardieren verwandt war. Darum schied er im Jahre 1868 aus
-der Firma, der er in den ersten Jahren ihres Bestehens als geschickter
-und tüchtiger Feinmechaniker hatte treffliche Dienste leisten können,
-die ihm aber entwachsen war, seitdem sich die Firma handwerkliche
-Talente, wie er eins war, zu Dutzenden gegen mäßige Bezahlung halten
-konnte. An Bedeutung für das Geschäft war Halske schon lange hinter
-Siemens Jugendfreund William Meyer, der jahrelang die Stellung eines
-Oberingenieurs und Prokuristen bekleidet hatte, zurückgeblieben. Meyers
-Nachfolger, der frühere Leiter des Hannoverschen Telegraphenwesens Karl
-Frischen, überragte als Persönlichkeit Halske noch beträchtlicher.
-Endlich wuchs in der Person des Herrn v. Hefner-Alteneck, der aus
-dem jüngeren Schülerstabe Werner Siemens stammend, als Chef des
-Konstruktionsbureaus tätig war, eine Kraft heran, der als technischer
-Erfinder in der Folgezeit Bedeutendes leisten sollte und als
-Konstrukteur neben Werner Siemens wohl bestehen konnte. Damit war
-Halskes Platz als erster Mitarbeiter Werner Siemens in einer dem neuen
-Charakter des Geschäfts entsprechenden Weise schon lange besetzt
-worden, ehe er ihn noch verlassen hatte.</p>
-
-<p>Alles was die Firma Siemens &amp; Halske, was die Elektrizitätsindustrie
-in der vergangenen Periode geleistet hatte, was auch noch
-den Hauptinhalt des nächsten Jahrzehnts bildete, gehörte der
-<em class="gesperrt">Schwachstromindustrie</em>, das heißt der Erzeugung von Elektrizität
-auf <em class="gesperrt">chemischem Wege</em> an. In Deutschland waren in dieser ersten
-Blüteperiode der Elektrizitätsindustrie nur verhältnismäßig wenige
-größere Firmen neben Siemens &amp; Halske tätig. Bedeutung erwarben
-außerdem eigentlich nur die Firmen Felten &amp; Guilleaume in Mülheim a.
-Rh., Gebr. Naglo und H. Poege in Chemnitz. Im übrigen gab es wohl
-eine ganze Anzahl von kleinen Betriebswerkstätten, die mit wenigen
-Arbeitern auskamen, und sich auf die Anfertigung von Apparaten,
-kleineren Telegraphenanlagen, Instrumenten usw. beschränkten. Über
-eine nationale, kaum lokale Bedeutung gingen aber diese Betriebe
-nicht hinaus. Wie wenig<span class="pagenum"><a name="Seite_69" id="Seite_69">[S. 69]</a></span> auch Siemens &amp; Halske damals noch trotz
-ihres internationalen, weit ausgesponnenen Geschäfts dem entsprachen,
-was wir heute unter einem Großunternehmen verstehen, geht daraus
-hervor, daß diese Firma im Jahre 1869 nur 250, im Jahre 1875 nur
-600 Arbeiter beschäftigte, eine Anzahl, die ungefähr die Hälfte der
-damals in der ganzen deutschen Elektrizitätsindustrie verwandten
-Arbeiter darstellte. Die überragende Bedeutung der Firma Siemens &amp;
-Halske in dieser Periode hatte insofern ihr gutes, als der deutschen
-Elektrizitätsindustrie dadurch die konjunkturellen Ausschreitungen und
-die darauf folgende Krise erspart blieben, die in den anderen damals
-industriell weiter entwickelten Ländern infolge der Übergründungen
-elektrotechnischer Unternehmungen unausbleiblich gewesen waren. Die
-erste der großen elektrotechnischen Krisen berührte infolgedessen
-Deutschland nur verhältnismäßig wenig. Am stärksten hatte sie England
-betroffen, wo die industrielle Elektrotechnik namentlich nach den
-ersten großen Erfolgen des Kabelbaus mit einer Hochflut von Gründungen
-und Projekten eingesetzt hatte. Die hohen Dividenden der ersten
-Kabelunternehmungen hatten zur Nachahmung angestachelt, und das
-Publikum riß sich förmlich um die Papiere von Aktiengesellschaften, die
-irgend etwas mit Elektrizität zu tun hatten. Da die Aktien nach dem
-englischen Gesetz auf den kleinen Betrag von 1 Pfd. Sterl. ausgegeben
-werden konnten, ergriff das elektrische Spekulationsfieber auch die
-kleinsten Kapitalistenschichten. Ein Börsenkrach fegte diese ungesunden
-Auswüchse schließlich fort und die englische Regierung hielt es
-für richtig, als im Jahre 1880 mit der Lichtelektrizität ein neues
-Feld für Gründungen auf elektrotechnischem Gebiete sich zu eröffnen
-schien, mit einem beschränkenden Gesetz, der Electric Lighting Act,
-einzugreifen. Durch dieses Gesetz, das elektrische Beleuchtungsanlagen
-für die Dauer von 20 Jahren als ein Monopol der Regierung erklärte,
-wurde aber nicht nur die Entwicklung der Gründerei und Spekulation,
-sondern auch die der elektrotechnischen Industrie behindert, was sich
-in den kommenden Zeiten der zweiten elektrotechnischen Blüteperiode,
-in der die <em class="gesperrt">Starkstrom-Industrie</em> zur Geltung kam, als ein
-schwerer Nachteil für England erwies. Die großen Erfolge der deutschen
-Starkstromindustrie, die dieser die unbestrittene Führung in Europa
-sicherten, sind einmal dadurch ermöglicht worden, daß in Deutschland
-dank der soliden Vorherrschaft der Firma Siemens &amp; Halske kein
-kapitalistischer<span class="pagenum"><a name="Seite_70" id="Seite_70">[S. 70]</a></span> Zusammenbruch den Enthusiasmus für elektrische
-Gründungen abgekühlt hatte; dann aber auch dadurch, daß England, das
-gegebene Hauptwettbewerbsland, schon unangenehme Erfahrungen mit der
-industriellen Elektrotechnik hinter sich hatte, von denen sich weder
-die Regierung, noch das Publikum im richtigen Augenblick befreien
-konnten.</p>
-
-<p>Das große historische Verdienst Werner v. Siemens lag nicht nur
-in der hervorragenden Mitwirkung, die er der Entwicklung der
-Schwachstromtechnik hatte angedeihen lassen, sondern in der
-<em class="gesperrt">schöpferischen Wendung</em>, die er der <em class="gesperrt">Starkstromtechnik</em>
-durch seine grundlegende Erfindung des sogenannten
-<em class="gesperrt">dynamo-elektrischen</em> Prinzips im Jahre 1866 gegeben hatte. Dieses
-Prinzip besteht darin, daß Elektrizität nicht wie beim Schwachstrom
-auf chemischem Wege (durch Elemente oder Batterien), sondern auf
-physikalischem Wege durch die elektromagnetische Induktionsmaschine
-erzeugt wird. Werner v. Siemens schildert seine Versuche auf diesem
-Gebiete und die Ergebnisse, zu denen er durch sie gelangte, in seinen
-Lebenserinnerungen folgendermaßen:</p>
-
-<p>„Bereits im Herbst des Jahres 1866, als ich bemüht war, die
-elektrischen Zündvorrichtungen mit Hilfe meines Zylinderinduktors
-zu vervollkommnen, beschäftigte mich die Frage, ob man nicht durch
-geschickte Benutzung des sogenannten Extrastromes eine wesentliche
-Verstärkung des Induktionsstromes hervorbringen könnte. Es wurde mir
-klar, daß eine elektromagnetische Maschine, deren Arbeitsleistung durch
-die in ihren Windungen entstehenden Gegenströme so außerordentlich
-geschwächt wird, weil diese Gegenströme die Kraft der wirksamen
-Batterie beträchtlich vermindern, umgekehrt eine Verstärkung der
-Kraft dieser Batterie hervorrufen müßte, wenn sie durch eine äußere
-Arbeitskraft in der entgegengesetzten Richtung gewaltsam gedreht
-würde. Dies mußte der Fall sein, weil durch die umgekehrte Bewegung
-gleichzeitig die Richtung der induzierten Ströme umgekehrt wurde. In
-der Tat bestätigte der Versuch diese Theorie, und es stellte sich
-dabei heraus, daß in den feststehenden Elektromagneten einer passend
-eingerichteten elektromagnetischen Maschine immer Magnetismus genug
-zurückbleibt, um durch allmähliche Verstärkung des durch ihn erzeugten
-Stromes bei umgekehrter Drehung die überraschendsten Wirkungen
-hervorzubringen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_71" id="Seite_71">[S. 71]</a></span></p>
-
-<p>Es war dies die Entdeckung und erste Anwendung des allen
-dynamo-elektrischen Maschinen zu Grunde liegenden dynamo-elektrischen
-Prinzips. Die erste Aufgabe, welche dadurch praktisch gelöst wurde,
-war die Konstruktion eines wirksamen elektrischen Zündapparates ohne
-Stahlmagnete, und noch heute werden Zündapparate dieser Art allgemein
-verwendet. Die Berliner Physiker, unter ihnen Magnus, Dove, Rieß, du
-Bois-Reymond, waren äußerst überrascht, als ich ihnen im Dezember
-1866 einen solchen Zünderinduktor vorführte und an ihm zeigte, daß
-eine kleine elektromagnetische Maschine ohne Batterie und permanente
-Magnete, die sich in einer Richtung ohne allen Kraftaufwand und in
-jeder Geschwindigkeit drehen ließ, der entgegengesetzten Drehung einen
-kaum zu überwindenden Widerstand darbot und dabei einen so starken
-elektrischen Strom erzeugte, daß ihre Drahtwindungen sich schnell
-erhitzten.“</p>
-
-<p>Die Priorität der Siemensschen Erfindung ist bald nach ihrer
-Bekanntgabe von verschiedenen Seiten bestritten worden. Die Engländer
-Wheatstone und Varley nahmen für sich die Gleichzeitigkeit der Idee
-in Anspruch. Immerhin hat Werner v. Siemens das dynamo-elektrische
-Prinzip zuerst literarisch dargestellt, konstruktiv mit Hilfe des
-sogenannten Doppel-T-Ankers ausgeführt, und ihm den Namen gegeben.
-Sein Verdienst wird nicht geschmälert, wenn man selbst annimmt, daß er
-etwas erfunden habe, was damals in dem Gang der wissenschaftlichen und
-technischen Entwicklung logisch begründet und sozusagen in der Luft
-lag. Dies zeigt im Gegenteil, daß seine Erfindung systematischer Arbeit
-und folgerichtigem Denken, nicht einem Zufall ihr Dasein verdankt.
-Richtig ist hingegen, daß Werner v. Siemens weder die Dynamomaschine
-zu voller praktischer Brauchbarkeit entwickelt, noch den ganzen
-Umfang ihrer industriellen Nutzungsmöglichkeit erkannt und mit der
-sonst bei ihm gewohnten Energie zu verwirklichen gesucht hat. Sein
-Gedanken- und Arbeitskreis war doch wohl zu sehr von den Problemen der
-Schwachstromtechnik erfüllt, seine Kraft zu sehr von der lebenslangen
-Beschäftigung mit ihr absorbiert, als daß er sich dem Neuland der
-Starkstromtechnik hätte mit unverminderter Schaffensfähigkeit zuwenden
-können. Dazu gehörte eine unverbrauchte Frische, eine Jugend mit
-Zukunftsaugen, nicht der Rest eines mit Arbeit und Gedanken überfüllten
-Lebens.</p>
-
-<p>Die praktische Verwertbarkeit der Dynamomaschine wurde<span class="pagenum"><a name="Seite_72" id="Seite_72">[S. 72]</a></span> gefördert
-durch die Einführung des sogenannten Pacinottischen Ringankers und des
-Hefnerschen Wickelungssystems (Trommelanker), aber erst Gramme baute
-im Jahre 1869 die erste wirklich gut funktionierende und industriell
-brauchbare Dynamomaschine, die kontinuierlichen Gleichstrom erzeugte.
-Werner v. Siemens hat selbstverständlich als der bedeutende Techniker
-und der klare Kopf, der er war, erkannt, daß die neue Erfindung
-eine große Tragweite besitze. An seinen Bruder Wilhelm schrieb er
-schon im Jahre 1866: „Die Effekte der dynamo-elektrischen Maschine
-müssen bei geeigneter Konstruktion kolossale werden. Die Sache ist
-sehr ausbildungsfähig und kann eine neue Ära des Elektromagnetismus
-anbahnen. Magnet-Elektrizität wird billig werden und kann nun zur
-Lichterzeugung, für elektrochemische Zwecke, ja selbst wieder zum
-Betriebe von kleinen elektromagnetischen Maschinen zum Vorteil
-verwandt werden.“ &mdash; Man sieht, das sind Worte, in denen die höchsten
-Erwartungen und Hoffnungen sich widerspiegeln, aber es ist merkwürdig,
-die Hand Werner v. Siemens war bei den Ausführungsmaßnahmen auf dem
-neuen, als gewaltig erkannten Gebiet nicht mehr so sicher, fest
-und glücklich wie früher, die Phantasie arbeitete nicht mehr so
-hoffnungsfreudig und kühn, und die Durchführung wirkt sozusagen kleiner
-als der Gedanke. Wenn Werner v. Siemens auch recht wohl erkannte, daß
-die Erzeugung starker Gleichströme und großer Strommengen für die
-Lichterzeugung von großer Bedeutung sein werde, so sah er doch auf
-diesem Gebiete hauptsächlich nur die äußerlich pompöse Bogenlampe, die
-in den 70er Jahren erfunden worden war, und für die Siemens &amp; Halske in
-der Hefner-Alteneckschen Differential-Lampe ein besonders gutes Modell
-besaßen. Die unscheinbarere, aber für die elektrische Beleuchtung viel
-wichtiger gewordene Glühlampe lehnte Siemens nicht gerade ab. Er ließ
-sich, als Emil Rathenau mit genialem Blick die großartige Zukunft
-dieser Lampe erkannt hatte und zu ihrer Einführung in Deutschland die
-Unterstützung der damals maßgebenden deutschen elektrotechnischen Firma
-nachsuchte, sogar ziemlich leicht von ihrem Wert überzeugen, aber seine
-ganze Stellung zur Glühlampe war doch mehr passiv. Sie mußte ihm erst
-plausibel gemacht, fast aufgedrängt werden. Er riß sie nicht an sich,
-wie er vor 30 Jahren den Telegraphen an sich gerissen hatte. Auch von
-der<span class="pagenum"><a name="Seite_73" id="Seite_73">[S. 73]</a></span> gewaltigen quantitativen Ausdehnungsfähigkeit der Dynamomaschine
-machte er sich nicht das richtige Bild. Als Emil Rathenau, der in
-den ersten Jahren seiner Tätigkeit für die Edison-Gesellschaft die
-Maschinen vertragsgemäß bei Siemens &amp; Halske bauen lassen mußte, von
-Siemens bis dahin unerhört große Maschinentypen verlangte, sah ihn
-der große Konstrukteur verwundert, und fast geringschätzig wie einen
-überspannten Dilettanten an, und sagte ihm: „Gewiß, bauen kann ich
-Ihnen solche Maschinen, aber gehen werden sie nicht.“ Emil Rathenau
-ließ die Maschinen schließlich aber doch bauen, und sie gingen nicht
-nur, sondern es gingen auch noch solche, neben denen sich seine ersten
-heute als Zwerge ausnehmen würden. Emil Rathenau reichte als positiver
-Techniker auch nicht entfernt an Werner v. Siemens heran, aber in
-diesen Dingen und zu diesen Zeiten hatte er den größeren technischen
-Weitblick.</p>
-
-<p>Auch im Kaufmännischen ging Werner v. Siemens nicht ganz mit der
-aufkommenden neuen Zeit mit, wenngleich ein Unternehmen, wie das von
-Siemens &amp; Halske naturgemäß genug innere Triebkraft und Elastizität
-besaß, um seine Stellung &mdash; allerdings hier und da nach einigem Zaudern
-&mdash; allen Methoden der Konkurrenz gegenüber zu verteidigen, und wo
-es nottat, sich ihnen anzupassen. Einrosten ließ diese Firma ihren
-Betrieb auch auf der Höhe der Entwicklung nicht, lebendig blieb ihr
-Geschäft auch in der Folgezeit, aber das <em class="gesperrt">Bahnbrechende</em> ging doch
-in mancher Hinsicht verloren. Das Kämpfen wurde nicht verlernt, aber
-doch das Angreifen und Erobern. Die Zeiten, in denen Werner Siemens
-nacheinander sechs Außenseiterlinien gegen den englischen Kabelring
-aufbot, und immer eine neue Linie begann, wenn sich der Ring mit der
-früheren verglichen hatte, wichen ruhigeren Perioden, in denen nicht
-das Erringen des Besitzes, sondern seine Wahrung dem Ganzen den Stempel
-aufdrückte. Das lag sozusagen an der zunehmenden „Klassizität“, in die
-sich Werner v. Siemens hineinwuchs. Der Grundzug seines Wesens war
-ja nie loderndes Temperament, heiße Flamme gewesen, wie sie manchmal
-auch Grauköpfe noch zu Ausbrüchen, Überraschungen, Neuerungen bringen
-mögen. Die ruhige Wärme, die gleichmäßige Kraft, die seiner ganzen
-Natur eigen war, gaben seinem reifen Alter etwas Zurückhaltendes,
-in sich Geschlossenes, manchmal Abweisendes. Eine gewisse &mdash;
-wenigstens äußere &mdash; Abkühlung war bei Menschen seines<span class="pagenum"><a name="Seite_74" id="Seite_74">[S. 74]</a></span> Schlages
-mit den zunehmenden Jahren nicht zu vermeiden. Wir haben bereits
-früher einmal gesagt, daß Werner v. Siemens in der Mitte zwischen
-Wissenschaft und Technik stand und durch die eine die andere zu erobern
-trachtete. In seinen späteren Jahren suchte er immer tiefer von dem
-Technischen in das Wissenschaftliche vorzudringen, und wie ernst seine
-Wissenschaftlichkeit nicht nur war, sondern auch von der Zunft und
-ihren Königen genommen wurde, zeigt sich darin, daß Männer wie Magnus,
-Dove, du Bois und Helmholtz ihm eng befreundet waren und ihn durchaus
-als ihresgleichen betrachteten. Du Bois-Reymond sagte von ihm, daß er
-nach Beanlagung und Neigung in weit höherem Maße der Wissenschaft als
-der Technik angehöre und Werner Siemens war mit dieser Charakteristik
-durchaus zufrieden. Er wurde philosophischer Ehrendoktor, Mitglied
-der Akademie der Wissenschaften, und war als solches nicht nur
-genötigt, sondern auch gern bereit, sich über Probleme der angewandten
-technischen Wissenschaft hinaus, auch mit rein naturwissenschaftlichen
-Untersuchungen und Arbeiten allgemeiner Art zu beschäftigen. Diese
-Beschäftigung und dieser Umgang mußten auch auf die kaufmännische Seite
-seiner Tätigkeit zurückwirken. Er wurde als Kaufmann sehr vornehm, und
-als der alte Kaiser Wilhelm ihm durch die Ernennung zum Kommerzienrat
-eine Ehre erweisen wollte, bemerkte er ablehnend zu dem Beauftragten
-des Monarchen: „Premierleutnant, Dr. phil. honoris causa und
-Kommerzienrat vertrügen sich nicht, das mache ja Leibschmerzen.“ &mdash; Es
-wäre indes völlig falsch, wenn man Werner Siemens, wie dies hier und da
-geschehen ist, kaufmännische Talente und Neigungen absprechen wollte.
-Er besaß sie in hohem Maße, wie sich schon in seiner ersten Periode der
-technischen Erfindungen, für die er mit großer Geschäftsgewandtheit
-noch als Offizier sofort die richtige kaufmännische Ausnutzung
-zu finden wußte, hinlänglich gezeigt hat; wie noch stärker die
-spätere meisterhafte Ausnutzung aller nationalen und internationalen
-Kaufmannschancen bewies. Man vergleiche damit z. B. die Weltfremdheit,
-mit der ein Gauß auf jede kommerzielle Verwertung seines Telegraphen
-verzichtet hatte, man vergleiche damit auch moderne Erfinder, wie
-Nernst, Röntgen, Ehrlich usw., die zwar &mdash; im Zeitalter der technischen
-Ausnutzung &mdash; sehr wohl verstanden, Industrielle für ihre Entdeckungen
-zu interessieren und Kapital aus ihnen zu schlagen, aber trotzdem
-Gelehrte<span class="pagenum"><a name="Seite_75" id="Seite_75">[S. 75]</a></span> gewesen und geblieben sind. Werner Siemens war &mdash; das kann
-man auch seiner eigenen anders lautenden Ansicht gegenüber aufrecht
-erhalten &mdash; im Kerne seines Wesens vor allem nicht nur praktischer
-Techniker, sondern auch praktischer Kaufmann. Er beherrschte nicht nur
-die großen, sondern auch die kleinen kaufmännischen Mittel und konnte
-nicht nur klug, sondern auch gerissen sein. Erst nachdem er sich in
-diesen Richtungen so weit ausgelebt hatte, als es die Bedingungen
-seiner Zeit und seine Veranlagung erlaubten, gab er der <em class="gesperrt">dritten
-Fähigkeit</em> seiner reichen Natur freie Bahn, die vielleicht nicht
-die innerste, aber doch die innerlichste seines Wesens war, in der
-er am reinsten und klarsten zu einer Vertiefung und Sammlung seiner
-Gedankenarbeit, zu einem einheitlichen, geschlossenen Wissensbild, zu
-einer Klarheit über sich, die Wurzeln und Kräfte seiner Welt gelangen
-konnte. Diese Verinnerlichung und Veredelung seines Wesens, die
-gewiß nur wenig mit Akademikerstolz, mit geschmeichelter Eitelkeit
-des wissenschaftlich Anerkannten zu tun hatte, ehrt den Menschen
-Siemens gewiß; diese schließliche seelische Intensivierung ist
-keine geringe ethische Leistung für einen von Hause aus praktisch
-veranlagten Menschen, dessen Leben lange Zeit im Zeichen der äußersten,
-vielgestaltigsten Expansion gestanden hatte. Dem industriellen Kaufmann
-und seinem Unternehmen hat sie naturgemäß nicht in gleicher Weise zum
-Vorteil gereicht.</p>
-
-<p>Die Starkstromtechnik brachte bald das zu Wege, was in den Zeiten der
-Schwachstromtechnik &mdash; wenigstens in Deutschland &mdash; nicht gelungen war.
-Es entstand neben Siemens &amp; Halske eine ganze Reihe von Unternehmungen,
-die sich im industriellen Großbetrieb der Elektrotechnik zuwandten.
-Auf dem Gebiete des Telegraphen und des Kabels hatten die Verhältnisse
-so gelegen, daß zur Gründung von Betrieben, die den Bau von großen
-Telegraphenlinien und Kabelverbindungen für fremde oder auch für
-eigene Rechnung unternehmen wollten, umfangreiche Kapitalien und
-eingehende Erfahrungen nötig waren. An solche Aufgaben traute man
-sich in Deutschland, besonders angesichts des Vorsprungs, den Siemens
-&amp; Halske darin erworben hatten, nicht heran. Für die Herstellung von
-Apparaten, Instrumenten und Materialien der Schwachstromindustrie
-genügten aber kleinere Mechanikerbetriebe, die der großgewerblichen
-Methoden entraten konnten, da es auf die feinmechanische Arbeit, nicht
-auf die Maschinentechnik ankam.<span class="pagenum"><a name="Seite_76" id="Seite_76">[S. 76]</a></span> Dies wurde mit einem Schlage anders,
-als die Starkstromtechnik auf dem Plane erschien. Dynamomaschinen,
-elektrische Lampen usw. ließen sich nur in fabrikmäßigen Betrieben
-herstellen. Hierzu waren aber weder &mdash; wenigstens in der ersten Zeit
-&mdash; besonders große Kapitalien nötig, noch war die weit überlegene
-Konkurrenz älterer Fabriken zu überwinden. Die Firma Siemens &amp; Halske
-mußte hier genau so von vorn anfangen, wie alle anderen Fabriken, und
-es gab eine ganze Menge von Fachleuten, die in der Maschinentechnik
-ebenso große, vielleicht noch größere Vorkenntnisse besaßen, als die
-Ingenieure dieser Firma. Gegen Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre
-entstanden infolgedessen mehrere elektrotechnische Fabriken, die sich
-vornehmlich der Starkstromindustrie zuwandten. Von ihnen sind besonders
-zu erwähnen die Elektrizitätsgesellschaft vorm. Schuckert und die
-Deutschen Elektrizitätswerke Garbe, Lahmeyer &amp; Co., die später in die
-Kommanditges. und schließlich in die Elektrizitäts-Aktiengesellschaft
-W. Lahmeyer &amp; Co. überführt wurde. Ihre Entstehung hat mit der
-Lichtelektrizität, die &mdash; ihrerseits vorbereitet durch die Konstruktion
-der Dynamomaschine &mdash; wiederum eine Reihe weiterer Unternehmungen wie
-die Deutsche Edison-Ges. (A. E. G.), die Helios-Elektrizitäts-Ges., die
-Elektrizitäts-Akt.-Ges. Kummer ins Leben rief, noch nicht viel zu tun.
-Jene Gründungen &mdash; Schuckert und Lahmeyer &mdash; beruhten hauptsächlich
-auf der Fabrikation von Dynamomaschinen. Besonders die Entwicklung
-der Schuckertschen Fabrik illustriert deutlich die Bedeutung, die die
-praktische Ausgestaltung der Dynamomaschine für die geschäftlichen
-Aussichten neuer Unternehmungen in der Elektrizitätsindustrie gehabt
-hat.</p>
-
-<p>Johann Sigmund Schuckert gehört zu den interessanteren Persönlichkeiten
-der deutschen Elektrizitätsindustrie, und darum seien seinem
-ungewöhnlichen Lebens- und Entwicklungsgang einige Worte gewidmet.
-Schuckert hat keine Ingenieurbildung erhalten, sondern er stammte aus
-ganz einfacher Mechanikerlaufbahn, und ist in dieser Hinsicht von allen
-bekannten Persönlichkeiten der deutschen Elektrizitätsindustrie am
-meisten Halske ähnlich. Während dieser aber alles, was er geworden ist,
-seinem Sozius Siemens verdankte, dessen fortreißende Persönlichkeit den
-für bescheidene Verhältnisse Geschaffenen über die ihm sonst gesetzten
-Grenzen hinaushob, ohne ihn<span class="pagenum"><a name="Seite_77" id="Seite_77">[S. 77]</a></span> doch auf der erreichten Höhe heimisch
-machen zu können, besaß Schuckert die <em class="gesperrt">Energien des Auftriebs</em>
-in sich selbst. In einer mechanischen Werkstätte seiner Vaterstadt
-Nürnberg duldete es ihn nur gerade die drei Lehrjahre. Dann ging er
-auf die Wanderschaft durch eine Reihe von größeren deutschen Städten.
-In Berlin arbeitete er eine Zeitlang im Betriebe von Siemens &amp; Halske.
-Allmählich brachte er es bis zum Werkmeister, die Mußestunden, die ihm
-seine Berufsarbeit ließ, zu seiner technischen Fortbildung benutzend.
-Sein Wandertrieb führte ihn schließlich nach Amerika, wo er auch
-bei Edison tätig war. Im Jahre 1873 kehrte er nach Nürnberg zurück,
-wo er eine kleine Werkstätte errichtete und sich mit der Reparatur
-von Nähmaschinen und der Herstellung von Instrumenten und Apparaten
-beschäftigte, die er zum Teil selbst konstruierte oder verbesserte.
-Seine Fabrikate verleugneten nicht den Fachmann, der die Elemente
-der Feinmechanik nicht nur technisch, sondern auch handwerklich bis
-ins Kleinste studiert hatte. Im Jahre 1875 baute er seine erste
-Dynamomaschine, und die vorzüglichen Eigenschaften, die sie besaß,
-schufen seinen Erzeugnissen Ruf, seinem Geschäft die Grundlage für den
-Aufschwung. Auch die Bogenlampe und später die Glühlampe traten hinzu,
-wodurch sich das Unternehmen allmählich zum größeren elektrotechnischen
-Etablissement auswuchs, das in Alexander Wacker einen tüchtigen
-Kaufmann fand, der die technische Arbeit Schuckerts so lange glücklich
-ergänzte, als er sich nicht zu unbeherrschten Experimenten hinreißen
-ließ.</p>
-
-<p>In technischer und kaufmännischer Hinsicht richteten sich die
-meisten der damals neugegründeten Firmen bis zum Beginn der 90er
-Jahre noch immer nach dem <em class="gesperrt">Vorbild</em> von Siemens &amp; Halske, die
-damals ihren Vorrang noch unbestritten behaupteten. Sie begannen als
-offene Handelsgesellschaften und sobald es galt, ihnen eine straffere
-handelsrechtliche Form zu geben, bedienten sie sich der Rechtsnatur
-der <em class="gesperrt">Kommanditgesellschaft</em>, die auch Siemens &amp; Halske (Inhaber
-Werners Bruder Karl und Werners Söhne Arnold und Wilhelm) nach dem
-im Jahre 1890 erfolgten Austritt Werner v. Siemens aus der Firma
-gewählt hatten. Erst später, als die A. E. G. sich immer stärker mit
-ihren neuen Geschäftsmethoden an die Seite von Siemens &amp; Halske und
-an dieser vorbei in den Vordergrund schob, wurde auch für die anderen
-Unternehmungen der Elektrizitätsindustrie die <em class="gesperrt">Aktiengesellschaft</em>
-die gegebene<span class="pagenum"><a name="Seite_78" id="Seite_78">[S. 78]</a></span> Form, für die sich Emil Rathenau schon bei der Gründung
-seiner Gesellschaft im Jahre 1883 ohne Zögern, und ohne an irgend
-welche Vorbilder zu denken, entschieden hatte. Selbst Siemens &amp;
-Halske konnten schließlich nicht umhin, ihr Unternehmen auch in
-dieser Hinsicht ihrer jüngeren Konkurrenz anzupassen und wandelten
-im Jahre 1897 ihre Kommanditgesellschaft als letzte der großen
-Elektrizitätsfirmen in eine Aktiengesellschaft um. Der Typ Rathenau
-hatte endgültig gesiegt. Werner v. Siemens, der im Jahre 1892 gestorben
-war, hatte diesen Umschwung allerdings nicht mehr erlebt. Ob er ihn
-gebilligt hätte, ist schwer zu sagen. Noch im Jahre 1889, als er
-seine Lebenserinnerungen schrieb, äußerte er sich über die Frage der
-rechtlichen Form von gewerblichen Unternehmungen folgendermaßen:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Es führt mich dies auf die Frage, ob es überhaupt dem allgemeinen
-Interesse dienlich ist, daß sich in einem Staate große Geschäftshäuser
-bilden, die sich dauernd im Besitze der Familie des Begründers
-erhalten. Man könnte sagen, daß solche großen Häuser dem Emporkommen
-vieler kleineren Unternehmungen hinderlich sind und deshalb schädlich
-wirken. Es ist das gewiß in vielen Fällen auch zutreffend. Überall,
-wo der Handwerksbetrieb ausreicht, die Fabrikation exportfähig zu
-erhalten, wirken große konkurrierende Fabriken nachteilig. Überall
-dagegen, wo es sich um die Entwicklung neuer Industriezweige und um
-die Eröffnung des Weltmarktes für schon bestehende handelt, sind große
-zentralisierte Geschäftsorgane mit reichlicher Kapitalansammlung
-unentbehrlich. Solche Kapitalansammlungen lassen sich heutigen
-Tages für bestimmte Zwecke allerdings am leichtesten in der Form
-von Aktiengesellschaften herbeiführen, doch können diese fast immer
-nur reine Erwerbsgesellschaften sein, die schon statutenmäßig nur
-die Erzielung möglichst hohen Gewinnes im Auge haben dürfen. Sie
-eignen sich daher nur zur Ausbeutung von bereits vorhandenen,
-erprobten Arbeitsmethoden und Einrichtungen. Die Eröffnung neuer Wege
-ist dagegen fast immer mühevoll und mit großem Risiko verknüpft,
-erfordert auch einen größeren Schatz von Spezialkenntnissen und
-Erfahrungen, als er in den meist kurzlebigen und ihre Leitung
-oft wechselnden Aktiengesellschaften zu finden ist. Eine solche
-Ansammlung von Kapital, Kenntnissen und Erfahrungen kann sich nur
-in lange bestehenden, durch Erbschaft in der Familie bleibenden
-Geschäftshäusern bilden<span class="pagenum"><a name="Seite_79" id="Seite_79">[S. 79]</a></span> und erhalten. So wie die großen Handelshäuser
-des Mittelalters nicht nur Geldgewinnungsanstalten waren, sondern
-sich für berufen und verpflichtet hielten, durch Aufsuchung neuer
-Verkehrsobjekte und neuer Handelswege ihren Mitbürgern und ihrem Staate
-zu dienen, und wie dies Pflichtgefühl sich als Familientradition
-durch viele Generationen fortpflanzte, so sind heutigen Tages im
-angebrochenen naturwissenschaftlichen Zeitalter die großen technischen
-Geschäftshäuser berufen, ihre ganze Kraft dafür einzusetzen, daß die
-Industrie ihres Landes im großen Wettkampfe der zivilisierten Welt die
-leitende Spitze, oder wenigstens den ihr nach Natur und Lage ihres
-Landes zustehenden Platz einnimmt.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Man sieht also, Werner v. Siemens fühlt das Bedürfnis, sich und
-seinen Typus des großindustriellen Geschäftshauses noch nach zwei
-Seiten hin zu verteidigen, einmal gegenüber dem von ihm überwundenen
-<em class="gesperrt">Handwerksbetrieb</em>, den er zur Zeit seiner Anfänge in Deutschland
-noch als den herrschenden vorgefunden hatte, ferner gegenüber dem
-Aktienbetrieb, der damals schon im Begriff war, seinen Typus zu
-überwinden. Inzwischen hat sich gezeigt, daß die Nachteile, die er
-den Aktiengesellschaften zuschreibt, nämlich die Notwendigkeit, hohe
-Gewinne zu erzielen und <em class="gesperrt">auszuschütten</em>, dieser Rechtsform
-zwar anhaften können, aber nicht anzuhaften brauchen. Es gibt
-Aktiengesellschaften, die Gewinne ebenso zurückzuhalten und im
-Betriebe weiterarbeiten zu lassen verstehen, wie Privathäuser.
-Man braucht gar nicht einmal an die Friedrich Krupp Akt.-Ges., an
-die Thyssenschen, Hanielschen Unternehmungen und an viele andere
-zu denken, deren Aktien sich in einer Hand oder in den Händen
-einer geschlossenen Gruppe befinden. Wir wissen jetzt, daß auch
-die eigentlichen Aktiengesellschaften, die nicht Privathäuser
-in Aktiengesellschaftsform, sondern republikanische Gebilde mit
-zersplittertem Aktienbesitz sind, die Nachteile, die ihnen Werner
-v. Siemens zuschreibt, sehr wohl vermeiden und über das jeweilige
-Aktionärinteresse hinaus bei zweckentsprechender Verwaltung eine solide
-<em class="gesperrt">Innenkultur</em> treiben können. Diesen Beweis hat kein anderer
-so glänzend erbracht, wie der zweite große technische Kaufmann der
-deutschen Elektrizitätsindustrie: Emil Rathenau.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_80" id="Seite_80">[S. 80]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Fuenftes_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Fünftes Kapitel</em><br />
-
-Licht</h2>
-
-</div>
-
-<p>Emil Rathenau benutzte, wie wir schon gehört haben, die Zeit
-zwischen seinen beiden Arbeitsperioden viel zu Reisen, die teils
-der Unterrichtung, teils der Erholung dienten. Auch der schwankende
-Gesundheitszustand seines zweiten Sohnes Erich, der seit einer
-schweren Erkältung, die er sich auf dem Eise zugezogen hatte, an einer
-Herzkrankheit litt, veranlaßte die Familie, häufig Kurorte und Bäder
-aufzusuchen. Es mag vielleicht nur ein eigenartiger <em class="gesperrt">Zufall</em> sein,
-daß Emil Rathenau, ebenso wie er sich die entscheidenden Anregungen
-für neue Phasen seiner beruflichen Tätigkeit auf Reisen holte &mdash; in
-England, von den Weltausstellungen in Philadelphia und Paris &mdash;,
-auch die wichtigsten persönlichen Beziehungen auf Reisen anknüpfte.
-Die Ausnutzung solcher Zufälle, in mancher Hinsicht möglicherweise
-auch die geeignete Prädisposition für ihre Herbeiführung, ist aber
-doch zweifellos von der „Reisestimmung“ begünstigt worden. Die
-größere Freiheit und Leichtigkeit der veränderten Atmosphäre, die
-Losgebundenheit von der latenten Trägheit, in die auch dieser Arbeiter
-trotz aller in ihm wirkenden Energien des Gedankens und der Tat
-ebenso wie andere Mitglieder seiner Familie gelegentlich verfallen
-konnte, wenn sein Leben sich in gewohnten Gleisen ohne zwingende
-Arbeitsnötigung hinspann, erfrischten und verjüngten ihn, hoben seine
-Entschlußkraft und sein Selbstvertrauen. „Geistige Luftveränderung“
-ist ihm stets sehr gut bekommen, so wenig auch für ihn ein dauernder
-Ortswechsel denkbar war. Wir werden später sehen, daß Emil Rathenau
-die finanzielle Beihilfe zur Gründung seiner Deutschen Edison
-Gesellschaft einer zufälligen Begegnung in Bad Langenschwalbach
-verdankte. Auch die Anknüpfung näherer Beziehungen zu Werner v.
-Siemens, die so wichtig für<span class="pagenum"><a name="Seite_81" id="Seite_81">[S. 81]</a></span> ihn werden sollten, vollzog sich auf
-einer Schweizer Reise. Kennen gelernt hatte Rathenau den Altmeister
-der deutschen Elektrizität, wie wir schon berichteten, bereits lange
-vorher, als er noch Besitzer der Maschinenfabrik Webers war. Am
-Anfang der 70er Jahre hatte Emil Rathenau mit Siemens, Schwartzkopff
-und anderen der kleinen Vereinigung Berliner Fabrikanten angehört,
-die durch patriarchalische Wohlfahrtseinrichtungen, wie den Bau von
-Arbeiterhäusern gehofft hatten, der jungen sozialdemokratischen
-Bewegung den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Die Bekanntschaft
-war damals aber nur ziemlich oberflächlicher Art gewesen. Zwischen
-dem berühmten technischen Industriellen und dem bescheidenen jungen
-Fabrikbesitzer war es zu einem näheren Verkehr nicht gekommen.
-Immerhin war die frühere Beziehung dazu hinreichend, daß sich Werner
-v. Siemens des damaligen Vereinsgenossen erinnerte, als dieser auf der
-Rückreise vom Engadin in Bad Alveneu mit ihm zusammentraf. Nach dem
-Mittagessen entspann sich eine zunächst wohl konventionell einsetzende,
-dann allmählich wärmer werdende Unterhaltung. Man erörterte die
-Möglichkeiten des damals aufkommenden elektrischen Lichts. Rathenau,
-der gerade über Zukunftsprobleme zündend zu sprechen wußte, beklagte
-die Rückständigkeit Berlins in der elektrischen Beleuchtung gegenüber
-Paris, wo die Avenue de l’opéra und die Place de la Concorde jeden
-Abend im Glanz von Jablochkoff-Kerzen erstrahlten. Emil Rathenau,
-der sich &mdash; wie wir wissen &mdash; vorübergehend selbst mit dem Plan, die
-Jablochkoff-Patente für Deutschland zu erwerben, beschäftigt, die Idee
-aber bald wieder fallen gelassen hatte, warf die Bemerkung hin, daß die
-Leipziger Straße mit Hefner-Altenecks Differential-Lampen beleuchtet,
-die französische Hauptstadt in Schatten stellen würde. Werner v.
-Siemens gefiel die Anregung, vielleicht schmeichelte sie ihm auch nur,
-und er lud Rathenau ein, in Berlin weiter darüber zu sprechen. Bei
-seinem Besuch begleitete er Rathenau zur Tür des Chefkonstrukteurs,
-mit dem Rathenau persönlich bekannt war, seitdem er für die erste
-von Siemens &amp; Halske konstruierte elektrische Scheinwerferanlage die
-Dampfmaschine geliefert hatte. Hefner-Alteneck, der merkwürdigerweise
-seiner eigenen Erfindung nur eine beschränkte praktische Entwickelung
-zuzutrauen schien, fragte Rathenau skeptisch, ob ihm der Alte gesagt
-hätte, wie er die Aufgabe zu lösen denke oder ob er selbst es wisse.
-Ihm sei das Problem schleierhaft.<span class="pagenum"><a name="Seite_82" id="Seite_82">[S. 82]</a></span> Hefner-Alteneck dachte bei diesem
-Ausspruch vielleicht noch mehr als an die technische Schwierigkeit der
-Anlage an die schwer zu überwindende Konkurrenz der Gasbeleuchtung,
-die bereits im Jahre 1880, bei einem Versuch, den Pariser Platz
-mit Bogenlampen zu beleuchten, hervorgetreten war. Die probeweise
-hergestellte Anlage war damals nicht zur Ausführung gekommen, weil
-die Gasfachleute das neue elektrische Licht wirksam zu übertrumpfen
-in der Lage gewesen waren. Mit etwas bitterer Selbstironie hatte
-Hefner-Alteneck damals bemerkt, daß es zu den guten Eigenschaften des
-elektrischen Lichtes gehörte, überall da, wo es sich auch nur von ferne
-blicken lasse, zu einer mächtigen Gasbeleuchtung die Veranlassung
-zu bieten. Daß der Gedanke Rathenaus, die Leipziger Straße mit
-Differentiallampen zu beleuchten, übrigens doch nicht so ganz aus der
-Welt lag, zeigte sich etwa 1½ Jahre später. Damals &mdash; im Herbst
-1882 &mdash; führten Siemens &amp; Halske nach einem kurzen Versuche mit einer
-Glühlichtbeleuchtung in der Kochstraße eine Bogenlampenbeleuchtung
-in der Leipziger Straße durch. Beide fanden aber keinen so rechten
-Anklang beim Publikum. Das Glühlicht in der Kochstraße imponierte
-infolge der noch unentwickelten Lampen, die sich mit ihrem roten Licht
-kaum vom Gas unterschieden, nur wenig, das Bogenlicht in der Leipziger
-Straße, das von 4 Deutzer Gasmaschinen zu je 12½ PS erzeugt wurde,
-stellte sich, trotzdem mit der verwendeten Gasmenge die zehnfache
-Lichtwirkung wie beim reinen Gaslicht erzielt wurde, sehr teuer, denn
-die Lampenbrennstunde kam auf 38 Pfennige zu stehen. Rathenau, der die
-Unvollkommenheit der Siemensschen Versuche nicht verkannte, sprach
-damals die Überzeugung aus, daß trotz alledem der Sieg des elektrischen
-Lichts in der Straßenbeleuchtung nicht ausbleiben werde.</p>
-
-<p>Die Möglichkeit, mit Siemens &amp; Halske an der elektrischen Beleuchtung
-Berlins zu arbeiten, war jedenfalls nach jenem Besuch bei Werner
-Siemens, der sich nur halbinteressiert gezeigt hatte, und bei
-Hefner-Alteneck, der Rathenau &mdash; zum Teil vielleicht aus einem
-Konkurrenzgefühl heraus &mdash; völlig abgewiesen hatte, vorerst erledigt.
-Sie stellte für ihn aber nicht den einzigen oder auch nur den besten
-Weg dar, auf dem er sich dem Gebiet der elektrischen Beleuchtung
-nähern konnte. Dazu war er &mdash; die große Zukunft der Lichtelektrizität
-erkennend &mdash; fest entschlossen. War es nicht die Differentiallampe,<span class="pagenum"><a name="Seite_83" id="Seite_83">[S. 83]</a></span>
-die er Siemens gegenüber wohl nur vorgeschlagen hatte, weil er so am
-schnellsten dessen mächtige Unterstützung zu finden hoffte, so war es
-ein anderer Typus. Diesen fand er mit divinatorischer Sicherheit auf
-der Pariser Elektrizitäts-Ausstellung im Jahre 1881, wo Thomas Alva
-<em class="gesperrt">Edison</em> sich eben anschickte, sein neues Beleuchtungssystem, in
-dessen Mittelpunkt als Hauptstück die <em class="gesperrt">Kohlenfadenlampe</em> stand,
-der europäischen Öffentlichkeit vorzuführen.</p>
-
-<p>Bevor wir uns der Edisonschen Erfindung und ihrer umwälzenden
-Bedeutung für die Lichtelektrizität zuwenden, wollen wir einen kurzen
-Rückblick auf die früheren Versuche auf dem Gebiete des elektrischen
-Lichts werfen. Die erste &mdash; allerdings nicht praktisch gewordene &mdash;
-Verwendung der Elektrizität zur Erzeugung von Licht ist sehr früh
-erfolgt, lange bevor der elektrische Telegraph, der doch mehr als ein
-Menschenalter vor dem elektrischen Licht die Welt eroberte, entdeckt
-worden war. Der berühmte englische Chemiker Humphry <em class="gesperrt">Davy</em>
-stellte im Jahre 1808, also nur 18 Jahre nach der Entdeckung Galvanis,
-den fundamentalen, für seine eigene wissenschaftliche Leistung
-allerdings nur nebensächlichen Versuch an, der unter dem Namen des
-elektrischen Lichtbogens berühmt geworden ist und die Grundlage
-für das Verfahren der Bogenlichterzeugung bildet. Davy hatte zwei
-zugespitzte Kohlenstäbchen mit den Polen einer galvanischen Kette
-verbunden, und beobachtete, daß zwischen den Spitzen eine leicht
-gebogene Flamme entstand, wenn man die vorher in Berührung gebrachten
-Kohlenspitzen vorsichtig auseinanderzog. Von da bis zur Anwendung der
-Bogenlampe in der Praxis war aber ein weiter Weg. Solange man auf
-Schwachstrom angewiesen war, kam man über vereinzelte Versuche nicht
-hinaus, als gebräuchliches Beleuchtungssystem wollte die Bogenlampe
-nicht Fuß fassen. Im Jahre 1846 wurde die Lampe, der „potenzierte
-Mondschein“, wie man sie damals nannte, bei der Erstaufführung der
-Meyerbeerschen Oper „Der Prophet“ in Paris als Bühnenbeleuchtung
-benutzt. Als Straßenbeleuchtung erschien das neue Licht zu grell und
-„augenschädlich“. Diese ungünstigen Eigenschaften verbunden mit einer
-noch ziemlich starken Unzuverlässigkeit des Lichtes, ließen den Versuch
-einer Straßenbeleuchtung, den Jacobi im Jahre 1850 in Petersburg
-machte, scheitern. Dagegen erwies es sich gerade der genannten
-Eigenschaften wegen als besonders geeignet für Leuchtturmlicht.
-Und besonders nachdem der berühmte englische Elektro-<span class="pagenum"><a name="Seite_84" id="Seite_84">[S. 84]</a></span>Physiker
-<em class="gesperrt">Faraday</em> zum wissenschaftlichen Berater der Korporation, die
-die Instandhaltung des gesamten englischen Leuchtturmwesens zur
-Aufgabe hatte, ernannt worden war, fand das Bogenlicht ausgedehnte
-Anwendung bei Leuchttürmen. Dabei bediente sich Faraday aber als
-Kraftquellen nicht mehr großer galvanischer Batterien, wie das bei
-den früheren Versuchen (auch in St. Petersburg) geschehen war,
-sondern von ihm hergestellter magnetelektrischer Maschinen, die nach
-dem von Faraday entdeckten Prinzip der Induktion hergestellt worden
-waren. Diese Maschinen, bei denen die induzierende Wirkung durch
-die Kraft permanenter Stahlmagnete hervorgerufen wurde, arbeiteten
-indes trotz ihrer Größe und im Verhältnis zu ihrer Größe wie ihren
-Kosten sehr unökonomisch, so daß sich ihre Verwendung für Zwecke,
-in denen andere, billigere Beleuchtungsarten zur Verfügung standen
-und nicht besonders starke Einzellichter benötigt wurden, verbot.
-Erst die Erfindung des dynamoelektrischen Prinzips, bei dem sich die
-induzierenden Magnete und der erzeugte Strom gegenseitig verstärkten,
-und die hieraus folgende schnelle Entwickelung immer vollkommenerer
-Dynamomaschinen schufen hierin Wandel. Es schoß bald eine große
-Anzahl von Bogenlampen-Konstruktionen aus dem Boden. Das ganze System
-krankte aber noch an dem Nachteil, daß für jede Lampe eine besondere
-Dynamomaschine als Kraftquelle benötigt wurde, was das Bogenlicht als
-Beleuchtung dem aus zentralen Kraftquellen gespeisten Gas unterlegen
-machte. Die erste Erfindung, nach der aus <em class="gesperrt">einer</em> Maschine mehrere
-Stromkreise gespeist werden konnten, ging von Jablochkoff aus, von
-dessen Lampen wir bereits mehrfach, unter anderem zum Beginn dieses
-Kapitels gesprochen haben. Das Pariser Warenhaus „Louvre“ wurde zuerst
-mit Jablochkoff-Kerzen erleuchtet, es folgten mehrere öffentliche
-Plätze und Straßen in Paris, darunter die Avenue de l’opéra, deren
-strahlendes Licht Emil Rathenau als Berliner Lokalpatriot in Gegensatz
-zu der rückständigen Beleuchtung seiner Vaterstadt gestellt hatte.
-Zur Krafterzeugung für diese eine kurze Straße waren damals noch
-drei Zentralstationen notwendig. Kurze Zeit später, im Jahre 1878,
-konstruierte Hefner-Alteneck die nach ihm benannte Differentiallampe,
-deren Prinzip von Werner Siemens herrührt. Hier wurde derselbe Erfolg
-der Speisung mehrerer Lampen aus einer Kraftquelle solider und
-vollkommener erreicht als bei Jablochkoff, wobei die Differentiallampe
-auch durch andere Verbesse<span class="pagenum"><a name="Seite_85" id="Seite_85">[S. 85]</a></span>rungen, wie die Verwendung der sogenannten
-Dochtkohlen, reineres Licht usw. ausgestaltet worden war. Dennoch
-war man, wie wir gesehen haben, im Hause Siemens &amp; Halske nicht so
-wagemutig und unternehmend wie in Paris, was die Beleuchtung von
-öffentlichen Straßen mit Bogenlampen anlangt. Werner Siemens stand
-derartigen neuen Problemen passiver gegenüber als den Erfindungen
-seiner Jugendzeit, und dem Konstrukteur Hefner-Alteneck fehlte
-bei aller Tiefe und Gründlichkeit der technischen Anschauung doch
-der Feuergeist und die Einbildungskraft des großen Erfinders. Man
-beschränkte sich zunächst auf die Beleuchtung von Hallen, Innenräumen
-usw. und der Gedanke der zentralen Kraftstation auch in der
-primitivsten Form war den vorsichtigen Technikern der Firma Siemens &amp;
-Halske noch „schleierhaft“.</p>
-
-<p>Die große Belebung sollte der Industrie des elektrischen Lichtes aber
-nicht von der Bogenlampe, sondern von der <em class="gesperrt">Glühlampe</em> kommen.
-Die Bogenlampe war bei ihrer großen Intensität und Lichtstärke nur
-für die Beleuchtung von Straßen und großen Innenräumen zu verwenden,
-nicht für die Erhellung von Wohnräumen. Ihr Licht brannte &mdash; namentlich
-in der ersten Zeit &mdash; flackerig und unregelmäßig und sie sonderte
-verhältnismäßig viel Kohlenruß ab.</p>
-
-<p>Experimentelle Versuche mit der Glühlampe sind gleichfalls schon sehr
-früh angestellt worden. Das Prinzip bestand darin, Kohlen oder Metalle
-in luftleer gemachtem Raume so zu erhitzen, daß sie leuchteten, ohne
-zu verbrennen. Als im Jahre 1859 C. G. Farmer in Newport sein Haus
-mit 42 Platinfaden-Lampen beleuchtete, war dies nicht der erste, wohl
-aber der erste größere Versuch dieser Art. Eine weitere Ausdehnung
-der Erfindung scheiterte auch hier daran, daß große galvanische
-Batterien, auf die man vorläufig als Kraftquellen angewiesen blieb,
-sehr teuer herzustellen waren und trotzdem eine für praktische Zwecke
-nur beschränkte Kraftmenge lieferten. Im Großen gelang erst Thomas Alva
-<em class="gesperrt">Edison</em>, dem Verbesserer des Mikrophons &mdash; unter Benutzung von
-Dynamomaschinen &mdash; die Herstellung und Verwendung von Glühlampen. In
-seinem Laboratorium zu Menlo-Park, einem Vorort von New York, begann
-Edison im Jahre 1878, angeregt durch den Anblick der ersten Bogenlampe,
-die er sah, und deren Mängel er bei aller Bewunderung sofort erkannte,
-mit Hilfe eines Kreises von Assistenten und Schülern die systema<span class="pagenum"><a name="Seite_86" id="Seite_86">[S. 86]</a></span>tische
-Arbeit an der Glühlampe, die er trotz aller anfänglichen Fehlschläge
-mit großer Zähigkeit fortsetzte. Es ist eigentümlich, daß Edison
-seine ersten Versuche nicht mit Kohlenfäden, sondern mit Metallfäden
-machte, zu denen ja die Glühlampenindustrie in neuerer Zeit schließlich
-nach dem Umwege über die Kohlenfadenlampe wieder zurückgekehrt ist.
-Damals mißglückten die 13 Monate lang fortgeführten Versuche mit
-Platindrähten, mit Platin-Iridiumdrähten und anderen Metallen, weil es
-nicht gelingen wollte, die Drähte bei genügender Erhitzung unschmelzbar
-zu machen. Versuche, die Drähte mit Oxyden zu umwickeln, ließen eine
-Lampe mit hoher Widerstandsfähigkeit entstehen, aber solche Lampen
-erlitten bald Kurzschluß. Durch einen Zufall kam Edison auf die
-Idee, Kohlenfäden zu benutzen. Das Experiment glückte mit verkohlten
-Baumwollfäden, aber die Brenndauer der Lampe war noch nicht lang
-genug. Es dauerte noch einige Zeit, ehe er den geeigneten Stoff zur
-Herstellung der Kohlenfäden in den Bambusfasern gefunden hatte. Mit der
-Erzeugung der Lampe, auf die Edison bald in Amerika und Europa Patente
-nahm, war aber nur der Keim der neuen Beleuchtungsart gefunden. Für das
-ihm im Januar 1880 erteilte amerikanische Patent auf die Glühlampe hat
-Edison folgende Beschreibung seiner Erfindung geliefert:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Ich, Thomas Alva Edison, von Menlo Park, New-Jersey, Vereinigte
-Staaten von Amerika, habe eine Verbesserung an elektrischen Lampen
-und in der Methode der Fabrikation dieser Lampen erfunden, die ich im
-Folgenden einzeln beschreibe:</p>
-
-<p>Das Objekt dieser Erfindung ist die Herstellung elektrischer
-Lampen mit weißglühendem Licht, die einen so starken Widerstand
-leisten, daß sie die praktische Verteilung des elektrischen Lichtes
-gestatten. Die Erfindung beruht auf einem Licht spendenden Körper von
-verkohltem Draht, der dergestalt gedreht ist, daß er dem Durchgang
-des elektrischen Stromes hohen Widerstand leistet und gleichzeitig
-nur eine geringe Oberfläche für die Ausstrahlung darbietet. Die
-Erfindung besteht ferner in der Verwendung von Brennern von großer
-Widerstandskraft in einem nahezu vollkommenen Vakuum, die das Oxydieren
-und eine Beschädigung des Konduktors durch die Luft verhindern. Der so
-durch Platindrähte in die evakuierte Birne geleitete Strom wird im Glas
-verschlossen. Die Erfindung umfaßt<span class="pagenum"><a name="Seite_87" id="Seite_87">[S. 87]</a></span> ferner die Methode der Herstellung
-von Konduktoren aus Kohlenstoff von hoher Widerstandskraft, damit sie
-imstande sind, ein weißes Glühlicht zu liefern.</p>
-
-<p>Vordem hat man weißes Glühlicht von Kohlenstiften mit ein bis vier Ohm
-Widerstand erhalten und in verschlossenen Gefäßen gehabt, worin die
-Luft durch Gase ersetzt war, die sich chemisch nicht verbinden. Die
-Leitungsdrähte sind immer stark gewesen, so daß ihre Widerstandskraft
-manchmal geringer als jene des Brenners ist. Überhaupt waren die
-Versuche früherer Arbeiter darauf gerichtet, den Widerstand des
-Kohlenstifts zu vermindern. Die aus dieser Praxis erwachsenden
-Nachteile sind, daß eine Lampe mit nur ein bis vier Ohm Widerstand
-in großer Anzahl zu vielfachem Bogenlicht nicht ohne Verwendung von
-Konduktoren von enormen Dimensionen zu benutzen ist, sowie daß wegen
-des geringen Widerstands der Lampe, die Leitungsdrähte stark und die
-Konduktoren gut sein müssen, und eine Glaskugel nicht dicht gehalten
-werden kann, wo die Drähte eingeleitet und fest verbunden sind. Deshalb
-verzehrt sich der Kohlenstift, weil stets ein vollkommenes Vakuum
-vorhanden sein muß, um den Kohlenstift dauerhaft zu erhalten, besonders
-wenn dieser nur klein ist und hohen elektrischen Widerstand leistet.</p>
-
-<p>Die Verwendung von Gas in dem Empfänger führt bei dem Luftdruck,
-wiewohl dieser die Kohle nicht angreift, in kurzer Zeit zur Zerstörung,
-entweder durch das Ausfegen durch die Luft, oder durch die von dem
-rapiden Durchströmen des Gases über die nur lose verbundene, noch
-erhitzte Oberfläche der Kohle erzeugte Reibung. Die Methode habe
-ich umgestaltet. Ich habe gefunden, wie selbst ein gut verkohlter
-Baumwollfaden in einer verschlossenen Glasbirne, woraus die Luft bis
-auf ein Millionstel gepumpt ist, dem Durchgang des Stromes 100&ndash;500 Ohm
-Widerstand leistet, und daß er auch bei sehr hoher Temperatur durchaus
-aushält. Ferner, daß, wenn der Faden als Spirale gedreht und verkohlt
-ist, oder wenn die Fasern gewisser Pflanzen, die einen Rückstand von
-Kohle aufweisen, nach Erhitzung in einem geschlossenen Raum gedreht
-werden, sie bis zu 2000 Ohm Widerstand leisten, ohne zur Ausstrahlung
-einer größeren Oberfläche als drei Sechzehntel eines Zolls zu bedürfen.
-Baumwoll- und Leinenfaden habe ich verkohlt probiert, Holzsplitter, auf
-verschiedene Weise gedrehte Papiere, auch Lampenruß, Graphit und<span class="pagenum"><a name="Seite_88" id="Seite_88">[S. 88]</a></span> Kohle
-in der verschiedensten Weise mit Teer gemischt und daraus Drähte von
-verschiedener Länge und Stärke gedreht.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Mit der bloßen Konstruktion der Glühlampe begnügte sich indes ein
-Mann der praktischen Ausnutzung wie Edison nicht. Er glaubte seine
-Arbeit nicht eher beendigen zu können, als bis er ein bis ins Kleinste
-durchkonstruiertes, alle Erfordernisse der praktischen Nutzbarkeit
-berücksichtigendes Beleuchtungssystem fertiggestellt hatte. Die
-Hauptstücke waren die Glühlampe und die nach damaligen Begriffen
-riesige Stromerzeugungsmaschine (im Volksmund Jumbo genannt), ein
-sogenannter „Schnelläufer“ von 150 PS. Die Verbindung zwischen beiden
-hatte ein mit allen Finessen feinmechanischer Inspiration ausgedachtes
-und ausgeführtes Netz von Apparaten zu schaffen. Emil Rathenau, der
-das Ganze auf der Pariser Ausstellung sah, schilderte den Eindruck
-folgendermaßen: „Edisons Beleuchtungssystem war bis in die Einzelheiten
-so genial erdacht und sachkundig durchgearbeitet, daß man meinte,
-es sei in unzähligen Städten jahrzehntelang erprobt gewesen. Weder
-Fassungen, Umschalter, Schmelzsicherungen, Lampenträger noch andere
-zur Installation gehörige Gegenstände fehlten, und die Stromerzeugung,
-die Regulierung, die Leitungen mit ihren Abzweigen, Hausanschlüssen,
-Elektrizitätsmessern usw. waren mit staunenswertem Verständnis und
-unvergleichlichem Genie durchgebildet.“</p>
-
-<p>Dem Eindruck, wie ihn Rathenau hier 27 Jahre nach dem auslösenden
-Erlebnis schilderte, ist wohl, wie wir das schon in einem anderen Falle
-feststellen zu können glaubten, ein gewisser Schuß retrospektiver
-Phantasie beigemischt. So urteilte nicht der unmittelbar Erlebende,
-sondern der Zurückschauende, der inzwischen eine lange Periode der
-Entwickelung, Durchbildung und Vervollkommnung mit angesehen und
-sein ganzes Leben und Tun mit ihr so identifiziert hatte, daß er die
-Fähigkeit zur historischen Kritik vielleicht nicht mehr in vollem Maße
-besaß. Gewiß, Rathenau, dem die Gabe in seltenem Maße zu eigen war,
-eine Erfindung &mdash; auch wenn sie nur in ihrer Urzelle vorlag &mdash; mit
-blitzschneller Prophetie bis zu ihrer höchsten Vollendung zu Ende zu
-denken, hat in Paris in dem Edisonlicht mehr gesehen als alle anderen,
-vielleicht sogar mehr als der Erfinder selbst. Er war überhaupt wohl
-der einzige, der die <em class="gesperrt">ganze</em> Zukunftskraft der Erfindung erfaßte,
-wie er denn auch derjenige gewesen<span class="pagenum"><a name="Seite_89" id="Seite_89">[S. 89]</a></span> ist, der am meisten zu ihrer
-Ausbildung getan hat. Seine Tat war vom technischen Standpunkt aus
-betrachtet keine primäre, sondern eine „zweithändige“, aber technisch
-doch keine Epigonenleistung und praktisch direkt von schöpferischer
-Prägung. Um dies zu verstehen, muß man sich vergegenwärtigen, daß
-der <em class="gesperrt">allgemeine</em> Eindruck des Edisonlichts in Paris durchaus
-nicht einhellig und mit dem Rathenaus identisch war. Es gab gewiß
-genug Leute, die von der neuen Erfindung fasziniert waren, ohne doch
-ihren ganzen Zukunftswert zu erfassen. Es gab auch wieder andere,
-die kühl blieben und das Glühlicht &mdash; ohne seinen praktischen Wert
-ganz zu verneinen &mdash; weit hinter das Bogenlicht stellten. Es fehlte
-aber auch schließlich nicht an Fachleuten, die die ganze Geschichte
-für Humbug, für eine Spielerei erklärten. So hielt ein namhafter
-Techniker im Saal der Ausstellung einen wissenschaftlichen Vortrag,
-in dem er die Edisonsche Erfindung mit Ironie abtat und am Schluß die
-Behauptung aufstellte, daß in Paris eine Edisonsche Glühlichtanlage
-zum ersten, aber wohl auch zum letzten Male im Betrieb gewesen sei.
-Derartige Aussprüche können heute nur noch komisch wirken. Immerhin
-war die Edison-Beleuchtung &mdash; das sollte gerade Rathenau in den ersten
-Jahren, als er sich praktisch mit Installationen befaßte, erfahren
-&mdash; keineswegs so vollkommen, wie er sie rückschauend geschildert
-hat. Sie litt vielleicht nicht in der Anlage, wohl aber in der
-Durchführung an großen Mängeln und Unvollkommenheiten. Edison ist
-stets mehr ein genialer Experimentierer, ein origineller Erfinder,
-als ein systematischer Forscher, ein exakter Konstrukteur gewesen.
-Diesen Stempel trug auch seine Pariser Glühlichtanlage, und alles
-was er in derselben Art bereits in Amerika gemacht hatte, deutlich
-an der Stirn. Besonders die Maschinen waren nicht gut konstruiert,
-und noch schlechter ausgeführt. Es war alles mehr empfunden, als
-genau errechnet; die Maße der Spannungen und Belastungen usw.
-waren in ziemlich primitiver empirischer Weise gewählt, sozusagen
-nach dem Gefühl. Man hielt sich an eine Schablone, die man bei den
-ersten Versuchen gefunden hatte und war zufrieden, wenn sie halbwegs
-stimmte. Den Grundsatz „Probieren geht über Studieren“ hat auch die
-Arbeit des Autodidakten Edison trotz ihrer genialen Faktur nicht
-verleugnet. Gewiß leidet jede große Erfindung unter derartigen
-anfänglichen Unvollkommenheiten der Ausführung und des Details, aber
-es ist sehr fraglich, ob die damalige<span class="pagenum"><a name="Seite_90" id="Seite_90">[S. 90]</a></span> amerikanische Elektrotechnik
-imstande gewesen wäre, sie so schnell zu beseitigen, wie dies Rathenau
-später tat. Jedenfalls waren derartige Mängel in Paris vorhanden,
-und während ein technisch-kritisches Genie wie Rathenau über diese
-leicht zu beseitigenden Nebensächlichkeiten hinwegblickte und nur den
-genialen Kern der Idee und den guten Grundzusammenhang der ganzen
-Anlage sah, blieben kleinere Geister, weniger scharfe Augen an den
-mangelhaften Äußerlichkeiten haften und erschöpften ihre Kritik an
-ihnen. &mdash; Trotzdem aber die Wirkung der Edisonschen Ausstellung
-gerade in Fachkreisen keine einhellige war, ist selten der Eindruck
-einer technischen Demonstration so nachhaltig gewesen, wie der des
-Edison-Lichts in Paris.</p>
-
-<p>Die Pariser Elektrizitätsausstellung vom Jahre 1881 erlangte für
-das elektrische Glühlicht dieselbe epochemachende Bedeutung wie
-die Pariser Weltausstellung von 1878 für das Bogenlicht. Die
-französische Hauptstadt war damals das unbestrittene Zentrum der
-modernen Elektrizitätsentwickelung, die gerade in ihr effektvollstes,
-brillantestes Stadium, das der „Lichtwunder“ getreten war. Während
-Frankreich in der früheren Geschichte der angewandten Elektrizität
-keine besonders ausschlaggebende Rolle gespielt, in der Technik der
-elektrischen Telegraphen, Kabel und Maschinen den Pionierländern
-Amerika, England und Deutschland nur eben gefolgt war, riß es in der
-Beleuchtungsfrage oder wenigstens in ihrer ersten praktischen Anwendung
-(denn von den grundlegenden Erfindungen der Lichtelektrizität war
-in Frankreich keine gemacht worden) die Führung an sich. Für diese
-Erscheinung können zwei Gründe angeführt werden. Einmal war gerade der
-französische Volkscharakter und der ihm anhaftende Ehrgeiz, in seiner
-Hauptstadt Paris die erste Welt- und Fremdenstadt der Erde zu sehen,
-besonders empfänglich für Wirkungen, wie sie das elektrische Licht als
-großstädtischer Faktor ausüben mußte. Ferner war besonders die damalige
-Zeit, in der sich die französische Republik von dem militärischen
-und politischen Schlage des Krieges von 1870/71 zu erheben begann,
-angefüllt mit leidenschaftlichen Bemühungen, das an Prestige auf
-jenen Gebieten Verlorene durch wirtschaftliche und kulturelle Werke,
-oder vielleicht besser durch wirtschaftliche und kulturelle Effekte
-wettzumachen. Die Republik warb mit solchen Mitteln aufs neue um die
-Bewunderung der Welt, die den Diplomaten und Soldaten des Kaiserreichs<span class="pagenum"><a name="Seite_91" id="Seite_91">[S. 91]</a></span>
-durch den unglücklichen Krieg zu einem großen Teile verloren gegangen
-war. Die Weltausstellung wurde hier in die moderne internationale
-Form gegossen, in der sie die nächsten Jahrzehnte beherrschen sollte,
-als ein Mittelding zwischen einer wissenschaftlichen, technischen
-und gewerblichen Demonstrationsstätte und einem den Fremdenverkehr
-anziehenden Sensations- und Amüsierbetrieb. Sie war hier nicht
-so sehr der Ausdruck einer großen gewerblichen und technischen
-Leistungsfähigkeit und Fortschrittlichkeit, deren überquellende innere
-Kräfte nach äußerer Darstellung drängten, als die Bekundung eines
-ehrgeizigen Glänzenwollens. Nicht die Befriedigung des Schaffens,
-sondern der Drang nach Wirkung beherrschte diese Ausstellungen, und
-gerade der Umstand, daß das eigene Schaffen der französischen Nation
-damals nicht auf einer Höhe stand, die es gestattete, großartige
-Ausstellungswirkungen hervorzurufen, ließ es notwendig erscheinen,
-den <em class="gesperrt">Welt</em>charakter der Ausstellungen in bisher nicht üblich
-gewesener starker und wie man zugeben muß national vorurteilsloser
-Weise zu betonen. Dieses Weltausstellungssystem ist im Laufe der
-Jahre, als es jede mittlere Nation, jede mäßig interessante Stadt
-nachzuahmen versuchte, allmählich zu Tode gehetzt worden und es verlor
-an Zugkraft, je häufiger sich derartige Ausstellungen wiederholten.
-Das Ungewöhnliche wird gewöhnlich, wenn es regelmäßig wiederkehrt und
-dabei noch verkleinlicht wird. Die Welt stumpft gegen Sensationen ab,
-die einander zu ähnlich sehen. Trotz dieser späteren Entwickelung und
-trotz der zweifelhaften Motive, die den ersten Pariser Ausstellungen
-zu Grunde lagen, darf ihr gewaltiger Wert für die Verbreitung und
-Popularisierung technischer Fortschritte nicht verkannt werden. Gerade
-auf dem Gebiete der elektrischen Lichtindustrie haben sie durch die
-überzeugende, wirkungsvolle Darstellung, die sie einem ungewöhnlich
-großen internationalen Kreis von den damaligen Errungenschaften
-der Technik gaben, eine sehr beträchtliche Beschleunigung in der
-praktischen Anwendung herbeigeführt. Die Vorführung des Edisonschen
-Beleuchtungssystems wirkte an dieser Stelle mit ganz anderer
-internationaler Anregungskraft, als wenn die Erfindung in irgend einer
-amerikanischen Stadt mit nüchternem Nutzungszweck durchgeführt und ihre
-internationale Propaganda in Europa nur durch Beschreibungen in Büchern
-und Zeitungen vermittelt worden wäre.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_92" id="Seite_92">[S. 92]</a></span></p>
-
-<p>Auf Naturen wie Emil Rathenau, deren Energien der Anregung durch
-eine überzeugende Demonstration bedurften (ebenso wie er später
-die Demonstration am gut gewählten Beispiel als das nachhaltigste
-Wirkungsmittel auf andere erkannte und benutzte), waren die Eindrücke
-in Paris derartig überwältigend, daß sie alles innere Schwanken, alle
-Wahlnöte und Entschlußhemmungen mit einem Schlage beseitigten. Aus
-dem reflektierenden Zauderer, der auf Enttäuschungen ebenso stark und
-schnell reagiert hatte wie auf Hoffnungen, war mit einem Male der
-sehnige, bestimmte Tatmensch geworden, der Rathenau, einmal in die
-richtige Bahn gestellt, bis an sein Lebensende geblieben ist. Die
-Fülle der Gesichte und Möglichkeiten war durch den Anblick des „Ziels“
-gebändigt und vereinheitlicht. Das verwirrende Durcheinander der
-gangbaren Wege war zur Straße geworden, deren Lauf mit Notwendigkeit
-vorgeschrieben war. Rathenau glaubte, als er Edisons Beleuchtungssystem
-zuerst sah, sich seiner ganzen Art nach im Sturm der neuen Aufgabe
-bemächtigen zu können. Als nicht sofort festzustellen war, von
-wem man die Patente und Nutzungsrechte erwerben könne, kabelte er
-kurzentschlossen an Edison nach New York, er möge sich sofort auf das
-Schiff setzen und in einer dringenden, für beide Teile außerordentlich
-wichtigen Angelegenheit nach Europa kommen. Edison erklärte dies zur
-Zeit für unmöglich und riet dem ihm unbekannten deutschen Ingenieur,
-sich an seine Pariser Vertreter zu wenden. Wäre Rathenau der leicht
-zu entflammende, aber von Schwierigkeiten schnell wieder abgekühlte
-Stimmungsmensch gewesen, für den er damals vielfach gehalten wurde,
-so hätte er bald die Büchse ins Korn geworfen. Aber es bildete die
-erste große Probe auf den inneren Stahl, der in dem Charakter des
-Mannes enthalten war, mit welcher Energie und Zähigkeit er aus dem
-Labyrinth der Edisonschen Patent- und Rechtsverwirrnis die Verträge
-herauszuzwingen verstand, die er für eine gesicherte Anwendung des
-Edisonlichts in Deutschland haben zu müssen meinte.</p>
-
-<p>Edison hatte zur Verwertung seiner Patente zunächst zwei Gesellschaften
-gegründet. Die Edison Electric Light Company mit dem Sitz in New York
-sollte die Patente für Amerika verwerten, eine Tochtergesellschaft
-gleichen Namens in London sollte Europa bearbeiten. Sie veranstaltete
-die erste elektrische Ausstellung im Crystal Palace und baute die
-erste elektrische Zentralstation &mdash; oder was man damals so bezeichnete
-&mdash; in Europa. Von ihr abgezweigt wurde<span class="pagenum"><a name="Seite_93" id="Seite_93">[S. 93]</a></span> wieder die <em class="gesperrt">Compagnie
-Continentale Edison</em>, der die Verwertung aller Edisonschen Patente
-auf dem europäischen Kontinent übertragen wurde. Sie errichtete
-wieder zwei Untergesellschaften, die Société électrique Edison, die
-sich mit der Ausführung privater Beleuchtungsanlagen beschäftigte,
-und als Fabrikationsunternehmen die Société industrielle commerciale
-Edison, die in Ivry bei Paris Maschinen und Apparate herstellte. Die
-Rechtsverhältnisse waren also reichlich kompliziert, was nicht so sehr
-an der Vielheit der Gesellschaften, als an der unklaren Organisation
-und Kompetenzverteilung zwischen ihnen lag. Auch Rathenau hat später
-in seiner industriellen und finanztechnischen Praxis das System der
-Dezentralisation und Verschachtelung mit Vorliebe angewandt, aber er
-beherrschte doch dieses System derart, daß er jederzeit die Zügel in
-der Hand behielt. Zwischen den von ihm gegründeten Unternehmungen
-waren die rechtlichen Beziehungen und Aufgaben so klar geordnet und
-verteilt, daß Zweifel niemals entstehen konnten, wie dies bei den
-Edisonschen Gesellschaften damals und auch weiterhin noch der Fall war.
-„Edison hatte,“ so erzählt Rathenau, „seine europäischen Interessen in
-die Hände von Gesellschaften gelegt, deren Ideal zum wenigsten darin
-bestand, die Welt mit einem Kulturwerk zu beglücken; und so gelang
-es erst nach unsäglichen Schwierigkeiten, Verträge zu vereinbaren,
-die das Fundament solider deutscher Gesellschaften bilden konnten.“
-Nachdem die unberechtigten Ansprüche verschiedener Gesellschaften
-abgewiesen bzw. abgefunden worden waren, wurde der grundlegende
-Vertrag schließlich mit der <em class="gesperrt">Compagnie Continentale Edison in
-Paris</em> abgeschlossen. Ähnlich wie in Frankreich sollte danach auch
-für Deutschland eine Fabrikationsgesellschaft und eine zweite zur
-Herstellung von Zentralstationen gegründet werden. So großzügig wie
-die Sache geplant war, ließ sie sich allerdings zunächst noch nicht
-verwirklichen. Während der Verhandlungen hatte sich der finanzielle
-Himmel infolge einer von Paris ausgehenden Krisis umwölkt. Der etwas
-gewaltsame Industrialismus, mit dem Frankreich über die Schlappe von
-1870/71 hinwegzukommen hoffte, hatte zu einem Rückschlag geführt,
-und die englische Elektrizitätskrise, die aus einer Überspannung im
-Gründerwesen auf dem Gebiete der Kabeltelegraphie entstanden war,
-trug dazu bei, daß man gerade Neugründungen auf dem Gebiete der
-Elektrizitätsindustrie<span class="pagenum"><a name="Seite_94" id="Seite_94">[S. 94]</a></span> damals mit Zurückhaltung begegnete. Rathenau
-ließ sich von dem einmal gewählten Wege auch durch dieses Hemmnis
-nicht abbringen. Er suchte in Berlin in den maßgebenden Bankkreisen
-Unterstützung für sein Projekt zu finden. Er besuchte Bleichröder
-und andere führende Finanzgrößen. Ohne Erfolg. Die „Großen“ auf dem
-Gebiete des Kapitals hielten sich kühl zurück. Schließlich lernte
-Rathenau bei einem Besuch seiner Mutter in Bad Langenschwalbach
-<em class="gesperrt">Ludwig von Kaufmann</em>, den Schwiegersohn Jacob Landaus und
-Mitinhaber des Bankhauses <em class="gesperrt">Jacob Landau</em> kennen. Es gelang ihm,
-diesen für die Idee zu interessieren. Es war in verschiedenen Berliner
-Unterredungen, die sich an dieses Langenschwalbacher Zusammentreffen
-knüpften, vereinbart worden, ein Bankenkonsortium zu bilden, das die
-neue Gesellschaft errichten und mit Geld ausstatten sollte. Infolge der
-finanziellen Krise kamen die Verhandlungen zunächst ins Stocken. Das
-Bankenkonsortium hatte die Geldmittel natürlich nur <em class="gesperrt">vorstrecken</em>
-wollen, und zwar angesichts seiner nicht sehr starken eigenen
-Kapitalskraft, nur für kurze Zeit. Jahrelange Vorschüsse, wie sie
-die finanziellen Trustunternehmungen gewährten, die Rathenau später
-für derartige Zwecke gegründet hatte, konnten und wollten Rathenaus
-Geldgeber dem Ingenieur, dessen Enthusiasmus die einzige Garantie
-war, die er bieten konnte, nicht anvertrauen. Man hatte daher von
-vornherein geplant, das zur Gründung erforderliche Geld sofort durch
-Ausgabe der Aktien an das Publikum aufzubringen. Als dies unmöglich
-wurde, verzichtete man auf die sofortige Ausführung des Planes.
-Rathenau sorgte indessen dafür, daß die einmal angeknüpften Beziehungen
-zwischen ihm und der Bankengruppe nicht völlig abgebrochen wurden. Er
-komplizierte die Situation, schon damals sein leidenschaftlich vorwärts
-drängendes Temperament durch realpolitische Erwägungen zügelnd,
-nicht dadurch, daß er die Bedingung „Alles oder nichts“ stellte. Er
-schlug ein Kompromiß vor, das den Mittelweg zwischen völliger Aufgabe
-und unbestimmter Vertagung des Projekts darstellte. Es sollte eine
-<em class="gesperrt">Studiengesellschaft</em> mit dem geringen Kapital von 250000 Mark
-gegründet werden. Diese sollte die Arbeit unverzüglich aufnehmen
-und Rathenau war überzeugt, daß sie den praktischen Wert der neuen
-Beleuchtung einwandfrei dartun würde. Geschah dies aber, so war die
-Gründung eines größeren Unternehmens später wesentlich leichter, als
-wenn wiederum ganz neue Verhandlungen hätten<span class="pagenum"><a name="Seite_95" id="Seite_95">[S. 95]</a></span> angeknüpft und neue
-Vorbedingungen hätten geschaffen werden müssen. Es war also auf diesem
-Wege manches zu gewinnen, und wenig zu verlieren.</p>
-
-<p>Die Studiengesellschaft trat denn auch bald auf Grund der deutschen
-Edisonpatente ins Leben. Die drei Patentansprüche des ersten und
-grundlegenden Patentes lauteten folgendermaßen:</p>
-
-<p>1. Eine elektrische Lampe, die durch Weißglühen Licht gibt, und in der
-Hauptsache aus Kohlefasern von großem Widerstand besteht, hergestellt
-und mit den metallischen Drähten verbunden, wie beschrieben.</p>
-
-<p>2. Ein Faden oder Streifen aus Kohlefasern, welche in solcher Weise
-in Spiralform gewunden ist, daß nur ein Teil der Oberfläche dieses
-Kohlenleiters (ca. 5 mm) Licht ausstrahlt.</p>
-
-<p>3. Die Platindrähte wie beschrieben an dem Kohlenfaden zu befestigen
-und das Ganze in einem geschlossenen Gefäß zu karbonisieren.</p>
-
-<p>(Der Widerstand ist je nach der Menge des abgelagerten Lampenrusses
-klein oder groß herstellbar.)</p>
-
-<p>Die Studiengesellschaft verfolgte den doppelten Zweck, praktische
-Erfahrungen für die Glühlampentechnik zu sammeln, und das Publikum
-mit dem neuen Licht bekannt zu machen. Ein paar kleinere Anlagen
-wurden für den Berliner Börsencourier und das Böhmische Brauhaus
-geschaffen. Dann wandte man sich etwas größeren Aufgaben zu. Der
-Unionklub in der Schadowstraße und die benachbarte Ressource von
-1794 erteilten den Auftrag zur Ausführung von Musteranlagen. Die
-Ressource veranstaltete zur Feier der gelungenen Beleuchtung ein
-Bankett, das so etwas wie ein gesellschaftliches Ereignis für Berlin
-darstellte. Gerade während Hugo Pringsheim in einer schwungvollen Rede
-das neue Licht und den Schöpfer der Anlage, Emil Rathenau, feierte,
-verdüsterte sich allmählich, wie Rathenau später ausplauderte, das
-Licht und der diensthabende Ingenieur meldete mit schreckensbleichem
-Gesicht, daß er die Anlage nicht halten könne. In der gehobenen
-Festesstimmung bemerkte niemand das Verschwinden des Ehrengastes, der
-im Gesellschaftsanzuge die persönliche Führung der Anlage bis zum
-Morgen übernahm, und mit zwei Ingenieuren durch eifriges Kühlen der
-Lager mit dem für<span class="pagenum"><a name="Seite_96" id="Seite_96">[S. 96]</a></span> die Sektkühler bestimmten Eis den Betrieb aufrecht
-erhielt. Ein Verlöschen des Lichts an dieser sichtbaren Stelle wäre
-ein harter Schlag für das Schicksal der elektrischen Beleuchtung
-geworden und noch ein stärkerer für das Schicksal des in der Gründung
-befindlichen Unternehmens, dessen Aktien in kurzer Zeit herausgebracht
-werden sollten. Das Gelingen wirkte dagegen wie eine besonders wirksame
-Propaganda. Weitere Privatanlagen entstanden bald in Berlin. Auch
-eine Straßenbeleuchtung wurde versucht und zwar in der Wilhelmstraße
-zwischen den Linden und der Leipzigerstraße. Die Wirkung war zumal bei
-dem am Eröffnungstage herrschenden Schneefall eindrucksvoll. Trotzdem
-ist das intimere Glühlicht in der Folgezeit bei Straßenbeleuchtungen
-hinter dem lichtstarken Bogenlicht stets zurückgetreten. In München,
-wo der Ingenieur Oscar von <em class="gesperrt">Miller</em> im Jahre 1882 die erste
-deutsche Elektrizitätsausstellung veranstaltet hatte, von dem größten
-Teil der Aussteller aber im Stich gelassen worden war, sprang die
-Studiengesellschaft entschlossen ein. Sie übernahm fast die ganze
-Versorgung des als Ausstellungsgebäude dienenden Kristallpalastes
-mit Elektrizität. Unter ihren Vorführungen erregte besonders die
-Beleuchtung eines zu diesem Zwecke errichteten kleinen Theaters, in
-dem Balletts aufgeführt wurden, Bewunderung nicht nur beim Publikum,
-sondern auch bei Fachleuten. Namentlich faszinierte sie den Intendanten
-der Kgl. Schauspiele in München so, daß er sogleich einen Vertrag über
-die Einrichtung der elektrischen Beleuchtung des Residenztheaters, der
-kleineren der beiden Königlichen Bühnen Münchens, die zur Aufführung
-von Schauspielen und Spielopern diente, abschloß. Die Grundlage dieses
-Vertrages war, daß die Deutsche Edison Gesellschaft das ganze Risiko
-des Gelingens oder Mißlingens auf sich nehmen mußte.</p>
-
-<p>Oscar v. Miller hatte Rathenau die tatkräftige Hilfe bei der Rettung
-der gefährdeten Ausstellung nicht vergessen. Rathenau hinwiederum
-hatte in dem Münchener Ingenieur einen für die Sache der Elektrizität
-begeisterten, durch Tatkraft und Wagemut ausgezeichneten Mann
-gefunden, der ihm als Mitarbeiter bei seinem Unternehmen wie kein
-anderer geeignet erschien. Er bewog ihn daher, in die Deutsche
-Edison Gesellschaft als Mitdirektor einzutreten, als diese &mdash; durch
-die bisherigen technischen und propagandistischen Erfolge der
-Studiengesellschaft gut vorbereitet &mdash; am 19. April 1883 mit einem
-Aktienkapital von 5 Millionen Mark gegründet und am 5. Mai<span class="pagenum"><a name="Seite_97" id="Seite_97">[S. 97]</a></span> desselben
-Jahres in das Handelsregister eingetragen wurde. Das Bankenkonsortium,
-das Emil Rathenau zwei Jahre vorher zusammengebracht hatte, hielt
-ihm trotz mancher Zweifel und Meinungsverschiedenheiten, die sich
-inzwischen eingestellt hatten, die Treue. Es war ihm sogar, als es an
-die endgültige Konstituierung des Unternehmens ging, gelungen, eine
-Erweiterung dieses Konsortiums herbeizuführen, das ursprünglich aus
-den Firmen Jacob Landau in Berlin, Gebr. Sulzbach in Frankfurt a.
-M. und der Nationalbank für Deutschland in Berlin bestanden hatte.
-Einen Überblick über seine Mitglieder gibt der erste Aufsichtsrat der
-Neuen Edison Gesellschaft, der sich aus folgenden Persönlichkeiten
-zusammensetzte:</p>
-
-<div class="edison">
-
-<p>Bankier Rudolph Sulzbach in Firma Gebrüder Sulzbach in Frankfurt a.
-M., Vorsitzender.</p>
-
-<p>Ludwig von Kaufmann, in Firma Jacob Landau in Berlin,
-Stellvertretender Vorsitzender.</p>
-
-<p>J. F. Bailey, Administrateur délegué der Compagnie Continentale
-Edison in Paris.</p>
-
-<p>Bankier Edmund Becker, in Firma Becker &amp; Co. in Leipzig.</p>
-
-<p>Rechtsanwalt Robert Esser II in Köln.</p>
-
-<p>Kommerzienrat Paul Gaspard Friedenthal in Breslau, in Firma
-Breslauer Discontobank Friedenthal &amp; Co.</p>
-
-<p>Stadtrichter Julius Friedenthal in Breslau, Direktor der Breslauer
-Wechslerbank.</p>
-
-<p>Bankier Moritz Guggenheimer, in Firma Guggenheimer &amp; Co. in München.</p>
-
-<p>Bankier Hermann Köhler, Disponent der Firma Gebrüder Sulzbach in
-Frankfurt a. M.</p>
-
-<p>Konsul Dr. Kunheim, in Firma Kunheim &amp; Co. in Berlin.</p>
-
-<p>Bankier Hugo Landau, in Firma Jacob Landau in Berlin.</p>
-
-<p>Assessor a. D. Dr. Hermann Löwenfeld, Direktor der Nationalbank für
-Deutschland in Berlin.</p>
-
-<p>Bankier Carl Schlesinger-Trier, in Firma C. Schlesinger, Trier &amp;
-Co. in Berlin.</p>
-
-<p>Kommerzienrat Wilhelm Wolf in Berlin.</p>
-
-</div>
-
-<p>Es war also für ein Unternehmen von mäßigem Umfang ein ziemlich
-mitgliederreiches Kollegium, das im ganzen 14 Köpfe umfaßte. Darin lag
-insofern eine gewisse Absicht, als man einmal<span class="pagenum"><a name="Seite_98" id="Seite_98">[S. 98]</a></span> durch einen stattlichen
-Aufsichtsrat mit Namen von gutem Klang eine gewisse werbende Wirkung
-auf die Öffentlichkeit und die für eine Aktienbeteiligung in Betracht
-kommende Kapitalistenwelt erzielen wollte. Ferner hielten es aber
-auch die hauptsächlich beteiligten Bankfirmen Jacob Landau und Gebr.
-Sulzbach für notwendig, sich im Aufsichtsrat doppelt vertreten zu
-lassen, einmal um sich bei den Abstimmungen des Kollegiums den ihnen
-gebührenden Einfluß zu sichern, andererseits aber auch, um eine
-möglichst weitgehende Kontrolltätigkeit ausüben zu können. Da der große
-Aufsichtsrat für eine intensive Beteiligung an den innergeschäftlichen
-Dingen nicht geeignet war, zweigte man von ihm einen aus 5 Mitgliedern
-bestehenden <em class="gesperrt">Arbeitsausschuß</em> ab, der die Aufgabe hatte, der
-Direktion bei der Führung der Geschäfte zur Seite zu stehen und wohl
-auch auf die Finger zu sehen. Man war wohl von der Lebenskräftigkeit
-der Rathenauschen Idee durchaus überzeugt, man schätzte die Energie und
-die Tüchtigkeit des Direktors auch sehr hoch ein, aber man hielt ihn
-für zu schlau und zu eigenwillig, um sich ihm rückhaltlos anvertrauen
-zu können. Es zeigte sich schon hier, und es hat sich in den ersten
-Jahren der Edison Gesellschaft wiederholt gezeigt, daß das Genie Emil
-Rathenaus mit dem Kritizismus und dem gelegentlichen Mißtrauen einer
-kleingeistigen Umgebung manchmal recht schwer zu kämpfen hatte. Von
-einem großzügigen Verständnis für seine aufs Ganze gerichtete Art und
-seine hochfliegenden Pläne, das ihm später sein Aufsichtsrat stets
-entgegenbrachte, war anfänglich noch wenig zu spüren. Man glaubte
-ihn, in dem man noch immer etwas vom Projektemacher witterte, fest an
-der Kandare halten zu müssen, und wenn er seinen Willen schließlich
-auch stets zur Geltung zu bringen wußte, so genügte in den Zeiten,
-in denen seine Autorität noch nicht über allen Zweifel gefestigt
-war, doch häufig nicht sein einfaches Wort, um überall Vertrauen zu
-finden, sondern es waren manchmal laute und stille Kämpfe nötig, zu
-deren Durchführung es seiner ganzen Zähigkeit bedurfte. Zur Erledigung
-der kaufmännischen Geschäfte, zum Teil wohl auch zur Überwachung
-seiner Geschäftsleitung im inneren Betriebe war ihm als Helfer
-Felix <em class="gesperrt">Deutsch</em>, der bis dahin in dem der Firma Jacob Landau
-nahestehenden Strontianitkonsortium und in deren Zuckerinteressen sich
-bewährt hatte, beigegeben worden. Deutsch hat, ohne daß er darum je
-nötig hatte,<span class="pagenum"><a name="Seite_99" id="Seite_99">[S. 99]</a></span> das Vertrauen seiner Auftraggeber zu enttäuschen, doch
-vom ersten Augenblick an seine Aufgabe so aufgefaßt, daß er mit ihr
-vornehmlich dem Unternehmen, in dessen Dienste er trat, förderlich
-war und förderlich sein wollte. Er hat die überragende Bedeutung Emil
-Rathenaus wie seine moralische Zuverlässigkeit keinen Augenblick
-verkannt, hat sich redlich Mühe gegeben, einen Standpunkt zu gewinnen,
-der dem des genialen Mannes ebenbürtig war und es ist ihm sowohl als
-Helfer und Mitarbeiter Rathenaus, wie später auch schöpferisch in dem
-ihm ziemlich selbständig überlassenen Kreis der Absatz-Organisation
-gelungen, eine des Meisters würdige Arbeit zu leisten.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_100" id="Seite_100">[S. 100]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Sechstes_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Sechstes Kapitel</em><br />
-
-Die Deutsche Edison Gesellschaft</h2>
-
-</div>
-
-<p>Als die Deutsche Edison Gesellschaft gegründet wurde, verfügte sie
-keineswegs über eine starke und gefestigte Position. Was ihr an
-Kapitalmacht zur Seite stand, um ihr über die schwierigen Anfänge
-hinwegzuhelfen, war trotz mancher gut angesehener Namen, die im
-Bankenkonsortium vertreten waren, nicht eben hervorragend und geeignet,
-die junge Gesellschaft gegen die Fährnisse der Konjunkturen und die
-Bedrohungen durch eine übermächtige Konkurrenz sicherzustellen.
-Von den damals führenden Großbanken war keine an der Gesellschaft
-beteiligt. Die Nationalbank für Deutschland, die selbst erst im
-Jahre 1881 gegründet worden war, verfügte über ein Kapital von 40
-Millionen Mark, das aber nur zur Hälfte eingezahlt war, und hatte in
-den folgenden Jahren mit eigenen Schwierigkeiten genug zu tun. Sie wie
-auch die Breslauer Diskontobank, die gleichfalls in der Bankengruppe
-vertreten war, stand unter Landauschem Einfluß. Diese Aktienbanken
-waren also höchstens als Ableger des Bankierkonsortiums, nicht als
-weitere unabhängige Finanzquellen zu betrachten und konnten einem
-jungen industriellen Unternehmen jedenfalls keinen sonderlichen
-Rückhalt geben. Viel Spielraum zum Experimentieren stand Emil Rathenau
-also nicht zur Verfügung. Er mußte schnell vorwärtskommen und die
-Tragfähigkeit seiner Schöpfung beweisen. In der II. Etage des Hauses
-Leipziger Str. 94, in der Rathenau und Deutsch mit einem Buchhalter und
-einer Schreibmaschine ihr Heim aufgeschlagen hatten, wurde denn auch
-mit Hochdruck gearbeitet. Aber nicht nur zu arbeiten galt es, sondern
-auch zu paktieren und zu diplomatisieren. Zuerst mußten die Verträge
-mit der Pariser Edison Gruppe einer Revision unterzogen werden, denn
-es hatte sich erwiesen, daß sie in der Form, wie sie im<span class="pagenum"><a name="Seite_101" id="Seite_101">[S. 101]</a></span> Jahre 1881
-vereinbart worden waren, nicht aufrechterhalten werden konnten. Der
-Plan, neben der Fabrikationsgesellschaft eine besondere Gesellschaft
-für den Bau von Zentralen zu gründen, wurde fallen gelassen, da
-Zweifel bestanden, ob eine solche in nächster Zeit auf genügende
-Aufträge würde rechnen können. Man wollte nicht Kapital in einer
-besonderen Gesellschaft festlegen, um es etwa nachher brach liegen
-zu lassen. Es wurde vielmehr der Fabrikationsgesellschaft auch das
-Baugeschäft übertragen; dafür wurde sie mit einem erhöhten Kapital von
-5 Millionen Mark statt dem ursprünglich in Aussicht genommenen von 2
-Millionen Mark ausgestattet. Durch diese Art der Finanzierung war ein
-freieres Disponieren über die zur Verfügung stehenden Gesamtkapitalien
-ermöglicht. Die französische Edison-Gesellschaft beteiligte sich mit
-Aktienkapital nicht an dem deutschen Unternehmen. Dagegen erhielt
-sie 1500 Genußscheine. Weitere 1000 Genußscheine wurden den ersten
-Zeichnern des Aktienkapitals ausgefolgt. Die Inhaber der 2500
-Genußscheine hatten Anspruch auf 35% des nach Zahlung einer Dividende
-von 6% verbleibenden Gewinnüberschusses. Der mit der französischen
-Gesellschaft abgeschlossene Vertrag, der in das Statut der Deutschen
-Edison Gesellschaft aufgenommen wurde, hatte folgenden Wortlaut:</p>
-
-<div class="vertrag_edison">
-
-<div class="vertrag_edison">
-
-<p class="center"><em class="gesperrt">Rechtsverhältnisse zu der Compagnie
-Edison in Paris, sowie zu Herrn
-Thomas Alva Edison und der Edison
-Electric Light Company of Europe
-Lim. zu New York.</em></p>
-
-</div>
-
-<p class="center">§ 35.</p>
-
-<p>Die Deutsche Edison Gesellschaft für angewandte Electricität erwirbt
-von der Compagnie Continentale zu Paris mit Genehmigung des Herrn
-Thomas Alva Edison und der Edison Electric Light Company of Europe lim.
-zu New York, unter Anwendung des Art. 209 b des Allgemeinen Deutschen
-Handelsgesetzbuches das Recht der gewerblichen Ausnützung der in § 3
-bezeichneten Erfindungen des Herrn Edison und der vorgedachten Electric
-Light Company und zwar für das gesamte deutsche Reichsgebiet als
-ausschließliches Recht, insbesondere nachbezeichnete Befugnisse:</p>
-
-<p>1. Das Recht, sämtliche zu den im § 3 dieses Statuts spezialisierten
-(gleichviel ob patentierten oder nicht patentierten) Edisonschen<span class="pagenum"><a name="Seite_102" id="Seite_102">[S. 102]</a></span>
-Verfahren gehörigen Maschinen zu fabrizieren oder auch in den
-Werkstätten ausländischer Edisonscher Gesellschaften fabrizieren zu
-lassen, während die Herstellung in sonstigen Fabriken, so lange die
-Compagnie Continentale besteht, nur mit deren Genehmigung statthaft
-ist; ferner die gedachten Objekte zu beziehen und zu verkaufen;</p>
-
-<p>2. das Recht, Installationen für Beleuchtungs- und
-Kraftübertragungszwecke einzurichten oder die hierauf bezüglichen
-Befugnisse anderen einzuräumen;</p>
-
-<p>3. das Recht, die ad I und II gedachten Gegenstände selbst zu benutzen,
-sowie deren Benutzung Dritten zu gestatten.</p>
-
-<p>Eine andere Gewähr, als die für die gegenwärtige Existenz der Patente
-wird bezüglich derselben von Herrn Edison, der Edison Electric Light
-Company und der Compagnie Continentale nicht übernommen.</p>
-
-<p>Das Recht der Fabrikation (ad I) erstreckt sich auch auf die bei den
-elektrischen Bahnen zur Verwendung kommenden Maschinen, Apparate,
-Utensilien und Materialien, nicht aber auf die Anwendung derselben.</p>
-
-<p>Die Gesellschaft ist hinsichtlich ihrer gewerblichen Tätigkeit (§ 3)
-und hinsichtlich der ihr vorstehend eingeräumten Rechte nur beschränkt
-durch diejenigen Rechte, welche der Firma Siemens &amp; Halske in Berlin
-laut der am 13. März 1883 zwischen dieser Firma einerseits und dem
-Herrn Edison und der Edison Electric Light Company, der Compagnie
-Continentale sowie sonstigen Konsorten andererseits abgeschlossenen
-beiden Verträge eingeräumt sind, wogegen aber auch die Rechte, welche
-in den gedachten Verträgen dem Herrn Edison, der Electric Light Company
-und deren Rechtsnachfolgern zugestanden sind, auf die Deutsche Edison
-Gesellschaft von selbst übergehen, sofern dieselbe spätestens innerhalb
-4 Wochen nach ihrer Eintragung in das Handelsregister eine schriftliche
-Annahmeerklärung zu Händen der Herren Siemens &amp; Halske abgiebt.</p>
-
-<p>Als Erwerbspreis für die vorstehend beschriebenen Rechte wird an die
-Compagnie Continentale zu Paris die Summe von Dreihundertfünfzigtausend
-Reichsmark bar aus dem Vermögen der Gesellschaft bezahlt. Es findet
-aber eine Amortisierung dieser Summe in der Weise statt, daß die
-Compagnie Continentale auf die ihr im folgenden § 41 zugebilligten
-Prästationen so lange verzichtet, bis dieselben den Betrag von 350000
-Reichsmark erreicht haben. In dem<span class="pagenum"><a name="Seite_103" id="Seite_103">[S. 103]</a></span> Maße, in welchem dieser Betrag aus
-dem Geschäftsbetriebe der Gesellschaft aufkommt, fließt er den Aktivis
-der letzteren zu, während der Erwerbspreis der dafür gemäß Vorstehendem
-erworbenen Rechte immer nur mit dem entsprechenden Minderbetrage in die
-Bilanz eingestellt werden darf, bis er spätestens bei Erreichung der
-vollen Summe aus den Aktivis gänzlich verschwindet.</p>
-
-<p>Neben den vorstehend gedachten 350000 Reichsmark gelten auch diejenigen
-Vermögensvorteile, welche der Compagnie Continentale sonst in dem
-gegenwärtigen Statut eingeräumt worden sind (vergl. §§ 12 und 41), als
-Äquivalente für die gemäß dem Vorstehendem und § 36 erworbenen Rechte.</p>
-
-<p>Der Wert der von Herrn Edison, der Edison Electric Light Company und
-der Compagnie Continentale gemäß diesem Statut (§§ 35, 36) eingeräumten
-Rechte wird hiermit auf den mehrgedachten Betrag von 350000 Reichsmark
-und die in vorstehendem Alinea bezeichneten Äquivalente festgesetzt.</p>
-
-<p class="center mtop1">§ 36.</p>
-
-<p>Die Compagnie Continentale in Paris verpflichtet sich, der Gesellschaft
-und zwar dieser ausschließlich alle einschlägigen patentierten und
-nicht patentierten Erfindungen, Verbesserungen und Erfahrungen,
-welche dem Herrn Edison, der Edison Electric Light Company, oder ihr
-selbst für elektrische Beleuchtungen und Kraftübertragung bereits zu
-Gebote stehen oder in deren Besitz Herr Edison, die Electric Light
-Company oder sie selbst bis zum 15. November 1886 noch gelangen wird,
-für Deutschland im ganzen Umfange der im § 35 erwähnten Verfahren
-mitzuteilen, und sie in ihrem Geschäftsbetriebe für Deutschland auf
-jede Art dergestalt zu unterstützen, daß sie in der Lage ist, die
-Fabrikation in dem nämlichen Grade der technischen Vollkommenheit
-auszuführen wie die Compagnie Continentale selbst.</p>
-
-<p>Insbesondere soll die Pariser Gesellschaft verpflichtet sein, der
-Gesellschaft auf deren Kosten geeignete Instrukteure zu stellen. Die
-Deutsche Edison Gesellschaft ist in allen diesen Beziehungen zur
-Reziprozität verpflichtet.</p>
-
-<p class="center mtop1">§ 37.</p>
-
-<p>Sobald die Gesellschaft in das Gesellschaftsregister eingetragen ist,
-erhält dieselbe von der Compagnie Continentale diejenigen Voll<span class="pagenum"><a name="Seite_104" id="Seite_104">[S. 104]</a></span>machten
-des Herrn Edison und der Light Company zu New York ausgehändigt, deren
-dieselbe zur Führung etwaiger, wegen Verletzung der durch diesen
-Vertrag auf sie zu übertragenden Rechte erforderlichen gerichtlichen
-und außergerichtlichen Maßnahmen bedürfen wird.</p>
-
-<p>Dem Herrn Edison und der Light Company wird hiermit das ihnen laut
-ihres Vertrages mit der Compagnie Continentale vom 15. November 1881
-gewährleistete Recht, sich an allen wegen unbefugter Nachahmung
-der von ihnen patentierten Erfindungen zu führenden Prozessen
-akzessorisch zu beteiligen, sowie an jedem anderen Rechtsstreit und
-Verwaltungsverfahren, welcher auf Antrag der Lizenzberechtigten in Gang
-gebracht werden sollte, ausdrücklich reserviert.</p>
-
-<p class="center mtop1">§ 38.</p>
-
-<p>Die Deutsche Edison Gesellschaft übernimmt ihrerseits die
-Verpflichtung, für den Schutz der in Rede stehenden Edison-Patente
-auf ihre Kosten Sorge zu tragen, und von jeder zu ihrer Kenntnis
-gelangenden Verletzung der einschlägigen Patentrechte der Compagnie
-Continentale in Paris unverzüglich Mitteilung zu machen. Ist zur
-Inschutznahme der gedachten Patente ein prozessualisches Einschreiten
-erforderlich, so dürfen Vergleiche hierüber nur mit Genehmigung der
-Compagnie Continentale abgeschlossen werden.</p>
-
-<p class="center mtop1">§ 39.</p>
-
-<p>Die Compagnie Continentale ist verpflichtet, der Gesellschaft an
-deren Sitz unter der Bedingung der Gegenseitigkeit das erforderliche
-Aktenmaterial zu dem im § 37 gedachten Zweck jederzeit zur Verfügung zu
-stellen.</p>
-
-<p class="center mtop1">§ 40.</p>
-
-<p>Für den Fall der Auflösung der Gesellschaft, insbesondere für den Fall
-der Liquidation fallen die derselben übertragenen Patentrechte, soweit
-sie sich zu jener Zeit noch in Kraft befinden sollten, an die Compagnie
-Continentale zu Paris unentgeltlich zurück.</p>
-
-<p class="center mtop1">§ 41.</p>
-
-<p>Außer den in dem § 12 bestimmten Vorteilen, welche die Gesellschaft
-der Compagnie Continentale eingeräumt hat, ist dieselbe verpflichtet,
-an die Compagnie Continentale in Paris halbjährlich nach Abschluß der
-Gesellschafts-Rechnungen folgende Prästationen, zahlbar an die Kasse
-der letzteren, zu entrichten:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_105" id="Seite_105">[S. 105]</a></span></p>
-
-<p>a) für jede durch die Deutsche Edison Gesellschaft oder deren
-Lizenzberechtigte oder durch die Firma Siemens &amp; Halske auf Grund des
-im § 35 erwähnten Vertrages in Benutzung genommene oder verkaufte
-Lampe, unabhängig von der Lichtstärke derselben 16⅔% des jeweiligen
-Selbstkostenpreises, zu welchem die Deutsche Edison Gesellschaft ihre
-Lampen fabriziert oder bei einer auswärtigen Edison Gesellschaft
-entnehmen wird, keinesfalls aber mehr als 25 Pfennige pro Stück; von
-dieser Abgabe sind jedoch diejenigen Lampen befreit, welche die Firma
-Siemens &amp; Halske gemäß dem vorgedachten Vertrage, sowie die Deutsche
-Edison Gesellschaft selbst im Bereiche ihrer eigenen Geschäfts- und
-Fabrikationsräume verwenden wird;</p>
-
-<p>b) eine Abgabe für jede von der Deutschen Edison Gesellschaft oder
-von der Firma Siemens &amp; Halske auf Grund des mehrgedachten Vertrages
-innerhalb des Deutschen Reiches ausgeführte Glühlampenbeleuchtung;
-diese Abgabe wird entrichtet für jede in solchen Glühlampen tatsächlich
-verbrauchte Maschinen-Pferdekraft gleich 75 Kilogrammeter per Sekunde.
-Die Feststellung dieser in Lampen verbrauchten Pferdekraft hat nach
-dem elektrischen Maßsystem zu erfolgen; für die ersten 50 hiernach bei
-einer Anlage in Rechnung kommenden Pferdekräfte beläuft sich die Abgabe
-auf 12½ Mark pro Pferdekraft, für jede weitere Pferdekraft auf 16
-Mark; für außerordentliche Anlagen, die vorübergehend eingerichtet
-werden, wird diese Abgabe nicht entrichtet. Bei Anlagen gemischter
-(Glüh- und Bogenlicht-)Beleuchtung wird diese Abgabe nur für die in
-den Glühlichtlampen verbrauchten Pferdekräfte bezahlt. Die Abgaben
-werden fällig für die von der Gesellschaft selbst in Benutzung
-genommenen resp. verkauften Lampen und Dynamomaschinen mit Ende des
-jeweilig laufenden Semesters, für die von der Firma Siemens &amp; Halske
-auf Grund des mehrgedachten Vertrages, sowie von etwaigen Lizentiaten
-der Gesellschaft benutzten oder verkauften Lampen und Maschinen
-jedesmal alsbald nach Eingang. Die Deutsche Edison Gesellschaft wird
-der Compagnie Continentale zu Paris allmonatlich eine Liste der
-ihrerseits sowie seitens ihrer Lizentiaten oder der Herren Siemens &amp;
-Halske in Deutschland veräußerten zur Glühlichtbeleuchtung verwendbaren
-Stromerzeugungs-Maschinen unter Angabe der näheren Details zufertigen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_106" id="Seite_106">[S. 106]</a></span></p>
-
-<p>Von jeder in Glühlicht verbrauchten Maschinen-Pferdekraft und von jeder
-Lampe ist jedoch diese Angabe nur einmal zu leisten.</p>
-
-<p class="center mtop1">§ 42.</p>
-
-<p>Solange und in so weit die Gesellschaft nicht in der Lage sein wird,
-die zur Anwendung des Edisonschen Glühlichtsystems nötigen Maschinen,
-Apparate, Utensilien und Materialien bezw. Teile derselben selbst
-zu fabrizieren oder durch die Firma Siemens &amp; Halske fabrizieren zu
-lassen, jedoch nicht länger als auf die Dauer eines Jahres, hat die
-Compagnie Continentale in Paris die zur Anwendung der einschlägigen
-Edisonschen Verfahren nötigen Maschinen, Apparate, Utensilien und
-Materialien zum Selbstkostenpreise an die Gesellschaft zu liefern.</p>
-
-<p>Eine Ausnahme hiervon bilden die Lampen, welche der Deutschen
-Gesellschaft zu demselben Preise wie der Compagnie Continentale und
-der Société électrique zu Paris frei an Bord des Dampfers in New York
-geliefert werden.</p>
-
-<p class="center mtop1">§ 43.</p>
-
-<p>Die Compagnie Continentale verpflichtet sich, der Deutsches Edison
-Gesellschaft die zur Errichtung von Installationen oder auch
-Zentralstationen erforderlichen Hilfskräfte, insbesondere das
-technische Personal, auf Kosten der letzteren zur Verfügung zu stellen.</p>
-
-<p class="center mtop1">§ 44.</p>
-
-<p>Die Compagnie Continentale wird die Gebühren für die in §§ 3 und 36
-erwähnten Patente jedesmal rechtzeitig vor Verfall an das Deutsche
-Reichs-Patentamt entrichten und die Belege darüber der Deutschen Edison
-Gesellschaft spätestens einen Monat vor Ablauf der letzten Frist
-zustellen.</p>
-
-<p class="center mtop1">§ 45.</p>
-
-<p>Die Compagnie Continentale in Paris hat das Recht, zwei ständige
-Kommissarien zur Wahrnehmung ihrer Befugnisse und Interessen der
-Gesellschaft gegenüber zu bestellen.</p>
-
-<p>Diese Kommissarien partizipieren als solche, wenn sie nicht schon
-Mitglieder des Aufsichtsrats sind, an der Tantieme des letzteren und
-es stehen ihnen, soweit es sich um die Wahrung der Vertragsrechte
-der Compagnie Continentale handelt, sämtliche den Mitgliedern
-des Aufsichtsrats in diesem Statut eingeräumten Revisions- und
-Kontroll-Befugnisse zu.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_107" id="Seite_107">[S. 107]</a></span></p>
-
-<p class="center mtop1">§ 46.</p>
-
-<p>Die Bestimmungen dieses Titels können ohne Genehmigung der Compagnie
-Continentale in Paris nicht geändert werden.</p>
-
-</div>
-
-<p class="center mtop1 mbot2">*&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;*<br />
-*</p>
-
-<p>Ein Vertreter der Compagnie Continentale Edison in Paris trat in den
-Aufsichtsrat der Deutschen Edison Gesellschaft ein. Daneben wurden
-noch zwei Kommissare der französischen Gesellschaft bestellt, die die
-Geschäftstätigkeit des neuen Unternehmens unter dem Gesichtspunkte der
-Interessenwahrnehmung der Compagnie Continentale zu überwachen hatten.
-Es waren Herr Louis Rau, administrateur délégué de C. C. E. in Paris
-und der deutsche Rechtsanwalt und Notar A. Simson in Berlin.</p>
-
-<p>Abgesehen von der juristischen Auseinandersetzung mit Edison und den
-von ihm gegründeten Gesellschaften war aber noch eine schwierigere mit
-der deutschen Konkurrenz zu bewerkstelligen. Insbesondere erschien es
-nicht als ratsam, die Tätigkeit ohne Übereinkommen mit der stärksten
-Konkurrenzfirma <em class="gesperrt">Siemens &amp; Halske</em> zu beginnen, umsomehr, als
-die Edisonpatente nicht mehr als unerschütterlich gelten konnten.
-Es hätten Versuche gemacht werden können, Glühlampen von ähnlicher
-Beschaffenheit und Güte unter Umgehung der Edisonschen Patente
-herzustellen und solche Versuche sind auch, je erfolgreicher das neue
-Licht sich bewährte, und je mehr es sich beim Publikum einführte,
-in großer Zahl unternommen worden. Wenigstens die leistungsfähigste
-Elektrizitätsfirma Deutschlands galt es von einem derartigen Vorgehen
-zurückzuhalten. In einem der ersten Geschäftsberichte der Deutschen
-Edison Gesellschaft wird von der illegitimen Konkurrenz gesprochen
-und ihre Erzeugnisse werden als „billig und schlecht“ bezeichnet.
-Infolge dieser Eigenschaften waren sie vielleicht nicht allzusehr zu
-fürchten. Etwas ganz anderes wäre es aber gewesen, wenn die Firma
-Siemens &amp; Halske mit ihren reichen technischen Mitteln und ihren
-großen Erfahrungen in der elektrischen Feinmechanik an die Aufgabe,
-eine Konkurrenzlampe herzustellen, herangegangen wäre. Dies galt es zu
-verhindern, und so wurde, noch bevor die Deutsche Edison Gesellschaft
-sich endgültig konstituierte, gleichsam als eine der Vorbe<span class="pagenum"><a name="Seite_108" id="Seite_108">[S. 108]</a></span>dingungen
-für ihre rechtliche und wirtschaftliche Lebensfähigkeit ein umfassender
-Vertrag mit der Firma Siemens &amp; Halske abgeschlossen, an dem Edison,
-die europäischen Edisongesellschaften, das Gründungskonsortium der
-Deutschen Edison Gesellschaft und die Rechtsnachfolger Edisons, unter
-denen insbesondere die zu gründende Deutsche Edison Gesellschaft
-namhaft gemacht wurde, als Vertragsgenossen teilnahmen. Nach dem
-Vertrage verpflichteten sich Siemens &amp; Halske, die Edison-Patente
-nicht anzufechten und zu stören, sondern im Gegenteil alles zu
-tun, um ihre Aufrechterhaltung zu fördern. Ein damals schwebender
-Prozeß zwischen Edison und Siemens &amp; Halske, bei dem es sich um eine
-angebliche Verletzung der Siemensschen Dynamomaschinen-Patente durch
-Edison handelte, wurde bei dieser Gelegenheit durch Vergleich aus der
-Welt geschafft. Rathenau entschloß sich nicht leicht zu dem Pakt mit
-der älteren Konkurrenzfirma, zumal er damals wie auch später noch die
-Empfindung hatte, daß trotz der geschriebenen Verträge eine wirkliche
-Harmonie, ein ehrliches Vertrauensverhältnis schwer herzustellen sein
-würde. Aber es blieb ihm tatsächlich kein anderer Ausweg und das
-Bankenkonsortium forderte wenigstens nach dieser Seite hin gesicherte
-Verhältnisse. Ein Streit mit der Firma Siemens &amp; Halske hätte für
-das junge Unternehmen, gleich wie er auch juristisch und tatsächlich
-schließlich ausgelaufen wäre, doch sicher jahrelange Kämpfe und
-Unruhen mit sich gebracht und wäre jedenfalls die denkbar schlechteste
-Beigabe für die zielbewußte Arbeit der ersten entscheidenden Jahre
-gewesen. So kam denn der rechtlich durch die eigenartige Stellung der
-vielen Kontrahenten zueinander sehr verwickelte Vertrag zustande,
-der 10 Jahre lang in Geltung bleiben sollte. Die Deutsche Edison
-Gesellschaft übernahm von Siemens &amp; Halske mit der Edison Gruppe
-geschlossene Patentausnutzungs-Verträge in der Weise, daß Siemens &amp;
-Halske ihre Abgaben nicht an die ausländischen Edison Gesellschaften,
-sondern an die Deutsche Edison Gesellschaft abzuführen hatten,
-während diese die Hälfte der ihr so zugeflossenen Beträge ebenso wie
-ihre eigenen Abgaben an die Pariser Gesellschaft weitergeben mußte.
-Wirtschaftlich erhielt also die Firma Siemens &amp; Halske die Stellung
-einer Unter-Lizenznehmerin der Deutschen Edison Gesellschaft, wenn sie
-auch rechtlich direkte Lizenznehmerin der ausländischen Edisongruppe
-blieb. &mdash; Natürlich war für Rathenau<span class="pagenum"><a name="Seite_109" id="Seite_109">[S. 109]</a></span> diese „Einrangierung“ der Firma
-Siemens &amp; Halske in sein deutsches Glühlampenmonopol nicht ohne
-Zugeständnisse an das alte Elektrizitätshaus zu erreichen gewesen.
-Die Übertragung der Siemensschen Verträge mit der Pariser Gruppe auf
-die Deutsche Edison Gesellschaft war nur die <em class="gesperrt">eine</em> Seite des
-Vertragskomplexes zwischen den beiden Gruppen. Ein zweiter Teil bestand
-darin, daß Siemens &amp; Halske im Verhältnis der Vertragsgenossen das
-alleinige Recht erhielten, Maschinen, Apparate und Materialien für
-Beleuchtungsanlagen nach dem System Edison herzustellen, die sie zu
-Meistbegünstigungspreisen an die Deutsche Edison Gesellschaft liefern
-und die diese von Siemens &amp; Halske beziehen mußte. Glühlampen und
-Zubehör durften beide Gesellschaften selbst herstellen. Hinsichtlich
-ihres Bezuges von Dampf- und Hilfsmaschinen war die Deutsche Edison
-Gesellschaft nicht auf den Bezug von S. &amp; H. angewiesen. Was
-Bogenlampen anlangt, so sollte die Deutsche Edison Gesellschaft
-die nach dem System von S. &amp; H. gebauten verwenden müssen, sofern
-nicht Edison eine eigene Lampe erfinden und exploitieren würde.
-Als Gegenleistung für diese Zugeständnisse verpflichtete sich die
-Firma Siemens &amp; Halske, keine elektrischen Anlagen zu gewerblichen
-Zwecken (sogenannte Zentralstationen) zu betreiben. Die vertraglichen
-Abmachungen, die einer <em class="gesperrt">Teilung</em> der <em class="gesperrt">Fabrikations- und
-Interessengebiete</em> auf dem Gebiete der elektrischen Beleuchtung
-zwischen beiden Unternehmungen gleichkamen, wurden dadurch bekräftigt,
-daß die Firma Siemens &amp; Halske der jüngeren Gesellschaft, die für die
-Propagierung des Edisonlichts eine weitverzweigte und leistungsfähige
-Absatzorganisation benötigte, ihre eigenen Vertreter in allen Teilen
-des Deutschen Reiches für diese Zwecke zur Verfügung stellte. &mdash;
-Der für die Entwickelung der Deutschen Edison Gesellschaft so
-wichtig gewordene Hauptvertrag mit Siemens &amp; Halske soll nachstehend
-gleichfalls in seinen wesentlichsten Bestimmungen wörtlich
-wiedergegeben werden.</p>
-
-<div class="vertrag_edison">
-
-<p class="center">§ 3.</p>
-
-<p>Die Firma Siemens &amp; Halske verpflichtet sich für die Dauer des
-gegenwärtigen Vertrages, die dem Herrn Edison bezw. der Light-Company
-für das Deutsche Reich erteilten, die elektrische Glühlicht-Beleuchtung
-betreffenden Patente weder mit dem Antrag auf Nichtigkeits-Erklärung
-noch sonst anzufechten; sie ist im Gegenteil ge<span class="pagenum"><a name="Seite_110" id="Seite_110">[S. 110]</a></span>halten, tunlichst
-dahin mitzuwirken, daß diese Patente in ihren wesentlichen Teilen
-aufrechterhalten und hinsichtlich ihrer gesetzlichen Wirkung allseitig
-beachtet bleiben.</p>
-
-<p>Dagegen räumen Herr Edison, die Light-Company, die Continentale und das
-Konsortium hierdurch der Firma Siemens &amp; Halske für das Deutsche Reich
-auf die Dauer des gegenwärtigen Vertrages das Recht ein, den Gegenstand
-der durch die vorbezeichneten Glühlicht-Patente geschützten Erfindungen
-uneingeschränkt gewerbsmäßig herzustellen, herstellen zu lassen, in
-Verkehr zu bringen und feilzuhalten. Die Kontrahenten zu 2. bis 7.
-entsagen demgemäß für sich und ihre Rechtsnachfolger dem Recht, selbst
-oder durch ihre Agenten oder sonstigen Vertreter der vorbeschriebenen
-Ausnutzung der Glühlicht-Patente von Seiten der Herren Siemens &amp;
-Halske, sei es im Rechtswege, sei es in irgend einer anderen Weise ein
-Hindernis entgegenzusetzen, während die letzteren als Entgelt hierfür,
-sowie für die weiteren ihnen in diesem Vertrage von dem anderen Teile
-eingeräumten Vorteile die Verbindlichkeit übernehmen, nach näherer
-Maßgabe der §§ 4 und 6 eine Abgabe</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>a) für die Verwendung der Glühlicht-Lampen und ihrer akzessorischen
-Teile zur Beleuchtung,</p>
-
-<p>b) für die Veräußerung solcher Lampen</p></div>
-
-<p class="p0">zu entrichten.</p>
-
-<p class="center mtop1">§ 4.</p>
-
-<p>..... Diese Abgabe wird entrichtet für jede in den Glühlampen
-tatsächlich verbrauchte Pferdekraft (= 75 Kilogrammeter per 1 Sekunde).
-Die Feststellung dieser in den Lampen verbrauchten Pferdekraft hat nach
-dem elektrischen Maß-System zu erfolgen. Es wird vorbehalten, künftig
-eine möglichst einfache und sichere Art der Erhebung dieser Abgabe zu
-vereinbaren. Für die ersten fünfzig hiernach bei einer Anlage überhaupt
-in Rechnung kommenden Pferdekräfte beläuft sich die Abgabe auf 25.&mdash;
-Mark pro Pferdekraft, für jede weitere Pferdekraft auf 32.&mdash; Mark. Für
-außerordentliche Anlagen, die vorübergehend eingerichtet werden, wird
-diese Abgabe nicht entrichtet.</p>
-
-<p>..... Von Stromerzeugungsmaschinen, welche die Herren Siemens &amp; Halske
-veräußern, ohne selbst oder durch ihre Agenten oder Monteure die
-Installation auszuführen, haben sie eine Abgabe nicht zu entrichten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_111" id="Seite_111">[S. 111]</a></span></p>
-
-<p class="center mtop1">§ 5.</p>
-
-<p>Die Herren Siemens &amp; Halske entsagen für die Dauer des gegenwärtigen
-Vertrages dem Recht, permanente Anlagen mit dem gewerblichen
-Zweck der Abgabe von Licht gegen Bezahlung des Licht-Verbrauchs
-zu betreiben. Dieser Verzicht umfaßt unbedingt jede Anlage, aus
-welcher jedermann Licht beziehen kann, betrifft indessen nicht
-den Betrieb solcher Anlagen, bei welchen das Eigentum der Anlagen
-innerhalb eines Zeitraumes von längstens 6 Jahren auf den resp. die
-Licht-Konsumenten übergeht, auch wenn solche bis zum Eigentumsübergang
-als Lichtlieferungsanstalten angesehen werden könnten, und ferner nicht
-den Betrieb solcher Anlagen, welche nur dem Zweck der in § 4 erwähnten
-vorübergehenden Beleuchtungen dienen.</p>
-
-<p class="center mtop1">§ 6.</p>
-
-<p>Auf jede Glühlampe, welche die Herren Siemens &amp; Halske im Deutschen
-Reich anwenden oder zum Zweck der Anwendung im Deutschen Reich
-veräußern, ausschließlich jedoch aller derjenigen Lampen, welche
-sie von Herrn Edison oder dessen Rechtsnachfolgern beziehen, und
-ausschließlich derjenigen, welche sie im Bereich ihrer eigenen
-Fabrikations- und Geschäftsräume verwenden, werden die Herren Siemens
-&amp; Halske &mdash; in besonderer Anerkennung der Verdienste des Herrn Edison
-in der Erfindung und Durchführung der Glühlicht-Lampe &mdash; an diesen
-beziehungsweise an den von ihm jeweilig als empfangsberechtigt
-bezeichneten Rechtsnachfolger eine Abgabe entrichten. Die dieser
-Abgabe unterliegenden Lampen werden von den Herren Siemens &amp; Halske
-bei der Fabrikation durch ein besonderes Merkmal kenntlich gemacht
-werden. Ein ähnliches Merkmal wird auch seitens der künftigen Deutschen
-Edison Gesellschaft bei den von ihr in Deutschland in Verkehr
-gebrachten Lampen angewendet werden. Die Abgabe wird unabhängig von
-der Lichtstärke der Lampen festgesetzt auf 33⅓% (dreiunddreißig ein
-Drittel Prozent) des jeweiligen Selbstkostenpreises, zu welchem die
-Lampen in der Fabrik der Light-Company zu New York resp. in derjenigen
-Fabrik, der die künftige Deutsche Edison Gesellschaft die Mehrzahl
-ihrer Lampen entnimmt, hergestellt werden und welchen Herr Edison bezw.
