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| author | nfenwick <nfenwick@pglaf.org> | 2025-02-06 23:33:45 -0800 |
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You may copy it, give it away or -re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included -with this eBook or online at www.gutenberg.org/license - - -Title: Die Harpyen von Madrit, oder die Postkutsche - Aus dem Spanischen des Verfassers der Donna Rufina - -Author: Alonso de Castillo Solórzano - -Release Date: March 15, 2017 [EBook #54368] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HARPYEN VON MADRIT *** - - - - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned -images of public domain material from the Google Books -project.) - - - - - - - #################################################################### - - Anmerkungen zur Transkription - - Der vorliegende Text wurde anhand der 1791 erschienenen Buchausgabe - so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung - und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend - korrigiert. Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter eingefügt. - - Einige altertümliche Ausdrücke sind aus heutiger Sicht teilweise - schwer verständlich, dennoch wurden diese unverändert übernommen. - Inkonsistente Schreibweisen wurden beibehalten, sofern diese im - Text mehrfach auftreten. Fremdsprachige Zitate und Ausdrücke wurden - nicht korrigiert. - - Die von der Normalschrift abweichenden Schriftschnitte wurden in - der vorliegenden Fassung mit den folgenden Symbolen gekennzeichnet: - - kursiv: _Unterstriche_ - gesperrt: +Pluszeichen+ - - #################################################################### - - - - -[Illustration: Donna Feliciana. - - _Ch. Sambach del._ _Cl. Kohl Sc. N._ -] - - - - - DIE - - HARPYEN - - VON - - MADRIT, - - ODER DIE - - POSTKUTSCHE. - - AUS DEM SPANISCHEN - - DES VERFASSERS DER DONNA RUFINA. - - _Wien_, - gedruckt und verlegt von Ignaz Alberti. - 1791. - - - - -Inhalt. - - Seite - - DIE HARPYEN VON MADRIT. 3 - - ERSTE SPAZIERFAHRT. 37 - - ZWEYTE SPAZIERFAHRT. 93 - - DRITTE SPAZIERFAHRT. 140 - - VIERTE SPAZIERFAHRT. 160 - - - - - _DIE - HARPYEN - VON MADRIT, - ODER - DIE POSTKUTSCHE._ - - -Sevilla, eine alte Stadt in Spanien, die Hauptstadt Andalusiens, die -Schatzkammer der Reichthümer im südlichen Indien, die Vaterstadt -der edelsten und erlauchtesten Familien, erzeugte auch zwey schöne -Schwestern. Ihr Vater hatte in einer indischen Expedition sein Leben -eingebüßt, und so lebten sie denn als arme, verlassene Waisen in -Gesellschaft ihrer Mutter, die sich als Wittwe kümmerlich behalf; -denn sie hatte mit ihrem Manne zu Havana zugleich all ihr Vermögen -verloren. Ihre letzte Hoffnung bestand in einigen kleinen Schulden, -die sie in Sevilla stehen hatte, und die ihr nun heraus bezahlt werden -sollten. Es gelang ihr auch nach Wunsche, und sie beschloß, ihren -Wohnsitz, und ihre Lebensart zu ändern, und zwar bevor sich das Gerücht -vom Tod’ ihres Gemahls weiter verbreitet haben würde. Sie konnte noch -nicht mit sich selbst überein kommen, ob sie Granada oder Cordova -vorziehen sollte; und mitten in dieser Verwirrung trat eine ihrer -ältesten Freundinnen zur Thür herein, der sie auch alsobald ihren -Entschluß sammt den Schwierigkeiten, die sich fänden, vortrug. Das -Mütterchen hatte manches in der Welt erfahren, und sprach der ehrlichen -Frau bald Muth ein. - -„Liebe Theodore,“ sagte sie (so hieß unsre Wittwe), „es freut mich, daß -Sie mir so treuherzig begegnet; und ich -- dabey nahm sie eine tüchtige -Prise Spaniol -- und ich will eben so unbefangen reden; denn ich habe -manche Schule durchlaufen, und habe Sie herzlich lieb. Wenn Sie eine -Reise machen will, so fahre Sie nicht auf dem Teich’ auf und nieder; -man kommt nicht weit. Granada und Cordova sind schon breite Ströme, auf -denen sich eine schöne Spazierfahrt machen, und nebenbey ein tüchtiger -Hecht an die Angel kriegen läßt. Sie wimmeln von Kaufleuten, Notarien; -sie haben alle Edelleute und vermögliche Bürger; aber was sind sie -wohl gegen Madrit, gegen die Residenz des Hofes? -- Ein Dorf. Was -sag’ ich ein Dorf? -- Eine elende Bauernhütte. Madrit ist ein großes -Meer, auf dem der Kahn, wie das Kriegsschiff, fortkommt, und auch ein -kleines Boot nicht zurück bleibt. Alle Fremden versammeln sich dort; -wer sich verstecken will, findet dort seinen Schlupfwinkel; es ist so -groß, so belebt; mit einem Worte: wer sein Glück machen, wer aus dem -Staube kriechen will, muß dort anfangen. Wie manche niedere Abkunft -ist dort umgekauft worden, und hat für altes adeliges Geblüt gegolten! -Alle Wunder und Verwandlungen geschehen dort. O Theodore, du hast ja -gewonnen Spiel! Der Himmel hat dir so hübsche Dingerchen zu Töchtern -gegeben. Wären sie mein, die lieben Närrchen; jede sollte mir so viel -Ausbeute liefern, als eine Goldgrube in Indien.“ - -„Ich hatte nur eine Nichte, mit der ich nach Madrit ging. Sie hatte -nichts, als ein Paar schwarze Augen, und eine angenehme Stimme; aber -ein gelehriges Köpfchen hatte sie, das sich in all und jedem nach mir -richtete. Dafür ging auch alles wie am Schnürchen. Was gab es da nicht -für Dublonen, für Gallakleider, für Perlen, für Schmuck? Wo war ein -Fest, dem wir nicht beygewohnt hatten? Kurzum, sie war der Abendstern, -der in Madrit schimmerte wir hatten alles in Überfluß, und hätten es -noch, wenn sich die Hexe nicht Narrheiten in den Kopf gesetzt hätte. -Da vergaffte sie sich in einen Hauptmann, der sie und mich ins Unglück -stürzte. Gott verzeih’ ihm die Sünde, dem garstigen Kerl! Zuerst -schwatzte er uns alles ab, was wir zusammen gebracht hatten, und am -Ende kostete er sie gar ihr junges Leben. So ein Mädchen, das sein -Glück in der Residenz machen will, muß gar nicht verliebt werden. Wenn -nun erst du mit deinen zwey bildschönen Mädchen nach Madrit kommst, was -kannst du dir erst versprechen? Was können sie nicht mit ihren übrigen -angenehmen Eigenschaften für Glück machen? -- Der ganze junge reiche -Adel wird dir nachlaufen. Je mehr ihr diesen Herrchen schmeichelt, -desto untertäniger werden sie vor euch herum kriechen. Könnt’ ich dir -Gesellschaft leisten, du würdest sehen, wie gut ich dir immer mit -Rath und That an die Hand gehen würde. Ich hab’ aber schon über zwey -Drittheile meines Lebens verlebt, und bereite mich nun in der Stille -zu einem seligen Ende. Dafür will ich dir aber einen ausführlichen -Unterricht niederkritzeln, und wie eine kleine Hausapotheke mitgeben, -in der du alles finden wirst, was Zeit und Umstände fordern.“ - -Die gute Alte weinte noch einige Thränen, und nahm von ihrer Freundinn, -die sie nun vor ihrer Zusammenkunft in Elysium nicht mehr zu sehen -Hoffnung hatte, den zärtlichsten Abschied. Sie hielt auch Wort, und -schickte den kleinen Entwurf, von dem wir eben gehört haben, und -der Theodoren in der Folge wirklich manche gute Dienste that. Die -Reisegesellschaft bestellte sofort ihre Plätze auf dem Postwagen von -Sevilla, versah sich mit einer ansehnlichen Guarderobe, und fuhr -fröhlich nach Madrit ab. - -Indeß wir sie hinfahren lassen, ist es billig, daß wir die zwey -Töchter Theodorens, die doch eigentlich unsere Hauptheldinnen sind, -näher kennen lernen. Die ältere -- Feliciane hieß sie -- war zwischen -achtzehn und neunzehn Jahren; ihr Antlitz war nach dem schönsten -Ebenmaße geformt; sie hatte schwarze Haare, pechschwarze Augen, schön -geschlitzte Nasenlöcher, einen reitzenden kleinen Mund, frische -lüsterne Lippen, und kleine, enge, schneeweiße Zähne. Ihre Wangen -hatten, ohne das, was die Kunst hinzu that, eine gesunde Röthe; ihr -Blick war mild, und ihre Stimme war der feinste Silberton. Diese hatte -sie auch nicht ganz ungebildet gelassen; sondern ein Musikmeister hatte -sie so weit gebracht, daß sie zur Harfe oder Guitarre verschiedene -Lieder so schmelzend singen konnte, daß es Wunder wirkte. Dabey war -sie die reitzendste, leichteste Tänzerinn, die man sich vorstellen -kann; man hätt’ ihr stundenlange zusehen können. - -Die andere Schwester, welche Louise hieß, war nun ein Jahr jünger als -Feliciane; sie war ein wenig brunetter, hatte hell funkelnde Augen, -die wie Blitze wirkten. Nase, Mund und Zähne waren ein wenig kleiner, -als die ihrer Schwester, aber sie verloren nichts dadurch, sondern -gewannen vielmehr einen eigenthümlichen Reitz. Sie war nicht so schlank -aufgeschossen, aber dafür war sie lieblich, rund und kernicht. Sie -tanzte und spielte auch die beyden Instrumente ein wenig besser, als -ihre Schwester; wenn sie aber beyde spielten, war man in Verlegenheit, -welcher man den Vorzug geben sollte. - -Mit diesen zwey Töchtern steuerte nun Theodore fort, wie ein Corsar, -der mit einem festen Schiff’, und zwey Kanonen, denen nichts -widerstehen kann, vom Lande stößt. - -Der Mutter lachte das Herz vor Freuden, wenn sie die zwey Lämmchen, -die sie zum Schlachtaltare führte, so allerliebst vor sich sitzen sah, -und schmiedete nun unablässig an Planen, die sogleich auf die Bahne -gebracht werden sollten. - -Von Felicianen wußte man weiter keine Narrheit, die sie begangen hätte, -als einige kleine Begünstigungen, die sie dem artigen Tanzmeister -für seine Mühe mit Anstand nicht wohl abschlagen konnte. Ihre Mutter -drückte ein Auge zu, da es nun schon vorbey war; dafür schärfte sie -ihr aber nun Standhaftigkeit und Widersetzlichkeit ein, und hoffte -von Louisen, sie würde ihre Erstlinge so reichlich an Mann bringen, -daß damit beyde bezahlt wären, wie ein Vogelkrämer manchmahl ein Paar -Rebhühner theuer verkauft, weil das eine um desto fetter ist, als das -andere. - -Nun blieb Theodoren nichts mehr übrig, als daß sie ihren Töchtern -Nahmen gab, und sich selbst einen anständigen beylegte; denn diese -Vorsicht hatte ihr die Alte als höchst wichtig eingebunden. Da es -nun schon einerley war, welchen sie wählte, beschloß sie sich in die -vornehmsten Familien des Königreichs einzulügen. Sie nannte daher ihre -älteste Donna Feliciana von Toledo; für die zweyte zog sie den Nahmen -aus dem Hause Alba mit Haaren herbey, und sich selbst nannte sie mit -Erlaubniß des Herzogs Donna Theodora von Cordona. Mit diesen prächtigen -und wohlfeilen Nahmen geziert, erreichte die Gesellschaft das Stadtthor -von Toledo. Sie packte nun ihre zwey Fräulein und ihr weniges Geräth -ab; denn sie hatte fast alles zu barem Gelde gemacht, weil sie sich -dann in Madrit ganz neu einrichten wollte. - -Sie brachten die Nacht ziemlich unbequem zu, und bezogen den nächsten -Morgen eine ansehnliche Wohnung in der Degenstraße. In demselben wohnte -ein alter Cavallero, der in der Erwartung einer Seneschallstelle für -die Dienste, die er Seiner Majestät geleistet hatte, hier schon ein -ganzes Jahr zubrachte. Es plagte ihn mit unter manchmahl die lange -Weile, und er war denn sehr zufrieden, so artige Nachbarinnen zu -erhalten. Er war auch ohne Verzug so höflich, sich ihnen zu allem, was -sie befehlen würden, anzutragen. Sie dankten ihm für diese besondere -Gefälligkeit, da sie nun weiter in keiner Verlegenheit wären, als wie -sie einen anderen Miethwagen bestellen könnten, der sie den folgenden -Tag nach Madrit brächte. Der Cavallero nahm auch sogleich dieß Geschäft -über sich, und sie fuhren in seinem eigenen Wagen nach Madrit ab. - -Der Kutscher führte sie durch die Straße de la Merced in die -Tolederstraße, von da kamen sie ans Thor von Quadalaxara, und in die -Goldschmidgasse[A], und endlich auf die allberühmte große Straße -(_calle mayor_). Da besann sich Theodore, daß diese Straße die Rennbahn -sey, von der sie nun auf einem Chariot (_Galera_) auslaufen müßte, um -ihr Seeräuberhandwerk zu treiben. Ohne lange zu berathschlagen, hielt -sie so wohl nach ihrem eignen Urtheile, als nach den weisen Ermahnungen -ihrer alten Freundinn, dafür, daß die Gegend um St. Sebastian von -der Madriter Jugend am häufigsten besucht werde, theils weil hier -das Theater wäre, theils weil diese Gegend, wie ihr der Kutscher zu -ihrem größten Ärgernisse sagte, hierum manche Damen von zweydeutigem -Gelichter bewohnten. Theodore ging über diesen Umstand hinaus, und -beschloß, ihren Wohnsitz nicht weit von hier aufzuschlagen. Da sie aber -dem Kutscher keinen Argwohn geben wollte, hieß sie ihn noch ein wenig -weiter fortfahren, und so kamen sie durch die Hieronymusstraße in die -Fürstenstraße. Als sie beyläufig in der Mitte derselben seyn mochten, -sahen sie auf einem ganz artigen Hause einen Anschlagzettel an der Thür -kleben. Theodore ließ anhalten, und las, daß ein geräumiges Gelaß zu -vermiethen sey. Sie ließ den Wagen an das Haus fahren, und fragte, in -welchem Stockwerke das Gelaß sey. Man sagte ihr, daß es zu ebner Erde, -nur einige Stufen von der Hausthür, kurz, gerade so wäre, wie sie es -nach ihrem löblichen Plane wünschen könnte. Sie ward denn mit der Magd, -einem alten verdächtigen Figürchen, das ihnen die Wohnung gezeigt -hatte, sogleich über den Preis einig, und ließ sich die Schlüssel geben. - -Sie gingen ins erste Gemach, und fanden eine ältliche Wittwe auf -einem kleinen Polsterstuhle sitzen, die einen langen Rosenkranz in -der Hand hielt, und eben ihre Abendstunden bethete. Sie saß ganz -gravitätisch da, und ein Paar große Augengläser, die sie unter dem -kleinen Häubchen fest gemacht hatte, gaben ihr ein noch ehrwürdigeres -Ansehen. Sie stand sogleich auf, als sie Fremde kommen sah, und grüßte -sie mit vieler Höflichkeit; als sie aber erst die zwey Mädchen näher -erblickte, umarmte sie beyde mit einem lauten Jubel, und schrie: -„So schöne Engelchen sollen wir ins Haus kriegen? Das ist ja gar -allerliebst! Wollen Sie wirklich bey mir wohnen? -- Nu, das freut mich -herzinniglich. Sie können unmöglich von Madrit seyn; denn sonst müßt’ -ich ja längst von so schönen Gesichtern gehört haben.“ - -Theodore antwortete, daß sie gar nicht irre, und daß sie gerade aus -Mexico in Neu-Spanien kämen. - -„Dacht’ ichs nicht gleich,“ sagte die Alte, indeß sie den langen -Rosenkranz in die Tasche schob, und die Augengläser abnahm -- „dacht’ -ichs nicht gleich, daß sie aus einem andern Welttheile kommen, die -Schätzchen? Ich bitte, setzen Sie sich; meine Töchter schlafen noch -sorgenlos; das junge Völkchen schläft immer gern.“ - -Die drey Mexicanerinnen gehorchten, und begannen über den Preis des -Gelasses zu sprechen. Das Mütterchen erklärte ihnen sofort, daß das -Haus nicht ihr gehöre; daß sie aber fünf Monathe befugt wäre, die -leeren Wohnungen zu vermiethen; eigentlich gehöre das Gelaß einer ihrer -Freundinnen, die sich nur auf eine kurze Zeit aus der Residenz entfernt -hätte; indessen wolle sie sie doch bald zufrieden stellen, und mit -dem Hausherrn sprechen, der ein friedliebender reicher Ritter wäre, -der sich gern gegen jedermann gefällig bewiese. Sie sagte ihnen auch -gleich, wie weit sie sich einlassen dürften. Sie kamen auch wirklich -überein, gaben sich den gewöhnlichen Handschlag zum Zeichen, und nun -traten aus einem Nebensaale zwey Damen, beyläufig von demselben -Alter, und beynahe eben so schön, als unsre Heldinnen. Sie waren erst -zur Hälfte gekleidet, in reinen weißleinenen Überröcken, und kleinen -Mützchen von grüner Seide, die ihnen gar lieblich ließen. Die Haare -waren aufgelöst, und schwammen großen Theils um die Schultern. Sie -waren über die schönen Mexicanerinnen beynahe betroffen, grüßten sie -aber doch ungemein artig; und als sie gar hörten, daß sie bey ihnen -unter einem Dache wohnen würden, bezeugten sie außerordentliche Freude -darüber. Indessen muthmaßten beyde wechselseitig wohl, mit wem sie die -Ehre zu sprechen hätten, obschon sie sichs nicht im geringsten abmerken -ließen. Donna Theodora von Cordona bewunderte noch die geschmackvolle -Einrichtung von Stephaniens, des alten Mütterchens, Wohnung, und -beschloß, ihr Gelaß eben so einrichten zu lassen. - -So hätten wir denn nun unsre schönen Sevillanerinnen glücklich nach -Madrit gebracht, hätten sie mit Wohnung versehen, hätten die Wohnung -mit einem ansehnlichen Sümmchen eingerichtet; sie hätten sittsame -Bettgardinen, Fußteppiche, weiche Stühle, einen bequemen Sopha, und ein -Paar Putztische. Nun fehlt denn nichts mehr, als eine Gelegenheit, den -ersten Tritt mit Anstand’ und Aufsehen in die große Welt zu thun, und -in diesem Meere, wie sich die Alte zu Sevilla ausgedrückt hatte, den -ersten Pfundhecht zu angeln. - -Zum Glücke fiel ein Festtag im Dreyfaltigkeitskloster vor, dessen -Kirche alles zu besuchen pflegte, was Schimmerndes und Artiges am Hofe -lebte. Zu diesem Feste nun führte sie Donna Stephanie, und um es ihnen -bequemer zu machen, miethete sie einen von den bekanntesten Wagen, die -sonst immer ihre Töchter zu haben pflegten. Feliciane und Louise hatten -schon zwey gewöhnliche Kleider genommen, erkundigten sich aber noch -glücklich vor der Abfahrt bey ihren Nachbarinnen, wie sie sich putzen, -und überhaupt benehmen müßten; und da sie schöner waren, als diese, -hatten sie nun durch den treulichen Unterricht, den sie erhielten, -viel vor den andern voraus. Sie kamen denn zum Feste, und da um das -Kloster ein Umgang gehalten wurde, nahmen sie ihren Platz bey einem der -vier Altäre, die in den vier Ecken standen. Hier mußte alles bey ihnen -vorüber, und allem, was in Galla war, standen sie gerade im Gesichte. -Unter den vielen Edelleuten, die nun vorüber gingen, kamen auch vier -- -aus Cordova waren sie -- die das Antlitz der zwey schönen Schwestern -sehen konnten; denn sie hatten, als diese vorüber gingen, die Schleyer -gelüftet. - -Unter ihnen war Don Fernando Antonio, ein rascher Jüngling von fünf -und zwanzig Jahren, schön gebildet, und seit einigen Monathen Herr -von zwey Majoratgütern, die ihm jährlich ein beyläufiges Sümmchen -von vierzehn tausend Ducaten abwerfen mochten. Er lebte nun am Hofe -vollauf, und bezahlte für die drey anderen, die ihn begleiteten. Als -sie nun zu den Sevillanerinnen kamen, banden sie bald ein Gespräch mit -ihnen an, und Donna Louisa von Alba sprach so sanft, so launig, so -schmelzend, so fein, daß Don Fernandos Liebeszunder Feuer fing. Sein -Herz war fort, wie die Taube aus dem Schlage; er hätte gern unablässig -geplaudert; aber er mußte ihr aus Artigkeit Raum lassen, den Umgang zu -sehen, und als dieser vorüber war, nahm er mit höchstem Widerwillen -Abschied; denn gern wär’ er diesem andalusischen Engel nimmer von der -Seite gewichen. Die schlaue Theodore merkte den Spuk sogleich, mengte -sich ins Gespräch, fragte ihn, mit wem sie zu reden die Ehre hätte, -und gab ihrer Tochter einen sprechenden Wink, die Beute ja nicht -fahren zu lassen. Die Damen gingen zur Kutsche, und fuhren nach dem -Prado, von dem sie spät zurück kamen; denn alles, was am Hofe glänzte, -hatte sich dort versammelt. Auch Don Fernando fand sich ein. Er -erkannte den Wagen, in dem die schöne Zauberinn mit ihren Freundinnen -fuhr, und sprang flink an den Schlag, um im Anschauen seiner Louise -vollends ein Narr zu werden. Die Dämmerung brach immer stärker ein. -Der Wohlstand forderte, daß er sich entfernte, indessen beschloß er -doch nicht eher nach Hause zu gehen, bis er ihr den ersten Besuch -abgestattet hätte. Er nahm denn einen von den drey Freunden zu sich, -der ihn begleiten sollte, und nun strichen sie, wie verlorne Schafe, -immer vor der Wohnung auf und nieder, bis seine Schöne ans Fenster kam, -und ihn einzutreten ersuchte. Das ließ er sich nicht zwey Mahl sagen; -er ward von Mutter und Tochter mit besonderer Artigkeit empfangen; -das Gespräch währte mit größter Lebhaftigkeit von beyden Seiten, so -lang’ er nur immer mit Ehren bleiben konnte, und er schied endlich -nur, nachdem er die Erlaubniß erhalten hatte, sich den nächsten Tag -wieder einzustellen. Er kam nun immer öfter; man begegnete ihm immer -mit Höflichkeit, aber auch immer mit mehr Zurückhaltung, je näher er -trat. Das konnt’ er in die Länge nicht aushalten, und er beschloß, sich -der Mutter zu erklären. Er beschwor sie, ihr Vorwort bey dem Herzen -ihrer Tochter einzulegen, und ihn nicht länger wie einen Fisch ohne -Wasser schmachten zu lassen. Er vermaß sich hoch, daß seine Liebe wie -die hellste Wachsfackel brenne, und daß er in seinem eignen Feuer -aufgehen müsse, wenn sie ihn nicht bald lösche, und dergleichen andere -auserlesene Floskeln mehr. Die schlaue Theodore lächelte, und hörte den -Strom seines Herzensgusses recht gern fortrauschen. - -„Don Fernando,“ sagte sie endlich, „ich bin zu sehr Mutter, und denke, -ob es mir gleich vielleicht nicht zusteht, zu vortheilhaft von meinen -Kindern, als daß ich mich zu sehr wundern sollte, daß Ihnen das Mädchen -gefallen hat. Sie sind aber -- nehmen sie mirs doch immerhin nicht -übel, Don Fernando -- Sie sind wie alle junge Herren mit dem ersten -Blicke verliebt geworden, und haben vielleicht noch gar nicht erwogen, -wer der Gegenstand sey, in den sie sich vergafft haben. Sie haben sich -vermuthlich in der Person getäuscht, und ich bekenne, daß ich selbst -es bin, die dieses Mißverständniß veranlaßt hat. Ich bin, -- obschon -ich Ihren Stand und Charakter nicht im mindesten betasten will -- -ich bin für ein Frauenzimmer, für eine Fremde, für eine Mutter mit -meiner Einladung zu rasch gewesen. Ich hatte eigentlich aus langer -Weile gewünscht, bald einige anständige Bekanntschaften zu machen. -Ich muß Ihnen denn sagen, daß Louise und Feliciane die Töchter eines -sehr angesehenen Cavaliers aus Mexico sind, der sein Vermögen und sein -Leben auf einer Reise über Meer eingebüßt hat, so daß wir nun von -einem Gnadengehalte leben. Sie sehen denn, daß ich Ihnen nur darum den -Zutritt gestattet habe, weil man am Hofe gern gesellschaftlich lebt. -Ich zweifle an der Aufrichtigkeit Ihrer Erklärung nicht; aber wenn Ihre -Absichten wirklich ernsthaft, das heißt, auf eine Verbindung gerichtet -sind, so müssen Sie sich mir deutlicher erklären, wie ich mich Ihnen -erklärt habe.“ Über diese letzte Erklärung war Don Fernando ein wenig -betreten: ein Heirathsanschlag war ganz und gar nicht in seinem Plane -gewesen, und sein Feuer war für den Augenblick wirklich ein wenig -zurück geblasen. Er faßte sich aber schnell, und antwortete: „Donna -Theodora, ich war um keine weitere Auskunft Ihres Standes verlegen; die -ehrwürdige Gegenwart Ihrer selbst, und Ihrer liebenswürdigen Töchter -war mir genug. Ich zweifle an keinem Ihrer Worte; aber meine Absicht -war nur -- ich muß es als Ehrenmann unverhohlen gestehen -- Donna -Louisa zu dienen, und wünschte für meine aufrichtigen Dienste die Bande -der Liebe, -- nicht der Ehe zur Belohnung.“ - -„Don Fernando,“ wollt’ ihm die Mutter in die Rede fallen -- - -„Erlauben Sie,“ fuhr er fort: „ich scheue diesen engen Knoten, und -hab’ ihn mir in meinem Plan’ in eine ziemlich weite Entfernung hinaus -gesetzt, obschon ich mich dann dazu bequemen werde, um doch einen -Erben meines Vermögens, das nicht unansehnlich ist, zu haben. Ich bin -Edelmann, und kann schweigen; Sie können vollkommen auf mich bauen, daß -Donna Louise durch meine Neigung zu ihr, und durch die Begünstigung -meiner Liebe nichts von ihrem guten Nahmen verlieren wird. Mit einem -Wort’, ich liebe sie unaussprechlich, und bin bereit, alles für sie zu -thun, was mir meine Liebe gebeut, und was mir Klugheit gestattet.“ - -Donna Theodora stutzte nicht wenig schon beym ersten Anpochen die Thür -der Ehe verschlossen zu finden, das war ein starker Streich, und sie -war in den tieferen Geheimnissen ihrer Kunst noch zu sehr Schülerinn, -als daß er sie nicht hätte betäuben, und von jedem ferneren Versuche -zurück schrecken sollen. Sie merkte zugleich auch zu deutlich, daß -Fernando festes Fußes zu Werke gehe, als daß sie auf Wankelmuth oder -Übergewicht der Leidenschaft hätte rechnen sollen. Sie hätte doch gern -geantwortet, und wußte nicht, wo sie eigentlich einlenken sollte. Sie -suchte denn lange herum, bis sie ein Wort fand, und sagte endlich: -„Bester Don Fernando, ich muß Ihnen nur aufrichtig gestehen, daß ich -mir im Herzen selbst nichts anders vorgestellt habe, als daß Louise -ungeachtet all’ meiner Vorstellungen sich am Ende doch von ihrer -Leidenschaft würde hinreissen lassen. O Gott, wer kann ein Mädchen -hüthen? -- wenn Sie mir ihr Wort geben, mich nicht zu verrathen, so“ -- - -„O ich bitte, reden sie,“ sagte Fernando. - -„Louise hat ihr armes Herzchen an Sie schon eingebüßt. Was wir das -Mädchen nun peinigen und aufziehen!“ -- - -Fernando wußte wohl, wie er diese Antwort aufzunehmen habe, und war -innigst vergnügt, daß er die Sache so glücklich zu Ende gebracht hätte. -Er war nun der glücklichste Mensch von der Welt, nahm Theodoren bey -beyden Händen, und schwor ihr, daß er sich gewiß dankbar bezeugen -werde. Er gab ihr auch zum Anfange eine Kette von zweyhundert Thalern -am Werthe, die er am Halse trug. Er hing sie der Alten um den -ihrigen, und führte sie zu den zwey Schwestern hinüber, deren jeder -er einen Ring von eben so großem Werthe gab. Er stand auch nicht -länger an, seinen Platz bey Louisen einzunehmen. Ein bedeutender Wink -der Mutter, und der kostbare Ring machten das schöne Mädchen zur -zahmsten Taube. Sie brachten den Tag vergnügt zu, und den nächsten -frühen Morgen schickte er ihr eine reiche Bettdecke, eine Art von -Galanterie, die einzig in ihrer Art ist. Dieß Geschenk schickte er -durch seinen Haushofmeister, der auch Theodoren eine kleine Rolle -von funfzig Escudos in Golde überreichen mußte. Das war ein Jubel und -ein Frohlocken im Hause! -- Theodore dankte dem alten Mütterchen von -Sevilla tausend Mahl, und wünschte ihr für die guten Lehren, die sie -ihr vor ihrer Abreise gegeben hatte, ein seliges Ende zur Belohnung. - -Es versteht sich von selbst, daß er seine Wohlthaten nicht an Louisen -allein verschwendete, sondern auch Mutter und Schwester wie Igel -an ihm sogen. Er ward immer verliebter, und stellte sich beynahe -mit jedem Tage herrlicher ein; es war nun kein Spectakel, daß diese -liebenswürdige Familie nicht zuerst gesehen, keine Mode, die sie -nicht unter den ersten getragen hätte. Er hatte zwey Wagen, und der -weniger bekannte, an den vier rasche Rappen gespannt waren, stand ihnen -vollkommen zu Befehle. Sie fuhren auch bald die eine, bald die andere, -den ganzen Tag, Straß’ auf, Straß’ ab. - -Man kann sich wohl leicht vorstellen, wie ihre zwey schönen -Nachbarinnen über den schönen Fortgang ihres Glückes mochten gestutzt -haben; indessen da sie jene von allen Leckerbissen, die Fernando’s -Haushofmeister im Überflusse verschaffte, mit naschen, und sie -wechselsweise an jeder Spatzierfahrt Theil nehmen ließen, gaben sie -sich wieder zufrieden, und begnügten sich damit, daß sie sich der -schönen Welt in einer so auffallenden Gesellschaft zeigen konnten. - -Acht Monathe verflogen so in Saus und Braus, und Don Fernando hatte in -dieser kurzen Zeit an Schmucke, Kleidern, Freudenfesten, und so weiter -über zwölf tausend Escudos versplittert. Während dieser Zeit hatte sich -aber auch nicht einer gefunden, der sich um Felicianen beworben hätte; -denn keiner wagte es, sich an des verschwenderischen Fernando Seite -sehen zu lassen. Das war freylich ein Umstand, der sein Unangenehmes -haben mochte, und es wär’ allerdings angenehmer gewesen, wenn sich noch -ein zweyter schön befiederter Papagey in ihren Schlingen verfangen -hätte: unterdessen gebrach es Felicianen im Wesentlichen an nichts, -und sie konnte sich immer mit der Hoffnung eines ähnlichen, vielleicht -noch glücklichern Looses trösten. - -Eines Tages hatte Theodora, ihre Familie, und die zwey schönen -Nachbarinnen beschlossen, auf den Prado, einen Spaziergang, auf dem -auch S. Majestät Philipp der zweyte immer zu jagen pflegten, zu fahren. -Sie hatten Don Fernando davon Part gegeben; er both sich aber nicht -zu ihrem Begleiter an, sondern ließ ihnen nur melden, daß er ihnen -gute Unterhaltung wünsche, daß er aber, so unlieb es ihm wäre, eines -dringenden Geschäfts halber nicht in ihrer Gesellschaft seyn könne; -indessen würde sie sein Haushofmeister mit allem, was sie befählen, -versehen. Sie fuhren denn nach dem Prado, und wir wollen uns nach Don -Fernando umsehen. - -Er hatte wirklich diesen Tag einen Contract von Wichtigkeit zu -schließen, und seine drey Freunde waren nach Alcala zu einem -Stiergefechte gereist. Er hatte denn den ganzen Tag über lange Weile, -schlenderte verdrießlich die Straße auf und nieder, lehnte sich unter -die Hausthür, kam, was er sonst nie that, zur Mittagsstunde pünctlich -nach Hause, und warf sich nach Tische auf sein Ruhebett, weil ihm -durchaus nichts einfallen wollte, womit er sich den Unmuth verjagen -konnte. - -Vor beyläufig zwey Jahren war Don Fernando in einem Spielhause zu -Cordova bey einer Wette mit einem Ritter in Hader gerathen. Dieser war -sehr entrüstet; Don Fernando hatte aber mehrere Bekannte bey sich, und -wagte es daher, seinen Gegner über seine Hitze aufzuziehen, und ihn -lächerlich zu machen. Der Cordovese ward noch zorniger, um desto mehr, -da er eine Memme war, und es nicht wagte, Fernando einen Zweykampf -anzubiethen. Er faßte denn von der Stunde einen unversöhnlichen -Groll gegen unsern Fernando, und schwor ihm Rache, auf was immer für -einen Weg er sie erreichen würden. Seine eigentliche Absicht war -Meuchelmord; da aber Fernando immer in der großen Welt lebte, und immer -wenigstens drey Bediente bey sich hatte, war all sein Auflauern immer -vergeblich gewesen. Er war aus Verdrusse nach Portugall gegangen; -da er aber hörte, daß sich Fernando nun zu Madrit befände, eilte er -wieder dorthin, um seinen Plan endlich einmahl auszuführen. Um nicht -erkannt zu werden, ließ er sich den Bart wachsen, und schloff in ein -Pilgerkleid. Nun ließ er Fernando nimmer aus den Augen. Wie wir wissen, -war dieser bisher keinen Tag ohne Gesellschaft gewesen; daß er es aber -diesen Tag sey, hatte der fromme Pilger ausgespähet. Er bettelte auf -der Straße Almosen, und ging ungehindert zu Fernando’s Hausthür hinein. - -Fernando wohnte in seinem Hause ganz allein; das Hausgesinde hatte -gegessen, und hielt die Sieste; der Pilger konnte denn ungestört bis -auf Fernando’s Zimmer dringen. Dieser schlummerte noch immer sanft -fort; der Pilger schlich leise bis ans Schlafgestell, zückte den Dolch, -tauchte ihn sechs Mahl in sein Herz, und entfloh. - -Das Hausgesinde erwachte allgemach, und ging an seine Arbeit; -niemand ahndete den Unglücksfall. Erst nach einigen Stunden kam der -Haushofmeister, auf Fernando’s Zimmer, schlug die Jalousien auf, und -sah seinen Herrn im Blute liegen. Er stand vor Schrecken wie eine -Bildsäule da, und machte endlich Lärmen. Alles weinte und jammerte, und -konnte nicht begreifen, wie der Mord geschehen konnte, da sie doch alle --- fest schliefen. Ihr Schmerz war indessen nicht von langer Dauer, und -sie faßten bald sammt und sonders den Entschluß, sich die Belohnung, -auf die sie für ihre treuen Dienste allerdings Anspruch machen zu -können glaubten, und die ihnen nun aus Mangel eines Testaments entgehen -würde, selbst zu verschaffen, und dann heimlich abzuziehen, um allen -Verdacht des Mordes von sich abzulehnen. Wie klug diese Berechnung -gewesen sey, leuchtet so ziemlich von selbst ein. Indessen ward der -Anschlag, dem der Herr Haushofmeister in eigener Person beytrat, an der -Stelle ausgeführt, alle Kasten, Kisten, Kästchen und Kistchen geöffnet, -alles, was sich an Geld’ und Geschmeide fand, nach Billigkeit getheilt, -und jeder zog nun hin, wo er sich am sichersten glaubte. - -Sie hatten sich schon nach allen Himmelstrichen begeben, als einer -von Fernando’s Freunden ihn besuchen wollte, und gerade auf sein -Schlafzimmer ging. Hier sah er das gräßliche Schauspiel, und schrie, -daß alle Nachbarn zusammen liefen. Das Gericht war auch bald bey der -Hand; man wollte ein Verhör vornehmen, aber es war niemand da, den -man hätte verhören können; kein Bedienter war zu hören oder zu sehen, -und die Nachbarn erklärten mit Einer Stimme, daß sie nicht eine Sylbe -von der ganzen Sache wüßten. Es blieb nichts übrig, als daß man in -dem andern Hause, wo er seine Pferde hatte, nachsuchte. Dort fanden -sich auch wirklich vier Lackeyen und ein Kutscher, die aber ebenfalls -von der Sache noch nichts gehört hatten, und auf der Madratze ruhig -schnarchten. Dem überklugen Gerichte schien gerade dieses Schnarchen -ein verdächtiger Umstand und eine List, durch die die Thäter den -Verdacht von sich abzulehnen suchten. Sie wurden durchsucht, und -in des Kutschers Tasche ein Brotmesser gefunden. Die Gerichtsperson -erklärte, daß wider jeden, bey dem sich Waffen fänden, gegründete -Inzüchten vorhanden wären, und folglich auch auf diejenigen, die mit -ihm in vertraulichem Umgange betreten würden, gegründete Verdacht -obwaltete. Kutscher und Bediente mußten denn, was sie sich auch -sträubten, ins Gefängniß wandern. Sie läugneten standhaft, und es war -schon nahe daran, daß sie auf die Folter gebracht werden sollten. - -Während all dieß vorging, hatten sich unsere Damen auf dem Prado -sehr gut unterhalten, waren zurück gekehrt, und hatten dem Kutscher -befohlen, vor Fernando’s Hause anzuhalten; die Hiobspost kam ihnen -schon auf dem Wege entgegen; sie konnten ihr aber unmöglich glauben, -und fuhren bis ans Haus. Der Kutscher, der ein Sclave war, brachte -ihnen die Bestätigung des Unglücks; und da er diesen Augenblick -benutzen wollte, um sich in Freyheit zu setzen, lief er hastig davon, -und ließ sie allein stehen. - -Theodora, die sich in jedem Schicksale männlich zu fassen wußte, und -die daher in ihrem Leben selten noch in Verlegenheit gekommen war, -wußte sich auch hier gleich Rath zu schaffen. Sie bezahlte den ersten -Vorübergehenden, daß er den Wagen in die nächste Remise führte, deren -Inhaber sie wieder reichlich bezahlte, damit er den Wagen niemanden, -wer es auch immer seyn möchte, ausfolgen ließe. Nun erst eilte sie mit -ihren Töchtern nach Hause, wo sie wie die Wölfe in der Wüste heulten, -und sich ihre schönen Haare ausgerauft haben würden, wenn sie nicht -der Gedanke eines unordentlichen Kopfputzes abgehalten hätte. Indessen -weinten sie bitterlich, und waren erst nach drey bis vier Stunden -wieder zu lachen im Stande. - -Theodora konnte doch die ganze Nacht kein Auge zuthun; denn sie dachte -unablässig, wie sie den Wagen mit den vier schönen Rappen in Sicherheit -bringen könnte. Sie ließ ihn auch mit Tages Anbruche von Madrit nach -Illescas führen, wo er verborgen bleiben sollte. Denselben Tag stellte -sich das Gericht auch bey unsern Sevillanerinnen ein, und verlangte -ihre Aussage. Da es aber nicht das mindeste Anzeichen fand, zog es -wieder in Frieden ab. Theodora fand nun nöthig, einen weiblichen -Staatsrath zu versammeln; ihre Töchter, und ihre schönen Nachbarinnen -setzten sich in einem Zirkel; Theodora räusperte sich, und hielt ihnen -folgende Rede. - -„Meine Damen,“ sagte sie, „bey dem Lebensplane, den wir uns -vorgezeichnet haben, ist uns nichts nöthiger, als daß wir uns mit -Würde benehmen, damit uns die dreisten Herren Männer nicht auf die -Ferse treten. Wir müssen sie durch unser Benehmen, wie durch eine Art -von Zauberspiele, anzulocken, aber auch zu körnen wissen, so, daß -sie die Schranken nie überschreiten können. Jeder Mann ist bey dem -geringsten Anlasse zudringlich, und ein zudringlicher Mann erkaltet -sehr geschwinde, wenn wir ihn nicht standhaft in den gehörigen Abstand -zurück weisen. Alles, worauf er Anspruch zu machen hat, muß ihm nur -als der höchste Grad freywilliger Begünstigung gewährt werden. Diese -goldene Regel habt ja immer gegenwärtig, meine Kinder, und vergeßt sie -auch dann nicht, wenn ich todt bin, und nur von oben herab auf euch -sehen kann. Der Weg, den wir mit so vielem Glücke begonnen haben, ist -uns durch den Tod des edlen Fernando auf ein Mahl abgeschnitten, und -wir müssen nun einen neuen einschlagen. Der arme Fernando! Wir hätten -noch drey Jahre von seinem Vermögen leben können; aber der Himmel hat -es nicht gewollt, und seine Rathschlüsse sind nicht zu ergründen. -Nun müssen wir vorzüglich den Wagen, der uns von ihm geblieben ist, -zu erhalten suchen; denn in einem Wagen kommt man auf jedem Wege -geschwinder fort: versteht ihr mich? Im Häuslichen mag es immer hier -kleinlich hergehen; der Wagen macht alles wieder gut. Mein Rath ist -denn, daß ihr eine um die andere in demselben eine Spazierfahrt macht, -und wie die Freybeuter irgend einen wackern Kriegsmann anzuwerben -sucht. Unser Wagen muß nun eine Postkutsche seyn, in der auf jeder -Station ein anderer Reisender fährt. Feliciane mag den ersten Versuch -machen.“ - -Alle fanden den Vorschlag der weisen Theodora vortrefflich; sie -theilten die Stadt ordentlich unter sich in bestimmte Bezirke ein, und -Feliciane machte sich reisefertig. - - -Fußnote: - -[A] Plateria. - - - - -ERSTE SPAZIERFAHRT. - - -Feliciane kleidete sich nun, wie sichs zu einer so wichtigen -Unternehmung ziemte, wobey ihr das übrige Frauenzimmer unter tausend -lustigen Anmerkungen hülfreiche Hand both. Ihr Kleid, das auch nicht -den kleinsten Reitz ihres Wuchses dem Aug’ entgehen ließ, war vom -grünem Atlasse, und sehr einfach gemacht. Ihr schwarzes Haar, das nur -mit einem Bande von derselben Farbe durchflochten war, blieb in schöner -Unordnung, und schien von der Natur gelockt. Sie gefiel sich, wie sie -da vor dem Spiegel saß, so gut, daß sie beynahe an sich selbst die -erste Eroberung gemacht hätte. Nun war sie fertig, und sprang mit so -leichtem Blute in den Wagen, als wohl noch nie in weiblichen Adern -getanzt hatte. Sie war ihres glücklichen Erfolges beynahe gewiß, und -nahm denn die Glückwünsche, die ihr die Fächer ihrer Gesellschaft noch -aus dem Fenster zuwinkten, nur als Ceremonie auf. - -Sie fuhr auch nicht so ganz auf blindes Glück fort, sondern hatte schon -ihr Augenmerk auf einen tüchtigen Fang gerichtet, den sie an die Angel -kriegen wollte. Es war ein reicher Mailänder, der sich seit kurzer -Zeit am Hof’ aufhielt, und eine Summe von mehr als funfzig tausend -Ducaten zu empfangen hatte, die ihm nach dem Tode eines Vetters, der -keine Kinder hinterlassen hatte, zugefallen war. Er trieb eigentlich -ein Kaufmannsgeschäft, und war übrigens gerade der Mann, von dem man -erwarten konnte, daß es ihm nicht sauer werden würde, die Erbschaft -eben so leicht wieder los zu werden, als er sie gemacht hatte. Horazio, -so hieß er, war beyläufig zwey und zwanzig Jahre alt, hatte eine -einnehmende Bildung, ein derbes, frisches Ansehen, und -- was kein -gleichgültiger Umstand war -- konnte die castillanische Sprache nicht -sehr behende sprechen, obschon er sie sehr gut verstand. Übrigens that -er sich nicht wenig auf seine Geschicklichkeit zu Gute, mit der er die -Laute und die Theorbe spielte. Er pflegte auch immer wie ein echter -Spanier des Abends vor den Fenstern der Damen Ständchen zu halten. Er -wohnte in der großen Alcalastraße, und bewohnte das Haus, an dem ein -großer Garten war, ganz allein. Sein ganzes Hausgesinde bestand aus -zwey Bedienten, einem Pagen, den er von seinem Vetter geerbt hatte, -einer mailändischen Haushälterinn, die die Küche besorgte, einem -Kutscher, der über zwey rothe Friesländer hofmeisterte, und einem -elenden Klepper, auf dem er selbst zu Madrit angekommen war, und um den -sich nun weiter niemand mehr bekümmerte. Über diesen Jüngling suchte -nun Feliciane ihr Netz auszuwerfen. - -Die Zeit, die sie zu ihrer ersten Spazierfahrt bestimmte, war sehr -glücklich gewählt. Es war eine schöne warme Nacht, mitten im Julius, -und der Mond schien spiegelhell. Sie nahm eine alte Magd mit sich, -die sie als Duenna kleidete. Über dieß hatten sie auch einen alten -Escudero mitgenommen, der sie nun schon seit längerer Zeit im Hause -bediente. In dieser ausgelernten Gesellschaft fuhren sie beyläufig um -neun Uhr an des Mailänders Hause vorüber. Sie trafen den Zeitpunct so -glücklich, daß der Mailänder eben auf dem Balcon in der angenehmen -Kühle bey dem Abendessen saß. Er hatte nur Beinkleider und ein Wamms -an, und klimperte eben auf der Theorbe. Der Wagen fuhr dicht an der -Mauer des Hauses vorüber, und als er der Thür gerade gegen über war, -rief man mit lauter Stimme: „Halt! Kutscher, halt!“ der Wagen hielt an, -und der Mailänder hörte auf, seine Theorbe zu spielen, um zu hören, was -Feliciane sagte. Er horchte ganz leise, und vernahm folgende Worte: -„Sie bemühen sich vergebens, meine Mutter! und eher würd’ ich mir mit -dem Messer, das ich in der Brieftasche trage, das Leben nehmen, als nur -einen einzigen Schritt vorwärts thun. So hat man mich betrogen? Solche -Fallstricke hat man mir gelegt?“ - -Nun hörte er eine andere Stimme, welche die Duenna, oder eigentlich -die alte Magd war. Sie sagte: „Meine Beste! fluchen Sie ihrer Mutter -nicht; gehorchen Sie ihr, und machen Sie ihr Alter nicht unglücklich. -Wie viele würden das Glück, das Sie von sich stoßen, mit beyden Händen -ergreifen!“ - -„Es ist Verrätherey,“ sagte Feliciane wieder; „es ist Grausamkeit, mich -zu dem zwingen zu wollen, was mir unmöglich ist. Niemand hat mit meiner -Freyheit zu schalten. Die Natur hat sie mir gegeben, und ich werde -sie gegen jedermann bis auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen -wissen.“ - -Bey diesen Worten fing sie bitterlich zu weinen und zu schluchzen an. -Der Mailänder hatte keine Sylbe verloren, und zu gleicher Zeit lehnte -sich der alte Escudero an den Wagenschlag, und sagte: „Mäßigen sie doch -Ihre Stimme, gnädiges Fräulein, sonst laufen uns Leute zusammen, und -meinen am Ende, es sey etwas an der ganzen Sache.“ „Nun denn,“ schrie -Feliciane in einer Art von Verzweiflung, „so ist denn die Flucht mein -letztes Mittel, und ich will sehen, wer im Stande seyn soll, sie zu -hindern.“ - -Dem Mailänder schien, daß sie nun im Wagen handgemein würden, und er -irrte auch nicht; denn sie rangen wirklich zum Scheine mit einander. -Der Escudero schien sich besonders tapfer zu widersetzen; endlich -gelang es Felicianen doch, aus dem Wagen zu springen, wobey sie, um das -Schauspiel tragischer zu machen, den Mantel und einen Schuh verlor. -Sie sprang gerade in des Mailänders Haus, und schrie: „Dieses Haus, -wem es immer gehören mag, soll meine Freystätte seyn. Es wird mich -aufnehmen, und sollte es eine Löwengrube seyn, so hoffe ich doch mehr -Menschlichkeit darin zu finden, als unter euren Händen.“ Bey diesen -Worten legte Horazio sein Instrument weg, nahm seinen Degen, und eilte -die Treppe hinunter. Feliciane stürzte ihm sprachlos zu den Füßen. Die -Duenna und der Escudero standen stumm da. Nun schien sich Feliciane -aus ihrer Betäubung zu erhohlen. „Unbekannter Ritter,“ sagte sie, indeß -sie immer noch fortweinte, und durchaus Horazio’s Knie umfassen wollte, --- „unbekannter Ritter, wenn Sie Menschengefühl im Herzen haben, so -erbarmen Sie sich meiner, und lassen Sie mich von Ihren Bedienten -unterstützen; denn meine Nerven sind mir abgerissen; ich kann nicht -aufrecht stehen.“ Horazio ließ sogleich Licht bringen, und befahl die -Hausthür zuzusperren, damit kein Auflauf würde. Man brachte Lichter, -und Horazio erstaunte über Felicianens Schönheit; denn ihr Schmerz -kleidete sie noch ein Mahl so reitzend, und die Stellung, in der sie -hingesunken war, hätte zum Modelle dienen können. Horazio sagte der -Duenna und dem Escudero voll edlen Unwillens, und mit einer Kühnheit, -über die sie als Komödianten nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit -erschrecken konnten, daß sie sich ja nicht einbilden sollten, er werde -diese schöne Dame von ihnen an einen Ort schleppen lassen, gegen den -sie Abneigung trüge; er würde sie vertheidigen, und wenn er darüber -sein Leben einbüßen sollte. „Aber um Gottes willen,“ schrie die Duenna, -und rang die Hände, „was werden wir ihrer Mutter sagen? In ihrer -Gegenwart ist sie mit uns fortgefahren; wo ist sie nun hingekommen?“ -„Was kümmert mich das?“ sprach Horazio; „ich bin ihr Beschützer gegen -Gewaltthätigkeit, und für das Übrige mögt ihr sorgen.“ „Nun,“ sagte -Mogrobejo, so hieß der Escudero, „so ist es um mich geschehen; ich darf -mich in Madrit nicht mehr sehen lassen.“ „Nein,“ schrie die Duenna -wieder, „ich kann mich nicht von meinem Fräulein trennen, und sollt’ -alles zu Grunde gehen!“ „Ich auch nicht,“ sagte Mogrobejo; „aber -nicht aus einfältiger Liebe, sondern weil es meine Pflicht ist, sie -nicht aus den Augen zu lassen.“ „Alter Verräther,“ schrie Feliciane, -„ihr sollt mich gewiß nicht anders, als stückweise, von der Stelle -bringen. Ich weiche keinen Schritt. Morgen bin ich in einem Kloster, -und vor eurer Boßheit für immer sicher.“ Was wollten sie thun? Der -Escudero kehrte den Rücken, setzte sich in den Wagen und fuhr fort. -Horazio nahm aber seinen schönen Gast an der Hand, und führte ihn -in einen niedern Saal, der zunächst bey ihnen war; die Duenna ging -langsam nach. Das Herz schlug ihm laut, als ihm die schöne Unbekannte -durch einen matten Druck der Hand Dank sagte. Sie setzten sich, und -Feliciane wußte ihren Kummer durch so manigfaltige reitzende Bewegungen -zu äußern, daß Horazio’s Seele die ganze Tonleiter der Empfindungen -hinauf kletterte, und er endlich in folgende Worte ausbrach: „Reitzende -Unbekannte, wie glücklich bin ich, daß ich dazu bestimmt war, Sie aus -der dringendsten Gefahr zu befreyen! Wie überglücklich wär’ ich, wenn -ich Sie vor allen weiteren Verfolgungen sicher stellen könnte! Rechnen -Sie aber darauf, daß ich nichts unversucht lassen werde, diesen hohen -Zweck zu erreichen, der mich von nun an ganz allein beschäftigen soll. -Mein ganzes Haus steht Ihnen unumschränkt zu Befehle; Sie können da so -lange verborgen bleiben, als es Ihnen räthlich scheinen wird. Wohin -Sie es immer verlangen, werde ich Sie bringen. Ich bin Edelmann, und -denke auch edel. Ihre Tugend läuft bey mir keine Gefahr; und nur wenn -es zu Ihrem eigenen Besten nöthig ist, daß ich Ihre Geschichte erfahre, -wünsche ich sie zu hören, so hohen Antheil ich auch an Ihrem Schicksale -nehme.“ - -Während dieser ganzen Rede hatte Feliciane von einem prächtigen Ringe, -den Horazio am Finger trug, und dessen Billanten sie allzu schön -anfunkelten, kein Aug’ abgewendet. Er mußte an ihren Finger herüber -kommen, und gehe es, wie es wolle; das war nun einmahl beschlossen. -„Ich finde keine Worte,“ sagte sie „mit denen ich Ihnen bezeugen -könnte, was in meinem Herzen vorgeht. Die Vorsicht hat mich Ihnen -zugeführt, großmüthiger Mann! hätten Sie sich nicht durch mein Unglück -rühren lassen, so wär’ ich jetzt schon ohne Rettung verloren. Die -nähmliche Großmuth, die Sie zu meiner Befreyung angetrieben hat, -wird Sie auch auffordern, die Rechte einer Freystätte, für die ich -Ihr Haus nun ansehe, nicht zu verletzen. Ich werde von Ihrer Güte -Gebrauch machen, und werd’ Ihnen so lange hier lästig fallen, als -es unumgänglich nöthig seyn wird.“ „Um Sie vollends zu beruhigen,“ -sagte Horazio, „will ich nicht einmahl im Hause hier bleiben, sondern -mich bey einem Verwandten aufhalten, bis Sie mit Ihrer Mutter -ausgesöhnt sind.“ „Nein, durchaus nicht!“ fiel ihm Feliciane in die -Rede; „Sie müssen hier bleiben; denn ich will sie überzeugen, daß ich -unumschränktes Vertrauen in Sie setze. Wenn man käme, und mich mit -Gewalt fortführen wollte, wer würde mich vertheidigen?“ „Was für ein -Befehl könnte mir auch willkommener seyn?