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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-15 05:25:20 -0700 |
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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Woyzeck + +Author: Georg Buchner + +Release Date: March, 2004 [EBook #5322] +[This file was first posted on July 1, 2002] +[Last updated on November 7, 2013] + +Language: English + +Character set encoding: UTF-8 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WOYZECK *** + + + + +Produced by Gunther Olesch from a Project Gutenberg of DE +source file created by Erik Pischel + + + + + + + +Woyzeck + +Georg Büchner + + + +Vorbemerkung + +Dieses Stück ist ein Fragment. Es gibt keine einzig richtige +Reihenfolge der einzelnen Szenen, denn sie sind weder nummeriert noch +in Akte aufgeteilt. + +Die hier vorliegende Reihenfolge stimmt mit der Verfilmung mit Klaus +Kinski in der Hauptrolle überein, vom Ende vielleicht einmal +abgesehen. + +Das Stück spielt in Darmstadt, die Figuren sprechen größtenteils in +dortigem Dialekt. Deshalb haben im Hochdeutschen grammatikalisch +falsche Konstruktionen hier seine Richtigkeit. + + + + +Personen + +Woyzeck +Marie +Hauptmann +Doktor +Tamboumajour +Unteroffizier +Andres +Margret +Budenbesitzer +Marktschreier +Alter Mann mit Leierkasten +Jude +Wirt +Erster Handwerksbursch +Zweiter Handwerksbursch +Käthe +Narr Karl +Grossmutter +Erstes, zweites, drittes Kind +erste, zweite Person +Polizeikommissar + +Soldaten. Studenten. Burschen und Mädchen +Kinder. Volk + + + +Woyzeck + + Beim Hauptmann + +[Hauptmann auf dem Stuhl, Woyzeck rasiert ihn.] + +HAUPTMANN: Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern! Er macht +mir ganz schwindlig. Was soll ich dann mit den 10 Minuten anfangen, +die Er heut zu früh fertig wird? Woyzeck, bedenk Er, Er hat noch seine +schönen dreißig Jahr zu leben, dreißig Jahr! Macht dreihundertsechzig +Monate! und Tage! Stunden! Minuten! Was will Er denn mit der +ungeheuren Zeit all anfangen? Teil Er sich ein, Woyzeck! + +WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann. + +HAUPTMANN: Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die +Ewigkeit denke. Beschäftigung, Woyzeck, Beschäftigung! Ewig: das ist +ewig, das ist ewig - das siehst du ein; nur ist es aber wieder nicht +ewig, und das ist ein Augenblick, ja ein Augenblick - Woyzeck, es +schaudert mich, wenn ich denke, daß sich die Welt in einem Tag +herumdreht. Was 'n Zeitverschwendung! Wo soll das hinaus? Woyzeck, ich +kann kein Mühlrad mehr sehen, oder ich werd melancholisch. + +WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann. + +HAUPTMANN: Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt aus! Ein guter Mensch +tut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. - Red er +doch was Woyzeck! Was ist heut für Wetter? + +WOYZECK: Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm: Wind! + +HAUPTMANN: Ich spür's schon. 