-seine Rechtsnachfolger halbjährig nach Semestral-Abschluß der Bücher
-den Herren Siemens &amp; Halske mitteilen werden. Die<span class="pagenum"><a name="Seite_112" id="Seite_112">[S. 112]</a></span> Abgabe pro Lampe
-darf indessen in keinem Falle den Betrag von 50 Pf. (fünfzig Pfennig)
-übersteigen.</p>
-
-<p>Das Minimum des Preises, zu welchem Herr Edison und seine
-Rechtsnachfolger die Glühlampen in Deutschland verkaufen dürfen,
-soll der jeweilige Selbstkostenpreis der Fabrik der Light-Company
-zu New York oder derjenigen Fabrik, der die künftige Deutsche
-Edison-Gesellschaft die Mehrzahl ihrer Lampen entnimmt, unter
-Zurechnung eines Gewinnaufschlages von 33⅓% sein, auch wenn und wo
-ein Rabatt gewährt wird. Die so festgesetzte untere Preisgrenze ist für
-die Herren Siemens &amp; Halske gleichfalls verbindlich.</p>
-
-<p class="center mtop1">§ 7.</p>
-
-<p>Die Abgabe (§ 6) wird nicht gezahlt für alle Glühlampen, welche die
-Herren Siemens &amp; Halske von Herrn Edison beziehungsweise der ins Leben
-zu rufenden Deutschen Aktien-Gesellschaft (§ 1) oder seinen sonstigen
-Rechtsnachfolgern erwerben.</p>
-
-<p>Im Geschäftsverkehr zwischen diesen und den Herren Siemens &amp; Halske
-werden den letzteren vielmehr, unbeschadet etwaiger künftiger
-Verständigung über weitergehende Vergünstigungen, mit Rücksicht auf die
-vertragsmäßigen Gegenleistungen der Herren Siemens &amp; Halske folgende
-Vorzugs-Verkaufspreise zugesichert:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>a) Auf Glühlampen bis zu 16 Kerzenstärken erhalten die Herren
-Siemens &amp; Halske einen Rabatt von 25% (fünfundzwanzig Prozent) des
-Preiskourant-Satzes, mindestens aber einen Rabatt, der den irgend
-einem anderen Abnehmer in Deutschland gewährten um wenigstens 10%
-des Preiskourant-Satzes übersteigt.</p>
-
-<p>b) Wird der Preiskourant-Satz der vorbezeichneten Lampen für
-Deutschland loko Berlin unter 4 Mark herabgesetzt, so erhalten
-die Herren Siemens &amp; Halske die Lampe zu einem Preise, der um
-mindestens 5% niedriger ist, als der irgend einem anderen Abnehmer
-in Deutschland bewilligte. Stellt sich der so normierte Preis
-höher als der nach Litt. a) von einem Preis von 4 Mark oder mehr
-berechnete, so sind die Herren Siemens &amp; Halske berechtigt, die
-Lieferung zu diesem letzteren Preise zu fordern.</p>
-
-<p>c) Auf Glühlampen von mehr als 16 Kerzenstärken erhalten die Herren
-Siemens &amp; Halske auf den Preiskourant-Satz einen<span class="pagenum"><a name="Seite_113" id="Seite_113">[S. 113]</a></span> Rabatt, welcher
-den irgend einem anderen deutschen Abnehmer gewährten um wenigstens
-5% des Preiskourant-Satzes übersteigt.</p></div>
-
-<p>Die Herren Siemens &amp; Halske sind befugt, selbstverfertigte oder
-von Dritten bezogene Lampen &mdash; unter Einhaltung der in § 6 am
-Ende gezogenen unteren Preisgrenze &mdash; zu einem ihnen beliebigen
-Preise zu verkaufen, während sie die von Herrn Edison bezw. dessen
-Rechtsnachfolgern, das heißt ohne Leistung einer Abgabe bezogenen
-Lampen nicht unter dem Edisonschen Preiskourant-Satz und nicht mit
-einem höheren, als dem auf diesen Edisonschen Preiskourantsatz Dritten
-gewährten Rabatt weiter veräußern dürfen.</p>
-
-<p class="center mtop1">§ 8.</p>
-
-<p>Herr Edison und die Kontrahenten zu 3. bis 7. entsagen mit Rücksicht
-auf die vertragsmäßigen Gegenleistungen der Herren Siemens &amp; Halske
-für sich und alle ihre Rechtsnachfolger in der Ausnutzung der
-Edison-Patente, zu Gunsten der Herren Siemens &amp; Halske, dem Rechte,
-Maschinen, Apparate und Materialien anzufertigen, welche bei ihren
-Anlagen in Deutschland für elektrische Beleuchtung zur Verwendung
-kommen.</p>
-
-<p>Ausgenommen von vorstehender Entsagung bleiben:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>a) Glühlampen,</p>
-<p>b) sockets (Lampenhalter),</p>
-<p>c) safety-catches (Sicherheitsausschalter),</p>
-<p>d) commutators (Umschalter),</p>
-<p>e) alle solche Gegenstände, welche die Herren Siemens &amp; Halske selbst,
-nachdem sie solche eingekauft, ohne Bearbeitung weiter verkaufen
-würden, als blanke Drähte, Porzellan-Isolatoren und dergl.,</p>
-<p>f) Dampfmaschinen oder sonstige Motoren, Dampfkessel und Hilfsmittel
-für Betriebskraft,</p>
-<p>g) Kandelaber und Befestigungsteile für die
-Anbringung der Lampen.</p>
-
-</div>
-
-<p>In der Anschaffung und Anfertigung ihres Bedarfs an Gegenständen der
-Kategorien zu a) bis g) sind Herr Edison und seine Rechtsnachfolger
-nicht beschränkt. Dagegen verpflichten sie sich,<span class="pagenum"><a name="Seite_114" id="Seite_114">[S. 114]</a></span> gleichfalls aus der
-oben gedachten Rücksicht, alle sonstigen nachstehend unter 1. bis 4.
-einschließlich aufgeführten Gegenstände unter folgenden Modalitäten
-ausschließlich von den Herren Siemens &amp; Halske fabrizieren zu lassen
-und zu beziehen, und zwar:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>1. Stromerzeugungs-Maschinen nach Edisonschen Modellen, welche
-die Herren Siemens &amp; Halske zu fabrizieren und zu Preisen
-zu liefern haben, die für innerhalb Berlin zur Installation
-gelangende Maschinen unverpackt franko Ausstellungsort in Berlin,
-für andere Maschinen einschließlich der Verpackung und franko
-Bahnhof Berlin die Ausgangspreise nicht übersteigen, zu denen die
-Société industrielle et commerciale Edison in Paris die gleichen
-Typen jeweilig franko Bahnhof Paris einschließlich der Verpackung
-abgibt. Für die innerhalb des ersten Fabrikationsjahres, von
-dem Zeitpunkte ab gerechnet, mit welchem die Verpflichtung der
-Herren Siemens &amp; Halske zur Fabrikation beginnt oder zu welchem
-tatsächlich Bestellungen erfolgt und akzeptiert sind, ausgeführten
-Lieferungen darf jedoch der Preis der Herren Siemens &amp; Halske den
-vorbeschriebenen Pariser Preis um 5% übersteigen;</p>
-
-<p>2. Conductoren Edisonscher Spezialkonstruktion, boites de jonction
-und T-Stücke, sowie alle übrigen hier nicht besonders aufgeführten,
-zu dem Edisonschen Leitungssysteme gehörenden Gegenstände, welche
-die Herren Siemens &amp; Halske verpackt loko Berlin Bahnhof bezw.
-unverpackt loko Berlin franko Aufstellungsort zu Preisen zu
-liefern haben, die denjenigen Preis nicht übersteigen, zu welchem
-die Société industrielle et commerciale Edison in Paris diese
-Gegenstände inklusive Verpackung franko Pariser Bahnhof abgibt.</p>
-
-<p>3. Kabel zur Glühlicht-Beleuchtung und Bogenlicht-Beleuchtung, die
-Spezial-Konstruktionen der Firma Siemens &amp; Halske sind, welche die
-Herren Siemens &amp; Halske zu liefern und loko Fabrik ausschließlich
-der Verpackung mit einem Rabatt zu berechnen haben, der den irgend
-einem anderen deutschen Abnehmer in derselben Rechnungsperiode
-gewährten Rabatt um 5% des Lieferungspreises übersteigt.</p>
-
-<p>4. Leitungsdrähte für die Installation im Innern der Gebäude,
-welche Herr Edison und seine Rechtsnachfolger gleichfalls<span class="pagenum"><a name="Seite_115" id="Seite_115">[S. 115]</a></span>
-vorzugsweise von den Herren Siemens &amp; Halske beziehen sollen,
-sofern und solange diese Firma jene Gegenstände unter den
-gleichen Bedingungen, insbesondere in gleicher Qualität, zu dem
-nämlichen oder einem geringeren Preise und innerhalb der gleichen
-Lieferungszeiten liefert, als zu welchen dieselben loko Berlin von
-einem anderen Lieferanten bezogen werden können.</p></div>
-
-<p>..... Die Verpflichtung der Herren Siemens &amp; Halske, Maschinen etc.
-unter obigen Bedingungen zu liefern, beginnt sechs Monate nach
-Vollziehung dieser Vertrages.</p>
-
-<p>..... Im Fall die Herren Siemens &amp; Halske eine Kündigung des Vertrages
-ausgesprochen haben, werden Herr Edison und seine Rechtsnachfolger &mdash;
-in besonderer Anerkennung der Verdienste des Herrn Dr. Werner Siemens
-und der von ihm geleiteten Firma in der Erfindung und Durchführung der
-Dynamo-Maschine &mdash; für die Dauer des gegenwärtigen Vertrages von jeder
-solchergestalt in ihren eigenen Werkstätten angefertigten Maschine
-an die Herren Siemens &amp; Halske eine Abgabe entrichten. Diese Abgabe
-wird festgesetzt auf 5% (fünf Prozent) desjenigen Preises, welcher
-den Herren Siemens &amp; Halske für eine stromerzeugende Maschine der
-betreffenden Type zuletzt tatsächlich gezahlt ist, bezw. &mdash; bei neuen
-Typen &mdash; nach dem Obigen (siehe Nr. 1 etc.) zu zahlen sein würde.</p>
-
-<p class="center mtop1">§ 11.</p>
-
-<p>Herr Edison und seine Rechtsnachfolger entsagen mit Rücksicht auf
-die vertragsmäßigen Gegenleistungen der Herren Siemens &amp; Halske
-für Deutschland dem Recht, bei Bogenlicht-Beleuchtungen irgend
-ein anderes System als dasjenige der Herren Siemens &amp; Halske oder
-ein von Herrn Edison selbst erfundenes zu exploitieren und den zu
-Bogenlicht-Beleuchtungen gebrauchten Zubehör aus einer anderen
-Bezugsquelle als von den Herren Siemens &amp; Halske zu entnehmen,
-unbeschadet der im § 8 bestimmten Ausnahmen. Nur Kohlenstäbe fallen
-nicht unter diese Vereinbarung (§ 9 in fin.).</p>
-
-</div>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_116" id="Seite_116">[S. 116]</a></span></p>
-
-<p class="center mtop1 mbot2">*&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;*<br />
-*</p>
-
-<p>Das Abkommen zwischen der Deutschen Edison Gesellschaft und Siemens
-&amp; Halske hatte für beide Teile seine Vorteile und Nachteile. Für
-die ältere Firma, deren weitverzweigter Geschäftskreis dadurch nur
-in einem, überdies ziemlich weit an der Peripherie gelegenen Teile
-berührt wurde, hatte es zunächst mehr die Bedeutung eines Ausgleichs
-über ein neues, den alten Geschäftsstamm ergänzendes Zukunftsgebiet,
-keineswegs die Tragweite einer Teilung bisherigen Alleinbesitzes
-mit einem neu hinzukommenden Konkurrenten. So wurde es wenigstens
-damals von den Leitern der Firma S. &amp; H. aufgefaßt. Auf diesem neuen
-Gebiete, dem der Lichtelektrizität, sicherte man sich das Recht, die
-beste damals vorhandene Glühlampe zu produzieren. Die der Deutschen
-Edison Gesellschaft gegenüber höhere Lizenzgebühr nahm man in den
-Kauf, glaubte diesen Nachteil aber dadurch hinlänglich ausgeglichen zu
-haben, daß man das ausschließliche Recht, Maschinen und Materialien
-für Beleuchtungszwecke nach dem Edisonschen System herzustellen und
-dazu einen bedeutenden Pflichtabnehmer für diese Fabrikate sowie
-für die eigene Bogenlampenkonstruktion gewann. Der Verzicht auf die
-sogenannten „Konzessionen“, das heißt das Recht, Zentralstationen zur
-Erzeugung und gewerblichen Abgabe von Lichtstrom für eigene Rechnung
-zu errichten, fiel der Firma Siemens &amp; Halske damals nicht schwer.
-Sie hielt diesen Zentralenbau in eigener Regie für etwas Unsolides,
-mit dem Odium der Gründerei Behaftetes und hätte &mdash; wenigstens zu
-jener Zeit &mdash; wohl auch ohne diese Bindung nicht an die Errichtung
-solcher Stationen gedacht. Der ganze Vertrag war für die Firma insofern
-wertvoll, als er ihr die Möglichkeit bot, die neue Konkurrenz, deren
-Kapitals- und Industriekraft ihr gewiß nicht ebenbürtig war, deren
-Unternehmungslust aber sehr groß und lebhaft zu sein schien, auf ein
-Sondergebiet, das der Glühlampenbeleuchtung, zu beschränken. Für
-die Deutsche Edison Gesellschaft waren manche der einschränkenden
-Bedingungen &mdash; darüber war sich Emil Rathenau schon damals nicht im
-Unklaren &mdash; hemmend, wenngleich nicht so sehr für die nächste Zeit, die
-auf dem gewählten Sondergebiet vorerst mehr als genug Arbeit bot, als
-für die weitere Entwickelung. Dafür erwarb die junge Gesellschaft aber
-ein Rechtsmonopol für Glühlampen Edisonschen Systems in Deutschland,
-schaltete die stärkste Konkurrenz auf dem wichtigen Zentralenbaugebiet
-aus und hatte die Gewähr, diejenigen Hilfsanlagen, die sie selbst<span class="pagenum"><a name="Seite_117" id="Seite_117">[S. 117]</a></span>
-nicht herstellen durfte, von der leistungsfähigsten Fabrikationsfirma
-zu günstigen Preisen geliefert zu erhalten. Schließlich war die enge
-Geschäftsverbindung mit dem großen Hause Siemens &amp; Halske für den
-geschäftlichen Ruf eines neu gegründeten Unternehmens an sich, ganz
-unabhängig von dem Inhalt der Verträge, wertvoll genug. Sie hob es über
-die Fährnisse und Unsicherheiten der Vertrauensfrage Abnehmern und
-Aktionären gegenüber mit einem Schlage soweit hinaus, wie dies sonst
-nur durch jahrelange gute Leistungen und Erträgnisse möglich gewesen
-wäre, und gab ihm von vornherein den Rahmen der Ernsthaftigkeit und
-industriellen Bedeutung. Eine Gesellschaft, die Siemens &amp; Halske eines
-Interessenteilungs-Vertrages für würdig hielten, mußte &mdash; so wird man
-sich damals gesagt haben &mdash; doch eine ernsthafte Grundlage besitzen,
-und der „Vertrag mit Siemens, der Rathenau an Händen und Füßen
-fesselte“ &mdash; so drückte sich ein bekannter Finanzmann aus &mdash; „war für
-das junge Unternehmen nichtsdestoweniger ein Glück, weil es eben ein
-Vertrag mit Siemens war.“</p>
-
-<p class="mtop2">Nach Erledigung dieser rechtlichen und vertraglichen
-Grundkonstruktionen konnte sich die neue Verwaltung mit Intensität
-ihrer industriellen Arbeit widmen. Dabei war sie sich durchaus der
-Tatsache bewußt, daß das neue Beleuchtungssystem in seiner praktischen
-Anwendung und Handhabung noch nicht völlig über die Periode der
-Versuche und Kinderkrankheiten hinausgewachsen war. Rückschläge und
-Mißerfolge &mdash; namentlich in der Hand von ungeübten Unternehmern &mdash;
-waren leicht möglich, und hätten der Volkstümlichkeit der jungen
-Beleuchtung schweren Schaden bringen können. In der ersten eigenen
-Blockstation, Friedrichstraße 85, von der aus man die umliegenden
-Häuser und Etablissements mit elektrischem Licht speiste, mußten die
-Ingenieure der Gesellschaft, darunter Rathenau und Oscar v. Miller,
-noch immer persönlich scharfen Überwachungsdienst leisten, damit
-die Maschinen in richtigem Gang blieben, und wenn doch einmal, was
-gar nicht so selten vorkam, die elektrische Beleuchtung plötzlich
-erlosch, mußten die Gäste im Café Bauer, das zu den Abnehmern
-jener ersten Station gehörte, mit guter Laune über die unangenehme
-Situation hinweggebracht werden, eine Aufgabe, die allerdings &mdash; wie
-Oscar v. Miller humorvoll zu erzählen pflegte &mdash; bei den Kollegen
-am wenigsten begehrt war. Hatte die<span class="pagenum"><a name="Seite_118" id="Seite_118">[S. 118]</a></span> Deutsche Edison Gesellschaft
-schon selbst trotz ihrer besonderen Erfahrungen auf dem Gebiete des
-Glühlampen-Lichts mit derartigen Schwierigkeiten zu kämpfen, so mußte
-sie sich die Lizenzanträge, die ihr in großer Zahl zugingen, doppelt
-und dreifach daraufhin ansehen, ob die Firmen, von denen sie ausgingen,
-die erforderliche technische Gewähr für zuverlässige Ausführung
-boten. In ihrem ersten Geschäftsbericht hebt die Edisongesellschaft
-ausdrücklich hervor, daß sie unter Verzicht auf den durch unbeschränkte
-Lizenzerteilung zu erzielenden Nutzen unter dem Schutz der deutschen
-Edison-Patente nur Firmen vereinigen dürfe, die durch ihre bisherigen
-Leistungen und durch ihre bevorzugte Stellung in der Industrie dem
-Publikum genügende Sicherheit für sorgfältige Installation und
-Garantien dafür boten, daß sie nicht auf Kosten der Qualität eine
-Preiskonkurrenz herbeiführen würden. Infolge dieser vorsichtigen
-Verkaufspolitik wurden im ersten Geschäftsjahre nur mit der Firma J.
-Schuckert in Nürnberg und der Firma Heilmann, Ducommun &amp; Steinlen
-in Mülhausen Lizenzverträge abgeschlossen, nach denen sie gegen
-Erstattung gewisser Abgaben und gegen die Verpflichtung, die Lampen
-ausschließlich von der Deutschen Edison Gesellschaft zu beziehen,
-zur Benutzung der Edisonschen Patente berechtigt waren. Trotz dieser
-selbstgewählten Beschränkung waren bei Ablauf des ersten im ganzen
-noch nicht 8 Monate umfassenden Geschäftsjahres der Gesellschaft in
-Deutschland bereits 138 Dynamomaschinen mit mehr als 12000 Lampen unter
-dem Schutze der Edisonschen Patente in Tätigkeit. Die ersten Maschinen,
-Apparate usw. mußten noch von ausländischen Edison-Gesellschaften
-bezogen werden, da die Firma Siemens &amp; Halske nicht sofort mit
-der Lieferung von Edison-Maschinen beginnen konnte, sondern erst
-umfassende Vorbereitungen für die Produktion treffen mußte. Hierbei
-trat denn die Mangelhaftigkeit der Edisonschen Original-Maschinen
-klar zutage. Eisenteile zerbrachen häufig, die Widerstände waren
-falsch berechnet. Kurz, die Deutsche Edison Gesellschaft hatte mit
-diesen Maschinen viel Ärger. Schon in kurzer Zeit gelang es der Firma
-Siemens &amp; Halske aber dank ihrer ausgezeichneten und geschulten
-Kräfte und der reichen Mittel, die ihr zur Verfügung standen, sich
-der übernommenen Aufgabe in so vollendeter Weise zu entledigen, daß
-die Deutsche Edison Gesellschaft ihren Bedarf ausschließlich in ihren
-Werkstätten decken konnte. Für die Herstellung von Antriebsmotoren<span class="pagenum"><a name="Seite_119" id="Seite_119">[S. 119]</a></span>
-zum Betriebe der Dynamomaschinen, bei deren Bezug die Gesellschaft
-nicht an S. &amp; H. gebunden war, entwarf die Edison-Gesellschaft, nachdem
-es sich herausgestellt hatte, daß die zu verwendenden Motoren die
-bisherigen Ansprüche überstiegen, Spezialkonstruktionen, die nach ihren
-Anweisungen von einer Berliner Maschinenfabrik hergestellt wurden.
-Auch hier ging es nicht ohne Fehlschläge ab. Für die Herstellung
-von Glühlampen, die den wesentlichsten Teil der neuen Beleuchtung
-bildeten, richtete die Gesellschaft dagegen eigene Fabrikationsanlagen
-auf Grund der in Amerika und Frankreich gemachten Erfahrungen
-ein; die Erzeugungsfähigkeit der Fabrik wurde auf zunächst 150000
-Lampen jährlich bemessen und im ersten Geschäftsjahre &mdash; in einer
-Verkaufszeit von 6 Monaten &mdash; wurden 25000 Stück abgesetzt. An größeren
-Installationsaufträgen waren u. a. auszuführen: Die endgültigen
-Beleuchtungsanlagen in den beiden Münchener Königlichen Theatern,
-dem Residenztheater und dem Opernhaus, und eine Anlage in dem neuen
-Königlichen Residenztheater zu Stuttgart. Im ganzen wurden 27 Anlagen
-mit 33 Maschinen hergestellt, unter deren Bestellern sich Maschinen-,
-Zucker- und Papierfabriken, Spinnereien, Webereien, Geschäftshäuser und
-Restaurants befanden. Dabei leisteten Felix Deutsch seine Beziehungen
-namentlich zur Zuckerindustrie gute Dienste. Auch hier waren die
-Ergebnisse aber zunächst keineswegs so befriedigend, wie man das
-erhofft hatte. Abgesehen von den Störungen, die durch die anfänglich
-gelieferten schlechten amerikanischen Maschinen hervorgerufen
-wurden, konnten sich die Kunden auch nur schwer an die sogenannten
-„Schnelläufer“ gewöhnen, die mit den 300 Touren, die sie in jener Zeit
-liefen, für damalige Begriffe ein Höllengeräusch machten. In eigenem
-Betrieb wurde die kleine von der Versuchsgesellschaft übernommene
-Zentralstation ausgebaut, die von dem Grundstück des Unionklubs in der
-Schadowstraße diesen sowie die Ressource von 1794 mit elektrischer
-Energie versorgte. Eine Erweiterung mit dem Zwecke, auch das in der
-Nähe gelegene Aquarium so wie einige andere Nachbarbetriebe mit Licht
-zu versorgen, wurde in die Wege geleitet. Die im Jahre 1883 in Berlin
-abgehaltene Hygiene-Ausstellung wurde dazu benutzt, das Glühlicht in
-großem Maßstabe dem Publikum der Reichshauptstadt vorzuführen.</p>
-
-<p>Für das Jahr 1883, das erste Geschäftsjahr des neuen Unternehmens,
-wurde folgende Bilanz aufgestellt:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_120" id="Seite_120">[S. 120]</a></span></p>
-
-<p class="center mtop2"><b>Bilance für das erste Geschäftsjahr,</b><br />
-abgeschlossen per 31. Dezember 1883.</p>
-
-<table class="bilanz" summary="Bilanz für 1883">
- <tr>
- <td colspan="2">
- <i>Aktiva.</i>
- </td>
- <td>
- &nbsp;
- </td>
- <td>
- &nbsp;&emsp;M.&nbsp;&emsp;&nbsp;Pf.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat nowrap">
- &ensp;An&ensp;
- </td>
- <td class="vat">
- Kasse-Conto
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;&#8199;&#8199;7.720.07
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &ensp;&nbsp;„
- </td>
- <td class="vat hang">
- Effekten-Conto 3½ pCt. Pr. St. Schld. (Kaution) nom. M. 150.&mdash;
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;&#8199;&#8199;&#8199;&nbsp;150.05
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &ensp;&nbsp;„
- </td>
- <td class="vat hang">
- Waaren-Conto
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;204.248.01
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &ensp;&nbsp;„
- </td>
- <td class="vat hang">
- Conto-Corrent-Conto
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &ensp;a) Guthaben bei diversen Banken
- </td>
- <td class="vab">
- 4.103.672.&mdash;
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &ensp;b) Guthaben auf Forderungen in lfd. Rechnung
- </td>
- <td class="vab">
- <span class="bb">&#8199;&nbsp;548.298.27</span>
- </td>
- <td class="vab">
- 4.651.970.27
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &ensp;&nbsp;„
- </td>
- <td class="vat hang">
- Inventarien-Conto
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp;&nbsp;I. Mobilien
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;11.727.97
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp;II. Comptoir- und Bureau-Utensilien
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;&#8199;4.219.95
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- III. Technische Instrumente, Apparate und Chemikalien
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;&#8199;5.929.55
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- IV. Bücher und Pläne
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;&#8199;2.387.60
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp;V. Werkzeuge
- </td>
- <td class="vab">
- <span class="bb">&#8199;&#8199;1.233.85</span>
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;25.498.92
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp;&nbsp;&emsp; ab 10% Abschreibung
- </td>
- <td class="vab">
- <span class="bb">&#8199;&#8199;2.550.&mdash;</span>
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;&#8199;&nbsp;22.948.92
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &ensp;&nbsp;„
- </td>
- <td class="vat hang">
- Immobilien-Conto
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- Grundstück Friedrichstrasse 85
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;&nbsp;227.211.38
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &ensp;&nbsp;„
- </td>
- <td class="vat hang">
- Vorschuss-Conto Compagnie Continentale Paris, Rest der an dieselbe,
- für Ausnutzung der Edison-Patente gezahlten Erwerbspreise von M.
- 350.000 per 31. Dezember 1883 (§ 35 der Statuten)
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;&nbsp;336.133.45
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &ensp;&nbsp;„
- </td>
- <td class="vat hang">
- Centralstation Schadowstrasse 9
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- Union-Club und Ressource 1794
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;&#8199;&nbsp;54.739.05
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &ensp;&nbsp;„
- </td>
- <td class="vat hang">
- Patent-Conto
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- <span class="bb">&#8199;&#8199;&#8199;&nbsp;2.000.&mdash;</span>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- 5.507.121.20
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="padtop1" colspan="2">
-<span class="pagenum"><a name="Seite_121" id="Seite_121">[S. 121]</a></span>
- <i>Passiva.</i>
- </td>
- <td class="padtop1">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="padtop1">
- &nbsp;&emsp;M.&nbsp;&emsp;&nbsp;Pf.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat nowrap">
- Per
- </td>
- <td class="vat">
- Actien-Capital-Conto
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- 5.000.000.&mdash;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &ensp;„
- </td>
- <td class="vat hang">
- Conto-Corrent-Conto Creditoren in laufender Rechnung
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;&nbsp;303.137.03
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &ensp;„
- </td>
- <td class="vat hang">
- Hypotheken-Conto auf Friedrichstrasse 85 haftende Hypothek
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;&#8199;&nbsp;30.000.&mdash;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &ensp;„
- </td>
- <td class="vat hang">
- Gewinn- und Verlust-Conto Reingewinn
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;&nbsp;173.984.17
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &ensp;„
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp; Dividenden-Conto per 1883 4% v. M. 5.000.000 resp.
- 10.000 Act. à M. 13.35
- </td>
- <td class="vab">
- M.&nbsp;&#8199;133.500
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &ensp;„
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp; Rückstellungs-Conto für unternommene Anlagen
- </td>
- <td class="vab">
- M.&nbsp;&#8199;&#8199;40.000
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat bb">
- &ensp;„&ensp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp; Gewinn-Uebertrag pro 1884
- </td>
- <td class="vab">
- M.&nbsp;&#8199;&#8199;&#8199;&#8199;&nbsp;484.17
- </td>
- <td class="vab bb">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &ensp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &ensp;
- </td>
- <td class="vab">
- &ensp;
- </td>
- <td class="vab">
- 5.507.121.20
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<p class="center mtop2"><b>Gewinn- und Verlust-Conto</b><br />
-per 31. Dezember 1883.</p>
-
-<table class="bilanz" summary="Bilanz für 1883">
- <tr>
- <td colspan="2">
- <i>Debet.</i>
- </td>
- <td>
- &nbsp;
- </td>
- <td class="nowrap">
- &emsp;M.&emsp;&nbsp;Pf.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat nowrap">
- &ensp;An&ensp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- Handlungs-Unkosten-Conto
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp;&nbsp;&nbsp;I. Gehälter
- </td>
- <td class="vab">
- 56.563.70
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp;&nbsp;II. Reisekosten
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;4.203.75
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp;III. Schreib- und Zeichen-Material, Druckkosten, Formulare
- und Bureaubedürfnisse
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;6.529.48
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp;IV. Porti, Depeschen, Insertionen und öffentliche Blätter
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;5.926.68
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp;&nbsp;V. Miethe und Instandhaltung der Dienstlokale
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;6.641.50
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp;VI. Feuer-Versicherung
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;&#8199;&nbsp;861.48
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- VII. Stempel, Steuern, Einkommen- und Mieths-Steuer
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;4.993.70
- </td>
- <td class="vab bb">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;85.720.29
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat nowrap">
-<span class="pagenum"><a name="Seite_122" id="Seite_122">[S. 122]</a></span>
- &ensp;An&ensp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- Organisations-Conto
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- Druck der Actien und Statuten, Prospekte, Eintragungskosten,
- Fertigstellung und Controllzeichnung der Actien und Publikationen
- durch die Presse
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;12.323.33
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &ensp;&nbsp;„
- </td>
- <td class="vat hang">
- Inventarien-Conto
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- 10 pCt. Abschreibung von 25.498.92
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &#8199;&#8199;2.550.&mdash;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- Reiner Gewinn
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab bb">
- 173.984.17
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vat hang">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- 274.577.79
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="padtop1" colspan="2">
- <i>Credit.</i>
- </td>
- <td>
- &nbsp;
- </td>
- <td class="nowrap padtop1">
- &emsp;M.&emsp;&nbsp;Pf.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat" colspan="2">
- Per Waaren-Conto
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- 160.151.23
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat" colspan="2">
- Per Zinsen-Conto
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab bb">
- 114.426.56
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat" colspan="2">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- &nbsp;
- </td>
- <td class="vab">
- 274.577.79
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<p class="center mtop1 mbot2">*&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;*<br />
-*</p>
-
-<p>Wir sehen aus dieser Bilanz, daß nach Ablauf des ersten Geschäftsjahres
-das eingezahlte Kapital der Gesellschaft von 5 Millionen Mark erst zu
-einem kleinen Teil in Anspruch genommen und in den Betrieb überführt
-worden war. Ein Betrag von 4.103.672 Mark war noch bar vorhanden und
-als Guthaben der Gesellschaft bei verschiedenen Banken niedergelegt.
-Trotzdem konnte auf das Aktienkapital von 5 Millionen Mark eine
-Dividende von 4% für die Zeit von der Gründung der Gesellschaft bis
-zum Bilanzabschluß zur Ausschüttung gebracht werden, was aber zum Teil
-dadurch ermöglicht wurde, daß neben dem Warengewinn von 160.151 Mark
-ein Zinsgewinn von 114.426 Mark aus dem Bankguthaben der Gesellschaft
-zufloß.</p>
-
-<p>In den folgenden Jahren schritt die technische Entwickelung rüstig
-fort. Trotz mancher Rück- und Fehlschläge war der Siegeszug des
-Edison-Lichts nicht mehr aufzuhalten, besonders nachdem es der
-Gesellschaft gelungen war, eine Bogenlampenkonstruktion zu erwerben,
-bei der es möglich wurde, Bogenlicht und Glühlicht rationell in
-demselben Stromkreise zu brennen. Diese Lampe füllte auch die
-Lücke aus, die bisher zwischen der sechzehnkerzigen Glühlampe
-und der Bogenlampe von 1000 Normalkerzen bestanden hatte, da man
-ihre Lichtstärke durch Regulierung des Stromverbrauchs in<span class="pagenum"><a name="Seite_123" id="Seite_123">[S. 123]</a></span> weiten
-Grenzen bis zu 100 Kerzen Leuchtkraft herab vermindern konnte.
-Damit wurde eine der Hauptvorbedingungen für die Einrichtung von
-Zentralstationen, die Straßen und Innenräume gleichzeitig versorgen
-konnten, gegeben. Die neue Bogenlampe bewährte sich gleich gut in
-Wohnungen wie in Werkstätten, in Theatern wie auf Straßen und gewann
-schon in wenigen Monaten unter der großen Zahl von Bogenlampen, die
-allenthalben angeboten wurden, solchen Ruf, daß die Deutsche Edison
-Gesellschaft nur selten Glühlichtbeleuchtungen ausführte, bei denen
-nicht einige oder mehrere Bogenlampen mit verwendet wurden. Mit dem
-neuen System hatte die Deutsche Edison Gesellschaft zwar, bei der
-damals herrschenden Praxis des Patentamts, neue Erfindungen nur in
-begrenztem Umfange zu schützen, kein Monopol für gemischtes Licht
-erworben, aber trotz der Intensität, mit der sich fast die gesamte
-Konkurrenz sofort dem neuen Gebiete zuwandte, einen Vorsprung erlangt,
-der so schnell nicht einzuholen war. Auf Grund ihrer Erfahrungen
-hatte sie eine Spezialfabrikation der neuen Lampe eingerichtet, die
-es ihr ermöglichte, diese in einer Vollendung herzustellen, wie
-sie die Konkurrenz damals noch nicht erreichen konnte. Derartige
-Vorsprünge lassen sich gerade in der Elektrotechnik allerdings nur
-verhältnismäßig kurze Zeit hindurch aufrechterhalten, und, selbst
-wenn unablässig weiter gearbeitet und der Zwischenraum durch neue
-Verbesserungen aufrecht zu halten versucht wird, gelingt es meist
-nach einiger Zeit der Konkurrenz, den Anschluß wieder zu finden. So
-schnell war dies damals bei dem gemischten Licht der Deutschen Edison
-Gesellschaft aber nicht möglich, und infolgedessen wurde gerade von
-der stärksten Konkurrenzfirma, Siemens &amp; Halske, die sich in ihrer
-bisherigen fast monopolistischen Beherrschung des Bogenlampengeschäfts
-durch die neue Erfindung ernstlich bedroht sah, eine Einwirkung auf
-nichttechnischem Gebiete versucht. Siemens &amp; Halske bestritten der
-Deutschen Edison Gesellschaft auf Grund des zwischen beiden Firmen
-geschlossenen Vertrages das Recht, Bogenlampen anderer Konstruktion als
-der von Siemens &amp; Halske verwendeten herzustellen oder zu beziehen.
-Der Vermittlungs-Vorschlag der Deutschen Edison Gesellschaft, Siemens
-&amp; Halske die Anfertigung der neuen Lampen vorzugsweise zu bestimmten
-Preisen zu übertragen, wurde nicht angenommen, und es kam zwischen den
-beiden Firmen zu ihrem<span class="pagenum"><a name="Seite_124" id="Seite_124">[S. 124]</a></span> ersten Prozeß. Auch sonst hatte die Edison
-Gesellschaft ihre Patente und Konstruktionen gegen Einsprüche und
-Verletzungen zu verteidigen. Insbesondere die Swan United Electric
-Light Co. in London, die Besitzerin der englischen Edisonpatente,
-hatte einerseits eine Klage auf Nichtigkeit der Edison-Patente in
-Deutschland angestrengt, und andererseits behauptet, daß die von ihr
-hergestellten und in Deutschland vertriebenen sogenannten Swanlampen
-die Edison-Patente nicht berührten. Es entwickelte sich ein Rattenkönig
-von Prozessen, da umgekehrt auch die Deutsche Edison Gesellschaft gegen
-Agenten und Abnehmer der Swan Electric Co. Klagen bei verschiedenen
-Landgerichten wegen Patentverletzung eingereicht hatte. Solange die
-Prozesse schwebten, konnten, wie es in solchen Fällen zu geschehen
-pflegt, wirksame Mittel gegen eine Herstellung und Vertreibung der
-„rechtswidrig hergestellten“ Lampen nicht ergriffen werden. Selbst als
-die Hauptklagen vom Reichsgericht zu Gunsten der Edison Gesellschaft
-entschieden waren, gelang es nicht mehr, eine völlige Aufrechterhaltung
-der Edison-Patente zu erreichen, da die Gegner in gewissen rechtlich
-als Nebenpunkte figurierenden Teilen ihrer Klage durchdringen konnten,
-womit aber bei der Lage der damaligen Technik die Edison-Patente
-tatsächlich gefallen waren. Streng genommen sind sie niemals derart in
-Kraft gewesen, daß sie ein tatsächliches Monopol für die Herstellung
-der Glühlampen gewährten. Es gab stets Konkurrenzfirmen, sowohl in
-Deutschland als auch anderswo, die sich außerhalb der Patente zu
-stellen wußten, und so wäre es auch Rathenau an sich möglich gewesen,
-seine Glühlampenfabrikation ohne die belastenden Verträge mit Edison
-aufzunehmen. Er hätte vielleicht als „Patent-Freibeuter“ nicht viel
-mehr Prozesse führen müssen, wie er in seiner Eigenschaft als Wahrer
-der legitimen Edisonschen Rechte gegen die Freibeuter zu führen
-gezwungen war. Aber er wählte zum Teil aus Redlichkeit, zum Teil,
-um die große Zugkraft des berühmten Erfindernamens und die damals
-beste und fertigste Glühlampe sowie die von Edison bereits gemachten
-Erfahrungen sich nutzbar machen zu können, den geraden Weg. Bitter
-hat er es gelegentlich beklagt, daß „dem großen Meister der Tribut
-seiner Erfindung vorenthalten worden sei und daß selbst die technische
-Autorität eines Slaby nicht ausgereicht hätte, um den Richtern seine
-wissenschaftliche Überzeugung, mit der er für die Erhaltung der
-deutschen<span class="pagenum"><a name="Seite_125" id="Seite_125">[S. 125]</a></span> Patente eingetreten war, glaubhaft zu machen.“ Wieviel
-Intriguenspiel und inneres Unrecht bei diesen „rechtlich“ zu Gunsten
-der Gegner entschiedenen Prozessen mit im Spiel war, zeigt allein
-die Tatsache, daß dieselbe Swan Electric Co., die in Deutschland
-die Edison-Patente bekämpfte und zu Fall brachte, in England selbst
-Inhaberin dieser Patente war und daß es ihr dort gelang, sie noch etwa
-10 Jahre lang gegen alle Einsprüche aufrecht zu erhalten. Angesichts
-solcher Widersprüche wird die Bitterkeit, mit der Rathenau häufig genug
-von den Patententtäuschungen jener Zeit sprach, wohl verständlich.</p>
-
-<p>Die geschilderten Umstände dürften gezeigt haben, daß es nicht die
-bequemen Monopolrechte waren, denen es zuzuschreiben war, daß die
-Deutsche Edison Gesellschaft vorwärts kam, sich Namen und Erfolge
-errang. Kaufmännische Zähigkeit und technische Tüchtigkeit errangen
-diese Erfolge und bewirkten, daß die junge Gesellschaft die von
-ihr rechtmäßig erworbenen Monopole auch tatsächlich verdiente. Sie
-mußte sie sozusagen täglich erwerben, um sie zu besitzen. Überall
-da, wo die Einführung der Lichtelektrizität am schwersten war,
-da war die Deutsche Edison Gesellschaft zu finden. Die kleineren
-isolierten Einrichtungen, die mit Hilfe von Agenten und selbständigen
-Installateuren verhältnismäßig leicht ausgeführt werden konnten,
-überließ sie ihren Lizenzträgern. Sie selbst befaßte sich fast
-ausschließlich mit dem Bau umfangreicherer Anlagen wie Blockstationen,
-Beleuchtungen von Theatern, Kauf- und Warenhäusern, ausgedehnten
-gewerblichen Etablissements. Den bereits geschilderten Anlagen
-im Jahre 1883 folgten im nächsten Jahre die Blockstation in der
-Friedrichstraße 85, die das Café Bauer, die Gebäude Unter den Linden
-26 und 27 mit Strom versorgte und eine Lichtkapazität von 2000
-Lampen erhielt. Der Schnelldampfer „Werra“ des Norddeutschen Lloyd
-und das chinesische Panzerschiff „Chen Yuen“ erhielten durch die
-Gesellschaft Edison-Anlagen. Den Theaterbeleuchtungen in München und
-Stuttgart folgten solche in Schwerin, Dessau und Halle. Das Bayerische
-Landtagsgebäude, das Preußische Kultusministerium und die Friedrich
-Wilhelmsuniversität in Berlin erteilten Aufträge. In Spinnereien,
-Webereien, Druckereien, Mühlen, Brauereien fand das neue Licht
-wegen seiner Annehmlichkeit und Sicherheit immer größeren Eingang,
-besonders nachdem die Maschinen zuverlässiger ausgeführt wurden
-und regelmäßiger funk<span class="pagenum"><a name="Seite_126" id="Seite_126">[S. 126]</a></span>tionierten. Derartige größere Anlagen waren
-durch selbständige Abnehmer, Agenten oder Installationsingenieure
-nicht einzurichten, sie erforderten eine so eingehende Kenntnis der
-neuen Methoden, eine so umfangreiche Bauorganisation, daß sie nur
-von der Edison-Gesellschaft selbst vorgenommen werden konnten und
-nicht nur eine Projektierung durch diese Firma, sondern auch eine
-sorgfältige Überwachung der Installationen durch alle Stadien von
-der Zentralstelle aus erforderten. Sollte das Werk wirksam seinen
-Meister loben, und dem neuen Licht die Anhängerschaft immer weiterer
-Kreise werben, so mußten alle wichtigen und schwierigen Anlagen unter
-eigener Verantwortlichkeit ausgeführt werden. Besonders Deutsch, der
-von Anfang an die Licht- und Kraftanlagen sowie das Installations-
-und Absatzgeschäft unter sich hatte, erkannte, gewitzigt durch die
-Klagen, die ihm in seinen Abnehmerkreisen fehlerhaft ausgeführte
-Anlagen eingetragen hatten, die Notwendigkeit, die bisherigen
-Absatzmethoden, wie sie in der Elektrizitätsindustrie, namentlich
-auch bei Siemens &amp; Halske, üblich gewesen waren, einer gründlichen
-Reform zu unterziehen. An die Stelle des Agenten, Installateurs und
-Händlers, der Maschinen, Apparate, Lampen und Materialien bezog,
-setzte er das <em class="gesperrt">eigene Installationsbureau</em>, das allmählich in
-allen wichtigeren Städten des In- und Auslands entstehen, die dort
-vorkommenden Aufträge ausführen und durch lebendige, individuelle
-Propaganda, solide Arbeit und wirksame Beispiele die in Betracht
-kommenden Betriebe zur Einführung der elektrischen Beleuchtung anregen
-sollte. Bereits im Jahre 1885 wurde das erste Installationsbureau
-in München errichtet, zum Teil um den partikularischen Interessen
-und Eigenheiten entgegenzukommen, zum Teil weil man in der Stadt
-der Elektrizitätsausstellung von 1883 und der ersten elektrischen
-Theaterbeleuchtung einen besonders gut vorbereiteten Boden zu finden
-hoffte. Leipzig, Breslau, Köln, Hamburg und Straßburg i. E. folgten
-bereits in den nächsten Jahren. Die Entwickelung des Geschäfts in der
-ersten Periode der Gesellschaft, die mit dem Jahre 1886 abschließt,
-wird dadurch am besten gekennzeichnet, daß im Jahre 1883 27 Anlagen mit
-33 Maschinen und 4729 Lampen hergestellt wurden, während am Schlusse
-des Jahres 1886 durch die Gesellschaft bereits 260 Anlagen mit 70000
-Glühlampen und 1000 Bogenlampen in Betrieb gesetzt waren.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_127" id="Seite_127">[S. 127]</a></span></p>
-
-<p>Dieser Entwickelung des Absatzes und der Geschäftsorganisation
-entspricht auch das Wachstum der Fabrikations- und
-Geschäftseinrichtungen. Bereits nach wenigen Monaten hatte die
-Gesellschaft ihre Bureauräume im Hause Leipzigerstraße 94 aufgegeben,
-zum Teil weil sie zu eng wurden, zum Teil weil die Nähe eines in die
-Parterre-Räume eingezogenen Caféetablissements mit wenig vornehmem
-Konzert- und Nachtbetrieb unangenehm fühlbar wurde. Die Gesellschaft
-hatte alsdann auf Veranlassung des rührigen Deutsch das Grundstück
-Friedrichstraße 85 erworben. Deutsch hatte einen Erwerb der ganzen
-damals verkäuflichen 400 Quadratruten vorgeschlagen. Rathenau, der
-bei Neuerwerbungen immer sehr vorsichtig zu Werke ging, hatte von
-diesen 400 Quadratruten 200 abgestrichen. Er huldigte überhaupt dem
-Grundsatz „Eher zu klein, als zu groß“ und diesem Grundsatz hat es
-seine Gesellschaft zu verdanken gehabt, daß ihre Betriebe stets
-überbeschäftigt waren, und jene Halbleere, die die Produktionskosten
-und Zinsen so abnorm steigert, auch in Zeiten schlechter Konjunktur
-vermieden wurde. Auf die Chancen, gute Konjunkturen ganz auszunutzen,
-besonders wenn sie überraschend auftraten, mußte allerdings bei einem
-solchen System verzichtet werden. In dem Gebäude Friedrichstraße
-85, in dessen Kellerräumen die schon mehrfach erwähnte Blockstation
-untergebracht war, befanden sich die Bureauräume, indes auch nur
-kurze Zeit. Als das erste Fabrikgebäude in der Schlegelstraße,
-die Lampenfabrik, auf dem einstmals von Strousberg für einen
-Schlachthof, später für eine Markthalle in Aussicht genommenen
-Gelände fertiggestellt war, wurden die Bureauräume im Interesse
-einheitlicher Verwaltung bereits Mitte März 1884 in die Fabrik verlegt.
-Die Parterre-Räumlichkeiten des Hauses Friedrichstraße wurden an
-Laden-Geschäfte vermietet, in den oberen Räumen wurde eine permanente
-Ausstellung von Erzeugnissen der Gesellschaft eingerichtet. Die
-neue Fabrik hatte einen Umfang und Einrichtungen erhalten, in denen
-jährlich 300000 Glühlampen hergestellt werden konnten. Man glaubte
-damals, mit solchen Dimensionen einen gewaltigen Spielraum für weitere
-Ausdehnungsmöglichkeiten der Zukunft erschlossen zu haben. Mit welchen
-Riesenschritten die Ansprüche wachsen würden und wie bald und wie
-oft neue Erweiterungen dieser Grundfabrik notwendig werden würden,
-hat selbst ein Elektrizitäts-Optimist wie Emil Rathenau damals nicht
-vorhergesehen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_128" id="Seite_128">[S. 128]</a></span></p>
-
-<p>Die Bilanz von Ende 1886 gewährte schon ein ganz anderes Bild als
-die erste von 1883. Das Anfangskapital von 5 Millionen Mark, mit dem
-die Gesellschaft bei ihrer Gründung ziemlich reichlich ausgestattet
-worden war, ist auch jetzt noch nicht aufgezehrt. 1.724.886 Mark
-werden noch als Bankguthaben flüssig gehalten. Daneben aber sind die
-Immobilien (Friedrichstraße und Schlegelstraße) bereits auf 829.502
-Mark angewachsen, die Blockstation in der Friedrichstraße erscheint
-mit 132.843 Mark, die in der Schadowstraße mit 50.102 Mark; Aktien der
-Städtischen Elektrizitätswerke werden mit 557.200 Mark aufgeführt,
-Maschinen und Apparate mit 162.756 Mark, Waren mit 491.938 und
-Forderungen in laufender Rechnung mit 1.724.886 Mark. Die Geldmittel
-sind also zum großen Teil in den Betrieb geflossen und in werbende
-Anlagen überführt worden. Die offenen Schulden der Gesellschaft sind
-nur gering und betragen 392.912 Mk., und es hätte aus dem Reingewinn
-von 324.870 Mk. bequem eine Dividendensteigerung auf 6%, nachdem in den
-ersten beiden Jahren 4% und im dritten Jahre 5% gezahlt worden waren,
-vorgenommen werden können. Um zu verstehen, warum dies nicht geschah,
-warum die Gesellschaft sogar 1886 und Anfang 1887 in eine Krise &mdash; die
-einzige wirklich bedrohliche in ihrer ganzen Geschichte &mdash; geriet, muß
-noch von anderen Dingen gesprochen, eine andere Entwickelungsreihe
-verfolgt werden, die uns zeigen wird, daß der unternehmerische Geist
-Rathenaus sich in den bereits geschilderten Dingen nicht erschöpft
-hatte, andererseits aber auch, daß er sich trotz seiner unleugbaren
-Erfolge noch nicht zum <em class="gesperrt">entscheidenden</em> Erfolg durchgerungen
-hatte.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_129" id="Seite_129">[S. 129]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Siebentes_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Siebentes Kapitel</em><br />
-
-Zentralstationen</h2>
-
-</div>
-
-<p>Der Name Zentralstation ist uns in den früheren Kapiteln schon öfter
-begegnet. Bereits in den Verträgen mit Edison und Siemens wird von
-Zentralstationen gesprochen. In dem ersten Vertrage mit Edison im
-Jahre 1881 hieß es, daß abgesehen von der Fabrikationsgesellschaft
-eine zweite für den Bau von Zentralstationen errichtet werden sollte,
-in dem zweiten endgültigen Vertrage von 1883, der die Gründung nur
-<em class="gesperrt">einer</em> Gesellschaft vorsieht, ist von Zentralstationen in
-diesem Zusammenhange nicht mehr die Rede. Es heißt darin schlechthin,
-daß die Deutsche Edison Gesellschaft das Recht, Installationen für
-Beleuchtungs- und Kraftübertragungswerke einzurichten, von Edison
-erwirbt. Im Vertrage mit Siemens &amp; Halske wird der Edison Gesellschaft
-bekanntlich das Recht vorbehalten, allein Zentralstationen für eigene
-Rechnung zu bauen. Daß der Begriff Zentralstation überhaupt so früh
-auftaucht, ist nicht darauf zurückzuführen, daß er in der damaligen
-Zeit bereits in großem Maßstabe und in vielen Beispielen verwirklicht
-war. Er lebte &mdash; wenigstens in einer Form, die diesen Namen wirklich
-verdiente &mdash; eigentlich erst allein in der Idee Emil Rathenaus, der
-sich dafür keineswegs auf Vorbilder, sondern höchstens auf gewisse
-Ansätze in den damals in der Lichtelektrizität am meisten entwickelten
-Ländern Amerika und Frankreich berufen konnte. Was zu jener Zeit
-die Regel, den Typus bildete, waren isolierte Lichtanlagen, die ein
-Haus, eine Fabrik, einen Park, eine Straße oder mehrere benachbarte
-Häuser in einem beschränkten Radius versorgen konnten. Edison war dem
-Gedanken des Zentralwerks allerdings bereits früh nachgegangen und
-hatte auch eine Zentrale, die einen Stadtteil südlich von Wallstreet
-mit Licht versehen sollte, errichtet. Aber diesem genialen Techniker
-war<span class="pagenum"><a name="Seite_130" id="Seite_130">[S. 130]</a></span> doch nur bis zu einem gewissen Grade die Fähigkeit gegeben, ein
-technisches Verfahren industriell auszubauen. Seine Anschauungen von
-finanziellen Dingen waren naiv, und an betrieblicher Methodik fehlte
-es ihm so gut wie ganz. Edison hat denn auch aus seinen großartigen
-Erfindungen nur verhältnismäßig geringen und fast niemals dauernden
-Nutzen wirtschaftlicher Art gezogen. Wie wenig die Edisonsche Zentrale,
-obwohl für einen ersten Versuch sinnreich erdacht, doch dem entsprach,
-was wir später unter einer Großstation verstanden, geht daraus hervor,
-daß die Herstellung von Maschinen mit 150 PS als ganz besonders
-großartiger Fortschritt bezeichnet wurde. Bei der Broadway-Zentrale
-wurden die Dynamos nach Edisons eigener Aussage auf bloße Vermutung
-hin gebaut. Die gewählte Spannung von 110 Volt reichte denn auch
-nicht aus. Auch sonst wurde rein empirisch, ohne jede Systematik
-vorgegangen, wenig berechnet und viel probiert. Die Folge war, daß von
-den parallel geschalteten Maschinen die eine stille stand, während die
-andere bis auf 1000 Umdrehungen lief und dabei wippte. Zur Messung
-bediente die „Edison Beleuchtungsgesellschaft“ sich alter chemischer
-Geräte, die bald zufroren, bald rotglühend wurden, bald in Brand
-gerieten. „Voltometer“, so hat Edison in der „Electrical Review“
-erzählt, „besaßen wir schon gar nicht. Wir benutzten Glühlampen. Mit
-Mathematikern ließ ich mich erst recht nicht ein, da ich bald fand,
-wie ich es ein gut Teil besser treffen konnte als sie mit ihren
-Ziffern, und so fuhr ich im Vermuten fort.“ Gewiß hat ein so glänzender
-Experimentator wie Edison alle Anstände, die aus solchem Vorgehen
-entstehen mußten, immer, wenn sie sich zeigten, durch seine genialen
-Kombinationen zu beseitigen verstanden, aber schließlich kam dabei
-doch nur ein Werk zustande, das in seinem empirisch-primitiven Aufbau
-auf die Persönlichkeit eines so erfinderischen Kopfes wie Edison
-gestellt blieb, und überall dort keine Nachahmung finden konnte, wo
-eine ähnlich überlegene Persönlichkeit als Leiter fehlte. 8 Jahre
-lang arbeitete das Edisonsche Werk auf diese Weise. Schule konnte es
-natürlich nicht machen, da ihm die systematische Durchbildung, die
-sichere wissenschaftliche Grundlage fehlte. Emil Rathenau erkannte
-die Mängel eines solchen gefühlsmäßigen Vorgehens auf den ersten
-Blick. Er war sich klar darüber, daß eine wirklich epochemachende
-Zentral-Station nicht auf dem Versuch und dem Zufall,<span class="pagenum"><a name="Seite_131" id="Seite_131">[S. 131]</a></span> sondern nur auf
-dem festen Boden der wissenschaftlichen Methodik aufgebaut sein mußte.
-Seine Einbildungskraft lebte nicht von dem Experiment, sondern von der
-Konstruktion. Auch <em class="gesperrt">er</em> war voller Phantasie und rechnete mit
-neuartigen Antriebsmaschinen, kunstvoll durchgearbeiteten Kabelsystemen
-und wenn er vor den Grenzen der Gegenwart nicht halt machte, so
-ließ er doch die Wege in die Zukunft, ehe er sie betrat, stets von
-dem Mathematiker genau durchforschen. Er fragte sich, warum eine
-Vergrößerung und Vervielfältigung, eine Sammlung und Verteilung der
-in kleinem Rahmen geschaffenen Anlagen nicht möglich sein sollte. Er
-suchte nach den Gründen, die einer Übertragung ins Große hätten im Wege
-stehen können und fand, daß es keine gab, die unüberwindlich gewesen
-wären. Denn die Hemmnisse lagen alle nur noch in der Durchführung,
-nicht mehr im Prinzip. Gerade aber die Probleme der Durchführung ließen
-sich, das wußte er, nur auf wissenschaftliche Weise lösen. Wenn er
-daher mit dem damals der übrigen Welt noch nicht geläufigen oder nur
-in unvollkommener Form bekannten Begriff der Zentralstation wie mit
-etwas Selbstverständlichem operierte, so hatte er seine bestimmten
-Gründe dafür. Er erreichte damit, daß dieser anscheinend harmlose
-Begriff &mdash; und zwar in einem ihm günstigen Sinne &mdash; in seine Verträge
-aufgenommen wurde, was ihm deswegen nicht besonders schwer fiel, weil
-die Vertragsgegner diesem Begriff teils zweifelnd, teils sogar direkt
-mißtrauisch gegenüberstanden und das mit ihm gekennzeichnete Gebiet
-der Wagnisse und Fährnisse gern dem „Phantasten“ überlassen wollten.
-Selbst ein Mann wie Werner v. Siemens lächelte über die Idee der
-Zentralstation, und erklärte es für eine Utopie, daß man den Leuten
-jemals aus einer Zentrale elektrisches Licht in die Häuser würde leiten
-können, wie man es mit dem Gaslicht machte. Die Gasfachleute stellten
-sich gleichfalls ungläubig, aber durch ihre Ironie klang doch ein
-Unterton von Furcht vor der neuen Konkurrenz, die ihnen vielleicht
-auch noch die Hausbeleuchtung streitig machen könnte, nachdem sie
-ihnen bereits in der Straßen-, Fabrik- und Theaterbeleuchtung Boden
-abgerungen hatte. Daß Rathenau eigentlich als einziger die Idee erfaßte
-und trotz aller Anfeindungen von wissenschaftlich-autoritativer und
-technisch-praktischer Seite an ihr festhielt, ist ein Beweis seines
-originellen, unabhängigen und im Grunde schöpferischen technischen
-Denkens.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_132" id="Seite_132">[S. 132]</a></span></p>
-
-<p>Trotzdem aber der Gedanke absolut klar, folgerichtig und fertig
-entwickelt vor dem Geiste Rathenaus stand, sah es zunächst noch nicht
-so aus, als ob er bald verwirklicht werden würde. In den Jahren der
-Versuchsgesellschaft konnte an die Schaffung einer Zentralstation
-natürlich nicht herangegangen werden. Es fehlte an dem technischen
-Apparat, es fehlte auch an den geldlichen Mitteln. Das erste Jahr der
-Deutschen Edison Gesellschaft sah lediglich die Verwirklichung einer
-Reihe von Einzelanlagen und die Vollendung einer <em class="gesperrt">Blockstation</em>
-(in der Schadowstraße) sowie die Inangriffnahme einer zweiten größeren
-(in der Friedrichstraße). Sie wurden in den ersten Geschäftsberichten
-und Bilanzen der Gesellschaft als Zentralstationen bezeichnet. Mit
-Unrecht. Sie waren im technischen Sinne keine Zentralen, sondern
-isolierte Anlagen, die &mdash; über den Umfang einer größeren Einzelanlage
-kaum hinausgehend &mdash; mehrere Verbraucher versorgten, weil jeder
-dieser Verbraucher einen zu geringen Bedarf für eine eigene Anlage
-hatte. Weder die Technik war zentral, noch die Verteilung. Denn die
-Krafterzeugung erfolgte nicht durch Großmaschinen, sondern durch
-eine große Zahl kleiner „Schnellläufer“, von denen jeder nur eine
-beschränkte Anzahl von Lampen speiste. Die Verteilung erfolgte
-nicht unter Benutzung der öffentlichen Straßen und Verkehrswege
-für die Kabellegung, sondern auf dem weit kostspieligeren Wege der
-Kabelführung durch privates Gelände. Nur unter besonders günstigen
-Bedingungen, nämlich dann, wenn genügend gut zueinander gelegene
-Abnehmerbetriebe da waren, die die Leistung der Anlage voll ausnutzen
-konnten, waren die Voraussetzungen für die Rentabilität solcher
-Blockstationen gegeben. Aber selbst in der Schadowstraße, und in der
-Friedrichstraße, also in besonders gut gelegenen Stadtteilen, waren
-diese Voraussetzungen nicht vorhanden, denn es konnte nur ein Teil
-des erzeugten Stromes abgesetzt werden, und die Erträgnisse reichten
-kaum für die notwendigen Abschreibungen, geschweige denn für eine
-Verzinsung der Kapitalien aus. Emil Rathenau, für den derartige
-Blockstationen nur ein Kompromiß, eine Abschlagszahlung auf die
-vollkommenere Idee der Zentralstation darstellten, gelangte sehr
-bald zu der Ansicht, daß ein ähnliches Schicksal der Unrentabilität
-sehr bald auch die übrigen Stationen erreichen werde, die die
-Lieferung elektrischer Ströme mit Umgehung der öffentlichen Straßen
-ins Werk setzten. Er war der<span class="pagenum"><a name="Seite_133" id="Seite_133">[S. 133]</a></span> Ansicht, daß diese Blockstationen nur
-Übergangsgebilde darstellen, die verschwinden müßten, nachdem sie
-ihren eigentlichen Zweck, als Demonstrationsunternehmungen zu dienen,
-erfüllt hätten, und die nächste große Etappe in der Entwickelung,
-nämlich die öffentliche Zentralstation, erreicht war. Die spätere
-Gestaltung der Dinge hat ihm auch durchaus recht gegeben. Es haben
-sich in der Licht- und Krafterzeugung nur <em class="gesperrt">die</em> Einzelanlage,
-die genau auf die Bedürfnisse des Verbrauchers berechnet war, sich
-seinem Betriebe in Produktion und Bedarf anpassen konnte, also im
-wesentlichen die industrielle Einzelanlage und ferner die öffentliche
-Zentralstation erhalten. Die Blockstation ist völlig verschwunden, wenn
-man nicht Einzelanlagen mehrerer Verbraucher oder solche, bei denen
-ein Hauptverbraucher nach vorher ungefähr festgelegtem Bedarfsplan an
-Nachbarbetriebe Energie abgibt, als Blockstationen bezeichnen will.</p>
-
-<p>Die Entwickelung von der Blockstation bis zur Zentrale, die zunächst
-noch im weiten Felde zu liegen schien, ging aber schließlich wider
-Erwarten schnell vor sich. Die Praxis folgte in diesem glücklichen
-Falle &mdash; einem der wenigen, in dem Rathenaus fast immer richtige
-Diagnostik <em class="gesperrt">schneller</em> als er erwartet hatte, durch die Tatsachen
-bestätigt wurde &mdash; nicht dem behutsamen Gang der allgemeinen
-Anschauungen, sondern dem Siebenmeilenstiefelschritt der Rathenauschen
-Phantasie. Professor <em class="gesperrt">Slaby</em>, dem doch niemand langsames Denken
-und mangelndes Einbildungsvermögen in elektrischen Dingen wird
-nachsagen können, erzählte später, daß er beim Anblick der ersten
-Rathenauschen Blockstation, die aus zahlreichen winzigen Maschinen,
-von sogenannten Schnellläufern betrieben, mit bewunderungswerten
-Regulierungsmethoden die elektrische Kraft sammelte, um sie in
-einige umliegende Häuser zu verteilen, begeistert ausgerufen habe:
-„Die Lichtzentrale des kommenden Jahrhunderts.“ &mdash; „O nein,“
-erwiderte Rathenau lächelnd, „wie verkennen Sie den unersättlichen
-Elektrizitätshunger der Menschheit, der in wenigen Jahren sich
-einstellen wird. Statt dieser Kellerräume mit ihrem ohrenbetäubenden
-Lärm sehe ich hohe, luftige Riesenhallen mit vieltausendpferdigen
-Maschinen, die automatisch und geräuschlos Millionenstädte mit Licht
-und Kraft versorgen. Zuvor haben wir den Maschinenbau für diese
-Leistungen zu erziehen.“ Slaby und wohl auch Rathenau selbst haben
-damals kaum gedacht, daß schon ein<span class="pagenum"><a name="Seite_134" id="Seite_134">[S. 134]</a></span> Jahr nach diesem Zwiegespräch die
-erste Zentralstation projektiert und kaum ein halbes Jahr später im
-Betrieb sein würde.</p>
-
-<p>Der demonstrative Erfolg der Einzel-Installationen, der Blockstationen
-und der Anlage in der Hygieneausstellung war groß gewesen. Es hatten
-sich daraufhin in verschiedenen Stadtgemeinden Vereinigungen von
-Haus- und Ladenbesitzern gebildet, die mit Anträgen zur Beleuchtung
-ihrer Lokale von abgeschlossenen Stationen aus an die Gesellschaft
-herantraten. Die Schwierigkeit bestand darin, die Genehmigung der
-Stadt Berlin wegen Überlassung städtischen Grund und Bodens zur
-Legung von Leitungen zu erhalten, und man bezweifelte, daß die
-Stadtverwaltung, als Eigentümerin des Konkurrenzbetriebes der
-städtischen Gaswerke, diese Genehmigung in absehbarer Zeit erteilen
-würde. Die Kommunalbehörde war aber in diesem Falle besser als
-ihr Ruf. Im Roten Hause erinnerte man sich daran, daß man bereits
-einmal, als Rathenau vor einer Reihe von Jahren mit dem Plan einer
-städtischen Telephonzentrale an die Stadtverwaltung herangetreten
-war, die Vorschläge dieses Mannes kurzsichtig abgelehnt hatte. Man
-entschloß sich also, trotz der städtischen Gasinteressen, der Idee
-der elektrischen Lichtzentrale näherzutreten, und erwog sogar, ob man
-das Werk in städtischer Regie errichten solle. Dafür war aber weder
-die Mehrheit der Stadtverordneten, noch der vorsichtig abwägende
-Oberbürgermeister <em class="gesperrt">Forkenbeck</em>, der damals an der Spitze der
-hauptstädtischen Verwaltung stand, zu haben. Es setzte sich die zu
-jener Zeit zweifellos richtige Überzeugung durch, daß ein erstes
-Experiment auf so schwierigem Gebiete nicht mit bureaukratischen
-Kräften gelöst werden könnte, daß in einer noch so sehr der technischen
-Ausgestaltung und Erprobung bedürfenden Unternehmung nicht städtische
-Mittel größeren Umfanges investiert werden dürften. Am 24. Januar
-1884 wurde von der Stadtverordnetenversammlung nach langen erregten
-Debatten, in denen besonders der Bürgermeister <em class="gesperrt">Duncker</em> die
-Vorlage mit den Worten verteidigte: „Alles Risiko entfällt auf die
-Gesellschaft, alle finanziellen Vorteile fallen auf die Stadt,“
-ein Vertrag genehmigt. Das Monopol der <em class="gesperrt">ausschließlichen</em>
-Straßenbenutzung, das bei einem Teil der Stadtverordneten besonderen
-Widerspruch hervorgerufen hatte, fiel allerdings, wenigstens de
-jure. De facto ist es nicht durchbrochen worden, da die Stadt Berlin
-anderweitige Konzessionen nicht mehr<span class="pagenum"><a name="Seite_135" id="Seite_135">[S. 135]</a></span> erteilt hat. Die Zersplitterung,
-die in manchen anderen, besonders ausländischen Großstädten, wie New
-York, Paris usw., die Entwickelung der Zentralen sehr gehemmt hat,
-wurde dadurch in der Berliner Elektrizitätsversorgung glücklicherweise
-vermieden. Durch den Konzessionsvertrag wurde der Deutschen Edison
-Gesellschaft das Recht eingeräumt, in den Straßen eines beträchtlichen
-im Stadtinnern gelegenen Teils von Berlin, begrenzt durch einen um
-den Werderschen Markt gezogenen Kreis mit einem Halbmesser von 800 m,
-Leitungen zur Fortführung elektrischer Ströme von einer oder mehreren
-Zentral-Stationen aus zu legen und zur Anlage dieser Leitungen die
-Straßendämme und Bürgersteige zu benutzen. Die Stadt Berlin bedang sich
-natürlich Gegenleistungen aus, die u. a. in einer jährlichen Abgabe von
-der Bruttoeinnahme wie vom Reingewinn bestanden. Gewonnen war mit dem
-neuen Vertrage viel. Die Gesellschaft war durch das Recht, die Straßen
-für ihre Leitungen zu benutzen, der Notwendigkeit enthoben, kleine
-Sonderstationen für die zu beleuchtenden Häuserblocks zu beschaffen,
-sich zu diesem Zwecke in jedem Einzelfall teure Lokalitäten zu mieten
-und kostspielige Kabelführungsverträge abzuschließen.</p>
-
-<p>Mit dem technischen Gedanken der Zentralstation war auch in Rathenaus
-Kopfe sofort schon die <em class="gesperrt">finanzielle</em> und <em class="gesperrt">rechtliche</em> Form
-da, in der er am besten verwirklicht werden konnte. Es sollte eine
-besondere Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 3 Millionen Mark
-gegründet werden, an der die Deutsche Edison Gesellschaft bezw. ihre
-Aktionäre beteiligt werden konnten. „Um im Interesse unserer Aktionäre
-die Aktien der neuen Gesellschaft diesen zu einem angemessenen Kurse
-reservieren zu können, haben wir von einer festen Begebung der Aktien
-an ein Bankierkonsortium Abstand genommen, mit einem solchen jedoch
-die Verabredung getroffen, daß es gegen eine mäßige Gewinnbeteiligung
-uns die Abnahme von 80% des gesamten Kapitals garantiert. Wir zweifeln
-nicht, daß uns aus dem Verkauf dieser Aktien schon in diesem Jahre
-ein entsprechender Nutzen erwachsen wird.“ &mdash; Dies sind die Worte,
-mit denen die Gründung der Städtischen Elektrizitätswerke, der
-ersten Tochtergesellschaft der Deutschen Edison Gesellschaft, im
-Geschäftsbericht von 1883 angekündigt wird. In dem gleichen Bericht
-findet sich schon ein <em class="gesperrt">programmatischer Satz</em> über die Behandlung
-von Zentralstationen und Tochterunternehmungen im allgemeinen,<span class="pagenum"><a name="Seite_136" id="Seite_136">[S. 136]</a></span> der
-einige der wichtigsten Richtlinien, die die Gesellschaft später beim
-Ausbau ihres Beteiligungssystems befolgt hat, wenn auch noch in
-ziemlich einfacher Form, enthält. Er lautet: „Im übrigen liegt es nicht
-in unserer Absicht, den liquiden Vermögensstand dauernd durch eigene
-Übernahmen großer Zentralstationen zu alterieren. Vielmehr verfolgen
-wir das System, solche Stationen mit Hilfe unserer Geldmittel zwar
-einzurichten, dieselben aber spätestens nach erfolgter Inbetriebsetzung
-selbständigen Gesellschaften zu überlassen, um so unser Kapital immer
-wieder für neue Unternehmungen flüssig zu machen.“ &mdash; Hier ist das
-Ideal gekennzeichnet, dem Emil Rathenau von Anfang an zugestrebt hat,
-das er allerdings gerade in den ersten Zeiten und gerade bei der
-ersten Tochtergründung, wie wir später sehen werden, nicht sofort
-verwirklichen konnte. Es bedurfte erst eines elastischen und fein
-ausgebildeten Finanz- und Beteiligungssystems, mit sinnreich angelegten
-Kapitalsammlungs-, Aufsparungs- und Verteilungsvorrichtungen, um
-stets die Freiheit der Verfügung über die eigenen Betriebsmittel
-und die in Gründungsbauten anzulegenden Kapitalien zu behalten und
-das finanzielle Gleichgewicht unabhängig von den Zufälligkeiten der
-Geld- und Industriekonjunkturen, unbeeinflußt von unvorhergesehenen
-Entwickelungen in den Finanzbedürfnissen der Tochterunternehmungen,
-sicherzustellen.</p>
-
-<p>An einer anderen Stelle des Geschäftsberichtes für 1883, in der
-von eingeleiteten Verhandlungen mit anderen Städten über die
-Einrichtung elektrischer Zentralen gesprochen wird, findet sich
-gleichfalls ein Satz, der wert ist, hier wiedergegeben zu werden. Er
-lautet: „Wir sind indessen weit entfernt, die Organisation solcher
-Lokal-Beleuchtungs-Gesellschaften mit Ausschluß jeder Konkurrenz
-nur aus eigenen Mitteln zu bewirken, sondern werden vielmehr die
-Kooperation solcher Kräfte, welche naturgemäß zur Einführung des
-neuen Lichts berufen scheinen, mit Dank begrüßen; insbesondere
-hoffen wir, auch auf dem Wege der <em class="gesperrt">Genossenschafts-Assoziation</em>
-die Wohltaten des elektrischen Lichtes selbst kleineren Städten
-und Industriebezirken zugänglich zu machen, welche entweder eine
-Beleuchtung von Zentralstellen überhaupt noch nicht besitzen, oder
-vermöge ihrer natürlichen Hilfsmittel imstande sind, das elektrische
-Licht billiger als andere Beleuchtungen zu erzeugen.“ Diese Stelle ist
-in zweifacher Hinsicht bemerkenswert. Einmal zeigt sie das Bestreben,
-Aktionäre, Geldgeber und Finanzkonsortium, denen vielleicht<span class="pagenum"><a name="Seite_137" id="Seite_137">[S. 137]</a></span> damals
-noch vor den Risiken des gänzlich unerprobten Zentralenbaus in eigener
-Regie etwas bange war, die Beruhigung zu geben, daß man nicht mit
-vollen Segeln auf das noch von der Gründerkrisis her gefürchtete Meer
-der Unternehmertätigkeit hinausfahren werde. Ferner aber klingen
-hier auch schon Ideen über verteiltes Risiko und verteilten Einfluß
-zwischen Privatunternehmung und Lokal-Verwaltungen an, die zwar in
-der dort geschilderten Form der genossenschaftlichen Assoziation nie
-verwirklicht worden sind, aber doch später in der ähnlichen Form der
-gemischt-wirtschaftlichen Unternehmung zur Durchführung gelangten.
-Es dauerte allerdings Jahrzehnte, bis dieses Zusammenarbeiten von
-privatem und öffentlichem Kapital sich durchsetzte. Es ist aber ein
-Beweis für den durchdringenden Blick Rathenaus, daß er damals schon das
-unzweifelhaft vorliegende Bedürfnis erkannte. Bevor der Zentralenbau
-zu dieser Zusammenarbeit gelangte, mußte erst die Privatunternehmung
-allein eine ausgedehnte erfolg-, aber auch zum Teil verlustreiche
-Arbeit leisten, und die kommunale Verwaltung mußte gleichfalls die
-Methoden der öffentlichen Unternehmung ausbilden. Erst dann gelang es,
-die Kräfte und Mittel beider organisatorisch zusammenzufassen.</p>
-
-<p>Der von der Stadtverordnetenversammlung genehmigte Vertrag mit der
-Stadt Berlin wurde am 6. Februar 1884 vom Magistrat, und am 19. Februar
-desselben Jahres von der Deutschen Edison Gesellschaft vollzogen. Das
-ganze Jahr 1884 und ein Teil des Jahres 1885 gingen mit den Bauarbeiten
-hin.</p>
-
-<p>Die <em class="gesperrt">Städtischen Elektrizitätswerke</em>, eine neu gegründete
-Aktiengesellschaft, der die Deutsche Edison Gesellschaft die ihr von
-der Stadt gewährte Konzession zur Einführung des elektrischen Lichts
-in einem zentralen Berliner Stadtteil überließ, hatten dafür die
-Verpflichtung übernommen, alle Maschinen, Apparate und Utensilien zur
-Erzeugung und Verwendung des elektrischen Stroms zu meistbegünstigten
-Preisen ausschließlich von der Edison Gesellschaft zu beziehen. Die
-Lieferungen hielten sich im Jahre 1884 noch in engen Grenzen, die
-Gewinne bei dem Bau der beiden geplanten Zentralen wurden, um den
-zukünftigen Nutzen aus den Lieferungen ungeschmälert zu erhalten,
-über Handlungsunkosten abgeschrieben. Von den Aktien der Städtischen
-Elektrizitätswerke behielt die Edison Gesellschaft nur 560000 Mark
-für sich zurück, die übrigen wurden<span class="pagenum"><a name="Seite_138" id="Seite_138">[S. 138]</a></span> teilweise von den Aktionären
-der Edison Gesellschaft bezogen, teilweise zum Parikurse dem
-Bankenkonsortium überlassen. Es mag wohl die Aktionäre enttäuscht
-haben, daß der „entsprechende Nutzen“, der im vorjährigen Bericht aus
-diesen Transaktionen schon für 1884 in Aussicht gestellt worden war,
-ausblieb. Auch sonst wickelten sich die Bau- und Installationsarbeiten
-bei der Zentralstation nicht ganz glatt ab. Zwar funktionierte der
-elektrische Teil der Anlage von Anfang an ohne Tadel, die Durchführung
-der Installationen wird als völlig gelungen und als mustergiltig
-bezeichnet. Aber die Dampfmaschinen, die die Gesellschaft auf den
-Wunsch der Stadtverwaltung, die heimische Industrie bei ihren Aufträgen
-zu berücksichtigen, bei der Firma Borsig bestellte, hatten sich bei
-Ablauf der kontraktlichen Liefertermine „noch nicht so bewährt, wie das
-der Ruf der mit der Konstruktion beauftragten Firma erwarten ließ.“
-Die Städtischen Elektrizitätswerke leiteten aus der Verzögerung der
-Termine Schadenersatzansprüche gegen die Deutsche Edison Gesellschaft
-als Generalunternehmerin der gesamten Anlage her, gegen die diese
-Gesellschaft allerdings durch Garantien der Maschinenfabrik gedeckt
-war. Nach einiger Zeit wurden die bestehenden Differenzpunkte durch
-beiderseitiges Entgegenkommen aus der Welt geschafft. Der mißglückte
-Teil der motorischen Anlage mußte unter der direkten Aufsicht der
-Edison Gesellschaft einer Remontierung unterzogen werden, die von der
-Firma Kuhn in Stuttgart zur Zufriedenheit durchgeführt wurde. Die erste
-Zentrale in der Mauerstraße war somit erst in der zweiten Hälfte des
-Jahres 1886 in Betrieb gekommen, der sich nach Angabe der Gesellschaft
-nunmehr tadellos und regelmäßig abwickelte. Eine der ersten größeren
-Aufgaben, die den Städtischen Elektrizitätswerken gestellt wurde, war
-die Beleuchtung der beiden königlichen Theater, des Opernhauses und
-des Schauspielhauses. Sie wurde nach anfänglichen Schwierigkeiten mit
-gutem Gelingen durchgeführt. Es folgten die Reichsbank, das Hotel
-Kaiserhof und eine Anzahl von Bankgeschäften im Zentrum der Stadt.
-Die elektrische Straßenbeleuchtung machte nur langsame Fortschritte.
-Eigentlich wurden in den ersten Jahren nur die von Siemens &amp; Halske
-früher angelegten, und bis dahin mit besonderen Antriebsmaschinen
-versorgten Straßenbeleuchtungen, also im wesentlichen die in der
-Leipziger Straße übernommen, deren Kosten sich durch den Strombezug
-aus der Zentralstation in der Mauerstraße<span class="pagenum"><a name="Seite_139" id="Seite_139">[S. 139]</a></span> erheblich verbilligten,
-nämlich von 36 auf 4 Pfennige für die Lampenbrennstunde. Aber auch
-dieser Preis war im Vergleich mit dem des Gaslichts noch hoch, und
-erst später, als mit der zunehmenden Vergrößerung und der wachsenden
-Spannung der elektrischen Maschinen die Ausnutzung der Kohlen beim
-elektrischen Licht sich erhöhte, konnten die Preise, die später nicht
-mehr nach Lampenstunden, sondern nach Kilowattstunden berechnet wurden,
-wesentlich herabgesetzt werden.</p>
-
-<p>Die Stadtverwaltung, die die anfänglichen Hemmnisse vielleicht etwas
-stutzig gemacht hatten, die vielleicht auch die Zeit gekommen glaubte,
-die Werke zu günstigen Bedingungen an sich zu bringen, verlangte
-die Errichtung zweier weiterer Zentralen, abgesehen von den beiden
-schon erbauten, und finanzielle Garantien für die Fähigkeit der
-Gesellschaft, diese Aufgabe durchzuführen. Insbesondere wurde die
-Erhöhung des Grundkapitals von 3 auf 6 Millionen Mark gefordert.
-Da in den ersten Jahren die Werke mangels jeglicher Erfahrungen
-im Zentralenbetrieb mit Verlust arbeiteten, und die ersten beiden
-Zentralen in der Markgrafenstraße mit 6 Dampfmaschinen und in der
-Mauerstraße mit 3 Dampfmaschinen, jede nach Edisonschem Vorbild mit
-nur 150 PS ausgestattet, über die Voranschläge hinausgehende Summen
-verschlangen, war die Situation für die Städtischen Elektrizitätswerke
-und die hinter ihr stehende Edison Gesellschaft eine sehr heikle. Der
-damalige Direktor Geh. Postrat Ludewig wurde damit beauftragt, ein
-Gutachten abzufassen, ob die Gesellschaft die neue Finanzbelastung
-ertragen könnte und wie sich bei Erfüllung der von der Stadt
-geforderten Garantien die Lage der Werke gestalten würde. Ludewig kam
-zu einem niederschmetternden Ergebnis. „Erfüllen wir die Forderungen
-der Stadt, so sind wir bankerott.“ Dieses Gutachten rief unter den
-Aktionären und den Geldleuten eine wahre Panik hervor, und es mußte
-unbedingt etwas geschehen, wenn der Zusammenbruch, der nicht nur für
-die Städtischen Werke, sondern auch für die gesamte Zentralen-Idee
-von den verhängnisvollsten Folgen begleitet gewesen wäre, verhütet
-werden sollte. Rathenau, der die Gefahr erkannte, innerlich aber in
-dem festen Glauben an seine Sache keinen Augenblick wankend geworden
-war, bewies zum ersten Male die Unbeirrbarkeit, die ihn in kritischen
-Lagen stets auszeichnete. Er, der in weniger zugespitzten Situationen
-die Vorsicht<span class="pagenum"><a name="Seite_140" id="Seite_140">[S. 140]</a></span> selbst war, setzte alles auf eine Karte. Es blieb ihm
-allerdings wohl auch keine andere Wahl, da eine weniger entschlossene
-Haltung wahrscheinlich den Zusammenbruch nicht nur der Städtischen
-Werke, sondern auch der Deutschen Edison Gesellschaft, jedenfalls aber
-seine Ausschaltung aus beiden Unternehmungen herbeigeführt hätte. Als
-Aufsichtsrat und Aktionäre ihn mit Vorwürfen bestürmten, erklärte er
-sich bereit, 1.500.000 Mark Aktien der Städtischen Elektrizitätswerke
-zum Kurse von 95% zurückzuerwerben. Man ging gern auf sein Angebot ein.
-Was damals als tollkühnes Wagnis erschien, hat sich später als ein sehr
-gutes Geschäft erwiesen, ja es ist der A. E. G. später noch häufig zum
-Vorwurf gemacht worden, daß sie zuviel an den B. E. W. verdiene und
-daß sie sich bei der Aktienübernahme zuviel Vorteile in vertraglicher
-und verwaltungstechnischer Hinsicht habe zusichern lassen. Zu
-diesen späterhin besonders scharf bekämpften Vorteilen gehörte die
-Einführung der sogenannten Verwaltungsgemeinschaft zwischen der Edison
-Gesellschaft und ihrem Tochterunternehmen, ferner die Einräumung von
-Gründerrechten in der Art, daß die Gesellschaft bei Kapitalserhöhungen
-die Hälfte der neuen Aktien zum Parikurse beziehen durfte. Man kann
-es Rathenau indes nicht verdenken, daß er sich das Risiko, das er
-ganz allein zu tragen bereit war, gehörig bezahlen lassen wollte. Der
-Geh. Oberpostrat Ludewig, der sich der Situation so wenig gewachsen
-gezeigt hatte, wurde mit einer angemessenen Abfindung aus seinem Amt
-entfernt, und Emil Rathenau, Oscar v. Miller sowie der inzwischen zum
-Vorstandsmitglied der Edison Gesellschaft aufgerückte Felix Deutsch
-übernahmen die Leitung der Gesellschaft, die dem Mutterunternehmen
-aus ihren Einnahmen einen bestimmten Betrag als Beisteuer zu den
-Verwaltungskosten zahlte, wogegen die Verwaltung von der Edison
-Gesellschaft geführt und bestritten wurde.</p>
-
-<p>Bei Gelegenheit der finanziellen Stärkung der Städtischen
-Elektrizitätswerke, die vielleicht keine offene, wohl aber eine
-heimliche Reorganisation bedeutete, wurden die Beziehungen zur
-Stadt &mdash; dieses Äquivalent wußte Rathenau immerhin herauszuschlagen
-&mdash; gefestigt und für die Gesellschaft im großen und ganzen
-verbessert. Die Abgaben vom Reingewinn wurden eingeschränkt, die
-vom Installationsgeschäft völlig aufgehoben, wogegen für die
-Installationen aber die freie Konkurrenz ausdrücklich zugelassen
-werden mußte. Die Straßenbeleuchtung<span class="pagenum"><a name="Seite_141" id="Seite_141">[S. 141]</a></span> sollte erweitert werden und
-zwar besonders durch die Einbeziehung der Straße „Unter den Linden“
-(1888). Das Konzessionsgebiet wurde ausgedehnt und umfaßte jetzt einen
-Stadtteil, der von der Besselstraße bis zum Oranienburger Tor, von
-der Wallner-Theater-Straße bis zum Ende der Bellevue-Straße reichte.
-Dieser ganze Stadtteil mußte mit Kabeln ausgerüstet werden. Zwei
-neue Zentralstationen, in der Spandauerstraße und am Schiffbauerdamm
-waren anzulegen und mit je 2000 Pferdekräften zunächst für je 6000
-Lampen, die bis zum Jahre 1892 auf 24000 bezw. 12000 gesteigert werden
-sollten, auszustatten. Die Zentrale in der Mauerstraße war erheblich zu
-erweitern. Die Maschinen für diese Anlagen wurden bei der belgischen
-Fabrik van der Kerkhoven in Gent bestellt. Emil Rathenau benutzte die
-Gelegenheit, um von den kleineren Schnellläufermaschinen von nicht
-mehr als 150 PS, mit denen die erste Zentrale in der Markgrafenstraße
-gegen seinen Willen auf Verlangen des zur Vorsicht mahnenden
-Bankenkonsortiums ausgestattet worden war, zu großen „Langsamläufern“
-überzugehen, die schnell bis auf 1000 PS gesteigert wurden. Er
-stand dabei im Gegensatz zur ganzen Fachwelt, selbst zu Edison, der
-die Meinung vertrat, daß die Kraft mehrerer Kleinmaschinen besser
-ausgenutzt und den jeweiligen Strombedürfnissen richtiger angepaßt
-werden könnte als die einer Großmaschine. Auch die Sachverständigen der
-früheren Bankengruppe der Städtischen Elektrizitätswerke hatten sich
-von dieser durch die Autorität des Erfinders Edison gestützten Ansicht
-nicht abbringen lassen und das war ein weiterer Grund für die Banken
-gewesen, Rathenau das Geld für die Erweiterung der Elektrizitätswerke
-zu verweigern. Wenn er schon mit den kleinen Maschinen keine
-Rentabilität erzielte, so würde er sie &mdash; dies war ihr Argument &mdash; mit
-großen sicherlich nicht erreichen. Rathenau war damals der einzige, der
-von großen Maschinen das Heil erwartete, nicht nur aus technischen,
-sondern auch aus ökonomischen Gründen, denn er hielt es für wichtig,
-daß ihre Aufstellung viel weniger Platz in Anspruch nahm als die vieler
-Kleinmaschinen, was bei den hohen städtischen Bodenpreisen immerhin
-ins Gewicht fiel. Als er bei den Städtischen Werken nun unabhängig
-von fremdem Einfluß geworden war, konnte er seine Pläne hinsichtlich
-des Großmaschinenbaus unbehindert zur Durchführung bringen und hatte
-die Genugtuung, daß sich selbst Edison nach einer Besichtigung der
-neuen Zentralen von der Überlegenheit<span class="pagenum"><a name="Seite_142" id="Seite_142">[S. 142]</a></span> der Neuerung überzeugen ließ.
-Erst durch das von Rathenau gegen die ganze damalige übrige Fachwelt
-durchgesetzte Prinzip der Großmaschinen ist die Grundlage für die
-gewaltige Entwickelung des Zentralenbaus gelegt worden.</p>
-
-<p>Die Kosten des Bauprogramms wurden auf 9 Millionen Mark berechnet,
-die zur Hälfte in Aktien, zur Hälfte in Obligationen aufzubringen
-waren. Die Firma der Gesellschaft wurde umgewandelt in <em class="gesperrt">Berliner
-Elektrizitätswerke</em>. Durch die Forderungen der Stadt war die
-Tragfähigkeit der ersten großen Elektrizitätszentrale auf eine harte
-Probe gestellt worden. Nachdem diese aber bestanden war, schlug die
-Belastungsprobe zum Segen für das Unternehmen aus, das dadurch in
-seinem Wachstum und seiner Stärke in einer Weise gefördert wurde, die
-es wahrscheinlich, sich selbst überlassen, nicht so schnell erreicht
-haben würde.</p>
-
-<p>An den Schluß dieses Kapitels sei der Wortlaut der Rede gesetzt,
-die Emil Rathenau am Vorabend der Einführung des elektrischen
-Lichtbetriebes in der Straße „Unter den Linden“ hielt:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Es ist uns ein Bedürfnis, im Namen der Berliner Elektrizitätswerke den
-Spitzen der Städtischen Verwaltung unseren Dank dafür auszusprechen,
-daß Sie uns gestattet haben, an einer Schöpfung mitzuwirken, deren
-epochemachende Bedeutung weit über die Grenzen dieser Stadt hinaus
-greift und deren Vollendung überall mit Freuden begrüßt werden wird.
-Diese Schöpfung beweist aufs neue, mit welchem Verständnis die Stadt
-Berlin jede neue Errungenschaft der Wissenschaft und Technik dem Wohle
-der Bürgerschaft dienstbar zu machen weiß. Das „lichtvolle“ Werk,
-dessen Generalprobe Sie soeben beigewohnt haben, tritt würdig in
-die Reihe der schon bestehenden Wohlfahrtseinrichtungen, welche der
-Erleichterung des Verkehrs, der Befriedigung der Lebensbedürfnisse
-und der immer weiteren Ausgestaltung des täglichen Komforts zu dienen
-berufen sind. Die Naturkraft des neunzehnten Jahrhunderts, welche
-im Telegraphen und im Telephon sich bereits überall das Bürgerrecht
-erworben hat, soll in Zukunft der gesamten Bevölkerung zugängig gemacht
-werden, dem Wohlhabenden in der Form strahlenden Lichts, dem Handwerker
-als Werkzeug des täglichen Gebrauches.</p>
-
-<p>Unsere Stadt tritt mit dem heutigen Tage in eine neue
-Entwickelungsphase ihres Beleuchtungswesens ein; neben das Gaslicht,<span class="pagenum"><a name="Seite_143" id="Seite_143">[S. 143]</a></span>
-das bisher die Alleinherrschaft behauptete, tritt heute gleichzeitig
-das elektrische Licht, und die Zukunft wird lehren, welchem von beiden
-der Sieg gehört.</p>
-
-<p>80 Jahre sind es her, daß in dieser selben Straße „Unter den Linden“
-das bescheidene Öllämpchen von der ersten Gasflamme verdrängt wurde und
-es wird vielleicht nicht weiterer 80 Jahre bedürfen, um, wie damals die
-erste, so dereinst die letzte Gasflamme als staunenswerte Kuriosität
-betrachtet zu wissen.</p>
-
-<p>Nicht leicht war die Entscheidung, auf welchem Wege am raschesten und
-sichersten das erstrebte Ziel zu erreichen sei, zumal da städtische
-Interessen hinzuweisen schienen, welche schon in Gasanstalten, den
-Wasserwerken und last not least, der unübertroffenen Kanalisation
-zu unbestrittenem Erfolge verholfen hatten. Die Erkenntnis aber,
-daß die junge Industrie sich frei entfalten müsse, bevor sie völlig
-in den Dienst des städtischen Ärars treten durfte, hat Früchte
-gezeitigt, welche die Bewunderung aller Nationen erregen. Und in dieser
-Entwicklung betätigt sich gleichzeitig das Walten ausgleichender
-Gerechtigkeit, denn an seiner Geburtsstätte hat der elektrische Strom
-seine größte Verbreitung gefunden, obgleich es eine Zeitlang schien,
-als ob die neue Welt uns diesen Ruhm streitig machen wolle.</p>
-
-<p>Weit hinter dieser zurück steht das übrige Europa; in England
-erschwert der Wille des Parlaments die Errichtung elektrischer
-Zentralstationen und Frankreich konnte, trotz des hohen Fluges, den
-es in der Ausstellung des Jahres 1881 zu nehmen schien, weder in der
-Städtebeleuchtung noch in der elektrotechnischen Industrie mit uns
-Schritt halten. So können wir mit Stolz behaupten, daß wir an der
-Spitze aller Kulturvölker marschieren, die in erster Linie berufen
-waren, das Prinzip der elektrischen Beleuchtung zu fördern und sich
-nutzbar zu machen.</p>
-
-<p>Diese Erfolge verdanken wir nicht zum wenigsten der Weisheit und
-Einsicht unserer Behörden, welche der Privatindustrie freien Spielraum
-ließen, und sie vor allen schädlichen Hemmnissen und Beschränkungen
-bewahrten. So konnten wir in freier Entfaltung aller unserer Kräfte
-das große Werk fördern helfen, das, noch früher als gehofft und
-beabsichtigt war, als fertiges und vollendetes Ganzes vor<span class="pagenum"><a name="Seite_144" id="Seite_144">[S. 144]</a></span> Ihnen stehen
-wird. Ein hoher Wille, dem wir uns in Ehrfurcht beugen, hat uns diese
-Beschleunigung unserer Arbeiten nahe gelegt, und wir sind stolz darauf,
-daß wir diesem Willen trotz mancher entgegenstehender Hindernisse
-gerecht werden konnten.</p>
-
-<p>So wird denn die elektrische Beleuchtung der prächtigsten Straße der
-Reichshauptstadt schon mit dem morgigen Abend definitiv beginnen.</p>
-
-<p>Freilich konnten wir, die wir an der Lösung dieser gewaltigen Aufgabe
-mitzuwirken das Glück hatten, nicht immer gleich allen Wünschen in dem
-Umfange Rechnung tragen, wie es das Publikum, das nach elektrischem
-Licht sich sehnt, in seiner leicht erklärlichen Ungeduld beanspruchte,
-und auch dem Maß des zunächst Erreichbaren entsprach. Vielleicht nicht
-immer den weitgehenden Erwartungen, die gerade auf diesem Gebiet der
-Technik mehr als auf jedem anderen sich geltend zu machen pflegen.
-Das Publikum steht eben unserer Aufgabe im allgemeinen zu fern, um
-deren ganze Schwierigkeit voll ermessen zu können, und es vergißt
-leicht, wie neu die Sache eigentlich noch ist, deren Ausbildung und
-Realisierung wir uns gewidmet haben. Es vergißt dies um so eher, als
-die Elektrizität, trotz der ihr noch anhaftenden Jugendfehler uns schon
-jetzt ganz unvergleichliche Dienste leistet. So mag man denn das immer
-noch unvermeidliche Mißverhältnis zwischen unserem Wollen und unserem
-Vollbringen in der Überzeugung entschuldigen, daß die Naturkraft, die
-schon in ihren Kinderjahren so Gewaltiges zu leisten vermochte, zu noch
-Größerem berufen ist, wenn Sie derselben Ihren Schutz mit wohlwollender
-Nachsicht so lange angedeihen lassen, bis sie völlig erstarkt ist und
-in freiem Fluge ihre Schwingen zu regen vermag. Wir aber, die wir den
-Berliner Elektrizitätswerken vorstehen, werden, wie bisher, so auch
-in Zukunft mit redlichem Eifer bemüht bleiben, die neue Schöpfung zu
-einer der Reichshauptstadt würdigen Stellung emporzuheben und dafür
-zu sorgen, daß die führende Stellung in der Elektrotechnik, die
-Deutschland in beiden Hemisphären einnimmt, ihm dauernd erhalten werde.</p>
-
-<p>Das Verdienst für diese Führerschaft gebührt, wie nochmals betont
-sei, in erster Reihe den Leitern unserer Stadt, die mit weitsichtigem
-Blick, trotz der Bedenken vieler, daß die Elektrizität andere<span class="pagenum"><a name="Seite_145" id="Seite_145">[S. 145]</a></span>
-städtische Unternehmen beeinträchtigen werde, den Mut besaßen, für die
-Verwirklichung jener Ideen einzutreten, welche die Bürgerschaft von
-Berlin schon jetzt als weise und wohltätig erkannt hat.</p>
-
-<p>Darum bitte ich Sie, Ihr Glas mit mir zu erheben, und einzustimmen in
-den Ruf: Berlin, die Stadt der Intelligenz, die darum auch die Stadt
-des Lichtes werden müßte, sowie die Verwaltung derselben, sie lebe
-hoch!“</p>
-
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_146" id="Seite_146">[S. 146]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Achtes_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Achtes Kapitel</em><br />
-
-A. E. G.</h2>
-
-</div>
-
-<p>Wir haben im vorigen Kapitel gesehen, daß die Idee und Ausführung
-einer Berliner Zentralstation die Deutsche Edison Gesellschaft in
-ernste Gefahr gebracht hatte, nicht weil die Lösung des technischen
-Problems &mdash; abgesehen von gewissen anfänglichen Hemmnissen &mdash;
-Schwierigkeiten oder Enttäuschungen verursachte, sondern weil das
-finanzielle Gleichgewicht zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft
-verloren zu gehen drohte. Die geldlichen Erfordernisse für die
-Zentralstation, die mit einem Kapital von 3 Millionen Mark gegründet
-worden war und nach 3 Jahren 9 Millionen Mark neues Geld brauchte,
-waren zu groß, als daß sie im richtigen Verhältnis zu den Finanzen der
-Muttergesellschaft gestanden hätten, die noch immer mit einem Kapital
-von 5 Millionen Mark arbeitete. Ein derartiges Über-den-Kopf-Wachsen
-der Tochtergesellschaft würde dann möglich und unbedenklich gewesen
-sein, wenn die Zentralstation in der öffentlichen Meinung gesichert
-und bewährt genug gewesen wäre, um ein eigenes kapitalistisches
-Leben führen, und ihre geldlichen Erfordernisse selbständig auf dem
-Anlagemarkt befriedigen zu können. Das war aber, wie wir gesehen
-haben, nicht der Fall. Im Gegenteil, nicht nur die Öffentlichkeit und
-die Stadt Berlin als Konzessionsgeberin, sondern auch die Aktionäre,
-der eigene Aufsichtsrat und die Banken standen der Gesellschaft
-skeptisch gegenüber, und waren froh, als Emil Rathenau ihnen ihren
-riskanten Aktienbesitz, wenn auch mit Verlust, abnahm. Mit dieser
-Transaktion war nun zwar die Tochtergesellschaft gerettet, aber die
-Muttergesellschaft war mit einer finanziellen Last beschwert, die
-sie in ihrem bisherigen Zustande und mit ihren bisherigen Kräften
-nicht tragen konnte, selbst wenn sie ihre ganzen flüssigen Mittel
-&mdash; besonders<span class="pagenum"><a name="Seite_147" id="Seite_147">[S. 147]</a></span> die ihr verbliebenen 1,7 Millionen Mark Bankguthaben
-&mdash; für die Berliner Elektrizitätswerke verwendet hätte, was sie
-aber, ohne ihre eigene Entwickelung als Fabrikationsgesellschaft zu
-beeinträchtigen, eigentlich gar nicht tun durfte. Dennoch schien
-Emil Rathenau eine Zeitlang wohl oder übel entschlossen gewesen zu
-sein, seine letzte Geldreserve zu opfern und das Problem der B. E.
-W. auf Kosten seiner Deutschen Edison Gesellschaft zu lösen, die zu
-diesem Behufe ihre Kräfte aufs äußerste hätte anspannen und sich
-wahrscheinlich hätte überlasten müssen. Da die flüssigen Mittel
-dieser Gesellschaft aber allein zu jenem Zwecke nicht ausgereicht
-hätten, wurde der außerordentlichen Generalversammlung vom 10. Februar
-1887 eine Kapitalserhöhung um 2 Millionen Mark vorgeschlagen. Eine
-stärkere Inanspruchnahme des Kapitalmarktes verbot sich deswegen,
-weil am politischen Horizont schwere Wolken aufgezogen waren und ein
-Krieg mit Rußland im Bereiche der Möglichkeit zu liegen schien. Wäre
-diese Kapitalstransaktion damals zur Ausführung gelangt, so hätte
-durch sie nur eine isolierte Lösung der <em class="gesperrt">einen</em> brennenden
-Frage, nämlich derjenigen der Städtischen Elektrizitätswerke,
-herbeigeführt werden können. Die Dinge lagen aber bei der Deutschen
-Edison Gesellschaft schon seit geraumer Zeit so, daß abgesehen von dem
-Problem der Elektrizitätswerke noch mehrere andere zur Entscheidung
-drängten, weil die Grenzverhältnisse der Gesellschaft gegenüber ihren
-wichtigsten Geschäftsfreunden unerfreulich, ja unhaltbar geworden
-waren. Es handelte sich um die Pariser Edison Gesellschaft und um
-die Firma Siemens &amp; Halske, die aus Interessen-Freunden immer mehr
-zu Interessen-Gegnern geworden waren oder zu werden drohten. Mit
-Siemens &amp; Halske hatte dieser Zustand schon zu mehreren Prozessen
-geführt, von denen wir den wichtigsten über die Frage, ob die Edison
-Gesellschaft nur Bogenlampen nach dem Siemensschen System verwenden
-dürfte, bereits erwähnt hatten. Auch die fabrikatorische Einengung
-der Edison Gesellschaft, die in der Verpflichtung bestand, Maschinen
-und Materialien mit Ausnahme von Glühlampen unter Verzicht auf die
-Selbstherstellung nur von S. &amp; H. zu beziehen, machte sich mit jedem
-Schritte mehr fühlbar, den die Gesellschaft in ihrer Entwickelung
-vorwärts tun wollte. Das Gleiche galt von den Beschränkungen
-und Auflagen, mit denen das Vertragsverhältnis zu der Compagnie
-Continentale die Edison Gesellschaft belastet hatte. Die Zeit, in der
-die<span class="pagenum"><a name="Seite_148" id="Seite_148">[S. 148]</a></span> Abgaben an die Pariser Edison Gesellschaft und der Verzicht auf
-Gewinne aus wichtigen Absatzartikeln, die die Gesellschaft von Siemens
-&amp; Halske beziehen mußte, die Lebensfähigkeit des Unternehmens nicht
-beeinträchtigten, war sehr bald vorübergegangen. Als die Deutsche
-Edison Gesellschaft ihr Geschäft auf die Glühlampenfabrikation
-beschränkte und diese noch dazu mit hohen Abgaben an den Erfinder
-belastete, glaubte sie ein Monopol erworben zu haben. Ein Monopol,
-geschützt rechtlich durch Patente und tatsächlich durch Einrichtungen
-und Erfahrungen, die anderen Fabrikationsfirmen nicht zu Gebote
-standen. Technische Vorsprünge können aber erfahrungsgemäß in einer
-Zeit starken technischen Wettbewerbs nur eine Zeitlang gegenüber der
-Konkurrenz aufrecht gehalten werden. Nach einigen Jahren war es dieser
-sogar gelungen, so wesentliche Verbesserungen an der Lampe anzubringen,
-daß es zeitweilig starker Anstrengungen der Ingenieure der Gesellschaft
-bedurfte, um sich die Spitze nicht nehmen zu lassen. Der Monopolschutz
-versagte in der Praxis so gut wie vollständig. 5 richterliche
-Erkenntnisse hatten bis zum Jahre 1887 die Monopolrechte der
-Gesellschaft im wesentlichen bestätigt, eine definitive Entscheidung
-war noch immer nicht ergangen. Inzwischen war fast die Hälfte der
-Patentdauer verstrichen, und die Gesellschaft besaß keine hinreichenden
-Handhaben, um gegen die angeblichen Patentbrecher vorzugehen, die zwar
-riskierten, bei einem späteren obsiegenden Endurteil der Deutschen
-Edison Gesellschaft zum Schadensersatz verurteilt zu werden, inzwischen
-aber an der Herstellung von Glühlampen nicht verhindert werden konnten.
-Das Warten auf diesen Endsieg und die sich etwa daran schließende
-retrospektive Verfolgung der früher erfolgten Patentverletzungen war
-für eine Erwerbsgesellschaft eine unlohnende und unsichere Sache,
-selbst wenn die Patentrechte schließlich durchgesetzt worden wären.
-Im entgegengesetzten Falle aber &mdash; der ja bei der Deutschen Edison
-Gesellschaft schließlich praktisch eintrat &mdash; würde die Gesellschaft
-ihre ganze Existenzberechtigung verloren haben, wenn sie sich bis zur
-Entscheidung der Patentfrage nur auf ihr beanspruchtes Monopolrecht
-und nicht auf Leistungen gestützt hätte, die auch unabhängig von
-diesem Monopolrecht ihr eine starke Stellung im Wettbewerb sicherten.
-Dieser Wettbewerb war, angelockt durch die glänzenden und, wie man
-glaubte, leicht zu erringenden Erfolge der<span class="pagenum"><a name="Seite_149" id="Seite_149">[S. 149]</a></span> Lichtelektrizität,
-immer größer geworden. Die Errichtung einer Glühlampenfabrik schien
-eine leichte, mit verhältnismäßig kleinem Kapital durchzuführende
-Unternehmung zu sein. Fast alle elektrotechnischen und verwandten
-Betriebe, daneben noch andere Unternehmer, errichteten Lampenfabriken.
-Auf dem Gebiete des Dynamo-Baus lagen die Verhältnisse nicht anders.
-Hier waren Patentrechte, die das Prinzip des Dynamos erfaßten,
-überhaupt nicht vorhanden, und höchstens spezielle Typen patentierbar.
-Jeder konnte sich eine eigene Dynamo-Type konstruieren, und neben
-den elektrotechnischen Fabriken gingen auch Maschinenfabriken
-vielfach dazu über, zur Unterstützung des Absatzes ihrer Motoren
-die eigene Herstellung von Dynamomaschinen aufzunehmen. Auch das
-Gebiet der Installation wurde stark umworben. Unternehmer für Gas-
-und Wasseranlagen dehnten ihre Betriebe auf elektrische Anlagen
-ähnlicher Art aus. In einer solchen Zeit verstärkten und ungehemmten
-Wettbewerbs konnte die Deutsche Edison Gesellschaft nicht ohne dauernde
-Beeinträchtigung ihrer Position und Entwickelungsmöglichkeit so weiter
-existieren, wie sie gegründet worden war: gebunden durch Beschränkungen
-nach verschiedenen Richtungen, belastet durch Abgaben, die bei einem
-Monopol gerechtfertigt gewesen wären, bei einem nahezu unbegrenzt
-freien Wettbewerb aber ihren Sinn verloren hatten. Das Ideal für
-Rathenau wäre schon damals die Befreiung von <em class="gesperrt">allen</em> hemmenden
-Verträgen gewesen, sowohl denen mit der Compagnie Continentale als
-auch mit Siemens &amp; Halske. Das erstere ließ sich erreichen, aber nur
-dadurch, daß die Bindung an Siemens &amp; Halske enger gestaltet wurde. Die
-völlige Selbständigmachung nach allen Richtungen &mdash; besonders zu einem
-Zeitpunkte, in dem die auf 10 Jahre geschlossenen Verträge noch nicht
-abgelaufen waren und ihre vorzeitige Ablösung auf dem Vergleichswege
-nur unter Aufwendung großer Abfindungssummen möglich gewesen wäre &mdash;
-hätte finanzielle Ansprüche an die Gesellschaft gestellt, denen sie in
-einer Zeit, in der die Stützung der Berliner Elektrizitätswerke ihre
-ganzen Mittel und ihren ganzen Kredit schon über Gebühr in Anspruch
-nahm, auch nicht entfernt gewachsen war. Eine Lösung ließ sich damals
-also nur durch engere Anlehnung der Edison Gesellschaft an Siemens &amp;
-Halske, und die Bankkräfte, die ihr diese Anlehnung zuführen konnte,
-erreichen. Bereits im September 1886 wurden Verhandlungen eingeleitet,
-die sich<span class="pagenum"><a name="Seite_150" id="Seite_150">[S. 150]</a></span> über volle 8 Monate hinzogen. Sie kamen ins Stocken, wurden
-wieder aufgenommen, aufs neue abgebrochen und führten schließlich
-zu einem komplizierten Vertrags- und Vertragslösungskomplex, der
-der Generalversammlung vom 23. Mai 1887 zugleich mit dem verspätet
-veröffentlichten Geschäftsbericht und der Bilanz für das Jahr 1886
-vorgelegt wurde. Die Vorbedingung für die Lösung vom Edison-Konzern
-bildete, wie schon gesagt, die Änderung des Vertragsverhältnisses mit
-Siemens &amp; Halske, durch die &mdash; wie es in der Vorlage an die Aktionäre
-hieß &mdash; die „Gleichberechtigung beider Firmen in technischer und
-kommerzieller Beziehung auf dem von ihnen gemeinschaftlich vertretenen
-Arbeitsfelde anerkannt wurde.“ Die Grundlage des Neuabkommens mit S. &amp;
-H. war die folgende:</p>
-
-<p>I. Der Bau und Betrieb von Zentralstationen, die beträchtliche
-Geldmittel, reiche Erfahrungen und wohlgeschulte Kräfte erfordern,
-wird durch Kooperation beider Firmen im In- und Auslande bewirkt.
-Der Grundsatz, daß die Edison Gesellschaft die Konzessionen nehmen
-sollte, wurde dabei nicht fallen gelassen, dagegen hatte die
-Bauausführung in Gemeinschaft mit Siemens &amp; Halske zu erfolgen. Alle
-Stromlieferungsunternehmungen von mehr als 100 PS, deren Konzession
-Siemens &amp; Halske erwarben, hatten sie der Edison Gesellschaft gegen
-Erstattung der Unkosten anzubieten, die die Finanzierung, den
-Bau und die Einrichtung der Zentralen zu besorgen hatte, während
-Siemens &amp; Halske Maschinen und Kabel lieferten. Verzichtete die
-Edison-Gesellschaft auf den Bau, so blieb ihr doch das Recht, gegen
-eine Entschädigung die Hausinstallationen auszuführen. Auch dieses
-Recht konnte sie gegen eine bestimmte Abgabe an S. &amp; H. abtreten.
-Konzessionen auf elektrolytische Einzelanlagen und elektrische Anlagen
-für den Betrieb von Eisenbahnen brauchten S. &amp; H. nicht an die Edison
-Gesellschaft abzutreten.</p>
-
-<p>II. Auf dem Gebiete der isolierten Anlagen wurden die der Ausdehnung
-der eigenen Fabrikationsfähigkeit der Edison Gesellschaft
-entgegenstehenden Schranken beseitigt. Zu diesem Zwecke wurde es der
-Gesellschaft erlaubt, Kraftmaschinen bis zu 100 PS selbst herzustellen.</p>
-
-<p>III. Die Glühlampenfabrikation wurde durch eine Konvention vor einer
-gegenseitig ruinösen Preiskonkurrenz geschützt.</p>
-
-<p>Das Hauptzugeständnis, das der Deutschen Edison Gesellschaft hier
-gemacht wurde, lag in der Erlaubnis, Maschinen bis zu 100 PS<span class="pagenum"><a name="Seite_151" id="Seite_151">[S. 151]</a></span> selbst
-bauen zu dürfen. Es war dürftig genug und mußte mit der Aufteilung
-des bisher der Edison Gesellschaft allein zustehenden Zentralenbaus
-unter beide Firmen bezahlt werden, zu der sich Rathenau gerade in
-dem damaligen Zeitpunkte etwas leichter verstand, weil das Berliner
-Musterbeispiel eines solchen Zentralenbaus die großen finanziellen
-Ansprüche, die dieser Geschäftszweig stellte, deutlich dargetan hatte.
-Überdies bedeutete diese Teilung des Zentralengebietes insofern keine
-allzugroße Änderung im Vertrage, als ja auch schon vorher die Deutsche
-Edison Gesellschaft bei Zentralenbauten einen erheblichen Teil der
-Anlage, nämlich die elektrischen Maschinen, Kabel und sonstigen
-Materialien von S. &amp; H. hatte beziehen müssen. Allerdings war das
-in Aussicht genommene Zusammenwirken beider Firmen im Zentralenbau
-insofern ein wunder Punkt in dem gegenseitigen Verhältnis beider
-Firmen, als die Fassung dieser Vertragsbestimmung ziemlich dehnbar
-war, und nur bei beiderseitigem guten Willen ein ersprießliches
-Zusammenwirken versprach. Böswilligkeit oder passive Resistenz auf
-einer Seite konnten das Zusammenwirken im Zentralengeschäft sehr
-erschweren.</p>
-
-<p>Die Voraussetzung für dieses Abkommen zwischen der Edison Gesellschaft
-und Siemens &amp; Halske bildete eine Regelung der Vertragsbeziehungen
-zu der Compagnie Continentale. Beide deutschen Firmen besaßen das
-Ausnutzungsrecht für die Edison-Patente, beide waren dafür mit einer
-Abgabenpflicht belastet. Die Deutsche Edison Gesellschaft war ferner
-durch satzungsmäßige Bestimmungen zu Gunsten der Compagnie beschränkt
-und schließlich an sie durch die der französischen Gesellschaft
-übergebenen Genußscheine gebunden. Die satzungsmäßigen Beschränkungen
-bestanden hauptsächlich darin, daß die Deutsche Edison Gesellschaft
-für die Glühlicht-Beleuchtung sich ausschließlich des Edisonschen
-Systems bedienen und daß sie Patente, Patentausnutzungsrechte
-sowie alle hierher gehörigen Rechte aller Art, betreffend die
-Anwendung technischer Prozeduren, Erfindungen und Geheimnisse nur
-mit Genehmigung der Compagnie Continentale erwerben durfte. Die
-Verhandlungen mit der französischen Edison Gruppe wurden nicht von
-der Deutschen Edison Gesellschaft, sondern von der Firma Siemens &amp;
-Halske geführt, die sich durch ihren Unterhändler, den Bürgermeister
-a. D. Rosenthal, zum Befremden Rathenaus und hinter seinem Rücken in
-das Eigentum der deutschen Edisonpatente gesetzt hatten. Rathe<span class="pagenum"><a name="Seite_152" id="Seite_152">[S. 152]</a></span>nau
-war dadurch noch mehr auf die Mitwirkung von S. &amp; H. bei der von ihm
-geplanten Loslösung von der Compagnie Continentale angewiesen. S. &amp;
-H. schlossen ein Abkommen, das die Beseitigung aller Beschränkungen
-und Abgaben, die Rück-Übertragung der 1500 Genußscheine der Compagnie
-Continentale und den <em class="gesperrt">gemeinsamen Erwerb</em> der Patente durch S. &amp;
-H. sowie die Deutsche Edison Gesellschaft (nicht nur wie bisher das
-Ausnutzungsrecht) ermöglichte. Der Firma S. &amp; H. waren aus diesem
-Abkommen Kosten von 809000 Mark erwachsen, von denen sie selbst
-ein Drittel, nämlich 269666 Mark, die Deutsche Edison Gesellschaft
-75000 Mark für den Rückerwerb von 1500 im Besitz der französischen
-Gesellschaft befindlichen Genußscheinen übernahm und ferner auf die
-noch etwa 170000 Mark betragende Restsumme verzichtete, die von dem der
-Compagnie Continentale seinerzeit als Vorschuß auf die Patentabgaben
-gezahlten Betrage von 350000 noch verblieben und in der obigen Summe
-von 809000 Mark verrechnet war. Der Rest von 294334 Mark wurde von
-einem durch Siemens &amp; Halske gebildeten Bankenkonsortium unter Führung
-der Deutschen Bank übernommen, das ebenso wie die Firma Siemens &amp;
-Halske einen Teil der 7 Millionen Mark neuen von der Deutschen Edison
-Gesellschaft auszugebenden Aktien zeichnen sollte.</p>
-
-<p>Die Deutsche Edison Gesellschaft hatte im ganzen einschließlich
-50000 Mark, die zum Rückerwerb der restlichen 1000 seinerzeit an die
-Gründer begebenen Genußscheine dienten, 295000 Mark bereitzustellen.
-Die Aufbringung dieser Summe fiel der Gesellschaft, die damals
-stille Reserven kaum aufgesammelt hatte, nicht leicht. 195000 Mark
-sollten den außerordentlichen (offenen) Reserven entnommen werden,
-von denen damals ein Rückstellungskonto in Höhe von 145743 Mark und
-eine außerordentliche Reserve von 95000 Mark bestand. Diese wurden
-demnach durch die Entnahme bis auf 45000 Mark verzehrt. Ferner
-bestand noch ein gesetzlicher Reservefonds von 47674 Mark. Das
-war alles, was der Gesellschaft an Reserven verblieb. Die innere
-Verfassung des Unternehmens war damals also eine ziemlich schwache,
-und wenn im Geschäftsbericht für 1886, wohl um die Aktionäre über
-die unbehagliche Situation hinwegzutrösten, mit Genugtuung darauf
-hingewiesen wurde, daß in den bisherigen 4 Geschäftsjahren Reserven
-von 284667 Mark aufgesammelt, buchmäßige Abschreibungen von 239912
-Mark vorgenommen<span class="pagenum"><a name="Seite_153" id="Seite_153">[S. 153]</a></span> und 883500 Mark an Dividenden gezahlt worden seien,
-so bedeutete diese Zusammenstellung vom Standpunkt der späteren
-Rathenauschen Reserven- und Bilanzpolitik betrachtet, eine ziemlich
-herbe Kritik, was das Verhältnis der gezahlten Dividenden zu den
-zurückgehaltenen Beträgen anlangt. Es waren Dividenden ausgeschüttet
-worden, die &mdash; wenn sie auch an sich niedrig waren, &mdash; Emil Rathenau
-in späteren Jahren im Verhältnis zu dem erzielten Gewinn entschieden
-als viel zu hoch betrachtet haben würde. Das war vielleicht nötig
-gewesen, um die Aktionäre des jungen Unternehmens nicht sofort vor
-den Kopf zu stoßen, den technischen und finanziellen Kredit nicht zu
-gefährden und das Bankenkonsortium zufriedenzustellen, das zu großen
-Entsagungen nicht bereit war. Die Folge davon war die mangelhafte
-Fundierung der Gesellschaft bei Gelegenheit der Vertragsrevision
-mit der Edison-Gruppe. Nicht nur die Reserven mußten geplündert
-werden, sondern auch die Aktionäre mußten auf einen Teil ihrer Rente
-verzichten. Von dem 308626 Mark betragenden Überschuß mußten 100000
-Mark abgezweigt werden, um den Restbetrag der aus Anlaß des Ausgleichs
-mit der Edison-Gruppe aufzubringenden Summe herbeizuschaffen. Statt
-6%, wie erwartet worden war, konnten die Aktionäre nur 4% erhalten.
-In der Generalversammlung vom 23. Mai 1887 herrschte darum eine
-recht ungemütliche Stimmung, und zum ersten Male trat eine kräftige
-Opposition hervor, die sich gegen nicht eingelöste Versprechungen
-usw. richtete. Die Aktionäre Michelet und Jacob kritisierten die
-Verwaltung mit scharfen Worten und gaben Protest gegen die Beschlüsse
-der Versammlung zu Protokoll. Hugo Landau, der stellvertretende
-Vorsitzende des Aufsichtsrats und Vertreter der Bankengruppe, erklärte
-demgegenüber, daß nur durch die Verkürzung der Dividende die fehlenden
-100000 Mark aufgebracht werden könnten. Werde das abgelehnt, so sei
-die Transaktion nicht durchzuführen. Der Vertrag mit S. &amp; H. und die
-Kapitalserhöhung kämen nicht zustande. Statt eine gesunde und große
-Zukunft zu gewärtigen, müßte die Gesellschaft mit ihren jetzigen
-unzureichenden Mitteln in eine Periode verschärfter Konkurrenz
-eintreten. Der Kampf könnte ohne wesentliche Herabschreibung der
-Aktiva dann nicht mit Aussicht auf Erfolg aufgenommen werden. Die
-<em class="gesperrt">Sanierung</em> wurde also als drohendes Gespenst an die Wand gemalt.
-Sie wurde vermieden, denn die Generalversammlung genehmigte die Anträge
-der Verwaltung<span class="pagenum"><a name="Seite_154" id="Seite_154">[S. 154]</a></span> schließlich mit großer Mehrheit, und sie tat gut
-daran. Schon im nächsten Geschäftsjahr 1887/88, das infolge Verlegung
-des Bilanztermins auf den 30. Juni 1½ Jahre umfaßte, konnte eine
-Dividende von 7% für das Jahr und 10½% auf 1½ Jahre bei sehr
-vorsichtiger Bilanzierung ausgeschüttet werden, und die Aktionäre haben
-sich über schlechte Abschlüsse, und nicht eingehaltene Versprechungen
-nie wieder zu beklagen gehabt.</p>
-
-<p>Die 7 Millionen Mark neuen Aktien, von denen Siemens &amp; Halske 1
-Million Mark übernahmen, erhielten für 1887/88 nur 4% Bauzinsen. In
-den Aufsichtsrat traten als Vertreter von Siemens &amp; Halske, Arnold
-von Siemens, der Sohn Werners, und Bürgermeister a. D. Rosenthal,
-ferner als Vertreter des neuen Bankenkonsortiums Dr. Georg Siemens
-(Deutsche Bank), August Klönne (Schaaffhausenscher Bankverein),
-Geh. Kommerzienrat A. Delbrück (Delbrück, Leo &amp; Co.) sowie
-Eisenbahnpräsident A. Jonas (Discontogesellschaft) ein. Trotzdem wurde
-der Mitgliederbestand des Aufsichtsrats nicht erhöht. Er betrug wie
-zuletzt 11 Köpfe, eine Reihe von bisherigen Aufsichtsratsmitgliedern
-mußte den Bankenvertretern ihren Platz räumen. Bereits früher waren
-verschiedene Mitglieder, darunter der Vertreter der Nationalbank für
-Deutschland, Assessor Löwenfeld ausgeschieden. Im Jahre 1888 wurde der
-Geschäftsinhaber der Berliner Handelsgesellschaft Carl Fürstenberg
-in den Aufsichtsrat gewählt, der späterhin &mdash; besonders nach dem
-Ausscheiden Georg Siemens &mdash; der eigentliche finanzielle Berater Emil
-Rathenaus geworden ist und ihm in enger Freundschaft bis an sein
-Lebensende verbunden blieb.</p>
-
-<p>Die Gesellschaft legte nach ihrer Lösung vom Edison-Konzern den Namen
-„Deutsche Edison Gesellschaft“ ab und nahm den Namen „<em class="gesperrt">Allgemeine
-Elektrizitäts-Gesellschaft</em>“ an, unter dem sie groß und berühmt
-geworden ist.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_155" id="Seite_155">[S. 155]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Neuntes_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Neuntes Kapitel</em><br />
-
-Ausdehnung und Befreiung</h2>
-
-</div>
-
-<p>Die folgenden Jahre der Gesellschaft, die ersten unter der Firma
-Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft, standen im Zeichen einer
-<em class="gesperrt">Expansion</em> nach allen Richtungen. Die neuen Mittel im Betrage von
-7 Millionen Mark jungen Aktien, deren Ausgabe die Generalversammlung
-vom 23. Mai 1887 beschlossen hatte, sollten in erster Linie zu dem
-Ausbau der Berliner Elektrizitätswerke verwendet werden, aber dieser
-Ausbau erfolgte nur allmählich, und wenn er schließlich auch wesentlich
-höhere Kapitalien verschlang, als damals vorgesehen war, so konnte
-ein Teil des Aktienerlöses aus der Emission von 1887 zunächst flüssig
-gehalten und zu anderen Zwecken verwendet werden. Schon zu dieser Zeit
-verfolgte Emil Rathenau das Prinzip, in finanzieller Hinsicht über den
-augenblicklichen und im Augenblick übersehbaren Bedarf ausgestattet,
-in der Einleitung jedes neuen Geschäfts nicht von der Geldbewilligung
-durch Banken und Aktionäre abhängig zu sein, und eine „Von der Hand
-in den Mund-Politik“, wie sie ihm einmal beinahe verhängnisvoll
-gewesen wäre, zu vermeiden. Die Bilanz vom 30. Juni 1888 wies noch
-ein Bankguthaben von 6401740 Mark auf, was allerdings zum Teil damit
-zusammenhing, daß die Verhandlungen mit der Stadt Berlin über den neuen
-Vertrag sich länger als erwartet hinzogen, und erst im August 1888
-zum Abschluß gelangten, so daß im Geschäftsjahr 1887/88 nur 400.000
-Mark zu der Erweiterung der schon bestehenden Zentralen verwendet
-wurden. Umso stärker und über die Voranschläge weit hinausgehend
-gestaltete sich das Geldbedürfnis der Berliner Elektrizitäts-Werke in
-den nächsten Jahren, da die Nachfrage nach Licht- und Kraftanschlüssen
-sich im Zusammenhang mit dem Bau neuer Zentralen über Erwarten
-steigerte. Die<span class="pagenum"><a name="Seite_156" id="Seite_156">[S. 156]</a></span> gesamten Investitionen sollten nach dem Bauentwurf
-von 1887 9 Millionen Mark betragen, sie schwollen schon im nächsten
-Jahre auf 18 Millionen Mark an. Die A. E. G., die abgesehen von der
-Erhöhung ihrer Aktienbeteiligung ein Darlehen von 3 Millionen Mark
-zugesagt hatte, mußte dieses auf 6 Millionen Mark erhöhen. Abgesehen
-davon bezog sie die Hälfte der neuausgegebenen 3 Millionen Mark B.
-E. W.-Aktien in Ausnutzung ihrer Gründerrechte zu pari, und an der
-Übernahme der anderen Hälfte beteiligte sie sich nach Maßgabe ihres
-Aktienbesitzes mit 549000 Mark. Einen Teil der Mittel für die Zeichnung
-der neuen Aktien beschaffte sie sich dadurch, daß sie mit ansehnlichem
-Nutzen 1044000 Mark von ihrem im ganzen 2.044.000 Mark betragenden
-Aktienbesitz erster Emission verkaufte, die sie erst im Jahre vorher
-zum Kurse von 95% von den Banken übernommen hatte. Zwar hatten die B.
-E. W. ihre Dividendenzahlung noch nicht aufgenommen, aber es stand
-doch schon fest, daß bereits im Jahre 1889/90 die erste Dividende
-in ansehnlicher Höhe würde ausgezahlt werden können. Diese Aussicht
-schuf den Aktien der B. E. W. eine ganz andere Bewertung als noch vor
-kurzer Zeit, und erleichterte infolgedessen die Abstossungstransaktion
-der A. E. G. Die Gesellschaft verfolgte auch späterhin bei den B.
-E. W. wie bei anderen Aktienbeteiligungen das Prinzip, bei Ausübung
-des Bezugsrechtes auf junge Aktien einen entsprechenden Teil der
-alten Aktien zu realisieren, sofern dies mit Gewinn ermöglicht werden
-konnte. In solchen Austauschtransaktionen lag jedesmal ein sicherer
-Zwischengewinn, denn die alten Aktien konnten stets zu höheren Kursen
-abgestoßen werden, als die jungen Aktien erworben wurden, während diese
-für die A. E. G. denselben Beteiligungs- und Kapitalswert besaßen.
-Ganz besonders groß und glatt zu erzielen waren die Zwischengewinne
-bei den Transaktionen mit den B. E. W.-Aktien, da die A. E. G. bei
-dieser Gesellschaft ja infolge ihrer Gründerrechte die Hälfte der neuen
-Aktien zu pari beziehen konnte, während infolge der hohen Dividenden
-der Gesellschaft ihr Kurs und damit auch ihre Verwertungsmöglichkeit
-für die A. E. G. wesentlich über dem Parikurse lag. Emil Rathenau
-hat einmal in einer Generalversammlung erklärt, daß er &mdash; auch als
-das Kapital der B. E. W. auf viele Zehnmillionen stieg &mdash; den Besitz
-der A. E. G. dauernd nie über 2 Millionen Mark hinaus zu steigern
-brauchte. Mit einem solchen Kapital konnte er die Tochtergesell<span class="pagenum"><a name="Seite_157" id="Seite_157">[S. 157]</a></span>schaft
-völlig beherrschen. Dieses Prinzip der Kontrollausübung mit sparsamen
-Geldmitteln, fußend auf guter Verwaltung und Autorität, war überhaupt
-charakteristisch für das Rathenausche Beteiligungssystem, doch konnte
-es nicht überall so schnell und wirksam zur Geltung gebracht werden
-wie bei den B. E. W. Manche Beteiligungen kosteten viel mehr Geduld
-und viel größere und länger festliegende Investierungen. Übrigens hat
-sich Emil Rathenau durch den Gesichtspunkt der hohen Zwischengewinne,
-die ihm das Pari-Bezugsrecht für die Hälfte der Neuemissionen der B.