“ sagte Horazio. - -Er hatte sein Abendessen, wie wir wissen, noch nicht eingenommen, und -da ihn eben ein Bedienter daran erinnerte, suchte er Felicianen zu -bewegen, daß sie mit ihm einige Erfrischungen nähme. Sie war ihm zu -viel Dank schuldig, als daß sie ihm nicht hätte Gesellschaft leisten -sollen, und er wußt’ es durch seine unwiderstehliche Beredtsamkeit -gar dahin zu bringen, daß sie aß und trank, wie ein kummerloser -Mensch. Sie sah zu deutlich, wie sehr sie auf ihren Wirth Eindruck -gemacht hatte, als daß sie diese Episode in ihr Schauspiel nicht hätte -einrücken sollen. Horazio war nun schon so über und über verliebt, daß -er nicht mehr im Stande war, auch nur dem geringsten Verdachte gegen -die Wahrheit der Geschichte Platz zu geben. Er war der einzige am -Tische, der keinen Bissen aß, und doch machte ihn dieser Umstand nicht -aufmerksam. - -Er hätte nur gar zu gern Nahmen, Stand, und die Geschichte der Dame -erfahren; er durfte es aber nicht wagen, die Wunde wieder aufzureißen, -und ihren Kummer etwa zu verdoppeln. Es war nun hohe Zeit, dem Fräulein -Ruhe zu gönnen, die ihr so nöthig schien. Er begleitete sie denn selbst -in das Gemach, das er für sie und Banuelos, die Duenna, hatte bereiten -lassen. Er tröstete sie noch mit den zärtlichsten Ausdrücken, und begab -sich in das obere Stockwerk. Es läßt sich denken, daß Horazio und -Feliciane die Nacht in ganz verschiedenen Betrachtungen zubrachten. -Horazio konnte kein Auge zuthun, und sann unablässig auf Mittel, ihre -Verbindlichkeit zu fesseln, und ihre Liebe zu verdienen. Feliciane aber -weidete sich an dem glücklichen Erfolge ihrer List, und erwog, wie -sie dieses Haus mit dem möglich größten Gewinne in möglich kürzester -Zeit verlassen könnte. Sie berathschlagte sich mit ihrer wohlerfahrnen -Banuelos, und überließ sich endlich einem gesunden, ungestörten -Schlummer. Was sie in ihrem Rathe beschlossen haben, werden wir hören. - -Horazio war vor Tages Anbruche schon auf den Beinen, kleidete sich an, -und konnte den Augenblick nicht mehr erwarten, in dem er seinen Gast -wieder würde sehen und sprechen können. Er konnt’ es auf seinem Zimmer -nicht aushalten, und ging denn in den Hof hinunter, um sein Herz in -der Morgenluft zu erleichtern. Wie er die Treppe hinunter kam, fand -er die Duenna, die sorgfältig etwas auf dem Boden zu suchen schien, -und mit unter tiefe Seufzer ausstieß. Er fragte sie voll Besorgnis, -was sie suche; sie antwortete aber ganz ängstlich: „Nichts, gnädiger -Herr!“ seufzte aber noch tiefer, als zuvor. Horazio besorgte, daß -irgend ein Unglück geschehen seyn dürfte, und bestand durchaus darauf, -daß sie mit der Sprache heraus solle. „O gnädiger Herr,“ sagte die -alte Schlange, „ich will es Ihnen wohl sagen; verrathen Sie mich aber -nicht.“ Er gab ihr sein Wort, und sie sprach: „Was ich suche, ist ein -Ring, den mein Fräulein verloren hat. Sie glaubt, es sey geschehen, als -sie aus dem Wagen sprang; denn zuvor hat sie ihn gehabt, und nachher -vermißt. Er war von Diamanten von großem Werthe, und das schlimmste -bey der Sache ist, daß er nicht ihr selbst, sondern einer von ihren -Freundinnen gehört, der sie dagegen einen andern, der besondern Fassung -und eines Nahmens wegen, auf kurze Zeit geliehen.“ Horazio tröstete -sie, schickte einen Bedienten vor die Hausthür, um den Ring zu suchen, -und sagte zur Duenna, sie möchte sich nicht betrüben; denn wenn er sich -auch nicht fände, solle es ihrem Fräulein doch nicht an andern fehlen, -und die von größerm Werthe wären. Er wünsche nur, flickte er hinzu, -mehrere Gelegenheiten zu haben, dem Fräulein auf eine wesentlichere -Art beweisen zu können, wie sehr er sie hoch -- schätze und -- liebe. -Er war so begeistert, daß er die Alte in seine Arme schloß, und so heiß -küßte, als ob sie Feliciane selbst gewesen wäre. Sie stellte sich nun -getröstet an, und meldete ihm für seine Großmuth, daß er ihr Fräulein -nun schon werde sprechen können. Er eilte mit ihr ans Gemach, und -Feliciane war wirklich schon halb angekleidet. Horazio wollte durchaus -nicht ins Zimmer treten, bevor nicht Banuelos erst zu ihr hinein gehe, -und sie frage, ob er ihr nicht ungelegen falle. Feliciane rief aber -mit lauter Stimme durchs Vorzimmer: „Bester Horazio! in Ihrem eigenen -Hause sollte ich Ihnen den Zutritt versagen? Sie erweisen mir so viele -Güte, und ich sollte so unartig seyn? Ich bin ja schon angekleidet; -kommen Sie doch!“ Er ließ sichs nicht zwey Mahl sagen, eilte hinein, -und fragte sie, wie sie die Nacht zugebracht habe. - -„Wie anders,“ sagte sie, „als in der größten Unruhe: ich habe kein Auge -zugethan. Banuelos ist mein Zeuge.“ - -„Ja wohl,“ sage die Alte; „das war eine Nacht! Wenn Sie noch mehrere -solche haben, gnädiges Fräulein, so sind Sie bald eine Leiche. Wenn sie -auch ein wenig schlummerte, das liebe Fräulein, so saß sie doch gleich -wieder im Bett’ empor, und häftete den Blick starr an die Wand, als ob -sie ein Gesicht sähe.“ - -„O meine arme Mutter!“ stimmte Feliciane wieder an; „verzeihe mir den -Kummer, den du vielleicht jetzt um meinetwillen leidest. Es ist aber -nicht meine Schuld; du magst mir vergeben, daß ich es für Verbrechen -halte, sich dem Eigensinn’ eines Menschen aufzuopfern, und wenn dieser -Mensch eine Mutter wäre.“ - -„Trösten Sie sich doch,“ sagte Horazio, „obschon dieser edle Schmerz -Ihrem Herzen Ehre macht; Sie sind aber sich selbst Mäßigung schuldig.“ - -Feliciane vergaß auch bey dieser Unterredung nicht, jeden Vortheil, -den ihr die leichte Morgenkleidung anboth, geltend zu machen; sie -sprachen noch manches, und endlich fragte Feliciane die Alte wie im -Vorbeygehen, ob sich der Ring gefunden habe. Banuelos antwortete, -daß er noch nicht gefunden sey, daß aber Horazio’s Bediente eben mit -dem Suchen beschäftiget wären. Feliciane dankte ihm für seine zuvor -kommende Gefälligkeit, und Horazio sagte: „Es ist mir wahrhaftig sehr -unangenehm, daß Sie mit dem Verluste des Ringes Verdruß haben; belieben -Sie aber diesen hier anzusehen.“ Hier zog er den seinigen vom Finger; -sie betrachtete ihn mit ungehäucheltem Vergnügen, und sprach: „Dieser -Ring macht Ihrem Geschmack Ehre; er ist unvergleichlich gefaßt, und -übertrifft den verlornen an Werthe ungemein. Dieser war nicht über drey -hundert Escudo’s werth; und dieser gilt wenigstens acht hundert.“ - -„Sie sind wahrhaftig eine Kennerinn,“ erwiederte Horazio, „und sie -haben wenigstens nahe an den eigentlichen Werth gerathen; denn er kam -meinem Vater, dem ihn der Herzog von Savoyen überließ, auf etwas über -tausend Escudo’s. Darf ich Sie aber um eine Gefälligkeit bitten? Darf -ich Sie vorläufig um die Versicherung bitten, daß Sie mir sie nicht -abschlagen werden?“ Feliciane merkte zu gut, wo er hinaus wolle, -und antwortete: „Bester Horazio! Sie haben mir gestern Ihr Ehrenwort -gegeben, daß ich nicht ein unanständiges Wort aus Ihrem Munde hören -werde; ich hoffe, Sie sind ein Mann. Übrigens bin ich Ihnen zu viel -Dank schuldig, als daß ich Ihnen was immer für eine Gefälligkeit -abschlagen sollte.“ - -„Sie geben mir also Ihr Ehrenwort?“ - -„Ja.“ - -„So nehmen Sie also auch,“ fuhr Horazio voll Feuer fort, „diesen Ring -anstatt des verlornen an.“ - -Feliciane stellte sich betroffen, und schob seine Hand sachte zurück. - -„Sie weigern sich, ein unbedeutendes Andenken von dem Manne zu nehmen, -der nichts so innig wünscht, als nie von Ihnen vergessen zu werden?“ - -„Horazio!“ rief Feliciane. - -„Sie wollen also Ihr Ehrenwort brechen? Sie kränken mich -unaussprechlich!“ - -„Nein! Das will ich nicht,“ sagte Feliciane wieder, und wusste ihren -Augenliedern einen so geschickten Druck zu geben, daß eine helle -Thräne ihre Wange herunter rollte. „Ich nehm’ ihn, und will ihn -als Andenken ehren. Aber halt! ich darf ihn nicht nehmen. Nur dann -könnte ich ihn als Andenken nehmen, wenn er an meinem Finger bliebe: -ich hatte den verlornen aber nur von einer Freundinn auf einige -Zeit ausgetauscht; denselben kann ich ihr nicht wieder zurückgeben; -ich werd’ ihn ihr also zu ersetzen wissen. Ich denke nun der -Verbindlichkeit meines Ehrenwortes ledig zu seyn.“ - -Horazio antwortete: „Nein, meine Beste! Sie sind Ihres Ehrenwortes -nicht ledig. Ihre Freundinn wird sich den Ring nicht mit Geld ersetzen -lassen, sondern wird sich mit einem andern Ringe von gleichem Werthe -begnügen müssen. Mein Andenken haben Sie angenommen“ -- nun sprang er -zu einer auf einem Kasten stehenden Schatoulle, und hohlte ein Futteral -mit sechs anderen brillantenen Ringen hervor -- „und nun werden Sie von -diesen hier einen für Ihre Freundinn annehmen.“ - -„Was denken Sie von mir, Horazio?“ sagte Feliciane; „ich würde fähig -seyn, die Verletzung des Gastrechts so weit, bis zur Unverschämtheit -zu treiben?“ - -„Schönste Feliciane,“ sagte der Sophist, „Sie sind es ja nicht, die den -Ring annimmt; und ich würde es nicht gewagt haben, Ihrer Delicatesse -nahe zu treten. Ihre Freundinn ist es ja, die ihn von mir annimmt, und -der ich ihn für das Vergnügen schuldig bin, den mir das Andenken hier -an ihrem Finger macht.“ - -„Trauen Sie also meiner Freundinn weniger Delicatesse zu, als mir?“ -sagte Feliciane. „Wie Sie auch die Sache drehen! wie Sie mir die -unschuldigste Absicht übel ausdeuten!“ sagte Horazio. „Wie kann es die -Delicatesse Ihrer Freundinn reitzen, wenn sie von einem Manne etwas -annimmt, was er ihr eigentlich schuldig ist, da es in seinem Hause -verloren worden; von einem Manne, den sie nicht einmahl kennt; wenn -sie es nimmt, ohne selbst zu wissen, woher es kommt? Warum wollen Sie -mir dieß Vergnügen versagen, das Ihnen weiter keine Beschwerlichkeit -macht, als daß Sie etwas mit der einen Hand nehmen, und mit der anderen -abgeben?“ „Denken Sie also,“ sagte Feliciane, die herzlich froh war, -daß sie nun plötzlich auf einen andern Weg einlenken konnte, „denken -Sie also, daß ich bey einem Vergnügen, das ich Ihnen verschaffen soll, -auch nur daran zu denken im Stande sey, was es für einen Eindruck auf -mich machen werde? O Sie kennen mich noch sehr wenig; und um Sie zu -überzeugen, daß ich von so einer niedrigen Bedenklichkeit weit entfernt -bin, geb’ ich Ihnen nach, und will nicht einmahl erwägen, ob mich Ihre -Gründe, oder Ihre Beredtsamkeit bestimmt.“ - -Horazio öffnete das Futteral, und Feliciane war bey dem Anblicke der -sechs kleinen Fixsterne nicht wenig überrascht. „Wählen Sie nach -Geschmacke,“ sagte Horazio; aber Feliciane konnte sie nicht bestimmen, -denn sie war keine große Kennerinn, und hätte doch gern dem würdigsten -die Ehre der Wahl erwiesen. „Nun müssen Sie mir ein Mahl nach meinem -Kopfe thun. -- Eingeschlagen!“ -- Horazio that es, und Feliciane fuhr -fort: „Für meine Freundinn werden Sie nun wählen.“ Horazio konnte -nichts entgegen sagen, und hob den vorzüglichsten aus, der ebenfalls -über tausend Escudo’s werth war. Nach einem kurzen Gespräche ließ er -sie allein, damit sie sich vollends ankleiden konnte. Sie war nun -Besitzerinn eines Schmuckes von mehr als zwey tausend Escudo’s, und -Horazio hatte ein Vergnügen darüber, das er um drey tausend nicht hätte -entbehren wollen. - -Er fuhr aus, sprach verschiedene Freunde, hüthete sich aber, ein Wort -von seinem schönen Gaste zu verlieren; auch seinen Bedienten hatte er -ein strenges Stillschweigen eingeschärft. - -Gegen Mittag kam er wieder nach Hause, wo er den alten Escudero fand, -der ihm meldete, daß er sich, um seiner Frau wieder unter die Augen -treten zu dürfen, einer Lüge bedient, und ihr gesagt hätte, daß sie -ihre Tante binnen drey oder vier Tagen abholen würde, und daß er -der Tante gesagt habe, er hätte das Fräulein in ihrer Mutter Hause -gelassen. Feliciane war mit seinem Einfalle wohl zufrieden, und Horazio -gab ihm eine Dublone. „So sauer mir auch das Lügen wird,“ sagte die -Duenna, „so könnte ich doch für Don Horazio immerhin eine wagen.“ -Horazio hatte nun eben die Hand im Beutel, und bezahlte auch ihr diese -liebevolle Äußerung mit einer Dublone. Feliciane befahl ihr zwar, sie -nicht anzunehmen; aber Horazio bestand durchaus darauf. - -Sie gingen nun zu Tische, und nachdem sie wacker gegessen hatten, -äußerte Horazio wieder seinen Wunsch, Felicianens Geschichte zu hören, -und diese konnte sie ihm nicht länger vorenthalten. Sie begann denn. - -„Don Lope Zopata von Meneses, der zweyte Sohn des Don Bernardo Zopata, -war mein Vater; er diente in Flandern, und bracht’ es bis zum Capitäne. -Er kam an den Hof zurück, um eine Zulage an Gehalt zu begehren, und -verliebte sich da in meine Mutter, aus dem Hause Arancivica, einer der -ansehnlichsten Familien in Biskaja. Er wußte ihre Ältern in wenig Tagen -zu gewinnen, erhielt sie zur Gattinn, und mit ihr einen Eisenhammer zur -Mitgift; ein ganz ansehnliches Geschenk, da er über jährliche vier -tausend Escudo’s eintrug. Sie hatten zwey Töchter, mich, Blanca, und -meine jüngere Schwester Lucretia. Mein Vater diente noch mehrere Jahre, -und starb als Seneschall in Cordova. Dort gefiel es einem Edelmanne, -mich ins Auge zu fassen, und mir mit seinen zudringlichen Erklärungen -so unablässig in den Ohren zu liegen, daß er mir vollkommen zuwider -war, und ich ihn ohne innigen Verdruß nicht mehr nennen hören konnte. -Nach meines Vaters Tode zog meine Mutter nach Madrit, wo wir nun zwey -Jahre sind. Sie hat eine Schwester, eine Wittwe mit zwey Töchtern, in -deren Hause wir uns meisten Theils, obschon in verschiedenem Gelaß’, -aufhalten. Der Ritter von Cordova kam auch hierher, nicht aber in der -Absicht, seine Werbung um mich fortzusetzen, sondern sein Augenmerk war -auf die Tochter eines Rathes gerichtet, die ihn aber bald abfertigte. -Als er dort kein Gehör fand, fand er es für gut, sich wieder an mich zu -wenden, und beschloß endlich zur größeren Sicherheit seines Erfolges, -mich geradezu zur Ehe begehren. Ich will Ihnen eine kleine Schilderung -von ihm machen. Er ist sehr leibig, und dabey sehr klein, sieht sehr -tückisch her, und ist auch wirklich, wie seine Bedienten einhällig -sagen, meistens von so übler und ungestümer Laune, daß er sich mit -niemanden vertragen kann. Urtheilen Sie nun selbst, ob ich recht -that, daß ich die Hand so eines Mannes ausschlug. Unterdessen so sehr -sich mein Herz gegen eine Verbindung mit ihm von jeher empört hatte, -so wenig mißfiel er doch meiner Mutter. Sie hatten öfters besondere -Unterredungen, und ich entdeckte bald, daß ihm meine Hand verheißen -sey. Sie waren auch nur mehr über die Bedingnisse uneinig. So reich er -ist, macht’ er doch große Forderungen, zu denen sich meine Mutter nicht -verstehen konnte, weil sie selbst größten Theils nur vom Wittwengehalte -lebte, und ihr Vermögen eigentlich nur für uns Schwestern ersparen -wollte. O sie ist doch eine gute Mutter, und sie hat seinen Antrag -gewiß nur darum so eifrig begünstigt, weil sie mich noch an ihrem Leben -versorgt sehen wollte, und mich bey ihm gut versorgt glaubte.“ -- -Sie weinte, und Horazio überzeugte sich wieder neuerdings, daß eine -vortreffliche Seele in diesem makellosen Körper wohne. - -„Endlich,“ fuhr sie fort, „ließ er doch von seinen Forderungen ab, und -erklärte sich, daß er mir auch ohne Mitgift die Hand reichen wolle. -Der Tag zur Unterzeichnung war bestimmt, und es war so abgekartet, -daß ich in das Haus meiner Tante geführt werden sollte, um mein -Todesurtheil zu unterzeichnen. Man befahl mir, ohne der Hauptsache -nur mit einem Worte zu erwähnen, mich anzukleiden, und sagte mir nur, -daß ich abgeholt werden würde. Mir kam alles verdächtig vor, und das -Herz schlug mir mächtig; indessen konnt’ ich nichts vorschützen, -warum ich nicht zu meiner Tante fahren wollte. Der Wagen kam, und wir -stiegen ein; mit jedem Schritte schlug mein Herz stärker; Banuelos -sichtbare Ängstlichkeit, des Escudero ununterbrochenes Schweigen, -ihrer beyder Verlegenheit, wenn ich sie fragte, warum wir zur Tante -führen, enträthselten mir alles. Nun wollt’ es mich nicht mehr im Wagen -leiden; ich forderte, sie sollten anhalten lassen; sie thaten’s nicht: -ich schrie dem Kutscher selbst zu; er hielt gerade vor Ihrem Hause -an: ich sprang aus dem Wagen, -- das übrige wissen Sie selbst.“ -- -Nun vergoß sie wieder einen Strom von Thränen; die Duenna schluchzte, -und Horazio selbst weinte mit. Nachdem sie sich alle wieder erhohlt -hatten, erklärte Feliciane, daß sie überhaupt, so lange sie nun Madrit -bewohne, in einer seltsamen Stimmung sey, und in einer ununterbrochnen -Fröhlichkeit ihrem Herzen nie eine ernsthafte Neigung habe nahe kommen -lassen. Horazio’s ganzes Wesen heiterte sich nun auf; denn er hatte -nicht mehr und nicht weniger vermuthet, als das sie am Ende ihrer -Erzählung das Geständniß hinzu fügen würde, daß ihr Herz schon an einen -andern verschenkt gewesen sey. - -„Eine glückliche Stimmung, in der Sie waren!“ sagte Horazio; „denn was -ist wohl glücklicher, als durch sein Leben munter und sorgenlos wie -durch einen Garten hinhüpfen zu können! Wenn nun aber einmahl diese -Art von unversuchter Fröhlichkeit, die in unsern Verhältnissen auch -nicht lange währen kann, vorüber ist, dann gibt es auch wirklich keinen -Zustand, der uns für jenen schadlos halten könnte, als den Zustand -einer glücklichen Liebe. O ja!“ fuhr er mit einer Art von Begeisterung -fort, „so vielen Kummer eine unglückliche willkürliche Liebe, so viele -Nachreue eine unvorsichtige und zu rasche nach sich zieht; so übergroße -Seligkeit bringt auch eine glückliche, und so viele Vorwürfe haben -sich zwey Herzen zu machen, die sich vielleicht wechselseitig auf -immer glücklich machen könnten, und doch“ -- -- bey den letzten Worten -hatte er Felicianens Hand mit einer Art von Wuth ergriffen; sein Blick -hing starr an ihrem Auge; und diese Zauberinn, der alle animalischen -Verrichtungen des Körpers zu Gebothe zu stehen schienen, wußte sich -schnell die gehörige Masse Bluts in die Wangen zu pumpen, das sich wie -ein Rosenflor über sie ausbreitete. „O Gott!“ seufzte Horazio, und -Feliciane sagte ganz leise, und indem sie sich eine Thräne vom Auge zu -wischen schien: „Wollen Sie mir nicht die Theorbe spielen?“ Er dachte -weiter nichts, als daß sich Feliciane aus einer nur allzu sichtbaren -Verlegenheit zu retten wünsche, und nahm die Theorbe augenblicklich -zur Hand. Er spielte und sang mit wahrem Eifer; was er aber dieß Mahl -an Ausdrucke gut machte, das verdarb er mit falschen Griffen. Als er -geendigt hatte, sagte Feliciane, daß auch sie eine große Liebhaberinn -von Musik wäre, und zu Hause eine Harfe und eine Guitarre habe. Horazio -sprang auf, hohlte seine Guitarre, und ließ nicht eher ab, bis sich -auch Feliciane zu einem kleinen Gesang’ entschloß. Man hätte eine große -Wette eingehen können, daß kein Mädchen in Madrit die Guitarre mit mehr -Grazie zu halten im Stande war, als sie; man wußte nicht, wenn sie -spielte, ob man sich von dem sanften Auf- und Abgleiten ihrer Finger, -oder ihrer ausdrucksvollen Stimme, oder von dem reitzenden Wiegen ihres -Körpers, mit dem sie den Gesang begleitete, hinreißen lassen solle. Sie -sang: - - Ein Vöglein auf dem Felde saß; - Es pfiff und sang ohn’ Unterlaß; - Es saß bald hier, es saß bald dort, - Und sang, und trillert’ immer fort. - - Im Herbste und im Winter war - Es fröhlich, wie im frühen Jahr; - Es saß bald hier, es saß bald dort, - Und sang und trillert’ immer fort. - - Doch lange hatt’ ihm schon im Feld’ - Ein Vogelsteller nachgestellt; - Er pfiff -- es pfiff den Wald hinein, - Im Netze war das Vögelein. - -Feliciane hatte eine so angenehme Melodie zu diesem Texte gewählt, -daß Horazio, der den Inhalt des Gesanges ohne allen Anstand auf sich -auslegte, ganz bezaubert war. Er pries ihre Talente in seiner halb -castellanischen Sprache mit so sonderbaren Ausdrücken, daß sich -Feliciane kaum des Lachens erwehren konnte. - -Ihr Gespräch war durch die Ankunft des alten Escudero gestört, der -einen kleinen Pack, mit einem sonderbarem Überzuge von Leinwand, trug. -Er nahm ihn unter seinem Mantel hervor, und öffnete ihn. „Wie?“ sagte -Feliciane; „wo hast du das Kleid, das ich ausdrücklich verlangt habe?“ -„Ich bitte um Vergebung! gnädiges Fräulein; es war aber unmöglich: -denn alle Ihre Kleider hat man schon in die Wohnung der gnädigen Tante -geschafft.“ - -„Wie werden wir sie nun kriegen?“ sagte Feliciane; „nun muß ich immer -das nähmliche auf dem Leibe tragen.“ Sie stellte sich sehr verdrießlich -an, und Horazio, der jede Gelegenheit, sie sich verbindlich zu machen, -mit beyden Händen ergriff, unterbrach sie, und sprach: „Lassen Sie -sich doch nicht so eine Kleinigkeit kümmern, beste Donna Blanca! -so einem Übel wird doch bald abgeholfen seyn. Bis heute Abends -lassen sich wohl zwey Kleider ganz nach Ihrem Geschmacke, mit allem -Zugehöre verfertigen.“ Feliciane warf ihm einen zärtlichen Blick zu, -und sagte: „Sie sind wirklich zu gefällig, und ich sollt’ Ihre Güte -nicht mißbrauchen. Wenn Sie mir aber in dieser Verlegenheit auf meine -Rechnung zwey Kleider verschaffen wollen, werden Sie mich Ihnen -unendlich verbinden.“ Horazio war voller Freuden, und machte, nachdem -er sich noch genau Farbe, Stoff und Zugehör hatte vorschreiben lassen, -die nöthigen Anstalten. Nun suchte Feliciane das Gespräch auf einen -andern Gegenstand zu leiten. Sie sagte ihm, daß sie dem Escudero, -ungeachtet aller Betheurungen, doch nicht vollkommen traue, und daß -sie unaufhörlich der Zweifel peinige, ob es wohl wahr sey, daß er -sie von beyden Seiten, so wohl bey ihrer Mutter, als bey ihrer Tante -sicher gestellt habe. „Sie, Horazio,“ sagte sie, „wären im Stande, mich -hierüber vollkommen zu beruhigen. Hören Sie, in meiner Tante Wohnung -wird ein Gelaß vermiethet; wenn sie es besuchen wollten, könnten Sie -bey dieser Gelegenheit auch meine Tante selbst sprechen, und so im -Gespräch’ abnehmen, wie sie gestimmt, und ob sie meiner Flucht nicht -etwa auf der Spur sey.“ Horazio nahm den Auftrag desto freudiger an, da -er zugleich eine nähere Auskunft über Felicianens Schicksal, und über -die ganze Geschichte zu erhalten hoffte; Feliciane schickte aber in -der Eile ihrer Mutter durch den Escudero einen Zettel, in der sie ihr -ganz kurz meldete, wie sie sich gegen Horazio zu benehmen habe. - -Horazio ging nun fröhlich zum Thore von Quadalaxara hinaus, und kaufte -den Stoff für die zwey Kleider; auf das eine schwarzen Atlaß, und auf -das zweyte blaß rosenfarbigen Taffet. Als er auch die Verfertigung -besorgt hatte, ließ er den Wagen gerade an das Haus der Tante seiner -Feliciane fahren, und an der Hausthür halten. Er schickte einen -Bedienten um die Schlüssel zu dem Gelasse, das hier vermiethet wurde, -hinein; eine Magd kam, zeigte ihm das Gelaß, und er fragte nun nach -der Person, mit der er sich über den Preis zu besprechen hätte; man -nannte sie ihm, und er erkannte sogleich an dem Nahmen Laura, daß es -Felicianens Tante wäre. Er ward zu Theodoren geführt, und fand sie in -einer sehr betrübten Stellung; sie kamen über den Preis überein, und -Theodora bath ihn, ihr auch den Nahmen der Person, für die er das Gelaß -gemiethet hätte, bekannt zu machen. Horazio sagte ihr, daß es eine -Wittwe, eine Base von ihm, wäre. „O bringen Sie mir sie doch bald!“ -sagte Theodora; „denn ich leb’ ohne dieß wie im Kerker, ohne alle -Gesellschaft, und leide besonders seit zwey Tagen großen Kummer.“ „Das -zeigt sich nur zu deutlich an Ihrer Miene,“ antwortete Horazio; „und -so wird sich meine Base vortrefflich zu Ihnen schicken, denn sie ist -immer sehr munter und aufgeweckt.“ „Nun,“ antwortete Theodora, „bringen -Sie mir sie doch recht bald! ich trage schon eine rechte Sehnsucht nach -ihr.“ „In der That,“ erwiederte Horazio, „Ihr Kummer geht mir nahe, und -wenn es nicht unbescheiden wäre, würd’ ich es wagen, Sie um die Ursache -desselben zu fragen.“ - -„O mein Bester!“ sagte Theodora; „das ist es eben, was ihn noch größer -macht, daß ich ihn nicht mittheilen kann.“ - -„So will ich auch nicht weiter in Sie dringen; indessen, wenn dieser -besondere Umstand nicht eingetreten wäre, so hätt’ ich Ihnen meine -Dienste angebothen. Ich bin zwar kein Spanier, aber doch Edelmann, und -schmeichle mir, hier mit ansehnlichen Häusern in Verbindung zu stehen.“ - -„Sie sind also kein Spanier?“ - -„Nein, wie Ihnen auch schon meine schlechte Aussprache zeigt; ich bin -aus Mailand, und nur eines Geschäftes wegen hier, übrigens aber, wie -gesagt, zu jedem Dienste bereit, den ich Ihnen leisten kann.“ - -„Ich danke Ihnen, vortrefflicher Mann! Nach Ihrer freundschaftlichen -Äußerung, zu der Sie nur Menschenliebe auffordern kann, da Sie mich -nicht einmahl kennen, würd’ ich wirklich undankbar seyn, wenn ich -Ihnen die Ursache meines Kummers noch länger vorenthalten wollte. -Belieben Sie in dieses Gemach herein zu kommen; hier könnte man uns -belauschen.“ Sie gingen hinüber, setzten sich, und Theodora begann: -„Ja mein Bester! diesem Hause ist ein großes Unglück widerfahren. -Ich hatte die Tochter meiner Schwester, und einen Ritter von gutem -Charakter und untadelhaftem Vermögen zu mir bestellt, um zwischen ihnen -einen Heirathsvertrag richtig zu machen. Ich muß freylich gestehen, -daß das Mädchen eben nicht besondere Neigung gegen den Ritter trug; -unerfahrne Mädchen wissen sich aber nicht selbst zu rathen, und so -glaubte ich denn meine Pflicht zu thun, wenn ich meine Erfahrung -anstatt der ihrigen gebrauchte, und sie so gewisser Maßen zu dieser -Verbindung nöthigen würde, wofür sie mir in der Folge noch danken -dürfte. Es war schon alles verabredet; sie war mit ihrer Duenna, unter -der Begleitung eines Escudero, abgehohlt; aber, Gott weiß wie es -geschehen seyn mag, mit einem Mahle verschwanden sie dem Escudero aus -den Augen, und der gute Alte weiß nicht im geringsten zu sagen, wo sie -hingekommen sey. Ich habe sie bey allen Bekannten, in allen Klöstern -aufsuchen lassen; aber nirgends ist sie zu finden. Ihre Mutter liegt -krank, und meint, sie sey in meinem Hause. O mein Bester! Sie kommen -in viele Gesellschaften; wie würden Sie mich nicht verbinden, wenn Sie -nur die geringste Nachricht von ihr geben könnten, damit meine Unruhe -nur in etwas gemildert würde. Vielleicht ist sie nicht einmahl mehr in -Madrit; von einem entschlossenem Mädchen ist alles zu fürchten. Gern -will ich ihr vergeben, wenn sie vielleicht mit einem Ritter von ihrem -Stande ein geheimes Liebesverständniß gepflogen hat: wenn sie aber ihr -Blut verläugnet; wenn sie sich von einer blinden Leidenschaft hinreißen -läßt, und sich etwa einem Häuchler aus niederm Rang’ in die Arme wirft, -o Gott! dann ist es um die Ruhe meines Lebens auf immer geschehen. Wie -leicht ist ein unschuldiges Mädchen nicht verführt; besonders ein so -schönes Mädchen! O Mädchen, Mädchen! was für Kummer machst du mir!“ - -Horazio, der nun eher an Gottes Wort, als an der Wahrhaftigkeit dieser -Erzählung gezweifelt hätte, antwortete ihr: „Ich danke Ihnen von ganzem -Herzen, gnädige Frau, für das Zutrauen, das Sie mir schenkten, und will -es durch eine Nachricht zu bezahlen suchen, die Ihnen wahrscheinlich -willkommen seyn dürfte. Ich weiß nun eine Dame, die nur drey Tage von -Haus’ entfernt ist; sie heißt Donna Blanca.“ „Was höre ich,“ schrie -Theodora; „das ist meine Nichte! das ist meine verlorne Blanca! -Engelsmann!“ schrie sie, und küßte ihn, „wo ist sie? ich sterbe vor -Freuden; ein Engel hat mir’s eingegeben, daß ich Ihnen alles erzählen -sollte. Wo ist sie denn? wo ist sie denn?“ Er erzählte ihr denn, daß -sich Donna Blanca in seiner Wohnung befinde; wie sie zu ihm gekommen -sey; daß er sich auf ihren Befehl hier befinde, und das Gelaß nur zum -Vorwande gemiethet habe. Sie überströmte ihn nun wieder mit einem -Hagel von Küssen, und dankte ihm für sein gütiges Benehmen gegen ihre -Nichte; um aber das Frohlocken noch feyerlicher zu machen, schrie -sie: „Louischen! Louischen! komm geschwinde, wie du auch aussehen -magst! fröhliche Neuigkeiten! gute Nachrichten!“ Louise kam in einem -blaßgelben Habite, die Haare in Unordnung, herein geflogen, und so -schön sie war, war Horazio’s Fantasie doch schon von Felicianens Bilde -zu sehr befangen, als daß ihre Reitze mit voller Gewalt auf ihn hätten -wirken können. Sie grüßte den Ritter sehr artig mit einem schwebenden -Complimente, und hüpfte ihrer Mutter zu. „Dieser Herr hier, oder -vielmehr dieser Schutzgeist,“ sagte Theodora, „hat mir von Blanca -Nachrichten gebracht.“ - -„Gott sey Dank!“ schrie Louise. - -„Sie ist in seiner Wohnung, und wir werden sie wieder haben.“ - -„Wir waren auch schon alle beynahe todt vor Angst,“ sagte Louise wieder. - -„Sie sind aber doch verheirathet?“ fragte Theodora. - -„Nein,“ antwortete Horazio; „seyn Sie aber versichert, daß Donna Blanca -bey mir mit aller Ehrfurcht behandelt wird, die ihrem Range gebührt.“ - -„Daran trage ich auch nicht den geringsten Zweifel,“ erwiederte sie. - -Unter diesem Gespräche war die Dämmerung eingefallen; man steckte -Lichter an, und eine Magd meldete, daß Don Diego de Orozo im Vorzimmer -wäre. Horazio war bereit, sich zu entfernen; aber Theodora bath ihn, -zu bleiben, da der Besuch nicht von Belange wäre. „Es ist nur ein -Freyer um Louisen,“ sagte sie, „der ihr aber, wie mehrere andere, nicht -ansteht, weil er so wenig Welt, und über dieß auch nicht hinlängliches -Vermögen hat, um ein Weib standesmäßig zu ernähren.“ Nun trat Don -Diego ein; man reichte ihm einen Stuhl, und sprach eine Weile von -gleichgültigen Dingen. Da er sah, daß ihm Mutter und Tochter ungünstige -Blicke zuwarfen, sprach er: „Ich habe Donna Louisa schon seit mehrern -Tagen in übler Laune gefunden; ich habe denn heute versuchen wollen, ob -ich sie nicht aufzuheitern im Stande bin. In dieser Absicht hab’ ich -einen geschickten Tonkünstler mitgebracht, den man auch bey Hofe gerne -hört, und der Sie ein wenig unterhalten soll.“ Man fand seinen Antrag -sehr artig; der Tonkünstler trat ein, nahm sein Instrument zur Hand, -und sang mit einer sehr angenehmen Stimme ein schmelzendes Adagio. -Mit einem Mahle änderte er aber den Ton, und sang unter verschiedenen -Grimassen folgendes Lied: - - Liebe Inez, höre mich, - Höre mich doch an! - Liebe Inez, liebe mich; - So bin ich dein Mann. - - Deine Schönheit thu’ ich kund, - Ach, zu meiner Qual: - Purpurroth ist dieser Mund - Wie ein Cardinal. - - Deine Augen schwarz und traut - Blicken durch den Schleyer schlau, - Wie durchs Fenstergitter schaut - Eine Klosterfrau. - - Deine Tugend zu erheben, - Fehlen Worte mir: - Denn es ist dein ganzes Leben - Eine Tugend schier. - - Alle Menschen zu ertragen - Ist dir keine schwere Pflicht. - Drum verschmähest du die Klagen - Selbst der Götzendiener nicht. - - In dem Drange des Gewimmels - Folgst du standhaft deiner Spur, - Und versichert deines Himmels, - Lebest du dem Menschen nur. - - Weil zum Beyspiel böser Laien - Niemahls dich der Himmel straft, - Bist du selbst, dich zu casteyen, - Fromme Seele! -- lasterhaft. - -Während dieser Hymnus gesungen wurde, stand Diego rückwärts mit -verhaltenem Munde, um das Lachen zu verbeißen. Die beyden Damen -bedurften keines Dolmetschers, um das Loblied Strophe für Strophe -auf Louisen auszudeuten. Louise warf ihm einen Blick voll Verachtung -zu, und sagte: „In der That, Don Diego, Sie sind ganz dazu gemacht, -eine Gesellschaft in eine andere Stimmung zu bringen; Sie haben den -Tonkünstler wohl immer im Solde? Verfertigen wohl gar die Poesie?“ -„Wahrhaftig,“ sagte Theodora, indem sie nach der Uhr sah, „schon so -spät! das hätt’ ich nimmermehr gedacht. Ich dank’ Ihnen, Don Diego, -daß sie uns einen so langen Besuch haben schenken wollen; unterdessen, -dieser Herr hat mit mir Sachen von Wichtigkeit abzuthun; und da ich -nicht verlangen kann, daß er sich so lange hier aufhalte, werden Sie -es nicht unartig nennen, wenn ich Sie bitte, uns morgen dafür einen -allenfalls noch längern Besuch zu schenken.“ Der hämische Diego war -mit dem Unwillen, den er an ihrer Stirn las, vollkommen zufrieden, und -ging fort, zum Glück’, ohne nach Felicianen zu fragen, und die ehrliche -Theodore wieder zu einer Nothlüge zu zwingen. Horazio blieb nun allein -bey ihnen, und Theodora sagte: „Dieser abgeschmackte Ritter hat sich -in dieses Haus eigentlich eingedrungen, und mich hat wirklich nur die -gute Nachricht von Blanca bey Laune erhalten, sonst würd’ ich ihn mit -seiner einfältigen Musik in die Schenke gewiesen haben.“ Sie fügte -hinzu, daß sie ihrer Nichte einen kleinen Zettel schreiben wolle, und -Horazio sich unterdessen mit ihrer Tochter unterhalten möchte. Sie ließ -sie denn allein, und schrieb geschwinde zwey Zettel. Den einen gab sie -dem Escudero, und schärfte ihm ein, geschwinde zu laufen, damit ihn -Feliciane noch erhielte, bevor Horazio nach Hause käme. Mogropejo lief -auch an der Stelle ab, und Theodora kam, den andern Zettel in der -Hand, in das Gemach zurück. „Bester Horazio,“ sagte sie, „übermorgen -werd’ ich meiner Schwester Wagen hohlen lassen, und werde dann meine -Nichte bey Ihnen abhohlen; bis dahin muß ich Sie bitten, sie bey sich -zu behalten. Daß ich es nicht länger gestatten kann, sehen Sie selbst -ein; Sie sind unverheirathet, und mir liegt Ihre Ehre und Ihr Ruf so -nah’ am Herzen, als der Ruf meiner Nichte.“ Horazio konnte nichts -entgegen sagen; er fühlte aber schon ganz die Bitterkeit der bevor -stehenden Trennung. Er nahm von Louisen den wärmsten Abschied, und -eilte nach Hause. - -Feliciane hatte den Zettel ihrer Mutter, der einen ausführlichen -Unterricht enthielt, schon erhalten; sie empfing ihn mit anscheinender -dringenden Ungeduld, und fragt’ ihn, wie es ihm mit ihrer Base gegangen -sey. „Gut und nicht gut,“ antwortete Horazio; „gut, weil ich eine Frau, -wie Ihre Tante, kennen gelernt habe; und nicht gut, weil alles, was -der Escudero gesagt hat, grundfalsch war, und sie Ihre Flucht schon -wußte. Ich fand sie so innigst bestürzt, und so voll Sehnsucht nach -Ihnen, daß ich sie nicht länger hätte ungetröstet lassen können. Ich -sagte ihr denn, daß Sie sich in meiner Wohnung befänden, worüber sie -in ein lautes Frohlocken ausbrach, und an der Stelle den Entschluß -faßte, Sie übermorgen bey mir abzuhohlen.“ Feliciane sank ohnmächtig -auf den Stuhl; die Duenna und Horazio sprangen ihr zu Hülfe. „Was ist -Ihnen, Blanca?“ schrie Horazio. „So gibt’s denn nichts, als Unglück!“ -schrie die Duenna. „O ich seh’ es nur zu spät ein, daß ich der Tante -nichts hätte merken lassen sollen.“ „Sie haben der Tante also wirklich -entdeckt, daß das Fräulein hier ist?“ sagte die Duenna. Horazio bejaht’ -es, und Banuelos fuhr fort: „Gott im Himmel, was haben Sie gethan? Was -für ein böser Geist hat Sie dazu angetrieben? Was haben wir nun zu -erwarten? Die Tante ist noch weit unbarmherziger, als des Fräuleins -Mutter. Wer hat Sie denn zu ihr geschickt?“ „Donna Blanca selbst;“ -antwortete Horazio; „auf ihr Geheiß bin ich hingegangen.“ Unterdessen -erhohlte sich Feliciane aus ihrer Ohnmacht, und sagte: „Bester -Horazio! wenn Sie meine Beherbergung in Verlegenheit setzte, hätten -Sie mir es nur erinnern dürfen, und ich hätte mich zu einer meiner -Freundinnen begeben. Nur meine Tante weiß, daß ich mich hier aufhalte; -ich bin verloren; und ich fürchte nicht sie allein, sondern auch meine -Onkel, denen sie auch ohne Zweifel an der Stelle davon Nachricht -geben wird. Nun wird man mich erst zwingen wollen, und ich bin zu -edel geboren, als daß ich meinem Herzen den geringsten Zwang anthun -lassen sollte.“ So schrien sie und die Duenna unablässig fort, daß -Horazio ganz verwirrt war, und das Zimmer auf- und ablief, ohne sich -im geringsten Rath schaffen zu können. Daß Feliciane aus seinem Hause -kommen sollte, war ihm ein unerträglicher Gedanke, und beschäftigte ihn -mehr, als was Mutter und Tante mit dem armen Mädchen vorhaben dürften. -Er gerieth auf dieß und das; ein Anschlag verdrängte den andern, und -sein Entschluß, der am Ende heraus kam, war, daß er der ganzen Welt -Trotz biethen, und bis zum letzten Blutstropfen hindern wolle, daß -man sie ihm entreiße. Um nun diesem Unglücke vorzubeugen, schlug er -ein anderes Mittel vor. Er sagte ihr nähmlich, daß der Garten seines -Hauses mit dem Garten des nächsten daran zusammen stoße; daß dieser -Garten nun leer stehe, und er ihn für sich gemiethet habe; daß in der -Spalierwand, die beyde Gärten von einander trenne, eine kleine Thür -wäre, die man nicht bemerke, und durch die sie sich retten könne, wenn -man sie abzuhohlen käme. Da er allein der Tante die Nachricht gebracht -habe, wolle er sie nun standhaft läugnen. - -Feliciane nahm den Vorschlag an, und sammelte nun bald ihre Kräfte -wieder. Sie gingen auch gleich alle in den Garten, versuchten die Thür, -und versprachen sich den besten Erfolg. Die Tante beliebte sich den -folgenden Tag noch nicht einzufinden, sondern ließ nur melden, daß -sie sich übel befinde; und nun schöpfte Horazio wieder neuen Muth. -Denselben Tag nach dem Abendessen seufzete Feliciane tief, und sagte: -„Wahrhaftig, bester Horazio! ich komme mir in dem Verhältnisse gegen -meine Mutter so abscheulich vor, und kann es doch nicht aufheben, -ohne mich auf immer unglücklich zu machen. Wenn ich mir meine Lage da -so lebhaft vorstelle, so möcht’ ich weit über die Grenzen Spaniens -hinaus fliehen, und hoffe nur weit von hier Ruhe zu finden.“ Nun sah -Horazio den Himmel offen. „Ist’s möglich?“ sagte er; „sollten Sie wohl -diesem Vorsatze treu bleiben? Ich will ihn ausführen; ich will Sie auf -die anständigste Art nach Mailand bringen; nicht unter dem Titel der -Gamahlinn: denn leider hab’ ich, bevor ich Sie kennen lernte, meine -Hand schriftlich einer Dame zugesagt, und ihr meine Erklärung auch -schon geschickt. Ich will Sie aber unter dem Nahmen einer Verwandten -hinführen, will Sie wie meine Schwester lieben; und wenn diese Dame -bey der Schilderung der Leidenschaft, die ich für Donna Blanca -empfinde, bewegen läßt, meinem Herzen freye Wahl zu lassen, und mir -meine Erklärung zurück zu geben, so ist niemand meiner ewigen Liebe so -würdig, als Sie.“ - -Feliciane hatte nichts sehnlicher erwartet, als eine Erklärung aus -seinem Munde. Sie sprang auf, und sagte, indem sich ihr ganzes Wesen -aufzuheitern schien: „Horazio, ich will alle Ziererey des Frauenzimmers -abwerfen. Sie haben alles, folglich auch das Größte um mich verdient. -Ich gesteh’ Ihnen denn, daß es mir unmöglich ist, ohne Sie jemahls -wahrhaft glücklich zu seyn. Ich muß bey Ihnen bleiben; und kann ich Sie -nicht als Gattinn lieben, so will ich Ihre Schwester seyn. Machen Sie -Anstalt zur Reise, so bald Sie wollen. Ich gehe mit; hier ist meine -Hand.“ Horazio war trunken vor Entzücken; er wagte es, sie zu umarmen, -und sie küßte ihn so feurig, als er sie. „Vielleicht,“ schrie er, „ist -der Courier, dem ich die Schrift mitgegeben habe, noch nicht fort; -vielleicht kann ich sie zurück nehmen; o dann wäre ich der glücklichste -Mensch auf Erden! Erlauben Sie nun, daß ich hineile, und nicht einen -Augenblick verliere.“ Sie umarmten sich noch ein Mahl feurig; er eilte -fort, und kam mit der glücklichen Nachricht zurück, daß die Schrift -noch nicht abgelaufen sey; daß er binnen drey Tagen alle seine -Geschäfte abgethan habe, und daß sie dann ungehemmt auf den Flügeln der -Liebe nach seinem Vaterlande eilen könnten. Sie gingen freudig zu Bett; -aber Horazio konnte kein Auge zuthun. Den nächsten Morgen ließ er für -sich und Felicianen zwey Reisekleider nach italienischer Tracht machen; -alles war zur Abreise bereitet, und den folgenden Tag des Abends -sollten sie abfahren. - -Mit einem Mahle hielt Theodorens Kutsche an der Hausthür. Sie trat -ein, und erkundigte sich nach Felicianen: Horazio sagte ihr aber, -daß ihre Nichte des Morgens zur Beicht gefahren wäre, und daß sie -selbe vermuthlich noch in der Kirche treffen würde. Theodora stellte -sich treulich an, als ob sie es glaube; indessen war Horazio doch -übel zu Muthe, daß er sie auf keine klügere Art abgefertigt habe, da -sie diese nicht auf lange Zeit entfernen könnte. Er eilte daher zu -Felicianen, und sagte ihr, was vorgegangen sey. Feliciane war damit -ganz zufrieden, und nun ging es wieder hastig über die Anstalten -zur Abreise her. Besonders sorgte Feliciane, daß so viele Kleider, -als möglich, eingepackt wurden. Um die Stunde des Abendgebeths hielt -Theodore schon wieder mit dem Wagen vor der Thür; sie erfuhr von einem -Bedienten, daß Horazio zu Hause wäre, und ließ ihn rufen. Er war sehr -ungehalten, daß sie ihn nicht verläugnet hatten, und daß er sich -nun wieder mit einer List behelfen sollte, was, wie wir nun gesehen -haben, überhaupt eben nicht seine Sache war. Er meldete Felicianen mit -sichtbarer Ängstlichkeit, daß Theodora schon im Vorhofe stehe, lief -dann zu ihr hinunter, und sie fragte ihn rasch, wo ihrer Nichte Zimmer -wäre. Er sagte ihr, daß es ihm leid thue, sie noch ein Mahl vergebens -bemühet zu haben, sie sey aber wirklich heute Morgens schon, was er -nicht gewußt habe, zu einer Freundinn gefahren, von der sie noch nicht -zurück gekommen sey. „Vortrefflich, vortrefflich!“ sagte Theodore mit -verbissener Wuth; „genug, daß ich weiß, daß sie hier im Hause ist! Ich -will sie durchaus sehen, und mit mir nehmen. Solche zügellose Mädchen, -wie mein artiges Nichtchen, haben keinen eignen Willen. Nicht genug, -daß sie, wie ein Ausreißer, davon läuft, und wie ein Landstreicher im -nächsten besten Haus übernachtet, ohne zu denken, was ihre Ehre dabey -leidet; nun fährt sie auch noch sorglos spazieren, und spielt die -Hausfrau, als ob man sie aller mütterlichen Gewalt entlassen hätte.“ -Horazio bestand darauf, daß das Fräulein wirklich nicht in seinem Hause -sey; und Feliciane eilte mit der Duenna in demselben Augenblicke durch -den Garten in das andere Haus. Ein Bedienter gab Horazio ein Zeichen, -daß die Auswanderung glücklich überstanden sey, und Horazio bath -Theodoren nun, nicht unmuthig zu werden, und sich durch den Augenschein -zu überzeugen, daß er die lautere Wahrheit spräche. Er reichte ihr den -Arm, und führte sie Treppe auf, Treppe ab, Stube aus, Stube ein, bis -das ganze Haus rein durchsucht war. „Sie sehen nun selbst,“ sagte er, -„daß ich Sie nicht getäuscht habe, und ich versichere Sie vielmehr, daß -mir über ihr langes Außenbleiben selbst bange wird. Es ist schon spät; -wenn ihr nur kein Unglück widerfahren ist!“ - -„Ungerathenes Kind! Unvorsichtiges Kind!“ murmelte Theodora zwischen -den Zähnen. „Was ist nun zu thun?“ - -„Nichts,“ antwortete Horazio, „als daß Sie die Güte haben, ein wenig zu -warten.“ - -Sie wartete gegen einer Stunde; da sie aber sah, daß es vergebens sey, -fragte sie, zu was für einer Freundinn sie gefahren wäre. Man rief den -Kutscher; es war aber schon abgeredet, daß er nicht kommen sollte. -Endlich sagte Theodora: „Das Mädchen scheint zu wissen, was es zu thun -habe; aber auch ihre Oheime werden ihre Pflicht kennen, und werden sie -zurück zu halten wissen, wenn sie sich auch selbst in’s Unglück stürzen -will. Leben Sie wohl!“ Mit diesen Worten stieg sie in den Wagen, und -fuhr fort. - -Es vergingen nicht zwey Stunden, so kamen auch schon zwey Bekannte -Theodorens, und fragten nach Donna Blanca. - -Die Bedienten hatten schon den Auftrag, jedermann zu sagen, daß sie -des Abends nicht zu Hause speise, und daß sie sich, wenn es dringend -wäre, nach Mitternacht, oder den folgenden Tag sehr früh wieder -einfinden könnten. Die Oheime gingen denn wieder die Straße hinunter, -und Feliciane sagte, als sie sie erblickte: „Wehe mir! das sind -meine Oheime.“ Den nächsten Morgen brachte Horazio seine Blanca in -das Haus, das er gemiethet hatte, machte sich aller Geschäfte ledig, -und bestellte des Nachts Wagen und Maulthiere, um nach Barcelona -abzufahren. Nach Tische besann er sich, daß er mit einem unbeschuheten -Carmeliten noch etwas abzuthun habe, und wollte noch in das Kloster, -das ganz in der Nähe war, hinüber gehen. Er gab Felicianen unterdessen -ein kleines Felleisen, in dem über zwölf tausend Escudo’s an Geld’ -und Geschmeide waren, in Verwahrung, und eilte hinüber. Dieser kleine -Umstand löste nun den Knoten mit einem Mahle. Ohne nun weiter auf etwas -zu denken, packten Feliciane, Banuelos und Mogrobejo das Felleisen -und das Bündel mit Felicianens Kleidern zusammen, schlichen durch -das andere Haus, und erreichten die Wohnung Stephaniens, einer guten -Freundinn Felicianens, mit heiler Haut. Horazio kam zurück, und ließ -den Wagen an der Thür des anderen Hauses, in dem Feliciane seyn sollte. -Er suchte sie überall, und fand sie nicht. Er fragte die Haushälterinn -nach ihr; diese wußt’ ihm aber nichts zu sagen, als daß sie das -Fräulein auf die Straße geschickt habe, um zu sehen, ob nicht etwa ihre -Oheime wieder kämen. Horazio war ganz verwirrt, suchte sie neuerdings, -und beschloß endlich, die Nachbarn zu fragen, ob sie keiner gesehen -habe. Niemand hatte sie gesehen; nur einen einzigen Bedienten hatten -zwey Ritter, denen drey oder vier Bediente nachtraten, nach ihnen -gefragt. Horazio dachte sogleich, daß dieß die Oheime gewesen seyn -dürften, und es befiel ihn eine solche Angst, daß er sich plötzlich -auf einen von den Mauleseln, die zur Abreise in Bereitschaft standen, -setzte, und nach Alcara ritt; seinen Bedienten aber befahl er, Donna -Blanca, so bald sie zurück käme, zu sagen, daß sie ihm mit dem Wagen -folgen sollte. In Todesangst kam er zu Alcara an, und konnte mit sich -selbst über Blanca’s schnelles Verschwinden nicht einig werden. Vier -Tage hielt er sich dort auf, und wartete voll Ungeduld; da sie aber -noch nicht kam, war er überzeugt, daß sie ihren grausamen Oheimen in -die Hände gefallen sey. Er war so gutmüthig, daß er ihr Schicksal -beweinte, und der sichern Hoffnung war, daß sie ihm ihre Lage in einem -Briefe nach Mailand schildern werde. Um nun ja gewiß bey der Ankunft -desselben in seiner Vaterstadt zu seyn, und ihn nicht eine Stunde auf -der Post liegen zu lassen, eilte er, was er konnte, nach Barcelona, -und Feliciane feyerte unterdessen den Triumph ihrer List, und die -Niederlage seiner Zärtlichkeit. - - - - -ZWEYTE SPAZIERFAHRT. - - -Feliciane ward zu Hause mit allem Jubel empfangen, mit dem man -gewöhnlich einen großen Feldherrn empfängt, der von einer gewonnenen -entscheidenden Schlacht, und, was hier der wesentlichste Umstand war, -mit einer reichen Beute beladen, nach Hause kehrt. Nun traf die Reihe -die schöne Louise, die schon vor Verlangen brannte, ihrer klugen -Schwester auf dieser edlen Rennbahn den Vorsprung abzugewinnen. Die -wichtigste vorläufige Anstalt war, daß der Wagen anders zugerichtet -ward, die Rappen in Schimmel, und der schwarzköpfige Kutscher in einen -blonden verwandelt wurde. Louise war ihres glücklichen Erfolges so -gewiß, daß ihr Feliciane das nöthige Geld auf diese Unkosten leihen -mußte. - -Da nun alles veranstaltet war, suchte sie in der Stummengasse eine -Wohnung. In dieser wohnte seit kurzer Zeit ein reicher Graubart aus -Genua, den eigentlich nichts nach Madrit geführt hatte, als seine -seltsame Gemüthsart, die ihn immer peinigte; er konnte nicht lange an -einem Orte leben, ohne daß ihn die tödtlichste lange Weile plagte. Er -war ein großer Freund des Frauenzimmers, war aber so karg, daß ihm auch -diese Quelle des Vergnügens unmöglich reich zuströmen konnte. Er hieß -Cäsar Antonio, hielt einen Wagen, vier Bediente und eine Haushälterinn. - -Gegen über nun von diesem Manne bezog unsere schöne Sevillanerinn -das erste Stockwerk, mit einem Balcon auf die Gasse. Die Tracht, in -der sie sich einführte, war ein Wittwenkleid, und zwar die tiefste -Trauer, als ob sie ihren seligen Gatten erst vor einigen Tagen begraben -hätte. Sie trug ein kurzes gefaltetes Mäntelchen, darunter ein enges -Kleid mit langen Spitzärmeln und niedlichen Krausen, die ihrer Hand -vortrefflich ließen; am Halse war der Kragen zurück geschlagen, und an -der Brust lief ihr wieder eine breite lockere Spitzenkrause zusammen. -Im blonden Haare hatte sie nichts, als einige schwarze Schleifen, und -einen flornen Schnabel gegen die Stirn. Über den Rücken schwebte der -Schleyer, und um den Hals hing ihr eine lockere Kette von schwarzen -Perlen. Welcher Mann wäre nicht gern gestorben, um seine schöne Wittwe -in einem so reitzenden Trauerhabite zu sehen? - -Sie richtete ihre Wohnung auch ganz nach dem Stande, den sie angenommen -hatte, ein, und kam in derselben mit ihrer Mutter, die ihr als Duenna -diente, der frommen Banuelos, und ihrer Schwester, die eine nahe -Verwandte spielen mußte, an. Sie fuhren Schritt vor Schritt, und der -alte Escudero ging neben dem Wagenschlage. Als sie diesen feyerlichen -Einzug hielt, stand der Genueser eben auf dem Balcon. Er riß die -Augen groß auf, und brannte vor Neugierde, wer wohl seine Nachbarinn -seyn dürfte. Die Gesellschaft war nun ausgestiegen, und das Erste, -was Louise that, war, daß sie das Mäntelchen ablegte, und sich dem -Genueser auf ihrem Balcon in unverhüllter Schönheit zeigte. Der Alte -gaffte wie ein hundertäugiger Argus herüber; das Herz schlug ihm -wie eine Wanduhr, und er meinte keine grössere Schönheit in seinem -Leben gesehen zu haben, als diese Proserpina; und er hatte doch viele -gesehen. Louise sah unterdessen bald die Straße hinauf, bald die Straße -hinunter, und stellte sich an, als ob sie nun plötzlich erst einen -Blick auf den unbeweglichen Genueser hinüber wärfe, was ihm Gelegenheit -gab, eine tiefe Verbeugung, die er schon lange in Bereitschaft hatte, -anzubringen. Louise erwiederte sie zwar sehr höflich, kehrte sich aber -sogleich zu ihrer Gesellschaft um, und sagte halb laut, doch aber -so, daß der Genueser jedes Wort hören konnte: „Das Einzige habe ich -vergessen; gleich morgen muß der ganze Balcon mit Jalousien versehen -werden; mein Stand erlaubt es durchaus nicht anders.