's ist so was Geschwindes draußen: so ein +Wind macht mir den Effekt wie eine Maus. - [Pfiffig:] Ich glaub', wir +haben so was aus Süd-Nord? + +WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann. + +HAUPTMANN: Ha, ha ha! Süd-Nord! Ha, ha, ha! Oh, Er ist dumm, ganz +abscheulich dumm! - [Gerührt:] Woyzeck, Er ist ein guter Mensch +--aber-- [Mit Würde:] Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, +wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort. Er hat ein +Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hocherwürdiger Herr +Garnisionsprediger sagt - ohne den Segen der Kirche, es ist nicht +von mir. + +WOYZECK: Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum +ansehen, ob das Amen drüber gesagt ist, eh er gemacht wurde. Der Herr +sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen. + +HAUPTMANN: Was sagt Er da? Was ist das für eine kuriose Antwort? Er +macht mich ganz konfus mit seiner Antwort. Wenn ich sag': Er, so mein' +ich Ihn, Ihn - + +WOYZECK: Wir arme Leut - Sehn Sie, Herr Hauptmann: Geld, Geld! Wer +kein Geld hat - Da setz einmal eines seinesgleichen auf die Moral +in der Welt! Man hat auch sein Fleisch und Blut. Unsereins ist doch +einmal unselig in der und der andern Welt. Ich glaub', wenn wir in +Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen. + +HAUPTMANN: Woyzeck, Er hat keine Tugend! Er ist kein tugendhafter +Mensch! Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg', wenn's geregnet +hat, und den weißen Strümpfen nachseh', wie sie über die Gassen +springen - verdammt, Woyzeck, da kommt mir die Liebe! Ich hab' auch +Fleisch und Blut. Aber, Woyzeck, die Tugend! Die Tugend! Wie sollte +ich dann die Zeit rumbringen? Ich sag' mir immer: du bist ein +tugendhafter Mensch - [gerührt:] -, ein guter Mensch, ein guter +Mensch. + +WOYZECK: Ja, Herr Hauptmann, die Tugend - ich hab's noch nit so aus. +Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt nur so die +Natur; aber wenn ich ein Herr wär und hätt' ein' Hut und eine Uhr und +eine Anglaise und könnt' vornehm rede, ich wollt' schon tugendhaft +sein. Es muß was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich +bin ein armer Kerl! + +HAUPTMANN: Gut, Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. +Aber du denkst zuviel, das zehrt; du siehst immer so verhetzt aus. - +Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh jetzt, und renn nicht so; +langsam, hübsch langsam die Straße hinunter! + + + + Freies Feld, die Stadt in der Ferne + +[Woyzeck und Andres schneiden Stecken im Gebüsch. Andres pfeift.] + +WOYZECK: Ja, Andres, der Platz ist verflucht. Siehst Du den lichten +Streif da über das Gras hin, wo die Schwämme so nachwachsen? Da rollt +abends der Kopf. Es hob ihn einmal einer auf, er meint', es wär ein +Igel: drei Tag und drei Nächt, er lag auf den Hobelspänen. - [Leise:] +Andres, das waren die Freimaurer! Ich hab's, die Freimaurer! + +ANDRES [singt]: + Saßen dort zwei Hasen, + fraßen ab das grüne, grüne Gras... + +WOYZECK: Still: Hörst du's, Andres? Hörst du's? Es geht was! + +ANDRES: + Fraßen ab das grüne, grüne Gras... + bis auf den grünen Rasen. + +WOYZECK: Es geht hinter mir, unter mir. - [Stampft auf den Boden:] +Hohl, hörst Du? Alles hohl da unten! Die Freimaurer! + +ANDRES: Ich fürcht' mich. + +WOYZECK: 's ist so kurios still. Man möcht' den Atem halten. - Andres! + +ANDRES: Was? + +WOYZECK: Red was! - [Starrt in die Gegend.] - Andres, wie hell! Über +der Stadt is alles Glut! Ein Feuer fährt um den Himmel und ein Getös +herunter wie Posaunen. Wie's heraufzieht! - Fort! Sieh nicht hinter +dich! - [Reißt ihn ins Gebüsch.] + +ANDRES [nach einer Pause]: Woyzeck, hörst du's noch? + +WOYZECK: Still, alles still, als wär' die Welt tot. + +ANDRES: Hörst du? Sie trommeln drin. Wir müssen fort! + + + + Die