-E. W. ermöglichte, nicht dazu verleiten lassen, die Finanzpolitik der
-B. E. W. auch dort unter diesen Gesichtspunkt zu stellen, wo deren
-eigene Kapitalinteressen andere Rücksichten erheischten. Wäre das der
-Fall gewesen, so hätte er überhaupt nur Stammaktien, bei denen die
-Differenz zwischen dem Paribezugsrecht und dem Börsenkurse allein in
-größerem Umfange zu realisieren war, ausgegeben. In Wirklichkeit sind
-aber durch die B. E. W. neben Stammaktien im Betrag von 44100000 Mark
-auch 4½%ige Vorzugsaktien von 20 Millionen Mark (deren Börsenpreis
-nie erheblich über den Paristand gehen konnte), und fast 60 Millionen
-Mark Obligationen ausgegeben worden, bei denen ein Bezugs- und
-Verwertungsrecht der A. E. G. überhaupt nicht in Frage kam.</p>
-
-<p>Neben der kräftigen Weiterentwickelung der B. E. W., die nach kaum
-10jährigem Bestehen etwa 30 Millionen Mark in ihren Betrieben angelegt
-hatten, und nur in den ersten Jahren die Festlegung erheblicher Mittel
-seitens der A. E. G. verlangten, während sie sich später mit ihrer
-zunehmenden Rentabilität selbständig mit Kapital versorgen konnten,
-erforderte das Fabrikations- wie das sonstige Beteiligungsgeschäft
-der A. E. G. beträchtliche neue Mittel. Die Glühlampenfabrik erfuhr
-eine gewaltige Ausdehnung. Gegen 90000 Stück Lampen im Jahre 1886
-wurden im nächsten, 18 Monate umfassenden Geschäftsjahr 1887/88
-bereits 300000 Stück abgesetzt. Ein paar Jahre später zählte der
-Absatz nach Millionen. Die zunehmende Konkurrenz zwang allerdings zu
-Preisherabsetzungen und zu Verbesserungen in der Ökonomie der Lampen,
-die nur durch Verbilligungen des Herstellungsprozesses ausgeglichen
-werden konnten. Die Aufnahme der Dynamomaschinenfabrikation, die für
-Maschinen bis zu 100 PS durch den neuen Vertrag mit Siemens &amp; Halske
-der Gesellschaft ermöglicht worden war,<span class="pagenum"><a name="Seite_158" id="Seite_158">[S. 158]</a></span> und für die erst noch das
-Edisonsche, dann später ein eigenes System verwendet wurde, erforderte
-die Errichtung einer besonderen Fabrik. Es wurde bereits im Jahre 1887
-die Weddingsche Maschinenfabrik samt dem zugehörigen von der Acker-,
-Hermsdorfer-, Feld- und Hussitenstraße begrenzten Gelände erworben und
-ausgebaut. Auch eine neue Fabrik für Leitungsmaterial wurde errichtet,
-desgleichen eine Akkumulatorenfabrik, nachdem die Gesellschaft mit
-Rücksicht auf die zukünftige Bedeutung, die sie den Apparaten zur
-Aufspeicherung des elektrischen Stromes beimaß, die Patentrechte der
-Electrical Power Storage Company für das Deutsche Reich erworben
-hatte. Im Jahre 1888/89 wandte sich die Gesellschaft ferner der
-Herstellung <em class="gesperrt">elektrischer Straßenbahnen</em> zu. Um sogleich mit
-einem fertigen und in allen Teilen erprobten System hervortreten zu
-können, erwarb Rathenau &mdash; der sich nie gern mit Vorarbeiten abgab,
-wo fertige Resultate bereits vorlagen &mdash; die Erfindungen und Patente
-des im amerikanischen Eisenbahnwesen bekannten Konstrukteurs J. Frank
-Sprague und sicherte sich dadurch vertragsgemäß weitgehende Erfahrungen
-auf dem Gebiete der elektrischen Straßenbahnen. Auch elektrische
-Grubenbahnen wurden in den Tätigkeitskreis der Gesellschaft gezogen.
-Die Zahl der inländischen und ausländischen Installationsbureaus wurde
-fernerhin vermehrt. Die Herstellung isolierter Anlagen, für die die
-Gesellschaft nach dem neuen Vertrage mit Siemens &amp; Halske nun auch
-die <em class="gesperrt">Maschinen</em> selbst herstellen durfte, nahm beträchtlich
-zu, insbesondere erhielt die Gesellschaft wieder eine Reihe von
-Aufträgen für Theaterbeleuchtungen sowie industrielle Stationen, und
-mit Genugtuung wurde im Jahre 1892 festgestellt, daß die Gesellschaft
-nunmehr den ganzen Bedarf derartiger Anlagen von der Dampfmaschine
-bis zur Glühlampe selbst herstelle. Inzwischen war nämlich neben der
-Dynamomaschine auch der Elektromotor, ferner die Herstellung von Gummi-
-und anderem Isolationsmaterial in den Produktionskreis der Gesellschaft
-gezogen worden. Elektrische Pumpen, Winden, Aufzüge und Krähne wurden
-gleichfalls fabriziert und außer dem ersten großen Anwendungsgebiet
-des elektrischen Starkstroms, der Beleuchtungselektrizität, begann
-das zweite, das im Laufe der Entwickelung ungleich wichtiger werden
-sollte, das Gebiet des <em class="gesperrt">Kraftstroms</em> an Bedeutung zu gewinnen.
-Die elektrische Kraftübertragung, die Emil Rathenau schon früh an
-Stelle<span class="pagenum"><a name="Seite_159" id="Seite_159">[S. 159]</a></span> der Dampfkraft setzen wollte, weil er sie als ökonomischer
-und leistungsfähiger ansah, faßte allmählich Fuß, wenngleich sich
-die Industrie nur schwer von ihrer Überlegenheit beim Betrieb von
-Fabriken, Bergwerken usw. überzeugen ließ, und die demonstrative
-Vorführung am Muster-Beispiel, die Rathenau sonst gern eindrucksvoll
-zur Wirkung kommen ließ, hier viel schwieriger wie auf anderen Gebieten
-durchzuführen war. Denn Blockstationen, Beleuchtungszentralen,
-elektrische Bahnen, konnte die A. E. G. selbst erbauen und betreiben,
-um an ihnen den Wert der Elektrizität zu beweisen. Der überzeugende
-Nachweis der elektrischen Ökonomie im Fabrikbetriebe war viel
-schwieriger zu erbringen. Rathenau konnte nicht eigene Bergwerke,
-Hütten, Hochöfen erwerben, um vergleichende Tabellen über die Kosten
-des Dampf- und des elektrischen Betriebes aufzustellen. Die Industrie
-ihrerseits, noch immer gegen die unbedingte Zuverlässigkeit des
-elektrischen Betriebes mißtrauisch, fürchtete Störungen, und gab sich
-zu gefährlichen Experimenten nicht leicht her. Dampfkrafttechniker
-und Elektrotechniker bekämpften sich mit Ökonomie-Statistiken, und
-jeder wollte nachweisen, daß seine Methode die billigere sei und den
-Vorzug verdiene. Emil Rathenau hat die Heranziehung der Elektrizität
-als Kraftquelle mit den von Jahr zu Jahr steigenden Kohlenpreisen
-einerseits und andererseits mit der Notwendigkeit begründet, die
-allmählich sich aufbrauchenden Kohlenvorräte der Erde dadurch zu
-„strecken“, daß nur der Kraftantrieb durch Kohle zu erfolgen habe,
-während die eigentliche Krafterzeugung durch die mit Kohle in
-Bewegung gesetzte Elektrizität erfolgen müsse, eine Anschauung, die
-vom Standpunkte einer weitsichtigen Entwickelung aus betrachtet,
-zweifellos Berechtigung besitzt. Einen großen Schritt auf dem Wege der
-Kraftübertragung tat im Jahre 1890 die A. E. G. durch die Ausbildung
-eines von ihrem Ingenieur <em class="gesperrt">Dolivo Dobrolowsky</em> ausgebildeten
-neuen Stromsystems, das als Drehstrom- oder Mehrphasensystem für
-die Kraftübertragung eine fundamentale Bedeutung erlangt hat. Die
-Kraftübertragung, die bis dahin technischer Behandlung nur in engen
-räumlichen Grenzen fähig war, wurde damit auch auf weitere Entfernungen
-hin möglich. Noch wichtiger für die damalige Zeit war es wohl, daß
-durch das Drehstromsystem der <em class="gesperrt">Wechselstrom</em> mit seinen hohen
-Spannungen und größeren Leistungen sich endgültig gegenüber dem bis
-dahin vorherrschenden<span class="pagenum"><a name="Seite_160" id="Seite_160">[S. 160]</a></span> Gleichstrom durchzusetzen vermochte, nachdem
-er bis dahin mehrere Jahre lang einen nicht gerade erfolgreichen
-Kampf gegen den Gleichstrom geführt hatte. Die technische Welt
-war längere Zeit in zwei Lager gespalten gewesen, und gerade die
-größten Autoritäten, wie Siemens und Edison, bis zu einem gewissen
-Grade auch Rathenau, hatten sich durch die bis dahin eingeführten
-unvollkommenen Systeme des Wechselstroms meist einphasiger Natur
-nicht für die neue Stromart gewinnen lassen. In Amerika kämpften
-Georg Westinghouse, in England Ferranti, in Deutschland besonders die
-Helios-Elektrizitäts-Gesellschaft für den Wechselstrom. Es wurden von
-diesen auch große Krafterzeugungswerke errichtet, die aber weder in
-technischer, noch in wirtschaftlicher Beziehung die Überlegenheit des
-Wechselstromsystems zu erweisen vermochten, trotzdem manche von ihnen,
-besonders das Ferrantische Werk in Deptford bei London mit großzügigen
-Baugedanken, namentlich auf dem Gebiete der Großmotorentechnik
-errichtet worden waren. Erst das mehrphasige Drehstromsystem, das nach
-einem von dem italienischen Physiker Ferraris entwickelten Prinzip
-von verschiedenen Konstrukteuren, mit besonderem Erfolg von Dolivo
-Dobrolowsky ausgeführt worden war, brachte die endgültige Entscheidung.</p>
-
-<p>Die A. E. G. fand Gelegenheit, die starke Wirkung ihres
-Drehstromsystems und der dadurch ermöglichten Kraftübertragung in
-die Ferne auf der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in
-Frankfurt a. M. im Jahre 1891 vorzuführen, unter deren hervorragenden,
-von der Leistungsfähigkeit der Starkstromtechnik zum ersten Male
-ein zusammenfassendes Bild gebenden Veranstaltungen die Fernleitung
-Lauffen-Frankfurt a. M. im Mittelpunkt des Interesses stand. Die
-Idee, mit Hilfe des neuerfundenen Drehstroms die Wasserkräfte des
-Neckarfalles bei Lauffen 175 km weit auf elektrischem Wege nach
-Frankfurt a. M. zu überführen, ging von dem Ingenieur Oscar v. Miller
-aus, der ebenso wie in München vor 9 Jahren auch der leitende Geist
-der Frankfurter Elektrizitätsausstellung war. Miller, dieser nicht
-nur geschickte, sondern auch geistvolle Organisator und Herold der
-Elektrizitäts-Propaganda, der es wie kaum ein anderer verstand, das
-repräsentative Bild einer modernen technischen Kultur aus ihren
-historischen Fundamenten aufzubauen, in ihrem Gegenwartswert greifbar
-lebendig zu machen und zugleich ihre Zukunftsperspektiven<span class="pagenum"><a name="Seite_161" id="Seite_161">[S. 161]</a></span> aufzurollen,
-Oscar v. Miller, der später in der Schöpfung des Deutschen Museums
-einen klassischen Ausdruck für seine „gehobene Ausstellungskunst“
-fand, suchte nach einem „Schlager“ für die Frankfurter Ausstellung,
-der über die bereits anderweitig gezeigten „Errungenschaften“ der
-Elektrizität nicht nur dem Grade nach hinausging, sondern etwas ganz
-Neues bieten sollte. Die modernsten Lampen, die damals gerade in voller
-Entwickelung stehenden Techniken des Zentralen- und Bahnenbaus, alles
-das wurde selbstverständlich in Frankfurt gezeigt, das waren doch
-aber nur Verbesserungen von technischen Prozessen, die anderswo auf
-Ausstellungen oder im praktischen Betriebe bereits vorgeführt worden
-waren, Feinheiten des Details und des Fortschritts, die eigentlich
-nur den Techniker voll interessierten. Das ganz Neue, das er suchte,
-fand Oscar v. Miller nun bei der A. E. G., deren Mit-Direktor er
-bis vor wenigen Jahren gewesen war, bevor er dem an ihn ergangenen
-Rufe folgte, die Frankfurter Ausstellung zu organisieren. Miller,
-der übrigens bereits 1882 in München den allerdings damals mehr
-spielerischen Versuch gemacht hatte, eine Fernleitung vermittelst
-Gleichstroms nach dem System von Deprez vorzuführen, kannte von der
-A. E. G. her das Dobrolowskysche Drehstrom-Verfahren. Er wußte auch,
-daß Emil Rathenau entgegen den Zweifeln und Einwänden, mit denen
-ein großer Teil der Elektriker der Fernübertragung des elektrischen
-Stroms noch immer begegnete, die kühnsten und höchsten Erwartungen in
-dieses Verfahren setzte. Es galt diesen latenten Kräften und Ideen die
-Vorbedingungen der Verwirklichung zu geben, da sonst damals auf anderem
-Wege die Mittel zur praktischen Nutzanwendung der Erfindung noch nicht
-geschaffen werden konnten. Die Fernübertragung war gewissermaßen
-nur die sensationelle Einkleidung für das weniger wirkungsvolle,
-aber für die damalige Entwickelungsstufe der Elektrizität weit
-wichtigere Drehstromsystem. Hinter dem <em class="gesperrt">Schlager</em> verbarg sich
-das vielumstrittene <em class="gesperrt">Problem</em>, und Oscar v. Miller leistete
-weit mehr als ausstellungstechnische Arbeit, indem er einer der
-zukunftskräftigsten, aber auch am schwersten zu verwirklichenden Ideen
-der angewandten Elektrizität durch Dornengestrüpp die Wege bahnte.
-Denn die zu überwindenden Hindernisse waren groß. Sie bestanden
-nicht so sehr in den maschinellen Vorbedingungen der Anlage, die
-auf eine so hohe Spannung eingerichtet werden mußte, wie sie damals
-noch unerhört<span class="pagenum"><a name="Seite_162" id="Seite_162">[S. 162]</a></span> war. Daß man Maschinen von genügender Größe und
-Stärke herstellen konnte, ist Emil Rathenau und Oscar v. Miller nie
-zweifelhaft gewesen. Die Maschinenfabrik Oerlikon bei Zürich in der
-Schweiz lieferte auch eine tadellos funktionierende Maschine von
-mehr als 200 Pferdestärken, mit der es möglich war, eine Spannung
-von 16000 Volt &mdash; eine für jene Zeit außerordentliche Leistung &mdash; zu
-erzeugen. Die Anwendung einer derartigen Hochspannung gestattete es
-auch, Kupferleitungen zu verwenden, die einen verhältnismäßig geringen
-Durchmesser aufwiesen, während bei starkem Gleichstrom wesentlich
-größere und direkt unwirtschaftliche Kupferdurchschnitte notwendig
-gewesen waren. Auch genügend widerstandsfähige Isolatoren konnten
-gebaut werden. An der Erzeugungsstelle, und an der Verbrauchsstelle
-des Stroms wurden Transformatoren eingebaut, die die Heraufsetzung und
-Wiederherabsetzung des dreiphasigen Stroms tadellos bewirkten. Schwerer
-waren die Hemmungen zu überwinden, die der Durchleitung des damals
-als sehr gefährlich geltenden Hochspannungsstroms durch die zwischen
-der Erzeugungs- und der Verbrauchsstelle liegenden Landstrecken im
-Wege standen. Württemberg, Baden, Hessen und Preußen hatten die
-Genehmigung zur Durchführung der Leitungen über ihr Gebiet zu erteilen.
-Nach großen Schwierigkeiten und Widerständen namentlich seitens der
-Postverwaltung, die eine Störung ihrer Schwachstromleitungen durch
-die Hochspannungsanlagen befürchtete, gelang auch dies, aber erst
-längere Zeit nach Eröffnung der Ausstellung in Frankfurt konnte die
-Fernleitung in Betrieb gesetzt werden. Dann aber brannten in Frankfurt
-a. M. eines Abends 1000 Glühlampen, die mit Wasserkraftstrom aus
-dem 175 km entfernten Kraftwerk gespeist waren. Um die trotz der
-Übertragung nicht verminderte Stärke des Fernstroms zu zeigen, wurde in
-Frankfurt ein Wasserfall betrieben, der vermittelst einer durch einen
-Drehstrommotor in Bewegung gesetzten Kreiselpumpe in Tätigkeit gesetzt
-wurde. Charakteristisch für den reifen und klaren Blick, mit dem Emil
-Rathenau das Fernleitungsproblem schon im Jahre 1891 sah, ist die Rede,
-die er bei der Besichtigung der Frankfurter Anlage vor den Festgästen
-gehalten hat. Sie ist interessant genug und gibt außerdem ein so
-bezeichnendes Bild von der Art, mit der Rathenaus reale Phantasie
-Zukunftsentwickelungen schon aus Erfindungen, die erst sozusagen in
-den Anfangsgründen vor<span class="pagenum"><a name="Seite_163" id="Seite_163">[S. 163]</a></span>lagen, gedanklich vorwegnahm, daß sie hier im
-Wortlaut wiedergegeben werden soll:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p class="center">„Meine Hochgeehrten Herren!</p>
-
-<p>Wenn wir auch das Verdienst in keiner Weise für uns in Anspruch nehmen,
-daß Sie, meine hochgeehrten Herren, von weit hergekommen sind, um
-sich durch den Augenschein zu überzeugen, auf welche Entfernung der
-elektrische Strom zur Übertragung der Kraft des Neckars mit Erfolg
-verwendet werden kann, so können wir doch nicht umhin, Ihnen unseren
-ehrerbietigen und verbindlichsten Dank auszusprechen, daß Sie uns
-gestattet haben, die Anregung dazu zu geben und in diesem Sinne heiße
-ich Sie willkommen.</p>
-
-<p>Es möchte als Selbstverherrlichung erscheinen, wenn die, welche an
-dem eben vollendeten Werke mitgewirkt haben, sich in Betrachtungen
-verlören, über etwaige Umwälzungen, die das Gelingen dieser Aufgabe
-herbeiführen kann, und ich überlasse es deshalb der begeisterten
-Phantasie Fernstehender, Zukunftsbilder auszumalen; aber vom rein
-technischen Standpunkte aus wollen Sie mir gestatten, einige Worte über
-die Kraftübertragung hier auszusprechen.</p>
-
-<p>Wenn wir, uns des wohlgelungenen Werkes freuend, Rückblicke in die
-Vergangenheit werfen und sinnend in die Zukunft schauen, so geschieht
-dies nicht in dem selbstgenügenden Sinne, in welchem Goethe seinen
-alternden Faust zum Augenblicke sagen läßt: „Verweile doch, du bist
-so schön.“ Wir glauben nicht einen Idealzustand, ein endgültiges Ziel
-erreicht zu haben. Wir möchten uns dem kühnen Bergsteiger vergleichen,
-welcher, nachdem wieder ein großer Teil des Weges zurückgelegt ist,
-stehen bleibt und auf die überwundenen Schwierigkeiten zurückblickt,
-dabei aber doch das Endziel nicht aus den Augen verliert.</p>
-
-<p>Die Kultur unserer Erde ist den Jugendjahren entwachsen, sie tritt in
-das ernste Alter der Männlichkeit, wo die volle Kraft zur Verfügung
-steht, wo es aber zu Ende sein muß mit dem übermütigen Brausen und
-Vergeuden der Jugend, und was hier im Bilde von der Kraft gesagt
-ist, müssen wir auf die Kraft im wissenschaftlichen Sinne, auf das
-eigentliche Lebensprinzip unserer Erde mit bedeutungsvollem Ernst
-anwenden. Die Zunahme der Bevölkerung und ihre dichtere Verbreitung
-auf dem besser gelegenen Teil unserer Erde zwingen uns, mit dem
-Vorhandenen haushälterisch umzugehen.<span class="pagenum"><a name="Seite_164" id="Seite_164">[S. 164]</a></span> Die Not hat uns suchen gelehrt,
-und wir lernen, die Entfernungen aufzuheben und auszugleichen. Ein
-Baum, ein Rind, ein Getreidefeld ist an der einen Stelle kaum des
-Aneignens wert und wird weit entfernt von dort so hoch geschätzt,
-daß einer großen Mehrzahl der Bevölkerung nur unter schwerer Arbeit
-es möglich ist, diese zur Erhaltung notwendigen Erzeugnisse unserer
-Erde, unser Aller Mutter, sich zu verschaffen. Nicht anders ergeht
-es uns mit jener belebenden Naturkraft, der Sonnenwärme, welche wir
-in den mannigfachsten und wunderbar erscheinenden Formen auf unserer
-Erde aufgespeichert finden. Die Quelle, der Wassersturz, die Ebbe und
-Flut des Ozeans, sie alle sind Kräfte, welche der menschliche Geist
-sich dienstbar machen kann und muß, soll er anders die Herrschaft über
-die Erde behaupten, und doch gestatten ihm sehr oft oder vielleicht
-zumeist die scheinbar zufällig sich entwickelnden Lebensbedingungen
-der Individuen nicht, diese Kräfte am günstigsten auszunutzen. Als der
-Mensch überhaupt darauf kam, die elementaren Naturkräfte sich dienstbar
-zu machen, waren es nur Wind und Wasser, die er sich gefügig zu machen
-vermochte, und Jahrhunderte, Jahrtausende vergingen, ohne daß ein
-Fortschritt verzeichnet werden konnte. Erst unserem Jahrhunderte, dem
-des Dampfes, blieb es vorbehalten, die Kräfte der Erde dem Menschen
-zu erschließen und die in der Kohle angehäufte Sonnenwärme in ihren
-Urzustand wieder zurückzubringen, sie zu zwingen, sich wieder als
-Kraft und so als Arbeit dem Menschen zu betätigen. Der Dampf wiederum
-war es, der es ermöglichte, die Kraft zu verteilen, einerseits durch
-Verbesserung der Transportmittel, andererseits, indem man es bald
-lernte, seine Wirkung direkt auf Entfernungen, die man für große hielt,
-zu übertragen; ja man lernte es auch, die Dampfkraft zu teilen und
-mehreren den Nutzen einer großen Einrichtung gemeinschaftlich und zu
-gleicher Zeit zuzuführen.</p>
-
-<p>Bei weitem überflügelt hat aber der, wie man ihn bisher nannte,
-elektrische Funke den Dampf. Wir haben es heute gezeigt, daß auf eine
-Entfernung von über 170 km mit mathematischer Gewißheit Elektrizität
-die ihr von einem Wasserfall zugeführte Kraft überträgt, und was heute
-auf 175 km und mit 16000 Volt Spannung gelingt, wird gewiß in <em class="gesperrt">wenig
-Jahren mit 100000 Volt auf weit riesigere Entfernungen ein Leichtes
-sein</em>.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_165" id="Seite_165">[S. 165]</a></span></p>
-
-<p>Aber nicht allein dieser fast märchenhafte Erfolg, der Überwindung
-von Zeit und Raum ist uns klargelegt; Sie werden, meine hochgeehrte
-Versammlung, bei Ihrer Rückkehr nach der Ausstellung dort gewahren
-können, wie die auf nur 4 Millimeter starke Drähte eingezwängte
-und über weite Strecken fortgeleitete Kraft von mehr als 200
-Pferdestärken an der Ankunftsstelle den verschiedenartigsten Zwecken
-dienstbar gemacht wird, wie sie nicht nur mit einem Aufwand von etwa
-80 Pferdestärken eine Wassermenge 10 Meter in die Höhe drückt, um
-dieselbe als Wasserfall hinabsprudeln zu lassen, wie sie dann noch an
-verschiedenen Stellen dem Gebote eines geringen Drucks auf einen Hebel
-folgend, eine große Anzahl von Lampen aufglühen läßt, wie sie endlich
-ohne jede Schwierigkeit geringe Teile ihrer Kraft, <span class="zaehler">1</span>&frasl;<span class="nenner">10</span> Pferdekraft,
-abgibt, um mittels einer kleinen, fast spielzeugartigen und doch
-dauerhaften und betriebsfähigen Maschine, einen Luftfächer zu bedienen.</p>
-
-<p>Die großartige Verteilungsfähigkeit der Elektrizität ist es, welche
-den Versuch der Übertragung auf große, sehr große Entfernungen erst so
-recht zu einem bedeutungs- und wertvollen gemacht hat. Wenn wir daran
-denken, daß es das ungewußte Sinnen der Menschheit, das zielbewußte
-Streben der Forscher, Erfinder, der Leute der Zukunft, wie ich den
-Ingenieur bezeichnen möchte, ist, menschlicher Arbeit das Gebiet des
-Nachdenkens, das Gebiet der individuellen Tätigkeit vorzubehalten
-und immer weiter zu erschließen, alle rein mechanische, gedankenlose
-Tätigkeit aber durch Unterjochen der Naturkraft durch Maschinen zu
-vollbringen, so darf ich den jetzt eingeschlagenen Weg kühn als
-denjenigen bezeichnen, auf dem Jahrhunderte mit Erfolg weiter wandeln
-können. Wir dürfen uns auch weiter der Überzeugung nicht verschließen,
-daß die Unterstützung unserer Tätigkeit durch die Arbeitsleistung
-der Tierwelt längst nicht mehr ausreicht, und das Zugpferd und der
-Zugochse von rechtswegen schon längst der Vergangenheit angehören
-müßten. Das Zeitalter des Dampfes hat hierin großes getan, aber wie
-jeder rapide und bedeutende Fortschritt auch Nachteile gezeitigt;
-so haben wir besonders auf dem Gebiete des Handwerkers mit Bedauern
-sehen müssen, daß dem Individualismus die Maschinenarbeit den Garaus
-gemacht hat, so daß wir bis vor kurzem uns gewöhnt hatten, mit dem
-Ausdruck „Handwerksarbeit“ eine gedankenlose mechanische Nachahmung zu
-bezeichnen. Es liegt aber in der Natur des Dampfes, als<span class="pagenum"><a name="Seite_166" id="Seite_166">[S. 166]</a></span> Betriebskraft,
-für große Betriebe mit Erfolg verwendet werden zu können. Wir haben
-kein Mittel, um mit materiellem und technischem Vorteil den Dampf
-direkt in die Wohnung des Kleinmeisters zu führen, ebenso wenig können
-wir die Wirkungen des Dampfes, sei es durch Transmissionen oder durch
-andere Art, gut auf erhebliche Entfernungen übertragen. Ganz anders
-die Elektrizität! Die neuesten Fortschritte werden uns gestatten,
-<em class="gesperrt">großartige Krafterzeugungszentren an beliebigen Stellen</em>, im
-Bergwerk, an der Meeresküste, um die Ebbe und Flut zu benutzen, an den
-großen Katarakten anzulegen, die dort vorhandenen, bisher zwecklos
-vergeudeten Kräfte in nutzbringende Elektrizität umzusetzen, diese in,
-wir können fast sagen, <em class="gesperrt">beliebige Entfernungen</em> zu versenden und
-dort in beliebiger Art zu verteilen und zu verbrauchen. Wir können dem
-Handwerkmeister seine Nähmaschine elektrisch betreiben, wir heizen ihm
-sein Bügeleisen, wir rüsten dem Vergolder die chemischen Bäder für
-seine Erzeugnisse. Wir geben noch dazu einem jeden die Beleuchtung in
-der Stärke und an dem Orte und zu der Zeit, wo sie am vorteilhaftesten
-ist. Und wenn wir schließlich den Elektromotor mit anderen ähnlichen
-Maschinen vergleichen, so finden wir, daß er den geringsten Raum
-einnimmt, daß seine Einrichtung die einfachste ist, daß er keine
-Wartung braucht und keine Gefahr des Explodierens vorhanden ist, vor
-allem aber, daß er ökonomisch deshalb am vorteilhaftesten arbeitet,
-weil sein Kraftverbrauch sich mit seiner Belastung selbsttätig regelt.
-Und wie wir so an der Verbrauchsstelle sehen, daß die Elektrizität
-sich bemüht, eine sparsame Betriebskraft zu sein, so auch an der
-Erzeugungsstelle. Das schlechteste Feuerungsmaterial, das bisher den
-Transport nicht lohnte, weil zu viel tote Last mit ihm davon geschleppt
-werden mußte, wird am Orte, wo es gefunden wird, immer noch mit
-Vorteil zum Betriebe von Erregermaschinen Verwendung finden können,
-und so sehen wir vor uns, daß die Fortleitung und Verteilung der Kraft
-als Elektrizität von der schönsten ausgleichenden Wirkung ist. Wir
-können dadurch den Vorteil großartiger Zentralisation erreichen und
-ersparen daher viel nutzlose Betriebskraft und Arbeit, und wir können
-andererseits in vollkommenster Weise die dezentralisierte Kraft dem
-Einzelnen in dem kleinsten Teilchen zugängig machen und beleben dadurch
-das Schaffensvermögen und die Schaffensfreudigkeit der Einzelnen zum
-Wohle Aller und des Ganzen. Es ist auch nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_167" id="Seite_167">[S. 167]</a></span> zu unterschätzen, daß
-die Elektrizität als Verteiler von Kraft die natürlichen Wasserkräfte
-wieder zu Ehren gebracht hat, welche durch den Dampf in die Ecke
-gedrückt, ein im Verhältnis zu ihrem hohen ökonomischen Werte zu
-bescheidenes Dasein fristeten.</p>
-
-<p>In diesem Sinne bitte ich Sie, meine hochgeehrte Versammlung, diesen,
-unseren ersten, in den Einzelheiten gewiß noch der Ausarbeitung
-bedürftigen Versuch als einen neuen Schritt auf der Bahn der
-menschenbeglückenden Zivilisation wohlwollend zu betrachten. Ich
-möchte aber meine herzliche Begrüßung und den Ausdruck meiner hohen
-Freude über Ihre Anwesenheit, welche ich zugleich im Namen aller
-mitbeteiligten ausführenden Firmen und Männer der Wissenschaft und
-Praxis auszusprechen die Ehre habe, nicht schließen, ohne der überaus
-nutzbringenden Fürsorge der hohen Reichs- und Staatsbehörden unseren
-tiefgefühlten Dank ehrerbietigst abzustatten, ohne welche dieser
-Versuch nicht hätte unternommen werden können. Ich bitte die anwesenden
-hohen und geehrten Herren Vertreter der Regierungen diesen, unseren
-ehrfurchtsvollen Dank auch an dieser Stelle entgegennehmen zu wollen.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Die Frankfurter Anlage wurde bei aller epochemachender Wirkung, die
-nach Schluß der Ausstellung noch zu experimentellen Zwecken auf
-eine Spannung von 30000 Volt gesteigert wurde, nur als ein Versuch
-aufgefaßt, der nicht als dauernde Einrichtung, sondern als eine
-lediglich für die Zeit der Ausstellung berechnete Demonstration
-in Geltung bleiben sollte. Trotz des großen Aufsehens, das dieses
-Probebeispiel in wissenschaftlichen, technischen und Laienkreisen
-machte, hat es ziemlich lange gedauert, bis sich die Kraftübertragung
-und erst gar die Fernübertragung elektrischer Kraft praktisch in
-vollem Umfange durchgesetzt hat. Die großen Verwirklichungen auf
-diesem Gebiete gehören erst einer viel späteren Zeit an. Die ersten
-Zweckanwendungen, die dem Frankfurt-Lauffener Experiment folgten,
-wurden in der Schweiz vorgenommen, wo Wasserkräfte in großer
-Zahl zur Verfügung standen und die zu überwindenden Entfernungen
-verhältnismäßig gering waren. Die A. E. G. selbst hat mit den
-<em class="gesperrt">Kraftübertragungswerken Rheinfelden</em> bereits in den nächsten
-Jahren eine praktische Durchführung der Fernübertragung größeren
-Umfanges in Angriff genommen. Mit Maschinenleistungen von 15000 PS
-sollten elektrische Ströme bei diesem Werk 50 km weit an große und
-kleine Abnehmer<span class="pagenum"><a name="Seite_168" id="Seite_168">[S. 168]</a></span> geliefert werden. Dieser erste Dauer-Anwendungsversuch
-hat noch manche schwierige, nur durch langwierige geduldige Arbeit zu
-lösende Probleme theoretischer und praktischer Natur aufgeworfen, zumal
-da er mit den ersten Versuchen, die Turbine statt der Kolbenmaschine
-als Antrieb für Dynamomaschinen zu verwenden, zusammenfiel. Er hat
-aber gerade durch die zu überwindenden Schwierigkeiten außerordentlich
-lehrreich und klärend gewirkt und über die durch das Lauffener
-Experiment bereits festgelegten und im großen ganzen bis heute
-unverändert gebliebenen Grundgedanken der Fernübertragung hinaus
-viele wichtige Erfahrungen eingetragen. Ist die Lauffen-Frankfurter
-Fernübertragung als die erste experimentell-theoretische Lösung des
-Problems zu bezeichnen, so stellt die Rheinfeldener Unternehmung
-das Schulbeispiel der praktischen systematischen Durchbildung
-der Fernübertragung dar. Neben der technischen Bedeutung hat die
-Inangriffnahme des Kraft- und Fernübertragungs-Problems für die A.
-E. G. noch eine wichtige geschäftliche Folge gehabt. Durch sie sind
-die Beziehungen der Gesellschaft zu der schweizerischen Industrie und
-Finanz mitangebahnt bezw. es sind diese Beziehungen, die noch von einer
-anderen Seite her, nämlich von der Aufnahme der Aluminium-Erzeugung auf
-elektrischem Wege in Neuhausen, eingeleitet wurden, derart erweitert
-worden, daß sie für die fabrikatorische, besonders aber für die
-finanztechnische Entwickelung der Gesellschaft eine große Bedeutung
-erhielten.</p>
-
-<p>Das Drehstromsystem, dieses Rückgrat der modernen Kraftübertragung,
-hatte übrigens auch mit dem Lauffen-Frankfurter Erfolge die starke
-Opposition, die der Wechselstrom in einem Teile der Fachwelt gefunden
-hatte, noch keineswegs völlig überwunden. Der Streit der technischen
-Sachverständigen verstummte erst einige Jahre später, und sogar
-für die Stadt Frankfurt a. M., die doch gerade in ihren Mauern die
-Elektrizitätsausstellung veranstaltet hatte, um für den damals
-geplanten Bau eines städtischen Elektrizitätswerkes das beste und
-modernste System ausfindig zu machen, war es trotz des großen Erfolges
-der Lauffener Fernübertragung nicht ohne weiteres ausgemacht, daß für
-ihr Werk das Drehstromsystem zur Anwendung kommen müßte. Als dies
-doch schließlich geschah, wurde die Ausführung einer ausländischen
-Gesellschaft übertragen. Gleichstrom- und Wechselstrom-Anhänger
-kämpften noch bei dieser Gelegenheit scharf gegeneinander. Von den
-letzteren wurde auf die<span class="pagenum"><a name="Seite_169" id="Seite_169">[S. 169]</a></span> Vorteile der Unabhängigkeit vom Verbrauchsort,
-des kleineren Querschnitts der Kupferleitungen und der billigeren
-Erzeugungskosten, die besonders für Kraftzwecke in die Wagschale
-fielen, von den ersteren auf die Mängel, die dem Wechselstrom damals
-noch für die Lichtelektrizität anhafteten, sowie auf die angeblichen
-Gefahren der Hochspannung hingewiesen. Rathenau nahm auch nach dem
-Frankfurt-Lauffener Erfolge noch einen vermittelnden Standpunkt
-ein, und wollte die Frage „Gleichstrom oder Wechselstrom“ von den
-Bedürfnissen des jeweiligen Anwendungsfalles abhängig machen. Durch die
-Verbesserung des Drehstromlichtes wurde schließlich diese Streitfrage
-endgültig zugunsten des moderneren Systems gelöst.</p>
-
-<p>Aber nicht nur die fabrikationstechnische Entwickelung der A. E. G.
-kam nach Überwindung der Krise von 1887 in Schwung, auch auf einem
-anderen Gebiete begann sie eine weitreichende und bis zu einem gewissen
-Grade neuartige Tätigkeit auszuüben. Wir haben gehört, daß schon bei
-der Gründung der Gesellschaft nicht nur die Fabrikationstätigkeit,
-sondern der Erwerb von Konzessionen zum Zwecke der Errichtung von
-Zentralstationen in ihr Programm aufgenommen worden war. Auf dieses
-Feld der Gründung und Finanzierung von Tochterunternehmungen, von denen
-elektrotechnische Lösungen zunächst beispielmäßig zu Anwendungszwecken
-in der Praxis durchgeführt wurden, war die Gesellschaft umsomehr
-angewiesen, als ihre fabrikatorische Tätigkeit durch die Verträge mit
-der ersten deutschen Fabrikationsgesellschaft Siemens &amp; Halske nach
-vielen Seiten hin eingeengt war. Es trafen also sozusagen Neigung und
-Zwang zusammen, um einen guten Teil der Kräfte der Gesellschaft auf das
-Gebiet des Unternehmergeschäfts zu leiten. In der ersten Periode des
-Unternehmens von 1883&ndash;1887, als die Kraftquellen noch spärlich flossen,
-wurde ihre Gründungstätigkeit voll und sogar übermäßig beansprucht
-durch das große Werk der Berliner Elektrizitätswerke. In der zweiten
-Periode konnte sich das Unternehmer- und Beteiligungsgeschäft der
-Gesellschaft freier und vielfältiger betätigen dank dem größeren
-Reichtum der Mittel und dem stärkeren finanziellen Rückhalt, den der
-A. E. G. die Erweiterung ihrer Bankengruppe und die erfolgreiche
-Entwickelung ihrer ersten großen Tochtergesellschaft verliehen
-hatten. Der Umstand, daß die Schranken der Fabrikationstätigkeit in
-dieser zweiten Periode zum Teil niedergelegt worden waren, zog die
-Gesellschaft von dem Unternehmergeschäft<span class="pagenum"><a name="Seite_170" id="Seite_170">[S. 170]</a></span> aber nicht ab, sondern
-verstärkte in mancher Hinsicht sogar ihre Neigung zu Geschäften auf
-diesem Gebiet. Denn um in den neu aufgenommenen Fabrikationszweigen
-nicht erst selbst die Anfangsgründe mühsam auf empirischem Wege sich
-aneignen zu müssen und der bereits vorher in ihnen tätig gewesenen
-Konkurrenz sofort gewachsen zu sein, erwarb die Gesellschaft fertige
-Verfahren, in die sie dann sofort mit entwickelter Produktion eintrat.
-Das konnte aber am besten dadurch geschehen, daß sie Gesellschaften,
-die diese Verfahren bisher betrieben hatten, in sich aufnahm, oder
-daß sie für diese Verfahren besondere Gesellschaften bildete, um sie
-von ihrem bisherigen Arbeitsgebiete zu trennen, ihr eigenes Risiko
-zu begrenzen und der neuen Fabrikation Spielraum zu Experimenten,
-Fehlschlägen und Investitionen zu lassen, durch die sie nicht so direkt
-berührt wurde wie beim Eigenbetrieb. Über die verschiedenen Arten
-und Zwecke der Untergesellschaften soll später eine systematische
-Darstellung versucht werden, hier soll nur rein historisch über die
-Gründungen und Beteiligungen der Gesellschaft in der eben behandelten
-Periode berichtet werden. Zu den ersten Beteiligungsinteressen der
-A. E. G. gehörten die an der <em class="gesperrt">General Electric Co.</em> in New York
-und an der <em class="gesperrt">Compagnie Internationale d’Electricité</em> in Lüttich.
-Beide Verbindungen standen hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt:
-„Austausch von Erfahrungen &mdash; Gegenseitige Absatzunterstützung in den
-beiderseitigen Arbeitsgebieten“. &mdash; Die General Electric Co. in New
-York vereinigte die verschiedenen amerikanischen Edison-Gesellschaften
-zu einem großen Unternehmen, dem größten, das damals in der
-elektrotechnischen Industrie Amerikas bestand. Die Finanzierung
-erfolgte durch ein Konsortium erster deutscher und amerikanischer
-Firmen, in das die A. E. G. mit einem Anteil von 250000 Doll. eintrat,
-der später auf 400000 Doll. erhöht wurde. Es ist bezeichnend für
-die Fortschritte, die in dem kurzen Zeitraum von 8 Jahren in der
-Durchbildung der deutschen Starkstrom- und Beleuchtungstechnik wie
-in den Methoden ihrer Bewirtschaftung gemacht worden waren, daß ihre
-Hilfe bei der erst jetzt einsetzenden Organisation der zwar technisch
-bahnbrechenden, aber lange unsystematisch arbeitenden Unternehmungen
-in Amerika nachgesucht wurde und gewährt werden konnte. Emil Rathenau
-überzeugte sich durch einen persönlichen Besuch in Amerika, der ihm wie
-stets solche Besichtigungsreisen große Anregungen brachte, von<span class="pagenum"><a name="Seite_171" id="Seite_171">[S. 171]</a></span> „den
-vortrefflichen Einrichtungen und den ausnahmsweise günstigen Aussichten
-dieses größten elektrotechnischen Unternehmens der neuen Welt.“ Weder
-der aufgefrischte Enthusiasmus für die technische Welt Amerikas noch
-die alte Liebe zu dem großen Edison verhinderten aber, daß die A. E. G.
-einige Jahre später den Besitz an General Electric-Aktien veräußerte,
-als dies mit Nutzen (der Gewinn betrug allerdings nur 85459 Mark)
-geschehen konnte und naheliegendere Aufgaben wichtiger wurden als die
-amerikanische Freundschaftsbeteiligung, die ihren eigentlichen Zweck
-bereits erfüllt hatte. So wurde dieser Faden verloren und erst nach
-Jahren wieder aufgenommen, als die A. E. G. durch ihre Fusion mit
-der Union Elektrizitäts-Ges. in neue Beziehungen zu dem Konzern der
-General Electric trat. Eine ähnliche technisch-kontrollierende und
-geschäftlich-ausdehnende Bedeutung wie die Beteiligung an der General
-Electric hatte auch der Erwerb von 500000 Frcs. Aktien der Compagnie
-Internationale d’Electricité in Lüttich. Diese Gesellschaft war aus
-einer Firma hervorgegangen, deren Erzeugnissen die A. E. G. seit
-Jahren mit Erfolg den deutschen Markt erschlossen hatte. Bei dieser
-Anknüpfung war zum Teil der Gedanke maßgebend, daß die Compagnie
-Internationale umgekehrt neben ihren Fabrikaten auch denen der A. E.
-G. in den westlichen Ländern Europas, die deutschen Gesellschaften aus
-nationalen Gründen damals schwer zugänglich waren (gemeint war wohl in
-erster Linie Frankreich), Eingang verschaffen sollte. Der Gesellschaft
-wurde die Generalvertretung der A. E. G. für Belgien und Frankreich
-übertragen. Auch verschaffte sich diese durch die Aktienbeteiligung
-an dem belgischen Unternehmen den deutschen Vertrieb einer von der
-Compagnie Internationale exploitierten neuen Lampe, die in der
-Beleuchtungstechnik eine gewisse Rolle zu spielen versprach, da sie die
-Vorzüge des Glühlichts mit denen des Bogenlichts zu vereinigen schien.
-Auch hier war die Interessennahme nur eine vorübergehende. Bereits im
-Jahre 1891 wurden die Aktien zum Nennwerte wieder verkauft, nachdem
-die A. E. G. durch eigene Konstruktionen in den Stand gesetzt worden
-war, die Fabrikate, die den Hauptgegenstand der Lütticher Fabrikation
-bildeten, selbst herzustellen. &mdash; Wenig ersprießlich gestaltete
-sich zunächst auch die Beteiligung der in London von der A. E. G.
-mitbegründeten <em class="gesperrt">Key’s Electric Co.</em>, die an Stelle einer Filiale
-für den Verkauf der Erzeugnisse der A. E. G. in England tätig sein
-sollte. Von dem 15000 Pfd. Strl. betragenden<span class="pagenum"><a name="Seite_172" id="Seite_172">[S. 172]</a></span> Kapital erwarb die A. E.
-G. zuerst die Hälfte, schließlich 13500 Pfd. Strl. Die Gesellschaft
-zeigte sich in dieser Form ihrer Aufgabe nicht gewachsen, zumal auch
-in England die Einführung und der Vertrieb deutscher Produkte auf
-nationalistischen Widerstand stieß. Die A. E. G. glaubte trotzdem für
-die Erschließung des englischen Absatzgebietes noch weitere Opfer
-bringen zu sollen. Sie formte das genannte Unternehmen unter Änderung
-der Firma in „The Electrical Company Ltd.“ zur Vertretung ihrer
-alleinigen Interessen um, erwarb die in fremdem Besitz befindlichen
-Aktien und Gründeranteile und beseitigte die vorhandene Unterbilanz,
-nachdem sie die ihr dadurch verursachten Verluste in ihrer eigenen
-Bilanz bereits vorher abgeschrieben hatte. Auch in dieser Form
-vermochte sich die Gesellschaft aber nicht auf die Dauer zu halten.</p>
-
-<p>Sehr früh wurde der Grund zu einer neuen elektrischen Technik
-gelegt, die in nicht langer Zeit zu einer großen industriellen
-Bedeutung gelangen und der Gesellschaft ansehnliche Erträge bringen
-sollte. Es handelt sich um die Gewinnung von <em class="gesperrt">Aluminium</em> auf
-elektrischem Wege. In der Generalversammlung vom 22. November 1888
-äußerte sich Emil Rathenau auf Anfragen aus Aktionärkreisen zum
-ersten Male ausführlich über seine Anschauungen und Pläne auf diesem
-elektrolytischen Gebiete. Auch hier fehlte es nicht an Fachleuten, die
-von Utopien und Phantastereien sprachen, auch hier hat die Entwicklung
-bewiesen, daß Emil Rathenaus in die Zukunft dringender Blick die
-technischen Möglichkeiten durchaus sicher und zutreffend abgeschätzt
-hat und daß seine „phantastisch klingenden“ Worte vom Standpunkt der
-späteren Verwirklichungen aus betrachtet eher noch zu vorsichtig
-gewählt waren. Die Bedeutung der elektrischen Legierungs-Verfahren,
-so bemerkte Rathenau in jener Generalversammlung, der ersten, in
-der er mit einer größeren Rede hervortrat, sei durchaus nicht zu
-unterschätzen. Es sei anzunehmen, daß die Verbindungen des Aluminiums
-mit Eisen als Ferro-Mangan und mit Kupfer als Aluminium-Bronze der
-Metallindustrie sogleich neue Bahnen eröffnen würden. Das Problem
-der Aluminiumgewinnung bestehe darin, das Metall mittels des
-elektrischen Stromes aus seinen häufig in der Natur vorkommenden
-Verbindungen (hauptsächlich der Tonerde) auszuscheiden und ohne jede
-Zutat zu gewinnen. Die bisherige kleine Fabrik habe gute Erfahrungen
-für den Großbetrieb geschaffen. &mdash; In Zürich war unterdessen eine
-„Metallurgische Gesell<span class="pagenum"><a name="Seite_173" id="Seite_173">[S. 173]</a></span>schaft“ mit gleichen Zielen ins Leben getreten.
-Rathenau hielt es seiner Gewohnheit nach als kluger Taktiker für
-zweckmäßig, statt eines Konkurrenzkampfes, eines Wettrennens beider
-Unternehmungen um das beste und billigste Verfahren, eine Vereinigung
-der zwei Gruppen und Techniken herbeizuführen. Eine solche empfahl
-sich für die A. E. G. besonders, weil der Züricher Gesellschaft die
-Wasserkräfte des Rheinfalls bei Schaffhausen zur Verfügung standen,
-die ihr bei gleicher technischer Leistungsfähigkeit jedenfalls eine
-billigere Produktion ermöglicht hätten als der auf Kohlenfeuerung
-angewiesenen Fabrik der A. E. G. Der Schweizerischen Gruppe hinwiederum
-erschien eine Anlehnung an die stärkere Finanzmacht und an die
-größere Absatzorganisation der A. E. G. zweckmäßig. Da schon auf
-anderen geschäftlichen Gebieten gute Beziehungen zwischen der A. E.
-G. und den maßgebenden Schweizer Persönlichkeiten bestanden, gelang
-es rasch, eine Grundlage zur Verständigung zu finden, nachdem eine
-gegenseitige Prüfung der beiden Verfahren befriedigt hatte. Es wurde
-eine Gesellschaft mit 10 Mill. Frcs. Kapital gegründet, von dem die
-A. E. G. 1½ Mill. Frcs. übernahm. Der Besitz der Wasserkräfte
-des Rheins, die Vereinigung der beherrschenden europäischen Patente
-und Verfahren stellten der Gesellschaft auf die Dauer einen Schutz
-gegen jede Konkurrenz in Aussicht. Den Alleinverkauf der Produkte
-des Neuhausener Werks übernahm die A. E. G. für Deutschland und
-Rußland. Die Erwartungen der Industrie für Verwendung des leichten
-Metalls wurden allerdings nicht so rasch erfüllt, als man bei
-fabrikmäßiger Herstellung des bis dahin kostbaren Erzeugnisses
-vorausgesetzt hatte. Zu den Schwierigkeiten des Großbetriebs gesellte
-sich neben mangelnder Erfahrung in der Behandlung, Unkenntnis der
-Verwendungszwecke. Ferner warf durch den zollfreien Import begünstigt,
-die ausländische Konkurrenz ihre Überproduktion zu Schleuderpreisen
-auf den deutschen Markt. Erst allmählich gelang es der Neuhausener
-Gesellschaft, die Schwierigkeiten des Gewinnungsprozesses vollkommen
-zu beseitigen und das Produkt zu einem den Vorausberechnungen
-entsprechenden, konkurrenzfähigen Preise herzustellen. In der Folge
-hat sich das Aluminium, das erst nur als Kuriosität betrachtet und
-in etwas spielerischer Weise zu allen möglichen und unmöglichen
-Gebrauchsgegenständen des täglichen Bedarfs, wie Federhaltern, Büchsen
-etc. verwendet wurde, in der Industrie und im Militärbedarf immer
-mehr eingebürgert. Der Absatz<span class="pagenum"><a name="Seite_174" id="Seite_174">[S. 174]</a></span> stieg förmlich von Tag zu Tag, die
-Selbstkosten wurden immer weiter herabgedrückt und die vorhandene
-Anlage konnte auf die volle Leistung ausgebaut werden, die die
-Gesellschaft dem Rheinfall zu entnehmen berechtigt war. Bereits nach
-wenigen Jahren stellte sich die Produktion der Gesellschaft auf 1
-Million Kilo, für 1892 wurde zum ersten Mal die Dividendenzahlung
-mit 8% aufgenommen, die im nächsten Jahre auf 10% stieg. Die
-Gesellschaft vermochte die Kosten für ihre Erweiterung bereits aus
-verfügbaren Mitteln zu decken und die ursprünglichen Aktienzeichner
-waren, nachdem die Gesellschaft zur Rentabilität und damit zur
-kapitalistischen Selbständigkeit gelangt war, nicht mehr genötigt,
-neue Investitionsmittel in dem Unternehmen festzulegen, sie konnten
-sogar einen Teil der von ihnen ursprünglich übernommenen Aktien
-auf den Markt bringen und dort mit Gewinn abstoßen. Nachdem die in
-Neuhausen gemachten Erfahrungen die fabrikatorische Lage hinreichend
-geklärt hatten, konnte auch das Konsortium für die Verwertung der
-Aluminium-Patente in <em class="gesperrt">Österreich</em>, dem die A. E. G. gleichfalls
-angehörte, zu dem Bau einer Fabrik in Lend-Gastein und zur Ausnutzung
-der ihr daselbst gehörigen Wasserkraft mit einem Gefälle von über 100 m
-schreiten.</p>
-
-<p>Die eigene Betätigung, die die A. E. G. auf dem Gebiete der
-<em class="gesperrt">Akkumulatoren-Herstellung</em> nach Erwerb der Electrical Power
-Storage Company für Deutschland geplant, und, um zunächst die
-notwendigen Erfahrungen unter geringem Kostenaufwand gewinnen
-zu können, in mäßigem Umfange aufgenommen hatte, fand bald ihr
-Ende, nachdem die Gesellschaft im Verein mit Siemens &amp; Halske die
-bewährte Akkumulatorenfabrik Müller &amp; Einbeck erworben und in eine
-Aktiengesellschaft unter der Firma Akkumulatorenfabrik Akt.-Ges.
-Hagen umgewandelt hatte. Dieser Akkumulatorenfabrik, die nach dem
-System Tudor arbeitete und die von der A. E. G. erst zu machenden
-Erfahrungen bereits in erheblichem Grade gesammelt hatte, überließen
-sowohl die A. E. G. als auch Siemens &amp; Halske ihre Patente. Von den
-Aktien wurde der überwiegende Teil von Siemens &amp; Halske, der A. E.
-G. und den Vorbesitzern, der kleinere Teil von den Finanzgruppen der
-beiden Gesellschaften übernommen. Der Vorsprung, den diese Gesellschaft
-damals an sich schon besaß, die technischen Ergänzungen, die ihr durch
-die Akkumulatorenabteilungen der beiden Elektrizitätsgesellschaften
-zugeführt<span class="pagenum"><a name="Seite_175" id="Seite_175">[S. 175]</a></span> wurden, und die Stärke, die ihr die Finanzbeteiligung
-sowie die Kundschaft dieser Gesellschaften gewährten, haben
-die Stellung der Akkumulatorenfabrik Hagen, die später auch in
-Berlin Fabriken errichtete, so gefestigt, daß sie nicht nur eine
-glänzende Rentabilität, sondern auch eine marktbeherrschende, fast
-monopolistische Stellung in Deutschland erringen konnte. &mdash; Im Jahre
-1890 erwarb die A. E. G. schließlich den größten Teil der Aktien der
-Akt.-Ges. für Bronze- und Zinkgußwaren vorm. <em class="gesperrt">J. C. Spinn &amp; Sohn</em>
-im Umtausch gegen Aktien der Berliner Elektrizitätswerke. Damit
-gliederte sich die Gesellschaft ein Unternehmen an, das die Herstellung
-von Beleuchtungskörpern als Spezialität betrieb und ergänzte damit ihr
-Glühlampengeschäft in wirksamer Weise.</p>
-
-<p>Neben dieser Gruppe von Beteiligungs-Unternehmungen, die im
-wesentlichen dazu dienten, entweder bestimmte elektrische
-Produktionsprozesse von dem Hauptunternehmen abzusondern bezw.
-einen Einfluß auf derartige der Gesellschaft bis dahin fernstehende
-Fabrikationen zu gewinnen, oder die auch den Zweck verfolgten,
-Hilfsorganisationen für den Absatz in bestimmten Produkten und Ländern
-zu schaffen, wurde eine andere Gruppe von Beteiligungsunternehmungen
-ausgebildet, mit der Aufgabe, Muster- und Anwendungsbeispiele für
-<em class="gesperrt">stromverbrauchende</em> Werke zu schaffen. Nachdem man in Amerika
-bereits seit einiger Zeit mit der Umwandlung von Pferdebahnen
-in elektrischen Betrieb günstige technische wie wirtschaftliche
-Erfahrungen gemacht hatte, entschloß sich die A. E. G. zur Anlage einer
-elektrischen <em class="gesperrt">Straßenbahn in Halle</em>. Sie tat dies, indem sie sich
-unter maßgebender Beteiligung an einem zur Übernahme der dortigen
-Stadtbahn und zu ihrem elektrischen Ausbau gegründeten Finanzsyndikat
-die Betriebführung der neuen Bahn für 10 Jahre sicherte. Das Projekt
-wurde mit bestem Gelingen durchgeführt und bildete ein so wirksames,
-von staatlichen und kommunalen Kommissären, Vertretern von vielen
-europäischen Straßenbahngesellschaften studiertes Demonstrationsobjekt,
-daß nicht nur die elektrische Straßenbahnführung in Halle auch auf
-den bisher noch im Pferdebetrieb verbliebenen Linien eingeführt
-wurde, sondern sofort eine Anzahl neuer Elektrisierungspläne in
-anderen Städten zur Verwirklichung gelangte. Allerdings führte die
-A. E. G. diese Betriebe nicht mehr ausschließlich in eigener Regie
-durch, sondern baute sie zum Teil für Rechnung von Kommunen oder
-Straßenbahngesellschaften, an<span class="pagenum"><a name="Seite_176" id="Seite_176">[S. 176]</a></span> denen sie sich allerdings vielfach
-durch kleinere Aktienübernahmen beteiligte. Zu erwähnen sind aus
-diesen Jahren die Bahnen in Breslau, Gera, Kiew, Chemnitz, Essen,
-Dortmund, Christiania, Lübeck und Plauen. Charakteristisch für die
-kleinlichen Bedenken, die zu jener Zeit der Einführung der elektrischen
-Straßenbahnen entgegengehalten wurden, ist die, auch in der Presse
-damals vielfach erörterte, Furcht gewesen, daß die Starkstromleitungen
-der Straßenbahnen die Schwachstromleitungen, die die Post für ihre
-Telegraphen- und Telephonnetze unterhielt, stören könnte. Es war der
-Technik ein Leichtes, diese Gefahr durch geeignete Vorrichtungen zu
-bannen. Auch der ästhetische Gesichtspunkt in Form einer Opposition
-gegen die „unschöne Oberleitung“ wurde damals von manchen Kreisen nur
-zu wirksam gegen die elektrischen Bahnen ins Feld geführt. Er hat zum
-Beispiel die Elektrisierung der Berliner Straßenbahn solange verzögert,
-daß die Reichshauptstadt erst wesentlich später als viele andere
-deutsche Städte elektrische Bahnen erhielt.</p>
-
-<p>Gleichzeitig mit dem Erwerb der Spragueschen Patente für den
-elektrischen Straßenbahnbau und der Inangriffnahme der Elektrifizierung
-der Stadtbahn in Halle hatte sich die A. E. G. im Jahre 1890
-durch Aktienübernahme Einfluß auf die <em class="gesperrt">Allgemeine Lokal- und
-Straßenbahn</em> gesichert, die eine Reihe von Beteiligungen an damals
-noch mit Pferden betriebenen Straßenbahnen besaß. Bei dem Erwerb
-leitete die Gesellschaft einmal der Gesichtspunkt, daß die betreffenden
-Aktien aus dem Konsortialbestande einer nach Entlastung strebenden
-Bank billig zu haben waren, andererseits das Bestreben, eine Reihe von
-Objekten für die Anwendung ihres elektrischen Straßenbahnsystems sich
-fest zu sichern. Der Nutzen, den der Erwerb dieses Aktienpostens für
-die Gesellschaft im Gefolge haben konnte, erwies sich erst später.
-In der Generalversammlung vom 26. November 1891 kritisierte ein
-Aktionär sowohl diesen Ankauf wie auch den der Spinn &amp; Sohn-Aktien.
-Die Allgemeine Lokal- und Straßenbahn-Gesellschaft zahle nur 5%
-Dividende. Großen Ertrag verspreche eine derartige Kapitalsanlage
-nicht, und was die technischen Umgestaltungspläne der Gesellschaft
-anlange, so solle man in dem Bestreben, alles selber machen zu wollen,
-nicht die finanzielle Übersicht verlieren und die Rücksicht auf die
-Geldbeschaffung außer acht lassen. Man möge den Nebenindustrien
-auch etwas zukommen lassen, und nicht die ganze Welt aufkaufen.
-Die günstigen<span class="pagenum"><a name="Seite_177" id="Seite_177">[S. 177]</a></span> Erträgnisse, die die Aktien der Allgemeinen Lokal-
-und Straßenbahn-Gesellschaft später aufwiesen, die vorteilhaften
-Bauaufträge, die sie der Gesellschaft zuführten, haben indes die
-Berechtigung auch dieser Transaktion erwiesen.</p>
-
-<p>Auch mit dem Problem der <em class="gesperrt">elektrischen Untergrundbahnen</em>
-befaßte sich die A. E. G. frühzeitig, und es ist nicht ihre
-Schuld, wenn andere Weltstädte, insbesondere London, Paris und New
-York, früher ihre „Subways“ und „Metropolitains“ erhalten haben
-als die deutsche Hauptstadt. Im Geschäftsbericht für das Jahr
-1890/91 schreibt die Gesellschaft: „Ein Projekt von ungewöhnlicher
-Bedeutung für die Verkehrsinteressen der Stadt Berlin haben wir
-den Behörden zur Konzessionserteilung eingereicht. Es betrifft den
-Bau einer elektrischen Untergrundbahn, die in zwei sich kreuzenden
-Achsen nord-südlich und ost-westlich und zwei konzentrischen
-Ringen in beträchtlicher Tiefe unter dem Niveau der Straßen den
-Hauptverkehrsadern folgen wird. Wir hoffen zuversichtlich, daß dieses
-Unternehmen, dem vom Publikum und der Presse eine sympathische
-Beurteilung zuteil wird, auch bei den Behörden die Unterstützung finde,
-deren es zu seiner Verwirklichung bedarf.“ &mdash; Diese Hoffnung sollte
-indes nicht erfüllt werden. Die Gesellschaft bereitete technisch
-alles aufs Beste für dies &mdash; wie man zugeben muß &mdash; großzügige
-Untergrundbahn-Projekt vor, sie ließ sich Verfahren für neuartige
-Tunnelvortriebsapparate patentieren, und rief eine Gesellschaft mit
-beschränkter Haftung für den Bau von Untergrundbahnen ins Leben.
-Das Projekt scheiterte indes sowohl an den Hemmnissen, die ihm
-die Aufsichtsbehörden entgegensetzten, wie auch an dem geringen
-Entgegenkommen, das die Stadt Berlin bewies. Mehr Erfolg hatte
-bekanntlich das von der Firma Siemens &amp; Halske sowie der Deutschen Bank
-geplante und durchgeführte Projekt einer Hoch- und Untergrundbahn, die
-zunächst von Osten nach Westen unter Einbeziehung des Verkehrs mit
-dem Potsdamer Platz führte. In der Generalversammlung interpelliert,
-warum die A. E. G. nicht dem Siemens &amp; Halskeschen Projekt Konkurrenz
-gemacht habe, erklärte Rathenau, daß man es für besser erachte, nicht
-in einen zu scharfen Wettbewerb zu dieser Firma zu treten, durch den
-man nur die Preise verderben würde. Man erwarte, daß Siemens &amp; Halske
-in einem anderen, ähnlich gelagerten Falle der A. E. G. gegenüber
-ebensolche Zurückhaltung zeigen würden. Abgesehen von diesen nach
-außen hin zugegebenen Gründen<span class="pagenum"><a name="Seite_178" id="Seite_178">[S. 178]</a></span> war man wohl damals schon darauf
-bedacht, die Konkurrenzfirma, mit der man noch in dem bekannten
-Interessengemeinschaftsverhältnis stand, schonend zu behandeln, da
-Rathenau zu jener Zeit schon die Lösung des im Jahre 1887 auf 10 Jahre
-geschlossenen Vertrages anstrebte, diese aber nur bei gutem Willen der
-Firma S. &amp; H. erreichen zu können Aussicht hatte.</p>
-
-<p>Am wenigsten entwickelte sich bei der A. E. G. eigentlich <em class="gesperrt">der</em>
-Geschäftszweig, den man ursprünglich am sorgfältigsten zu pflegen
-beabsichtigt hatte: <em class="gesperrt">der Zentralenbau</em>. Die A. E. G. hatte
-das erste große Musterbeispiel für eine Elektrizitätszentrale in
-den Berliner Elektrizitätswerken geschaffen und war nach diesen
-Erfolgen und Erfahrungen die nächste dazu, für ähnliche Werke,
-die anderswo errichtet werden sollten, als Baufirma herangezogen
-zu werden. Dennoch war ihre Tätigkeit auf diesem Gebiete sowohl
-für eigene Rechnung auf Grund erteilter Konzessionen als auch im
-fremden Auftrag verhältnismäßig gering. Konzessionsbauten wurden in
-Eisenach und im Berliner Villenvorort Wannsee errichtet, es handelte
-sich aber hierbei nur um kleinere Unternehmungen, denen keine große
-Bedeutung zukam. Eine weit wichtigere Schöpfung war die <em class="gesperrt">Compania
-Generale Madrilena de Electricidad in Madrid</em>, eine Zentrale, die
-im Zusammenwirken mit der Besitzerin der Madrider Gasanstalten, der
-Compagnie Madrilene d’Eclairage et de Chauffage par le Gaz in Paris,
-unter erheblicher Aktienbeteiligung der A. E. G. errichtet wurde.
-Infolge der ausnahmsweise günstigen Verhältnisse in Madrid war diese
-Zentrale, die sich eng an das Vorbild der Berliner Elektrizitätswerke
-anlehnte, in technischer wie in finanzieller Hinsicht ein voller und
-schneller Erfolg; umsomehr als diese Unternehmung sich weit günstiger
-entwickelte, als eine andere gleichfalls in Madrid arbeitende englische
-Konkurrenzgesellschaft. Die Gesellschaft begann bereits nach 2 Jahren
-mit der Dividendenzahlung, schüttete in der Folge hohe Erträgnisse
-aus, und mußte andauernd erweitert werden. Bereits nach wenigen Jahren
-konnte die A. E. G. ihr Aktieninteresse mit einem Buchgewinn von etwa 1
-Mill. Mark abstoßen, und dieses gute und glatte Geschäft, das aber auch
-für die A. E. G. eine Ausnahme bildete, während die meisten übrigen
-Gründungen eine geduldigere Behandlung erforderten, trug in erster
-Linie dazu bei, in der deutschen Elektrizitätsindustrie den Glauben
-an die leichten und großen Gewinnchancen des Unternehmergeschäfts<span class="pagenum"><a name="Seite_179" id="Seite_179">[S. 179]</a></span> zu
-erwecken, ein Glauben, der für viele Elektrizitäts-Firmen späterhin
-verhängnisvoll werden sollte.</p>
-
-<p>Dieser „Treffer“ in Madrid war aber, solange der Vertrag mit Siemens &amp;
-Halske in Geltung war, der einzige Lichtblick in dem sonst unergiebigen
-Zentralenbau-Geschäft. Der Vertrag hemmte an allen Ecken und Enden.
-Die Bedingung, große Maschinen und Kabel von Siemens &amp; Halske zu
-beziehen, erschwerte die Kalkulation, gestattete keine ökonomischen
-Projektierungen und verringerte die Wettbewerbsfähigkeit <em class="gesperrt">beider</em>
-Vertragsgesellschaften gegenüber der ungebundenen Konkurrenz, die sich
-auf dem ureigenen Gebiet Rathenauscher Initiative die Unfreiheit der
-beiden stärksten Gesellschaften zunutze machte. Besonders die Firma
-Schuckert in München, die sich fabrikatorisch damals auf der Höhe
-ihrer Leistungsfähigkeit befand, sehr gute Maschinen herstellte und
-in allem Technischen der Konkurrenz nicht nachstand, warf sich auf
-den Zentralenbau und stellte zeitweilig allein mehr Werke her, als
-Siemens &amp; Halske und die A. E. G. zusammen. Dabei wurde man sich in
-der A. E. G. bald darüber klar, daß die Firma Siemens &amp; Halske oder
-wenigstens manche ihrer Beamten in der Zentralenfrage nicht den guten
-Willen hatten, den Vertrag seinen Absichten gemäß loyal zu erfüllen.
-Kamen zum Beispiel eine Gemeinde oder ein Unternehmer zu Siemens, der
-damals namentlich bei Behörden noch immer als die höchste Autorität
-in elektrischen Dingen galt, mit der Frage, ob und wie sie ein
-Elektrizitätswerk bauen könnten, so empfahl ihnen der Altmeister Werner
-v. Siemens zwar in durchaus korrekter Weise, wegen Konzession und
-Projektierung sich mit der A. E. G. in Verbindung zu setzen. Darüber
-hinaus kümmerte sich aber der alte Herr um Einzelheiten des Geschäfts
-nicht mehr wie in den früheren Zeiten seiner industriellen Vollkraft.
-Er hörte die an ihn Empfohlenen oder ihm Bekannten zwar höflich an, zur
-Besprechung der Einzelfragen verwies er sie aber an seine Prokuristen,
-Oberingenieure usw. Und wenn die Frager in diese Regionen kamen, wehte
-meist ein ganz anderer Wind. Die „Halbgötter“ der Firma Siemens waren
-eifersüchtig auf den jungen Ruhm, die kräftige Unternehmungslust und
-die wachsende Bedeutung der Berliner Konkurrenzfirma. „Was brauchen Sie
-dazu die Juden?“ fragten sie diejenigen, die mit Projektierungswünschen
-an sie gewiesen wurden. Sie wollten der A. E. G. weder Konzessionen
-zuweisen, noch selbst welche übernehmen,<span class="pagenum"><a name="Seite_180" id="Seite_180">[S. 180]</a></span> denn sie hätten sie ja
-an die A. E. G. vertragsgemäß weitergeben müssen. So empfahlen sie
-meistens den Anfragern, die Anlagen in eigener Regie zu errichten.
-Die Kapitalien würden sie sich ja auch ohne die A. E. G. beschaffen
-können, und den Bau, die Maschinenlieferung usw. würden ihnen Siemens
-&amp; Halske ebensogut direkt liefern können als indirekt durch die A.
-E. G. Derartige Fälle kamen wiederholt zur Kenntnis Rathenaus und
-seiner Mitdirektoren. Man war empört, beschwerte sich, aber die
-Tatbestände waren so geschickt verschleiert, daß Vertragsverletzungen
-nicht nachgewiesen werden konnten. Sogar im eigenen Aufsichtsrat,
-in dem verschiedene Vertreter des Siemens-Konsortiums saßen, konnte
-die Direktion mit ihren Beschwerden nicht hinreichend durchdringen.
-Es fehlte nicht an Intriguen und Kabalen, und es gab Zeiten, in
-denen an jedem Tage ein anderer A. E. G.-Direktor seine Demission
-einreichte. Die Situation war in dieser Weise nicht länger haltbar.
-Diese Überzeugung kam schließlich nicht nur bei der A. E. G., sondern
-auch bei Siemens &amp; Halske zum Durchbruch. Die A. E. G. war allmählich,
-das merkte man jetzt auch bei Siemens, eine solche Macht, eine solche
-Lebenskraft geworden, daß man sie &mdash; durch den besten Vertrag &mdash;
-nicht mehr niederhalten konnte, umsomehr wenn dieser Vertrag nicht
-nur die Freiheit der A. E. G., sondern auch die eigene zu Gunsten
-lachender Dritter hemmte. Georg von Siemens, der Direktor der Deutschen
-Bank, der Zeit seines Lebens ein Verehrer und Freund Emil Rathenaus
-gewesen ist, auch Objektivität und volkswirtschaftlichen Sinn genug
-besaß, um die engherzige Knebelung einer Gesellschaft, die das Zeug
-hatte, Mehrerin der deutschen Industriekraft zu werden, zu Gunsten
-seiner Bankinteressen nicht mitzumachen, erbot und bemühte sich als
-Vermittler, eine vorzeitige Lösung des Vertrages auf gütlichem Wege
-herbeizuführen. Nach schwierigen Verhandlungen gelang am 20. Juni 1894
-die endgültige Auseinandersetzung. Die A. E. G. verpflichtete sich, an
-Siemens &amp; Halske eine Entschädigungssumme von 696742 Mark zu zahlen.
-Darauf waren aber Bestellungen auf Maschinen und Kabel in Anrechnung
-zu bringen, die die A. E. G. noch bis zum 1. Januar 1900 von Siemens
-&amp; Halske beziehen sollte und die zum Meistbegünstigungspreise mit 13%
-Rabatt geliefert werden mußten.</p>
-
-<p>So wichtig die endgültige Trennung der A. E. G. von Siemens &amp; Halske
-auch war, weder im Geschäftsbericht für das Jahr 1893/94<span class="pagenum"><a name="Seite_181" id="Seite_181">[S. 181]</a></span> noch in der
-Generalversammlung wurde dieser Vorgang eingehender behandelt. &mdash; Bald
-nach Lösung des Vertrages wurde der Bau des <em class="gesperrt">Kabelwerks</em> an der
-Oberspree begonnen und damit der Fabrikation der A. E. G. das letzte
-ihr noch fehlende Hauptglied eingefügt. Auch die Maschinenfabrikation
-wurde erweitert. Die Befreiung von den Vertragsfesseln äußerte
-sich sofort in einer sichtbaren Zunahme des Zentralenbaus. Der
-Geschäftsbericht für 1893/94 verzeichnet bereits Bauaufträge für
-Barcelona, Sevilla, Craiova, Freihafengebiet Kopenhagen und Straßburg.
-Außerdem wurde für die B. E. W. eine neue Zentralanlage an der
-Oberspree errichtet, die die Vorstädte Berlins und die umliegenden
-Ortschaften mit elektrischem Strom versorgen sollte. Hier wie in
-Straßburg gelangte das Drehstromsystem in großem Maßstabe zur Anwendung.</p>
-
-<p class="center mtop1 mbot2">*&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;*<br />
-*</p>
-
-<p>Überblicken wir den zuletzt behandelten Abschnitt, der von der
-Überwindung der Krisis von 1886/87 und dem zweiten Vertragsabschluß
-mit Siemens &amp; Halske bis zur vollständigen Vertrags- und
-Betätigungsfreiheit Mitte 1894 reicht, so finden wir, daß diese
-Periode, vielleicht die entscheidende und grundlegende für die
-Fundierung und Richtungsentwickelung der Gesellschaft &mdash;, im Inneren
-voll von drängender, vielgestaltiger und doch deswegen nicht
-unbeherrschter Gestaltung, auch das <em class="gesperrt">äußere Bild</em> der Gesellschaft
-wesentlich verändert hat. Zunächst in den Kapitalverhältnissen. Der
-Erhöhung des Aktienkapitals von 5 auf 12 Millionen Mark im Jahre 1887
-folgte im April 1889 eine weitere Erhöhung auf 16 Millionen Mark.
-Dabei konnten die Aktien der Gesellschaft zum ersten Male mit einem
-äußerlich sichtbaren Agio begeben werden. Sie wurden zum Kurse von
-150% herausgebracht und 2 Millionen Mark flossen in den Reservefonds,
-der dadurch die statutenmäßige und gesetzliche Höhe bereits um
-501364 Mark überschritt. Im nächsten Jahre 1890/91 erfolgte eine
-dritte Kapitalserhöhung um wieder 4 Millionen Mark auf 20 Millionen
-Mark, wobei die neuen Aktien zu dem weiter erhöhten Kurse von 165%
-ausgegeben wurden und nach Abzug sämtlicher Provisionen, Spesen,
-Stempelkosten usw. 2378115 Mark in<span class="pagenum"><a name="Seite_182" id="Seite_182">[S. 182]</a></span> den Reservefonds flossen. Von
-der Generalversammlung (29. November 1890) hatte sich ferner die
-Verwaltung die Ermächtigung erteilen lassen, Obligationen in Höhe
-des Aktienkapitals auszugeben, nicht ohne daß aus Aktionärkreisen
-&mdash; der Oppositionsredner war der angesehene Inhaber des Bankhauses
-N. Helfft &amp; Co. &mdash; die Warnung ergangen wäre, den Geschäftsbetrieb
-zu weit auszudehnen und die Aktion durch eine uferlose Expansion
-zu beunruhigen. Emil Rathenau belächelte innerlich diese Warnungen
-kleingeistiger Aktionärvorsicht, die von seiner pflichtgemäßen
-Verwaltungsvorsicht so sehr verschieden war. &mdash; In jener Zeit konnte
-er allerdings noch nicht auf die Erfolge seiner Finanzwirtschaft
-verweisen, mit denen er später alle ähnlichen Einwendungen leicht
-zu schlagen vermochte. Georg v. Siemens und Rathenau entschuldigten
-die immer neuen Geldforderungen gewissermaßen mit den großen
-Geldbedürfnissen der B. E. W., in denen man bald 30 Millionen Mark
-investiert haben werde. Man tröstete die Aktionäre damit, daß die
-Stadt Berlin die Berliner Werke sicher später einmal übernehmen würde,
-vielleicht schon im Jahre 1895, wobei man dann das ausgelegte Geld auf
-Heller und Pfennig, dazu mit einem ansehnlichen Gewinn, zurückerhalten
-müßte.</p>
-
-<p>Trotz der großen Agiogewinne, mit denen die Reserven stattlich
-aufgefüllt werden konnten, sah Emil Rathenau aber bald ein, daß es
-nicht zweckmäßig sein würde, den Emissionskredit der Gesellschaft
-allzusehr anzuspannen und den Marktwert der Aktien durch eine
-Überproduktion an Aktienkapital zu entwerten. „Wir verkennen den
-Vorteil nicht, der bei dem gegenwärtigen Kursstande unserer Papiere
-der Gesellschaft durch Ausgabe neuer Aktien erwachsen würde,
-glauben aber mit Rücksicht auf eine möglichst gleichbleibende Rente
-von derselben für jetzt Abstand nehmen zu sollen, nachdem wir &mdash;
-allerdings bei progressiver Steigerung der Gewinnziffern &mdash; in rascher
-Folge Kapitalserhöhungen durchgeführt haben, die das ursprüngliche
-Gesellschaftsvermögen von 5 auf 20 Millionen Mark vermehrten.“
-&mdash; Der Finanzpolitiker, der stets eine feine Witterung für die
-Imponderabilien des Geld- und Kapitalmarktes bekundet hat, erkannte in
-einem Augenblick, in dem der Aktienkurs seinen höchsten Stand erreicht
-hatte, und mancher andere vielleicht dem Agio noch seine letzten
-Möglichkeiten abgepreßt haben würde, daß der Aktienemissionskredit nun
-zunächst einmal einer längeren Schonung bedürfe und das Gefäß, das
-jetzt vielleicht noch nicht ganz angefüllt<span class="pagenum"><a name="Seite_183" id="Seite_183">[S. 183]</a></span> sei, durch einen neuen
-Aufguß zum Überlaufen gebracht werden könne. Also entschloß sich
-Rathenau, zunächst einmal ein anderes Mittel der Geldbeschaffung zu
-wählen und Obligationen auszugeben. Auch hier nahm er jedoch bei weitem
-nicht den ganzen Spielraum, den er sich von der Generalversammlung
-hatte geben lassen, in Anspruch. Im Jahre 1890/91 wurden 5 Millionen
-Mark Obligationen ausgegeben, mit deren Auslosung sofort begonnen
-wurde. Eine meisterhafte Hand in der Verteilung und Niedrighaltung
-der Kapitalien für das Gründungsgeschäft tritt schon hier zu Tage. Im
-Geschäftsbericht für 1893/94 wird bemerkt: „Da wir die Finanzierung
-fast aller größeren Unternehmungen potenten Bankkonsortien überlassen
-haben, in denen wir uns angemessene Beteiligungen vorbehielten, so
-wird unser Geldbedarf im Verhältnis zu dem Kapitalsaufwand, den
-diese Anlagen erfordern, in mäßigen Grenzen sich bewegen.“ Schon
-damals gelang es Rathenau, mit einem kleinen eigenen Kapital große
-Unternehmergeschäfte in Bewegung zu setzen. Verschiedene glückliche
-Geschäfte, die er zum Teil im Gegensatz zur herrschenden Auffassung
-und zu den Ansichten der Banken mit großem Erfolge durchgeführt
-und durchgehalten hatte, schufen ihm den Ruf eines glücklichen
-und scharfsinnigen Finanziers. So drängten sich die Konsorten zu
-seinen Geschäften, und er, dem es letzten Endes immer nur auf die
-industriepolitische Seite ankam, überließ ihnen gerne einen Teil der
-finanziellen Chance, wenn sie ihm halfen, einen entsprechenden Teil der
-finanziellen Last und des finanziellen Risikos zu tragen.</p>
-
-<p>Trotzdem innerhalb des von uns behandelten Zeitabschnittes eine
-gewerbliche Krise, die der A. E. G. zwar nichts anhaben konnte, der
-aber Rathenau durch die vorsichtige Behandlung des Emissionsmarktes
-Rechnung trug, die Verhältnisse unsicher machte, brauchte die
-Dividende der Gesellschaft nur vorübergehend und nicht erheblich
-gesenkt zu werden. Sie zeigt von 1887&ndash;1893 folgende Kurve: 7, 9,
-10, 9, 7½, 8¼, 9%. Sehr interessant ist das Bild, das die
-Bilanz der Gesellschaft im Vergleich mit denen an früheren markanten
-Abschnittspunkten gewährt. Immobilien sind bis Ende 1894 auf 2807455
-Mark, Maschinen und Apparate auf 1220000 Mark, Werkzeuge auf 263000
-Mark, Fabrikutensilien auf 60000 Mark, Waren auf 4108925 Mark, Guthaben
-in laufender Rechnung einschließlich der bei Zweigniederlassungen
-auf 6613742<span class="pagenum"><a name="Seite_184" id="Seite_184">[S. 184]</a></span> Mark, Forderungen für Installationen auf 535848 Mark,
-Wechsel auf 247128 Mark und Kautionen auf 579712 Mark gestiegen. Es
-ergibt sich danach eine Summe des Fabrikationsgeschäfts von 16435810
-Mark. Das Finanzgeschäft wird dargestellt durch Effekten von 5976266,
-Konsortialien von 2963348 Mark und 1913253 Mark Guthaben bei den
-B. E. W., also zusammen durch 10852867 Mark. Daneben erscheint als
-gleitender Faktor in der Bilanz das Bankguthaben von 7933463 Mark,
-wohlgemerkt in einem Zeitpunkte, in dem seit mehreren Jahren weder
-neues Aktien-, noch Obligationenkapital der Gesellschaft zugeflossen
-war. Die Kreditoren von 2575873 Mark sind gegenüber den festliegenden
-und flüssigen Aktivwerten bescheiden und stellen keine Verschuldung,
-sondern laufende, durch den Stand des regulären Geschäfts bedingte
-Verbindlichkeiten dar, die durch die Aktiva &mdash; und zwar schon durch
-die sofort greifbaren &mdash; weit überdeckt sind. Die äußere Finanzlage
-der Gesellschaft muß also als glänzend bezeichnet werden. Zum Teil
-hing das damit zusammen, daß die B. E. W. durch Obligationenausgabe
-in der Lage gewesen waren, einen großen Teil der ihnen geleisteten
-Vorschüsse zurückzuzahlen. Auch war vom Effektenbestande einiges
-verkauft worden. Die <em class="gesperrt">innere</em> Fundierung der Gesellschaft, nicht
-zu verwechseln mit der äußeren Finanzlage, ist befriedigend, aber nicht
-mehr als dies, wenn man sie in Vergleich stellt zu der Reservenfülle,
-die in späteren Jahren erreicht wurde. Der ordentliche Reservefonds,
-der bei einem Kapital von 20 Millionen Mark 4479479 Mark enthielt,
-ist fast ausschließlich aus den Agiogewinnen der Kapitalserhöhungen
-zusammengesetzt. Eine solche Reserve kann wertvoll sein, wenn der
-innere Wert der mit hohem Agio begebenen Aktien dem äußeren Kurse
-entspricht, er kann aber auch ein Truggebilde darstellen, wenn die
-Emissionskurse und die Dividenden künstlich und ungesund in die Höhe
-getrieben worden sind. Eine außerordentliche Reserve von 500000 Mark
-und ein Rückstellungskonto von 550000 Mark sind zweifellos als echte
-Reserven zu bezeichnen, denn sie stammen aus den erzielten Gewinnen.
-Stille Reserven enthielt die Bilanz der Gesellschaft im Jahre 1894 wohl
-erst in bescheidenem Umfange; sie ruhten zumeist in dem Effektenbesitz,
-wenngleich dieser damals über alle Schwankungen noch keineswegs
-hinaus war und deshalb eigene Vorsichtsreserven brauchte, die auf ihm
-ruhenden Reserven also erst zum Teil für das<span class="pagenum"><a name="Seite_185" id="Seite_185">[S. 185]</a></span> Gesamtunternehmen in
-Rechnung gestellt werden konnten. Die Abschreibungen auf Anlagekonten,
-die damals noch sichtbar gemacht wurden, waren angemessen, zum Teil
-sogar reichlich, sie betrugen bei Maschinen etwa 10%, bei Werkzeugen,
-Modellen usw. etwa 20%. Hier und da wurden Extraabschreibungen
-vorgenommen. Auch hier kann man von Überschuß-Reserven, die über die
-Sicherung der einzelnen Anlagekonten wesentlich hinausgingen, auf die
-sie vorgenommen worden waren, kaum schon sprechen.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_186" id="Seite_186">[S. 186]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Zehntes_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Zehntes Kapitel</em><br />
-
-Das Finanz- und Trust-System</h2>
-
-</div>
-
-<p>In einem kurzen Jahrzehnt war es dem bauenden Genie Rathenaus gelungen,
-aus einer eng begrenzten Spezialfabrikation trotz aller technischen
-und vertraglichen Fesseln, ein großes, universelles Fabrik- und
-Geschäftsunternehmen zu machen. Die kleine Glühlampe hatte den Weg zu
-großen industriellen Neuschöpfungen erhellt. Sie hatte auch in dem
-ringenden Chaos des Rathenauschen Hirns den schöpferischen Funken, die
-klärende Flamme entzündet.</p>
-
-<p>Im vorigen Kapitel haben wir die äußere Expansion der Allgemeinen
-Elektrizitäts-Gesellschaft in dem ersten Abschnitt ihrer veränderten
-Gestalt geschildert, die Verbreiterung der Fabrikation und die ersten,
-aber schon kräftigen und vielfältigen Anfänge des Beteiligungs-
-und Unternehmergeschäfts. Der jetzt zu behandelnde Zeitraum, der
-ungefähr die Jahre 1895&ndash;1901 umfaßt, und von der Gewinnung der
-vollständigen Handlungsfreiheit der A. E. G. bis zum Ausbruch der
-großen Elektro-Krise um die Jahrhundertwende reicht, ist erfüllt von
-den starken Fortschritten dieser doppelten Expansion, die sich ins
-Große und Reiche auslebt. Daneben aber und im Gleichschritt mit dieser
-ständigen Mehrung der <em class="gesperrt">Quantität</em> des Besitzes und Einflusses
-entwickelt sich &mdash; mehr unterirdisch und zunächst nur dem eingeweihten
-Auge sichtbar &mdash; ein Prozeß der Konsolidierung und Organisierung der
-zunächst nach außen bewegten Kräfte, der zu einer stärkeren Festigung
-der Fundamente, zu einer Dichtung des Gebälks, zu einer inneren
-Auspolsterung mit freien, beliebig hin- und herschiebbaren Reserven
-führt. Dadurch wird für das Ganze eine Elastizität erreicht, die in der
-Lage ist, Verschiebungen, Erschütterungen und Verluste, die von außen
-an das Unternehmen oder einzelne Teile herantreten, im wachsenden Maße
-innerlich auszugleichen und somit auf den Weg der Rentenstabilisierung,
-der Sicherstellung und Festigung der Aktiendividende führt. Die
-Fabrikation wird nicht nur ausgedehnt, sondern auch teils durch
-technische, teils durch<span class="pagenum"><a name="Seite_187" id="Seite_187">[S. 187]</a></span> finanzielle Ökonomie verbilligt, und somit in
-die Lage gesetzt, wettbewerbsfähiger liefern und Konjunkturabschläge
-ausgleichen zu können. In das Unternehmergeschäft, das bisher
-unorganisiert, sozusagen von Augenblickserwägungen geleitet war, wird
-System gebracht. &mdash; Mit wenigen Strichen soll zunächst das Bild der
-<em class="gesperrt">äußeren Fortentwickelung</em> der Gesellschaft in dieser Periode
-gezeichnet werden.</p>
-
-<p>In den Geschäftsberichten der Jahre 1894 und 1895 war bereits
-auf die zunehmende Bedeutung der <em class="gesperrt">Kraftübertragung</em> für die
-elektrische Industrie hingewiesen worden, nachdem die Bestrebungen, die
-Elektrotechnik der Kraftübertragung und Kraftverteilung zuzuführen,
-infolge des Beharrungsvermögens der Verbraucher lange erfolglos
-geblieben waren. Zwei Entwickelungen waren es, die dann in der Frage
-des elektrischen Antriebes der Arbeitsmaschinen den Bann brachen:
-Die &mdash; nach kurzem Zögern &mdash; rapide Entwickelung des Drehstroms, die
-Möglichkeit der Verwendung, Umformung und Verteilung hochgespannter
-Ströme, die technisch wie ökonomisch dem bisher verwendeten Gleichstrom
-und Wechselstrom weit überlegen waren, und ferner das Beispiel
-der ersten <em class="gesperrt">Straßenbahnen</em>, die sofort und schlagend die
-Betriebsbilligkeit der Elektrizität als Antriebs- und Arbeitsfaktor
-erwiesen. „Die Elektrotechnik vertieft sich zur Maschinenindustrie.“
-Im Straßenbahnbau war die A. E. G. von Anfang an ebenso frei gewesen
-wie Siemens &amp; Halske, in der Entwickelung der Kraftübertragung hemmte
-das vertragliche Verbot der Herstellung großer Maschinen und hierdurch
-wurde die Ausnutzung des starken Vorsprungs, den der Gesellschaft das
-von ihr zuerst und besonders wirkungsvoll dargestellte Drehstromsystem
-ermöglicht hätte, verhindert, zumal eine Monopolisierung dieses bald
-allenthalben von der Konkurrenz adoptierten Systems &mdash; wie das bei
-großen elektrischen Erfindungen üblich ist &mdash; nicht gelang. Die erste
-technische Aufgabe nach der Erlangung der völligen Fabrikationsfreiheit
-war die Erweiterung der Maschinenfabrikation. 84541 qm wurden zu
-diesem Zwecke längs des Humboldthains zwischen der Brunnen- bis zur
-Hussitenstraße von der Berliner Lagerhof-Ges. in Liqu. erworben und
-mit der alten Maschinenfabrik durch eine Tunnelbahn verbunden. 2
-Millionen Mark neue A. E. G.-Aktien, die bei dem damaligen Kurse
-einen Wert von mehr als 5 Millionen Mark repräsentierten und 341667
-Mark in bar mußten für die Grundstücke<span class="pagenum"><a name="Seite_188" id="Seite_188">[S. 188]</a></span> allein bezahlt werden. Für
-den Ausbau wurden die Mittel der Gesellschaft um weitere 5 Millionen
-Mark Obligationen und 3 Millionen Mark neue Aktien vermehrt, von
-denen allerdings 1 Million Mark zum Erwerb von 2 Millionen Mark
-Anteilen der <em class="gesperrt">Elektrochemischen Werke Bitterfeld G. m. b. H.</em>
-dienten und der Rest zum Kurse von 175% den Aktionären angeboten
-wurde. Die zweite große Ergänzung des fabrikatorischen Prozesses der
-Gesellschaft, das <em class="gesperrt">Kabelwerk</em>, das Material für unterirdische
-Leitungen erzeugen sollte, nachdem die Gesellschaft schon seit längerer
-Zeit oberirdisches Leitungsmaterial herstellte, wurde im Jahre 1896
-begonnen. Dafür wurde ein Gelände von 102,120 qm an der Oberspree,
-unmittelbar neben der neuen Kraftstation der B. E. W. erworben; dahin
-wurde die gesamte Leitungsmaterialfabrikation verlegt, so daß der
-bisher durch die Fabrik für oberirdisches Leitungsmaterial belegte
-Werkstattraum in der Ackerstraße für andere Zwecke frei wurde.
-Zugleich gewann die Gesellschaft durch den neuen Grundstückskauf einen
-wertvollen Wasserstraßenanschluß. Von den bestehenden Fabrikanlagen
-wurde die Glühlampenfabrikation durch Hinzunahme neuer Räume auf dem
-Grundstück Schlegelstraße so beträchtlich erweitert, daß sie im Jahre
-1895/96 600000 Lampen mehr erzeugen konnte als im Vorjahre und daß
-die Erhöhung der gesamten Produktion auf das Doppelte im Bedarfsfalle
-mit den geschaffenen Betriebseinrichtungen vorgenommen werden konnte.
-Eine Anzahl von neuen Modellen, besonders Lampen hoher Spannung, die
-eine wesentliche Ausdehnung der Netze von Beleuchtungsstationen ohne
-starke Kosten ermöglichten, wurde in den nächsten Jahren geschaffen.
-Im Jahre 1897/98 stieg der Absatz weiter um 900000 Lampen gegenüber
-der gleichfalls wesentlich erhöhten Zahl des Vorjahres; in den Jahren
-1898/99 und 1899/1900 um je 1 Million. Damit war die Leistungsfähigkeit
-der erweiterten Fabrik erschöpft und es mußte zu einer neuen Ausdehnung
-geschritten werden. Dabei wurde auch Vorsorge für die Haltung eines
-größeren Lagerbestandes getroffen. Die Preise für Glühlampen waren
-infolge der starken Konkurrenz in dieser Zeit ständig unter Druck, und
-in den Kreisen der Fabrikanten wurde vielfach über unauskömmliche, zum
-Teil ruinöse Preise geklagt. Im Geschäftsbericht für das Jahr 1895/96
-trat die A. E. G. diesen Anschauungen mit folgenden Worten entgegen:
-„Trotzdem der Marktpreis der Glühlampen sich über das frühere<span class="pagenum"><a name="Seite_189" id="Seite_189">[S. 189]</a></span> Niveau
-nicht erhoben hat, müssen wir der, auch von Fabrikanten vielfach
-ausgesprochenen Ansicht entgegentreten, daß derselbe die Lieferung
-eines sorgfältig sortierten und geprüften Fabrikates nicht gestatte.
-Bei zweckmäßigen Einrichtungen und entsprechendem Umsatz ist der Preis
-dieses nach Millionen zählenden Massenartikels auskömmlich.“ &mdash; In
-den nächsten Jahren bis zur Krise kam die rückläufige Preisbewegung
-auf dem Kohlenfadenlampen-Markte nicht zum Stillstand. Erst nachdem
-eine Reihe schwacher und nicht konkurrenzfähiger Betriebe zum Erliegen
-gekommen war, gelang ein Zusammenschluß der verbliebenen Fabriken im
-<em class="gesperrt">Kohlenfadenlampensyndikat</em>. Im Jahre 1898 erwarb die A. E. G. die
-Nernstlampe, die nach dem Erfinder Prof. Dr. Nernst in Göttingen diesen
-Namen erhalten hat, und suchte, zunächst durch Laboratoriumsarbeit die
-praktische Verwertbarkeit dieser Lampe zu erreichen und sie für die
-Fabrikation vorzubereiten. Darüber wurde im Geschäftsbericht dieses
-Jahres geschrieben:</p>
-
-<p>„Im Laboratorium beschäftigen wir uns seit Mitte März mit der
-Erfindung des Herrn Professors Dr. Nernst in Göttingen. Das Prinzip
-derselben läßt sich kurz dahin charakterisieren, daß, ähnlich wie beim
-Gasglühlicht anstatt leuchtender Kohlenpartikelchen Substanzen von
-besserer Lichtemission durch die Flammgase zum Glühen gelangen, so auch
-in der neuen Lampe anstatt Kohlenkörper, die sowohl beim elektrischen
-Bogen- wie Glühlicht bisher praktisch ausschließlich zur Verwendung
-kamen, unverbrennliche Substanzen von hohem Lichtvermögen durch
-den galvanischen Strom zur blendenden Weißglut erhitzt werden. Die
-Hauptschwierigkeiten, die der Übertragung der Erfindung in die Praxis
-anfänglich entgegenstanden, und welche einerseits die Anregung der im
-kalten Zustande isolierenden Glühkörper, andererseits die Erzielung
-genügender Haltbarkeit und Konstanz der Glühkörper bot, können jetzt
-als bis zum gewissen Grade überwunden angesehen werden. Der Nutzeffekt
-der Lampen ist z. Zt. etwa derjenige kleinerer Bogenlampen, also
-erheblich besser als derjenige der bisherigen Glühlampen. Es steht zu
-hoffen, daß sich der Nutzeffekt noch merklich steigern wird, und daß
-sich Glühkörper bis zu fast beliebigen Kerzenstärken werden herstellen
-lassen. In der Bequemlichkeit oder Handhabung sind die neuen Lampen
-den Bogenlampen offenbar überlegen, stehen aber darin den gewöhnlichen
-Glühlampen erheblich nach. Wir glauben nicht, daß die neue Lampe die<span class="pagenum"><a name="Seite_190" id="Seite_190">[S. 190]</a></span>
-bisherigen Systeme elektrischer Beleuchtung verdrängen wird, vielmehr
-scheint uns sicher, daß sie neben jenen ihr Anwendungsgebiet sich
-erobern wird.“</p>
-
-<p>Die Exploitation der Lampe nahm indes unerwartet viel Zeit in Anspruch,
-trotzdem unermüdlich unter tätiger und ratender Mitarbeit Emil
-Rathenaus an ihr gearbeitet und experimentiert wurde. 1899 hieß es:
-„Die technische und wirtschaftliche Bedeutung der Nernstlampe werden
-wir zu erproben Gelegenheit haben, sobald die im Bau begriffenen
-Werkstätten uns in den Stand setzen, die der regen Nachfrage
-entsprechenden Mengen herzustellen. Das Hauptpatent ist in Deutschland
-nach Erledigung verschiedener Einsprüche erteilt worden. Die Option auf
-die übrigen Patente mit Ausnahme derer für Österreich-Ungarn, Italien
-und der Balkanländer haben wir ausgeübt.“ &mdash; Die Hauptschwierigkeit lag
-danach nicht mehr in der Konstruktion, sondern in der Produktion, deren
-Überführung ins Große sich Hindernisse in den Weg stellten. Sie waren
-auch im folgenden Jahre noch nicht behoben. Endlich im Jahre 1900/01
-war das Stadium der Versuche und Enttäuschungen überwunden, worüber die
-Gesellschaft mit folgenden Sätzen im Geschäftsbericht quittierte:</p>
-
-<p>„Ein voller Erfolg ist nach jahrelanger, mühsamer Arbeit die Einführung
-der Nernstlampe geworden. Die schöne und zugleich sparsame Lichtquelle
-befindet sich in Hunderttausenden von Exemplaren bereits im Gebrauch
-und gewinnt infolge sehr günstiger Betriebserfahrungen und der äußerst
-befriedigenden Meßresultate der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt
-täglich weitere Kreise.“</p>
-
-<p>Vermochte die A. E. G. auf dem Gebiete der Beleuchtungstechnik
-ihre dominierende Stellung (wenn auch unter ständiger, gewaltiger
-Steigerung der Absatzquantität) nur gerade zu behaupten, während
-ihren Plänen, neue Vorsprünge vor der Konkurrenz zu gewinnen,
-&mdash; wie die Folgezeit lehren sollte &mdash; trotz der Nernstlampe ein
-durchschlagender und dauernder Erfolg nicht beschieden war, so wurden
-auf anderen Gebieten Leistungen vollbracht, die durchaus den Stempel
-des Neuartigen, Schöpferischen trugen. Hierher gehört vor allem
-die klassische Durchbildung und praktisch-großartige Nutzanwendung
-der Kraftübertragung in Stromerzeugungswerken, die das Höchstmaß
-der damals möglichen Leistungsfähigkeit zu erreichen und ständig
-zu erweitern suchten. Gerade dadurch, daß Rathenau auf dem Gebiete
-des Wechselstroms nichts überstürzte und andere<span class="pagenum"><a name="Seite_191" id="Seite_191">[S. 191]</a></span> Unternehmungen,
-so die Helios-Gesellschaft in Köln, englische und schweizerische
-Gesellschaften den Wettlauf um die halbfertigen, halbgelungenen
-Verwirklichungen ausfechten ließ, erwies er die Geduld und die
-Kunst des Meisters. Er hatte sehr richtig erkannt, daß die Motoren
-und auch die Lampen erst einer gründlichen Durchbildung für das
-Hochspannungssystem bedurften, die nicht im Handumdrehen zu erreichen
-war. Seine ersten nach dem Drehstromsystem erbauten Zentralen waren,
-nachdem diese Schwierigkeiten überwunden waren, von überzeugender
-Schlagkraft und Reife. Die Zentrale in Straßburg i. E. wurde im
-Jahre 1895 rechtzeitig eröffnet, um die Stromlieferung für die
-elsaß-lothringische Landesausstellung übernehmen zu können. Die neue
-Zentrale an der Oberspree trat im Jahre 1896 in Tätigkeit mit einer
-Anlage, die auf 50000 Pferdekräfte zugeschnitten war und einen Teil der
-Vororte Berlins mit billiger Energie nach einem besonders vorteilhaften
-Tarif versorgen sollte. Die Werke der Berliner Elektrizitätswerke
-wurden dadurch ergänzt und die B. E. W. übernahmen das fertiggestellte
-Werk, nachdem sein Funktionieren zweifelsfrei erwiesen war. Die
-moderne Außenanlage wurde bei der nächsten Vertragserneuerung dem
-Vertrage mit der Stadt Berlin eingegliedert, und man sorgte dafür,
-daß der in Oberschöneweide erzeugte Hochspannungsstrom auch in
-das innere Weichbild Berlins eingeführt werden konnte, wo er in 5
-Unterstationen umgeformt wurde. Die Riesenmaschinen der neuen Zentrale
-erregten die Bewunderung der ganzen Fachwelt, deren Vertreter wie
-seinerzeit bei der Straßenbahn in Halle aus aller Herren Länder zur
-Besichtigung herbeieilten. Es folgten die Anfänge der Versorgung
-des oberschlesischen Industriebezirks mit Licht- und Kraftstrom,
-verbunden mit der Elektrifizierung oberschlesischer Straßenbahnen.
-In Zaborze und Chorzow wurden zunächst Zentralstationen errichtet,
-die das Fundament für die <em class="gesperrt">Oberschlesischen Elektrizitätswerke</em>
-abgaben, und im Laufe der Zeit unter der Firma Schlesische
-Elektrizitäts- und Gas-Aktiengesellschaft sich zu einem der wenigen
-ganz großen Überlandzentralen-Werke Deutschlands auswuchsen. Die
-Kraftübertragungswerke Rheinfelden, deren schwierige Wasserbauten
-infolge ungünstiger Witterungsverhältnisse und des dadurch
-herbeigeführten hohen Wasserstandes des Rheins nicht mit der
-planmäßigen Schnelligkeit gefordert werden konnten, reiften ihrer
-Vollendung entgegen. Hier wie in anderen<span class="pagenum"><a name="Seite_192" id="Seite_192">[S. 192]</a></span> modernen Zentralstationen
-wurden <em class="gesperrt">Turbinen</em> großer Maßstäbe als Antriebsmaschinen
-verwendet. Auch auf diesem Gebiete trat das echt Rathenausche Prinzip
-deutlich hervor, nicht zu warten, bis der Absatz allmählich den
-Erzeugungsstätten zufloß, sondern sich für besonders rationell zu
-erzeugende Kraft Groß-Abnehmer zu schaffen. Die Kraftübertragungswerke
-Rheinfelden überließen die Hälfte ihrer verfügbaren Kraft auf die
-Dauer der Konzession großen elektrochemischen Fabriken, die von der A.
-E. G. und ihrem Konzern zu diesem Behufe gegründet oder unterstützt
-worden waren und deren Produktionsnutzen auf dem Prinzip des billigen
-Kraftbezuges beruhte. Der Standort der billigen Betriebskraft fing
-auch in der elektrotechnischen Industrie an, eine maßgebende Bedeutung
-neben dem Standort der günstigen Produktions- und Absatzverhältnisse
-zu erlangen. Die Elektrochemie, der sich die A. E. G. besonders
-durch Errichtung der Elektrochemischen Werke in Bitterfeld mit ihren
-Zweigunternehmungen in Rheinfelden zugewendet hatte, betätigte sich
-in der ersten Zeit besonders durch Erzeugung von Kalziumkarbid, um
-später durch die elektrochemische Herstellung von Luftstickstoff eine
-gewaltige Bedeutung zu erlangen. &mdash; Lizenzen der elektrochemischen
-Verfahren wurden an ausländische Gesellschaften, in Polen, in
-Frankreich, in der Schweiz usw. übertragen, an denen sich das
-Stammunternehmen beteiligte.</p>
-
-<p>In dieser Zeit beginnt auch das <em class="gesperrt">ausländische</em> Gründungs- und
-Beteiligungsgeschäft, das schon vorher in kleineren und mittleren
-Unternehmen betätigt worden war, große Formen anzunehmen. Die Werke in
-Madrid, Barcelona, Bilbao, Craiova, Kopenhagen hatten die A. E. G. im
-Auslandsgeschäft heimisch gemacht. Im Jahre 1894 wird durch Übernahme
-der Aktien der von der Stadtgemeinde Genua und der italienischen
-Regierung konzessionierten Società di Ferrovie Elettriche e Funicolare
-(Elektrische Tram- und Drahtseilbahnen) die Zusammenfassung und
-Elektrifizierung des gesamten Straßenbahn- und Krafterzeugungswesens
-der lebendigsten italienischen Hafenstadt eingeleitet. Schon im
-nächsten Jahre wird diese Gesellschaft zum Erwerb sämtlicher
-Aktien der Società dei Tramways Orientali veranlaßt, die mit den
-Konzessionsrechten zum Bau und zum Betrieb elektrischer Trambahnen für
-den Osten von Genua und für die Vororte bis Nervi ausgerüstet war.
-Die Netze beider Verkehrsunternehmen sollten zusammen ausgebaut und
-in einheitlichem Betriebe geführt<span class="pagenum"><a name="Seite_193" id="Seite_193">[S. 193]</a></span> werden. Nahezu gleichzeitig mit
-dem Erwerb der Società dei Tramways Orientali wird der A. E. G. von
-der Stadt Genua die Konzession für den Bau und Betrieb eines Werkes
-zur Erzeugung von Licht und Kraft erteilt, die einer neugegründeten
-italienischen Aktiengesellschaft „Officine Elettriche Genovesi“
-übertragen wird. Die Interessen der drei Gesellschaften wiesen auf
-enges Zusammengehen hin, damit alle Vorteile ausgenutzt würden, die
-sich aus der Zusammenlegung der Betriebe ergeben konnten. Die schon
-an sich starke Position der A. E. G. in der Elektrizitätsversorgung
-Genuas wird noch dadurch verstärkt und ergänzt, daß die seit Jahren
-bestehende große Pferdebahn der Compania Generale Francese, die Genua
-mit Sampierdarena, Pegli, Voltri und Pontedecimo verband, in den
-Besitz einer neugegründeten italienischen Aktiengesellschaft, der
-Unione Italiana, übergeführt und dem Netz der A. E. G. &mdash; wenn auch
-nicht durch direkte finanzielle Beteiligung, so doch durch Bau- und
-Betriebseinfluß &mdash; angegliedert wird. Alle drei Trambahnunternehmen,
-die eine Gleislänge von 90 km besitzen, werden in elektrischen Betrieb
-überführt und mit dem Strom der Offizine Elettriche Genovesi, des neuen
-Kraftwerks, gespeist. Diese mustergültige Konzentration des gesamten
-Elektrizitätswesens einer großen Stadt bietet eine Fülle finanzieller,
-organisatorischer und technischer Arbeit, zu deren Bewältigung ebenso
-wie für andere gegenwärtige und zukünftige Aufgaben ähnlicher Art
-eine besondere Finanzgesellschaft, die „<em class="gesperrt">Bank für elektrische
-Unternehmungen in Zürich</em>“ mit einem Kapital von 30 Mill. Fr.
-gegründet wird. Sie übernimmt zunächst den Hauptaktienbesitz der A.
-E. G. an den italienischen Gesellschaften, zu denen im Laufe der Zeit
-Betriebe in Mailand, Venedig und Neapel treten.</p>
-
-<p>Noch breitere Dimensionen, weitere Perspektiven weist ein zweites
-Auslandsunternehmen auf, das zum ersten Mal die Pioniere der A. E. G.
-nach <em class="gesperrt">Übersee</em> führt. In Buenos Aires und in Santiago de Chile
-werden im Jahre 1897 Konzessionen zur Errichtung von Zentralstationen
-für die Erzeugung von Kraft und Licht erworben. Straßenbahnprojekte
-ergänzen diese Konzessionen. An der chilenischen Unternehmung
-beteiligen sich neben der A. E. G. und ihren Finanzfreunden, die dem
-Löwe-Konzern nahestehende Gesellschaft für Elektrische Unternehmungen
-und das Haus Wernher, Beit &amp; Co. in London. Die südamerikanischen
-Werke, zu denen später noch<span class="pagenum"><a name="Seite_194" id="Seite_194">[S. 194]</a></span> Gründungen in Montevideo und Rosario
-treten, werden in einer <em class="gesperrt">Deutsch-Überseeischen Elektrizitäts-Ges.</em>
-zusammengefaßt. Diese Gesellschaft entwickelt sich so gewaltig, daß zu
-ihrer Finanzierung später fast alle deutschen Banken, unter der Führung
-der Deutschen Bank hinzugezogen werden, und daß ihr technischer Ausbau
-ein Zusammenarbeiten der A. E. G. mit Siemens &amp; Halske wünschenswert
-erscheinen läßt. Es entsteht und wächst ein Unternehmen, dessen Kapital
-schließlich 150 Millionen Mark an Aktien und über 100 Millionen
-Mark an Obligationen erreichte, das größte Kulturwerk deutscher
-Auslandswirtschaft.</p>
-
-<p class="center mtop1 mbot2">*&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;*<br />
-*</p>
-
-<p>Neben der <em class="gesperrt">zentralistischen</em> Tätigkeit der A. E. G. in den eigenen
-Fabriken war seit der Schaffung der B. E. W. in immer stärkerem
-Umfange die <em class="gesperrt">dezentralisierende</em> getreten, die sich in der
-Gründung von Zweigunternehmungen, Tochter- und Enkelgesellschaften
-aller Art ausdrückte. Es wurde ein Weg beschritten, zunächst scheinbar
-unabsichtlich oder doch ohne feste programmatische Absicht, der von
-Fall zu Fall, wie es jeweilig die einzel-geschäftliche Erwägung
-zweckmäßig erscheinen ließ, zu Außenansiedelungen führte, die dem
-Stammunternehmen in irgend einer Hinsicht von Nutzen sein und als
-Stützpunkte dienen konnten. Die Methode der Dezentralisation, der
-Abzweigung exzentrischer Unternehmergebiete vom Hauptunternehmen
-durch Schaffung juristisch selbstständiger Gesellschaften oder
-auch der Zusammenfassung einer Reihe von verwandten, miteinander
-in Beziehung stehenden oder einander ergänzenden Unternehmungen in
-einer Gruppe, sei es durch eine übergeordnete Mantelunternehmung
-oder durch gegenseitige Aktienbeteiligung, ist nicht von Rathenau
-erfunden worden. In dem Zeitalter, das durch Konzentration groß wurde,
-lag sie sozusagen in der Luft. Die dezentralisierenden Seiten des
-sogenannten Verschachtelungssystems entlasteten die Leiter der großen
-Gruppenunternehmungen von einer Kleinarbeit und einer aktienrechtlichen
-Verantwortlichkeit für Einzelheiten ihrer weitverzweigten Geschäfte,
-die sie bei einer streng zentralistischen Verwaltung in der
-Entfaltung ihrer Kräfte behindert, vielleicht erdrückt hätten. Die
-zusammenfassenden Seiten dieses Systems boten ihnen trotzdem die
-Möglichkeit, jederzeit alle Ausstrahlungen<span class="pagenum"><a name="Seite_195" id="Seite_195">[S. 195]</a></span> ihrer Unternehmungen zu
-überblicken und zu überwachen. Vor Rathenau und gleichzeitig mit ihm
-waren in der heimischen und der ausländischen Industrie trustartige
-Gebilde entstanden, so besonders in den Vereinigten Staaten von
-Amerika, wo sie sich als eine Folge des dort üblichen Finanz- und
-Kapitalsystems herausbildeten. Zusammenballung unter ständigem Kampf
-mit Konkurrenten war die Tendenz, in der unter der rein plutokratischen
-Ordnung in Amerika Vermögen und Unternehmungen in die Breite strebten.
-Die Häufung der <em class="gesperrt">Quantität</em> gab hier oft den Ausschlag, und
-die großen Trustherren des Landes erweiterten ihren Aktienbesitz
-durch Zusammenschweißung vielfach heterogener Wirtschaftsgebilde,
-getrieben häufig nur von dem Willen zur Macht und zum Reichtum.
-Rivalitätsneid, Agiotage, Plusmacherei, Spekulationssucht und andere
-unsachliche Nebenerscheinungen des kapitalistischen Unternehmertums
-nahmen im Transaktionswesen einen ungebührlich breiten Raum ein
-und durchseuchten auch das Wurzelreich der Trustkombinationen. Die
-Operationen am Aktienmarkte, nicht die wirtschaftlichen Interessen
-der Industrie bildeten häufig die Triebfeder für Effektengeschäfte.
-Nicht die Wertebildung, sondern die Wertebemessung war ihr Ziel. Es
-konnte durch rasche Manöver besser erreicht werden als durch geduldige
-Arbeit, und der Kurs ließ sich schneller beeinflussen als die Rente.
-Da der Gewinn am Kurse schon an sich den Gewinn an der Rente um ein
-Vielfaches übertrifft, indem er sozusagen die Kapitalisierung des
-letzteren darstellt, da überdies Schwankungen des Kurses sich ungleich
-häufiger ins Werk setzen lassen als Schwankungen der Rente, findet
-derjenige, der auf eine schnelle Häufung großer Kapitalien ausgeht, in
-dem Manipulieren, das heißt dem Hin- und Herschieben von industriellen
-Wertpapieren eine Potenzierung <em class="gesperrt">der</em> Gewinnmöglichkeiten, die
-ihm die Entwickelung von industriellen Werten bietet. Nur durch
-die skrupellose Schaffung und Ausnutzung von künstlichen oder gar
-fiktiven Werteverschiebungen und Wertevergrößerungen, für die
-industrielle Vorgänge geschickt als Vorwand benutzt oder konstruiert
-wurden, erklärt sich die schnelle Bildung mancher amerikanischen
-Riesenvermögen. Ebensowenig wie behauptet werden kann, daß unsere
-deutschen Verhältnisse von derartigen Erscheinungen und Auswüchsen
-ganz frei gewesen sind &mdash; wir werden später noch sehen, daß gerade
-das Rathenausche Unternehmergeschäft, falsch nachgeahmt, zu ganz<span class="pagenum"><a name="Seite_196" id="Seite_196">[S. 196]</a></span>
-ähnlichen Mißbräuchen des Effekteninstruments, allerdings in den
-kleineren Maßen unseres Landes geführt hat &mdash;, ebensowenig soll dem
-amerikanischen Trustsystem jeder sachlich-wertvolle Inhalt, jeder
-industriell-zweckvolle Gesichtspunkt abgesprochen werden. Neben der
-rein kapitalistischen Macht wurde vielfach auch industrielle Macht
-angestrebt, und im Entwurf, wenn auch nicht in der Ausführung, hatten
-die Spekulationen der Trustkönige fast stets einen wirtschaftlich
-wertvollen Kern, weshalb manchen dieser Männer auch &mdash; im Anfange ihrer
-Tätigkeit wenigstens &mdash; der gute Glaube nicht unbedingt abgesprochen
-werden kann. An wirtschaftlicher Phantasie fehlte es ihnen häufig
-nicht, wohl aber an wirtschaftlicher Solidität, und sie zogen es
-bald &mdash; nachdem sie die großen Schwierigkeiten zäher Industriearbeit
-kennen gelernt hatten &mdash; vor, Effektenpolitik zu treiben, statt
-Wirtschaftspolitik. Viele der großen Trusts haben infolgedessen
-Jahrzehnte gebraucht, ehe sie das ihnen bei ihrer Taufe mitgegebene
-reichliche „Wasser“ aus ihren Eingeweiden aussondern konnten, und die
-unorganische Anlage mancher der amerikanischen Bahnsysteme hat sich
-bis in die heutige Zeit als unheilbar erwiesen. Auch die elektrischen
-Konzerne der Vereinigten Staaten litten jahrzehntelang unter den
-Schäden zu leichter Zimmerung.</p>
-
-<p>Wenn nun im Laufe der Jahre, nachdem die Expansionsmöglichkeiten selbst
-in Amerika eine gewisse Einengung erfahren haben, die Entwickelung
-auch in diesem Lande zu einer gewissen Intensität der Wirtschaft
-hinlenkte, wenn auch hier die Effektenfluktuationen allmählich
-ruhiger wurden, das Land des Trustsystems hat es bisher eigentlich
-nur zu Unternehmungsgruppen gebracht, die man <em class="gesperrt">Flächentrusts</em>
-nennen kann. Es wird eine Anzahl von Unternehmungen, die denselben
-Zweck verfolgen und einander ungefähr ähnlich organisiert sind,
-zusammengebracht, um die Konkurrenz zwischen ihnen auszuschließen und
-den Markt in den von ihnen hergestellten Waren oder den von ihnen
-geleisteten Arbeiten zu monopolisieren. Die amerikanischen Trusts sind
-im allgemeinen Gegenstücke zu unseren deutschen <em class="gesperrt">Kartellen</em>.
-Sie verfolgen denselben Zweck wie diese, wenngleich sie ihn nie so
-voll erreicht haben, weil in Amerika die größeren industriellen
-Neubildungsmöglichkeiten ein Außenseitertum mehr begünstigten als
-unsere extensiv ziemlich erschöpfte und nur im wesentlichen noch
-intensiv zu entwickelnde Industrie. Der wirtschaftliche Vorteil
-der amerikanischen Trusts besteht nun<span class="pagenum"><a name="Seite_197" id="Seite_197">[S. 197]</a></span> fast lediglich darin, ihre
-Beteiligten davor zu bewahren, die Waren ohne den von ihnen für
-notwendig gehaltenen Produktionsnutzen abgeben zu müssen. Die
-Politik, die sie betreiben, ist daher nicht nur in der Absicht,
-sondern auch in der Wirkung reine Produzentenpolitik. Sie stärkt die
-Erzeugerschicht und leistet der Volkswirtschaft damit einen &mdash; wenn
-auch einseitigen &mdash; Dienst, indem sie die Rente des in der Industrie
-arbeitenden Kapitals schützt und mehrt, und das Gesamtkapital des
-Landes, allerdings vielleicht unter Schädigung anderer Schichten,
-nach einer bestimmten Richtung hinlenkt. Wird ihre Politik maßvoll
-gehandhabt, so braucht sie, und dasselbe gilt von der Politik der
-deutschen Kartelle, auch den Interessen der Konsumenten nicht zuwider
-zu laufen. Ist ihre Preisdiktatur aber rücksichtslos, so kann die damit
-verbundene Schädigung der Konsumenten oder Weiterverarbeiter so groß
-sein, daß sie der gesamten volkswirtschaftlichen Ökonomie des Landes
-abträglich wird. In der Praxis haben die amerikanischen Trustherren,
-die „reichen Räuber“, begünstigt durch eine auf ihre industriellen
-Interessen zugeschnittene Hochschutzzollpolitik, tatsächlich die
-Kapitalbildung des Landes in eine industrieplutokratische Richtung
-gezwungen, wie sie sich in keinem anderen Lande auch nur annähernd
-so scharf ausgeprägt hat. Den amerikanischen Flächentrusts sind aber
-die ökonomischen Vorteile, wenn auch nicht gänzlich fremd, so doch
-verhältnismäßig wenig vertraut, die sich aus der <em class="gesperrt">Vertiefung</em>
-des Produktionsprozesses durch Selbstbedarfsherstellung und
-Selbstabsatzdeckung ergeben können. Derartige <em class="gesperrt">Tiefentrusts</em>, wie
-sie besonders die deutsche Industrie herausgebildet hat, verfolgen
-an sich nicht die Tendenz der Marktbeherrschung. Sie wollen nicht
-so sehr an dem teuren Absatz einer Ware verdienen, als an der
-billigen Produktion. Sie wollen diese Ware so billig wie möglich
-<em class="gesperrt">herstellen</em>, um sie &mdash; trotz Erzielung ihres angemessenen
-Unternehmer-Nutzens &mdash; so wettbewerbsfähig, das heißt so wohlfeil wie
-möglich <em class="gesperrt">verkaufen</em> zu können. Sie erreichen dies dadurch, daß
-sie die Ware in einem möglichst lückenlosen Produktionsprozeß in allen
-Stadien der Rohstoffbeschaffung, Weiterverarbeitung und Endproduktion
-selbst erzeugen und sie so &mdash; unbelastet mit den Produktionsnutzen der
-Vor-Unternehmer (Roh- und Halbstofflieferanten) &mdash; lediglich unter
-Einkalkulierung ihres Schlußgewinnes in den Verkehr bringen können. Die
-volkswirtschaftlichen Vorteile dieses Systems<span class="pagenum"><a name="Seite_198" id="Seite_198">[S. 198]</a></span> liegen auf der Hand.
-Sie sind produzenten-fördernd und zugleich konsumenten-dienlich und
-selbst wenn der Tiefentrust zugleich ein Monopol besitzt oder &mdash; wie
-dies in der deutschen Montanindustrie der Fall ist &mdash; sich mit anderen
-Unternehmungen ähnlicher Art durch Kartelle usw. zu einem Monopol
-zusammenschließt, sind die Gefahren der Monopolisierung nicht so groß
-wie bei dem Flächentrust, weil selbst ein hoher Preisaufschlag beim
-Verkauf durch die Ersparnis an den Produktionskosten kompensiert oder
-doch verringert wird. Ähnliche Ersparnisse kann der Flächentrust &mdash;
-wie dies ja in Amerika teilweise der Fall ist &mdash; nur durch äußerste
-Spezialisierung, also auf dem ganz entgegengesetzten Wege, machen,
-zum Beispiel dadurch, daß eine Fabrik oder eine Fabrikengruppe nicht
-Werkzeugmaschinen verschiedener Art, sondern nur eine ganz bestimmte
-Werkzeugmaschinentype, daß eine andere Gruppe nur Automobilreifen, eine
-dritte nur Fahrradreifen usw. herstellt. Eine solche Spezialisierung
-läßt sich aber nur in der Verfeinerungsindustrie, nicht in den unteren
-gewerblichen Stufen erreichen, sie entzieht dem Unternehmer auch den
-Überblick über die Gesamtheit seiner Industrie, hindert manchmal darum
-sein technisches Fortschreiten und setzt jedenfalls seinen, lediglich
-auf einen bestimmten Produktionsprozeß zugeschnittenen Betrieb der
-Gefahr aus, konkurrenz- und damit lebensunfähig zu werden, sobald von
-irgend einer anderen Seite ein besseres Verfahren gefunden wird oder
-die Konjunktur seinem Erzeugnisse ungünstig wird.</p>
-
-<p>Schon aus der Gegenüberstellung von Tiefen- und Flächentrust werden wir
-erkannt haben, daß die trustartigen Erscheinungen, die Emil Rathenau
-in Amerika vorgefunden haben mochte, als er sich anschickte, sein
-Beteiligungs- und Unternehmungssystem zu schaffen, von ihm keineswegs
-nur kopiert zu werden brauchten, um die ihm vorgeschriebenen Probleme
-lösen zu können. Was er dort sah und von dort übernehmen konnte,
-war eigentlich nur die Form der Effektenverschachtelung. Diese
-konnte ihm an sich naturgemäß nichts bedeuten, sondern er bediente
-sich ihrer nur, um die ganz eigenartigen und neuartigen Aufgaben
-durchzuführen, vor die ihn seine Arbeit &mdash; erst von Fall zu Fall,
-dann allmählich systematisch aus- und um sich greifend &mdash; stellte.
-Das von ihm geschaffene Trustsystem läßt sich weder als Flächen- noch
-als Tiefentrust bezeichnen, es hat Merkmale von beiden und daneben
-Eigenschaften, die jenen beiden Systemen<span class="pagenum"><a name="Seite_199" id="Seite_199">[S. 199]</a></span> ganz fremd sind. Es ist auch
-nicht ausschließlich auf die Bildung von industriellen Werten bedacht,
-wenngleich diese stets ausschlaggebend im Vordergrunde stehen. Es trägt
-auch manche Bestandteile des Effektengeschäfts in sich, die zuerst
-vielleicht unbewußt und unbeabsichtigt als Folgen der industriellen
-Bildungen in Erscheinung treten, dann aber, als sie in ihrem Wert
-und Nutzen erkannt sind, gern ausgebeutet und zur Gewinnung von
-Geldmitteln benutzt werden, die später als erwünschtes Subsidienkapital
-dem industriellen Prozeß wieder zugeführt werden. Als Selbstzweck,
-das heißt als Mittel lediglich zum Zwecke der Geldansammlung werden
-derartige Effektengeschäfte aber niemals betrachtet, und weil dies
-nicht der Fall ist, können sich Effekten-Gesichtspunkte niemals zu
-Herren der industriellen Gesichtspunkte machen. Die Effektengewinne
-fallen sozusagen als reife Früchte vom Baume der industriellen
-Entwickelung, und dürfen sich nie hervordrängen, wenn die industrielle
-Frucht noch nicht gereift ist.</p>
-
-<p>Das Rathenausche Trustsystem wurde ganz von innen heraus aufgebaut.
-Es waren Geschäfte da, die gemacht werden sollten, und zwar mit dem
-geringsten Aufwand von Mitteln, Abhängigkeiten und Reibungen. Beispiele
-sollten gegeben, Versuche unternommen werden. Alle diese Unternehmungen
-suchten sich die Formen, die ihnen paßten, Formen, die nicht durch
-ein Übermaß von Organisationsschwere, technischem Apparat den Inhalt
-bedrückten, die aber genug Organisationskraft und Tragfähigkeit
-besaßen, um nicht durch eine mangelhafte Durchführung die Sache zu
-gefährden. Elastisch in seiner Beweglichkeit, fest in seiner Konstanz,
-vielfältig in der Fülle und Verschiedenheit seiner Erscheinungen war
-das Trustsystem Emil Rathenaus; es fanden sich Formen in ihm vor, die
-nur <em class="gesperrt">einmal</em> angewendet wurden, es gab aber auch Typen, die in
-verwandten Fällen mit mehr oder weniger großen Abweichungen wiederholt
-wurden. Wenn es auch empirisch aufgebaut wurde, so mußte es doch
-in einem gewissen Stadium seiner Entwickelung das Feuer logischer
-Durchschmelzung und Gliederung, die Kontrolle der Idee durchschreiten.
-Dieses Stadium war in dem Zeitraum von 1895&ndash;1900 gekommen, dessen
-äußeren Entwickelungsgang wir oben geschildert haben. Deshalb dürfte
-sich an dieser Stelle zweckmäßig der Versuch anschließen, das
-Trustsystem Emil Rathenaus als ein Gebilde sui generis in seinen
-Grundrissen und Grundzwecken zu untersuchen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_200" id="Seite_200">[S. 200]</a></span></p>
-
-<p>Die erste große Gruppe der Tochterunternehmungen der A. E. G.