“ Der Genueser, der -gerade keiner von den schüchternsten war, mischte sich ohne Anstand ins -Gespräch, und sagte: „Ich wäre untröstlich, wenn ich Sie durch mein -Gegenüberwohnen in dem Vergnügen stören sollte, auf Ihrem Balcon die -frische Abend- oder Morgenluft zu genießen. Ich werde Sie überzeugen, -daß es mir Ernst ist; und wenn Sie morgen Ihren Balcon mit Jalousien -schirmen, lass’ ich den meinigen mit Bretern verschlagen. Oder wenn -mir das der Arzt verbiethen sollte, beding’ ich mir aus, daß Sie Ihre -Jalousien immer völlig schließen, und“ -- Louise hatte nun eben den -Handschuh abgezogen -- „mir nicht einmahl diese schöne Hand hervor -gucken lassen. Auch muß ich es fordern, um mich nie mit einiger Gefahr -im Neglige auf meinem Balcon sehen zu lassen. Vergeben Sie, daß ich -so zudringlich bin, und mich sogleich ins Gespräch gemengt habe; aber -meine gute Laune sucht mich selten heim.“ Louise lächelte ihm gefällig -zu, machte ihm eine Verbeugung, und ging hinein. - -Der Graubart aus Genua hatte nun weder Rast noch Ruhe mehr. Er lauschte -den ganzen Abend an der Hausthür, bis er den Escudero ausgehen sah, den -er auch an der Stelle anhielt, und fragte, wer seine Gebietherinn wäre. -Dieser hatte seine Rolle schon gut gelernet, und sagte ihm denn, daß -sie eine Dame aus Saragossa wäre, daß sie Donna Angela de Bolea heiße, -und an einen vornehmen Edelmann dieser Stadt verheirathet gewesen sey. -Sie sey nach Hofe gekommen, um da einen Oheim zu erwarten, der hier -mit einem unermeßlichen Reichthume aus Indien ankommen werde, und sie -zur einzigen Erbinn seines ganzes Vermögens bestimmt habe, welches in -mehr als achtzig tausend Escudo’s bestände, wie sie auch jetzt schon -jährlich mehr als zwey tausend von ihm empfange. - -Der Genueser glaubte ihm jedes Wort, und sann nun schon unablässig, -wie aus seiner Nachbarschaft eine vertraute Bekanntschaft werde. Er -dankte dem Escudero recht höflich, und bath ihn, seiner Gebietherinn -zu melden, daß alles, was in seinem Hause sey, zu ihrem Befehle wäre. -Der Escudero dankte ihm aber, und versicherte, daß sie mit allem -überflüssig versehen wären. - -Die Jalousien blieben am folgenden Tag’ aus, und Antonio, der dem -Verlangen, sie zu sehen und zu sprechen, nicht länger widerstehen -konnte, ergriff diese Gelegenheit, um zu ihr hinüber zu schicken, ihr -dafür zu danken, und sie zugleich um die Erlaubniß bitten zu lassen, -daß er ihr aufwarten dürfte. Sie war zu artig, als daß sie selbst in -ihrem Wittwenstande, den Besuch eines alten Nachbars, der sich über -dieß zuvorkommend höflich bezeigt hatte, hätte ablehnen sollen. Er war -voller Freude, putzte sich so gut heraus, als er konnte, ließ zwey -Bediente nachtreten, und spazierte wie ein Pfau die Straße hinüber. -Er fand die schöne Wittwe auf einem schwarz überzogenen Stuhl’, und -um sie herum war ein schwarzer Teppich aufgebreitet, auf dem die zwey -Duennen saßen, die sich mit Mäntelchen und Schleyern ein ehrwürdiges -Ansehen gegeben hatten. Er brachte eine lange Glockenstunde in diesem -angenehmen Zirkel zu, ohne daß er den geringsten Anfall von seiner -gewöhnlichen Krankheit der langen Weile gehabt hätte. Endlich brach -Louise das Gespräch ab, und bath um Vergebung, daß sie nicht länger -von der Gesellschaft seyn könne, da sie um diese Stunde sich zurück -zu ziehen pflege. „Diese Stunde,“ sagte sie, „ist dem Andenken meines -seligen Mannes geweihet.“ „Ich darf Sie aber doch wieder besuchen?“ -sagte Antonio. „Es wird mir immer ein Vergnügen seyn,“ antwortete -Louise, und ging in’s Nebenzimmer: der Genuese ging voll Vergnügen -fort, und schickte ihr noch einige Früchte aus seinem Garten zur -Erfrischung herüber. - -Unter seinen Bedienten war ein Spanier, ein Toledaner, den er wegen -seiner besonderen Geschicklichkeit in Musik, und seinen drolligen -Einfällen aufgenommen hatte. Auch war sein Gehirn ein Bißchen von -Poesie verbrannt. Mit diesem Burschen nun wollte er Louisen ein -Fest machen, welches in einem Liedchen bestehen sollte, das er ihr -sänge. Als sie nun des Abends mit ihrer Gesellschaft auf dem Balcon -nachtmahlte, stellte er Leonardo, so hieß der Bediente, auf seinen -Balcon, ihnen gerade gegen über. Leonardo nahm seine Guitarre zur Hand, -und sang: - - Holder Stern der schönen Nacht! - Wenn dein Auge freundlich lacht, - Dann erfreuet sich mein Sinn, - Daß ich dein Geliebter bin. - - Du leuchtest in sanftsüßer Pracht, - Wie ein Gestirn in finstrer Nacht. - Dein Blick mein Herze gleich erhellt, - Wie, wenn vom Stern ein Schnupfen fällt. - - Ich sehe dir von ferne zu, - Und wie ein Irrwisch flimmerst du; - Ich folge deinem matten Schein, - Und locktest mich in’s Koth hinein. - - Denke meiner, schönes Kind, - Und entschlafe nicht geschwind! - In Gedanken, glaub’ es mir, - Bin ich auch des Nachts bey dir. - -Der Genuese küßte ihn, und die Damen waren so artig, ihm Beyfall -herüber zuzuklatschen. So albern der Bursche war, hatt’ er doch, wie -gesagt, seine eigene Weise, und war überhaupt so gewandt und launigt, -daß man ihm nicht abhold seyn konnte. Auch unsere schöne Wittwe hatte -diese Serenate so unterhalten, daß sie den folgenden Tag wieder zu -ihrem Nachbar hinüberschickte, und ihn zu sich bitten ließ. Das -Gespräch ward immer lebhafter, und der Genuese gerieth, bevor er -dessen gewärtig gewesen war, in solche Flammen, daß er seinem Triebe, -sich näher zu erklären, nicht länger widerstehen konnte: er sagte ihr -tausend abgeschmackte Schönheiten, küßte ihr die eine Hand um die -andere, warf so feurige Blicke, wie eine Katze in der finstern Kammer, -und geberdete sich, mit einem Worte, so läppisch, daß sich Louise und -ihre Gesellschaft darüber kaum des Lachens erwehren konnten. Sein -Meisterstück kam aber erst nach. Ein leichtes Zittern, das Wechseln -der Gesichtsfarbe, und ein beständiges Trippeln gingen voraus: endlich -sprang er wie einer, den der Fieberanfall packt, vom Stuhle auf, und -bath Louisen, mit ihr einige Worte unter vier Augen sprechen zu dürfen. -Louise sah deutlich, wo das hinaus wolle, und führte ihn sogleich in -ein Nebenzimmer. Hier ließ sich der alte Bock auf seine vordern Knie -nieder, und beichtete ihr die Sünde seines verliebten Herzens, das für -sie in hellen Flammen stehe, und nur durch einen plötzlichen Aufguß -von Gegenliebe zu löschen sey. Louise nahm seine Liebeserklärung mit -vieler Schonung auf, und sprach lächelnd: „In der That, mein Herr, -Sie haben mich überrascht, und am wenigsten hätt’ ich eine solche -Verwandlung von dem Mann’ erwartet, der vorgestern noch seinen Balcon -mit Bretern verschlagen lassen wollte. Auch muß ich Ihnen gestehen, -daß es mich Wunder nimmt, wie ein Mann, der doch eben nicht mehr in -den blühenden Jugendjahren ist, und manches erfahren zu haben scheint, -mit diesem -- erlauben sie mir, daß ich es sagen darf -- hastigen -Geständnisse eine Wittwe in Verlegenheit setzen kann, die noch -nicht vierzehn Tage das Trauerkleid trägt.“ Der Genuese wollte sich -entschuldigen, stotterte aber, daß ihm nicht eine ordentliche Sylbe -gelang. „Indessen,“ fuhr Louise fort, und lächelte, daß es einen Todten -im Grabe hätte wecken können, „indessen muß ich Ihnen sagen, daß ich -eitel genug bin, über keine Erklärung, und käme sie noch so zur Unzeit, -aufgebracht zu werden; und einem Manne zu gefallen, dessen Herz nicht -zum ersten Mahle gewonnen wird, ist mir immer schmeichelhafter, als -wenn ich ein Jünglingsherz berücke, das noch niemahls ins Freye kam.“ -„O Sie geben mir das Leben wieder,“ sagte Antonio, und einige Thränen -suchten durch die Furchen seiner Backen abzufließen; „darf ich also -hoffen?“ - -„Bester Antonio!“ sagte Louise, „was wird unsere Gesellschaft denken, -wenn wir an unsern wenigen Worten so lange zu sprechen haben?“ Mit -diesen Worten ging sie in das Gesellschaftszimmer zurück, und Antonio -folgte ihr ganz verstört nach. - -Indessen glaubte er doch in ihren Blicken mehr als Nachsicht zu lesen, -und war diesen Abend so inniglich vergnügt, daß seine ganze Großmuth -erwachte, und er ihr ein Paar Handschuhe und einen Fächer überreichte, -die er aus Mexico erhalten zu haben vorgab, um ihren Werth doch einiger -Maßen zu erhöhen. Louise erklärte nun, daß sie wünsche, ihrem Nachbar -seine Musik mit einer andern erwiedern zu können. Es war schon ziemlich -spät, und Antonio mußte sich Wohlstands halber empfehlen; er muthmaßte -aber, daß ihm Louise das Vergnügen machen würde, ihn ihre Engelstimme -hören zu lassen, und setzte sich denn mit Leonardo auf seinen Balcon. -Beyläufig nach einer halben Stunde erschien Louise wirklich, von -Felicianen allein begleitet, mit einer wohl gestimmten Guitarre, auf -dem ihrigen, setzte sich, und sang: - - Einsam irrt die fromme Taube, - Findet nirgends Ruh’, - Flattert traurig in die Laube, - Girret ihrem Tauber zu. - - Weit von hier ist er geflogen; - Bänglich suchet ihn ihr Blick. - Ist er andern nachgezogen? - Kehrt er nicht getreu zurück? - - Tauber! laß sie nicht so flehen! - Tauber! laß sie nicht allein! - Sieh! er kommt! das Wiedersehen - Wird nun doppelt freudig seyn. - -Der Genueser und sein Leonardo waren ganz entzückt, und wollten eben -laut klatschen, als beyde Damen mit einander zu singen anfingen. - - Bitter sind der Liebe Leiden, - Fürchterlich der Trennung Schmerz; - Doch wer kann die Liebe meiden, - Denn sie kommt von selbst ins Herz. - - Eigensinnig ist ihr Wille; - Sie bestimmt, was schön ist, nur; - Bald besucht sie die Myrtille, - Bald des alten Damons Flur. - -Sie hatten sich bemühet, jede Sylbe vernehmlich auszusprechen, und so -war denn die letzte Strophe kaum zu Ende, als Octavio zu klatschen -anfing, daß man es in der ganzen Straße hören konnte. Man ging -allerseits zu Bette, aber mit ganz verschiedenen Gedanken. Antonio -dachte ihr Herz mit den geringsten Kosten zu erobern, und Louise sann, -wie sie sein Geld Beute machen könne, ohne auch nur das geringste von -ihrem Herzen einzubüßen. - -Als Antonio eines Abends wieder bey ihr einen Besuch abstattete, -hörte man auf der Straße plötzlich ein Gezänke zwischen Mogrobejo, dem -Escudero, und einer unbekannten Person. Louise fragte, was es wäre, -und vernahm, daß der Escudero mit einem Bedienten des Hausherrn in -Streit gerathen sey. Sie ließ ihn herauf kommen, und bath den Genueser -um Vergebung, daß sie ihre Neugierde sogleich in seiner Gegenwart zu -befriedigen suche, was sie vor einem andern, auf dessen Freundschaft -sie weniger rechne, nicht wagen würde. Nun trat der Escudero ganz -zornig ein; Louise fragte ihn um den Hergang des Gezänkes, und -Mogrobejo antwortete: „Der Henker möcht’ auch nicht zanken! da kommt -mir der Bediente des Hausherrn, und verlangt die Miethe für unser -Quartier, das wir auf ein Jahr gemiethet haben, und von dem man doch -die Miethe erst mit Ende des Jahres zu bezahlen pflegt. Da hat er -durchaus zu Euer Gnaden herauf gewollt, und weil ich ihn nicht ließ, -war der Kerl grob; aber er soll mir!“ -- „Lass’ er ihn kommen,“ sagte -Louise; und es trat ein Page ein, der ihr ehrfurchtsvoll einen Zettel -überreichte. Sie las ihn flüchtig durch, und sagte: „Sag’ er seinem -Herrn, ich ließe mich empfehlen, und ließ ihm sagen, daß ich gar -nicht abgeneigt bin, ihn jedes Mahl für den Monath in vorhinein zu -bezahlen. Daß er in Verlegenheit ist, konnt’ ich nicht wissen; und -es gefällt mir, daß er so offenherzig spricht. Ich sey aber für den -Augenblick selbst in Verlegenheit; meine Gelder sind aus Sevilla noch -nicht angekommen, und ich ließe ihn denn ersuchen, höchstens acht Tage -Geduld zu haben, dann wollt’ ich ihm die Miethe für drey oder noch mehr -Monathe auf ein Mahl schicken. Übrigens, Mogrobejo, weiß ich nicht, -warum er ihn nicht sogleich verließ.“ Der Page trat ab, und Louise -sagte: „Es ist wahrhaftig sonderbar, daß ein Hausherr, dem man für ein -einziges Gelaß tausend Realen des Jahrs bezahlt, so dringend auf eine -Monathsmiethe ansteht. Der Mann muß unglücklich, oder ein Taugenichts -seyn, und ich wollte einen Finger von der Hand verlieren, wenn ich ihm -seine tausend Reale augenblicklich in die Betteltasche werfen könnte.“ -Sie meinte nun mehr, als zu viel, gesagt zu haben, um Antonio’s -Großmuth und Ehrgeitz in Bewegung zu setzen; diese beyden Eigenschaften -ruhten aber in seinem Herzen in einem so abgelegenen Winkel, daß sie -ein schulgerechter Anatomiker zu suchen gehabt hätte. - -„Ja, wahrhaftig,“ antwortete Antonio, „es sind schwere Zeiten, und der -ordentlichste Mann hat zu sorgen, daß er sich von einem Tag’ auf den -andern behilft.“ - -Louise merkte nun wohl, daß sie dieses Schalthier nicht mit der Angel -fangen könne; sie brachte denn das Gespräch auf andere Gegenstände, und -sie schieden nach einiger Zeit aus einander. - -Es mußte denn ein neuer Plan angelegt werden. Mogrobejo hatte jemahls, -bevor er es bis zum Stallmeister gebracht hatte, als Schreiber bey -einem Sachwalter gedient, und hatte sich da die einer Gerichtsperson -unentbehrliche Geschicklichkeit, jede Handschrift täuschend -nachzuahmen, beygelegt. Diesem befahl nun Louise, die Firma irgend -eines der bekanntesten Genueser zu Sevilla nachzuahmen. Um dieß nun -ins Werk setzen zu können, mußte er in einem von den Kaufmannshäusern, -von welchem Briefe abgeschickt wurden, Bekanntschaft machen. Es gelang -ihm auch bald, und er war mit einem Buchhalter bald so vertraut, daß er -ihn täglich auf seiner Schreibstube besuchte. Nach wenigen Tagen sah -er einen Brief, wie er ihn wünschte. Er war von Carlo Grimaldi, dem -reichsten Genueser in Sevilla. Der Buchhalter war mit seiner Arbeit -beschäftigt, und Mogrobejo benutzte diese Gelegenheit, um den Brief so -geschickt nachzuschreiben, daß es schwer fiel, die echte Schrift von -der nachgemachten zu unterscheiden. Er eilte nun freudig nach Hause, -und Louise beschenkte ihn im vorhinein mit dreyßig Escudo’s. - -Als sie Antonio den folgenden Tag besuchte, fand er sie eben mit einer -Menge Geldes beschäftigt, das ihr Feliciane, die unterdessen einen Ring -zu Gelde gemacht, vorgestreckt hatte. „Erlauben Sie,“ sagte sie, „daß -ich nur erst ein kleines Geschäft abthue.“ Sie machte tausend Reale in -eine Rolle zusammen, und rufte Mogrobejo. „Hier, nehm’ er,“ sagte sie; -„ich lasse mich dem Hausherrn empfehlen, und hier schick’ ich ihm gegen -Quittung den ganzen Jahreszins. So hat es doch ein Mahl ein Ende.“ - -Nun fühlte Antonio erst, wie unartig und unverzeihlich es von ihm -gewesen sey, einer Dame von solchem Rang’ und Vermögen nicht sogleich -all sein Hab’ und Gut anzutragen. Indessen war es nun einmahl -geschehen, und es blieb ihm nichts übrig, als daß er sein Versehen -wieder gut zu machen suchte. Das erste, was ihm beyfiel, war ein -Antrag, sie in die Komödie zu führen. Der Zufall wollte, daß man -denselben Tag gerade ein Zwischenspiel aufführte, das sein Leonardo -verfaßt hatte, und das ihm nun allerdings einen Vorwand zum Antrage -gab. „Wahrhaftig,“ sagte Louise, „ich wäre gar nicht abgeneigt, -hinzugehen; denn, wie ich schon neulich aus Leonardo’s Gesang’ -abgenommen habe, ist er ein aufgeweckter Geist, und hat lustige -Einfälle.“ - -„Über dieß,“ erwiederte Antonio, „verdient auch das eigentliche Stück -selbst, gesehen zu werden. Es ist die _adelige Küchenmagd_ von unserm -berühmten Lope de Vega.“ - -„Ja, wir gehen,“ sagte Louise; „aber halt! was bin ich doch für eine -Thörinn? Meine Kleidung und das Theater! Es würde trefflich zusammen -passen!“ - -„Seyn Sie doch nicht so strenge; was Ihnen auch Ihr Kleid verbiethen -würde, erlaubt Ihnen Ihr Alter. Eine junge, schöne Wittwe! -- Gerade -Sie müssen sich ja zerstreuen und aufheitern.“ - -„Aber was würde die Welt sagen?“ - -„Die Welt! die Welt! Sie sind auch gar zu genau. Was nennen Sie die -Welt? Die Leute! -- gut! die Klugen werden es klug finden, daß Sie sich -nicht einkerkern, wie eine Nonne, und Ihrem Kummer durch die Einsamkeit -noch Nahrung geben; und um die Narren werden Sie sich wenig bekümmern. -Auch läßt sich ein Kleid ablegen.“ - -„Wenn ich auch dieß einzige Mittel ergreifen wollte, zu dem so viele -andere junge Wittwen ihre Zuflucht nehmen, so kann ich es doch um -meines Oheimes willen nicht wagen, der ein Erzgrübler ist. Ich erwart’ -ihn mit jeder Stunde, und stehe mit ihm in solchen Verhältnissen, -daß ich sehr unklug seyn würde, wenn ich seine Freundschaft um einer -Kleinigkeit willen auf’s Spiel setzen wollte.“ - -„Vortrefflich, klug, und schön gesprochen!“ sagte Antonio; „aber mir -fällt eine Art ein, wie Sie das Zwischenspiel sehen können, ohne in’s -Theater zu gehen.“ - -„Lassen Sie hören!“ -- - -„Leonardo hat mehrere junge Freunde, Leute von Talenten, mit deren -Bildung und Unterricht in verschiedenen Dingen er sich immer abzugeben -pflegt; mit diesen soll er uns nun in ein Paar Tagen das Zwischenspiel -in meinem Hause aufführen. Es soll niemand dabey seyn, als Sie, Ihre -Gesellschafterinnen und ich; und gegen diese Art es zu sehen, wird auch -Ihre pünctlichste Vorsicht nichts einzuwenden haben.“ Unter diesen -Bedingnissen nahm sie seinen Antrag an, und schlug ein. Sofort sprachen -sie von verschiedenen anderen Dingen, und da denselben Tag die Post -aus Andalusien ankam, fragte sie ihn, was er wohl Neues aus Sevilla -höre. Er antwortete, daß er nichts von Belange höre, und daß seine -Briefe immer nur trockene Geschäfte enthielten. „Ich habe heute,“ fuhr -sie fort, „diesen Zettel von einem Genueser erhalten, der mit meinem -Vetter in Indien im Briefwechsel steht; lesen Sie ihn zur Güte: ich -möchte gar zu gern wissen, ob Sie ihn, und die Person, an die der Brief -gerichtet ist, kennen.“ Er gab sich alle Mühe, ihn ohne Augengläser zu -lesen, und las: - - „Ich habe vom Capitäne Bolea den Auftrag erhalten, Euer Wohledlen, - nebst unterthänigstem Gruß, zu melden, daß selber seine Abreise - so geschwind’ als möglich beschleunigen wird. Er befiehlt mir - zugleich, Euer Wohledlen acht tausend Thaler abzuliefern, als - weßwegen beyliegender Brief die Anweisung enthält; mich empfehlend, - und meine Dienste auch in wichtigen Gelegenheiten antragend. - - E. W. - Carlo Grimaldi. - -Im Zettel lag der Brief: - - „Herr Juan Baptista Lomelie beliebe an Donna Angela de Bolea, am - Hofe anwesend, acht tausend Thaler in Doppelgeld auf vierzig Tage - verabfolgen zu lassen, wofür ich eben so viele vom Capitäne Don - Genealo Bolea, ihrem Oheime, empfangen habe. - - Sevilla, den 12. September 1630. - - Carlo Grimaldi. - -„Der Mann,“ sagte Antonio, „von welchem der Brief kommt, ist ein -ungemein ordentlicher und sehr reicher Mann, und der, an den der Brief -gehört, ist es nicht minder.“ - -„Es ist mir genug,“ erwiederte Louise, „daß ich es aus Ihrem Munde -höre; aber ist die Sache deßhalb nicht minder unangenehm? Was denkt der -Mann? Er weiß, er schreibt mir da selbst, daß mein Oheim erst kommen -wird, daß ich folglich allein hier bin, und setzt mir doch nur vierzig -Tage. Wer steht mir gut, daß der Capitän bis dort angekommen ist? -wahrhaftig, eine Verdrießlichkeit um die andere kommt mir über den -Hals.“ Nun glaubte Antonio, sein neuliches Versehen ohne die mindeste -Gefahr wieder gut machen zu können, und sprach: „Beste gnädige Frau, -lassen Sie dem Manne seine Grillen, und nehmen Sie die Zahlung gar -nicht an. Sie sagen mir, was Sie beyläufig brauchen, ich bring es -herüber; Sie stellen es mir nach Belieben zurück, und somit gut.“ - -„Es ist mir wirklich eine große Gefälligkeit,“ sagte Louise, „wenn -Sie mich aus dieser Verlegenheit bringen. Sechs tausend Thaler sind -mir genug.“ „Mit Vergnügen!“ fuhr Antonio fort; „Sie schicken morgen -früh Ihren Mogrobejo, mit einem Paar Zeilen zu mir hinüber, und -empfangen die Summe.“ „Ich bin Ihnen wirklich Dank schuldig,“ sagte -Louise, drückte ihm die Hand, und hieß ihn auf das Zwischenspiel nicht -vergessen. Er ging fort, und so innigst vergnügt sie war, daß er an -die Angel gebissen, so vergnügt war auch er, daß er sein Capital auf -so angenehme Zinsen, wie er hoffte, anlegen konnte. Er wartete den -nächsten Morgen nicht einmahl ab, daß Mogrobejo das Geld abzuhohlen -komme, sondern machte es zusammen, und schickte Leonardo mit seinem -Morgengruße und der Summe hinüber, ohne zu bedenken, wie viel Gefahr -das bare Geld in den Händen eines Poeten laufe. Louise war über seine -Pünctlichkeit ganz entzückt, und drückte Leonardo ein ansehnliches -Trinkgeld in die Hand. Auch ließ sie Antonio melden, daß sie die -Vorstellung des Zwischenspiels denselben Abend in ihrem Hause wünsche; -daß sie alle Anstalten dazu treffen werde, und ihn unausbleiblich zu -sehen hoffe. Nun lud sie auch die zwey Mitschwestern bey ihrer neuen -Unternehmung, und ihre Mutter zum Schauspiele. Es war Abend; der -Saal war prächtig beleuchtet, und mit dem angenehmsten Wohlgeruche -durchräuchert, und der Genueser war mitten unter den Damen so gelagert, -daß er bequem mit jeder sprechen konnte. - -Es ward Stillschweigen gebothen, und drey Tänzer traten mit Guitarren -auf, und spielten eine sehr artige Sarabande. Als diese zu Ende war, -erschien Leonardo allein, in einer seltsamen Tracht, die er sich -selbst aus den buntesten Stücken Stoff zusammen gekünstelt hatte, und -sprach einen Prolog, in dem er den Zuhörern ganz sanft unter die Nase -rieb, daß er der Verfasser sey; daß er dieses Stück Arbeit, ohne zu -prahlen, für eines der witzigsten und originellsten Producte seines -Geistes halte, und daß es den Titel führe: Der Commissarius von -Figueras. - - - DER - _COMMISSARIUS VON FIGUERAS_. - - +EIN ZWISCHENSPIEL+. - - ERSTER AUFTRITT. - - (_Der Commissarius mit einem langen weißen Stabe, einem - schwarzen Unterkleide, einem Mantel darüber, und einer gefärbten - Kräuseschlafhaube. Der Wirth._) - - _Commiss._ Ja werther Freund, dem Geschäfte hat - Der Richter von Toledo mich gesandt, - Daß ich es schlichten soll mit allem Ernst. - An diesem edlen Hofe strotzen ja - Von Ungeziefer alle Fugen; ich - Bin nun gekommen sie zu reinigen. - Der weise Rath hat mich hierher gesandt - Von Madrits Ufern -- - - _Der Wirth._ -- -- Ja, Herr Commissär, - Die Plage, die der span’sche Boden trägt, - Ist ärger noch, als einst Ägyptens Fluch. - - _Commiss._ Laß er die Sorge mir, mein edler Wirth, - Obschon mein Geist es ahndet, das Geschäft - Sey groß und mühsam; drum bereit’ er mir - Zwey Flaschen Malaga und weißes Brot. - Doch stille! was für Lärmen macht man hier? - - (_Ein Alguazil tritt ein, und schleppt einen Stutzer, mit einem - Hute voll Bänder, Schleifen, und Federn mit sich._) - - _Der Wirth._ Was ist das? - - _Commiss._ -- -- -- Meine Alguazils sinds. - - (Sie bringen den Gefangenen zum Verhör.) - - _Alg._ In einem Straßenwinkel fanden wir, - Hochedler Herr, den Narren hier; er gab - Ein Zeichen auf dem prächtigsten Balcon, - Auf dem ein Affe saß mit zwey Duennen; - Der Affe knackte fleißig Nüsse auf, - Und seine Frauen fraßen ihm den Kern; - Der Bursche hätte gerne mitgenagt, - Denn seine Zeichen waren voll Begierde -- - Was quält den Burschen aber wohl, als Eßlust? - Wir hätten ihm sein tolles Spiel gegönnt, - Doch trieb er’s weiter bis zur Raserey. - Er sprang von einem Haus ans andre hin, - Und wo ein Kätzchen in dem Fenster saß, - Da macht’ er Sprünge, wie ein junger Hund, - Und schwang den Zopf, wie Budel ihren Schwanz. - Die Kätzchen strichen mit den Pfötchen sich - In süßem Selbstgefallen -- Bart und Kopf, - Und warfen ihm für seine Gaukeley - Flor, Blumen, Federn, Band und Handschuh zu. - Er las es gierig auf, wie Haberkorn - Die jungen Hühner, und sprang weiter fort. - - _Commiss._ Wer bist du? sprich! - - _Stutzer._ -- -- Ich bin des Glückes Sohn, - Und wenigstens sein allernächster Freund. - - _Commiss._ Du bist ein Narr, drum ist das Glück dir hold; - Drum hängest du den Schild der Narrheit aus. - Doch sprich, was soll wohl dieser tolle Hut? - - _Stutz._ Des Ruhmes, der mir war, Posaune seyn. - - _Commiss._ Sie bläst sehr laut. Wo ist der Zierath her? - Hast du vielleicht San Jago ausgeplündert? - - _Stutz._ Von sieben Damen sind es die Trophä’n. - - _Commiss._ Ich glaub’ es gern, daß du sie mit Gewalt - Errungen hast. - - _Stutz._ -- -- Die Liebe gab sie mir. - - _Commiss._ Du lügst; wer liebet einen Narren wohl? - - _Stutz._ Die Damen. O Herr Commißär, - Sie scheinen selbst für Weiber gut bestimmt. - - _Commiss._ Verwegner! wer hat dich gelehrt, so frech - Dem Richter von Toledo zu begegnen, - An dessen Statt ich hier bin? Doch Geduld, - Hier hast du ein Geschenk, das er dir schickt, - Und das dich immerfort bezeichnen soll. - - _Stutz._ Wie? Was? - - _Commiss._ -- -- Du hast der Kerne gar - Zu viel gegessen; faste nun im Thurm. - - _(Sie setzen ihm einen carmoisinrothen Frauenzimmerhut auf, und - stoßen ihn gewaltig in die Scene. Der zweyte Alguazil tritt mit - einem Gecken, der sich schön zu seyn wähnt, ein.)_ - - _Alg._ Hier ist ein andrer. - - Commiss. -- -- Was ist sein Vergehen? - In was hat er gesündigt? nur heraus! - - _Alg._ Er meint, er wäre schön. - - _Geck._ -- -- Bin ich es nicht? - Ach tödtet mich doch nicht mit diesem Wort! - - _Commiss._ _(indem er die Brille aufsetzt.)_ - Nach Recht und Pflicht! Man hat ihn hoch getäuscht, - Mein lieber Freund! denn seine Nase war - Für zwey Gesichter wenigstens bestimmt; - Sein Mund ist wie ein Thor gestaltet, und - Die Nasenlöcher sind geschlitzt, wie Augen; - Sein Haar ist wie des Blutgerichts Fahne; - Sein Aug’ ist stumpf und seine Höcker hat - Er selbst vielleicht noch nie bemerkt. Mein Freund, - Wenn er sich schön glaubt, hat er gar nicht Unrecht. - - _Geck._ Herr Commissär, Sie sprechen nicht nach Recht; - Der Richter muß nicht nur das Eine sehen. - Belieben Sie nur diese weiße Hand, - Die sich so zärtlich küßt, - _(er küßt sich selbst die Hand)_ - auch zu betrachten. - - _Alg._ Laß er doch sehn! - _(er küßt ihm auch die Hand)_ - Es schmeckt nicht sonderlich. - - _Commiss._ Wie nennt er sich? - - _Geck._ -- -- Don Fenix. - Ach wie schön klingt schon der Nahme! - - _Commiss._ -- -- Ja, ganz sonderbar - Bist du vom Kopfe bis zum Fuß; doch sehet - Auch nach, was er in seinen Taschen hat. - _(sie durchsuchen die Taschen.)_ - - _Alg._ Ein Büchschen! -- -- sieh! voll Schminke, Spiegel, Kamm. - - _Geck._ Ach, laßt mir das! nehmt lieber mir das Leben! - - _Alg._ Hier noch ein Zettel -- seht, noch mehrere, - Und sonderbare Zeichen drauf gekritzelt. - - _Commiss._ Ein Mittel, das die Hände weißer hält, -- - Die Stirn zu glätten, an den Fingernägeln - Die weißen Flecken zu vertreiben, Lippen - Und Wange sich zu röthen. -- - - _Geck._ -- -- Alles trifft - Genau so ein. - - _Commiss._ -- -- Schon gut! vollkommen reif - Bist du fürs Tollhaus. Thuet eure Pflicht. - - _(Sie setzen ihm eine Narrenkappe auf, und - der erste Alguazil tritt mit einer Dame - ein.)_ - - _Alg._ Am Spiegel fanden wir die Dame hier. - Sie machte sich die allertiefsten Knixe, - Und -- hört! erklärte selber sich die Liebe. - - _Dame._ Ich liebe mich vor allen; niemand soll - Mir dieses Herz entreißen, denn es schwor - Die Treue mir. - - _Commiss._ -- Fürwahr ein seltsam Weib! - Die Weiber sind sich selber sonst nicht treu. - So treten Sie doch näher, Frau Narcisse! - Wie war Sie wohl so in sich selbst verliebt? - - _Dame._ Ich konnte länger mir nicht widerstehen; - An allen schönen Gaben fand ich mich - So reich; jung war ich, hatt’ ein schön Vermögen; - Mein Herz errieth gar bald den stillen Gram, - Der mich verzehrte, kam auf halben Weg - Entgegen mir, in feuriger Umarmung - Gestand ich stotternd ihm, was ich empfand. - Nun ist es mein Geliebter, weichet nimmer - Von mir, eilt jedem Wunsche schnell zuvor, - Und wird mich lieben, treu bis in den Tod. - - _Commiss._ Ihr seyd ein glücklich Weib; denn Eifersucht - Wird euch gewiß nicht martern. - - _Dame._ -- -- Ach, mein Herr, - Sie foltert mich nur allzu oft, - Denn manchmahl hebt es doch den scheuen Blick - Auf -- -- - - _Commiss._ -- Eine Dame? - - _Dame._ -- -- oder einen Mann, - Und quält mich. - - _Commiss._ -- -- Ja, das glaub’ ich euch, - Und rath euch, keines Menschen Sohn’ - Mit eurer Liebe jemahls zu beglücken. - Die Kappe! - - _(Sie erhält die ihrige, und der zweyte Alguazil tritt mit einem - Poeten, der Bücher ausschreibt, ein.)_ - - _Der Wirth._ -- Seht, da kommt ein andrer Narr. - - _Alg._ Wir haben ihn ertappt, daß er gar frech - Um Verse bettelte; und als man ihm - Nichts gab, bestahl er kühn die Bücher selbst. - - _Commiss._ Nehmt ihm doch sein Gewehr, die Feder ab! - - _Poet._ Mein Herr, sie dienet nicht statt Waffen mir; - Ich schneide Käse nur und Brot damit. - - _Commiss._ Nun gut! so sprich, was hat dich wohl veranlaßt, - Die Dichter anzubetteln, die fürs erste - So karg sind, daß sie ihren Geistesschwamm - Wohl selber drey Mahl pressen, über dieß - Nicht schenken dürfen, was Apollo jedem - Zum Fruchtgenuß auf die Person verlieh? - Doch welche, nenne sie, hast du bestohlen? - - _Poet._ Zu nennen weiß ich sie wahrhaftig nicht; - Das war mir gleich, und ich bekenn’ es gern, - Ich suchte meistens in der Nacht die Taschen. - - _Commiss._ Und fürchtetest du nicht, man werd’ am Tag’ - Erkennen, daß es fremde Habe sey. - - _Poet._ Man läßt es niemahls, wie es war. - - _Commiss_. Du bist ein großer Mann. Die Kappe! Nimm, - Hier dieser Lorbeer prang’ auf deinem Haupt! - - _Poet._ Ein Lorbeer? - - _Commiss._ -- -- Ja, doch ist er nur entstellt, - Wie Verse, die du guten Dichtern stahlst. - Sie kleidet ihren Mann. - - _Poet._ -- -- Doch nehmet mir - Die Schelle; mir genügt bescheidner Ruhm. - - _Commiss._ Mein edler Freund, durch diesen schönen Zug - Hast du fürwahr der Schellen -- zwey verdient. - - _(Man führt ihn mit gebundenen Händen ab; er scheint in - Begeisterung. Der erste Alguazil führt einen Ritter ein.)_ - - _Ritter._ Mein Herr, ich bin ein Held. - - _Commiss._ -- Wer seyd ihr? - - _Ritter._ -- -- Held, und zwar ein großer. - - _Commiss._ -- -- Wer hat euch gekrönt? - Wer hat beschrieben, was ihr all’ gethan? - - _Ritter._ Ich selbst. - - _Commiss._ -- -- Wie nennt ihr euch? - - _Ritter._ -- -- Don Wunderbar, - Und jetzt quält mich mit euren Fragen nicht! - Ich spreche nur mit Sterbenden und Todten. - - _Commiss._ Wo habt ihr euer Schwert? - - _Ritter._ -- -- Ihr seyd ein Schroll. - So lange diese Faust noch Nerven hat, - Und diese Nägeln Schärfe, soll kein Schwert - Mich eh’ umgürten. Jene gab mir Gott, - Und dieses ein gemeiner Handwerksmann. - - _Commiss._ Erzählt mir doch, was ihr gethan. - - _(Der Held drückt durch stumme Geberden aus, daß er erwürgt, und - mit Füßen ertreten.)_ - - _Commiss._ Was sprecht ihr nicht? - - _Ritter._ -- -- Was unaussprechlich ist, - Beschreibt man nicht mit Sprache. - - _Commiss._ -- -- Großer Mann! - Neigt euer Haupt, daß ich euch kröne; tiefer! - - _(Der Held neigt sich sehr tief; der Commissär setzt ihm die Kappe - auf, und der Held geht unter der Begleitung des Alguazil mit - stolzen Schritten ab.)_ - - _Commiss._ Wahrhaftig, edler Freund, die Narren sind - So zahlreich hier, daß meine Kappenzahl - Mir nicht auf heute hinreicht; lass’ er mir - Den Schneider kommen, -- wenn er nicht ein Narr ist. - Indessen trinken wir vergnügt und klug - Den Malaga, und essen unser Brot. - - _(Der Wirth und der Commissär gehen ab.)_ - -Nun traten wieder die drey Guitarrspieler auf, und sangen folgende -Weise: - - Das ist so der Welten Lauf: - Jeder nähret Grillen; - Einer mutzt den andern auf; - Alle möchten trillen. - Haltet diesem Tadlerchor - Ein Mahl doch den Spiegel vor; - Sie -- die Weise waren, - Sehen selber Narren. - -Der Vorhang fiel, und die ganze Gesellschaft äußerte ihren Beyfall -mit lautem Händeklatschen. Leonardo, dem es gewaltig schmeichelte, -zeigte sich bald, und erntete sein Lob ein. Besonders überhäufte ihn -Louise damit, und alle ersuchten ihn, bald wieder ein kleines Stück zu -verfassen, was er auch mit Mund und Hand versprach. Louise gab jedem -Schauspieler zwanzig Realen, und Antonio lud sie auf den folgenden Tag -zu sich zu Tische. - -Louise war diesen Abend so nachsichtig, daß sie selbst über einen -kleinen Schmatz, den er ihr zu rauben wagte, nicht ungehalten war. Um -Antonio mit einer angenehmen Gegenunterhaltung zu überraschen, beschloß -die weibliche Gesellschaft, ihm über acht Tage ein kleines Stück in -demselben Saal’ aufzuführen, das sie schon vorlängst einstudiert -hatte, und dessen Vorstellung nur durch den unvermutheten Tod Don -Fernando’s gehindert worden war. Daß sich Louise die Hauptrolle -vorbehielt, versteht sich von selbst. Der Tag der Vorstellung kam; die -Gesellschaft war schon versammelt, und es fehlte nur mehr Antonio, als -plötzlich Leonardo erschien, und Louisen meldete, daß sein Herr von dem -Präsidenten des hohen Rathes in Geschäften Seiner Majestät abgerufen -worden sey, und daß es ihm ungemein leid thue, eine so vortreffliche -Gesellschaft und Unterhaltung entbehren zu müssen, und daß er ihn -deßhalben mit zweyen seiner Freunde geschickt habe, um mit ihnen dem -Schauspiele beyzuwohnen. - -Louise bezeigte ihr Mißvergnügen über seine Abwesenheit, und die -Komödie ward aufgeführt. Die Vorstellung war ein Meisterstück -von Lebhaftigkeit: sie waren alle prächtig, und Louise als Mann -gekleidet. Mogrobejo übertraf sich selbst an Munterkeit und Witz. -Als sie schon alle wieder ihre vorige Kleidung anhatten, kam Antonio -erst vom Präsidenten zurück, und war äußerst unmuthig, daß er -das schöne Schauspiel versäumet habe, das ihm Leonardo und seine -Freunde so reitzend schilderten. Nur Louise hatte ihr Mannskleid -noch nicht abgelegt, um ihn an der Thür zu überraschen. Es ließ ihr -so wunderschön, daß Antonio den holden Knaben nicht genug angaffen -konnte. Louise bedauerte sehr, daß sie ihn vermißt habe, und gab ihm -endlich ihr Wort, daß sie ihm wieder über acht Tage, in der Quinta des -Connetable, ein anderes Stück geben wolle; nun treffe aber wieder ihn -die Reihe, das Fest anzuordnen. Sie wußte wohl, daß er sich prächtig -einstellen werde, und er nahm auch den Befehl mit Freuden an. Sie -würden dann alle bey ihm ein kleines Abendschmäuschen halten, sagte er, -und sie solle ihm nur auf einem kleinen Zettel anmerken, was sie zum -Schauspiele vonnöthen habe. Er erhielt bey dem Besuche am nächsten -Abend’ ein vollständiges Verzeichnis von Kleidungsstücken von sechs -Personen: das Stück, das Mogrobejo in der Eile verfaßte, spielte in -der Heldenzeit, und die Personen waren alle Prinzen und Prinzessinnen. -Louise spielte einen jungen Helden, dem die Sclaven eine reiche Beute -nachtragen. Am Ende des Zettels waren Federn, Ringe und _falscher_ -Schmuck nur hingeworfen. Louise hatte vorsetzlich _falscher_ Schmuck -geschrieben, weil sie gar nicht zweifelte, daß er wenigstens für ihre -Person echten ausborgen würde. - -Antonio mußte freylich täglich vor dem Rath’ erscheinen; indessen war -doch aller Anschein, daß er denselben Tag würde los kommen können, -und ließ denn den Saal, Erfrischungen, Abendschmäuschen, nebst allem -übrigen, was zum Feste gehört, bereit halten. - -Zwey Tage vor dem, der zum Schauspiele bestimmt war, schickte der -Genueser die ganze Guarderobe. Louise hatte vermuthet, daß er höchstens -die schönsten Kleider, die man allenfalls bey einem Trödler bekäme, -ausborgen würde; er hatte aber zu ihrer allen größtem Erstaunen alles -ganz neu verfertigen lassen. Alles war von Atlaß, Sammet, Taffet, -oder anderem Seidenstoffe, und reich mit Gold und Silber verbrämt. -Federn, Schnällchen, Blumen, Ketten und Ringe waren in Überfluß, und -für Louisen versprach er den Schmuck, der sie zieren sollte, des -Abends selbst mitzubringen. Er brachte auch wirklich den Schmuck -mit, den ihm seine selige Gattinn hinterlassen hatte, und erklärte -mit einem bedeutungsvollen Lächeln, daß er ungemein neugierig sey, -wie Louisen dieser Schmuck seiner seligen Frau passen werde. Louise -überhäufte ihn diesen Tag mit so vielen Liebkosungen, und wußt’ ihm -dabey doch so sittsam zu schmeicheln, daß er seiner Hoffnung immer -freyeren Spielraum ließ. Zwischen den zwey Tagen, bis zur Aufführung -des Schauspiels, war unsere Gesellschaft gar nicht müßig, und Theodore -machte Anstalt, daß in den beyden Nächten alles, was von Bedeutung im -Hause wäre, aufgeräumt, und anders wohin in Sicherheit gebracht würde. -Der Tag des Schauspiels erschien; Antonio’s Bediente waren schon in der -Quinta, und bereiteten alles. Der Genueser war, um Zeit zu gewinnen, -auf einem Maule in den Rath geritten. Theodora, ihre Töchter, Banuelos -und Mogrobejo setzten sich in ihre Kutsche, nahmen allen Schmuck, und -die ganze Guarderobe mit sich, und fuhren, anstatt zu Alcalathore -hinaus, in ein kleines Häuschen, in Quartiere Santa Barbara, das -Mogrobejo vorläufig gemiethet hatte. Hier nahmen sie augenblicklich -andere Kleider; Mogrobejo führte den Wagen zu einem Sattler, um sein -Äußeres so geschwind’ als möglich ändern zu lassen. Die Pferde wurden -auch heimlich untergebracht; und um noch sicherer zu seyn, theilte -sich unsere Gesellschaft in die ursprünglichen zwey Parteyen; die eine -begab sich nach Illescas, und die andere nach Valdemoro. Sobald unser -Genueser von dem Rath’ abgefertigt war, trappte er frohes Muthes, -und in den schönsten Aussichten von der Welt, der Quinta zu. Er fand -niemanden, als seine Bedienten, und die drey Köche, die er bestellt -hatte, fragte nach den Damen, und als er hörte, daß sie noch nicht da -wären, war er sehr unruhig; denn er dachte nichts anderes, als daß -ihnen irgend ein Unglück begegnet seyn dürfte. Er stieg denn wieder -auf seinen Maulesel, stieß ihm mit den Knien fleißig in die Lenden, -und kam sehr geschwinde bey Louisens Haus’ an. Er fand die Wohnung -gesperrt, erkundigte sich bey den Nachbarn, und vernahm, daß die ganze -Familie schon abgefahren sey. Er kam nun auf den Gedanken, daß sie ihre -Freundinnen abgehohlt haben würden, und so blieb ihm nichts übrig, als -in der größten Verlegenheit, daß nun er vielleicht auf sich warten -ließe, nach der Quinta zurück zu eilen. Er fand aber noch niemanden, -und wußte nun nicht, was er von diesem langen Ausbleiben denken sollte. -Er wartete bis neun Uhr in der peinlichsten Ungeduld, und es war noch -niemand zu sehen und zu hören. Endlich trat ein Bedienter ein, und gab -Antonio einen Brief, den ihm, wie er sagte, am Thor’ ein Unbekannter -gegeben habe. Er brach ihn zitternd auf, und las: - -„Bester Antonio, seyn Sie nicht bekümmert, daß Sie Ihre Nachbarinnen -nicht finden; sie sind an einem Orte, wo man sie unmöglich finden kann. -So viel für jetzt.“ - -Der Genueser stand da, wie vom Donner gerührt; er gerieth endlich in -fürchterliche Wuth, und schwor allen, wenn sie ihn betrogen hätten, Tod -und Verderben. Seine Bedienten mußten ihn wie einen Tieger bändigen, -brachten ihn in den Wagen, und führten ihn nach Madrit. Auf dem Wege -besänftigte er sich wieder etwas, und schloß aus den letzten Worten des -Briefes: „So viel für jetzt,“ daß es vielleicht nur ein Scherz sey, -und daß sie ihn vielleicht in seinem Hause erwarteten; er war aber -nur zu bald vom Gegenteile überzeugt. Louisens Wohnung war auch noch -versperrt, und er wartete nun am Hausthore bis lange nach Mitternacht, -ob er ihre Ankunft nicht erwarten könnte; aber niemand kam. Er schlief -die ganze Nacht nicht eine Secunde, und ließ sich mit Tages Anbruche -bey Louisens Hausherrn, der noch im Bette lag, melden. Von diesem -vernahm er denn, daß ihm Louise Tages zuvor die Schlüssel der Wohnung -zurück gestellt, und ihm gesagt habe, daß sie sich Geschäfte halber -nach Toledo begeben habe. - -„Sie hat Ihnen aber ja die tausend Reale bezahlt,“ sagte Antonio. - -„Was für Reale?“ - -„Die Jahresmiethe für die Wohnung.“ - -„Die Jahresmiethe? Die Wohnung war ja nur auf zwey Monathe gemiethet.“ - -„Wie sagen Sie?“ schrie Antonio, und war im ganzen Antlitze -scharlachroth. - -„Ich bin aber auch für diese zwey Monathe nicht bezahlt,“ sagte der -Hausherr, „und Sie werden belieben, mich zu bezahlen.“ - -„Wer? Ich?“ schrie Antonio, und erstickte beynahe vor Wuth. - -„Ja, Sie,“ sagte der Hausherr; „Sie werden doch nicht läugnen, daß -die Dame bey Ihnen Gelder stehen hat; daß dieß hier Ihre schriftliche -Anweisung ist?“ - -„Diebe! Mörder!“ schrie Antonio, und packte den Hausherrn bey der -Brust, faßte sich aber doch gleich wieder, und sagte: „Vergeben Sie -einem unglücklichen Manne, den man zum Bettler gemacht hat. Man hat -Sie betrogen, wie mich. O ich Thor! ich Rasender! ich Narr! ich alter -Sünder,“ -- bey jedem dieser Titel schlug er sich mit geballter Faust -vor die Stirn -- „nun bin ich ein Bettler, bin auf ewig unglücklich.“ - -So weit war es eben nicht gekommen; indessen hatte ihn die schöne -Wittwe, die nun wieder Jungfrau geworden war, nebst den sechs tausend -Thalern, die ihr Grimaldi angewiesen hatte, um mehr als zwölf tausend -Escudo’s geprellt. Der arme Antonio eilte zu dem Richter, schickte die -Alguazils nach allen zwey und dreyßig Winden aus; aber alles Nachsuchen -war vergebens. Nach acht Tagen hatte man noch nicht die geringste Spur, -und nun erhielt er, um ihn vollkommen zu Verzweiflung zu treiben, die -Nachricht, daß sein einziger Sohn zu Genua auf den Tod läge, und ihn -um den letzten väterlichen Segen bitte. Er reiste denn mit dem festen -Vorsatz’ ab, nach seines Sohnes Tod’ oder Genesung eine kleine Reise -durch die ganze Welt zu machen, um die Schlange irgend wo zu finden und -zu zertreten. - - - - -DRITTE SPAZIERFAHRT. - - -Da nun auch dieses Abenteuer glücklich abgelaufen war, fingen die -beyden andern Schwestern ihr Werk desto freudiger an. Constanze war -älter, folglich gebührte ihr der Rang. Louise und Feliciane trugen -ihnen allen Beystand an, den sie ihnen leisten konnten; besonders aber -den Wagen, der ihnen vor allem unentbehrlich war. Die Sevillanerinnen -waren nun zu Valdemoro, und die andern zu Illescas: dort vereinigten -sie sich aber wieder, und Constanze stieg allein mit der alten Banuelos -und Mogrobejo in den Wagen, der unterdessen ganz ein anderes Ansehen -bekommen hatte; auch hatte sie andere Pferde und einen andern Kutscher. -Mogrobejo hatte, um sich unkennbar zu machen, seinen Spitzbart -länger wachsen lassen, und trug ehrwürdige Augengläser auf der Nase. -Auch Constanze hatte die Person schon ausersehen, die sie mit ihrer -Begünstigung glücklich machen wollte. Louise hatte ihr den Traueranzug -geschenkt, und diesen wählte sie auch zu ihrer Unternehmung, theils, -weil er ihr sehr gut ließ, theils, weil die Wittwenrolle mit dem -geringsten Aufwande gespielt werden konnte, theils, weil sie sich in -einen Plan einließ, nach dem sie durchaus scheinheilig seyn mußte. -Sie kamen wohl behalten in Madrit an, und bezogen eine Wohnung in -dem Stadtviertel de la Merced. Die Person, auf welche ihre Absicht -gerichtet war, war einer der reichsten Pfarrer am Hofe, ein gelehrter -Priester und Doctor der Theologie. Wir wollen ihn um gewisser Ursachen -willen nicht nennen, sondern ihn immer nur den Doctor heißen. Seine -Pfarre trug ihm sehr viel ein, obschon er ein großes Vermögen von -seinem Vater geerbt hatte, und von zwey Bischöfen jährlich mehr als -zwey tausend Escudo’s bezog. Er hatte also jährlich über viertausend -Escudo’s zu verzehren, und war doch dabey der größte Filz unter der -Sonne. Das Hausgesinde des Doctors bestand aus einer Schwester, die -schon lange über die Jahre der Anfechtung hinaus war, und die er schon -lange zur Nonne gemacht hätte, wenn sie es nicht in der Hoffnung einer -reichen Erbschaft weislich hätte bleiben lassen; einer Haushälterinn, -einem Studenten, der ihm Gesellschaft leistete, und einem alten -Maulesel. Constanze erschien täglich mit der sittsamsten Miene, und -einem langen Rosenkranz’ am Arm’, in der Messe; die Duenna und der -Escudero begleiteten sie. Eines Tages ging sie nach der Messe auf -den Kirchhof, der an das Gotteshaus stieß, wandelte auf und nieder, -betrachtete alles ringsum sehr aufmerksam, und sprach leise mit dem -Escudero. Unterdessen stand der Pfarrer immer am Fenster der Sacristey, -und hätte gar zu gern gewußt, was sie mit solcher Aufmerksamkeit -betrachte. Sie begab sich aber sittsam in den Wagen, und fuhr ab. - -Den nächsten Morgen kam sie wieder zur Messe, ging wieder auf -den Kirchhof, und begnügte sich nicht damit, daß sie ihn sehr -aufmerksam betrachtete, sondern Mogrobejo mußte auch einen Theil -desselben schrittweise abmessen. Der Pfarrer hatte wieder aus dem -Sacristeyfenster zugesehen, und konnte nun sein Verlangen, dieses -Räthsel aufgelößt zu sehen, nicht länger unbefriedigt lassen; er ging -hinaus, machte ihr eine artige Verbeugung, und fragte sie womit er -ihr dienen könne. „Ich sehe,“ sagte Constanze mit niedergeschlagenen -Augen, „daß Sie die vornehmste Person in dieser Kirche sind. Mein -Escudero mußte mir hier diese Stätte der gottseligen Ruhe abschreiten, -damit ich sehen könne, ob auch Raum genug wäre, meine Absicht hier -auszuführen. Wenn es Ihnen nicht ungelegen wäre, würd’ ich Sie bitten, -mich in die Kirche zu führen, um Ihnen meine Absicht ausführlich -erklären zu können.