Stadt + +[Marie mit ihrem Kind am Fenster. Margret. Der Zapfenstreich geht +vorbei, der Tambourmajor voran.] + +MARIE [das Kind wippend auf dem Arm]: He, Bub! Sa ra ra ra! Hörst? Da +kommen Sie! + +MARGRET: Was ein Mann, wie ein Baum! + +MARIE: Er steht auf seinen Füßen wie ein Löw. + +[Tambourmajor grüßt.] + +MARGRET: Ei, was freundliche Auge, Frau Nachbarin! So was is man an +ihr nit gewöhnt. + +MARIE [singt]: Soldaten, das sind schöne Bursch ... + +MARGRET: Ihre Auge glänze ja noch - + +MARIE: Und wenn! Trag Sie Ihr Aug zum Jud, und laß Sie sie putze; +vielleicht glänze sie noch, daß man sie für zwei Knöpfe verkaufen +könnt. + +MARGRET: Was, Sie? Sie? Frau Jungfer! Ich bin eine honette Person, +aber Sie, es weiß jeder, Sie guckt sieben Paar lederne Hose durch! + +MARIE: Luder! - [Schlägt das Fenster durch.] - Komm, mei Bub! Was die +Leute wolle. Bist doch nur ein arm Hurenkind und machst deiner Mutter +Freud mit deim unehrlichen Gesicht! Sa! sa! - [Singt] + Mädel, was fangst Du jetzt an? + Hast ein klein Kind und kein' Mann! + Ei, was frag' ich danach? + Sing' ich die ganze Nacht + heio, popeio, mei Bu, juchhe! + Gibt mir kein Mensch nix dazu. + +[Es klopft am Fenster.] + +MARIE: Wer da? Bist du's, Franz? Komm herein! + +WOYZECK: Kann nit. Muß zum Verles'. + +MARIE: Hast du Stecken geschnitten für den Hauptmann? + +WOYZECK: Ja, Marie. + +MARIE: Was hast du, Franz? Du siehst so verstört. + +WOYZECK [geheimnisvoll]: Marie, es war wieder was, viel - steht nicht +geschrieben: Und sie, da ging ein Rauch vom Land, wie der Rauch vom +Ofen? + +MARIE: Mann! + +WOYZECK: Es ist hinter mir hergangen bis vor die Stadt. Etwas, was +wir nicht fassen, begreifen, was uns von Sinnen bringt. Was soll das +werden? + +MARIE: Franz! + +WOYZECK: Ich muß fort. - Heut abend auf die Meß! Ich hab wieder +gespart. - [Er geht.] + +MARIE: Der Mann! So vergeistert. Er hat sein Kind nicht angesehn! +Er schnappt noch über mit den Gedanken! - Was bist so still, Bub? +Furchtest dich? Es wird so dunkel; man meint, man wär' blind. Sonst +scheint als die Latern herein. Ich halt's nit aus; es schauert mich! - +[Geht ab.] + + + + Buden. Lichter. Volk + +ALTER MANN [singt und Kind tanzt zum Leierkasten]: + Auf der Welt ist kein Bestand, + Wir müssen alle sterben, + das ist uns wohlbekannt. + +WOYZECK: Hei, Hopsa's! - Armer Mann, alter Mann! Armes Kind, junges +Kind! Sorgen und Feste! + +MARIE: Mensch, sind noch die Narrn von Verstande, dann ist man selbst +ein Narr. - Komische Welt! Schöne Welt! + +[Beide gehn weiter zum Marktschreier.] + +MARKTSCHREIER [vor seiner Bude mit seiner Frau in Hosen und einem +kostümierten Affen]: Meine Herren, meine Herren! Sehn Sie die Kreatur, +wie sie Gott gemacht: nix, gar nix. Sehn Sie jetzt die Kunst: geht +aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein' Säbel! Der Aff ist Soldat; s' +ist noch nicht viel, unterste Stuf von menschliche Geschlecht. Ho! +Mach Kompliment! So - bist Baron. Gib Kuß! - [Er trompetet:] Wicht ist +musikalisch. - Meine Herren, hier ist zu sehen das astronomische Pferd +und die kleine Kanaillevögele. Sind Favorit von alle gekrönte Häupter +Europas, verkündigen den Leuten alles: wie alt, wieviel Kinder, was +für Krankheit. Die Repräsentationen anfangen! Es wird sogleich sein +Commencement von Commencement. + +WOYZECK: Willst Du? + +MARIE: Meinetwegen. Das muß schön Ding sein. Was der