-verfolgte Zwecke der Demonstration. Werke dieser Art waren die
-Berliner Elektrizitätswerke, die Stadtbahn in Halle, zu einem Teil
-auch die Kraftübertragungswerke Rheinfelden und die Elektrochemischen
-Werke in Bitterfeld. Durch sie sollten wichtige Anwendungsgebiete
-der Elektrizitätsindustrie in der Methode geklärt und der Praxis
-erschlossen werden. Ein Schulbeispiel wurde aufgestellt, an dem der
-Produzent, wie der Konsument lernen sollte. Die A. E. G. lernte die
-Methodik der praktischen Ausführung eines theoretisch bereits gelösten
-Problems, der Konsum wurde durch die Vorteile, die ihm vor Augen
-geführt wurden, zur Nachahmung und Benutzung angefeuert. War eine Idee
-für die Ausführung im Großen, für die dauernde praktische Nutzanwendung
-noch nicht reif, waren vor allem noch Zweifel vorhanden, ob sich diese
-Idee in der Praxis ebenso bewähren würde wie in der Theorie, oder
-war das technische Rüstzeug für die Ausführung eines Problems noch
-nicht durchgebildet genug, so wurden der Kostenersparnis halber nur
-Studiengesellschaften mit kleinem Kapital gegründet, sofern die bloße
-Laboratoriumsarbeit in den eigenen Fabriken nicht die Sicherheit der
-praktischen Bewährung zu bieten vermochte. Dies war zum Beispiel bei
-der ersten Einführung des Edisonlichtes selbst, beim Akkumulatorenbau,
-bei den elektrischen Vollbahnen, beim Untergrundbahnenbau, bei
-der drahtlosen Telegraphie usw. der Fall. Waren anderswo bereits
-reifere Stadien der Erfahrung erreicht, so suchte Rathenau &mdash; um
-sich zeitraubende Umwege zu ersparen und nicht hinter der Konkurrenz
-zurückzubleiben &mdash; sich ihre Benutzung zu sichern, entweder indem er
-die Unternehmungen, die im Besitze brauchbarer Erfahrungen waren,
-erwarb, oder indem er seine Verfahren ihnen überwies, und sich an dem
-so geschaffenen Gemeinschaftsbetriebe beteiligte. Auf solche Weise kam
-zum Beispiel die Beteiligung an der Akkumulatorenfabrik Berlin-Hagen
-zustande, die gemeinsam mit Siemens &amp; Halske erfolgte, indem die
-A. E. G. in diese Gesellschaft ihre eigenen Akkumulatorenpatente
-einbrachte und mit den von den Vorbesitzern des Hagener Werkes
-benutzten Tudor-Patenten vereinigte. In solchen Fällen handelte es
-sich meist um Produktionsprozesse, die die Gesellschaft für sich nicht
-als hauptsächlich betrachtete und vornehmlich deswegen pflegte, um
-Ergänzungen ihrer Hauptproduktionen herbeizuführen. Betriebszweige
-ersten Ranges entwickelte sie meist selbständig, und<span class="pagenum"><a name="Seite_201" id="Seite_201">[S. 201]</a></span> die oben
-erwähnten Demonstrationsunternehmungen hatten den Zweck, sie populär
-zu machen, wenn der Konsum sich ihnen nur zögernd zuzuwenden schien.
-Das geschah hauptsächlich bei den Werken, die als Groß-Produzenten
-oder Groß-Verwender elektrischen Stroms in Betracht kamen. Ihre
-Produktions- und Absatzverhältnisse mußten erst sinnfällig geklärt,
-ihre Rentabilitäts- und Wettbewerbsbedingungen praktisch erprobt
-werden, ehe fremde Unternehmer sich ihnen zuwendeten. Der Einfluß der
-Berliner Elektrizitätswerke auf den Zentralenbau war, wie wir schon
-gesehen haben, außerordentlich stark, nachdem erst das Unternehmen
-den Kinderschuhen entwachsen war. Sehr schnell wirkte das Beispiel
-der Stadtbahn in Halle, zu dessen Besichtigung sofort Interessenten
-aus ganz Deutschland und Europa zusammenströmten. Frühere Erfahrungen
-aus amerikanischen Städten hatten hier den Bauproblemen wie der
-Aufnahmefähigkeit des Publikums vorgearbeitet. Ziemlich langsam, aber
-dann umso intensiver wirkte das Beispiel der Kraftübertragung.</p>
-
-<p>Das Demonstrations-Motiv blieb aber nicht lange das einzige oder
-hauptsächlich ausschlaggebende beim Unternehmergeschäft. Auch nachdem
-das gelungene Beispiel aufgestellt war, kamen die Interessenten nun
-nicht in genügender Zahl sofort herbei, um es für ihre Rechnung
-nachahmen zu lassen, und außerdem kamen die, welche es nachahmen
-lassen wollten, nicht alle mit ihren Aufträgen zu der A. E. G. Auch
-die Konkurrenz tat sich um und machte sich die werbende Kraft der
-gelungenen Probestücke zunutze. Bei Interessenten, die noch nicht
-ganz von der industriellen Lebensfähigkeit der Anlagen überzeugt
-oder auch nicht allein in der Lage waren, ihre Kosten und Risiken zu
-tragen, mußte nachgeholfen werden, indem sich die A. E. G. an der
-Kapitalaufbringung oder sogar an der Betriebsführung beteiligte. Bei
-Objekten, die von der Konkurrenz umworben wurden, mußten gleichfalls
-finanzielle und betriebliche Beihilfen zugesagt werden. Neben das
-Motiv der Anregung traten bald das Motiv der Nachhülfe sowie das
-Motiv des Wettbewerbs. Hier erscheint die Unternehmer-Beteiligung
-aber immerhin noch als ein Mittel zum Zweck der Alimentierung des
-<em class="gesperrt">Fabrikationsgeschäfts</em> mit Aufträgen, immer wieder von der
-Tendenz begleitet, für die allgemeine Ausdehnung der angewandten
-Elektrizität Propaganda zu machen. Die guten Erfahrungen, die
-mit diesen Beteiligungsgeschäften gemacht wurden (und zwar nicht
-nur<span class="pagenum"><a name="Seite_202" id="Seite_202">[S. 202]</a></span> in ihrer Rückwirkung auf die Fabrikation, sondern in rein
-effekten-technischer Hinsicht) ließen aber neben die sekundären
-Motive der Effektenbeteiligungen ebenso stark schließlich ihren
-<em class="gesperrt">Selbstzweck</em> treten. Der Effektenbesitz rentierte sich so
-gut, daß das Bestreben der A. E. G. ganz von selbst darauf hinging,
-ihn in geeigneter Weise zu mehren. Die Unternehmungen, an denen sie
-beteiligt war, wurden nicht nur durch ihre Bauaufträge, sondern
-die in ihrem Betriebe fortlaufend hervortretenden Betriebs- und
-Erweiterungsbedürfnisse zu einer ständigen Abnehmerschicht für die
-A. E. G., ihre alljährlichen Dividendenerträgnisse führten der
-Gesellschaft auch regelmäßig namhafte Summen zu. Daneben gab der
-Effektenbesitz auch Gelegenheit zu vorteilhaften Transaktionen mit
-der Wertpapier<em class="gesperrt">substanz</em>. Günstige Bezugsrechte auf neue Aktien
-konnten ausgeübt, billig erworbene Effekten nach Eintritt oder nach
-Besserung der Rentabilität abgestoßen werden. Häufig wurden beide
-Transaktionen vereinigt und aus dem alten Besitz Aktien mit Buchgewinn
-abgestoßen, während das Beteiligungsinteresse durch Übernahme
-billigerer junger Aktien wieder aufgefüllt wurde. Je mehr sich der
-betriebstechnische, verwaltungstechnische und finanzielle Umkreis
-derartiger Geschäfte mehrte, desto nötiger wurde seine Gruppierung
-und Organisierung in besonderen zusammenfassenden Verwaltungs- und
-Aktionsunternehmungen, die die Hauptgesellschaft von einem verwirrenden
-Zuviel an Belastung und Arbeit befreiten, wie es bei einem im
-Grunde die Fabrikation pflegenden Unternehmen den eigentlichen Kern
-nicht überwuchern durfte. Es wurden Neben-Zentralen, sogenannte
-Mantel-Gesellschaften gegründet, die nicht Unternehmungen besonderer
-Art <em class="gesperrt">schaffen</em>, sondern diese verwalten, überwachen und ihre
-Bedürfnisse befriedigen sollten. Sie nahmen dem Konzern-Mittelpunkt
-Funktionen ab, sie fügten ihm aber auch andererseits Kräfte und
-Hilfsquellen zu, über die er ohne sie wahrscheinlich nicht hätte
-verfügen können. Bei derartigen Mantelgesellschaften sind solche,
-die als bankähnliche Institute die finanziellen Aufgaben der
-Unternehmungen zu übernehmen hatten, zu unterscheiden von anderen,
-die eine technische und betriebliche Überwachung durchführen sollten.
-Zu den letzteren Unternehmungen gehörten die <em class="gesperrt">Allgemeine Lokal-
-und Straßenbahn-Akt.-Ges.</em> für den Geschäftszweig „Elektrische
-Bahnen“ und die <em class="gesperrt">Elektrizitätslieferungsgesellschaft</em> für<span class="pagenum"><a name="Seite_203" id="Seite_203">[S. 203]</a></span>
-die Abteilung „Elektrizitätswerke“. Die Allgemeine Lokal- und
-Straßenbahn-Gesellschaft war ein bereits vorher bestehendes
-Unternehmen, dessen Aktien die A. E. G. im Jahre 1890 aus dem damals
-entlastungsbedürftigen Portefeuille der Nationalbank für Deutschland
-erworben hatte. Der Geschäftsbericht der A. E. G. verzeichnet über
-den Erwerb nur eine kurze Begründung: „Wir haben uns damit bei
-einem in solider Entwickelung befindlichen Unternehmen beteiligt
-und eine bleibende Unterlage für ein aussichtsvolles Vorgehen auf
-Einführung des elektrischen Betriebes gewonnen.“ Der zunächst in den
-Vordergrund tretende Zweck der Angliederung war nicht die Schaffung
-eines „Mantels“ für neu zu errichtende oder zu erwerbende elektrische
-Bahnen, sondern die Gewinnung eines Stammes eigener Pferdebahnen,
-die als Objekte für die Überführung in den elektrischen Betrieb
-benutzt werden konnten. Das Versuchs- und Demonstrationsmotiv
-spielt also hier noch stark hinein, und das Unternehmerbaumotiv
-steht zunächst im Mittelpunkt der Erwerbung. Später verschiebt
-sich die Aufgabe der Allgem. Lokal- und Straßenbahn immer stärker
-nach der Richtung einer Holding- und Verwaltungsorganisation für
-alte und neuzuerwerbende Straßenbahninteressen. Sie wird eine
-echte Mantelgesellschaft großen Stils. Daneben werden im Laufe der
-Jahre noch kleinere Konzernunternehmungen für den Bahnenbetrieb,
-so z. B. die Schlesische Kleinbahn-Akt.-Ges. erworben. &mdash; Die
-<em class="gesperrt">Elektrizitätslieferungsgesellschaft</em>, die von vornherein als
-Betriebs- und Verwaltungsgesellschaft errichtet ist, wurde im Jahre
-1897 ins Leben gerufen. Im Geschäftsbericht desselben Jahres wird ihr
-Zweck folgendermaßen geschildert: „Nach dem Muster der Allgem. Lokal-
-und Straßenbahn-Gesellschaft haben wir eine Stromlieferungsgesellschaft
-unter der Firma „Elektrizitätslieferungsgesellschaft“ gegründet. Wie
-jene eine Anzahl von elektrischen Bahnen in sich vereinigt und nach
-einheitlichem Prinzip und mit wirtschaftlichem Erfolge verwaltet,
-wird diese den Betrieb auch von Elektrizitätswerken übernehmen, die
-den kostspieligen Apparat einer selbständigen Organisation nicht zu
-tragen vermögen oder einer längeren Entwickelungszeit bedürfen, bevor
-sie eine angemessene Rente gewähren. Wir haben das gesamte 5 Mill. M.
-betragende Aktienkapital unserem Effektenbestande zu dauerndem Besitz
-einverleibt und einen maßgebenden Einfluß auf die Geschäftsführung
-der Gesellschaft uns gesichert.“ Weiterhin<span class="pagenum"><a name="Seite_204" id="Seite_204">[S. 204]</a></span> wird dann bemerkt, daß
-die Preise und Bedingungen für den Bau von Zentralen mit Rücksicht
-auf die engen Beziehungen der Elektrizitätslieferungsgesellschaft
-zur A. E. G. in billiger Weise durch Verträge festgelegt sind. Ein
-Teil der Aktien der Elektrizitätslieferungsgesellschaft wurde später
-übrigens den Berliner Elektrizitätswerken übereignet, als bei diesen
-die Wahrscheinlichkeit eintrat, daß die Verträge mit der Stadt Berlin,
-die ihren Hauptinhalt bildeten, nicht erneuert werden würden. Die B.
-E. W. haben sich schon in den letzten Jahren vor dem Vertragsablauf,
-und später noch entschiedener, zu einer Mantelgesellschaft für
-Stromerzeugungswerke ausgebildet, da der bei ihnen nach der Übernahme
-der Werke durch die Stadt Berlin eintretende Rückfluß freigewordener
-Anlagekapitalien mit dem gerade um diese Zeit akut werdenden
-Geldbedürfnis anderer in der Entwickelung befindlicher Unternehmungen
-des Konzerns zusammentraf. Ihren Hauptbesitz bildeten einige Zeit
-die „Elektrowerke“ in Bitterfeld, die auf Braunkohlengrundlage die
-Stromerzeugung in großem Maßstabe mit der Tendenz der Fernübertragung
-aufnahmen. Als die Entwickelung der Elektrowerke nicht die gewünschten
-schnellen Fortschritte machte, wurde diese Beteiligung indes von den
-B. E. W. der A. E. G. selbst übertragen und später das ganze Werk von
-den Reichsstickstoffwerken übernommen. Durch den früher erfolgten
-Erwerb von Aktien der Elektrizitätslieferungsgesellschaft seitens
-der B. E. W. wurde eine doppelte Verschachtelung herbeigeführt, die
-nicht das einzige Beispiel für die indirekten Beteiligungs-Methoden
-des Systems Rathenau ist. Die Mantelgesellschaft erwarb &mdash; und
-zwar lediglich aus finanztechnischen Gründen &mdash; die Aktien einer
-anderen Mantelgesellschaft, der Weg von dem äußersten Mantel
-bis zu den direkten Produktionsgesellschaften führte hier über
-zwei Stufen. Ähnliche Mehrstufigkeiten traten z. B. dadurch in
-Erscheinung, daß die Elektrizitätslieferungsgesellschaft territoriale
-Unter-Elektrizitätslieferungsgesellschaften in Bayern, Sachsen,
-Thüringen und so weiter gründete, in denen die bayerischen, sächsischen
-und thüringischen Stromwerke zusammengefaßt waren. Den größten Teil der
-Aktien dieser territorialen Elektrizitätslieferungsgesellschaften nahm
-die Berliner Elektrizitätslieferungsgesellschaft in ihr Portefeuille.
-Stellt man folgende Stammtafel auf:</p>
-
-<div class="stammtafel">
-
-<p class="p0">Aktien des <em class="gesperrt">Elektrizitätswerkes Plauen</em> besitzt die
-<em class="gesperrt">Sächsische Elektrizitätslieferungs-<span class="pagenum"><a name="Seite_205" id="Seite_205">[S. 205]</a></span>Ges.</em>, Aktien der Sächs.
-E. L. G. besitzt die <em class="gesperrt">Elektrizitätslieferungsgesellschaft
-Berlin</em>, Aktien der E. L. G. Berlin besitzen die B. E. W. &mdash;
-Aktien der B. E. W. besitzt die A. E. G.,</p>
-
-</div>
-
-<p class="p0">so erhält man das System der Verschachtelung bis zum vierten Gliede
-fortgeführt. &mdash; Übrigens wird bei den sogenannten Mantelgesellschaften
-das Prinzip, Aktien von Werken einer bestimmten Gattung nur jeweilig
-der dafür geschaffenen Trust-Gesellschaft zu übergeben, nicht
-immer ganz konsequent durchgeführt. So besitzt zum Beispiel die
-Elektrizitätslieferungsgesellschaft Anteile der Brenner Werke G. m.
-b. H. und der Elektromotor G. m. b. H. Hier handelt es sich aber
-immerhin um Gesellschaften, die als Hilfswerke für Stromunternehmungen
-bezw. als Erzeugungsstätten für Produkte, die bei der Stromverwendung
-gebraucht werden, in Betracht kommen. Eine solche Verwandtschaft
-ist aber &mdash; wenigstens äußerlich &mdash; nicht vorhanden, wenn zum
-Beispiel die Elektrizitätslieferungsgesellschaft Aktien der Lahrer
-Straßenbahn-Akt.-Ges. erwirbt. Erklären wird sich diese Anomalie
-wahrscheinlich dadurch, daß irgend ein Werk der E. L. G. den Strom
-für die Lahrer Straßenbahnen liefert und sich diese Beziehung durch
-Aktienbesitz zu festigen wünscht. In manchen Fällen werden auch
-finanzielle Gründe für derartige Systemlosigkeiten maßgebend sein,
-manchmal vielleicht auch nur Zufälligkeiten. An Prinzipienreiterei hat
-das System Rathenau nie gekrankt, und es hat sich manche sozusagen
-künstlerische Regellosigkeit leisten können, weil es in den großen
-Grundgedanken so ganz logisch aufgebaut war.</p>
-
-<p>Neben den industrie- und verwaltungstechnischen Mantelgesellschaften
-stehen die vielleicht noch wichtigeren <em class="gesperrt">finanztechnischen</em>.
-Die bedeutendste und erste von ihnen ist die „Bank für elektrische
-Unternehmungen in Zürich“. Dieses Unternehmen ist im Jahre 1896
-mit einem zunächst zu 50% eingezahlten Aktienkapital von 30 Mill.
-Frcs. und einem autorisierten, aber erst allmählich ausgegebenen
-Obligationenkapital in derselben Höhe begründet worden. Es wurde im
-Laufe der Zeit auf 75 Mill. Frcs. Aktien und mehr als 75 Mill. Frcs.
-Obligationen erhöht. Als Zweck der Gesellschaft wurde im Statut
-angegeben: „Übernahme und Durchführung von Finanzgeschäften, insoweit
-dieselben Bezug haben auf die Vorbereitung, den Bau, den Erwerb, den
-Betrieb, die Umwandlung oder die Veräußerung<span class="pagenum"><a name="Seite_206" id="Seite_206">[S. 206]</a></span> von Unternehmungen im
-Gebiet der angewandten Elektrotechnik, insbesondere der Beleuchtung,
-Kraftübertragung, des Transportwesens und der Elektrochemie.“ &mdash;
-Der erste Inhalt, der dieser großen, von vornherein mit bewußter
-Absicht ihrer weitausgreifenden Ziele und Grenzen geschaffenen Form
-gegeben wurde, bestand &mdash; wie wir schon gesehen haben &mdash; in den
-wichtigen italienischen Elektrounternehmungen (in Genua), denen
-sich die A. E. G. in der damaligen Zeit eben zugewandt hatte. Neben
-der Erkenntnis, daß das Beteiligungsgeschäft des Konzerns ganz
-allgemein bis zu einem Umfang und einer Verzweigung gediehen sei,
-die die Schaffung einer besonderen Finanzgesellschaft erforderlich
-machten, war schon damals für die Wahl eines in der neutralen Schweiz
-liegenden Gesellschaftssitzes der Gedanke maßgebend, daß es zweckmäßig
-sei, große Auslandsbeteiligungen nicht in Deutschland, sondern im
-neutralen Ausland zu verankern; ein Gedanke, der sich gerade in den
-im Weltkriege eingetretenen chauvinistischen Irrungen und Wirrungen
-als psychologisch durchaus richtig erwiesen hat, wenn er auch die
-deutschen Interessen im feindlichen Auslande &mdash; neben dem italienischen
-Besitz verwaltete die Bank für elektrische Unternehmungen (kurz
-Elektrobank genannt) insbesondere auch den großen Besitz an Aktien der
-St. Petersburger Gesellschaft für elektrische Beleuchtung vom Jahre
-1886 &mdash; nicht so wirksam zu schützen vermochte, wie dies erwünscht
-gewesen wäre. Außer dieser Dislozierung deutscher Auslandsinteressen
-verfolgte die Errichtung der Finanzgesellschaft der A. E. G. in der
-Schweiz noch verschiedene andere Zwecke. Zunächst einmal bot die
-freiere Aktiengesetzgebung der Schweiz einen größeren Spielraum für
-Aktien-Transaktionen, wie sie den Haupttätigkeitskreis der neuen
-Gesellschaft bildeten. Ferner wurde damit die Einbeziehung der Schweiz
-in den Aktions-Radius der A. E. G. in zweifacher Richtung angestrebt.
-Einmal sollte die Produktions- und Absatzsphäre der Gesellschaft auf
-das elektrischen Unternehmungen von jeher besonders günstige Gebiet
-der Schweiz ausgedehnt werden, das mit seinen reichen Wasserkräften
-für die Erzeugung billiger Elektrizität und besonders für die damals
-aufkommende Kraftübertragung einen besonders guten Entwickelungsboden
-abgab, das in der Fernübertragung, im Vollbahnenwesen späterhin
-bahnbrechende Leistungen sah. Zweitens sollte der Kapitalmarkt der
-Schweiz und vielleicht auch indirekt derjenige anderer ausländischer
-Staaten, die<span class="pagenum"><a name="Seite_207" id="Seite_207">[S. 207]</a></span> vielleicht einer direkten Bearbeitung durch deutsche
-industrielle und finanzielle Kräfte nicht so leicht zugänglich gewesen
-wären, dem Emissionskredit der A. E. G. erschlossen werden. Alle
-diese Zwecke sind in mehr oder weniger starkem Grade auch erreicht
-worden. Die Elektrobank wurde, so eng sie stets auch an die A. E. G.
-angeschlossen blieb, ein Unternehmen, das sehr stark in der Schweiz
-verwurzelte, in dem Schweizer Einfluß sich zur Geltung zu bringen
-verstand, und durch das Schweizer Kapitalien dem A. E. G.-Konzern und
-umgekehrt deutsche Kapitalien der Schweiz zuflossen. Als die russische
-Regierung während des Weltkrieges die schon erwähnten Petersburger
-Elektrizitätswerke als „deutsche Unternehmungen“ mit Zwangsmaßnahmen
-aller Art bedrohte, konnte von der schweizerischen Regierung mit Recht
-darauf hingewiesen werden, daß die Bank für elektrische Unternehmungen,
-die Hauptbesitzerin der Aktien der Gesellschaft für elektrische
-Beleuchtung, durchaus kein überwiegend deutsches Unternehmen sei
-und daß von den 75 Millionen Francs Aktien der Gesellschaft sich
-nur 14512000 Francs im Besitze der A. E. G. befänden. Wenngleich
-der gesamte Besitz des A. E. G.-Konzerns einschließlich dem ihrer
-Bankengruppe und ihrer Tochtergesellschaften größer ist und sich auch
-im deutschen Publikum namhafte Beträge von Elektrobank-Aktien befinden
-mögen, so ist doch auch der Schweizer Eigenbesitz an Aktien und
-namentlich an Obligationen der Elektrobank sehr erheblich.</p>
-
-<p>Der Zweck dieser Elektrobank ist in ihrem Statut bereits in gedrungener
-Kürze, aber eigentlich mit allen wichtigen Merkmalen umgrenzt worden.
-In späteren Geschäftsberichten wurden die Finanzmethoden, die die
-Gesellschaft zur Anwendung brachte, eingehender unterschieden. Sie
-benutzte folgende juristische Formen der Beteiligung:</p>
-
-<ol class="beteiligungen">
-
-<li>Dauernde Aktienbeteiligungen,</li>
-
-<li>Stille Beteiligungen (als „Partecipacioni“ besonders in Italien
-üblich),</li>
-
-<li>Vorschüsse im Kontokorrent,</li>
-
-<li>Vorschüsse gegen Hinterlegung von Aktien und Obligationen,</li>
-
-<li>Syndikatsbeteiligungen und vorübergehende Anlagen.</li>
-
-</ol>
-
-<p>Diese Formen sind so gewählt, daß sie allen Bedürfnissen der
-Unternehmer- und Industrietätigkeit gerecht werden können. Um<span class="pagenum"><a name="Seite_208" id="Seite_208">[S. 208]</a></span> dies
-zu verstehen, müssen wir diesen Bedürfnissen etwas näher nachzugehen
-versuchen. Die Methoden der Finanzierung neuer Unternehmungen, die
-Rathenau vorfand, waren ziemlich primitiv. Wenn man Bauprojekte
-nicht von irgend einem geldkräftigen Unternehmer, einer Kommune,
-einer fremden Aktiengesellschaft usw. im festen risikolosen Auftrag
-erhielt (was aber namentlich in den ersten Zeiten der angewandten
-Elektrotechnik nur selten der Fall war), mußte man die Geldmittel
-für zunächst in eigener Regie auszuführende Werke entweder selbst
-bereitstellen, von Banken borgen oder am Kapitalmarkt beschaffen.
-Alle derartige Methoden waren aber sozusagen nur von kurzem Atem.
-Sie schafften zinsloses Geld nur für verhältnismäßig kurze Zeit, und
-hinter dem Industriellen stand der Kapitalist, stets nach schneller
-Rente, kurzfristiger Rückgewährung des Kapitals und eventuell noch nach
-möglichst hohen Zwischengewinnen drängend. Baldigen und hohen Nutzen
-erwartete er von einer neuen Industrie, der er noch nicht so recht
-traute und deren Risikoprämie er also verhältnismäßig hoch bemaß und
-kurz begrenzte. Die Solidität der Bauarbeiten mußte darunter leiden,
-und den Unternehmungen war nicht genügend Zeit und Raum zum Ausreifen
-gegönnt. Wir haben gesehen, daß durch solche Verhältnisse selbst ein
-so aussichtsreiches und gutfundiertes Unternehmen wie die Berliner
-Elektrizitätswerke an den Rand der Krise geführt wurde, daß nicht
-nur die Aktionäre, sondern auch die Banken bei dieser Gesellschaft
-vorzeitig das Vertrauen verloren. Schon damals wurde es Rathenau,
-der von der Notwendigkeit der eigenen Unternehmertätigkeit stets
-fest durchdrungen war, vollkommen klar, daß er mit den bisherigen
-Finanzierungsmethoden diese Unternehmertätigkeit und damit die
-Entwickelung der Elektrizitätsindustrie nicht in dem gewünschten Tempo
-vorwärts bringen könnte. Zwar wuchs mit den Erfolgen der ersten Werke
-&mdash; mit den technischen wie finanziellen &mdash; auch der Emissionskredit
-und die Emissionsgeduld beim Kapitalistenpublikum und bei den Banken.
-Immerhin war die Hebelkraft, die man auf diese Weise gewinnen
-konnte, noch zu gering, und von zu vielen Zufälligkeiten abhängig.
-Man konnte dem Publikum vielleicht zu gleicher Zeit zwei oder drei
-Papiere werdender, aber noch nicht werbender Unternehmungen derselben
-Art anbieten, überall hätte man subsidiär wohl noch den Kredit der
-A. E. G. einsetzen müssen. Außerdem war man von den Banken, als
-Emissionsvermittlern, Garanten<span class="pagenum"><a name="Seite_209" id="Seite_209">[S. 209]</a></span> und Vorschußgebern abhängig, und was
-das zu bedeuten hatte, wußte Rathenau aus der Praxis ziemlich genau.
-Eine derartige Abhängigkeit war ihm unsympathisch und sie paßte auch
-nicht in seine planmäßig festen Baukalkulationen. Schließlich mußte
-man sich auch nach Industrie- und Börsenkonjunkturen richten. Man lief
-somit Gefahr, daß in einem Augenblicke, in dem irgend ein Bauprogramm
-dringend fortgeführt werden mußte, die Erweiterung einer Anlage sich
-als zweckmäßig und gar notwendig erwies, kein Geld aufzutreiben war,
-weil die Verhältnisse auf dem Emissionsmarkte gerade ungünstig lagen.
-Hier nun sollte das Finanzierungssystem sichernd, ergänzend, helfend,
-vermittelnd und vorsorgend eingreifen. Es war nicht lediglich eine
-Vermittelungsorganisation, die den geldbedürftigen Unternehmungen am
-Anlagemarkte mit ihrem eigenen gefestigteren Kredit Kapital besorgte,
-es war selbst ein Kapitalmarkt im Kleinen, ein Sammel- und Staubecken,
-das in günstigen Zeiten der Geldkonjunktur sich mit Kapital vollsog
-&mdash; gleichgültig ob es zunächst eine bestimmte Verwendung dafür
-hatte &mdash;, um es zu geeigneten Zeiten an die Bauunternehmungen des
-Konzerns weiterzugeben. Ähnlich wie der unregelmäßige Wasserzufluß
-eines Gebirgsbaches zu Zeiten des Wasserreichtums in einer Talsperre
-aufgesammelt wird, um die konstanten Ansprüche eines Kraftwerkes
-auch in Perioden der Wasserarmut befriedigen zu können, war auch das
-Stauwerk des Finanzsystems organisiert. „In den nächsten Jahren wird
-eine Reihe von neuen Aufgaben an uns herantreten, zu deren Lösung wir
-uns jetzt schon rüsten müssen.“ Mit solchen oder ähnlichen Worten
-sind von der A. E. G. selbst und ihren Finanzgesellschaften häufig
-genug Kapitalserhöhungen begründet worden, für die im Augenblick
-ihrer Durchführung bestimmte Anlässe noch nicht vorlagen oder doch
-noch nicht klar hervorgetreten waren. Emil Rathenau hielt darauf, daß
-in seinen Kassen nie der Boden sichtbar wurde und sorgte dafür, daß
-stets mehr Geld darin war, als er für alle im Augenblick übersehbaren
-Ausgaben brauchte. Es mußten stets beträchtliche Kapitalreserven für
-unvorhergesehene Mehrausgaben oder für neue, plötzlich hervortretende
-Projekte verfügbar gehalten werden. Nur dadurch konnte er stets die
-<em class="gesperrt">besten</em> Geschäfte machen, daß er allen anderen Mitbewerbern in
-geldlicher Bereitschaft und geldlicher Leistungsfähigkeit überlegen
-war. Er war stets Gläubiger, nie Schuldner der Banken, und blieb durch
-die beträchtlichen Bankguthaben, die er so unterhielt,<span class="pagenum"><a name="Seite_210" id="Seite_210">[S. 210]</a></span> nicht nur
-von den großen Geldinstituten unabhängig, sondern er schuf sich eine
-solche Position, daß sie um ihn werben mußten und sich zur Teilnahme
-an seinen Finanzierungen, an seinen Konsortial- und Kreditgeschäften
-drängten. Denn das ist gerade das Geniale an seinem System der
-Finanzgesellschaften: Sie waren wohl stets in der Lage und gerüstet,
-ihm das Höchstmaß der etwa verlangten finanziellen Kraftanspannung zu
-leisten, er nutzte diese theoretische Höchstbelastung aber praktisch
-nie aus, sondern verteilte die Ansprüche auf einen möglichst weiten
-Kreis ihm zur Verfügung stehender Geldquellen. Nachdem er die feineren
-und zuverlässigen Methoden der Finanzierung ausgebildet hatte,
-verzichtete er durchaus nicht auf die älteren und primitiven. Neben
-dem neuen Trustsystem wendete er das alte Konsortialsystem weiter an,
-und die Banken, die ihm zuerst nur vorsichtig Kredit gegeben hatten,
-beteiligten sich später gern an seinen neuen, wenn auch zunächst noch
-nicht rententragenden Unternehmungen, weil sie bald aus Erfahrung
-wußten, daß die mageren Jahre bei ihnen durch darauffolgende fette
-mehr als reichlich ausgeglichen würden. So legten sie gewissermaßen
-die Bankguthaben, die Rathenau bei ihnen unterhielt, wieder in seinen
-industriellen Unternehmungen an und zogen aus der Zinsdifferenz
-zwischen beiden Konsortialgewinne. Rathenau selbst hinwiederum
-brauchte nicht die ganzen ihm zur Verfügung stehenden Kapitalien in
-industriellem Risiko festzulegen, sondern war in der Lage, einen
-Teil davon, wenngleich auch dieser letzten Endes indirekt seinem
-Unternehmergeschäft wieder zugute kam, als Bankgeld flüssig zu halten.</p>
-
-<p>Die reichlichen Mittel, die ihm jederzeit für Unternehmungen zur
-Verfügung standen, wurden nun in der verschiedensten Form den jungen
-Bauwerken zur Verfügung gestellt, teils als einfache Vorschüsse mit
-längerer oder kürzerer Rückzahlungsfrist, teils als fundierte Darlehen
-(Obligationen oder Hypotheken), teils als aktives Beteiligungskapital,
-je nachdem die Bedürfnisse der jungen Werke dies erforderten und
-ihre Baureife es zuließ. Mit fortschreitender Entwickelung wurde
-vielfach die formlosere Art der Kapitalhergabe in die gebundenere
-umgewandelt. Während der Anlaufszeit, die junge Unternehmungen bis zu
-dem Zeitpunkt erforderten, in dem sie sich „freigebaut“ hatten und
-zinstragend geworden waren, betätigten sich die Finanzgesellschaften,
-das Beteiligungskonto der Hauptgesellschaft und die Bankenkonsortien
-als kapitalische „Vorwärmer“ für sie, indem<span class="pagenum"><a name="Seite_211" id="Seite_211">[S. 211]</a></span> sie ihren Geldbedarf
-sicherstellten, das Risiko und entsprechend auch die kapitalistische
-Gewinnchance übernahmen. Der Emissionskredit der alten bewährten
-Unternehmungen trat gewissermaßen solange für die Finanzbedürfnisse
-der jungen werdenden Betriebe ein, bis deren eigener Emissionskredit
-gereift war und selbständig auf dem Kapitalmarkt tätig sein konnte.
-Sobald dieses Stadium erreicht war, erledigten die flügge gewordenen
-Gesellschaften nicht nur ihre zukünftige Geldbeschaffung selbständig
-(wobei die Finanzgruppen des Konzerns häufig Teilbeträge der neuen
-Emissionen noch weiter übernahmen, aber nicht um den geldsuchenden
-Tochtergesellschaften die Geldbeschaffung zu erleichtern, sondern
-um selbst an den durch sie gebotenen günstigen Anlagemöglichkeiten
-teilzunehmen); sondern die Vorwärmer-Gesellschaften konnten dazu
-schreiten, die früher von ihnen übernommenen Kapitalbeteiligungen
-unter Ausnutzung der inzwischen eingetretenen Wertsteigerungen
-soweit abzustoßen, als es ihnen zweckmäßig erschien. Derartige
-„Realisierungen“ rententragend gewordener Beteiligungen sorgten
-dafür, daß die Finanz- und Konsortialkonten aus dem Wechsel ihrer
-Bestände selbst einen Teil der Mittel gewinnen konnten, die sie für
-neue Aufgaben brauchten. Der Effektenbesitz alimentierte und ergänzte
-sich aus sich selbst. Da der Umfang dieser Aufgaben aber ständig
-anwuchs, reichten die Realisations- und Abbaufonds meist nicht aus,
-um die Anlage- und Aufbaufonds vollständig zu speisen. Es wurden
-Kapitalserhöhungen der Finanzstammunternehmungen, Verstärkungen der
-zentralen Geldquellen selbst, von Zeit zu Zeit nötig. Gelegentlich
-fügte es sich auch so, daß neugegründete Unternehmungen die ihnen
-mitgegebenen Kapitalien nicht sofort vollständig verwenden konnten.
-Sie stellten sie dann zeitweilig den Finanzgesellschaften zur
-Verfügung, die sie ihrerseits teils wieder zur Deckung akuter
-Geldbedürfnisse anderer Betriebswerke verwandten, um sie ihren
-Eigentümern im gegebenen Augenblicke zurückzustellen. Neben die
-Disposition über dauernde Anlagekapitalien trat dann die Disposition
-über vorübergehend verfügbare Mittel, die Finanzgesellschaften wurden
-zu Ausgleichsstellen, die sich von den wirklichen Banken nur noch durch
-die Begrenzung ihrer Geschäftsgebiete, nicht durch das Wesen ihrer
-Geschäfte unterschieden.</p>
-
-<p>Im allgemeinen wurde bei dem Rathenauschen Finanzsystem nicht der
-Nachdruck auf dauernde, unlösliche Aktien-Verkapselung<span class="pagenum"><a name="Seite_212" id="Seite_212">[S. 212]</a></span> gelegt. Je
-selbständiger die Tochtergesellschaften in ihrer Finanzgebarung
-gestellt werden konnten, umso mehr ihrer Wertpapiere wurden aus den
-Portefeuilles der Konzerngesellschaften an den freien Markt gegeben.
-An dem Besitz von Dreiviertel-Majoritäten oder auch nur einfachen
-Majoritäten wurde nicht pedantisch festgehalten, sondern das Streben
-darauf gerichtet, daß der Konzernzusammenhang bei verhältnismäßig
-kleinen Aktienbeteiligungen durch innere Bande, durch den Magnetismus
-des wechselseitigen Interesses und der Gewohnheit erhalten blieb.
-Nicht die Majoritätskontrolle, sondern die Hingezogenheit der freien
-Aktionäre zum Konzern der A. E. G. sollte und konnte fast stets die
-Verbindung wahren. Die Besetzung der Aufsichtsratskollegien mit
-Konzernmitgliedern, und auch der Herdentrieb der freien Aktionäre,
-die die Vertretung ihrer Aktien in den Generalversammlungen meist der
-Konzerngesellschaft oder ihren Banken überließen, unterstützte die
-Aufrechterhaltung der Herrschaft auch in solchen Fällen, in denen
-der Konzern an sich in der Minderheit war. So zum Beispiel besaß die
-A. E. G. zeitweilig nicht mehr als 1 Million Aktien der B. E. W. und
-vermochte doch das mit einem Aktienkapital von 60 Millionen Mark
-arbeitende Unternehmen in allen Einzelheiten zu leiten, trotzdem ihr
-die Bestimmung darüber zeitweilig durch eine aus Kreisen der freien
-Aktionäre gebildete Opposition streitig zu machen versucht wurde. Eine
-solche Herrschaft mit geringem Eigenbesitz konnte nur durch einen
-Konzern ausgeübt werden, der ein hohes Maß von immanenter Macht und
-Autorität besaß, und der das ihm entgegengebrachte Vertrauen trotz
-mancher gegen ihn vorgebrachten Einzel-Kritiken nie getäuscht hat.</p>
-
-<p>Ein Trustsystem der geschilderten Art war aber nicht nur imstande,
-die Emissionskraft der ihm angehörenden Unternehmungen sozusagen zu
-„eskomptieren“, auf indirektem Wege früher zur Geltung zu bringen,
-als es auf direktem Wege möglich gewesen wäre; es hat sie auch in
-außerordentlicher Weise erweitert und verbreitert, und zwar dadurch,
-daß es die Emissionen durch Teilung und Abwechslung reizvoller und
-verdaulicher für den Kapitalmarkt zu gestalten vermochte. Hätte die
-A. E. G. ihr Finanzsystem streng zentralistisch ausgebaut, hätte
-sie die Kosten ihrer Unternehmertätigkeit nur durch ihre eigenen
-Aktien und Obligationen bestritten, oder auch nur in vorbereitender
-Weise aufgebracht, so würde das an dem<span class="pagenum"><a name="Seite_213" id="Seite_213">[S. 213]</a></span> <em class="gesperrt">industriellen</em>
-und <em class="gesperrt">technischen</em> Wert des Gesamtanlagenkomplexes und der
-Sicherheit der ihn repräsentierenden Kapitalanlage eigentlich nichts
-geändert haben. Ob ein Betriebsunternehmen direkt von der A. E. G.
-oder von einer ihrer Finanzgesellschaften finanziert wurde, wäre
-für die industrielle Entwickelung dieses Unternehmens und seiner
-Rente gleichgültig gewesen, nicht aber für die Geldaufbringung am
-Kapitalmarkt. Hätte die A. E. G. 500 oder 1000 Millionen eigener
-Aktien und einen ähnlichen Betrag eigener Obligationen am Geldmarkt
-aufnehmen müssen, statt nur 200 Millionen Mark, so würde der Marktwert
-der A. E. G.-Aktien zweifellos unter einem Überangebot gelitten haben,
-ihre Emissionskraft wäre vermindert worden, da sich der Kapitalmarkt
-gesträubt und schließlich ganz geweigert hätte, immer dasselbe Papier
-aufzunehmen. Viel günstiger gestaltete sich die Situation dadurch,
-daß der Emissionskredit des Gesamtkonzerns auf eine ganze Reihe von
-A. E. G.-Unternehmungen verteilt wurde. Er wurde vor Überanstrengung
-bewahrt, denn die Tochtergesellschaften behielten ebenso wie die
-Hauptgesellschaft jede ihren Einzel-Kredit für sich, und empfingen von
-ihrer Zugehörigkeit zum Gesamtkonzern noch eine Beigabe moralischer
-Art, die ihren eigenen Kredit festigte und steigerte.</p>
-
-<p>Dem rückschauenden Blick wird es vielleicht scheinen, daß dieses
-Rathenausche Finanz- und Trustsystem, das &mdash; so kompliziert es in
-der Darstellung sich auch ausnehmen mag, &mdash; doch wie jede einem
-wirtschaftlichen Bedürfnis organisch angepaßte Methode im Kerne
-und Aufbau ganz einfach ist, die Zeitgenossen sofort gewonnen und
-überzeugt haben muß. In dieser Ansicht wird man noch bestärkt,
-wenn man sich vergegenwärtigt, daß bereits ein paar Jahre später
-die ganze Konkurrenz in der Elektrizitätsindustrie das Bestreben
-zeigte, dieses System nachzuahmen und die mit ihm &mdash; anscheinend
-so mühelos &mdash; erzielten Erfolge auch ihrerseits zu erreichen.
-Aber es war nicht der gesunde, innere, nur in geduldiger Arbeit
-zu entwickelnde Kern, der diese Mitläufer <em class="gesperrt">überzeugt</em> hatte,
-sondern meist die von ihnen mißverstandenen und für die Hauptsache
-gehaltenen äußeren Oberflächenwirkungen, die sie <em class="gesperrt">blendeten</em>.
-In den damals mit Rathenau liierten Bankkreisen war man von den
-fachlichen Finanzierungsbanken innerlich durchaus nicht begeistert.
-Einmal fürchtete man von ihnen einen Übergriff auf ihr eigenes
-Geschäftsgebiet, sah in ihnen das Instrument, durch das sich
-Rathenau<span class="pagenum"><a name="Seite_214" id="Seite_214">[S. 214]</a></span> von den Emissionsbanken unabhängig machen, diese jedenfalls
-ihrer finanziellen Vorherrschaft &mdash; soweit die Finanzierung seiner
-Unternehmungen in Frage kam &mdash; entkleiden wollte. Die Banken ahnten
-wohl, daß hier ein Industrieller den Versuch machte, ihnen die
-herrschende Stellung im Industrieleben allmählich zu nehmen und
-ihnen die Rolle von dienenden Gliedern in seinem Bereich anzuweisen.
-Außerdem war der letzte, vielleicht unbewußte Rest von Mißtrauen in
-die Neuerungen des Mannes noch immer nicht geschwunden, von dem erst
-endgültig zu erweisen war, ob er ein schöpferischer Umwälzer aller
-Werte, oder nur ein glänzend begabter, doch unruhiger Experimentierer
-war, dessen kühnes, vielstöckiges Architekturwerk doch eines Tages
-&mdash; in sich selbst überbaut &mdash; zusammenbrechen konnte. Es gibt ja
-Brücken- und Gebäudekonstruktionen, deren Tragfähigkeit die technische
-Wissenschaft als sicher, ja übersicher errechnet hat und die doch auf
-den Laien einen gefährlichen Eindruck machen. Man hatte sich an der
-Gründung der Elektrobank &mdash; fasziniert von der Neuartigkeit der Idee,
-und unter dem Einfluß der Rathenauschen Erfolge &mdash; kapitalistisch
-beteiligt. Aber es kam hier, &mdash; ähnlich wie seinerzeit bei den
-Berliner Elektrizitätswerken, wenn auch in weit weniger krisenhafter
-Weise &mdash; bald dahin, daß die Banken an der Ertragfähigkeit des neuen
-Unternehmens zweifelten und sich von den ihnen zu groß erscheinenden
-Aktienbeteiligungen, die das Publikum ihnen nicht bereitwillig genug
-abnehmen wollte, zu entlasten wünschten. In der Tat war in diesen
-ersten Jahren ihres Bestehens die Elektrobank, wie das nicht anders
-zu erwarten war, mit jungen, meist noch halbfertigen Unternehmungen
-&mdash; besonders den ausländischen Werken in Genua, Barcelona, Bilbao,
-Buenos Aires, Santiago &mdash; angefüllt, die sich nur langsam zur
-Rentabilität entwickelten und von Rathenau bewußtermaßen nicht zur
-schnellen Einträglichkeit getrieben wurden. Mit Mühe und Not zahlte die
-Elektrobank Dividenden von 5%. Darin lag keine Emissionschance für ihre
-Aktien und was aus den „exotischen“ Werten ihres Portefeuilles werden
-würde, war noch eine ganz offene Frage. Die Banken hatten vielleicht
-gewünscht, daß um ihrer Beteiligung an der Mantelgesellschaft willen,
-die in deren Besitz befindlichen Betriebswerke etwas gewaltsam
-gefördert worden wären. Aber Rathenau war viel zu sehr Industrieller,
-als daß er finanztechnische Momente den bautechnischen hätte,
-auch nur vor<span class="pagenum"><a name="Seite_215" id="Seite_215">[S. 215]</a></span>übergehend, voranstellen können. Er, der inzwischen
-so erstarkt war, daß er Konzessionen &mdash; wie manchmal am Anfang &mdash;
-nicht mehr zu machen brauchte, hätte aber gerade in diesem Punkte
-zuallerletzt Bankwünschen nachgegeben. Das entscheidende Interesse
-legte er stets den produzierenden Unternehmungen und niemals den
-finanzierenden Hilfsgesellschaften bei. Das Mittel, mit dem er die
-latenten Schwierigkeiten in dem Falle der Elektrobank beseitigte,
-war genau dasselbe wie das im Falle der Berliner Elektrizitätswerke
-&mdash; vor einem Jahrzehnt &mdash; angewandte. Er übernahm kurz entschlossen
-die gesamten Elektrobank-Aktien der Bankgruppe zu vorteilhaftem Kurse
-und gewann die Mittel dazu durch Erhöhung des Kapitals der A. E. G.
-um 12 Millionen Mark, die allerdings nicht sämtlich zum Umtausch der
-Elektrobank-Aktien benötigt wurden. Dieser erfolgte in der Weise, daß
-für je 5 vollgezahlte Elektrobank-Aktien zu 1000 Frcs. nom. 2000 M.
-junge A. E. G.-Aktien angeboten wurden. Hierbei gelangte die A. E.
-G. zu dem lächerlich geringen Buchpreise von 400 Mark für das Stück
-in den Besitz von 28640000 Frcs. Elektrobank-Aktien, sie erwarb also
-fast das ganze damals 30 Mill. Frcs. betragende Aktienkapital. Im
-Geschäftsbericht des Jahres 1897/98 wird der Erwerb nur kurz begründet:
-„Die Angliederung einer Trust-Gesellschaft war ratsam, und das uns
-nahestehende Institut in Zürich wegen der in Angriff genommenen
-internationalen Geschäfte hierfür vorzüglich geeignet.“ &mdash; Für einen
-Schritt, der vielleicht in den Augen Emil Rathenaus den Keim für ein
-sehr gutes Geschäft darstellte, in den Augen der Aktionäre aber als ein
-großes Wagnis erscheinen mußte, waren diese paar Zeilen der Begründung
-ziemlich dürftig. Allerdings wurde den Aktionären der A. E. G. auf
-Wunsch ein ausführlicher Bericht über die Situation der Elektrobank
-zur Verfügung gestellt, aber bei der statistischen Ungeklärtheit der
-die ausländischen Unternehmungen betreffenden Fragen, enthielt er
-natürlich auch nur Konjekturen, keine unumstößlichen Tatsachen. In
-der General-Versammlung sah sich Emil Rathenau denn auch veranlaßt,
-den Erwerb der Elektrobank-Aktien näher zu motivieren. In seinen
-Ausführungen klingen die Unstimmigkeiten mit der Bankengruppe, die
-den Entschluß der Fusion mit der Elektrobank letzten Endes ausgelöst
-hatten, nur leise an. In ihrem wesentlichen Teile bedeuten sie eine
-Rechtfertigung des Systems der Trustgesellschaften im allgemeinen. Sie
-sind gerade darum interessant genug, um nachstehend<span class="pagenum"><a name="Seite_216" id="Seite_216">[S. 216]</a></span> in ihrem Wortlaut
-wiedergegeben zu werden, Rathenau sagte:</p>
-
-<p>„Zur Durchführung der von uns ins Leben gerufenen Unternehmungen
-hatten wir uns bisher mit einem aus potenten Finanzkräften bestehenden
-Konsortium verbunden, und diese Vereinigung wird vielleicht auch in
-Zukunft aufrecht erhalten werden. Aber wir verhehlen uns nicht, daß
-die Banken als Vermittler des Kapitals zwischen dem Publikum und dem
-Unternehmer der jeweiligen Stimmung des ersteren Rechnung tragen und
-in Perioden wirtschaftlichen Niederganges und politischer Wirren ihre
-Mitwirkung leicht versagen könnten. Gerade in solchen Zeitläuften,
-deren baldige Wiederkehr freilich vorläufig nicht zu befürchten ist,
-am wenigstens für uns, die wir mit lohnenden Aufträgen versorgt sind,
-bedarf der Fabrikant ihrer Unterstützung zur Erlangung von Arbeiten,
-mit denen er seine Werkstätten beschäftigen und den Stamm geschulter
-Arbeiter erhalten kann. Schon aus diesem Grunde erachten wir es als
-eine Pflicht, Geldquellen für den steigenden Kapitalbedarf, den die
-ausgedehnten Unternehmungen fortdauernd hervorrufen, rechtzeitig uns zu
-sichern. Diese Vorsicht scheint uns umsomehr geboten, als wir in einer
-Industrie stehen, von der wir nicht wissen, wie lange ihr die Gunst
-des Publikums erhalten bleibt. Denn es sind durch die Leichtigkeit der
-Geldbeschaffung in den vergangenen Jahren zahlreiche Unternehmungen
-gegründet worden, die ihre Lebensfähigkeit noch zu erweisen haben;
-Enttäuschungen irgend welcher Art können aber ein Mißtrauen
-verursachen, das sich auch auf gesunde Unternehmungen erstreckt.
-Unter solchen Umständen werden gut organisierte und kapitalkräftige
-Trustgesellschaften, welche den inneren Wert von Unternehmen
-erkennen, die sich noch in der Vorbereitung befinden, den Mangel an
-Unternehmungslust ersetzen können. Für die großen ausländischen und
-überseeischen Unternehmungen, welche eine um so größere Bedeutung
-für uns erlangen, je mehr die Geschäfte im Mutterlande abnehmen,
-tritt aber das unabweisbare Bedürfnis einer Trustgesellschaft hervor,
-welche ein internationales Gepräge besitzt und kapitalkräftig genug
-ist, um die Führung in solchen Unternehmungen zu übernehmen. Eine
-solche Organisation besteht bereits in der unter dem Patronat der
-Schweizerischen Kreditanstalt in Zürich wirkenden Bank für elektrische
-Unternehmungen, die auf einem politisch neutralen Gebiet, unter dem
-Schutz einer für Trustgesellschaften<span class="pagenum"><a name="Seite_217" id="Seite_217">[S. 217]</a></span> günstigen Gesetzgebung im Juli
-1895 gegründet wurde. Ein solches großes, bereits in voller Tätigkeit
-befindliches internationales Organ für unsere Zwecke in noch höherem
-Maße als bisher nutzbar zu machen, halten wir für zweckentsprechend.“</p>
-
-<p>Die Aktionäre der A. E. G. haben, wie sich bald zeigte, die Transaktion
-nie zu beklagen gehabt. Die Dividende der Elektrobank erhöhte sich
-sehr bald auf 6½% und dann nach einem zweijährigen Rückschlag, der
-sie in den Jahren der Elektrokrise auf 6% zurückführte, weiter auf
-10 und 12%. Die A. E. G. wurde dadurch in die Lage versetzt, jeden
-beliebigen Teil ihrer Elektrobank-Aktien mit ansehnlichem Kursgewinn
-wieder zu veräußern, eine Möglichkeit, von der sie auch in den ihr
-zweckmäßig erscheinenden Grenzen Gebrauch machte. Wieder einmal hatte
-Emil Rathenau recht behalten und eine zunächst unerfreulich scheinende
-Situation zum Vorteil gewandt. Späterhin wurde der Versuch gemacht, die
-Organisation der Elektrobank auf eine grundsätzlich breitere Grundlage
-zu stellen und ihren Wirkungskreis über den Bezirk der A. E. G. hinaus
-zu erweitern. In ihrem Geschäftsbericht für 1903/04 finden sich
-folgende Programmsätze:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Nachdem wir uns früher hauptsächlich mit der Finanzierung solcher
-neuen Unternehmungen abgegeben haben, deren technische Ausführung durch
-die uns nahestehende Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft besorgt
-wurde, haben wir im Laufe des letzten Berichtsjahres den ausdrücklichen
-Beschluß gefaßt, unsere geschäftliche Tätigkeit insbesondere auch
-auszudehnen auf die Beschaffung der nötigen Geldmittel für bereits
-bestehende Unternehmungen und die Bevorschussung von Werten solcher,
-beides eventuell in Verbindung mit technischer und administrativer
-Reorganisation des Betriebes und mit dadurch zu erzielender
-Höherbewertung der eigentümlich erworbenen oder mit Ausbedingung von
-Optionsrechten bevorschusster Werte solcher Unternehmungen. Unsere Bank
-soll mit anderen Worten <em class="gesperrt">ein allgemeines Finanzierungsinstitut</em>
-der Elektrizitätsindustrie sein.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Zur besseren Durchführbarkeit dieser Ziele wurde in Berlin
-ein Zweigbureau geschaffen, das von Dr. Walther Rathenau, dem
-Administrateur und eigentlichen Kopf der Elektrobank geleitet wurde.
-In dieser Zeit war die fast völlige Union zwischen der A. E. G. und
-der Elektrobank einer Lockerung insofern gewichen, als die<span class="pagenum"><a name="Seite_218" id="Seite_218">[S. 218]</a></span> A. E. G.
-langsam größere Posten ihres Aktienbesitzes der Elektrobank abstieß.
-Ferner hatte die Annäherung der Union-Elektrizitäts-Gesellschaft an
-die A. E. G. zwar eine erhebliche Anzahl von Beteiligungen dieser
-Gesellschaft dem Portefeuille der A. E. G. zugeführt, andere wiederum
-einer selbständig bleibenden Trustgesellschaft der „Gesellschaft für
-elektrische Unternehmungen“ überlassen. Auch neue schweizerische
-Interessentenkreise traten der Elektrobank nahe, und gerade an
-Finanzierungen aus der von der A. E. G. unabhängigen Schweizer
-Elektrizitätsindustrie war wohl gedacht, wenn die Grenzen der Tätigkeit
-der Elektrobank etwas weitergerückt wurden. Überdies wuchs auch
-die Deutsch-Überseeische Elektrizitätsgesellschaft, die in ihren
-Anfängen vorwiegend von der Elektrobank entwickelt worden war, immer
-mehr über das Wurzelreich des A. E. G.-Konzerns hinaus. Sie brauchte
-zur Speisung ihres gewaltigen Kapitalbedarfs stärkerer Quellen, als
-die A. E. G. und ihr engeres Bankenkonsortium zu bieten vermochten.
-Die Gruppe der Deutschen Bank, die an der D. Ü. E. G. schon seit
-der Gründung beteiligt gewesen war, wurde schließlich die führende
-Bankverbindung der großen südamerikanischen Elektrizitätsunternehmung
-und als solche gelangte auch ihre Stellung in der Elektrobank, die
-ja noch immer einen beträchtlichen Teil der Deutsch-Überseeischen
-Aktien besaß, zu ausgeprägterer Bedeutung. Aus allen diesen Gründen
-erschien eine allzugroße Isolierung der Elektrobank auf den A. E.
-G.-Konzern nicht mehr erwünscht, und wenn die A. E. G.-Note bei der
-Züricher Finanzgesellschaft auch stets die vorherrschende blieb, so
-sollte sie doch nicht mehr die einzige sein. In späteren Jahren ist der
-Elektrobank durch die Fusion mit der <em class="gesperrt">Elektrizitäts-Akt.-Ges. vorm.
-Lahmeyer</em>, der Finanzgesellschaft des von der A. E. G. aufgenommenen
-Felten-Guilleaume-Lahmeyerkonzerns, ein neues großes Einflußgebiet
-zugeführt worden. Sie übernahm von dem 25 Millionen Mark betragenden
-Kapital der Lahmeyergesellschaft 21720000 Mark gegen Hingabe von
-16290000 Frcs. neuer Elektrobank-Aktien. Es fand also eine Verkapselung
-zweier Finanzgesellschaften ineinander statt, die beide ohne förmliche
-Fusion juristisch selbständig nebeneinander bestehen blieben.</p>
-
-<p class="center mtop1 mbot2">*&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;*<br />
-*</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_219" id="Seite_219">[S. 219]</a></span></p>
-
-<p>Werfen wir zum Schluß auch dieses Kapitels unserer Gewohnheit nach
-noch einen Blick auf die Entwickelung der Erträgnisse und der
-Bilanzaufstellungen der A. E. G. in dem soeben behandelten Abschnitt,
-den die Jahre 1894 und 1900 umrahmen. Die Entwickelung der Kapitalien
-ist folgende: Im Jahre 1895/96 wurde das Stammkapital von 20 auf 25
-Millionen Mark erhöht, im Jahre 1896/97 auf 35 Millionen Mark, im
-Jahre 1897/98 auf 47 Millionen Mark, im Jahre 1898/99 auf 60 Millionen
-Mark, eine Höhe, die es auch im Jahre 1899/1900 nicht überschritt.
-Das Obligationenkapital wurde in dieser Zeit von 4844000 auf 14046500
-Mark gesteigert. Der ordentliche Reservefonds stieg von 4479479 auf
-22027621 Mark, wie früher ausschließlich durch Agiobeträge, die ihm
-bei den verschiedenen Kapitalerhöhungen zuflossen. Daneben wurde
-die freie oder außerordentliche Reserve von 500000 auf 5 Mill.
-M. vermehrt. Neben diesen offenen Reserven sind aber die stillen
-Rücklagen in ganz anderer Weise gestärkt worden als in den früheren
-Perioden. Die Gesellschaft hat die dazwischen liegende große Expansion
-nicht nur zur Erzielung hoher Agiogewinne, sondern auch zur inneren
-Festigung des Unternehmens durch Zurückhaltung beträchtlicher Teile
-der erzielten Gewinne benutzt, und sich so aufs beste gerüstet und
-gewappnet, die folgenden Jahre des Rückschlages und der Krisis nicht
-nur unerschüttert zu überstehen, sondern auch ausnutzen zu können.
-In dem von der A. E. G. gewählten System waren die stillen Reserven
-darum die echten Reserven, die offenen &mdash; wenigstens soweit der
-gesetzliche Reservefonds in Frage kam &mdash; nur der Ausfluß des hohen
-Markt- und Emissionswertes der A. E. G.-Aktie. Offene Reserven
-brauchen durchaus nicht immer wirkliche Schutzwälle zu sein, die um
-das Aktienkapital gelegt sind, um es gegen Stöße und Erschütterungen
-zu sichern und zu verhindern, daß Verluste sofort die Kapitalsubstanz,
-den inneren Fundus einer Gesellschaft treffen können. Sie brauchen
-es besonders dann nicht zu sein, wenn sie aus Agiogewinnen stammen.
-Denn Agiomöglichkeiten können künstlich durch hochgetriebene oder
-leichtfertige Gewinnausschüttungen herbeigeführt werden, da sich ja
-der Kurs einer Aktie und damit das Aufgeld bei Kapitalerhöhungen nach
-der Höhe der gezahlten Dividenden zu richten pflegen. Gerade wenn ein
-zu großer Teil der verdienten Gewinne auf Kosten der Abschreibungen
-und Rückstellungen als Dividende ausgeschüttet wird, läßt sich der
-Aktienkurs<span class="pagenum"><a name="Seite_220" id="Seite_220">[S. 220]</a></span> steigern, und in der Zeit, von der wir sprechen, war
-die Bilanzkritik bei der Presse und bei den Aktionären noch nicht
-ausgebildet genug, als daß nicht derartige Versuche auf dem Gebiet der
-künstlichen Agiotage möglich gewesen wären und die Wirtschaftswelt
-hätten irre führen können. In der Elektrizitätsindustrie insbesondere,
-die in den von uns behandelten Jahren unter einem Überschwange der
-Tendenzbeurteilung bei den Produzierenden sowohl wie auch beim Publikum
-stand, war ein besonders geeigneter Nährboden für eine derartige
-Ausnutzung des Aktienagios vorhanden. Es wurde überreichlich von ihm
-Gebrauch gemacht, und wir werden später sehen, daß die auf diese Weise
-geschaffenen großen offenen Reserven mancher Unternehmungen dem Anprall
-der Krise durchaus nicht standhielten und sozusagen auf den ersten
-Anhieb zusammenstürzten, das innere Leben der Gesellschaften, die sie
-decken sollten, sofort dem Ansturm preisgebend. In der Rathenauschen
-Bilanz war die Expansion, die zur Bildung der großen offenen Reserven
-geführt hatte, Hand in Hand mit einer Konsolidierung der inneren
-Werte gegangen, und die Echtheit der inneren Reserven wirkte auch auf
-den Bestand der äußeren Reserven zurück. Worin bestanden nun diese
-inneren Reserven? &mdash; Ein Vergleich der Bilanzen von 1894 und von
-1900 zeigt es deutlich. Während im Jahre 1894 noch die sämtlichen
-Anlagekonten der A. E. G. in der Bilanz mit sichtbaren Wertansätzen
-erschienen, die einen vielleicht <em class="gesperrt">verhältnismäßig</em> niedrigen,
-aber doch absolut betrachtet, noch einen recht hohen Bewertungsgrad
-darstellten, werden im Jahre 1900 nur noch Grundstücke, Gebäude und
-Vorräte mit Effektivansätzen bewertet. Maschinen, die 1894 noch mit
-1220000 Mark ausgewiesen worden waren, erscheinen jetzt lediglich mit
-pro-Memoria-Beträgen von je 1 Mark. Sie sind also ganz abgeschrieben
-worden, trotzdem ihr wirklicher Wert in dieser Zeit nicht verringert,
-sondern um viele Millionen Mark &mdash; entsprechend dem gewaltigen
-Anwachsen der A. E. G.-Unternehmungen &mdash; vergrößert worden ist. In
-diesen Konten liegen also sehr beträchtliche innere Reserven, die
-sich von Jahr zu Jahr steigerten, denn alles, was in einem Jahre
-an neuen Maschinen, Werkzeugen, Utensilien usw. angeschafft wurde,
-gelangte sofort wieder voll zur Abschreibung. Während im Jahre 1894
-auf Werkzeuge 20%, auf Maschinen 10% abgesetzt worden waren, betrugen
-im Jahre 1899/1900 die Abschreibungssätze auf diesen Konten volle
-100%. Emil Rathenau<span class="pagenum"><a name="Seite_221" id="Seite_221">[S. 221]</a></span> hatte, um diese Bilanzierungsmethode möglichst
-unkontrolliert von der Öffentlichkeit und den Aktionären durchführen
-zu können, seit einigen Jahren die Gewohnheit angenommen, nur die
-Ergebnisse der Fabrikation, des Produktionsgeschäftes &mdash; und auch
-diese nur soweit es ihm paßte &mdash; in der Gewinn- und Verlustrechnung
-auszuweisen. Die gesamten Erträge des Finanzgeschäftes, und zwar
-sowohl die Rentenerträgnisse der im Besitz der A. E. G. befindlichen
-&mdash; auf Effekten- und Konsortialkonto verbuchten &mdash; Wertpapiere und
-Beteiligungen wie auch die Gewinne aus Effektentransaktionen wurden
-überhaupt nicht eingestellt, sondern zu Abschreibungen entweder auf
-Effekten oder auf Anlagen benutzt. Dabei richtete sich das Ausmaß der
-vorzunehmenden Abschreibungen nicht nach den wirklichen jeweiligen
-<em class="gesperrt">Ergebnissen</em> der Effektenkonten, die ja immerhin einen zufälligen
-Faktor darstellten, und somit auch ein Moment der Zufälligkeit in die
-Abschreibungspolitik der Gesellschaft gebracht hätten. Sie wurden
-vielmehr nach dem Abschreibungsbedürfnis reguliert, das durch die Höhe
-der Zugänge auf den regelmäßig bis auf 1 Mark herunterzubuchenden
-Anlagekonten und durch den Stand der übrigen Konten (Gebäude,
-Grundstücke, Vorräte usw.) bestimmt wurde. Reichten also die aus dem
-Effektengeschäft stammenden Beträge nicht aus, so mußten noch Teile
-aus dem Fabrikationsgewinn abgezweigt und zu Abschreibungen mit
-herangezogen werden. Je gewaltiger die so heruntergeschriebenen Anlagen
-der Gesellschaft anwuchsen, desto größer mußten naturgemäß auch die
-hinter den Eine-Mark-Posten stehenden inneren Reserven sich erhöhen.
-Über die Bedeutung dieses später nur noch quantitativ, nicht mehr
-grundsätzlich geänderten Abschreibungssystems für die innere und äußere
-Entwickelung der Gesellschaft, für ihre Finanzen und die Stellung der
-Aktionäre zu ihr, wird noch später zusammenfassend zu sprechen sein.
-Hier soll nur im historischen Entwickelungsgange auf den Zeitpunkt
-hingewiesen werden, in dem diese Methode in das Finanzsystem der
-Gesellschaft eintritt und auf den Kontrast, in dem sie zu den früheren
-Bilanzierungsgewohnheiten steht. In dieser Hinsicht ist sie als Symptom
-für den fortschreitenden Konsolidierungsprozeß der Gesellschaft zu
-bewerten.</p>
-
-<p>Abgesehen von diesem Zeichen der Konsolidierung weist die Bilanz von
-1899/1900 aber auch noch andere interessante Merkmale auf. Auch bei
-den übrigen Anlagekonten ist eine stärkere Abschrei<span class="pagenum"><a name="Seite_222" id="Seite_222">[S. 222]</a></span>bungspolitik
-sichtbar. Während zum Beispiel früher auf Gebäude nur 2% abgeschrieben
-wurden, werden jetzt neben den ordentlichen Abschreibungen in derselben
-Höhe noch außerordentliche Abschreibungen vorgenommen, die dreimal
-so hoch sind wie die Pflichtabschreibungen. Es gelangen also auf
-Gebäude jetzt 8% gegen 2% früher zur Abschreibung, das sind für solche
-Anlagen ungewöhnlich hohe Prozentsätze. Das Effektenkonto wird mit
-20984364 Mark gegen 5976266 Mark ausgewiesen, das Konsortialkonto
-mit 4837794 gegen 2963348 Mark. Daneben werden noch die Aktien der
-Bank für elektrische Unternehmungen mit 11395290 Mark aufgeführt.
-Die Effektenbestände sind also in sehr erheblichem Umfang gestiegen.
-Vergleicht man aber die Buchwerte mit dem Nominalbesitz an
-Wertpapieren, so zeigt sich, daß die Effektenbestände durchschnittlich
-viel niedriger zu Buche stehen als im Jahre 1894. In der Bilanz
-erscheint ferner &mdash; und dies ist für die Flüssigkeit des Status,
-nicht so sehr für die Solidität der Bewertung charakteristisch &mdash; ein
-Bankguthaben von 15620344 Mark gegen ein solches von 7933463 Mark in
-der Vergleichsbilanz. Die Gesamtdebitoren betragen 47037896 Mark gegen
-16996308 Mark, die Gesamtkreditoren 19301579 Mark gegen 2575873 Mark.
-Bei einem Kapital von 60 Millionen Mark weist jede Seite der Bilanz
-jetzt einen Saldo von 133420023 Mark gegen einen solchen von 35542941
-Mark bei einem Kapital von 20 Millionen Mark in der Vergleichsperiode
-auf. Trotzdem die Werte im Jahre 1900 viel niedriger bemessen sind als
-im Jahre 1894, trotzdem also ein großer Teil dieser Werte nur durch
-innere Reserven, nicht durch sichtbare Bilanzwerte belegt ist, stellt
-sich sogar der Gesamtbetrag der sichtbaren Aktiva im Verhältnis zum
-Aktienkapital ganz unvergleichlich höher als im Jahre 1894. D. h. mit
-einer Kapitalverdreifachung ist eine Expansion ausgeführt worden, die
-die Werte des Unternehmens weit mehr als verdreifacht hat.</p>
-
-<p>Trotz dieser starken inneren Konsolidierung und der Zurückbehaltung
-großer Gewinnteile ist die Rente der Aktionäre in diesem Abschnitt
-ständig gestiegen. Die Dividende betrug im Jahre 1893/94 9%, sie ging
-dann in den folgenden Jahren bis 1895/96 auf 11% und 13%. In den Jahren
-1896/97&ndash;1899/1900 betrug sie 15%.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_223" id="Seite_223">[S. 223]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Elftes_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Elftes Kapitel</em><br />
-
-Krisis</h2>
-
-</div>
-
-<p>Die bisherige Schilderung des Entwickelungsganges der A. E. G. seit
-der Überwindung der Krisis des Jahres 1887 wird bei dem Leser den
-Eindruck einer unaufhaltsamen, im Innern von mächtiger, manchmal
-ungestümer Triebkraft bewegten, von den äußeren Verhältnissen im
-großen und ganzen begünstigten Vorwärts- und Aufwärtsbewegung gemacht
-haben. Dieser Eindruck war auch vom Verfasser gewollt, denn er gibt
-ein richtiges Spiegelbild von dem inneren Schwung und dem Tempo, die
-Rathenaus Persönlichkeit wie das von seinem Geist geschaffene und
-erfüllte Werk stets, doch vielleicht nie so feurig beflügelten wie in
-jenem Zeitraum. Es waren die Jahre, in denen die Persönlichkeit sich
-am reichsten und freiesten entfaltete, in denen die Schöpfung den
-Ausdruck der Persönlichkeit und der Eigenart des Schöpfers annahm, in
-denen sie die bestimmenden Formen ihres Charakters, ihrer äußeren und
-inneren Gestalt, kurz ihres Entwickelungsgesetzes fand. Der Besitz
-der A. E. G. ist in späteren Perioden vielleicht noch stärker gemehrt
-worden, die Expansion noch vielgestaltiger fortgeschritten. Das
-geschah aber dann zum Teil infolge der automatisch nach Erweiterung
-drängenden Schwerkraft des kernhaft gewordenen Unternehmens, nicht
-mehr so sehr durch höchstpersönliche Leistung am werdenden Werk. Die
-Entwickelung <em class="gesperrt">nach 1902</em> hätte man sich zur Not auch ohne Emil
-Rathenau vorstellen können, die <em class="gesperrt">vor 1900</em> aber keinesfalls. Alle
-Keime begannen in dieser schöpferischen Periode bereits aufzugehen,
-alle Möglichkeiten traten bereits in den Kreis des Unternehmens,
-alle Fundamente wurden gefestigt und alle Grenzen fingen an, sich
-abzuzeichnen. Die Ideen traten hervor, ohne sich allerdings bereits
-ganz zu erfüllen, oder gar zu erschöpfen. Aber das Werk ließ
-bereits die Umrisse er<span class="pagenum"><a name="Seite_224" id="Seite_224">[S. 224]</a></span>kennen, das Wesenhafte an Rathenaus Art und
-Leistung hatte sich ausgeprägt. Seine Art der Industriepolitik,
-der Unternehmerpolitik, der Finanzpolitik und der Sozialpolitik
-ist grundsätzlich hier bereits festgelegt. Was dann noch kam, war
-gewiß keineswegs bloße Wiederholung oder nur Anwendung und Ausbau im
-Quantitativen, keineswegs nur das Abrollen und Anschwellen einer im
-Lauf befindlichen Lawine, aber es war doch das Fortschreiten auf dem
-bereits gebahnten und gerichteten Wege. Die Verfeinerungsarbeit, die
-nun folgte, die eine naturgemäß im Expansionsgange liegende Häufung
-der Mengen und Mittel vor einer Ausartung ins Nichts-als-Kolossale
-bewahren, und darum einer ganz besonders eindringlichen inneren
-Verarbeitung unterziehen mußte, warf tagtäglich neue Probleme auf,
-erforderte ständig eine Verjüngung und Erneuerung der Methoden. Sie
-stellte an die Individualität immer frische geistige Anforderungen,
-damit die Gefahr der Schematisierung und Mechanisierung vermieden
-wurde, die eine unbeherrscht so stark anschwellende Masse schließlich
-starr und unproduktiv gemacht hätte. Eine Organisation, die nur
-vergrößert, nicht stets kontrolliert und erneuert wird, muß schließlich
-zur Bürokratie werden und leidet unter ihrem eigenen Gewicht. Dies im
-zunehmenden Tagesdrang der kleinen und großen Geschäfte vermieden,
-daneben jedoch neuen Problemen frisches Augenmaß gegeben zu haben,
-bleibt die geistige Leistung der nachfolgenden Schaffensperiode
-Rathenaus.</p>
-
-<p>Das große Bild jener Grundlegung in den Entwickelungsjahren bis
-1900 durfte nicht durch zu starkes Betonen der Retardations- und
-Rückschlagsmomente, der Nebenwirkungen, Auswüchse, der richtigen
-und falschen Nachahmungen beschwert und beunruhigt werden, wenn
-es voll wirken sollte. An solchen Zügen hat es natürlich auch in
-jenen Zeiten des Aufschwungs nicht gefehlt, weder innerhalb, noch
-außerhalb des A. E. G.-Kreises. Auf sie ist gelegentlich auch bereits
-hingewiesen worden, so besonders auf die langsame, kühle Verwirklichung
-mancher heiß und kühn konzipierten technischen und wirtschaftlichen
-Erkenntnisse, auf den Überschwang mancher Projekte und die falsche
-Abschätzung mancher Dimensionen, schließlich auch auf die falsche,
-mißverstandene Anwendung mancher Methoden durch dritte. Wir haben
-gesehen, daß in der vergangenen Epoche die Führung und Tonangabe,
-wenn auch nicht in der elektrischen Industrie,<span class="pagenum"><a name="Seite_225" id="Seite_225">[S. 225]</a></span> so doch in ihrer
-Fortentwickelungstendenz von der Firma Siemens &amp; Halske auf die A.
-E. G. übergegangen war. Ihre Schwungkraft, ihr Expansionswille und
-die Art seiner Betätigung gaben der ganzen Industrie die bestimmende
-Note. Auf ihrem Fluge war sie bald von einem ganzen Schwarm von
-Mitläufern umringt, die ihr Tempo mitzuhalten, wenn gar noch zu
-übertreffen versuchten. Überspannung, heftiger Konkurrenzkampf,
-der noch durch die Energie und Eifersucht, mit der sich die früher
-allein herrschende Firma Siemens &amp; Halske aus ihrem bereits etwas
-satt gewordenen Entwickelungstemperament heraus zur Wehr setzte,
-gesteigert und vertieft wurde, gaben schon in den letzten Jahren des
-zu Ende gehenden neunzehnten Jahrhunderts den Verhältnissen in der
-Elektrizitätsindustrie immer stärker das Gepräge. Überproduktion
-und Preisrückgänge waren die Folgen. Sie traten umso schärfer in
-Erscheinung, als die großen Anregungen der Elektrizitätsbewegung, die
-von der Konstruktion der Dynamomaschine, der Erfindung des Bogen-
-und Glühlichts ihren Ausgang genommen und ihre Kraft zwei Jahrzehnte
-hindurch in ständig anschwellendem Strom betätigt hatten, ihren
-Höhepunkt überschritten zu haben und in die Periode des Auslaufs zu
-kommen schienen, ohne daß zunächst neue motorische Kräfte an ihre
-Stelle traten. Die Krise kündigte sich durch mehr als ein Zeichen
-an, und es kam jetzt darauf an, ob alle Unternehmungen der Industrie
-ebenso wie die A. E. G. trotz des Sturmschritts des letzten Jahrzehnts
-ausreichende Sicherheitsventile gegen die Wucht plötzlichen Überdrucks,
-innere Kraftausgleichsquellen gegen Rückschläge geschaffen hatten.</p>
-
-<p>Von Emil Rathenau war mit der Wahrscheinlichkeit, ja Notwendigkeit
-eines Rückschlages immer gerechnet worden. Trotz allem Optimismus für
-die große Zukunft und die unverwüstliche Lebenskraft der elektrischen
-Idee überließ sich seine praktische Arbeit nie unbeherrscht diesem
-felsenfesten Vertrauen in den Enderfolg, sondern sie wurde auf Schritt
-und Tritt von dem latenten Pessimismus überwacht, der die Durchführung
-dieser Idee gegen alle nur denkbare Zufälle und Mißhelligkeiten nicht
-genug versichern konnte. „Ich traue auf meinen Stern, also brauche
-ich mich nicht vorzusehen,“ diese beliebte Devise der Optimisten war
-Rathenau ganz und gar fremd. Bereits in den letzten Jahren des zu
-Ende gehenden Jahrhunderts hat Rathenau die Krisis nahen gefühlt,
-während die Konkurrenz sich noch mit ungeminderter Leidenschaft dem
-Gründungstaumel hingab.<span class="pagenum"><a name="Seite_226" id="Seite_226">[S. 226]</a></span> Ganz besonders auf dem scharf umstrittenen
-Gebiete des elektrischen Straßenbahnbaus legte sich die A. E. G.
-sichtbare Zurückhaltung auf. Dem Handelsredakteur eines großen
-süddeutschen Blattes vertraute Emil Rathenau bereits längere Zeit
-vor Ausbruch der Krisis seine Befürchtungen an. „Flaumacherei,
-Baissemanöver, Neid gegenüber der ihn überflügelnden Konkurrenz“ wurden
-Rathenau damals von anderen Elektrizitätsfachleuten in der Presse
-vorgeworfen, als seine Äußerungen an die Öffentlichkeit gelangten.
-In den offiziellen Kundgebungen der A. E. G. wird zum ersten Male im
-Geschäftsbericht für das Jahr 1898/99 das Nahen der Krisis angedeutet,
-nachdem bereits in der oben wiedergegebenen Generalversammlungsrede
-im Jahre 1898 gelegentlich des Erwerbes der Elektrobank-Aktien auf
-die ungesunden Gründungen in der Elektrizitätsindustrie, und auf die
-Wahrscheinlichkeit eines früher oder später eintretenden Rückschlags
-hingewiesen worden war. Die Gesellschaft spricht im Jahre 1898/99
-von eventuell bevorstehenden schlechteren Zeiten und einer für die
-Elektrizitätsindustrie drohenden Überproduktion. Im Bericht für das
-Jahr 1899/1900 wird schon ein deutlicheres Warnungssignal gegeben.
-Nachdem konstatiert worden ist, daß die Geschäftslage noch günstig
-sei, daß die Summe der auf das laufende Jahr übertragenen Aufträge
-den Umsatz des abgelaufenen Jahres wesentlich übersteige und die
-Gesellschaft auch im neuen Jahre mit lohnenden Arbeiten bisher
-reichlich versehen worden sei, heißt es: „Ungeachtet dessen mahnt
-die schwindende Zuversicht in den Fortbestand der industriellen
-Hochkonjunktur zu verstärkter Vorsicht bei Aufnahme neuer Geschäfte,
-die zu ihrer Entwickelung erfahrungsgemäß einer Reihe von Jahren
-bedürfen.“ &mdash; Weiter unten wird aber schon die tröstliche Versicherung
-gegeben: „Gegen die Nachteile einer etwaigen Überproduktion im Lande
-hoffen wir, durch die Einrichtungen unserer Fabriken und deren
-Bewertung uns wirksam schützen zu können.“ In der Generalversammlung
-vom 6. Dezember des Jahres 1900 unterstrich Rathenau diese Mitteilungen
-noch, indem er ausführte, es könne niemand leugnen, daß die Konjunktur
-ihren Höhepunkt überschritten habe. Vorläufig sei allerdings der
-Rückgang noch mäßig. Als einer der Gründe für den Rückschlag wurde
-angegeben, daß zu viele neue Unternehmungen gegründet seien. Am
-frühesten zeigten sich Spuren der beginnenden Stauung denn auch
-im <em class="gesperrt">Unternehmergeschäft</em>. Der Geschäftsbericht der Bank für
-elektrische<span class="pagenum"><a name="Seite_227" id="Seite_227">[S. 227]</a></span> Unternehmungen für das Jahr 1899/1900 geht diesen
-Spuren nach und schildert sie folgendermaßen, zugleich zeigend, daß
-die Trustorganisation für das Unternehmergeschäft nach Versagen des
-Kapitalmarktes genau so funktioniere und wirke, wie das von Emil
-Rathenau gedacht worden war:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Die nicht unerhebliche Steigerung der Preise fast sämtlicher,
-für die elektrische Industrie in Betracht fallender Rohprodukte
-und die daraus sich ergebende Preiserhöhung der Fabrikate, hat
-glücklicherweise den Umfang der geschäftlichen Tätigkeit der
-großen Elektrizitätsgesellschaften bisher nicht beeinträchtigt. Im
-Gegenteil wird von vielen Seiten während des ganzen Berichtsjahres
-eine erfreuliche Andauer der Beschäftigung und eine Steigerung der
-Umsätze gemeldet, welche häufig sogar den Gewinn-Ausfall auszugleichen
-vermocht hat, der dadurch entstand, daß die Preise der Fabrikate
-nicht im gleichen Verhältnis hinaufgesetzt werden konnten, wie die
-Preise der Rohstoffe und Hilfsmaterialien für die Konstruktion der
-elektrotechnischen Produkte sich steigerten.</p>
-
-<p>Diese Preissteigerung der Rohstoffe und Hilfsmaterialien hat sich
-aber, mehr noch als beim Bau, beim Betrieb der elektrotechnischen
-Maschinen und Anlagen fühlbar gemacht. Man denke nur an die sehr
-erhebliche Erhöhung der Selbstkosten des elektrischen Stromes, wie sie
-sich für diejenigen Zentralen, die auf Dampfkraft angewiesen sind, aus
-der Preissteigerung der Kohle um rund 50% ergeben mußten. Eine Reihe
-von diesen Anlagen ist dadurch in ihrer finanziellen Entwickelung im
-abgelaufenen Jahr gehemmt worden, und da infolgedessen den großen
-Elektrizitätsgesellschaften die definitive Abstoßung ihrer finanziellen
-Beteiligungen an von ihnen ins Leben gerufenen Unternehmungen nicht
-erleichtert worden ist, so hat sich in neuester Zeit eine gewisse
-Zurückhaltung in der Übernahme von Aufträgen, mit welchen finanzielle
-Leistungen seitens der Unternehmerfirmen verknüpft sind, geltend
-gemacht. Daß die großen Gesellschaften diesen Standpunkt, jedenfalls
-nicht zum Nachteil des eigentlichen legitimen Unternehmer- und
-Fabrikations-Geschäftes, einnehmen können, erleichtert und ermöglicht
-ihnen gerade der erfreuliche Umstand, daß sie bis jetzt auch ohnedies
-auf allen Gebieten vollauf und zu lohnenden Preisen beschäftigt zu sein
-scheinen.</p>
-
-<p>Unter solchen Umständen finden Banken, welche, wie die unsrige, sich
-speziell mit der Übernahme und Durchführung von Finanz<span class="pagenum"><a name="Seite_228" id="Seite_228">[S. 228]</a></span>geschäften
-auf elektrotechnischem Gebiet abgeben, Gelegenheit genug, sich zu
-betätigen, und es hat der Umfang unserer Geschäftsverbindungen und
-die Anlage unserer Betriebsmittel in Beteiligungen aller Art bei
-elektrotechnischen Unternehmungen auch im abgelaufenen Jahr wieder
-zugenommen. Immerhin genügten hierfür die von uns schon früher
-beschafften Mittel, während wir von der Begebung weiterer Obligationen
-unserer Bank bei der im ganzen ungünstigen Disposition des Geldmarktes
-glaubten absehen zu sollen.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Nichtsdestoweniger wird für das Jahr 1899/1900 bei der A. E. G. noch
-die unverminderte Dividende von 15% ausgeschüttet. Das folgende Jahr
-bringt einen Rückgang auf 12%, wobei allerdings zu berücksichtigen
-ist, daß diesmal 13 Millionen Mark junge Aktien, die im Vorjahre
-nur die Hälfte der Dividende erhielten, voll daran teilnehmen. So
-wird noch immer eine Dividendensumme von 7,2 Millionen Mark gegen
-8025000 Mark im Vorjahre herausgewirtschaftet. Der Niedergang kann
-nun von niemandem mehr geleugnet werden. Die starken wohlfundierten
-Unternehmungen halten den Stoß bewunderungswürdig gut aus, aber in
-dem leichten Gebälk der schwächer gezimmerten Gesellschaften kracht
-und knirscht es bereits. Der Geschäftsbericht des Jahres 1900/1901
-setzt sofort mit Krisenstimmung ein. „Fast zwei Jahrzehnte lang hat
-die elektrotechnische Industrie immer neue lohnende Aufgaben gefunden
-und sich einer stetigen Entwickelung erfreut; die bekannten Vorgänge
-in unserem Wirtschaftsleben mußten eine vorläufige Unterbrechung
-dieser Bewegung mit Notwendigkeit herbeiführen. Auf die Anzeichen
-drohender Überproduktion und ungesunder Übertreibung haben wir in den
-letzten Jahren oftmals hingewiesen. Wie schmerzlich auch der scharfe
-Rückgang in der Konjunktur empfunden wird und wie berechtigt die
-Klagen über Schäden und Einbußen sind: der auf Vervollkommnung der
-Arbeitsmethoden bedachte Fabrikant und Techniker wird zugeben, daß nur
-normal beschäftigte Werkstätten Zeit und Muße zu Verbesserungen und
-Verbilligungen finden, während die zwei- und dreifachen Schichten, wie
-sie jahrelang zur Notwendigkeit geworden waren, Ausgestaltungen und
-Neuerungen der Fabrikationsmethoden erschwerten.“ &mdash; Von Resignation
-oder Waffenstreckung also trotz der Enttäuschungen und Rückschläge
-keine Spur. Auch hier der feste Wille, sich von Mißhelligkeiten nicht
-unterkriegen zu lassen und sogar aus ihnen noch Vorteil für die Zukunft
-zu ziehen. Zur<span class="pagenum"><a name="Seite_229" id="Seite_229">[S. 229]</a></span> Verzweiflung lag allerdings bei der A. E. G. auch
-noch kein Anlaß vor: „Wir konnten annähernd den gleichen Umsatz wie
-im Vorjahre abrechnen und waren in den meisten Abteilungen unseres
-Geschäftsbetriebes und der Fabrikation befriedigend beschäftigt; neuen
-Unternehmungen gegenüber legen wir uns aber große Beschränkungen auf.“
-&mdash; Auch die Aussichten werden nicht als direkt ungünstig geschildert,
-wenigstens was die Arbeits<em class="gesperrt">quantität</em> anlangt: „Nach den ultimo
-September gemachten Aufstellungen erreichen die fakturierten Umsätze
-nahezu die der gleichen Periode des Vorjahres, ebenso die vorliegenden
-Aufträge, soweit Bahnunternehmungen und Bestellungen für die Berliner
-Elektrizitätswerke, deren Bautätigkeit einstweilen zum Abschluß gelangt
-ist, nicht in Betracht kommen.“ Nun aber kommt der wunde Punkt:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Diese Ziffern wären unter den gegenwärtigen Zeitverhältnissen
-befriedigend, wenn die Akquisitionstätigkeit der Konkurrenz, welche
-ohne Rücksicht auf Herstellungskosten um jeden Auftrag kämpft, nicht
-zu andauerndem Rückgang der Preise führte. Da unter diesen Umständen
-ein Urteil über die zukünftige Gestaltung des wirtschaftlichen
-Lebens schwer zu gewinnen ist, müssen wir damit rechnen, daß ein
-Aufschwung gleich dem der letzten Jahre, dem die Elektrotechnik ihre
-Größe verdankt, sich nicht sogleich erneuern werde. Vielfach haben
-Unternehmungen, welche in der Hochflut der Konjunktur ohne innere
-Notwendigkeit entstanden und mit ungenügender Sachkenntnis geleitet
-waren, das Vertrauen in die Ergiebigkeit unserer Industrie erschüttert.
-Es wird die Aufgabe der auf solider Grundlage errichteten und mit
-Umsicht und Verständnis geleiteten Werke sein, dieses Vertrauen wieder
-herzustellen. Aber hierdurch allein wird die Schwierigkeit der Lage,
-die teilweise auf notorischer Überproduktion der Fabriken beruht,
-nicht beseitigt. Die mißlichen Verhältnisse werden schwinden, und
-die deutsche Elektrotechnik wird ihre Macht und Bedeutung, welche
-sie im Wettbewerbe der Nationen in Chicago und Paris gezeigt hat,
-erfolgreich auf dem Weltmarkt betätigen, wenn neue Handelsverträge,
-wie wir hoffen, unseren Waren die Märkte befreundeter Nationen offen
-halten, und wenn die kräftigeren Unternehmungen durch zweckmäßige
-Organisation und rationelle Arbeitsteilung die Versuchs-, Fabrikations-
-und Verkaufsspesen auf das geringste Maß herabmindern. Im eigenen
-Interesse, wie in dem der elektrotechnischen Industrie ist deshalb
-unser Bestreben darauf ge<span class="pagenum"><a name="Seite_230" id="Seite_230">[S. 230]</a></span>richtet, in dem angedeuteten Sinne zu wirken,
-und wir halten uns die Initiative hierfür zu ergreifen für berechtigt,
-weil die innere und äußere Lage unserer Gesellschaft die Vermutung
-ausschließen sollte, daß sie auf das Zustandekommen derartiger Projekte
-angewiesen ist.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Noch weiter werden die hier angedeuteten Gesichtspunkte betreffend die
-ruinöse Konkurrenz und das Mißtrauen des Kapitals, von dem gerade die
-Elektrizitätsindustrie in den letzten Jahren außerordentlich verwöhnt
-worden war, ausgesponnen und daneben noch andere negative Momente,
-so die langsame Verwirklichung der von der Elektrizitätsindustrie
-mit Ungeduld erwarteten Elektrisierung der Vollbahnstrecken, in dem
-Geschäftsbericht der Elektrobank für das Jahr 1900/01 geschildert:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Die von kompetenten Fachleuten schon vor geraumer Zeit gemachte und
-geäußerte, anfänglich aber vielfach bestrittene Wahrnehmung, daß die
-Konjunktur in der elektrischen Industrie für einmal ihren Höhepunkt
-erreicht habe, hat durch den Geschäftsgang in dem Zeitraum, über
-welchen wir Bericht und Rechnung zu erstatten haben, eine Bestätigung
-gefunden, welche an der Richtigkeit dieser Tatsache heute wohl
-niemanden mehr zweifeln läßt. Zwar sind wenigstens die größeren
-Etablissements der elektrischen Industrie noch immer befriedigend
-beschäftigt. Aber der Bau neuer elektrischer Anlagen, sowohl für
-Beleuchtung, als für Straßenbahnen und für Kraftübertragung, hat
-doch insofern eine fühlbare Einschränkung erfahren, als es den
-Unternehmerfirmen nicht mehr so leicht gemacht ist, durch gleichzeitige
-Finanzierung der zu erstellenden Werke sich vorteilhafte Bestellungen
-zu sichern: Das Kapital drängt sich zu Anlagen in elektrischen Werten
-nicht mehr so heran, wie vor einigen Jahren. Das hat zur Folge,
-daß die Konstruktionsfirmen diejenigen Aufträge bevorzugen, welche
-für sie keine finanziellen Leistungen involvieren, selbst wenn die
-dabei zu erzielenden Preise weniger günstig sind. Daneben kommt das
-eigentliche Fabrikationsgeschäft, welches sich die Erzeugung der
-vielfältigen Verbrauchsgegenstände für die bereits bestehenden Anlagen
-zur Aufgabe stellt, immer mehr zur Geltung. Die Zeit muß lehren, ob
-alle die großen Konstruktionsunternehmungen, welche die elektrische
-Industrie namentlich in Deutschland und der Schweiz zu so hoher Blüte
-gebracht haben, auch auf dieser reduzierten Basis genügende und
-lohnende Beschäftigung finden, namentlich wenn neben der gegenseitigen
-inländischen auch<span class="pagenum"><a name="Seite_231" id="Seite_231">[S. 231]</a></span> die ausländische, speziell amerikanische Konkurrenz
-in der Folge sich noch intensiver geltend machen sollte. Jedenfalls
-ist die heutige Situation ein Ansporn, allen Bestrebungen, welche neue
-Arten der Verwendung der elektrischen Energie zu finden bezwecken,
-die größte Aufmerksamkeit zu widmen. Angesichts der unbestrittenen
-Höhe, welche die Leistungsfähigkeit unserer elektrischen Industrie,
-wissenschaftlich und praktisch, erreicht hat, darf man zuversichtlich
-hoffen, daß es ihr gelingen wird, die Aufgabe zu lösen, der
-Elektrizität Anwendung auf immer weiteren Gebieten zu sichern und
-sich damit die Möglichkeit ausreichender Tätigkeit auch in Zukunft
-zu wahren. So dürfte eine neue, der frühern nahekommende Blütezeit
-für die elektrische Industrie namentlich dann zu erwarten sein,
-wenn es gelingen sollte, das Problem eines rationellen elektrischen
-Vollbahn-Betriebes endgültig zu lösen, ein Problem, welches namentlich
-für kohlenarme, aber wasserkraftreiche Länder, wie die Schweiz, von
-sehr großer Bedeutung ist und bleiben wird.</p>
-
-<p>Für unsere Bank ist der eingetretene Unterbruch in der mehrjährigen
-glänzenden Entwicklung der Elektrizitätsbranche bis jetzt nur insofern
-von Einfluß gewesen, als auch wir uns mehr mit unseren bisherigen
-Geschäften und deren weiteren Forderung, als mit neuen Unternehmungen
-abgegeben haben.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Das Jahr 1901/1902 bringt noch eine Vertiefung der Krisis. Die
-Dividende der A. E. G. sinkt bis auf 8% und neben der Kritik
-der äußeren Dinge wird auch die Selbstkritik schärfer, wird die
-Notwendigkeit anerkannt, aus den begangenen Fehlern und Irrtümern zu
-lernen, aber doch zugleich eingestanden, daß ein Ende des Niederganges
-noch nicht abzusehen und eine volle Erkenntnis der Heilmittel noch
-nicht möglich ist. Lassen wir wieder den Geschäftsbericht in Rathenaus
-diesmal besonders scharf geprägten Worten sprechen:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Wie der wirtschaftliche Aufschwung des letzten Jahrzehntes sich um
-die aufblühende elektrotechnische Industrie konzentrierte, so steht
-diese in der gegenwärtigen Periode im Mittelpunkte des allgemeinen
-Niederganges; ja es darf heute kaum mehr geleugnet werden, daß
-die elektrische Krisis eher eine der Ursachen als eine Folge der
-wirtschaftlichen Gesamterkrankung darstellt.</p>
-
-<p>Die Ursachen der Krisis waren übermäßige Investitionen bei
-Betriebsunternehmungen, die weder mit der Kapitalskraft des
-Landes<span class="pagenum"><a name="Seite_232" id="Seite_232">[S. 232]</a></span> noch mit den landesüblichen Ansprüchen an Verzinsung im
-Einklang standen, mangelhafte Prüfung und Überkapitalisation
-dieser Unternehmungen; ungerechtfertigte <em class="gesperrt">Erweiterung der
-Fabrikationsstätten</em> auf Grund der <em class="gesperrt">Aufträge</em>, die aus
-<em class="gesperrt">Lieferung für eigene Unternehmungen stammten</em> und daher nur
-einmalige waren, Ausbreitung der Geschäfts- und Verkaufsorganisationen
-über dasjenige Maß hinaus, das durch die Basis der Fabrikation gegeben
-war.</p>
-
-<p>Die Bedeutung und Zukunft der Elektrotechnik als Faktor des modernen
-Lebens wird durch die Kalamität der Industrie nicht verringert;
-im Gegenteil ist zu erwarten, daß die durch Besorgnis gesteigerte
-Emsigkeit neue Gebiete und neue Anwendungen erschließen und die
-Kenntnis und Beherrschung der vorhandenen erweitern wird. Wenn auch
-diese Rückwirkung der elektrotechnischen Industrie zugute kommen wird,
-eine Gesundung wird schwerlich sofort erfolgen. Fürs erste handelt
-es sich darum, dem vorhandenen Zustand ins Auge zu sehen und das
-Mißverhältnis zwischen Produktionsfähigkeit und Konsum rückhaltlos zu
-konstatieren. Dies wird dem Kapitalisten heute leichter sein als vor
-einem Jahre, nachdem inzwischen vielfach Ergebnisse und Bewertungen
-in scharfen Kontrast zu mannigfachen hoffnungsvollen Erklärungen und
-Voraussagen getreten sind. Welche Mittel zu ergreifen sein werden, um
-unsere Industrie zu konsolidieren, haben wir wiederholt ausgesprochen.
-Ein engeres Zusammenschließen der großen Firmen wird sich kaum
-vermeiden lassen, wenn die Verkaufspreise der Erzeugnisse wieder auf
-ein der Fabrikation lohnendes Niveau gebracht werden sollen. Daß aber
-eine Beschleunigung des Zusammenschlusses leicht zu Übereilungen führen
-könnte, scheint uns durch die Tatsache erwiesen, daß noch im <em class="gesperrt">Verlauf
-des letzten Jahres</em> erhebliche <em class="gesperrt">Verschiebungen in der relativen
-Bewertung der einzelnen Unternehmungen</em> stattgefunden haben und
-anscheinend dauernd sich vollziehen. Schon aus diesem Grunde scheint
-uns ein klares Erfassen der Situation die nächstliegende Vorbedingung
-für spätere Sanierung.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Noch pessimistischer klingt’s im Geschäftsbericht der Elektrobank:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Der Rückschlag auf dem Gebiete der Elektrizitätsindustrie, der sich
-schon im Vorjahre als recht intensiv erwies, hat im Berichts<span class="pagenum"><a name="Seite_233" id="Seite_233">[S. 233]</a></span>jahre
-leider weitere Fortschritte gemacht, und es ist noch nicht abzusehen,
-wann die rückläufige Bewegung einem wiederkehrenden Aufschwunge weichen
-wird. Speziell das Unternehmergeschäft, das für Institute, wie das
-unsrige, in erster Linie in Betracht fällt, hat an Umfang noch mehr
-eingebüßt. Zweifelsohne trägt daran die allgemeine Depression der
-wirtschaftlichen Lage in Europa, welche durch den ungewissen Ausgang
-der Verhandlungen über den Abschluß neuer Zoll- und Handelsverträge
-noch verstärkt wird, eine Hauptschuld. Daneben wirkt aber mit, daß
-die Anlagen auf dem Gebiete der elektrischen Zentralstationen und
-Straßenbahnen, soweit es sich wenigstens um hinsichtlich ihrer
-Ertragsfähigkeit gerechtfertigte Projekte handelt, in den hierfür
-einstweilen in Betracht fallenden Ländern zum guten Teil bereits
-ausgeführt sein dürften. Eine weitere Betätigung nach dieser Richtung
-wird sich also entweder auf entferntere, politisch und wirtschaftlich
-weniger entwickelte Länder erstrecken oder durch eine Verbilligung
-der Anlagekosten und des Betriebes die Vorteile der elektrischen
-Beleuchtung und Traktion auch solchen Gemeinwesen zugänglich zu machen
-suchen müssen, die man für derartige Einrichtungen bis anhin nicht als
-genügend lohnende Objekte betrachten konnte. Wohl hat sich die deutsche
-und schweizerische Elektrizitätsindustrie auch schon wiederholt
-an große ausländische Beleuchtungs- und Transport-Unternehmungen
-herangemacht, und wir selbst haben uns finanziell an solchen
-interessiert; die Frage bleibt aber noch offen, ob namentlich die
-daherige überseeische Tätigkeit überall eine mit den vermehrten
-Risiken aller Art im Einklang stehende Entlohnung dabei findet. Und
-was die Ausdehnung elektrischer Einrichtungen im Beleuchtungs- und
-Traktionswesen auf wirtschaftlich minder entwickelte Gemeinwesen
-anbetrifft, so scheint man auch da schon jetzt oft bis an die äußerste
-Grenze des Berechtigten gegangen zu sein.</p>
-
-<p>Solange die Elektrizitäts- und deren Hilfsgesellschaften über, wie es
-damals schien, unerschöpfliche Geldmittel verfügten, wurden die ihnen
-sich bietenden Unternehmungen häufig mit einem, den tatsächlichen
-Verhältnissen widersprechenden Optimismus eingeschätzt, und die an
-der Erteilung von Konzessionen interessierten Organe nahmen nicht
-selten zum eigenen Nachteil keinen Anstand, Bewerber nur deshalb zu
-bevorzugen, weil sie glänzende Zugeständnisse machten und hohe Erträge
-in Aussicht stellten. Nach dieser Richtung<span class="pagenum"><a name="Seite_234" id="Seite_234">[S. 234]</a></span> wird die jetzt zuweilen
-beklagte Zurückhaltung des Kapitals Wandel schaffen, indem es die
-Bedingungen des Zustandekommens und die Chancen neu zu schaffender
-Elektrizitätsunternehmungen sorgfältiger prüft als bisher. Andererseits
-werden aber auch die Kreise, welche die Hebung der Gemeinden und die
-Förderung des Verkehrs durch Einführung von elektrischem Licht und
-elektrischen Bahnen mit fremden Mitteln anstreben, im eigenen Interesse
-auf die zukünftige Prosperität dieser Schöpfungen bedacht sein und den
-privaten Unternehmungen durch Gewährung günstiger Bedingungen das mit
-Übernahme derselben verbundene Risiko erleichtern müssen.</p>
-
-<p>Unter den gegenwärtigen Verhältnissen liegt einstweilen nach
-wie vor das Schwergewicht der Tätigkeit der großen elektrischen
-Konstruktionsfirmen in der Fabrikation aller Einrichtungen für
-den täglichen, laufenden Gebrauch und Verbrauch der elektrischen
-Bedarfsgegenstände aller Art. Hier aber zeigt sich immer mehr, daß
-die vorhandenen Fabrikationseinrichtungen für die gegenwärtigen
-Bedürfnisse mehr als genügend sind. Daraus resultiert ein ungemein
-intensiver Wettbetrieb und ein Preisniveau für die Erzeugnisse,
-das kaum mehr den richtigen industriellen Nutzen läßt. Daß dabei
-diejenigen Gesellschaften, welche in den guten Zeiten auf möglichst
-hohe Rücklagen und Abschreibungen Bedacht genommen und vor allem für
-die höchste technische Vervollkommnung ihrer Fabrikationseinrichtungen
-Sorge getragen haben, im Konkurrenzkampf am günstigsten dastehen,
-ja vielleicht diesen allein zu überdauern vermögen, ist
-selbstverständlich. Vielleicht wird auch für unsere europäischen
-Elektrizitäts-Gesellschaften ein engerer Zusammenschluß nach
-amerikanischem Vorbild zur Notwendigkeit, bei dem die weniger günstig
-produzierenden Anlagen einstweilen zum Stillstand verurteilt werden
-könnten, bis die Verhältnisse sich wieder gebessert haben werden. Aber
-wenn auch verschiedene Gruppen ihre Interessen vereinigen, so wird eine
-durchgreifende Besserung erst allmählich und in dem Maße eintreten,
-wie die heutigen Anwendungsarten der elektrischen Industrie auf neue
-Gebiete sich erweitern. Wird auch in dieser Richtung unablässig
-gearbeitet, und dürfen wir auch in die Fähigkeit, Intelligenz und
-Energie der Vertreter unserer elektrischen Wissenschaft und Praxis für
-die Zukunft alles Zutrauen haben, so müssen wir doch zugestehen, daß
-speziell im abgelaufenen Jahr neue, epochemachende Erfindungen auf
-elektrischem Gebiete nicht gemacht,<span class="pagenum"><a name="Seite_235" id="Seite_235">[S. 235]</a></span> auch längst anhängige wichtige
-Probleme, wie insbesondere der elektrische Vollbahnbetrieb, sehr weit
-nicht gefördert worden sind.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Doch gerade hier werden die Interessenten nicht ohne Hoffnungsschimmer
-entlassen:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„So düster das vorstehend entworfene Bild sein mag, so fehlen
-doch auch gewisse Lichtblicke nicht, die leicht eine Wendung zum
-Besseren einleiten könnten: Die starke Verbilligung vieler für die
-Elektrotechnik wichtiger Rohmaterialien, insbesondere von Kupfer
-und Eisen, hat bereits mit zur Herabsetzung der Preise elektrischer
-Maschinen, Kabel usw. beigetragen und wird die Erstellung neuer
-elektrischer Einrichtungen, sowie die Ausdehnung des Anwendungsgebietes
-der elektrischen Energie zweifelsohne fördern. Auch die ganz
-außerordentliche Geldflüssigkeit, die sich seit längerer Zeit geltend
-macht, muß früher oder später das Kapital veranlassen, sich wieder
-eine höhere Verzinsung bei der Industrie zu suchen. Das kann auch der
-Elektrizitätsbranche zugute kommen. Wie bald, das ist freilich schwer
-vorauszusagen.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Das Jahr 1902/03 bringt endlich den ersten Schritt zur Lösung und
-Überwindung der Krise. Die Dividende der A. E. G. kann zwar noch nicht
-wieder über 8% hinaus erhöht werden, aber bei der Elektrobank und
-der Elektrizitäts-Lieferungsgesellschaft werden Steigerungen von 6
-auf 6½ und 7 auf 7½% vorgenommen. Das Wesentlichste aber ist,
-daß das Mittel nicht nur gefunden, sondern auch zum erstenmal in
-durchgreifender Weise zur Anwendung gebracht wird, das den schlimmsten
-und am bösesten verwucherten Keim der Krisis, die Überproduktion und
-den ruinösen Konkurrenzkampf, zu ertöten geeignet ist. Dieses Mittel
-heißt <em class="gesperrt">Konzentration</em>. Bis dahin in der Elektrizitätsindustrie
-mit ihren völlig dezentralisierenden, durch keinerlei
-Kontrollvereinbarungen abgedämpften Absatzmethoden völlig unbekannt,
-ergriff der Gedanke der Konzentration diese Industrie, geboren aus der
-Not des Zusammenbruches und der Kraft des Kontrastes, nun stärker als
-jedes andere Gewerbe, die Macht der Schwachen völlig erschütternd,
-die der Starken aus der Erbschaft jener außerordentlich mehrend. Er
-hat die ganze Entwickelung des folgenden Jahrzehntes beherrscht, aber
-auch diesen ganzen Zeitraum gebraucht, um die Reste der früheren
-individualistischen Entwicklungsära völlig aufzusaugen und zu verdauen.
-Bevor wir diesen Weg wei<span class="pagenum"><a name="Seite_236" id="Seite_236">[S. 236]</a></span>terverfolgen, wird es notwendig sein, zu
-untersuchen, wie sich die Situation der <em class="gesperrt">gesamten Industrie</em>
-in dem Hexenkessel der Krisis gestaltet und verändert hat. Was wir
-bisher von ihr gesehen haben, war aus dem Spiegel der A. E. G.
-zurückgeworfen und gab &mdash; abgesehen von subjektiv gefärbten, übrigens
-immerhin zurückhaltenden Darstellungen der Lage des Allgemeingewerbes
-&mdash; nur die Wirkungen auf das A. E. G.-Unternehmen selbst wieder.
-Dieses Bild muß durch die Schicksale der anderen in der Industrie
-tätigen Unternehmungen, ihre Ursachen und ihre Folgen, ergänzt werden.
-Erst dann wird das Verständnis der Krise und das Verständnis ihrer
-Überwindung ganz erschlossen werden können.</p>
-
-<p>Wie wirkte nun der Niedergang auf die übrigen Unternehmungen der
-Elektrizitätsindustrie? &mdash; Wenden wir uns zunächst zu der Firma
-<em class="gesperrt">Siemens &amp; Halske</em>, die erst im Jahre 1897 &mdash; nach dem Tode Werner
-Siemens &mdash; in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden war. Das
-Kapital dieser Gesellschaft hatte bei der Gründung 35 Millionen Mark
-betragen, hatte also genau dieselbe Höhe wie das damalige Aktienkapital
-der A. E. G., auf das allerdings zu jener Zeit nur 32586000 Mark
-eingezahlt waren. In den Jahren 1898 und 1899 trug die Gesellschaft
-dem stürmischen Expansionstempo in der Elektrizitätsindustrie durch
-Erhöhungen von je 5 Millionen Mark Rechnung, und im April 1900, also
-in einer Zeit, in der der kluge und vorsichtige Emil Rathenau bereits
-warnend von der schwindenden Zuversicht in die Konjunktur sprach und
-sich wohlweislich hütete, den Kapitalmarkt noch in Anspruch zu nehmen
-(nachdem er sich allerdings vorher zu geeigneter Zeit reichlich mit
-Mitteln versehen hatte), erfolgte bei Siemens &amp; Halske noch eine
-dritte größere Kapitalvermehrung um 9500000 Mark. Die Aktien wurden
-allerdings nur teilweise &mdash; in Höhe von 4,5 Millionen Mark &mdash; auf dem
-Kapitalmarkt untergebracht, 5 Millionen Mark übernahm die Familie
-Siemens, die der Aktiengesellschaft dafür Aktien der Siemens Brothers
-&amp; Co. in London und der russischen elektrotechnischen Werke Siemens &amp;
-Halske überließ. Damit war das Kapitalbedürfnis der Siemens &amp; Halske
-Akt.-Ges. in jener Zeit der Hochspannung aber noch keineswegs gedeckt.
-Im Jahre 1898 wurde eine Obligationenanleihe von 20 Millionen Mark, im
-Jahre 1900 eine weitere von 10 Millionen Mark aufgenommen. Auch auf dem
-Gebiete des Obligationenkredits hatte Emil Rathenau seine Bedürfnisse
-in jener vor-kritischen Periode<span class="pagenum"><a name="Seite_237" id="Seite_237">[S. 237]</a></span> niedriger zu halten verstanden und
-im Jahre 1900 eine Anleihe von 15 Millionen Mark, also nur die Hälfte
-der von Siemens &amp; Halske beanspruchten Obligationen-Mittel ausgegeben.
-&mdash; Die Folge der von Siemens &amp; Halske gerade in der kritischen Zeit
-auf sich genommenen neuen Zinslasten war, daß dieses alte, historisch
-und technisch viel tiefer als die A. E. G. verwurzelte Unternehmen
-dennoch von der Krisis schärfer angefaßt wurde als die jüngere
-Konkurrenzgesellschaft. Die Aktiengesellschaft Siemens &amp; Halske,
-die in den ersten beiden Jahren ihres Bestehens Dividenden von 10%
-ausgeschüttet hatte, mußte im Jahre 1900/01 auf 6%, im Jahre 1901/02
-sogar auf 4% heruntergehen, zum Teil auch deswegen, weil sie das
-Unternehmer- und Beteiligungsgeschäft, das bei der A. E. G. schon durch
-jahrelangen Ausbau gefestigt worden war, erst in den letzten Jahren
-vor der Krisis eingerichtet, und infolgedessen noch nicht hinlänglich
-geschützt hatte.</p>
-
-<p>Immerhin hielt sich die Siemens &amp; Halske Akt.-Ges. naturgemäß doch ganz
-anders als die übrigen Elektrizitätsunternehmungen, die der zweiten
-und dritten Kategorie angehörten. Sie blieb nicht nur lebenskräftig
-und unerschüttert, sondern auch aufnahmefähig zur Übernahme
-schwachgewordener Elemente der Elektrizitätsindustrie und konnte,
-gestützt auf ihren unverwüstlichen Fundus, trotz einer nicht gerade
-elastischen, sondern eine freie Bewegung erschwerenden Organisation
-an der gewaltigen Konzentrationsbewegung, die nach Überwindung
-der Krisis einsetzte, mit erstaunlicher Aktivität teilnehmen. Für
-alle anderen Unternehmungen, &mdash; mit Ausnahme der A. E. G. und der
-Siemens &amp; Halske-Akt.-Ges. &mdash; waren die destruktiven Einwirkungen
-der Krisis aber derart schwer, daß sie nicht nur von dem akuten
-Rückschlag in ihren Grundfesten erschüttert wurden, sondern auch die
-Reorganisationskraft für alle Dauer einbüßten. Bei ihnen wurden &mdash;
-ob nun die volle Schwere der Krisis sogleich, oder erst später nach
-außenhin hervortrat &mdash; nicht nur die Bezirke an der Peripherie, sondern
-der Lebensnerv von der Krisis getroffen. Zum offenen Zusammenbruch
-kam es sofort bei der <em class="gesperrt">Elektrizitätsgesellschaft vormals Schuckert
-in Nürnberg</em>, bei der <em class="gesperrt">Akt.-Ges. Elektrizitätswerk (vorm. O.
-L. Kummer)</em> in <em class="gesperrt">Dresden</em> und bei der <em class="gesperrt">Helios-Akt.-Ges.
-für Elektrizität</em> in <em class="gesperrt">Köln</em>. Die Schuckert-Gesellschaft in
-Nürnberg war &mdash; wie wir schon gesehen haben &mdash; ein Unternehmen,
-das<span class="pagenum"><a name="Seite_238" id="Seite_238">[S. 238]</a></span> eine ausgezeichnete technische Leistungsfähigkeit und einen
-vorzüglichen Ruf in der Fachwelt besaß und sich diese auch
-trotz aller späteren Fehlschläge und Mißerfolge, die sie auf
-organisatorisch-finanziellem Gebiet erlitt, bewahren konnte. Ihre
-Anfänge und die Persönlichkeit ihres grundtüchtigen Gründers haben
-wir bereits an früherer Stelle geschildert, und späterhin auch
-gesehen, wie sich die Firma in den achtziger und am Anfang der
-neunziger Jahre die vertragliche Gebundenheit der A. E. G. und der
-Siemens &amp; Halske-Ges. im Zentralenbau derart zunutze zu machen
-verstand, daß sie zeitweilig mehr Elektrizitätswerke bauen konnte,
-als die beiden Berliner Unternehmungen zusammen. Ihre Dynamomaschinen
-besaßen vorzügliche technische Eigenschaften, auf dem Gebiete der
-kombinierten Bogen- und Glühlichtbeleuchtung gelangen ihr treffliche
-Konstruktionen. Bereits in den Jahren 1883&ndash;1886 baute die Gesellschaft
-elektrische Straßenbahnen (zwischen Schwabing bei München und
-Ungarbad) und Industriebahnen (bei Rosenheim). 1887, also wenige
-Jahre nach der Errichtung der Berliner Elektrizitätswerke, wurde in
-Lübeck die erste Elektrizitätszentrale von Schuckert gebaut, seine
-Scheinwerferkonstruktionen (mit parabolischen Spiegeln) wurden
-zeitweilig in der deutschen Marine ausschließlich verwendet. Kurzum
-eine Zeitlang hatte es den Anschein, als ob die Gesellschaft sich als
-drittes großes Gestirn neben der A. E. G. und Siemens &amp; Halske am
-Elektrizitätshimmel dauernd behaupten würde. Der gesellschaftliche
-Entwickelungsgang des Unternehmens führte im Jahre 1888 zur Bildung
-einer Kommanditgesellschaft mit einem Kapital von 2 Millionen Mark,
-an der neben Johann Siegismund Schuckert auch Hugo Ritter von Maffei
-von der Maschinenfabrik Maffei in München, die Maschinenfabrik
-Augsburg-Nürnberg und der A. Schaaffhausensche Bankverein beteiligt
-waren. In demselben Jahre wurde die Elektrotechnische Fabrik
-Spieker &amp; Co. in Köln aufgenommen. Im Jahre 1893, also in demselben
-Jahre, in dem sich die A. E. G. endgültig von Siemens &amp; Halske frei
-machte, erfolgte die Umwandlung des Schuckert-Unternehmens in eine
-Aktiengesellschaft, an der auch die Firma Felten &amp; Guilleaume, die
-in Mülheim am Rhein ein Kabelwerk betrieb, Anteil nahm. Das Kapital
-betrug 12 Mill. M., es wurde im Jahre 1896 bereits auf 18 Mill.
-M., im Jahre 1897 weiter auf 22,5 Mill. M. erhöht, wobei ein Teil
-der jungen Aktien zu dem hohen Kurse von 265% an die Firma<span class="pagenum"><a name="Seite_239" id="Seite_239">[S. 239]</a></span> Gebr.
-Naglo als Kaufpreis für deren Fabrikunternehmen gegeben wurde; im
-Jahre 1898 stieg das Kapital weiter auf 28 Millionen Mark und im
-Jahre 1899 auf 42 Millionen Mark, bei welcher Gelegenheit das noch
-im Umlauf befindliche Kapital der <em class="gesperrt">Continentalen Gesellschaft für
-elektrische Unternehmungen</em>, der Trust- und Beteiligungsgesellschaft
-des Schuckert-Konzerns, erworben wurde. Anleihen von 10, 10 und 15
-Millionen Mark wurden in den Jahren 1898, 1899 und 1901 aufgenommen
-und standen in schlechtem Verhältnis zu der Höhe des Aktienkapitals.
-Die bald nach der Aktiengründung einsetzende Periode der schnellen
-Expansion hatte der ruhige und solide, allen phantastischen Plänen
-abholde Joh. Siegismund Schuckert, der, solange er lebte, die
-technische Seele und das Gewissen des Unternehmens gewesen war, nicht
-mehr miterlebt. An seine Stelle trat Alexander Wacker, der zuerst die
-Generalvertretung der Firma Schuckert für Mittel- und Norddeutschland
-innegehabt, dann mit der zunehmenden Ausdehnung des Geschäfts die
-kaufmännische Leitung in Nürnberg übernommen hatte. Alexander Wacker
-schloß sich der Hochkonjunktur in der Elektrizitätsindustrie mit vollen
-Segeln an. Er nahm das Unternehmergeschäft nach Rathenauschem System
-auf und betrieb die fabrikatorische Expansion in großem Stile. Die
-Dividenden der Gesellschaft steigerten sich schnell von 9 auf 15%,
-bei den Kapitaltransaktionen wurde das sich aus den hohen Dividenden
-ergebende Agio des Aktienkurses bis zur letzten Neige ausgenutzt, ohne
-daß dabei aber auf die innere Stärkung des Unternehmens Rücksicht
-genommen worden wäre. Die hohen offenen Agio-Reserven vermochten das
-Unternehmen nicht vor dem Niederbruch zu bewahren. Für das Jahr 1900/01
-war im Geschäftsbericht noch eine Dividende von 10% vorgeschlagen.
-Weil aber als Folge des Krachs der Leipziger Bank 4,2 Millionen Mark
-für den Erwerb von Aktien der Bosnischen Elektrizitätswerke seitens
-der Gesellschaft sofort zu zahlen waren, die nach den ursprünglichen
-Abmachungen erst in 2 Jahren hätten fällig sein sollen, wurde die
-Dividendenzahlung von der Generalversammlung sistiert. 714602 Mark
-Unkosten und Disagio aus der Begebung der letzten noch im Krisisjahre
-1901 aufgenommenen Anleihe von 15 Millionen Mark belasteten überdies
-den Abschluß, die Erträgnislosigkeit der Continentalen Gesellschaft
-für elektrische Unternehmungen beeinträchtigte ihn weiterhin. Die
-Vorgänge bei der Gesellschaft<span class="pagenum"><a name="Seite_240" id="Seite_240">[S. 240]</a></span> wurden im Bayerischen Abgeordnetenhause
-einer abfälligen Kritik unterzogen, was die geschäftliche Entwickelung
-natürlich keineswegs förderte. Im Jahre 1901/02 fiel der Umsatz von
-72 auf 49 Millionen Mark und das Resultat dieses Jahres gipfelte nach
-Aufzehrung des Gewinnvortrages von 5549689 Mark in einem Verlust von
-nicht weniger als 15399317 Mark, durch den auch der Reservefonds in
-Anspruch genommen wurde. Die Gesellschaft war in ihren Grundlagen
-erschüttert und „fusionsreif“ geworden.</p>
-
-<p>Ganz ähnlich entwickelten sich die Verhältnisse bei der
-<em class="gesperrt">Kummer-Gesellschaft</em>. Sie war als Aktiengesellschaft im
-Jahre 1894 errichtet worden und aus der Firma O. L. Kummer, die
-in den achtziger Jahren durch den Marineingenieur gleichen Namens
-gegründet worden war, hervorgegangen. Auch hier eine stürmische
-Kapitalssteigerung von 1,5 Millionen Mark auf 2,5 Millionen Mark im
-Jahre 1896, auf 4,5 Millionen Mark im Jahre 1897, auf 7,5 Millionen
-Mark im Jahre 1898, auf 10 Millionen Mark im Jahre 1899, hohe
-Dividenden bis zu 10%, Ausnutzung des Aktienkurses zur Agiotage
-und eine über den engen Rahmen des Unternehmens weit hinausgehende
-Beteiligung am Unternehmergeschäft. Am 31. Dezember 1900 waren die
-offenen Schulden einschließlich der Bankschulden infolge des in den
-letzten Jahren schon verringerten Emissionskredites bis auf 9150239
-Mark angewachsen, erreichten also fast die Höhe des Aktienkapitals.
-Die von den Gesellschaftern beabsichtigte Geldbeschaffung zur
-Finanzierung schwebender Projekte auf dem Gebiet des Bahnen- und
-Zentralenwesens konnte nicht mehr durchgeführt werden, nachdem
-die Begebung einer Obligationenanleihe von 2,5 Millionen Mark nur
-teilweise geglückt war. Zuerst glaubte die Verwaltung mit einer
-Sistierung der Dividendenzahlungen über die Krisis hinwegzukommen.
-Der Geschäftsbericht für das Jahr 1900 berichtet sogar noch über
-die Schaffung von Ingenieurbureaus in Hannover, Bielefeld, München,
-Breslau und von mehreren in Japan und China errichteten Vertretungen.
-Bald aber wurde es klar, daß die Verhältnisse des Unternehmens nicht
-ohne Sanierung zu ordnen waren, doch auch dieser Ausweg war nach
-kurzer Zeit nicht mehr gangbar. Die Situation verschlimmerte sich
-rapide. Das Finanzinstitut, auf das sich die Gesellschaft seit ihrer
-Gründung gestützt hatte, die Creditanstalt für Industrie und Handel,
-geriet selbst in Schwierigkeiten, und es schwand die Möglichkeit, mit
-seiner Hilfe<span class="pagenum"><a name="Seite_241" id="Seite_241">[S. 241]</a></span> die Sanierung durchzuführen. Anderweitig eingeleitete
-Verhandlungen zerschlugen sich und am 15. Juni 1901 mußte wegen
-Zahlungsunfähigkeit der <em class="gesperrt">Konkurs</em> über die Gesellschaft eröffnet
-werden. Aus ihren Trümmern entstand späterhin auf gänzlich neuer
-Grundlage die Sachsenwerk-Akt.-Ges., ein Elektrizitätsunternehmen, das
-sich sehr langsam zu einer mäßigen Rentabilität entwickelte, bis ihm
-die Kriegskonjunktur zu außerordentlich günstigen Verhältnissen verhalf.</p>
-
-<p>Ein ähnliches Schicksal erlebte die <em class="gesperrt">Helios
-Elektrizitäts-Akt.-Ges.</em> Ihr Ursprung geht zurück auf die im Jahre
-1882 mit 200000 Mark Aktienkapital gegründete Kommanditgesellschaft
-für elektrisches Licht und Telegraphenbau P. Berghausen in Köln. Im
-Jahre 1884 wurde diese Firma mit einem Kapital von 1 Million Mark in
-eine Aktiengesellschaft umgewandelt; 1886 erfolgte eine Erhöhung auf
-2 Millionen Mark, 1890 eine zweite auf 3,1 Millionen Mark. Das Jahr
-1894 führte zu einer Sanierung des Unternehmens durch Herabsetzung
-des Kapitals auf 2056000 Mark, das Jahr 1895 bereits wieder zu
-einer Erhöhung auf 3 Millionen Mark. Nunmehr geht es wie bei allen
-übrigen Gesellschaften im stürmischen Tempo weiter. Das Jahr 1897
-sieht sogar zwei Kapitalerhöhungen, um 1 und 4 Millionen Mark, das
-Jahr 1898 eine Erhöhung um 2 Mill. M. und das Jahr 1899 schließlich
-eine solche um 6 Millionen Mark, so daß das Kapital der Gesellschaft
-beim Ausbruch der Krisis auf 16 Millionen Mark angewachsen war.
-Daneben wurden in den Jahren 1896 und 1898 Obligationsanleihen von
-1 und 3 Millionen Mark, im Jahre 1900 eine solche von 10 Millionen
-Mark und im Jahre 1901 noch eine von 6 Millionen Mark aufgenommen.