“ Er führte sie in eine kleine Seitenkapelle, die -aber so schlecht mit Geräthe versehen war, daß sie sich auf einige -Altarpölster, und er in einen Beichtstuhl setzen mußte. - -„Mein hochwürdiger Herr,“ begann sie, „ich bin aus Sevilla, von -adeligen Ältern geboren; mein Vater hieß Don Lope de Monsalva, meine -Mutter Donna Mencia de Sahabedra, und ich, ihre einzige Tochter, -heiße Donna Rufina de Monsalva und Sahabedra. Meine Mutter nahm mir -Gott sehr früh, und mein Vater, der noch ein sehr junger Mann war, -warf sein Augenmerk auf eine Dame derselben Stadt, und wollte sich -mit ihr verbinden; sie hatte aber zwey Brüder, die ihre Schwester gar -zu gern geerbt hätten; sie setzten sich heftig entgegen, und drangen -durchaus darauf, daß sie Nonne werden sollte. Sie war meinem Vater sehr -geneigt; sie fanden Gelegenheit, sich öfters heimlich zu sprechen, und -kamen endlich überein, daß sie sich heimlich wollten trauen lassen. -Sie thaten es, und setzten ihre heimlichen Zusammenkünfte fort; ich -war die Frucht ihrer Liebe. Nun entdeckten die Brüder plötzlich durch -eine treulose Magd das ganze Geheimniß, stellten meinem Vater heimlich -nach, und -- tödteten ihn. Ich war nun eine Waise, und ohne alles -Vermögen; niemand nahm sich meiner an, als eine Muhme, die mich in das -Nonnenkloster San Leander zur Erziehung gab, wo ich auch bis in mein -sechzehntes Jahr blieb. Damahls erst fing mein Glück zu dämmern an. Mit -einer Flotte aus Indien kam ein ansehnlicher Cavalier an den Hof; er -war sehr reich, und hatte von einem Vetter meiner Muhme, bey der ich -nun im Hause wohnte, ein Empfehlungsschreiben mit sich. Er besuchte sie -öfters, und sah auch mich bey dieser Gelegenheit. Er erkundigte sich, -wer ich wäre; meine Muhme erzählte ihm die unglückliche Geschichte -meines Vaters, und er gewann eine solche Neigung zu mir, daß er -förmlich um mich warb. Binnen vierzehn Tagen war ich ihm angetraut, -und er gab mir zur Morgengabe zwanzig tausend Escudo’s; sein ganzes -Vermögen aber beträgt über hundert zwanzig tausend Ducaten. Wir -lebten sechs Jahre mit einander, in welcher Zeit wir gar kein Kind -mit einander hatten. Endlich starb der gute Mann, und machte mich zur -Erbinn des ganzen Vermögens: nur vierzehn tausend Ducaten bestimmte -er zu einer prächtigen Kapelle, die ich in dieser Stadt bey irgend -einer Kirche bauen lassen sollte. Er bestimmte aber nur die Summe, und -räumt es übrigens ganz meiner Willkür ein, wie ich sie bauen lassen -wollte. Ich denke nun es so einzurichten, daß vier Kapelläne mit -einem jährlichen Einkommen von zwey hundert Ducaten, und einer, dem -die andern untergeben seyn sollen, mit drey hundert dabey angestellt -werden. Ich will sie auch nicht an diesen Kapellendienst allein binden; -denn warum sollt’ ich ehrwürdige Väter hindern, ihr ohne dieß geringes -Einkommen, das sie ohnehin meistens auf Almosen verwenden, noch in -etwas nebenbey zu vermehren. Ich bin nun vierzehn Tage hier, und habe -alle Kirchen besehen, aber hier nach meiner Meinung noch den besten -Platz gefunden. Man könnte unter der Kapelle die Gruft anbringen, was -ungleich prächtiger lassen dürfte, als der Kirchhof. Ob es mir nun -erlaubt seyn werde; ob mir die Stadtobrigkeit, oder der geistliche -Rath nicht entgegen seyn werden, wünsche ich jetzt aus Ihrem Munde zu -hören.“ - -„Dafür lassen Sie mich sorgen, gnädige Frau!“ antwortete der Pfarrer -voll Feuer, und sah sich schon im Besitze von drey hundert Ducaten. -„Das wäre schön, wenn der geistliche Rath die Erfüllung frommer -Vermächtnisse hindern wollte! Wie wollt’ er das? Wie könnt’ er das? -Jeder Platz gehört Gott, um so viel mehr ein Kirchhof, als ein eigens -geweihter Ort. Und was gingen die Stadtobrigkeit geistliche Dinge an? -Sie mag ihre profane Nase in andere Dinge stecken, mag Betriegern und -Betriegerinnen auf die Spur zu kommen suchen; aber unsere heiligen -Sachen gehen ihr nichts an. O gnädige Frau! Gott hab’ Ihren seligen -Gemahl selig! sein Werk ist um desto verdienstlicher, da er dadurch in -einer so verdorbenen Zeit ein heldenmüthiges Beyspiel des standhaften -Christenthums gibt. Säumen Sie auch nicht, seinen frommen Wunsch zu -erfüllen, damit wir ihn nicht aufhalten, wenn seine Seele etwa bis zur -völligen Herstellung noch etwas zu leiden hätte.“ - -„Ich weiß aber noch nicht,“ sagte sie, „ob wir hier das volle Maß, das -ich gewünscht hätte, heraus bringen werden.“ - -„Wollen sie denn Euer Gnaden gar so groß bauen?“ sagte der Pfarrer. -„Wie viele Schritte haben Euer Gnaden angeschlagen?“ - -„Sechzig in die Länge, zwey und dreyßig in die Breite.“ - -Nun fing der leibige Pfarrer augenblicklich an, wie ein fettes -Leichhuhn über die Gräber fortzutrippeln, und den Raum mit kurzen -Schritten abzumessen. „Mehr als zu viel!“ schrie er endlich; „es gibt -noch ein Beinhaus, und ein kleines Leichenbehältniß. Wir kriegen aber -doch auch ein Thürmchen, gnädige Frau? Wir haben eine überflüssige -Glocke, und irgend eine andächtige Seele wird uns es auch nicht an -einer Uhr fehlen lassen.“ - -„Um meines seligen Mannes Wunsch ganz zu erfüllen,“ sagte Constanze, -„wird es mir nicht zu viel seyn, auch diese Kleinigkeiten aus meinem -Vermögen zu bestreiten, das nach meinen Bedürfnissen ohne dieß viel zu -groß ist. Ich gestehe es Ihnen auch, hochwürdiger Herr Pfarrer, daß es -mir in so weit wirklich zur Last ist, als ich es nicht weiß, was ich -damit anfangen soll. Übrigens habe ich noch eine Bitte an Sie.“ - -„Sie befehlen, gnädige Frau! worin kann ich dienen?“ - -„Ich wünschte sehr, daß Sie es auf sich nähmen, meinen Bau gegen -alle Hindernisse zu schützen, mir erfahrne Leute zu dem Baue selbst -vorzuschlagen, und endlich -- thun Sie es um meines seligen Mannes -willen -- nehmen Sie dann die Oberaufsicht über die vier Kapläne an.“ - -„Mit Freuden,“ antwortete der Pfarrer; „zu was mich Gott in seinem -Dienste rufen will, dazu bin ich auch bereit. Sie haben mit mir zu -befehlen; und da Sie ein frommes Werk unternehmen, so bin ich Ihnen -gewisser Maßen Gehorsam schuldig.“ - -Sie wären nun über die Präliminarien einig gewesen. Sie sagte dem -Pfarrer ihre Wohnung; er besuchte sie sehr emsig, und befahl auch -seiner Schwester, sie zu besuchen, deren Liebe Constanze augenblicklich -zu gewinnen wußte. Das Erste, was sie that, war, daß sie dem Pfarrer -ihres Mannes Testament zeigte, und ihn versicherte, daß sie nun in -einigen Tagen thätig Hand ans Werk legen werde. - -Sonntags Abends kam sie mit ihrer Duenna und dem Escudero in der Pfarre -an, um der Schwester des Pfarrers den erhaltenen Besuch zu erstatten. -Sie ward mit allem, was Küche und Keller vermochten, bewirthet; und -als sie mit einbrechender Dämmerung wieder nach Hause fahren wollte, -bath sie der Pfarrer, noch ein wenig zu bleiben, und der Sitzung einer -kleinen Akademie beyzuwohnen, die er aus Liebe zu den Wissenschaften -und der Musik, in seinem Hause, mit Hülfe einiger Freunde errichtet -hatte. Constanze nahm die Einladung unter dem Bedingniß’ an, daß sie -und seine Schwester ungesehen zuhören könnten. Das war ausführbar, und -er führte sie an ein Fenster mit einem Vorhange, aus dem sie in den -Saal sehen konnten, der auf eine merkwürdige Art zubereitet war. Er -war ganz mit Tannencisten geziert, und mit Sträußen von Wiesen- und -Gartenblumen behangen; oben am Saale standen drey lederne Stühle an -einem Schreibtische, und weil es schon dunkel war, begann man rings -um den Saal die messingenen Wandleuchter anzuzünden. In der Mitte war -ein Hängeleuchter, auf dem drey bis vier Altarkerzen brannten. Es -währte nicht lange, so erschienen die Akademiker. Der erste war der -Pfarrer selbst, der die Gesetze der Akademie, auf einer Rechentafel -geschrieben, trug; der zweyte war der Sacristeydiener, der in den -Nebenstunden kleine Predigten verfaßte; der Cantor und sein Bruder, der -bey einem Sachwalter als Unterschreiber diente, und welche beyde in dem -ganzen Pfarrsprengel das Monopolium der Hochzeit- und Leichengedichte -an sich gerissen hatten; sie verfertigten auch Neujahrswünsche, kleine -Verse für die Zuckerbäcker, und Inschriften auf die Leichensteine. Nach -diesen kam der Kapellan, der aus Wachs kleine Opferthiere verfertigte, -und mit besonderer Geschicklichkeit verschiedene Figuren aus Pflaumen- -und Aprikosenkernen zu schnitzeln wußte. Indessen, weil sie nicht einig -werden konnten, unter was für eine der schönen Künste sie seine Arbeit -rechnen sollten, hatten sie ihm, ungeachtet seiner Geistlichkeit, einen -so späten Rang angewiesen. Nach diesem kam ein Musicus, der zuweilen -auf dem Chore spielte, sonst aber in den Wirthshäusern seine Kunst -trieb, und Grab- Hochzeit- und andere Lieder verfertigte. Endlich -erschien der Student, der bey ihm im Hause wohnte, und den sie der -Tanzkunst widmeten, weil er geschickt Hunde abzurichten wußte. Um -Constanzen eine rechte Ehre zu erweisen, sagte ihr seine Schwester, daß -in der Gesellschaft noch ein Mitglied für die Baukunst fehle, und daß -sie gar nicht zweifle, ihr Bruder werde den Steinmetz, wenn er sich bey -der Kapelle auszeichnete, unter sie aufnehmen. - -Sie begannen nun ihre Arbeit, und jeder legte einen neuen Beweis seiner -Fähigkeit ab. Der Pfarrer eröffnete die Sitzung mit einer Abhandlung -über den Ursprung des Gebeths, in der er nicht undeutlich vermuthete, -daß Gott den ersten Menschen eine Art von täglichem Breviarium -vorgeschrieben, und ihnen daher auch die Gabe, Geschriebenes zu lesen, -eingegossen habe. Der Sacristeydiener ging vor die Thür, weil der Saal -zu ebner Erde war, zum Fenster herein, was eine Kanzel vorstellen -sollte, eine Predigt über die Raupen, die diesen Sommer alle Bäume -im Pfarrgarten verdorben hätten, zu halten. Der Cantor hatte drey -Gedichte gemacht, das eine enthielt die ganze Passion, und die andern -zwey die Geschichte des linken und des rechten Schächers; und diese -drey Gedichte hatte er in der Form eines Kreuzes geschrieben, so, daß -sie einen förmlichen Calvaria vorstellten. Sein Bruder, der Schreiber, -las unmittelbar darnach ein Gedicht zum Lobe des Tabakschmauchens. Der -Kapellan stellte ein neues Schwein dar, das er aus Wachs gemacht hatte, -und die Hälfte einer glücklich abgenommenen Frauenbrust, wovon man aber -das eine eben so gut für ein Schaf, und das andere für die Hälfte eines -Hinterbackens hätte ansehen können. Der Musikus hatte eine neue Melodie -auf das Nachtwächterlied verfertigt, und nun traf die Reihe den -Studenten, der seinen Hunden wieder neue Sprünge und Fratzen gelernet -hatte. Nun hatte aber der Pfarrer seinen Akademikern, wie gewöhnlich, -frischen Schinken, geräucherte Ochsenzungen, und kalte Pasteten -auftischen lassen; und da die Hunde des Studenten, da ihr Herr selbst -von des Pfarrers Gnade lebte, immer bey dem gesundesten Appetite zu -seyn pflegten, hatten sie auch jetzt kaum drey bis vier Sprünge durch -den Reif gemacht, als sie sich erdreisteten, mit ihren profanen Pfoten -den Tisch zu besteigen, und unter den Libationen eine solche Verheerung -anzurichten, daß alle Akademiker von ihren Stühlen aufsprangen, und -diese frechen Schüler der Erato aus ihrem Hörsaale vertrieben. Es war -aber leider zu spät, und man mußte sich mit sehr geringen Überbleibseln -begnügen. Die Versammlung ging also sehr mißmuthig aus einander, und -Constanze ging vergnügt nach Hause. - -Nun war keine Zeit mehr zu verlieren. Den nächsten Morgen mußte sich -Mogrobejo nach einem vertrauten Freund’ umsehen, der sich für einen -erst aus Toledo angekommenen Architecteur ausgeben, und zwey oder -drey Risse von einer Kapelle mit sich bringen sollte. Der Escudero -war scharfsichtig, wie ein Falke, und wendete sich daher an keinen -untüchtigen Mann. Er sollte sich den folgenden Tag, an dem sie vom -Pfarrer Besuch erwartete, einfinden. Der Pfarrer kam; der Baumeister -kam; man vereinigte sich über den Plan, und ließ einen Notar rufen, -vor welchem und zwey Zeugen sich der Baumeister anheischig machte, -die Kapelle binnen einem Jahre herzustellen; dafür verlangte er zwey -tausend Escudo’s im vorhinein; Constanze fand aber diese Summe zu groß, -und erklärte sich, daß sie unterdessen drey hundert Escudo’s geben -wollte, womit sich der Baumeister befriedigte. Sie lud alle über zwey -Tage zum Mittagmahle ein, und da sollte sogleich Hand ans Werk gelegt -werden. - -Nun schickte Constanze den Escudero noch denselben Abend zu ihren -Freundinnen um den Schmuck, und erhielt ihn auch sogleich in einem -ansehnlichen Futterale von carmoisinrothem Saffian. Sie schickte -dasselbe nun unverzüglich zu einen Futteralmacher, und ließ ein so -ähnliches verfertigen, daß man es von dem rechten kaum unterscheiden -konnte. Nun ließ sie den Pfarrer rufen, der sich auch im Augenblicke -einfand. Sie nahmen Stühle, und Constanze sprach: „Herr Doctor, -ich habe acht tausend Escudo’s bey den Fuggern[B] stehen, die ich -zu ansehnlichen Zinsen genieße; mein seliger Mann hat sie aber nur -unter dem Bedingnisse untergebracht, daß er sie einen Monath vor der -Herausbezahlung aufzukündigen habe. In der Verwirrung, in die mich -der plötzliche Tod meines Mannes setzte, hab’ ich nun vergessen, die -Aufkündigung einzuschicken, und bin nun in der Verlegenheit, daß ich -das Geld gerade jetzt, da ich es am nothwendigsten brauche, nicht -habe. Ich sehe mich denn, so schwer es mir fällt, gezwungen, meinen -ansehnlichen Schmuck bey einem vertrauten Manne, gegen billige -Bedingnisse, auf einen Monath einzusetzen. Hier ist er,“ sagte sie, -indem sie aus der Estrata ein Lädchen unter dem Überzuge hervor nahm, -und dem Pfarrer, der in seinem Leben nie solchen Schmuck gesehen hatte, -die reichen Geschenke des Mailänders und des Genuesers zeigte. - -„Lieber Gott!“ sagte der Pfarrer; „das ist ja über hundert tausend -Escudo’s werth.“ - -„Nicht doch, Herr Pfarrer!“ sagte sie; „Sie sind ein schlechter Kenner: -der ganze Werth besteht in etwas über dreyßig tausend Escudo’s; und -gerade, weil dieß doch keine Kleinigkeit ist, wünscht’ ich irgend einen -Mann zu wissen, bey dem ich nicht Gefahr liefe; denn bey jetziger Zeit -kann man sich wahrhaftig nicht genug hüthen.“ Während dieser Rede -hatte sie das Futteral wieder versperrt, und in das Lädchen gelegt. -Der Pfarrer wünschte der großmüthigen Dame in allem Genüge zu leisten, -und both sich an, ihr die acht tausend Escudo’s noch denselben Tag -aus seinem eigenen Vermögen einzuhändigen. „Belieben Sie nur,“ sagte -er, „eine Schrift wegen Leben und Tod bereit zu halten.“ Constanze -nahm den Antrag mit Freuden an, und zog geschwinde unter dem Überzuge -der Estrata das andere Futteral, welches ebenfalls versperrt war, -hervor. Der Pfarrer nahm es, und wollte forteilen; an der Thür kehrte -er aber noch um, und sagte: „Hören Sie, gnädige Frau, die Baumeister -sind Leute, die immer bares Geld sehen wollen. Damit wir ihn nun nicht -abschrecken, bring’ ich Ihnen lieber gleich die tausend vier hundert -Escudo’s an der Stelle, und des Abends die andern acht tausend, damit -Sie dann Ihr Geld ganz beysammen haben.“ Er hielt auch genau Wort, -und Constanze hatte die ganze Summe in Händen. Der Pfarrer hätte -den Schmuck gern seiner Schwester gezeigt, wagte es aber nicht, zu -Constanzen um den Schlüssel zu schicken, weil es einem Mißtrauen -ähnlich gesehen hätte. - -So bald die schöne Wittwe das Geld in Händen hatte, machte sie sich mit -ihrer Duenna und dem Escudero nach Lescas auf. Ihrem Hausherrn schützte -sie vor, daß sie das Quartier verlasse, weil es ihr zu melancholisch -wäre, und so fuhr sie denn mit allem Geräth’ ab, und verbarg sich bey -ihren Freundinnen so gut, daß sie niemand hätte finden können. Nun -kam der Pfarrer, und hörte, daß seine reiche Gönnerinn eine andere -Wohnung bezogen habe; die Hausleute versprachen ihrem hochwürdigen -Herrn Pfarrer aber, daß sie ihm bis morgen schon sagen wollten, wo sie -wohne. Den andern Tag sehr früh kam er wieder; man wußt’ es noch nicht: -er kam des Abends, und man wußt’ es noch nicht. Nun begann er erst -Argwohn zu schöpfen; er lief nach Hause, und da seine Schwester darauf -bestand, daß er einer Betriegerinn in die Hände gerathen sey, beschloß -er endlich, das Futteral zu öffnen, und sich aus dieser peinlichen -Ungewißheit zu reißen, es kost’ auch, was es wolle. Er öffnete es denn, -und fand anstatt der Diamanten die schönsten und artigsten kleinen -Kieselsteine. Die Pulsen standen ihm stille; seine Schwester rieb ihm -die Schläfe, und hielt ihm ein Riechfläschchen vor. Er erhohlte sich -wieder, und lief zu dem Richter: was half aber alles Nachsuchen des -Richters, wenn sich eine von unsern Heldinnen verbarg? Er fiel in eine -Todeskrankheit, von der er sich sehr langsam erhohlte, und vom Tage des -entdeckten Betruges an war er ein Teufel, der das ganze Haus peinigte, -und mit dem es niemand mehr aushalten wollte. Besonders hatten die -Akademiker seinen Unmuth empfunden; denn als sie ihn denselben Tag -besuchten, um wieder eine Sitzung zu halten, mißhandelte er sie so, daß -sie schworen, ihn vor Gerichte zu belangen. - - -Fußnote: - -[B] Eine reichsgräfliche Familie, deren Reichthümer in Spanien zum -Sprüchworte geworden sind. - - - - -VIERTE SPAZIERFAHRT. - - -Dorothee, welche nun die Reihe traf, ließ vier Monathe verstreichen, -bevor sie eine neue Unternehmung wagte, damit sich unterdessen das -Gerücht vom Kapellenbaue verlieren möchte. Auch benützte man diese -Zeit, um den Wagen wieder anders zuzurichten, und Kutscher und Pferde -zu wechseln. Endlich fand sie es räthlich, in Gesellschaft ihrer -Mutter, und der alten Banuelos zu Madrid einzuziehen. Sie nahmen ihre -Wohnung dieß Mahl zur Abwechslung in dem Martinsviertel. Nach einigen -Tagen begaben sie sich mit dem neuen Escudero, den sie aufgenommen -hatten, unter das Thor von Quadalaxara. Als die jungen Herren, die auf -dem Markte herum spazierten, einen Damenwagen an einem Kaufmannsgewölbe -halten sahen, liefen sie wie Hasen davon, um nicht etwa in die -Verlegenheit zu gerathen, wenn es eine von ihren Bekannten wäre, aus -Artigkeit oder Tändeley ein Geschenk anbiethen zu müssen. Dorothee -ließ sich eine goldener Tabatiere, und etwas von Frauenputz an den -Wagenschlag bringen. Mit einem Mahle kam ein fremder Cavalier, der erst -unlängst aus Andalusien angekommen war, und nun hier den Zusammenfluß -der Madriter schauen wollte, an dem Wagen vorüber. Die schöne Dorothee -fiel ihm auf, und als ein Mann von Welt, machte er ihr sogleich -seine tiefe Verbeugung. Er mochte beyläufig sechs und zwanzig Jahre -haben, war klein von Person, aber niedlich gebaut, und ganz fertig, -ein Gespräch mit feinen Wendungen und drolligen Einfällen zu würzen; -dabey war er aber von ungemein verliebter Stimmung, und sein Kopf war -vom Romanenlesen ein wenig angebrannt. Dorothee bemerkte den raschen -Eindruck, den sie auf ihn gemacht habe, und begegnete seinem Blicke -vorsetzlich einige Mahl. Er ward muthiger, trat an den Wagenschlag, und -sagte: „Schöne Unbekannte, diese Waare ist schon bestellet.“ „Das thut -mit leid,“ antwortete Dorothee. „Indessen,“ fuhr der Andalusier fort, -„wenn sie Ihnen gefällt, bin ich bereit, sie mir abhandeln zu lassen, -und will sie als förmlicher Kaufmann in Ihre Wohnung bringen, die Sie -mir zu sagen belieben werden.“ Hiermit steckte er dem Kaufmann, was die -Waare beyläufig werth seyn mochte, in die Hand. - -„In der That,“ sagte Dorothee, „wenn ich Sie kennte, würde ich Ihnen -vielleicht mit eben dieser -- wie will ich sagen -- Freymüthigkeit, -oder Zudringlichkeit, wenn Sie wollen, in Ihren Ton einstimmen; so -aber“ -- sie hatte sehr gut gesehen, was vorgegangen war -- „bleibt mir -nichts übrig, als die Waare wieder dahin zurück zu stellen, von wo ich -sie bekommen habe. Gnädiges Fräulein,“ sagte er, „denn Frau können Sie -doch unmöglich seyn; Sie scheinen ungehalten: seyn Sie es aber nicht. -Ich bin ein Mensch, der niemand auf Erden, am wenigsten aber eine Dame -beleidigen will, und der nur manchmahl den Rechnungsfehler begeht, -daß er meint, man würde seine -- ich kann es mit gutem Gewissen nur -Lebhaftigkeit nennen, eben so gerade aufnehmen, als er sie äußert. Bey -uns in Andalusien wird mir so etwas zu Gute gehalten; ich erwartete -denn, daß ich hier, wo ich erst zwey Tage bin, ein anderes Andalusien -finden werde.“ - -Dorothee merkte nun, daß sie ihren Mann gefunden habe, und fand es -für gut, an der Stelle eine nähere Bekanntschaft zu gründen. Sie -frage denn: „Mein Herr, das ganze Waarenlager werden Sie doch nicht -aufgekauft haben,“ stieg aus dem Wagen, und ging in das Gewölbe; Der -Andalusier ihr nach. - -Sie ließ sich Federn, Bänder, und Seidenstoff für beyläufig hundert -Escudo’s vorlegen, und behandelte den Preis. Sie bemerkte, daß er vom -Kaufmanne heimlich die Rechnung fordre, und sagte daher: „Mein lieber -Herr, ich habe vor Tische noch einige Besuche vor mir: Sie würden mich -verbinden, wenn Sie mir alles nach Tische in meine Wohnung schickten; -dann werden Sie auch gleich das Geld dafür erhalten.“ Der Kaufmann -fand sich sehr bereit, und Dorothee sagte ihm ihre Wohnung. Der -Andalusier sprach nur: „Gnädiges Fräulein, ich weiß nun Ihre Wohnung: -wie würden Sie sich wohl benehmen, wenn ich unartig genug wäre, Sie zu -besuchen?“ „Fürs erste,“ antwortete Dorothee, „halt’ ich Sie nicht für -so voreilig; und wenn Sie es wären, würde mir nichts übrig bleiben, als -daß ich durch ein artiges Betragen Sie zu bessern suchte.“ Sie ging -fort, und fuhr nach Hause. Nach Tische kam der Diener des Kaufmanns, -brachte die Waaren, und als sie sich anstellte, als ob sie bezahlen -wollte, schlug er es unter dem Vorwande aus, daß die Summe noch zu -klein wäre, um eine Rechnung zu machen, und daß sie ihr noch mehr zu -verkaufen dächten. Es währte nicht lange, so war auch unser Andalusier -da. Dorothee empfing ihn in Gesellschaft ihrer Duennen sehr artig, -und er erzählte ihr, daß er Don Thadeo de Sylva heiße, eigentlich -aber Don Thadeo Tristan de Lorgenes, nach einem Oheime, der das -Abgeschmackte dieses Nahmens mit einer ansehnlichen Erbschaft wieder -gut gemacht hätte; Dorothee vertraute ihm dafür, daß sie mit einem -Ritter verheirathet sey, der sich in Indien befände, und so unglücklich -gewesen sey, in Lima gefangen zu werden; nun erwarte sie aber ihn -und ihr ganzes Vermögen mit der nächsten Flotte. Don Thadeo both ihr -feyerlich alle Dienste an, die in seinen Kräften ständen, indem er -wohl wisse, was sich für Schwierigkeiten fänden, wenn man am Hofe -Forderungen machte. „Es ist wahr,“ erwiederte sie; „aber zum Glücke -hab’ ich doch immer genug gehabt, um zwey Dienerinnen, einen Escudero, -und meinen Wagen zu halten.“ Nun war es Zeit, sich zu entfernen, und -Thadeo empfahl sich. - -Dorothee suchte nun nähere Erkundigung über seine Umstände einzuziehen, -und alle Nachrichten waren nach Wunsche. Seine Besuche wurden immer -häufiger, und seine Neigung immer heftiger. Dorothee suchte seine -Schwächen aufzufinden, unter denen auch die Vorliebe für Lieder und -Melodien, die er selbst verfaßt hatte, war, und suchte sie auf’s -Beste zu benutzen; kurz, er ward so verliebt, als noch kein Liebhaber -ihrer Mitschwesterchen gewesen war. Dorothee, die eine sehr schöne -Stimme, und einen hinreißenden Vortrag hatte, sang von der Stunde an -kein Liedchen mehr, das nicht Thadeo verfertigt hatte, und verlangte -selbst noch Unterricht auf der Guitarre von ihm; dafür liefen sich -seine Bedienten mit Küchengeschenken müde, und er selbst brachte -beynahe jeden Tag irgend eine kostbare Kleinigkeit zum Putze mit. -Dorothee hatte jedes Mahl einen Vorwand bereit, unter dem es ihre -Bescheidenheit erlaubte, seine Großmuth nicht zurück zu schrecken. -Auch hatte sie sich schon zwey Mahl einen Kuß auf die Lippen gefallen -lassen, von denen sie den letzten sogar -- wer hätte sich’s von Donna -Dorothea träumen lassen? -- mit schamhaftem Erröthen erwiederte. - -Den folgenden Tag kam Thadeo nicht, und Dorothee war in sichtbarer -Unruhe: sie konnte sein Außenbleiben nur mit der strengen Witterung -entschuldigen; denn es war mitten im Winter. Sie hatte sich auch nicht -getäuscht; denn er kam den andern Tag: indessen war es ihr doch ein -Fingerzeig, daß sie ihn noch nicht genug in Bewegung gesetzt habe. Sie -suchte daher alles Mögliche hervor, was einen Mann fest halten kann: -sie schmollte; sie bezeigte ihm bey jeder Gelegenheit Aufmerksamkeit, -und es gelang ihr auch, ihn bald so zu kirren, daß er mit Leib und -Seele an ihr hing, und nun weiter nichts mehr fehlte, als eine gute -Gelegenheit, um sein Vertrauen und seine Liebe so ergiebig als möglich -zu benutzen. - -Während Dorothee in Illescas wohnte, war ein Student aus Toledo dort -angekommen. Er hieß Don Basil, war ein erzarmer Teufel, übrigens -aber so schön und wacker gebildet, und so aufgeweckten Geistes, daß -Dorotheens Standhaftigkeit selbst so vielen Reitzen nicht widerstehen -konnte. Sie wurden bald bekannt, noch geschwinder vertraut, und es war -bald so weit gekommen, daß sie ihm sogar gestattete, ihr nach Madrit zu -folgen, unter dem Bedingniß’ aber, daß er ihre Unternehmungen nicht im -geringsten stören sollte. Er ging es darauf ein, und lebte denn auch in -Madrit in dem besten Einverständnisse mit ihr, ohne sich von Eifersucht -plagen zu lassen. Alles wäre gut gegangen; nur wollte sich noch keine -besonders vortheilhafte Gelegenheit zeigen. - -Endlich traf es sich, daß einer von Thadeo’s Freunden heirathete. -Thadeo sagte Dorotheen, daß die Vermählung bey San Sebastian mit einer -seltnen Pracht gehalten werden würde, und daß er selbst in einem Glanze -erscheinen werde, in dem sie ihn noch nie gesehen habe. „Wenn ich in -der Kirche erscheinen soll,“ sagte Dorothee, „so verlange ich ohne -dieß, daß mein lieber Thadeo die übrige Gesellschaft übertreffe. Wenn -Sie mir aber dann gefallen, bin ich nicht zufrieden, Sie nur in der -Kirche bewundern zu können; ich will Sie bey mir im Hause haben. Sie -werden sich doch gewiß um eilf Uhr vom Spiele los machen können; und -bis dahin will ich mit dem Abendessen auf Sie warten.“ - -Thadeo sagte es ihr heilig zu, und so schieden sie aus einander. Die -Vermählung ging vor sich, und Dorothee erstaunte über die Pracht ihres -Geliebten. Er war im prächtigsten Stoffe gekleidet, und schien alle -Juweliere von Madrit ausgekauft zu haben. Knöpfe, Ketten, Agraffen, -Ringe, alles war von Brillanten. Er kam auch um eilf Uhr des Abends -voll Vergnügen zu Dorotheen, und erzählte ihr, daß er so glücklich -gewesen sey, gegen zwey tausend Escudo’s zu gewinnen. Sie speisten; es -wurde immer später; Dorothee war ungemein gefällig, und sagte endlich, -daß sie ihn heute nicht mehr nach Hause lasse: denn wenn irgend ein -Schurke seinen Schmuck gewahr würde, könnte er ein Unglück haben. -Sie werde ihm daher ein Bett anweisen, und sie nehme durchaus keine -Widerrede an. - -Thadeo meinte, nun schon den Gipfel seines Glücks erstiegen zu haben, -und war beynahe ausgelassen vor Freude. Er trank ein Glas ums andere; -aber Dorothee hatte ihm einen besonders köstlichen Trank bereitet, -dessen Wirkung er nicht vermuthet hätte. Es war zwölf Uhr, und Dorothee -wies ihm das Bett in dem Zimmer an dem ihrigen an. Er kleidete sich -hastig aus, hatte sich aber im Bette kaum ein wenig erwärmt, als -der Trank seine Wirkung that, und der verliebte Ritter so laut zu -schnarchen anfing, daß man es auf die Gasse gehört haben würde, wenn -ihm seine treuen Wärterinnen nicht die Bettdecke über den Kopf gelegt -hätten. - -Nun ward alles, was er an dem Leibe gehabt hatte, sammt dem -beträchtlichen Spielgewinne, mit Hülfe des Studenten aus Toledo, und -des Kutschers zusammen gepackt, und nach ihrer einstimmigen Schätzung -auf mehr als vierzehn tausend Escudo’s angeschlagen. Es war nichts mehr -übrig, als was sie mit Don Thadeo anfangen sollten. Er hatte ein zu -schönes Spitzhemd auf dem Leibe, als daß es ihm der Student aus Toledo -hätte gönnen sollen; er zog es ihm denn ab, und bekleidete ihn dafür -mit einem Unterrocke der alten Banuelos. Vorn unter das Kinn band er -ihm ein Tuch, wie einem kleinen Kinde, und an eine Schnur knüpfte er -verschiedene Sachen, wie man den Kindern anzuhängen pflegt; ein Füßchen -von den Hasen, den er des Abends noch gegessen hatte; eine Elendklaue, -wider das Augenweh; einen kleinen Mörserstößel, und eine kleine Glocke. -In diesen Aufzuge setzten sie ihn auf einen großen Korb; der Student -und der Kutscher trugen ihn fort, hingen ihn an den Balcon eines armen -Indianers, und eilten nach Hause, um sich mit der übrigen Gesellschaft -in Sicherheit zu setzen. - -Thadeo schlief in seinem Korbe fort, und träumte sich in den Armen -der schönen Dorothee. Mit Anbruch des Tages stand der Indianer auf, -schlug die Fensterbalken auf, und nahm den Korb wahr. Er setzte die -Augengläser auf, und sah zu seiner größten Verwunderung dieses große -Kind in dem Korbe liegen. Sein erster Gedanke war wirklich, daß es -ein Findelkind sey, das man ihm vors Haus gebracht hätte, und er rief -seinen Bedienten, daß er es herab nehmen, und vor ein anderes Haus -legen solle. Der Bediente konnte nicht sehen, was im Korbe wäre, weil -der Korb so hoch hing, und schnitt den Strick ab, um den Korb mit den -Händen aufzufangen; das Kind fiel aber mit solcher Gewalt herunter, daß -es den armen Bedienten zu Boden warf. Das Kind selbst schlief so sanft, -daß es selbst von dieser Erschütterung nicht erwachte. So wehe sich der -Bediente gethan hatte, brach er doch in ein lautes Gelächter aus, als -er das Kind erblickte. Er trug es mit Hülfe seines Herrn in die Stube, -und hier bemerkten sie erst einen Zettel, den es im Busen stecken -hatte. Er lautete: „Die Mutter dieses Kindes hat es Armuths halber -in ihren Armen hierher getragen, und bittet, sich seiner anzunehmen. -Übrigens ist es schon seit einiger Zeit getauft.“ Der Indianer und der -Bediente suchten es zu wecken; sie kitzelten und kneipten es; alles -war aber vergebens. „Wahrhaftig,“ sagte der Indianer; „ich habe noch -kein Kind gesehen, das einen so gesunden Schlaf gehabt hätte.“ Indessen -kamen sie doch bald auf die Vermuthung, daß dieser unnatürliche -Schlummer die Wirkung eines Schlaftrunkes sey. Erst gegen Mittag kam -Thadeo zu sich; und als er seinen lächerlichen Aufzug erblickte, und -sah, daß er in einer ganz fremden Wohnung sey, fing er zu schreyen -an, daß der Indianer und sein Bedienter herbey liefen, die ihm denn -erzählten, in was für einem Zustande sie ihn gefunden hätten. Er -schnaubte vor Wuth, und schwor allen, die an dieser Beschimpfung Theil -hätten, sie zu vernichten. Er ließ sich Kleider bringen, und machte -sogleich Anstalt, um Dorotheen mit ihrer ganzen Gesellschaft in Verhaft -nehmen zu lassen. Sie war aber schon längst zu Illescas, wo sie mit -ihren Mitschwestern überein kam, nach Granada zu reisen, um dort neue -Abenteuer, die ihrer würdig wären, aufzusuchen. - -Wie lange sie dieselben fortsetzten, meldet die Geschichte nicht: so -viel läßt sich vermuthen, daß sie sich bald von einander zu trennen -genöthigt sahen, welches sie um so leichter thun konnten, da jede schon -in Schäfchen ins Trockne gebracht hatte. - - -_ENDE._ - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Die Harpyen von Madrit, oder die -Postkutsche, by Alonso de Castillo Solórzano - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HARPYEN VON MADRIT *** - -***** This file should be named 54368-0.txt or 54368-0.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/4/3/6/54368/ - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned -images of public domain material from the Google Books -project.) - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions -will be renamed. - -Creating the works from public domain print editions means that no -one owns a United States copyright in these works, so the Foundation -(and you!) can copy and distribute it in the United States without -permission and without paying copyright royalties. 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INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance -with this agreement, and any volunteers associated with the production, -promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, -harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, -that arise directly or indirectly from any of the following which you do -or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm -work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any -Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause. - - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm - -Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of computers -including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists -because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from -people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. -To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation -and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 -and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive -Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at -http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent -permitted by U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. -Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered -throughout numerous locations. Its business office is located at -809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email -business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact -information can be found at the Foundation's web site and official -page at http://pglaf.org - -For additional contact information: - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To -SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any -particular state visit http://pglaf.org - -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. - -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. - -Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation -methods and addresses. 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Thus, we do not necessarily -keep eBooks in compliance with any particular paper edition. - - -Most people start at our Web site which has the main PG search facility: - - http://www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. diff --git a/old/54368-0.zip b/old/54368-0.zip Binary files differdeleted file mode 100644 index cb7f91f..0000000 --- a/old/54368-0.zip +++ /dev/null diff --git a/old/54368-h.zip b/old/54368-h.zip Binary files differdeleted file mode 100644 index 4e1c2e1..0000000 --- a/old/54368-h.zip +++ /dev/null diff --git a/old/54368-h/54368-h.htm b/old/54368-h/54368-h.htm deleted file mode 100644 index d7d8d04..0000000 --- a/old/54368-h/54368-h.htm +++ /dev/null @@ -1,3982 +0,0 @@ -<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" - "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> -<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de"> - <head> - <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=utf-8" /> - <meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" /> - <title> - The Project Gutenberg eBook of Die Harpyen von Madrit, oder Die Postkutsche, by Alonso de Castillo Solórzano. - </title> - <link rel="coverpage" href="images/cover.jpg" /> - <style type="text/css"> - -body { - margin-left: 10%; 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You may copy it, give it away or -re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included -with this eBook or online at www.gutenberg.org/license - - -Title: Die Harpyen von Madrit, oder die Postkutsche - Aus dem Spanischen des Verfassers der Donna Rufina - -Author: Alonso de Castillo Solórzano - -Release Date: March 15, 2017 [EBook #54368] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HARPYEN VON MADRIT *** - - - - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned -images of public domain material from the Google Books -project.) - - - - - - -</pre> - - -<div class="transnote"> - -<p class="s3 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p> - -<p class="p0">Der vorliegende Text wurde anhand der 1791 erschienenen -Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. -Zeichensetzung und offensichtliche typographische Fehler wurden -stillschweigend korrigiert. Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter -eingefügt.</p> - -<p class="p0">Einige altertümliche Ausdrücke sind aus heutiger Sicht -teilweise schwer verständlich, dennoch wurden diese unverändert -übernommen. Inkonsistente Schreibweisen wurden beibehalten, sofern -diese im Text mehrfach auftreten. Fremdsprachige Zitate und Ausdrücke -wurden nicht korrigiert.</p> - -<p class="p0 htmlnoshow">Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät -installierten Schriftart können die im Original <em class="gesperrt">gesperrt</em> -gedruckten Passagen gesperrt, in serifenloser Schrift, oder aber sowohl -serifenlos als auch gesperrt erscheinen.</p> - -</div> - -<div class="figcenter"> - <a id="frontispiz" name="frontispiz"> - <img src="images/frontispiz.jpg" - alt="Donna Feliciana" /></a> - <p class="s5 center mbot3"><i>Ch. Sambach del.<br /> - Cl. Kohl Sc. N.</i></p> -</div> - -<h1><span class="s7">DIE</span><br /> - -H<span class="g">A</span><span class="g">R</span><span class="g">P</span><span class="g">Y</span><span class="g">E</span><span class="g">N</span><br /> - -<span class="s8">VON</span><br /> - -<span class="s6">M<span class="g">A</span><span class="g">D</span><span class="g">R</span><span class="g">I</span><span class="g">T</span><span class="g">,</span></span><br /> - -<span class="s8">ODER DIE</span><br /> - -<span class="s5">POSTKUTSCHE.</span></h1> - -<hr class="r10" /> - -<p class="s3 center mbot3">AUS DEM SPANISCHEN<br /> -<span class="s6">DES VERFASSERS DER DONNA RUFINA.</span></p> - -<hr class="double" /> - -<p class="center"><i>W<span class="g">i</span><span class="g">e</span><span class="g">n</span></i>,</p> - -<p class="center">gedruckt und verlegt von Ignaz Alberti.</p> - -<p class="center">1<span class="g">7</span><span class="g">9</span><span class="g">1</span>.</p> - -<hr class="full" /> - -<div class="chapter"> - -<p class="s2 center padtop3">Inhalt.</p> - -<table class="toc" summary="Inhaltsverzeichnis"> - <tr> - <td class="vat"> - - </td> - <td class="s5 vat tdr"> - Seite - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - DIE HARPYEN VON MADRIT. - </td> - <td class="vab padleft3 tdr"> - <a href="#Seite_3">3</a> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - ERSTE SPAZIERFAHRT. - </td> - <td class="vab padleft3 tdr"> - <a href="#ERSTE_SPAZIERFAHRT">37</a> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - ZWEYTE SPAZIERFAHRT. - </td> - <td class="vab padleft3 tdr"> - <a href="#ZWEYTE_SPAZIERFAHRT">93</a> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - DRITTE SPAZIERFAHRT. - </td> - <td class="vab padleft3 tdr"> - <a href="#DRITTE_SPAZIERFAHRT">140</a> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - VIERTE SPAZIERFAHRT. - </td> - <td class="vab padleft3 tdr"> - <a href="#VIERTE_SPAZIERFAHRT">160</a> - </td> - </tr> -</table> - -<hr class="full" /> - -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_3" id="Seite_3">[S. 3]</a></span></p> - -<h2 class="noshow">DIE HARPYEN VON MADRIT</h2> - -</div> - -<p class="s2 center"><span class="s6"><i>DIE</i></span><br /> -<i>H<span class="g">A</span><span class="g">R</span><span class="g">P</span><span class="g">Y</span><span class="g">E</span><span class="g">N</span></i><br /> -<span class="s6"><i>VON</i><br /> -<i>M<span class="g">A</span><span class="g">D</span><span class="g">R</span><span class="g">I</span><span class="g">T</span><span class="g">,</span></i><br /> -<i>ODER</i></span><br /> -<span class="s5"><i>DIE POSTKUTSCHE.</i></span></p> - -<hr class="r20" /> - -<p class="p0"><span class="initial">S</span>evilla, eine alte Stadt in Spanien, die Hauptstadt Andalusiens, die -Schatzkammer der Reichthümer im südlichen Indien, die Vaterstadt -der edelsten und erlauchtesten Familien, erzeugte auch zwey schöne -Schwestern. Ihr Vater hatte in einer indischen Expedition sein Leben -eingebüßt, und so lebten sie denn als arme, verlassene Waisen in -Gesellschaft ihrer Mutter, die sich als Wittwe kümmerlich behalf; -denn sie hatte mit ihrem Manne zu Ha<span class="pagenum"><a name="Seite_4" id="Seite_4">[S. 4]</a></span>vana zugleich all ihr Vermögen -verloren. Ihre letzte Hoffnung bestand in einigen kleinen Schulden, -die sie in Sevilla stehen hatte, und die ihr nun heraus bezahlt werden -sollten. Es gelang ihr auch nach Wunsche, und sie beschloß, ihren -Wohnsitz, und ihre Lebensart zu ändern, und zwar bevor sich das Gerücht -vom Tod’ ihres Gemahls weiter verbreitet haben würde. Sie konnte noch -nicht mit sich selbst überein kommen, ob sie Granada oder Cordova -vorziehen sollte; und mitten in dieser Verwirrung trat eine ihrer -ältesten Freundinnen zur Thür herein, der sie auch alsobald ihren -Entschluß sammt den Schwierigkeiten, die sich fänden, vortrug. Das -Mütterchen hatte manches in der Welt erfahren, und sprach der ehrlichen -Frau bald Muth ein.</p> - -<p>„Liebe Theodore,“ sagte sie (so hieß unsre Wittwe), „es freut mich, daß -Sie mir so treuherzig begegnet; und ich — dabey nahm sie eine tüchtige -Prise Spaniol — und ich will eben so unbefangen reden; denn ich habe -manche Schule durchlaufen, und habe Sie herzlich lieb. Wenn Sie<span class="pagenum"><a name="Seite_5" id="Seite_5">[S. 5]</a></span> eine -Reise machen will, so fahre Sie nicht auf dem Teich’ auf und nieder; -man kommt nicht weit. Granada und Cordova sind schon breite Ströme, auf -denen sich eine schöne Spazierfahrt machen, und nebenbey ein tüchtiger -Hecht an die Angel kriegen läßt. Sie wimmeln von Kaufleuten, Notarien; -sie haben alle Edelleute und vermögliche Bürger; aber was sind sie -wohl gegen Madrit, gegen die Residenz des Hofes? — Ein Dorf. Was -sag’ ich ein Dorf? — Eine elende Bauernhütte. Madrit ist ein großes -Meer, auf dem der Kahn, wie das Kriegsschiff, fortkommt, und auch ein -kleines Boot nicht zurück bleibt. Alle Fremden versammeln sich dort; -wer sich verstecken will, findet dort seinen Schlupfwinkel; es ist so -groß, so belebt; mit einem Worte: wer sein Glück machen, wer aus dem -Staube kriechen will, muß dort anfangen. Wie manche niedere Abkunft -ist dort umgekauft worden, und hat für altes adeliges Geblüt gegolten! -Alle Wunder und Verwandlungen geschehen dort. O Theodore, du hast ja -gewonnen Spiel! Der Himmel hat dir so hübsche<span class="pagenum"><a name="Seite_6" id="Seite_6">[S. 6]</a></span> Dingerchen zu Töchtern -gegeben. Wären sie mein, die lieben Närrchen; jede sollte mir so viel -Ausbeute liefern, als eine Goldgrube in Indien.“</p> - -<p>„Ich hatte nur eine Nichte, mit der ich nach Madrit ging. Sie hatte -nichts, als ein Paar schwarze Augen, und eine angenehme Stimme; aber -ein gelehriges Köpfchen hatte sie, das sich in all und jedem nach mir -richtete. Dafür ging auch alles wie am Schnürchen. Was gab es da nicht -für Dublonen, für Gallakleider, für Perlen, für Schmuck? Wo war ein -Fest, dem wir nicht beygewohnt hatten? Kurzum, sie war der Abendstern, -der in Madrit schimmerte wir hatten alles in Überfluß, und hätten es -noch, wenn sich die Hexe nicht Narrheiten in den Kopf gesetzt hätte. -Da vergaffte sie sich in einen Hauptmann, der sie und mich ins Unglück -stürzte. Gott verzeih’ ihm die Sünde, dem garstigen Kerl! Zuerst -schwatzte er uns alles ab, was wir zusammen gebracht hatten, und am -Ende kostete er sie gar ihr junges Leben. So ein Mädchen, das sein -Glück in der Residenz machen will, muß gar nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_7" id="Seite_7">[S. 7]</a></span> verliebt werden. Wenn -nun erst du mit deinen zwey bildschönen Mädchen nach Madrit kommst, was -kannst du dir erst versprechen? Was können sie nicht mit ihren übrigen -angenehmen Eigenschaften für Glück machen? — Der ganze junge reiche -Adel wird dir nachlaufen. Je mehr ihr diesen Herrchen schmeichelt, -desto untertäniger werden sie vor euch herum kriechen. Könnt’ ich dir -Gesellschaft leisten, du würdest sehen, wie gut ich dir immer mit -Rath und That an die Hand gehen würde. Ich hab’ aber schon über zwey -Drittheile meines Lebens verlebt, und bereite mich nun in der Stille -zu einem seligen Ende. Dafür will ich dir aber einen ausführlichen -Unterricht niederkritzeln, und wie eine kleine Hausapotheke mitgeben, -in der du alles finden wirst, was Zeit und Umstände fordern.“</p> - -<p>Die gute Alte weinte noch einige Thränen, und nahm von ihrer Freundinn, -die sie nun vor ihrer Zusammenkunft in Elysium nicht mehr zu sehen -Hoffnung hatte, den zärtlichsten Abschied. Sie hielt auch Wort, und -schickte den kleinen Entwurf, von<span class="pagenum"><a name="Seite_8" id="Seite_8">[S. 8]</a></span> dem wir eben gehört haben, und -der Theodoren in der Folge wirklich manche gute Dienste that. Die -Reisegesellschaft bestellte sofort ihre Plätze auf dem Postwagen von -Sevilla, versah sich mit einer ansehnlichen Guarderobe, und fuhr -fröhlich nach Madrit ab.</p> - -<p>Indeß wir sie hinfahren lassen, ist es billig, daß wir die zwey -Töchter Theodorens, die doch eigentlich unsere Hauptheldinnen sind, -näher kennen lernen. Die ältere — Feliciane hieß sie — war zwischen -achtzehn und neunzehn Jahren; ihr Antlitz war nach dem schönsten -Ebenmaße geformt; sie hatte schwarze Haare, pechschwarze Augen, schön -geschlitzte Nasenlöcher, einen reitzenden kleinen Mund, frische -lüsterne Lippen, und kleine, enge, schneeweiße Zähne. Ihre Wangen -hatten, ohne das, was die Kunst hinzu that, eine gesunde Röthe; ihr -Blick war mild, und ihre Stimme war der feinste Silberton. Diese hatte -sie auch nicht ganz ungebildet gelassen; sondern ein Musikmeister hatte -sie so weit gebracht, daß sie zur Harfe oder Guitarre verschiedene -Lieder so schmelzend<span class="pagenum"><a name="Seite_9" id="Seite_9">[S. 9]</a></span> singen konnte, daß es Wunder wirkte. Dabey war -sie die reitzendste, leichteste Tänzerinn, die man sich vorstellen -kann; man hätt’ ihr stundenlange zusehen können.</p> - -<p>Die andere Schwester, welche Louise hieß, war nun ein Jahr jünger als -Feliciane; sie war ein wenig brunetter, hatte hell funkelnde Augen, -die wie Blitze wirkten. Nase, Mund und Zähne waren ein wenig kleiner, -als die ihrer Schwester, aber sie verloren nichts dadurch, sondern -gewannen vielmehr einen eigenthümlichen Reitz. Sie war nicht so schlank -aufgeschossen, aber dafür war sie lieblich, rund und kernicht. Sie -tanzte und spielte auch die beyden Instrumente ein wenig besser, als -ihre Schwester; wenn sie aber beyde spielten, war man in Verlegenheit, -welcher man den Vorzug geben sollte.</p> - -<p>Mit diesen zwey Töchtern steuerte nun Theodore fort, wie ein Corsar, -der mit einem festen Schiff’, und zwey Kanonen, denen nichts -widerstehen kann, vom Lande stößt.</p> - -<p>Der Mutter lachte das Herz vor Freuden, wenn sie die zwey Lämmchen, -die<span class="pagenum"><a name="Seite_10" id="Seite_10">[S. 10]</a></span> sie zum Schlachtaltare führte, so allerliebst vor sich sitzen sah, -und schmiedete nun unablässig an Planen, die sogleich auf die Bahne -gebracht werden sollten.</p> - -<p>Von Felicianen wußte man weiter keine Narrheit, die sie begangen hätte, -als einige kleine Begünstigungen, die sie dem artigen Tanzmeister -für seine Mühe mit Anstand nicht wohl abschlagen konnte. Ihre Mutter -drückte ein Auge zu, da es nun schon vorbey war; dafür schärfte sie -ihr aber nun Standhaftigkeit und Widersetzlichkeit ein, und hoffte -von Louisen, sie würde ihre Erstlinge so reichlich an Mann bringen, -daß damit beyde bezahlt wären, wie ein Vogelkrämer manchmahl ein Paar -Rebhühner theuer verkauft, weil das eine um desto fetter ist, als das -andere.