Mensch Quasten +hat! Und die Frau Hosen! + +[Beide gehn in die Bude.] + +TAMBOURMAJOR: Halt, jetzt! Siehst du sie! Was ein Weibsbild! + +UNTEROFFIZIER: Teufel! Zum Fortpflanzen von Kürassierregimentern! + +TAMBOURMAJOR: Und zur Zucht von Tambourmajors! + +UNTEROFFIZIER: Wie sie den Kopf trägt! Man meint, das schwarze Haar +müßt' sie abwärts ziehn wie ein Gewicht. Und Augen - + +TAMBOURMAJOR: Als ob man in ein' Ziehbrunnen oder zu einem Schornstein +hinunter guckt. Fort, hintendrein! - + + + + Das Innere der hellerleuchteten Bude + +MARIE: Was Licht! + +WOYZECK: Ja, Marie, schwarze Katzen mit feurigen Augen. Hei, was ein +Abend! + +DER BUDENBESITZER [ein Pferd vorführend]: Zeig dein Talent! Zeig deine +viehische Vernünftigkeit! Beschäme die menschliche Sozietät! Meine +Herren, dies Tier, was Sie da sehn, Schwanz am Leib, auf seine vier +Hufe, ist Mitglied von alle gelehrt Sozietät, ist Professor an unsre +Universität, wo die Studente bei ihm reiten und schlagen lernen. - +Das war einfacher Verstand. Denk jetzt mit der doppelten Raison! Was +machst du, wann du mit der doppelten Raison denkst? Ist unter der +gelehrten Société da ein Esel? - [Der Gaul schüttelt den Kopf.] - Sehn +Sie jetzt die doppelte Raison? Das ist Viehsionomik. Ja, das ist kein +viehdummes Individuum, das ist ein Person, ein Mensch, ein tierischer +Mensch - und doch ein Vieh, ein Bête. - [Das Pferd führt sich +ungebührlich auf.] - So, beschäme die Société. Sehn Sie, das Vieh ist +noch Natur, unideale Natur! Lernen Sie bei ihm! Fragen Sie den Arzt, +es ist sonst höchst schädlich! Das hat geheißen: Mensch, sei +natürlich! Du bist geschaffen aus Staub, Sand, Dreck. Willst du mehr +sein als Staub, Sand, Dreck? - Sehn Sie, was Vernunft: es kann rechnen +und kann doch nit an den Fingern herzählen. Warum? Kann sich nur nit +ausdrücken, nur nit explizieren, ist ein verwandelter Mensch. Sag den +Herren, wieviel Uhr ist es! Wer von den Herren und Damen hat ein Uhr? +ein Uhr? + +UNTEROFFIZIER: Eine Uhr? - [Zieht großartig und gemessen eine Uhr aus +der Tasche:] Da, mein Herr! + +MARIE: Das muß ich sehn. - [Sie klettert auf den ersten Platz; +Unteroffizier hilft ihr.] + +TAMBOURMAJOR: Das ist ein Weibsbild. + + + + Mariens Kammer + +MARIE [sitzt, ihr Kind auf dem Schoß, ein Stückchen Spiegel in +der Hand]: Der andre hat ihm befohlen, und er hat gehen müssen! - +[Bespiegelt sich:] Was die Steine glänzen! Was sind's für? Was hat +er gesagt? - - Schlaf, Bub! Drück die Augen zu, fest! - [Das Kind +versteckt die Augen hinter den Händen.] - Noch fester! Bleib so - +still, oder er holt dich! - [Singt:] + Mädel, mach's Ladel zu + 's kommt e Zigeunerbu, + führt dich an deiner Hand + fort ins Zigeunerland. +[Spiegelt sich wieder.] - 's ist gewiß Gold! Wie wird mir's beim +Tanzen stehen? Unsereins hat nur ein Eckchen in der Welt und ein Stück +Spiegel, und doch hab ich ein' so roten Mund als die großen Madamen +mit ihrem Spiegeln von oben bis unten und ihren schönen Herrn, die +ihnen die Händ küssen. Ich bin nur ein arm Weibsbild! - [Das Kind +richtet sich auf.] - Still, Bub, die Augen zu! Das Schlafengelchen! +Wie's an der Wand läuft. - [Sie blinkt ihm mit dem Glas:] Die Auge zu, +oder es sieht dir hinein, daß du blind wirst! + +[Woyzeck tritt herein, hinter sie. Sie fährt auf, mit den Händen nach +den Ohren.] + +WOYZECK: Was hast du? + +MARIE: Nix. + +WOYZECK: Unter