-Dividenden von 11 und 12% stützten das auf so schmaler Grundlage
-hochgetürmte Kapitalgebäude eine Zeitlang. Die Gesellschaft war in ganz
-besonders starkem Maße bestrebt, das Rathenausche Unternehmergeschäft
-nachzuahmen und sie schuf sich zu seiner Unterstützung eine ganze
-Reihe von Finanz- und Beteiligungsgesellschaften, so die Akt.-Ges. für
-Elektrizitätsanlagen in Köln, die Bayerische Elektrizitäts-Ges. Helios,
-die Elektrizitätsgesellschaft Felix Singer in Berlin, die Bank für
-elektrische Industrie in Wien. Aber die Krisis warf alle diese Gebilde
-über den Haufen. Die Betriebe und Tochterunternehmungen vermochten den
-Anprall des Konjunkturrückschlages nicht auszuhalten, das Jahr 1900/01
-schloß mit einer Unterbilanz von<span class="pagenum"><a name="Seite_242" id="Seite_242">[S. 242]</a></span> 4906417 Mark, die im folgenden Jahre
-auf 8853094 Mark stieg. Eine im Jahre 1902 beschlossene Sanierung
-konnte das Unternehmen nicht lebensfähig machen, das Jahr 1903/04 ergab
-eine neue Unterbilanz von 5283953 Mark und die Gesellschaft mußte in
-Liquidation treten, nachdem mit den Obligationären und Bankengläubigern
-ein kompliziertes Abkommen zur Rettung der Masse getroffen worden war
-und die großen Elektrizitätskonzerne eine Anzahl von Beteiligungen
-übernommen hatten.</p>
-
-<p class="mtop2">Nicht ganz so scharf wie die vorstehend geschilderten Unternehmungen
-wurden einige andere von der Krisis gefaßt, wenigstens gelang
-es ihnen, den offenen Zusammenbruch zu vermeiden. Die <em class="gesperrt">Union
-Elektrizitäts-Akt.-Ges.</em> in Berlin, die im Jahre 1892
-gegründet worden war, verdankt ihre Existenz starken Kapital- und
-Industriekräften, die allerdings damals noch bei weitem nicht die
-Bedeutung und Macht erlangt hatten, die sie heute besitzen. An
-ihrer Gründung waren beteiligt die Akt.-Ges. Ludw. Loewe &amp; Co. in
-Berlin, die damals noch außer ihrer Werkzeugmaschinenfabrik die
-später auf die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken übergegangene
-Waffenfabrik Martinikenfelde besaß, ferner die Dresdner Bank, die
-Firma Thyssen &amp; Co. in Mülheim, deren Industriemacht zu jener Zeit
-gleichfalls noch nicht so entwickelt war wie jetzt, schließlich die
-Thomson Houston Electric Co. in Boston, die im Jahre 1892 aus einer
-Fusion zwischen der Thomson Houston Co. mit der &mdash; uns schon aus den
-Rathenauschen, allerdings nur vorübergehend geknüpften Beziehungen
-bekannt gewordenen &mdash; General Edison Electric Co. hervorgegangen war.
-Die beiden Hauptgründer, die Firma Ludw. Löwe und die Thomson Houston
-Electric Co. hatten mit der Errichtung der „Union“ ganz bestimmte
-Zwecke verfolgt und daher das junge Unternehmen durch langfristige
-Verträge an sich gefesselt. Löwe sicherte sich &mdash; ähnlich wie dies in
-dem Vertrage zwischen Siemens &amp; Halske und der Deutschen Edison-Ges.
-der Fall gewesen war &mdash; bei der neuen Gesellschaft auf 25 Jahre ein
-Monopolrecht für den Bau und die Lieferung aller von ihr benötigten
-elektrischen Maschinen, die Firma Thomson Houston Electric Co. übertrug
-der Union ihre bekannten und ausgezeichneten Straßenbahnbau-Patente,
-nach denen bis zum Jahre 1897 etwa 70% aller elektrischen Straßenbahnen
-in Amerika und 50% aller europäischen Straßenbahnen gebaut waren.<span class="pagenum"><a name="Seite_243" id="Seite_243">[S. 243]</a></span> Dem
-Straßenbahnbau widmete sich die junge Gesellschaft auch vornehmlich
-und auf diesem Gebiete übertraf sie bald die anderen, auch die größten
-deutschen Elektrizitätsgesellschaften in dem Umfang ihrer Tätigkeit.
-Ihr eigenes Anfangskapital war nur klein, es betrug 1,5 Millionen
-Mark. Da ihre Fabrikation nur gering war und der Straßenbahnbau, ihr
-Spezialfach, sie hauptsächlich auf das Unternehmergeschäft hinwies,
-gliederte sie sich schon im Jahre 1894 in der „Gesellschaft für
-elektrische Unternehmungen“ ein Finanzunternehmen an, das mit dem
-Zehnfachen ihres Kapitals, nämlich 15 Millionen Mark, arbeitete.
-Bald aber wurde auch die Union E. G. von dem Expansionstaumel in der
-Elektrizitätsindustrie erfaßt. Ihr Aktienkapital wurde im Jahre 1896
-auf 3 Millionen Mark, und bis zum Jahre 1900 in schnellen Sprüngen
-auf 24 Millionen Mark gesteigert. Daneben wurden noch 10 Millionen
-Mark Obligationen aufgenommen. Auch diese Gesellschaft vermochte es
-in der kurzen Zeit ihrer Schnellentwickelung nicht zu einer soliden
-inneren Durchbildung zu bringen. Ihre Dividenden von 12% gingen im
-Jahre 1899/1900 auf 10%, im nächsten Jahre auf 6% und in 1901/02
-auf 4% zurück. Immerhin schien es, als ob diese Gesellschaft die
-Krisis besser überwinden würde als manche anderen Unternehmungen der
-Industrie, ja sie benutzte sogar die Zeit stillerer Beschäftigung,
-um die maschinellen Einrichtungen ihrer Fabrik durch Einführung
-besonders trefflicher Werkzeugmaschinen und vorteilhafte Anordnung und
-Anwendung „in einer Weise zu vervollkommnen, wie sie ihresgleichen kaum
-finden.“ (Geschäftsbericht für 1900/01.) Aber gerade die Kosten dieser
-inneren Umwälzung und die drückende Bürde des schlechtrentierenden
-Effektenbesitzes, den die Gesellschaft im Gegensatz zur A. E. G. nicht
-durch Vornahme innerer Abschreibungen auf einen gefahrlos niedrigen
-Stand herabgeschrieben hatte, und der daher in der Krisis immer
-weitere Kursabbuchungen verlangte, führte auch bei dieser Gesellschaft
-einen Schwächezustand herbei. Dieser veranlaßte sie, nachdem das
-Bilanzgleichgewicht bis in das Jahr 1901/02 künstlich aufrecht erhalten
-worden war, in dem Anschluß an die A. E. G. Hilfe zu suchen. Dem
-kritischen Prüferauge Emil Rathenaus hielt das notdürftig gezimmerte
-Bilanzgerüst nicht stand, und bevor die endgültige Übernahme der
-Union durch die A. E. G. erfolgte, mußte die Bilanz noch im Juni 1903
-in einer Zwischenaufstellung einer gründlichen Säuberung unterzogen
-werden. Ein<span class="pagenum"><a name="Seite_244" id="Seite_244">[S. 244]</a></span> buchmäßiger Verlust von 2549933 Mark war das äußere
-Zeichen dieser verspäteten Krisen-Reaktion.</p>
-
-<p>Noch länger konnte die <em class="gesperrt">Elektrizitätsgesellschaft vorm. Lahmeyer
-in Frankfurt a. M.</em> den vollen Umfang der Schäden verschleiern,
-den ihr die Krisis verursacht hatte. Diese Gesellschaft führte ihren
-Ursprung zurück auf die im Jahre 1896 als offene Handelsgesellschaft
-gegründeten Deutschen Elektrizitätswerke Garbe, Lahmeyer &amp; Co. Von
-dieser bezw. von dem Ingenieur W. Lahmeyer wurde im Jahre 1890 mit
-1,2 Millionen Mark Kapital die Kommanditgesellschaft W. Lahmeyer
-gegründet, die hauptsächlich große Dynamos bauen sollte. Diese Firma
-wieder errichtete im Jahre 1893 die „Elektrizitätsgesellschaft vorm.
-W. Lahmeyer in Frankfurt a. M.“ mit einem Kapital von 500000 Mark
-sowie die „Aktiengesellschaft für den Bau und Betrieb elektrischer
-Anlagen“, die eine für die Fabrikation, die andere für die Ausführung
-von Elektrizitätsanlagen. Später wurden beide Unternehmungen, da
-sich der getrennte Betrieb organisatorisch nicht bewährte, wieder
-miteinander fusioniert. Das Kapital der Gesellschaft, das im Jahre 1893
-1,7 Millionen Mark betrug, wurde 1896 auf 3 Millionen Mark, 1897 auf
-4 Millionen Mark, 1899 auf 6 Millionen Mark und 1900 auf 10 Millionen
-Mark erhöht. Im Jahre 1901 wurde das Aktienkapital gelegentlich
-der Angliederung der „Deutschen Gesellschaft für elektrische
-Unternehmungen“, der Finanzgesellschaft des Lahmeyer-Konzerns, auf
-rund 20 Millionen Mark erhöht, daneben wurden im Jahre 1898, 1901 und
-1902 Anleihen von 2, 4 und 10 Millionen Mark aufgenommen. Bei dieser
-Gesellschaft liegt also das Schwergewicht der Kapitalsvermehrung
-schon direkt in der Krisenzeit. Die Gesellschaft zahlte auch ihre
-Höchstdividende von 11% noch im Jahre 1899/1900, im Jahre 1900/01 ging
-sie auf 10% herab, und erst die beiden folgenden Jahre brachten die
-völlige Einstellung der Dividendenzahlungen. Das Jahr 1901/02 ergab
-einen Verlust von 2493871 Mark, das Jahr 1902/03 einen solchen von
-371698 Mark, wodurch der Reservefonds so gut wie vollständig aufgezehrt
-wurde. Wenn es dieser Gesellschaft gelang, die Bilanzreinigung
-länger als andere Unternehmungen hinauszuschieben, so war dies auf
-den Umstand zurückzuführen, daß eine verhältnismäßig gute, aber auf
-Kosten zu niedriger Konkurrenzpreise erreichte Beschäftigung und ein
-relativ befriedigender Geldbestand die latente Schwäche zeitweilig
-zu übertünchen gestatteten und<span class="pagenum"><a name="Seite_245" id="Seite_245">[S. 245]</a></span> die akute Gefahr hinausschoben.
-Auf die Dauer war eine derartige Bilanzierung aber natürlich nicht
-aufrechtzuerhalten. Auch die Verlustjahre 1901/02 und 1902/03 brachten
-keine wirkliche Gesundung. Eine im Jahre 1905 vorgenommene Vereinigung
-des Fabrikationsgeschäfts der Gesellschaft mit dem Kabelwerk Felten
-&amp; Guilleaume in Mülheim am Rhein, einem in sich durchaus kräftigen
-und lebensfähigen Unternehmen, gestattete eine Aufrechterhaltung der
-Scheingesundheit für ein paar weitere Jahre. Erst im Jahre 1910 ließ
-sich die innere Schwäche der Gesellschaft nicht länger verbergen und
-die Gesellschaft fiel als Fusionsobjekt der A. E. G. anheim.</p>
-
-<p>Günstiger als diese Unternehmungen, die den großen führenden
-Konzernen nach zur Universalität in der elektrischen Fabrikation
-strebten und sich von Emil Rathenau auf das gefährliche Gebiet
-der Unternehmergeschäfte locken ließen, überstanden die
-guten elektrotechnischen Spezialfabriken die Krise der Jahre
-1900&ndash;1903. Kabel- und Drahtwerke, Apparatefabriken, Dynamowerke,
-Instrumentenfabriken, die ihre Spezialität sorgfältig ohne
-Großmannssucht und ohne Übergriffe auf andere Gebiete ausbildeten,
-konnten sich auch späterhin gegen die erdrückende und aufsaugende
-Übermacht der großen Konzerne behaupten, der sich die „gemischten
-Unternehmungen“ zweiten und dritten Ranges ohne Ausnahme nicht
-gewachsen zeigten.</p>
-
-<p>Es bleibt noch zu untersuchen, weswegen die <em class="gesperrt">Krisis</em> des Jahres
-1900/01 die Elektrizitätsindustrie <em class="gesperrt">stärker mitnahm als jede andere
-gewerbliche Depression</em> vorher und nachher, wenigstens soweit die
-von uns vornehmlich behandelte Periode von der Gründung der A. E.
-G. bis zur Gegenwart in Betracht kommt. Wohl stand der Anfang der
-achtziger Jahre in der Elektrizitätsindustrie, namentlich in der
-englischen, unter dem Zeichen einer Kabelkrisis, die durch die vielen
-Gründungen von Telegraphen- und Kabelgesellschaften entstanden war.
-Gerade aber die beginnende Epoche der Starkstromindustrie und die
-Erfindung des elektrischen Bogen- und Glühlichts trugen dazu bei,
-diese Krisis verhältnismäßig schnell zu überwinden. Indem man sich
-in England unter dem Eindruck der Schäden und Verluste, die eine
-übermäßige Gründungstätigkeit auf dem Gebiete der Schwachstromtechnik
-dort verursacht hatte, vor ähnlichen Gefahren und Auswüchsen auf dem
-Gebiete der Lichtelektrizität in Zukunft durch gesetzliche Hemmungen
-und Kontrollen<span class="pagenum"><a name="Seite_246" id="Seite_246">[S. 246]</a></span> schützen zu müssen meinte, trug man dazu bei, das
-Schwergewicht der Starkstromtechnik nach anderen Ländern zu verlegen,
-von denen besonders Deutschland, dank der Voraussicht und der Energie
-Emil Rathenaus, die Führung auf dem neuen Gebiete übernahm. Die kurze
-Krisis von 1891/92 berührte natürlich auch die Elektrizitätsindustrie,
-aber sie hinterließ keine tieferen Spuren. Die Entwickelungskräfte,
-von denen die Industrie damals getrieben wurde, der Zentralenbau,
-der Straßenbahnbau und die Anfänge der Kraftübertragung, waren
-noch frisch, und zeigten bislang keine Spuren von Erschöpfung. Das
-Unternehmergeschäft war noch nicht allzusehr umstritten, und überhaupt
-die Konkurrenz in der Elektrizitätsindustrie noch verhältnismäßig
-gering, die Expansionsfreiheit bei großen Unternehmungen wie bei
-Siemens &amp; Halske und der A. E. G. beschränkt und durch Verträge
-gehindert. Diese Verhältnisse hatten sich in dem folgenden Jahrzehnt
-gründlich verändert. Die großen Erfindungen und Entwickelungsprobleme
-der achtziger Jahre hatten einen starken und zahlreichen Wettbewerb
-auf den Plan gelockt, der sich fast ganz frei betätigen und
-ausbreiten konnte, denn die Dynamomaschine und die Glühlampe, die
-technischen Träger dieser Entwickelung, hatten sich durch Patente
-nicht monopolisieren lassen. Dadurch wurden diese Erfindungen und die
-ihnen innewohnenden industriellen Möglichkeiten sehr schnell aus- und
-abgenützt, alle der Anwendung zugänglichen Objekte in kurzer Zeit
-herausgesucht und bearbeitet und zwar unter Bedingungen, die mit dem
-zunehmenden Wettbewerb sich für die Industrie verschlechterten. Die
-Zeit von 1890 bis 1900 war eine Periode der schnellen, umfassenden
-und gründlichen Durchführung, Verbesserung und Ausbildung früherer
-Erfindungen, keine Periode neuer schöpferischer und befruchtender
-Gedanken, eine Periode der Industrialisierung, keine der technischen
-Grundlegung. Der Zentralenbau hatte noch nicht den großen Schritt zur
-Überlandzentrale und erst recht noch nicht den größeren zu der Montan-
-oder Wasserkraftzentrale mit weiterem Fernübertragungsradius getan. Der
-Lichtelektrizität erstand in der scheinbar schon stark zurückgedrängten
-<em class="gesperrt">Gastechnik</em> ein alter, aber verjüngter Wettbewerber wieder, der
-mit Zähigkeit, Geschick und Glück dem elektrischen Eindringling die
-Spitze zu bieten, ja ihn zurückzuschlagen suchte. Das Gasglühlicht,
-die geniale Erfindung Auer v. Welsbachs, mit seinem großen technischen
-und ökonomischen Fortschritt<span class="pagenum"><a name="Seite_247" id="Seite_247">[S. 247]</a></span> gegenüber der alten Gaslampe nahm
-den Kampf gegen die stagnierende Technik der Kohlenfadenlampe auf.
-In der Mitte der neunziger Jahre war es, als die damals gegründete
-<em class="gesperrt">Deutsche Gasglühlicht-Akt.-Ges.</em> (<em class="gesperrt">Auer-Gesellschaft</em>)
-Dividenden von 100 und 130% ausschüttete und das märchenhafte Phantom
-am deutschen Börsenhimmel wurde, bis die Krisis auch diesen Kometen
-vorerst wieder verdunkelte. Jene Konstruktion hatte gleichfalls dem
-Versuch, sie in die Fesseln des Patentes zu schlagen, gespottet. Die
-Patentfreiheit hatte das Monopol der Auer-Gesellschaft zwar vernichtet,
-die Konkurrenz des Gasglühlichts gegenüber dem elektrischen Glühlicht
-aber wesentlich gesteigert. Später bedeutete das hängende Gasglühlicht
-einen weiteren bedeutenden Fortschritt an Lichthelle, Lichtschönheit
-und Gasersparnis. Selbst das an die elektrische Bogenlampe verlorene
-Terrain suchte die Gaslampe durch neue gelungene Konstruktionen
-wiederzuerobern. Demgegenüber gelang der Lichtelektrizität in dieser
-Zeit kein ganz großer Wurf. Die elektrische Metallfadenlampe, mit der
-Auer v. Welsbach seiner Deutschen Gasglühlicht-Ges. die durch die
-Überproduktion im Gasglühlichtgebiete erschütterte Sonderstellung
-wiederzugeben versuchte, war noch nicht auf dem Plan erschienen; die
-Nernstlampe, so ingeniös ihre Idee auch war und so enormen Aufwand an
-Kapital und Arbeit in der Konstruktion und Propaganda die A. E. G.
-ihr auch widmete, blieb eine Sonderlichtquelle von schönem, reichem
-und stromsparendem Licht. Sie bedeutete für gewisse Zwecke einen
-beachtenswerten Fortschritt, es fehlte ihr aber doch das Zündende und
-Einfache, das sie zu einem Massenbeleuchtungsartikel hätte machen
-können. Der Optimismus Emil Rathenaus sollte sich diesmal nicht ganz
-als gerechtfertigt erweisen. „Wiederum stehen wir,“ so hatte Rathenau
-in der Generalversammlung der A. E. G. vom November 1899 prophezeit,
-„wie damals in Paris an der Wiege einer neuen Beleuchtungsart.“
-Gerade aber das, was Rathenau von der Erfindung der elektrolytischen
-Beleuchtungskörper erwartet hatte, daß „das elektrische Licht mit
-ihr nicht länger seinen Triumphzug auf Paläste und vornehme Häuser
-beschränken würde, sondern vielmehr in die Hütten und Werkstätten
-Minderbemittelter eindringen und den Wettbewerb mit untergeordneten
-Beleuchtungsmitteln auch ökonomisch bestehen würde,“ hat sich mit
-der Nernstlampe noch nicht erfüllt. Diese Aufgabe wurde erst mit der
-Metallfadenlampe gelöst. &mdash; Auch auf dem Gebiet der<span class="pagenum"><a name="Seite_248" id="Seite_248">[S. 248]</a></span> elektrischen
-Bahnen schien ein Stillstand einzutreten. Im <em class="gesperrt">Strassenbahnbau</em>
-mußte sich der Kreis der <em class="gesperrt">möglichen</em> Aufträge mit ihrer Erledigung
-allmählich erschöpfen, und je stürmischer die Elektrifizierung der
-Straßenbahnen in der vorangegangenen Periode vor sich gegangen war,
-desto stärker war der Abfall in der Beschäftigung, nachdem der größte
-Teil der lokalen Pferdebahnen in den elektrischen Betrieb überführt
-war. Dieser Geschäftszweig schrumpfte zusammen und stellte bald kein
-ergiebiges Tätigkeitsfeld mehr für eine so umfangreich gewordene
-Industrie wie die elektrische dar. Was jetzt noch an Aufträgen
-einging, setzte sich aus der Nachlese der Straßenbahnbau-Tätigkeit
-und dem im Verhältnis zu den großen Fabrikationsanlagen der Werke
-geringen Reparatur- und Ergänzungsgeschäft zusammen. Der Bau von
-<em class="gesperrt">Untergrundbahnen</em> wollte noch nicht so recht vorwärts schreiten,
-und die Unternehmung im Reiche hielt es für richtig, fürs erste einmal
-die Erfahrungen abzuwarten, die man mit der Elektrischen Hoch- und
-Untergrundbahn in Berlin machen würde. Vollends die <em class="gesperrt">Elektrifizierung
-der Vollbahnen</em>, die von den Elektrizitätsfachleuten, voran Emil
-Rathenau, als das große, ertragreiche Zukunftsgebiet bezeichnet wurde,
-stieß auf schwer zu überwindende Hemmungen. Die Staatsbahnverwaltungen,
-die über die ökonomische Frage, und die militärischen Behörden,
-die über die Betriebssicherheit im Kriege recht skeptisch dachten,
-standen den großen, stürmisch geäußerten Plänen der Industrie sehr
-zurückhaltend gegenüber, und waren nur für eine langsame, vorbereitende
-Versuchsarbeit auf kurzen Strecken zu gewinnen. Alles, was in dieser
-Epoche auf elektrischem Gebiet geleistet wurde, war somit &mdash; oft sehr
-wertvolle und verdienstliche &mdash; Kleinarbeit, bot aber keine großen,
-in die Zukunft weisenden, die Phantasie und das Kapital anregenden
-Ausblicke. Der bisher stürmisch dahinsausende Wagen der Entwickelung
-verlangsamte seinen Lauf, es traten Reibungen und Hemmungen auf und der
-Schwung drohte verloren zu gehen.</p>
-
-<p>Als letztes, die Krisis auslösendes und verschärfendes Moment traten
-die <em class="gesperrt">Auswüchse des Unternehmergeschäfts</em> hinzu, das von einer
-Rathenauschen Spezialität zu einer allgemeinen Übung der Industrie
-geworden war, ohne aber in dieser allgemeinen Anwendung die Solidität,
-Sicherheit und Rückendeckung zu besitzen, die ihr der Erfinder und
-Meister für seinen Sonderfall gegeben hatte.<span class="pagenum"><a name="Seite_249" id="Seite_249">[S. 249]</a></span> Eine Zeitlang hatte
-dieses Unternehmergeschäft der Industrie verstärktes Leben einhauchen
-können, gerade diese künstliche Belebung des Pulsschlages mußte aber
-umso früher zu einer Erschöpfung und Erschlaffung führen. Die Fabriken
-waren, wie die A. E. G. es in ihrem Geschäftsbericht ausgedrückt hatte,
-auf Grund von Aufträgen, die aus Lieferungen für eigene Unternehmungen
-stammten, und darum nur einmalige waren, ungerechtfertigt erweitert
-worden. Von dieser falschen Einschätzung des Verhältnisses zwischen
-Unternehmer- und Fabrikationsgeschäft hatte sich sogar die A. E. G.
-nicht ganz freihalten können; die meisten übrigen Gesellschaften der
-elektrotechnischen Industrie hatten ihre ganze Schwerkraft darauf
-eingestellt.</p>
-
-<p>Rathenaus System war zwar in seinen Äußerlichkeiten nachgeahmt, aber
-nicht in seinem organischen Wesen begriffen und übernommen worden.
-Was Emil Rathenau in jahrelanger geduldiger Arbeit Stein auf Stein
-setzend, vom Kleineren zum Größeren schreitend, keinen Schritt tuend,
-ohne den vorigen gesichert und gefestigt zu haben, aufgebaut hatte,
-sollte von den anderen in der raschen Arbeit weniger Jahre zu gleicher
-Höhe geführt werden. Der industrielle Baugedanke, der bei Rathenau
-die Hauptsache gebildet hatte, aus dessen Durchführung erst alle
-anderen gefolgt, die Auftragsgewinne, die Effektengewinne usw. als
-Früchte langsam gereift waren, trat bei den anderen mehr und mehr in
-den Hintergrund. Sie bauten ihre Unternehmungen nicht so selbstlos
-wie möglich, damit sie als dauernde Rentenquellen ihren späteren,
-dann aber endgültigen Wert erhielten, sondern sie suchten sich schon
-an der Ausführung zu bereichern. Sie hielten die Effekten nicht
-vorsichtig zurück, bis sie wirklich emissionsreif geworden waren,
-sondern wollten den Emissions- und Finanzgewinn schnell pflücken. Die
-Banken, die ihnen nahestanden, drängten zu häufigen und schnellen
-Transaktionen, bei denen auch die Finanzinstitute umsetzen und
-verdienen konnten. Sie machten sich so zu den Herren der Finanzpolitik,
-während sie bei Rathenau stets die Diener geblieben waren. Das
-Mißverhältnis der Finanzkapitalien zu den Industriekapitalien,
-das wir bei einigen der jüngeren Gesellschaften oben festgestellt
-haben, ist charakteristisch für die falsche Anwendung der Methode
-Rathenau. So gelangen den Nachahmern zwar vielleicht am Anfang einige
-Transaktionen &mdash; wenigstens scheinbar. Die schlechten Erfahrungen,
-die das Kapitalistenpublikum<span class="pagenum"><a name="Seite_250" id="Seite_250">[S. 250]</a></span> aber schließlich mit der Mehrzahl der
-erworbenen Werte machte, diskreditierte bald ihren Emissionskredit und
-den der Elektrizitätsindustrie überhaupt. Denn es ist verständlich,
-daß für die zu Tage getretenen Enttäuschungen und Auswüchse nicht
-die falsche Anwendung des Systems Rathenau, sondern das System
-an sich verantwortlich gemacht wurde. Gerade in Hausseperioden
-wie in Krisenzeiten unterscheidet und sichtet das Publikum nicht
-ruhig und unbefangen, sondern es ist geneigt, zu verallgemeinern,
-statt zu unterscheiden. Der Rausch wie der Katzenjammer führen zu
-stimmungsmäßigem, nicht zu kritischem Urteil.</p>
-
-<p>Auch hier wieder machte die Firma Siemens &amp; Halske eine rühmliche
-Ausnahme. Das Finanzierungssystem, das auch sie schließlich gezwungen
-war anzunehmen, hat sie nicht leichtfertig gehandhabt. Daran hinderte
-sie die anerzogene Gründlichkeit und Ehrlichkeit ihrer industriellen
-Methoden. Aber die Tatsache, daß sie sich erst verhältnismäßig
-spät entschloß, Rathenau auf den von ihm eingeschlagenen Wegen zu
-folgen, hat es ihr nicht gestattet, den Vorsprung des Rivalen, wenn
-er auch vielleicht nur 3&ndash;4 Jahre alt war, einzuholen. Das zeigt die
-Rentabilität ihrer Finanzgesellschaften deutlich. Die „Schweizerische
-Gesellschaft für elektrische Industrie“, die das Siemens &amp; Halskesche
-Gegenstück zu der Rathenauschen Bank für elektrische Unternehmungen
-bildete, hat nur eine Rente von durchschnittlich 6% erreicht gegenüber
-einer solchen von 12% der Elektrobank. &mdash; Die „Elektrische Licht-
-und Kraftanlagen-Gesellschaft“, die denselben Zwecken diente wie die
-Elektrizitätslieferungsgesellschaft der A. E. G., zahlte, nachdem
-sie lange Zeit nur eine bescheidene Rente von durchschnittlich
-5% erbracht hatte, in den letzten Friedensjahren 7% gegen 10
-und 12% der Elektrizitätslieferungsgesellschaft. Ein ähnliches
-bescheidenes Erträgnis haben auch die Siemenssche „Akt.-Ges. für
-Elektrizitätsanlagen“ und die „Siemens Elektrische Betriebe Akt. Ges.“
-bisher nicht überschritten.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_251" id="Seite_251">[S. 251]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Zwoelftes_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Zwölftes Kapitel</em><br />
-
-Konzentration</h2>
-
-</div>
-
-<p>Jede große Krisis in der Wirtschaftsgeschichte hat neben dem
-allgemeinen Gesetz der Ebbe und Flut, des aus der Überspannung
-geborenen Rückschlages, noch irgendeinen bestimmten Sondercharakter
-und somit besondere Ursachen und Folgen, die sie von ihren Schwestern
-unterscheiden. D. h. nicht im innersten, wesenhaften Kern und
-auch nicht so sehr in der Art und Zahl der äußeren Merkmale oder
-Ausstrahlungen sind die Krisen voneinander verschieden, sondern
-in dem größeren oder geringeren Nachdruck, mit dem sie gewisse
-wirtschaftliche Adern und Schichten treffen, in der Stärke, mit
-der sie aus ihnen gespeist werden und in der Intensität, mit der
-solche Schichten von ihnen umgelagert werden. Fast alle Krisen
-weisen ungefähr dieselben Symptome auf, aber in der einen ist dieses
-Hauptsymptom stärker ausgeprägt, in der anderen jenes, während die
-Symptome zweiten Ranges nur eine mitschwingende, schwächer nuancierte
-Bedeutung haben. Diese Differenzierung und Unterscheidung äußert sich
-in den Ursachen, Ausdruckserscheinungen und Folgen der einzelnen
-Krisen. Gewisse Krisen entstehen hauptsächlich durch die Erfindung
-neuer revolutionierender Techniken oder durch die Schaffung neuer
-wirtschaftsverändernder Wettbewerbs- und Transportmittel. Andere
-haben ihren Grund in geldlichen Bewegungen, in monetären Umwälzungen,
-Häufungen oder Verknappungen von Zahlmitteln, sei es aus Metall
-oder Papier, die die Kaufkraft des Geldes nach oben oder nach unten
-von ihrem normalen Stande entfernen. Manche Krisen wieder entstehen
-durch den Wechsel wirtschaftspolitischer Systeme (Freihandel oder
-Schutzzoll), die gewisse Wirtschaftsformen in ihren Bedingungen
-begünstigen, andere wiederum benachteiligen. Auch<span class="pagenum"><a name="Seite_252" id="Seite_252">[S. 252]</a></span> soziale und
-politische Veränderungen können Revolutionen wirtschaftlicher Art
-zur Folge haben. Den verschiedenen Ursachen entsprechen auch stets
-die verschiedenen Äußerungs- und Wirkungserscheinungen der einzelnen
-Krisen, und jede von ihnen weist sozusagen die Gegenbilder des
-vorausgegangenen Aufschwungs und namentlich des ihm fast stets auf
-dem Fuße folgenden Überschwangs auf. Frühere Krisen hatten ihre
-Ursachen in der Entdeckung neuer großer Gold- oder Silberläger, in
-der Verdrängung von Manufakturen durch Maschinentechniken, in der
-Ausweitung der lokalen Absatzkreise zu nationalen oder internationalen
-durch die Entwickelung der Eisenbahnen und Dampfschiffe. In diesem
-Sinne war ferner die Krisis von 1873 vornehmlich eine durch politische
-und damit auch wirtschaftliche Maßstabsvergrößerung hervorgerufene,
-sowie durch geldliche Hyperthrophie begünstigte Wertveränderungskrise.
-Die von 1881, aus Frankreich stammend, hatte ihre Ursache im Gegenteil
-in einer Verkleinerung der Maßstäbe, gegen die sich der französische
-Wirtschaftsgeist, dazu bestimmt von der unternehmerischen zur
-rentnerischen Hauptfunktion überzugehen, in einer krampfhaften, doch
-vergeblichen Aufwallung zu wehren strebte. Die Krise von 1907 hatte
-ihren Ursprung in einer wirtschaftspolitischen Umwälzung der Ver.
-Staaten von Amerika, die zu einer Hochkonjunktur im dortigen Trustwesen
-und zu einer Übergründung innerlich schwach konstruierter Trustgebilde
-geführt hatte. Der internationale Güteraustausch und das überseeische
-Transportwesen waren denn auch von dieser Krise am schärfsten betroffen
-worden. Die Krise von 1913 war hinwiederum wenigstens für Deutschland
-eine typische Großstadtkrise, von der die gut konsolidierte Industrie
-und die gleichfalls gesunde Landwirtschaft nur oberflächlich berührt
-wurden, während der städtische Grundbesitz und seine künstlich
-hochgezüchteten Blüten, das Terrain-, Kaufhaus-, Theater- und
-Etablissementswesen ihre bis dahin schärfste Erschütterung erlebten.</p>
-
-<p>Die Krisis von 1901 war dagegen die ausgesprochene <em class="gesperrt">Krise der
-Großindustrie</em>, hervorgerufen durch die starken Wucherungen,
-die mit der Expansion der zur Großwirtschaft strebenden Gewerbe
-naturnotwendig verbunden waren. Die allenthalben ins Breite dringenden,
-in individueller Geschäftspolitik bis dahin ungehemmt entwickelten
-Großunternehmungen „stießen sich hart im Raume“, rieben sich aneinander
-und verstanden noch nicht, Fühlung<span class="pagenum"><a name="Seite_253" id="Seite_253">[S. 253]</a></span> miteinander zu nehmen, sich
-miteinander zu organisieren, in die Absatzgebiete zu teilen und
-gewisse Absatzfunktionen gemeinsam auszuüben. Die <em class="gesperrt">Krisis</em> des
-<em class="gesperrt">freien, ungezügelten Wettbewerbs</em> war gekommen, nachdem die
-ihr vorangegangene Epoche zu unerhört raschem Wachstum, aber auch zu
-starken Energieverlusten geführt hatte. Die Krisis, die nun folgte, war
-das deutlichste Negativ jener Entwickelungsperiode. Sie trug aber auch
-bereits das Gegengift in sich, die Keime zur Gesundung und Überwindung,
-und diese ergaben sich logisch aus der Natur und der Art der Krankheit.
-Überproduktion der zu schnell ausgedehnten Wirtschaftskräfte und
-Überflutung der beschränkten heimischen Märkte: das war die Krankheit
-gewesen. Planmäßige Eroberung der Auslandsmärkte einerseits,
-Konzentration und gegenseitiger Ausgleich der zersplitterten
-Industriekräfte andererseits, das waren die angewandten Heilmittel.</p>
-
-<p>Die Konzentration erfolgte in den verschiedensten Formen, je nachdem
-der Charakter, das Entwicklungsstadium und die Vorgeschichte der
-verschiedenen Industrien sie forderten oder begünstigten. In den
-Gewerben, die Massenfabrikate herstellten, also in der Kohlenindustrie,
-in den roheren Stadien der Eisenindustrie, erfolgte der Zusammenschluß
-auf dem Wege der <em class="gesperrt">Kartellierung</em>, d. h. der Vereinigung der
-Produzenten zur Regelung und gemeinsamen Erledigung gewisser Teile
-ihres Geschäftes unter Aufrechterhaltung der bisherigen freien
-Besitzverhältnisse. Die Not der Krisenjahre von 1901/02 war es, die
-nach dem bekannten Worte die Kartelle der Montanindustrie teils erst
-schuf, teils festigte und dauerhaft ausbaute. Daneben trat aber auch
-bereits das <em class="gesperrt">Konzentrationsprinzip</em> der <em class="gesperrt">Verschmelzung</em>,
-der Zusammenfassung mehrerer sich ergänzender Betriebe sowohl der
-Breite als auch der Tiefe nach als generelle Tendenz oder auch
-als Mode stärker hervor. Das große und gemischte Montanwerk, das
-vorher in einer Reihe von Unternehmungen, so bei Krupp, dem Bochumer
-Verein usw. als Einzelerscheinung schon verwirklicht worden war,
-begann sich zum Typus in der Montanindustrie auszugestalten. Wo
-Zusammenballungstendenzen verwirklicht wurden, drängten sie zum großen
-und gemischten Werk, das alle Stufen der Produktion vom untersten
-Rohstoff bis zum verfeinertsten Fertigfabrikat umfaßte und in dieser
-Vertiefung des Produktionsprozesses und in der Unabhängigmachung<span class="pagenum"><a name="Seite_254" id="Seite_254">[S. 254]</a></span> von
-allen Märkten außer dem letzten Markte der fertigen Verbrauchsartikel
-das Ideal des für den Produzenten höchsten und für den Konsumenten
-geringsten Unternehmergewinns suchte. Das kleine und reine Werk,
-das sich außerhalb dieser Produktionsordnung zu halten versuchte,
-wurde konkurrenzunfähig. Einmal, weil die gemischten Werke sich
-ihre Rohstoffe billiger zu beschaffen, ihre Selbstkosten durch
-Großfabrikation zu ermäßigen und darum die Verkaufspreise niedriger zu
-stellen vermochten, zweitens weil die großen gemischten Werke bald die
-Verbände in den Stufenfabrikaten beherrschten, denen sie gemeinsam mit
-den reinen Werken, &mdash; zum Teil ihren eigenen Abnehmern &mdash; angehörten
-und deren Preisbildung sie zu ungunsten der reinen Werke regeln
-konnten. Das Trustsystem benutzten sie also dazu, um sich die eigenen
-Rohstoffe zu verbilligen, das Kartellsystem u. a. dazu, um sie ihrer
-Konkurrenz zu verteuern.</p>
-
-<p>In anderen Industrien hatten sich die Vertrustungs- und
-Verschmelzungstendenzen noch reiner ausgeprägt als in der
-Montanindustrie, die sowohl Massenartikel als auch individuelle
-Produkte umfaßte und in deren Konzentration sich infolgedessen
-das System der Kartellierung mit dem der Vertrustung vermengte.
-Reine Vertrustungs-Konzentration fand in der großen chemischen
-Farbenindustrie statt, <em class="gesperrt">reine Vertrustungs-Konzentration</em> war
-auch der <em class="gesperrt">Weg der Elektrizitäts-Industrie</em>. Umfassende und
-vielfältige Gestaltung der Produktion, weitgehende Selbstbedarfsdeckung
-und Selbstabsatzwirtschaft waren hier unter Führung der Großkonzerne
-schon lange vor der Krisis wenigstens von einem Teil der Industrie
-angestrebt und erreicht worden. Die Krisis führte alsdann eine
-Ergänzung und Verstärkung dieser Vertrustungsbewegung dadurch herbei,
-daß eine Reihe der vorher selbständig entwickelten Konzerne miteinander
-verschmolzen wurde. Vor der Krise war das Konzentrationsprinzip in
-einer Zusammenfassung von Spezialbetrieben zu Gemischtbetrieben zum
-Ausdruck gekommen, nachher wirkte es sich in der Zusammenfassung
-mehrerer Gemischtbetriebe zu Kolossalbetrieben aus. Wir haben
-bei der Schilderung der Einwirkungen, die die Krisis auf die
-einzelnen Unternehmungen ausübte, bereits gesehen, daß eine Reihe
-von Unternehmungen der Elektrizitätsindustrie schwach, unfähig zur
-selbständigen, wettbewerbsfähigen Weiterexistenz, &mdash; wie man zu sagen
-pflegt &mdash; fusionsreif wurde. Sie hatten aber &mdash; wenn auch nicht
-mehr mit eigener<span class="pagenum"><a name="Seite_255" id="Seite_255">[S. 255]</a></span> Zentrilfugalkraft ausgestattet &mdash; zum Teil genug
-an technischen Werten, Kundschaft und Beteiligungsbesitz in sich,
-daß ihre Angliederung einem oder dem anderen der großen Konzerne
-verlockend erscheinen mußte. Konnten diese doch so ihr Machtgebiet
-erweitern und &mdash; was vielleicht manchmal noch entscheidender für
-sie war &mdash; eine Erweiterung des Machtgebietes der Konkurrenz
-verhindern. Der Faktor des <em class="gesperrt">Dualismus</em>, der seit jener Krisis
-die Entwickelung der Elektrizitätsindustrie zu beherrschen begann,
-also die Existenz und der Gegensatz von zwei stark, ausdehnungs-
-und kristallisationsfähig gebliebenen Gruppen, der A. E. G. und der
-Siemens &amp; Halske-Ges., hat die Konzentrationsbewegung wenn auch
-nicht veranlaßt, so doch sehr gefördert und beschleunigt. Es ist
-seither für die Verschmelzungsbewegung in der Elektrizitätsindustrie
-charakteristisch geworden, daß immer, wenn der eine der beiden Konzerne
-eine größere Angliederung vornahm, bald auch der andere zu einer
-ähnlichen Erweiterung schritt, um das Gleichgewicht in der Machtlage
-und der Marktbeherrschung wieder herzustellen. Der Übernahme der
-„Union“-Elektrizitätsgesellschaft durch die A. E. G. folgte sofort die
-Aufnahme der Schuckert-Ges. durch Siemens &amp; Halske. Die Angliederung
-der Lahmeyer-Gesellschaft durch die A. E. G. zog den Anschluß der
-Bergmann Elektrizitätswerke an Siemens &amp; Halske nach sich.</p>
-
-<p>Die Tatsache, daß die Konzentration in der Elektrizitätsindustrie fast
-ausschließlich auf dem Wege der Verschmelzung und nicht auf dem der
-Kartellierung erfolgte, war aber nicht auf den zufällig oder doch nur
-historisch begründeten Umstand zurückzuführen, daß in der Krisis von
-1901/02 eine Reihe von Unternehmungen fusionsreif wurde und von den
-starkgebliebenen Werken zu niedrigen Preisen und günstigen Bedingungen
-(unter geschickter Ausnutzung des eigenen Aktienagios) erworben
-werden konnte. Sie beruhte vielmehr auch auf dem natürlichen Umstand,
-daß die Elektrizitätsindustrie als Erzeugerin meist komplizierter,
-individueller Produkte sich für die Gleichmacherei einer Kartellierung
-im allgemeinen nicht eignete. Für die Spezialgebiete, auf denen die
-Elektrizitätsindustrie Massenartikel erzeugte, also hauptsächlich
-auf dem Gebiete der Glühlampen- und Kabelerzeugung sind sehr wohl
-Preis- und Kontingentierungssyndikate zustande gekommen, die nicht nur
-die gemischten Konzerne, sondern auch Spezialfabriken umfaßten. Im
-Geschäftsbericht des Jahres<span class="pagenum"><a name="Seite_256" id="Seite_256">[S. 256]</a></span> 1902/03 der A. E. G. werden die Gründe
-für den Vertrustungscharakter der Elektrizitätskonzentration in ganz
-ähnlicher Weise geschildert. Es heißt da:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Die bisher zumeist bekannten und betretenen Wege industrieller
-Konsolidierung, Bildung von Kartellen, Syndikaten und
-Verkaufsvereinigungen, sind für die Elektrotechniker aus zwei
-Gründen schwerer gangbar: Einmal, weil die Fabrikation in zahllose
-Gattungen von Erzeugnissen verschiedenster Konstruktion und Bewertung
-sich spaltet, sodann, weil nicht Zwischenprodukte, sondern für den
-Einzelkonsum bestimmte Endprodukte hergestellt werden, und nicht der
-weiterverarbeitende Fabrikant, sondern der Verbraucher selbst in der
-Hauptsache die Kundschaft unserer Industrie bildet. Das kaufende
-Publikum aber wünscht nicht auf die Auswahl konkurrierender Produkte
-zu verzichten und entschließt sich ungern, von einer monopolisierenden
-Organisation seinen Bedarf zu beziehen.</p>
-
-<p>Unsere Unternehmungen sind daher darauf angewiesen, organisatorische
-Ersparnis durch gruppenweise Zusammenfassung anzustreben, und die
-bisher dutzendfach geleistete Projektierungsarbeit, Propaganda und
-Verkaufstätigkeit auf eine drei- oder vierfache zu beschränken.
-Daß daneben allgemeine Verständigungen über Auswahl der Typen,
-Auslandsgeschäfte, allgemein geschäftliches Vorgehen und mannigfache
-Einzelgebiete durch Zusammenschlüsse dieser Art erleichtert werden,
-liegt auf der Hand.</p>
-
-<p>Auch sind Syndizierungen solcher Produkte keineswegs ausgeschlossen,
-bei denen die individuelle Nüanzierung wenig bedeutet, und bei denen
-geringe Korrekturen der Verkaufspreise über Gewinn und Verlust bei
-der Fabrikation entscheiden. Dies zeigt das Zustandekommen der
-Verkaufsstelle Vereinigter Glühlampenfabriken.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Anfangs hatte es den Anschein, als ob die A. E. G. schnell und
-energisch die Führung bei der Konzentrationsbewegung in die Hand
-nehmen würde, die sie theoretisch bereits in verschiedenen offiziellen
-Auslassungen als notwendig bezeichnet hatte. Doch stellten sich der
-Verwirklichung dieser Theorie manche inneren und äußeren Hindernisse
-entgegen. Bereits im Jahre 1897 wurde zwischen der A. E. G. und
-der Löweschen „Union-Elektrizitäts-Gesellschaft“ über eine Fusion
-verhandelt. Das Projekt zerschlug sich an dem hohen Preise, den die
-Union damals noch fordern zu können glaubte und Rathenau schritt
-unter Verzicht auf die Angliederung zu einer Erweiterung<span class="pagenum"><a name="Seite_257" id="Seite_257">[S. 257]</a></span> seiner
-eigenen Werke unter Erhöhung des Aktienkapitals. Auch mit Schuckert
-in Nürnberg wurden im Jahre 1901, also bereits nach Ausbruch der
-Krisis Verhandlungen eingeleitet, die damals noch in dem Bestreben
-gipfelten, die allmählich unhaltbar gewordenen Wettbewerbsverhältnisse
-in der Industrie zu erleichtern und sozusagen sanierend zu wirken.
-Diese Verhandlungen wurden aber zu jener Zeit mehr grundsätzlich
-und dilatorisch als auf konkret-geschäftlicher Grundlage geführt.
-Schuckert war damals schon wankend geworden, aber der Tag seines
-Zusammenbruchs war noch nicht gekommen. In der Generalversammlung vom
-5. Dezember 1901 interpellierte ein Aktionär die Verwaltung der A.
-E. G. über die bekanntgewordenen Gerüchte hinsichtlich einer Fusion
-mit der Nürnberger Gesellschaft. Emil Rathenau gab die Tatsache
-der Verhandlungen zu, stellte aber eine nahe Entscheidung nicht in
-Aussicht. Es sei erklärlich, so legte er dar, daß sich Verwaltungen
-zweier Konkurrenzunternehmungen in Zeiten der Krisis miteinander
-über die Marktlage aussprachen und Erwägungen anstellten, in welcher
-Weise sie sich durch engeren Anschluß ergänzen könnten. Ein festes
-Programm oder andere Ergebnisse als eine persönliche Annäherung
-der Verwaltungen hätten die jüngsten Verhandlungen, die von beiden
-Seiten ohne Leidenschaft (und wohl auch ohne sonderlichen Eifer)
-geführt wurden, bisher nicht gezeigt. Es ließe sich auch nicht
-übersehen, ob ein Resultat erzielt werden würde. Unmöglich könne
-man eine derartige Transaktion in wenigen Tagen zu Ende bringen. &mdash;
-Wer die Naturgeschichte wirklich aussichtsreicher und ernsthafter
-Transaktionen kennt, sieht sofort, daß hier nicht der Boden und
-die Atmosphäre vorhanden waren, in denen Entschlüsse wachsen. Die
-öffentliche Behandlung so heikeler Verhandlungen ertötet ihre
-Entwickelungsfähigkeit und die Realität ihrer Aussichten, zumal wenn
-ein kalter akademischer Hauch durch derartige Erörterungen geht.
-Rathenau, der kühne und unabhängige Rechengeist, dem das Urteil
-der kompakten Majoritäten sonst immer so gleichgültig gewesen ist,
-scheint mitten in der Krisis, aus der er den Ausweg noch nicht
-sieht, etwas unschlüssig und unsicher. Seine eigene Schöpfung ist
-gut konsolidiert, durch jahrzehntelange Auspolsterung mit inneren
-und äußeren Reserven so geschützt, wie Vorsicht und Voraussicht nur
-schützen können, und dennoch leidet sie unter den schlechten Zeiten,
-muß sie sich vor neuen<span class="pagenum"><a name="Seite_258" id="Seite_258">[S. 258]</a></span> Geschäften hüten. Soll sie sich mit einer
-so großen und mangelhaft organisierten Masse belasten, wie es die
-Schuckertgesellschaft ist? &mdash; Rathenau tut auch jetzt noch, als wenn
-er Aktionäre und Kapitalistenpublikum verachte und Außenstimmen keinen
-Einfluß auf das innere Rädergetriebe seiner Gesellschaft einräume:
-„Weder Anfeuerungen, noch Furcht, Enttäuschungen hervorzurufen,
-werden uns bestimmen, auf einen voreiligen Abschluß der Verhandlungen
-hinzuwirken,“ ruft er trotzig aus, der Spekulation zugewandt, die
-offenbar die Ungewißheit über den Ausgang der Verhandlungen ausgenutzt
-hat und nunmehr ungeduldig und unsicher hinsichtlich der Früchte ihrer
-Manipulationen geworden ist. Aber trotz dieser zur Schau getragenen
-Gleichgültigkeit gibt es damals doch anscheinend für Rathenau einen
-außenstehenden Faktor, von dem er sich abhängig fühlt, von dem er
-nicht genau weiß, ob er sich günstig oder ungünstig zu der Transaktion
-stellen wird: den Kapitalmarkt, der &mdash; wie er instinktiv fühlt &mdash;
-Anlagen in Elektrizitätsunternehmungen nach den gemachten schlechten
-Erfahrungen noch mißtrauisch gegenübersteht. „Das Publikum ist mit
-Recht weittragenden Kombinationen gegenüber skeptisch geworden
-und wir teilen diese Skepsis.“ Daß es nicht innerste industrielle
-Überzeugung ist, die ihn hemmt, sondern augenblickliche finanzielle
-Unsicherheit, geht wieder aus dem prinzipiellen Bekenntnis zur
-Konzentrationspolitik hervor, das er den negativen Sätzen sofort folgen
-läßt: „Daß die materiellen Voraussetzungen für lohnende Geschäfte auf
-dem Gebiet der Verständigung liegen, ist nicht zweifelhaft.“ &mdash; Er
-schildert die Ersparnisse im Laboratorium, bei den Arbeiten auf dem
-Erfindungsgebiete, bei den Versuchsarbeiten, bei der Propaganda, die
-auf dem Wege der Konzentration zu finden waren. „Eine solche Teilung
-der Arbeit könnte auch eine Mehrheit von Fabrikationsunternehmungen
-umfassen,“ sagt er, und deutet damit an, daß nicht nur an
-Interessengemeinschaft, sondern an völlige Fusion gedacht wird. Den
-in der Öffentlichkeit im Anschluß an die Konzentrationstendenzen in
-der Elektrizitätsindustrie schon damals von Theoretikern geäußerten
-Befürchtungen, daß diese Tendenzen zu einem Elektrizitätsmonopol
-führen könnten, tritt er beruhigend entgegen. „Die Grenzen werden
-uns gezogen durch die Notwendigkeit, den Wettbewerb zu erhalten, der
-für den technischen Fortschritt ebenso unentbehrlich ist, wie für
-die Verhinderung einer Monopolwirtschaft.“ &mdash; Die Aktionäre werden
-aus alledem nicht recht klug<span class="pagenum"><a name="Seite_259" id="Seite_259">[S. 259]</a></span> geworden sein. Ein halbes Ja, dem ein
-halbes Nein folgt. Das Resumée ist mehr auf Nein gestimmt. „Weder
-Expansionslust noch Waghalsigkeit werden bestimmend sein. &mdash; Es ist
-nicht beabsichtigt, für irgendwelche Kombinationen jetzt neue Mittel
-zu investieren, noch die Liquidität und die Kreditfähigkeit der A. E.
-G. zu beeinflussen.“ Der tiefblickende Bilanzkenner Rathenau witterte
-wohl, daß bei Schuckert der Boden des Fasses mit dem schlechten
-Abschluß für das Jahr 1900/01 noch nicht erreicht sei und er sollte
-recht behalten. In der nächsten Generalversammlung am 2. Dezember 1902,
-als sich das Schicksal von Schuckert bereits erfüllt hat, erlebte er
-die Genugtuung, daß ein Aktionär &mdash; anscheinend derselbe, der ihn
-in der vorigen Generalversammlung wegen des langsamen Fortgangs der
-Verhandlungen mit der Nürnberger Gesellschaft befragte &mdash; seiner
-Freude darüber Ausdruck gab, daß aus der Fusion nichts geworden sei.
-Die Freude teilten nicht alle Kenner und nicht alle Getreuen im Hause
-der A. E. G. In einer dreiwöchentlichen eingehenden Prüfung, die
-Vertrauensmänner der A. E. G., besonders Walther Rathenau und Deutsch
-an Ort und Stelle in Nürnberg vorgenommen hatten, waren einige zu der
-Überzeugung gelangt, daß diese Fusion trotz alledem zweckmäßig und
-erstrebenswert sei. Sie meinten, daß die Schuckertschen Fabrikbetriebe
-und auch die Beteiligungen soviel Wertvolles enthielten, daß ihre
-Erwerbung in jedem Falle eine außerordentliche Bereicherung des A.
-E. G.-Konzerns, nicht nur einen Zuwachs an Umfang, sondern auch
-an Qualität darstellen würde. Es käme nur auf die Bedingungen der
-Übernahme an. Ließen sie sich annehmbar gestalten, so sei das Geschäft
-zu machen, schon wegen der Gewinnung der wichtigen Stützpunkte in
-Süddeutschland, über die Schuckert verfügte. Man müßte 25 Millionen
-Mark in die Nürnberger Unternehmungen stecken, um sie auf die Höhe
-zu bringen. Allerdings könnte man eine solche Summe den bisherigen
-Leuten der Schuckert-Ges. nicht ohne weiteres anvertrauen, sondern es
-müßten erste A. E. G.-Leute für die Dauer nach Nürnberg gesetzt werden.
-Emil Rathenau scheint in jenen Zeiten unter einer Art Depression,
-einer Erschlaffung der Willens- und Entschlußkräfte gestanden zu
-haben, die ihm nicht gestattete, selbst das entscheidende Wort zu
-sprechen, wie er es in früheren Fällen, so beim Rückerwerb der B. E.
-W. und bei der Übernahme der Elektrobank ohne Zaudern, mit durchaus
-sicherem inneren Gefühl<span class="pagenum"><a name="Seite_260" id="Seite_260">[S. 260]</a></span> getan hatte, unbekümmert um die Bedenklichkeit
-und Gefährlichkeit der Lage, die auch bei jenen Transaktionen in
-den äußeren Verhältnissen vorhanden gewesen war. Die Kraft der
-Initiative war ihm zeitweilig verloren gegangen, wie schon in der
-bereits erwähnten Generalversammlung vom 5. Dezember 1901 zu erkennen
-gewesen war, in der er auf einen Angriff aus Aktionärkreisen, der
-sich gelegentlich der Einstellung seiner beiden Söhne in den Vorstand
-gegen die Aufrichtung einer „Dynastie Rathenau“ gerichtet hatte, die
-Erklärung abgab: Er müsse seine Nachfolge vorbereiten, denn er selbst
-gedenke sich in absehbarer Zeit von der Leitung der Gesellschaft
-zurückzuziehen, allerdings gehe es gegen sein Gefühl, der A. E. G.
-in der Zeit der Krisis den Rücken zu kehren. Das werde er erst tun,
-wenn für das Unternehmen wieder eine Zeit des Aufschwungs gekommen
-sei. Und was er sonst nie getan hatte, weder vorher noch nachher,
-tat er im Falle der Schuckert-Fusion. Er überließ, in einem Anfall
-von Unentschlossenheit, der seinem Charakter &mdash; wie wir ja wissen &mdash;
-gelegentlich nicht fremd war, die Entscheidung dem Direktorium. Er
-beschloß, sich der Majorität seiner Kollegen zu fügen. Gründe und
-Gegengründe drangen damals bis in die Öffentlichkeit. In einem offenbar
-von <em class="gesperrt">einer</em> Verwaltungsseite inspirierten Artikel, der Anfang 1902
-seinen Weg in die Presse fand, wurden die Vorteile der Angliederung
-breit ausgemalt. Es hieß darin:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Die Herstellungskosten des fertigen Fabrikates werden erfahrungsgemäß
-durch die Preise für die Rohmaterialien und durch die Arbeitslöhne
-wenig beeinflußt, (?) es kommt außerdem hinzu, daß, wenn diese beiden
-Summanden fallen, alle Fabrikanten ziemlich denselben Nutzen davon
-haben. Die Preise der fertigen Fabrikate geben dann ganz allgemein
-nach und für eine einzelne Fabrik kann beim Verkauf ein ins Gewicht
-fallender Nutzen hierdurch nicht erzielt werden. Es bleiben somit
-allein die <em class="gesperrt">Generalunkosten</em> übrig, durch deren Reduzierung
-Ersparnisse erzielt werden können, und der Zweck der Fusion A. E.
-G.-Schuckert ist in der Tat der, die beiderseitige Fabrikation
-durch ein Zusammenarbeiten zu verbilligen, dadurch, daß sich die
-Generalunkosten beider Gesellschaften, welche teils durch die
-eigentliche Fabrikation, teils durch den Verkauf der fertigen Fabrikate
-entstehen, sich ermäßigen.</p>
-
-<p>Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser Zweck durch die Fu<span class="pagenum"><a name="Seite_261" id="Seite_261">[S. 261]</a></span>sion
-erreicht werden würde, und es ist auch leicht einzusehen, daß damit
-ein <em class="gesperrt">Vorsprung</em> erreicht wird, welcher von anderen Firmen nicht
-leicht hinfällig gemacht werden kann. Augenblicklich, so kann man
-sagen, halten sich die Unkosten aller großen Fabriken so ziemlich
-das Gleichgewicht, der Nutzen, den die Fabrikation abwirft, ist
-gleich schlecht. &mdash; Wenn nun zwei Gesellschaften imstande sind, den
-wesentlichsten Faktor, der im Selbstkostenpreis seinen Ausdruck findet,
-herabzumindern, so müssen die anderen Fabriken erst Mittel und Wege
-finden und suchen, um das Gleiche zu erreichen, bevor das Gleichgewicht
-wieder hergestellt wird. Früher oder später tritt das natürlich ein,
-und von dann an wird ein weiteres Fallen der Preise wieder allmählich
-beginnen, bis wieder weitere Ersparnisse, um die Fabrikation rentabel
-zu machen, nötig werden.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Ferner enthielt dieser Artikel einen genauen Plan über die Organisation
-der Unkostenersparnis und der Arbeitseinteilung, die zwischen den
-beiden Fabrikationsstätten in Berlin und Nürnberg vorgenommen werden
-sollte. &mdash; Trotz aller Propaganda für den Plan überwog im Kollegium
-schließlich die Abneigung. &mdash; Es wurde zwar noch ein Versuch gemacht,
-wenigstens den Beteiligungsbesitz der Schuckert-Gesellschaft, an
-dem der A. E. G. anscheinend am meisten gelegen war, unter deren
-Einfluß zu bringen. Nachdem die umfassende Interessenvereinigung
-nicht zustande gekommen war, wurden zwischen dem Finanzkonsortium
-der A. E. G. und der Schuckert-Gesellschaft bezw. der Continentalen
-Gesellschaft für elektrische Unternehmungen, der Finanzgesellschaft
-Schuckerts, Verhandlungen eingeleitet mit dem Ziele, daß das genannte
-Konsortium der Schuckert-Gruppe einen Vorschuß von 7½ Millionen Mark
-gewähren solle. Als Unterpfand für das Darlehen sollten die im Besitz
-der „Continentalen“ befindlichen Effekten dienen, die das Berliner
-Konsortium möglichst günstig verwerten und aus denen das Darlehen
-allmählich abgetragen werden sollte. &mdash; Auch diese Verhandlungen,
-die wochenlang hin und her gingen, wurden schließlich ohne Resultat
-abgebrochen; damit war die Annäherung zwischen der A. E. G. und
-Schuckert endgültig gescheitert. &mdash; Später kam bekanntlich zwischen
-der Siemens &amp; Halske-Gesellschaft und Schuckert ein Abkommen zustande,
-wonach die beiderseitigen Starkstrombetriebe in eine Gesellschaft
-mit beschränkter Haftung, die <em class="gesperrt">Siemens-Schuckert-Werke</em>,
-eingebracht wurden. Von deren 90 Millionen Mark<span class="pagenum"><a name="Seite_262" id="Seite_262">[S. 262]</a></span> betragenden
-Stammanteilen übernahmen Siemens &amp; Halske 45050000 Mark, die
-Elektrizitätsgesellschaft Schuckert 44950000 Mark. Die Gründung dieser
-Gesellschaft erfolgte im März 1903, also ein Jahr nach dem Scheitern
-der Verhandlungen mit der A. E. G. Sie richtete die zusammengebrochene
-Schuckert-Gesellschaft wieder empor, indem sie ihr die meisten
-Fabrikbetriebe abnahm. Das Schwachstromgeschäft, die Beteiligungen, auf
-die doch bei den Verhandlungen mit der A. E. G. von dieser gerade der
-Hauptwert gelegt worden war, und die Finanzierungsaufgaben verblieben
-bei den unabhängig erhaltenen Stammgesellschaften. In dieser Form, die
-vielleicht etwas umständlich war, aber die Parität sorgfältig wahrte,
-haben sich die Siemens-Schuckert-Werke gekräftigt und bald nach der
-Überwindung der Krisis eine aufsteigende Entwickelung genommen.</p>
-
-<p>Ob unter den Gründen, die die Fusionspläne bei der A. E. G. aus
-dem Stadium der Grundsätzlichkeit in den Bereich der Aktualität
-rückten, das Beispiel eine Rolle gespielt hat, das die Erweiterung
-des Machtgebiets der Siemens &amp; Halske-Gesellschaft durch die
-Angliederung der Schuckertschen Fabriken gab, oder ob umgekehrt die
-A. E. G.-Pläne Siemens &amp; Halske anregten, kann nicht zweifelsfrei
-festgestellt werden. Die Transaktion zwischen der A. E. G. und der
-Union-Elektrizitätsgesellschaft schwebte zur gleichen Zeit, wie die
-zwischen Siemens und Schuckert und sie wurde sogar einige Tage früher
-veröffentlicht. Wo die Priorität des ersten inneren Gedankens lag, läßt
-sich nicht feststellen; zweifellos waren beiden Parteien die geführten
-Fusionsverhandlungen der anderen Gruppe nicht verborgen geblieben,
-und sie hatten damit einander beeinflußt und angespornt. Was in jenem
-obenerwähnten Zeitungsartikel als ein Vorsprung bezeichnet worden
-war, der erst allmählich von der Konkurrenz eingeholt werden müßte,
-hatte sich blitzschnell in der Taktik der beiden führenden Konzerne
-paralysiert. Keine von ihnen wartete ab, daß ein solcher Vorsprung
-zugunsten der anderen eintrat. Das Machtverhältnis sollte sich
-nicht verschieben, es mußte sofort wieder das frühere Gleichgewicht
-hergestellt werden. Das Gesetz des Dualismus begann zu wirken.</p>
-
-<p>Die A. E. G. konnte aber den Weg der Konzentration nicht nur aus
-konkurrenztaktischen, sondern aus sachlichen Gründen betreten,
-umsomehr, als er ihr schon seit langem als der zweckmäßigste, ja der<span class="pagenum"><a name="Seite_263" id="Seite_263">[S. 263]</a></span>
-einzig gangbare erschienen war. Dazu kam, daß die Krisis den Tiefpunkt
-überschritten hatte und sich bereits wieder hellere Ausblicke zu
-zeigen begannen. Die Furcht, bei einer Transaktion neue große Mittel
-zu investieren, war zwar noch nicht geschwunden. Aber immerhin war
-doch in den Wertverhältnissen der einzelnen Unternehmungen zueinander
-jetzt etwas mehr von jener Klarheit geschaffen, die Rathenau noch im
-Jahre vorher vermißt hatte, als er im Geschäftsbericht für 1901/02
-schrieb: „Daß aber eine Beschleunigung des Zusammenschlusses leicht zu
-Übereilungen führen könnte, scheint uns durch die Tatsache erwiesen,
-daß noch im Verlauf des letzten Jahres erhebliche Verschiebungen in
-der relativen Bewertung der einzelnen Unternehmungen stattgefunden
-haben und anscheinend dauernd sich vollziehen.“ Das hieß auf
-deutsch: Die Dividenden- und Kursverhältnisse, die doch bei Fusionen
-den Maßstab für den Aktienumtausch oder die Bewertung der Aktiva
-anderer Unternehmungen abgeben mußten, boten nicht nur vor, sondern
-noch <em class="gesperrt">in</em> der Krisis ein falsches Bild. Man hätte auf ihrer
-Grundlage die zu erwerbenden Objekte zu teuer bezahlt und mußte erst
-warten, bis die Krisis, dieser untrügliche Prüfstein der Werte und
-Potenzen, die Fusionsobjekte genügend verbilligt haben würde. In der
-Generalversammlung vom Dezember 1902 war Emil Rathenau sogar noch
-deutlicher geworden und hatte, nachdem doch schon empfindliche Schäden
-bei manchen Gesellschaften zu Tage getreten waren, mit dem untrüglichen
-Scharfblick des Kritikers seine Zweifel darüber ausgesprochen, „ob
-einige Gesellschaften, die einer Sanierung unterzogen worden und sich
-damit genügend organisiert glaubten, nun auch wirklich gesundet wären.“
-Die Prognose war richtig, denn schon die nächstjährigen Bilanzen
-brachten neue, noch viel schwerere Verluste bei den halbsanierten
-Unternehmungen zu Tage. Das Jahr 1902/03 erst konnte als Tiefpunkt
-der Krisis bezeichnet werden; und erst jetzt ließ sich mit Sicherheit
-erkennen, was bei den erschütterten Elektro-Unternehmungen seinen
-Wert behalten hatte und was abgestorben war. Nicht vor dem Frühjahr
-1903 entschlossen sich darum sowohl die A. E. G. wie Siemens &amp;
-Halske zu ihren ersten großen Konzentrationsgeschäften. Fast
-gleichzeitig mit der Transaktion Siemens-Schuckert wurde der erste
-Vertrag mit der „Union-Elektrizitätsgesellschaft“ den Aktionären
-der A. E. G. vorgelegt. Er enthielt lediglich den Vorschlag einer
-Interessengemeinschaft zwischen beiden<span class="pagenum"><a name="Seite_264" id="Seite_264">[S. 264]</a></span> Unternehmungen, und sollte &mdash;
-wie in der beschlußfassenden Generalversammlung erklärt wurde &mdash; den
-Beweis liefern, daß eine Verständigung der sich zusammenschließenden
-Firmen auch ohne Verzicht auf ihre Individualität erreicht werden
-könne. Diese Selbstbeschränkung, die in Wirklichkeit aber nur
-eine Halbheit war und als solche auch wohl von Rathenau innerlich
-erkannt wurde, hatte ihren Grund weniger in Zweckmäßigkeitsfragen,
-als in persönlichen Rücksichten und Vorbehalten auf beiden Seiten.
-Bei der A. E. G. wollte man anscheinend noch immer nicht an die
-große Kapitalstransaktion herangehen, die mit einer vollständigen
-Fusion unumgänglich verbunden gewesen wäre, auch hielt man die
-Bilanz-Verhältnisse bei der Union wohl noch immer nicht für geklärt
-genug, als daß man auf der damaligen Bewertungsbasis die Objekte der
-Union dauernd und unwiderruflich hätte aufnehmen wollen. Bei der
-Union hinwiederum konnte man sich zu dem Opfer der völligen Aufgabe
-der Selbständigkeit noch nicht recht entschließen. Endlich schien
-sich auch eine vorherige Auseinandersetzung mit den amerikanischen
-Verbindungen der Union als zweckmäßig zu erweisen. Man machte also aus
-der Not eine Tugend und rühmte bei der unvollkommenen Transaktion die
-Erhaltung der Individualität beider Unternehmungen. Der geschlossene
-Vertrag hatte nach den damals den Aktionären beider Gesellschaften
-gemachten ausführlichen Mitteilungen den Zweck, eine Zusammenfassung
-und möglichste Vereinigung der technischen und kommerziellen Kräfte und
-Leistungen beider Gesellschaften herbeizuführen. Für ihn sollten die
-folgenden Bestimmungen und Grundsätze gelten.</p>
-
-<p>1. <em class="gesperrt">Identität der Geschäftsführung</em> und Verwaltung, soweit dies
-gesetzlich zulässig ist;</p>
-
-<p>2. <em class="gesperrt">Arbeitseinteilung</em>, entsprechend der Eigenart der
-beiderseitigen Fabrikationseinrichtungen, unter Austausch der
-kommerziellen und technischen Erfahrungen;</p>
-
-<p>3. Möglichste <em class="gesperrt">Erhaltung</em> des gegenwärtigen
-<em class="gesperrt">Beschäftigungsverhältnisses</em> beider Gesellschaften;</p>
-
-<p>4. Tunliche <em class="gesperrt">Verschmelzung</em> der <em class="gesperrt">auswärtigen Organisationen</em>.</p>
-
-<p>Im einzelnen wurde bestimmt, daß die beiderseitigen Direktoren
-gemeinschaftlich die Geschäfte beider Gesellschaften als
-Gesamtdirektoren leiten. Die Zahl der Direktoren wurde auf zehn
-festgesetzt,<span class="pagenum"><a name="Seite_265" id="Seite_265">[S. 265]</a></span> wovon sieben der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft
-und drei der Union angehören sollten. Die Mitglieder der
-<em class="gesperrt">Aufsichtsräte</em> beider Gesellschaften bildeten zusammen den
-gemeinsamen <em class="gesperrt">Delegationsrat</em> der Gesellschaften. In dem
-Delegationsrate führten die Mitglieder jedes Aufsichtsrates zusammen
-zwölf Stimmen, ohne Rücksicht auf die Zahl der Abstimmenden. Die
-Aufsichtsräte beider Gesellschaften waren bei der Beschlußfassung über
-folgende Gegenstände an die Beschlüsse des Delegationsrates gebunden:</p>
-
-<p>1. Erweiterung oder Abtretung von Fabrikationseinrichtungen, im Falle
-es sich um mehr als 1% des Aktienkapitals der betreffenden Gesellschaft
-handelte.</p>
-
-<p>2. Dauernde Investitionen im Betrage von mehr als 2% des Aktienkapitals
-der betreffenden Gesellschaft.</p>
-
-<p>3. Abänderungen des Interessengemeinschaftsvertrages.</p>
-
-<p>4. Ausgabe von Obligationen.</p>
-
-<p>Über folgende Gegenstände sollten die Aufsichtsräte beider
-Gesellschaften nur in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des
-Delegationsrates beschließen: Vorschläge an die Generalversammlungen,
-betreffend Statutenänderung, Fusion mit anderen Unternehmungen,
-Kapitalserhöhung und -herabsetzung, Auflösung einer Gesellschaft,
-Anstellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern. &mdash; Abgesehen
-von den obigen Einschränkungen, behielten die Aufsichtsräte ihre
-bisherigen Funktionen bei. Die Aufsichtsratsmitglieder der A. E. G.
-wurden zu den Aufsichtsratssitzungen der Union E. G. eingeladen und
-nahmen daran mit beratender Stimme teil und umgekehrt. Jede der beiden
-Gesellschaften sollte zunächst in der bisher bei ihr üblichen Weise
-eine Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung aufmachen. Von dem
-Gewinn- oder Verlustsaldo dieser Vorbilanz der A. E. G. sollten von
-dieser der Union E. G. <span class="zaehler">4</span>&frasl;<span class="nenner">19</span> gutgebracht bzw. belastet werden, während
-die Union E. G. von dem Gewinn- oder Verlustsaldo ihrer Vorbilanz an
-die A. E. G. <span class="zaehler">15</span>&frasl;<span class="nenner">19</span> gutzubringen bzw. zu belasten hatte. Auf Grund der
-ermittelten Gewinn- oder Verlustziffer stellte dann jede Gesellschaft
-für sich ihre gesetzlich und statutarisch vorgeschriebene Bilanz auf.
-Der Vertrag sollte vom 1. Juli 1903 ab auf eine Dauer von 35 Jahren
-in Kraft treten. Über alle die Auslegung des Vertrages betreffenden
-oder sonst sich aus ihm ergebenden Streitigkeiten sollte ein
-Schiedsgericht entscheiden. Zur Begründung dieses Vertrages, der eine
-aktienrechtlich außerordentlich<span class="pagenum"><a name="Seite_266" id="Seite_266">[S. 266]</a></span> seltene und interessante Verquickung
-der Verwaltungsorgane zweier Gesellschaften darstellte, verlas
-Generaldirektor Rathenau in der Generalversammlung eine Erklärung, aus
-der wir folgendes hervorheben:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Mit dem Vertrag, den wir mit der Union Elektrizitätsgesellschaft
-getätigt haben, tritt die deutsche elektrotechnische Industrie in die
-Phase der Associationen, die seit Jahren zur Heilung ihrer Schäden
-von uns empfohlen werden. Daß der Zusammenschluß der Gesellschaften
-neben anderen Zwecken die Hebung der durch gegenseitige Unterbietungen
-unlohnend, zuweilen verlustbringend gewordenen Geschäfte auf eine dem
-Fabrikationsgewinn entsprechende, angemessene Höhe verfolgt, wird nicht
-in Abrede gestellt. Aber dieser Zweck soll weder durch willkürliche
-Preisfestsetzungen, noch durch Syndikatsbildungen erreicht werden, für
-welche die Elektrotechnik ihrer Natur nach sich weniger als andere
-Industrien eignet.....</p>
-
-<p>... Unser Vertrag mit der Union zeigt, daß eine Verständigung der
-sich zusammenschließenden Firmen <em class="gesperrt">auch ohne Verzicht auf ihre
-Individualität</em> erzielt werden kann. Der nach dem Vorgang der A. E.
-G. erfolgte Zusammenschluß anderer Firmen der Elektrizitätsindustrie
-beweist ferner, daß auch an anderen maßgebenden Stellen Befürchtungen
-vor den ungünstigen Folgen der Vertrustung zu weichen beginnen.
-Auch in Amerika hat die Trustbildung technische Fortschritte nicht
-ausgeschlossen, sondern gefördert, und nicht mit Unrecht wird darauf
-hingewiesen, daß in diesem Lande noch immer mehr erfunden und versucht
-wird wie in Europa.... Von keiner Seite ist bisher behauptet worden,
-daß die Interessengemeinschaft unserer Gesellschaft mit der Union
-inkongruente Elemente zusammengeführt habe; es werden vielmehr von
-allen Seiten Gründe angeführt, die gerade für diese Kombination
-sprechen. Bei unserer umfangreichen Tätigkeit, welche über die
-gesamte Starkstromtechnik sich erstreckt, <em class="gesperrt">hatten wir dem Bau
-elektrischer Eisenbahnen weniger Bedeutung</em> geschenkt als die sich
-hauptsächlich auf dieses Gebiet konzentrierende Union, der noch dazu
-die Versuche und Erfahrungen befreundeter Gesellschaften in Amerika
-zur Verfügung stehen. Von jeher hat dieses Land gerade im elektrischen
-Transportwesen einen Vorsprung erlangt, den es bei der Eigenart der
-dortigen Verhältnisse voraussichtlich noch länger zu bewahren imstande
-sein wird. Die Fabriken<span class="pagenum"><a name="Seite_267" id="Seite_267">[S. 267]</a></span> der A. E. G. und der Union ergänzen sich so
-glücklich, daß nur verhältnismäßig wenige, in beiden Unternehmungen
-gleichzeitig ausgeübte Betriebe im Interesse der Einheitlichkeit
-verschmolzen zu werden brauchen. Außerdem können Aufträge, welche
-die Union bisher anderweitig vergeben mußte, den Werkstätten der A.
-E. G. im Interesse beider zufallen. Im Besitze der Union befinden
-sich keine Aktien ihrer Trustgesellschaft. Die <em class="gesperrt">Finanzgesellschaft
-bleibt außerhalb des Vertrages</em>; ebenso sind die selbständigen,
-ausländischen Geschäfte in die jetzige Kombination nicht einbezogen
-worden. Immerhin sichert die gewählte Form des Abschlusses die
-Möglichkeit weiterer Angliederungen solcher Unternehmungen, die den
-geschaffenen Konzern zu ergänzen oder zu stärken geeignet sind.</p>
-
-<p>Die von uns gewählte Art des Zusammengehens steht der formellen
-Fusion vielleicht insofern nach, als diese einen scheinbar weniger
-umständlichen Verwaltungsapparat erfordert und der <em class="gesperrt">Gedanke einer
-Verschmelzung, von dem man ursprünglich ausgegangen war, braucht auch
-deshalb nicht aus dem Auge verloren zu werden</em>. Für jetzt wird
-man sich begnügen, den Zusammenschluß einer tatsächlichen Fusion so
-zu nähern, daß materielle Nachteile aus dem <em class="gesperrt">etwas künstlicheren
-Aufbau</em> weder für die Gesellschaften noch für die Aktionäre
-entstehen. Die verschiedenen Momente kann man ihrem wesentlichen
-Inhalte nach dahin zusammenfassen: Die gegenwärtige Lage der Industrie
-macht den Zusammenschluß der elektrotechnischen Firmen zu einer
-Notwendigkeit. Die wirtschaftlichen Vorteile des Zusammenschlusses sind
-so erheblich, daß ihnen gegenüber die Bedenken verschwinden. Interessen
-dritter werden nicht verletzt, weder Einzelner noch der Allgemeinheit.
-Dem Lande aber wird das Fortbestehen einer seiner schönsten und
-stärksten Industrien gesichert.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Wenngleich in den die Interessengemeinschaft begründenden Ausführungen
-auf die verbleibende Selbständigkeit der beiden Unternehmungen ein
-gewisser Nachdruck gelegt worden war, so betonte doch dasselbe
-Verwaltungsdokument, in einem gewissen Widerspruch zu diesem
-Individualitätsprinzip bereits, „daß der Gedanke einer Verschmelzung,
-von dem man ursprünglich ausgegangen war, deshalb nicht aus dem Auge
-verloren zu werden brauchte.“ Daß man bei der A. E. G. die gefundene
-Form von vornherein nur für eine vorläufige<span class="pagenum"><a name="Seite_268" id="Seite_268">[S. 268]</a></span> hielt und sobald als
-möglich in eine endgiltige umzuwandeln bestrebt war, geht aus allen
-nachprüfbaren Umständen hervor. Auch weiterhin blieb man in jener
-Zeit der Konzentrationsbewegung, die man während der Krisis aus
-praktischen Gründen hatte zurückdämmen müssen, mit Entschlossenheit
-zugewandt und hielt sie mit dem vorstehend geschilderten Abkommen
-noch nicht für erledigt. Der Geschäftsbericht für 1902/03 stellte
-fest: „der <em class="gesperrt">erste Schritt</em> in der Richtung, die wir stets als die
-wünschenswerte bezeichneten, ist geschehen: die vier bedeutendsten
-Unternehmungen unserer Industrie sind heute zu zwei Gruppen vereinigt,
-die mehr als dreiviertel der Gesamtproduktion repräsentieren.“
-&mdash; An einer weiteren Stelle hieß es: „In gemeinsamem Interesse
-wünschen und hoffen wir, daß die zentralisierende Bewegung in der
-Elektrotechnik andauert und unterstützt vom guten Einvernehmen der
-leitenden Persönlichkeiten die Erfolge zeitigt, deren, wenn auch
-nicht alleinige, Voraussetzung sie bildet.“ &mdash; In demselben Bericht
-konnte schon auf ein paar weitere Ergebnisse der Transaktionspolitik
-hingewiesen werden, die sich allerdings &mdash; vom Standpunkte der großen
-Entwickelung aus betrachtet &mdash; als Nebengeschäfte darstellen. Die A.
-E. G. beteiligte sich an der Umwandlung der bekannten Maschinenfabrik
-<em class="gesperrt">Gebr. Körting</em> in Hannover in eine Aktiengesellschaft, von
-deren 16 Millionen Mark betragendem Kapital sie 1,1 Millionen Mark
-übernahm. Die elektrische Abteilung des Unternehmens wurde von der
-A. E. G. ganz erworben und als G. m. b. H. insbesondere zum Zweck
-der Herstellung von Generator-Gasanlagen für elektrische und andere
-Betriebe organisiert. &mdash; Auch zwischen den beiden Großkonzernen,
-der A. E. G. und Siemens &amp; Halske, die sich bereits früher einmal
-bei der Gründung der Akkumulatorenwerke Berlin-Hagen zu gemeinsamer
-Betätigung zusammengefunden hatten, spannen sich unter dem Einfluß
-der Konzentrationsbewegung weitere Fäden. Die beiderseitigen
-funkentelegraphischen Systeme Arco-Slaby und Braun wurden in der
-Gesellschaft für drahtlose Telegraphie (System Telefunken) vereinigt.
-Nur in gemeinsamer technischer und kommerzieller Ausgestaltung der
-zu entwickelnden Anfänge konnte man hoffen, dem mächtigen englischen
-Marconi-System, das auf ein Weltmonopol namentlich in der drahtlosen
-Schiffstelegraphie hinsteuerte, die Spitze zu bieten. Auch an dem
-Bau eines großen Unternehmens in Valparaiso für Licht-, Kraft- und
-Bahnbetrieb beteiligten sich die beiden<span class="pagenum"><a name="Seite_269" id="Seite_269">[S. 269]</a></span> Konzerne. Fertiggestellt
-sollte das Werk der Deutsch-Überseeischen Elektrizitätsgesellschaft,
-jenem gewaltigen südamerikanischen Sammelunternehmen, zugeführt werden,
-in das neben der A. E. G. und der Deutschen Bank damit auch Siemens
-&amp; Halske eintraten. Derartige gelegentliche Gemeinschaftsgeschäfte
-führten aber letzten Endes keineswegs zu einer engeren Zusammenfassung
-der beiden Gesamtgruppen. Die Hauptstrome liefen weiter getrennt
-nebeneinander und vielfach sogar auseinander.</p>
-
-<p>Die <em class="gesperrt">konzentrative Hauptrichtung</em> der A. E. G. blieb in dieser
-Zeit aber auf den Ausbau der Verbindung mit der „Union“ und den
-Anschluß an das amerikanische Interessengebiet dieser Gesellschaft
-gerichtet. Diese Angelegenheit erschien Emil Rathenau so wichtig,
-daß er sich im Herbst 1903 zu einer Reise nach Amerika entschloß.
-Wie in früheren Fällen schon war ihm auch diesmal die Auffrischung
-nach den niederdrückenden Zeiten der Krisis ein körperliches und
-geistiges Bedürfnis, wie früher schon war die amerikanische Reise
-ein Jungbrunnen für seine Energien, eine Quelle neuer bezwingender
-Eindrücke, die den auch auf der Höhe des Erfolges und des Ruhmes
-frisch und naiv gebliebenen, genau so wie den jungen, unbekannten
-Ingenieur enthusiasmierten. Diesmal erschien er aber in der Neuen
-Welt nicht als einer, der einen kleinen Teil des drüben angehäuften
-Geistesreichtums in sich aufnehmen und zur Errichtung einer
-bescheidenen Existenz im Heimatlande mit sich forttragen wollte,
-sondern als ein Geistesherrscher, ein Industriekönig, der den
-führenden Männern drüben als Gleichberechtigter entgegenzutreten
-und mit ihnen über die <em class="gesperrt">Verteilung der elektrischen Welt</em> zu
-verhandeln beabsichtigte. Er kam nicht nur, um zu nehmen, sondern
-auch um zu geben, um auszutauschen. Gewiß hatte die amerikanische
-Elektrizitätsindustrie, der die Welt und der Rathenau das elektrische
-Glühlicht verdankte, inzwischen erfolgreich weiter gearbeitet und
-Erstaunliches geleistet. Aber auch die deutsche Elektrizitätsindustrie
-sah auf eine Periode glänzender Vollbringungen, systematischer
-Durcharbeitungen zurück und konnte namentlich im Zentralenwesen, auf
-dem Gebiete der Kraftübertragung, der Metallurgie und Elektrochemie
-wertvolle Kompensationen anbieten.</p>
-
-<p>Der ordentlichen Generalversammlung vom 12. Dezember 1903 wohnte
-Rathenau nicht bei. Es war kein Wunder, daß aus Kreisen<span class="pagenum"><a name="Seite_270" id="Seite_270">[S. 270]</a></span> der
-Aktionäre Interesse und Neugierde laut wurden, welche Zwecke die
-Reise des Generaldirektors verfolge, mit der sich auch schon
-die Presse angelegentlich beschäftigt hatte. Den Fragern wurde
-eingehende Auskunft. Die Union-Elektrizitäts-Ges., so hieß es, war
-eine Tochtergesellschaft der amerikanischen Thomson Houston Co.,
-von der sie als Wirkungsgebiet Mittel- und Nordeuropa zugewiesen
-erhalten und mit der sie einen Austausch von Erfindungen, Patenten
-und Konstruktionen vereinbart hatte. Später wurde die Thomson Houston
-Co. &mdash; wie wir schon wissen &mdash; mit der Edison Electric zu der General
-Electric Co. verschmolzen, deren Aktienkapital den stattlichen
-Betrag von 42 Millionen Dollar erreichte. Die amerikanischen
-Interessenten sahen nun eine Beeinträchtigung für sich darin, daß die
-A. E. G., die territorial unbeschränkt war, in Wettbewerb mit den
-Tochtergesellschaften der General Electric auf <em class="gesperrt">den</em> Gebieten des
-Weltmarkts treten konnte, die der Union verschlossen waren. Bei der
-engen Interessenverbindung, die zwischen der A. E. G. und der Union
-neuerdings bestand, war damit die Beschränkung auch für die Union
-praktisch hinfällig geworden. Der Präsident der General Electric war
-persönlich nach Europa gekommen, um mit der A. E. G.-Union-Gruppe
-auf vorbereiteter Basis ein neues Übereinkommen zu treffen, dessen
-Voraussetzung sein sollte, daß die Tochtergesellschaften der General
-Electric, die britische und die französische Thomson Houston Co.,
-denen die Mittelmeergebiete zugewiesen waren, sich der Abgrenzung der
-Organisationsgebiete anschlossen. Neben diesen Absatzfragen gab es auch
-technische Angelegenheiten zu regeln. Diese bezogen sich insbesondere
-auf die <em class="gesperrt">Turbinenfrage</em>. Die A. E. G. hatte den Turbinenbau
-aufgenommen, aus dem Bestreben heraus, sich neue Geschäftszweige zu
-schaffen, nachdem manche der alten unter dem starken Wettbewerb in
-ihrer Ergiebigkeit gelitten hatten. „Die Konstruktion von Dampfturbinen
-haben wir mit dem ihrer Bedeutung entsprechenden Nachdruck entwickelt
-und die hierbei erzielten günstigen Ergebnisse haben uns bestimmt,
-die Fabrikation dieses für stationäre Betriebe und die Seeschiffahrt
-gleich wichtigen Motors, welcher ein hervorragendes Organ auch der
-elektrischen Stromerzeugung zu werden verspricht, in großem Umfange
-zu betreiben. Zur Erfüllung dieser Aufgabe genügen unsere für andere
-Zwecke der Technik geschaffenen Einrichtungen nicht, aber wir sind bis
-zur Vollendung der neuen Projekte in der Lage, die noch zu<span class="pagenum"><a name="Seite_271" id="Seite_271">[S. 271]</a></span> schaffenden
-Typen, sowie die Hilfsmittel und Werkzeuge zu ihrer Herstellung im
-praktischen Gebrauche zu erproben.“ So hieß es im Geschäftsbericht für
-das Jahr 1902/03. Die A. E. G. stützte sich bei ihren Plänen auf die
-<em class="gesperrt">Riedler-Stumpf</em>schen Patente. Die General Electric besaß die
-wertvolle und bereits weiter entwickelte <em class="gesperrt">Curtis Turbine</em>. Während
-die General Electric große Typen herstellte, versuchte die A. E. G.,
-der für diese Zwecke damals unbeschränkte Mittel nicht zur Verfügung
-standen, die Konstruktion kleinerer Typen. Eine Vereinigung beider
-Systeme und eine damit zu erreichende Vervollkommnung des Turbinenbaus
-wurde von den Gruppen angestrebt. In der Zeit der Anwesenheit des
-Präsidenten der General Electric in Europa waren die Schwierigkeiten
-mit den Mittelmeergesellschaften noch nicht gelöst. Dagegen war es
-gelungen, mit der <em class="gesperrt">Brown Boveri-Ges.</em>, die zur Ausnutzung ihrer
-Parsons Patente die Turbinia Parsons Marine-Akt.-Ges. gegründet und
-auch einige Aufträge für die deutsche Marine erhalten hatte, ein
-Abkommen zu treffen. Die A. E. G. übernahm im Anschluß daran 5625000
-Frcs. Aktien der Brown Boveri &amp; Cie.-Ges. in Baden (Schweiz). Auch
-hier war ein Erfolg auf dem Konzentrationswege erreicht worden, der
-zwar keine Verbindung erster Größe, doch immerhin eine solche von
-Wichtigkeit auf einem Spezialgebiet darstellte.</p>
-
-<p>Die Reise Emil Rathenaus nach den Ver. Staaten löste alle noch offenen
-Probleme und überwand alle Schwierigkeiten. Am 27. Februar 1904 konnte
-eine außerordentliche Generalversammlung einberufen werden, von der die
-Anträge auf <em class="gesperrt">völlige Verschmelzung</em> der A. E. G. mit der Union
-E. G. genehmigt wurden. Aus der ausführlichen Denkschrift, die den
-Aktionären in der Generalversammlung vorgelegt wurde, sei das Folgende
-wiedergegeben:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Die Schranken, welche die Verschmelzung unserer Gesellschaften
-hinderten, sind beseitigt, und, nachdem die Beziehungen zu den
-amerikanischen Gesellschaften eine den neu zu schaffenden Verhältnissen
-entsprechende Gestaltung gefunden haben, erscheint die Fusion jetzt
-als letzte Konsequenz der Interessengemeinschaft, die eine Etappe auf
-diesem Wege war und sein sollte.</p>
-
-<p>In der Generalversammlung vom 12. Dezember 1903 sind Andeutungen über
-den Zweck der Reise des Generaldirektors der Gesellschaft nach den
-Vereinigten Staaten gemacht worden. Im Vordergrunde<span class="pagenum"><a name="Seite_272" id="Seite_272">[S. 272]</a></span> des Interesses
-stand die Regelung der zukünftigen Beziehungen der Allgemeinen
-Elektrizitäts-Gesellschaft zur General Electric Co., der mächtigsten
-Trägerin der elektrischen Industrie in der Neuen Welt. Die Werke dieser
-Gesellschaft sind von gewaltigem Umfang; sie verfügt über einen großen
-Stab fähiger Männer aus der Wissenschaft und Praxis und fördert mit
-reichen Mitteln und seltener Freigebigkeit die Ziele der elektrischen
-Industrie in Laboratorien und Versuchswerkstätten.</p>
-
-<p>Eine innige Annäherung an diese Organisation erschien umso
-erstrebenswerter, als schon das Bündnis der Union E. G. mit der
-inzwischen von der General Electric Co. aufgesaugten Thomson Houston
-Co. die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft in hervorragendem Maße
-für die Interessengemeinschaft bestimmt hatte.</p>
-
-<p>Es bestehen europäische Tochtergesellschaften der General Electric
-Co. für England, Frankreich und die Mittelmeerländer; sie haben den
-Namen Thomson Houston beibehalten. In den Vereinigten Staaten von
-Nord-Amerika werden von der General Electric Co. kontrolliert: Edison
-General Electric Co., Thomson Houston Electric Co., Fort Wayne Electric
-Works, Stanley Electric Manufacturing Co., Eddy Electric Corporation,
-General Incandescent Arc Light Co., Sprague Electric Co. und Northern
-Electric Co.</p>
-
-<p>Das Gebiet der Union E. G. war Deutschland, Mittel- und Nord-Europa und
-die Balkanstaaten. In Österreich, Rußland und Belgien hat sie unter
-Beteiligung einheimischer Finanzinstitute die österreichische bezw.
-russische Union E. G. und die Union Electrique in Brüssel errichtet.</p>
-
-<p>Die einzelnen Gesellschaften sind durch Verträge untereinander
-und mit der Muttergesellschaft auf den ihr zugewiesenen Bezirk
-geographisch beschränkt, aber frei, die Gebiete durch Separatabkommen
-zu erweitern; so hat die Union Electrique durch eine Vereinbarung mit
-der Mittelmeergesellschaft, kurz Meditomson genannt, das Recht erlangt,
-unter gewissen Bedingungen auch in Italien Geschäfte abzuschließen.</p>
-
-<p>Das alle Gesellschaften gemeinsam verbindende Element ist der
-wechselseitige Austausch von Patenten und Erfahrungen.</p>
-
-<p>Auf den Beitritt zu diesem Konzern und die Anbahnung freundschaftlicher
-Beziehungen auch zu den europäischen Unternehmungen waren unsere
-Bemühungen nicht weniger gerichtet, als auf die Ver<span class="pagenum"><a name="Seite_273" id="Seite_273">[S. 273]</a></span>allgemeinerung
-der wichtigen technischen und kommerziellen Interessen, welche wir in
-unseren Dampfturbinen-Patenten und denen von Riedler-Stumpf besaßen.
-Die Vereinigung der letzteren mit den Patenten der Curtisgruppe, die
-die General Electric Co. zur eigenen Ausübung in den Vereinigten
-Staaten erworben hatte und für andere Länder zu verwerten im Begriff
-stand, erschien uns nützlich.</p>
-
-<p>Unsere zahlreichen Verträge mit den amerikanischen und europäischen
-Gesellschaften enthalten folgende Hauptpunkte:</p>
-
-<p>1. Eine Vereinbarung, nach welcher die Allgemeine
-Elektrizitäts-Gesellschaft und die General Electric Co. ihre Gebiete
-für sich und ihre Tochtergesellschaften gegenseitig abgrenzen und jede
-Partei der anderen Patente und Erfahrungen für die betreffenden Gebiete
-überläßt.</p>
-
-<p>Das ausschließliche Gebiet der General Electric Co. umfaßt im
-wesentlichen die Vereinigten Staaten von Nord-Amerika und Kanada, das
-der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft Deutschland mit Luxemburg,
-Österreich-Ungarn, europäisches und asiatisches Rußland, Finnland,
-Holland, Belgien, Schweden, Norwegen, Dänemark, Schweiz, Türkei und die
-Balkanstaaten.</p>
-
-<p>Für die Gebiete der europäischen Tochtergesellschaften sind
-langsichtige Separatabkommen geschlossen, für die anderen Weltteile
-einschließlich Süd-Amerika ist ein gemeinsames Arbeiten der beiden
-großen Elektrizitätsgesellschaften in Aussicht genommen, Abmachungen,
-welche ein langjähriges und ersprießliches Zusammenwirken erwarten
-lassen.</p>
-
-<p>Auf die Vereinbarungen über Italien werden wir später noch
-zurückkommen; in Spanien und Griechenland bleiben die bisherigen
-Verhältnisse einstweilen unverändert.</p>
-
-<p>2. Die General Electric Co. und die Allgemeine
-Elektrizitäts-Gesellschaft gründen eine Gesellschaft mit 3 Millionen
-Mark zur Verwertung der Riedler-Stumpf- und Curtis-Patente im Gebiete
-der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft. Hierbei sind die Patente
-von Curtis mit 1,8 Millionen Mark, die von Riedler-Stumpf mit 1,2
-Millionen Mark bewertet. Die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft
-hat sich eine Lizenz gesichert. Sie erlangt hiermit auch das
-Lieferungsrecht nach allen außereuropäischen Ländern mit Ausnahme der
-Vereinigten Staaten und Kanada, für welche die General Electric Co. die
-Riedler-Stumpf-Rechte erwirbt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_274" id="Seite_274">[S. 274]</a></span></p>
-
-<p>3. Das Recht der Benutzung von Curtis-Patenten für Betriebsmaschinen
-von Schiffen war der International Curtis Marine Turbine Co.
-vorbehalten. Diese hat der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft
-Lizenz für deren europäisches Gebiet erteilt, wogegen die letztere
-der Marine Turbine Co. die Verfügung über Riedler-Stumpf-Patente für
-Schiffsbewegungszwecke gestattet.</p>
-
-<p>4. Mit den Professoren Riedler und Stumpf besitzt und bearbeitet die
-Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft deren Dampfturbinen-Patente
-in der Gesellschaft zur Einführung von Erfindungen m. b. H. Die
-Patente sind nunmehr an die Vereinigte Dampf-Turbinen-Gesellschaft
-und für Nord-Amerika an die General Electric Co. übergegangen, die
-Marine-Rechte an die Marine-Turbinen-Gesellschaften, während die
-genannten Erfinder an den der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft
-gewährten Gegenleistungen beteiligt werden.</p>
-
-<p>5. Mit der British Thomson Houston Co. ist ein analoger Vertrag, wie
-der mit der General Electric Co. über das Exportgeschäft geschlossen
-worden. Es sind der englischen Gesellschaft aber außerdem im Interesse
-der Geschäftsbetriebe noch gewisse Befugnisse eingeräumt worden, u. a.
-die finanzielle Beteiligung an der englischen Tochtergesellschaft der
-Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft und an einer in England etwa
-zu gründenden Gesellschaft für Herstellung von Nernstlampen. Dagegen
-bleibt der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft das Recht, außer
-anderen Fabrikaten auch Turbinen nach England zu liefern, vorbehalten.</p>
-
-<p>6. Wie mit der britischen Gesellschaft findet auch mit
-der französischen Thomson Houston Co. ein gegenseitiger
-Austausch der Patente und Erfahrungen statt. Die Allgemeine
-Elektrizitäts-Gesellschaft wird ihre französische Organisation auf den
-Verkauf ihrer Erzeugnisse in Frankreich beschränken und Maschinen,
-sowie Dampfturbinen nur an die französische Gesellschaft liefern,
-welcher eine Option auf den Bezug von Aktien der Société Française
-d’Electricité A. E. G. bis zu einem gewissen Betrage zugesichert ist.
-Dagegen garantiert die französische Thomson Houston Co. der Allgemeinen
-Elektrizitäts-Gesellschaft einen dem bisherigen Umsatz an Maschinen in
-Frankreich entsprechenden Bezug von Dynamos.</p>
-
-<p>Aus den Verträgen ergibt sich für uns das Recht und die Pflicht,
-folgende Gesellschaften zu gründen:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_275" id="Seite_275">[S. 275]</a></span></p>
-
-<p>I. eine Gesellschaft für den Bau von Dampfturbinen, Turbodynamos
-und deren Zubehör. Die „Allgemeine Dampfturbinen-Gesellschaft“ soll
-mit einem nach Bedarf einzuzahlenden Aktienkapital von 5 Millionen
-Mark ausgerüstet werden. Die Aktien zeichnet die Allgemeine
-Elektrizitäts-Gesellschaft. Als Fabrikanlage werden Grundstücke,
-Gebäude und Maschinen der Union E. G., deren Fabrikbetrieb mit dem
-der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft verschmolzen worden ist,
-voraussichtlich dienen. Die vorgenannten Immobilien würden der
-Allgemeinen Dampfturbinen-Gesellschaft auf eine Reihe von Jahren mit
-dem Rechte des Erwerbes verpachtet werden. Die technische Leitung wird
-Herrn Direktor Lasche, in dessen Hände der Turbinenbau der Allgemeinen
-Elektrizitäts-Gesellschaft sich gegenwärtig bereits befindet,
-übertragen.</p>
-
-<p>II. Die oben erwähnte Turbinen-Licenz-Gesellschaft; diese ist unter
-der Firma „Vereinigte Dampfturbinen-Gesellschaft m. b. H.“ bereits
-errichtet.</p>
-
-<p>III. Eine italienische Gesellschaft mit einem Kapital von 6 Millionen
-Lire, auf die die bisherigen Organisationen der Allgemeinen
-Elektrizitäts-Gesellschaft und der Thomson Houston-Gesellschaft, sowie
-die italienischen Turbinen-Patente sämtlicher Gruppen übergehen.</p>
-
-<p>IV. Zwischen der Union Electrique in Brüssel und der Société
-Belge d’Electricité A. E. G. ist ein analoges Abkommen, wie es
-zwischen der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft und Union
-Elektrizitäts-Gesellschaft besteht, einstweilen getroffen; eine
-förmliche Fusion dieser Gesellschaften dürfte vielleicht später sich
-vollziehen.</p>
-
-<p>Sind schon die Aufwendungen für die genannten Gesellschaften, den
-Erwerb von Patenten und die Gewährung von Vorschüssen und aus den
-erwähnten Transaktionen von beträchtlichem Belang, so erfahren sie noch
-eine Vermehrung durch Übernahme von Aktien der Österreichischen Union
-E. G., an der die hiesige Union E. G. hervorragend beteiligt ist, und
-die wir sowohl aus diesem Interesse, als auch zur Schaffung geeigneter
-Fabrikationsstätten in Österreich, einer durchgreifenden Rekonstruktion
-zu unterziehen beabsichtigen.</p>
-
-<p>Endlich wird die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft die häufig im
-Wege des Kredits beschafften <em class="gesperrt">Betriebsmittel der Union E. G.</em>,
-falls sie ihre durch zwei Jahrzehnte bewährte Finanzgebarung<span class="pagenum"><a name="Seite_276" id="Seite_276">[S. 276]</a></span> auch auf
-diese Geschäfte übertragen will, <em class="gesperrt">ergänzen und verstärken müssen</em>.</p>
-
-<p>Zur <em class="gesperrt">Beschaffung</em> der für die Durchführung des vorgezeichneten
-Programms erforderlichen <em class="gesperrt">Kapitalien</em> unterbreiten wir folgende
-Vorschläge Ihrer geneigten Erwägung:</p>
-
-<p>Die Union E. G. verfügte nach der Bilanz vom 30. Juni 1903 über
-Effekten und Anlagen im eigenen Betriebe zum Buchwerte von ca. 13
-Millionen Mark, aber die Objekte befinden sich größtenteils in der
-Entwicklung, haben keinen Börsenkurs und würden deshalb schwer flüssig
-gemacht werden können. Zur Verwertung dieser Vermögensobjekte wird
-die Union E. G. unter Gewährleistung angemessener Erträgnisse den
-größten Teil dieses Besitzes der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft
-überlassen und dafür von ihr 6,5 Millionen Mark nominal neu
-auszugebender Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschafts-Aktien mit
-Gewinnberechnung vom 1. Juli 1903 empfangen. Diese 6,5 Millionen Mark
-neuer Aktien hat sich der Union E. G. gegenüber ein Konsortium zu einem
-Kurse von 210% tel quel netto ohne Stückzinsenberechnung abzunehmen
-bereit erklärt.</p>
-
-<p>Vermöge dieser Transaktion würde die Union in den Besitz von
-Barmitteln in Höhe von ca. 13650000 Mark gelangen, und die Allgemeine
-Elektrizitäts-Gesellschaft die erworbenen Effekten unter Abzug der
-aus dieser Transaktion entstehenden Spesen und Zinsen weit unter dem
-Buchwerte bei der Union E. G. inventarisieren dürfen.</p>
-
-<p>Sollte dieses Anerbieten Ihre Zustimmung finden, so
-würden wir gleichzeitig den Antrag stellen, die bisherige
-<em class="gesperrt">Interessen-Gemeinschaft</em> der beiden Gesellschaften
-<em class="gesperrt">aufzuheben</em> und den Umtausch der Aktien der Union E. G. gegen
-solche der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft im Verhältnis der
-durch die Interessengemeinschaft festgesetzten Relationen von 3:2
-zum Zwecke einer späteren Fusion bezw. Liquidation der Union E. G.
-zu vollziehen. Diese Verschmelzung würde wesentlich noch dadurch
-erleichtert werden, daß Immobilien, Betriebsinventarien, Waren und
-Materialien teils auf die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft
-übergehen, welche zugleich Kasse, Wechsel, Kautionen, Vorräte,
-Debitoren, Versicherungsprämien und Patente zu übernehmen hätte. Da die
-Reserven der Union E. G. den aus der Bilanz sich ergebenden Verlust des
-letzten Jahres reichlich decken, so wäre das teils in bar, teils in
-sofort<span class="pagenum"><a name="Seite_277" id="Seite_277">[S. 277]</a></span> realisierbaren Werten vorhandene Gesellschaftskapital der Union
-E. G. zur Durchführung sämtlicher Transaktionen vorhanden.</p>
-
-<p>Aktionäre der Union E. G., welche über die Hälfte des Aktienkapitals
-verfügen, haben den eventuellen Umtausch ihrer Aktien unter diesen
-Bedingungen zugesagt, und wir zweifeln nicht, daß die übrigen ihrem
-Beispiel folgen werden.</p>
-
-<p>Aber auch die Aktionäre der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft
-hätten Grund zur Zufriedenheit, denn ihre Gesellschaft würde gegen
-Hergabe von 22½ Millionen neuer Aktien und Übernahme von 10
-Millionen Obligationen erstens 34 Millionen liquider Mittel, zweitens
-Effekten, Zentralen und Bahnen, welche bei der Union E. G. mit
-mehr als 13 Millionen Mark zu Buche stehen, und drittens Rechte,
-Erfahrungen, Patente, die gesamten Grundstücke und Fabrikanlagen und
-die Organisation dieser Gesellschaft erlangen, sowie in den alleinigen
-und ausschließlichen Besitz der Rechte und Verträge treten, die namens
-der deutschen Gruppe mit den oben erwähnten Parteien geschlossen sind.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Das äußere Resultat, sozusagen der Mantel, mit dem die Fülle der neuen
-Lebens- und Schaffensformen umkleidet wurde, ist die Kapitalserhöhung
-der A. E. G. um 26 auf 86 Millionen Mark. Die vielen kleineren und
-größeren Kräfte, die mit den Transaktionen des 27. Februar 1904 dem
-Fundus der A. E. G. zugefügt wurden, setzten ihr Wirken fort, aber
-ihr Pulsschlag, ihre Richtung und ihr Taktschritt wird dem größeren
-Leben der A. E. G. angepaßt, ihren Gesichtspunkten und Interessen
-eingeordnet, &mdash; gewiß nicht im ersten Wurfe, sondern in langsamer,
-zusammenschweißender und abschließender Organisationsarbeit. Allmählich
-gingen sie auf in dem regelmäßig und einheitlich arbeitenden
-Räderwerk, das der Betrieb eines Riesenunternehmens wie der A.
-E. G. darstellte, darstellen mußte, wenn nicht Reibungsverluste,
-Desorganisation, Absterben von Trieben den Organismus verfallen lassen
-sollten. Nur wer die ungeheuren Schwierigkeiten und die gewaltige
-Menge an Kleinarbeit, Disharmonik und Unstimmigkeit kennt, die mit
-einer Eingliederung und Abstimmung oft heterogener Fusionselemente
-verbunden sind, wer es einmal gesehen hat, wie neben den durch die
-Fusion erhaltenen und belebten Kräften auch andere der Verpflanzung
-sich widersetzen und verkümmern, ja wie manchmal der ganze theoretisch
-fein ausgeklügelte Fusionsgedanke sich bei der Verwirklichung
-als irrtümlich und<span class="pagenum"><a name="Seite_278" id="Seite_278">[S. 278]</a></span> verfehlt erweist, der kann ermessen, welche
-kaufmännische Leistung die <em class="gesperrt">Durchführung</em> einer so umfangreichen
-und vielgestaltigen Transaktion wie der vorstehend geschilderten
-bildet. Für den Außenstehenden ist die Angelegenheit damit erledigt,
-daß der Plan der Transaktionsarchitektur im großen festgelegt ist,
-die Personalveränderungen in den höchsten Stufen, bei Aufsichtsrat
-und Vorstand, erfolgt und die Generalversammlungsformalitäten erfüllt
-sind. Die neuen Aktien sind da und verbergen dem Außenstehenden das
-Chaos, das noch besteht, das Durcheinander der Meinungen, Gewohnheiten
-und Methoden, das nun erst zu ordnen, in Reih und Glied zu bringen
-ist. Welche ungeheure Menge an Fehlschlägen, an Verstimmungen,
-an Vergewaltigungen nach der papierenen Beschlußfassung über die
-Verschmelzung noch zu entstehen vermag, ahnt der Aktionär nicht, dessen
-Wertpapiere nur eine andere Uniform angezogen haben. Oder er bekommt
-es manchmal erst später zu erfahren, wenn sich herausstellt, daß das
-Mißlingen der Fusionsdurchführung die Rente und die Aktie entkräftet
-hat. Auch solche Fälle von unheilbarer Fusionskrankheit gibt es,
-und gerade in der Elektrizitätsindustrie ist ein sehr lehrreiches
-Beispiel dieser Art in der Fusion des Felten Guilleaume Carlswerks
-mit der Elektrizitäts-Ges. Lahmeyer zu finden, die kurze Zeit nach
-der Verschmelzung der A. E. G. mit der Union E. G. aus derselben
-Konzentrationstendenz heraus und mit ähnlichen Absichten erfolgte.
-Hier war nicht Kräftigung, sondern Schwächung die Folge der in der
-Durchführung mißlungenen Fusion, und bei der später wieder erforderlich
-werdenden Trennung war es gerade die Reorganisationskraft der A. E.
-G., die das Übel heilen mußte und heilen konnte. Nicht nur in der
-Anlage von Fusionsplänen, sondern auch in ihrer Durchführung haben
-Rathenau und seine Mitarbeiter stets eine überragende Meisterschaft
-bekundet. Gewiß gab es auch bei ihnen im einzelnen Rückstände
-im Einschmelzungsprozeß, aber die große Reservekapazität ihrer
-Unternehmungen gestattete es diesen, derartige Verluste bei Fusionen
-leicht zu verwinden, ja von vornherein mit in die Rechnung einzustellen.</p>
-
-<p>Das Gesetz der Rivalität und des <em class="gesperrt">Dualismus</em> wurde durch die
-Ausdehnung der A. E. G. auf das amerikanische Interessengebiet
-augenblicklich in Tätigkeit gesetzt. Siemens &amp; Halske leiteten bald
-nach Bekanntwerden der Reise Rathenaus nach Amerika und der damit
-verbundenen Pläne Verhandlungen mit dem <em class="gesperrt">Westinghouse<span class="pagenum"><a name="Seite_279" id="Seite_279">[S. 279]</a></span>-Konzern</em>
-ein, der zeitweilig seinen mit großer Kühnheit und Vielseitigkeit
-entworfenen Unternehmungen größere Ausdehnung zu geben verstanden
-hatte als selbst die General Electric. Georg Westinghouse, ein Geist
-von hohen technischen und kaufmännischen Fähigkeiten, hatte ähnliche
-Bahnen beschritten wie Rathenau, aber gerade bei ihm machte sich
-verhältnismäßig früh das Fehlen einer soliden Fundierung, einer inneren
-Festigung und Sicherung der durch die Expansion eroberten großen und
-mit verschwenderischer Fülle ausgestatteten Gebiete geltend. Die
-amerikanische Krisis des Jahres 1907 erschütterte die Fundamente seiner
-Gründungen und stellte sie vor die Notwendigkeit einer Reorganisation.
-Die Westinghouse-Gesellschaft mußte sich damals unter Receiverschaft
-(Zwangsverwaltung) begeben, während Emil Rathenau die Genugtuung hatte,
-daß die von ihm beratene General Electric den Sturm überstehen konnte.
-So waren es letzten Endes hüben und drüben nur wenige der aus der
-großen Schwungkraft der Elektrizitätsbewegung geborenen Unternehmungen,
-die aus der Feuerprobe der Krisis ungeschwächt hervorgingen. Die
-wenigen allerdings, die stark blieben, wurden durch den Verlust und
-den Fall der anderen noch stärker und konnten einen Teil der Werte
-aufraffen, die von den anderen hatten aufgegeben werden müssen.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_280" id="Seite_280">[S. 280]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Dreizehntes_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Dreizehntes Kapitel</em><br />
-
-Weltwirtschaft</h2>
-
-</div>
-
-<p>Es kamen die Jahre der Reife und der Ernte. Nachdem die Krisis
-überwunden, der Besitz durch sie gemehrt, die früher mit unzulänglichen
-Mitteln unternommene Einflußausdehnung auf die verwandte Industrie der
-Neuen Welt mit gesammelter Kraft wiederholt, die überseeische Tätigkeit
-durch mächtige Stützpunkte und gewaltige Kulturbauten fest gegründet
-worden war, brauchte eine Erschütterung der Position nicht mehr
-befürchtet zu werden. Eines der größten Unternehmungen Deutschlands
-nicht nur, sondern auch eines der bekanntesten im Auslande war die
-A. E. G. geworden. Der Weltruf war geschaffen. Nur wenige deutsche
-Industrie-Unternehmungen standen ihr darin gleich. Vielleicht Krupp,
-Siemens, die Hamburg-Amerika-Linie und der Norddeutsche Lloyd. Die
-Riesenhüttenwerke Rheinland-Westfalens konnten es an internationaler
-Popularität mit ihr nicht aufnehmen, weil sie für breite Teile ihres
-Absatzes nicht unmittelbar, sondern durch die großen Montanverbände,
-Kohlensyndikat, Stahlwerksverband, Walzdrahtverband usw. mit der
-Auslandskundschaft in Berührung traten.</p>
-
-<p>Nach der stilleren Laboratoriumsarbeit, der inneren Ausgestaltung
-der Betriebe und Methoden, die in der Zeit der Krisis und Nachkrisis
-zu Ersparnissen und Verbilligungen in der Arbeit führen sollten,
-kam wieder die Zeit des kühnen Planens, der neuen Entwürfe und
-Geschäfte. Es wurde nicht mehr gespart, sondern gewagt, um zu
-gewinnen. Millionen wurden wieder auf eine Karte gesetzt, und
-die Zurückhaltung gegenüber neuen Projekten, die Rathenau in den
-Generalversammlungen der vergangenen Jahre gepredigt hatte, drückte
-nicht mehr auf die Schaffensfreudigkeit. Die Fenster wurden weit
-wie nie zuvor geöffnet, und frische Luft drang von allen Seiten in<span class="pagenum"><a name="Seite_281" id="Seite_281">[S. 281]</a></span>
-Bureauräume und Fabrikhallen. Auch in äußeren Dingen wurde mehr auf
-Repräsentation und würdige Aufmachung gegeben als vorher. Man mußte
-auch dadurch erweisen, daß man an der Spitze der deutschen Industrie
-marschierte und Welthaus geworden war. Statt des engen und veralteten
-Verwaltungsgebäudes, das die A. E. G. von den B. E. W. gemietet und
-mit ihnen geteilt hatte, entstand der in seiner Schlichtheit schöne
-und monumentale <em class="gesperrt">Messelbau</em> am Friedrich Karl-Ufer. Statt der
-roten Backsteinfabriken, wie sie die 80er und 90er Jahre in einer
-unschönen Mischung von Kasernen- und Trutzburgenstil geschaffen hatten,
-&mdash; Bauwerke, die den Fabrikcharakter mehr verdecken, als zum Ausdruck
-bringen sollten &mdash; entstanden die Maschinen- und Turbinenhallen Peter
-<em class="gesperrt">Behrens</em>, massige, dabei doch leichte und lichte Zweckbauten
-aus Stein, Beton und Eisen, die mit selbstbewußter Sachlichkeit, doch
-ohne Aufdringlichkeit den Verwendungszweck der Gebäude betonten. Das
-Großgewerbe fand seinen künstlerischen Stil und die Kunst begann das
-Großgewerbe zu verstehen.</p>
-
-<p>Neue große Fabrikbauten entstanden an allen Betriebsstätten des
-Unternehmens. Die Grundstücke der Union E. G. in der Sickingen-
-und Huttenstraße wurden zur Verlegung ganzer gesonderter
-Produktionsabteilungen benutzt. Neben dem Kabelwerk Oberspree wurden
-neue Betriebe, so ein Messingwalzwerk, eine eigene Eisen- und
-Stahldrahtfabrik, eine Automobilfabrik errichtet. Schließlich als
-die in der Stadt und nahe der Stadt liegenden Grundstückskomplexe
-der Gesellschaft nicht mehr ausreichten, wurde in Hennigsdorf am
-neuen Großschiffahrtsweg Berlin-Stettin im Jahre 1909 ein weites
-zusammenhängendes Gelände erworben, auf dem neue Betriebe entstanden
-und der Expansionsdrang sich frei ausleben konnte.</p>
-
-<p>Die Selbstbedarfsdeckung und die Vielseitigkeit im Produktionsprozeß
-wurden weiter ausgedehnt, und gingen soweit, daß eigene Porzellan-,
-Gummi- und Papierfabriken als Hilfsbetriebe entstanden. Dabei hat
-sich die A. E. G. allerdings nicht eigensinnig auf die Durchführung
-eines lückenlosen Selbstbedarfsdeckungsprinzips versteift, wo es
-nicht rationell in den herrschenden Marktverhältnissen begründet
-war. Als zum Beispiel die französische Gummireifen-Firma Michelin
-plötzlich dazu überging, die Verkaufspreise ihrer Fabrikate um 50%
-herabzusetzen, stellte Rathenau kurzentschlossen die Eigenproduktion in
-diesem Artikel ein, denn er konnte seinen Bedarf<span class="pagenum"><a name="Seite_282" id="Seite_282">[S. 282]</a></span> am Markte billiger
-eindecken. Das System der Selbstbedarfsdeckung wurde von der A. E. G.
-auch nicht soweit ausgedehnt, daß das Gleichgewicht des Aufbaus durch
-die Angliederung „schwerer“ Nebenbetriebe beeinträchtigt worden wäre.
-Insbesondere hielt sich Rathenau davon zurück, die Hauptrohstoffe
-seiner Produktion in eigenen Betrieben zu erzeugen. Ein Strousberg
-hätte vielleicht den jährlichen Kupferverbrauch von zuletzt mehr als
-30000 t zum Anlaß genommen, sich eine eigene Kupfermine in Amerika
-zu kaufen. Emil Rathenau war ein zu vorsichtiger Rechner, um in
-derartige Nebenbetriebe, die ihm möglicherweise eine etwas günstigere
-Materialbeschaffung gestattet hätten, ein Kapital zu investieren,
-das im Mißverhältnis zu den Anlagen seiner Hauptwerke stand und mit
-dem er in seinen Verfeinerungsbetrieben weit mehr verdienen konnte.
-Bei aller Großzügigkeit in der Fabrikationspolitik war er doch frei
-von jeder Großmannssucht. Er suchte Wirkungen, nicht Effekte. Auch
-der Versuchung, eine Kohlenzeche zu erwerben, widerstand er, denn
-er hätte deren Produkte nur zum Teil ausnutzen können, zum anderen
-Teil verkaufen und damit Geschäftszweige aufnehmen müssen, die
-seinem Gebiet ganz fern lagen. Die Feldererwerbungen im Bitterfelder
-Braunkohlenrevier dienten nicht der Brennstoffversorgung der A.
-E. G., sondern der Stromerzeugung besonderer Kraftwerke. Eine
-eigene Stahlanlage in Steinfort schuf sich der A. E. G.-Konzern nur
-indirekt durch das Felten-Guilleaume-Carlswerk in Mülheim, dessen
-Aktienmajorität er im Jahre 1910 erwarb. Im allgemeinen verfolgte
-Rathenau das Prinzip, über den Kreis der Elektrizitätsindustrie nicht
-hinauszugehen, und von Erwerbungen, die nur teilweise in diesen
-Kreis hineingehörten, mit beträchtlichen Abschnitten aber in andere
-Industrien hineinragten, wollte er nicht viel wissen. Dafür war er aber
-darauf bedacht, sein eigenes Gebiet, das der Elektrizitätsindustrie, so
-weit als möglich auszubauen, innerhalb dieses Gebietes alle möglichen
-Techniken und Betriebszweige zu entwickeln, alle Absatzmöglichkeiten
-durch Sonderorganisationen zu pflegen und alle Hilfsindustrien, soweit
-dies mit angemessenen Kosten möglich war, sich anzugliedern.</p>
-
-<p>Eine eigenartige Entwickelung nahm im neuen Jahrhundert die
-<em class="gesperrt">Beleuchtungs-Industrie</em>. Die A. E. G. hatte durch Übernahme und
-Entwickelung der <em class="gesperrt">Nernstlampe</em> die Führung auf diesem Urgebiete
-der Starkstromtechnik, die sie bei ihrer Gründung<span class="pagenum"><a name="Seite_283" id="Seite_283">[S. 283]</a></span> durch den Erwerb der
-Edisonpatente für Deutschland inne gehabt hatte, sich von neuem sichern
-und festigen wollen. Große Mittel waren in diese Lampe investiert
-worden, der Erfolg hatte sich allmählich eingestellt, überwältigend
-wäre er nie geworden, &mdash; auch wenn die <em class="gesperrt">bessere</em> Metallfadenlampe
-nicht gekommen wäre, und sofort über die gute Nernstlampe den Sieg
-davon getragen hätte.</p>
-
-<p>Die sogenannten „ökonomischen“ Lampen waren nicht aus einer in sich
-selbst begründeten Fortentwickelung der elektrischen Glühlampe
-entstanden, sondern sie wurden gesucht und gefunden, weil das
-Gasglühlicht in seinen modernen Formen die „stromfressende“, teure und
-lichtschwache Kohlenfadenlampe völlig zu verdrängen drohte. Zuerst
-hatte man es mit einer Verbesserung der Ökonomie des Kohlenfadens
-versucht und durch die sogenannte Metallisierung dieses Fadens in
-der Tat eine Stromersparnis von etwa 30% zu erreichen verstanden.
-Das genügte aber nicht lange und höhere Glühtemperaturen ertrug der
-Kohlenfaden nicht. Schon vorher war Nernst auf den Plan getreten. Er
-nahm an, daß unter den metallisch leitenden Körpern (den sogenannten
-Leitern I. Klasse) sich keine Substanz befinde, die für die Herstellung
-einer wirklich ökonomischen Lampe geeignet sei. Er benutzte darum als
-Glühkörper seltene Oxyde, bei denen die Leitfähigkeit elektrolytischer
-Natur ist, die allerdings den Nachteil haben, den elektrischen Strom
-erst in der Wärme zu leiten. Es dauerte darum stets einige Zeit,
-ehe die Nernstlampe zu leuchten begann. Die Glühstäbchen mußten
-erst glühend geworden sein. Die A. E. G. hat auf alle mögliche
-Weise versucht, diesen Nachteil zu beheben oder doch abzumildern.
-Sie stellte in der sogenannten Expreßlampe eine Kombination der
-Heizspirale der Nernstlampe mit sofort leuchtenden Glühfäden her,
-ein höchst kunstreiches Produkt, das aber naturgemäß nicht zur
-Billigkeit eines Massenartikels zu bringen war. Auch die sogenannte
-Mehrfach-Lampe, die eine Anordnung mehrerer Nernstlampen zur Verwendung
-für die verschiedensten Zwecke darstellte, konnte den Hauptnachteil
-nicht beheben. Es ist eine seltsame Ironie des Schicksals, daß es
-gerade Auer von Welsbach, der Erfinder des Gasglühlichts war, dem
-als zweiter großer Wurf seines Lebens die Konstruktion <em class="gesperrt">der</em>
-elektrischen Lampe gelang, die einzig und allein imstande gewesen
-ist, die Niederlage des elektrischen Glühlichts im Kampfe mit dem
-Gasglühlicht zu verhindern. Auer von Welsbach<span class="pagenum"><a name="Seite_284" id="Seite_284">[S. 284]</a></span> teilte die Ansicht
-Nernsts nicht, daß unter den Metallen keine für die Herstellung
-ökonomischer Lampen geeignete Substanz zu finden sei. Nach langen
-und mühevollen Versuchen gelang es ihm, im Osmium der Platingruppe
-(wer erinnert sich nicht der ersten Versuche Edisons vor Herstellung
-des Kohlenfadens?) ein Metall zu finden, das nur im elektrischen
-Lichtbogen geschmolzen werden konnte. Helles Licht, große Fortschritte
-in der Stromökonomie und verhältnismäßig lange Lebensdauer waren
-schon die Vorzüge dieser ersten Metallfadenlampe, die den Anstoß
-zu neuen, immer vollkommeneren Konstruktionen gab. Emil Rathenau,
-der die Nernstlampe doch gewiß außerordentlich hoch eingeschätzt
-hatte, besaß wissenschaftliche Einsicht und kritische Objektivität
-genug, um sofort zu erkennen, daß die Bahn Auer von Welsbachs die
-erfolgversprechendere war und daß seine eigene Mühe und der gewaltige
-Aufwand, den er an die Nernstlampe gewandt hatte, diese nicht zu retten
-vermochten. Eine Spezialfabrik, die in eine solche grundsätzlich
-„überwundene“ Konstruktion viele Millionen hineingesteckt haben
-würde, ohne sie schließlich produktiv machen zu können, hätte den
-Schlag wahrscheinlich überhaupt nicht verwunden. Auch ein gemischtes
-Unternehmen, das aus großen Reserven die entstandenen Verluste
-nicht hätte ausgleichen können, würde schwer unter dem Fehlschlag
-gelitten haben. Die A. E. G., die alle für die Nernstlampe gemachten
-Investitionen sofort abgeschrieben hatte, vermochte ihn angesichts
-ihrer inneren Stärke ohne äußerlich erkennbare Schäden zu überwinden,
-und konnte sich sofort mit erheblichen Geldkräften der neuen Industrie
-der „seltenen Metalle“ zuwenden. Im Jahre 1909 wird der Nernstlampe
-auch offiziell im Geschäftsbericht der Begräbnisschein ausgestellt.
-„Nur noch Ersatzbrenner und Projektionslampen werden verkauft.“ Bis
-die A. E. G. eine leistungsfähige Metallfadenlampe aus Wolfram-Erz
-hergestellt hatte, verging natürlich einige Zeit. Neben ihr arbeiteten
-noch andere Firmen, darunter Siemens &amp; Halske, die in der Tantallampe
-eine Erstkonstruktion von nicht so erheblicher Stromersparnis als
-Stoßfestigkeit hergestellt hatten, unermüdlich an der Ausgestaltung
-der Metallfadenlampe. Ein bedeutender Fortschritt gelang der General
-Electric Co. durch die Erzeugung der <em class="gesperrt">Metalldrahtlampe</em>, bei
-der der gespritzte Metallfaden durch den gezogenen Metalldraht
-ersetzt worden war. Die A. E. G. hatte auf Grund ihres technischen
-Austauschvertrages mit der General Electric Anspruch<span class="pagenum"><a name="Seite_285" id="Seite_285">[S. 285]</a></span> auf die
-Auslieferung der Erfahrungen dieser Gesellschaft. Schließlich kam
-zwischen der A. E. G., der Siemens &amp; Halske-Ges. und der Deutschen
-Gasglühlicht-Gesellschaft (Auer) ein Gegenseitigkeitsvertrag zustande,
-auf Grund dessen alle diese Gesellschaften zur Vermeidung von
-Patentkonflikten ihre Konstruktionen austauschten. Auch andere Firmen
-wandten sich dem neuen Gebiete zu, aber durch Reichsgerichtsurteil
-wurde den obengenannten drei Gesellschaften, zu denen später
-auch noch die Bergmann-Elektrizitätswerke als Lizenznehmer
-traten, der Patentschutz für die Metalldrahtlampe gesichert. Eine
-Metallfadenlampen-Konvention nach dem Muster der Verkaufsvereinigung
-für Kohlenfadenlampen war von manchen Seiten zur Bekämpfung der bald
-eintretenden scharfen Konkurrenz vorgeschlagen worden. Die A. E. G.
-lehnte eine solche Konvention diesmal ab, mit der Begründung, daß die
-technische und ökonomische Höchstleistung der Metallampe noch nicht
-erreicht sei und eine Festlegung von Absatzkontingenten die freie
-Entwickelung hemmen könnte. Einige Zeit später schritt die A. E. G.