</p> - -<p>Nun blieb Theodoren nichts mehr übrig, als daß sie ihren Töchtern -Nahmen gab, und sich selbst einen anständigen beylegte; denn diese -Vorsicht hatte ihr die Alte als höchst wichtig eingebunden. Da es -nun schon einerley war, welchen sie wählte, beschloß sie sich in die -vornehmsten Fa<span class="pagenum"><a name="Seite_11" id="Seite_11">[S. 11]</a></span>milien des Königreichs einzulügen. Sie nannte daher ihre -älteste Donna Feliciana von Toledo; für die zweyte zog sie den Nahmen -aus dem Hause Alba mit Haaren herbey, und sich selbst nannte sie mit -Erlaubniß des Herzogs Donna Theodora von Cordona. Mit diesen prächtigen -und wohlfeilen Nahmen geziert, erreichte die Gesellschaft das Stadtthor -von Toledo. Sie packte nun ihre zwey Fräulein und ihr weniges Geräth -ab; denn sie hatte fast alles zu barem Gelde gemacht, weil sie sich -dann in Madrit ganz neu einrichten wollte.</p> - -<p>Sie brachten die Nacht ziemlich unbequem zu, und bezogen den nächsten -Morgen eine ansehnliche Wohnung in der Degenstraße. In demselben wohnte -ein alter Cavallero, der in der Erwartung einer Seneschallstelle für -die Dienste, die er Seiner Majestät geleistet hatte, hier schon ein -ganzes Jahr zubrachte. Es plagte ihn mit unter manchmahl die lange -Weile, und er war denn sehr zufrieden, so artige Nachbarinnen zu -erhalten. Er war auch ohne Verzug so höflich, sich ihnen zu allem,<span class="pagenum"><a name="Seite_12" id="Seite_12">[S. 12]</a></span> was -sie befehlen würden, anzutragen. Sie dankten ihm für diese besondere -Gefälligkeit, da sie nun weiter in keiner Verlegenheit wären, als wie -sie einen anderen Miethwagen bestellen könnten, der sie den folgenden -Tag nach Madrit brächte. Der Cavallero nahm auch sogleich dieß Geschäft -über sich, und sie fuhren in seinem eigenen Wagen nach Madrit ab.</p> - -<p>Der Kutscher führte sie durch die Straße de la Merced in die -Tolederstraße, von da kamen sie ans Thor von Quadalaxara, und in die -Goldschmidgasse<a name="FNAnker_A_1" id="FNAnker_A_1"></a><a href="#Fussnote_A_1" class="fnanchor">[A]</a>, und endlich auf die allberühmte große Straße -(<i>calle mayor</i>). Da besann sich Theodore, daß diese Straße die Rennbahn -sey, von der sie nun auf einem Chariot (<i>Galera</i>) auslaufen müßte, um -ihr Seeräuberhandwerk zu treiben. Ohne lange zu berathschlagen, hielt -sie so wohl nach ihrem eignen Urtheile, als nach den weisen Ermahnungen -ihrer alten Freundinn, dafür, daß die Gegend um St. Sebastian von -der<span class="pagenum"><a name="Seite_13" id="Seite_13">[S. 13]</a></span> Madriter Jugend am häufigsten besucht werde, theils weil hier -das Theater wäre, theils weil diese Gegend, wie ihr der Kutscher zu -ihrem größten Ärgernisse sagte, hierum manche Damen von zweydeutigem -Gelichter bewohnten. Theodore ging über diesen Umstand hinaus, und -beschloß, ihren Wohnsitz nicht weit von hier aufzuschlagen. Da sie aber -dem Kutscher keinen Argwohn geben wollte, hieß sie ihn noch ein wenig -weiter fortfahren, und so kamen sie durch die Hieronymusstraße in die -Fürstenstraße. Als sie beyläufig in der Mitte derselben seyn mochten, -sahen sie auf einem ganz artigen Hause einen Anschlagzettel an der Thür -kleben. Theodore ließ anhalten, und las, daß ein geräumiges Gelaß zu -vermiethen sey. Sie ließ den Wagen an das Haus fahren, und fragte, in -welchem Stockwerke das Gelaß sey. Man sagte ihr, daß es zu ebner Erde, -nur einige Stufen von der Hausthür, kurz, gerade so wäre, wie sie es -nach ihrem löblichen Plane wünschen könnte. Sie ward denn mit der Magd, -einem alten verdächtigen Figürchen, das ihnen<span class="pagenum"><a name="Seite_14" id="Seite_14">[S. 14]</a></span> die Wohnung gezeigt -hatte, sogleich über den Preis einig, und ließ sich die Schlüssel geben.</p> - -<p>Sie gingen ins erste Gemach, und fanden eine ältliche Wittwe auf -einem kleinen Polsterstuhle sitzen, die einen langen Rosenkranz in -der Hand hielt, und eben ihre Abendstunden bethete. Sie saß ganz -gravitätisch da, und ein Paar große Augengläser, die sie unter dem -kleinen Häubchen fest gemacht hatte, gaben ihr ein noch ehrwürdigeres -Ansehen. Sie stand sogleich auf, als sie Fremde kommen sah, und grüßte -sie mit vieler Höflichkeit; als sie aber erst die zwey Mädchen näher -erblickte, umarmte sie beyde mit einem lauten Jubel, und schrie: -„So schöne Engelchen sollen wir ins Haus kriegen? Das ist ja gar -allerliebst! Wollen Sie wirklich bey mir wohnen? — Nu, das freut mich -herzinniglich. Sie können unmöglich von Madrit seyn; denn sonst müßt’ -ich ja längst von so schönen Gesichtern gehört haben.“</p> - -<p>Theodore antwortete, daß sie gar nicht irre, und daß sie gerade aus -Mexico in Neu-Spanien kämen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_15" id="Seite_15">[S. 15]</a></span></p> - -<p>„Dacht’ ichs nicht gleich,“ sagte die Alte, indeß sie den langen -Rosenkranz in die Tasche schob, und die Augengläser abnahm — „dacht’ -ichs nicht gleich, daß sie aus einem andern Welttheile kommen, die -Schätzchen? Ich bitte, setzen Sie sich; meine Töchter schlafen noch -sorgenlos; das junge Völkchen schläft immer gern.“</p> - -<p>Die drey Mexicanerinnen gehorchten, und begannen über den Preis des -Gelasses zu sprechen. Das Mütterchen erklärte ihnen sofort, daß das -Haus nicht ihr gehöre; daß sie aber fünf Monathe befugt wäre, die -leeren Wohnungen zu vermiethen; eigentlich gehöre das Gelaß einer ihrer -Freundinnen, die sich nur auf eine kurze Zeit aus der Residenz entfernt -hätte; indessen wolle sie sie doch bald zufrieden stellen, und mit -dem Hausherrn sprechen, der ein friedliebender reicher Ritter wäre, -der sich gern gegen jedermann gefällig bewiese. Sie sagte ihnen auch -gleich, wie weit sie sich einlassen dürften. Sie kamen auch wirklich -überein, gaben sich den gewöhnlichen Handschlag zum Zeichen, und nun -traten aus einem Nebensaale zwey<span class="pagenum"><a name="Seite_16" id="Seite_16">[S. 16]</a></span> Damen, beyläufig von demselben -Alter, und beynahe eben so schön, als unsre Heldinnen. Sie waren erst -zur Hälfte gekleidet, in reinen weißleinenen Überröcken, und kleinen -Mützchen von grüner Seide, die ihnen gar lieblich ließen. Die Haare -waren aufgelöst, und schwammen großen Theils um die Schultern. Sie -waren über die schönen Mexicanerinnen beynahe betroffen, grüßten sie -aber doch ungemein artig; und als sie gar hörten, daß sie bey ihnen -unter einem Dache wohnen würden, bezeugten sie außerordentliche Freude -darüber. Indessen muthmaßten beyde wechselseitig wohl, mit wem sie die -Ehre zu sprechen hätten, obschon sie sichs nicht im geringsten abmerken -ließen. Donna Theodora von Cordona bewunderte noch die geschmackvolle -Einrichtung von Stephaniens, des alten Mütterchens, Wohnung, und -beschloß, ihr Gelaß eben so einrichten zu lassen.</p> - -<p>So hätten wir denn nun unsre schönen Sevillanerinnen glücklich nach -Madrit gebracht, hätten sie mit Wohnung versehen, hätten die Wohnung -mit einem an<span class="pagenum"><a name="Seite_17" id="Seite_17">[S. 17]</a></span>sehnlichen Sümmchen eingerichtet; sie hätten sittsame -Bettgardinen, Fußteppiche, weiche Stühle, einen bequemen Sopha, und ein -Paar Putztische. Nun fehlt denn nichts mehr, als eine Gelegenheit, den -ersten Tritt mit Anstand’ und Aufsehen in die große Welt zu thun, und -in diesem Meere, wie sich die Alte zu Sevilla ausgedrückt hatte, den -ersten Pfundhecht zu angeln.</p> - -<p>Zum Glücke fiel ein Festtag im Dreyfaltigkeitskloster vor, dessen -Kirche alles zu besuchen pflegte, was Schimmerndes und Artiges am Hofe -lebte. Zu diesem Feste nun führte sie Donna Stephanie, und um es ihnen -bequemer zu machen, miethete sie einen von den bekanntesten Wagen, die -sonst immer ihre Töchter zu haben pflegten. Feliciane und Louise hatten -schon zwey gewöhnliche Kleider genommen, erkundigten sich aber noch -glücklich vor der Abfahrt bey ihren Nachbarinnen, wie sie sich putzen, -und überhaupt benehmen müßten; und da sie schöner waren, als diese, -hatten sie nun durch den treulichen Unterricht, den sie erhielten,<span class="pagenum"><a name="Seite_18" id="Seite_18">[S. 18]</a></span> -viel vor den andern voraus. Sie kamen denn zum Feste, und da um das -Kloster ein Umgang gehalten wurde, nahmen sie ihren Platz bey einem der -vier Altäre, die in den vier Ecken standen. Hier mußte alles bey ihnen -vorüber, und allem, was in Galla war, standen sie gerade im Gesichte. -Unter den vielen Edelleuten, die nun vorüber gingen, kamen auch vier — -aus Cordova waren sie — die das Antlitz der zwey schönen Schwestern -sehen konnten; denn sie hatten, als diese vorüber gingen, die Schleyer -gelüftet.</p> - -<p>Unter ihnen war Don Fernando Antonio, ein rascher Jüngling von fünf -und zwanzig Jahren, schön gebildet, und seit einigen Monathen Herr -von zwey Majoratgütern, die ihm jährlich ein beyläufiges Sümmchen -von vierzehn tausend Ducaten abwerfen mochten. Er lebte nun am Hofe -vollauf, und bezahlte für die drey anderen, die ihn begleiteten. Als -sie nun zu den Sevillanerinnen kamen, banden sie bald ein Gespräch mit -ihnen an, und Donna Louisa von Alba sprach so sanft, so launig, so -schmelzend, so fein, daß Don<span class="pagenum"><a name="Seite_19" id="Seite_19">[S. 19]</a></span> Fernandos Liebeszunder Feuer fing. Sein -Herz war fort, wie die Taube aus dem Schlage; er hätte gern unablässig -geplaudert; aber er mußte ihr aus Artigkeit Raum lassen, den Umgang zu -sehen, und als dieser vorüber war, nahm er mit höchstem Widerwillen -Abschied; denn gern wär’ er diesem andalusischen Engel nimmer von der -Seite gewichen. Die schlaue Theodore merkte den Spuk sogleich, mengte -sich ins Gespräch, fragte ihn, mit wem sie zu reden die Ehre hätte, -und gab ihrer Tochter einen sprechenden Wink, die Beute ja nicht -fahren zu lassen. Die Damen gingen zur Kutsche, und fuhren nach dem -Prado, von dem sie spät zurück kamen; denn alles, was am Hofe glänzte, -hatte sich dort versammelt. Auch Don Fernando fand sich ein. Er -erkannte den Wagen, in dem die schöne Zauberinn mit ihren Freundinnen -fuhr, und sprang flink an den Schlag, um im Anschauen seiner Louise -vollends ein Narr zu werden. Die Dämmerung brach immer stärker ein. -Der Wohlstand forderte, daß er sich entfernte, indessen beschloß er -doch nicht eher nach Hause zu gehen,<span class="pagenum"><a name="Seite_20" id="Seite_20">[S. 20]</a></span> bis er ihr den ersten Besuch -abgestattet hätte. Er nahm denn einen von den drey Freunden zu sich, -der ihn begleiten sollte, und nun strichen sie, wie verlorne Schafe, -immer vor der Wohnung auf und nieder, bis seine Schöne ans Fenster kam, -und ihn einzutreten ersuchte. Das ließ er sich nicht zwey Mahl sagen; -er ward von Mutter und Tochter mit besonderer Artigkeit empfangen; -das Gespräch währte mit größter Lebhaftigkeit von beyden Seiten, so -lang’ er nur immer mit Ehren bleiben konnte, und er schied endlich -nur, nachdem er die Erlaubniß erhalten hatte, sich den nächsten Tag -wieder einzustellen. Er kam nun immer öfter; man begegnete ihm immer -mit Höflichkeit, aber auch immer mit mehr Zurückhaltung, je näher er -trat. Das konnt’ er in die Länge nicht aushalten, und er beschloß, sich -der Mutter zu erklären. Er beschwor sie, ihr Vorwort bey dem Herzen -ihrer Tochter einzulegen, und ihn nicht länger wie einen Fisch ohne -Wasser schmachten zu lassen. Er vermaß sich hoch, daß seine Liebe wie -die hellste Wachsfackel brenne, und daß er<span class="pagenum"><a name="Seite_21" id="Seite_21">[S. 21]</a></span> in seinem eignen Feuer -aufgehen müsse, wenn sie ihn nicht bald lösche, und dergleichen andere -auserlesene Floskeln mehr. Die schlaue Theodore lächelte, und hörte den -Strom seines Herzensgusses recht gern fortrauschen.</p> - -<p>„Don Fernando,“ sagte sie endlich, „ich bin zu sehr Mutter, und denke, -ob es mir gleich vielleicht nicht zusteht, zu vortheilhaft von meinen -Kindern, als daß ich mich zu sehr wundern sollte, daß Ihnen das Mädchen -gefallen hat. Sie sind aber — nehmen sie mirs doch immerhin nicht -übel, Don Fernando — Sie sind wie alle junge Herren mit dem ersten -Blicke verliebt geworden, und haben vielleicht noch gar nicht erwogen, -wer der Gegenstand sey, in den sie sich vergafft haben. Sie haben sich -vermuthlich in der Person getäuscht, und ich bekenne, daß ich selbst -es bin, die dieses Mißverständniß veranlaßt hat. Ich bin, — obschon -ich Ihren Stand und Charakter nicht im mindesten betasten will — -ich bin für ein Frauenzimmer, für eine Fremde, für eine Mutter mit -meiner Einladung zu rasch gewesen. Ich hatte ei<span class="pagenum"><a name="Seite_22" id="Seite_22">[S. 22]</a></span>gentlich aus langer -Weile gewünscht, bald einige anständige Bekanntschaften zu machen. -Ich muß Ihnen denn sagen, daß Louise und Feliciane die Töchter eines -sehr angesehenen Cavaliers aus Mexico sind, der sein Vermögen und sein -Leben auf einer Reise über Meer eingebüßt hat, so daß wir nun von -einem Gnadengehalte leben. Sie sehen denn, daß ich Ihnen nur darum den -Zutritt gestattet habe, weil man am Hofe gern gesellschaftlich lebt. -Ich zweifle an der Aufrichtigkeit Ihrer Erklärung nicht; aber wenn Ihre -Absichten wirklich ernsthaft, das heißt, auf eine Verbindung gerichtet -sind, so müssen Sie sich mir deutlicher erklären, wie ich mich Ihnen -erklärt habe.“ Über diese letzte Erklärung war Don Fernando ein wenig -betreten: ein Heirathsanschlag war ganz und gar nicht in seinem Plane -gewesen, und sein Feuer war für den Augenblick wirklich ein wenig -zurück geblasen. Er faßte sich aber schnell, und antwortete: „Donna -Theodora, ich war um keine weitere Auskunft Ihres Standes verlegen; die -ehrwürdige Gegenwart Ihrer selbst,<span class="pagenum"><a name="Seite_23" id="Seite_23">[S. 23]</a></span> und Ihrer liebenswürdigen Töchter -war mir genug. Ich zweifle an keinem Ihrer Worte; aber meine Absicht -war nur — ich muß es als Ehrenmann unverhohlen gestehen — Donna -Louisa zu dienen, und wünschte für meine aufrichtigen Dienste die Bande -der Liebe, — nicht der Ehe zur Belohnung.“</p> - -<p>„Don Fernando,“ wollt’ ihm die Mutter in die Rede fallen —</p> - -<p>„Erlauben Sie,“ fuhr er fort: „ich scheue diesen engen Knoten, und -hab’ ihn mir in meinem Plan’ in eine ziemlich weite Entfernung hinaus -gesetzt, obschon ich mich dann dazu bequemen werde, um doch einen -Erben meines Vermögens, das nicht unansehnlich ist, zu haben. Ich bin -Edelmann, und kann schweigen; Sie können vollkommen auf mich bauen, daß -Donna Louise durch meine Neigung zu ihr, und durch die Begünstigung -meiner Liebe nichts von ihrem guten Nahmen verlieren wird. Mit einem -Wort’, ich liebe sie unaussprechlich, und bin bereit, alles für sie zu -thun, was mir meine Liebe gebeut, und was mir Klugheit gestattet.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_24" id="Seite_24">[S. 24]</a></span></p> - -<p>Donna Theodora stutzte nicht wenig schon beym ersten Anpochen die Thür -der Ehe verschlossen zu finden, das war ein starker Streich, und sie -war in den tieferen Geheimnissen ihrer Kunst noch zu sehr Schülerinn, -als daß er sie nicht hätte betäuben, und von jedem ferneren Versuche -zurück schrecken sollen. Sie merkte zugleich auch zu deutlich, daß -Fernando festes Fußes zu Werke gehe, als daß sie auf Wankelmuth oder -Übergewicht der Leidenschaft hätte rechnen sollen. Sie hätte doch gern -geantwortet, und wußte nicht, wo sie eigentlich einlenken sollte. Sie -suchte denn lange herum, bis sie ein Wort fand, und sagte endlich: -„Bester Don Fernando, ich muß Ihnen nur aufrichtig gestehen, daß ich -mir im Herzen selbst nichts anders vorgestellt habe, als daß Louise -ungeachtet all’ meiner Vorstellungen sich am Ende doch von ihrer -Leidenschaft würde hinreissen lassen. O Gott, wer kann ein Mädchen -hüthen? — wenn Sie mir ihr Wort geben, mich nicht zu verrathen, so“ —</p> - -<p>„O ich bitte, reden sie,“ sagte Fernando.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_25" id="Seite_25">[S. 25]</a></span></p> - -<p>„Louise hat ihr armes Herzchen an Sie schon eingebüßt. Was wir das -Mädchen nun peinigen und aufziehen!“ —</p> - -<p>Fernando wußte wohl, wie er diese Antwort aufzunehmen habe, und war -innigst vergnügt, daß er die Sache so glücklich zu Ende gebracht hätte. -Er war nun der glücklichste Mensch von der Welt, nahm Theodoren bey -beyden Händen, und schwor ihr, daß er sich gewiß dankbar bezeugen -werde. Er gab ihr auch zum Anfange eine Kette von zweyhundert Thalern -am Werthe, die er am Halse trug. Er hing sie der Alten um den -ihrigen, und führte sie zu den zwey Schwestern hinüber, deren jeder -er einen Ring von eben so großem Werthe gab. Er stand auch nicht -länger an, seinen Platz bey Louisen einzunehmen. Ein bedeutender Wink -der Mutter, und der kostbare Ring machten das schöne Mädchen zur -zahmsten Taube. Sie brachten den Tag vergnügt zu, und den nächsten -frühen Morgen schickte er ihr eine reiche Bettdecke, eine Art von -Galanterie, die einzig in ihrer Art ist. Dieß Geschenk schickte er -durch seinen Haus<span class="pagenum"><a name="Seite_26" id="Seite_26">[S. 26]</a></span>hofmeister, der auch Theodoren eine kleine Rolle -von funfzig Escudos in Golde überreichen mußte. Das war ein Jubel und -ein Frohlocken im Hause! — Theodore dankte dem alten Mütterchen von -Sevilla tausend Mahl, und wünschte ihr für die guten Lehren, die sie -ihr vor ihrer Abreise gegeben hatte, ein seliges Ende zur Belohnung.</p> - -<p>Es versteht sich von selbst, daß er seine Wohlthaten nicht an Louisen -allein verschwendete, sondern auch Mutter und Schwester wie Igel -an ihm sogen. Er ward immer verliebter, und stellte sich beynahe -mit jedem Tage herrlicher ein; es war nun kein Spectakel, daß diese -liebenswürdige Familie nicht zuerst gesehen, keine Mode, die sie -nicht unter den ersten getragen hätte. Er hatte zwey Wagen, und der -weniger bekannte, an den vier rasche Rappen gespannt waren, stand ihnen -vollkommen zu Befehle. Sie fuhren auch bald die eine, bald die andere, -den ganzen Tag, Straß’ auf, Straß’ ab.</p> - -<p>Man kann sich wohl leicht vorstellen, wie ihre zwey schönen -Nachba<span class="pagenum"><a name="Seite_27" id="Seite_27">[S. 27]</a></span>rinnen über den schönen Fortgang ihres Glückes mochten gestutzt -haben; indessen da sie jene von allen Leckerbissen, die Fernando’s -Haushofmeister im Überflusse verschaffte, mit naschen, und sie -wechselsweise an jeder Spatzierfahrt Theil nehmen ließen, gaben sie -sich wieder zufrieden, und begnügten sich damit, daß sie sich der -schönen Welt in einer so auffallenden Gesellschaft zeigen konnten.</p> - -<p>Acht Monathe verflogen so in Saus und Braus, und Don Fernando hatte in -dieser kurzen Zeit an Schmucke, Kleidern, Freudenfesten, und so weiter -über zwölf tausend Escudos versplittert. Während dieser Zeit hatte sich -aber auch nicht einer gefunden, der sich um Felicianen beworben hätte; -denn keiner wagte es, sich an des verschwenderischen Fernando Seite -sehen zu lassen. Das war freylich ein Umstand, der sein Unangenehmes -haben mochte, und es wär’ allerdings angenehmer gewesen, wenn sich noch -ein zweyter schön befiederter Papagey in ihren Schlingen verfangen -hätte: unterdessen gebrach es<span class="pagenum"><a name="Seite_28" id="Seite_28">[S. 28]</a></span> Felicianen im Wesentlichen an nichts, -und sie konnte sich immer mit der Hoffnung eines ähnlichen, vielleicht -noch glücklichern Looses trösten.</p> - -<p>Eines Tages hatte Theodora, ihre Familie, und die zwey schönen -Nachbarinnen beschlossen, auf den Prado, einen Spaziergang, auf dem -auch S. Majestät Philipp der zweyte immer zu jagen pflegten, zu fahren. -Sie hatten Don Fernando davon Part gegeben; er both sich aber nicht -zu ihrem Begleiter an, sondern ließ ihnen nur melden, daß er ihnen -gute Unterhaltung wünsche, daß er aber, so unlieb es ihm wäre, eines -dringenden Geschäfts halber nicht in ihrer Gesellschaft seyn könne; -indessen würde sie sein Haushofmeister mit allem, was sie befählen, -versehen. Sie fuhren denn nach dem Prado, und wir wollen uns nach Don -Fernando umsehen.</p> - -<p>Er hatte wirklich diesen Tag einen Contract von Wichtigkeit zu -schließen, und seine drey Freunde waren nach Alcala zu einem -Stiergefechte gereist. Er hatte denn den ganzen Tag über lange Weile, -schlenderte verdrießlich die Straße auf<span class="pagenum"><a name="Seite_29" id="Seite_29">[S. 29]</a></span> und nieder, lehnte sich unter -die Hausthür, kam, was er sonst nie that, zur Mittagsstunde pünctlich -nach Hause, und warf sich nach Tische auf sein Ruhebett, weil ihm -durchaus nichts einfallen wollte, womit er sich den Unmuth verjagen -konnte.</p> - -<p>Vor beyläufig zwey Jahren war Don Fernando in einem Spielhause zu -Cordova bey einer Wette mit einem Ritter in Hader gerathen. Dieser war -sehr entrüstet; Don Fernando hatte aber mehrere Bekannte bey sich, und -wagte es daher, seinen Gegner über seine Hitze aufzuziehen, und ihn -lächerlich zu machen. Der Cordovese ward noch zorniger, um desto mehr, -da er eine Memme war, und es nicht wagte, Fernando einen Zweykampf -anzubiethen. Er faßte denn von der Stunde einen unversöhnlichen -Groll gegen unsern Fernando, und schwor ihm Rache, auf was immer für -einen Weg er sie erreichen würden. Seine eigentliche Absicht war -Meuchelmord; da aber Fernando immer in der großen Welt lebte, und immer -wenigstens drey Bediente bey sich hatte, war all sein Auflauern immer -ver<span class="pagenum"><a name="Seite_30" id="Seite_30">[S. 30]</a></span>geblich gewesen. Er war aus Verdrusse nach Portugall gegangen; -da er aber hörte, daß sich Fernando nun zu Madrit befände, eilte er -wieder dorthin, um seinen Plan endlich einmahl auszuführen. Um nicht -erkannt zu werden, ließ er sich den Bart wachsen, und schloff in ein -Pilgerkleid. Nun ließ er Fernando nimmer aus den Augen. Wie wir wissen, -war dieser bisher keinen Tag ohne Gesellschaft gewesen; daß er es aber -diesen Tag sey, hatte der fromme Pilger ausgespähet. Er bettelte auf -der Straße Almosen, und ging ungehindert zu Fernando’s Hausthür hinein.</p> - -<p>Fernando wohnte in seinem Hause ganz allein; das Hausgesinde hatte -gegessen, und hielt die Sieste; der Pilger konnte denn ungestört bis -auf Fernando’s Zimmer dringen. Dieser schlummerte noch immer sanft -fort; der Pilger schlich leise bis ans Schlafgestell, zückte den Dolch, -tauchte ihn sechs Mahl in sein Herz, und entfloh.</p> - -<p>Das Hausgesinde erwachte allgemach, und ging an seine Arbeit; -niemand ahn<span class="pagenum"><a name="Seite_31" id="Seite_31">[S. 31]</a></span>dete den Unglücksfall. Erst nach einigen Stunden kam der -Haushofmeister, auf Fernando’s Zimmer, schlug die Jalousien auf, und -sah seinen Herrn im Blute liegen. Er stand vor Schrecken wie eine -Bildsäule da, und machte endlich Lärmen. Alles weinte und jammerte, und -konnte nicht begreifen, wie der Mord geschehen konnte, da sie doch alle -— fest schliefen. Ihr Schmerz war indessen nicht von langer Dauer, und -sie faßten bald sammt und sonders den Entschluß, sich die Belohnung, -auf die sie für ihre treuen Dienste allerdings Anspruch machen zu -können glaubten, und die ihnen nun aus Mangel eines Testaments entgehen -würde, selbst zu verschaffen, und dann heimlich abzuziehen, um allen -Verdacht des Mordes von sich abzulehnen. Wie klug diese Berechnung -gewesen sey, leuchtet so ziemlich von selbst ein. Indessen ward der -Anschlag, dem der Herr Haushofmeister in eigener Person beytrat, an der -Stelle ausgeführt, alle Kasten, Kisten, Kästchen und Kistchen geöffnet, -alles, was sich an Geld’ und Geschmeide fand, nach Billigkeit getheilt, -und je<span class="pagenum"><a name="Seite_32" id="Seite_32">[S. 32]</a></span>der zog nun hin, wo er sich am sichersten glaubte.</p> - -<p>Sie hatten sich schon nach allen Himmelstrichen begeben, als einer -von Fernando’s Freunden ihn besuchen wollte, und gerade auf sein -Schlafzimmer ging. Hier sah er das gräßliche Schauspiel, und schrie, -daß alle Nachbarn zusammen liefen. Das Gericht war auch bald bey der -Hand; man wollte ein Verhör vornehmen, aber es war niemand da, den -man hätte verhören können; kein Bedienter war zu hören oder zu sehen, -und die Nachbarn erklärten mit Einer Stimme, daß sie nicht eine Sylbe -von der ganzen Sache wüßten. Es blieb nichts übrig, als daß man in -dem andern Hause, wo er seine Pferde hatte, nachsuchte. Dort fanden -sich auch wirklich vier Lackeyen und ein Kutscher, die aber ebenfalls -von der Sache noch nichts gehört hatten, und auf der Madratze ruhig -schnarchten. Dem überklugen Gerichte schien gerade dieses Schnarchen -ein verdächtiger Umstand und eine List, durch die die Thäter den -Verdacht von sich abzulehnen suchten. Sie wurden durch<span class="pagenum"><a name="Seite_33" id="Seite_33">[S. 33]</a></span>sucht, und -in des Kutschers Tasche ein Brotmesser gefunden. Die Gerichtsperson -erklärte, daß wider jeden, bey dem sich Waffen fänden, gegründete -Inzüchten vorhanden wären, und folglich auch auf diejenigen, die mit -ihm in vertraulichem Umgange betreten würden, gegründete Verdacht -obwaltete. Kutscher und Bediente mußten denn, was sie sich auch -sträubten, ins Gefängniß wandern. Sie läugneten standhaft, und es war -schon nahe daran, daß sie auf die Folter gebracht werden sollten.</p> - -<p>Während all dieß vorging, hatten sich unsere Damen auf dem Prado -sehr gut unterhalten, waren zurück gekehrt, und hatten dem Kutscher -befohlen, vor Fernando’s Hause anzuhalten; die Hiobspost kam ihnen -schon auf dem Wege entgegen; sie konnten ihr aber unmöglich glauben, -und fuhren bis ans Haus. Der Kutscher, der ein Sclave war, brachte -ihnen die Bestätigung des Unglücks; und da er diesen Augenblick -benutzen wollte, um sich in Freyheit zu setzen, lief er hastig davon, -und ließ sie allein stehen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_34" id="Seite_34">[S. 34]</a></span></p> - -<p>Theodora, die sich in jedem Schicksale männlich zu fassen wußte, und -die daher in ihrem Leben selten noch in Verlegenheit gekommen war, -wußte sich auch hier gleich Rath zu schaffen. Sie bezahlte den ersten -Vorübergehenden, daß er den Wagen in die nächste Remise führte, deren -Inhaber sie wieder reichlich bezahlte, damit er den Wagen niemanden, -wer es auch immer seyn möchte, ausfolgen ließe. Nun erst eilte sie mit -ihren Töchtern nach Hause, wo sie wie die Wölfe in der Wüste heulten, -und sich ihre schönen Haare ausgerauft haben würden, wenn sie nicht -der Gedanke eines unordentlichen Kopfputzes abgehalten hätte. Indessen -weinten sie bitterlich, und waren erst nach drey bis vier Stunden -wieder zu lachen im Stande.</p> - -<p>Theodora konnte doch die ganze Nacht kein Auge zuthun; denn sie dachte -unablässig, wie sie den Wagen mit den vier schönen Rappen in Sicherheit -bringen könnte. Sie ließ ihn auch mit Tages Anbruche von Madrit nach -Illescas führen, wo er verborgen bleiben sollte. Denselben Tag<span class="pagenum"><a name="Seite_35" id="Seite_35">[S. 35]</a></span> stellte -sich das Gericht auch bey unsern Sevillanerinnen ein, und verlangte -ihre Aussage. Da es aber nicht das mindeste Anzeichen fand, zog es -wieder in Frieden ab. Theodora fand nun nöthig, einen weiblichen -Staatsrath zu versammeln; ihre Töchter, und ihre schönen Nachbarinnen -setzten sich in einem Zirkel; Theodora räusperte sich, und hielt ihnen -folgende Rede.</p> - -<p>„Meine Damen,“ sagte sie, „bey dem Lebensplane, den wir uns -vorgezeichnet haben, ist uns nichts nöthiger, als daß wir uns mit -Würde benehmen, damit uns die dreisten Herren Männer nicht auf die -Ferse treten. Wir müssen sie durch unser Benehmen, wie durch eine Art -von Zauberspiele, anzulocken, aber auch zu körnen wissen, so, daß -sie die Schranken nie überschreiten können. Jeder Mann ist bey dem -geringsten Anlasse zudringlich, und ein zudringlicher Mann erkaltet -sehr geschwinde, wenn wir ihn nicht standhaft in den gehörigen Abstand -zurück weisen. Alles, worauf er Anspruch zu machen hat, muß ihm nur -als der höchste Grad<span class="pagenum"><a name="Seite_36" id="Seite_36">[S. 36]</a></span> freywilliger Begünstigung gewährt werden. Diese -goldene Regel habt ja immer gegenwärtig, meine Kinder, und vergeßt sie -auch dann nicht, wenn ich todt bin, und nur von oben herab auf euch -sehen kann. Der Weg, den wir mit so vielem Glücke begonnen haben, ist -uns durch den Tod des edlen Fernando auf ein Mahl abgeschnitten, und -wir müssen nun einen neuen einschlagen. Der arme Fernando! Wir hätten -noch drey Jahre von seinem Vermögen leben können; aber der Himmel hat -es nicht gewollt, und seine Rathschlüsse sind nicht zu ergründen. -Nun müssen wir vorzüglich den Wagen, der uns von ihm geblieben ist, -zu erhalten suchen; denn in einem Wagen kommt man auf jedem Wege -geschwinder fort: versteht ihr mich? Im Häuslichen mag es immer hier -kleinlich hergehen; der Wagen macht alles wieder gut. Mein Rath ist -denn, daß ihr eine um die andere in demselben eine Spazierfahrt macht, -und wie die Freybeuter irgend einen wackern Kriegsmann anzuwerben -sucht. Unser Wagen muß nun eine Postkutsche seyn, in der auf jeder -Sta<span class="pagenum"><a name="Seite_37" id="Seite_37">[S. 37]</a></span>tion ein anderer Reisender fährt. Feliciane mag den ersten Versuch -machen.“</p> - -<p class="mbot2">Alle fanden den Vorschlag der weisen Theodora vortrefflich; sie -theilten die Stadt ordentlich unter sich in bestimmte Bezirke ein, und -Feliciane machte sich reisefertig.</p> - -<div class="footnotes"> - -<div class="footnote"> - -<p><a name="Fussnote_A_1" id="Fussnote_A_1"></a><a href="#FNAnker_A_1"><span class="label">[A]</span></a> Plateria.</p></div> - -</div> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="spaced" id="ERSTE_SPAZIERFAHRT">ERSTE SPAZIERFAHRT.</h2> - -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">F</span>eliciane kleidete sich nun, wie sichs zu einer so wichtigen -Unternehmung ziemte, wobey ihr das übrige Frauenzimmer unter tausend -lustigen Anmerkungen hülfreiche Hand both. Ihr Kleid, das auch nicht -den kleinsten Reitz ihres Wuchses dem Aug’ entgehen ließ, war vom -grünem Atlasse, und sehr einfach gemacht. Ihr schwarzes Haar, das nur -mit einem Bande von derselben Farbe durchflochten war, blieb in schöner -Unordnung, und schien von der Natur gelockt. Sie gefiel sich, wie sie -da vor dem Spiegel saß, so gut, daß sie beynahe an sich selbst die -erste Er<span class="pagenum"><a name="Seite_38" id="Seite_38">[S. 38]</a></span>oberung gemacht hätte. Nun war sie fertig, und sprang mit so -leichtem Blute in den Wagen, als wohl noch nie in weiblichen Adern -getanzt hatte. Sie war ihres glücklichen Erfolges beynahe gewiß, und -nahm denn die Glückwünsche, die ihr die Fächer ihrer Gesellschaft noch -aus dem Fenster zuwinkten, nur als Ceremonie auf.</p> - -<p>Sie fuhr auch nicht so ganz auf blindes Glück fort, sondern hatte schon -ihr Augenmerk auf einen tüchtigen Fang gerichtet, den sie an die Angel -kriegen wollte. Es war ein reicher Mailänder, der sich seit kurzer -Zeit am Hof’ aufhielt, und eine Summe von mehr als funfzig tausend -Ducaten zu empfangen hatte, die ihm nach dem Tode eines Vetters, der -keine Kinder hinterlassen hatte, zugefallen war. Er trieb eigentlich -ein Kaufmannsgeschäft, und war übrigens gerade der Mann, von dem man -erwarten konnte, daß es ihm nicht sauer werden würde, die Erbschaft -eben so leicht wieder los zu werden, als er sie gemacht hatte. Horazio, -so hieß er, war beyläufig zwey und zwanzig Jahre alt, hatte eine -einnehmende Bildung, ein<span class="pagenum"><a name="Seite_39" id="Seite_39">[S. 39]</a></span> derbes, frisches Ansehen, und — was kein -gleichgültiger Umstand war — konnte die castillanische Sprache nicht -sehr behende sprechen, obschon er sie sehr gut verstand. Übrigens that -er sich nicht wenig auf seine Geschicklichkeit zu Gute, mit der er die -Laute und die Theorbe spielte. Er pflegte auch immer wie ein echter -Spanier des Abends vor den Fenstern der Damen Ständchen zu halten. Er -wohnte in der großen Alcalastraße, und bewohnte das Haus, an dem ein -großer Garten war, ganz allein. Sein ganzes Hausgesinde bestand aus -zwey Bedienten, einem Pagen, den er von seinem Vetter geerbt hatte, -einer mailändischen Haushälterinn, die die Küche besorgte, einem -Kutscher, der über zwey rothe Friesländer hofmeisterte, und einem -elenden Klepper, auf dem er selbst zu Madrit angekommen war, und um den -sich nun weiter niemand mehr bekümmerte. Über diesen Jüngling suchte -nun Feliciane ihr Netz auszuwerfen.</p> - -<p>Die Zeit, die sie zu ihrer ersten Spazierfahrt bestimmte, war sehr -glücklich gewählt. Es war eine schöne warme Nacht,<span class="pagenum"><a name="Seite_40" id="Seite_40">[S. 40]</a></span> mitten im Julius, -und der Mond schien spiegelhell. Sie nahm eine alte Magd mit sich, -die sie als Duenna kleidete. Über dieß hatten sie auch einen alten -Escudero mitgenommen, der sie nun schon seit längerer Zeit im Hause -bediente. In dieser ausgelernten Gesellschaft fuhren sie beyläufig um -neun Uhr an des Mailänders Hause vorüber. Sie trafen den Zeitpunct so -glücklich, daß der Mailänder eben auf dem Balcon in der angenehmen -Kühle bey dem Abendessen saß. Er hatte nur Beinkleider und ein Wamms -an, und klimperte eben auf der Theorbe. Der Wagen fuhr dicht an der -Mauer des Hauses vorüber, und als er der Thür gerade gegen über war, -rief man mit lauter Stimme: „Halt! Kutscher, halt!“ der Wagen hielt an, -und der Mailänder hörte auf, seine Theorbe zu spielen, um zu hören, was -Feliciane sagte. Er horchte ganz leise, und vernahm folgende Worte: -„Sie bemühen sich vergebens, meine Mutter! und eher würd’ ich mir mit -dem Messer, das ich in der Brieftasche trage, das Leben nehmen, als nur -einen einzigen Schritt<span class="pagenum"><a name="Seite_41" id="Seite_41">[S. 41]</a></span> vorwärts thun. So hat man mich betrogen? Solche -Fallstricke hat man mir gelegt?“</p> - -<p>Nun hörte er eine andere Stimme, welche die Duenna, oder eigentlich -die alte Magd war. Sie sagte: „Meine Beste! fluchen Sie ihrer Mutter -nicht; gehorchen Sie ihr, und machen Sie ihr Alter nicht unglücklich. -Wie viele würden das Glück, das Sie von sich stoßen, mit beyden Händen -ergreifen!“</p> - -<p>„Es ist Verrätherey,“ sagte Feliciane wieder; „es ist Grausamkeit, mich -zu dem zwingen zu wollen, was mir unmöglich ist. Niemand hat mit meiner -Freyheit zu schalten. Die Natur hat sie mir gegeben, und ich werde -sie gegen jedermann bis auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen -wissen.“</p> - -<p>Bey diesen Worten fing sie bitterlich zu weinen und zu schluchzen an. -Der Mailänder hatte keine Sylbe verloren, und zu gleicher Zeit lehnte -sich der alte Escudero an den Wagenschlag, und sagte: „Mäßigen sie doch -Ihre Stimme, gnädiges Fräulein, sonst laufen uns Leute zusam<span class="pagenum"><a name="Seite_42" id="Seite_42">[S. 42]</a></span>men, und -meinen am Ende, es sey etwas an der ganzen Sache.“ „Nun denn,“ schrie -Feliciane in einer Art von Verzweiflung, „so ist denn die Flucht mein -letztes Mittel, und ich will sehen, wer im Stande seyn soll, sie zu -hindern.“</p> - -<p>Dem Mailänder schien, daß sie nun im Wagen handgemein würden, und er -irrte auch nicht; denn sie rangen wirklich zum Scheine mit einander. -Der Escudero schien sich besonders tapfer zu widersetzen; endlich -gelang es Felicianen doch, aus dem Wagen zu springen, wobey sie, um das -Schauspiel tragischer zu machen, den Mantel und einen Schuh verlor. -Sie sprang gerade in des Mailänders Haus, und schrie: „Dieses Haus, -wem es immer gehören mag, soll meine Freystätte seyn. Es wird mich -aufnehmen, und sollte es eine Löwengrube seyn, so hoffe ich doch mehr -Menschlichkeit darin zu finden, als unter euren Händen.“ Bey diesen -Worten legte Horazio sein Instrument weg, nahm seinen Degen, und eilte -die Treppe hinunter. Feliciane stürzte ihm sprachlos zu den Füßen. Die -Duenna und der Escudero standen<span class="pagenum"><a name="Seite_43" id="Seite_43">[S. 43]</a></span> stumm da. Nun schien sich Feliciane -aus ihrer Betäubung zu erhohlen. „Unbekannter Ritter,“ sagte sie, indeß -sie immer noch fortweinte, und durchaus Horazio’s Knie umfassen wollte, -— „unbekannter Ritter, wenn Sie Menschengefühl im Herzen haben, so -erbarmen Sie sich meiner, und lassen Sie mich von Ihren Bedienten -unterstützen; denn meine Nerven sind mir abgerissen; ich kann nicht -aufrecht stehen.“ Horazio ließ sogleich Licht bringen, und befahl die -Hausthür zuzusperren, damit kein Auflauf würde. Man brachte Lichter, -und Horazio erstaunte über Felicianens Schönheit; denn ihr Schmerz -kleidete sie noch ein Mahl so reitzend, und die Stellung, in der sie -hingesunken war, hätte zum Modelle dienen können. Horazio sagte der -Duenna und dem Escudero voll edlen Unwillens, und mit einer Kühnheit, -über die sie als Komödianten nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit -erschrecken konnten, daß sie sich ja nicht einbilden sollten, er werde -diese schöne Dame von ihnen an einen Ort schleppen lassen, gegen den -sie Abneigung trüge; er würde sie vertheidigen,<span class="pagenum"><a name="Seite_44" id="Seite_44">[S. 44]</a></span> und wenn er darüber -sein Leben einbüßen sollte. „Aber um Gottes willen,“ schrie die Duenna, -und rang die Hände, „was werden wir ihrer Mutter sagen? In ihrer -Gegenwart ist sie mit uns fortgefahren; wo ist sie nun hingekommen?“ -„Was kümmert mich das?“ sprach Horazio; „ich bin ihr Beschützer gegen -Gewaltthätigkeit, und für das Übrige mögt ihr sorgen.“ „Nun,“ sagte -Mogrobejo, so hieß der Escudero, „so ist es um mich geschehen; ich darf -mich in Madrit nicht mehr sehen lassen.“ „Nein,“ schrie die Duenna -wieder, „ich kann mich nicht von meinem Fräulein trennen, und sollt’ -alles zu Grunde gehen!“ „Ich auch nicht,“ sagte Mogrobejo; „aber -nicht aus einfältiger Liebe, sondern weil es meine Pflicht ist, sie -nicht aus den Augen zu lassen.“ „Alter Verräther,“ schrie Feliciane, -„ihr sollt mich gewiß nicht anders, als stückweise, von der Stelle -bringen. Ich weiche keinen Schritt. Morgen bin ich in einem Kloster, -und vor eurer Boßheit für immer sicher.“ Was wollten sie thun? Der -Escudero kehrte den Rücken, setzte sich in den Wagen und fuhr fort. -Hora<span class="pagenum"><a name="Seite_45" id="Seite_45">[S. 45]</a></span>zio nahm aber seinen schönen Gast an der Hand, und führte ihn -in einen niedern Saal, der zunächst bey ihnen war; die Duenna ging -langsam nach. Das Herz schlug ihm laut, als ihm die schöne Unbekannte -durch einen matten Druck der Hand Dank sagte. Sie setzten sich, und -Feliciane wußte ihren Kummer durch so manigfaltige reitzende Bewegungen -zu äußern, daß Horazio’s Seele die ganze Tonleiter der Empfindungen -hinauf kletterte, und er endlich in folgende Worte ausbrach: „Reitzende -Unbekannte, wie glücklich bin ich, daß ich dazu bestimmt war, Sie aus -der dringendsten Gefahr zu befreyen! Wie überglücklich wär’ ich, wenn -ich Sie vor allen weiteren Verfolgungen sicher stellen könnte! Rechnen -Sie aber darauf, daß ich nichts unversucht lassen werde, diesen hohen -Zweck zu erreichen, der mich von nun an ganz allein beschäftigen soll. -Mein ganzes Haus steht Ihnen unumschränkt zu Befehle; Sie können da so -lange verborgen bleiben, als es Ihnen räthlich scheinen wird. Wohin -Sie es immer verlangen, werde ich Sie bringen. Ich bin Edelmann,<span class="pagenum"><a name="Seite_46" id="Seite_46">[S. 46]</a></span> und -denke auch edel. Ihre Tugend läuft bey mir keine Gefahr; und nur wenn -es zu Ihrem eigenen Besten nöthig ist, daß ich Ihre Geschichte erfahre, -wünsche ich sie zu hören, so hohen Antheil ich auch an Ihrem Schicksale -nehme.“</p> - -<p>Während dieser ganzen Rede hatte Feliciane von einem prächtigen Ringe, -den Horazio am Finger trug, und dessen Billanten sie allzu schön -anfunkelten, kein Aug’ abgewendet. Er mußte an ihren Finger herüber -kommen, und gehe es, wie es wolle; das war nun einmahl beschlossen. -„Ich finde keine Worte,“ sagte sie „mit denen ich Ihnen bezeugen -könnte, was in meinem Herzen vorgeht. Die Vorsicht hat mich Ihnen -zugeführt, großmüthiger Mann! hätten Sie sich nicht durch mein Unglück -rühren lassen, so wär’ ich jetzt schon ohne Rettung verloren. Die -nähmliche Großmuth, die Sie zu meiner Befreyung angetrieben hat, -wird Sie auch auffordern, die Rechte einer Freystätte, für die ich -Ihr Haus nun ansehe, nicht zu verletzen. Ich werde von Ihrer Güte -Gebrauch machen, und werd’ Ihnen so<span class="pagenum"><a name="Seite_47" id="Seite_47">[S. 47]</a></span> lange hier lästig fallen, als -es unumgänglich nöthig seyn wird.“ „Um Sie vollends zu beruhigen,“ -sagte Horazio, „will ich nicht einmahl im Hause hier bleiben, sondern -mich bey einem Verwandten aufhalten, bis Sie mit Ihrer Mutter -ausgesöhnt sind.“ „Nein, durchaus nicht!“ fiel ihm Feliciane in die -Rede; „Sie müssen hier bleiben; denn ich will sie überzeugen, daß ich -unumschränktes Vertrauen in Sie setze. Wenn man käme, und mich mit -Gewalt fortführen wollte, wer würde mich vertheidigen?“ „Was für ein -Befehl könnte mir auch willkommener seyn?“ sagte Horazio.</p> - -<p>Er hatte sein Abendessen, wie wir wissen, noch nicht eingenommen, und -da ihn eben ein Bedienter daran erinnerte, suchte er Felicianen zu -bewegen, daß sie mit ihm einige Erfrischungen nähme. Sie war ihm zu -viel Dank schuldig, als daß sie ihm nicht hätte Gesellschaft leisten -sollen, und er wußt’ es durch seine unwiderstehliche Beredtsamkeit -gar dahin zu bringen, daß sie aß und trank, wie ein kummerloser -Mensch. Sie sah zu deutlich, wie sehr<span class="pagenum"><a name="Seite_48" id="Seite_48">[S. 48]</a></span> sie auf ihren Wirth Eindruck -gemacht hatte, als daß sie diese Episode in ihr Schauspiel nicht hätte -einrücken sollen. Horazio war nun schon so über und über verliebt, daß -er nicht mehr im Stande war, auch nur dem geringsten Verdachte gegen -die Wahrheit der Geschichte Platz zu geben. Er war der einzige am -Tische, der keinen Bissen aß, und doch machte ihn dieser Umstand nicht -aufmerksam.</p> - -<p>Er hätte nur gar zu gern Nahmen, Stand, und die Geschichte der Dame -erfahren; er durfte es aber nicht wagen, die Wunde wieder aufzureißen, -und ihren Kummer etwa zu verdoppeln. Es war nun hohe Zeit, dem Fräulein -Ruhe zu gönnen, die ihr so nöthig schien. Er begleitete sie denn selbst -in das Gemach, das er für sie und Banuelos, die Duenna, hatte bereiten -lassen. Er tröstete sie noch mit den zärtlichsten Ausdrücken, und begab -sich in das obere Stockwerk. Es läßt sich denken, daß Horazio und -Feliciane die Nacht in ganz verschiedenen Betrachtungen zubrachten. -Horazio konnte kein Auge zuthun, und sann unablässig auf Mit<span class="pagenum"><a name="Seite_49" id="Seite_49">[S. 49]</a></span>tel, ihre -Verbindlichkeit zu fesseln, und ihre Liebe zu verdienen. Feliciane aber -weidete sich an dem glücklichen Erfolge ihrer List, und erwog, wie -sie dieses Haus mit dem möglich größten Gewinne in möglich kürzester -Zeit verlassen könnte. Sie berathschlagte sich mit ihrer wohlerfahrnen -Banuelos, und überließ sich endlich einem gesunden, ungestörten -Schlummer. Was sie in ihrem Rathe beschlossen haben, werden wir hören.</p> - -<p>Horazio war vor Tages Anbruche schon auf den Beinen, kleidete sich an, -und konnte den Augenblick nicht mehr erwarten, in dem er seinen Gast -wieder würde sehen und sprechen können. Er konnt’ es auf seinem Zimmer -nicht aushalten, und ging denn in den Hof hinunter, um sein Herz in -der Morgenluft zu erleichtern. Wie er die Treppe hinunter kam, fand -er die Duenna, die sorgfältig etwas auf dem Boden zu suchen schien, -und mit unter tiefe Seufzer ausstieß. Er fragte sie voll Besorgnis, -was sie suche; sie antwortete aber ganz ängstlich: „Nichts, gnädiger -Herr!“ seufzte aber noch tiefer, als zu<span class="pagenum"><a name="Seite_50" id="Seite_50">[S. 50]</a></span>vor. Horazio besorgte, daß -irgend ein Unglück geschehen seyn dürfte, und bestand durchaus darauf, -daß sie mit der Sprache heraus solle. „O gnädiger Herr,“ sagte die -alte Schlange, „ich will es Ihnen wohl sagen; verrathen Sie mich aber -nicht.“ Er gab ihr sein Wort, und sie sprach: „Was ich suche, ist ein -Ring, den mein Fräulein verloren hat. Sie glaubt, es sey geschehen, als -sie aus dem Wagen sprang; denn zuvor hat sie ihn gehabt, und nachher -vermißt. Er war von Diamanten von großem Werthe, und das schlimmste -bey der Sache ist, daß er nicht ihr selbst, sondern einer von ihren -Freundinnen gehört, der sie dagegen einen andern, der besondern Fassung -und eines Nahmens wegen, auf kurze Zeit geliehen.“ Horazio tröstete -sie, schickte einen Bedienten vor die Hausthür, um den Ring zu suchen, -und sagte zur Duenna, sie möchte sich nicht betrüben; denn wenn er sich -auch nicht fände, solle es ihrem Fräulein doch nicht an andern fehlen, -und die von größerm Werthe wären. Er wünsche nur, flickte er hinzu, -mehrere Gelegenheiten zu haben,<span class="pagenum"><a name="Seite_51" id="Seite_51">[S. 51]</a></span> dem Fräulein auf eine wesentlichere -Art beweisen zu können, wie sehr er sie hoch — schätze und — liebe. -Er war so begeistert, daß er die Alte in seine Arme schloß, und so heiß -küßte, als ob sie Feliciane selbst gewesen wäre. Sie stellte sich nun -getröstet an, und meldete ihm für seine Großmuth, daß er ihr Fräulein -nun schon werde sprechen können. Er eilte mit ihr ans Gemach, und -Feliciane war wirklich schon halb angekleidet. Horazio wollte durchaus -nicht ins Zimmer treten, bevor nicht Banuelos erst zu ihr hinein gehe, -und sie frage, ob er ihr nicht ungelegen falle. Feliciane rief aber -mit lauter Stimme durchs Vorzimmer: „Bester Horazio! in Ihrem eigenen -Hause sollte ich Ihnen den Zutritt versagen? Sie erweisen mir so viele -Güte, und ich sollte so unartig seyn? Ich bin ja schon angekleidet; -kommen Sie doch!“ Er ließ sichs nicht zwey Mahl sagen, eilte hinein, -und fragte sie, wie sie die Nacht zugebracht habe.</p> - -<p>„Wie anders,“ sagte sie, „als in der größten Unruhe: ich habe kein Auge -zugethan. Banuelos ist mein Zeuge.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_52" id="Seite_52">[S. 52]</a></span></p> - -<p>„Ja wohl,“ sage die Alte; „das war eine Nacht! Wenn Sie noch mehrere -solche haben, gnädiges Fräulein, so sind Sie bald eine Leiche. Wenn sie -auch ein wenig schlummerte, das liebe Fräulein, so saß sie doch gleich -wieder im Bett’ empor, und häftete den Blick starr an die Wand, als ob -sie ein Gesicht sähe.“</p> - -<p>„O meine arme Mutter!“ stimmte Feliciane wieder an; „verzeihe mir den -Kummer, den du vielleicht jetzt um meinetwillen leidest. Es ist aber -nicht meine Schuld; du magst mir vergeben, daß ich es für Verbrechen -halte, sich dem Eigensinn’ eines Menschen aufzuopfern, und wenn dieser -Mensch eine Mutter wäre.“</p> - -<p>„Trösten Sie sich doch,“ sagte Horazio, „obschon dieser edle Schmerz -Ihrem Herzen Ehre macht; Sie sind aber sich selbst Mäßigung schuldig.“</p> - -<p>Feliciane vergaß auch bey dieser Unterredung nicht, jeden Vortheil, -den ihr die leichte Morgenkleidung anboth, geltend zu machen; sie -sprachen noch manches, und endlich fragte Feliciane die Alte wie im -Vorbeygehen, ob sich der Ring gefunden<span class="pagenum"><a name="Seite_53" id="Seite_53">[S. 53]</a></span> habe. Banuelos antwortete, -daß er noch nicht gefunden sey, daß aber Horazio’s Bediente eben mit -dem Suchen beschäftiget wären. Feliciane dankte ihm für seine zuvor -kommende Gefälligkeit, und Horazio sagte: „Es ist mir wahrhaftig sehr -unangenehm, daß Sie mit dem Verluste des Ringes Verdruß haben; belieben -Sie aber diesen hier anzusehen.