deinen Fingern glänzt's ja. + +MARIE: Ein Ohrringlein; hab's gefunden. + +WOYZECK: Ich hab' so noch nix gefunden, zwei auf einmal! + +MARIE: Bin ich ein Mensch? + +WOYZECK: 's ist gut, Marie. - Was der Bub schläft! Greif ihm unters +Ärmchen, der Stuhl drückt ihn. Die hellen Tropfen stehn ihm auf der +Stirn; alles Arbeit unter der Sonn, sogar Schweiß im Schlaf. Wir +arme Leut! - Da ist wieder Geld, Marie; die Löhnung und was von meim +Hauptmann. + +MARIE: Gott vergelt's, Franz. + +WOYZECK: Ich muß fort. Heut abend, Marie! Adies! + +MARIE [allein, nach einer Pause]: Ich bin doch ein schlechter Mensch! +Ich könnt' mich erstechen. - Ach, was Welt! Geht doch alle zum Teufel, +Mann und Weib! + + + + Beim Doktor + +[Woyzeck. Der Doktor.] + +DOKTOR: Was erleb' ich, Woyzeck? Ein Mann von Wort! + +WOYZECK: Was denn, Herr Doktor? + +DOKTOR: Ich hab's gesehn, Woyzeck; er hat auf die Straß gepißt, an +die Wand gepißt, wie ein Hund. - Und doch drei Groschen täglich und +die Kost! Woyzeck, das ist schlecht; die Welt wird schlecht, sehr +schlecht! + +WOYZECK: Aber, Herr Doktor, wenn einem die Natur kommt. + +DOKTOR: Die Natur kommt, die Natur kommt! Die Natur! Hab' ich nicht +nachgewiesen, daß der Musculus constrictor vesicae dem Willen +unterworfen ist? Die Natur! Woyzeck, der Mensch ist frei, in dem +Menschen verklärt sich die Individualität zur Freiheit. - Den Harn +nicht halten können! - [Schüttelt den Kopf, legt die Hände auf den +Rücken und geht auf und ab.] - Hat Er schon seine Erbsen gegessen, +Woyzeck? Nichts als Erbsen, cruciferae, merk Er sich's! Es gibt eine +Revolution in der Wissenschaft, ich sprenge sie in die Luft. Harnstoff +0,10, salzsaures Ammonium, Hyperoxydul - Woyzeck, muß Er nicht wieder +pissen? Geh Er einmal hinein und probier Er's! + +WOYZECK: Ich kann nit, Herr Doktor. + +DOKTOR [mit Affekt]: Aber an die Wand pissen! Ich hab's schriftlich, +den Akkord in der Hand! - Ich hab's gesehen, mit diesen Augen +gesehen; ich steckt' grade die Nase zum Fenster hinaus und ließ die +Sonnenstrahlen hineinfallen, um das Niesen zu beobachten. - [Tritt auf +ihn los:] Nein, Woyzeck, ich ärgre mich nicht; Ärger ist ungesund, ist +unwissenschaftlich. Ich bin ruhig, ganz ruhig; mein Puls hat +seine gewöhnlichen sechzig, und ich sag's Ihm mit der größten +Kaltblütigkeit. Behüte, wer wird sich über einen Menschen ärgern, +ein' Mensch! Wenn es noch ein Proteus wäre, der einem krepiert! Aber, +Woyzeck, Er hätte nicht an die Wand pissen sollen - + +WOYZECK: Sehn Sie, Herr Doktor, manchmal hat einer so 'en Charakter, +so 'ne Struktur. - Aber mit der Natur ist's was anders, sehn Sie; mit +der Natur - [er kracht mit den Fingern] -, das is so was, wie soll ich +sagen, zum Beispiel ... + +DOKTOR: Woyzeck, Er philosophiert wieder. + +WOYZECK [vertraulich]: Herr Doktor, haben Sie schon was von der +doppelten Natur gesehn? Wenn die Sonn in Mattag steht und es ist, als +ging' die Welt in Feuer auf, hat schon eine fürchterliche Stimme zu +mir geredt! + +DOKTOR: Woyzeck, Er hat eine Aberratio. + +WOYZECK [legt den Finger auf die Nase]: Die Schwämme, Herr Doktor, da, +da steckt's. Haben Sie schon gesehn, in was für Figuren die Schwämme +auf dem Boden wachsen? Wer das lesen könnt! + +DOKTOR: Woyzeck, Er hat die schönste Aberratio mentalis partialis, +die zweite Spezies, sehr schön ausgeprägt. Woyzeck, Er kriegt Zulage! +Zweite Spezies: fixe Idee