-sogar zu mehrmaligen beträchtlichen Herabsetzungen der Verkaufspreise
-für die Metalldrahtlampen und zwar besonders für die größeren
-Lampentypen, in denen sie damals leistungsfähigere Konstruktionen
-besaß als in den kleinen Lampen. Ihre Absicht war es dabei offenbar,
-die Verbraucher an die größeren Lampen zu gewöhnen, die sie ihnen zu
-ungefähr denselben Preisen lieferte wie vorher die kleinen. Neben ihren
-Fabrikationsinteressen mochten sie dabei auch die Interessen ihrer
-Stromerzeugungswerke geleitet haben. Erst während des Krieges ist eine
-lose Preiskonvention zwischen den größeren Metallfadenlampenfabriken
-zustande gekommen. &mdash; Auch mit der Metalldrahtlampe war der
-Höhepunkt der Entwickelung noch nicht erreicht. Es folgte die
-<em class="gesperrt">Halbwattlampe</em>, bei der der Glühfaden nicht mehr im luftleeren,
-sondern im gasgefüllten Raum eingespannt war. Zuerst wurde diese
-Lampe nur für ganz große Formen hergestellt, in denen sie weniger
-der Glühlampe, als der Bogenlampe Konkurrenz machte. In letzter
-Zeit ist es aber auch gelungen, kleine Halbwattlampen herzustellen.
-Die Ökonomie der elektrischen Lampe ist im Laufe der Entwickelung
-seit Erfindung der Glühlampe außerordentlich verbessert worden. Die
-Halbwattlampe verbraucht weniger als den zehnten Teil des Stromes, den
-die Kohlenfadenlampe mit mehr als 5 Watt für die Normalkerze anfänglich
-in Anspruch nahm.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_286" id="Seite_286">[S. 286]</a></span></p>
-
-<p>Auf dem Gebiete der <em class="gesperrt">Kraftübertragung</em> begann in den ersten
-Jahren des neuen Jahrhunderts die vorher in mühseliger technischer
-und propagandistischer Arbeit ausgestreute Saat ihre reichen Früchte
-zu tragen, und zwar sowohl auf dem Gebiete der Einzelanlagen als
-auch auf dem der Zentralen. Die Industrie ging in immer stärkerem
-Umfange zur Benutzung des elektro-motorischen Antriebes über. Die
-<em class="gesperrt">elektrische Fördermaschine</em> begann sich in den Bergwerken
-einzubürgern. Die Dampfmaschine setzte sich zwar anfangs energisch
-zur Wehr und ihre Techniker konstruierten eine Dampfförderanlage,
-die die Vorzüge der elektrischen Förderung wettzumachen versuchte
-und in wenigen Jahren Verbesserungen erreichte, wie sie vorher in
-Jahrzehnten nicht hatten erzielt werden können. Hüben und drüben
-wurde mit ökonomischen Tabellen in den industriellen Zeitschriften
-für die Vorteile dieses oder jenes Systems gestritten. Es nützte der
-Dampfförderanlage nicht viel. Der Kampf war scharf, aber nur kurz.
-An Betriebssicherheit und Bequemlichkeit war die elektrische Anlage
-namentlich für die Personenbeförderung der Dampfanlage überlegen.
-Auch auf den <em class="gesperrt">Hochofen-</em> und <em class="gesperrt">Stahlwerksanlagen</em>, bei den
-<em class="gesperrt">Reversierstraßen der Walzwerke</em> setzte sich die elektrische
-Kraftübertragung rasch durch. Hier galt es einen Kampf mit dem Gasmotor
-zu führen, der allerdings nicht so leicht gewonnen werden konnte, wie
-der mit der Dampfförderanlage. Die Verwendung des Turbinenantriebes für
-Dynamos brachte die Elektrizität auch auf diesem Gebiet in Vorteil,
-zumal da es hierdurch möglich war, die Abfallgase mehr als bisher
-nutzbar zu machen. Immerhin behauptete sich der Gasmotor für manche
-Zwecke. Auch in anderen Industriezweigen, in der Braunkohlenindustrie,
-in der Papierindustrie, in der Textilindustrie, die großer
-Heißdampfmengen bedarf, drang die Kraftübertragung im Verein mit der
-Turbine vor. „Die Zeit der Groß-Elektromotoren ist im Beginnen“ heißt
-es im Geschäftsbericht der A. E. G. für 1903/04.</p>
-
-<p>Die Hochkonjunktur für <em class="gesperrt">Zentralstationen</em>, für die das letzte
-Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts den Höhepunkt gebracht
-hatte, war in den Jahren der Krisis und in der Folgezeit merklich
-abgeflaut. Zwar wurden auch jetzt im Inlande, namentlich aber im
-Auslande noch Zentralstationen errichtet, doch der Regiebetrieb
-überwog den Unternehmer-Betrieb. Auch an Aufträgen für Ergän<span class="pagenum"><a name="Seite_287" id="Seite_287">[S. 287]</a></span>zungs-
-und Ersatzlieferungen für alte Zentralen fehlte es nicht. Der
-Geschäftszweig war aber im ganzen viel ruhiger geworden, und infolge
-der scharfen Konkurrenzbedingungen nicht mehr so lohnend wie früher.
-Schwung kam erst in ihn wieder hinein, als sich das Lokalwerk zur
-<em class="gesperrt">Überlandzentrale</em> auswuchs, vermittelst des Hochspannungssystems
-der Versorgungsradius der Kraftwerke sich ausdehnte und neben dem
-städtischen Bedarf auch die Industrie und das platte Land in die
-Versorgung von Zentralwerken einbezogen werden konnten. Erst jetzt &mdash;
-wiederum begünstigt durch die Ausgestaltung des Turbodynamos &mdash; kam das
-Drehstromsystem, das vorher etwas rohe und ökonomisch wie technisch
-nicht ganz befriedigende Ergebnisse geliefert hatte, zu voller und
-reifer Auswirkung. Aber die technische Leistungsfähigkeit war eher
-erreicht als das Gleichgewicht der wirtschaftlichen Durchbildung.
-Emil Rathenau warnte vor Überlandzentralen, die nur ländliche Bezirke
-versorgten. Der ungleichmäßige, zeitweilig anschwellende, dann wieder
-erheblich nachlassende Bedarf, die zu geringe Beanspruchung des Stroms
-in den dünn besiedelten ländlichen Verbrauchsstätten machten die großen
-Kosten des weit auseinandergezogenen Hochspannungsnetzes nicht bezahlt.
-Erst der Anschluß von industriellen Verbrauchern, die Einbeziehung
-lokaler Kraftwerke, die von den Überlandzentralen den Strom zu
-niedrigeren als ihren eigenen Erzeugungskosten beziehen und ihn durch
-ihre Anlagen umformen sowie verteilen konnten, ließen die Zentralen
-rentabel arbeiten. An besonders geeigneten Stellen, im Kraftwerk an
-der Oberspree, im oberschlesischen Industriebezirk schuf die A. E. G.
-Musterbeispiele moderner und ökonomisch arbeitender Überlandzentralen.
-Zu typischer Bedeutung gelangte das neue System erst in den Jahren
-1907 bis 1909. Im englischen Kohlenrevier von Newcastle führte die
-A. E. G. ein Kabelnetz von 130 km Länge mit 10000 bis teilweise
-20000 Volt Spannung aus, im südafrikanischen Randminen-Gebiete
-errichtete sie das gewaltige Elektrizitätswerk der <em class="gesperrt">Victoria
-Falls und Transvaal Power Co.</em> mit Wasserkraftantrieb, das einen
-beträchtlichen Teil der Goldminen Transvaals mit Energie versorgte,
-während allerdings ein anderer Teil an seinen eigenen Kraftzentralen
-festhielt. Als dieses Projekt in der Öffentlichkeit bekannt wurde,
-warf man der unternehmenden Gesellschaft wie der bauausführenden
-A. E. G. Phantasterei vor und hielt es technisch, besonders aber
-wirtschaftlich für außerordentlich<span class="pagenum"><a name="Seite_288" id="Seite_288">[S. 288]</a></span> gewagt, eine oberirdische
-Fernleitung 800 Kilometer weit von den Victoria-Fällen durch die Wüste
-nach dem Rand zu legen. „Die deutsche Elektrizitätsindustrie ist an der
-Ausführung des Planes durch ihr gewordene große Aufträge wesentlich
-interessiert. Sie hat sich dadurch vielleicht ebenfalls etwas ins
-Utopische hineinziehen lassen. Die Utopie ist aber eine Insel, die
-schwer mit heilem Schiffe zu umsegeln ist,“ so hieß es in einer der
-gelesensten Berliner Zeitungen. Nichtsdestoweniger gelang das kühne
-Unternehmen. In Deutschland erstand durch die A. E. G. das <em class="gesperrt">Märkische
-Elektrizitätswerk</em> bei Eberswalde, das eine Anzahl märkischer Kreise
-versorgte und in neuester Zeit zu einem gemischt-wirtschaftlichen
-Unternehmen unter Beteiligung der Provinz Brandenburg umgestaltet
-wurde. Im westfälischen Bezirk wurde das <em class="gesperrt">Elektrizitätswerk
-Westfalen</em> am Standorte der Kohle errichtet, im Saargebiet
-gleichfalls ein großes Elektrizitätswerk unter denselben Bedingungen.
-Zur Ausrüstung des Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerks, der
-größten Montanzentrale Deutschlands, lieferte die A. E. G. Turbodynamos
-von 21500 K. V. A. Ständig wurden diese Größenmaße überboten und im
-Kriegsjahre 1915/16 erhielt dasselbe Werk von der A. E. G. Turbodynamos
-von 60000 K. V. A. Auch in Braunkohlenrevieren entstanden große
-Kraftwerke. Die Hochspannung wurde schließlich bis auf 100000 Volt und
-mehr gesteigert. Über diese Werke, ihre rechtliche, wirtschaftliche
-und technische Bedeutung soll in einem besonderen Kapitel gesprochen
-werden. Hier seien sie nur als vorläufige Endpunkte einer mit der
-Schaffung der Überlandzentralen eingeleiteten Entwickelung kurz erwähnt.</p>
-
-<p>Eine gleiche Entwickelung vom Kleinen zum Großen, vom Lokal- zum
-Überland- und Fernbetrieb wie im Zentralenwesen vollzog sich auch
-auf dem zweiten großen Ausdehnungsgebiete der Elektrizität, bei den
-<em class="gesperrt">elektrischen Bahnen</em>. Allerdings kam hier die Entwickelung noch
-schwerer in Fluß und der Ausbreitung stellten sich größere Widerstände
-entgegen als dem Bau zentraler Kraftwerke. Insbesondere bekundeten die
-Staatsbahnverwaltungen in der Frage der Elektrisierung der Vollbahnen
-Zurückhaltung. Emil Rathenau schätzte die Widerstände anfänglich wohl
-zu gering ein, seinem lediglich auf den Fortschritt eingestellten
-Geist war die bureaukratische und fiskalische Bedächtigkeit, mit
-der die Verwaltungsbehörden diese Dinge anfaßten oder vielmehr nach
-Möglichkeit von<span class="pagenum"><a name="Seite_289" id="Seite_289">[S. 289]</a></span> sich fernhielten, unverständlich. Er hatte daher
-nicht mit ihr gerechnet und das Problem der Vollbahnen für gelöst oder
-doch für lösbar gehalten, nachdem die technische Seite und vielleicht
-auch die ökonomische, wie sie für große privatwirtschaftliche
-Betriebe sich dargestellt hätte, ihre grundsätzliche Klärung gefunden
-hatten. Bereits um die Wende des 20. Jahrhunderts sprach Rathenau in
-den Geschäftsberichten der A. E. G. viel davon, daß die Lösung des
-elektrischen Vollbahnproblems zu den nächsten großen Aufgaben der
-Zukunft gehöre. Er hatte aber dabei wohl nicht genügend berücksichtigt,
-daß eine aktive Art der demonstrativen Propaganda, wie sie die
-Elektrizitätsindustrie unter seiner Führung bei der Einführung der
-früheren großen Unternehmungstypen entwickelt hatte, auf diesem Gebiete
-unmöglich war. Für Eigenbetriebe war hier wenigstens in Deutschland
-wegen des Eisenbahnmonopols kein Raum, in anderen Ländern verbot der
-Umfang der notwendigen Kapitalinvestitionen große Unternehmergeschäfte
-im Vollbahnbau.</p>
-
-<p>So entwickelte sich der Großbahnenbetrieb nur langsam, tastend und
-versuchsweise. Die Staatsbahnverwaltung verlangte umfangreiche Vor-
-und Probearbeiten. Auf der Militärbahnstrecke Berlin-Zossen wurde ein
-elektrischer Versuchsbahnbetrieb eingerichtet, an dem neben der A.
-E. G. auch Siemens &amp; Halske sich beteiligten. Die zu diesem Behufe
-bereits im Jahre 1902 gebildete Studiengesellschaft bekundete schnell
-ihre elektrotechnische Leistungsfähigkeit, indes gestattete der
-Oberbau der Strecke nur eine Schnelligkeit von 125 km in der Stunde.
-Um größere Schnelligkeiten zu erreichen, war eine Verstärkung des
-Oberbaus der Strecke erforderlich. Nachdem diese durchgeführt war,
-gelangen mühelos Stundengeschwindigkeiten bis zu 200 km. Damit war
-die Schnelligkeitshöchstgrenze, über die man vorerst praktisch nicht
-hinausgehen wollte, erreicht und die Studiengesellschaft beendete
-im Jahre 1905 vorläufig ihre Arbeiten, nachdem sie die technische
-Seite des Problems hinlänglich klargestellt hatte. Das von der A.
-E. G. und Siemens &amp; Halske auf Grund der Erfahrungen ausgearbeitete
-<em class="gesperrt">Projekt</em> einer <em class="gesperrt">elektrischen Schnellbahn Berlin-Hamburg</em>,
-durch das die Elektrizitätsindustrie an einer Stelle der stärksten
-Verkehrsakkumulation sozusagen in medias res springen wollte, erschien
-der Regierung zu kühn. Es war dazu bestimmt, Schreibtischarbeit zu
-bleiben. Dagegen entschloß sich die preußische Eisenbahnverwaltung in
-schrittweisem<span class="pagenum"><a name="Seite_290" id="Seite_290">[S. 290]</a></span> Vorgehen zu einem zweiten Stadium der Versuchsarbeiten.
-Es wurde &mdash; auch hier wieder ohne Überstürzung und Beschleunigung
-&mdash; der Ausbau einer größeren für den praktischen Verkehr bestimmten
-<em class="gesperrt">Vollbahnstrecke Magdeburg-Halle-Leipzig</em> begonnen und zunächst
-der Streckenteil Dessau-Bitterfeld in Angriff genommen. An dieser
-Strecke sollte die betriebliche und wirtschaftliche Seite der
-elektrischen Fernbahn studiert werden. Gemäß dem Grundsatz, daß bei
-der Ausprobierung des Problems möglichst vielseitige Konstruktionen
-und Erfahrungen gesammelt und aus ihrem Zusammenarbeiten die beste
-praktische Lösung gefunden werden sollte, wurden verschiedene
-Elektrizitätsfirmen zur Beteiligung aufgefordert, neben der A. E. G.
-auch Siemens &amp; Halske, die Bergmann Elektrizitätswerke und andere
-leistungsfähige Unternehmungen. Noch eine weitere &mdash; kleinere &mdash;
-Strecke Lauban-Königszelt, die nicht ausschließlich durch Flachland
-führte, sondern größere Steigungen zu überwinden hatte, wurde in
-Angriff genommen.</p>
-
-<p>Schon vorher hatte die A. E. G. sich auf eigene Faust mit dem
-Schnellbahnsystem in seinen verschiedensten Formen, wenn auch
-in kleineren Ausmaßen beschäftigt. Dabei hatte sie sich auf
-das Einphasen-Wechselstromsystem gestützt, das die „Union“ ihr
-aus dem amerikanischen Patentkreis in die Fusion eingebracht
-hatte. Zunächst wurde es bei der Elektrisierung der Anhalter
-Vorortbahnstrecke Berlin-Groß-Lichterfelde-Ost, dann auf der Strecke
-Spindlersfeld-Johannisthal, beidemal im Auftrage der Preußischen
-Staatsbahnverwaltung, ausprobiert und bewährte sich schon in der
-ersten Anlage. Auch der Stadt- und Vorortverkehr von Hamburg-Altona
-wurde nach demselben System teilweise in den elektrischen Betrieb
-überführt, daneben wurden mehrere Gebirgsstrecken, so die Linie
-Berchtesgaden-Salzburg, die Stubaitalbahn erbaut. Auch im Auslande
-konnte die A. E. G. ihr Einphasen-Wechselstromsystem zur Anwendung
-bringen, auf einer schwedischen Linie und auf der Strecke Padua-Fusina.
-Die London Brighton und South East Bahn (Victoria Station) bezog ihre
-elektrische Ausrüstung ebenfalls von der A. E. G. Um die elektrische
-Städtebahn Köln-Düsseldorf mußte ein langwieriger Konzessionsstreit
-geführt werden. Um das Bild der Betätigung der A. E. G. auf dem Gebiete
-der elektrischen Vollbahnen vollständig zu machen, soll noch auf die
-<em class="gesperrt">Hamburger Hochbahn</em> hingewiesen werden, die von der A. E. G.
-gemeinsam mit Siemens<span class="pagenum"><a name="Seite_291" id="Seite_291">[S. 291]</a></span> &amp; Halske erbaut wurde, ferner auf die <em class="gesperrt">A. E.
-G. Schnellbahn-Gesellschaft</em>, ein die Stadt Berlin in der Richtung
-Gesundbrunnen-Neukölln durchquerendes Untergrundbahn-Unternehmen, das
-in eigener Regie von der A. E. G. gebaut wird. Das Projekt wurde im
-Jahre 1907 den Behörden unterbreitet, die Fertigstellung des Baus,
-bei dem schwierige Wasseruntertunnelungen nach neuartigen Systemen
-unternommen wurden, ist in einigen Jahren zu erwarten. Das Kapital
-dieses Unternehmens, das ganz allein von der A. E. G. finanziert wird,
-beträgt 42500000 M.</p>
-
-<p>Im Zusammenhang mit den Bestrebungen auf dem Gebiet des Fernbahnenbaus
-wurde die <em class="gesperrt">Lokomotivfabrikation</em> aufgenommen, die sich bald
-zu einem umfangreichen Geschäftszweig entwickelte. Bereits im
-Jahre 1909/10 waren tausend Lokomotiven von den Fabriken der
-Gesellschaft geliefert. Ergänzt wurden die Fabrikationen auf dem
-Gebiet der motorischen Beförderungsmittel durch die Aufnahme
-des <em class="gesperrt">Automobilbaus</em>. Zu diesem Zwecke wurde in den ersten
-Jahren des neuen Jahrhunderts die Automobilfirma Kühlstein in
-Charlottenburg übernommen und eine eigene Fabrik neben dem Kabelwerk
-Oberspree errichtet, die sowohl Benzin-Automobile wie Elektromobile
-herstellte. Gerade auf diesem Gebiet blieben der Gesellschaft aber
-Anfangsschwierigkeiten und Kinderkrankheiten nicht erspart. Die
-schwere Automobil-Krise der Jahre 1907/08 traf auch ihre Fabriken,
-und die Neue Automobil-Gesellschaft, die den Vertrieb der A. E.
-G.-Automobile besorgte, mußte erst einer durchgreifenden Reorganisation
-unterworfen werden, ehe aus dem von ihr bearbeiteten Geschäftszweige
-ein rentables Unternehmen werden konnte. Bei der Automobilindustrie
-sind die Erfahrungen der Krisenjahre auf ganz besonders fruchtbaren
-Boden gefallen, sie hat die Unsicherheitsfaktoren, die gerade
-in ihrer Fabrikation liegen, ebenso wie die ungewöhnlich großen
-Reklameaufwendungen richtig einschätzen gelernt, und ist seither eine
-der bestfundierten und reichsten Industrien Deutschlands geworden.</p>
-
-<p>Die gewaltig steigenden Leistungen und Ausmaße der elektrischen
-Großkraftwerke auf allen Gebieten wären nicht möglich gewesen ohne
-die schnelle und glückliche Entwickelung der <em class="gesperrt">Turbinen</em> und der
-Turbodynamos. Emil Rathenau hatte sich in richtiger Voraussicht dieser
-Entwickelung, mit dem sicheren Instinkt des geborenen Maschinenbauers,
-dem neuen Gebiete frühzeitig zugewandt,<span class="pagenum"><a name="Seite_292" id="Seite_292">[S. 292]</a></span> und den Turbinenbau noch in
-den Krisenjahren 1901 und 1902 als einen der neuen Geschäftszweige
-aufgenommen, die dazu dienen sollten, die infolge der starken
-Konkurrenz geschmälerten Gewinne der alten Produktionen zu ergänzen
-und zu ersetzen. Er hatte sich nicht lange mit der eigensinnigen
-Beschränkung auf die eigenen Turbinensysteme aufgehalten, sondern diese
-nur als Kompensationsobjekte benutzt, um die besten damaligen Patente
-in seinen Bereich zu ziehen und durch Verschmelzung mit seinen eigenen
-einen möglichst vollkommenen Typ zu gewinnen. Er bekannte sich zu dem
-Standpunkte, lieber eine vollkommene Maschine in einem vertraglich
-beschränkten Absatzgebiet zu verkaufen, als für eine schlechtere
-Maschine die ganze Welt freizuhaben. Diese Grundsätze kamen in den
-Verträgen mit der General Electric und der Brown Boveri-Gesellschaft
-zum Ausdruck. Die Turbine errang sich auf verschiedenen Gebieten
-bald eine beherrschende Stellung. Große Kraftleistung, regelmäßiger
-Gang, Geräuschlosigkeit und geringe Raumbeanspruchung zeichneten sie
-vor den Kolbenmaschinen aus, ihre Größen- und Leistungsmaße erwiesen
-sich schlechthin als unbegrenzt. Mit Leistungen von 3000 bis 6000 PS
-begann die Turbine ihre Entwickelung, bis zu Leistungen von 60000 PS
-ist sie zurzeit schon gelangt. Als die beiden Hauptanwendungsgebiete
-hatten &mdash; das wurde bald klar &mdash; der Kraftantrieb bei Schiffen und die
-Verbindung mit dynamoelektrischen Maschinen im sogenannten Turbodynamo
-zu gelten. Schon im Jahre 1905 wurde der Hapag-Dampfer „Kaiser“ mit
-2 Turbinen von je 6000 PS ausgerüstet, die vom ersten Tage an ohne
-Störung liefen. Schnell griff die Kriegsmarine die neue Errungenschaft
-auf, die damit erreichbare größere Schnelligkeit der Schiffe gab
-für sie den Ausschlag. Zuerst wurden ein paar Torpedobootdivisionen
-mit Turbinen ausgerüstet, dann der kleine Kreuzer „Mainz“. Die
-gemachten Erfahrungen führten dahin, daß schließlich auch die
-größten Schiffsneubauten der Marine Turbinenantrieb erhielten. Die
-Handelsmarine entschloß sich etwas langsamer zur allgemeinen Einführung
-der Turbinen. Hier war das Problem der Wirtschaftlichkeit, das für
-die Kriegsmarine gegenüber der offenkundig größeren Schnelligkeit an
-Bedeutung zurücktrat, erst zu lösen. Ferner wirkte zuerst der Umstand
-störend, daß der Turbinenantrieb nur in <em class="gesperrt">einer</em> Laufrichtung
-des Schiffes wirksam war. Für die Rückwärtsbewegung mußte eine
-zweite Turbine oder ein zweiter Turbinensatz eingebaut werden. Die<span class="pagenum"><a name="Seite_293" id="Seite_293">[S. 293]</a></span>
-Umschaltung der Turbinen gelang erst eine Reihe von Jahren später
-durch Transformatoren (Föttinger Transformator). Nachdem die englische
-Cunard-Linie ihre beiden Rekordbrecher-Schiffe „Lusitania“ und
-„Mauretania“ unter Subvention der englischen Regierung gebaut und
-mit Turbinenantrieb versehen hatte, verschloß sich auch der deutsche
-Handelschiffsbau bei seinen Großschiffen der Turbine nicht länger. Die
-Hamburg-Amerika-Linie versah ihre gewaltigen Bauten der Imperatorklasse
-mit Turbinen, der Norddeutsche Lloyd verhielt sich zunächst allerdings
-noch abwartend. &mdash; Im Kraftantrieb wie im Schiffsbau hat allerdings
-der Dieselmotor in den letzten Jahren sich einen Platz neben der
-Turbine zu erringen verstanden, doch bewährte sich jener bislang nur
-für kleinere Schiffseinheiten und für Privatzentralen, nicht so sehr
-für Großkraftwerke und es ist ein Fall bekannt geworden, in dem eine
-neue große Kraftzentrale die zuerst von ihr eingebauten Dieselmotoren
-wieder stillgelegt und dafür Turbinen verwendet hat. Die A. E. G. hat
-denn auch nur Dieselmotoren kleineren Typs in ihr Fabrikationsprogramm
-aufgenommen.</p>
-
-<p>Der große Erfolg der Turbine führte naturgemäß bald dahin, auch
-dieses Produktionsgebiet starker Konkurrenz auszusetzen, und zwar
-umsomehr, als es von zwei verschiedenen Industriegruppen aus zu
-erreichen und zu erobern war: von der <em class="gesperrt">Elektrizitätsindustrie</em>
-und von der <em class="gesperrt">Maschinenindustrie</em> aus. Fast alle namhaften
-Elektrizitätswerke und Maschinenfabriken bemächtigten sich der Turbine
-und konnten, nachdem die Technik des Turbinenbaus die grundsätzlichen
-Schwierigkeiten überwunden hatte und zu einer typischen Fabrikation
-geworden war, unschwer brauchbare Konstruktionen herstellen: das
-übliche Schicksal neuer Produktionszweige, in denen sich technische
-Vorsprünge bei der systematischen Durchbildung und dem öffentlichen
-Charakter der modernen Technik nicht lange aufrecht erhalten
-lassen. Die Turbinenfabrikation wurde infolgedessen bald aus einem
-privilegierten und einträglichen Geschäft zu einem landläufigen
-und scharf umstrittenen. Überproduktion und Preisdruck waren die
-Folge dieser Entwickelung, die sich höchstens durch eine allgemeine
-Syndizierung, nicht durch Einzelverträge hätte beseitigen oder mildern
-lassen. Ein allgemeines Syndikat kam bei der Verschiedenartigkeit der
-Fabrikate und der Fabrikanten indes nicht zustande, die Sonderverträge
-aus früherer Zeit<span class="pagenum"><a name="Seite_294" id="Seite_294">[S. 294]</a></span> hatten aber ihre Bedeutung verloren. Infolgedessen
-löste die A. E. G. nach einiger Zeit auch ihr Turbinenabkommen mit der
-Gesellschaft Brown Boveri &amp; Cie. in Baden (Schweiz) und brachte den von
-ihr früher erworbenen Besitz an Aktien dieser Gesellschaft wieder zur
-Abstoßung.</p>
-
-<p class="center mtop1 mbot2">*&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;*<br />
-*</p>
-
-<p>Die Krisis von 1907/08 hatte den starken und gefestigten Unternehmungen
-der deutschen Elektrizitätsindustrie nicht viel anzuhaben vermocht.
-Die A. E. G. hatte ihre Dividende von 12% unverkürzt aufrecht
-erhalten können, und das Jahr 1908/09, das in der allgemeinen
-Konjunktur bereits Ansätze zu einer Wiederbelebung aufwies, brachte
-den Aktionären sogar eine vorsichtige Erhöhung auf 13%. Die großen
-Arbeiten und schwebenden Probleme der A. E. G. waren während der
-kritischen Zeit nicht unterbrochen, kaum verlangsamt worden. Von
-einer Cäsur wie in 1901/02 war hier nichts zu spüren gewesen. Der
-Umfang des Geschäftes, namentlich für Großmaschinen, und die Preise
-hatten sich besonders gegen das Ende der Krisis wohl etwas gesenkt,
-es setzten auch zeitweilig der Auftrieb und der jährliche Zuwachs
-aus, auf die ein blühendes Unternehmen wie jeder lebendige Organismus
-vielleicht vorübergehend, aber nicht dauernd verzichten kann, wenn
-statt des Aufbaus nicht ein Abbau der Kräfte eintreten soll. &mdash; Im
-Geschäftsbericht für 1907/09 wird mit knappen Strichen das Bild der
-schwindenden Krisis gezeichnet:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Die Krisis, die Handel und Gewerbe während der jüngsten Jahre
-niederhielt, hatte ihren Ursprung in Amerika. Wie in mehreren früheren
-Fällen, ist indes auch die Besserung des Wirtschaftslebens von dort
-ausgegangen. Ihre Ausdehnung auf die heimische Konjunktur wurde
-zunächst durch politische Besorgnisse und durch die Unsicherheit über
-die deutsche Finanzreform verzögert. Erst in den letzten Monaten zeigen
-sich erfreulicherweise auch in Deutschland wieder vertrauenerweckende
-Ansätze zu einer Hebung der gewerblichen Tätigkeit. Wenngleich nun die
-deutsche Elektrizitätsindustrie sich gegenüber der jüngsten Krisis
-verhältnismäßig widerstandsfähig erwiesen hatte, so begrüßt sie doch
-das Wiedererwachen des Unternehmungsgeistes mit lebhafter Befriedigung
-und knüpft daran die zuversichtliche Erwartung auf kräftige Anregungen
-und lohnende Beschäftigung.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_295" id="Seite_295">[S. 295]</a></span></p>
-
-<p>War eine der Ursachen der Krisis die Geldklemme gewesen, so wurde durch
-deren Beseitigung die Erholung eingeleitet. Die A. E. G. war auch
-während der kritischen Periode des Geldmarktes mit verfügbaren Mitteln
-überaus reichlich versorgt. Die Geldflüssigkeit, die in vielen Fällen
-als Folge darniederliegender Gewerbstätigkeit anzusehen ist, erklärte
-sich, soweit unsere Gesellschaft in Betracht kommt, größtenteils aus
-den niedrigen Preisen der Metalle, wie der sonstigen Rohstoffe und
-damit unserer Lagerbestände. Bei Lieferungen und Bauausführungen hat
-sich diese Liquidität schon als nutzbringend erwiesen.</p>
-
-<p>Die Gefahr einer Elektrizitätssteuer ist glücklich abgewendet worden,
-nur Beleuchtungsmittel werden seit dem 1. Oktober d. J. besteuert. Für
-die Verbraucher elektrischer Beleuchtungsmittel wird diese Belastung
-insofern weniger empfindlich, als Leuchtkörper für das Gas ebenfalls
-von der Steuer betroffen werden, und die elektrischen Lichtquellen
-neuerdings so gebessert sind, daß sie trotz der Steuer beträchtliche
-Ersparnisse gegen früher ermöglichen.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Nicht so glimpflich war die neue Krisis an den wenigen gemischten
-Fabriken vorübergegangen, die sich abseits von dem Dualismus der beiden
-führenden Großkonzerne noch bis dahin eine volle Selbständigkeit
-gewahrt hatten. Die Kräfte, die sie nach den Blutverlusten der Krise
-von 1901&ndash;1903 in den folgenden Jahren des Aufschwungs langsam wieder
-angesammelt hatten, waren ihnen durch den bald von frischem entbrannten
-Wettbewerb und die Angriffe der neuen Krisenzeit wieder verloren
-gegangen. Viel Hoffnung, es den führenden Gruppen noch gleichtun,
-diese an Leistungsfähigkeit und Finanzkraft erreichen zu können,
-besaßen sie nicht mehr. Immer breiter dehnte sich das Wurzelreich der
-„Großen“ unter der Erde, das Geäst ihrer üppigen Baumkronen über der
-Erde aus, immer stärker sog es die Kräfte des Bodens in sich hinein,
-nahm Licht und Luft für sich in Anspruch. Die größten Kapitalmächte
-des Landes waren ihnen dienstbar geworden, speisten ihren Geldhunger,
-konnten und wollten anderen Wettbewerbern nicht die riesigen Mittel
-zuführen, die zur Behauptung neben den führenden Gruppen, oder
-gar zur Überwindung jener Konzerne notwendig gewesen wären. Und
-neue Geldmächte, die vielleicht ein Interesse an der Stärkung und
-Stützung mittlerer Unternehmungen gehabt hätten, konnten sich auf dem
-aufgeteilten und größtenteils kultivierten Kapitalboden Deutschlands<span class="pagenum"><a name="Seite_296" id="Seite_296">[S. 296]</a></span>
-nicht mehr bilden. Denn ebenso wie in der Elektrizitätsindustrie lagen
-die Wettbewerbsverhältnisse auch im Bankgewerbe. Auch hier war die
-Welt vergeben, Machtverschiebung nicht mehr durch Neubildung, sondern
-nur noch durch Konzentration und Fusion möglich. So nahte denn für
-die Elektrizitätsindustrie die <em class="gesperrt">zweite Fusionsära</em>, auch diese
-wieder nach einer Krisis, die die Schwachen geschwächt und die Starken
-gestärkt hatte.</p>
-
-<p>Zuerst wurde der Konzern <em class="gesperrt">Felten Guilleaume Lahmeyer</em> fusionsreif.
-Die Felten Guilleaume Lahmeyerwerke in Mülheim und Frankfurt waren
-1905 durch Zusammenschluß der Felten Guilleaume Carlswerk-Akt.-Ges.
-mit der Fabrikationsabteilung der Elektrizitäts-Akt.-Ges. vorm. W.
-Lahmeyer &amp; Co. entstanden. Der Zusammenschluß war die Frucht jener
-ersten Konzentrationsperiode in der Elektrizitätsindustrie gewesen und
-die beiden stattlichen Provinzunternehmungen hatten versucht, sich
-nach demselben Prinzip, nach dem die beiden großen Berliner Gruppen
-vorgegangen waren, gegenseitig zu stützen und zu ergänzen. Der Versuch
-mißlang, trotzdem das Mülheimer Carlswerk als ein altes, wohlsituiertes
-und tragfähiges Unternehmen recht wohl den Kern hätte bilden können,
-um den sich eine starke und leistungsfähige Elektrizitätsgesellschaft
-gemischter Art kristallisieren konnte. Das Carlswerk war hervorgegangen
-aus der schon im Jahre 1826 gegründeten offenen Handelsgesellschaft
-Felten &amp; Guilleaume, seine Ursprünge reichten also sogar weiter
-zurück als die der Siemens &amp; Halske-Ges. und gar der A. E. G. Das
-Unternehmen war aber erst viel später der Elektrizitätsindustrie
-nähergetreten und befaßte sich auch dann noch als Spezialfabrik fast
-ausschließlich mit der Erzeugung von Draht, Kabeln und metallurgischen
-Fabrikaten für die Zwecke der angewandten Elektrizität. So standen
-die Dinge noch, als die offene Handelsgesellschaft nebst ihrer
-Filiale in Nürnberg Ende 1899 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt
-wurde. Damals war allerdings bei den Inhabern des Werkes &mdash; und
-darin lag einer der Hauptzwecke der Aktiengründung &mdash; bereits der
-Gedanke entstanden, der Zeitrichtung folgend, das Unternehmen zu
-einem elektrischen Universalbetrieb auszubauen. Unter den Zwecken
-der Aktiengesellschaft war auch die „Erlangung von Konzessionen
-zur gewerblichen Ausnutzung der Elektrizität und deren Ausbeutung
-im eigenen Betriebe oder mittels sonstiger Verwertung“ in<span class="pagenum"><a name="Seite_297" id="Seite_297">[S. 297]</a></span> den
-Gesellschaftsvertrag aufgenommen. Es war vielleicht kein Schaden
-für die Gesellschaft, daß die nahende Krisis eine umfangreichere
-Betätigung der Gesellschaft auf neuen Gebieten, insbesondere im
-Unternehmergeschäft, zunächst verhinderte. Erst nach Überwindung der
-Krise tauchten die Ausdehnungspläne von neuem auf, und erhielten
-durch die Konzentrationsbeispiele bei der Konkurrenz einen stärkeren
-Nachdruck. Auch der Weg war vorgeschrieben. Er lag nicht in der
-Errichtung eigener Fabriken mit neuen Geschäftszweigen, insbesondere
-auf dem Gebiete der Maschinen- und Lampenherstellung, die eine zu lange
-Anlaufszeit bis zur Produktionsreife gefordert und die Gesellschaft
-gezwungen hätten, eine Menge von Betriebserfahrungen, neuen Techniken
-aus dem Nichts zu schaffen und bis zur Wettbewerbsfähigkeit mit einer
-hochentwickelten Konkurrenz zu vervollkommnen. Der Weg der Angliederung
-schien schnelleren und leichteren Erfolg zu versprechen. Zeitweilig
-hatte man sich mit dem naheliegenden Gedanken getragen, mit der
-Kölner Helios-Gesellschaft, dem größten rheinischen Unternehmen auf
-dem Gebiete der Licht- und Kraftelektrizität, zusammenzugehen, aber
-ehe derartige Pläne sich verwirklichen konnten, kam der Zusammenbruch
-des „Helios“, aus dem es, wie sich bald zeigte, auch mit Hilfe eines
-stärkeren Werkes, keine Rettung mehr gab. So blieb eigentlich nur
-Lahmeyer in Frankfurt übrig. In der Theorie ergänzten sich beide
-Werke recht gut, vielleicht sogar besser als die Kontrahenten bei
-den bisherigen Fusionen in der Elektrizitätsindustrie. Während
-bei Siemens-Schuckert, bei der A. E. G. und der Union sich Werke
-miteinander vereinigt hatten, die vielfach dieselben Erzeugnisse
-herstellten und gleichartige Geschäftszweige betrieben, deckten sich
-die Produktionen des Carlswerkes und der Lahmeyer-Gesellschaft nur zum
-kleinen Teile. Dem „gemischten Starkstromwerk“ Lahmeyer fehlte die
-Kabel- und Drahtindustrie vollständig, in der Schwachstrom-Technik,
-die Felten und Guilleaume seit langem ganz besonders gründlich
-ausgebildet und noch vor kurzem durch die Aufnahme des Baues von
-Telephon- und Telegraphen-Apparaten ergänzt hatten, war Lahmeyer
-nur ganz geringfügig tätig gewesen. Seine Hauptbedeutung lag in der
-Fabrikation von elektrischen Maschinen, Motoren und Apparaten (in
-denen im Jahre 1904/05 die Ablieferung 4783 Stück mit 164000 PS, gegen
-25829 Stück mit 667773 PS bei der A. E. G. betragen hatte) und in
-dem Bau von elektrischen Anlagen für eigene oder<span class="pagenum"><a name="Seite_298" id="Seite_298">[S. 298]</a></span> fremde Rechnung.
-Ebenso wie Felten und Guilleaume eine Ergänzung ihres Betriebes durch
-den Maschinenbau und das Anlagengeschäft schon seit längerer Zeit
-anstrebten, hatte sich Lahmeyer bereits verschiedentlich mit der
-Frage der Errichtung und des Erwerbs eines Kabelwerks beschäftigt.
-Gut angelegt, litt und scheiterte der Plan des Zusammenschlusses an
-der schlechten Durchführung. Was bei Siemens-Schuckert wenigstens
-betrieblich, wenn auch nicht in gleicher Weise finanzpolitisch, was
-bei der A. E. G.-Union in beiden Richtungen restlos gelungen war,
-die <em class="gesperrt">organische</em> Verschmelzung und Vereinheitlichung, zwischen
-Mülheim und Frankfurt kam sie nicht zustande. Gerade die „in die Augen
-springenden Vorteile der Transaktion“, von denen der Geschäftsbericht
-der Lahmeyer-Werke sprach, die Gunst der organisatorischen und
-geschäftlichen Vorbedingungen, verleiteten offenbar zu einer zu
-leichten Behandlung der Organisationsfrage. Da sich beide Betriebe
-gut zu ergänzen schienen, glaubte man, die Zusammenarbeit und der
-Zusammenschluß würden sich von selbst einstellen, brauchten nicht erst
-durch sorgfältige Organisations- und Abtönungskunst herbeigeführt
-zu werden. Die Folge war, daß beide Betriebe, in der Verwaltung
-selbständig gelassen, nebeneinander und zu wenig miteinander arbeiteten.</p>
-
-<p>Die Selbständigkeit entwickelte sich mit der Zeit zu stark, das
-Selbständigkeitsgefühl der örtlichen Direktionen verschärfte sich
-allmählich zur Eifersucht, und die lokale Trennung, die zuerst
-nur passive Hemmungen verursacht hatte, führte schließlich zu
-lokalpatriotischen Absonderungen und Störungen. So kam es, daß am
-Ende aus dem „Nebeneinander“, das nicht gleich von Anfang an zu einem
-„Miteinander“ geworden war, in vielen Dingen ein „Gegeneinander“
-wurde. Beide Teile verfolgten zum mindesten im Kleinen, im
-Betriebsdetail, eine eigene Geschäftspolitik, wenn es dem Aufsichtsrat
-auch im allgemeinen gelingen mochte, die Gegensätze in der großen
-Geschäftspolitik immer wieder auszugleichen oder wenigstens nicht
-zum offenen Ausbruch kommen zu lassen. Eine solche Zwiespältigkeit
-der Richtung, die das Gesamtunternehmen naturgemäß außerordentlich
-schädigen, den Nutzen der Sammlung beeinträchtigen und die Kraft des
-Auftriebs dämpfen mußte, hatte Emil Rathenau bei seinen Fusionen immer
-klug zu verhindern gewußt und zwar gleich in den ersten Keimen. Auch er
-nahm wohl geeignete Direktoren und Aufsichtsräte aus den angegliederten
-Unternehmungen mit zu sich<span class="pagenum"><a name="Seite_299" id="Seite_299">[S. 299]</a></span> hinüber, aber sie durften keine
-Nebenregierungen bilden, mußten sich anpassen und wurden, wenn sie dies
-nicht konnten oder wollten, bald wieder ausgeschifft. Selbständige
-Arbeit duldete auch er und wünschte sie sogar, aber sie mußte sich
-streng sachlich äußern, sich dem Willensgesetze seiner Persönlichkeit
-und dem Entwickelungsgesetze der A. E. G. unterordnen, dem er selbst
-trotz aller scheinbaren Autokratie gehorchte. An Ungerechtigkeiten,
-ja an Gewalttätigkeiten und sonstigen Zusammenstößen auf persönlichem
-Gebiete hat es auch in seinem System nicht gefehlt, aber Rathenau hielt
-es immer noch für besser, einmal einer einzelnen Persönlichkeit unrecht
-zu tun, als die Ordnung des Gesamtunternehmens zu gefährden, dessen
-streng zentralistische Leitung nicht angetastet werden durfte.</p>
-
-<p>Für die Konzentration Felten Guilleaume-Lahmeyer war es abgesehen
-von der dualistischen Organisation nachteilig, daß die Frankfurter
-Abteilung sozusagen unkonsolidiert in die Fusion hineingenommen worden
-war. Die Union wie die Schuckertwerke waren bei ihrem Übergang auf
-die Hauptwerke einer gründlichen Bilanzreinigung unterzogen worden,
-ihre zu hohen Buchwerte waren auf einen Stand abgeschrieben worden,
-der den Bilanzmaßstäben der aufnehmenden, durch und durch gesunden
-Unternehmungen entsprach. Auch die Verfassung der Lahmeyerwerke hätte
-einen derartigen Umwertungsprozeß erforderlich gemacht. Statt dessen
-wurden die Buchwerte unverändert übernommen, da eine innere Sanierung
-dem streng paritätischen Charakter dieser doch von „zwei gleichwertigen
-und ebenbürtigen Gesellschaften“ beschlossenen Fusion nicht entsprochen
-hätte. So krankte das Gesamtwerk weiter an der Krankheit des einen
-der beiden Beteiligten, und die Gefahr lag nahe, daß auch das gesunde
-Unternehmen schließlich angesteckt werden würde. Dieser in der
-Gesamtanlage der Vereinigung anfänglich begangene Fehler mußte in der
-weiteren Entwickelung umso nachteiliger hervortreten, als es nicht das
-gesunde, tragfähige Kabelwerk, sondern das schwache Dynamowerk war, bei
-dem sich die Hauptexpansion der folgenden Jahre abzuspielen hatte, bei
-dem der Hauptwettbewerb mit der überlegenen Konkurrenz auszufechten und
-auszuhalten war. Das Kabelwerk war in sich geschlossen und nur noch in
-den unteren Stufen der Selbstbedarfsdeckung, also im Montanbetriebe,
-auszubauen. Bei ihm war der Wettbewerb nicht &mdash; wie im Maschinen-,
-Turbinen- und Lampenfach oder im Unternehmergeschäft des Frank<span class="pagenum"><a name="Seite_300" id="Seite_300">[S. 300]</a></span>furter
-Werks &mdash; ungeregelt, sondern durch das Kabelkartell vor ruinösem
-Preiskampf gesichert. Somit traf es sich unglücklich, daß gerade der
-schlecht organisierte, schlecht fundierte und mangelhaft geleitete
-Teil des zersplitterten Unternehmens den ungünstigen Zeitverhältnissen
-besonders stark ausgesetzt war.</p>
-
-<p>In den ersten beiden Jahren nach der Fusion, 1905 und 1906, war, &mdash;
-wohl auf Grund einer unbekümmerten, mit Zukunftshoffnungen rechnenden
-Bilanzpolitik &mdash; der Versuch einer aufsteigenden Rentenentwickelung
-gemacht und es waren Dividenden von 10 und 11% ausgeschüttet worden,
-aber schon im Jahre 1907, das doch eigentlich ein Hochkonjunkturjahr
-war, mußte die Gesellschaft auf 10% heruntergehen, dann ging es weiter
-abwärts auf 8%, 6 und 4%. &mdash; In Frankfurt, namentlich aber auch in
-Mülheim mußte man sich jetzt sagen, daß die Dinge so nicht weitergehen
-konnten, sollten die guten Gewinne der Mülheimer Abteilung nicht durch
-die Zuschüsse, die das Dynamowerk in den letzten Jahren gefordert
-hatte, vollends aufgezehrt werden. Aussicht auf Besserung war nirgends
-zu sehen, sofern das Dynamowerk weiter seine Selbständigkeit behaupten
-wollte. So entschloß man sich zu Verhandlungen mit der A. E. G., die
-von Dr. Walther Rathenau über die grundsätzlichen Punkte hinweg geführt
-wurden, ehe der Vorstand der A. E. G. sich mit ihnen beschäftigte.
-Der <em class="gesperrt">Abschluß</em> erfolgte in <em class="gesperrt">zwei Etappen</em>. Zunächst wurde
-die Elektrizitäts-Gesellschaft vormals Lahmeyer in Frankfurt a. M.,
-die bei der Fusion des Dynamowerks mit Felten Guilleaume bestehen
-geblieben war und das Beteiligungsgeschäft selbständig weitergeführt
-hatte, mit der Bank für elektrische Unternehmungen in Zürich, der
-Finanzgesellschaft der A. E. G., in Verbindung gebracht. Auch die
-Elektrizitäts-Gesellschaft Lahmeyer, die für ihre an die Felten
-Guilleaume-Lahmeyerwerke im Jahre 1905 abgetretenen Fabrikanlagen 15
-Millionen Mark Aktien der letzteren Gesellschaft erhalten und ins
-Portefeuille genommen hatte, war durch den Dividendenrückgang des
-Fabrikations-Unternehmens, der für ihren Haupteffektenposten eine
-bedeutende Mindereinnahme mit sich brachte, in Mitleidenschaft gezogen
-worden und hatte ihre eigene Dividende von 7 auf 4% ermäßigen müssen.
-Als nunmehr von ihrem 25 Millionen Mark betragenden Aktienkapital
-21720000 Mark auf die Züricher Elektrobank übergingen, wurden auf
-je 4000 Mark Lahmeyer-Aktien<span class="pagenum"><a name="Seite_301" id="Seite_301">[S. 301]</a></span> 3000 Frcs. neue Elektrobank-Aktien
-gegeben, so daß 16290000 Frcs. dieser Elektrobank-Aktien für die
-Durchführung des den Lahmeyer-Aktionären anheimgegebenen Umtausches
-erforderlich waren. Mit dieser ersten Transaktion aus der Gruppe
-der A. E. G.-Lahmeyer-Geschäfte, die sich lediglich zwischen den
-beiderseitigen Finanzgesellschaften abspielte, war aber doch schon eine
-Brücke auch zwischen den Fabrikationsunternehmungen geschlagen. Denn
-die 14 Millionen Mark Aktien der Felten &amp; Guilleaume Lahmeyerwerke
-(1 Million Mark war vorher abgestoßen worden), die sich im Besitze
-der Elektrizitäts-Ges. Lahmeyer befunden hatten, waren damit nebst
-2 weiteren Millionen Mark aus Konzernbesitz in den Machtbereich der
-A. E. G. gelangt. Ein so kleiner Aktienbesitz erschien aber für die
-Ausübung der Macht seitens der A. E. G. nicht ausreichend. Auf ihr
-fußend konnte Rathenau eine Neuordnung der Verhältnisse bei dem Felten
-Guilleaume-Lahmeyer-Konzern noch nicht durchführen. Der <em class="gesperrt">ersten
-Transaktion</em>, die Ende August 1910 vor sich ging, folgte Mitte
-Oktober nach weiteren eingehenden Verhandlungen die <em class="gesperrt">zweite</em>
-entscheidende. Sie war von dem Gelingen des Aktienaustausches zwischen
-der Bank für elektrische Unternehmungen und der Elektrizitäts-Ges.
-vormals Lahmeyer abhängig gemacht worden und führte zu folgenden
-Anträgen an die Generalversammlung der A. E. G. vom 15. Oktober 1910:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„1. Das Grundkapital der Gesellschaft wird um 30 Millionen Mark auf
-130 Millionen Mark erhöht durch Ausgabe von 30000 auf den Inhaber
-lautenden Aktien über je 1000 Mark, die für das mit dem 30. Juni 1911
-abschließende Geschäftsjahr den halben Gewinnanteil erhalten und sonst
-den übrigen Aktien gleichstehen.</p>
-
-<p>Von diesen Aktien werden:</p>
-
-<div class="grundkapital">
-
-<p>a) 8777 Stück den Herren Geheimer Kommerzienrat Theodor von
-Guilleaume und Kommerzienrat Max von Guilleaume zu Mülheim am Rhein
-zum Nennwert überlassen gegen Hergabe von nominal 16 Millionen Mark
-Aktien der Felten &amp; Guilleaume-Lahmeyerwerke-Aktien-Gesellschaft zu
-Mülheim am Rhein nebst Gewinnanteilscheinen vom 1. Januar 1910 ab;</p>
-
-<p>b) 11223 Stück werden der Felten &amp;
-Guilleaume-Lahmeyerwerke-Aktien-Gesellschaft zu Mülheim am
-Rhein zum Nennwert überlassen gegen Einbringung der sämtlichen
-10 Millionen Mark nominal Aktien einer neu zu gründenden
-Aktiengesellschaft<span class="pagenum"><a name="Seite_302" id="Seite_302">[S. 302]</a></span> unter der Firma A. E. G.-Lahmeyer-Werke
-Aktiengesellschaft oder unter einer anderen Firma, zu Frankfurt a.
-M., die die gesamte Abteilung Frankfurt (Dynamowerk) der Felten &amp;
-Guilleaume-Lahmeyerwerke Aktiengesellschaft zu Mülheim am Rhein,
-mit allen zugehörigen Immobilien, Maschinen, Beständen, Vorräten
-und Aufträgen, jedoch ohne Übernahme von Schuldverbindlichkeiten
-und Außenständen, besitzen soll.</p>
-
-<p>c) 10000 Stück der Berliner Handels-Gesellschaft und der
-Direktion der Diskonto-Gesellschaft zu Berlin gemeinschaftlich
-zum Kurse von 200% und einem Spesenbauschbetrag von je 100 Mark
-für jede Aktie ohne Stückzinsenberechnung überlassen und mit der
-Verpflichtung, die sämtlichen übernommenen 10000 Stück-Aktien
-alsbald nach Eintragung des Kapitalserhöhungsbeschlusses in das
-Handelsregister den Besitzern der 100 Millionen Mark alter Aktien
-unter Offenhaltung einer mindestens zweiwöchentlichen Frist zum
-Kurse von 200% und einem Spesenbauschbetrag von 100 Mark für jede
-Aktie zum Bezuge derart anzubieten, daß auf je 10000 Mark Nennwert
-alter Aktien eine neue Aktie bezogen werden kann.</p>
-
-</div>
-
-<p>Die Ausgabe dieser 10000 Stück Aktien erfolgt zur Verstärkung der
-Betriebsmittel.“</p></div>
-
-<p>Den Anträgen wurde folgende Begründung gegeben:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Als die Felten &amp; Guilleaume-Lahmeyerwerke Akt.-Ges. für das Jahr
-1909 nur 6% Dividende verteilte, weil der in den letzten Jahren
-bei ihrem Dynamowerk in Frankfurt a. M. eingetretene Rückgang die
-früheren guten Dividenden der Felten &amp; Guilleaume-Gesellschaft
-beeinträchtigte, wurden Verhandlungen wegen Abstoßung des Frankfurter
-Werkes veranlaßt. Diese haben zu einer Verständigung mit der A. E. G.
-geführt, nach der die Felten &amp; Guilleaume-Gesellschaft das Dynamowerk
-an die A. E. G. gegen Hergabe von neuen A. E. G.-Aktien abstößt. Das
-Werk wird der A. E. G. in Form einer mit einem Aktienkapital von 10
-Millionen Mark und mit Reserven von 3 Millionen Mark ausgestatteten
-Aktiengesellschaft übergeben; diese neue Gesellschaft übernimmt die
-Fabriken und Anlagen des Dynamowerks nebst Inventar und Vorräten,
-jedoch ausschließlich Debitoren und Kreditoren. Das Werk geht
-hiermit auf ein Unternehmen über,<span class="pagenum"><a name="Seite_303" id="Seite_303">[S. 303]</a></span> das die Kraft und Mittel zu
-dessen vorteilhafter Ausgestaltung besitzt. Zugleich wird die A.
-E. G. infolge der bei der Überlassung ihrer Aktien festgesetzten
-Relation das Frankfurter Werk zu niedrigem Buchwert in ihre Bilanz
-einstellen können. Für die Felten &amp; Guilleaume-Gesellschaft ergibt
-sich der nicht zu unterschätzende Vorteil, daß sie die von ihr für
-das Frankfurter Werk bisher verwendeten erheblichen Kapitalien in
-Zukunft nutzbringend in ihren Stammwerken anlegen wird. Hiermit bessert
-sie ihre bisherige Situation wesentlich, indem sie an Stelle von
-Verlusten aus dem Dynamowerk Gewinne aus den frei gewordenen Mitteln
-ziehen kann. Zu der Übernahme des Dynamowerks hat sich die A. E. G.
-indes nur unter der Voraussetzung entschlossen, daß ihr gleichzeitig
-ein ausreichender Betrag Aktien der Felten &amp; Guilleaume-Gesellschaft
-zu günstigen Bedingungen überlassen wurde. Indem weit ausschauende
-Großaktionäre der Felten &amp; Guilleaume-Gesellschaft 16 Millionen M.
-Aktien an die A. E. G. abtreten, erlangt diese in Gemeinschaft mit der
-<em class="gesperrt">befreundeten Elektrobank in Zürich 32 Millionen Mark Aktien von
-den im ganzen 55 Millionen betragenden Felten &amp; Guilleaume-Aktien und
-hiermit entscheidenden Einfluß</em> auf die in hohem Ansehen stehende
-Gesellschaft, aus deren Firma der Name Lahmeyer in Zukunft ausscheidet.
-Zudem erwachsen der A. E. G. Vorteile daraus, daß sie mit der Übernahme
-des Frankfurter Dynamowerks eine lästige Konkurrenz beseitigt, mit
-dem Dynamowerk materielle und ideelle Werte zu günstigen Bedingungen
-erwirbt, einen <em class="gesperrt">neuen Stützpunkt in Süddeutschland</em> erlangt und
-durch innige Verbindung ihres Kabelwerks mit dem alten Mülheimer
-Carlswerk auch auf dem <em class="gesperrt">Gebiet des Seekabelwesens</em> die Führung
-übernimmt. Indem die A. E. G. in dieser Weise ihre Stellung von neuem
-um ein erhebliches stärkt, wird dieser Zusammenschluß auch der von dem
-Dynamowerk befreiten Felten &amp; Guilleaume-Gesellschaft die Bahn zu neuer
-erfolgreicher Tätigkeit ebnen.</p>
-
-<p>Der Erwerb der 16 Millionen Mark Felten &amp; Guilleaume-Aktien erfolgt
-gegen Hergabe neuer A. E. G.-Aktien in einem Umtauschverhältnis, das
-der A. E. G. die Einstellung in die Bilanz zu niedrigem Buchwert
-gestattet. Während die vorstehenden Transaktionen 20 Millionen Mark
-neue A. E. G.-Aktien erfordern, soll den Aktionären gleichzeitig
-ein Bezugsrecht auf 10 Millionen Mark Aktien angeboten<span class="pagenum"><a name="Seite_304" id="Seite_304">[S. 304]</a></span> werden, um
-die Mittel für den Betrieb und die Ausgestaltung des Dynamowerks zu
-schaffen.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Das Prinzip der Gesamttransaktion bestand also darin, daß die
-mißlungene Verbindung zwischen der Frankfurter Lahmeyer-Fabrik und dem
-Carlswerk durch einen resoluten Schnitt wieder beseitigt wurde. Der
-Frankfurter Teil wurde mit der A. E. G. verschmolzen, der Mülheimer
-Teil und die Finanzgesellschaft traten durch Aktienbeteiligung in den
-Konzern der A. E. G. ein. Da der Kurs der A. E. G.-Aktien zur Zeit
-jener Transaktion ungefähr 260% betrug, stellten die 11223000 Mark
-jungen Aktien, die mit halber Dividendenberechtigung für 1910/11 bei
-der Übernahme des Lahmeyer-Dynamowerks in Zahlung gegeben wurden,
-einen rechnerischen Wert von etwa 28,4 Millionen Mark dar. In der
-Bilanz der A. E. G. erschien das Werk allerdings nur mit einem Betrage
-von 10 Millionen Mark, das heißt in Höhe des Nominalkapitals der A.
-E. G.-Unternehmungen-Akt.-Ges., welchen Namen die zur Aufnahme der
-Frankfurter Werke der Felten &amp; Guilleaume-Lahmeyerges. neu gegründete
-Aktiengesellschaft schließlich erhielt. Diese blieb in Zukunft nicht in
-ihrer bisherigen Gestalt, das heißt als gemischtes Elektrizitätswerk,
-bestehen. Die Hauptabteilungen, die als Produktionsstätten die
-Wirtschaftlichkeit der entsprechenden Berliner Betriebe nicht
-erreichten, so die Maschinenfabrik, die Lampenfabrik wurden aufgegeben
-bezw. mit den Berliner Betrieben zusammengelegt. Aufrechterhalten und
-weiterentwickelt wurden in Frankfurt nur einige Sonderbetriebe, so
-die Stellwerk-Abteilung, in der elektrische Signalapparate als neuer
-Produktionszweig aufgenommen wurden, ferner die Scheinwerferabteilung,
-die hauptsächlich für den Bedarf von Heer und Marine arbeitete. Die
-Beschränkung der Frankfurter Abteilung hatte zur Folge, daß ein
-beträchtlicher Teil des in Frankfurt benutzten Fabrikgeländes frei
-wurde, der an die Adlerwerke vorm. Kleyer veräußert werden konnte und
-somit einen Gegenwert für die Aufgabe der Frankfurter Betriebsstätten
-und die damit verbundenen Substanzenverluste bildete.</p>
-
-<p>Die technische und industrielle Bereicherung, die die A. E. G. aus dem
-Transaktionskomplex mit dem Felten &amp; Guilleaume-Lahmeyerkonzern gewann,
-war vielleicht nicht so groß wie jene, die ihr bei dem Zusammenschluß
-mit der Union zugeflossen war. Die Bedeutung lag hier mehr auf dem
-Gebiete der<span class="pagenum"><a name="Seite_305" id="Seite_305">[S. 305]</a></span> Verringerung des Wettbewerbs und der Absatzausdehnung,
-die durch die neuen starken Stützpunkte in Süddeutschland und dem
-industriereichen Westen gefördert werden konnte. Dem kräftigen,
-wohl arrondierten und wohl proportionierten Wirtschaftskörper
-der A. E. G. waren nicht so sehr neue Lebensquellen, neue
-Befruchtungsmöglichkeiten nötig, sondern er schob die Grenzen seines
-Wirtschafts- und Wirkungsgebiets, der Schwerkraft, dem drängenden
-Wachstumsbedürfnis seiner industriellen Kraft Raum schaffend, weiter
-vor. Der Wille zur Macht und zur Entwickelung der Macht, der jedem
-blühenden Wirtschaftskörper unzertrennlich innewohnt, war hier die
-Haupttriebfeder des Handelns. Rein wirtschaftlich betrachtet, gehörte
-die Aufnahme der Lahmeyerwerke zu den Geschäften, die sich nicht sofort
-und nicht unmittelbar völlig bezahlt machen, und es gehörte schon die
-ganze strotzende Gesundheit der A. E. G. und die Fülle ihrer Säfte
-dazu, um einen so schweren Bissen wie das Lahmeyerwerk zu verdauen und
-zu verarbeiten. Erst allmählich begann diese Fusion sowie auch die
-Verbindung mit dem Carlswerk ihre Früchte zu tragen.</p>
-
-<p>War Triebfeder und Ergebnis der Lahmeyer-Transaktion für die A. E.
-G. in erster Linie Machterweiterung, so konnte es nicht ausbleiben,
-daß das die Verhältnisse in der Elektrizitätsindustrie beherrschende
-Gesetz des <em class="gesperrt">Dualismus</em> die Wurzel für einen <em class="gesperrt">Gegenzug</em>
-des <em class="gesperrt">Siemens-Schuckert-Konzerns</em> bildete. Dieser erfolgte
-nicht so stürmisch, so „Zug um Zug“ wie in der ersten großen
-Konzentrationsperiode, in der die Machtverhältnisse noch nicht so
-gefestigt, die Möglichkeiten der Ausdehnung noch zahlreicher, die
-Auswahl unter den Fusionsobjekten noch größer, die ganze Entwickelung
-noch mehr im Fluß gewesen war. Beide Konzerne waren inzwischen in
-ihrem Besitz, in ihrer inneren Verfassung reicher, weiter und sicherer
-geworden und konnten ihre Transaktionen langsam vorbereiten und
-überlegen. Sie brauchten sich der neuen Objekte nicht ungeduldig zu
-bemächtigen, sondern konnten die Dinge an sich herankommen lassen.
-So dauerte es noch fast ein Jahr, bis die Siemens-Schuckert-Werke
-auf die Machterweiterung der A. E. G. damit antworteten, daß sie
-sich durch Aktienerwerb und Verwaltungseinfluß an dem letzten
-bis dahin noch unabhängig gebliebenen „gemischten“ Großwerk der
-Elektrizitätsindustrie, den <em class="gesperrt">Bergmann-Elektrizitätswerken</em>,
-beteiligten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_306" id="Seite_306">[S. 306]</a></span></p>
-
-<p>Die Bergmann-Elektrizitätswerke in Berlin waren nicht als
-gemischtes Werk gegründet worden, sondern hatten sich,
-ursprünglich als Spezialfabrik für Isolier-Leitungsrohre und
-Spezial-Installations-Artikel errichtet, erst später und in
-allmählichem Ausbau zum elektrischen Universalunternehmen entwickelt.
-Ihre Geschichte, ihr Kampf und ihr Schicksal ist in mehr als einer
-Hinsicht charakteristisch für die Gestaltung der Verhältnisse in der
-deutschen Elektrizitätsindustrie nach der Krise von 1901/03. Im Jahre
-1893 wurde die Gesellschaft mit dem kleinen Kapital von 1 Million
-Mark zur Herstellung der oben erwähnten Sonderartikel gegründet, sie
-ging hervor aus der seit 1891 bestehenden offenen Handelsgesellschaft
-S. Bergmann &amp; Co. in Berlin. Sigmund Bergmann, ihr Gründer, stammte
-aus der Schule des Amerikaners Edison, mit dem er jahrelang als
-Associé zusammengearbeitet hatte und der ihm auch später stets in
-enger Freundschaft verbunden blieb. Bergmann gründete im Jahre 1897,
-während er seinen Wohnsitz noch in New York hatte, außerdem die
-Bergmann-Elektromotoren- und Dynamo-Werke, die gleichfalls zuerst nur
-mit einem Kapital von 1 Million Mark arbeiteten. Im Jahre 1900 wurden
-beide Gesellschaften miteinander fusioniert und das Kapital des damit
-den Weg der gemischten Werke beschreitenden Gesamtunternehmens erhielt
-einen Umfang von 8,5 Millionen Mark. Die Gesellschaft, technisch aufs
-beste und modernste ausgerüstet und mit den neuesten amerikanischen
-Konstruktionen arbeitend, hatte bis zum Jahre 1900 ihre Dividenden
-auf 23% gesteigert. Die Krisis brachte nur einen Rückgang auf den
-immerhin noch sehr hohen, von keiner anderen Elektrizitätsgesellschaft
-jemals gezahlten Satz von 17%. Nach der Krisis stellte sich die
-Dividende jahrelang auf 18%. Die hohe Rente bot die Möglichkeit zur
-Erzielung großer Agiogewinne bei den verschiedenen und häufigen
-Kapitalerhöhungen. Die Aktienkurse bewegten sich zwischen 200 und 300%.
-Bei Neuemissionen konnten Begebungskurse von durchschnittlich 200%
-festgesetzt werden, und kein geringeres Institut als die Deutsche Bank
-wurde für den Aufsichtsrat und als Bankverbindung für die Gesellschaft
-gewonnen.</p>
-
-<p>Diese äußerlich glänzende Entwickelung hatte aber eine Schattenseite.
-Sigmund Bergmann war ein ausgezeichneter Techniker, ein moderner,
-tatkräftiger Industrieller, aber er, der Amerikaner unter den deutschen
-Elektrikern, glaubte die amerikanischen Industrie- und<span class="pagenum"><a name="Seite_307" id="Seite_307">[S. 307]</a></span> Finanzmethoden
-nach Deutschland übertragen zu können, wo doch Emil Rathenau längst
-einen Typus und ein System entwickelt hatte, das dem amerikanischen
-weit überlegen war und die nach diesem arbeitenden Unternehmungen
-letzten Endes schlagen <em class="gesperrt">mußte</em>. Bergmann mangelte bei seinen
-außerordentlichen technischen und industriellen Fähigkeiten eine
-ebenbürtige kaufmännische Veranlagung. Er kopierte hier eigentlich
-nur, was ihm die großen Konkurrenzwerke bereits erfolgreich vorgemacht
-hatten. Ganz ging ihm aber die <em class="gesperrt">finanzielle Meisterschaft</em> eines
-Emil Rathenau ab, er besaß nicht das eigene finanzielle Urteil,
-geschweige denn die originale, schöpferische Finanzkunst des A.
-E. G.-Gründers. So ließ er sich auf der Bahn, die ihm die ersten
-großen technischen Erfolge seines Unternehmens mit ihren hohen
-Dividendenresultaten eröffnet hatten, gern und kritiklos weitertreiben.
-Er nutzte unbekümmert um die innere Konsolidierung, um die Sicherung
-seiner Basis durch starke Reservestellungen, die Möglichkeiten aus,
-die ihm die hohen äußeren Renten boten. Seine Finanztechnik bestand
-in der Ausmünzung des <em class="gesperrt">Aktienagios</em>, und er glaubte genug
-Rücklagen zu haben, wenn er die ihm aus seinen Kapitalserhöhungen
-zufließenden stattlichen Aufgelder in den Reservefonds einstellte.
-Seine Finanzpolitik war ein grundsätzliches Gegenbild zu der Emil
-Rathenaus, der sich nie durch die Agiochancen dazu verführen ließ,
-seine Dividenden höher zu bemessen, als ihm dies seine streng
-sachliche, hypervorsichtige Bilanzierung gestattete. Sigmund Bergmann
-war dabei zweifellos finanziell gutgläubig, seine Finanzpolitik kann
-nicht etwa als <em class="gesperrt">leichtfertige</em> Agiotage bezeichnet werden, und in
-einer anderen, nicht so sehr durch übermächtigen Wettbewerb älterer
-Unternehmungen beengten Industrie hätte sie vielleicht sogar passieren
-können. Bergmanns Tragik war, daß er 10 oder 15 Jahre zu spät kam, und
-in seiner Fachtüchtigkeit einen Gegner wie Emil Rathenau vorfand, der
-nicht nur fachtüchtig, sondern universal-tüchtig war und obendrein
-im Besitz, im Vorsprung war. Bergmann fand die ungeheuer schwere
-Aufgabe vor, nicht nur unter gleichen Bedingungen die stärksten Gegner
-zu besiegen, sondern noch deren beträchtliche Vorgabe einzuholen.
-Der Mut, mit dem der finanziell naive Techniker an die gewaltige
-Aufgabe heranging, ist bewunderungswürdig, bewunderungswürdig auch,
-was er unter so ungünstigen Bedingungen industriell erreicht hat.
-Der Ausbau seiner kleinen<span class="pagenum"><a name="Seite_308" id="Seite_308">[S. 308]</a></span> Spezialbetriebe zu einem großen modernen
-elektrotechnischen Universalwerk, das sich in technischer Beziehung
-durchaus neben der A. E. G. und Siemens-Schuckert sehen lassen konnte,
-ist eine hervorragende Leistung, die ohne bedeutende Organisationskraft
-nicht zu bewältigen war. Da er große und zahlreiche Werke schnell
-bauen mußte, auch in der kostspieligen Außenorganisation, die ihn zur
-Errichtung vieler auswärtiger und ausländischer Installations- und
-Konstruktionsbureaus zwang, und schließlich in der Fundierung des
-Unternehmergeschäfts, die er durch die Gründung einer Trustgesellschaft
-„der Bergmann Elektrische Unternehmungen-Akt.-Ges.“ zu stützen
-versuchte, den großen Vorbildern nachstreben mußte, konnte er
-allerdings wohl finanziell gar nicht so vorsichtig und bedächtig
-vorgehen wie Emil Rathenau. Er konnte sich nicht den Luxus leisten,
-das Geld auf die hohe Kante zu legen, sondern mußte häufige und
-umfangreiche Kapitalerhöhungen vornehmen, und dabei so beträchtliche
-Agiobeträge wie möglich hereinbringen. Er war spät gekommen und
-mußte schnell vorwärts, wenn er noch mit an die Spitze wollte. Der
-finanziell Einsichtige hätte wissen müssen, daß er so Gefahr lief,
-sich letzten Endes in geldlichen Schwierigkeiten zu verfangen, der
-industriell Wagemutige und Schaffensfreudige hat das Experiment doch
-versucht, und ist daran gescheitert. Bergmanns Tragödie ist die
-Tragödie des Nachgeborenen, der mit all seiner Schaffenskraft beendete
-Entwickelungen, verschlossene Kanäle, gelöste Probleme vorfindet, wie
-Rathenaus Glück das Glück des Schöpfers ist, der gerade im Augenblicke
-zu schaffen beginnt, in dem die Zeit seinen Plänen entgegenreift,
-in dem Baugrund und Baumaterial nur des Baumeisters warten. Den
-einen haben die Verhältnisse niedergehalten, den anderen haben sie
-emporgetragen.</p>
-
-<p>Sigmund Bergmann war es zwar in den Tagen des Glücks gelungen, die
-erste deutsche Bank zur Unterstützung seiner Finanzgebarung zu
-gewinnen. Aber gerade hier hat sich erwiesen, wie wenig auch die
-beste Bank (wenn sie nicht gerade selbst industrielle Unternehmungen
-entwickelt) in der Lage und gewillt ist, rein industrielle
-Finanzpolitik zu treiben, die eigene, rein sachliche und nur den
-Interessen des Unternehmens dienende Finanzpolitik des industriellen
-Leiters zu ersetzen. Gerade dieses negative Ergebnis bei Bergmann
-illustriert in scharfem Kontrast, wie sehr umgekehrt Emil Rathenau,
-der sein eigener Finanzminister war, die Bankier-Begabung zustatten<span class="pagenum"><a name="Seite_309" id="Seite_309">[S. 309]</a></span>
-gekommen sein muß. Die Deutsche Bank hat Sigmund Bergmanns falsche
-Finanzpolitik, die ihr selbst bei den vielen Kapitalserhöhungen schöne
-Provisions- und Emissionsgewinne einbrachte, bereitwillig und ohne
-Kritik mitgemacht, so lange alles gut ging. Als aber die Zeit der
-Dividendenrückgänge, des Schwachwerdens im Konkurrenzgeschäft, das
-Versagen des Emissionsmarktes und die durch keine Kapitalserhöhungen
-mehr zu behebenden Geldschwierigkeiten kamen, hat die Deutsche Bank
-der Gesellschaft und ihrem Leiter nicht die starke finanzielle
-Rückendeckung gewährt, die ihn vielleicht noch (oder vielleicht
-auch nicht mehr) hätte retten können. Sie hat vielmehr die
-Bergmann-Gesellschaft zur Aufgabe ihrer Selbständigkeit, zum Anschluß
-an einen der großen Konzerne gedrängt und die weitere Geldhergabe
-von dieser Kapitulation abhängig gemacht. Mit diesen Worten soll
-der Deutschen Bank gewiß nicht der Vorwurf einer illoyalen,
-unzuverlässigen Handlungsweise gemacht, sondern nur gezeigt werden,
-daß auch die größten Banken nicht gewillt und imstande sind, schon mit
-Rücksicht auf ihre eigenen Aktionäre gar nicht imstande sein können,
-junge Industrie-Unternehmungen im Kampf gegen große übermächtige
-Konkurrenzkonzerne durchzuhalten und in ihrer Entwickelung zu stützen;
-insbesondere dann nicht, wenn diese Kapitalmächte &mdash; wie das im
-deutschen Wirtschaftsleben nicht selten der Fall ist &mdash; in Beziehungen
-zu einem jener großen Konkurrenzkonzerne stehen und im Interesse der
-wertvolleren Verbindung die minder wertvolle preiszugeben geneigt
-sind. Die Unabhängigkeit eines Industrieunternehmens, besonders eines
-mittleren, noch nicht zum ersten Range emporgestiegenen, kann nur auf
-dem Wege erreicht werden, den Rathenau einschlug, nämlich dem der
-finanziellen Selbständigkeit. Unbedingt Herr im eigenen Hause bleibt
-nur <em class="gesperrt">der</em> Industrielle, der sich frei von Bankgeld und Bankenhilfe
-hält, der genug eigene Geldmittel aufsammelt, um damit auch Krisen
-überwinden, in Zeiten schlechten Emissionswetters seine Bedürfnisse
-decken zu können. Beispiele für solche selbständige Finanzpolitik,
-die zwar die Banken gelegentlich benutzt, darin aber nicht so weit
-geht, daß sie von Banken beherrscht werden kann, bieten abgesehen von
-der A. E. G., Siemens &amp; Halske, Krupp, die Hamburg-Amerika-Linie, die
-Gelsenkirchener Bergwerksgesellschaft, der Bochumer Gußstahlverein,
-die großen Anilinfarbengesellschaften und eine erhebliche Anzahl in
-der letzten Zeit reich gewordener Unternehmungen<span class="pagenum"><a name="Seite_310" id="Seite_310">[S. 310]</a></span> kleineren Formats.
-Gegenbeispiele der durch Banken in ihrer sachlichen Geschäftspolitik
-zeitweilig beeinflußten Unternehmungen sind außer Bergmann u. a. die
-Phönix-Akt.-Ges. in ihrer früheren Periode, in der sie durch die
-Banken zum Eintritt in den Stahlwerksverband gezwungen wurde, die
-Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hütten-Ges., die Hohenlohewerke,
-die Deutschen Erdölwerke. Nur <em class="gesperrt">ein</em> großes Beispiel, bei dem
-sich industrielle Selbständigkeit mit starker Verschuldung bei Banken
-vereinigt hat, kennt die Geschichte der deutschen Großindustrie:
-den Fall <em class="gesperrt">August Thyssens</em>. Dieser Ausnahmefall weist aber
-so viele seltene, einzigartige Vorbedingungen auf, daß er gerade
-dadurch die Regel bestätigt. Eine große, kühne und ganz besonders
-im Komplizierten sich erweisende Finanzkunst, die in ihrer Art der
-ganz anders gerichteten Emil Rathenaus ebenbürtig war, die mit dem
-persönlichen Kredit ebenso überlegen operierte, wie Rathenau mit dem
-Aktienkredit, unterstützte hier die industrie-kaufmännische Begabung.
-August Thyssen verstand es, so viele Kreditquellen zu benutzen, und die
-Konkurrenzströmungen auf dem Kapitalmarkte so geschickt gegeneinander
-auszuspielen, daß er stets Herr der Lage blieb und schließlich eine
-Macht wurde, mit der es kein Bankgläubiger verderben durfte, &mdash; in
-guten Zeiten, weil er den großen Kunden zu verlieren fürchtete, in
-schlechten, weil er die Sicherheit des geliehenen Geldes besser durch
-Nachgiebigkeit als durch Rücksichtslosigkeit gewährleistet glauben
-mußte.</p>
-
-<p>Kehren wir zu den Verhältnissen der Elektrizitätsindustrie zurück.
-Die Bergmann-Elektrizitätswerke mußten, durch den Konkurrenzkampf der
-letzten Jahre geschwächt, mitten in großen Erweiterungsplänen und
-Geldbedürfnissen, ihre Dividende im Jahre 1910 von 18 auf 12%, im
-folgenden Jahre auf 5% herabsetzen. Der überanstrengte Emissionskredit
-brach damit zusammen, die unvollendeten Pläne konnten nicht mehr weiter
-geführt werden. In dieser Situation gab es keinen anderen Ausweg als
-den Anschluß an einen der großen Konkurrenzkonzerne. Die Deutsche
-Bank vermittelte die Anlehnung an den Siemens-Schuckert-Konzern,
-dem sie ja selbst finanziell nahestand. Auch mit der A. E. G. war
-verhandelt worden, aber diese konnte sich nicht dazu entschließen,
-Bergmann die von ihm verlangte, wenigstens halbe Selbständigkeit
-zu gewähren, war wohl auch durch die Angliederung des Felten
-Guilleaume-Lahmeyer-<span class="pagenum"><a name="Seite_311" id="Seite_311">[S. 311]</a></span>Konzerns vorerst gesättigt und brauchte kein
-Unternehmen mehr zu erwerben, das ihr nur Machterweiterung, aber
-keine Ergänzung durch neue Betriebszweige bot. So kam die Anlehnung
-der Bergmannwerke an Siemens-Schuckert zustande. Das Kapital der
-Bergmann-Werke wurde von 29 auf 52 Millionen Mark erhöht, davon
-übernahmen die Siemens-Schuckertwerke 8½ Millionen Mark. Aus ihrem
-Konzern trat Theodor Berliner in die Generaldirektion der Bergmannwerke
-neben Sigmund Bergmann ein, er übernahm die kaufmännische und
-finanzielle Führung, während die technische bei Bergmann verblieb.
-Die industriellen Baupläne wurden, mit <em class="gesperrt">dem</em> Teil des neuen
-Geldes, der nicht zur Ablösung bereits verbauter, vorläufig durch
-Bankkredit beschaffter Mittel erforderlich war, zu Ende geführt. Das
-Unternehmergeschäft dagegen wurde liquidiert. Der früher hochrentablen
-Bergmann-Aktie stand eine Reihe magerer Jahre bevor, bis der Krieg auch
-diesem Unternehmen, wie so manchen anderen durch Betätigung auf dem
-seiner eigentlichen Natur fremden Gebiet der Munitionsherstellung eine
-unerwartet schnelle Erholung brachte.</p>
-
-<p>Die Geschichte der Bergmannwerke hat den Beweis erbracht, daß ein
-aussichtsreicher Wettbewerb gegen die beiden herrschenden Groß-Konzerne
-auf dem Gebiete der <em class="gesperrt">Neuerrichtung von Werken</em> ebensowenig
-möglich war, wie er durch Fusion bereits bestehender Unternehmungen
-mittlerer Größe im Falle Felten Guilleaume-Lahmeyer auf die Dauer
-sich hatte behaupten können. Dies Aufgehen der beiden letzten
-Konkurrenzbetriebe gemischter Natur in die Interessenkreise der beiden
-„Großen“ hatte nunmehr die Situation in voller Reinheit und Klarheit
-hervortreten lassen, auf die die ganze Entwickelung seit Beginn der
-Konzentrationsperiode sichtlich hingedrängt hatte. Das Prinzip des
-Dualismus hatte sich voll ausgewirkt. Nur zwei Gruppen, die A. E.
-G. und Siemens-Schuckert, standen sich jetzt noch gegenüber. Es war
-kein Wunder, daß die Monopolfurcht, die schon gelegentlich der ersten
-großen Fusionen im Jahre 1903 in der Öffentlichkeit hervorgetreten
-war, von neuem auftauchte. Vom konsequent durchgeführten Dualismus
-bis zum Monopolismus war ja nur &mdash; so fürchtete ein Teil der
-öffentlichen Meinung &mdash; ein Schritt. Ein offener oder ein geheimer
-Vertrag zwischen den beiden Gruppen konnte den deutschen Konsum der
-Herrschaft eines Elektrizitätsmonopols ausliefern. In der Mitteilung,
-die<span class="pagenum"><a name="Seite_312" id="Seite_312">[S. 312]</a></span> der Siemens-Schuckertkonzern gelegentlich der Transaktion mit
-Bergmann bekannt gab, verwahrte er sich allerdings mit Nachdruck gegen
-Monopolbestrebungen. Man wolle kein Monopol, und man halte es nicht
-einmal für nützlich im Interesse der Elektrizitätsindustrie. Darum
-beabsichtige man auch nicht, die kaufmännische Selbständigkeit der
-Bergmann-Elektrizitätswerke durch die Übernahme der Bergmann-Aktien
-anzutasten. Diese Gesellschaft solle ihre Bewegungsfreiheit auch
-weiter behalten. Eine <em class="gesperrt">nachhaltige</em> Beunruhigung über die
-Monopolfrage kam denn auch infolge der letzten Fusionen in der
-Elektrizitätsindustrie nicht auf oder sie verlor sich doch bald. Das
-war zum Teil darauf zurückzuführen, daß man den Monopolen in manchen
-Kreisen nicht mehr so streng ablehnend gegenüberstand, wie noch vor 10
-Jahren, nachdem man erkannt hatte, daß ihre Macht durch Staatskontrolle
-zu beschränken sei, während die betriebliche Wirtschaftlichkeit
-durch sie zweifellos gefördert werde. Auf der anderen Seite hatte
-man aber gerade in der Zwischenzeit die Erfahrung gemacht, daß die
-Vereinigungsidee in der Elektrizitätsindustrie über den Dualismus A. E.
-G.&mdash;Siemens-Schuckert nur schwer hinwegschreiten würde. Zwischen beiden
-Konzernen waren viele Berührungspunkte entstanden, sie saßen in manchen
-Produktionsgesellschaften, wie den Akkumulatorenwerken Hagen, in der
-Telefunkengesellschaft, in vielen Betriebsgesellschaften, wie der
-Deutsch-Überseeischen Elektrizitätsgesellschaft, der St. Petersburger
-Gesellschaft für elektrische Beleuchtung, der Hamburger Hochbahn
-usw. zusammen, sie gehörten verschiedenen Kartellen an, hatten sogar
-gelegentlich geheime Submissionsabmachungen getroffen, und doch waren
-die Grundgegensätze zwischen ihnen dadurch keineswegs beseitigt, oder
-auch nur gemildert worden. Wenn man mit Persönlichkeiten aus einem der
-beiden Häuser von der Konkurrenz sprach, so waren es durchaus nicht
-immer Worte des gegenseitigen Verständnisses, der Anerkennung, der
-Würdigung, die man über den anderen zu hören bekam. Die Gefühle der
-Rivalität, des Konkurrenzneides, waren mehr als je vorherrschend. Statt
-eine Annäherung im großen herbeizuführen, hatten die gelegentlichen
-geschäftlichen Verbindungen nur das heimliche Gegensatzgefühl, die
-innere Kampfstellung verschärft. Und dieser Gegensatz blieb nicht auf
-akademische Erörterungen beschränkt, er trat auch auf den Absatzmärkten
-allenthalben in Er<span class="pagenum"><a name="Seite_313" id="Seite_313">[S. 313]</a></span>scheinung. Überall war das Bestreben fühlbar, den
-Gegner zu verdrängen, an Leistung zu überbieten und im Preise zu
-unterbieten, seine Produkte schlecht zu machen, seine Geschäftspraxis
-zu bemängeln. Wenn auch bei großen Geschäften der eine manchmal
-vornehm hinter dem anderen zurücktrat, er tat es nur mit innerlichem
-Ingrimm, und in kleinen Geschäften wurde der Konkurrenzkampf oft
-bis aufs Messer ausgefochten. Man hat gesagt, daß dieser Gegensatz
-in Personenfragen begründet sei und mit dem Rücktritt der alten, im
-gegenseitigen Kampf aufgewachsenen Personen verblassen und schließlich
-ganz verschwinden werde. Das mag bis zu einem gewissen Grade richtig
-sein, vorläufig ist aber mit einem Absterben dieser persönlichen
-Stimmungen noch lange nicht zu rechnen. Der Patrizierstolz der Familie
-Siemens hat sich nun bereits bis ins dritte Glied fortgeerbt, und ist
-noch immer stark und unerschüttert. Der A. E. G.-Geist, der nicht
-einmal so sehr in der weniger fruchtbaren Dynastie Rathenau verkörpert
-ist, wie in den vielen noch lebenden Mitarbeitern Emil Rathenaus aus
-seinen ersten Anfängen, will und braucht ebenfalls keine Kompromisse
-zu schließen. Ob vielleicht die veränderte Weltlage, die nach
-Beendigung des Krieges zweifellos in Erscheinung treten wird, einen
-Zusammenschluß der Elektrizitätskonzerne aus Gründen der Verteidigung
-des Weltmarktbesitzes herbeiführen wird &mdash; wie sie während des Krieges
-schon zu einer Vereinigung der Anilinkonzerne geführt hat und wie ihre
-Vorahnung vor dem Kriege bereits ein Bündnis zwischen Hapag und Lloyd
-zu Wege brachte &mdash; läßt sich jetzt noch nicht beurteilen. Es ist aber
-nicht ganz von der Hand zu weisen, daß auch hier vielleicht die Sachen
-stärker sein werden als die Personen.</p>
-
-<p>Bei Beurteilung der Monopolfrage darf nicht außer acht gelassen
-werden, daß die elektrischen Großkonzerne, die gemischten Betriebe,
-nicht die einzigen Unternehmungen auf dem Gebiete der deutschen
-Elektrizitätsindustrie sind. Es besteht sowohl auf dem Starkstrom-
-wie auch auf dem Schwachstromgebiet noch eine erhebliche Anzahl
-leistungsfähiger und unabhängiger Spezialbetriebe, die gewisse
-Sonderprodukte herstellen und die darin eine beachtenswerte Konkurrenz
-für die Großkonzerne bilden. Es gibt fast kein elektrotechnisches
-Erzeugnis, angefangen von der kleinen Glühlampe und dem Telephonapparat
-bis zu der größten Dynamomaschine, das nicht in Spezialfabriken
-hergestellt wird. Man kann annehmen, daß die Produktion<span class="pagenum"><a name="Seite_314" id="Seite_314">[S. 314]</a></span> dieser
-Spezialfabriken sich zu der der Großkonzerne etwa wie 1:3 verhält.
-Eine Reihe der Spezialfabriken, wie zum Beispiel das Sachsenwerk,
-die elektrotechnische Fabrik Rheydt, die Telephonfabrik Berliner,
-die Mix &amp; Genest-Gesellschaft, die Elektrizitätsgesellschaft Poege,
-die Hackethal-Draht- und Kabelwerke, die Fabrik isolierter Drähte
-Vogel, das Kabelwerk Cassierer, hat sich im Kriege finanziell sehr
-günstig entwickelt und große Reserven aufgehäuft. Dadurch dürfte die
-Konkurrenzfähigkeit dieser Gesellschaften nach dem Kriege gegenüber dem
-früheren Stand wesentlich gesteigert worden sein. Solange der Dualismus
-zwischen der A. E. G. und Siemens-Schuckert erhalten bleibt, werden
-auch die Spezialfabriken ihre Stellung behaupten können.</p>
-
-<p>Etwas anders liegen die Verhältnisse auf dem Gebiete der
-<em class="gesperrt">Betriebsunternehmungen</em>. Hier beherrschen die beiden Gruppen
-ziemlich allein das Feld und sowohl im Unternehmergeschäft,
-als auch bei den Auftragsbauten für Rechnung von besonderen
-Betriebsgesellschaften, Kommunen und sonstigen Behörden findet sich
-für sie kaum ein nennenswerter Wettbewerb. Das Prinzip des Dualismus,
-der wechselseitigen Konkurrenz beider Konzerne, reicht aber auf diesem
-Gebiet nur bis zur Projektionsgenehmigung und Auftragserteilung für den
-Bau im ganzen, manchmal, wenn beide Gruppen zusammenarbeiten oder sich
-über Projekte verständigen, scheidet es auch schon vorher aus. In der
-Durchführung des Baus, meist auch in der späteren Materialversorgung,
-werden die Gruppen kaum noch durch eine Einwirkung der Konkurrenz
-gestört. Diese Gestaltung der Dinge hat in der Öffentlichkeit vielfach
-die Furcht vor einem privaten Strommonopol hervorgerufen. Gerade aber
-hier würde es auch einem solchen Monopol schwer sein, seine Macht zu
-einer Vergewaltigung der Konsumenten, die doch hauptsächlich nur in
-einer Heraufschraubung der Tarife bestehen könnte, zu mißbrauchen.
-Besonders gilt das für den Kraftstrom. Sobald bei der Tarifbemessung
-für elektrische Kraft nämlich die Elektrizitätswerke zu hohe Preise
-forderten, würde die Anlage von Privatkraftzentralen für größere
-Verbraucherbetriebe, die schon bisher den Strom vielfach vorteilhafter
-liefern konnten als öffentliche Zentralen nicht ganz moderner Art und
-Leistungsfähigkeit, eine solche Ausdehnung nehmen, daß die öffentliche
-Stromversorgung jede Aussicht verlieren würde, an großindustrielle
-Betriebe Strom überhaupt abzusetzen. Wurden doch von<span class="pagenum"><a name="Seite_315" id="Seite_315">[S. 315]</a></span> öffentlichen
-Elektrizitätswerken im Jahre 1913 nur 2800 Millionen Kwstd. nutzbar
-abgegeben gegen 10000 Millionen Kwstd. von Einzelanlagen<a name="FNAnker_1_1" id="FNAnker_1_1"></a><a href="#Fussnote_1_1" class="fnanchor">[1]</a>. Was aber
-den kommunalen Stromverbrauch für Licht- und Kraftzwecke anlangt,
-so ist seine Abgabe von der Erteilung der Konzessionen seitens der
-Kommunalbehörden abhängig, die sich vertraglich gegen eine Ausnutzung
-der Strommonopole zur Erzielung unangemessener Preise schützen können,
-wobei die Angemessenheit der Preise durch den sachverständigen
-Vergleich mit anderen Werken und Verträgen der gleichen Art nicht
-schwer festzustellen ist. Vielfach haben auch Städte, Kreise und
-sonstige öffentliche Körperschaften die Stromwerke in eigenen
-Betrieb genommen, um statt des privaten Monopols ein öffentliches zu
-schaffen. Auch verschiedene <em class="gesperrt">Staaten</em> haben sich Einfluß auf die
-Elektrizitätserzeugung innerhalb ihrer Grenzen durch Errichtung von
-eigenen großen Kraftwerken, Beschlagnahme der Wasserkräfte, Kohlenläger
-usw. gesichert.</p>
-
-<p>Das hindert allerdings nicht, daß die elektrischen Großkonzerne
-durch geschickte „Strategie“ verschiedentlich kommunalpolitische
-Elektrizitätsprojekte geschädigt haben. Ein Beispiel bildet
-das Vorgehen des A. E. G.-Konzerns im Falle der Berliner
-Elektrizitätswerke, nachdem diese auf die Stadt Berlin übergegangen
-waren. Hier hat die A. E. G. mit ihrem Märkischen Elektrizitätswerk
-die Berliner Elektrizitätserzeugung sozusagen „eingekreist“, indem sie
-durch ihren die Bildung eines gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens
-vorsehenden Vertrag mit der Provinz Brandenburg der Stadt Berlin
-jede Möglichkeit nahm, sich mit dem Stromabsatz ihrer Werke über
-deren altes Versorgungsgebiet auszudehnen, wie es wohl im Rahmen
-einer großzügigen und ökonomischen Berliner Elektrizitätspolitik
-gelegen hätte. In ähnlicher Weise ist die Stadt Mülhausen i. E. an
-der Errichtung eines leistungsfähigen kommunalen Werkes verhindert
-worden, weil ringsherum große, mit Wasserkraft und Montankraft
-arbeitende Privatwerke entstanden, die ihr an Wettbewerbsfähigkeit
-überlegen waren. Aber auch in diesen Fällen kann man nicht sagen,
-daß die eigentlichen Verbraucherinteressen durch das Vorgehen der
-Großkonzerne gelitten haben, denn es ist ja gerade die aus höherer
-Leistungsfähigkeit<span class="pagenum"><a name="Seite_316" id="Seite_316">[S. 316]</a></span> sich ergebende Möglichkeit der Unterbietung,
-die das private Großwerk dem kommunalen Lokalwerk überlegen macht.
-Beeinträchtigt werden vielmehr nur kommunale Interessen, wobei die
-Frage, ob es überhaupt kommunalpolitisch gerechtfertigt ist, daß eine
-Gemeinde über ihr eigenes Weichbild hinaus als Stromlieferant auftritt,
-offenbleiben soll. &mdash; Im Falle der Berliner Elektrizitätswerke steht
-übrigens nicht das kommunalpolitische Verwaltungs-Prinzip dem privaten
-Unternehmerprinzip, sondern dem gemischt-wirtschaftlichen Prinzip
-gegenüber, da ja die Märkischen Elektrizitätswerke durch Beteiligung
-der Provinz Brandenburg zu einem halböffentlichen Unternehmen geworden
-sind. Durch den Hinweis auf öffentliche Interessen wird man also diesen
-Widerstreit &mdash; auch bei aller Sympathie für die Reichshauptstadt &mdash;
-nicht in ihrem Sinne lösen können. Was der Stadt Berlin recht ist, muß
-schließlich der Provinz Brandenburg billig sein. Es bleibt ein rein
-wirtschaftlicher Kampf übrig, in dem letzten Endes wirtschaftliche
-Leistungsfähigkeit und geschickte Geschäftstaktik den Ausschlag geben
-müssen.</p>
-
-<p>Ein besonderes Wort sei noch den sogenannten
-<em class="gesperrt">Installationsmonopolen</em> gewidmet. Darunter versteht man
-den von manchen Stromlieferungswerken ausgeübten Zwang auf die
-Stromabnehmer, die Hausinstallationen, die Anschlüsse an das
-Kabelnetz des Stromwerkes usw. von ihnen selbst oder von den ihnen
-nahestehenden Fabrikationsgesellschaften vornehmen zu lassen und
-die dazu erforderlichen Apparate durch sie zu beziehen. Derartige
-Installationsmonopole, die bei konsequenter Durchführung den
-Handwerkerstand der unabhängigen Elektromechaniker bald völlig
-beseitigen würden, sind neuerdings in fast allen Konzessionsverträgen
-ausdrücklich verboten, die Zentral-Regierungen in den einzelnen
-Bundesstaaten haben sie in Erlassen bekämpft, und auch die
-großen Elektrizitätsgesellschaften haben erkannt, daß derartige
-Installationsmonopole (nicht zu verwechseln mit den Einrichtungs-
-und Materiallieferungsmonopolen oder den Lieferverträgen mit
-Meistbegünstigung für den Bedarf der Stromwerke selbst) weder
-durchzusetzen sind, noch den Fabrikationsgesellschaften selbst zum
-Nutzen gereichen, da diese an der Vernichtung eines selbständigen und
-leistungsfähigen Installateur-Standes keineswegs ein Interesse haben.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_317" id="Seite_317">[S. 317]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Vierzehntes_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Vierzehntes Kapitel</em><br />
-
-Großkraftversorgung</h2>
-
-</div>
-
-<p>Die Entwicklung der elektrischen Stromversorgung, die von
-der Blockstation über die Zwischenetappen der <em class="gesperrt">Lokal-</em>
-und <em class="gesperrt">Überlandzentrale</em> zum großen <em class="gesperrt">Zentral-</em> und
-<em class="gesperrt">Fernkraftwerk</em> schritt, ist im letzten Jahrzehnt besonders
-durch zwei Dinge vorbereitet und ermöglicht worden. Einmal durch
-die Lösung des technischen Problems der <em class="gesperrt">Fernübertragung
-hochgespannter</em> Ströme über beliebig weite Strecken und
-ferner durch die juristisch-organisatorische „Erfindung“ der
-<em class="gesperrt">gemischt-wirtschaftlichen</em> Unternehmung. Die letztere war
-in Wirklichkeit allerdings nur das Verwaltungskleid, das der
-ersteren gesucht und gefunden wurde. Die grundsätzliche Lösung des
-Fernübertragungsproblems liegt schon Jahrzehnte zurück, sie war mit
-der Einführung des Drehstromsystems gegeben, das wir an <em class="gesperrt">der</em>
-Stelle unseres Buches, die ihm im historischen Gange der Untersuchung
-zukam, bereits behandelt haben. Wenn es auch noch ziemlich lange
-dauerte, bis die neue Erfindung trotz schon anfänglich verblüffender
-Demonstrationswirkung in größerem Umfange angewendet wurde und
-die Praxis der Theorie auf ihre damals dem vorausschauenden Genie
-schon erkennbaren Wege folgte, so lag dies daran, daß man in der
-Elektrizitätsindustrie erst die Verwendung hochgespannter Ströme
-zu hinreichender Leistungsfähigkeit entwickeln und ebenso sicher
-ihre Umwandlung in niedrige Spannungen beherrschen mußte. Ganz
-besonders für die Fernübertragung kam es auf diese Ausbildung der
-Transformatoren-Technik an. Denn in den Zentralwerken war, um deren
-günstige Ökonomie auszunutzen, die Erzeugung höchster Spannungen
-nötig, ebenso für die Übertragung nach den Verbrauchsstätten durch
-die weiten dazwischen liegenden Strecken. An den letzteren mußte der
-Strom, um für manche Verwandlungszwecke erst brauchbar zu werden,
-auf niedrige Spannungen wieder<span class="pagenum"><a name="Seite_318" id="Seite_318">[S. 318]</a></span> zurückgebracht werden. Besonders die
-Lichtelektrizität verlangte eine solche Verringerung der Spannung.
-Neben den Maschinen, Transformatoren und Generatoren, die für die
-großen Ausmaße hergestellt und erprobt werden mußten, bedurfte auch
-das Leitungsnetz einer Einrichtung für die erforderlichen hohen
-Volt-Spannungen. Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß die
-Leitungsdrähte mit der Zunahme der Spannung nicht verstärkt zu werden
-brauchten, sondern im Gegenteil eine Verringerung ihres Querschnittes
-zuließen und daß gerade darin einer der Hauptvorteile der Hochspannung
-lag. Auf der anderen Seite war aber für besonders gutes, zug- und
-druckfestes Material und für eine minutiöse Isolierung Sorge zu tragen.</p>
-
-<p>Nachdem diese technischen Vorbedingungen gelöst waren, stand das
-Problem großzügiger und billiger Stromerzeugung bald klar vor
-Augen: die Elektrizität konnte in Zukunft viel vorteilhafter an
-den <em class="gesperrt">Fundstätten</em> der <em class="gesperrt">Antriebsenergie</em>, also an Orten,
-wo Wasserkräfte oder Kohle aus erster Hand zur Verfügung standen,
-gewonnen werden, als an den <em class="gesperrt">Verbrauchsorten</em> des elektrischen
-Stromes, wo sie bisher erzeugt worden war, nachdem man die zu ihrer
-Gewinnung erforderliche Kohle mit der Bahn oder mit dem Schiff
-dorthingeschafft hatte. Der Vorteil des neuen Systems lag einmal darin,
-daß die Massenproduktion in großen Zentralwerken die Gewinnungskosten
-verbilligte und ferner darin, daß durch die Herstellung größerer
-Absatzgebiete ein besserer Ausgleich zwischen Stromproduktion und
-Strombeanspruchung ermöglicht wurde. Je größer das Versorgungsgebiet
-eines Elektrizitätswerkes ist, desto vielseitigere und vielzeitigere
-Anwendungsmöglichkeiten bieten sich in ihm für den elektrischen
-Strom. Kraftstrom und Lichtstrom, Industriebedarf, Hausbedarf und
-Straßenbahnbedarf ergänzen einander. Wenn der eine Verbraucher feiert,
-arbeitet der andere, alle Tages- und Nachtzeiten werden ausgenutzt, die
-steil ansteigenden und wieder abfallenden Beanspruchungskurven, die zu
-ungleichmäßiger Beschäftigung und schlechter Ausnutzung der Anlagen
-führen, &mdash; werden gemildert, oder gar ganz aufgehoben. Eine geschickte
-Produktionspolitik, die eine möglichst gleichmäßige Erzeugung in den
-Hauptwerken herbeizuführen sucht, und den außergewöhnlichen Bedarf
-durch kleinere Spitzenwerke deckt, eine großzügige Absatzpolitik,
-die sich für die sogenannten Vacuen selbst Abnehmer schafft<span class="pagenum"><a name="Seite_319" id="Seite_319">[S. 319]</a></span> oder
-erzieht, können den wirtschaftlichen Effekt wesentlich verbessern.
-Ein neuer Standort für Industrien bildete sich im Anschluß an diese
-Großkraftwerke heraus. Neben den Gewerben, die an den Gewinnungsstätten
-für Kohle, Erze und sonstige industrielle Rohstoffe sich niedergelassen
-hatten, neben den Verfeinerungsindustrien in und bei den Großstädten
-wurden nunmehr auch in der Nähe der Großkraftwerke Betriebe, namentlich
-chemischer Art (Stickstofferzeugung aus Luft) und metallurgischer Art
-errichtet, mit dem Zwecke, die billige Kraft auszunutzen. Aber auch
-dort, wo die Kraft nicht an Ort und Stelle verbraucht werden konnte,
-sondern transportiert werden mußte &mdash; und hier tritt ja der Hauptzweck
-der Fernkraftwerke in Erscheinung &mdash; bedeutete es eine sehr große
-Ersparnis an Transportkosten, daß die körperlich schwere Kohle nicht
-mehr auf Schienen- und Wasserwegen an die lokalen Erzeugungsstätten
-der elektrischen Energie geschafft zu werden brauchte, sondern daß der
-körperlose Strom in fertigem Zustande sozusagen an die Verbrauchsorte
-„hinübertelegraphiert“ werden konnte. Ein besonderer Vorteil ergab
-sich noch insofern, als auch ganz minderwertige Brennstoffe, die einen
-Transport nicht lohnten, für die Krafterzeugung an ihrem Fundorte noch
-mit Nutzen verwendet werden konnten.</p>
-
-<p>Derartige Kraftwerke auf Wasser- oder Kohlengrundlage, die nicht
-immer allergrößten Umfanges waren und vielfach an Ausmaßen hinter
-einem Unternehmen wie den Berliner Elektrizitätswerken zurückblieben,
-wenn sie diese auch an technischer und wirtschaftlicher Ökonomie
-übertrafen, wurden im vorletzten und besonders letzten Jahrzehnt
-allenthalben in den großen Montanrevieren und an Wasserkraft-Standorten
-(Niederdruckwerke) errichtet. In Rheinland-Westfalen erstand das
-Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk Hugo Stinnes, das zum Teil
-unter Ausnutzung der von den Hochöfen entweichenden Gichtgase zum
-Motorenantrieb eine große Anzahl von Stadt- und Landgemeinden mit
-Strom versorgte, ferner das Elektrizitätswerk Westfalen, an dessen
-Gründung die A. E. G. mitwirkte, das aber später in ein rein kommunales
-Verbandsunternehmen überführt wurde. Auch in Oberschlesien und im
-Saarrevier wurden von der A. E. G. ähnliche Werke errichtet. In allen
-deutschen Braunkohlenrevieren traten gleichfalls Montankraftwerke ins
-Leben, namentlich im rheinischen Braunkohlenrevier, im mitteldeutschen,
-niederlausitzer und bitterfelder Gebiet. Eines<span class="pagenum"><a name="Seite_320" id="Seite_320">[S. 320]</a></span> der größten und
-modernsten waren die <em class="gesperrt">Elektrowerke</em> in Bitterfeld, die von der
-A. E. G. erbaut und später auf die B. E. W., nach deren Abtretung der
-Berliner Werke an die Stadt Berlin, überführt wurden. Sie wurden auf
-eine Erzeugungsfähigkeit von mehreren Millionen Kilowattstunden im
-Jahre eingerichtet. Vor dem Kriege waren zwischen den B. E. W. und
-der Stadt Berlin Verhandlungen geführt worden, um eine Verlängerung
-des Vertrages zwischen diesen beiden Parteien unter der Bedingung zu
-erreichen, daß der Strom für die Berliner Werke aus Bitterfeld bezogen
-werden sollte. Diese Verhandlungen wurden von den B. E. W. abgebrochen,
-nachdem sie während des Krieges in den staatlichen Stickstoffwerken
-in Bitterfeld an Ort und Stelle einen Abnehmer gefunden hatten,
-der von ihnen 500 Mill. Kwstd. jährlich bezog, während ein anderes
-Unternehmen, die Elektrosalpeterwerke, einen weiteren Lieferungsvertrag
-von 250 Mill. Kwstd. jährlich abschloß. Diese Verträge, die einen
-Stromverkaufspreis von nur 1 Pf. für die Kwstd. vorsahen gegen einen
-durchschnittlichen Licht- und Kraftpreis der B. E. W. von zuletzt
-13,32 Pf., erwiesen sich allerdings später infolge der unerwartet
-ungünstigen Selbstkostenentwickelung des Braunkohlenbergbaus im Kriege
-als recht unvorteilhaft für die Elektrowerke, und die Folge davon
-war, daß die A. E. G. den B. E. W. das Interesse an den Elektrowerken
-wieder abnahm, um es mit ihren reicheren Mitteln erst selbst zur
-Reife zu bringen.<a name="FNAnker_2_2" id="FNAnker_2_2"></a><a href="#Fussnote_2_2" class="fnanchor">[2]</a> Auch die preußische Regierung hat bereits
-mehrere große Fernkraftwerke auf Kohlenbasis errichtet, so das Werk
-Muldenstein für den Bedarf der Staatsbahnstrecke Dessau-Bitterfeld;
-ferner ist ein noch größeres Kraftwerk bei Wittenberg im Bau
-begriffen, das den Bedarf für die Elektrifizierung der Berliner
-Stadt- und Ringbahn decken soll und daneben mit dem Märkischen
-Elektrizitätswerk, dem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen des A. E.
-G.-Konzerns, an dem sich neuerdings die Provinz Brandenburg führend
-beteiligt hat, einen langjährigen Lieferungsvertrag abgeschlossen
-hat. In den meisten dieser Dampfkraftwerke auf Montanbasis wird
-der Brennstoff auf mechanischen Rosten verfeuert, wobei auch die
-minderwertigsten Kohlen, die für Heiz- und Brikettierungszwecke
-unbrauchbar sind, Verwendung finden können. Neuerdings hat man auch
-mit dem System der <em class="gesperrt">Vergasung der<span class="pagenum"><a name="Seite_321" id="Seite_321">[S. 321]</a></span> Kohle</em> in Generatoren zum
-Zwecke der Elektrizitätserzeugung gute Erfolge erzielt, ein Gebiet,
-auf dem wieder die A. E. G. in Gemeinschaft mit einer Reihe anderer
-Unternehmungen bahnbrechend vorging. Dieses noch der Ausbildung
-bedürfende System ist deswegen besonders aussichtsreich, weil es
-einmal die Möglichkeit gibt, den Brennwert der Kohle fast vollständig
-auszunutzen und ferner eine Verwertung der meisten Nebenprodukte wie
-Mineralöle, Ammoniak usw. gestattet. Sogar der in Mooren gewonnene
-<em class="gesperrt">Torf</em> läßt sich für die Zwecke der Energieerzeugung mit
-Nutzen verwenden, wie die vom Siemens-Schuckertkonzern errichtete
-Überlandzentrale Wiesmoor, die allmählich ganz Ostfriesland, Oldenburg
-und die anstoßenden Gebiete mit Strom versorgen soll, erwiesen
-hat. Auf der Grundlage von Wasserkräften wurden namentlich in den
-süddeutschen Staaten große Stromerzeugungswerke errichtet, so in
-Bayern das staatliche Walchenseewerk, die Isarwerke, die Ampèrewerke,
-die Lech-Elektrizitätswerke, in Baden das Murgtalwerk usw. An eine
-Ausnutzung der großen Wasserkräfte des Oberrheins unter Mitwirkung des
-Reiches wird demnächst herangegangen werden.</p>
-
-<p>Emil Rathenau hat den Problemen der Großkraftversorgung in den
-letzten Jahren seines Lebens lebendige und fast jugendliche
-Anteilnahme entgegengebracht. Greisenhafte Müdigkeit oder jene
-Abgeklärtheit des Alters, die von Werner v. Siemens Besitz ergriff,
-waren ihm gänzlich fremd. Er, der Zeit seines Lebens für die private
-Elektrizitätswirtschaft eingetreten war, der er die Sphäre seiner
-Leistung und den Erfolg seines Lebens verdankt, besaß Elastizität
-genug, um umzulernen, als die Verhältnisse sich änderten und über die
-Grenzen hinauswuchsen, die der privaten Erzeugung gezogen werden.
-Die fachliche und sachliche Einsicht, daß die Tendenz, ganz große
-Elektrizitätswerke zu errichten, nicht nur aus politischen, sondern
-auch aus wirtschaftlichen Gründen zu stark geworden sei, als daß sie
-mit der denkbar größten Leistungssteigerung privater Werke noch dauernd
-hätte aufgehalten werden können, genügte, um diesen Realpolitiker
-umzustimmen und ihm neue Gedankengänge zu eröffnen. Als ich Rathenau
-im Mai 1914 aufsuchte, nachdem er von schwerer Krankheit scheinbar
-genesen, seine Arbeit wieder aufgenommen hatte, sah er mich aus seinen
-hellfragenden, klugen Augen ganz wie früher an. Er war durchaus mitten
-im Strom lebendiger Probleme<span class="pagenum"><a name="Seite_322" id="Seite_322">[S. 322]</a></span> und als ich neben anderen Fragen, auch
-die eines Elektrizitätsmonopols streifte, war ich erstaunt, von ihm
-Ansichten zu hören, die ich dem alten Privatindustriellen am wenigsten
-zugetraut hätte. Ich habe damals unter dem frischen Eindruck seiner
-Darlegungen ihren Gedankengang folgendermaßen aufgezeichnet:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Der ganz billige Strom, wie wir ihn zu Kraftzwecken unbedingt
-brauchen, kann nur in Betrieben hergestellt werden, die über das
-Ausmaß auch unserer bisherigen größten Zentralen weit hinausgehen. Die
-Stadt Berlin verbraucht im Jahre alles in allem zurzeit vielleicht
-300 Millionen Kilowattstunden, der preußische Eisenbahnfiskus dagegen
-dürfte auf seiner einzigen kleinen elektrischen Vollbahnstrecke
-Dessau-Bitterfeld bei vollem Betriebe fast das Doppelte an Strom
-verbrauchen. Es ist also durchaus natürlich, daß der preußische Staat,
-zumal bei einer fortschreitenden Elektrifizierung der Vollbahnen,
-Kraftwerke bauen muß, die in bezug auf die Leistungsfähigkeit selbst
-die größten lokalen Werke und Überlandzentralen weit übertreffen
-werden. Da nun die Herstellungskosten des Stromes sich mit der Größe
-der Anlagen und der produzierten Menge progressiv verringern, da
-andererseits aber die staatlichen Werke ihre Kapazität sowie die für
-einen regelmäßigen Bahnbetrieb unumgänglich notwendige Reservekapazität
-nicht und vor allem nicht zu jeder Zeit voll ausnutzen können, ist es
-natürlich, daß sie dazu übergehen, und auch schon dazu übergegangen
-sind, Strom an Private abzugeben. Bereits kürzlich hat eines der
-staatlichen Werke auf dem Wege der Submission ein Stromkontingent
-von ca. 30 Mill. Kilowattstunden ausgeboten. Wenn wir in unseren
-lokalen Elektrizitätswerken den Strom uns dadurch billiger schaffen
-können, daß wir ihn von einem staatlichen Riesenwerk beziehen, so
-sehe ich gar keinen Grund, warum wir uns eigensinnig gegen einen
-derartigen Verzicht auf eigene Erzeugung sperren sollen. Wir beziehen
-dann einfach Strom statt Kohlen und benutzen die lokalen Anlagen
-für Stromverteilungszwecke. Die technischen Möglichkeiten der
-Stromherstellung im großen sind beinahe unbegrenzt. Es wäre durchaus
-möglich, daß der ganze Bedarf Europas an elektrischer Energie an
-einem Orte hergestellt würde und die elektrische Fernübertragung
-wäre durchaus imstande, diesen zentral hergestellten Strom über
-ganz Europa und noch weiterhin zu versenden. Natürlich wird es
-in der Praxis zu einer derartigen intensiven Konzentrierung der
-Stromherstellung<span class="pagenum"><a name="Seite_323" id="Seite_323">[S. 323]</a></span> nicht kommen. Immerhin aber wird man voraussichtlich
-über die jetzige Dezentralisation und Verzettelung hinausstreben
-müssen. Ein Reichsmonopol allerdings ist für Deutschland wohl kaum
-noch durchführbar, nachdem Einzelstaaten wie Bayern und Baden bereits
-mit Hilfe ihrer Wasserkräfte durch Errichtung riesiger Werke ihre
-Stromproduktion auf dem Wege der einzelstaatlichen Gesetzgebung
-geregelt haben. Wohl aber wäre es denkbar, daß man für Preußen zu
-einer monopolistischen Gestaltung der Stromerzeugung unter staatlicher
-Führung oder Mitwirkung gelangte. Das notwendige Korrelat für eine
-derartige großzügige Regulierung der Stromproduktion müßte allerdings
-ein Enteignungsgesetz für die Zwecke elektrischer Anlagen, besonders
-für Kabelführungen durch private und öffentliche Grundstücke bilden.
-Heute sind, um derartige Durchführungen zu ermöglichen, komplizierte
-Privatverträge erforderlich, die oft durch kleinliche Motive erschwert
-werden.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Es waren keine Projekte und spekulativen Phantasien, wie sie Rathenau
-manchmal aus irgend einer Stimmung heraus entwickelte, um sie ebenso
-schnell wieder zu vergessen. Diese Darlegungen gaben wohldurchdachte
-Anschauungen wieder, die sich bei ihm und seinem Kreise über die
-Fortführung einer Hauptrichtung ihres Gewerbes gebildet hatten und
-deren systematisch-theoretische Durcharbeitung auch bald danach von
-Mitgliedern dieses Kreises in Angriff genommen wurde. Anfang 1915
-veröffentlichte Dr. ing. Gustav <em class="gesperrt">Siegel</em> in den Preußischen
-Jahrbüchern unter dem Titel „Der Staat und die Elektrizitätsversorgung“
-eine Arbeit, in der er den von Rathenau entwickelten Plan mit einem
-ausführlichen Zahlen- und Datenmaterial zu begründen und die Tatsache,
-daß die Reichszuständigkeit für das vorgeschlagene Monopol durch
-Präjudiz in verschiedenen Einzelstaaten behindert werde, durch den
-Vorschlag der Bildung eines <em class="gesperrt">Reichselektrizitätsverbandes</em> zu
-überwinden suchte. Rathenau selbst schrieb dem Aufsatz ein kurzes
-Vorwort, in dem er sich zu dem Grundgedanken zustimmend äußerte. Drei
-Gesichtspunkte stellte er darin in den Vordergrund: Einmal Befriedigung
-des Verbrauchs zu niedrigen Strompreisen, zweitens die Schaffung neuer
-Einnahmequellen für den Staat und drittens die wenigstens teilweise
-Erhaltung des Tätigkeitsgebietes für die bisherigen Träger des
-Elektrizitätsgebietes. Rathenau schrieb:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_324" id="Seite_324">[S. 324]</a></span></p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Die seit einer Reihe von Jahren gepflogenen Erörterungen über die
-seitens des Staates gegenüber der Elektrizität einzunehmende Haltung
-haben durch das starke Bedürfnis nach Erhöhung der Staatseinnahmen
-einen neuen Anstoß erhalten. Wenn die auf diesem Gebiete gestellte
-Aufgabe eine zweckmäßige Lösung finden soll, ist darauf Bedacht zu
-nehmen, unter Befriedigung des Verbrauchs zu niedrigen Strompreisen
-dem Staate in der Elektrizität eine Quelle zu neuen Einnahmen zu
-schaffen, indem ihm nicht über das unvermeidliche Erfordernis hinaus
-Aufgaben und Lasten auferlegt werden und den bisherigen Trägern der
-Elektrizitätsunternehmungen die Tätigkeit vorbehalten bleibt, in der
-sie sich Jahrzehnte hindurch bewährt haben. Einen zu diesem Ziele
-führenden Weg scheint mir der Verfasser der Arbeit „Der Staat und die
-Elektrizitätsversorgung“ zu weisen, indem er empfiehlt, die elektrische
-Arbeit an den Energiequellen durch staatliche Großkraftwerke zu
-erzeugen und den Strom mit einem durch die wirtschaftlichere Erzeugung
-ermöglichten Gewinn den Stromverteilungsunternehmen zu überlassen, die
-die für sie erforderlichen Leitungsnetze anschließen und betreiben.
-Diesem Grundgedanken der mir vorliegenden Arbeit pflichte ich durchaus
-bei. Ohne zu den Ausführungen im Einzelnen Stellung zu nehmen,
-möchte ich die eine Bemerkung hinzufügen, daß der von dem Verfasser
-empfohlene Reichs-Elektrizitätsverband, der die von den Einzelstaaten
-zu betreibenden Großkraftwerke zusammenfassen soll, dahin ausgestaltet
-werden könnte, daß er die gesamten Einnahmen aus dem Stromabsatz der
-Elektrizitätswerke einzieht und nach Entschädigung der Einzelstaaten
-für die von ihnen gemachten Aufwendungen und nach ihrer angemessenen
-Beteiligung an den Überschüssen den verbleibenden Ertrag an das Reich
-zur Befriedigung des hier am dringendsten fühlbaren Bedürfnisses nach
-neuen Einnahmen abführt.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Siegel selbst sucht in seiner Arbeit nachzuweisen, daß die für ein
-Elektrizitätsmonopol zumeist vorgebrachten Gründe, soweit sie den
-Schutz der Verbraucher vor einer Vergewaltigung und Ausnutzung durch
-private Elektrizitätsmonopole wie den Schutz der Installateure
-vor einer Ausschaltung durch den überlegenen Wettbewerb der
-Fabrikationsgesellschaften betreffen oder im Interesse der politischen
-und militärischen Macht des Staates über die Kraftquelle der Zukunft
-vorgebracht werden, nicht zwingend genug seien. Wenn<span class="pagenum"><a name="Seite_325" id="Seite_325">[S. 325]</a></span> er trotzdem
-einer Zentralisation der Stromerzeugung und im gewissen Sinne auch der
-Stromverteilung zustimmt, so tut er dies lediglich aus Gründen der
-technischen und wirtschaftlichen Ökonomie.</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Es handelt sich darum, unmittelbar an ergiebigen Kraftquellen, an den
-Fundstätten der Brennstoffe, an den Wasserkräften, den Torfmooren, oder
-wo sonst sich billige Betriebsstoffe in ausreichender Menge finden,
-Elektrizitätserzeugungsstätten größten Umfangs zu errichten und <em class="gesperrt">sie
-durch ein nach einem einheitlichen Plane ausgebautes Hochspannungsnetz
-zu verbinden</em>, das sich über das ganze Reich erstrecken und den
-Ausgleich aller verfügbaren und benötigten Elektrizitätsmengen bilden
-soll. Diese Aufgabe stellt sowohl in finanzieller wie organisatorischer
-Hinsicht schwierige Probleme, die zwar auch ohne Mithilfe des Staates
-vielleicht im Laufe von Jahrzehnten überwunden werden könnten, die
-aber durch sein Eingreifen <em class="gesperrt">schneller</em>, <em class="gesperrt">zuverlässiger</em> und
-<em class="gesperrt">vollständiger</em> einer glücklichen Lösung entgegengeführt würden.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Siegel untersucht die Möglichkeiten und Bedingungen der
-einzelnen Vorschläge, auf Grund deren eine Vereinheitlichung der
-Elektrizitätserzeugung unter Wahrung der Interessen des Staates,
-der Verbraucher und der Erzeuger durchgeführt werden könnte. Ein
-lediglich kontrollierendes Elektrizitätsschutzgesetz, das keine
-wirtschaftliche oder technische Umgestaltung der Verhältnisse,
-sondern nur eine Abwägung der Interessen aller beteiligten Kreise
-durch Zuweisung der Kontrolle an den Staat, Festlegung günstiger
-Bezugsbedingungen für den Konsum, und Beseitigung der Wege- und
-Leitungsschwierigkeiten für die Stromerzeugung auf dem Wege staatlicher
-Gesetze und Verwaltungsnormative herbeiführen würde, lehnt er aus
-zwei Gründen ab. Es würde einen Hemmschuh für die freie Entwicklung
-der immerhin von starken Konkurrenzen, wie dem Gas, dem Petroleum,
-dem Treiböl bedrängten Elektrizitätserzeugung bedeuten und dem
-Staate keine Erträgnisse zuführen. Auch ein derartiges Schutzgesetz,
-verbunden mit einem finanziellen Nutzen für den Staat, wird als
-unsachgemäß bezeichnet. Denn eine Regelung, die darin bestehen
-würde, die Erzeugung des elektrischen Stromes in den bisherigen
-Händen, also denen der Privatindustrie, der kommunalen und der
-gemischt-wirtschaftlichen Werke zu belassen, um den Staat an ihr nur
-durch das Recht der Konzessionserteilung sowie<span class="pagenum"><a name="Seite_326" id="Seite_326">[S. 326]</a></span> durch Anteile am
-Umsatz, Gewinn oder sonstige Abgaben zu beteiligen, würde letzten Endes
-auf eine <em class="gesperrt">Elektrizitätssteuer</em> hinauslaufen, wie sie gelegentlich
-der Reichs-Finanzreform von 1909 bereits einmal vorgeschlagen, aber
-abgelehnt worden war. Eine solche Steuer-Ordnung müßte, da sie die
-betriebliche Ökonomie der Elektrizitätsindustrie nicht verbessern,
-sondern die bisherigen Methoden der Erzeugung beibehalten würde,
-infolge der den Werken aufgebürdeten neuen Lasten eine Erhöhung der
-Selbstkosten und dadurch eine Steigerung der Strompreise im Gefolge
-haben, während doch umgekehrt die Bedürfnisse der Konsumenten &mdash;
-und zwar mit berechtigtem Nachdruck &mdash; gerade auf eine Ermäßigung
-der Strompreise hindeuten. Eine solche fiskalische Methode würde
-letzten Endes auch den Interessen des Staats zuwiderlaufen, da eine
-Verteuerung der Strompreise oder auch nur eine Erhaltung des jetzigen,
-den Möglichkeiten der neuzeitlichen Technik nicht mehr entsprechenden
-Preisniveaus die Einnahmen, die der Staat aus der Elektrizitätsregelung
-erwartet, schmälern oder doch jedenfalls den von der Zukunft erhofften
-Zuwachs stark herabmindern würde.</p>
-
-<p>Eine <em class="gesperrt">dritte</em> &mdash; die radikalste &mdash; <em class="gesperrt">Möglichkeit</em> bestünde
-darin, halbe Maßnahmen jeder Art zu vermeiden, und sofort an die
-gesamte Monopolisierung der Elektrizitätserzeugung und -Verteilung
-heranzugehen. Diese Forderung besticht durch ihre staatssozialistische
-Entschiedenheit und wird insbesondere von politischen Schriftstellern,
-aber technischen Laien erhoben, die damit die Ausschaltung der
-Privatindustrie am gründlichsten herbeiführen, die staatlichen
-Einnahmen am stärksten steigern zu können meinen. Siegel geht davon
-aus, daß der Staat nur die öffentlichen Elektrizitätswerke mit
-einer nutzbaren Stromabgabe von 2,8 Milliarden Kilowattstunden,
-nicht die viel umfangreicheren Einzelanlagen privater Erzeuger, mit
-der viel größeren Stromabgabe von 10 Milliarden Kwstd. erwerben
-würde und erwerben könnte. Der Erwerb der unzähligen, auf die
-einzelnen Verbraucherbetriebe zugeschnittenen Privatanlagen käme
-aus betrieblichen wie finanziellen Gründen nicht in Betracht. Er
-würde dem Staat eine zersplitterte, statt einer zentralisierten
-Elektrizitätswirtschaft aufhalsen und das Anlagekapital auf weit
-über 6 Milliarden Mark steigern. Bereits bei der Übernahme der 4000
-öffentlichen Elektrizitätswerke müßte das aufzuwendende<span class="pagenum"><a name="Seite_327" id="Seite_327">[S. 327]</a></span> Kapital
-2,9 Milliarden Mark betragen, und bei einem daraus zu erzielenden
-Reinertrag von 167 Milliarden Mark würde für den Staat nach Abzug
-der Zinsen von 4½% für das Anlagekapital ein frei verfügbarer
-Überschuß von nur 37 Milliarden Mark verbleiben. Das sei bei einem
-so riesigen Anlagekapital ein viel zu geringer Ertrag. Die ganze
-Konstruktion eines solchen Monopols wäre aber weder vom Standpunkte
-des Produzenten, noch von dem des Konsumenten, noch schließlich
-auch von dem der Staatswirtschaft aus fortschrittlich, sondern
-würde eher Keime zur Stagnation, oder gar zum Rückschritt in
-sich tragen. Die Übernahme der vielen verschiedenartigen, teils
-veralteten, teils halbmodernen, teils modernen Erzeugungsstätten zu
-ihrem Gegenwarts- oder Vergangenheitswerte durch den Staat müßte
-den Übergang zu einer wirklich zeitgemäßen Großerzeugung in wenigen
-billig arbeitenden Zentralwerken erschweren, infolgedessen einer
-Ermäßigung der Strompreise entgegenstehen, den Wettbewerb der privaten
-Einzelanlagen und der übrigen konkurrierenden Kraftquellen stärken,
-der Zukunftsentwicklung der Elektrizitätswirtschaft den Weg verlegen
-und somit auch den &mdash; an sich schon geringen &mdash; staatlichen Ertrag
-des Elektrizitätsmonopols gefährden. Siegel kommt infolgedessen auf
-Grund seiner theoretischen Gründe und praktischen Berechnungen zu
-der Empfehlung des oben erwähnten <em class="gesperrt">gemischten</em> Systems, bei
-dem der Staat, ohne sich mit der Übernahme und Bezahlung alter und
-veralteter Werke zu belasten, nur die zentralen Hauptkraftwerke an
-den Standorten der Wasserkräfte, der Kohlenläger, der Torfmoore usw.