“ Hier zog er den seinigen vom Finger; -sie betrachtete ihn mit ungehäucheltem Vergnügen, und sprach: „Dieser -Ring macht Ihrem Geschmack Ehre; er ist unvergleichlich gefaßt, und -übertrifft den verlornen an Werthe ungemein. Dieser war nicht über drey -hundert Escudo’s werth; und dieser gilt wenigstens acht hundert.“</p> - -<p>„Sie sind wahrhaftig eine Kennerinn,“ erwiederte Horazio, „und sie -haben wenigstens nahe an den eigentlichen Werth gerathen; denn er kam -meinem Vater, dem ihn der Herzog von Savoyen überließ, auf etwas über -tausend Escudo’s. Darf ich Sie aber um eine Gefälligkeit bitten? Darf -ich Sie vorläufig um die Versicherung bitten, daß Sie mir sie nicht -abschlagen<span class="pagenum"><a name="Seite_54" id="Seite_54">[S. 54]</a></span> werden?“ Feliciane merkte zu gut, wo er hinaus wolle, -und antwortete: „Bester Horazio! Sie haben mir gestern Ihr Ehrenwort -gegeben, daß ich nicht ein unanständiges Wort aus Ihrem Munde hören -werde; ich hoffe, Sie sind ein Mann. Übrigens bin ich Ihnen zu viel -Dank schuldig, als daß ich Ihnen was immer für eine Gefälligkeit -abschlagen sollte.“</p> - -<p>„Sie geben mir also Ihr Ehrenwort?“</p> - -<p>„Ja.“</p> - -<p>„So nehmen Sie also auch,“ fuhr Horazio voll Feuer fort, „diesen Ring -anstatt des verlornen an.“</p> - -<p>Feliciane stellte sich betroffen, und schob seine Hand sachte zurück.</p> - -<p>„Sie weigern sich, ein unbedeutendes Andenken von dem Manne zu nehmen, -der nichts so innig wünscht, als nie von Ihnen vergessen zu werden?“</p> - -<p>„Horazio!“ rief Feliciane.</p> - -<p>„Sie wollen also Ihr Ehrenwort brechen? Sie kränken mich -unaussprechlich!“</p> - -<p>„Nein! Das will ich nicht,“ sagte Feliciane wieder, und wusste ihren -Augenliedern einen so geschickten Druck zu ge<span class="pagenum"><a name="Seite_55" id="Seite_55">[S. 55]</a></span>ben, daß eine helle -Thräne ihre Wange herunter rollte. „Ich nehm’ ihn, und will ihn -als Andenken ehren. Aber halt! ich darf ihn nicht nehmen. Nur dann -könnte ich ihn als Andenken nehmen, wenn er an meinem Finger bliebe: -ich hatte den verlornen aber nur von einer Freundinn auf einige -Zeit ausgetauscht; denselben kann ich ihr nicht wieder zurückgeben; -ich werd’ ihn ihr also zu ersetzen wissen. Ich denke nun der -Verbindlichkeit meines Ehrenwortes ledig zu seyn.“</p> - -<p>Horazio antwortete: „Nein, meine Beste! Sie sind Ihres Ehrenwortes -nicht ledig. Ihre Freundinn wird sich den Ring nicht mit Geld ersetzen -lassen, sondern wird sich mit einem andern Ringe von gleichem Werthe -begnügen müssen. Mein Andenken haben Sie angenommen“ — nun sprang er -zu einer auf einem Kasten stehenden Schatoulle, und hohlte ein Futteral -mit sechs anderen brillantenen Ringen hervor — „und nun werden Sie von -diesen hier einen für Ihre Freundinn annehmen.“</p> - -<p>„Was denken Sie von mir, Horazio?“ sagte Feliciane; „ich würde fähig -seyn,<span class="pagenum"><a name="Seite_56" id="Seite_56">[S. 56]</a></span> die Verletzung des Gastrechts so weit, bis zur Unverschämtheit -zu treiben?“</p> - -<p>„Schönste Feliciane,“ sagte der Sophist, „Sie sind es ja nicht, die den -Ring annimmt; und ich würde es nicht gewagt haben, Ihrer Delicatesse -nahe zu treten. Ihre Freundinn ist es ja, die ihn von mir annimmt, und -der ich ihn für das Vergnügen schuldig bin, den mir das Andenken hier -an ihrem Finger macht.“</p> - -<p>„Trauen Sie also meiner Freundinn weniger Delicatesse zu, als mir?“ -sagte Feliciane. „Wie Sie auch die Sache drehen! wie Sie mir die -unschuldigste Absicht übel ausdeuten!“ sagte Horazio. „Wie kann es die -Delicatesse Ihrer Freundinn reitzen, wenn sie von einem Manne etwas -annimmt, was er ihr eigentlich schuldig ist, da es in seinem Hause -verloren worden; von einem Manne, den sie nicht einmahl kennt; wenn -sie es nimmt, ohne selbst zu wissen, woher es kommt? Warum wollen Sie -mir dieß Vergnügen versagen, das Ihnen weiter keine Beschwerlichkeit -macht, als daß Sie etwas mit der einen Hand nehmen, und mit der anderen -abgeben?“ „Den<span class="pagenum"><a name="Seite_57" id="Seite_57">[S. 57]</a></span>ken Sie also,“ sagte Feliciane, die herzlich froh war, -daß sie nun plötzlich auf einen andern Weg einlenken konnte, „denken -Sie also, daß ich bey einem Vergnügen, das ich Ihnen verschaffen soll, -auch nur daran zu denken im Stande sey, was es für einen Eindruck auf -mich machen werde? O Sie kennen mich noch sehr wenig; und um Sie zu -überzeugen, daß ich von so einer niedrigen Bedenklichkeit weit entfernt -bin, geb’ ich Ihnen nach, und will nicht einmahl erwägen, ob mich Ihre -Gründe, oder Ihre Beredtsamkeit bestimmt.“</p> - -<p>Horazio öffnete das Futteral, und Feliciane war bey dem Anblicke der -sechs kleinen Fixsterne nicht wenig überrascht. „Wählen Sie nach -Geschmacke,“ sagte Horazio; aber Feliciane konnte sie nicht bestimmen, -denn sie war keine große Kennerinn, und hätte doch gern dem würdigsten -die Ehre der Wahl erwiesen. „Nun müssen Sie mir ein Mahl nach meinem -Kopfe thun. — Eingeschlagen!“ — Horazio that es, und Feliciane fuhr -fort: „Für meine Freundinn werden Sie nun<span class="pagenum"><a name="Seite_58" id="Seite_58">[S. 58]</a></span> wählen.“ Horazio konnte -nichts entgegen sagen, und hob den vorzüglichsten aus, der ebenfalls -über tausend Escudo’s werth war. Nach einem kurzen Gespräche ließ er -sie allein, damit sie sich vollends ankleiden konnte. Sie war nun -Besitzerinn eines Schmuckes von mehr als zwey tausend Escudo’s, und -Horazio hatte ein Vergnügen darüber, das er um drey tausend nicht hätte -entbehren wollen.</p> - -<p>Er fuhr aus, sprach verschiedene Freunde, hüthete sich aber, ein Wort -von seinem schönen Gaste zu verlieren; auch seinen Bedienten hatte er -ein strenges Stillschweigen eingeschärft.</p> - -<p>Gegen Mittag kam er wieder nach Hause, wo er den alten Escudero fand, -der ihm meldete, daß er sich, um seiner Frau wieder unter die Augen -treten zu dürfen, einer Lüge bedient, und ihr gesagt hätte, daß sie -ihre Tante binnen drey oder vier Tagen abholen würde, und daß er -der Tante gesagt habe, er hätte das Fräulein in ihrer Mutter Hause -gelassen. Feliciane war mit seinem Einfalle wohl zufrieden, und Horazio -gab ihm eine Dublone. „So sauer<span class="pagenum"><a name="Seite_59" id="Seite_59">[S. 59]</a></span> mir auch das Lügen wird,“ sagte die -Duenna, „so könnte ich doch für Don Horazio immerhin eine wagen.“ -Horazio hatte nun eben die Hand im Beutel, und bezahlte auch ihr diese -liebevolle Äußerung mit einer Dublone. Feliciane befahl ihr zwar, sie -nicht anzunehmen; aber Horazio bestand durchaus darauf.</p> - -<p>Sie gingen nun zu Tische, und nachdem sie wacker gegessen hatten, -äußerte Horazio wieder seinen Wunsch, Felicianens Geschichte zu hören, -und diese konnte sie ihm nicht länger vorenthalten. Sie begann denn.</p> - -<p>„Don Lope Zopata von Meneses, der zweyte Sohn des Don Bernardo Zopata, -war mein Vater; er diente in Flandern, und bracht’ es bis zum Capitäne. -Er kam an den Hof zurück, um eine Zulage an Gehalt zu begehren, und -verliebte sich da in meine Mutter, aus dem Hause Arancivica, einer der -ansehnlichsten Familien in Biskaja. Er wußte ihre Ältern in wenig Tagen -zu gewinnen, erhielt sie zur Gattinn, und mit ihr einen Eisenhammer zur -Mitgift; ein ganz ansehnliches Geschenk, da<span class="pagenum"><a name="Seite_60" id="Seite_60">[S. 60]</a></span> er über jährliche vier -tausend Escudo’s eintrug. Sie hatten zwey Töchter, mich, Blanca, und -meine jüngere Schwester Lucretia. Mein Vater diente noch mehrere Jahre, -und starb als Seneschall in Cordova. Dort gefiel es einem Edelmanne, -mich ins Auge zu fassen, und mir mit seinen zudringlichen Erklärungen -so unablässig in den Ohren zu liegen, daß er mir vollkommen zuwider -war, und ich ihn ohne innigen Verdruß nicht mehr nennen hören konnte. -Nach meines Vaters Tode zog meine Mutter nach Madrit, wo wir nun zwey -Jahre sind. Sie hat eine Schwester, eine Wittwe mit zwey Töchtern, in -deren Hause wir uns meisten Theils, obschon in verschiedenem Gelaß’, -aufhalten. Der Ritter von Cordova kam auch hierher, nicht aber in der -Absicht, seine Werbung um mich fortzusetzen, sondern sein Augenmerk war -auf die Tochter eines Rathes gerichtet, die ihn aber bald abfertigte. -Als er dort kein Gehör fand, fand er es für gut, sich wieder an mich zu -wenden, und beschloß endlich zur größeren Sicherheit seines Erfolges, -mich geradezu<span class="pagenum"><a name="Seite_61" id="Seite_61">[S. 61]</a></span> zur Ehe begehren. Ich will Ihnen eine kleine Schilderung -von ihm machen. Er ist sehr leibig, und dabey sehr klein, sieht sehr -tückisch her, und ist auch wirklich, wie seine Bedienten einhällig -sagen, meistens von so übler und ungestümer Laune, daß er sich mit -niemanden vertragen kann. Urtheilen Sie nun selbst, ob ich recht -that, daß ich die Hand so eines Mannes ausschlug. Unterdessen so sehr -sich mein Herz gegen eine Verbindung mit ihm von jeher empört hatte, -so wenig mißfiel er doch meiner Mutter. Sie hatten öfters besondere -Unterredungen, und ich entdeckte bald, daß ihm meine Hand verheißen -sey. Sie waren auch nur mehr über die Bedingnisse uneinig. So reich er -ist, macht’ er doch große Forderungen, zu denen sich meine Mutter nicht -verstehen konnte, weil sie selbst größten Theils nur vom Wittwengehalte -lebte, und ihr Vermögen eigentlich nur für uns Schwestern ersparen -wollte. O sie ist doch eine gute Mutter, und sie hat seinen Antrag -gewiß nur darum so eifrig begünstigt, weil sie mich noch an ihrem Leben -versorgt<span class="pagenum"><a name="Seite_62" id="Seite_62">[S. 62]</a></span> sehen wollte, und mich bey ihm gut versorgt glaubte.“ — -Sie weinte, und Horazio überzeugte sich wieder neuerdings, daß eine -vortreffliche Seele in diesem makellosen Körper wohne.</p> - -<p>„Endlich,“ fuhr sie fort, „ließ er doch von seinen Forderungen ab, und -erklärte sich, daß er mir auch ohne Mitgift die Hand reichen wolle. -Der Tag zur Unterzeichnung war bestimmt, und es war so abgekartet, -daß ich in das Haus meiner Tante geführt werden sollte, um mein -Todesurtheil zu unterzeichnen. Man befahl mir, ohne der Hauptsache -nur mit einem Worte zu erwähnen, mich anzukleiden, und sagte mir nur, -daß ich abgeholt werden würde. Mir kam alles verdächtig vor, und das -Herz schlug mir mächtig; indessen konnt’ ich nichts vorschützen, -warum ich nicht zu meiner Tante fahren wollte. Der Wagen kam, und wir -stiegen ein; mit jedem Schritte schlug mein Herz stärker; Banuelos -sichtbare Ängstlichkeit, des Escudero ununterbrochenes Schweigen, -ihrer beyder Verlegenheit, wenn ich sie fragte, warum<span class="pagenum"><a name="Seite_63" id="Seite_63">[S. 63]</a></span> wir zur Tante -führen, enträthselten mir alles. Nun wollt’ es mich nicht mehr im Wagen -leiden; ich forderte, sie sollten anhalten lassen; sie thaten’s nicht: -ich schrie dem Kutscher selbst zu; er hielt gerade vor Ihrem Hause -an: ich sprang aus dem Wagen, — das übrige wissen Sie selbst.“ — -Nun vergoß sie wieder einen Strom von Thränen; die Duenna schluchzte, -und Horazio selbst weinte mit. Nachdem sie sich alle wieder erhohlt -hatten, erklärte Feliciane, daß sie überhaupt, so lange sie nun Madrit -bewohne, in einer seltsamen Stimmung sey, und in einer ununterbrochnen -Fröhlichkeit ihrem Herzen nie eine ernsthafte Neigung habe nahe kommen -lassen. Horazio’s ganzes Wesen heiterte sich nun auf; denn er hatte -nicht mehr und nicht weniger vermuthet, als das sie am Ende ihrer -Erzählung das Geständniß hinzu fügen würde, daß ihr Herz schon an einen -andern verschenkt gewesen sey.</p> - -<p>„Eine glückliche Stimmung, in der Sie waren!“ sagte Horazio; „denn was -ist wohl glücklicher, als durch sein Leben munter und sorgenlos wie -durch einen Garten hin<span class="pagenum"><a name="Seite_64" id="Seite_64">[S. 64]</a></span>hüpfen zu können! Wenn nun aber einmahl diese -Art von unversuchter Fröhlichkeit, die in unsern Verhältnissen auch -nicht lange währen kann, vorüber ist, dann gibt es auch wirklich keinen -Zustand, der uns für jenen schadlos halten könnte, als den Zustand -einer glücklichen Liebe. O ja!“ fuhr er mit einer Art von Begeisterung -fort, „so vielen Kummer eine unglückliche willkürliche Liebe, so viele -Nachreue eine unvorsichtige und zu rasche nach sich zieht; so übergroße -Seligkeit bringt auch eine glückliche, und so viele Vorwürfe haben -sich zwey Herzen zu machen, die sich vielleicht wechselseitig auf -immer glücklich machen könnten, und doch“ — — bey den letzten Worten -hatte er Felicianens Hand mit einer Art von Wuth ergriffen; sein Blick -hing starr an ihrem Auge; und diese Zauberinn, der alle animalischen -Verrichtungen des Körpers zu Gebothe zu stehen schienen, wußte sich -schnell die gehörige Masse Bluts in die Wangen zu pumpen, das sich wie -ein Rosenflor über sie ausbreitete. „O Gott!“ seufzte Horazio, und -Feliciane<span class="pagenum"><a name="Seite_65" id="Seite_65">[S. 65]</a></span> sagte ganz leise, und indem sie sich eine Thräne vom Auge zu -wischen schien: „Wollen Sie mir nicht die Theorbe spielen?“ Er dachte -weiter nichts, als daß sich Feliciane aus einer nur allzu sichtbaren -Verlegenheit zu retten wünsche, und nahm die Theorbe augenblicklich -zur Hand. Er spielte und sang mit wahrem Eifer; was er aber dieß Mahl -an Ausdrucke gut machte, das verdarb er mit falschen Griffen. Als er -geendigt hatte, sagte Feliciane, daß auch sie eine große Liebhaberinn -von Musik wäre, und zu Hause eine Harfe und eine Guitarre habe. Horazio -sprang auf, hohlte seine Guitarre, und ließ nicht eher ab, bis sich -auch Feliciane zu einem kleinen Gesang’ entschloß. Man hätte eine große -Wette eingehen können, daß kein Mädchen in Madrit die Guitarre mit mehr -Grazie zu halten im Stande war, als sie; man wußte nicht, wenn sie -spielte, ob man sich von dem sanften Auf- und Abgleiten ihrer Finger, -oder ihrer ausdrucksvollen Stimme, oder von dem reitzenden Wiegen ihres -Körpers, mit dem sie den Gesang begleitete, hinreißen lassen solle. Sie -sang:</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_66" id="Seite_66">[S. 66]</a></span></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Ein Vöglein auf dem Felde saß;</div> - <div class="verse">Es pfiff und sang ohn’ Unterlaß;</div> - <div class="verse">Es saß bald hier, es saß bald dort,</div> - <div class="verse">Und sang, und trillert’ immer fort.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Im Herbste und im Winter war</div> - <div class="verse">Es fröhlich, wie im frühen Jahr;</div> - <div class="verse">Es saß bald hier, es saß bald dort,</div> - <div class="verse">Und sang und trillert’ immer fort.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Doch lange hatt’ ihm schon im Feld’</div> - <div class="verse">Ein Vogelsteller nachgestellt;</div> - <div class="verse">Er pfiff — es pfiff den Wald hinein,</div> - <div class="verse">Im Netze war das Vögelein.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p>Feliciane hatte eine so angenehme Melodie zu diesem Texte gewählt, -daß Horazio, der den Inhalt des Gesanges ohne allen Anstand auf sich -auslegte, ganz bezaubert war. Er pries ihre Talente in seiner halb -castellanischen Sprache mit so sonderbaren Ausdrücken, daß sich -Feliciane kaum des Lachens erwehren konnte.</p> - -<p>Ihr Gespräch war durch die Ankunft des alten Escudero gestört, der -einen kleinen Pack, mit einem sonderbarem Über<span class="pagenum"><a name="Seite_67" id="Seite_67">[S. 67]</a></span>zuge von Leinwand, trug. -Er nahm ihn unter seinem Mantel hervor, und öffnete ihn. „Wie?“ sagte -Feliciane; „wo hast du das Kleid, das ich ausdrücklich verlangt habe?“ -„Ich bitte um Vergebung! gnädiges Fräulein; es war aber unmöglich: -denn alle Ihre Kleider hat man schon in die Wohnung der gnädigen Tante -geschafft.“</p> - -<p>„Wie werden wir sie nun kriegen?“ sagte Feliciane; „nun muß ich immer -das nähmliche auf dem Leibe tragen.“ Sie stellte sich sehr verdrießlich -an, und Horazio, der jede Gelegenheit, sie sich verbindlich zu machen, -mit beyden Händen ergriff, unterbrach sie, und sprach: „Lassen Sie -sich doch nicht so eine Kleinigkeit kümmern, beste Donna Blanca! -so einem Übel wird doch bald abgeholfen seyn. Bis heute Abends -lassen sich wohl zwey Kleider ganz nach Ihrem Geschmacke, mit allem -Zugehöre verfertigen.“ Feliciane warf ihm einen zärtlichen Blick zu, -und sagte: „Sie sind wirklich zu gefällig, und ich sollt’ Ihre Güte -nicht mißbrauchen. Wenn Sie mir aber in dieser Verlegenheit auf meine -Rechnung zwey Kleider ver<span class="pagenum"><a name="Seite_68" id="Seite_68">[S. 68]</a></span>schaffen wollen, werden Sie mich Ihnen -unendlich verbinden.“ Horazio war voller Freuden, und machte, nachdem -er sich noch genau Farbe, Stoff und Zugehör hatte vorschreiben lassen, -die nöthigen Anstalten. Nun suchte Feliciane das Gespräch auf einen -andern Gegenstand zu leiten. Sie sagte ihm, daß sie dem Escudero, -ungeachtet aller Betheurungen, doch nicht vollkommen traue, und daß -sie unaufhörlich der Zweifel peinige, ob es wohl wahr sey, daß er -sie von beyden Seiten, so wohl bey ihrer Mutter, als bey ihrer Tante -sicher gestellt habe. „Sie, Horazio,“ sagte sie, „wären im Stande, mich -hierüber vollkommen zu beruhigen. Hören Sie, in meiner Tante Wohnung -wird ein Gelaß vermiethet; wenn sie es besuchen wollten, könnten Sie -bey dieser Gelegenheit auch meine Tante selbst sprechen, und so im -Gespräch’ abnehmen, wie sie gestimmt, und ob sie meiner Flucht nicht -etwa auf der Spur sey.“ Horazio nahm den Auftrag desto freudiger an, da -er zugleich eine nähere Auskunft über Felicianens Schicksal, und über -die ganze Geschichte zu er<span class="pagenum"><a name="Seite_69" id="Seite_69">[S. 69]</a></span>halten hoffte; Feliciane schickte aber in -der Eile ihrer Mutter durch den Escudero einen Zettel, in der sie ihr -ganz kurz meldete, wie sie sich gegen Horazio zu benehmen habe.</p> - -<p>Horazio ging nun fröhlich zum Thore von Quadalaxara hinaus, und kaufte -den Stoff für die zwey Kleider; auf das eine schwarzen Atlaß, und auf -das zweyte blaß rosenfarbigen Taffet. Als er auch die Verfertigung -besorgt hatte, ließ er den Wagen gerade an das Haus der Tante seiner -Feliciane fahren, und an der Hausthür halten. Er schickte einen -Bedienten um die Schlüssel zu dem Gelasse, das hier vermiethet wurde, -hinein; eine Magd kam, zeigte ihm das Gelaß, und er fragte nun nach -der Person, mit der er sich über den Preis zu besprechen hätte; man -nannte sie ihm, und er erkannte sogleich an dem Nahmen Laura, daß es -Felicianens Tante wäre. Er ward zu Theodoren geführt, und fand sie in -einer sehr betrübten Stellung; sie kamen über den Preis überein, und -Theodora bath ihn, ihr auch den Nahmen der Person, für die er das Gelaß -ge<span class="pagenum"><a name="Seite_70" id="Seite_70">[S. 70]</a></span>miethet hätte, bekannt zu machen. Horazio sagte ihr, daß es eine -Wittwe, eine Base von ihm, wäre. „O bringen Sie mir sie doch bald!“ -sagte Theodora; „denn ich leb’ ohne dieß wie im Kerker, ohne alle -Gesellschaft, und leide besonders seit zwey Tagen großen Kummer.“ „Das -zeigt sich nur zu deutlich an Ihrer Miene,“ antwortete Horazio; „und -so wird sich meine Base vortrefflich zu Ihnen schicken, denn sie ist -immer sehr munter und aufgeweckt.“ „Nun,“ antwortete Theodora, „bringen -Sie mir sie doch recht bald! ich trage schon eine rechte Sehnsucht nach -ihr.“ „In der That,“ erwiederte Horazio, „Ihr Kummer geht mir nahe, und -wenn es nicht unbescheiden wäre, würd’ ich es wagen, Sie um die Ursache -desselben zu fragen.“</p> - -<p>„O mein Bester!“ sagte Theodora; „das ist es eben, was ihn noch größer -macht, daß ich ihn nicht mittheilen kann.“</p> - -<p>„So will ich auch nicht weiter in Sie dringen; indessen, wenn dieser -besondere Umstand nicht eingetreten wäre, so hätt’ ich Ihnen meine -Dienste angebothen. Ich bin zwar kein Spanier, aber doch Edel<span class="pagenum"><a name="Seite_71" id="Seite_71">[S. 71]</a></span>mann, und -schmeichle mir, hier mit ansehnlichen Häusern in Verbindung zu stehen.“</p> - -<p>„Sie sind also kein Spanier?“</p> - -<p>„Nein, wie Ihnen auch schon meine schlechte Aussprache zeigt; ich bin -aus Mailand, und nur eines Geschäftes wegen hier, übrigens aber, wie -gesagt, zu jedem Dienste bereit, den ich Ihnen leisten kann.“</p> - -<p>„Ich danke Ihnen, vortrefflicher Mann! Nach Ihrer freundschaftlichen -Äußerung, zu der Sie nur Menschenliebe auffordern kann, da Sie mich -nicht einmahl kennen, würd’ ich wirklich undankbar seyn, wenn ich -Ihnen die Ursache meines Kummers noch länger vorenthalten wollte. -Belieben Sie in dieses Gemach herein zu kommen; hier könnte man uns -belauschen.“ Sie gingen hinüber, setzten sich, und Theodora begann: -„Ja mein Bester! diesem Hause ist ein großes Unglück widerfahren. -Ich hatte die Tochter meiner Schwester, und einen Ritter von gutem -Charakter und untadelhaftem Vermögen zu mir bestellt, um zwischen ihnen -einen Heirathsvertrag richtig zu machen. Ich muß freylich geste<span class="pagenum"><a name="Seite_72" id="Seite_72">[S. 72]</a></span>hen, -daß das Mädchen eben nicht besondere Neigung gegen den Ritter trug; -unerfahrne Mädchen wissen sich aber nicht selbst zu rathen, und so -glaubte ich denn meine Pflicht zu thun, wenn ich meine Erfahrung -anstatt der ihrigen gebrauchte, und sie so gewisser Maßen zu dieser -Verbindung nöthigen würde, wofür sie mir in der Folge noch danken -dürfte. Es war schon alles verabredet; sie war mit ihrer Duenna, unter -der Begleitung eines Escudero, abgehohlt; aber, Gott weiß wie es -geschehen seyn mag, mit einem Mahle verschwanden sie dem Escudero aus -den Augen, und der gute Alte weiß nicht im geringsten zu sagen, wo sie -hingekommen sey. Ich habe sie bey allen Bekannten, in allen Klöstern -aufsuchen lassen; aber nirgends ist sie zu finden. Ihre Mutter liegt -krank, und meint, sie sey in meinem Hause. O mein Bester! Sie kommen -in viele Gesellschaften; wie würden Sie mich nicht verbinden, wenn Sie -nur die geringste Nachricht von ihr geben könnten, damit meine Unruhe -nur in etwas gemildert würde. Vielleicht ist sie nicht einmahl<span class="pagenum"><a name="Seite_73" id="Seite_73">[S. 73]</a></span> mehr in -Madrit; von einem entschlossenem Mädchen ist alles zu fürchten. Gern -will ich ihr vergeben, wenn sie vielleicht mit einem Ritter von ihrem -Stande ein geheimes Liebesverständniß gepflogen hat: wenn sie aber ihr -Blut verläugnet; wenn sie sich von einer blinden Leidenschaft hinreißen -läßt, und sich etwa einem Häuchler aus niederm Rang’ in die Arme wirft, -o Gott! dann ist es um die Ruhe meines Lebens auf immer geschehen. Wie -leicht ist ein unschuldiges Mädchen nicht verführt; besonders ein so -schönes Mädchen! O Mädchen, Mädchen! was für Kummer machst du mir!“</p> - -<p>Horazio, der nun eher an Gottes Wort, als an der Wahrhaftigkeit dieser -Erzählung gezweifelt hätte, antwortete ihr: „Ich danke Ihnen von ganzem -Herzen, gnädige Frau, für das Zutrauen, das Sie mir schenkten, und will -es durch eine Nachricht zu bezahlen suchen, die Ihnen wahrscheinlich -willkommen seyn dürfte. Ich weiß nun eine Dame, die nur drey Tage von -Haus’ entfernt ist; sie heißt Donna Blanca.“ „Was höre ich,“ schrie -Theo<span class="pagenum"><a name="Seite_74" id="Seite_74">[S. 74]</a></span>dora; „das ist meine Nichte! das ist meine verlorne Blanca! -Engelsmann!“ schrie sie, und küßte ihn, „wo ist sie? ich sterbe vor -Freuden; ein Engel hat mir’s eingegeben, daß ich Ihnen alles erzählen -sollte. Wo ist sie denn? wo ist sie denn?“ Er erzählte ihr denn, daß -sich Donna Blanca in seiner Wohnung befinde; wie sie zu ihm gekommen -sey; daß er sich auf ihren Befehl hier befinde, und das Gelaß nur zum -Vorwande gemiethet habe. Sie überströmte ihn nun wieder mit einem -Hagel von Küssen, und dankte ihm für sein gütiges Benehmen gegen ihre -Nichte; um aber das Frohlocken noch feyerlicher zu machen, schrie -sie: „Louischen! Louischen! komm geschwinde, wie du auch aussehen -magst! fröhliche Neuigkeiten! gute Nachrichten!“ Louise kam in einem -blaßgelben Habite, die Haare in Unordnung, herein geflogen, und so -schön sie war, war Horazio’s Fantasie doch schon von Felicianens Bilde -zu sehr befangen, als daß ihre Reitze mit voller Gewalt auf ihn hätten -wirken können. Sie grüßte den Ritter sehr artig mit einem schwebenden -Complimente, und hüpfte ihrer Mutter zu.<span class="pagenum"><a name="Seite_75" id="Seite_75">[S. 75]</a></span> „Dieser Herr hier, oder -vielmehr dieser Schutzgeist,“ sagte Theodora, „hat mir von Blanca -Nachrichten gebracht.“</p> - -<p>„Gott sey Dank!“ schrie Louise.</p> - -<p>„Sie ist in seiner Wohnung, und wir werden sie wieder haben.“</p> - -<p>„Wir waren auch schon alle beynahe todt vor Angst,“ sagte Louise wieder.</p> - -<p>„Sie sind aber doch verheirathet?“ fragte Theodora.</p> - -<p>„Nein,“ antwortete Horazio; „seyn Sie aber versichert, daß Donna Blanca -bey mir mit aller Ehrfurcht behandelt wird, die ihrem Range gebührt.“</p> - -<p>„Daran trage ich auch nicht den geringsten Zweifel,“ erwiederte sie.</p> - -<p>Unter diesem Gespräche war die Dämmerung eingefallen; man steckte -Lichter an, und eine Magd meldete, daß Don Diego de Orozo im Vorzimmer -wäre. Horazio war bereit, sich zu entfernen; aber Theodora bath ihn, -zu bleiben, da der Besuch nicht von Belange wäre. „Es ist nur ein -Freyer um Louisen,“ sagte sie, „der ihr aber, wie mehrere andere, nicht -ansteht, weil er so wenig Welt, und über<span class="pagenum"><a name="Seite_76" id="Seite_76">[S. 76]</a></span> dieß auch nicht hinlängliches -Vermögen hat, um ein Weib standesmäßig zu ernähren.“ Nun trat Don -Diego ein; man reichte ihm einen Stuhl, und sprach eine Weile von -gleichgültigen Dingen. Da er sah, daß ihm Mutter und Tochter ungünstige -Blicke zuwarfen, sprach er: „Ich habe Donna Louisa schon seit mehrern -Tagen in übler Laune gefunden; ich habe denn heute versuchen wollen, ob -ich sie nicht aufzuheitern im Stande bin. In dieser Absicht hab’ ich -einen geschickten Tonkünstler mitgebracht, den man auch bey Hofe gerne -hört, und der Sie ein wenig unterhalten soll.“ Man fand seinen Antrag -sehr artig; der Tonkünstler trat ein, nahm sein Instrument zur Hand, -und sang mit einer sehr angenehmen Stimme ein schmelzendes Adagio. -Mit einem Mahle änderte er aber den Ton, und sang unter verschiedenen -Grimassen folgendes Lied:</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_77" id="Seite_77">[S. 77]</a></span></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Liebe Inez, höre mich,</div> - <div class="verse">Höre mich doch an!</div> - <div class="verse">Liebe Inez, liebe mich;</div> - <div class="verse">So bin ich dein Mann.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Deine Schönheit thu’ ich kund,</div> - <div class="verse">Ach, zu meiner Qual:</div> - <div class="verse">Purpurroth ist dieser Mund</div> - <div class="verse">Wie ein Cardinal.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Deine Augen schwarz und traut</div> - <div class="verse">Blicken durch den Schleyer schlau,</div> - <div class="verse">Wie durchs Fenstergitter schaut</div> - <div class="verse">Eine Klosterfrau.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Deine Tugend zu erheben,</div> - <div class="verse">Fehlen Worte mir:</div> - <div class="verse">Denn es ist dein ganzes Leben</div> - <div class="verse">Eine Tugend schier.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Alle Menschen zu ertragen</div> - <div class="verse">Ist dir keine schwere Pflicht.</div> - <div class="verse">Drum verschmähest du die Klagen</div> - <div class="verse">Selbst der Götzendiener nicht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">In dem Drange des Gewimmels</div> - <div class="verse">Folgst du standhaft deiner Spur,</div> - <div class="verse">Und versichert deines Himmels,</div> - <div class="verse">Lebest du dem Menschen nur.</div> - </div> - <div class="stanza"> - - <div class="verse mleft1">Weil zum Beyspiel böser Laien</div> - <div class="verse">Niemahls dich der Himmel straft,</div> - <div class="verse">Bist du selbst, dich zu casteyen,</div> - <div class="verse">Fromme Seele! — lasterhaft.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_78" id="Seite_78">[S. 78]</a></span></p> - -<p>Während dieser Hymnus gesungen wurde, stand Diego rückwärts mit -verhaltenem Munde, um das Lachen zu verbeißen. Die beyden Damen -bedurften keines Dolmetschers, um das Loblied Strophe für Strophe -auf Louisen auszudeuten. Louise warf ihm einen Blick voll Verachtung -zu, und sagte: „In der That, Don Diego, Sie sind ganz dazu gemacht, -eine Gesellschaft in eine andere Stimmung zu bringen; Sie haben den -Tonkünstler wohl immer im Solde? Verfertigen wohl gar die Poesie?“ -„Wahrhaftig,“ sagte Theodora, indem sie nach der Uhr sah, „schon so -spät! das hätt’ ich nimmermehr gedacht. Ich dank’ Ihnen, Don Diego, -daß sie uns einen so langen Besuch haben schenken wollen; unterdessen, -dieser Herr hat mit mir Sachen von Wichtigkeit abzuthun; und da ich -nicht verlangen kann, daß er sich so lange hier aufhalte, wer<span class="pagenum"><a name="Seite_79" id="Seite_79">[S. 79]</a></span>den Sie -es nicht unartig nennen, wenn ich Sie bitte, uns morgen dafür einen -allenfalls noch längern Besuch zu schenken.“ Der hämische Diego war -mit dem Unwillen, den er an ihrer Stirn las, vollkommen zufrieden, und -ging fort, zum Glück’, ohne nach Felicianen zu fragen, und die ehrliche -Theodore wieder zu einer Nothlüge zu zwingen. Horazio blieb nun allein -bey ihnen, und Theodora sagte: „Dieser abgeschmackte Ritter hat sich -in dieses Haus eigentlich eingedrungen, und mich hat wirklich nur die -gute Nachricht von Blanca bey Laune erhalten, sonst würd’ ich ihn mit -seiner einfältigen Musik in die Schenke gewiesen haben.“ Sie fügte -hinzu, daß sie ihrer Nichte einen kleinen Zettel schreiben wolle, und -Horazio sich unterdessen mit ihrer Tochter unterhalten möchte. Sie ließ -sie denn allein, und schrieb geschwinde zwey Zettel. Den einen gab sie -dem Escudero, und schärfte ihm ein, geschwinde zu laufen, damit ihn -Feliciane noch erhielte, bevor Horazio nach Hause käme. Mogropejo lief -auch an der Stelle ab, und Theodora kam,<span class="pagenum"><a name="Seite_80" id="Seite_80">[S. 80]</a></span> den andern Zettel in der -Hand, in das Gemach zurück. „Bester Horazio,“ sagte sie, „übermorgen -werd’ ich meiner Schwester Wagen hohlen lassen, und werde dann meine -Nichte bey Ihnen abhohlen; bis dahin muß ich Sie bitten, sie bey sich -zu behalten. Daß ich es nicht länger gestatten kann, sehen Sie selbst -ein; Sie sind unverheirathet, und mir liegt Ihre Ehre und Ihr Ruf so -nah’ am Herzen, als der Ruf meiner Nichte.“ Horazio konnte nichts -entgegen sagen; er fühlte aber schon ganz die Bitterkeit der bevor -stehenden Trennung. Er nahm von Louisen den wärmsten Abschied, und -eilte nach Hause.</p> - -<p>Feliciane hatte den Zettel ihrer Mutter, der einen ausführlichen -Unterricht enthielt, schon erhalten; sie empfing ihn mit anscheinender -dringenden Ungeduld, und fragt’ ihn, wie es ihm mit ihrer Base gegangen -sey. „Gut und nicht gut,“ antwortete Horazio; „gut, weil ich eine Frau, -wie Ihre Tante, kennen gelernt habe; und nicht gut, weil alles, was -der Escudero gesagt hat, grundfalsch war, und sie Ihre Flucht schon -wußte. Ich fand sie so innigst bestürzt,<span class="pagenum"><a name="Seite_81" id="Seite_81">[S. 81]</a></span> und so voll Sehnsucht nach -Ihnen, daß ich sie nicht länger hätte ungetröstet lassen können. Ich -sagte ihr denn, daß Sie sich in meiner Wohnung befänden, worüber sie -in ein lautes Frohlocken ausbrach, und an der Stelle den Entschluß -faßte, Sie übermorgen bey mir abzuhohlen.“ Feliciane sank ohnmächtig -auf den Stuhl; die Duenna und Horazio sprangen ihr zu Hülfe. „Was ist -Ihnen, Blanca?“ schrie Horazio. „So gibt’s denn nichts, als Unglück!“ -schrie die Duenna. „O ich seh’ es nur zu spät ein, daß ich der Tante -nichts hätte merken lassen sollen.“ „Sie haben der Tante also wirklich -entdeckt, daß das Fräulein hier ist?“ sagte die Duenna. Horazio bejaht’ -es, und Banuelos fuhr fort: „Gott im Himmel, was haben Sie gethan? Was -für ein böser Geist hat Sie dazu angetrieben? Was haben wir nun zu -erwarten? Die Tante ist noch weit unbarmherziger, als des Fräuleins -Mutter. Wer hat Sie denn zu ihr geschickt?“ „Donna Blanca selbst;“ -antwortete Horazio; „auf ihr Geheiß bin ich hingegangen.“ Unterdessen -erhohlte sich Feliciane aus ihrer Ohn<span class="pagenum"><a name="Seite_82" id="Seite_82">[S. 82]</a></span>macht, und sagte: „Bester -Horazio! wenn Sie meine Beherbergung in Verlegenheit setzte, hätten -Sie mir es nur erinnern dürfen, und ich hätte mich zu einer meiner -Freundinnen begeben. Nur meine Tante weiß, daß ich mich hier aufhalte; -ich bin verloren; und ich fürchte nicht sie allein, sondern auch meine -Onkel, denen sie auch ohne Zweifel an der Stelle davon Nachricht -geben wird. Nun wird man mich erst zwingen wollen, und ich bin zu -edel geboren, als daß ich meinem Herzen den geringsten Zwang anthun -lassen sollte.“ So schrien sie und die Duenna unablässig fort, daß -Horazio ganz verwirrt war, und das Zimmer auf- und ablief, ohne sich -im geringsten Rath schaffen zu können. Daß Feliciane aus seinem Hause -kommen sollte, war ihm ein unerträglicher Gedanke, und beschäftigte ihn -mehr, als was Mutter und Tante mit dem armen Mädchen vorhaben dürften. -Er gerieth auf dieß und das; ein Anschlag verdrängte den andern, und -sein Entschluß, der am Ende heraus kam, war, daß er der ganzen Welt -Trotz biethen, und bis zum letz<span class="pagenum"><a name="Seite_83" id="Seite_83">[S. 83]</a></span>ten Blutstropfen hindern wolle, daß -man sie ihm entreiße. Um nun diesem Unglücke vorzubeugen, schlug er -ein anderes Mittel vor. Er sagte ihr nähmlich, daß der Garten seines -Hauses mit dem Garten des nächsten daran zusammen stoße; daß dieser -Garten nun leer stehe, und er ihn für sich gemiethet habe; daß in der -Spalierwand, die beyde Gärten von einander trenne, eine kleine Thür -wäre, die man nicht bemerke, und durch die sie sich retten könne, wenn -man sie abzuhohlen käme. Da er allein der Tante die Nachricht gebracht -habe, wolle er sie nun standhaft läugnen.</p> - -<p>Feliciane nahm den Vorschlag an, und sammelte nun bald ihre Kräfte -wieder. Sie gingen auch gleich alle in den Garten, versuchten die Thür, -und versprachen sich den besten Erfolg. Die Tante beliebte sich den -folgenden Tag noch nicht einzufinden, sondern ließ nur melden, daß -sie sich übel befinde; und nun schöpfte Horazio wieder neuen Muth. -Denselben Tag nach dem Abendessen seufzete Feliciane tief, und sagte: -„Wahrhaftig, bester Ho<span class="pagenum"><a name="Seite_84" id="Seite_84">[S. 84]</a></span>razio! ich komme mir in dem Verhältnisse gegen -meine Mutter so abscheulich vor, und kann es doch nicht aufheben, -ohne mich auf immer unglücklich zu machen. Wenn ich mir meine Lage da -so lebhaft vorstelle, so möcht’ ich weit über die Grenzen Spaniens -hinaus fliehen, und hoffe nur weit von hier Ruhe zu finden.“ Nun sah -Horazio den Himmel offen. „Ist’s möglich?“ sagte er; „sollten Sie wohl -diesem Vorsatze treu bleiben? Ich will ihn ausführen; ich will Sie auf -die anständigste Art nach Mailand bringen; nicht unter dem Titel der -Gamahlinn: denn leider hab’ ich, bevor ich Sie kennen lernte, meine -Hand schriftlich einer Dame zugesagt, und ihr meine Erklärung auch -schon geschickt. Ich will Sie aber unter dem Nahmen einer Verwandten -hinführen, will Sie wie meine Schwester lieben; und wenn diese Dame -bey der Schilderung der Leidenschaft, die ich für Donna Blanca -empfinde, bewegen läßt, meinem Herzen freye Wahl zu lassen, und mir -meine Erklärung zurück zu geben, so ist niemand meiner ewigen Liebe so -würdig, als Sie.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_85" id="Seite_85">[S. 85]</a></span></p> - -<p>Feliciane hatte nichts sehnlicher erwartet, als eine Erklärung aus -seinem Munde. Sie sprang auf, und sagte, indem sich ihr ganzes Wesen -aufzuheitern schien: „Horazio, ich will alle Ziererey des Frauenzimmers -abwerfen. Sie haben alles, folglich auch das Größte um mich verdient. -Ich gesteh’ Ihnen denn, daß es mir unmöglich ist, ohne Sie jemahls -wahrhaft glücklich zu seyn. Ich muß bey Ihnen bleiben; und kann ich Sie -nicht als Gattinn lieben, so will ich Ihre Schwester seyn. Machen Sie -Anstalt zur Reise, so bald Sie wollen. Ich gehe mit; hier ist meine -Hand.“ Horazio war trunken vor Entzücken; er wagte es, sie zu umarmen, -und sie küßte ihn so feurig, als er sie. „Vielleicht,“ schrie er, „ist -der Courier, dem ich die Schrift mitgegeben habe, noch nicht fort; -vielleicht kann ich sie zurück nehmen; o dann wäre ich der glücklichste -Mensch auf Erden! Erlauben Sie nun, daß ich hineile, und nicht einen -Augenblick verliere.“ Sie umarmten sich noch ein Mahl feurig; er eilte -fort, und kam mit der glücklichen Nachricht zurück, daß die Schrift -noch<span class="pagenum"><a name="Seite_86" id="Seite_86">[S. 86]</a></span> nicht abgelaufen sey; daß er binnen drey Tagen alle seine -Geschäfte abgethan habe, und daß sie dann ungehemmt auf den Flügeln der -Liebe nach seinem Vaterlande eilen könnten. Sie gingen freudig zu Bett; -aber Horazio konnte kein Auge zuthun. Den nächsten Morgen ließ er für -sich und Felicianen zwey Reisekleider nach italienischer Tracht machen; -alles war zur Abreise bereitet, und den folgenden Tag des Abends -sollten sie abfahren.</p> - -<p>Mit einem Mahle hielt Theodorens Kutsche an der Hausthür. Sie trat -ein, und erkundigte sich nach Felicianen: Horazio sagte ihr aber, -daß ihre Nichte des Morgens zur Beicht gefahren wäre, und daß sie -selbe vermuthlich noch in der Kirche treffen würde. Theodora stellte -sich treulich an, als ob sie es glaube; indessen war Horazio doch -übel zu Muthe, daß er sie auf keine klügere Art abgefertigt habe, da -sie diese nicht auf lange Zeit entfernen könnte. Er eilte daher zu -Felicianen, und sagte ihr, was vorgegangen sey. Feliciane war damit -ganz zufrieden, und nun ging es wieder hastig über die<span class="pagenum"><a name="Seite_87" id="Seite_87">[S. 87]</a></span> Anstalten -zur Abreise her. Besonders sorgte Feliciane, daß so viele Kleider, -als möglich, eingepackt wurden. Um die Stunde des Abendgebeths hielt -Theodore schon wieder mit dem Wagen vor der Thür; sie erfuhr von einem -Bedienten, daß Horazio zu Hause wäre, und ließ ihn rufen. Er war sehr -ungehalten, daß sie ihn nicht verläugnet hatten, und daß er sich -nun wieder mit einer List behelfen sollte, was, wie wir nun gesehen -haben, überhaupt eben nicht seine Sache war. Er meldete Felicianen mit -sichtbarer Ängstlichkeit, daß Theodora schon im Vorhofe stehe, lief -dann zu ihr hinunter, und sie fragte ihn rasch, wo ihrer Nichte Zimmer -wäre. Er sagte ihr, daß es ihm leid thue, sie noch ein Mahl vergebens -bemühet zu haben, sie sey aber wirklich heute Morgens schon, was er -nicht gewußt habe, zu einer Freundinn gefahren, von der sie noch nicht -zurück gekommen sey. „Vortrefflich, vortrefflich!“ sagte Theodore mit -verbissener Wuth; „genug, daß ich weiß, daß sie hier im Hause ist! Ich -will sie durchaus sehen, und mit mir nehmen. Solche zügel<span class="pagenum"><a name="Seite_88" id="Seite_88">[S. 88]</a></span>lose Mädchen, -wie mein artiges Nichtchen, haben keinen eignen Willen. Nicht genug, -daß sie, wie ein Ausreißer, davon läuft, und wie ein Landstreicher im -nächsten besten Haus übernachtet, ohne zu denken, was ihre Ehre dabey -leidet; nun fährt sie auch noch sorglos spazieren, und spielt die -Hausfrau, als ob man sie aller mütterlichen Gewalt entlassen hätte.“ -Horazio bestand darauf, daß das Fräulein wirklich nicht in seinem Hause -sey; und Feliciane eilte mit der Duenna in demselben Augenblicke durch -den Garten in das andere Haus. Ein Bedienter gab Horazio ein Zeichen, -daß die Auswanderung glücklich überstanden sey, und Horazio bath -Theodoren nun, nicht unmuthig zu werden, und sich durch den Augenschein -zu überzeugen, daß er die lautere Wahrheit spräche. Er reichte ihr den -Arm, und führte sie Treppe auf, Treppe ab, Stube aus, Stube ein, bis -das ganze Haus rein durchsucht war. „Sie sehen nun selbst,“ sagte er, -„daß ich Sie nicht getäuscht habe, und ich versichere Sie vielmehr, daß -mir über ihr langes<span class="pagenum"><a name="Seite_89" id="Seite_89">[S. 89]</a></span> Außenbleiben selbst bange wird. Es ist schon spät; -wenn ihr nur kein Unglück widerfahren ist!“</p> - -<p>„Ungerathenes Kind! Unvorsichtiges Kind!“ murmelte Theodora zwischen -den Zähnen. „Was ist nun zu thun?“</p> - -<p>„Nichts,“ antwortete Horazio, „als daß Sie die Güte haben, ein wenig zu -warten.“</p> - -<p>Sie wartete gegen einer Stunde; da sie aber sah, daß es vergebens sey, -fragte sie, zu was für einer Freundinn sie gefahren wäre. Man rief den -Kutscher; es war aber schon abgeredet, daß er nicht kommen sollte. -Endlich sagte Theodora: „Das Mädchen scheint zu wissen, was es zu thun -habe; aber auch ihre Oheime werden ihre Pflicht kennen, und werden sie -zurück zu halten wissen, wenn sie sich auch selbst in’s Unglück stürzen -will. Leben Sie wohl!“ Mit diesen Worten stieg sie in den Wagen, und -fuhr fort.</p> - -<p>Es vergingen nicht zwey Stunden, so kamen auch schon zwey Bekannte -Theodorens, und fragten nach Donna Blanca.</p> - -<p>Die Bedienten hatten schon den Auf<span class="pagenum"><a name="Seite_90" id="Seite_90">[S. 90]</a></span>trag, jedermann zu sagen, daß sie -des Abends nicht zu Hause speise, und daß sie sich, wenn es dringend -wäre, nach Mitternacht, oder den folgenden Tag sehr früh wieder -einfinden könnten. Die Oheime gingen denn wieder die Straße hinunter, -und Feliciane sagte, als sie sie erblickte: „Wehe mir! das sind -meine Oheime.“ Den nächsten Morgen brachte Horazio seine Blanca in -das Haus, das er gemiethet hatte, machte sich aller Geschäfte ledig, -und bestellte des Nachts Wagen und Maulthiere, um nach Barcelona -abzufahren. Nach Tische besann er sich, daß er mit einem unbeschuheten -Carmeliten noch etwas abzuthun habe, und wollte noch in das Kloster, -das ganz in der Nähe war, hinüber gehen. Er gab Felicianen unterdessen -ein kleines Felleisen, in dem über zwölf tausend Escudo’s an Geld’ -und Geschmeide waren, in Verwahrung, und eilte hinüber. Dieser kleine -Umstand löste nun den Knoten mit einem Mahle. Ohne nun weiter auf etwas -zu denken, packten Feliciane, Banuelos und Mogrobejo das Felleisen -und das Bündel mit Felicianens<span class="pagenum"><a name="Seite_91" id="Seite_91">[S. 91]</a></span> Kleidern zusammen, schlichen durch -das andere Haus, und erreichten die Wohnung Stephaniens, einer guten -Freundinn Felicianens, mit heiler Haut. Horazio kam zurück, und ließ -den Wagen an der Thür des anderen Hauses, in dem Feliciane seyn sollte. -Er suchte sie überall, und fand sie nicht. Er fragte die Haushälterinn -nach ihr; diese wußt’ ihm aber nichts zu sagen, als daß sie das -Fräulein auf die Straße geschickt habe, um zu sehen, ob nicht etwa ihre -Oheime wieder kämen. Horazio war ganz verwirrt, suchte sie neuerdings, -und beschloß endlich, die Nachbarn zu fragen, ob sie keiner gesehen -habe. Niemand hatte sie gesehen; nur einen einzigen Bedienten hatten -zwey Ritter, denen drey oder vier Bediente nachtraten, nach ihnen -gefragt. Horazio dachte sogleich, daß dieß die Oheime gewesen seyn -dürften, und es befiel ihn eine solche Angst, daß er sich plötzlich -auf einen von den Mauleseln, die zur Abreise in Bereitschaft standen, -setzte, und nach Alcara ritt; seinen Bedienten aber befahl er, Donna -Blanca, so bald sie zurück<span class="pagenum"><a name="Seite_92" id="Seite_92">[S. 92]</a></span> käme, zu sagen, daß sie ihm mit dem Wagen -folgen sollte. In Todesangst kam er zu Alcara an, und konnte mit sich -selbst über Blanca’s schnelles Verschwinden nicht einig werden. Vier -Tage hielt er sich dort auf, und wartete voll Ungeduld; da sie aber -noch nicht kam, war er überzeugt, daß sie ihren grausamen Oheimen in -die Hände gefallen sey. Er war so gutmüthig, daß er ihr Schicksal -beweinte, und der sichern Hoffnung war, daß sie ihm ihre Lage in einem -Briefe nach Mailand schildern werde. Um nun ja gewiß bey der Ankunft -desselben in seiner Vaterstadt zu seyn, und ihn nicht eine Stunde auf -der Post liegen zu lassen, eilte er, was er konnte, nach Barcelona, -und Feliciane feyerte unterdessen den Triumph ihrer List, und die -Niederlage seiner Zärtlichkeit.</p> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_93" id="Seite_93">[S. 93]</a></span></p> - -<h2 class="spaced" id="ZWEYTE_SPAZIERFAHRT">ZWEYTE SPAZIERFAHRT.</h2> - -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">F</span>eliciane ward zu Hause mit allem Jubel empfangen, mit dem man -gewöhnlich einen großen Feldherrn empfängt, der von einer gewonnenen -entscheidenden Schlacht, und, was hier der wesentlichste Umstand war, -mit einer reichen Beute beladen, nach Hause kehrt. Nun traf die Reihe -die schöne Louise, die schon vor Verlangen brannte, ihrer klugen -Schwester auf dieser edlen Rennbahn den Vorsprung abzugewinnen. Die -wichtigste vorläufige Anstalt war, daß der Wagen anders zugerichtet -ward, die Rappen in Schimmel, und der schwarzköpfige Kutscher in einen -blonden verwandelt wurde. Louise war ihres glücklichen Erfolges so -gewiß, daß ihr Feliciane das nöthige Geld auf diese Unkosten leihen -mußte.</p> - -<p>Da nun alles veranstaltet war, suchte sie in der Stummengasse eine -Wohnung. In dieser wohnte seit kurzer Zeit ein reicher Graubart aus -Genua, den eigentlich<span class="pagenum"><a name="Seite_94" id="Seite_94">[S. 94]</a></span> nichts nach Madrit geführt hatte, als seine -seltsame Gemüthsart, die ihn immer peinigte; er konnte nicht lange an -einem Orte leben, ohne daß ihn die tödtlichste lange Weile plagte. Er -war ein großer Freund des Frauenzimmers, war aber so karg, daß ihm auch -diese Quelle des Vergnügens unmöglich reich zuströmen konnte. Er hieß -Cäsar Antonio, hielt einen Wagen, vier Bediente und eine Haushälterinn.</p> - -<p>Gegen über nun von diesem Manne bezog unsere schöne Sevillanerinn -das erste Stockwerk, mit einem Balcon auf die Gasse. Die Tracht, in -der sie sich einführte, war ein Wittwenkleid, und zwar die tiefste -Trauer, als ob sie ihren seligen Gatten erst vor einigen Tagen begraben -hätte. Sie trug ein kurzes gefaltetes Mäntelchen, darunter ein enges -Kleid mit langen Spitzärmeln und niedlichen Krausen, die ihrer Hand -vortrefflich ließen; am Halse war der Kragen zurück geschlagen, und an -der Brust lief ihr wieder eine breite lockere Spitzenkrause zusammen. -Im blonden Haare hatte sie nichts, als einige schwarze Schleifen, und -einen flornen Schnabel<span class="pagenum"><a name="Seite_95" id="Seite_95">[S. 95]</a></span> gegen die Stirn. Über den Rücken schwebte der -Schleyer, und um den Hals hing ihr eine lockere Kette von schwarzen -Perlen. Welcher Mann wäre nicht gern gestorben, um seine schöne Wittwe -in einem so reitzenden Trauerhabite zu sehen?</p> - -<p>Sie richtete ihre Wohnung auch ganz nach dem Stande, den sie angenommen -hatte, ein, und kam in derselben mit ihrer Mutter, die ihr als Duenna -diente, der frommen Banuelos, und ihrer Schwester, die eine nahe -Verwandte spielen mußte, an. Sie fuhren Schritt vor Schritt, und der -alte Escudero ging neben dem Wagenschlage. Als sie diesen feyerlichen -Einzug hielt, stand der Genueser eben auf dem Balcon. Er riß die -Augen groß auf, und brannte vor Neugierde, wer wohl seine Nachbarinn -seyn dürfte. Die Gesellschaft war nun ausgestiegen, und das Erste, -was Louise that, war, daß sie das Mäntelchen ablegte, und sich dem -Genueser auf ihrem Balcon in unverhüllter Schönheit zeigte. Der Alte -gaffte wie ein hundertäugiger Argus herüber; das Herz schlug ihm -wie eine Wanduhr, und er meinte keine grös<span class="pagenum"><a name="Seite_96" id="Seite_96">[S. 96]</a></span>sere Schönheit in seinem -Leben gesehen zu haben, als diese Proserpina; und er hatte doch viele -gesehen. Louise sah unterdessen bald die Straße hinauf, bald die Straße -hinunter, und stellte sich an, als ob sie nun plötzlich erst einen -Blick auf den unbeweglichen Genueser hinüber wärfe, was ihm Gelegenheit -gab, eine tiefe Verbeugung, die er schon lange in Bereitschaft hatte, -anzubringen. Louise erwiederte sie zwar sehr höflich, kehrte sich aber -sogleich zu ihrer Gesellschaft um, und sagte halb laut, doch aber -so, daß der Genueser jedes Wort hören konnte: „Das Einzige habe ich -vergessen; gleich morgen muß der ganze Balcon mit Jalousien versehen -werden; mein Stand erlaubt es durchaus nicht anders.“ Der Genueser, der -gerade keiner von den schüchternsten war, mischte sich ohne Anstand ins -Gespräch, und sagte: „Ich wäre untröstlich, wenn ich Sie durch mein -Gegenüberwohnen in dem Vergnügen stören sollte, auf Ihrem Balcon die -frische Abend- oder Morgenluft zu genießen. Ich werde Sie überzeugen, -daß es mir Ernst ist; und wenn Sie<span class="pagenum"><a name="Seite_97" id="Seite_97">[S. 97]</a></span> morgen Ihren Balcon mit Jalousien -schirmen, lass’ ich den meinigen mit Bretern verschlagen. Oder wenn -mir das der Arzt verbiethen sollte, beding’ ich mir aus, daß Sie Ihre -Jalousien immer völlig schließen, und“ — Louise hatte nun eben den -Handschuh abgezogen — „mir nicht einmahl diese schöne Hand hervor -gucken lassen. Auch muß ich es fordern, um mich nie mit einiger Gefahr -im Neglige auf meinem Balcon sehen zu lassen. Vergeben Sie, daß ich -so zudringlich bin, und mich sogleich ins Gespräch gemengt habe; aber -meine gute Laune sucht mich selten heim.“ Louise lächelte ihm gefällig -zu, machte ihm eine Verbeugung, und ging hinein.</p> - -<p>Der Graubart aus Genua hatte nun weder Rast noch Ruhe mehr. Er lauschte -den ganzen Abend an der Hausthür, bis er den Escudero ausgehen sah, den -er auch an der Stelle anhielt, und fragte, wer seine Gebietherinn wäre. -Dieser hatte seine Rolle schon gut gelernet, und sagte ihm denn, daß -sie eine Dame aus Saragossa wäre, daß sie Donna Angela de Bolea heiße, -und an einen vornehmen Edelmann<span class="pagenum"><a name="Seite_98" id="Seite_98">[S. 98]</a></span> dieser Stadt verheirathet gewesen sey. -Sie sey nach Hofe gekommen, um da einen Oheim zu erwarten, der hier -mit einem unermeßlichen Reichthume aus Indien ankommen werde, und sie -zur einzigen Erbinn seines ganzes Vermögens bestimmt habe, welches in -mehr als achtzig tausend Escudo’s bestände, wie sie auch jetzt schon -jährlich mehr als zwey tausend von ihm empfange.</p> - -<p>Der Genueser glaubte ihm jedes Wort, und sann nun schon unablässig, -wie aus seiner Nachbarschaft eine vertraute Bekanntschaft werde. Er -dankte dem Escudero recht höflich, und bath ihn, seiner Gebietherinn -zu melden, daß alles, was in seinem Hause sey, zu ihrem Befehle wäre. -Der Escudero dankte ihm aber, und versicherte, daß sie mit allem -überflüssig versehen wären.</p> - -<p>Die Jalousien blieben am folgenden Tag’ aus, und Antonio, der dem -Verlangen, sie zu sehen und zu sprechen, nicht länger widerstehen -konnte, ergriff diese Gelegenheit, um zu ihr hinüber zu schicken, ihr -dafür zu danken, und sie zugleich um die<span class="pagenum"><a name="Seite_99" id="Seite_99">[S. 99]</a></span> Erlaubniß bitten zu lassen, -daß er ihr aufwarten dürfte. Sie war zu artig, als daß sie selbst in -ihrem Wittwenstande, den Besuch eines alten Nachbars, der sich über -dieß zuvorkommend höflich bezeigt hatte, hätte ablehnen sollen. Er war -voller Freude, putzte sich so gut heraus, als er konnte, ließ zwey -Bediente nachtreten, und spazierte wie ein Pfau die Straße hinüber. -Er fand die schöne Wittwe auf einem schwarz überzogenen Stuhl’, und -um sie herum war ein schwarzer Teppich aufgebreitet, auf dem die zwey -Duennen saßen, die sich mit Mäntelchen und Schleyern ein ehrwürdiges -Ansehen gegeben hatten. Er brachte eine lange Glockenstunde in diesem -angenehmen Zirkel zu, ohne daß er den geringsten Anfall von seiner -gewöhnlichen Krankheit der langen Weile gehabt hätte. Endlich brach -Louise das Gespräch ab, und bath um Vergebung, daß sie nicht länger -von der Gesellschaft seyn könne, da sie um diese Stunde sich zurück -zu ziehen pflege. „Diese Stunde,“ sagte sie, „ist dem Andenken meines -seligen Mannes geweihet.“ „Ich darf Sie aber<span class="pagenum"><a name="Seite_100" id="Seite_100">[S. 100]</a></span> doch wieder besuchen?“ -sagte Antonio. „Es wird mir immer ein Vergnügen seyn,“ antwortete -Louise, und ging in’s Nebenzimmer: der Genuese ging voll Vergnügen -fort, und schickte ihr noch einige Früchte aus seinem Garten zur -Erfrischung herüber.</p> - -<p>Unter seinen Bedienten war ein Spanier, ein Toledaner, den er wegen -seiner besonderen Geschicklichkeit in Musik, und seinen drolligen -Einfällen aufgenommen hatte. Auch war sein Gehirn ein Bißchen von -Poesie verbrannt. Mit diesem Burschen nun wollte er Louisen ein -Fest machen, welches in einem Liedchen bestehen sollte, das er ihr -sänge. Als sie nun des Abends mit ihrer Gesellschaft auf dem Balcon -nachtmahlte, stellte er Leonardo, so hieß der Bediente, auf seinen -Balcon, ihnen gerade gegen über. Leonardo nahm seine Guitarre zur Hand, -und sang:</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_101" id="Seite_101">[S. 101]</a></span></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Holder Stern der schönen Nacht!</div> - <div class="verse">Wenn dein Auge freundlich lacht,</div> - <div class="verse">Dann erfreuet sich mein Sinn,</div> - <div class="verse">Daß ich dein Geliebter bin.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Du leuchtest in sanftsüßer Pracht,</div> - <div class="verse">Wie ein Gestirn in finstrer Nacht.</div> - <div class="verse">Dein Blick mein Herze gleich erhellt,</div> - <div class="verse">Wie, wenn vom Stern ein Schnupfen fällt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Ich sehe dir von ferne zu,</div> - <div class="verse">Und wie ein Irrwisch flimmerst du;</div> - <div class="verse">Ich folge deinem matten Schein,</div> - <div class="verse">Und locktest mich in’s Koth hinein.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Denke meiner, schönes Kind,</div> - <div class="verse">Und entschlafe nicht geschwind!</div> - <div class="verse">In Gedanken, glaub’ es mir,</div> - <div class="verse">Bin ich auch des Nachts bey dir.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p>Der Genuese küßte ihn, und die Damen waren so artig, ihm Beyfall -herüber zuzuklatschen. So albern der Bursche war, hatt’ er doch, wie -gesagt, seine eigene Weise, und war überhaupt so gewandt und launigt, -daß man ihm nicht abhold seyn konnte. Auch unsere schöne Wittwe hatte -diese Serenate so unterhalten, daß sie den folgenden Tag wieder zu -ihrem Nachbar hinüberschickte, und ihn zu sich bitten<span class="pagenum"><a name="Seite_102" id="Seite_102">[S. 102]</a></span> ließ. Das -Gespräch ward immer lebhafter, und der Genuese gerieth, bevor er -dessen gewärtig gewesen war, in solche Flammen, daß er seinem Triebe, -sich näher zu erklären, nicht länger widerstehen konnte: er sagte ihr -tausend abgeschmackte Schönheiten, küßte ihr die eine Hand um die -andere, warf so feurige Blicke, wie eine Katze in der finstern Kammer, -und geberdete sich, mit einem Worte, so läppisch, daß sich Louise und -ihre Gesellschaft darüber kaum des Lachens erwehren konnten. Sein -Meisterstück kam aber erst nach. Ein leichtes Zittern, das Wechseln -der Gesichtsfarbe, und ein beständiges Trippeln gingen voraus: endlich -sprang er wie einer, den der Fieberanfall packt, vom Stuhle auf, und -bath Louisen, mit ihr einige Worte unter vier Augen sprechen zu dürfen. -Louise sah deutlich, wo das hinaus wolle, und führte ihn sogleich in -ein Nebenzimmer. Hier ließ sich der alte Bock auf seine vordern Knie -nieder, und beichtete ihr die Sünde seines verliebten Herzens, das für -sie in hellen Flammen stehe, und nur durch einen plötz<span class="pagenum"><a name="Seite_103" id="Seite_103">[S. 103]</a></span>lichen Aufguß -von Gegenliebe zu löschen sey. Louise nahm seine Liebeserklärung mit -vieler Schonung auf, und sprach lächelnd: „In der That, mein Herr, -Sie haben mich überrascht, und am wenigsten hätt’ ich eine solche -Verwandlung von dem Mann’ erwartet, der vorgestern noch seinen Balcon -mit Bretern verschlagen lassen wollte. Auch muß ich Ihnen gestehen, -daß es mich Wunder nimmt, wie ein Mann, der doch eben nicht mehr in -den blühenden Jugendjahren ist, und manches erfahren zu haben scheint, -mit diesem — erlauben sie mir, daß ich es sagen darf — hastigen -Geständnisse eine Wittwe in Verlegenheit setzen kann, die noch -nicht vierzehn Tage das Trauerkleid trägt.“ Der Genuese wollte sich -entschuldigen, stotterte aber, daß ihm nicht eine ordentliche Sylbe -gelang. „Indessen,“ fuhr Louise fort, und lächelte, daß es einen Todten -im Grabe hätte wecken können, „indessen muß ich Ihnen sagen, daß ich -eitel genug bin, über keine Erklärung, und käme sie noch so zur Unzeit, -aufgebracht zu werden; und einem Manne zu gefallen, dessen Herz<span class="pagenum"><a name="Seite_104" id="Seite_104">[S. 104]</a></span> nicht -zum ersten Mahle gewonnen wird, ist mir immer schmeichelhafter, als -wenn ich ein Jünglingsherz berücke, das noch niemahls ins Freye kam.“ -„O Sie geben mir das Leben wieder,“ sagte Antonio, und einige Thränen -suchten durch die Furchen seiner Backen abzufließen; „darf ich also -hoffen?“</p> - -<p>„Bester Antonio!“ sagte Louise, „was wird unsere Gesellschaft denken, -wenn wir an unsern wenigen Worten so lange zu sprechen haben?“ Mit -diesen Worten ging sie in das Gesellschaftszimmer zurück, und Antonio -folgte ihr ganz verstört nach.</p> - -<p>Indessen glaubte er doch in ihren Blicken mehr als Nachsicht zu lesen, -und war diesen Abend so inniglich vergnügt, daß seine ganze Großmuth -erwachte, und er ihr ein Paar Handschuhe und einen Fächer überreichte, -die er aus Mexico erhalten zu haben vorgab, um ihren Werth doch einiger -Maßen zu erhöhen. Louise erklärte nun, daß sie wünsche, ihrem Nachbar -seine Musik mit einer andern erwiedern zu können. Es war schon ziemlich -spät, und Antonio mußte sich<span class="pagenum"><a name="Seite_105" id="Seite_105">[S. 105]</a></span> Wohlstands halber empfehlen; er muthmaßte -aber, daß ihm Louise das Vergnügen machen würde, ihn ihre Engelstimme -hören zu lassen, und setzte sich denn mit Leonardo auf seinen Balcon. -Beyläufig nach einer halben Stunde erschien Louise wirklich, von -Felicianen allein begleitet, mit einer wohl gestimmten Guitarre, auf -dem ihrigen, setzte sich, und sang:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Einsam irrt die fromme Taube,</div> - <div class="verse">Findet nirgends Ruh’,</div> - <div class="verse">Flattert traurig in die Laube,</div> - <div class="verse">Girret ihrem Tauber zu.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Weit von hier ist er geflogen;</div> - <div class="verse">Bänglich suchet ihn ihr Blick.</div> - <div class="verse">Ist er andern nachgezogen?</div> - <div class="verse">Kehrt er nicht getreu zurück?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Tauber! laß sie nicht so flehen!</div> - <div class="verse">Tauber! laß sie nicht allein!</div> - <div class="verse">Sieh! er kommt! das Wiedersehen</div> - <div class="verse">Wird nun doppelt freudig seyn.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p>Der Genueser und sein Leonardo waren<span class="pagenum"><a name="Seite_106" id="Seite_106">[S. 106]</a></span> ganz entzückt, und wollten eben -laut klatschen, als beyde Damen mit einander zu singen anfingen.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Bitter sind der Liebe Leiden,</div> - <div class="verse">Fürchterlich der Trennung Schmerz;</div> - <div class="verse">Doch wer kann die Liebe meiden,</div> - <div class="verse">Denn sie kommt von selbst ins Herz.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Eigensinnig ist ihr Wille;</div> - <div class="verse">Sie bestimmt, was schön ist, nur;</div> - <div class="verse">Bald besucht sie die Myrtille,</div> - <div class="verse">Bald des alten Damons Flur.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p>Sie hatten sich bemühet, jede Sylbe vernehmlich auszusprechen, und so -war denn die letzte Strophe kaum zu Ende, als Octavio zu klatschen -anfing, daß man es in der ganzen Straße hören konnte. Man ging -allerseits zu Bette, aber mit ganz verschiedenen Gedanken. Antonio -dachte ihr Herz mit den geringsten Kosten zu erobern, und Louise sann, -wie sie sein Geld Beute machen könne, ohne auch nur das geringste von -ihrem Herzen einzubüßen.</p> - -<p>Als Antonio eines Abends wieder bey<span class="pagenum"><a name="Seite_107" id="Seite_107">[S. 107]</a></span> ihr einen Besuch abstattete, -hörte man auf der Straße plötzlich ein Gezänke zwischen Mogrobejo, dem -Escudero, und einer unbekannten Person. Louise fragte, was es wäre, -und vernahm, daß der Escudero mit einem Bedienten des Hausherrn in -Streit gerathen sey. Sie ließ ihn herauf kommen, und bath den Genueser -um Vergebung, daß sie ihre Neugierde sogleich in seiner Gegenwart zu -befriedigen suche, was sie vor einem andern, auf dessen Freundschaft -sie weniger rechne, nicht wagen würde. Nun trat der Escudero ganz -zornig ein; Louise fragte ihn um den Hergang des Gezänkes, und -Mogrobejo antwortete: „Der Henker möcht’ auch nicht zanken! da kommt -mir der Bediente des Hausherrn, und verlangt die Miethe für unser -Quartier, das wir auf ein Jahr gemiethet haben, und von dem man doch -die Miethe erst mit Ende des Jahres zu bezahlen pflegt. Da hat er -durchaus zu Euer Gnaden herauf gewollt, und weil ich ihn nicht ließ, -war der Kerl grob; aber er soll mir!“ — „Lass’ er ihn kommen,“ sagte -Louise; und es trat ein Page ein, der ihr<span class="pagenum"><a name="Seite_108" id="Seite_108">[S. 108]</a></span> ehrfurchtsvoll einen Zettel -überreichte. Sie las ihn flüchtig durch, und sagte: „Sag’ er seinem -Herrn, ich ließe mich empfehlen, und ließ ihm sagen, daß ich gar -nicht abgeneigt bin, ihn jedes Mahl für den Monath in vorhinein zu -bezahlen. Daß er in Verlegenheit ist, konnt’ ich nicht wissen; und -es gefällt mir, daß er so offenherzig spricht. Ich sey aber für den -Augenblick selbst in Verlegenheit; meine Gelder sind aus Sevilla noch -nicht angekommen, und ich ließe ihn denn ersuchen, höchstens acht Tage -Geduld zu haben, dann wollt’ ich ihm die Miethe für drey oder noch mehr -Monathe auf ein Mahl schicken. Übrigens, Mogrobejo, weiß ich nicht, -warum er ihn nicht sogleich verließ.“ Der Page trat ab, und Louise -sagte: „Es ist wahrhaftig sonderbar, daß ein Hausherr, dem man für ein -einziges Gelaß tausend Realen des Jahrs bezahlt, so dringend auf eine -Monathsmiethe ansteht. Der Mann muß unglücklich, oder ein Taugenichts -seyn, und ich wollte einen Finger von der Hand verlieren, wenn ich ihm -seine tausend Reale augenblicklich in die<span class="pagenum"><a name="Seite_109" id="Seite_109">[S. 109]</a></span> Betteltasche werfen könnte.“ -Sie meinte nun mehr, als zu viel, gesagt zu haben, um Antonio’s -Großmuth und Ehrgeitz in Bewegung zu setzen; diese beyden Eigenschaften -ruhten aber in seinem Herzen in einem so abgelegenen Winkel, daß sie -ein schulgerechter Anatomiker zu suchen gehabt hätte.</p> - -<p>„Ja, wahrhaftig,“ antwortete Antonio, „es sind schwere Zeiten, und der -ordentlichste Mann hat zu sorgen, daß er sich von einem Tag’ auf den -andern behilft.“</p> - -<p>Louise merkte nun wohl, daß sie dieses Schalthier nicht mit der Angel -fangen könne; sie brachte denn das Gespräch auf andere Gegenstände, und -sie schieden nach einiger Zeit aus einander.</p> - -<p>Es mußte denn ein neuer Plan angelegt werden. Mogrobejo hatte jemahls, -bevor er es bis zum Stallmeister gebracht hatte, als Schreiber bey -einem Sachwalter gedient, und hatte sich da die einer Gerichtsperson -unentbehrliche Geschicklichkeit, jede Handschrift täuschend -nachzuahmen, beygelegt. Diesem befahl nun Louise, die Firma irgend -eines der bekanntesten Ge<span class="pagenum"><a name="Seite_110" id="Seite_110">[S. 110]</a></span>nueser zu Sevilla nachzuahmen. Um dieß nun -ins Werk setzen zu können, mußte er in einem von den Kaufmannshäusern, -von welchem Briefe abgeschickt wurden, Bekanntschaft machen. Es gelang -ihm auch bald, und er war mit einem Buchhalter bald so vertraut, daß er -ihn täglich auf seiner Schreibstube besuchte. Nach wenigen Tagen sah -er einen Brief, wie er ihn wünschte. Er war von Carlo Grimaldi, dem -reichsten Genueser in Sevilla. Der Buchhalter war mit seiner Arbeit -beschäftigt, und Mogrobejo benutzte diese Gelegenheit, um den Brief so -geschickt nachzuschreiben, daß es schwer fiel, die echte Schrift von -der nachgemachten zu unterscheiden. Er eilte nun freudig nach Hause, -und Louise beschenkte ihn im vorhinein mit dreyßig Escudo’s.</p> - -<p>Als sie Antonio den folgenden Tag besuchte, fand er sie eben mit einer -Menge Geldes beschäftigt, das ihr Feliciane, die unterdessen einen Ring -zu Gelde gemacht, vorgestreckt hatte. „Erlauben Sie,“ sagte sie, „daß -ich nur erst ein kleines Geschäft abthue.“ Sie machte tausend Reale in -ei<span class="pagenum"><a name="Seite_111" id="Seite_111">[S. 111]</a></span>ne Rolle zusammen, und rufte Mogrobejo. „Hier, nehm’ er,“ sagte sie; -„ich lasse mich dem Hausherrn empfehlen, und hier schick’ ich ihm gegen -Quittung den ganzen Jahreszins. So hat es doch ein Mahl ein Ende.“</p> - -<p>Nun fühlte Antonio erst, wie unartig und unverzeihlich es von ihm -gewesen sey, einer Dame von solchem Rang’ und Vermögen nicht sogleich -all sein Hab’ und Gut anzutragen. Indessen war es nun einmahl -geschehen, und es blieb ihm nichts übrig, als daß er sein Versehen -wieder gut zu machen suchte. Das erste, was ihm beyfiel, war ein -Antrag, sie in die Komödie zu führen. Der Zufall wollte, daß man -denselben Tag gerade ein Zwischenspiel aufführte, das sein Leonardo -verfaßt hatte, und das ihm nun allerdings einen Vorwand zum Antrage -gab. „Wahrhaftig,“ sagte Louise, „ich wäre gar nicht abgeneigt, -hinzugehen; denn, wie ich schon neulich aus Leonardo’s Gesang’ -abgenommen habe, ist er ein aufgeweckter Geist, und hat lustige -Einfälle.“</p> - -<p>„Über dieß,“ erwiederte Antonio, „ver<span class="pagenum"><a name="Seite_112" id="Seite_112">[S. 112]</a></span>dient auch das eigentliche Stück -selbst, gesehen zu werden. Es ist die <i>adelige Küchenmagd</i> von unserm -berühmten Lope de Vega.“</p> - -<p>„Ja, wir gehen,“ sagte Louise; „aber halt! was bin ich doch für eine -Thörinn? Meine Kleidung und das Theater! Es würde trefflich zusammen -passen!“</p> - -<p>„Seyn Sie doch nicht so strenge; was Ihnen auch Ihr Kleid verbiethen -würde, erlaubt Ihnen Ihr Alter. Eine junge, schöne Wittwe! — Gerade -Sie müssen sich ja zerstreuen und aufheitern.“</p> - -<p>„Aber was würde die Welt sagen?“</p> - -<p>„Die Welt! die Welt! Sie sind auch gar zu genau. Was nennen Sie die -Welt? Die Leute! — gut! die Klugen werden es klug finden, daß Sie sich -nicht einkerkern, wie eine Nonne, und Ihrem Kummer durch die Einsamkeit -noch Nahrung geben; und um die Narren werden Sie sich wenig bekümmern. -Auch läßt sich ein Kleid ablegen.“</p> - -<p>„Wenn ich auch dieß einzige Mittel ergreifen wollte, zu dem so viele -andere junge Wittwen ihre Zuflucht nehmen, so<span class="pagenum"><a name="Seite_113" id="Seite_113">[S. 113]</a></span> kann ich es doch um -meines Oheimes willen nicht wagen, der ein Erzgrübler ist. Ich erwart’ -ihn mit jeder Stunde, und stehe mit ihm in solchen Verhältnissen, -daß ich sehr unklug seyn würde, wenn ich seine Freundschaft um einer -Kleinigkeit willen auf’s Spiel setzen wollte.“</p> - -<p>„Vortrefflich, klug, und schön gesprochen!“ sagte Antonio; „aber mir -fällt eine Art ein, wie Sie das Zwischenspiel sehen können, ohne in’s -Theater zu gehen.“</p> - -<p>„Lassen Sie hören!“ —</p> - -<p>„Leonardo hat mehrere junge Freunde, Leute von Talenten, mit deren -Bildung und Unterricht in verschiedenen Dingen er sich immer abzugeben -pflegt; mit diesen soll er uns nun in ein Paar Tagen das Zwischenspiel -in meinem Hause aufführen. Es soll niemand dabey seyn, als Sie, Ihre -Gesellschafterinnen und ich; und gegen diese Art es zu sehen, wird auch -Ihre pünctlichste Vorsicht nichts einzuwenden haben.“ Unter diesen -Bedingnissen nahm sie seinen Antrag an, und schlug ein. Sofort sprachen -sie von verschiedenen anderen Dingen, und da denselben Tag die Post<span class="pagenum"><a name="Seite_114" id="Seite_114">[S. 114]</a></span> -aus Andalusien ankam, fragte sie ihn, was er wohl Neues aus Sevilla -höre. Er antwortete, daß er nichts von Belange höre, und daß seine -Briefe immer nur trockene Geschäfte enthielten. „Ich habe heute,“ fuhr -sie fort, „diesen Zettel von einem Genueser erhalten, der mit meinem -Vetter in Indien im Briefwechsel steht; lesen Sie ihn zur Güte: ich -möchte gar zu gern wissen, ob Sie ihn, und die Person, an die der Brief -gerichtet ist, kennen.“ Er gab sich alle Mühe, ihn ohne Augengläser zu -lesen, und las:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p>„Ich habe vom Capitäne Bolea den Auftrag erhalten, Euer Wohledlen, -nebst unterthänigstem Gruß, zu melden, daß selber seine Abreise -so geschwind’ als möglich beschleunigen wird. Er befiehlt mir -zugleich, Euer Wohledlen acht tausend Thaler abzuliefern, als -weßwegen beyliegender Brief die Anweisung enthält; mich empfehlend, -und meine Dienste auch in wichtigen Gelegenheiten antragend.</p> - -<p class="mleft2">E. W.</p> - -<p class="right mright2">Carlo Grimaldi.</p> - -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_115" id="Seite_115">[S. 115]</a></span></p> - -<p>Im Zettel lag der Brief:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p>„Herr Juan Baptista Lomelie beliebe an Donna Angela de Bolea, am -Hofe anwesend, acht tausend Thaler in Doppelgeld auf vierzig Tage -verabfolgen zu lassen, wofür ich eben so viele vom Capitäne Don -Genealo Bolea, ihrem Oheime, empfangen habe.</p> - -<p>Sevilla, den 12. September 1630.</p> - -<p class="right mright2">Carlo Grimaldi.</p> - -</div> - -<p>„Der Mann,“ sagte Antonio, „von welchem der Brief kommt, ist ein -ungemein ordentlicher und sehr reicher Mann, und der, an den der Brief -gehört, ist es nicht minder.“</p> - -<p>„Es ist mir genug,“ erwiederte Louise, „daß ich es aus Ihrem Munde -höre; aber ist die Sache deßhalb nicht minder unangenehm? Was denkt der -Mann? Er weiß, er schreibt mir da selbst, daß mein Oheim erst kommen -wird, daß ich folglich allein hier bin, und setzt mir doch nur vierzig -Tage. Wer steht mir gut, daß der Capitän bis dort angekommen ist? -wahrhaf<span class="pagenum"><a name="Seite_116" id="Seite_116">[S. 116]</a></span>tig, eine Verdrießlichkeit um die andere kommt mir über den -Hals.“ Nun glaubte Antonio, sein neuliches Versehen ohne die mindeste -Gefahr wieder gut machen zu können, und sprach: „Beste gnädige Frau, -lassen Sie dem Manne seine Grillen, und nehmen Sie die Zahlung gar -nicht an. Sie sagen mir, was Sie beyläufig brauchen, ich bring es -herüber; Sie stellen es mir nach Belieben zurück, und somit gut.“</p> - -<p>„Es ist mir wirklich eine große Gefälligkeit,“ sagte Louise, „wenn -Sie mich aus dieser Verlegenheit bringen. Sechs tausend Thaler sind -mir genug.“ „Mit Vergnügen!“ fuhr Antonio fort; „Sie schicken morgen -früh Ihren Mogrobejo, mit einem Paar Zeilen zu mir hinüber, und -empfangen die Summe.“ „Ich bin Ihnen wirklich Dank schuldig,“ sagte -Louise, drückte ihm die Hand, und hieß ihn auf das Zwischenspiel nicht -vergessen. Er ging fort, und so innigst vergnügt sie war, daß er an -die Angel gebissen, so vergnügt war auch er, daß er sein Capital auf -so angenehme Zinsen, wie er hoffte, anlegen konnte. Er wartete den -nächsten Morgen<span class="pagenum"><a name="Seite_117" id="Seite_117">[S. 117]</a></span> nicht einmahl ab, daß Mogrobejo das Geld abzuhohlen -komme, sondern machte es zusammen, und schickte Leonardo mit seinem -Morgengruße und der Summe hinüber, ohne zu bedenken, wie viel Gefahr -das bare Geld in den Händen eines Poeten laufe. Louise war über seine -Pünctlichkeit ganz entzückt, und drückte Leonardo ein ansehnliches -Trinkgeld in die Hand. Auch ließ sie Antonio melden, daß sie die -Vorstellung des Zwischenspiels denselben Abend in ihrem Hause wünsche; -daß sie alle Anstalten dazu treffen werde, und ihn unausbleiblich zu -sehen hoffe. Nun lud sie auch die zwey Mitschwestern bey ihrer neuen -Unternehmung, und ihre Mutter zum Schauspiele. Es war Abend; der -Saal war prächtig beleuchtet, und mit dem angenehmsten Wohlgeruche -durchräuchert, und der Genueser war mitten unter den Damen so gelagert, -daß er bequem mit jeder sprechen konnte.</p> - -<p>Es ward Stillschweigen gebothen, und drey Tänzer traten mit Guitarren -auf, und spielten eine sehr artige Sarabande. Als diese zu Ende war, -erschien Leonardo<span class="pagenum"><a name="Seite_118" id="Seite_118">[S. 118]</a></span> allein, in einer seltsamen Tracht, die er sich -selbst aus den buntesten Stücken Stoff zusammen gekünstelt hatte, und -sprach einen Prolog, in dem er den Zuhörern ganz sanft unter die Nase -rieb, daß er der Verfasser sey; daß er dieses Stück Arbeit, ohne zu -prahlen, für eines der witzigsten und originellsten Producte seines -Geistes halte, und daß es den Titel führe: Der Commissarius von -Figueras.</p> - -<div class="zwischenspiel"> - -<p class="center">DER<br /> -<span class="s3"><i>COMMISSARIUS VON FIGUERAS</i>.</span></p> - -<p class="s3 center"><em class="gesperrt">EIN ZWISCHENSPIEL</em>.</p> - -<p class="s3 center mtop1 mbot1">ERSTER AUFTRITT.</p> - -<p class="hang">(<i>Der Commissarius mit einem langen weißen Stabe, einem -schwarzen Unterkleide, einem Mantel darüber, und einer gefärbten -Kräuseschlafhaube. Der Wirth.</i>)</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_119" id="Seite_119">[S. 119]</a></span></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Ja werther Freund, dem Geschäfte hat</div> - <div class="verse">Der Richter von Toledo mich gesandt,</div> - <div class="verse">Daß ich es schlichten soll mit allem Ernst.</div> - <div class="verse">An diesem edlen Hofe strotzen ja</div> - <div class="verse">Von Ungeziefer alle Fugen; ich</div> - <div class="verse">Bin nun gekommen sie zu reinigen.</div> - <div class="verse">Der weise Rath hat mich hierher gesandt</div> - <div class="verse">Von Madrits Ufern —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Der Wirth.</i> — — Ja, Herr Commissär,</div> - <div class="verse">Die Plage, die der span’sche Boden trägt,</div> - <div class="verse">Ist ärger noch, als einst Ägyptens Fluch.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Laß er die Sorge mir, mein edler Wirth,</div> - <div class="verse">Obschon mein Geist es ahndet, das Geschäft</div> - <div class="verse">Sey groß und mühsam; drum bereit’ er mir</div> - <div class="verse">Zwey Flaschen Malaga und weißes Brot.</div> - <div class="verse">Doch stille! was für Lärmen macht man hier?</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="hang">(<i>Ein Alguazil tritt ein, und schleppt einen Stutzer, mit einem -Hute voll Bänder, Schleifen, und Federn mit sich.</i>)</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Der Wirth.</i> Was ist das?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> — — — Meine Alguazils sinds.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="hang"><i>(Sie bringen den Gefangenen zum Verhör.)</i></p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_120" id="Seite_120">[S. 120]</a></span></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Alg.</i> In einem Straßenwinkel fanden wir,</div> - <div class="verse">Hochedler Herr, den Narren hier; er gab</div> - <div class="verse">Ein Zeichen auf dem prächtigsten Balcon,</div> - <div class="verse">Auf dem ein Affe saß mit zwey Duennen;</div> - <div class="verse">Der Affe knackte fleißig Nüsse auf,</div> - <div class="verse">Und seine Frauen fraßen ihm den Kern;</div> - <div class="verse">Der Bursche hätte gerne mitgenagt,</div> - <div class="verse">Denn seine Zeichen waren voll Begierde —</div> - <div class="verse">Was quält den Burschen aber wohl, als Eßlust?</div> - <div class="verse">Wir hätten ihm sein tolles Spiel gegönnt,</div> - <div class="verse">Doch trieb er’s weiter bis zur Raserey.</div> - <div class="verse">Er sprang von einem Haus ans andre hin,</div> - <div class="verse">Und wo ein Kätzchen in dem Fenster saß,</div> - <div class="verse">Da macht’ er Sprünge, wie ein junger Hund,</div> - <div class="verse">Und schwang den Zopf, wie Budel ihren Schwanz.</div> - <div class="verse">Die Kätzchen strichen mit den Pfötchen sich</div> - <div class="verse">In süßem Selbstgefallen — Bart und Kopf,</div> - <div class="verse">Und warfen ihm für seine Gaukeley</div> - <div class="verse">Flor, Blumen, Federn, Band und Handschuh zu.</div> - <div class="verse">Er las es gierig auf, wie Haberkorn</div> - <div class="verse">Die jungen Hühner, und sprang weiter fort.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Wer bist du? sprich!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Stutzer.</i> — — Ich bin des Glückes Sohn,</div> - <div class="verse">Und wenigstens sein allernächster Freund.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Du bist ein Narr, drum ist das Glück dir hold;</div> - <div class="verse">Drum hängest du den Schild der Narrheit aus.</div> - <div class="verse">Doch sprich, was soll wohl dieser tolle Hut?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Stutz.</i> Des Ruhmes, der mir war, Posaune seyn.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Sie bläst sehr laut. Wo ist der Zierath her?</div> - <div class="verse">Hast du vielleicht San Jago ausgeplündert?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Stutz.</i> Von sieben Damen sind es die Trophä’n.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Ich glaub’ es gern, daß du sie mit Gewalt</div> - <div class="verse">Errungen hast.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Stutz.</i> — — Die Liebe gab sie mir.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Du lügst; wer liebet einen Narren wohl?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Stutz.</i> Die Damen. O Herr Commißär,</div> - <div class="verse">Sie scheinen selbst für Weiber gut bestimmt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Verwegner! wer hat dich gelehrt, so frech</div> - <div class="verse">Dem Richter von Toledo zu begegnen,</div> - <div class="verse">An dessen Statt ich hier bin? Doch Geduld,</div> - <div class="verse">Hier hast du ein Geschenk, das er dir schickt,</div> - <div class="verse">Und das dich immerfort bezeichnen soll.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Stutz.</i> Wie? Was?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> — — Du hast der Kerne gar</div> - <div class="verse">Zu viel gegessen; faste nun im Thurm.</div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_122" id="Seite_122">[S. 122]</a></span></p> - -<p class="hang"><i>(Sie setzen ihm einen carmoisinrothen Frauenzimmerhut auf, und -stoßen ihn gewaltig in die Scene. Der zweyte Alguazil tritt mit -einem Gecken, der sich schön zu seyn wähnt, ein.)</i></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Alg.</i> Hier ist ein andrer.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Commiss. — — Was ist sein Vergehen?</div> - <div class="verse">In was hat er gesündigt? nur heraus!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Alg.</i> Er meint, er wäre schön.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Geck.</i> — — Bin ich es nicht?</div> - <div class="verse">Ach tödtet mich doch nicht mit diesem Wort!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss. (indem er die Brille aufsetzt.)</i></div> - <div class="verse">Nach Recht und Pflicht! Man hat ihn hoch getäuscht,</div> - <div class="verse">Mein lieber Freund! denn seine Nase war</div> - <div class="verse">Für zwey Gesichter wenigstens bestimmt;</div> - <div class="verse">Sein Mund ist wie ein Thor gestaltet, und</div> - <div class="verse">Die Nasenlöcher sind geschlitzt, wie Augen;</div> - <div class="verse">Sein Haar ist wie des Blutgerichts Fahne;</div> - <div class="verse">Sein Aug’ ist stumpf und seine Höcker hat</div> - <div class="verse">Er selbst vielleicht noch nie bemerkt. Mein Freund,</div> - <div class="verse">Wenn er sich schön glaubt, hat er gar nicht Unrecht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Geck.</i> Herr Commissär, Sie sprechen nicht nach Recht;</div> - <div class="verse">Der Richter muß nicht nur das Eine sehen.</div> - <div class="verse">Belieben Sie nur diese weiße Hand,</div> - <div class="verse">Die sich so zärtlich küßt,</div> - <div class="verse mleft12"><i>(er küßt sich selbst die Hand)</i></div> - <div class="verse mleft10">auch zu betrachten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Alg.</i> Laß er doch sehn!</div> - <div class="verse mleft12"><i>(er küßt ihm auch die Hand)</i></div> - <div class="verse mleft10">Es schmeckt nicht sonderlich.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Wie nennt er sich?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Geck.</i> — — Don Fenix.</div> - <div class="verse">Ach wie schön klingt schon der Nahme!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> — — Ja, ganz sonderbar</div> - <div class="verse">Bist du vom Kopfe bis zum Fuß; doch sehet</div> - <div class="verse">Auch nach, was er in seinen Taschen hat. - </div> - </div> -</div> - -<p class="hang"><i>(sie durchsuchen die Taschen.)</i></p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_124" id="Seite_124">[S. 124]</a></span></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Alg.</i> Ein Büchschen! — — sieh! voll Schminke, Spiegel, Kamm.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Geck.</i> Ach, laßt mir das! nehmt lieber mir das Leben!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Alg.</i> Hier noch ein Zettel — seht, noch mehrere,</div> - <div class="verse">Und sonderbare Zeichen drauf gekritzelt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Ein Mittel, das die Hände weißer hält, —</div> - <div class="verse">Die Stirn zu glätten, an den Fingernägeln</div> - <div class="verse">Die weißen Flecken zu vertreiben, Lippen</div> - <div class="verse">Und Wange sich zu röthen. —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Geck.</i> — — Alles trifft</div> - <div class="verse">Genau so ein.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> — — Schon gut! vollkommen reif</div> - <div class="verse">Bist du fürs Tollhaus. Thuet eure Pflicht.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="hang"><i>(Sie setzen ihm eine Narrenkappe auf, und -der erste Alguazil tritt mit einer Dame ein.)</i></p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_125" id="Seite_125">[S. 125]</a></span></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Alg.</i> Am Spiegel fanden wir die Dame hier.</div> - <div class="verse">Sie machte sich die allertiefsten Knixe,</div> - <div class="verse">Und — hört! erklärte selber sich die Liebe.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Dame.</i> Ich liebe mich vor allen; niemand soll</div> - <div class="verse">Mir dieses Herz entreißen, denn es schwor</div> - <div class="verse">Die Treue mir.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> — Fürwahr ein seltsam Weib!</div> - <div class="verse">Die Weiber sind sich selber sonst nicht treu.</div> - <div class="verse">So treten Sie doch näher, Frau Narcisse!</div> - <div class="verse">Wie war Sie wohl so in sich selbst verliebt?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Dame.</i> Ich konnte länger mir nicht widerstehen;</div> - <div class="verse">An allen schönen Gaben fand ich mich</div> - <div class="verse">So reich; jung war ich, hatt’ ein schön Vermögen;</div> - <div class="verse">Mein Herz errieth gar bald den stillen Gram,</div> - <div class="verse">Der mich verzehrte, kam auf halben Weg</div> - <div class="verse">Entgegen mir, in feuriger Umarmung</div> - <div class="verse">Gestand ich stotternd ihm, was ich empfand.</div> - <div class="verse">Nun ist es mein Geliebter, weichet nimmer</div> - <div class="verse">Von mir, eilt jedem Wunsche schnell zuvor,</div> - <div class="verse">Und wird mich lieben, treu bis in den Tod.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Ihr seyd ein glücklich Weib; denn Eifersucht</div> - <div class="verse">Wird euch gewiß nicht martern.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Dame.</i> — — Ach, mein Herr,</div> - <div class="verse">Sie foltert mich nur allzu oft,</div> - <div class="verse">Denn manchmahl hebt es doch den scheuen Blick</div> - <div class="verse">Auf — —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> — Eine Dame?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Dame.</i> — — oder einen Mann,</div> - <div class="verse">Und quält mich.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> — — Ja, das glaub’ ich euch,</div> - <div class="verse">Und rath euch, keines Menschen Sohn’</div> - <div class="verse">Mit eurer Liebe jemahls zu beglücken.</div> - <div class="verse">Die Kappe!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_126" id="Seite_126">[S. 126]</a></span></p> - -<p class="hang"><i>(Sie erhält die ihrige, und der zweyte Alguazil tritt mit einem -Poeten, der Bücher ausschreibt, ein.)</i></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Der Wirth.</i> — Seht, da kommt ein andrer Narr.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Alg.</i> Wir haben ihn ertappt, daß er gar frech</div> - <div class="verse">Um Verse bettelte; und als man ihm</div> - <div class="verse">Nichts gab, bestahl er kühn die Bücher selbst.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Nehmt ihm doch sein Gewehr, die Feder ab!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Poet.</i> Mein Herr, sie dienet nicht statt Waffen mir;</div> - <div class="verse">Ich schneide Käse nur und Brot damit.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Nun gut! so sprich, was hat dich wohl veranlaßt,</div> - <div class="verse">Die Dichter anzubetteln, die fürs erste</div> - <div class="verse">So karg sind, daß sie ihren Geistesschwamm</div> - <div class="verse">Wohl selber drey Mahl pressen, über dieß</div> - <div class="verse">Nicht schenken dürfen, was Apollo jedem</div> - <div class="verse">Zum Fruchtgenuß auf die Person verlieh?</div> - <div class="verse">Doch welche, nenne sie, hast du bestohlen?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Poet.</i> Zu nennen weiß ich sie wahrhaftig nicht;</div> - <div class="verse">Das war mir gleich, und ich bekenn’ es gern,</div> - <div class="verse">Ich suchte meistens in der Nacht die Taschen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Und fürchtetest du nicht, man werd’ am Tag’</div> - <div class="verse">Erkennen, daß es fremde Habe sey.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Poet.</i> Man läßt es niemahls, wie es war.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss</i>. Du bist ein großer Mann. Die Kappe! Nimm,</div> - <div class="verse">Hier dieser Lorbeer prang’ auf deinem Haupt!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Poet.</i> Ein Lorbeer?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> — — Ja, doch ist er nur entstellt,</div> - <div class="verse">Wie Verse, die du guten Dichtern stahlst.</div> - <div class="verse">Sie kleidet ihren Mann.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Poet.</i> — — Doch nehmet mir</div> - <div class="verse">Die Schelle; mir genügt bescheidner Ruhm.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Mein edler Freund, durch diesen schönen Zug</div> - <div class="verse">Hast du fürwahr der Schellen — zwey verdient.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_128" id="Seite_128">[S. 128]</a></span></p> - -<p class="hang"><i>(Man führt ihn mit gebundenen Händen ab; er scheint in -Begeisterung. Der erste Alguazil führt einen Ritter ein.)</i></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Ritter.</i> Mein Herr, ich bin ein Held.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> — Wer seyd ihr?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Ritter.</i> — — Held, und zwar ein großer.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> — — Wer hat euch gekrönt?</div> - <div class="verse">Wer hat beschrieben, was ihr all’ gethan?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Ritter.</i> Ich selbst.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> — — Wie nennt ihr euch?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Ritter.</i> — — Don Wunderbar,</div> - <div class="verse">Und jetzt quält mich mit euren Fragen nicht!</div> - <div class="verse">Ich spreche nur mit Sterbenden und Todten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Wo habt ihr euer Schwert?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Ritter.</i> — — Ihr seyd ein Schroll.</div> - <div class="verse">So lange diese Faust noch Nerven hat,</div> - <div class="verse">Und diese Nägeln Schärfe, soll kein Schwert</div> - <div class="verse">Mich eh’ umgürten. Jene gab mir Gott,</div> - <div class="verse">Und dieses ein gemeiner Handwerksmann.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Erzählt mir doch, was ihr gethan.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_129" id="Seite_129">[S. 129]</a></span></p> - -<p class="hang"><i>(Der Held drückt durch stumme Geberden aus, daß er erwürgt, und -mit Füßen ertreten.)</i></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Was sprecht ihr nicht?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Ritter.</i> — — Was unaussprechlich ist,</div> - <div class="verse">Beschreibt man nicht mit Sprache.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> — — Großer Mann!</div> - <div class="verse">Neigt euer Haupt, daß ich euch kröne; tiefer!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="hang"><i>(Der Held neigt sich sehr tief; der Commissär setzt ihm die Kappe -auf, und der Held geht unter der Begleitung des Alguazil mit -stolzen Schritten ab.)</i></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1"><i>Commiss.</i> Wahrhaftig, edler Freund, die Narren sind</div> - <div class="verse">So zahlreich hier, daß meine Kappenzahl</div> - <div class="verse">Mir nicht auf heute hinreicht; lass’ er mir</div> - <div class="verse">Den Schneider kommen, — wenn er nicht ein Narr ist.</div> - <div class="verse">Indessen trinken wir vergnügt und klug</div> - <div class="verse">Den Malaga, und essen unser Brot.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="hang"><i>(Der Wirth und der Commissär gehen ab.)</i></p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_130" id="Seite_130">[S. 130]</a></span></p> - -<p>Nun traten wieder die drey Guitarrspieler auf, und sangen folgende -Weise:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft1">Das ist so der Welten Lauf:</div> - <div class="verse">Jeder nähret Grillen;</div> - <div class="verse">Einer mutzt den andern auf;</div> - <div class="verse">Alle möchten trillen.</div> - <div class="verse">Haltet diesem Tadlerchor</div> - <div class="verse">Ein Mahl doch den Spiegel vor;</div> - <div class="verse">Sie — die Weise waren,</div> - <div class="verse">Sehen selber Narren.</div> - </div> - </div> -</div> - -</div> - -</div> - -</div> - -<p>Der Vorhang fiel, und die ganze Gesellschaft äußerte ihren Beyfall -mit lautem Händeklatschen. Leonardo, dem es gewaltig schmeichelte, -zeigte sich bald, und erntete sein Lob ein. Besonders überhäufte ihn -Louise damit, und alle ersuchten ihn, bald wieder ein kleines Stück zu -verfassen, was er auch mit Mund und Hand versprach. Louise gab jedem -Schauspieler zwanzig Realen, und Antonio lud sie auf den folgenden Tag -zu sich zu Tische.</p> - -<p>Louise war diesen Abend so nachsichtig, daß sie selbst über einen -kleinen Schmatz, den er ihr zu rauben wagte, nicht unge<span class="pagenum"><a name="Seite_131" id="Seite_131">[S. 131]</a></span>halten war. Um -Antonio mit einer angenehmen Gegenunterhaltung zu überraschen, beschloß -die weibliche Gesellschaft, ihm über acht Tage ein kleines Stück in -demselben Saal’ aufzuführen, das sie schon vorlängst einstudiert -hatte, und dessen Vorstellung nur durch den unvermutheten Tod Don -Fernando’s gehindert worden war. Daß sich Louise die Hauptrolle -vorbehielt, versteht sich von selbst. Der Tag der Vorstellung kam; die -Gesellschaft war schon versammelt, und es fehlte nur mehr Antonio, als -plötzlich Leonardo erschien, und Louisen meldete, daß sein Herr von dem -Präsidenten des hohen Rathes in Geschäften Seiner Majestät abgerufen -worden sey, und daß es ihm ungemein leid thue, eine so vortreffliche -Gesellschaft und Unterhaltung entbehren zu müssen, und daß er ihn -deßhalben mit zweyen seiner Freunde geschickt habe, um mit ihnen dem -Schauspiele beyzuwohnen.</p> - -<p>Louise bezeigte ihr Mißvergnügen über seine Abwesenheit, und die -Komödie ward aufgeführt. Die Vorstellung war ein Meisterstück -von Lebhaftigkeit: sie waren al<span class="pagenum"><a name="Seite_132" id="Seite_132">[S. 132]</a></span>le prächtig, und Louise als Mann -gekleidet. Mogrobejo übertraf sich selbst an Munterkeit und Witz. -Als sie schon alle wieder ihre vorige Kleidung anhatten, kam Antonio -erst vom Präsidenten zurück, und war äußerst unmuthig, daß er -das schöne Schauspiel versäumet habe, das ihm Leonardo und seine -Freunde so reitzend schilderten. Nur Louise hatte ihr Mannskleid -noch nicht abgelegt, um ihn an der Thür zu überraschen. Es ließ ihr -so wunderschön, daß Antonio den holden Knaben nicht genug angaffen -konnte. Louise bedauerte sehr, daß sie ihn vermißt habe, und gab ihm -endlich ihr Wort, daß sie ihm wieder über acht Tage, in der Quinta des -Connetable, ein anderes Stück geben wolle; nun treffe aber wieder ihn -die Reihe, das Fest anzuordnen. Sie wußte wohl, daß er sich prächtig -einstellen werde, und er nahm auch den Befehl mit Freuden an. Sie -würden dann alle bey ihm ein kleines Abendschmäuschen halten, sagte er, -und sie solle ihm nur auf einem kleinen Zettel anmerken, was sie zum -Schauspiele vonnöthen habe. Er er<span class="pagenum"><a name="Seite_133" id="Seite_133">[S. 133]</a></span>hielt bey dem Besuche am nächsten -Abend’ ein vollständiges Verzeichnis von Kleidungsstücken von sechs -Personen: das Stück, das Mogrobejo in der Eile verfaßte, spielte in -der Heldenzeit, und die Personen waren alle Prinzen und Prinzessinnen. -Louise spielte einen jungen Helden, dem die Sclaven eine reiche Beute -nachtragen. Am Ende des Zettels waren Federn, Ringe und <i>falscher</i> -Schmuck nur hingeworfen. Louise hatte vorsetzlich <i>falscher</i> Schmuck -geschrieben, weil sie gar nicht zweifelte, daß er wenigstens für ihre -Person echten ausborgen würde.