-errichten, diese untereinander und mit den bestehenden öffentlichen
-Privatwerken durch Hochspannungsanlagen verbinden und die letzteren
-als Verteilungs- und Reserveanlagen in Privatbetrieb weiter bestehen
-lassen würde, soweit er es nicht für zweckmäßig erachtete, einige
-ganz besonders moderne Anlagen, die den Anforderungen zentraler
-Erzeugung entsprechen, zur Beschleunigung und Erleichterung seiner
-Produktionsaufnahme zu erwerben. Die Privatwerke sollen bei diesem
-System durch die vorteilhafte Preisstellung der Zentralwerke veranlaßt
-werden, von diesen den Strom zu besseren Bedingungen zu beziehen, als
-sie ihn selbst in ihren eigenen Werken herstellen könnten. Besonders
-leistungsfähige Privatwerke sollen aber auch berechtigt werden, an
-staatliche Fernleitungen elektrische Kraft zu liefern, sofern sie dies
-zu gleichen Preisen wie die<span class="pagenum"><a name="Seite_328" id="Seite_328">[S. 328]</a></span> Staatswerke zu tun vermöchten. Einen
-gesetzlichen Zwang für die Privatwerke, Strom von den Staatszentralen
-zu beziehen, will Siegel nicht schaffen, er erwartet die allmähliche
-freiwillige Zentralisation vielmehr von den Vorteilen des billigeren
-Bezuges. Die <em class="gesperrt">Verteilung</em> des Stroms soll wie bisher in den Händen
-der privaten, kommunalen und gemischt-wirtschaftlichen Unternehmungen
-verbleiben, die dadurch in die Lage versetzt würden, für ihre Anlagen
-weitere Beschäftigung und für ihre Kapitalien weitere Verzinsung zu
-finden, die auch besser als der Staat in der Lage seien, für die
-Ausdehnung des Stromabsatzes werbend tätig zu sein. Die Träger der
-staatlichen Unternehmung sollen die Bundesstaaten sein, die sich
-ähnlich wie bei den Eisenbahnen zu einem „Reichs-Elektrizitätsverband“
-zusammenschließen müßten.</p>
-
-<p>Siegel errechnet bei einem Kapitalaufwand des Staates für den ersten
-Ausbau der Fernleitungszentralen von 400 Millionen Mark, bei einem
-durchschnittlichen Selbstkostenpreis von 1 Pfennig pro Kwstd. und einem
-Verkaufspreis von durchschnittlich etwa 2,6 Pfennig auf Grund einer
-jährlichen Verkaufsmenge von 6 Milliarden Kwstd., einen Reinüberschuß
-des Staates von 60 Millionen Mark. Hinsichtlich der Zukunftsentwicklung
-legt Siegel seiner Phantasie keine Zügel an. Er schreibt:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Nach einem weiteren Ausbau wird eine nutzbare Abgabe von etwa 12
-Milliarden Kilowattstunden in Frage kommen; die Zahl der Kraftwerke
-dürfte sich dann auf etwa 35 erhöht haben. Die Gesamtkosten betragen
-mit einem entsprechend erweiterten Ausbau der Hochspannungsleitungen
-etwa 650 Millionen Mark. Unter ähnlichen Verhältnissen wie beim ersten
-Ausbau läßt sich selbst unter Verringerung des Verkaufspreises noch
-ein Reinüberschuß von etwa 90 Millionen Mark für den Staat erzielen.
-Es dürfte auf diese Weise möglich sein, vielleicht im Laufe eines
-Jahrzehnts einen großen Teil des gesamten Kraftbedarfs Deutschlands,
-der einschließlich der Eisenbahnen weiter oben auf etwa 80 Milliarden
-Kilowattstunden geschätzt wurde, aus den staatlichen Kraftwerken
-zu liefern, selbstverständlich unter entsprechender Erhöhung der
-Reineinnahme des Staates.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Während sich Siegels Untersuchung auf eine Zusammenstellung der
-<em class="gesperrt">wirtschaftlichen</em> Grundgedanken des Problems beschränkt und
-die technischen wie statistischen Nachweise, sofern sie<span class="pagenum"><a name="Seite_329" id="Seite_329">[S. 329]</a></span> überhaupt
-gegeben sind, in einer gewissen al fresco-Manier behandelt werden,
-hat sich Professor Georg <em class="gesperrt">Klingenberg</em>, Direktor und Leiter der
-Abteilung Elektrizitätswerke der A. E. G., mit einer statistisch
-wie technisch sorgfältig durchgeführten Studie in einem Vortrag,
-den er unter dem Titel „Elektrotechnische Großwirtschaft unter
-staatlicher Mitwirkung“<a name="FNAnker_3_3" id="FNAnker_3_3"></a><a href="#Fussnote_3_3" class="fnanchor">[3]</a> in Frankfurt a. M. hielt, mit derselben
-Frage beschäftigt. Der Gedankengang seiner Ausführungen ist genau
-derselbe wie bei Dr. Siegel, kleine Abweichungen brauchen hier nicht
-hervorgehoben zu werden, auf technische und ökonomische Details,
-so lehrreich sie auch sein mögen, kann ich im Rahmen dieses Buches
-leider nicht eingehen. Interessant sind aber die Ergebnisse, zu denen
-Klingenberg kommt. Er faßt sie in folgenden Leitsätzen zusammen:</p>
-
-<p>1. Die Zusammenfassung großer Gebiete zu einer einheitlichen und
-großzügigen Elektrizitätswirtschaft läßt sich mit dem heutigen System
-der Einzelanlagen nicht erreichen. Nur der Staat ist imstande, die
-entgegenstehenden rechtlichen Schwierigkeiten zu beseitigen; hieraus
-folgt die Notwendigkeit des staatlichen Eingriffs.</p>
-
-<p>2. Es empfiehlt sich nicht, den staatlichen Betrieb auch auf die
-Verteilung elektrischer Arbeit zu erstrecken. Die Verteilung muß
-vielmehr Sache derjenigen bleiben, die sie heute schon besorgen. Der
-Staat muß sich auf die Erzeugung des Stromes und die Verkupplung der
-Kraftwerke durch Hochspannungsleitungen beschränken.</p>
-
-<p>3. Das Übergewicht großer Werke gegenüber mittleren und kleinen
-entsteht durch die geringeren Erzeugungskosten des Stromes, durch die
-Ausnutzung billiger Brennstoffe und vor allem durch die Verkupplung der
-Werke, die zur Verbesserung des Ausnutzungsfaktors und zur Verminderung
-der Reserven führt. Diese Vorteile werden durch die erhöhten
-Umformungs- und Fortleitungskosten zwar vermindert, als Endergebnis
-bleibt jedoch eine ziffernmäßige Überlegenheit des staatlichen
-Betriebes.</p>
-
-<p>4. Es werden Untersuchungen über die gegenseitigen Versorgungsgrenzen
-mehrerer mit verschiedenen Brennstoffen arbeitender Großkraftwerke
-angestellt.</p>
-
-<p>5. Ein staatlicher Wettbewerb mit den bestehenden großen und mittleren
-Werken würde zu einem Mißerfolg führen. Der Staat kann deshalb nur
-auf dem Wege vorgehen, daß er die bestehenden<span class="pagenum"><a name="Seite_330" id="Seite_330">[S. 330]</a></span> Werke als Abnehmer zu
-gewinnen sucht. Für die bereits vorhandene Erzeugung ist dies nur
-teilweise möglich, dagegen läßt sich der <em class="gesperrt">Zuwachs</em> fast restlos
-für die staatlichen Werke sichern.</p>
-
-<p>6. Der Staat muß zu diesem Zwecke eine Anzahl von Großkraftwerken
-an geeigneten Stellen errichten, sie mit 100000 Volt-Leitungen
-untereinander verbinden, und an diese Umformerwerke anschließen, die
-zur Versorgung der Verteilungsorganisation dienen. Die Einführung einer
-Reihe von technischen Normalien ist hierbei wünschenswert.</p>
-
-<p>7. Es muß ferner eine einheitliche staatliche Organisation für diese
-Aufgaben geschaffen werden.</p>
-
-<p>8. Unter Voraussetzung der zu erwartenden Entwicklung darf für das Jahr
-1926 mit folgenden Zahlen für Preußen gerechnet werden:</p>
-
-<div class="grundkapital">
-
-<p class="p0">Gesamte Erzeugung der staatlichen Werke 10 Milliarden Kwstd.<br />
-Anlagekapital 900 Millionen Mark.<br />
-Jährlicher Reingewinn 41 Millionen Mark.</p>
-
-</div>
-
-<p>9. Weitere Einnahmen lassen sich nur durch eine Besteuerung
-erzielen. Von den vielen möglichen Steuerformen empfiehlt sich eine
-unmittelbare <em class="gesperrt">Besteuerung der Beleuchtungselektrizität</em> und des
-<em class="gesperrt">Beleuchtungsgases</em> in Höhe von 10 v. H. des Rechnungsbetrages und
-eine mittelbare durch Besteuerung der <em class="gesperrt">Kohle</em>. Insgesamt wird ein
-Erträgnis aus der Elektrizitätswirtschaft und den Steuern für 1926 von
-320 Millionen Mark errechnet.</p>
-
-<p>Die Arbeit Klingenbergs hat in der Fachwelt manche Kritik
-hervorgerufen. Insbesondere hat sich der Direktor des Städtischen
-Elektrizitätswerkes in Kiel, <em class="gesperrt">Dr. Voigt</em>, in der Hauptversammlung
-der Vereinigung der Elektrizitätswerke, die im wesentlichen
-die kommunalen Werke umfaßt, gegen die Vorschläge Klingenbergs
-gewandt, denen er das uneingestandene Motiv unterlegte, daß
-die Elektrizitätsindustrie sich eine gute Geschäftskonjunktur
-durch die Aufträge, die die Errichtung der neuen staatlichen
-Elektrizitätszentralen mit sich bringen würde, schaffen wolle. Er
-nannte im besten Falle die Erträgnisse des Monopols für den Staat sehr
-bescheiden, erwartete sogar im Gegensatz zu Klingenberg Fehlbeträge
-und fürchtete Nachteile für die Kommunen, deren Gasbetriebe durch
-das Monopol nicht weniger beeinträchtigt werden würden als die
-Elektrizitäts<span class="pagenum"><a name="Seite_331" id="Seite_331">[S. 331]</a></span>betriebe. „Die Aufgabe der staatlichen Großkraftwerke
-sei letzten Endes auf die Stillsetzung der Ortskraftwerke gerichtet.
-Damit werde eine große Zahl von Trägern selbständigen Lebens und
-selbständiger Wirtschaft zugunsten einer Zentralisation ausgeschaltet,
-deren technisch-wirtschaftliche Notwendigkeit nicht bewiesen sei.“
-Auf die Dauer werde neben der staatlichen Elektrizitätserzeugung eine
-private oder gemeindliche Gaswirtschaft nicht bestehen können, deren
-Verstaatlichung würde &mdash; wenn die Ergebnisse des Elektrizitätsmonopols
-gut seien, aus dem Wunsch nach weiteren finanziellen Einnahmequellen
-heraus, wenn sie schlecht seien, aus dem Wunsch nach ihrer Verbesserung
-heraus &mdash; bald folgen und schließlich würde der Staat auch die Urquelle
-beider Kräfte, die Kohle, mit Beschlag belegen. Die Klingenbergschen
-Pläne zielten auf eine äußere und einseitige Zusammenfassung der im
-Lande gebrauchten elektrischen Kräfte hin, während die natürliche
-Entwicklung auf eine wirtschaftliche Sammlung aller an ein und
-demselben Ort vorhandenen Energiemengen (offenbar durch die Kommunen.
-Der Verf.) gerichtet sei.</p>
-
-<p>Klingenberg hat auf die Darlegungen Voigts geantwortet und die
-Überzeugung ausgesprochen, daß die technisch mögliche Modernisierung
-und Verbilligung der Stromerzeugung in zentralen Großkraftwerken, die
-nach Voigts Ansicht ganz von selbst sich vollziehen werde, nur durch
-staatliche Mitwirkung gelöst werden könne. Nur durch den Staat, der
-allein die Macht hierfür besitze, würden sich die politischen Grenzen
-zwischen den einzelnen Wegeberechtigten und deren partikularistische
-Eigeninteressen soweit überwinden lassen, daß Großkraftwerke
-geschaffen werden könnten. Von den bestehenden Werken weisen nur ganz
-wenige befriedigende Ausnutzung auf. Das gelte insbesondere von den
-städtischen Werken, die in ihrer bisherigen Entwickelung nur sehr
-langsam auf die industrielle Versorgung eingegangen seien. Die Werke
-&mdash; auch die meisten großstädtischen &mdash; seien viel zu klein, um größere
-Industrien wirtschaftlich versorgen zu können. Aber nur durch die
-Einbeziehung industriellen Anschlusses, nur durch die möglichst weit
-getriebene Vermischung eines verschiedenartigen Verbrauches ließen
-sich die höchstmöglichen wirtschaftlichen Vorteile erzielen, und
-so gute Ergebnisse erreichen, wie sie durch die besten städtischen
-Belastungen, nämlich die Straßenbahnen, erzielbar seien. Damit würden
-die Erzeugungskosten auf einen Bruchteil der bisherigen heruntergehen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_332" id="Seite_332">[S. 332]</a></span></p>
-
-<p>Zu dieser Kontroverse ist zu sagen, daß der rein technisch-ökonomische
-Kern des Klingenbergschen Vorschlages zweifellos richtiger und
-überzeugender ist als die von allen möglichen außerwirtschaftlichen,
-kommunalpolitischen und partikularistischen Gesichtspunkten beeinflußte
-Gegenargumentation Voigts, womit aber nicht gesagt werden soll, daß
-in dieser Angelegenheit nur der technisch-ökonomische Gesichtspunkt
-Beachtung verdient, wenn er zweifellos auch den wichtigsten Faktor des
-Problems darstellt.</p>
-
-<p>Dennoch werden auch die Klingenbergschen Vorschläge oder vielmehr
-Ergebnisse, an den hohen Erwartungen gemessen, mit denen man auf Grund
-der großzügigen Perspektiven Rathenaus der Lösung der Monopolfrage
-entgegensah, manch einen etwas enttäuscht haben. Klingenberg, der seine
-Rechnung nur für Preußen aufgestellt, gelangt auf Grund eines von den
-Staatswerken gedeckten Stromverbrauchs von 10 Milliarden Kwstd. und
-bei einem Anlagekapital von 900 Millionen Mark für das Jahr 1926 zu
-einem jährlichen Reingewinn von 41 Millionen Mark. Siegel berechnete
-den in ganz Deutschland durch Staatswerke zu deckenden Stromverbrauch
-nach Fertigstellung der von ihm vorgeschlagenen Anlagen auf 6 Milliard.
-Kwstd. und kam bei einem Anlagekapital von 400 Mill. M. auf 60 Mill.
-M. jährlichen Reingewinn. Sind Klingenbergs Berechnungen richtig, so
-folgt daraus, daß jene Siegels &mdash; auf die Kilowattstunde berechnet &mdash;
-viel zu optimistisch waren. Die Klingenbergschen Ergebnisse, die wohl
-als besser fundiert gelten müssen, können aber vom Standpunkte der
-Staatsfinanzwirtschaft betrachtet, nicht sehr befriedigen. Er will
-im Jahre 1926 &mdash; also erst nach einem Jahrzehnt &mdash; dem Staate eine
-Einnahme von 41 Millionen Mark zuführen, muß aber zu diesem Zwecke
-in einer Zeit, in der Kapital sehr knapp sein wird, 900 Millionen
-Mark investieren. Auch ihm selbst haben offenbar die finanziellen
-Resultate, die sich allerdings nach Überwindung des Übergangsstadiums,
-nach Amortisierung der alten, jetzt noch im lokalen Verteilungsprozeß
-mitzuschleppenden Werke wesentlich erhöhen dürften, nicht genügt.
-Darin liegt denn offenbar auch der Grund, daß er seinen Vorschlag
-mit einer <em class="gesperrt">Besteuerung</em> der Beleuchtungselektrizität und des
-Beleuchtungsgases &mdash; die ja vom Standpunkt der Konkurrenzfähigkeit der
-deutschen Industrie auf dem Weltmarkte vielleicht nicht gefährlich,
-aber vom Standpunkt der Verbraucherinteressen doch bedauerlich wäre
-&mdash; verknüpft, daß<span class="pagenum"><a name="Seite_333" id="Seite_333">[S. 333]</a></span> er auch die zweifellos auf einem ganz anderen
-Blatte stehende Besteuerung der Kohle mit heranzieht, und ihr sogar
-den Hauptanteil (200 Millionen Mark) an seiner mit 320 Millionen Mark
-balanzierenden „Finanzreform“ aufbürdet.<a name="FNAnker_4_4" id="FNAnker_4_4"></a><a href="#Fussnote_4_4" class="fnanchor">[4]</a></p>
-
-<p>Die Frage der Reichskonzentration, die recht schwierig geworden
-ist, nachdem Bayern und Sachsen bereits selbständig Wege
-beschritten haben, wie sie Klingenberg vorgeschlagen hat, wird
-von diesem gar nicht behandelt, während sie von Siegel mit dem
-Wort Reichs-Elektrizitätsverband leichthin abgetan worden ist.
-Ganz so einfach dürfte es ja nicht sein, die Wasser-Elektrizität
-Bayerns zum Beispiel mit der Kohlen-Elektrizität Preußens auf eine
-gemeinsame Formel zu bringen, abgesehen davon, daß gerade die
-größeren Bundesstaaten nicht ohne weiteres bereit sein werden, ihre
-Elektrizitätskompetenzen auf das Reich übergehen zu lassen oder auch
-nur Teile davon in eine Reichs-Elektrizitätsgemeinschaft einzubringen.</p>
-
-<p>Nach alledem kommen wir zu dem Ergebnis, daß der Gedanke der zentralen
-Krafterzeugung der technischen und ökonomischen Folgerichtigkeit
-nicht entbehrt, daß er aber starke Hemmnisse, die zum Teil aus der
-Belastung der Gegenwart mit Rudimenten der Vergangenheitsentwickelung,
-zum Teil aus dem bundesstaatlichen und kommunalen Partikularismus
-stammen, überwinden muß, ehe er zu voller Wirkung und Reife erwachsen
-kann. Die Ernte dieses fruchtbaren Gedankens wird erst in der
-Zukunft gepflückt werden<a name="FNAnker_5_5" id="FNAnker_5_5"></a><a href="#Fussnote_5_5" class="fnanchor">[5]</a>. Viel wird dabei auf die Frage ankommen,
-welche Entwickelung in den nächsten Jahren das Vollbahnenproblem
-nehmen wird. Geht der Staat nach dem Kriege in verstärktem Tempo
-zur <em class="gesperrt">Elektrifizierung der Vollbahnen</em> über, wie das allerdings
-nach den Erfahrungen des militärischen Verkehrs und bei der starken
-Verschuldung aller kriegführenden Staaten nicht gerade erwartet
-werden kann, so würden<span class="pagenum"><a name="Seite_334" id="Seite_334">[S. 334]</a></span> zur Deckung des Strombedarfs für die Bahnen
-sowieso riesige Zentralstromwerke errichtet werden müssen, die
-ganz natürlich zur Unterbringung ihrer überschüssigen Kapazitäten
-versuchen würden, auch andere Großabnehmer an sich zu ziehen. Daß
-auch der preußische Staat in solchem Falle danach streben würde,
-diese Tendenz durch ein Strommonopol zu unterstützen, erscheint
-naheliegend. Ebenso ist damit zu rechnen, daß sich bei einer solchen
-Entwickelung, wenn nämlich die Anlageinvestitionen sowieso vorgenommen
-werden müßten, und zur Deckung des zusätzlichen Absatzes an Private
-nur vergrößert zu werden brauchten, die Erträgnisbedingungen für das
-Staatsmonopol wesentlich verbessern würden. Je stärker nämlich in
-der Zusammensetzung von neuem Bedarf (für die Bahnen) und von altem
-Bedarf (für bestehende Verteilungsanlagen) der neue Bedarf, bei dem
-eine Verzinsung und Amortisierung alter Anlagen nicht mehr in Betracht
-kommt, dominieren würde, desto stärker und ungestörter würden sich
-in der Monopolwirtschaft die technischen und ökonomischen Wirkungen
-und Vorteile des Großkraftwerk-Betriebes ausprägen können. In jedem
-Falle, ob nun die Elektrifizierung der Vollbahnen das Monopolproblem
-begünstigen würde oder ob dieses sich ohne eine solche Stütze
-durchzusetzen hätte, bleibt es fraglich, ob der Monopolgesetzgeber die
-Frage des Anschlusses der bisherigen privaten Erzeuger &mdash; öffentlicher
-Werke und Einzelanlagen &mdash; an das Monopolnetz so ganz von deren freiem
-Willen abhängen lassen könnte, wie dies sowohl Siegel wie Klingenberg
-voraussetzen. Das Riesenproblem der Kriegslastendeckung wird vielleicht
-tiefere Eingriffe in das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht
-der Privaten erforderlich machen und insbesondere dürfte ein
-Elektrizitätsmonopol sich nicht damit begnügen, den viel geringeren
-Teil der Elektrizitätserzeugung zu erfassen, der in den öffentlichen
-Werken vereinigt ist, und den weit größeren Teil frei zu lassen, der in
-den Einzelanlagen zum Ausdruck kommt. Gewiß ist für manche Unternehmer
-die Versorgung durch Einzelanlagen, trotz der an sich höheren
-Produktionskosten des Stroms in meist kleinen und oft unmodernen
-Betrieben infolge der Ersparnis der Kosten des Leitungsnetzes
-vorteilhafter als der Bezug aus einer öffentlichen, wenn auch ganz
-modernen Zentrale. Es wird aber auch Fälle geben, in denen, namentlich
-bei günstiger Lage der Zentralen, das Gegenteil zutrifft. Will man
-aber<span class="pagenum"><a name="Seite_335" id="Seite_335">[S. 335]</a></span> schon den Besitzer einer bereits bestehenden Privatanlage um
-der Kapitalien willen, die er in seine Zentrale gesteckt hat, nicht
-zwingen, vom Staatsnetz teureren Strom zu beziehen, als er ihn sich in
-seiner eigenen Anlage selbst herstellen könnte, so fällt doch diese
-Rücksicht fort bei dem Unternehmer, der erst eine Privatanlage schaffen
-oder eine schon bestehende erweitern will. Ihm schmälert man kein
-wohlerworbenes Recht, wenn man ihn durch gesetzlichen Zwang oder durch
-Prohibitiv-Steuer veranlaßt, seinen Strombedarf bei den Staatswerken
-zu decken. Die Furcht Klingenbergs, daß dann ein Teil der Industrie
-wieder von der elektrischen Kraftübertragung zur Dampftransmission
-zurückkehren würde, erscheint mir kaum begründet. Der <em class="gesperrt">ganze</em>
-Zusatzbedarf jedenfalls, gleichgültig ob er sonst durch öffentliche
-Werke oder private Einzelanlagen gedeckt werden würde, gebührt
-dem Monopol. Erst dann kann dieses auf die große und einträgliche
-Neubeschäftigung rechnen, die ihm die Grundlage für eine sichere und
-ergiebige Gewinn-Kalkulation bietet.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_336" id="Seite_336">[S. 336]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Fuenfzehntes_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Fünfzehntes Kapitel</em><br />
-
-Gemischt-wirtschaftliche Unternehmung</h2>
-
-</div>
-
-<p>Wenn man der Stellungnahme Rathenaus und seines Kreises für das
-Elektrizitätsmonopol in der oben geschilderten Art neben den
-objektiven, volkswirtschaftlichen Gründen auch so etwas wie ein
-subjektives, sozusagen &mdash; im erlaubten Sinne &mdash; eigennütziges
-Motiv unterlegen wollte, so könnte es im folgenden liegen: Der
-kluge Realpolitiker, der sich bei allem Gedankenschwung nie an
-Unmöglichkeiten klammerte, dessen Stärke darin bestand, immer nur
-zu wollen, was er konnte, hatte wohl erkannt, daß die Tendenz zum
-Staatsmonopol so stark sei, daß ihr auf die Dauer nicht Widerstand
-zu leisten war. Gewisse Widerstände, denen Konzessionsanträge von
-Privatgesellschaften für Großkraftwerke seit einiger Zeit bei der
-Regierung begegneten, zeigten ihm, daß man dort die Zukunft nicht zu
-„präjudizieren“, sondern sich die Freiheit des Handelns zu erhalten
-wünschte. War sich die Privatunternehmung aber einmal klar darüber
-geworden, daß sie die Zukunft auf dem Gebiete der Stromerzeugung
-nicht mehr so würde beherrschen können wie die Vergangenheit und
-zum Teil auch noch die Gegenwart, so war es für sie unklug, sich
-gegen eine doch unvermeidliche Entwickelung zu sträuben, schließlich
-besiegt zu werden und unter Bedingungen kapitulieren zu müssen, die
-sie dann nicht mehr stellen, mit bestimmen oder auch nur beeinflussen
-könnte. Bis zur Rolle des Expropriierten hat sich Emil Rathenau nie
-drängen lassen. Er hielt es in solcher Lage für besser, mit den
-Zukunftsmächten in einem Zeitpunkte zu paktieren, in dem er ihnen noch
-als Gleichstarker, Ebenbürtiger, in freier Verhandlungs-, Forderungs-
-und Konzessionsfähigkeit gegenübertreten konnte. Er wollte lieber
-beizeiten einen Teil seiner Macht und seines Besitzes an Kräfte,
-deren<span class="pagenum"><a name="Seite_337" id="Seite_337">[S. 337]</a></span> schließliche Überlegenheit er erkannt hatte, hergeben, um sich
-durch dieses Opfer den anderen Teil zu erhalten, anstatt später einmal
-alles zu verlieren. Auf unseren Fall übertragen: Rathenau hielt es
-für richtiger und vorteilhafter, früh ein Strommonopol vorzuschlagen,
-auf dessen Konstruktion und Beschaffenheit er bestimmend einwirken
-konnte, statt schließlich eins nehmen zu müssen, bei dessen Formung und
-Verwaltung er ausgeschaltet sein würde. Sein Elektrizitätsmonopol mit
-der Zentralkraftherstellung durch den Staat und der Verteilung durch
-die bisherigen Privatunternehmer läßt auch deutlich die Aufteilung der
-Macht, des Besitzes, der produktiven und ertragsfähigen Arbeit zwischen
-Staat und Privatindustrie erkennen.</p>
-
-<p>Genau nach diesem diplomatischen Rezept hatte sich Rathenau bereits
-vorher mit einem anderen &mdash; kleineren, wenn auch für die Zeit seiner
-Geltung sehr wichtigen &mdash; Problem abgefunden, nämlich dem Problem der
-<em class="gesperrt">kommunalen</em> und sonstigen <em class="gesperrt">öffentlich-korporativen Einfluß-
-und Besitzansprüche</em> auf dem Gebiete der Elektrizitätserzeugung.
-Die Gefahr war auch hier die völlige Überführung der Stromversorgung
-und Stromverteilung auf die Gemeinden, Kreise, Provinzen usw. und
-damit die Expropriierung der Privatindustrie gewesen, die Lösung wurde
-in der <em class="gesperrt">gemischt-wirtschaftlichen Unternehmung</em> gefunden. Diese
-ist im Verhältnis zum staatlichen Elektrizitätsmonopol, der Betriebs-
-und Verwaltungsform der Größtkraftversorgung von morgen, das Gewand,
-das die Großkraftversorgung der letzten Vergangenheit und zum Teil
-auch noch der Gegenwart sich geschaffen hat. Eine Schöpfung, die im
-<em class="gesperrt">Prinzip</em> bereits wieder überholt und überwunden ist, in der
-Praxis aber die Verhältnisse gegenwärtig noch stark beherrscht. Ist das
-Elektrizitätsmonopol die Rechts- und Betriebsform, der die zentrale
-Fernkraftversorgung zudrängt, so ist die gemischt-wirtschaftliche
-Unternehmung die typische Rechtsform der <em class="gesperrt">Überlandzentrale</em>.</p>
-
-<p>Um die ganze Atmosphäre, die historische Bedingtheit zu
-verstehen, in der sich die gemischt-wirtschaftliche Unternehmung
-entwickelte, muß man etwas weiter ausholen und sich kurz die
-Entwicklung des <em class="gesperrt">Staatssozialismus</em> vergegenwärtigen, ehe
-man sich dem für uns in Betracht kommenden damit verschwisterten
-<em class="gesperrt">Kommunalsozialismus</em> zuwenden und neben dem technischen<span class="pagenum"><a name="Seite_338" id="Seite_338">[S. 338]</a></span> auch den
-öffentlich-wirtschaftlichen Wurzelboden der gemischt-wirtschaftlichen
-Unternehmung verstehen lernen kann.</p>
-
-<p>Eine Zeitlang hat es den Anschein gehabt, als ob der Staats- und
-Kommunalsozialismus mit raschen Schritten das wirtschaftliche Gebiet
-mit Beschlag belegen wolle, das den von ihm bereits beherrschten
-Verwaltungsfeldern benachbart oder verwandt ist. Nachdem das Reich und
-die Einzelstaaten mit bedeutendem Organisations- und Finanzerfolge die
-großen Verkehrsmittel, wie Eisenbahnen, Post, Telegraph und Telephon,
-verstaatlicht hatten, nachdem auch in den Kommunen vielfach mit Erfolg
-versucht worden war, Anstalten lokaler Ausbreitung und öffentlichen
-Charakters, wie Straßenbahnen, Schlachthäuser, Wasserwerke, Gas-
-und Elektrizitätswerke, in eigenen Betrieb zu nehmen, schien die
-Entwicklung darauf hinzuzielen, die privatwirtschaftlichen Reste
-innerhalb dieses von der Theorie bereits mit Entschiedenheit für
-die öffentliche Unternehmung in Anspruch genommenen Gebietes auch
-praktisch zu verdrängen. Es gab eine Zeit &mdash; und sie liegt gar nicht
-einmal weit zurück &mdash;, in der es zum Beispiel für die städtischen
-Verwaltungsorgane, für die Presse und die Bürgerschaft von Berlin
-außer Zweifel stand, daß alle Straßenbahnen und Elektrizitätswerke
-beim Erlöschen der Privat-Konzessionen städtisch werden müßten; in der
-es das Ziel jeder großzügigen Gemeindepolitik war, alle derartigen
-Anstalten in kommunale Verwaltung zu bringen, einerseits um die
-Anstalten den öffentlichen Gesichtspunkten besser und unabhängiger von
-privaten Unternehmerinteressen dienstbar zu machen, andererseits auch,
-um die aus den Anstalten erzielten Unternehmergewinne den Kommunen in
-vollem Umfang zuzuführen.</p>
-
-<p>Der Kreis der für den öffentlichen Betrieb geeigneten Unternehmungen
-erweiterte sich immer mehr. Die bereits öffentlich betriebenen
-Gewerbe zogen andere nach sich, die als Hilfsgewerbe für sie wichtig
-waren. Der preußische Staat errichtete in Westfalen staatliche
-Kohlenbergwerke, um den Kohlenbezug für seine Bahnen sicherzustellen
-und sich von der Preisdiktatur des Kohlensyndikats unabhängig zu
-machen. Das war in einer Zeit, in der die Kartellbildungen noch neu
-waren und, namentlich was die Roh- und Halbstoffindustrien anlangt,
-nicht nur bei den Konsumenten, sondern auch bei den Regierenden
-Beklemmungen erweckten und Gegenwehr erheischten.<span class="pagenum"><a name="Seite_339" id="Seite_339">[S. 339]</a></span> Den schlüpfrigen
-Boden eines Kartellgesetzes scheute man sich zu betreten, da man
-nicht wußte, wie sich die neuen Organisationen entwickeln würden, da
-man auch fürchtete, für die Gesamtwirtschaft vielleicht fruchtbare
-(und tatsächlich außerordentlich fruchtbar gewordene) Möglichkeiten
-durch Bureaukratismus und Polizeimaßregeln zu verbauen. So versuchte
-man es mit einer indirekten Methode der Sicherung, indem man in
-staatlichen Konkurrenzwerken Gegengewichte gegen die Überspannung
-des Unternehmereigennutzes zu schaffen suchte. Aus dieser Stimmung
-heraus motivierte man die neuen Unternehmungen nicht nur mit
-den fiskal-wirtschaftlichen Beweggründen der Sicherstellung des
-Kohlenbedarfs für die staatlichen Bahnen, sondern man stellte sie
-auch unter die Gesichtspunkte der Wahrung allgemeiner Bürger- (das
-heißt Verbraucher-)Interessen. Es mag dahingestellt sein, ob man
-sich damals klar darüber war, wie weit man mit solchen immerhin nur
-in beschränktem Umfange vorgenommenen Experimenten das angestrebte
-Ziel überhaupt erreichen konnte, oder ob man mit der Möglichkeit
-rechnete, diesen Experimenten im Erfolgsfalle eine breitere Basis
-zu geben, oder ob man vielleicht nur aus einer Stimmung, nicht aus
-einem durchdachten Plane heraus staatssozialistischen und auch
-bodenreformerischen Bestrebungen, die sich damals zu einem System
-gerundet hatten, eine Konzession machen wollte. Jedenfalls griff die
-staatssozialistische Theorie die vereinzelten Eroberungszüge, die die
-öffentliche Unternehmung aus dem Gebiet der Kommunikationsmittel in
-das Gebiet der Produktionsmittel unternahm, sofort begeistert auf und
-verallgemeinerte sie zu Forderungen, nach denen die Bodenschätze und
-Bodenwerte eines Landes nicht von einzelnen Unternehmern nach Belieben
-ausgenutzt werden dürften, sondern im Interesse der Allgemeinheit
-verwendet werden müßten. Damit war eine Atmosphäre geschaffen,
-in der es auch im kommunalen Leben als überaus rückständig galt,
-Unternehmungen öffentlicher Art mit lokal umgrenztem Wirkungskreise
-privaten Unternehmern zu überlassen.</p>
-
-<p>Es ist aber bald ein Rückschlag eingetreten. Er mußte eintreten, da
-es sich zeigte, daß staatssozialistische Experimente, auf schmaler
-Grundlage zaghaft und ohne volle Konsequenz ausgeführt, ohne
-organische Umbildung des ganzen Wirtschaftslebens auf ungünstige
-Betriebsbedingungen angewiesen, ohne Monopolrechte dem in vielen
-Dingen freieren Wettbewerb der Privatunternehmer unter<span class="pagenum"><a name="Seite_340" id="Seite_340">[S. 340]</a></span>legen, keinen
-überzeugenden und namentlich keinen schnellen Erfolg haben konnten.
-Die Verstaatlichung der Eisenbahnen gelang, weil hier ein Monopol
-geschaffen wurde, dessen ganze Organisation dem bureaukratischen
-Apparat entgegenkam und dessen Betrieb mehr die verwaltende als die
-propagandistische Seite der Kaufmannstätigkeit in Anspruch nahm. Die
-Ordnung, die Sicherheit, die Einheitlichkeit bedeuteten hier mehr
-als die bloße geschäftliche Nutzwirkung, die möglicherweise beim
-Privatbetriebe größer gewesen wäre als beim Staatsbetriebe. Was aber
-für die Kommunikationsmittel galt, das galt nicht in gleicher Weise
-für die Produktionsmittel. Die teurere Betriebsweise des Staates,
-die im bureaukratischen Betriebe wie in der staatssozialistischen
-Idee begründeten Hemmungen des unternehmerischen Agens, würden auch
-bei einer vollständigen Verstaatlichung vieler Produktionsmittel
-(namentlich solcher, die in ihrem Absatzradius nicht auf die
-Staatsgrenzen beschränkt, sondern auf den Ausfuhrmarkt angewiesen
-sind) den volkswirtschaftlichen Nutzeffekt der Industrien
-herabgedrückt haben, ohne daß diese Nachteile auf der anderen Seite
-durch so große Vorteile wie bei den Eisenbahnen aufgewogen worden
-wären. Ganz besonders augenfällig mußte diese Unterlegenheit des
-staatlichen Betriebes in Erscheinung treten, als der Staat auf
-privatkapitalistischem Boden mit der Privatindustrie in Wettbewerb
-trat, als er sich nicht die monopolistische Form schuf, die seiner
-Verwaltungsmethode entsprach. Hier mußte er den Kürzeren ziehen, nicht
-nur weil seine Arbeits- und Verwaltungsweise weniger beweglich war,
-sondern auch weil er in seiner Unternehmerpolitik naturgemäß sozialer
-und rücksichtsvoller sein mußte als die Privatindustrie.</p>
-
-<p>Die Tatsache, daß die staatssozialistischen Eroberungszüge in das
-Gebiet der Produktionsmittel, geführt mit dem Rüstzeug und auf dem
-Boden der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, unergiebig ausgelaufen
-sind und auslaufen mußten, schien vor dem Kriege fast festzustehen.
-Was der Krieg an <em class="gesperrt">unfreiwilligen</em> und durch die Verhältnisse
-erzwungenen staatssozialistischen Verwirklichungen umfassenderer Art
-gebracht hat, welche Erfahrungen &mdash; sie schienen zuerst günstiger, dann
-wieder ungünstiger zu sein, als man erwartet hatte &mdash; dabei gemacht
-wurden, braucht uns hier ebenso wenig zu interessieren wie die Folgen,
-die sich daraus ergeben werden. Denn wir sprechen von dem Zeitpunkt
-und den Zeitverhältnissen, aus denen<span class="pagenum"><a name="Seite_341" id="Seite_341">[S. 341]</a></span> die gemischt-wirtschaftliche
-Unternehmung historisch entstand und die wir in ihren Ursachen und
-Anlässen zu erklären haben.</p>
-
-<p>In dieser Zeit war nun die Folge der wenig erfolgreichen
-staatssozialistischen Experimente, daß die Stimmung in den Kreisen der
-Regierenden unsicher wurde, und neues Feld für staatssozialistische
-Versuche nicht mehr zu gewinnen war. Der Fiskus, der bei der ganzen
-Sache viel riskiert und wenig gewonnen hatte, sträubte sich und
-verlangte aus dem Spiel gelassen zu werden, und somit war der
-Bildung von Unternehmungen, die eine rein staatliche Verwaltung
-und beträchtliche staatliche Mittel erforderten, zunächst der Weg
-erschwert. Dennoch war die Luft inzwischen mit staatssozialistischen
-Ideen derart getränkt worden, daß ein völliger Rückzug nicht mehr gut
-möglich war. So kam man denn schließlich zu dem <em class="gesperrt">Aushilfsgebilde</em>
-der <em class="gesperrt">halböffentlichen Betriebs- und Verwaltungsform</em>. Verschiedene
-brennende Probleme der Industriepolitik suchte man mit ihr zu
-bewältigen. So stellte die Diamantenregie Dernburg-Fürstenbergs ein
-gelungenes, für die Privatunternehmung und den Staat vorteilbringendes
-Beispiel, die Regelung des Kaliabsatzes, die der Industrie als
-solcher nur Unsegen und dem Staate keinerlei Vorteil brachte, ein
-mißglücktes Beispiel dieser halbstaatlichen Verwaltungsform dar.
-Alle diese Experimente liegen aber nicht mehr ausschließlich in der
-Richtung des Staatssozialismus; sie laufen nicht lediglich auf eine
-Regulierung, Machtbeschränkung und Erziehung der Produzenten im
-staatlichen und Konsumenten-Interesse hinaus. Zu derselben Zeit, da
-der Staat seine Bemühungen, den großen Unternehmerorganisationen mit
-Staatssozialismus beizukommen, fast schon aufgeben wollte, hatten die
-Unternehmer erkannt, welche Möglichkeiten ihnen der Staatssozialismus
-für die Aufrechterhaltung ihrer künstlichen Marktregelungen zu
-bieten vermochte. Das Argument, daß man die wirtschaftliche Lage,
-wie sie durch die ehemals als Feinde bekämpften Kartelle seit Jahren
-befestigt worden war, im volkswirtschaftlichen Interesse nicht
-zusammenbrechen lassen dürfe, daß aus der Auflösung dieser oder jener
-„bewährten Organisation“ unberechenbare Folgen sich ergeben würden,
-wurde nicht selten als Vorspann für die Forderung oder Verwirklichung
-halböffentlicher Regelungen von den privaten Unternehmern selbst
-benutzt und die Verbraucher mußten noch froh sein, wenn bei derartigen
-auf Anregung der Produzenten vorgenommenen Regelungen<span class="pagenum"><a name="Seite_342" id="Seite_342">[S. 342]</a></span> durch gewisse
-Lieferungsvorschriften auch auf sie Rücksicht genommen wurde.</p>
-
-<p>Diese ganze Hemmung und Umbiegung einer in ihrer Art und Richtung
-anfänglich recht entschiedenen Bewegung ist aber nicht lediglich auf
-die obengeschilderte wirtschaftliche und betriebliche Überlegenheit
-der Privatindustrie über die Staatsindustrie (wohlgemerkt, wenn sie
-nach dem System und auf dem Boden der Privatindustrie arbeitet),
-sondern auch auf die Überlegenheit der privatwirtschaftlichen
-<em class="gesperrt">Finanztechnik</em> über die staatswirtschaftliche zurückzuführen. Es
-ist durchaus kein Zufall, daß die Resignation des Staatssozialismus
-mit dem damals vielleicht vorläufigen, aber doch recht entschiedenen
-<em class="gesperrt">Siege der Industrieaktie</em>, ja sogar der Industrieobligation,
-über die Staatsrente zeitlich zusammenfiel. Einstmals besaß die
-staatliche Unternehmung vor der privaten den einen, manche Nachteile
-ausgleichenden Vorteil der wesentlich billigeren Geldbeschaffung.
-Hier hat die neuere Entwicklung abschwächend gewirkt. Als der Staat
-noch sein Leihgeld mit nur 3 oder 3½% zu verzinsen brauchte, die
-Privatindustrie aber für das ihrige 5 bis 6% oder noch mehr zahlen
-mußte, bestand hinsichtlich der Sicherheit und Stabilität zwischen
-Staats- und Privatpapieren eine scharfe Trennungslinie. Auch heute sind
-Staatsanleihen theoretisch noch sicherer als die besten Privatpapiere,
-aber je mehr die großgewerblichen Kartelle und Trustgebilde die
-privatindustrielle Rente ausgeglichen und befestigt haben, um so
-mehr ist die <em class="gesperrt">praktische</em> Sicherheitsgrenze verwischt worden.
-Dazu kam, daß die zunehmende Industrialisierung unserer Wirtschaft
-schon im Frieden eine andauernde Verteuerung der Lebenshaltung und
-ein andauerndes Sinken des Geldwerts im Gefolge hatte, wodurch der
-Rentner veranlaßt worden ist, auf eine höhere Verzinsung seines
-Kapitals hinzuarbeiten. Es war eben die Rückwirkung der überwiegend im
-Produzenteninteresse liegenden Wirtschaftspolitik, die der Staat in
-den letzten Jahrzehnten getrieben hatte und vielleicht mit Rücksicht
-auf die Gesamtwirtschaft und ihre Stellung im Wettbewerb auch treiben
-mußte, daß der Staat nun diese Politik bei seiner Finanzgebarung am
-eigenen Leibe nachteilig zu spüren bekam. Jedenfalls hatte diese
-Entwicklung, welche die althergebrachte, in der Finanzwissenschaft
-beinahe zum Dogma gewordene Lehre von dem Abstand zwischen Staatsrente
-und Industriepapier zuungunsten der Staatsrente ver<span class="pagenum"><a name="Seite_343" id="Seite_343">[S. 343]</a></span>schob, für eine
-Weiterbildung der staatssozialistischen Ansätze starke finanzpolitische
-Hemmungen geschaffen.</p>
-
-<p>Die zurückflutende Welle der staatssozialistischen Bewegung hat
-naturgemäß auch die Entwicklung des <em class="gesperrt">Kommunalsozialismus</em>, die
-an sich schon durch allerlei Reibungen in ihrem zeitweilig kräftigen
-Vorwärtsdrängen gehemmt worden war, nicht unberührt gelassen. Das
-bureaukratische Betriebssystem ist mit seinen Nachteilen und Vorteilen
-in der Kommune und der sonstigen öffentlichen Körperschaft ungefähr
-dasselbe wie im Staate. Das schwerfällige Rechnungs- und Haushaltswesen
-der öffentlichen Gemeinschaften, das ohnehin die Beweglichkeit und
-Elastizität der privaten Unternehmertätigkeit nicht zuläßt, macht
-sich vielleicht in den Kommunen noch störender bemerkbar, weil
-bei ihnen nicht nur der eigene Instanzenzug, sondern auch der der
-übergeordneten Staatsbehörde zu berücksichtigen ist. Selbst wenn eine
-Kommune Unternehmungen in eigenen Betrieb übernehmen wollte, ist ihr
-dies häufig (man denke an die Erfahrungen der Stadt Berlin in der
-Straßenbahn-Verstadtlichungsfrage und bei dem Ankaufsgebot auf das
-Tempelhofer Feld) durch die Staatsregierung erschwert, wenn nicht ganz
-unmöglich gemacht worden.</p>
-
-<p>Ein weiterer und sehr wichtiger Grund, der einer allzustarken
-Ausdehnung des Kommunalsozialismus &mdash; selbst wenn betriebliche
-Gründe, von denen noch die Rede sein wird, ihm nicht von selbst
-schon gewisse Schranken gezogen hätten &mdash; hinderlich werden mußte,
-war wieder die Finanzierungsfrage, die sich für die Kommunen noch
-schwieriger gestaltete als für den Staat. Der Kapitalmarkt, schon
-an sich den festverzinslichen Rentenwerten nicht mehr so geneigt
-wie früher, vermochte die sich von Jahr zu Jahr häufende Menge von
-Stadt- und Kommunalanleihen nicht mehr aufzunehmen; das Wettrennen
-zwischen den Staaten, Kommunen, Bodenkreditanstalten und industriellen
-Unternehmungen um den günstigsten Platz auf dem Anleihemarkte
-drohte diesen der Schonung dringend bedürftigen Markt völlig zu
-desorganisieren. Die Städte hatten unter diesen Umständen Mühe,
-ihren bei den erhöhten Anforderungen der modernen Kommunalpolitik
-schon an und für sich stark angeschwollenen Geldbedarf für reine
-Verwaltungszwecke recht und schlecht zu decken. Die Aufgaben des
-Kommunalsozialismus mußten so nach Möglichkeit eingeschränkt oder
-zurückgestellt werden, und sie ließen<span class="pagenum"><a name="Seite_344" id="Seite_344">[S. 344]</a></span> sich leichter zurückstellen
-als die übrigen öffentlichen Aufgaben. Man kann der Regierung
-infolgedessen nicht so unrecht geben, wenn sie die Kommunen mehrfach
-zur Einschränkung ihrer Anleiheausgaben aufgefordert und so indirekt
-auf eine Eindämmung des reinen Kommunalsozialismus hingewirkt hat.
-Emil Rathenau, der diese Entwickelung frühzeitig erkannt hatte,
-machte verschiedene Versuche, um aus ihr Nutzen zu ziehen oder doch
-die sich daraus für die Elektrizitätsbewegung ergebenden Nachteile
-zu beseitigen. Ein erster Versuch in dieser Richtung, der darin
-bestand, <em class="gesperrt">Elektrotreuhandbanken</em> zu errichten, die den Kommunen
-und Korporationen zur Errichtung von Elektrizitätsunternehmungen
-Obligationenkredit einräumen sollten, führte zu keinem rechten
-Ergebnis. Dagegen bürgerte sich die ähnlichen Zwecken dienende
-gemischt-wirtschaftliche Unternehmung ziemlich schnell und umfassend
-ein und die Kommunalpolitik nahm bereitwillig diese Form an, als das
-Großgewerbe &mdash; den Zeichen der Zeit folgend &mdash; sie ihr sozusagen auf
-halbem Wege entgegenbrachte. Man hat sie hier sogar in verhältnismäßig
-kurzer Zeit praktisch wirkungsvoller auszugestalten vermocht, als dies
-dem Staat gelungen ist. Allerdings gerade denjenigen Vorteil, den
-der theoretische Befürworter und Ausgestalter dieser Form, Geheimrat
-Freund, vielleicht als den ausschlaggebenden angesehen hat, konnte sie
-nicht erbringen. Sie vermochte nicht mit der privatwirtschaftlichen
-Initiative und Beweglichkeit die billigere Geldbeschaffung der Kommunen
-zu vereinigen, eben weil eines der Hauptmotive zu ihrer Bildung und
-zur Abkehr der Kommunen von eigenen Betrieben die Überspannung des
-Kommunalkredits gewesen ist.</p>
-
-<p>Anwendung gefunden hat die Form der gemischt-wirtschaftlichen
-Unternehmung bisher hauptsächlich bei Elektrizitätswerken (Kraft-,
-Lichtwerken und elektrischen Bahnen), Kleinbahnbetrieben, und mit
-schwächeren Ansätzen auf dem Gebiet der Grundstücksunternehmung. Im
-nachfolgenden soll ausschließlich von dem uns im Rahmen unserer Arbeit
-vornehmlich angehenden Anwendungsgebiet der Elektrizitätsbetriebe die
-Rede sein.</p>
-
-<p>Will man verstehen, warum gerade das <em class="gesperrt">elektrische Lokal-
-und Überlandunternehmen</em> die Hauptanwendungsform für die
-gemischt-wirtschaftliche Unternehmung geworden ist, so muß
-man notwendig auf die Entstehung und Geschichte der loka<span class="pagenum"><a name="Seite_345" id="Seite_345">[S. 345]</a></span>len
-Elektrizitätsunternehmungen zurückgehen. Sie gehörten im Anfang nicht
-zu jenen Betrieben, die mit städtischen Mitteln und in städtischer
-Verwaltung errichtet wurden. Das hat seinen Grund vor allem darin, daß
-vor der Elektrizitätszentrale die Gasanstalt da war. Die Errichtung der
-ersten lokalen Zentralbeleuchtungsanstalt war naturgemäß eine wichtige
-Angelegenheit jeder einigermaßen fortgeschrittenen Kommunalpolitik.
-Es bildete eine fast unerläßliche Aufgabe jeder größeren Kommune,
-eine zentrale Beleuchtung einzuführen, die nicht nur eine helle
-Lichtwirkung, sondern auch eine bequeme Bedienung ermöglichte. Diese
-Möglichkeit bot zuerst das Gas, und da die Privatunternehmung nicht
-mit einer an der Gasherstellung interessierten Spezialindustrie
-zusammenhing, und da sich überdies die Städte damals noch nicht damit
-befreunden konnten, ihren Straßengrund der privaten Röhrenverlegung
-preiszugeben, so mußten die Kommunen, wenn sie sich modernes Licht
-schaffen wollten, die Gaszentralen und die verteilenden Röhrennetze in
-vielen Fällen selbst errichten (wenngleich auch auf diesem Gebiete der
-Privatunternehmung ein größeres Arbeitsfeld verblieb). Als dann geraume
-Zeit später die elektrische Beleuchtung aufkam, zögerten die Kommunen,
-die ja ihr Beleuchtungssystem in eine immerhin moderne Verfassung
-gebracht hatten, neben ihren Gaswerken noch Elektrizitätswerke zu
-bauen. Das Bedürfnis dafür schien nicht unbedingt vorhanden zu sein,
-zumal da die Gasbeleuchtung den Kampf mit der Elektrizität tatkräftig
-und lange Zeit erfolgreich führte. Das Elektrizitätswerk stellte zudem
-eine technisch wesentlich kompliziertere, in ihrem Betriebe besonders
-in der ersten Zeit schwerer zu übersehende Unternehmung dar als die
-Gaszentrale. Auch beschränkte sich die Elektrizität nicht auf das
-Beleuchtungsgebiet, vielmehr griff sie in der Form von Antriebsenergie
-für alle Arten von Maschinen direkt auf das industrielle Leben über
-und in den allgemeinen Produktionsprozeß hinein. Man scheute sich
-daher in kommunalen Kreisen zunächst, eine so vielfältige und schwer
-übersehbare Produktion in eigene Verwaltung zu übernehmen. Da griff
-denn die Elektrizitätsindustrie &mdash; als Großinteressentin an der
-Ausbreitung der elektrischen Energie &mdash; wie wir dies in unserem Buche
-bereits ausführlich geschildert haben, mit privater Initiative ein.
-Die privaten Elektrizitätswerke, an die zumeist auch elektrische
-Straßenbahnnetze angeschlossen wurden, entwickelten sich trotz der
-beträchtlichen Abgaben, die an die Kommunen<span class="pagenum"><a name="Seite_346" id="Seite_346">[S. 346]</a></span> zu entrichten waren,
-so nutzbringend, daß die Privatindustrie gern die ganze kommunale
-Elektrizitätsversorgung dauernd in ihrer Hand behalten hätte. Je mehr
-aber die hohe Nutzwirkung der Stromerzeugung ersichtlich wurde, desto
-mehr zeigte sich bei den Kommunen das Bestreben, diese Quelle reichlich
-strömender Gewinne völlig für sich mit Beschlag zu belegen. Es kam
-die Periode, in der allenthalben die Verstadtlichung der elektrischen
-Kraftwerke und Straßenbahnen angestrebt und vielfach auch durchgesetzt
-wurde.</p>
-
-<p>Zweifellos haben die Kommunen dabei keine schlechten Erfahrungen
-gemacht. Die von ihnen geführten Betriebe wurden vielfach geschickt
-verwaltet, ihre Erträgnisse befruchteten die kommunalen Finanzen,
-und für die Verbraucher ergaben sich befriedigende Verhältnisse.
-Dennoch ist die kommunalsoziale Strömung im Elektrizitätswesen schon
-nach kurzer Zeit verlangsamt worden. Daran waren neben den oben
-geschilderten finanziellen Gründen auch verwaltungspolitische und
-betriebstechnische schuld. Die Übernahme von Elektrizitätswerken,
-elektrischen Straßenbahnen usw. in städtische Regie erforderte
-eine beträchtliche Verstärkung der kommunalen Beamten- und
-Arbeiterschaft; sie schuf verwickelte Besoldungsprobleme und rapide
-anschwellende Pensionsetats. Überdies erforderte die Eigenart
-des elektrischen Betriebes die Anstellung besonders tüchtiger
-und demgemäß auch teurer Kräfte, deren Bezahlung innerhalb der
-kommunalen Beamtenschaft Schwierigkeiten bot. Alles dies in einer
-Zeit, in der die Kommunalpolitik notgedrungen auf größtmöglichste
-Sparsamkeit und auf Einschränkung der Ausgaben hinarbeiten mußte. Das
-ausschlaggebende Moment war aber doch wohl das betriebstechnische.
-Die <em class="gesperrt">Elektrizitätswerke</em> fingen an <em class="gesperrt">zu groß</em> zu werden,
-als daß ihr Wirkungsgebiet sich hätte auf eine einzige mittlere oder
-selbst große Kommune beschränken können. Elektrizitätszentralen,
-die auf der Höhe der Technik und Wirtschaftlichkeit stehen
-sollten, mußten neben der Zentralstadt nicht nur die Vororte und
-benachbarten Landkreise, sondern auch weitere Zentralstädte in ihren
-Versorgungsradius ziehen. Den einzelnen Kommunen wuchs mit anderen
-Worten das Problem der wirtschaftlichen Elektrizitätsversorgung
-aus den Händen. Sie machten zwar gelegentlich den Versuch, sich zu
-Verbänden oder Verbands-Aktiengesellschaften zusammen zu schließen,
-aber solche Versuche gelangen doch nur ausnahmsweise, zumal da sich
-gleichzeitig die Elektrizitätserzeugung<span class="pagenum"><a name="Seite_347" id="Seite_347">[S. 347]</a></span> der großen Industriezentren
-mit überzeugendem Nutzen an privatindustrielle Produktionsstätten
-anzulehnen begann, die einen Teil ihrer überschüssigen oder billig
-zu erzeugenden Kraft für die Elektrizitätserzeugung hergeben
-konnten. Hier liegt die große produktive Leistung Hugo Stinnes,
-der &mdash; ohne eigentlich Elektrizitätsfachmann zu sein &mdash; eine
-derartige Elektrizitätserzeugung auf montanindustrieller Basis zum
-ersten Mal in großem Stile aufnahm, die Gichtgase seiner Hochöfen
-als Antriebskraft für riesige Dynamomaschinen benutzte und in
-seinem Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk eine technisch
-wie kaufmännisch gleich hervorragende Organisation schuf. In diese
-Organisation zog er eine große Reihe rheinisch-westfälischer Groß- und
-Kleinstädte, Landgemeinden und Privatkonsumenten mit hinein. Was Emil
-Rathenau vorschwebte, als er vor Jahrzehnten bereits aus den damaligen
-Schwierigkeiten seiner privaten Kraftwerke heraus ein Zusammenwirken
-zwischen Privatindustrie und Gemeinden auf genossenschaftlicher
-Grundlage vorschlug, was er später beim Elektrizitätswerk Straßburg
-i. E. durch Verbindung eines Konzessionsvertrages mit einer mäßigen
-Aktienbeteiligung der Kommune vorbereitend anbahnte, ist beim
-Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk aus den Unzulänglichkeiten
-lokaler Elektrizitätsversorgung heraus voll verwirklicht und in reifer
-Form angewendet worden.</p>
-
-<p>Hugo Stinnes hat nicht nur zuerst das technische Problem der
-montanindustriellen Großzentrale bewältigt, er hat auch zugleich
-die grundsätzliche wirtschaftliche Unternehmungsform gefunden,
-die es gestattete, einen privaten Industriebetrieb mit einer oder
-mehreren kommunalen Körperschaften zu einem Interessenverbande zu
-vereinigen. Er wählte die Form der Privat-Aktiengesellschaft, an deren
-Finanzierung sich sowohl das private Unternehmerkapital als auch die
-Kommunen beteiligten, und in deren Verwaltungsrat sowohl Vertreter
-der beteiligten Kommunen als auch der privaten Unternehmerkreise
-saßen. Ging beim Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk die
-Anregung zur Bildung eines gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens
-von der Rohstofflieferantin, der Montanindustrie, aus, so gab
-bei anderen Bildungen dieser Art die Materiallieferantin, die
-Elektrizitätsindustrie, den Anstoß. Diese Industrie, die seit
-langem mit der Errichtung von Elektrizitätswerken in eigener Regie
-oder in der Regie von Tochterunternehmungen günstige finanzielle
-Erfolge<span class="pagenum"><a name="Seite_348" id="Seite_348">[S. 348]</a></span> erzielt hatte, indem sie sich nicht nur für den Absatz ihrer
-Fabrikate Stützpunkte schuf, sondern auch noch die Quelle reichlich
-und ziemlich gleichmäßig fließender Rentengewinne erschloß, diese
-Industrie hat sehr schnell eingesehen, daß sie mit der neuen Form der
-gemischt-wirtschaftlichen Unternehmung, mit dieser Konzession an den
-sozialen Zeitgedanken, der streng kommunalsozialistischen Bewegung den
-Wind wenigstens teilweise würde aus den Segeln nehmen können. Was sie
-praktisch aufgab, war nicht sehr viel. Das absolute privatindustrielle
-Selbstbestimmungsrecht, das ihr übrigens vorher schon durch die
-Konzessionsverträge mit den Kommunen beschnitten gewesen war, wurde
-durch die Beteiligung der Kommunen am Stimmrecht und an der Verwaltung,
-sowie durch gewisse kommunale Veto- und Forderungsrechte allerdings
-bis zu einem gewissen Grade eingeschränkt. Dafür bot ihr aber die
-Kontrolle durch öffentliche Verwaltungsorgane einen wirksamen Schutz
-gegen Angriffe, denen sie vorher ausgesetzt war. Ferner behielt die
-Privatindustrie die besonders wertvolle Möglichkeit, die von ihr
-in Gemeinschaft mit den Kommunen betriebenen Elektrizitätswerke
-als Arbeitszubringer und Abnehmer für ihre Fabrikate zu benutzen,
-fast unbeschränkt bei. Ebenso blieb ihr das Renteninteresse an den
-Unternehmungen erhalten, wenn auch der Quantität nach durch die
-Beteiligung der Kommunen etwas verringert; der Qualität nach wurde es
-durch die moralische und manchmal auch rechtliche Garantieübernahme
-seitens der Kommunen sogar noch erhöht.</p>
-
-<p>Ob die Interessen der Kommunen und der Verbraucher bei der
-gemischt-wirtschaftlichen Unternehmung ebenso gut aufgehoben gewesen
-sind, wie die der Privatindustrie, ist eine Frage, die sich nicht
-allgemein entscheiden und bejahen läßt. Ein gewisser Nachteil für
-die Kommunen mag darin liegen, daß eine gemeinsame Beteiligung
-und Tätigkeit in denselben Unternehmungen sie aus übergeordneten
-Behörden zu Wirtschaftsgenossen und Geschäftsteilnehmern der
-Unternehmer macht, ein Verhältnis, das gewiß Gefahren mit sich
-bringt, deren Vermeidung besondere Klugheit und Charakterfestigkeit
-der kommunalen Vertreter erfordert. Dabei war besonders anfänglich
-der Kaufmann dem Verwaltungsbeamten in der geschäftlichen Praxis,
-noch mehr in der industriellen Technik so sehr überlegen, daß die
-theoretisch zugestandenen Aufsichts- und Mitbestimmungsrechte
-nicht immer wirkungsvoll zur Geltung gebracht werden konnten. Das<span class="pagenum"><a name="Seite_349" id="Seite_349">[S. 349]</a></span>
-lag aber oft nicht an der Formulierung dieser Rechte, die meist
-ausreichend war und einer besonderen gesetzlichen Regelung, wie
-sie zum Beispiel Freund gefordert hat, nicht bedurfte, sondern
-eben an der mangelhaften Handhabung. Gerade in dieser Hinsicht
-hat der Kommunalbeamte im Laufe der Entwickelung und durch diese
-viel gelernt. Die Möglichkeiten der Erfahrung und der Vergleichung
-haben ihn geschult. Eine Kontrolle durch fachmännische Revisoren
-ist bei Elektrizitätswerken heute fast schematisch möglich. Es läßt
-sich ziemlich genau bestimmen, welche Stromkosten ein Kraftwerk
-je nach seiner Größe, seiner betriebstechnischen Grundlage (als
-montanindustrielles, Fernleitungs- oder lokales Werk) haben, und welche
-Strompreise es berechnen darf. Schwieriger schon ist die Kontrolle,
-ob die von den privaten Unternehmergesellschaften berechneten Preise
-für Maschinen- und Materiallieferungen angemessen sind, aber auch
-in dieser Hinsicht sind die Kontrollaufgaben für eine tüchtige
-Kommunalverwaltung schließlich recht wohl zu erfüllen. Prinzipiell
-wird man das System der gemischt-wirtschaftlichen Unternehmung in der
-elektrischen Stromerzeugung schon deswegen billigen können, weil in dem
-Entwicklungsprozeß der Stromerzeugung, der sich gegenwärtig vollzieht,
-die gemischte Unternehmung eine nützliche Übergangsstufe zu den höheren
-Betriebsformen darstellt, die wir im vorigen Kapitel geschildert haben.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_350" id="Seite_350">[S. 350]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Sechzehntes_Kapitel"><em class="gesperrt s6">Sechzehntes Kapitel</em><br />
-
-Charakterbild</h2>
-
-</div>
-
-<h3 id="Kap_16_a">a)</h3>
-
-<p>Wenn man sich den großen Tatmenschen vorstellt, so sieht man
-ihn gemeiniglich als absoluten Willensmenschen von unbeirrbarer
-Geistesschärfe, unerschütterlicher Entschlußkraft und
-Entschlußdurchführung, von immer gleichbleibender Energie des
-Entwerfens und Arbeitens. Unentschlossenheit, Schwankungen des
-Intellektes und des Willens traut man ihm und seiner ganzen Art nicht
-zu. Hat er Nerven, so sind es stählerne, federnde, die ihn nicht in
-der Entfaltung seiner Geisteskräfte hemmen, sondern ihn beschwingen,
-ihn über körperliche Anfechtungen und Schwächen hinwegtragen, seinem
-Geist, wenn er in zu einsame Höhen der Abstraktion fliegen will, die
-Verbindung mit dem Körper, dem Humusboden der Realität erhalten. So
-sieht vielleicht das Bild des Genies der Tat für den Fernstehenden aus,
-wie es sich am Ende einer festliegenden und festlegenden Entwickelung
-geformt hat. Mit so abgeschlossenen und verschlossenen Zügen tritt das
-Genie vielleicht aus den Kämpfen seines Innenlebens, aus den Stürmen
-seines Werdegangs der Öffentlichkeit entgegen, der es nur die fertigen
-Tatsachen, nicht den schweren Weg, auf dem es zu ihnen gelangt ist, nur
-die äußeren Ergebnisse, nicht den aufreibenden und oft verzweifelten
-Kampf der Möglichkeiten, der ihnen voranging, zeigen will und zeigt.
-So ist es auch erklärlich, daß zunächst nur das <em class="gesperrt">äußere</em> Bild des
-großen Mannes in die Geschichte übergeht und erst die eindringende
-Nachforschung des psychologischen Geschichtsschreibers notwendig
-ist, um es zu verinnerlichen, um hinter der <em class="gesperrt">Maske</em> das Gesicht
-hervortreten zu lassen. Man hat gesagt, daß niemand vor seinem
-Kammerdiener der große Mann bleibt, und man kann mit der gleichen
-Berechtigung sagen, daß niemand vor dem Spiegel seines eigenen
-Inneren oder dem seiner nächsten Umgebung<span class="pagenum"><a name="Seite_351" id="Seite_351">[S. 351]</a></span> der eiserne Tatenmensch
-bleibt, als den ihn die Fernstehenden nach seinen Taten ansehen.
-Shakespeare hat seinem Hamlet, diesem genialischen Typus der Halbheit
-und Unentschlossenheit, der ewigen einander lähmenden Schwankungen
-und Streitereien des Gemüts und des Verstandes in Fortinbras einen
-Tatmenschen, einen Typus des Positivismus gegenübergestellt. Jener
-zergrübelt, dieser handelt. Hamlet ist ein bis ins Feinste ausgeführtes
-Bildnis, Fortinbras eine nur den Zwecken des Kontrastes dienende
-Skizze. Hätte Shakespeare diese Skizze weiter ausgeführt, so würde
-er gefunden haben, daß auch Fortinbras nicht nur klares Wissen,
-gradliniger Wille ist. Er, der tiefe Menschenkenner, würde sicherlich
-zu dem Ergebnis gekommen sein, daß auch der Tatmensch nicht immer
-sofort instinktiv das Richtige sieht und das Richtige tut, sondern
-daß auch ihm die Fülle der Gesichte oft beängstigend entgegendrängt,
-daß auch er sich in Streit und Widerstreit, in leidenschaftlichen
-Diskussionen mit sich selbst und anderen erst aus dem verwirrenden
-Zuviel der Möglichkeiten auf den klaren Weg der Notwendigkeit retten
-muß. Das Entscheidende und Unterscheidende ist es eben, <em class="gesperrt">daß</em>
-er sich rettet, daß er nicht in dem Strauchwerk der Reflexion hängen
-bleibt wie der hamletische Charakter, der ihm an <em class="gesperrt">vielen</em> Gaben
-nicht unterlegen zu sein braucht, dem aber die <em class="gesperrt">eine</em> Gabe
-fehlt, in sich Ordnung zu schaffen, seiner Gedanken und Gefühle
-doch schließlich Herr zu werden, nachdem er sie genug in sich hat
-ringen und wühlen lassen. Gewiß tritt mancher schöpferische Gedanke
-intuitiv, sozusagen blitzartig vor den Geist des Tatmenschen hin. Er
-hat sich vielleicht nie oder nur obenhin mit dem Problem beschäftigt,
-das dieser Gedanke löst. Er erhält Antwort, ohne gefragt zu haben,
-findet Gold, ohne daß er danach zu graben brauchte. Die Überlieferung
-berichtet von manchen großen Taten, die so entstanden sind, aber sie
-verschweigt, wie viel öfter der sogenannte Instinkt den schöpferischen
-wie den problematischen Menschen irregeführt hat. Die Bewunderung der
-Masse vor dem genialen Instinkt würde vielleicht geringer werden,
-wenn sie erfaßte, daß gerade zu dem psychischen Bild Hamlets schnelle
-Gedankenblitze und Gedankensprünge gehören, die dem geistreichen
-Menschen in gehobener Stimmung oft einen Goldwert der Idee vortäuschen,
-der sich bei nüchterner Überlegung nur als blinder Glanz erweist.</p>
-
-<p>Wie nahe die Grenzen problematischen Wesens und tatkräftiger<span class="pagenum"><a name="Seite_352" id="Seite_352">[S. 352]</a></span>
-Veranlagung beieinander liegen können, wie schmal manchmal die
-Wasserscheide ist, von der der Lauf eines Lebens zu diesem oder jenem
-Charakter führen kann, zeigt gerade die Geschichte Emil Rathenaus. Nach
-einer frisch, doch keineswegs ungewöhnlich geführten Jugend drohte
-sein Dasein &mdash; eine beklemmend lange Zeit &mdash; in Unentschlossenheit
-zu zerfließen, und doch hat sich derselbe Mann später zu einem
-Tatmenschen stärkster Prägung entwickelt. Es ist eben nicht nur
-Charakter<em class="gesperrt">material</em> zur Bildung eines Charakters erforderlich,
-sondern auch das taugliche Objekt, an dem sich dieses Material bewähren
-kann. Sicherlich gibt es nicht nur Begabungen, sondern auch Charaktere,
-die ihre beste Energie im Suchen um einen geeigneten Platz aufbrauchen,
-ihn vielleicht nie finden oder, wenn sie ihn endlich gefunden haben,
-nicht mehr Vollkraft genug besitzen, um auf ihm Großes zu wirken. Das
-tägliche Leben kennt viele solcher halben Helden, die Geschichte weiß
-nicht ebensoviel von ihnen zu erzählen, denn ihr Schicksal erfüllt
-sich meistens nicht im Licht, sondern im Dunkel. Hätte Emil Rathenau
-ganz mit denselben Geistes- und Charaktereigenschaften erst zehn Jahre
-später seinen wahren Beruf, sein wahres Objekt gefunden, und dann nicht
-mehr die Frische gehabt, um sich ganz darin auszuleben und auszuwirken,
-oder wäre er über die Krise der Berliner Elektrizitätswerke
-gestrauchelt und hätte nicht die Kraft besessen, um zum dritten
-Male anzufangen, die Geschichte hätte kaum etwas von ihm gewußt und
-in dem Gedächtnis seiner Bekannten hätte er höchstens als begabter
-„Lebensverfehler“ fortgelebt.</p>
-
-<p>Emil Rathenaus Charakter rückte wohl deswegen eine Zeitlang scheinbar
-so dicht in die Nähe der problematischen, weil er ganz ungewöhnlich
-voll von Gegensätzen und Widersprüchen war, die sich mit dem
-zunehmenden Alter nicht etwa verringerten oder abschliffen, sondern
-im Gegenteil bis zur Wunderlichkeit und Skurrilität verschärften.
-Hierin lag vielleicht letzten Endes der Grund für die Langsamkeit,
-mit der er sich in die entscheidende Bahn fand, mit der er den Boden
-erreichte, auf dem er endlich Wurzel fassen und den festen Punkt
-für die Ausgleichung seiner starken Charakterschwankungen finden
-konnte. Aber hierin lag auch der Grund für die Kraft, den Reichtum,
-die Mannigfaltigkeit und die Elastizität seiner Natur, die sich
-niemals länger in einer Richtung festhalten ließ, als dies ihrer
-Entwickelung förderlich war und die bei aller sachlichen Kon<span class="pagenum"><a name="Seite_353" id="Seite_353">[S. 353]</a></span>sequenz
-&mdash; wenn es von höherem Gesichts- oder Gefühlspunkte zweckmäßig war &mdash;
-auch einmal inkonsequent sein konnte. Dem außenstehenden Beobachter
-mochte vielleicht manchmal als Sprunghaftigkeit, als Impressionismus
-erscheinen, was doch nur ein freies und souveränes Spiel mit den
-äußeren Formen der Logik war, ein Spiel, das manchmal vielleicht
-den Gesetzen der Umwelt, niemals aber den Gesetzen der eigenen
-Natur zuwiderlief. Den Mitlebenden oft unverständlich, sich selbst
-vielfach nicht bewußt, sprang Rathenaus schneller Instinkt manchmal
-über Zwischenglieder der logischen Entwickelung hinweg, an denen
-andere nicht vorüberkamen oder vor denen sie wenigstens stutzten.
-Seine Entschlüsse und Maßnahmen, die aus einem derartigen geistigen
-Telegrammstil entsprangen, erschienen anderen darum oft verkehrt und
-nicht folgerichtig, zumal Rathenau sie häufig nicht bewußt begründen
-konnte. Die rückschauende Beurteilung mußte sie fast stets als treffend
-und zweckmäßig anerkennen, was Rathenau verschiedentlich den Ruf
-prophetischer Gabe eingetragen hat. In der schönen Grabrede, die er
-seinem Vater hielt, hat Walther Rathenau diese Gabe folgendermaßen
-geschildert: „Wer ihm nahe gestanden hat, der weiß es, wie erschütternd
-es war, wenn er in seiner einfachen Sprache von Dingen erzählte,
-die ihm selbstverständlich erschienen; aber diese Dinge waren nicht
-selbstverständlich, denn es waren keine Erinnerungen und es war
-keine Gegenwart. Was er schilderte und was er erzählte, das war die
-Zukunft, und in dieser Zukunft sah er so klar, wie wir sehen in unserer
-Zeit und in dem, was wir von der Vergangenheit wissen. So kamen die
-Menschen von weit her und fragten ihn: was wird aus dieser Technik,
-was wird aus jenem Verkehr, was wird aus dieser Wirtschaftsform und
-was wird aus jener Entwickelung? Und dann gab er ihnen stille Antwort
-und wunderte sich nur über das Eine, daß der andere nicht als ein
-Selbstverständliches schmählte, was er ihm aussprach.“</p>
-
-<p>Gegensätze und Widersprüche des Charakters können die Tatkraft einer
-Intelligenz lähmen und zerreiben, wie wir das nur zu oft auch bei
-klugen und scharfsinnigen Menschen zu beobachten vermögen. Aber sie
-können einem Wirken auch jene Fruchtbarkeit geben, die der einfach
-organisierten Natur nicht erreichbar ist, weil sie nicht die ganze
-Tiefe, Fülle und Vielgestaltigkeit der Probleme ausschöpfen kann, die
-der komplizierte Charakter &mdash; stets auf den<span class="pagenum"><a name="Seite_354" id="Seite_354">[S. 354]</a></span> Kampf und den Ausgleich
-zwischen seinen verschiedenen Gegensätzen angewiesen &mdash; aufwerfen
-und in glücklichen Fällen lösen wird. Jeder Mensch und besonders der
-sanguinische hat Zeiten des Optimismus und Pessimismus, schwankt
-zwischen verschiedenen Stimmungen auf und nieder. Hochgefühl, frische
-Spannkraft auf der einen Seite, Depression, Unzufriedenheit und
-Überdruß auf der anderen Seite wechseln miteinander ab. Wie sehr hier
-eine der Triebkräfte jeder Leistung, jedes Fortschritts und jeder
-Entwickelung liegt, zeigt die Übertragung dieser Schwankungen auf
-die Geschichte allgemeiner Gestaltungen, die sozusagen von diesem
-Auf und Nieder leben, aus dem Wechsel von Hausse und Baisse, von
-Ebbe und Flut ihre immer neue motorische Lebenskraft ziehen. Fehlten
-die Pendelschwingungen dieses geistigen „Perpetuum mobile“, so
-würde die Uhr bald stille stehen, jede Fortentwickelung im Marasmus
-ersticken. Bei Emil Rathenau war die Wellenlinie zwischen Optimismus
-und Pessimismus außerordentlich stark ausgeprägt. Beide Pole standen
-einander ganz schroff entgegen. Daher lebte der Organismus so stark,
-wirkte der Ausgleich so fruchtbar, war der entladende Funke von so
-zündender Durchschlagsgewalt. So kraß Wärme und Kälte in dem Wesen Emil
-Rathenaus aber auch in Erscheinung treten konnten, so wenig ließ der
-reale Tatsachensinn, der in der Mitte zwischen den beiden Polen stand,
-zu, daß sie mit ihrem <em class="gesperrt">Übermaß</em> Einfluß auf die praktische Arbeit
-gewinnen konnten. Sie hatten im richtigen Moment anzufeuern und im
-richtigen Momente abzukühlen, hatten sich gegenseitig zu beobachten und
-zu kontrollieren. War die rechte Mischung erreicht, so war damit die
-Bahn und das Tempo der Arbeit festgelegt. Beide wurden dann unbeirrt
-und unbeirrbar festgehalten bis zum Ende. Optimistische Voreiligkeit
-und pessimistische Hemmung durften ihre Konstanz nicht mehr stören.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Optimist</em> war Rathenau stets im Entwerfen, und noch vielmehr
-in der Absteckung des Feldes, auf dem entworfen oder verwirklicht
-werden sollte. Die Ziele, die er seiner elektrischen Technik stellte,
-wurden mit fast unbegrenzter Phantasie so weit als nur irgend denkbar
-gestellt. Sein Ideal war, die Welt mit Elektrizität zu durchdringen.
-Oft im Gespräch mit Fachgenossen, noch mehr mit Laien und Frauen
-erging er sich in kühnen Zukunftskombinationen, die sich bis zu Jules
-Verneschen Sphären versteigen konnten. Wenn<span class="pagenum"><a name="Seite_355" id="Seite_355">[S. 355]</a></span> er in den bescheidenen
-Anfängen der Lichtelektrizität von den Möglichkeiten sprach, zu
-denen die neue Beleuchtungsart einmal führen könnte, mochte das den
-Zeitgenossen phantastisch klingen. Für uns, die wir die Verwirklichung
-seiner Pläne miterlebt haben, wirken diese Äußerungen als fast exakt
-wissenschaftliche Voraussagung einer Entwickelung, die kommen mußte,
-wie sie gekommen ist, und die doch nur dieser eine damals gerade so
-vorhergesehen hat. Dasselbe war bei der elektrischen Kraftübertragung
-der Fall, wenngleich hier noch einige andere an die große Zukunftskraft
-der Erfindung vielleicht nicht weniger stark geglaubt haben als
-Rathenau. Ihren optimistischen, phantasievollen Charakter auch jetzt
-noch bis zu einem gewissen Grade behalten haben die Rathenauschen
-Prophezeiungen über das elektrische Fernbahnsystem, dessen Durchführung
-nur langsam fortschreitet, trotz alledem jedoch im Bereiche der
-Wahrscheinlichkeit liegt. Aber, wenn Rathenau ins Schwärmen kam, konnte
-er auch Ideen entwickeln, zu deren Verwirklichung heute noch nicht
-die geringsten Ansätze vorliegen, die zu verwirklichen die Menschheit
-vielleicht auch nie unternehmen wird, weil der erreichbare Erfolg
-in keinem Verhältnis zu dem technischen Aufwand steht. Warum sollte
-man, so meinte er, nicht dahin kommen, daß alle Wohnungen von großen
-Elektrizitätszentralen aus geheizt werden, daß jede Wohnung mit einer
-Anlage versehen ist, die sie von einer Zentrale her elektrisch mit
-Kälte für die Eisherstellung versorgt? Fast stets waren derartige
-Kombinationen &mdash; auch wenn sie Dinge nebensächlicher Art betrafen &mdash;
-technisch richtig gesehen. Das verstand sich für einen so gewiegten
-Fachmann von selbst. Rathenau war sich aber recht wohl bewußt, daß er
-in solchen lässigen Gesprächen mehr beispielmäßig als ernst sprach und
-er würde es sich verbeten haben, wenn ihn jemand beim Wort genommen
-und seine praktische Mitwirkung bei der Ausführung derartiger Projekte
-verlangt haben würde. Solche Phantasien im großen und im kleinen waren
-aber doch kennzeichnend für den gewaltigen Glauben, mit dem Rathenau
-seiner Wissenschaft anhing, für die stets beschwingte Vorstellungswelt,
-in der dieser Praktiker lebte und aus der er sich Kraft und
-Lebendigkeit für seine Arbeit immer wieder aufs neue holte, wenn ihn
-die Kleinlichkeiten und Schwierigkeiten mancher Einzeltätigkeit zu
-ermüden und niederzudrücken drohten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_356" id="Seite_356">[S. 356]</a></span></p>
-
-<p>Optimist war Rathenau nicht nur in seiner technischen Weltanschauung,
-sondern auch im Entwerfen und Unternehmen, wenn es sich um die
-Bewältigung einer neuen bestimmten Aufgabe oder eines Aufgabenkomplexes
-handelte. Seine Initiative war frisch, sein Plan großzügig, seine
-Stimmung hoffnungsfreudig angeregt, sein Einfluß auf die Tätigkeit
-der Mitarbeiter anfeuernd. Kurzum der Rausch des Schaffens erfüllte
-und bewegte ihn, wie nur je einen Künstler, der von der Inspiration
-ergriffen ist. Sobald aber vom Entwerfen zum Ausführen geschritten
-wurde, trat eine merkwürdige Erkältung ein. Ernüchterung, Mißtrauen
-und Zweifel an der Arbeit und ihrer Lösung überkamen ihn, er quälte
-sich und die Mitarbeiter mit Bedenken, Abänderungsplänen, immer neuen
-Einwürfen und Fragen. Kein Ergebnis erschien ihm vollkommen genug,
-keine Leistung genügte ihm. Dieser Abfall der Stimmung hatte aber nun
-nicht wie bei optimistischen Plänemachern die Wirkung, daß er der
-Sache schnell überdrüssig wurde und sie mißmutig und müde beiseite
-legte, um sich neuen Projekten zuzuwenden. Im Gegenteil, nun, da der
-Schwung, das Hochgefühl des Schaffens verloren gegangen war, trat
-eine andere Eigenschaft seines Charakters in Erscheinung, die seine
-Mitarbeiter und Untergebenen bewunderten, aber auch fürchteten. Es
-war eine Zähigkeit ohne Gleichen, die allen das Leben schwer machte,
-kein Ausruhen, keine Ablenkung für ihn und für die anderen zuließ.
-Die spröde Materie mußte sozusagen bis ins Kleinste durchknetet, der
-Arbeitsprozeß immer wieder von neuem wiederholt werden, bis das Höchste
-an Inhalt und Form aus dem Stoffe herausgearbeitet war. Ein Abschweifen
-zu anderen Plänen gab es dabei selten, wenigstens nicht, wenn es sich
-um die Bewältigung einer großen Aufgabe handelte. Der Meister, der
-sonst viele Zügel auf einmal in der Hand halten konnte, konzentrierte
-sich dann ganz auf die eine Sache, Schwierigkeiten konnten ihn nie
-schrecken, sie veranlaßten ihn höchstens, die bereits geleistete Arbeit
-über den Haufen zu werfen und das Problem von einer ganz anderen Seite
-anzupacken. Auch in finanziellen Dingen trat dieser Gegensatz zwischen
-optimistischem Schwung und kritischer, ja übertriebener Vorsicht
-oft auffallend in Erscheinung. Vor finanziellen Wagnissen, neuen
-großen Unternehmungen und Gründungen schreckte er nie zurück, aber er
-begann nie eine Sache zu verwirklichen, bis er sie nicht gründlich
-nach allen Seiten hin fundiert hatte. Damit, daß er jemandem, der
-ihm ein Projekt<span class="pagenum"><a name="Seite_357" id="Seite_357">[S. 357]</a></span> vortrug, in freudigen Worten seine erste Zustimmung
-ausgedrückt hatte, war er &mdash; wie manche Erfinder und Unternehmer zu
-ihrer Verblüffung inne wurden &mdash; noch keineswegs für die Durchführung
-gewonnen. Solche Leute schickte er gewöhnlich zu dem Fachdirektor,
-der das betreffende Gebiet bearbeitete, mit dem Auftrag, alles
-einzelne zu besprechen und zu verabreden. Hier wurden nun häufig die
-überschwänglichen Hoffnungen, denen sich die Besucher auf Grund ihrer
-Unterredung mit Rathenau hingegeben hatten, wesentlich herabgemindert.
-War aber einmal ein Projekt als reif und aussichtsvoll anerkannt, so
-trug Rathenau kein Bedenken, seine Verwirklichung in freigebiger Weise
-mit Geldmitteln zu unterstützen. Vor großen geldlichen Transaktionen
-ist er nie zurückgescheut, das Kapital der A. E. G. war ihm stets zu
-niedrig, und als es auf 60 Millionen Mark angelangt war, erklärte er
-Aktionären, denen das Tempo der Expansion zu schnell gegangen war,
-daß er sich freuen würde, wenn er es auf 100 Millionen bringen könne.
-Dabei war ihm doch häufig sozusagen vor seiner eigenen „Courage“
-bange. Die Sorge vor Rückschlägen, vor unerwarteten Entwickelungen
-raubte ihm den Schlaf mancher Nacht, und wenn er sein Unternehmen nie
-genug mit Reserven auspolstern konnte, so tat er dies weniger, weil
-er sich von dem großen Spartopf nicht trennen konnte, sondern weil
-er, Zeit seines Lebens beherrscht von den schlimmen Erfahrungen, die
-er mit seiner Maschinenfabrik in der Gründerzeit gemacht hatte, ein
-überstarkes Gegengewicht gegen die großen Risiken und Gefahren, denen
-er durch seine extensive Geschäftspolitik die Gesellschaft aussetzen
-<em class="gesperrt">mußte</em>, für unbedingt nötig hielt. Als ich ihn einmal ein paar
-Jahre vor seinem Tode besuchte, sagte er mir wörtlich: „Sie glauben gar
-nicht, welch ein Stein mir vom Herzen gefallen ist, als ich die offenen
-Reserven in diesem Jahre auf 50% des verantwortlichen Aktienkapitals
-bringen konnte.“</p>
-
-<p>Höchst widerspruchsvoll war auch das Verhältnis Rathenaus <em class="gesperrt">zum
-Gelde</em>. Bei den Geschäften seiner Unternehmungen schaltete er
-damit in einer Weise, die an Großzügigkeit nichts zu wünschen übrig
-ließ. Aussichtsreiche, gut begründete Geschäfte stattete er in
-durchaus splendider Weise aus, knauserte nicht mit Einrichtungskosten,
-Spesen, Versuchs- und Propagandaopfern. In technische Ideen, die
-ihm zukunftsreich erschienen, konnte er Millionen hineinstecken,
-ehe er noch Aussicht hatte, einen Pfennig wieder herauszu<span class="pagenum"><a name="Seite_358" id="Seite_358">[S. 358]</a></span>holen. So
-legte er zum Beispiel die Netze neuer elektrischer Bahnen manchmal
-in einem Umfange an, der die bisherigen Verkehrszahlen weit übertraf
-und alle Vorkalkulationen außer acht ließ. Dabei ging er von der
-optimistischen Ansicht aus, daß die modernere Verkehrsform die
-Frequenz auf eine ganz andere als die bisherige Stufe stellen würde.
-Nicht nur dem Inhalt seiner Unternehmungen gab er, was notwendig
-war, sondern er hatte auch Sinn für die Form, die Ausstattung,
-das Dekorum. Zwischen dieser Großzügigkeit bei Ausgaben, die er
-sozusagen nur auf dem Papier übersah und nur auf ihrem Wege durch
-Projekte, Rechnungsauszüge und Bilanzen verfolgen konnte, und dem
-Ausgabeetat, der zu seiner unmittelbaren persönlichen Sphäre gehörte,
-gewissermaßen unter seinen Augen verbraucht wurde, bestand aber ein
-großer Unterschied. Hier war er kleinlich bis zum Geiz, weniger aus
-System &mdash; denn ein System hätte zweifellos die geistig sichtbaren mit
-den körperlich sichtbaren Ausgaben auf eine Stufe gestellt und die
-nur scheinbare Verschiedenheit zwischen ihnen überwunden &mdash; sondern
-aus Gewohnheit und Beharrungsträgheit. Wir können ja vielfach bei
-selfmademen, die aus kleinen Anfängen sich zu großen Verhältnissen
-hinaufgearbeitet haben, die Beobachtung machen, daß sie mit den Maßen
-ihrer Geschäfte in allen Hauptdingen gewachsen sind, aber in gewissen
-<em class="gesperrt">Äußerlichkeiten</em> und <em class="gesperrt">Nebensachen</em> sich von den alten
-Befangenheiten und Beschränktheiten nicht zu befreien vermögen. Daß
-eine den neuzeitlichen Anforderungen entsprechende Fabrik, ein modernes
-Geschäftshaus gebaut werden muß, sieht ein solcher selfmademan stets
-ein, zur Anschaffung einer neuen Kopiermaschine kann er sich dagegen
-viel schwerer entschließen. In seiner Jugend ist man, so meint er, mit
-dem alten Kontormaterial sehr gut ausgekommen. Warum muß man jetzt
-neue und kostspieligere Moden einführen? Für jüngere Kaufleute, die
-derartige Reminiszenzen aus ihrer bescheidenen Werdezeit nicht mit
-sich herumschleppen und gleich in größere Verhältnisse hineingeboren
-sind, ist ein derartiges Verhalten unverständlich, es erscheint ihnen
-kleinlich, unlogisch, ja lächerlich. Von Emil Rathenau werden viele
-Züge solcher Kleinlichkeit erzählt, und mit den Anekdoten, die über
-seine Sparsamkeit in kleingeschäftlichen und privaten Dingen über
-ihn im Umlauf sind, könnte man ein Kapitel füllen, das an Umfang
-das längste dieses Buches übertreffen würde. Das würde zwar ganz
-unterhaltend sein,<span class="pagenum"><a name="Seite_359" id="Seite_359">[S. 359]</a></span> aber doch die kleinen Schönheitsflecke, die auch
-im Bilde dieses Großen nicht fehlen, über Gebühr betonen. Einiges, was
-für dieses Bild charakteristisch ist, möge immerhin erzählt werden. So
-konnte Rathenau es nicht über sich gewinnen, aus der Hausverwaltung des
-unmittelbaren Geschäftsgebäudes der A. E. G. sich ganz auszuschalten.
-Dabei begnügte er sich nicht mit gelegentlichen Stichproben. Er ließ
-sich über alle Anschaffungen, die gemacht werden mußten, Bericht
-erstatten. Jeder neue Linoleumläufer mußte von ihm genehmigt sein,
-und er konnte recht ungemütlich werden, wenn er Botenjungen im Hause
-unbeschäftigt herumlungern sah. Wenn bei den Generalversammlungen der
-Gesellschaft drei Garderobiers den Aktionären die Mäntel und Hüte
-abnahmen, konnte er den Hausverwalter heftig zur Rede stellen, und ihm
-vorrechnen, daß für diesen Zweck auch zwei Beamte völlig ausreichend
-seien. Auch in Personalangelegenheiten behielt er sich die letzte
-Entscheidung vor bis zur Anstellung von Maschinenschreiberinnen hinab.
-Alle nicht ganz geringfügigen Zulagen bedurften seiner Genehmigung.
-Es war aber vielleicht nicht nur die alte Gewohnheit, von der er sich
-nicht zu trennen vermochte, sondern einem derartigen Abschweifen und
-Haftenbleiben an geschäftlichem Kleinkram, bei dem möglicherweise
-wirklich erzielbare Ersparnisse den Zeitaufwand auch nicht im
-entferntesten lohnten, den die Oberleitung und kostbarste Kraft des
-Unternehmens an sie wendete, lagen wohl noch andere Ursachen zu Grunde.
-Die eine von ihnen bestand vielleicht darin, daß Emil Rathenau, wie
-viele praktische Kaufleute, die „von der Pike auf gedient haben,“ mit
-der persönlichen „Kontrolle bis ins Kleinste“, wenn er sie auch nur
-in einem ganz schmalen Ausschnitt des gewaltigen Gesamtbetriebes zur
-Geltung bringen konnte, bei seinem Personal den Eindruck erwecken
-wollte, als ob sein Auge und sein Interesse allgegenwärtig seien.
-Möglicherweise wollte er dadurch einen erzieherischen Eindruck auf
-Kontrollierte und Kontrolleure ausüben. Wahrscheinlicher ist es aber,
-daß dieser bewußte Beweggrund, wenn er wirklich mitspielte, nur eine
-Art Vorwand darstellte für ein unbewußtes Bedürfnis, das überlastete
-Menschen, die aber doch nicht stillsitzen und sich einer völligen
-Muße hingeben können, häufig dazu zwingt, sich ein Ventil gegen
-Überspannung zu schaffen. Die ständige ununterbrochene Beschäftigung
-mit großen und schwierigen geschäftlichen Problemen würde solche Männer
-frühzeitig aufreiben und aufbrauchen, und es<span class="pagenum"><a name="Seite_360" id="Seite_360">[S. 360]</a></span> ist ja auch schon häufig
-beobachtet worden, daß derart überanstrengte Persönlichkeiten, die
-stets mit voller Kraft arbeiteten, plötzlich geistig oder körperlich
-zusammenbrachen. Bei anderen wieder sucht sich die Natur selbsttätig
-einen gewissen Ausgleich. Dieser kann in der Beschäftigung mit Sport,
-Kunst, Spiel oder auch in der Geselligkeit bestehen. Er kann aber
-auch sehr wohl darin liegen, daß sie sich für gewisse Zeiten mit
-kleingeschäftlichen Dingen beschäftigen, zu deren Behandlung sie keine
-eigentliche Geistesarbeit aufzuwenden brauchen und die sie gerade aus
-diesem geistigen Ausruhebedürfnis heraus häufig ganz schablonenhaft
-(wie sie es in ihrer Jugend gelernt haben), erledigen. Emil Rathenau
-hatte außerhalb seines Geschäftes keine Interessen. Er besuchte zwar
-regelmäßig &mdash; aber meist nur zu leichteren Stücken &mdash; das Theater,
-im übrigen war er gänzlich kunstfremd. Musik, Malerei sagten ihm
-nichts. Er konnte nicht einmal der Kunstsammlerei, die manche reichen
-Leute auch ohne innere Beziehung zur Kunst betreiben, einen Geschmack
-abgewinnen. Von Politik und von Fragen des Gemeinlebens hielt er
-sich fast gänzlich fern. Spiel und gesellige Anregung reizten ihn
-nicht. Auch die Fähigkeit auszuruhen, ohne irgend etwas äußerlich
-Greifbares zu tun, besaß seine unruhige Natur nicht. So ruhte er in
-der Beschäftigung mit geschäftlichem Kleinkram aus, wobei er sich
-natürlich bemühte, die sachlich wenig ergiebige, für sein persönliches
-Gleichgewicht aber nützliche und heilsame Tätigkeit durch logische
-Erwägungen vor sich selbst und anderen zu rechtfertigen. Auf einem
-ganz ähnlichen Blatte stand es zum Beispiel auch, wenn er manchmal mit
-der Stadtbahn nach Niederschöneweide ins Kabelwerk hinausfuhr, statt
-&mdash; wie die übrigen Direktoren und höheren Beamten &mdash; Automobile dazu
-zu benutzen. Er redete sich dann ein, daß die Fahrt mit der Stadtbahn
-ökonomischer sei als die Automobilfahrt, bei der Benzin, Gummi usw.
-verbraucht würden. Der folgerichtige Denkprozeß hätte ihn natürlich
-dahin geführt, daß der Zeitverlust, den er bei der Stadtbahnfahrt
-erleiden mußte, ökonomisch für ihn in keinem Verhältnis zu den
-verhältnismäßig geringen Unkosten stand, die bei einer Automobilfahrt
-entstanden. Aber trotzdem war in diesem Falle die unbewußte Halblogik
-besser als die schärfste Konsequenz im abstrakten, unpersönlichen
-Denkprozesse. Hätte Rathenau in der Struktur seiner Seele und seines
-Körpers ganz klar lesen können, wie in den Blättern eines Buches, so
-würde er den Vorwand der Materialersparnis erst<span class="pagenum"><a name="Seite_361" id="Seite_361">[S. 361]</a></span> gar nicht gebraucht
-haben. Er hätte die Frage überhaupt nicht mit rechnenden, sondern mit
-psychologischen oder wenn man will, mit ärztlichen Augen angesehen und
-wäre zu dem Schluß gekommen, daß die Zeit, die er an unwichtige Dinge
-preisgab, für ihn doch im ganzen betrachtet keine zur Arbeit nutzbare
-gewesen wäre.</p>
-
-<p>Noch bescheidener und sparsamer als in kleingeschäftlichen Dingen
-war Rathenau in seinem <em class="gesperrt">Privatleben</em>. Bedürfnisse hatte er
-nicht, Wohlleben verstand er nicht zu würdigen. Wenn er auch ganz
-und gar nicht frei von Ehrgeiz und dem Bedürfnis nach Anerkennung
-war, im öffentlichen und gesellschaftlichen Leben wollte er keine
-repräsentative Rolle spielen. Er hätte sie auch schlecht gespielt,
-da ihm das leichte Plaudertalent fehlte, und er nur im geistig
-anregenden, ernsthaften Gespräch seine nicht gewöhnliche Fähigkeit
-des Sprechens erweisen konnte. Überdies schätzte Rathenau das Geld,
-seine wirtschaftliche Kraft und Macht zu hoch ein, um es für Dinge
-hinzugeben, die er nicht würdigte, kaum verstand. Seine Sparsamkeit war
-nicht das Hängen am persönlichen Besitz, der ihm niemals eine besondere
-Freude oder auch bloß Interesse bereitete, da er nur arbeitete, um zu
-schaffen, nicht um zu erwerben. Seine Sparsamkeit entsprang vielmehr
-ganz einem sachlichen Wertgefühl gegenüber dem Gelde, das man nicht
-vergeudete oder verschenkte, sondern verwertete, und zwar so, daß
-keine Leistung überzahlt wurde. In großen Dingen des geschäftlichen
-Lebens konnte Rathenau den Wert oder den Kurs einer Leistung nun sehr
-wohl abschätzen, nicht aber in den kleinen Privatangelegenheiten des
-täglichen Lebens. Hier war er, der vom Weltmann nichts, aber auch
-gar nichts an sich hatte, gänzlich unerfahren und die Maße, die er
-an solche Ausgaben anlegte, entstammten noch den kleinbürgerlichen
-Verhältnissen und Zeiten, in denen er aufgewachsen war. Wenn seine
-Mitdirektoren oder Geschäftsfreunde zum Beispiel mit ihm im Schlafwagen
-reisten oder im Hotel wohnten, so gaben sie häufig dem Dienstpersonal
-nach Rathenau noch einmal Trinkgeld, um dieses einigermaßen auf die in
-ihren Kreisen übliche Höhe zu bringen. Rathenau selbst bekam, wenn er
-allein reiste, oft mürrische Gesichter zu sehen, denn er betrachtete
-den Hotelportier, „der ihm ja nichts geleistet hatte,“ mit 50 Pfennigen
-als genügend entlohnt. Es konnte auch vorkommen, daß Rathenau zu
-einer Geschäftsreise nach Zürich, die er mit einem Vorstands- oder
-Aufsichtsratsmitgliede<span class="pagenum"><a name="Seite_362" id="Seite_362">[S. 362]</a></span> gemeinsam unternahm, in Lackstiefeln erschien
-und auf die Frage, ob er gerade von einer Gesellschaft komme,
-erwiderte: „Das nicht, aber man muß doch solche Stiefeln einmal
-auftragen.“ „In großen Dingen ein Grandseigneur, in kleinen Dingen ein
-Krämer,“ so hat ihn einmal einer seiner Freunde charakterisiert und
-ein anderer, Karl Fürstenberg, hat den hübschen Ausspruch geprägt, daß
-bei Rathenau das Geld bei 3 Mark aufhöre und erst bei 3 Millionen Mark
-wieder anfange. Die Gegensätze in seiner Stellung zum Gelde waren so
-groß, daß sie Emil Rathenau selbst nicht verborgen bleiben konnten.
-Er zwang sich, weil er seine schwache Seite kannte, manchmal direkt,
-seinem Naturell zuwider zu handeln, besonders in solchen Fällen, in
-denen er sich vor anderen genierte, als geizig zu erscheinen. Wenn
-er zum Beispiel mit Bekannten zusammen ein Restaurant besuchte, so
-bezahlte er manchmal die ganze Zeche heimlich, lange vor dem geeigneten
-Zeitpunkt, damit alle späteren Erörterungen über den Zahlungsmodus
-von vornherein abgeschnitten wurden. Ebenso kam es vor, daß er bei
-gemeinsamen Droschken- und Autofahrten den Kutscher vor der Fahrt
-schon entlohnte. Gerade die Umständlichkeit, mit der er freihielt,
-bildet aber die beste Bestätigung dafür, daß ihm das Freihalten und
-Geldausgeben nicht leicht und selbstverständlich von der Hand ging.</p>
-
-<p>Diese kleinbürgerliche Einfachheit, ja Knickerigkeit des Privatlebens
-bei sonst groß gewordenen Lebens- und Schaffensformen ist eine
-Eigenschaft, die vielleicht als Erbteil der <em class="gesperrt">jüdischen</em> Rasse
-bezeichnet werden kann. Sie ist ebenso jüdisch wie das entgegengesetzte
-Extrem der üppigen Lebensführung, die sich gerade bei manchen jüdischen
-Emporkömmlingen herauszubilden pflegt. Auch sonst ist der jüdische
-Einfluß in Rathenaus Charakter deutlich zu spüren. Der rechnerische
-Sinn im Schwärmen, der Realismus in der Phantasie, die Kühle im
-Enthusiasmus, die Selbstkritik im Optimismus und schließlich die
-Schärfe und Helle des Intellekts, die trotzdem nicht zur Gedankenblässe
-wird, sondern der Fülle und Farbe fähig ist, alles das sind Zeichen
-des einmal bodenständig gewesenen, aber dann entwurzelten und nun
-wieder nach Verankerung strebenden, darum in seinen Empfindungen häufig
-umschlagenden jüdischen Geistes. Eine Wesens- und Blutsverwandtschaft
-zwischen Rathenau und seinem um 8 Jahre jüngeren Vetter, dem Maler Max
-Liebermann, mit dem er sich allezeit gut verstand und dessen Berufswahl
-er einst gegenüber<span class="pagenum"><a name="Seite_363" id="Seite_363">[S. 363]</a></span> der ganzen Familie verteidigt hatte, ist hier
-schwer zu verkennen.</p>
-
-<p>Außer dem Unterschied zwischen dem problematischen und dem positiven
-Charakter, von dem wir am Eingang dieses Kapitels ausgingen, ist
-auch für die Beurteilung großer Männer noch ein anderer zu beachten,
-nämlich jener, den Schiller durch den Gegensatz von <em class="gesperrt">naiv</em> und
-<em class="gesperrt">sentimentalisch</em> gekennzeichnet hat. Ein Tatmensch kann sowohl
-naiv wie auch sentimentalisch sein oder besser gesagt, sowohl der naive
-wie der sentimentalische Mensch kann es zu starken Taten bringen.
-Der ganze Unterschied liegt vielleicht, wenn man den seelischen
-Vorgängen auf den Grund geht, nur im Graduellen. Beim naiven Menschen
-ist die Ausbeute aus den intuitiven Einfällen größer als beim
-sentimentalischen. Er denkt, schafft, ringt leichter, weil ihm mehr
-zufliegt, d. h. weil sein schwingendes, schaffendes Unterbewußtsein
-an den Problemen mitarbeitet, die es selbst seinem Bewußtsein als die
-seinem Wesen adäquatesten sozusagen untergeschoben hat. Einfall und
-bewußte Gedankenarbeit kommen sich bei ihm auf halbem Wege entgegen,
-während sich beim sentimentalischen Menschen die Gedankenbildung fast
-(aber nur <em class="gesperrt">fast</em>) vom Urgrund an in der quälend offenliegenden
-Sphäre des Bewußtseins, d. h. im Bereiche der Kämpfe, Zweifel und
-Widerstände abspielt und er auch Anlage und Form der Schöpfung, die
-sich dem naiven Schöpfer meist unwillkürlich runden, erst mühsam
-konstruieren muß. Aber man soll nur ja diesen graduellen Unterschied
-nicht zu einem grundsätzlichen machen. Auch sentimentalische Schöpfer
-gehen von Einfällen aus, wenn diese auch unfertiger, geringer
-entwickelt, weniger original sind und mehr von Außendingen angeregt
-zu werden pflegen. Auch sie haben Visionen, indes auf der anderen
-Seite genialen Männern, die wir als Hauptvertreter des naiven Typus
-zu bezeichnen pflegen, wie Luther, Goethe, Friedrich, Napoleon und
-Bismarck problematische Kämpfe der schwersten Art gewiß nicht erspart
-geblieben sind.</p>
-
-<p>Emil Rathenau ist, wenn man ihn von dieser Seite aus betrachtet,
-nicht ganz leicht in eine der beiden Charakterklassen einzuordnen,
-aber im ganzen ist er doch mehr den naiven als den sentimentalischen
-Menschen- und Schöpfernaturen zuzurechnen. Dies zeigt sich einmal
-in dem schon oben angeführten Merkmal, daß bei ihm die Zahl und
-Qualität der „Einfälle“, der intuitiven Gedanken, verhältnis<span class="pagenum"><a name="Seite_364" id="Seite_364">[S. 364]</a></span>mäßig
-groß war. Ferner aber in der echt naiven Art, wie er sich, so sehr
-und vielseitig er auch die Möglichkeiten seiner Begabung auf den ihr
-zugänglichen Gebieten auszubilden bestrebt war, gegen alles abschloß
-und verschloß, was ihm nicht „lag“, was ihn von den Grundlagen seines
-Wesens und seiner Kraft ablenken, zersplittern und unnötigerweise
-mit wahrscheinlich doch zweckloser Arbeit belasten konnte. Der
-sentimentalische Mensch weiß oder fühlt nicht so sicher, was ihm
-nützen oder schaden, fördern oder hemmen wird. Weil er sich aus
-unsicheren Grundlagen heraus seinen wesenhaften und charakteristischen
-Besitz erringen muß, kommt er manchmal auch in die Versuchung, sich
-etwas nutzbar machen zu wollen, was ihm nichts nützen, ihn nicht
-bereichern kann. Er hat, um die gleiche Leistung zu vollbringen wie
-der naive Schöpfer, meist einen größeren Material- und darum auch
-Energieverbrauch aufzuwenden als jener. Seinem Ertrag an Weizen steht
-eine größere Menge Spreu gegenüber. Darüber darf auch die Tatsache
-nicht forttäuschen, daß er, als der selbstkritischere Intellekt,
-gegenüber dem, was er als fertig betrachtet und an die Öffentlichkeit
-gelangen läßt, meist schonungsloser urteilt und es sorgfältiger
-sichtet, als der naive Genius.</p>
-
-<p>Emil Rathenau, der ein großer Fachmann war und den die kleinen
-Künstler vielleicht mitleidig lächelnd als einen Fachmenschen abtun
-werden, stand zum Beispiel jeder Kunst &mdash; mit Ausnahme vielleicht der
-ihm naheliegenden Architektur &mdash; mit gänzlich naivem Unverständnis
-gegenüber. Er hat sie und manches andere, dem näherzukommen er keinen
-Sinn und keine Zeit hatte, aber durchaus nicht etwa geringgeschätzt.
-Im Gegenteil, er hatte eine Art kindlich staunender, echt naiver
-Bewunderung dafür, die er allerdings auch in derselben Weise den
-halsbrecherischen Kunststücken irgendeines Akrobaten entgegenbringen
-konnte. Vielleicht hat er manches, was ihm nicht zugänglich war, sogar
-mit größerer Ehrfurcht betrachtet als die eigenen Leistungen und das
-Gebiet, auf dem sie sich abspielten, und die schriftstellerischen
-Arbeiten seines Sohnes Walther, die er wohl kaum ganz verstand,
-haben ihn gerade darum etwas von jener Art bewundernden Stolzes auf
-den gelehrten und in allen schöngeistigen Sätteln gerechten Sohn
-abgenötigt, wie sie der reiche Kaufmann vor dem „studierten“ Erben
-häufig genug empfindet. Trotz seiner Kunstfremdheit war Emil Rathenau,
-der sich so ängstlich in sein Fachgebiet einschloß, aber im Grunde
-seines Wesens<span class="pagenum"><a name="Seite_365" id="Seite_365">[S. 365]</a></span> und seines Schaffens eine durch und durch künstlerische
-Natur. Den Fachmenschen charakterisiert Trockenheit, Pedanterie und
-Erdenschwere. Rathenau besaß Schwung, visionäre Kraft und Leidenschaft.
-Seine Geistesklarheit, seine Logik waren nicht von nüchterner
-Abstraktion durchsetzt, sondern sozusagen bluterfüllt und darum auch
-Widersprüchen zugänglich, die ja der Natur gleichfalls nicht so fremd
-sind wie der Wissenschaft.</p>
-
-<p>Bei einer solchen Grundveranlagung war an Emil Rathenau und den
-Eigenschaften seines Wesens nichts alltäglich, schablonenhaft, vielmehr
-alles eigenartig, persönlich, eigenem Boden entwachsen und nach eigenen
-Maßen gebildet. Nichts war eindruckslos, matt und trübe, alles farbig,
-und zwar von starker, gleichzeitig aber subtil vermischter Farbe. Alles
-rundete und gestaltete sich bei ihm zur charakteristischen, bedeutenden
-Form. Nichts blieb ungebildetes, unbeherrschtes Material. Gerade
-dieser unwillkürliche Drang zur Form offenbart die im tiefsten Wesen
-künstlerische Natur dieses Geschäftsmannes.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 class="padtop1" id="Kap_16_b">b)</h3>
-
-</div>
-
-<p>Rudolf <em class="gesperrt">Sulzbach</em>, der dem Aufsichtsrat der A. E. G. seit
-ihrer Gründung angehörte und mit ihrem Begründer mehr als nur
-geschäftsfreundlich verkehrte, fragte einmal, als in einem Kreise
-von den <em class="gesperrt">technischen Fähigkeiten</em> Rathenaus gesprochen wurde,
-einigermaßen erstaunt: „Ist Rathenau denn Ingenieur?“ Herrschte schon
-in dem engeren Kreise, der Emil Rathenau umgab, solche Unwissenheit
-über seine technische Begabung und Leistung, so ist es nicht weiter
-verwunderlich, wenn die weitere Öffentlichkeit von dem Techniker nicht
-viel wußte und ihn so sehr ausschließlich als Kaufmann und Finanzmann
-betrachtete, daß die Legende entstehen und sich jahrelang erhalten
-konnte, die A. E. G. sei gar kein Fabrikationsunternehmen, sondern ein
-rein industrielles Finanzinstitut. Gewiß, Emil Rathenaus einzigartige
-Begabung, sein Genie und das Schöpferische seiner Leistung lagen auf
-industrie-kaufmännischem und industrie-finanziellem Gebiete, aber alles
-dies hätte sich doch nicht zu so geschlossener Wirkung, zu so sicherer
-Schlagkraft und Ausgeglichenheit entwickeln können, wenn es nicht auf
-dem Untergrunde einer zuverlässigen technischen Fähigkeit aufgebaut<span class="pagenum"><a name="Seite_366" id="Seite_366">[S. 366]</a></span>
-gewesen wäre. Ein Kaufmann, der erst über die technische Grundlage und
-Tragweite seiner wirtschaftlichen Projekte den Fachmann befragen muß,
-wird seine Pläne nie so frei, so sicher, so souverän entwerfen und
-überwachen können, als wenn er selbst der technische Fachmann ist. Er
-ist von dem Urteil anderer abhängig und kann Glück haben, wenn diese
-anderen ein richtiges Urteil besitzen und seinen Plänen kongeniales
-Verständnis entgegenbringen. Er kann aber auch Unglück haben, wenn das
-Urteil seiner Fachleute falsch ist oder sich ihr technischer Ideengang
-nicht ganz harmonisch mit seinem wirtschaftlichen verschmelzen läßt.
-Emil Rathenau war kein sogenannter produktiver Techniker, kein
-Erfinder und Entwerfer, er hat nur selten eine technische Konstruktion
-selbständig von Anfang bis zum Ende durchgeführt. Darin waren ihm
-viele Ingenieure mittleren und kleineren Formats überlegen. Selbst
-in der Maschinenfabrik Webers, wo er doch konstruieren sollte und
-wollte, hat er es nur zu Verbesserungen der Maschinen gebracht. Das
-Hauptresultat seiner Arbeit war ein ziemlich resigniertes Urteil über
-die Unzulänglichkeit der ganzen damaligen Maschinentypen. Dennoch besaß
-er auch auf dem Fachgebiet eine Begabung allerersten Ranges: Er war ein
-technischer <em class="gesperrt">Kritiker</em> von ungewöhnlichem Scharf- und Weitblick,
-ein Kritiker, der nicht nur tief in die Einzelheiten und Kleinheiten
-einer Materie eindringen, sondern der neben dem Mikrokosmos auch den
-Makrokosmos, die großen Zusammenhänge, Untergründe und Ausblicke sah.
-Vielleicht ist diese Gabe der technischen Kritik sogar für den Leiter
-eines so weit ausgesponnenen Unternehmens mit gemischter Fabrikation,
-das sozusagen alle Erzeugnisse seines Faches herstellen und sich
-nicht auf die hervorragende Durchführung irgend einer Spezialität
-beschränken darf, wichtiger als die geniale Technikerveranlagung
-positiver Art. Denn der positive Techniker, der ein großes Unternehmen
-leitet, kann immer nur eine beschränkte Anzahl von Konstruktionen
-selbst durchführen oder leiten. Es liegt bei ihm die Gefahr vor, daß
-er gerade <em class="gesperrt">seine</em> Konstruktionen für die wichtigsten hält, sie
-in der Gesamtökonomie seiner Fabrikation bevorzugt und darum den
-objektiv richtig wertenden Überblick über den ganzen technischen
-Komplex der Gesamt-Unternehmung aus subjektiven Gründen verliert. &mdash;
-Ein technischer Kritiker ist dieser Gefahr nicht so sehr ausgesetzt.
-Auch er kann natürlich, wie jeder Mensch, subjektiv sein, sich in den
-Maßstäben seiner Kritik<span class="pagenum"><a name="Seite_367" id="Seite_367">[S. 367]</a></span> irren, gewisse Vorlieben und Vorurteile haben.
-Während aber bei dem positiven Techniker der Subjektivismus mit der
-Größe des Talents sehr wohl wachsen, der Eigensinn mit der Eigenart
-sich steigern kann, wird der Kritiker, je klüger, scharfsinniger,
-treffsicherer er denkt, auch umso objektiver in seinem Urteil werden
-und man kann ruhig sagen, daß gerade der große Kritiker sich von
-Willkürlichkeiten in der Wertbemessung im allgemeinen fern halten
-wird. Er hat die Distanz zum Einzelnen und zum Gesamten, die dem
-Erfinder häufig fehlt. Denn das Grundelement seiner Begabung ist
-<em class="gesperrt">vergleichende</em> Logik, das des Erfinders <em class="gesperrt">temperamentvolle</em>
-Logik. Worin tritt nun die Wirksamkeit eines solchen technischen
-Kritikers, wie Emil Rathenau einer war, besonders in Erscheinung? &mdash;
-Wenn man es kurz und prägnant zusammenfassen will, kann man vielleicht
-sagen, daß er <em class="gesperrt">einmal</em> aus dem bisherigen Stande der Wirtschaft
-und der Technik Bedürfnisse und die Möglichkeiten ihrer Befriedigung
-für die weitere Entwickelung ablesen kann und <em class="gesperrt">zweitens</em>,
-daß er bei technischen Erfindungen die Frage ihrer praktischen
-Verwertbarkeit treffend zu beurteilen vermag. Die erstere Eigenschaft
-macht den technischen Anreger, und tatsächlich ist Rathenau für seine
-Konstrukteure ein außerordentlich fruchtbarer Anreger gewesen, er
-hat sie auf Ideen gebracht, die nicht selten unter den Händen der
-richtigen Fachleute zu glücklichen Verwirklichungen führten. Er sagte
-zum Beispiel: Wir brauchen, um eine gewisse wirtschaftlich notwendig
-erscheinende Wirkung zu erzielen, jetzt Maschinen oder Transformatoren
-von einer gewissen Stärke und Beschaffenheit. Oder wir brauchen, um die
-elektrische Kraftübertragung in den Fabriken einzuführen, Vorrichtungen
-bestimmter Art und Wirkung, durch die gewisse ökonomische Vorteile
-erreicht werden. Er gab das Ziel an, und manchmal auch den Weg oder
-mehrere Wege, auf denen man zu dem erwünschten Ziel kommen könnte und
-er hat sich in der richtigen Beurteilung des Zieles nur selten geirrt
-und ziemlich häufig auch mit den von ihm vorgeschlagenen Wegen das
-Richtige getroffen. Vielleicht noch erfolgreicher war Rathenau in der
-treffsicheren Beurteilung der in einer Erfindung liegenden praktischen
-Ausnutzungs-Möglichkeiten. Sein Blick dafür war direkt genial, und
-es gibt vielleicht keinen zweiten, der ihm in dieser Hinsicht an
-die Seite zu stellen ist. Seine praktische Vision beim Anblick der
-Edisonlampe sah sofort Jahrzehnte der Entwickelung<span class="pagenum"><a name="Seite_368" id="Seite_368">[S. 368]</a></span> voraus, die dann
-tatsächlich fast genau so eingetreten ist, wie er sie sich vorgestellt
-hatte. Die Aussichten der Aluminiumherstellung auf elektrochemischem
-Wege erkannte er gleichfalls auf der Stelle und hielt das Verfahren
-und die praktische Arbeit mit diesem durch alle Schwierigkeiten und
-Kosten hindurch aufrecht. Den Wert des Drehstromsystems, der Turbine
-hat er mit schneller Sicherheit begriffen, und auch viele kleinere
-Erfindungen verdanken ihm ihre Ausgestaltung und Nutzanwendung.
-Erfindungen dagegen, die nicht so absolut schlagkräftig waren, wie den
-Jablochkofflampen, dem ersten Wechselstromsystem usw. stand er mit
-abwartender Vorsicht gegenüber. Den Akkumulator, der viele Techniker
-und Gründer blendete, hat er niemals überschätzt, sondern bei aller
-Würdigung seines Wertes doch stets als Stromquelle minderen Ranges
-betrachtet.</p>
-
-<p>Der kritische Techniker dieser Art braucht zwar kein hervorragender
-Könner im Positiven zu sein, aber ohne grundlegende technische
-Vorbildung, ohne genaue Einsicht in die technischen Methoden,
-Erfahrungen und Gesetze kann er seine fruchtbare Arbeit nicht
-ausüben. Ein begabter Dilettant, der nur gewisse mehr oder weniger
-phantasievolle, selbst geistreiche Vorstellungen von technischen
-Dingen hätte &mdash; ein Jules Verne der Praxis &mdash; würde das sichere
-Urteil, diese Grundlage des technischen Kritikers, nicht besitzen,
-er würde vielleicht einmal einen Treffer erzielen, öfter jedoch
-irren und Fehlschläge erleiden. Ein solcher Dilettant, dessen Wissen
-Stückwerk ist, würde, an die Spitze eines großen Unternehmens
-gestellt, mit seiner Autorität im Anregen und Entscheiden großes
-Unheil über seine Gesellschaft bringen können, Geld und Arbeitskräfte
-vergeuden und das Unternehmen zum finanziellen Ruin treiben können.
-Emil Rathenau war ganz und gar kein solcher Dilettant. Er hatte die
-Maschinentechnik in seiner Jugend gründlich gelernt und studiert,
-und mit der Elektrotechnik, wenigstens dem für ihn ausschlaggebenden
-Starkstromwesen, war er sozusagen aufgewachsen. Ihre Gesetze und ihre
-Erscheinungsformen waren ihm nicht angelernter, sondern erworbener
-Besitz.</p>
-
-<p>Neben seiner Fähigkeit der technischen Kritik oder sozusagen
-verbunden mit ihr, besaß Rathenau noch eine andere Gabe, die seine
-Mitarbeit an technischen Dingen für seine Ingenieure zwar manchmal
-wenig angenehm, aber im Interesse eines gelungenen Ergeb<span class="pagenum"><a name="Seite_369" id="Seite_369">[S. 369]</a></span>nisses
-außerordentlich wertvoll machte. Er besaß eine ausgesprochene,
-direkt erfinderische Kunst, Hemmnisse, Fehler und Widerstände in der
-technischen Konstruktion zu überwinden oder doch die Konstrukteure auf
-die richtigen Wege zu ihrer Überwindung hinzuweisen. Diese Kunst, bei
-der es sich um kein bloßes Herumraten, sondern um ernstes Durchdenken
-handelte, wurzelte in zweien seiner grundlegenden Eigenschaften,
-nämlich einmal in seiner intellektuellen Fähigkeit der technischen
-Kritik und ferner in der Unerschütterlichkeit des Willens, mit der er,
-von keinem Fehlschlage entmutigt, immer wieder von neuem durchdachte,
-versuchte und aufstachelte, um schließlich dennoch &mdash; wenn nicht auf
-der Hauptstraße, so doch auf Umwegen &mdash; zum Ziele zu gelangen. Dabei
-begnügte er sich nicht mit einer unvollkommenen oder annehmbaren
-Lösung, sondern er gab nicht eher Ruhe, als bis die höchstmöglichste
-Vollendung erreicht war. Als einmal Felix Deutsch noch in der ersten
-Zeit der A. E. G. von einer Geschäftsreise aus England zurückkehrte,
-empfing ihn Rathenau zu seiner großen Bestürzung mit den Worten:
-„Lieber Deutsch, Sie haben zwar sehr schöne Aufträge gebracht. Das
-nützt aber nichts. Wir sind kaputt. Siemens hat eine neue Lampe, die
-viel besser ist als die unsrige.“ Emil Rathenau setzte sich aber trotz
-dieses Anfalls von Resignation 4 Wochen lang von morgens früh bis
-tief in die Nacht hinein in die Lampenfabrik, und arbeitete mit den
-Konstrukteuren so lange, bis er eine Lampe fertiggebracht hatte, die
-dem Konkurrenzfabrikat mehr als ebenbürtig war. Unsäglich peinigte er
-die armen Techniker, denen er die knifflige Aufgabe zugewiesen hatte,
-die Nernstlampe, aus einer geistreich ersonnenen in eine praktisch
-brauchbare Konstruktion umzuwandeln. Hier liegt vielleicht der einzige
-Fall vor, bei dem sich Rathenau in eine falsche Richtung verrannt, oder
-doch die noch richtigere Bahn verfehlt hatte. Bei dieser Arbeit war der
-Verbrauch Rathenaus an Technikern ganz gewaltig gewesen, und einige von
-ihnen mußten Sanatorien aufsuchen, um sich von der Arbeit und Mitarbeit
-Emil Rathenaus zu erholen.</p>
-
-<p>Leicht gemacht wurden Emil Rathenau seine technischen Erfolge fast nie.
-Er mußte überall ringen, und Lehrgeld bezahlen, viel Mühe und Zeit
-aufwenden, ehe er den Erfolg sah. Dafür hat er aber auch diesen am
-Ende fast stets für sich gehabt, und ein vollständiges Fiasko kaum je
-erlitten.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_370" id="Seite_370">[S. 370]</a></span></p>
-
-<h3 class="padtop1" id="Kap_16_c">c)</h3>
-
-</div>
-
-<p>Als <em class="gesperrt">Kaufmann</em> wurzelte Emil Rathenau <em class="gesperrt">nicht</em> im
-<em class="gesperrt">Händlerischen</em>, sondern im <em class="gesperrt">Industriellen</em>. Das heißt, ihn
-interessierte nicht der Verkauf der Ware, und die Technik des Absatzes,
-sondern sein Interesse und seine Arbeit gingen dahin, eine Ware so
-herzustellen und auszustatten, daß sie sich gut verkaufen ließ, daß
-ihre Eigenschaften dazu angetan waren, auf dem Absatzmarkte Nachfrage
-zu erregen, wirkliche Bedürfnisse zu befriedigen oder auch zukünftige
-Bedürfnisse zu wecken. Dabei wußte er sehr wohl, daß man dem Käufer
-auf die Dauer keine Ware aufdrängen konnte, die ihm nicht wirklich
-Vorteile bot. Nicht das Verblüffende, das Effektvolle einer Ware konnte
-das dauernde Bedürfnis nach ihr schaffen, sondern nur das Zweckmäßige,
-das irgendwelche Vorzüge vor der bisherigen Art der Bedarfsdeckung
-bot, eine höhere Stufe der Wirtschaftlichkeit verhieß, neue produktive
-Möglichkeiten eröffnete und neue Aussichten des Gewinnes oder der
-Ersparnis bot. Das Telephon, die Glühlampe, die Kraftübertragung
-führte er in Zeiten, in denen ein großer Bedarf nach ihnen sich noch
-nicht feststellen ließ, vielleicht auch noch gar nicht vorhanden war,
-keineswegs deswegen ein, weil die Einrichtungen technisch sinnreich
-und praktisch effektvoll waren, sondern er sah voraus, welche neuen
-Wirkungen, Leistungen und Vervielfältigungen im Wirtschafts- und
-Verkehrsleben sich mit ihnen erreichen lassen würden. Hier, wo die
-Statistik, die Erfahrung, die zahlenmäßige Kalkulation auf Grund des
-vorhandenen Tatsachenmaterials versagen, wo aber auch die Phantasie
-nicht theoretisch schweifen darf, sondern die realen Voraussetzungen,
-die <em class="gesperrt">Tatsachen</em> einer zukünftigen Wirtschaftswelt sich sozusagen
-im Irrealen voraus konstruieren muß, als ob bereits Erfahrungen
-vorlagen, ist das schwierigste, aber auch das erfolgversprechendste
-Gebiet des industriellen Kaufmanns.</p>
-
-<p>Emil Rathenau war ein Meister dieser <em class="gesperrt">realen</em>, dieser
-<em class="gesperrt">statistischen</em> Phantasie. Naturgemäß genügte aber bei
-der Befriedigung erst zu weckender Kaufbedürfnisse nicht die
-einfache ökonomische Fertigstellung einer brauchbaren, ja selbst
-konkurrenzüberlegenen Ware, so daß dann alles übrige der Verkaufs-
-und Handelstechnik überlassen werden konnte. Es war auch notwendig,
-die Ware oder die Leistung so zu zeigen, daß ihre Vorzüge für jeden
-als<span class="pagenum"><a name="Seite_371" id="Seite_371">[S. 371]</a></span> Verbraucher in Betracht kommenden deutlich in Erscheinung
-treten <em class="gesperrt">mußten</em>. Diese Propaganda für neuartige Dinge gehörte
-infolgedessen mit zu der Sphäre des industriellen Kaufmanns, in
-der Rathenau lebte und webte. Die Schaffung und Organisation der
-sogenannten Demonstrationsunternehmungen war sogar eine seiner
-ureigenen Aufgaben, zu deren Lösung er die Anregungen und die
-bestimmenden Anweisungen gegeben hat. Anders war es mit dem Absatz
-von sogenannten marktgängigen Waren, von Typen- und Massenartikeln,
-worunter nicht nur solche zu verstehen sind, die in ihren Formen und
-Eigenschaften endgültig oder für längere Zeitspannen festliegen,
-sondern auch solche, die &mdash; wie es bei den meisten Fabrikaten
-einer fortschrittlichen Technik der Fall ist &mdash; in einem ständigen
-Entwickelungs- und Verbesserungsprozeß begriffen sind. Hier griff
-die eigentliche Verkaufsorganisation ein, die für Rathenau aber nur
-eine Sache zweiter Ordnung war. Wenn trotzdem die A. E. G. auch in
-dieser Hinsicht nicht nur mustergültig versorgt war, sondern ganz
-neuartige Wege beschritt, so ist dies dem Umstand zu danken, daß
-ihr von Anfang an in Felix Deutsch, Rathenaus erstem Mitarbeiter,
-eine Kraft zur Verfügung stand, die an händlerischer Begabung die
-mehr aufs Industrielle gerichteten Fähigkeiten des Meisters wirksam
-und glücklich ergänzte. Deutsch war auf seinem ureigenen Gebiete so
-überragend und selbstsicher, daß Emil Rathenau ihm dieses Gebiet
-fast ganz selbständig überließ und sogar zugab, daß die Organisation
-des Verkaufsgeschäfts sich in einer Richtung entwickelte, die seinen
-eigenen Anschauungen anfangs bis zu einem gewissen Grade zuwiderlief.
-Rathenau hatte nämlich in allen Fragen, die er nicht aus erster
-Hand, sozusagen in höchstpersönlicher Art löste (was bei dem ihn
-nur mittelbar interessierenden Verkaufsgeschäft aber nicht der Fall
-war), eine gewisse bewundernde Vorliebe für das Amerikanische. Das
-amerikanische Verkaufssystem bestand nun wesentlich in der Abgabe
-der typischen Artikel und Massenware an Vertreter, Kommissionäre,
-Installateure und Händler, die ihrerseits den Absatz an die Verbraucher
-besorgten. Ein solches System ist einfach für den Fabrikanten, und
-entsprach aus diesem Grunde wohl der minder bedeutsamen Stellung, die
-Rathenau dem Verkaufsgeschäft zuwies. Er wollte es ohne allzugroßen
-Aufwand an Eigenarbeit, Apparatur und Kapital, die nach seiner Ansicht
-besser anderen, ihm wichtiger erscheinenden Gebieten zugeführt werden<span class="pagenum"><a name="Seite_372" id="Seite_372">[S. 372]</a></span>
-sollten, erledigen und konnte sich dabei immerhin darauf berufen, daß
-die Amerikaner mit diesem System gute Geschäfte machten und einen
-großen Umsatz erzielten. Nun lagen allerdings die Verhältnisse in
-Amerika wohl etwas anders als in Europa. Die Absatzmöglichkeiten des
-weiten und sich rasch auf jungem Kulturboden entwickelnden Landes
-waren an sich größer, der Bedarf war weniger passiv und wandte sich
-ganz von selbst den modernsten Methoden der Technik zu, denn es waren
-dort absolut und relativ viel mehr Unternehmungen und Ausrüstungen
-ganz neu zu schaffen, die sich naturgemäß dann sofort mit den
-zeitgemäßesten Einrichtungen versahen. In der Zeit der Licht- und
-Kraftelektrizität entstanden drüben zum Beispiel erst viele Städte
-oder es wuchsen Ortschaften zu städtischem Umfang an, die, vor das
-Problem der Beleuchtung und Beförderung gestellt, naturgemäß nicht
-die älteren Systeme (Gas und Pferdebahn), sondern die modernsten
-(elektrisches Licht und elektrische Straßenbahnen) wählten. Dasselbe
-war mit neuerstehenden Fabriken, Hüttenwerken usw. der Fall. Sie
-führten sofort die rationellste Art der Kraftübertragung ein. Ganz
-anders lagen die Verhältnisse in den europäischen Ländern. Hier waren
-die Städte und ein großer Teil der Fabrikationsbetriebe bereits, bevor
-die Elektrotechnik ihre Leistungsfähigkeit bis zu voller Überlegenheit
-entwickelt hatte, auf andere Weise eingerichtet gewesen, und es galt,
-sie zur Auswechslung ihrer alten Einrichtungen und zur Ersetzung durch
-neue elektrotechnische Anlagen zu veranlassen, eine Aufgabe, die
-naturgemäß eine größere Aktivität der Elektrizitätsindustrie erforderte
-als in Amerika. Für die Zentralunternehmungen (Elektrizitätswerke
-und Bahnen) erkannte dies auch Rathenau als erster durchaus
-richtig, und seine Gründungen auf jenen Gebieten dienten darum in
-erster Linie dem Zwecke, den Konsum durch anregende Beispiele zur
-Elektrizität hinzuführen, ja sogar hinzuzwingen. Sobald es sich aber
-um Privatzentralen oder sonstige Einzelanlagen handelte, wollte Emil
-Rathenau die Konsequenzen seiner eigenen Idee merkwürdigerweise nicht
-ziehen. Er neigte dem amerikanischen System des Absatzes zu, trotzdem
-man mit diesem doch nicht unmittelbar an den Konsum herankommen, und
-offenbar manche Möglichkeiten des Geschäfts nicht tatkräftig genug
-ausnutzen konnte. Anscheinend fürchtete Rathenau, die Schicht der
-Zwischenhändler, Vertreter-Firmen und Installateure zu verstimmen, die
-zur Zeit der Gründung der A. E. G.<span class="pagenum"><a name="Seite_373" id="Seite_373">[S. 373]</a></span> das Geschäft zum großen Teil noch
-vermittelte und auf die er bis zu einem gewissen Grade sich stützen
-zu müssen glaubte. Hier war nun Deutsch weitsichtiger als Rathenau
-selbst, indem er die Aussichten der Zukunft über die Beschränktheiten
-der damaligen Gegenwart stellte. Er machte die Inkonsequenz seines
-Meisters nicht mit und bestand, gestützt auf seine Autorität als
-Leiter des Verkaufsgeschäfts, darauf, auch in diesem Gebiete das
-Rathenausche System zur Geltung zu bringen. Rathenau selbst ließ ihn
-gewähren und mußte sich später überzeugen, daß Deutsch recht gehabt
-hatte. Die 300 kaufmännisch-technischen Bureaus, die Deutsch an allen
-größeren Plätzen des In- und Auslandes errichtete, bildeten immer mehr
-die Tragpfeiler der Absatzorganisation und boten die Möglichkeit,
-den Absatz in schneller Progression zu steigern, und alle neuen
-Konstruktionen auf dem direktesten Wege in den Konsum zu bringen. Die
-Bureaus waren nicht nur mit Kaufleuten besetzt, die propagandistisch
-tätig waren und Geschäfte in ihrem Bezirk abschlossen, sondern auch mit
-Technikern, die sich nicht darauf beschränkten, die von der A. E. G.
-gelieferten Anlagen zu montieren, sondern sie auch ständig überwachten,
-Anregungen zu ihrer Anlage, Ergänzung, Verbesserung usw. gaben, Fehler
-beseitigten, Belehrungen über die Anwendung erteilten, Irrtümer in der
-Anwendung korrigierten, kurzum den Kunden dieselben Berater-Dienste
-erwiesen, die ihnen sonst von sogenannten „konsultierenden Technikern“
-geleistet wurden. Naturgemäß verschlang ein solcher Riesenapparat von
-300 technischen Bureaus mit ihrem Beamtenstab, ihren Lagerbeständen,
-ihren Räumlichkeiten gewaltige Summen. Er machte sich nur bei einem
-wirklich großen Umsatz bezahlt, und gewann infolgedessen besonders
-an Einträglichkeit durch die verschiedenartigen großen Fusionen, die
-eine Zusammenlegung der Verkaufsorganisationen der verschmolzenen
-Unternehmungen und eine wesentliche Vergrößerung ihres Umsatzes bei nur
-geringfügig erhöhten Unkosten gestatteten. Gerade der gewaltige Apparat
-der Verkaufsorganisation war ebenso wie das Unternehmergeschäft eine
-der Klippen, an denen die schwächeren Konkurrenzunternehmungen in der
-Elektrizitätsindustrie scheiterten. Sie vermochten den Umsatz nicht
-hereinzubringen, der die großen Spesen dieses Apparates aufgewogen
-hätte.</p>
-
-<p>Emil Rathenau hat sich um das Verkaufsgeschäft &mdash; wie schon gesagt
-&mdash; nicht allzusehr gekümmert. Wenn er zum Beispiel auf<span class="pagenum"><a name="Seite_374" id="Seite_374">[S. 374]</a></span> Reisen war,
-ließ er sich nur in gewissen Abständen eine kurze Aufstellung über die
-Art und die Summe der erfolgten Verkäufe nachsenden. Die Namen der
-Käufer interessierten ihn nicht. Das war Deutsch’s Ressort, der als
-„Globetrotter der A. E. G.“ einen großen Teil des Jahres unterwegs war,
-die Filialen und Bureaus kontrollierte, dort Anregungen geschäftlicher
-und organisatorischer Art gab und dafür sorgte, daß die Einrichtungen
-auf der Höhe blieben. Wenn Rathenau reiste, so geschah dies &mdash; sofern
-nicht Aufsichtsratssitzungen oder Generalversammlungen befreundeter
-Gesellschaften und Transaktionsverhandlungen die Veranlassung dazu
-boten &mdash; fast stets nur, wenn technische oder fabrikatorische Fragen
-zu lösen waren. Insbesondere hatten seine Reisen nach Amerika,
-deren letzte noch im Jahre 1912 geplant war, aber nicht mehr zur
-Ausführung kam, meist sozusagen eine vergleichende Generalrevision
-der jeweiligen technischen Gesamtlage der elektrischen Welt zum
-Zwecke. Er prüfte, wie die beiderseitigen Leistungen und Fortschritte
-zueinander standen, brachte Eindrücke und Anregungen mit heim und
-hielt drüben auch nicht mit den Errungenschaften zurück, die in der
-alten Welt inzwischen gemacht worden waren. Natürlich genügten diese
-gelegentlichen persönlichen Besuche in Amerika nicht, um einen wirklich
-erschöpfenden Ausgleich zwischen kontinentaler und amerikanischer
-Elektrizitätstechnik zu gewährleisten. Sie dienten sozusagen nur der
-Superkontrolle für das von Rathenau bereits früh eingeführte System des
-Austausches mit der General Electric-Gruppe.</p>
-
-<p>Nicht nur gegenüber dem Kaufmann wußte Rathenau das industrielle
-Prinzip zur Geltung zu bringen, sondern auch gegenüber dem Techniker.
-Der manchmal eigensinnige Ehrgeiz vieler, hauptsächlich konstruktiv
-begabter Techniker, alles im eigenen Hause machen zu wollen, für
-jeden Gegenstand eine eigene Konstruktion zu haben, war ihm fremd. Es
-hat der A. E. G. unter der Leitung Rathenaus nie an hervorragenden
-Eigenkonstruktionen gefehlt. Wenn aber durch den Erwerb fremder,
-bereits erprobter Verfahren oder durch die Zusammenlegung eigener und
-fremder Verfahren schneller und vorteilhafter zum Ziele zu kommen war
-als durch die mühselige technische Innenarbeit, so wählte Rathenau,
-dem es letzten Endes nicht nur auf den technischen, sondern auch
-auf den wirtschaftlichen Erfolg ankam, unbedenklich statt des rein
-technischen Weges den technisch-kommerziellen. Von einer bloßen
-schematischen Nachahmung<span class="pagenum"><a name="Seite_375" id="Seite_375">[S. 375]</a></span> und Benutzung fremder Geistesarbeit war
-die Rathenausche Methode aber auch in solchen Fällen weit entfernt.
-Überall, wo er fremde Konstruktionen erwarb, so bei den Edisonlampen,
-bei den Spragueschen Straßenbahnpatenten, beim Akkumulator und
-der Curtis-Turbine, hat er die übernommenen Gegenstände in steter
-Weiterentwickelung verbessert und durchgebildet, sie so recht
-eigentlich erst zu der Reife gebracht, durch die sie ihre großen
-Erfolge davontrugen.</p>
-
-<p>Für die industrielle Grundlage des kaufmännischen Charakters
-Emil Rathenaus zeugt schließlich auch die innere Ausbildung des
-Kalkulationswesens der A. E. G. Dieses war so organisiert, daß die
-Fabrikationsabteilungen mit dem Verkauf und mit der Preisbemessung für
-die von ihnen hergestellten Waren nicht das geringste zu tun hatten.
-Für sie gab es nur Selbstkostentabellen. Diese übermittelten sie der
-Verkaufsabteilung, der es vorbehalten war, auf der Grundlage jener
-Tabellen die Preise festzusetzen. Damit wurde bezweckt, daß sich die
-Fabrikation von dem Verkaufspreise weder nach oben noch nach unten in
-ihrem Herstellungsprozess beeinflussen lassen sollte. Ihre Aufgabe war
-es, nach rein sachlichen Gesichtspunkten zu produzieren und dabei die
-Ware so gut und so billig wie möglich herzustellen, ohne sich in der
-Qualität ihrer Arbeit durch die Kenntnis der Verkaufspreise beirren
-zu lassen. Stellte die Verkaufsabteilung fest, daß die Selbstkosten
-einer bestimmten Ware im Vergleich mit dem Preise einer gleichartigen
-Ware der Konkurrenz zu hoch waren, so wurde auf ihre Veranlassung in
-die Frage einer Untersuchung und Verbesserung des Produktionsprozesses
-eingetreten. Im übrigen war es das Prinzip Rathenaus, aus den drei
-Faktoren Grundrente, Produktionspreis und Vertriebskosten eine
-Preisstellung zu ermöglichen, die der jedes Konkurrenten gewachsen,
-möglichst aber überlegen war. Über die Faktoren Produktionspreis und
-Vertriebskosten ist schon gesprochen worden. Über das Thema Grundrente
-soll der nächste Abschnitt, der die Grundlage der Rathenauschen
-Finanzpolitik noch einmal zusammenfassend schildern will, Aufschluß
-geben.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 class="padtop1" id="Kap_16_d">d)</h3>
-
-</div>
-
-<p><em class="gesperrt">Industriefinanzier</em> &mdash; das ist das Wort, mit dem Rathenau am
-häufigsten charakterisiert wird, womit man die Größe und Besonderheit
-seiner Leistung am kräftigsten herausheben und umschreiben<span class="pagenum"><a name="Seite_376" id="Seite_376">[S. 376]</a></span> zu
-können meint. Große Industriegebilde hätten auch andere geschaffen,
-unterschiedlich und neu seien bei Rathenau aber hauptsächlich die
-Finanzierungsmethoden, die in dieser Art und Ausprägung kein anderer
-vor ihm und neben ihm ausgebildet habe, die für eine ganze Generation
-vorbildlich und fruchtbar geworden seien. Drängt sich ein so starker
-Eindruck von dem Wesen und Wirken eines Mannes der Öffentlichkeit
-auf, so muß ihm naturgemäß irgend eine berechtigte Ursache zu Grunde
-liegen. Das Urteil der öffentlichen Meinung braucht nicht umfassend zu
-sein, es braucht das Bild des beurteilten Menschen oder Gegenstandes
-nicht ganz in der Fläche zu decken und nicht ganz bis in die Tiefe
-zu erfassen. Die Beurteilung kann schief und oberflächlich, aber
-sie kann nicht völlig falsch sein. In der Tat war Emil Rathenau
-ein Finanzkünstler ersten Ranges, und in der Tat gehen von hier
-vielleicht die stärksten Einflüsse aus, die er über die Grenzen seiner
-Sondertechnik und Sonderindustrie hinaus auf das Gesamtwirtschaftsleben
-ausgeübt hat, sofern wir allerdings die umwälzenden Einwirkungen der
-von Rathenau beschleunigten „Elektrisierung“ fast aller Verkehrs-
-und Produktionsprozesse als zur elektrischen Sondertechnik gehörend
-betrachten. Unter seinen Methoden, die einfach von anderen Gewerben
-übernommen, zum Gemeingut der Gesamtwirtschaft werden konnten,
-stehen die finanziellen weitaus im Vordergrunde. Das System der
-Selbstbedarfsdeckung und Selbstabsatzwirtschaft, wie es Rathenau für
-die elektrische Industrie erfunden hat, war doch im wesentlichen
-auf diese oder wenige verwandt organisierte Industrien beschränkt,
-in anderen Großgewerben, wie zum Beispiel im Montangewerbe, in der
-chemischen Großindustrie usw. entstanden unabhängig davon ganz andere,
-zum Teil sogar noch radikalere Methoden der „Gemischtwirtschaft“. Das
-Finanz- und Reservensystem Emil Rathenaus dagegen ist weit über die
-Grenzen der Elektrizitätsindustrie hinaus epochemachend geworden, und
-mit Recht konnte Dr. Walther Rathenau in der ersten Generalversammlung,
-die die A. E. G. während des Krieges abhielt, darauf hinweisen, daß
-die großen Reserven der industriellen Unternehmungen, dieses „Mark im
-Knochengerüst des deutschen Industriekörpers“ die schnelle Umstellung
-und Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie im Kriege in erster
-Linie ermöglicht hätten. Nun folgt allerdings daraus, daß Emil Rathenau
-diese Reservenpolitik<span class="pagenum"><a name="Seite_377" id="Seite_377">[S. 377]</a></span> zuerst im großen Maßstabe angewandt hat, noch
-nicht unbedingt, daß sie ohne ihn überhaupt nicht Eingang im deutschen
-Wirtschaftsleben gefunden hätte. Vielleicht lag sie ohnedies in der
-Richtung unserer Industrieentwickelung und Emil Rathenaus Verdienst
-bestände alsdann nur darin, durch sein erfolgreiches Vorbild diese
-Entwickelung bestärkt und beschleunigt zu haben. Daß sie nicht mit
-<em class="gesperrt">jeder</em> großen und reichen Wirtschaftsentwickelung notwendig
-verbunden zu sein braucht, zeigt das Beispiel Englands, wo eine
-viel ältere wirtschaftliche Generation doch nicht annähernd so viel
-Reservekraft der unpersönlichen Unternehmungen, dafür aber mehr
-persönlichen Reichtum angesammelt hatte wie die deutsche, zeigt
-ferner das Beispiel Amerikas, wo man trotz einer fast noch stärkeren
-Industrialisierung im allgemeinen noch nicht die Kinderkrankheit
-jeder Großwirtschaftsbewegung, das System der Agiotage und
-Kapitalverwässerung, überwunden hat.</p>
-
-<p>Und doch &mdash; trotz der großen Ausbildung, Sichtbarkeit und Fernwirkung
-der Rathenauschen Finanzkunst, kann sie nicht als seine grundlegende,
-seine primäre Begabung bezeichnet werden. Rathenau hat niemals
-reine Geschäfte mit dem Gelde und um des Geldes willen gemacht, er
-finanzierte nie aus Freude am Finanzieren, sondern dies war ihm nur
-das &mdash; virtuos angewandte &mdash; Mittel zum Zwecke des Industrialisierens.
-Seine Finanzwirtschaft war sozusagen nur das der Industriewirtschaft
-genau angepaßte Kleid, eine sekundäre Kunst, destilliert aus
-seinen <em class="gesperrt">ursprünglichen</em> Begabungen und Eigenschaften, denen
-sie dienen und die sie erst zu voller Wirkung bringen sollte.
-Finanzgewinne wurden von Rathenau &mdash; wenigstens ursprünglich &mdash; nicht
-<em class="gesperrt">angestrebt</em>, sondern sie fielen als reife Früchte von dem Baume
-seiner Industriepolitik ab. Erst später, als er erkannt hatte, wie
-reiche Geldfrüchte dieser Baum tragen könnte, ging er dazu über, sie zu
-züchten, immer jedoch die Gesichtspunkte der Industriewirtschaft denen
-der Finanzwirtschaft voranstellend, deren Gefahren er wohl kannte und
-deren Verlockungen er darum nie Macht über sich gewinnen ließ.</p>
-
-<p>Entwickelte sich so Rathenaus Finanzkunst, die in der Hochzüchtung,
-Festigung und späteren gewinnreichen Verwertung von Betriebsrenten,
-nicht im Manipulieren mit dem Aktienkurse bestand, ganz aus dem
-Bedürfnis des Industrialisierens, also aus der wirt<span class="pagenum"><a name="Seite_378" id="Seite_378">[S. 378]</a></span>schaftlichen
-Grundeigenschaft des Mannes, so wurzelte seine finanzielle
-Reservenpolitik vielleicht noch tiefer in einem der Grundgefühle des
-Rathenauschen <em class="gesperrt">Charakters</em>: nämlich in dem <em class="gesperrt">Pessimismus</em>.
-In der Kühnheit des Entwerfens industrieller und finanzieller
-Transaktionen keinem der großen Kaufleute unserer Zeit nachstehend,
-übertraf sie Rathenau doch alle in dem Gegengewicht der Vorsicht,
-durch das er diese Kühnheit des Entwurfes bei der Ausführung gegen
-alle möglichen Gefahren zu sichern bestrebt war. Dieses Gegengewicht
-war aus Reserven gebildet, die zum Teil aus zurückgelegten Beträgen
-der Jahresgewinne, zum Teil aus dem zurückhaltend angewandten
-Aktienagio und zum Teil aus Buchvorteilen bei Transaktionen unter
-Ausnutzung dieses Aktienagios stammten, das es der A. E. G. gestattete,
-Fabrikationswerte und Beteiligungen zu außerordentlich niedrigen
-Preisen zu erwerben oder doch so in ihre Bilanz einzustellen.
-Dabei hat sich die Reservenpolitik nie so weit verstiegen, daß von
-einer <em class="gesperrt">ungesunden</em> Thesaurierung gesprochen werden könnte,
-wie sie sich in einem Teil der deutschen Verfeinerungsindustrie,
-namentlich im Metallgewerbe, in der chemischen Großindustrie, in der
-Rüstungsindustrie &mdash; unter übertriebener Nachahmung des Rathenauschen
-Vorbildes &mdash; während des letzten Jahrzehnts ohne berechtigten
-wirtschaftlichen Zweck herausgebildet hat. Ein so falsches Bild wie
-bei den Unternehmungen dieser Art, so zum Beispiel den Daimlerwerken,
-den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, den Köln-Rottweiler
-Pulverfabriken, der Deutschen Gasglühlicht-Gesellschaft (Auer),
-den Vereinigten Glanzstofffabriken und vielen anderen, die mit
-verantwortlichen Aktienkapitalien von 10 bis 20 Millionen Mark,
-Vermögenswerte von 50 und 100 Millionen Mark decken, hat die Bilanz
-der A. E. G. niemals gezeigt. Bei ihr standen die Rücklagen immer noch
-in einem ungefähr richtigen Verhältnis zu den Risiken, der Aktienkurs
-war nicht so beschwert mit spekulationstreibenden Rätseln, wenn auch
-das Bilanzbild keineswegs jene Durchsichtigkeit besaß, die der Sinn
-und jedenfalls der Buchstabe des Aktienrechts vielleicht verlangen,
-die der wirtschaftlichen Entwickelung des Aktienwesens aber nicht
-immer zuträglich ist. Niemals hat die A. E. G. jene künstlichen
-Kapitalserleichterungen und Kapitalsverwässerungen vornehmen müssen,
-die das sicherste äußere Kennzeichen einer <em class="gesperrt">ungesunden</em>
-Reservenanhäufung sind, eine spekulative Unsicherheit in den Besitz
-der Aktien und bis zu einem<span class="pagenum"><a name="Seite_379" id="Seite_379">[S. 379]</a></span> gewissen Grade auch in die Verwaltung der
-Aktiengesellschaften tragen. Emil Rathenau hat niemals unter Verzicht
-auf das Aktienagio Pari-Aktien oder gar Gratis-Aktien ausgegeben, er
-hat andererseits auch niemals das Agio bis zur letzten Grenze oder
-gar noch darüber hinaus ausgenutzt. Er ging einen Mittelweg, der alle
-Bedürfnisse des gesellschaftlichen Interesses, des Aktionärinteresses
-und des Kapitalmarktes zu berücksichtigen suchte. Ebenso wie die Rente
-und den Aktienkurs suchte er auch das Aktienagio stabil oder doch in
-stabiler, das heißt stetiger Aufwärtsbewegung zu halten.</p>
-
-<p>Damit waren der Grundrente nicht nur günstige, sondern auch sichere
-Verhältnisse geschaffen und das Verhältnis zwischen Kapital plus
-inneren und äußeren Reserven auf der einen Seite und dem Umsatz,
-dem Gewinn und dem Unternehmerrisiko auf der anderen Seite blieb in
-den Formen des Ebenmaßes und Gleichgewichts, die auf Produktion und
-Kalkulation vorteilhaft und festigend einwirkten und in guten Zeiten
-angenehme Überraschungen nicht übermäßigen Umfanges, in schlechten
-Zeiten niemals allzu unangenehme Enttäuschungen bringen konnten.
-Das finanzielle Traggerüst war so gezimmert, daß es auf die denkbar
-größte Belastung eingerichtet war. Dieses Ideal der Sicherheit, das
-für Rathenau mit dem der <em class="gesperrt">allgemeinen und durchschnittlichen</em>
-Wirtschaftlichkeit zusammenfiel, wurde soweit verfolgt, daß darüber
-die Wirtschaftlichkeit in manchen Einzeldingen allerdings auch außer
-acht gelassen wurde. Dies zeigt sich vornehmlich auch in der von
-Jahr zu Jahr größeren <em class="gesperrt">Anhäufung von baren Mitteln</em>, die nicht
-im Betriebe werbend angelegt, sondern in Form von Bankguthaben stets
-greifbar gehalten wurden und fast immer die Hälfte des nominellen
-Aktienkapitals, so gewaltig dieses auch zuletzt anwuchs, erreicht
-haben. Der Zweck dieser Bankguthaben, in denen ja allerdings nicht
-allein die Barmittel der A. E. G. selbst vereinigt waren, sondern
-auch ein Teil der überschüssigen Gelder des ganzen Konzerns zum
-Ausdruck kam, bestand in der jederzeitigen völligen Unabhängigkeit
-von den Banken und vom Kapitalmarkte. Die Gesellschaft sollte stets
-bereit und fähig sein, neue Projekte und Geschäfte, die sich ihr vom
-technischen oder industriellen Standpunkte aus boten, durchzuführen,
-gleichgültig, ob die Zeitverhältnisse oder die kapitalbeherrschenden
-Geldmächte solche Unternehmungen gerade begünstigten oder nicht. Bis zu
-einem gewissen<span class="pagenum"><a name="Seite_380" id="Seite_380">[S. 380]</a></span> Grade war die Geldbeschaffung des Konzerns durch die
-Finanzgesellschaften sichergestellt. Ein Teil von deren Hilfskräften
-aber gerade sowie die eigenen Barmittel der A. E. G. waren in den
-Bankguthaben der A. E. G. (im Gegensatz zu den buchmäßigen Rücklagen,
-die möglichst verborgen gehalten wurden) sichtbar zusammengefaßt und
-mit einem gewissen Stolze zur Schau getragen, als deutliches Zeichen
-der finanziellen Macht und Stärke der Gesellschaft. Industriell ist
-diese Hauptreserve der Gesellschaft in den späteren Jahren selten in
-vollem oder auch nur größerem Umfange in Anspruch genommen worden,
-und das Beispiel anderer großer Industriekonzerne hat gezeigt, daß
-ein wohlfundiertes, gut rentierendes Unternehmen auch von außenher
-fast stets Investitionsmittel erhalten konnte, wenn es sie für
-wichtige Zwecke gebrauchte. Gerade erstklassige Großunternehmungen
-brauchen so riesige Barmittel nicht unbedingt, kleinere und weniger
-gefestigte Gesellschaften können sie sich wiederum nicht leisten.
-Eine rückschauende Kritik wird daher möglicherweise einmal zu dem
-Ergebnis kommen, daß diese großen Flüssigkeitsreserven in stärkerem
-Maße einen Luxus darstellten als die von den Aktionären viel
-heftiger bekämpften Buchreserven. Bei der Struktur unseres Kapital-
-und Bankenwesens, die immer mehr darauf zugeschnitten wurde, die
-einträgliche Industrieanlage vor den sonstigen Kapitalanlagen, der
-Staatsrente, dem Hypothekarkredit usw. zu bevorzugen, erscheint von
-einem industriellen Nützlichkeitsstandpunkte aus betrachtet diese
-übermäßige Anhäufung von Barmitteln für ein industrielles Unternehmen
-vielleicht nicht mehr unbedingt nötig. Vom finanziellen Standpunkte
-aus bedeutet die Barhaltung so großer Teile des Anlagekapitals, die
-nicht im Betriebe gewinnbringende Anlage finden, sondern im günstigsten
-Falle die Zinsen wieder einbringen, die sie kosten, bis zu einem
-gewissen Grade eine unwirtschaftliche Last. Emil Rathenau, der doch
-sonst moderne Entwickelungen so schnell begriffen, häufig sogar ihnen
-vorangegangen ist, kam in dieser Hinsicht von den Verhältnissen in den
-70er und 80er Jahren und den schlechten Erfahrungen, die er damals
-mit der „Berliner Union“, der Deutschen Edison Gesellschaft und den
-Städtischen Elektrizitätswerken gemacht hatte, niemals so recht los. Er
-bedachte nicht, daß sich in der Zwischenzeit nicht nur sein Unternehmen
-bis zu einer Größe und Kraft entwickelt hatte, die es den Banken unter
-keinen<span class="pagenum"><a name="Seite_381" id="Seite_381">[S. 381]</a></span> Umständen hätte geraten erscheinen lassen, seine Bedürfnisse zu
-ignorieren, sondern daß auch Bankwesen und Kapitalmarkt sich inzwischen
-gewandelt und zu größerer Aufnahmefähigkeit und Aufnahmewilligkeit
-für Industriefinanzierungen vertieft hatten. Wenn sich trotzdem auch
-der Grundsatz der Unabhängigkeit von Banken und Kapitalmarkt für ein
-großindustrielles Unternehmen sehr wohl billigen ließ, so ist doch
-die Übertreibung dieses Grundsatzes, die durch Ansammlung übergroßer
-Barmittel eher umgekehrt eine Beherrschung der Banken anstrebte, nicht
-ebenso ganz zu rechtfertigen.</p>
-
-<p>Die <em class="gesperrt">Krisengefahr</em> konnte &mdash; wie sich wiederholt gezeigt hat &mdash;
-die übermäßige Höhe der unwirtschaftlichen Barmittel nicht hinreichend
-begründen, höchstens konnte man bis vor ein paar Jahren der Ansicht
-sein, daß die <em class="gesperrt">Kriegsgefahr</em> sie fordere. Der gegenwärtige
-Weltkrieg scheint aber &mdash; wohl entgegen der vorher überwiegend
-herrschenden Meinung &mdash; gerade diese Ansicht bis zu einem gewissen
-Grade widerlegt zu haben. Denn er hat &mdash; wenn man von wenigen
-Gewerben, wie der Seeschiffahrt, absieht &mdash; nicht die Folge gehabt,
-die Barmittel der industriellen Unternehmungen in Anspruch zu nehmen
-oder gar aufzubrauchen, sondern er hat im Gegenteil allenthalben diese
-Barmittel in ungeahntem Umfange vergrößert, und Verhältnisse, wie
-sie in dieser Hinsicht vor dem Kriege nur bei einer Minderzahl von
-Gesellschaften, besonders bei der A. E. G., bestanden, für die Mehrzahl
-der Industrieunternehmungen geschaffen. Das Barreservensystem ist im
-Kriege typisch für die deutsche Gesamtindustrie geworden, bei den
-Kriegsmaterialunternehmungen infolge übernormaler Gewinnansammlungen,
-bei vielen Friedensunternehmungen infolge einer immer weiter
-fortschreitenden Liquidierung ihrer Betriebsmittel (Vorräte,
-Außenstände usw.). Welche Wirkung allerdings in dieser Hinsicht ein
-unglücklich verlaufender Krieg gehabt haben würde, der ja auch zu einer
-Besetzung großer deutscher Industriegebiete durch den Feind hätte
-führen können, ist eine andere Frage, die uns veranlassen muß, das
-Urteil über das industrielle Barreservensystem immerhin mit einiger
-Vorsicht abzugeben.</p>
-
-<p>Gerade wenn wir uns die Reserven- und Finanzpolitik Emil Rathenaus
-ansehen, mit ihrer Fülle von verwickelten Erscheinungen und Formen, von
-Mitteln und Zwecken, und ihren wenigen einfachen, manchmal vielleicht
-übertrieben vereinfachten Resultaten, in die am<span class="pagenum"><a name="Seite_382" id="Seite_382">[S. 382]</a></span> Ende alle diese Ströme
-münden, so finden wir einen der stärksten Grundzüge Rathenauschen
-Wesens und Strebens bekräftigt, der sich auch auf allen anderen seiner
-Wirkungsgebiete nachweisen läßt: <em class="gesperrt">den Drang vom Komplizierten zum
-Einfachen</em>. Menschen kleineren und mittleren Wuchses beginnen häufig
-mit dem Einfachen und gelangen im Laufe ihrer Tätigkeit immer mehr zum
-Komplizierteren. Ganz anders Rathenau. Seine Anfänge waren kompliziert.
-Er besaß eine erdrückende Fülle der Formen und Möglichkeiten in sich,
-in ihm gärte, wie in vielen genialen Charakteren, ein Chaos, das nach
-Ausdruck, nach Gestaltung rang. Jede Unfertigkeit, jede Unklarheit
-und Ungelöstheit war ihm dabei eine Qual und so strebte er naturgemäß
-nach ihrer Beseitigung. Den Mitlebenden mag die erste Schaffensperiode
-Rathenaus wirr, unübersichtlich und sprunghaft erschienen sein. Sie
-mußte Außenstehenden und in Sonderheit oberflächlich Urteilenden wohl
-auch so erscheinen, wenngleich die mannigfaltigen Kräfte Rathenaus wohl
-innerlich stets schon nach bestimmten Richtungen und Zielen gedrängt
-haben. Erst die zweite Periode brachte &mdash; auch nach außenhin erkennbar
-&mdash; die Vereinfachung, die Zusammenfassung der auf verschiedenen Wegen
-vorwärts strebenden Tendenzen. Auch dieser kaufmännische Stratege
-folgte &mdash; wenn auch bis zu einem gewissen Grade unbewußt &mdash; dem
-Grundsatz: „Getrennt marschieren und vereint schlagen“. Und nun trat
-das ein, was stets bei den Leistungen großer Männer zu geschehen
-pflegt. Was während des mühevollen Arbeitens und Ringens solcher
-Männer den Zuschauern unentwirrbar, fragwürdig, im Ziele unklar, im
-Ausgang zweifelhaft erschien, wurde nach erreichten Resultaten allen
-so einleuchtend, so selbstverständlich, daß es gar nicht anders hätte
-kommen können, daß alle schon vorher gewußt und vorher gesagt haben
-wollten, wie es kommen würde. Ein großes Beispiel aus der Geschichte:
-Die Bismarcksche Reichsgründung, von der wir Nachgeborenen den
-Eindruck haben, daß die ganze vorherige Entwickelung mit Notwendigkeit
-darauf hindrängte, die aber doch von ihrem Schöpfer nicht mit wenigen
-mächtigen Hammerschlägen gefügt, sondern aus vielen Möglichkeiten,
-gegen hundert Widerstände und Mißhelligkeiten im erbitterten Ringen
-mit sich selbst und der Umwelt, unter aufreibenden Kleinkämpfen
-durchgesetzt wurde. Wenn man mit dem gewaltigen politischen Werk
-Bismarcks die in ihrer Art gleichfalls imposante Leistung eines großen
-Industrieschöpfers<span class="pagenum"><a name="Seite_383" id="Seite_383">[S. 383]</a></span> vergleichen darf, so hat sich das Urteil der Welt
-ihr gegenüber mit dem Erfolge in ähnlicher Weise gewandelt. Aber erst
-die lapidaren Linien der Resultate ließen auch die innere Arbeit
-erkennen, die das Ringen um sie verursacht haben mußte.</p>
-
-<p class="center mtop1 mbot2">*&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;*<br />
-*</p>
-
-<p>In dem Bilde des finanziellen Charakters Emil Rathenaus ist einer der
-Hauptzüge die Meisterschaft, mit der er die Aktie behandelte, und es
-ist kaum glaublich, daß derselbe Mann, dessen ganzes öffentliches
-Wirken auf der Grundlage des Aktienwesens aufgebaut ist, im Privatleben
-eine unüberwindliche Scheu vor Aktienerwerb und Aktienbesitz hatte.
-Das ist kaum glaublich und doch müssen wir, da es von Personen,
-die ihm nahestanden, übereinstimmend versichert wird, wohl daran
-glauben, ohne es allerdings hinreichend verstehen und erklären zu
-können. Der kleinbürgerliche Privatcharakter, den wir ja auch schon
-in anderem Zusammenhange in Gegensatz zu seinem geschäftlichen
-Weltbürgertum stellen mußten, scheint sich hier von dem Netzwerke der
-höchstpersönlichen Begebnisse nicht haben befreien zu können mit dem
-Ergebnis, daß Rathenau für sich selbst, und auch für Freunde, die Rat
-von ihm verlangten, alles das abschwor, was er öffentlich verkündet
-hatte. Einem alten Freunde, der ihn einmal fragte, ob er denn jetzt
-A. E. G.-Aktien hinzu kaufen, oder seinen alten Besitz verkaufen
-solle, erwiderte er: „Sie können auch das Spekulieren nie lassen.“ Es
-mag Leute geben, die Emil Rathenau nach solchen Feststellungen für
-unehrlich halten werden und man könnte sich sogar denken, daß ein
-findiger Staatsanwalt für den Fall, daß Rathenaus vielverschlungene
-Aktiengründungen nicht zu einem großen Erfolg, sondern zu einem
-finanziellen Zusammenbruch geführt hätten, aus dem Gegensatz zwischen
-der öffentlichen und der privaten Stellung zur Aktie so etwas wie
-den „bösen Glauben“ konstruiert haben würde. Als feiner Psychologe
-hätte er sich dabei allerdings nicht erwiesen, denn man wird diesen
-Widerspruch nicht klären, wenn man den öffentlichen Charakter Rathenaus
-der Unehrlichkeit, sondern wenn man den privaten Charakter einer
-schrullenhaften Schwäche zeiht. Zweifellos ist Emil Rathenau, dieser
-größte Meisterer des Aktienwesens, die tiefinnerliche Abneigung gegen
-die Aktie nie losgeworden, die ihn schon beherrschte, als er in<span class="pagenum"><a name="Seite_384" id="Seite_384">[S. 384]</a></span> der
-Gründerzeit gegen die Umwandlung der Maschinenfabrik Webers in eine
-Aktiengesellschaft längere Zeit Widerstand leistete. Da er aber ohne
-sie seine industriellen Pläne nicht ausführen konnte, mußte er sie
-wohl oder übel benutzen, denn sein Drang zum industriellen Schaffen
-war schließlich doch noch größer als seine Abneigung gegen die Aktie.
-Gewissermaßen um sein Gewissen zu beschwichtigen, hat er die Aktie in
-seinem Machtbereich durch die Reservenpolitik immer mehr der Obligation
-angenähert, sozusagen aus ihr ein Surrogat für das festverzinsliche
-Papier gemacht, ohne daß er sich doch entschließen konnte, für seine
-Person von diesem Surrogat Gebrauch zu machen. Als reicher und dabei
-bedürfnisloser Mann war er auf die paar Prozent Mehrzinsen, die ihm die
-Aktie vor der Staatsrente, der Hypothek brachte, nicht angewiesen.</p>
-
-<p>Doppelseitig wie die Stellung Rathenaus zur Aktie war auch die zu
-den Aktionären. Er verachtete und ignorierte die Kapitalisten, die
-ihr Geld ihm und seinen Gesellschaften anvertrauten, keineswegs,
-wie das manche Selbstherrscher des Aktienwesens tun, von denen die
-Aktionäre nur als Objekte, nicht als Subjekte der aktienrechtlichen
-Gesetzgebung und der aktiengesellschaftlichen Interessen betrachtet
-werden. Für Emil Rathenau stand das Interesse der Aktionäre sehr hoch
-und wurde von ihm mit peinlicher Gewissenhaftigkeit wahrgenommen. Bei
-allen Maßnahmen, die er traf, bei allen Vorschlägen, die er machte,
-fragte er sich und seine Mitarbeiter stets: „Was werden die Aktionäre
-dazu sagen, wie schneiden die Aktionäre dabei ab?“ Diese Frage
-beschäftigte ihn unausgesetzt und spielte bei seinen Entschließungen
-eine wichtige Rolle. Er fühlte sich durchaus als Sachwalter fremden
-Vermögens, und in der Tat waren seine Maßnahmen, selbst wenn sie von
-Generalversammlungs-Oppositionen heftig bekämpft wurden, auch vom
-Standpunkte der Aktionäre aus betrachtet, fast immer wohlüberlegt.
-Jedenfalls kann Emil Rathenau kein Fall nachgewiesen werden, in dem
-er berechtigte Interessen der Aktionäre verletzt und Ansprüche,
-die von einem höheren Gesichtspunkte aus begründet waren, nicht zu
-erfüllen versucht hätte. Aber formell erkannte er den außenstehenden
-Aktionären nicht das Recht zu, sich über wichtige gesellschaftliche
-Fragen, die nur aus der Kenntnis der inneren Verhältnisse und Vorgänge
-bei dem Unternehmen begriffen werden konnten, ein Urteil anzumaßen,
-das an fachmännischem Gehalt dem der Verwaltung gleichwertig gewesen
-wäre.<span class="pagenum"><a name="Seite_385" id="Seite_385">[S. 385]</a></span> Der Tag der Generalversammlung war für Rathenau durchaus
-keine bloße Formalität, keine unbequeme Äußerlichkeit, der aus
-gesetzlichen Gründen genügt werden und die man so schnell als möglich
-erledigen mußte. Er schilderte den Aktionären seine Beweggründe so
-ausführlich, wie er das mit den geschäftlichen Interessen der Firma
-vereinbaren zu können glaubte, gab Auskunft, so weit er es für irgend
-tunlich hielt und gewährte den Aktionären volle Rede-, Frage- und
-Beschwerdefreiheit. In seinen Entschlüssen ließ er sich aber fast nie
-durch sie umstimmen, zumal sie ihm selten etwas Neues vortrugen, einer
-Frage eine Beleuchtung geben konnten, in der er sie nicht schon selbst
-gesehen hatte. Er pflegte ja die ihm vorliegenden Probleme nach allen
-Seiten hin zu durchdenken, sie immer wieder hin- und herzudrehen, ehe
-er zu einem Ergebnis kam. Sein Sohn Walther hat nach dem Tode des
-Vaters einmal Aktionären, die der Ansicht waren, neue Gesichtspunkte
-zur Beurteilung einer Angelegenheit beigebracht zu haben, das Wort
-zugerufen: „Glauben Sie denn nicht, daß wir Phantasie genug besitzen,
-um uns ungefähr alle Einwände, die Sie hier in der Generalversammlung
-vorbringen könnten, schon vorher vorzulegen und sie in Erwägung zu
-ziehen?“ &mdash; Die Aktionäre antworteten auf diesen Ausspruch, &mdash; der ganz
-und gar aus dem Geiste Rathenaus, des Vaters, gesprochen war, wenn
-dieser ihm vielleicht auch nicht die schlagfertige, scharf pointierte
-Fassung gefunden haben würde, &mdash; daß dann ja die Generalversammlung
-nur eine Farce sei und es sich für die Aktionäre nicht lohne, sie zu
-besuchen und in ihr das Wort zu ergreifen. In der Tat läßt sich mit
-einer solchen Aktionärpolitik mancher Mißbrauch treiben, denn keine
-Verwaltung ist unfehlbar und es gibt Fälle, in denen der Außenstehende
-mehr und schärfer sieht, eine bessere Distanz zu den Dingen hat, als
-die doch immerhin im Geschäftsgang befangene Verwaltung. Rathenau hat
-sich solchen Mißbrauch aber eben nie zu schulden kommen lassen. Wenn
-man heute zurückschauend die verschiedenen Kämpfe zwischen ihm und den
-Aktionären betrachtet, so wird man finden, daß <em class="gesperrt">in der Sache</em>
-fast stets Rathenau recht gehabt hat, und daß die Anträge und Wünsche
-der Aktionäre, wenn ihnen Folge gegeben worden wäre, die A. E. G. von
-der finanziellen Richtung, die sie mit so großer Konsequenz und mit
-so glänzendem Erfolge innehielt, abgelenkt und vielleicht etwas ganz
-anderes aus ihr gemacht hätten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_386" id="Seite_386">[S. 386]</a></span></p>
-
-<p>Niemals ist Emil Rathenau in den Generalversammlungen wegen Schäden,
-fehlerhafter oder schlechter Führung der Geschäfte angegriffen worden,
-sondern das in allen Versammlungen mit seltener Regelmäßigkeit
-wiederkehrende Thema der Opposition waren die angeblich zu niedrigen
-Dividenden. „Tun Sie doch nicht immer nur in den Spartopf hinein,
-sondern nehmen Sie doch auch einmal etwas für die Aktionäre heraus.“ &mdash;
-„In guten Zeiten sammeln Sie für die schlechten, in schlechten nehmen
-Sie nichts von den Notreserven, sondern sammeln weiter im Hinblick
-auf die ungeklärte Lage.“ &mdash; „Was nützen uns die Reserven, von denen
-man versprochen hat, daß sie uns einmal zugute kommen werden, wenn
-erst unsere Enkel den Vorteil davon haben sollen.“ &mdash; So und ähnlich
-lauteten die manchmal ganz witzig und klug zugespitzten Wendungen, mit
-denen man ihn &mdash; nicht selten mit Argumenten aus dem Arsenal seiner
-eigenen Logik &mdash; zu schlagen und aus seiner Festung herauszulocken
-suchte. Emil Rathenau blieb kühl bis ans Herz hinan. Er war nicht
-so gewandt wie sein Sohn Walther, der als Aufsichtsratsvorsitzender
-resigniert zu entgegnen pflegte: „Es hat keinen Zweck, der Opposition
-entgegen zu kommen, denn gleichgültig, welche Dividende wir auch
-vorschlagen, es wird stets eine Erhöhung um 2% beantragt werden.“ Wenn
-die Opposition heftig oder gar in der Form verletzend wurde, so konnte
-allerdings auch Emil Rathenau in Harnisch geraten und seine Worte waren
-dann manchmal von einer Bitterkeit, einer persönlichen Gereiztheit,
-die er ruhigen Blutes wohl selbst als zu weit gehend erkannt haben
-würde. &mdash; Zu derart heftigen Kämpfen kam es aber nur in einigen wenigen
-Versammlungen, so in der vom 12. Dezember 1905, als der Führer der
-Opposition, Rechtsanwalt Elsbach, nachdem er die Bilanz undurchsichtig,
-den Geschäftsbericht einen furchtbaren Blender genannt und dem
-Generaldirektor vorgeworfen hatte, daß er seine Versprechungen nicht
-gehalten habe, seine Rede mit den Worten schloß: „Wir bitten nicht
-mehr, fordern wollen wir. Wir sind hier im eigenen Hause und stehen vor
-den Verwaltern unseres Vermögens.“ &mdash; Rathenau entgegnete aufbrausend:
-„Wenn wir in derartiger wenig taktvoller Weise angegriffen, ja
-persönlich besudelt werden, so können wir nichts anderes tun, als Ihnen
-unseren Platz zur Verfügung zu stellen.“ &mdash; Erst Fürstenberg, der kluge
-Dialektiker, der die Verhandlungen gewöhnlich anstelle der dekorativen
-Aufsichtsratsvorsitzenden mit dem Staatssekretärstitel leitete, konnte<span class="pagenum"><a name="Seite_387" id="Seite_387">[S. 387]</a></span>
-durch seine schlagfertigen Bemerkungen die Situation in solchen Fällen
-wieder einigermaßen herstellen. Derart scharfe Zusammenstöße bildeten
-aber Ausnahmen. Im allgemeinen verliefen die Generalversammlungen ruhig
-und sachlich, und wenn die Aktionäre auch durch sie keinen Einfluß auf
-die Verwaltung zu gewinnen vermochten, so waren diese Tage doch für
-die Besucher nicht selten recht interessant und lehrreich, und diese
-konnten stets die Beruhigung mit davon tragen, daß die Verwaltung ihres
-Vermögens in guten Händen sei.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 class="padtop1" id="Kap_16_e">e)</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wenn in der Presse die Unergiebigkeit unseres politischen Lebens, das
-angeblich niedrige Niveau unserer Parlamente und Parlamentsdebatten
-beklagt wird, so empfiehlt man häufig als Abhilfe die Zuwahl unserer
-geistigen und gewerblichen Führer in den Reichstag oder Landtag,
-da man von ihnen glaubt und hofft, daß sie mit ihren anderwärts
-bewährten überlegenen Persönlichkeitswerten auch das parlamentarische
-Leben befruchten, neue und größere Gesichtspunkte in den Kleinkram
-der geschäftspolitischen Verhandlungen bringen könnten. Die Stände
-des Handels und der Industrie haben es auch oft genug beklagt, daß
-ihre Vertreter in den Parlamenten weit spärlicher zu finden seien
-als zum Beispiel Persönlichkeiten aus der Landwirtschaft. Ob die
-so ausgesprochenen Gedanken und Wünsche allgemein betrachtet einen
-berechtigten Kern haben, ist mir stets zweifelhaft gewesen. Die
-Beschäftigung mit der Politik stellt ihre eigenen Ansprüche, fordert
-ihre eigenen Maßstäbe. Nicht geistiges, industrielles oder agrarisches
-Talent ist zu ihrer Ausübung erforderlich, sondern politisches,
-daneben auch politische Leidenschaft. Sie fordert heute bei der Fülle
-der Facharbeit, die im parlamentarischen Leben zu erledigen ist, den
-ganzen Mann, und ist nicht mit den paar beschäftigungslosen oder der
-eigentlichen Beschäftigung abgerungenen Stunden zufrieden, die ihr
-ein auf anderem Gebiete voll in Anspruch genommener Mann etwa widmen
-könnte. Beim Landwirt liegen die Verhältnisse meist etwas anders.
-Die agrarischen Führer sind fast durchweg Berufspolitiker, die aus
-landwirtschaftlichen Kreisen stammen und die Interessengesichtspunkte
-ihrer Herkunft mit in das politische Leben hinüber<span class="pagenum"><a name="Seite_388" id="Seite_388">[S. 388]</a></span>nehmen. Üben
-sie eine landwirtschaftliche Tätigkeit noch aus, so ist sie meist
-nebensächlicher Natur. Es fehlt ihr auch fast stets der schöpferische
-Inhalt, der den großen Industriellen so stark ausfüllt und beansprucht,
-daß er kaum eine seiner Hauptkräfte für eine ganz anders geartete
-politische Tätigkeit einsetzen kann. Für die Richtigkeit dieser
-Ansicht sprechen die Erfahrungen, die wir mit bedeutenden Kaufleuten
-in ihrer parlamentarischen Praxis gemacht haben. In ihrer besten
-schaffenskräftigsten Zeit waren sie nur selten gute, vollgültige
-Politiker. Man wird vielleicht auf Männer wie Hansemann und Camphausen
-verweisen. Aber diese gehörten einer anderen Zeit an. Damals lag
-das wirtschaftliche Leben ganz auf der Linie des politischen. Die
-Wirtschaft wollte frei werden wie der Staatsbürger. Beide hatten
-denselben Weg. Inzwischen ist die wirtschaftliche Freiheit schneller
-zum Ziele gelangt als die politische. Statt nach Zielen orientierte
-sich die Wirtschaft nunmehr nach Interessen. Das war auch auf die
-Stellung der Industriellen nicht ohne Einfluß geblieben. Sie waren
-nun meistens Interessenten, ähnlich wie die Agrarier, nur nicht
-auf einem so geschlossenen und in sich einheitlichen Gebiet wie
-der Landwirtschaft, sondern auf ihrem eigenen Sondergebiete, das
-ja in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht durchaus nicht von
-denselben Interessen beherrscht zu werden brauchte, wie irgend ein
-anderes, nicht minder wichtiges, aber auch nicht minder beschränktes
-Wirtschaftsgebiet. Es gibt Gewerbe, die schutzzöllnerisch sind, andere
-die dem Freihandel zuneigen, es gibt Gewerbe, deren Vertreter politisch
-rechts, andere, deren Vertreter politisch links stehen. Der Hansabund,
-dessen unorganische Zusammensetzung im Gegensatz zu dem homogenen Bund
-der Landwirte schnell zutage trat, ist ein sprechendes Beispiel für
-diese politische Zerfallenheit der Handels- und Industriekreise. Die
-höheren politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte, die früher
-in unserem parlamentarischen Leben zur Geltung kamen, vermochte er
-ebensowenig zurückzubringen, wie das die stärkere Zuwahl bedeutender
-Gewerbetreibender in unsere Parlamente tun könnte, wenn diese nicht
-zugleich einen entwickelten Sinn für Dinge des Gemeinwohls, für
-staatsbürgerliche und staatsgesellschaftliche Interessen hätten.</p>
-
-<p>Emil Rathenau gingen diese Interessen so gut wie völlig ab. Auf seinem
-Fachgebiete universell, in allem Können und Wissen, das<span class="pagenum"><a name="Seite_389" id="Seite_389">[S. 389]</a></span> diesem
-Fachgebiete irgendwie nützen konnte, unbestrittener Meister, schloß
-er sich von Gesichtspunkten und Fragen des Gesamtinteresses fast
-ebenso entschieden ab, wie von den schönen Künsten, den theoretischen
-Wissenschaften und ähnlichen für ihn abseits liegenden Dingen. Sein
-Leben war so ganz von der Sphäre durchdrungen, in der es zur Vollendung
-gelangte, daß er sicher keine Zeit, und ebensowenig Neigung zu Dingen
-hatte, in denen er es höchstens zu halben Resultaten hätte bringen
-können. Die Mehrzahl der <em class="gesperrt">intensiven</em> Schöpfer ist so organisiert,
-ihre Kraft ist an den Boden gebannt, dem sie entwuchs, und nur ganz
-frei und leicht schaffenden Naturen ist es manchmal gegeben, daß ihnen
-ihre Genialität auch auf anders geartete Gebiete folgen darf. Emil
-Rathenau war ein überwiegend naiver Schöpfer, aber darum wurde ihm
-sein Werk nicht leicht. Sein Ringen mit ihm verzehrte alle Kräfte.
-So blieb er denn auch ganz in seinem Werk und dessen Dunstkreise
-befangen. Seine Tätigkeit für gemeinwirtschaftliche Fragen beschränkte
-sich auf eine vorübergehende Gastrolle, die er im Ältestenkollegium
-der Berliner Kaufmannschaft gab. Nach dem Tode seines Sohnes Erich
-zog er sich auch von dieser Tätigkeit und der damit verbundenen
-Geselligkeit zurück. Allgemeine wirtschaftspolitische Anschauungen
-besaß er vielleicht, sie waren aber nach den Interessen seines
-Faches orientiert, ein freies wirtschaftspolitisches Weltbild wurde
-nicht daraus. Er war gegen Kartelle, weil sie der elektrotechnischen
-Industrie nicht „lagen“, er war gegen die hohen Schutzzölle, weil seine
-Industrie einen ausländischen Wettbewerb im Inlande nicht zu befürchten
-brauchte und andererseits stark auf den Export angewiesen war. Er war
-in diesen Dingen Interessent, besaß aber Takt und Selbsterkenntnis
-genug, um seine privatwirtschaftlichen Interessen nicht im Gewande
-des Volkswirts der Allgemeinheit aufzudrängen. Einmal hat er, befragt
-von einer illustrierten Zeitschrift (Illustrierte Zeitung, 27. Januar
-1910), sich über Zollfragen öffentlich ausgelassen. Die Äußerung ist so
-interessant, daß sie hier wiedergegeben werden soll.</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Als Nichtpolitiker möchte ich mich einer Antwort auf die erste Frage
-enthalten, wie sehr ich auch die Bedeutung des darin angeregten
-schiedsgerichtlichen Vertrages für die deutsch-französischen
-Beziehungen und für das gesamte Kulturleben zu schätzen weiß.</p>
-
-<p>Mehr berechtigt halte ich mich zur Beantwortung der zweiten<span class="pagenum"><a name="Seite_390" id="Seite_390">[S. 390]</a></span> Frage,
-die das wirtschaftliche Verhältnis der beiden Länder betrifft. Sie
-bietet mir eine willkommene Gelegenheit, zunächst einige grundsätzliche
-Bemerkungen zu machen. Das unter der Parole „Schutz der nationalen
-Arbeit“ betriebene System hat nunmehr zwar schon eine langjährige
-Geschichte, indes ist damit noch nicht ohne weiteres seine Berechtigung
-erwiesen. Vorteilhafter ist es vielmehr, wenn eine Ware möglichst da
-produziert wird, wo die dafür günstigsten Bedingungen gegeben sind.
-Statt dessen hat es das Schlagwort vom Schutz der nationalen Arbeit mit
-sich gebracht, daß heute nicht mehr bloß jedes Land, sondern auch die
-verschiedenen Städte, ja selbst kleine Gemeinden allerlei herstellen
-möchten, was geeigneter anderwärts und unter anderen Bedingungen
-geschaffen werden kann. Um Produktion und Konsum steht es am besten,
-wenn die denkbar höchste Qualität unter möglichst niedrigen Kosten
-erreicht werden kann. Das läßt sich nur erzielen, wenn die Herstellung
-an dem dafür zweckmäßigsten Orte erfolgt, da, wo sie sich am ehesten im
-großen auf höchster Stufenleiter betreiben läßt. Statt dessen werden
-die Produktionsstätten verengt, wenn die Länder sich gegeneinander
-absperren, und wenn dem Vorbilde, das diese in ihrem Verhalten
-zueinander geben, auch Städte und Gemeinden innerhalb der einzelnen
-Länder folgen.</p>
-
-<p>Dieser Auffassung von den Nachteilen des Schutzzollsystems pflegen
-die Vereinigten Staaten von Amerika als ein Beispiel entgegengehalten
-zu werden, das für die Ersprießlichkeit der Schutzzölle spreche.
-Indes nehmen die Vereinigten Staaten eine Ausnahmestellung ein. Ich
-werde da an eine Begegnung mit Mac Kinley erinnert. Wir sprachen über
-den teueren Lebensunterhalt in Amerika und ich bezeichnete ihn als
-eine nachteilige Wirkung der von Mac Kinley so eifrig vertretenen
-Hochschutzzölle. Er stimmte meiner Verurteilung dieses Systems und
-meiner Befürwortung des freien Handels im Prinzip zu, nur wollte er
-meinen Standpunkt nicht für die Vereinigten Staaten gelten lassen. Sie
-bildeten ein Land für sich, das auf das Ausland nicht angewiesen wäre.
-Amerika sei als eine Art Robinson Crusoe imstande, seine Bedürfnisse
-vom Rohprodukt bis zum letzten Fabrikat selber herzustellen.</p>
-
-<p>Mindestens bis zu einem gewissen Grade ist dieses Urteil Mac Kinleys
-in der Tat berechtigt. Die sich auf achtzig Millionen belaufende
-Bevölkerung der Vereinigten Staaten stellt einen Konsumenten<span class="pagenum"><a name="Seite_391" id="Seite_391">[S. 391]</a></span> von
-ungewöhnlicher Größe dar. Da sie zudem fast völlig einheitlich in ihrer
-Sprache, ihren öffentlichen Einrichtungen und ihren Lebensgewohnheiten
-ist, hat sie mehr als die Bevölkerung anderer Länder die Möglichkeit,
-ihre Bedürfnisse durch Massenfabrikation zu befriedigen. Indem damit
-der Arbeit der Maschine ein so viel größerer Spielraum gewährt ist,
-wird die Produktion durch die Höhe der Löhne für menschliche Arbeit
-nur verhältnismäßig wenig benachteiligt. Die übrigen Produktionsmittel
-aber stehen dem Lande in der größten Mannigfaltigkeit und Fülle zur
-Verfügung.</p>
-
-<p>Anders die europäischen Länder. Deutschland mit seinen sechzig,
-Frankreich mit vierzig Millionen Einwohnern bleiben in der
-Bevölkerungszahl hinter der amerikanischen stark zurück. Dazu ist die
-Bevölkerung und damit auch die Befriedigung ihrer Bedürfnisse hier um
-vieles differenzierter. Und weiter ist keines dieser Länder mit den
-vielseitigen und reichen Naturschätzen bedacht, die den Vereinigten
-Staaten beschieden sind. In Frankreich ist, da es über Kohle und
-Erz nur in relativ unzureichenden Mengen verfügt, der Betrieb von
-Gewerben, in denen es auf Massenfabrikation ankommt, erschwert. Er ist
-vergleichsweise so viel mehr für Deutschland geeignet, dem jene Roh-
-und Hilfsmaterialien in umfassender Menge zu Gebote stehen. Hinwiederum
-sind Frankreich in manchen seiner Weine und in deren vorzüglicher
-Kultur, sowie in dem durch jahrhundertlange Tradition überlegenen
-Kunst- und Luxusgewerbe Produktionszweige gegeben, in denen es berufen
-ist, die Bedürfnisse des Auslandes, unter anderm auch die Deutschlands,
-zu befriedigen.</p>
-
-<p>Aus dieser meiner Auffassung ergibt es sich als selbstverständlich,
-daß ich alle Schritte, die das bisherige handelspolitische Verhältnis
-Deutschlands zu Frankreich bessern könnten, mit voller Sympathie
-begrüße. Da die hier veranstaltete Umfrage die Anregung gibt, „in
-einem bestimmten Punkte Vorschläge zu machen“, liegt es mir nahe, im
-Hinblick auf etwaige Besprechungen zwischen den beiden Regierungen
-Frankreich darauf hinzuweisen, von welcher Bedeutung es für die
-französische Bevölkerung wäre, wenn ihr die Möglichkeit geboten würde,
-elektrotechnische Fabrikate, für deren Herstellung in Deutschland die
-günstigeren Voraussetzungen bestehen, billiger und leichter, als es
-bisher möglich ist, zu beziehen.</p>
-
-<p>Die deutsche Elektrotechnik nimmt in Europa eine führende<span class="pagenum"><a name="Seite_392" id="Seite_392">[S. 392]</a></span> Stellung
-ein. Der Vorsprung, den sie erreicht hat, läßt sich anderwärts in
-absehbarer Zeit nicht einholen. Es wäre demnach natürlich, daß die
-Nachbarländer sich die Leistungen der deutschen Elektrizitätsindustrie
-zunutze machten, zumal es keinerlei Beschäftigung oder Beruf gibt, in
-denen die Elektrizität nicht in irgend einer Weise Verbesserungen der
-Arbeits- und Lebensbedingungen mit sich bringt. Für die Erzeugnisse
-der elektrotechnischen Industrie besteht aber zwischen Frankreich und
-Deutschland keine handelsvertragliche Verständigung. Die Zollschranke,
-die Frankreich zwischen sich und der Schweiz aufgerichtet hat, und die
-die elektrotechnische Industrie im besonderen Grade trifft, gilt laut
-Vertrag vom Jahre 1871 unter der Bezeichnung einer „Meistbegünstigung“
-auch für die deutsche Einfuhr nach Frankreich. Wenn ein Handelsabkommen
-zwischen Deutschland und Frankreich zustande käme, das den Erzeugnissen
-der deutschen Elektrotechnik die französische Grenze öffnete, würde
-Frankreich damit die Teilnahme an den Fortschritten der Industrie
-erleichtert werden. Für den Vorteil, der sich daraus zugleich für
-Deutschland ergäbe, könnten Frankreich Zugeständnisse bei der Einfuhr
-seiner Weine und kunstgewerblichen Fabrikate gemacht werden. Das hätte
-auch für Deutschland den Vorteil, daß die Lebensfreude hier durch die
-Erzeugnisse Frankreichs gehoben würde.</p>
-
-<p>Statt daß die Lebenshaltung des einen Landes durch die Zollmauer, die
-es von dem andern trennt, niedergehalten wird, schüfe ein auf der
-Grundlage freieren Warenaustausches sich aufbauendes Handelsabkommen
-eine Harmonie der Interessen, die hier und dort Arbeit und Genuß
-mehrten und erleichterten.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Wir sehen also: Am Anfang ganz gescheite, wenn auch nicht
-übermäßig originelle Ausführungen prinzipieller Natur. Sobald
-aber die Nutzanwendung kommt, steuern sie in das Fahrwasser
-einer Interessenpolitik, die nur auf den Nutzen für die eigene
-Industrie, nicht auf eine wirklich tief durchdachte und objektive
-wissenschaftliche Begründung Wert legt. Hätte Emil Rathenau, als er zu
-schaffen anfing, den Vorsprung, den sich damals Amerika und England in
-der elektrotechnischen Industrie errungen hatten, als etwas gegebenes
-hingenommen und auf eine eigene Betätigung in dieser Industrie
-verzichtet, so würde er nie die A. E. G. geschaffen und zu der ersten
-Elektrizitätsgesellschaft der Welt gemacht haben.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_393" id="Seite_393">[S. 393]</a></span></p>
-
-<h3 class="padtop1" id="Kap_16_f">f)</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wie ist Emil Rathenau, der die <em class="gesperrt">Sachen</em> im allgemeinen so
-trefflich zu behandeln verstand, nun mit <em class="gesperrt">Menschen</em> umgegangen?
-&mdash; Man könnte vielleicht sagen: Wie mit den Sachen, &mdash; wenn dem Worte
-nicht ein gewisser herabsetzender Beiklang von Gefühllosigkeit,
-von Herzenskälte innewohnte, der in Rathenaus Art, mit Menschen zu
-verkehren, vielleicht manchmal, aber durchaus nicht immer enthalten
-war. Rathenau konnte kühl und uninteressiert, ja schroff und ablehnend
-sein, aber er war durchaus keiner von den Menschen, die über Leichen
-gehen. Er hatte darum für eine so ausgesprochene Eroberernatur
-eigentlich wenig persönliche Konflikte. Er war Gefühlsregungen
-keineswegs unzugänglich und Personen gegenüber, die ihm menschlich
-nahe standen, sogar großer Zartheit fähig. Man konnte seine Art,
-Menschen zu behandeln, eher „sachlich“ nennen, wenn diese Sachlichkeit
-nicht gelegentlich durch persönliche Stimmungen, Gereiztheiten und
-sogar Ungerechtigkeiten getrübt worden wäre. Am besten wird man sein
-Verhältnis, seinen Umgang mit Menschen vielleicht mit dem Worte
-„direkt“ kennzeichnen. Er kannte im Verkehr mit Menschen keine
-Umschweife, keine Nebenwege, keine Umhülltheiten, mit einem Worte keine
-Indirektheiten. Er hielt mit nichts zurück, und täuschte nichts vor.
-Er sagte ehrlich, was er dachte, war in Lob und Tadel, in Anerkennung
-und Kritik offen. Rücksichten auf Stand, Rang und Alter nahm er dabei
-nicht, und er hat einmal &mdash; wie mir ein Augenzeuge berichtete &mdash; eine
-hochgestellte Persönlichkeit seines Konzerns, einen Exzellenzherrn
-in Gegenwart von dritten ziemlich brüsk zur Rede gestellt, weil
-dieser eine von ihm übernommene Aufgabe nicht zu seiner Zufriedenheit
-ausgeführt hatte. Aber so sehr sein Tadel verletzen konnte, so tief
-konnte sein Lob beglücken. Für Mitarbeiter, die viel mit ihrem Chef in
-Berührung kamen, gab es keine schönere Belohnung als eine Anerkennung
-des Meisters, nicht nur deswegen, weil sie selten war, sondern weil
-er ihr oft eine menschlich-warme, den Belobten innerlich berührende
-Form zu geben verstand. Eine so direkte Art der Menschenbehandlung
-war natürlich für das kaufmännische <em class="gesperrt">Verhandeln</em> nicht unter
-allen Umständen geeignet. Delikate Besprechungen, in denen zunächst
-sondiert werden mußte, in denen es darauf ankam, vorerst einmal nicht
-das ganze Ziel, die letzte Absicht, das<span class="pagenum"><a name="Seite_394" id="Seite_394">[S. 394]</a></span> eigentliche Interesse zu
-zeigen und aus dem Gegner, der sich ebenso vorsichtig, abwartend
-und berechnend verhielt, trotzdem das Wissenswerte herauszuholen,
-lagen ihm im allgemeinen nicht. Auch Verhandlungen, bei denen der
-Kontrahent nicht durch sachliche Gründe, sondern durch politische
-List, nicht durch den Inhalt, sondern durch die Form des Gesprächs
-gewonnen werden sollte, verstand Emil Rathenau, trotzdem er am
-Schreibtisch und im monologischen Denkprozeß nicht nur klug, sondern
-auch schlau zu argumentieren vermochte, nicht übermäßig gut zu
-führen. Der <em class="gesperrt">Mensch</em>, der ihm gegenüber saß, zwang ihn mehr oder
-minder rasch zur Offenbarung seiner Karten. Die Ursprünglichkeit, die
-Ungeduld, das Endziel zu erreichen, sprengten den zurückhaltenden
-Gang umhüllter Unterredungen. Emil Rathenau vermochte im Gespräch
-schlagend, aber nicht ebenso schlagfertig zu sein. Während er im
-uninteressierten Fachgespräch gut zu plaudern verstand, waren für
-Einleitungsverhandlungen zu konkreten Geschäften andere im Konzern
-besser geeignet als er. Denn er sagte hier, wie auch in Zweckgesprächen
-mit Konkurrenten, Vertretern von Behörden usw. zu schnell und zu
-offen, alles was zu sagen und manchmal besser auch nicht zu sagen war,
-wie er denn überhaupt der Ansicht war, daß gute Geschäfte nur solche
-seien, die beiden Kontrahenten zum Vorteil gereichten. Vorsichtig
-zu behandelnde Einleitungsbesprechungen ließ er denn auch meist von
-seinen Direktoren oder von seinem Sohn Walther führen. Standen die
-Dinge aber so, daß eine offene Aussprache am besten zum Ziele führen
-konnte, das heißt handelte es sich um Geschäfte, die überhaupt ganz auf
-diese Weise erledigt werden konnten, oder waren die Erörterungen bei
-anderen Geschäften über das Stadium des Parlamentierens hinausgelangt,
-so war Emil Rathenau der richtige Mann. Dann wurde er zum glänzenden
-Verhändler. Kurz, sachlich, bestimmt formulierte er seinen Standpunkt,
-machte die Konzessionen, die er machen konnte, feilschte nicht viel und
-blieb unbeirrbar bei der Sache. Für Leute, die gleichfalls sachlich zu
-diskutieren verstanden, war es ein Vergnügen mit ihm zu verhandeln,
-eine Leichtigkeit, mit ihm ins Reine zu kommen. Aber auch Abschweifende
-zwang er durch die Suggestion seiner Art und Persönlichkeit gleichfalls
-bald zur Sache.</p>
-
-<p>Ein <em class="gesperrt">schneller</em> Menschenkenner war Emil Rathenau nicht. Dazu
-war er zu vertrauensvoll und darum anfänglich stets geneigt,<span class="pagenum"><a name="Seite_395" id="Seite_395">[S. 395]</a></span> die
-Menschen als das zu nehmen, was sie selbst darstellen und scheinen
-wollten. Seine Naivität veranlaßte ihn, nicht nur die Menschen
-direkt zu <em class="gesperrt">behandeln</em>, sondern sie auch direkt, das heißt ohne
-Hintergedanken zu <em class="gesperrt">beurteilen</em>. So kam es, daß ihm auch ein
-weniger wertvoller Mensch anfänglich zu interessieren, zu gefallen, ja
-zu imponieren vermochte. Niemand konnte ihn aber auf die Dauer über
-seinen Wert täuschen. Eine nähere Bekanntschaft offenbarte Rathenau
-bald die wirkliche Natur und Fähigkeit eines Menschen, und wenn er
-diese einmal als unzulänglich erkannt hatte, so war er für allezeit mit
-ihrem Besitzer fertig. Auf eine nachträgliche Revision seines Urteils
-ließ er sich nur höchst selten ein. Dies führte dazu, daß er &mdash; der
-im allgemeinen die Menschen richtig und gerecht einschätzte &mdash; in
-Ausnahmefällen auch einmal aus Vorurteil oder Eigensinn einem Menschen
-unrecht tat. Las er meist auch nicht so schnell in Menschenseelen
-wie andere sogenannte gute Psychologen, so las er doch häufig tiefer
-und gründlicher als diese. Ungewöhnliche Menschen, auch wenn sie
-ihre Eigenart noch nicht greifbar bekundet hatten, vielleicht selbst
-nicht einmal kannten, hat er nicht selten entdeckt, gefördert und an
-die richtige Stelle gesetzt. Als der Professor an der technischen
-Hochschule <em class="gesperrt">Klingenberg</em> mit einem in der Konstruktion nicht
-gerade gelungenen Automobilmotor zu Rathenau kam, erkannte dieser im
-Gespräch, welche ungehobenen Schätze technischer Praxis in diesem
-akademischen Professor schlummerten, und ohne langes Besinnen forderte
-er ihn zum Eintritt in die Direktion der A. E. G. auf, in der sich
-Klingenberg ganz so bewährte, wie es Rathenau vorausgesehen hatte.
-Seine Mitarbeiter suchte und erzog er sich auf ganz individuelle Weise,
-und zwar individuell für ihn wie für die anderen. Wenn irgend ein Platz
-zu besetzen, irgend eine Aufgabe zu lösen war, so schaffte er sich
-die Personen hierzu nicht nach dem System, das leider sonst vielfach
-in der Industrie üblich ist, wo man bekannte Fachkräfte durch das
-Angebot eines höheren Gehalts einfach aus ihrem früheren Wirkungskreis
-fortengagiert. Ein derartiges System, bei dem schließlich nicht nur
-Tenoristen-, sondern fast Bankdirektorengehälter für sogenannte erste
-Fachkräfte üblich wurden, hat er seiner Konkurrenz oft vorgeworfen.
-„Auf solche Weise ist es kein Kunststück, Leute zu bekommen,“ hat er
-mir selbst einmal geklagt. Er selbst ging ganz anders zu Werke. Er nahm
-nicht notwendigerweise für einen freigewordenen<span class="pagenum"><a name="Seite_396" id="Seite_396">[S. 396]</a></span> Posten oder eine zu
-lösende Aufgabe &mdash; abgesehen von Ausnahmen, bei denen die Zeit drängte,
-oder es eine besondere Spezialität unbedingt verlangte, &mdash; einen gerade
-auf diesem Gebiete bewährten oder bekannten Fachmann, es sei denn,
-daß er ihn ebenso leicht wie einen anderen bekommen und ihn ebensogut
-brauchen konnte. Er suchte sich vielmehr unter seinen Leuten denjenigen
-aus, der ihm für diese Sache die beste Eignung zu besitzen schien, auch
-wenn er sich erst in das neue Gebiet einarbeiten mußte. Fähigkeiten,
-nicht Vorkenntnisse waren für ihn ausschlaggebend und er wußte, daß
-Frische, Unbefangenheit, die Gabe, sich eine Materie während der Arbeit
-zu erobern, manchmal wertvoller sind als Wissen, das zur Routine
-geworden ist. Er kannte seine Mitarbeiter genau, schematisierte nicht
-mit Menschen und suchte jeden nach seiner Individualität, nach der Art,
-nicht nur nach dem Maß seiner Leistung zu beschäftigen.</p>
-
-<p>Emil Rathenau hatte das Glück, schon bei der Gründung oder kurz nach
-der Gründung seines Unternehmens Mitarbeiter zu finden, die ihm und
-seiner Gesellschaft ihr ganzes Leben lang treu blieben und so eng mit
-ihr verwuchsen wie er selbst. Daß Deutsch, Mamroth oder Jordan jemals
-hätten aus der A. E. G. ausscheiden, eine andere Stellung suchen oder
-annehmen können, ist ein Gedanke, der allen Beteiligten wohl absurd
-vorgekommen wäre. Diese treue und gute Kameradschaft, die auf der
-Arbeit an der gemeinsamen großen, unter ihren Händen aufblühenden
-Sache, aber auch auf der gegenseitigen Achtung vor der Persönlichkeit
-der anderen beruhte, spricht gleicherweise für den menschlichen Wert
-Rathenaus wie seiner Mitarbeiter. Tüchtige, energische Charaktere von
-eigener Prägung und starkem Wuchs gruppierten sich um den Mittelpunkt
-des Genies, dessen Überlegenheit alle anerkannten, das aber auch
-ihnen Spielraum und Entwickelungsfreiheit für ihre Kräfte gewährte.
-Die Stärke des Vorstandes der A. E. G., sagte mir einmal eines seiner
-Mitglieder, liegt in ihrer seltenen, nicht herbeigeführten, sondern
-„gewordenen“ <em class="gesperrt">Homogenität</em>. Da war stets ein vollständiges
-Gleichgewicht in dem Verwaltungskörper vorhanden, niemand drängte
-sich vor, niemand blieb zurück, nichts verschob sich, nichts
-mußte verschoben werden. Palastrevolutionen, innere Konflikte und
-Auseinandersetzungen &mdash; abgesehen von Meinungsverschiedenheiten wegen
-sachlicher Fragen &mdash; gab es nicht. Eifersucht, Neid, Intriguen,
-persönliche Motive trugen<span class="pagenum"><a name="Seite_397" id="Seite_397">[S. 397]</a></span> keine Verwirrung in den Geschäftsgang. Die
-geschäftliche Arbeit spielte sich auf dem Untergrund langjähriger
-persönlicher Freundschaft ab. Viele Jahre hindurch wohnte Emil Rathenau
-mit Deutsch und Mamroth zusammen in einem Hause am Schiffbauerdamm,
-ganz nahe den alten und nicht fern den neuen Geschäftsräumen, Rathenau
-im ersten, Deutsch und Mamroth im zweiten Stockwerk. Rathenau in
-seiner Einfachheit hätte die alte Wohnung vielleicht nie aufgegeben.
-Aber die Kollegen zogen fort, erbauten sich eigene Villenhäuser.
-So entschloß sich denn auch Rathenau als Siebzigjähriger zum Bau
-eines eigenen Hauses in der Viktoriastraße, auf dem Grundstück,
-das seinen Eltern, zuletzt seiner Mutter, gehört hatte und das er
-durch das danebenliegende erweiterte. Pietät gegen einen geliebten
-Menschen erleichterte ihm den Bruch mit der Pietät gegen die gewohnte
-Heimstätte. Um den Umständlichkeiten, den Gemütsbewegungen des Umzuges
-zu entgehen, reiste er nach Wien, als schwerkranker Mann kehrte er
-zurück und kurz, nachdem er sein neues Heim bezogen hatte, mußte er
-sich zur Beinamputation entschließen.</p>
-
-<p>Die Organisation des Vorstandes der A. E. G. ist, wie ich schon sagte,
-nicht geschaffen worden, sie hat sich historisch entwickelt und ist
-gerade darum so innerlich organisch geworden. Es wird von Interesse
-sein, sie nachstehend in der Form, zu der sie sich in den letzten
-Jahren Rathenaus entwickelt hatte, zu schildern.</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>1. <em class="gesperrt">Deutsch</em>:</p>
-
-<p class="p0 mleft3">System der inländischen und ausländischen Zweiganstalten.
-Installation und Fabrikation im Auslande. Organisation
-der 300 Filialen, Installations- und Ingenieurbureaus. &mdash;
-Großinstallationsgeschäft, soweit es von Berlin aus geleitet wurde,
-also Einrichtung von Stationen für Berg- und Hüttenwerke, Fabriken
-usw. (Privatanlagen). Fertigstellung der Jahresbilanz (nicht
-Buchwesen). Sozusagen Minister des Äußeren.</p>
-
-<p>2. <em class="gesperrt">Mamroth</em>:</p>
-
-<p class="p0 mleft3">Wiederverkaufsgeschäft, Warenhandelsgeschäft, Buchführung,
-Kasse, Gelddispositionen (Anlage der flüssigen Gelder,
-Bankguthaben), Überwachung der Betriebsgesellschaften (nicht der
-Trustunternehmungen). &mdash; Sozusagen Minister des Inneren.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_398" id="Seite_398">[S. 398]</a></span></p>
-
-<p>3. <em class="gesperrt">Jordan</em>:</p>
-
-<p class="p0 mleft3">(früher im Patentamt tätig, leitete zuerst das Patentbureau der A.
-E. G.) Leitung der gesamten Fabriken der A. E. G. mit Ausnahme des
-<em class="gesperrt">Kabelwerks</em>, und ausschließlich derjenigen Fabriken, die an
-ausländische Zweiganstalten angegliedert waren. Arbeiterwesen.</p>
-
-<p>4. Prof. <em class="gesperrt">Klingenberg</em>:</p>
-
-<p class="p0 mleft3">Bau der Zentralstationen für eigene und fremde Rechnung.</p>
-
-<p>5. Baurat <em class="gesperrt">Pforr</em>:</p>
-
-<p class="p0 mleft3">Elektrische Bahnen.</p>
-
-<p>6. <em class="gesperrt">Emil Rathenau</em>:</p>
-
-<p class="p0 mleft3">Vereinheitlichung und Kontrolle der Geschäftspolitik, Kontrolle
-der Finanzinvestitionen, technische Politik, wie Aufnahme
-neuer Fabrikationszweige, ferner besondere Mitwirkung beim
-Bahnengeschäft, beim juristischen, litterarischen und Patentbureau.
-Das Kabelwerk, das Erich Rathenau geleitet hatte, übernahm
-nach dessen Tode Emil Rathenau aus Pietät. &mdash; Vertretung der
-Gesellschaft in ihren Ausstrahlungen, Finanzbeteiligungen
-(Aufsichtsräten) in erster Linie E. <em class="gesperrt">Rathenau</em>, unterstützt
-durch Dr. Walther Rathenau und daneben durch Deutsch, Mamroth
-und Klingenberg. &mdash; Fusionsunternehmungen behandelte E. Rathenau
-mit Dr. Walther Rathenau, Elektrobankunternehmungen Dr. Walther
-Rathenau allein.</p>
-
-</div>
-
-<p>Diese Organisation des Vorstandes erwies sich als außerordentlich
-glücklich und leistungsfähig.</p>
-
-<p>„Wir bewältigen damit einen Umsatz von 300 Millionen Mark, wir können
-ebenso gut damit einen Umsatz von einer halben, ja einer ganzen
-Milliarde kontrollieren,“ sagte einmal Deutsch zu einem Frager.</p>
-
-<p>Bei einem Vorstande, der aus so starken Persönlichkeiten
-zusammengesetzt ist, bei einer Gesellschaft, die sich zudem geldlich
-so unabhängig zu halten verstand wie die A. E. G., ist die bestimmende
-geschäftliche Mitwirkung des <em class="gesperrt">Aufsichtsrats</em> natürlich nur
-verhältnismäßig gering. Abgesehen von den gesetzlichen Funktionen,
-die er zu erfüllen hat, sind seine Aufgaben im wesentlichen
-dekorativer Natur, nicht in leer repräsentativer Bedeutung, sondern
-in<span class="pagenum"><a name="Seite_399" id="Seite_399">[S. 399]</a></span> dem Sinne einer Zusammenfassung und Wiederspiegelung wichtiger
-geschäftlicher Beziehungen, die das Unternehmen mit anderen Industrie-
-und Kapitalmächten verbinden. Eine intensive Arbeitsleistung kann ein
-Kollegium von 30 Mitgliedern, das fast schon ein kleines Parlament
-ist und sich nur ein paar Mal im Jahr vollständig versammeln wird,
-naturgemäß nicht vollbringen. Es waren wohl auch zu vielerlei
-Interessen in ihm vertreten, als daß diesem Kollegium ein allzutiefer
-Einblick in alle Geschäftsdetails gegeben werden konnte. Neben den
-Vertretern fast aller Großbanken gehörten Repräsentanten solcher
-Unternehmungen dem Aufsichtsrat der A. E. G. an, die in einer
-hervorragenden Geschäftsverbindung mit ihr standen, so Albert Ballin
-von der Hamburg-Amerika-Linie, Ministerialdirektor a. D. Micke und
-später Dr. Wussow von der Großen Berliner Straßenbahn, ferner die
-Vertreter der früher mit der A. E. G. fusionierten Konzerne der
-„Union“, der Lahmeyerwerke, der Felten &amp; Guilleaume-Gesellschaft.
-Auch die beiden großen Berliner Kohlenhändler Eduard Arnhold in
-Firma Caesar Wollheim und Fritz von Friedländer-Fuld waren in
-ihm vertreten. Als Fachleute, die für eine industrie-technische
-Kontrolle in Betracht kamen, konnten eigentlich nur die früheren,
-inzwischen in den Aufsichtsrat gewählten Vorstandsmitglieder und
-einige wissenschaftliche Praktiker oder Konstrukteure, wie Geheimrat
-Dr. Kirchhoff und bis zu seinem Tode v. Hefner-Alteneck gelten. Den
-Vorsitz im Aufsichtsrat führten nach Georg v. Siemens Ausscheiden zwei
-Exzellenzen, zuerst der preußische Staatsminister a. D. Herrfurth,
-dann der Staatssekretär a. D. Hollmann, Repräsentationsfiguren, die
-offenbar Beziehungen zu Regierungskreisen herstellen sollten und in
-dieser Hinsicht auch wertvolle Dienste leisten konnten, namentlich
-in einer Zeit, in der die A. E. G. als jüngeres Unternehmen noch mit
-dem alten Ruhm und Ruf, den die Konkurrenzfirma Siemens &amp; Halske
-namentlich bei Behörden sich erhalten hatte, ringen mußte. Der
-eigentlich geschäftsführende Vorsitzende war in jenen Zeiten Carl
-Fürstenberg, der finanzielle Vertrauensmann und Freund Emil Rathenaus,
-der den Titel eines stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden
-führte. Nach dem Ausscheiden Hollmanns wurde Dr. Walther Rathenau
-Aufsichtsratsvorsitzender der Gesellschaft und erhielt nach dem Tode
-Emil Rathenaus als solcher den Titel Präsident der A. E. G. Mit diesem
-war eine ausgedehnte und<span class="pagenum"><a name="Seite_400" id="Seite_400">[S. 400]</a></span> dauernde Arbeitsstellung verbunden, in die
-ein Teil der früher von Emil Rathenau erfüllten Obliegenheiten, u. a.
-die Zusammenfassung der Gesamtpolitik der A. E. G., eingebracht wurde,
-während den anderen Teil der Vorsitzende des Direktoriums Geheimrat
-Felix Deutsch übernahm.</p>
-
-<p>Die ungewöhnliche und geistig leitende Stellung, die dem einzig
-überlebenden Sohne Emil Rathenaus in der von diesem geschaffenen,
-aber doch längst über die Grenzen eines persönlichen und privaten
-Unternehmens hinausgewachsenen Gesellschaft von den bewährten
-Mitarbeitern des Gesellschaftsgründers bereitwillig eingeräumt wurde,
-findet ihre hinreichende Erklärung nicht in einem traditionellen
-Erbgange, nicht in dem Streben nach einer Fortführung der „Dynastie
-Rathenau“ aus dekorativen Gründen. Dem verständnisvollen Leser dieses
-Buches braucht nicht gesagt zu werden, daß nur <em class="gesperrt">sachliche</em> Gründe
-zu verantwortlichen Stellungen in der A. E. G. führen, daß solche
-Stellungen nicht ererbt werden konnten, sondern erworben werden mußten.
-Um den Nachweis für die Richtigkeit dieser Ansicht zu führen, aber auch
-deswegen, weil es für das Charakterbild des Vaters nicht ohne Wert sein
-kann, wenn dem Wesen und Wirken der Kinder &mdash; ebenso wie dem der Eltern
-&mdash; nachgegangen wird &mdash;, wollen wir uns mit den Gestalten der Söhne
-Emil Rathenaus an dieser Stelle kurz befassen. Der Anteil, den sie an
-der Schöpfung des Vaters genommen haben, war nicht gering; er war auch
-nicht äußerlich und zufällig, sondern innerlich und sozusagen organisch.</p>
-
-<p>Emil Rathenaus Söhne sind beide keine Epigonennaturen gewesen. Sie
-haben ihr Licht nicht nur von dem väterlichen Gestirn erhalten, sondern
-durch ausgeprägte Eigenleistungen gezeigt, daß die Kraft des Stammes,
-die das Genie des Vaters formte, in ihnen nicht ermüdete, sondern
-lebendig blieb. Der jüngere von ihnen, <em class="gesperrt">Erich</em> Rathenau ist an der
-Schwelle der Mannesjahre einem tückischen Leiden erlegen, das ihn schon
-in den Knabenjahren befiel. Wohl kein Ereignis seines Lebens hat den
-Vater so schwer getroffen, wie dieses Leiden und dieser Tod, es hat ihn
-jahrelang der Geselligkeit und eine Zeitlang fast dem Werke entfremdet.
-Erich Rathenau wird von allen, die ihn kannten, als ein gradliniger,
-schlichter und gütiger Mensch geschildert. Er hatte ohne Zweifel das
-Zeug zu einem hervorragenden Techniker. Das Kabelwerk der A. E. G.,
-das<span class="pagenum"><a name="Seite_401" id="Seite_401">[S. 401]</a></span> er leitete, hat er zur Vollendung entwickelt. Es war keine Phrase,
-wenn Emil Rathenau, als ihm in einer Generalversammlung vorgeworfen
-wurde, daß er nun auch noch seinen zweiten Sohn in den Vorstand der A.
-E. G. berufen lasse, sein Vorgehen in folgender Weise begründete: „Dem
-tüchtigen Fachmann Erich Rathenau sind von der Konkurrenz so glänzende
-Anerbietungen gemacht worden, daß es besonderer Gegenleistungen seitens
-der A. E. G. bedarf, um ihn zu halten.“</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Walther</em> Rathenau, sein älterer Bruder, ist eine kompliziertere
-Natur. Auch er ging vom Technischen aus. Als Ingenieur war er
-in schaffender Weise an der Ausbildung der elektrochemischen
-Arbeitsgebiete der A. E. G. beteiligt, baute und leitete sieben
-Jahre hindurch die drei Fabriken der Elektrochemischen Werke G. m.
-b. H., deren Chlorverfahren er selbständig entwickelt hatte. Im
-Jahre 1899 trat er in den Vorstand der A. E. G., übernahm dort die
-Abteilung „Zentralenbau“ und führte insbesondere das Baugeschäft
-für fremde Rechnung, das vorher etwas vernachlässigt worden war,
-zu ansehnlichem Wachstum. Im Jahre 1901 wurde er mit Karl Frey
-Administrateur der Elektrobank in Zürich, deren Geschäftskreis er ganz
-selbständig verwaltete und deren Geschäftsmethoden er reformierte;
-eine Tätigkeit, die ihn zu weitgehender Mitwirkung an dem Aufbau
-des Trust- und Finanzsystems der A. E. G. berief und fähig zeigte.
-Die Besserung der Beziehungen zu der Konkurrenzfirma Siemens &amp;
-Halske, die eine Verständigung über das Zentralengeschäft und die
-Bildung des Kabelkartells ermöglichte, hat er durch ausgesprochenes
-Verhandlungsgeschick angebahnt. Besonders war seine Hand bei den
-großen Ausdehnungsgeschäften der A. E. G. zu spüren. Die Aufnahme
-der Schuckert-Gesellschaft, für die er sich nach gründlicher
-Untersuchung der Verhältnisse entschieden ins Zeug legte, konnte
-er im Vorstandskollegium nicht durchsetzen. Dieses Schicksal eines
-persönlichen Projektes, dessen Mißlingen er als einen großen und
-dauernden Verlust für die A. E. G. ansah, veranlaßte ihn im Jahre 1902
-aus dem Vorstand der A. E. G. auszuscheiden und einer Aufforderung
-Karl Fürstenbergs zu folgen, in die Berliner Handelsgesellschaft als
-Geschäftsinhaber einzutreten. Aber auch nach seinem Austritt blieb
-Walther Rathenau in enger Fühlung mit der A. E. G., zumal da er seine
-Stellung als Administrateur der Elektrobank beibehielt. Bei der
-Verschmelzung der<span class="pagenum"><a name="Seite_402" id="Seite_402">[S. 402]</a></span> A. E. G. mit der „Union“ wirkte er in weitgehender
-Weise mit; den Zusammenschluß mit dem Lahmeyer-Konzern, der ja von der
-Elektrobank seinen Ausgang nahm, hat er fast selbständig entworfen,
-desgleichen die erst nach dem Tode Emil Rathenaus eingeleitete Serie
-der B. E. W.- und Elektrowerke-Transaktionen, durch die die Berliner
-Elektrizitätswerke Akt. Ges. nach der Verstadtlichung ihrer Berliner
-Zentralen durch Überführung des größten Teils der Aktien mit der A.
-E. G. nahe verbunden und dann von dem ihr zur Last gewordenen Besitz
-an den Elektrowerken in Bitterfeld befreit wurde. Bei allen diesen
-Entwürfen kamen ihm sein Sinn für die Architektur großer Transaktionen
-und seine konstruktive Begabung zustatten, die er während des Krieges
-in noch größerem Rahmen bei der Rohstoffsicherung für die Zwecke des
-deutschen Heeresbedarfs erweisen konnte.</p>
-
-<p>Hatte sich in Erich Rathenau die naive Seite des väterlichen
-Charakters fortentwickelt, so war Walthers Erbteil die Größe und
-Schärfe des Denkens. Eine Erscheinung von ausgesprochener und sehr
-bewußter Geistigkeit, die sich nicht auf das Fachgebiet des Vaters
-oder das eigene beschränkte, sondern die allgemeinen Probleme des
-wissenschaftlichen, künstlerischen und gesellschaftlichen Lebens ihrer
-Zeit in den Brennspiegel ihrer Persönlichkeit zog. Die nicht nur in
-den <em class="gesperrt">Schaffens-</em>, sondern auch in den <em class="gesperrt">Lebensformen</em>, mit
-denen der Vater, wie wir gesehen haben, im Kleinbürgertum seiner
-Herkunft haften geblieben war, frei zum Weltbürgertum emporwuchs
-und darum ihrer Geistigkeit auch Kultur zu geben verstand. Daß eine
-solche Entwickelung auch zu schriftstellerischer Betätigung drängen
-mußte, ist verständlich. An dieser Stelle das Bild des Schriftstellers
-Walther Rathenau und seines litterarischen Schaffens zu zeichnen, ist
-unmöglich. Aber wenn wir feststellen, daß er Tiefe des Gedankens mit
-einer ungewöhnlichen Plastik der Darstellungsweise, Originalität der
-Anschauung mit einem sicheren Blick für das Praktische zu verbinden
-weiß, sind wir uns der Zusammenhänge bewußt, die zwischen dem Geist des
-Vaters und dem des Sohnes bestehen.</p>
-
-<p class="center mtop1 mbot2">*&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;&nbsp;&emsp;*<br />
-*</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_403" id="Seite_403">[S. 403]</a></span></p>
-
-<p>Haben wir im Vorstehenden geschildert, wie Emil Rathenau die
-Menschen als einzelne Persönlichkeiten behandelte, so bleibt noch
-zu untersuchen, wie er zu den <em class="gesperrt">Menschengruppen</em>, zu den
-Kollektivpersönlichkeiten stand, mit denen er in Berührung kam.
-Rathenau hatte, wie fast alle bedeutenden Industriellen seiner Epoche,
-keinen ausgesprochenen Sinn und kein unmittelbares Interesse für das
-<em class="gesperrt">Soziale</em>. Er war nicht gerade antisozial, aber er war asozial.
-Das Schicksal der Arbeiter- und Beamtenklasse interessierte ihn nicht
-um dieser Menschenschichten oder um der Menschheit willen, sondern weil
-er mit ihnen zu tun hatte, sie für seine industriellen Zwecke und Pläne
-brauchte. Daß die meisten Industriepolitiker keine Sozialpolitiker
-sind, ist erklärlich. Um ein bedeutender Industriepolitiker zu werden
-und zu sein, braucht man die Arbeit eines ganzen Lebens und oft reicht
-sie nicht einmal dazu hin. Auch die Sozialpolitik braucht ihren ganzen
-Mann. Dazu kommt, daß der Industrielle, der verdienen, das Verhältnis
-zwischen Einnahmen und Ausgaben ständig verbessern will, als größten
-Widerstand auf diesem Wege die ständige Forderung des Arbeiters und
-Beamten nach höherer Entlohnung, höherem Anteil am Produktionsertrag
-findet. Der Fabrikant, dessen Streben in der Gegenrichtung fortdrängt,
-hat es naturgemäß am schwersten, den Standpunkt der arbeitenden Klassen
-zu begreifen. Denn er muß erst sich selbst ausschalten, seine stärksten
-Ichgefühle neutralisieren, ehe er beginnen kann, sich in die Seele des
-Arbeiters einzufühlen. So einfach, so primitiv und brutal darf man
-den Gegensatz natürlich nicht darstellen, als ob die unersättliche
-Geldgier des reichen Produzenten dem armen Arbeiter nicht von seinem
-Überfluß ein Teilchen zur Verbesserung seiner Existenzbedingungen
-abgeben will. Gewiß, auch das hat es häufig gegeben und gibt es wohl
-auch noch. Aber gerade bei industriellen Schöpfernaturen spielt das
-Geld nicht die ausschlaggebende Rolle, sondern die Kalkulation,
-die Ökonomie des Produktionsprozesses, das Gedeihen des Werkes.
-Gerade die tiefsten Verelendungen der Arbeiterklasse hatten ihren
-Ursprung nicht in der Willkür zu reichlich verdienender Fabrikanten,
-sondern in der Verschlechterung der Produktionsbedingungen für den
-Industriellen, häufig sogar in dem Aufkommen neuer überlegener
-Produktionseinrichtungen, die die Herstellung der nach den alten
-Verfahren arbeitenden Unternehmer unrentabel machten und sie zum
-Lohndruck zwangen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_404" id="Seite_404">[S. 404]</a></span></p>
-
-<p>Emil Rathenau hat sich mit der Sozialwissenschaft, die derartige
-soziale Übergangskatastrophen zu verhindern oder doch zu mildern
-suchte, nicht bewußt beschäftigt, ebenso wenig war er allerdings auch
-konsequenter Antisozialist, wie zum Beispiel Kirdorf. Er war in dieser
-Hinsicht, wie in mancher anderen, Unternehmer, Realist und Rationalist
-und suchte mit dem Sozialismus, den er als eine wurzelstarke,
-unausrottbare Bewegung erkannt hatte und mit dem er darum rechnen
-mußte, so gut wie möglich fertig zu werden. Konflikte suchte er so
-lange als möglich zu verhindern, denn er wußte, daß eine Niederlage für
-den Arbeitgeber verhängnisvoll werden konnte, daß ein Sieg die Lage für
-ihn nur auf eine verhältnismäßig kurze Zeit sicherte und den Keim zu
-immer neuen Kämpfen bildete. Dabei war seine Art, der Arbeiterbewegung
-Konzessionen zu machen, keineswegs die alte patriarchalische, die
-sich vorzugsweise an das Gemüt wendet und die auch in ganz großen
-Betrieben, wie zum Beispiel bei der Firma Fried. Krupp noch gepflegt
-wird. Seine Methode war vielmehr eine ganz nüchtern rechnungsmäßige,
-die an den Verstand appelliert und vom Verstande geleitet wird.
-Während der Patriarchalismus manchen Forderungen des Sozialismus,
-rein sachlich betrachtet, entgegenkommt, aber stets betont, daß er
-diese Konzessionen freiwillig, gewissermaßen als Wohltat gewähre, dem
-Arbeitenden jedoch keinen Anspruch auf sie einräumen will, war es
-Rathenau ziemlich gleichgültig, in welcher Form er die Forderungen der
-Arbeiter erfüllte. Wenn er sachlich etwas geben mußte, hielt er sich
-nicht lange bei der Formfrage auf, ob er den Arbeitenden ein Recht
-einräume, oder ob er ihnen ein Geschenk mache. Die Hauptfrage war für
-ihn der rechnerische Effekt, die Einwirkung auf die Ökonomie. Erschien
-diese ihm zu nachteilig, so ließ er es lieber auf den Kampf ankommen,
-ehe er nachgab. Im anderen Falle war er zum Entgegenkommen bereit,
-sofern er den Eindruck hatte, daß der Gegner stark genug war, um einen
-Arbeitskampf wagen zu können. Im allgemeinen huldigte er der Ansicht,
-daß es auch wirtschaftlich zweckmäßig sei, Störungen der industriellen
-Arbeit möglichst zu vermeiden, da sie auch dem Unternehmer häufig mehr
-schaden könnten als Zugeständnisse, die er den Arbeitern machte und die
-vielleicht durch Verbesserung der Arbeitsmethoden wieder ausgeglichen
-werden konnten. Von Arbeitskämpfen<span class="pagenum"><a name="Seite_405" id="Seite_405">[S. 405]</a></span> aus prinzipiellen Gründen wollte er
-nicht viel wissen, und vermied sie, wenn es irgend angängig war.</p>
-
-<p>Naturgemäß haben sich seine Anschauungen und Methoden auch in der
-Arbeiterfrage im Laufe der Zeit verändert und entwickelt. Vor einer
-Reihe von Jahren hielt ihm einmal jemand vor, daß er in der Zeit der
-Hochkonjunktur viele Arbeiter eingestellt habe, die er dann in der
-Periode des Rückschlags nicht behalten konnte. Er erwiderte: „Habe
-ich denn diese Arbeiter alle gezeugt, daß ich <em class="gesperrt">verpflichtet</em>
-bin, sie zu beschäftigen? Wenn ich Arbeit für sie habe und sie zu
-mir kommen, gebe ich ihnen Beschäftigung, habe ich keine Arbeit mehr
-für sie, muß ich sie entlassen.“ &mdash; Von diesem Standpunkt kam er mit
-den Jahren immer mehr ab, je klarer er erkannte, wie vorteilhaft es
-vom geschäftlichen Standpunkt für ein Großunternehmen ist, einen
-dauernden, treuen und geübten Arbeiterstamm zu besitzen. Natürlich
-führte er diese Ansicht nicht bis zu der Konsequenz durch, nun
-überhaupt keinen Arbeiter mehr zu entlassen, auch wenn es für ihn
-an Beschäftigung fehlte. Aber er suchte die Entlassungen möglichst
-einzuschränken, indem er für Arbeiter, deren Tätigkeit auf einem Gebiet
-beendigt war, neue Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen bestrebt war und
-zur Erreichung solcher Zwecke auch Opfer nicht scheute, von denen er
-wußte, daß sie sich später wieder bezahlt machen würden. Übrigens trug
-sein kaufmännisches System, die A. E. G. vor Beschäftigungskrisen
-sicherzustellen und die Produktion auch in schlechten Zeiten konstant
-zu erhalten, naturgemäß dazu bei, auch die Arbeiterverhältnisse in
-ihren Betrieben zu festigen. Entlassungen fanden in späteren Jahren
-weniger in Zeiten des Konjunkturrückganges als infolge der Einführung
-neuer arbeitersparender Produktionsmethoden statt. Hier war aber der
-Arbeiterrückgang meist nur ein ganz vorübergehender, denn solche neuen
-Produktionsmethoden pflegten sehr schnell den Bedarf anzuregen und
-damit auch die Nachfrage nach Arbeitern wieder zu heben.</p>
-
-<p>In der <em class="gesperrt">Angestelltenfrage</em> war der Standpunkt Rathenaus
-grundsätzlich derselbe wie in der Arbeiterfrage. Er stellte sich auf
-den Boden einer nüchternen Tatsachenpolitik, und wenn die Angestellten
-bei ihm trotzdem nicht dasselbe erreichten wie die Arbeiter, so liegt
-das daran, daß ihnen die Macht und Solidarität des Zusammenschlusses
-nicht in demselben Maße zur Seite stand, die ihren<span class="pagenum"><a name="Seite_406" id="Seite_406">[S. 406]</a></span> Forderungen
-denselben Nachdruck hätte geben können wie der Arbeiterschaft. Immerhin
-versuchte er, soweit es bei einem so großen Betrieb möglich ist, den
-tüchtigen Angestellten den Aufstieg aus den niedrigsten Regionen zu
-ermöglichen. Die Verbesserung der sozialen Lage des Durchschnitts ging
-nur schrittweise vor sich.</p>
-
-<p>Ein eigenartiges Kapitel im sozialen Leben Rathenaus betrifft die
-<em class="gesperrt">Frauenarbeit</em>. Er schätzte an Frauen besonders die Weiblichkeit,
-und infolgedessen entsprach seinem Gefühl die Frauenarbeit recht wenig.
-Als ihm aber manche seiner Mitarbeiter rechnerisch überzeugend deren
-Vorteile für das Unternehmen dargelegt hatten, gab er seinen Widerstand
-auf und ließ sogar zu, daß Frauen von der A. E. G. in großem Umfange
-eingestellt wurden. In seinem innersten Empfinden blieb er aber immer
-ungläubig und als einmal in irgend einer Zeitung die Meldung zu lesen
-war, daß die Baltimore- und Ohio-Bahn eine Statistik aufgemacht habe,
-nach der die Bezahlung der Frauen bei dieser Gesellschaft um 30%,
-die Leistung aber um 50% geringer sei als die der Männer, ließ er
-überall nachforschen, um Näheres über diese Statistik zu ermitteln.
-Die Ermittelungen fielen negativ aus und es erwies sich, daß die
-Baltimore-Ohio-Bahn überhaupt keine Statistik dieser Art angefertigt
-habe. &mdash; Die Beamten, die er mit dieser Nachforschung beauftragt
-hatte, waren nicht wenig erstaunt, als Rathenau wenige Tage nachher
-gelegentlich des Empfanges einer Studiengesellschaft eine Rede hielt,
-in der er die Vorteile der Frauenarbeit begeistert pries und mit Stolz
-darauf hinwies, daß bei der A. E. G. schon seit langem die Frauenarbeit
-in großem Maßstabe gepflegt würde.</p>
-
-<p>Im Endeffekt hat natürlich Emil Rathenau, wie jeder andere große
-Entwickeler industrieller Arbeit, auch sozial fördernd gewirkt.
-Industrie schaffen, heißt Arbeit schaffen und die Bedingungen der
-Industrie verbessern, heißt auch die Bedingungen der Arbeit verbessern,
-wenngleich eine zu plötzliche, revolutionierende Verbesserung der
-Industrietechnik vorübergehend auch auf die Arbeiterverhältnisse
-drücken kann. Das von Adam Smith aufgestellte Lohngesetz, nach dem die
-Industrie den Arbeiter stets nur so viel verdienen läßt, daß er gerade
-sein Auskommen finden kann, hat doch heute nicht mehr volle Geltung.
-Die soziale Bewegung, aber auch die großartige Industrieentwickelung
-haben zweifellos in den letzten<span class="pagenum"><a name="Seite_407" id="Seite_407">[S. 407]</a></span> Jahrzehnten dahin gewirkt, die soziale
-Lage zu mindestens des Standes der gelernten Arbeiter zu heben und sie
-der des Kleinbürgertums anzunähern.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 class="padtop1" id="Kap_16_g">g)</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wir sind am Ende. Wir haben versucht, ein Menschenleben in seinem
-Sein und Wirken zu schildern, das ein Heldenleben gewesen ist, wie
-nur irgend eines, wenn ihm auch vielleicht der Schimmer der Romantik
-gefehlt hat. An Kämpfen war dieses Leben reich und reich an Erfolgen.
-Mit dem Leben hatte Emil Rathenau zu ringen, und zuletzt auch mit
-dem Tode. Wer den Invaliden sah, als er sich, von dem ersten Anfall
-der tückischen Krankheit kaum erholt, im Rollstuhl nach seinem
-Arbeitszimmer am Friedrich Karl-Ufer fahren ließ, diese zitternden
-Hände, diesen totenblassen Kopf, diese müden Züge, die einst von
-Energie und Lebenswillen durchglüht gewesen waren, gab diesem Mann
-nur noch wenige Wochen. Immer neue Attacken der Krankheit schüttelten
-ihn. Er überwand sie und gewann noch ein paar Jahre. Im Mai 1914, als
-ich ihn zum letzten Male aufsuchte, war er äußerlich ganz der alte.
-Seinen künstlichen Fuß, den ihm ein Meister-Orthopäde konstruiert
-hatte, betrachtete er nur als technisches Problem. In stundenlanger
-Unterhaltung entwickelte er mir damals alle brennenden Fragen der
-Elektrizitätsindustrie, jugendlich, frisch, zukunftsfreudig wie nur je,
-ganz ungebrochener Geist, der sich die Materie untertan gemacht hat.
-Ein Jahr später hatte die Materie doch den Geist überwunden. Am Tage
-der Wiedereroberung von Lemberg schloß Emil Rathenau die Augen.</p>
-
-<p>Können heute noch Männer seinesgleichen wachsen und werden? Die
-Großen aus dem Reiche der Industrie sind gestorben oder sie altern.
-Aus den Reihen der jungen Saat sehen wir noch keinen Halm, der über
-die umstehenden Köpfe soweit hinausragt, wie Saul über die Propheten.
-Unsere Industrieentwickelung ist voller aber auch ruhiger geworden. Es
-sind nur Schritte vorwärts zu tun, langsame oder schnelle, aber keine
-großen Distanzen mehr zu überspringen, im Sturmschritt zu durcheilen
-wie zur Zeit, als Rathenau nicht nur selbst jung war, sondern das Glück
-hatte, die Jugend einer Epoche zu erleben. Es fehlen die neuen, großen
-jungfräulichen Probleme, an denen sich die Begabung zur Vollkraft
-entwickeln, der<span class="pagenum"><a name="Seite_408" id="Seite_408">[S. 408]</a></span> Feuerfunke des Genius zum lodernden Brand entzünden
-kann. &mdash; Fehlen sie? Oder werden sie aus der ungeheuren Umwälzung
-entstehen, in die dieser lange, schwere und zerstörende Krieg Europa
-gestürzt hat und aus der seine Weltherrschaft nur eine ungeheure Arbeit
-der Geister und Hände erretten könnte? &mdash; Warten wir und hoffen,
-daß uns Deutschen Männer wie Emil Rathenau wieder geschenkt werden,
-die unsere Kraft der Organisation mit dem Blute der Persönlichkeit
-durchtränken und zu noch höherem Werte emporheben können.</p>
-
-<hr class="full" />
-
-<div class="reklame">
-
-<p class="s4 center"><b>Wir machen bei dieser Gelegenheit noch besonders auf die
-früher erschienenen Bände I&ndash;V der „Großen Männer“ aufmerksam.</b></p>
-
-<p class="center mtop2">Band I</p>
-
-<p class="s2 center sans"><b>Große Männer.</b></p>
-
-<p class="p0">Von <em class="gesperrt">Wilhelm Ostwald</em>, 3. u. 4.
-Aufl. Broschiert M. 14.&mdash;.</p>
-
-<p class="s5">Die schnelle Folge der Auflagen ist ein Beweis dafür, wie dieses Werk
-die öffentliche Meinung wachgerüttelt hat. Demgemäß haben denn auch
-die vorliegenden Kritiken alle Stufen von glühendem Enthusiasmus bis
-zu wütender Gegnerschaft durchmessen... Es sei wiederholt auf dieses
-bedeutsame Buch hingewiesen, das die so wichtigen Gegenstände der
-Erziehung und Bildung der Jugend in eine ganz neue Beleuchtung rückt
-und aus deren Ergebnis einschneidende Verbesserungsvorschläge gewinnt.</p>
-
-<p class="s5 right mright1">Frankfurter Zeitung.</p>
-
-<p class="center mtop2">Band II</p>
-
-<p class="s2 center sans"><b>Zur Geschichte der Wissenschaften und der Gelehrten seit zwei
-Jahrhunderten</b></p>
-
-<p class="p0">nebst anderen Studien über wissenschaftl. Gegenstände, insbesondere
-Vererbung u. Selektion beim Menschen v. <em class="gesperrt">Alphonse de Candolle</em>.
-Deutsch herausgeg. v. <em class="gesperrt">Wilh. Ostwald</em>. Brosch. M. 12.&mdash;, gebunden
-M. 13.&mdash;.</p>
-
-<p class="s5">... Die Umsicht und die Gewissenhaftigkeit, mit der das Material
-bearbeitet ist, erweckt ebenso unsere Bewunderung, wie die
-Bescheidenheit, mit der die Ergebnisse vorgetragen werden, unsere
-Sympathie erregt. Forscher und Lehrer sollten sich mit dem Inhalt des
-schönen Werkes vertraut machen.</p>
-
-<p class="s5 right mright1">Prof. Schaum, Leipzig, in „Leipziger Neueste
-Nachrichten.“</p>
-
-<p class="center mtop2">Band III</p>
-
-<p class="s2 center sans"><b>Jacobus Henricus van’t Hoff.</b></p>
-
-<p class="p0">Sein Leben und Wirken von <em class="gesperrt">Ernst Cohen</em>, Prof. an der
-Reichs-Universität zu Utrecht. Mit 2 Gravuren u. 90 Abbildungen.
-Broschiert M. 14.75, gebunden. M. 16.&mdash;.</p>
-
-<p class="s5">Das Aufsehen erregende Werk bildet einerseits einen wertvollen Beitrag
-zur Geschichte der exakten Naturwissenschaften, insbesondere der
-Chemie und sucht andererseits die Schätze aufzudecken, die der heutige
-Schulbetrieb für einseitig begabte Menschen, die das Zeug zum „großen
-Mann“ hätten, im Gefolge habe.</p>
-
-<p class="s5 right mright1">„Jahresbericht für das höhere Schulwesen.“</p>
-
-<p class="s3 center sans mtop1 nowrap"><b>__________BESTELLSCHEIN__________</b></p>
-
-<p class="p0 s5">Unterzeichneter bestellt hiermit von den im Verlage der</p>
-
-<p class="center s5"><b>Akademischen Verlagsgesellschaft m. b. H. in Leipzig</b></p>
-
-<p class="p0 s5">erschienenen Bänden der <b>„Großen Männer“</b>:</p>
-
-<table class="s5" summary="Bestellschein">
- <tr>
- <td class="vat nowrap">
- Bd. I:
- </td>
- <td class="vat">
- <b>Große Männer.</b> Von Wilh. Ostwald. Brosch. M. 14.&mdash;,
- gebd. M. 15.&mdash;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat nowrap">
- Bd. II:
- </td>
- <td class="vat">
- <b>Zur Geschichte der Wissenschaften u. der Gelehrten seit zwei
- Jahrhunderten.</b> Von A. de Candolle&ndash;Wilh. Ostwald.
- Brosch. M. 12.&mdash;, gebd. M. 13.&mdash;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat nowrap">
- Bd. III:
- </td>
- <td class="vat">
- <b>Jac. Henr. van’t Hoff.</b> Von Ernst Cohen. Brosch. M. 14.75,
- gebd. M. 16.&mdash;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat nowrap">
- Bd. IV:
- </td>
- <td class="vat">
- <b>Victor Meyer.</b> Von Rich. Meyer. Brosch. M. 18.&mdash;, gebd.
- M. 20.&mdash;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat nowrap">
- Bd. V:
- </td>
- <td class="vat">
- <b>Ernst Abbe.</b> Von F. Auerbach. Brosch. M. 18.&mdash;, gebd.
- M. 21.&mdash;
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<p class="s5 center nowrap">Ort und Datum <span class="mleft20p">Unterschrift (bitte recht deutlich):</span></p>
-
-<hr class="unterschrift" />
-
-<div class="section padtop3">
-
-<p class="s1 center"><b>GROSSE MÄNNER</b></p>
-
-</div>
-
-<p class="s4 center"><b>Studien zur Biologie des Genies</b></p>
-
-<p class="s5 center">Herausgegeben von</p>
-
-<p class="s3 center"><b>WILHELM OSTWALD</b></p>
-
-<p class="s2 center"><b>................</b></p>
-
-<p class="s4 center mtop3">Band IV</p>
-
-<p class="s1 center sans"><b>VICTOR MEYER</b></p>
-
-<p class="s4 center sans"><b>Leben und Wirken eines deutschen Chemikers und
-Naturforschers<br />
-1848&ndash;1897</b></p>
-
-<p class="s5 center mtop2 mbot2">von</p>
-
-<p class="s4 center sans"><b>RICHARD MEYER</b></p>
-
-<p class="s6 center">Geh. Rat, Professor an der Herzogl. Techn. Hochschule
-zu Braunschweig.</p>
-
-<p class="center mtop2">Mit 1 Titelbilde, 79 Textabbildungen und der
-Wiedergabe eines Originalbriefes.</p>
-
-<p class="center mtop2">Geheftet M. 18.&mdash;; gebunden M. 20.&mdash;.</p>
-
-<hr class="r15" />
-
-<p class="center padtop1"><em class="gesperrt">Aus dem Vorwort:</em></p>
-
-<p class="s5">Das vorliegende Werk ist aus einem Nachruf hervorgegangen, den ich auf
-Wunsch des Vorstandes der Deutschen Chemischen Gesellschaft verfaßt
-habe und der in den Berichten der Gesellschaft (41, 4505) im Jahre
-1909 erschienen ist. Wie ich damals ausführte, glaubte ich im ersten
-Augenblick die Aufgabe, ein Lebensbild meines geliebten Bruders zu
-entwerfen, nicht übernehmen zu können. Ich empfand nicht nur die
-großen, allgemeinen Schwierigkeiten, sondern vor allem die besonderen
-persönlichen Bedenken, welche sich aus meinem verwandtschaftlichen
-Verhältnisse zu dem früh Geschiedenen ergaben. Sie wollten sich auch
-durch die Erwägung nicht beschwichtigen lassen, daß die gemeinsam
-verlebte Jugend und unsere durch ein ganzes Leben fortgesetzten
-innigen Beziehungen mir eine Fülle von Erinnerungen und schriftlichen
-Zeugnissen seiner Entwickelung hinterlassen haben, welche eine
-wertvolle Grundlage für ein Lebensbild abgeben konnten. Die Bedenken
-habe ich in eingehender Darlegung zum Ausdruck gebracht. Sie wurden
-freundlich aber entschieden zurückgewiesen &mdash; und so glaubte ich
-mich der verantwortungsvollen und zugleich mir teuren Pflicht nicht
-entziehen zu dürfen.</p>
-
-<p class="s5">Als vier Jahre später die Akademische Verlagsgesellschaft mit der
-Aufforderung an mich herantrat, eine ausführliche Biographie zu
-verfassen, habe ich dem nach gründlicher Überlegung Folge gegeben. An
-der Bearbeitung des Werkes hat meine Frau einen wesentlichen Anteil.
-Von der Jugend her in inniger Freundschaft mit uns beiden verbunden,
-stand sie meinem Bruder menschlich nahe und teilte seine künstlerischen
-und literarischen Interessen. Manches hier Niedergeschriebene stammt
-aus ihrer Feder, und vielfach ist die Grenze ihres und meines Anteils
-verwischt.</p>
-
-<p class="s5">Dem Texte sind zahlreiche Bildnisse von Personen eingefügt, welche mit
-meinem Bruder in näherer wissenschaftlicher oder freundschaftlicher
-Beziehung gestanden haben. Daher war ich bestrebt, die Betreffenden in
-dem Alter wiederzugeben, in dem sie hauptsächlich mit meinem Bruder
-verkehrten, was in den meisten Fällen, wenn auch nicht immer gelungen
-ist.</p>
-
-<p class="s5">Die Darstellung gliedert sich in zwei Abschnitte. Der erste enthält
-die Schilderung des Lebensganges, im zweiten ist die wissenschaftliche
-Lebensarbeit des Mannes im Zusammenhange dargestellt. Dabei konnte
-es aber nicht fehlen, daß die Arbeiten auch schon im ersten Teile
-berührt wurden, soweit sie das innere Leben beeinflußten, und
-weil die Briefe vielfach ganz davon erfüllt sind. &mdash; Den Schluß
-bildet ein Anhang, welcher kurze biographische Notizen über die im
-Text erwähnten Persönlichkeiten enthält. Dabei ließ ich mich von
-demselben Gedanken leiten, welcher <em class="gesperrt">G. W. A. Kahlbaum</em> bei der
-Herausgabe von <em class="gesperrt">Liebigs</em> Briefwechsel mit <em class="gesperrt">Schönbein</em> und
-<em class="gesperrt">Friedr. Mohr</em> zur Anfügung umfassender Anmerkungen veranlaßte,
-und welchen er durch die Worte zum Ausdruck brachte: „Als Ideal hat
-uns vorgeschwebt, den Leser so zu stellen, als sei er ein Mitglied
-des Freundeskreises <em class="gesperrt">Liebig-Schönbein</em> gewesen, und daher
-über Menschen und Dinge, über Vorgänge und Arbeiten einigermaßen
-orientiert.“ &mdash; Dabei mußte ich auf einen Leserkreis Rücksicht nehmen,
-der sich aus Chemikern und Nicht-Chemikern zusammensetzt.</p>
-
-<p class="s5">Die Arbeit wurde im Januar 1914 begonnen. Während ich damit beschäftigt
-war, brach der Weltkrieg aus, der natürlich hemmend darauf einwirken
-mußte. Gleichwohl konnte ich sie zu Ende führen, und wenn jetzt der
-ersehnte Friede anscheinend noch in unbestimmter Ferne liegt, so wird
-doch vielleicht nach mehr als zweijähriger Kriegsdauer der Leserwelt
-die Darbietung eines friedlichen Stoffes nicht unerwünscht sein.</p>
-
-<p class="s5"><em class="gesperrt">Braunschweig</em>, im Oktober 1916.</p>
-
-<p class="right mright2"><em class="gesperrt">Richard Meyer.</em></p>
-
-<div class="section padtop3">
-
-<p class="s4 center">Band V</p>
-
-</div>
-
-<p class="s1 center sans"><b>ERNST ABBE</b></p>
-
-<p class="s4 center sans"><b>Sein Leben, sein Wirken, seine Persönlichkeit</b></p>
-
-<p class="center mtop2">nach den Quellen und eigenen Erinnerungen dargestellt</p>
-
-<p class="s5 center mtop1 mbot1">von</p>
-
-<p class="s4 center sans"><b>FELIX AUERBACH</b></p>
-
-<p class="center mtop2">Mit 1 Gravüre, 115 Abbildungen im Text und der Wiedergabe zweier
-Originalschriftstücke.</p>
-
-<p class="p0 mtop1">Geheftet M. 18.&mdash;</p>
-
-<p class="right">Gebunden M. 21.&mdash;.</p>
-
-<p class="s5">Hiermit wird den Lesern die Lebensbeschreibung eines Mannes geboten,
-der wegen der völligen Originalität seiner Persönlichkeit wie seines
-Wirkens, durch die Mannigfaltigkeit seiner Betätigung und doch auch
-wieder durch die einheitliche Größe seines Wesens das Interesse
-weiterer Kreise erwecken und erfüllen muß, als es sonst Biographien tun
-können. Hat doch Ernst Abbe nicht bloß in der wissenschaftlichen Optik
-Bahnbrechendes geleistet, hat er doch nicht bloß die optische Industrie
-auf eine Höhe gebracht, von der aus Deutschland jetzt auf die andern
-Länder mit berechtigtem Stolze herabschaut; sondern auch auf einem ganz
-andern Gebiete, als sozialer Reformator, Unvergleichliches geschaffen
-&mdash; auf einem Gebiete, auf dem es leicht ist zu reden und zu schreiben,
-aber ebenso schwer zu handeln, schwer wegen der unumgänglichen
-Voraussetzungen des Herzens, des Charakters und des Verstandes, an die
-jenes Handeln geknüpft ist. Nur selten in Jahrhunderten finden sich
-diese Voraussetzungen in einer und derselben Person vereinigt; bei
-Abbe sind sie es gewesen, und so war diesem einfachen Arbeitersohn ein
-innerer und äußerer Erfolg gleichen Maßes und größten Stils beschieden.
-Im vorliegenden Buche wird, an der Hand des Quellenmaterials und
-persönlichen Erlebnisses, unterstützt durch sorgfältig ausgewählte
-Bildnisse und Illustrationen, der ganze Aufbau dieses Lebens
-dargestellt, und das in einer Weise, die es auch dem Nichtfachmann
-(und Abbe gegenüber sind wir das alle) ermöglicht, Schritt für Schritt
-mitzugehen und die Entwickelung dieses wahrhaft großen Mannes zu
-verfolgen &mdash; nicht nur dem Gelehrten, dem Techniker, dem Industriellen,
-dem Volkswirt; nein, auch ganz einfach dem Menschen, zu dem der große
-Mensch eindringlich spricht. Den Beschluß des Buches bilden Beigaben
-für den, der durch seine Lektüre zu eingehender Beschäftigung mit
-seinem Gegenstande angeregt worden ist.</p>
-
-</div>
-
-<hr class="full" />
-
-<div class="chapter">
-
-<div class="footnotes">
-
-<p class="s3 center" id="FOOTNOTES"><b>Fußnoten:</b></p>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a name="Fussnote_1_1" id="Fussnote_1_1"></a><a href="#FNAnker_1_1"><span class="label">[1]</span></a> Siehe „Der Staat und die Elektrizitätsversorgung“ von Dr.
-ing. Gustav Siegel.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a name="Fussnote_2_2" id="Fussnote_2_2"></a><a href="#FNAnker_2_2"><span class="label">[2]</span></a> In letzter Zeit hat die A. E. G. die Elektrowerke an den
-Reichsfiskus verkauft.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a name="Fussnote_3_3" id="Fussnote_3_3"></a><a href="#FNAnker_3_3"><span class="label">[3]</span></a> Abgedruckt in der „Elektrochemischen Zeitschrift“ 1916, S.
-297 ff.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a name="Fussnote_4_4" id="Fussnote_4_4"></a><a href="#FNAnker_4_4"><span class="label">[4]</span></a> Inzwischen ist die Besteuerung der Kohle ohne Zusammenhang
-mit dem Elektrizitätsproblem bereits zur Durchführung gelangt, und zwar
-in viel höherem Ausmaß, als es Klingenberg vorgeschlagen hatte.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a name="Fussnote_5_5" id="Fussnote_5_5"></a><a href="#FNAnker_5_5"><span class="label">[5]</span></a> Nach Fertigstellung dieser Ausführungen hat der
-Verkehrsminister v. Breitenbach im Abgeordnetenhause eine
-stärkere Betätigung des preußischen Staates auf dem Gebiete der
-Großkrafterzeugung angekündigt und Pläne entwickelt, die ganz in
-der Richtung der Rathenau’schen, Siegel’schen und Klingenberg’schen
-liegen. Auch er mußte aber zugeben, daß die Vorteile eines solchen
-Vorgehens zunächst nicht so sehr auf dem staatsfinanziellen, als auf
-dem allgemeinwirtschaftlichen Gebiete liegen würden.</p></div>
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-
-End of the Project Gutenberg EBook of Emil Rathenau und das elektrische
-Zeitalter, by Felix Pinner
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK EMIL RATHENAU UND DAS ELEKTRISCHE ZEITALTER ***
-
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-things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
-even without complying with the full terms of this agreement. See
-paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
-Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
-and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
-works. See paragraph 1.E below.
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-or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
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-collection are in the public domain in the United States. If an
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-forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
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-interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
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-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
-
-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of computers
-including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
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-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
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-To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
-and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
-
-
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
-Foundation
-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
-http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
-permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
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-Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
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-business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
-information can be found at the Foundation's web site and official
-page at http://pglaf.org
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-For additional contact information:
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-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
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-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
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-works.
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-concept of a library of electronic works that could be freely shared
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