</p> - -<p>Antonio mußte freylich täglich vor dem Rath’ erscheinen; indessen war -doch aller Anschein, daß er denselben Tag würde los kommen können, -und ließ denn den Saal, Erfrischungen, Abendschmäuschen, nebst allem -übrigen, was zum Feste gehört, bereit halten.</p> - -<p>Zwey Tage vor dem, der zum Schauspiele bestimmt war, schickte der -Genueser die ganze Guarderobe. Louise hatte vermuthet, daß er höchstens -die schönsten Kleider, die man allenfalls bey einem<span class="pagenum"><a name="Seite_134" id="Seite_134">[S. 134]</a></span> Trödler bekäme, -ausborgen würde; er hatte aber zu ihrer allen größtem Erstaunen alles -ganz neu verfertigen lassen. Alles war von Atlaß, Sammet, Taffet, -oder anderem Seidenstoffe, und reich mit Gold und Silber verbrämt. -Federn, Schnällchen, Blumen, Ketten und Ringe waren in Überfluß, und -für Louisen versprach er den Schmuck, der sie zieren sollte, des -Abends selbst mitzubringen. Er brachte auch wirklich den Schmuck -mit, den ihm seine selige Gattinn hinterlassen hatte, und erklärte -mit einem bedeutungsvollen Lächeln, daß er ungemein neugierig sey, -wie Louisen dieser Schmuck seiner seligen Frau passen werde. Louise -überhäufte ihn diesen Tag mit so vielen Liebkosungen, und wußt’ ihm -dabey doch so sittsam zu schmeicheln, daß er seiner Hoffnung immer -freyeren Spielraum ließ. Zwischen den zwey Tagen, bis zur Aufführung -des Schauspiels, war unsere Gesellschaft gar nicht müßig, und Theodore -machte Anstalt, daß in den beyden Nächten alles, was von Bedeutung im -Hause wäre, aufgeräumt, und<span class="pagenum"><a name="Seite_135" id="Seite_135">[S. 135]</a></span> anders wohin in Sicherheit gebracht würde. -Der Tag des Schauspiels erschien; Antonio’s Bediente waren schon in der -Quinta, und bereiteten alles. Der Genueser war, um Zeit zu gewinnen, -auf einem Maule in den Rath geritten. Theodora, ihre Töchter, Banuelos -und Mogrobejo setzten sich in ihre Kutsche, nahmen allen Schmuck, und -die ganze Guarderobe mit sich, und fuhren, anstatt zu Alcalathore -hinaus, in ein kleines Häuschen, in Quartiere Santa Barbara, das -Mogrobejo vorläufig gemiethet hatte. Hier nahmen sie augenblicklich -andere Kleider; Mogrobejo führte den Wagen zu einem Sattler, um sein -Äußeres so geschwind’ als möglich ändern zu lassen. Die Pferde wurden -auch heimlich untergebracht; und um noch sicherer zu seyn, theilte -sich unsere Gesellschaft in die ursprünglichen zwey Parteyen; die eine -begab sich nach Illescas, und die andere nach Valdemoro. Sobald unser -Genueser von dem Rath’ abgefertigt war, trappte er frohes Muthes, -und in den schönsten Aussichten von der Welt, der Quinta zu. Er fand -niemanden,<span class="pagenum"><a name="Seite_136" id="Seite_136">[S. 136]</a></span> als seine Bedienten, und die drey Köche, die er bestellt -hatte, fragte nach den Damen, und als er hörte, daß sie noch nicht da -wären, war er sehr unruhig; denn er dachte nichts anderes, als daß -ihnen irgend ein Unglück begegnet seyn dürfte. Er stieg denn wieder -auf seinen Maulesel, stieß ihm mit den Knien fleißig in die Lenden, -und kam sehr geschwinde bey Louisens Haus’ an. Er fand die Wohnung -gesperrt, erkundigte sich bey den Nachbarn, und vernahm, daß die ganze -Familie schon abgefahren sey. Er kam nun auf den Gedanken, daß sie ihre -Freundinnen abgehohlt haben würden, und so blieb ihm nichts übrig, als -in der größten Verlegenheit, daß nun er vielleicht auf sich warten -ließe, nach der Quinta zurück zu eilen. Er fand aber noch niemanden, -und wußte nun nicht, was er von diesem langen Ausbleiben denken sollte. -Er wartete bis neun Uhr in der peinlichsten Ungeduld, und es war noch -niemand zu sehen und zu hören. Endlich trat ein Bedienter ein, und gab -Antonio einen Brief, den ihm, wie er sagte, am Thor’ ein Unbe<span class="pagenum"><a name="Seite_137" id="Seite_137">[S. 137]</a></span>kannter -gegeben habe. Er brach ihn zitternd auf, und las:</p> - -<p>„Bester Antonio, seyn Sie nicht bekümmert, daß Sie Ihre Nachbarinnen -nicht finden; sie sind an einem Orte, wo man sie unmöglich finden kann. -So viel für jetzt.“</p> - -<p>Der Genueser stand da, wie vom Donner gerührt; er gerieth endlich in -fürchterliche Wuth, und schwor allen, wenn sie ihn betrogen hätten, Tod -und Verderben. Seine Bedienten mußten ihn wie einen Tieger bändigen, -brachten ihn in den Wagen, und führten ihn nach Madrit. Auf dem Wege -besänftigte er sich wieder etwas, und schloß aus den letzten Worten des -Briefes: „So viel für jetzt,“ daß es vielleicht nur ein Scherz sey, -und daß sie ihn vielleicht in seinem Hause erwarteten; er war aber -nur zu bald vom Gegenteile überzeugt. Louisens Wohnung war auch noch -versperrt, und er wartete nun am Hausthore bis lange nach Mitternacht, -ob er ihre Ankunft nicht erwarten könnte; aber niemand kam. Er schlief -die ganze Nacht nicht eine Secunde, und ließ sich mit Tages Anbruche -bey Louisens<span class="pagenum"><a name="Seite_138" id="Seite_138">[S. 138]</a></span> Hausherrn, der noch im Bette lag, melden. Von diesem -vernahm er denn, daß ihm Louise Tages zuvor die Schlüssel der Wohnung -zurück gestellt, und ihm gesagt habe, daß sie sich Geschäfte halber -nach Toledo begeben habe.</p> - -<p>„Sie hat Ihnen aber ja die tausend Reale bezahlt,“ sagte Antonio.</p> - -<p>„Was für Reale?“</p> - -<p>„Die Jahresmiethe für die Wohnung.“</p> - -<p>„Die Jahresmiethe? Die Wohnung war ja nur auf zwey Monathe gemiethet.“</p> - -<p>„Wie sagen Sie?“ schrie Antonio, und war im ganzen Antlitze -scharlachroth.</p> - -<p>„Ich bin aber auch für diese zwey Monathe nicht bezahlt,“ sagte der -Hausherr, „und Sie werden belieben, mich zu bezahlen.“</p> - -<p>„Wer? Ich?“ schrie Antonio, und erstickte beynahe vor Wuth.</p> - -<p>„Ja, Sie,“ sagte der Hausherr; „Sie werden doch nicht läugnen, daß -die Dame bey Ihnen Gelder stehen hat; daß dieß hier Ihre schriftliche -Anweisung ist?“</p> - -<p>„Diebe! Mörder!“ schrie Antonio, und packte den Hausherrn bey der -Brust,<span class="pagenum"><a name="Seite_139" id="Seite_139">[S. 139]</a></span> faßte sich aber doch gleich wieder, und sagte: „Vergeben Sie -einem unglücklichen Manne, den man zum Bettler gemacht hat. Man hat -Sie betrogen, wie mich. O ich Thor! ich Rasender! ich Narr! ich alter -Sünder,“ — bey jedem dieser Titel schlug er sich mit geballter Faust -vor die Stirn — „nun bin ich ein Bettler, bin auf ewig unglücklich.“</p> - -<p>So weit war es eben nicht gekommen; indessen hatte ihn die schöne -Wittwe, die nun wieder Jungfrau geworden war, nebst den sechs tausend -Thalern, die ihr Grimaldi angewiesen hatte, um mehr als zwölf tausend -Escudo’s geprellt. Der arme Antonio eilte zu dem Richter, schickte die -Alguazils nach allen zwey und dreyßig Winden aus; aber alles Nachsuchen -war vergebens. Nach acht Tagen hatte man noch nicht die geringste Spur, -und nun erhielt er, um ihn vollkommen zu Verzweiflung zu treiben, die -Nachricht, daß sein einziger Sohn zu Genua auf den Tod läge, und ihn -um den letzten väterlichen Segen bitte. Er reiste denn mit dem festen -Vorsatz’ ab, nach seines Sohnes Tod<span class="pagenum"><a name="Seite_140" id="Seite_140">[S. 140]</a></span>’ oder Genesung eine kleine Reise -durch die ganze Welt zu machen, um die Schlange irgend wo zu finden und -zu zertreten.</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="spaced" id="DRITTE_SPAZIERFAHRT">DRITTE SPAZIERFAHRT.</h2> - -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">D</span>a nun auch dieses Abenteuer glücklich abgelaufen war, fingen die -beyden andern Schwestern ihr Werk desto freudiger an. Constanze war -älter, folglich gebührte ihr der Rang. Louise und Feliciane trugen -ihnen allen Beystand an, den sie ihnen leisten konnten; besonders aber -den Wagen, der ihnen vor allem unentbehrlich war. Die Sevillanerinnen -waren nun zu Valdemoro, und die andern zu Illescas: dort vereinigten -sie sich aber wieder, und Constanze stieg allein mit der alten Banuelos -und Mogrobejo in den Wagen, der unterdessen ganz ein anderes Ansehen -bekommen hatte; auch hatte sie andere Pferde und einen andern Kutscher. -Mogrobejo hatte, um sich unkennbar zu<span class="pagenum"><a name="Seite_141" id="Seite_141">[S. 141]</a></span> machen, seinen Spitzbart -länger wachsen lassen, und trug ehrwürdige Augengläser auf der Nase. -Auch Constanze hatte die Person schon ausersehen, die sie mit ihrer -Begünstigung glücklich machen wollte. Louise hatte ihr den Traueranzug -geschenkt, und diesen wählte sie auch zu ihrer Unternehmung, theils, -weil er ihr sehr gut ließ, theils, weil die Wittwenrolle mit dem -geringsten Aufwande gespielt werden konnte, theils, weil sie sich in -einen Plan einließ, nach dem sie durchaus scheinheilig seyn mußte. -Sie kamen wohl behalten in Madrit an, und bezogen eine Wohnung in -dem Stadtviertel de la Merced. Die Person, auf welche ihre Absicht -gerichtet war, war einer der reichsten Pfarrer am Hofe, ein gelehrter -Priester und Doctor der Theologie. Wir wollen ihn um gewisser Ursachen -willen nicht nennen, sondern ihn immer nur den Doctor heißen. Seine -Pfarre trug ihm sehr viel ein, obschon er ein großes Vermögen von -seinem Vater geerbt hatte, und von zwey Bischöfen jährlich mehr als -zwey tausend Escudo’s bezog. Er hatte also jähr<span class="pagenum"><a name="Seite_142" id="Seite_142">[S. 142]</a></span>lich über viertausend -Escudo’s zu verzehren, und war doch dabey der größte Filz unter der -Sonne. Das Hausgesinde des Doctors bestand aus einer Schwester, die -schon lange über die Jahre der Anfechtung hinaus war, und die er schon -lange zur Nonne gemacht hätte, wenn sie es nicht in der Hoffnung einer -reichen Erbschaft weislich hätte bleiben lassen; einer Haushälterinn, -einem Studenten, der ihm Gesellschaft leistete, und einem alten -Maulesel. Constanze erschien täglich mit der sittsamsten Miene, und -einem langen Rosenkranz’ am Arm’, in der Messe; die Duenna und der -Escudero begleiteten sie. Eines Tages ging sie nach der Messe auf -den Kirchhof, der an das Gotteshaus stieß, wandelte auf und nieder, -betrachtete alles ringsum sehr aufmerksam, und sprach leise mit dem -Escudero. Unterdessen stand der Pfarrer immer am Fenster der Sacristey, -und hätte gar zu gern gewußt, was sie mit solcher Aufmerksamkeit -betrachte. Sie begab sich aber sittsam in den Wagen, und fuhr ab.</p> - -<p>Den nächsten Morgen kam sie wieder<span class="pagenum"><a name="Seite_143" id="Seite_143">[S. 143]</a></span> zur Messe, ging wieder auf -den Kirchhof, und begnügte sich nicht damit, daß sie ihn sehr -aufmerksam betrachtete, sondern Mogrobejo mußte auch einen Theil -desselben schrittweise abmessen. Der Pfarrer hatte wieder aus dem -Sacristeyfenster zugesehen, und konnte nun sein Verlangen, dieses -Räthsel aufgelößt zu sehen, nicht länger unbefriedigt lassen; er ging -hinaus, machte ihr eine artige Verbeugung, und fragte sie womit er -ihr dienen könne. „Ich sehe,“ sagte Constanze mit niedergeschlagenen -Augen, „daß Sie die vornehmste Person in dieser Kirche sind. Mein -Escudero mußte mir hier diese Stätte der gottseligen Ruhe abschreiten, -damit ich sehen könne, ob auch Raum genug wäre, meine Absicht hier -auszuführen. Wenn es Ihnen nicht ungelegen wäre, würd’ ich Sie bitten, -mich in die Kirche zu führen, um Ihnen meine Absicht ausführlich -erklären zu können.“ Er führte sie in eine kleine Seitenkapelle, die -aber so schlecht mit Geräthe versehen war, daß sie sich auf einige -Altarpölster, und er in einen Beichtstuhl setzen mußte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_144" id="Seite_144">[S. 144]</a></span></p> - -<p>„Mein hochwürdiger Herr,“ begann sie, „ich bin aus Sevilla, von -adeligen Ältern geboren; mein Vater hieß Don Lope de Monsalva, meine -Mutter Donna Mencia de Sahabedra, und ich, ihre einzige Tochter, -heiße Donna Rufina de Monsalva und Sahabedra. Meine Mutter nahm mir -Gott sehr früh, und mein Vater, der noch ein sehr junger Mann war, -warf sein Augenmerk auf eine Dame derselben Stadt, und wollte sich -mit ihr verbinden; sie hatte aber zwey Brüder, die ihre Schwester gar -zu gern geerbt hätten; sie setzten sich heftig entgegen, und drangen -durchaus darauf, daß sie Nonne werden sollte. Sie war meinem Vater sehr -geneigt; sie fanden Gelegenheit, sich öfters heimlich zu sprechen, und -kamen endlich überein, daß sie sich heimlich wollten trauen lassen. -Sie thaten es, und setzten ihre heimlichen Zusammenkünfte fort; ich -war die Frucht ihrer Liebe. Nun entdeckten die Brüder plötzlich durch -eine treulose Magd das ganze Geheimniß, stellten meinem Vater heimlich -nach, und — tödteten ihn. Ich war nun eine Waise, und ohne alles -Ver<span class="pagenum"><a name="Seite_145" id="Seite_145">[S. 145]</a></span>mögen; niemand nahm sich meiner an, als eine Muhme, die mich in das -Nonnenkloster San Leander zur Erziehung gab, wo ich auch bis in mein -sechzehntes Jahr blieb. Damahls erst fing mein Glück zu dämmern an. Mit -einer Flotte aus Indien kam ein ansehnlicher Cavalier an den Hof; er -war sehr reich, und hatte von einem Vetter meiner Muhme, bey der ich -nun im Hause wohnte, ein Empfehlungsschreiben mit sich. Er besuchte sie -öfters, und sah auch mich bey dieser Gelegenheit. Er erkundigte sich, -wer ich wäre; meine Muhme erzählte ihm die unglückliche Geschichte -meines Vaters, und er gewann eine solche Neigung zu mir, daß er -förmlich um mich warb. Binnen vierzehn Tagen war ich ihm angetraut, -und er gab mir zur Morgengabe zwanzig tausend Escudo’s; sein ganzes -Vermögen aber beträgt über hundert zwanzig tausend Ducaten. Wir -lebten sechs Jahre mit einander, in welcher Zeit wir gar kein Kind -mit einander hatten. Endlich starb der gute Mann, und machte mich zur -Erbinn des ganzen Vermögens: nur vierzehn tau<span class="pagenum"><a name="Seite_146" id="Seite_146">[S. 146]</a></span>send Ducaten bestimmte -er zu einer prächtigen Kapelle, die ich in dieser Stadt bey irgend -einer Kirche bauen lassen sollte. Er bestimmte aber nur die Summe, und -räumt es übrigens ganz meiner Willkür ein, wie ich sie bauen lassen -wollte. Ich denke nun es so einzurichten, daß vier Kapelläne mit -einem jährlichen Einkommen von zwey hundert Ducaten, und einer, dem -die andern untergeben seyn sollen, mit drey hundert dabey angestellt -werden. Ich will sie auch nicht an diesen Kapellendienst allein binden; -denn warum sollt’ ich ehrwürdige Väter hindern, ihr ohne dieß geringes -Einkommen, das sie ohnehin meistens auf Almosen verwenden, noch in -etwas nebenbey zu vermehren. Ich bin nun vierzehn Tage hier, und habe -alle Kirchen besehen, aber hier nach meiner Meinung noch den besten -Platz gefunden. Man könnte unter der Kapelle die Gruft anbringen, was -ungleich prächtiger lassen dürfte, als der Kirchhof. Ob es mir nun -erlaubt seyn werde; ob mir die Stadtobrigkeit, oder der geistliche -Rath nicht entgegen seyn werden, wün<span class="pagenum"><a name="Seite_147" id="Seite_147">[S. 147]</a></span>sche ich jetzt aus Ihrem Munde zu -hören.“</p> - -<p>„Dafür lassen Sie mich sorgen, gnädige Frau!“ antwortete der Pfarrer -voll Feuer, und sah sich schon im Besitze von drey hundert Ducaten. -„Das wäre schön, wenn der geistliche Rath die Erfüllung frommer -Vermächtnisse hindern wollte! Wie wollt’ er das? Wie könnt’ er das? -Jeder Platz gehört Gott, um so viel mehr ein Kirchhof, als ein eigens -geweihter Ort. Und was gingen die Stadtobrigkeit geistliche Dinge an? -Sie mag ihre profane Nase in andere Dinge stecken, mag Betriegern und -Betriegerinnen auf die Spur zu kommen suchen; aber unsere heiligen -Sachen gehen ihr nichts an. O gnädige Frau! Gott hab’ Ihren seligen -Gemahl selig! sein Werk ist um desto verdienstlicher, da er dadurch in -einer so verdorbenen Zeit ein heldenmüthiges Beyspiel des standhaften -Christenthums gibt. Säumen Sie auch nicht, seinen frommen Wunsch zu -erfüllen, damit wir ihn nicht aufhalten, wenn seine Seele etwa bis zur -völligen Herstellung noch etwas zu leiden hätte.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_148" id="Seite_148">[S. 148]</a></span></p> - -<p>„Ich weiß aber noch nicht,“ sagte sie, „ob wir hier das volle Maß, das -ich gewünscht hätte, heraus bringen werden.“</p> - -<p>„Wollen sie denn Euer Gnaden gar so groß bauen?“ sagte der Pfarrer. -„Wie viele Schritte haben Euer Gnaden angeschlagen?“</p> - -<p>„Sechzig in die Länge, zwey und dreyßig in die Breite.“</p> - -<p>Nun fing der leibige Pfarrer augenblicklich an, wie ein fettes -Leichhuhn über die Gräber fortzutrippeln, und den Raum mit kurzen -Schritten abzumessen. „Mehr als zu viel!“ schrie er endlich; „es gibt -noch ein Beinhaus, und ein kleines Leichenbehältniß. Wir kriegen aber -doch auch ein Thürmchen, gnädige Frau? Wir haben eine überflüssige -Glocke, und irgend eine andächtige Seele wird uns es auch nicht an -einer Uhr fehlen lassen.“</p> - -<p>„Um meines seligen Mannes Wunsch ganz zu erfüllen,“ sagte Constanze, -„wird es mir nicht zu viel seyn, auch diese Kleinigkeiten aus meinem -Vermögen zu bestreiten, das nach meinen Bedürfnissen ohne dieß viel zu -groß ist. Ich gestehe es<span class="pagenum"><a name="Seite_149" id="Seite_149">[S. 149]</a></span> Ihnen auch, hochwürdiger Herr Pfarrer, daß es -mir in so weit wirklich zur Last ist, als ich es nicht weiß, was ich -damit anfangen soll. Übrigens habe ich noch eine Bitte an Sie.“</p> - -<p>„Sie befehlen, gnädige Frau! worin kann ich dienen?“</p> - -<p>„Ich wünschte sehr, daß Sie es auf sich nähmen, meinen Bau gegen -alle Hindernisse zu schützen, mir erfahrne Leute zu dem Baue selbst -vorzuschlagen, und endlich — thun Sie es um meines seligen Mannes -willen — nehmen Sie dann die Oberaufsicht über die vier Kapläne an.“</p> - -<p>„Mit Freuden,“ antwortete der Pfarrer; „zu was mich Gott in seinem -Dienste rufen will, dazu bin ich auch bereit. Sie haben mit mir zu -befehlen; und da Sie ein frommes Werk unternehmen, so bin ich Ihnen -gewisser Maßen Gehorsam schuldig.“</p> - -<p>Sie wären nun über die Präliminarien einig gewesen. Sie sagte dem -Pfarrer ihre Wohnung; er besuchte sie sehr emsig, und befahl auch -seiner Schwester, sie zu besuchen, deren Liebe Constanze augenblicklich -zu gewinnen wußte. Das Erste,<span class="pagenum"><a name="Seite_150" id="Seite_150">[S. 150]</a></span> was sie that, war, daß sie dem Pfarrer -ihres Mannes Testament zeigte, und ihn versicherte, daß sie nun in -einigen Tagen thätig Hand ans Werk legen werde.</p> - -<p>Sonntags Abends kam sie mit ihrer Duenna und dem Escudero in der Pfarre -an, um der Schwester des Pfarrers den erhaltenen Besuch zu erstatten. -Sie ward mit allem, was Küche und Keller vermochten, bewirthet; und -als sie mit einbrechender Dämmerung wieder nach Hause fahren wollte, -bath sie der Pfarrer, noch ein wenig zu bleiben, und der Sitzung einer -kleinen Akademie beyzuwohnen, die er aus Liebe zu den Wissenschaften -und der Musik, in seinem Hause, mit Hülfe einiger Freunde errichtet -hatte. Constanze nahm die Einladung unter dem Bedingniß’ an, daß sie -und seine Schwester ungesehen zuhören könnten. Das war ausführbar, und -er führte sie an ein Fenster mit einem Vorhange, aus dem sie in den -Saal sehen konnten, der auf eine merkwürdige Art zubereitet war. Er -war ganz mit Tannencisten geziert, und mit Sträußen von Wiesen- und -Gartenblumen behan<span class="pagenum"><a name="Seite_151" id="Seite_151">[S. 151]</a></span>gen; oben am Saale standen drey lederne Stühle an -einem Schreibtische, und weil es schon dunkel war, begann man rings -um den Saal die messingenen Wandleuchter anzuzünden. In der Mitte war -ein Hängeleuchter, auf dem drey bis vier Altarkerzen brannten. Es -währte nicht lange, so erschienen die Akademiker. Der erste war der -Pfarrer selbst, der die Gesetze der Akademie, auf einer Rechentafel -geschrieben, trug; der zweyte war der Sacristeydiener, der in den -Nebenstunden kleine Predigten verfaßte; der Cantor und sein Bruder, der -bey einem Sachwalter als Unterschreiber diente, und welche beyde in dem -ganzen Pfarrsprengel das Monopolium der Hochzeit- und Leichengedichte -an sich gerissen hatten; sie verfertigten auch Neujahrswünsche, kleine -Verse für die Zuckerbäcker, und Inschriften auf die Leichensteine. Nach -diesen kam der Kapellan, der aus Wachs kleine Opferthiere verfertigte, -und mit besonderer Geschicklichkeit verschiedene Figuren aus Pflaumen- -und Aprikosenkernen zu schnitzeln wußte. Indessen, weil sie nicht einig -wer<span class="pagenum"><a name="Seite_152" id="Seite_152">[S. 152]</a></span>den konnten, unter was für eine der schönen Künste sie seine Arbeit -rechnen sollten, hatten sie ihm, ungeachtet seiner Geistlichkeit, einen -so späten Rang angewiesen. Nach diesem kam ein Musicus, der zuweilen -auf dem Chore spielte, sonst aber in den Wirthshäusern seine Kunst -trieb, und Grab- Hochzeit- und andere Lieder verfertigte. Endlich -erschien der Student, der bey ihm im Hause wohnte, und den sie der -Tanzkunst widmeten, weil er geschickt Hunde abzurichten wußte. Um -Constanzen eine rechte Ehre zu erweisen, sagte ihr seine Schwester, daß -in der Gesellschaft noch ein Mitglied für die Baukunst fehle, und daß -sie gar nicht zweifle, ihr Bruder werde den Steinmetz, wenn er sich bey -der Kapelle auszeichnete, unter sie aufnehmen.</p> - -<p>Sie begannen nun ihre Arbeit, und jeder legte einen neuen Beweis seiner -Fähigkeit ab. Der Pfarrer eröffnete die Sitzung mit einer Abhandlung -über den Ursprung des Gebeths, in der er nicht undeutlich vermuthete, -daß Gott den ersten Menschen eine Art von täglichem Brevia<span class="pagenum"><a name="Seite_153" id="Seite_153">[S. 153]</a></span>rium -vorgeschrieben, und ihnen daher auch die Gabe, Geschriebenes zu lesen, -eingegossen habe. Der Sacristeydiener ging vor die Thür, weil der Saal -zu ebner Erde war, zum Fenster herein, was eine Kanzel vorstellen -sollte, eine Predigt über die Raupen, die diesen Sommer alle Bäume -im Pfarrgarten verdorben hätten, zu halten. Der Cantor hatte drey -Gedichte gemacht, das eine enthielt die ganze Passion, und die andern -zwey die Geschichte des linken und des rechten Schächers; und diese -drey Gedichte hatte er in der Form eines Kreuzes geschrieben, so, daß -sie einen förmlichen Calvaria vorstellten. Sein Bruder, der Schreiber, -las unmittelbar darnach ein Gedicht zum Lobe des Tabakschmauchens. Der -Kapellan stellte ein neues Schwein dar, das er aus Wachs gemacht hatte, -und die Hälfte einer glücklich abgenommenen Frauenbrust, wovon man aber -das eine eben so gut für ein Schaf, und das andere für die Hälfte eines -Hinterbackens hätte ansehen können. Der Musikus hatte eine neue Melodie -auf das Nachtwächterlied verfertigt, und nun traf<span class="pagenum"><a name="Seite_154" id="Seite_154">[S. 154]</a></span> die Reihe den -Studenten, der seinen Hunden wieder neue Sprünge und Fratzen gelernet -hatte. Nun hatte aber der Pfarrer seinen Akademikern, wie gewöhnlich, -frischen Schinken, geräucherte Ochsenzungen, und kalte Pasteten -auftischen lassen; und da die Hunde des Studenten, da ihr Herr selbst -von des Pfarrers Gnade lebte, immer bey dem gesundesten Appetite zu -seyn pflegten, hatten sie auch jetzt kaum drey bis vier Sprünge durch -den Reif gemacht, als sie sich erdreisteten, mit ihren profanen Pfoten -den Tisch zu besteigen, und unter den Libationen eine solche Verheerung -anzurichten, daß alle Akademiker von ihren Stühlen aufsprangen, und -diese frechen Schüler der Erato aus ihrem Hörsaale vertrieben. Es war -aber leider zu spät, und man mußte sich mit sehr geringen Überbleibseln -begnügen. Die Versammlung ging also sehr mißmuthig aus einander, und -Constanze ging vergnügt nach Hause.</p> - -<p>Nun war keine Zeit mehr zu verlieren. Den nächsten Morgen mußte sich -Mogrobejo nach einem vertrauten Freund’ um<span class="pagenum"><a name="Seite_155" id="Seite_155">[S. 155]</a></span>sehen, der sich für einen -erst aus Toledo angekommenen Architecteur ausgeben, und zwey oder -drey Risse von einer Kapelle mit sich bringen sollte. Der Escudero -war scharfsichtig, wie ein Falke, und wendete sich daher an keinen -untüchtigen Mann. Er sollte sich den folgenden Tag, an dem sie vom -Pfarrer Besuch erwartete, einfinden. Der Pfarrer kam; der Baumeister -kam; man vereinigte sich über den Plan, und ließ einen Notar rufen, -vor welchem und zwey Zeugen sich der Baumeister anheischig machte, -die Kapelle binnen einem Jahre herzustellen; dafür verlangte er zwey -tausend Escudo’s im vorhinein; Constanze fand aber diese Summe zu groß, -und erklärte sich, daß sie unterdessen drey hundert Escudo’s geben -wollte, womit sich der Baumeister befriedigte. Sie lud alle über zwey -Tage zum Mittagmahle ein, und da sollte sogleich Hand ans Werk gelegt -werden.</p> - -<p>Nun schickte Constanze den Escudero noch denselben Abend zu ihren -Freundinnen um den Schmuck, und erhielt ihn auch sogleich in einem -ansehnlichen Fut<span class="pagenum"><a name="Seite_156" id="Seite_156">[S. 156]</a></span>terale von carmoisinrothem Saffian. Sie schickte -dasselbe nun unverzüglich zu einen Futteralmacher, und ließ ein so -ähnliches verfertigen, daß man es von dem rechten kaum unterscheiden -konnte. Nun ließ sie den Pfarrer rufen, der sich auch im Augenblicke -einfand. Sie nahmen Stühle, und Constanze sprach: „Herr Doctor, -ich habe acht tausend Escudo’s bey den Fuggern<a name="FNAnker_B_2" id="FNAnker_B_2"></a><a href="#Fussnote_B_2" class="fnanchor">[B]</a> stehen, die ich -zu ansehnlichen Zinsen genieße; mein seliger Mann hat sie aber nur -unter dem Bedingnisse untergebracht, daß er sie einen Monath vor der -Herausbezahlung aufzukündigen habe. In der Verwirrung, in die mich -der plötzliche Tod meines Mannes setzte, hab’ ich nun vergessen, die -Aufkündigung einzuschicken, und bin nun in der Verlegenheit, daß ich -das Geld gerade jetzt, da ich es am nothwendigsten brauche, nicht -habe. Ich sehe mich denn, so schwer es mir fällt, gezwungen, meinen -ansehnli<span class="pagenum"><a name="Seite_157" id="Seite_157">[S. 157]</a></span>chen Schmuck bey einem vertrauten Manne, gegen billige -Bedingnisse, auf einen Monath einzusetzen. Hier ist er,“ sagte sie, -indem sie aus der Estrata ein Lädchen unter dem Überzuge hervor nahm, -und dem Pfarrer, der in seinem Leben nie solchen Schmuck gesehen hatte, -die reichen Geschenke des Mailänders und des Genuesers zeigte.</p> - -<p>„Lieber Gott!“ sagte der Pfarrer; „das ist ja über hundert tausend -Escudo’s werth.“</p> - -<p>„Nicht doch, Herr Pfarrer!“ sagte sie; „Sie sind ein schlechter Kenner: -der ganze Werth besteht in etwas über dreyßig tausend Escudo’s; und -gerade, weil dieß doch keine Kleinigkeit ist, wünscht’ ich irgend einen -Mann zu wissen, bey dem ich nicht Gefahr liefe; denn bey jetziger Zeit -kann man sich wahrhaftig nicht genug hüthen.“ Während dieser Rede -hatte sie das Futteral wieder versperrt, und in das Lädchen gelegt. -Der Pfarrer wünschte der großmüthigen Dame in allem Genüge zu leisten, -und both sich an, ihr die acht tausend Escudo’s noch denselben Tag -aus seinem eigenen Vermögen einzuhändigen.<span class="pagenum"><a name="Seite_158" id="Seite_158">[S. 158]</a></span> „Belieben Sie nur,“ sagte -er, „eine Schrift wegen Leben und Tod bereit zu halten.“ Constanze -nahm den Antrag mit Freuden an, und zog geschwinde unter dem Überzuge -der Estrata das andere Futteral, welches ebenfalls versperrt war, -hervor. Der Pfarrer nahm es, und wollte forteilen; an der Thür kehrte -er aber noch um, und sagte: „Hören Sie, gnädige Frau, die Baumeister -sind Leute, die immer bares Geld sehen wollen. Damit wir ihn nun nicht -abschrecken, bring’ ich Ihnen lieber gleich die tausend vier hundert -Escudo’s an der Stelle, und des Abends die andern acht tausend, damit -Sie dann Ihr Geld ganz beysammen haben.“ Er hielt auch genau Wort, -und Constanze hatte die ganze Summe in Händen. Der Pfarrer hätte -den Schmuck gern seiner Schwester gezeigt, wagte es aber nicht, zu -Constanzen um den Schlüssel zu schicken, weil es einem Mißtrauen -ähnlich gesehen hätte.</p> - -<p class="mbot2">So bald die schöne Wittwe das Geld in Händen hatte, machte sie sich mit -ihrer Duenna und dem Escudero nach Lescas auf. Ihrem Hausherrn schützte -sie vor,<span class="pagenum"><a name="Seite_159" id="Seite_159">[S. 159]</a></span> daß sie das Quartier verlasse, weil es ihr zu melancholisch -wäre, und so fuhr sie denn mit allem Geräth’ ab, und verbarg sich bey -ihren Freundinnen so gut, daß sie niemand hätte finden können. Nun -kam der Pfarrer, und hörte, daß seine reiche Gönnerinn eine andere -Wohnung bezogen habe; die Hausleute versprachen ihrem hochwürdigen -Herrn Pfarrer aber, daß sie ihm bis morgen schon sagen wollten, wo sie -wohne. Den andern Tag sehr früh kam er wieder; man wußt’ es noch nicht: -er kam des Abends, und man wußt’ es noch nicht. Nun begann er erst -Argwohn zu schöpfen; er lief nach Hause, und da seine Schwester darauf -bestand, daß er einer Betriegerinn in die Hände gerathen sey, beschloß -er endlich, das Futteral zu öffnen, und sich aus dieser peinlichen -Ungewißheit zu reißen, es kost’ auch, was es wolle. Er öffnete es denn, -und fand anstatt der Diamanten die schönsten und artigsten kleinen -Kieselsteine. Die Pulsen standen ihm stille; seine Schwester rieb ihm -die Schläfe, und hielt ihm<span class="pagenum"><a name="Seite_160" id="Seite_160">[S. 160]</a></span> ein Riechfläschchen vor. Er erhohlte sich -wieder, und lief zu dem Richter: was half aber alles Nachsuchen des -Richters, wenn sich eine von unsern Heldinnen verbarg? Er fiel in eine -Todeskrankheit, von der er sich sehr langsam erhohlte, und vom Tage des -entdeckten Betruges an war er ein Teufel, der das ganze Haus peinigte, -und mit dem es niemand mehr aushalten wollte. Besonders hatten die -Akademiker seinen Unmuth empfunden; denn als sie ihn denselben Tag -besuchten, um wieder eine Sitzung zu halten, mißhandelte er sie so, daß -sie schworen, ihn vor Gerichte zu belangen.</p> - -<div class="footnotes"> - -<div class="footnote"> - -<p><a name="Fussnote_B_2" id="Fussnote_B_2"></a><a href="#FNAnker_B_2"><span class="label">[B]</span></a> Eine reichsgräfliche Familie, deren Reichthümer in Spanien -zum Sprüchworte geworden sind.</p></div> - -</div> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="spaced" id="VIERTE_SPAZIERFAHRT">VIERTE SPAZIERFAHRT.</h2> - -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">D</span>orothee, welche nun die Reihe traf, ließ vier Monathe verstreichen, -bevor sie eine neue Unternehmung wagte, damit sich unterdessen das -Gerücht vom Kapellenbaue verlieren möchte. Auch benützte man diese -Zeit, um den Wagen wieder<span class="pagenum"><a name="Seite_161" id="Seite_161">[S. 161]</a></span> anders zuzurichten, und Kutscher und Pferde -zu wechseln. Endlich fand sie es räthlich, in Gesellschaft ihrer -Mutter, und der alten Banuelos zu Madrid einzuziehen. Sie nahmen ihre -Wohnung dieß Mahl zur Abwechslung in dem Martinsviertel. Nach einigen -Tagen begaben sie sich mit dem neuen Escudero, den sie aufgenommen -hatten, unter das Thor von Quadalaxara. Als die jungen Herren, die auf -dem Markte herum spazierten, einen Damenwagen an einem Kaufmannsgewölbe -halten sahen, liefen sie wie Hasen davon, um nicht etwa in die -Verlegenheit zu gerathen, wenn es eine von ihren Bekannten wäre, aus -Artigkeit oder Tändeley ein Geschenk anbiethen zu müssen. Dorothee -ließ sich eine goldener Tabatiere, und etwas von Frauenputz an den -Wagenschlag bringen. Mit einem Mahle kam ein fremder Cavalier, der erst -unlängst aus Andalusien angekommen war, und nun hier den Zusammenfluß -der Madriter schauen wollte, an dem Wagen vorüber. Die schöne Dorothee -fiel ihm auf, und als ein Mann von Welt, machte er ihr sogleich<span class="pagenum"><a name="Seite_162" id="Seite_162">[S. 162]</a></span> -seine tiefe Verbeugung. Er mochte beyläufig sechs und zwanzig Jahre -haben, war klein von Person, aber niedlich gebaut, und ganz fertig, -ein Gespräch mit feinen Wendungen und drolligen Einfällen zu würzen; -dabey war er aber von ungemein verliebter Stimmung, und sein Kopf war -vom Romanenlesen ein wenig angebrannt. Dorothee bemerkte den raschen -Eindruck, den sie auf ihn gemacht habe, und begegnete seinem Blicke -vorsetzlich einige Mahl. Er ward muthiger, trat an den Wagenschlag, und -sagte: „Schöne Unbekannte, diese Waare ist schon bestellet.“ „Das thut -mit leid,“ antwortete Dorothee. „Indessen,“ fuhr der Andalusier fort, -„wenn sie Ihnen gefällt, bin ich bereit, sie mir abhandeln zu lassen, -und will sie als förmlicher Kaufmann in Ihre Wohnung bringen, die Sie -mir zu sagen belieben werden.“ Hiermit steckte er dem Kaufmann, was die -Waare beyläufig werth seyn mochte, in die Hand.</p> - -<p>„In der That,“ sagte Dorothee, „wenn ich Sie kennte, würde ich Ihnen -vielleicht mit eben dieser — wie will ich sagen — Frey<span class="pagenum"><a name="Seite_163" id="Seite_163">[S. 163]</a></span>müthigkeit, -oder Zudringlichkeit, wenn Sie wollen, in Ihren Ton einstimmen; so -aber“ — sie hatte sehr gut gesehen, was vorgegangen war — „bleibt mir -nichts übrig, als die Waare wieder dahin zurück zu stellen, von wo ich -sie bekommen habe. Gnädiges Fräulein,“ sagte er, „denn Frau können Sie -doch unmöglich seyn; Sie scheinen ungehalten: seyn Sie es aber nicht. -Ich bin ein Mensch, der niemand auf Erden, am wenigsten aber eine Dame -beleidigen will, und der nur manchmahl den Rechnungsfehler begeht, -daß er meint, man würde seine — ich kann es mit gutem Gewissen nur -Lebhaftigkeit nennen, eben so gerade aufnehmen, als er sie äußert. Bey -uns in Andalusien wird mir so etwas zu Gute gehalten; ich erwartete -denn, daß ich hier, wo ich erst zwey Tage bin, ein anderes Andalusien -finden werde.“</p> - -<p>Dorothee merkte nun, daß sie ihren Mann gefunden habe, und fand es -für gut, an der Stelle eine nähere Bekanntschaft zu gründen. Sie -frage denn: „Mein Herr, das ganze Waarenlager werden Sie doch nicht -aufgekauft haben,“ stieg aus<span class="pagenum"><a name="Seite_164" id="Seite_164">[S. 164]</a></span> dem Wagen, und ging in das Gewölbe; Der -Andalusier ihr nach.</p> - -<p>Sie ließ sich Federn, Bänder, und Seidenstoff für beyläufig hundert -Escudo’s vorlegen, und behandelte den Preis. Sie bemerkte, daß er vom -Kaufmanne heimlich die Rechnung fordre, und sagte daher: „Mein lieber -Herr, ich habe vor Tische noch einige Besuche vor mir: Sie würden mich -verbinden, wenn Sie mir alles nach Tische in meine Wohnung schickten; -dann werden Sie auch gleich das Geld dafür erhalten.“ Der Kaufmann -fand sich sehr bereit, und Dorothee sagte ihm ihre Wohnung. Der -Andalusier sprach nur: „Gnädiges Fräulein, ich weiß nun Ihre Wohnung: -wie würden Sie sich wohl benehmen, wenn ich unartig genug wäre, Sie zu -besuchen?“ „Fürs erste,“ antwortete Dorothee, „halt’ ich Sie nicht für -so voreilig; und wenn Sie es wären, würde mir nichts übrig bleiben, als -daß ich durch ein artiges Betragen Sie zu bessern suchte.“ Sie ging -fort, und fuhr nach Hause. Nach Tische kam der Diener des Kaufmanns, -brachte die Waaren, und als sie sich an<span class="pagenum"><a name="Seite_165" id="Seite_165">[S. 165]</a></span>stellte, als ob sie bezahlen -wollte, schlug er es unter dem Vorwande aus, daß die Summe noch zu -klein wäre, um eine Rechnung zu machen, und daß sie ihr noch mehr zu -verkaufen dächten. Es währte nicht lange, so war auch unser Andalusier -da. Dorothee empfing ihn in Gesellschaft ihrer Duennen sehr artig, -und er erzählte ihr, daß er Don Thadeo de Sylva heiße, eigentlich -aber Don Thadeo Tristan de Lorgenes, nach einem Oheime, der das -Abgeschmackte dieses Nahmens mit einer ansehnlichen Erbschaft wieder -gut gemacht hätte; Dorothee vertraute ihm dafür, daß sie mit einem -Ritter verheirathet sey, der sich in Indien befände, und so unglücklich -gewesen sey, in Lima gefangen zu werden; nun erwarte sie aber ihn -und ihr ganzes Vermögen mit der nächsten Flotte. Don Thadeo both ihr -feyerlich alle Dienste an, die in seinen Kräften ständen, indem er -wohl wisse, was sich für Schwierigkeiten fänden, wenn man am Hofe -Forderungen machte. „Es ist wahr,“ erwiederte sie; „aber zum Glücke -hab’ ich doch immer genug gehabt, um zwey Die<span class="pagenum"><a name="Seite_166" id="Seite_166">[S. 166]</a></span>nerinnen, einen Escudero, -und meinen Wagen zu halten.“ Nun war es Zeit, sich zu entfernen, und -Thadeo empfahl sich.</p> - -<p>Dorothee suchte nun nähere Erkundigung über seine Umstände einzuziehen, -und alle Nachrichten waren nach Wunsche. Seine Besuche wurden immer -häufiger, und seine Neigung immer heftiger. Dorothee suchte seine -Schwächen aufzufinden, unter denen auch die Vorliebe für Lieder und -Melodien, die er selbst verfaßt hatte, war, und suchte sie auf’s -Beste zu benutzen; kurz, er ward so verliebt, als noch kein Liebhaber -ihrer Mitschwesterchen gewesen war. Dorothee, die eine sehr schöne -Stimme, und einen hinreißenden Vortrag hatte, sang von der Stunde an -kein Liedchen mehr, das nicht Thadeo verfertigt hatte, und verlangte -selbst noch Unterricht auf der Guitarre von ihm; dafür liefen sich -seine Bedienten mit Küchengeschenken müde, und er selbst brachte -beynahe jeden Tag irgend eine kostbare Kleinigkeit zum Putze mit. -Dorothee hatte jedes Mahl einen Vorwand bereit, unter dem es ihre -Bescheiden<span class="pagenum"><a name="Seite_167" id="Seite_167">[S. 167]</a></span>heit erlaubte, seine Großmuth nicht zurück zu schrecken. -Auch hatte sie sich schon zwey Mahl einen Kuß auf die Lippen gefallen -lassen, von denen sie den letzten sogar — wer hätte sich’s von Donna -Dorothea träumen lassen? — mit schamhaftem Erröthen erwiederte.</p> - -<p>Den folgenden Tag kam Thadeo nicht, und Dorothee war in sichtbarer -Unruhe: sie konnte sein Außenbleiben nur mit der strengen Witterung -entschuldigen; denn es war mitten im Winter. Sie hatte sich auch nicht -getäuscht; denn er kam den andern Tag: indessen war es ihr doch ein -Fingerzeig, daß sie ihn noch nicht genug in Bewegung gesetzt habe. Sie -suchte daher alles Mögliche hervor, was einen Mann fest halten kann: -sie schmollte; sie bezeigte ihm bey jeder Gelegenheit Aufmerksamkeit, -und es gelang ihr auch, ihn bald so zu kirren, daß er mit Leib und -Seele an ihr hing, und nun weiter nichts mehr fehlte, als eine gute -Gelegenheit, um sein Vertrauen und seine Liebe so ergiebig als möglich -zu benutzen.</p> - -<p>Während Dorothee in Illescas wohnte, war ein Student aus Toledo dort -ange<span class="pagenum"><a name="Seite_168" id="Seite_168">[S. 168]</a></span>kommen. Er hieß Don Basil, war ein erzarmer Teufel, übrigens -aber so schön und wacker gebildet, und so aufgeweckten Geistes, daß -Dorotheens Standhaftigkeit selbst so vielen Reitzen nicht widerstehen -konnte. Sie wurden bald bekannt, noch geschwinder vertraut, und es war -bald so weit gekommen, daß sie ihm sogar gestattete, ihr nach Madrit zu -folgen, unter dem Bedingniß’ aber, daß er ihre Unternehmungen nicht im -geringsten stören sollte. Er ging es darauf ein, und lebte denn auch in -Madrit in dem besten Einverständnisse mit ihr, ohne sich von Eifersucht -plagen zu lassen. Alles wäre gut gegangen; nur wollte sich noch keine -besonders vortheilhafte Gelegenheit zeigen.</p> - -<p>Endlich traf es sich, daß einer von Thadeo’s Freunden heirathete. -Thadeo sagte Dorotheen, daß die Vermählung bey San Sebastian mit einer -seltnen Pracht gehalten werden würde, und daß er selbst in einem Glanze -erscheinen werde, in dem sie ihn noch nie gesehen habe. „Wenn ich in -der Kirche erscheinen soll,“ sagte Dorothee, „so verlange ich ohne -dieß, daß<span class="pagenum"><a name="Seite_169" id="Seite_169">[S. 169]</a></span> mein lieber Thadeo die übrige Gesellschaft übertreffe. Wenn -Sie mir aber dann gefallen, bin ich nicht zufrieden, Sie nur in der -Kirche bewundern zu können; ich will Sie bey mir im Hause haben. Sie -werden sich doch gewiß um eilf Uhr vom Spiele los machen können; und -bis dahin will ich mit dem Abendessen auf Sie warten.“</p> - -<p>Thadeo sagte es ihr heilig zu, und so schieden sie aus einander. Die -Vermählung ging vor sich, und Dorothee erstaunte über die Pracht ihres -Geliebten. Er war im prächtigsten Stoffe gekleidet, und schien alle -Juweliere von Madrit ausgekauft zu haben. Knöpfe, Ketten, Agraffen, -Ringe, alles war von Brillanten. Er kam auch um eilf Uhr des Abends -voll Vergnügen zu Dorotheen, und erzählte ihr, daß er so glücklich -gewesen sey, gegen zwey tausend Escudo’s zu gewinnen. Sie speisten; es -wurde immer später; Dorothee war ungemein gefällig, und sagte endlich, -daß sie ihn heute nicht mehr nach Hause lasse: denn wenn irgend ein -Schurke seinen Schmuck gewahr würde, könnte er ein Unglück haben. -Sie werde ihm daher ein<span class="pagenum"><a name="Seite_170" id="Seite_170">[S. 170]</a></span> Bett anweisen, und sie nehme durchaus keine -Widerrede an.</p> - -<p>Thadeo meinte, nun schon den Gipfel seines Glücks erstiegen zu haben, -und war beynahe ausgelassen vor Freude. Er trank ein Glas ums andere; -aber Dorothee hatte ihm einen besonders köstlichen Trank bereitet, -dessen Wirkung er nicht vermuthet hätte. Es war zwölf Uhr, und Dorothee -wies ihm das Bett in dem Zimmer an dem ihrigen an. Er kleidete sich -hastig aus, hatte sich aber im Bette kaum ein wenig erwärmt, als -der Trank seine Wirkung that, und der verliebte Ritter so laut zu -schnarchen anfing, daß man es auf die Gasse gehört haben würde, wenn -ihm seine treuen Wärterinnen nicht die Bettdecke über den Kopf gelegt -hätten.</p> - -<p>Nun ward alles, was er an dem Leibe gehabt hatte, sammt dem -beträchtlichen Spielgewinne, mit Hülfe des Studenten aus Toledo, und -des Kutschers zusammen gepackt, und nach ihrer einstimmigen Schätzung -auf mehr als vierzehn tausend Escudo’s angeschlagen. Es war nichts mehr -übrig, als was sie mit Don Thadeo<span class="pagenum"><a name="Seite_171" id="Seite_171">[S. 171]</a></span> anfangen sollten. Er hatte ein zu -schönes Spitzhemd auf dem Leibe, als daß es ihm der Student aus Toledo -hätte gönnen sollen; er zog es ihm denn ab, und bekleidete ihn dafür -mit einem Unterrocke der alten Banuelos. Vorn unter das Kinn band er -ihm ein Tuch, wie einem kleinen Kinde, und an eine Schnur knüpfte er -verschiedene Sachen, wie man den Kindern anzuhängen pflegt; ein Füßchen -von den Hasen, den er des Abends noch gegessen hatte; eine Elendklaue, -wider das Augenweh; einen kleinen Mörserstößel, und eine kleine Glocke. -In diesen Aufzuge setzten sie ihn auf einen großen Korb; der Student -und der Kutscher trugen ihn fort, hingen ihn an den Balcon eines armen -Indianers, und eilten nach Hause, um sich mit der übrigen Gesellschaft -in Sicherheit zu setzen.</p> - -<p>Thadeo schlief in seinem Korbe fort, und träumte sich in den Armen -der schönen Dorothee. Mit Anbruch des Tages stand der Indianer auf, -schlug die Fensterbalken auf, und nahm den Korb wahr. Er setzte die -Augengläser auf, und sah<span class="pagenum"><a name="Seite_172" id="Seite_172">[S. 172]</a></span> zu seiner größten Verwunderung dieses große -Kind in dem Korbe liegen. Sein erster Gedanke war wirklich, daß es -ein Findelkind sey, das man ihm vors Haus gebracht hätte, und er rief -seinen Bedienten, daß er es herab nehmen, und vor ein anderes Haus -legen solle. Der Bediente konnte nicht sehen, was im Korbe wäre, weil -der Korb so hoch hing, und schnitt den Strick ab, um den Korb mit den -Händen aufzufangen; das Kind fiel aber mit solcher Gewalt herunter, daß -es den armen Bedienten zu Boden warf. Das Kind selbst schlief so sanft, -daß es selbst von dieser Erschütterung nicht erwachte. So wehe sich der -Bediente gethan hatte, brach er doch in ein lautes Gelächter aus, als -er das Kind erblickte. Er trug es mit Hülfe seines Herrn in die Stube, -und hier bemerkten sie erst einen Zettel, den es im Busen stecken -hatte. Er lautete: „Die Mutter dieses Kindes hat es Armuths halber -in ihren Armen hierher getragen, und bittet, sich seiner anzunehmen. -Übrigens ist es schon seit einiger Zeit getauft.“ Der Indianer und der -Bediente suchten es zu we<span class="pagenum"><a name="Seite_173" id="Seite_173">[S. 173]</a></span>cken; sie kitzelten und kneipten es; alles -war aber vergebens. „Wahrhaftig,“ sagte der Indianer; „ich habe noch -kein Kind gesehen, das einen so gesunden Schlaf gehabt hätte.“ Indessen -kamen sie doch bald auf die Vermuthung, daß dieser unnatürliche -Schlummer die Wirkung eines Schlaftrunkes sey. Erst gegen Mittag kam -Thadeo zu sich; und als er seinen lächerlichen Aufzug erblickte, und -sah, daß er in einer ganz fremden Wohnung sey, fing er zu schreyen -an, daß der Indianer und sein Bedienter herbey liefen, die ihm denn -erzählten, in was für einem Zustande sie ihn gefunden hätten. Er -schnaubte vor Wuth, und schwor allen, die an dieser Beschimpfung Theil -hätten, sie zu vernichten. Er ließ sich Kleider bringen, und machte -sogleich Anstalt, um Dorotheen mit ihrer ganzen Gesellschaft in Verhaft -nehmen zu lassen. Sie war aber schon längst zu Illescas, wo sie mit -ihren Mitschwestern überein kam, nach Granada zu reisen, um dort neue -Abenteuer, die ihrer würdig wären, aufzusuchen.</p> - -<p>Wie lange sie dieselben fortsetzten, mel<span class="pagenum"><a name="Seite_174" id="Seite_174">[S. 174]</a></span>det die Geschichte nicht: so -viel läßt sich vermuthen, daß sie sich bald von einander zu trennen -genöthigt sahen, welches sie um so leichter thun konnten, da jede schon -in Schäfchen ins Trockne gebracht hatte.</p> - -<p class="center padtop3 padbot3"><i>E<span class="mleft1">N</span><span class="mleft1">D</span><span class="mleft1">E</span>.</i></p> - - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Die Harpyen von Madrit, oder die -Postkutsche, by Alonso de Castillo Solórzano - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HARPYEN VON MADRIT *** - -***** This file should be named 54368-h.htm or 54368-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/4/3/6/54368/ - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned -images of public domain material from the Google Books -project.) - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions -will be renamed. - -Creating the works from public domain print editions means that no -one owns a United States copyright in these works, so the Foundation -(and you!) can copy and distribute it in the United States without -permission and without paying copyright royalties. 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Redistribution is -subject to the trademark license, especially commercial -redistribution. - - - -*** START: FULL LICENSE *** - -THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK - -To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase "Project -Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project -Gutenberg-tm License (available with this file or online at -http://gutenberg.org/license). - - -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm -electronic works - -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. 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