mit allgemein vernünftigem Zustand. - Er tut +noch alles wie sonst? Rasiert seinen Hauptmann? + +WOYZECK: Jawohl. + +DOKTOR: Ißt seine Erbsen? + +WOYZECK: Immer ordentlich, Herr Doktor. Das Geld für die Menage kriegt +meine Frau. + +DOKTOR: Tut seinen Dienst? + +WOYZECK: Jawohl. + +DOKTOR: Er ist ein interessanter Kasus. Subjekt Woyzeck, Er kriegt +Zulage, halt Er sich brav. Zeig Er seinen Puls. Ja. + + + + Mariens Kammer + +[Marie. Tambourmajor.] + +TAMBOURMAJOR: Marie! + +MARIE [ihn ansehennd, mit Ausdruck]: Geh einmal vor dich hin! Über die +Brust wie ein Rind und ein Bart wie ein Löw. So ist keiner! - Ich bin +stolz vor allen Weibern! + +TAMBOURMAJOR: Wenn ich am Sonntag erst den großen Federbusch hab' und +die weiße Handschuh, Donnerwetter! Der Prinz sagt immer: Mensch, Er +ist ein Kerl. + +MARIE [spöttisch]: Ach was! - [Tritt vor ihn hin:] Mann! + +TAMBOURMAJOR: Und du bist auch ein Weibsbild! Sapperment, wir wollen +eine Zucht Tambourmajors anlegen. He? - [Er umfaßt sie.] + +MARIE [verstimmt]: Laß mich! + +TAMBOURMAJOR: Wild Tier! + +MARIE [heftig]: Rühr mich an! + +TAMBOURMAJOR: Sieht dir der Teufel aus den Augen? + +MARIE: Meinetwegen! Es ist alles eins! + + + + Straße + +[Hauptmann. Doktor. Hauptmann keucht die Straße herunter, hält an; +keucht, sieht sich um.] + +HAUPTMANN: Herr Doktor, rennen Sie nicht so! Rudern Sie mir Ihrem +Stock nicht so in der Luft! Sie hetzen sich ja hinter dem Tod drein. +Ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat, geht nicht so schnell. +Ein guter Mensch - [Er erwischt den Doktor am Rock:] Herr Doktor, +erlauben Sie, daß ich ein Menschenleben rette! + +DOKTOR: Pressiert, hh, pressiert! + +HAUPTMANN: Herr Doktor, ich bin so schwermütig, ich habe so was +Schwärmerisches; ich muß immer weinen, wenn ich meinen Rock an der +Wand hängen sehen -. + +DOKTOR: Hm! Aufgedunsen, fett, dicker Hals: apoplektische +Konstitution. Ja, Herr Hauptmann, Sie können eine Apoplexia cerebri +kriegen; Sie können sie aber vielleicht auch nur auf der einen Seite +bekommen und auf der einen gelähmt sein, oder aber Sie können im +besten Fall geistig gelähmt werden und nur fort vegetieren: das sind +so ohgefähr Ihre Aussichten auf die nächsten vier Wochen! Übrigens +kann ich Sie versichern, daß Sie einen von den interessanten Fällen +abgeben, und wenn Gott will, daß Ihre Zunge zum Teil gelähmt wird, so +machen wir unsterbliche Experimente. + +HAUPTMANN: Herr Doktor, erschrecken Sie mich nicht! Es sind schon +Leute am Schreck gestorben, am bloßen hellen Schreck. - Ich sehe schon +die Leute mit den Zitronen in den Händen; aber sie werden sagen, er +war ein guter Mensch, ein guter Mensch - Teufel Sargnagel! + +DOKTOR [hält ihm den Hut hin]: Was ist das, hh? - Das ist ein +Hohlkopf, geehrtester Herr Exerzierzagel! + +HAUPTMANN [macht eine Falte]: Was ist das, Herr Doktor? - Das ist +Einfalt, bester Herr Sargnagel! Hähähä! Aber nichts für ungut! Ich bin +ein guter Mensch, aber ich kann auch, wenn ich will, Herr Doktor, +hähähä, wenn ich will ... - [Woyzeck kommt und will vorbeieilen] - He, +Woyzeck, was hetzt Er sich so an uns vorbei. Bleib er doch, Woyzeck! +Er läuft ja wie ein offnes Rasiermesser durch die Welt, man schneidt +sich an Ihm; Er läuft, als hätt er ein Regiment Kastrierte zu rasieren +und würde gehenkt über dem längsten Haar noch vor dem Verschwinden. +Aber, über die langen Bärte - was wollt' ich doch sagen? Woyzeck: die +langen Bärte ... + +DOKTOR: Ein langer Bart unter dem Kinn, schon Plinius spricht davon, +man müßt es den Soldaten abgewöhnen ... + +HAUPTMANN [fährt fort]: Ha, über die langen Bärte! Wie is, Woyzeck, +hat Er noch nicht ein Haar aus einem Bart in seiner Schüssel gefunden? +He, Er versteht mich doch? Ein Haar eines Menschen, vom Bart eines +Sapeurs, eines Unteroffiziers, eines - eines Tambourmajors? He, +Woyzeck? Aber Er hat eine brave Frau. Geht Ihm nicht wie andern. + +WOYZECK: Jawohl! Was wollen Sie sagen, Herr Hauptmann? + +HAUPTMANN: Was der Kerl ein Gesicht macht! ... Vielleicht nun auch +nicht in der Suppe, aber wenn Er sich eilt und um die Eck geht, so +kann er vielleicht noch auf ein Paar Lippen eins finden. Ein Paar +Lippen, Woyzeck. Kerl, Er ist ja kreideweiß! + +WOYZECK: hh, ich bin ein armer Teufel - und hab's sonst nichts auf der +Welt. hh, wenn Sie Spaß machen - + +HAUPTMANN: Spaß ich? Daß dich Spaß, Kerl! + +DOKTOR: Den Puls, Woyzeck, den Puls! - Klein, hart, hüpfend, +unregelmäßig. + +WOYZECK: hh, die Erd is höllenheiß - mir eiskalt, eiskalt - Die Hölle +is kalt, wollen wir wetten. - - Unmöglich! Mensch! Mensch! Unmöglich! + +HAUPTMANN: Kerl, will Er - will Er ein paar Kugeln vor den Kopf haben? +Er ersticht mich mit seinen Augen, und ich mein' es gut mit Ihm, weil +Er ein guter Mensch ist, Woyzeck, ein guter Mensch. + +DOKTOR: Gesichtsmuskeln starr, gespannt, zuweilen hüpfend. Haltung +aufgeregt, gespannt. + +WOYZECK: Ich geh'. Es is viel möglich. Der Mensch! Es is viel möglich. +- Wir haben schön Wetter, hh. Sehn Sie, so ein schöner, fester, grauer +Himmel; man könnte Lust bekommen, ein' Kloben hineinzuschlagen und +sich daran zu hängen, nur wegen des Gedankenstriches zwischen Ja und +wieder Ja - und Nein. hh, Ja und Nein? Ist das Nein am Ja oder das +Ja am Nein schuld? Ich will darüber nachdenken. - [Geht mit breiten +Schritten ab, erst langsamer, dann immer schneller.] + +HAUPTMANN: Mir wird ganz schwindlig vor den Menschen. Wie schnell! +Der lange Schlingel greift aus, als läuft der Schatten von einem +Spinnbein, und der Kurze, das zuckelt. Der Lange ist der Blitz und der +Kleine der Donner. Haha ... Grotesk! grotesk! + + + + Mariens Kammer + +[Marie. Woyzeck.] + +WOYZECK [sieht sie starr an und schüttelt den Kopf]: Hm! Ich seh' +nichts, ich seh nichts. O man müßt's sehen, man müßt's greifen könne +mit Fäusten! + +MARIE [verschüchtert]: Was hast du, Franz? - Du bist hirnwütig, Franz. + +WOYZECK: Eine Sünde, so dick und so breit - es stinkt, daß man die +Engelchen zum Himmel hinausräuchern könnt'! Du hast ein' roten Mund, +Marie. Keine Blase drauf? Wie, Marie, du bist schön wie die Sünde - +kann die Totsünde so schön sein? + +MARIE: Franz, du redest im Fieber! + +WOYZECK: Teufel! - Hat er da gestanden? So? So? + +MARIE: Dieweil der Tag lang und die Welt alt is, können viele Menschen +an einem Platz stehen, einer nach dem andern. + +WOYZECK: Ich hab ihn gesehn! + +MARIE: Man kann viel sehn, wenn man zwei Auge hat und nicht blind is +und die Sonn scheint. + +WOYZECK: Mensch! - [Geht auf sie los.] + +MARIE: Rühr mich an, Franz! Ich hätt' lieber ein Messer in den Leib +als deine Hand auf meiner. Mein Vater hat mich nit anzugreifen gewagt, +wie ich zehn Jahre alt war, wenn ich ihn ansah. + +WOYZECK: Weib! - Nein, es müßte was an dir sein! Jeder Mensch ist ein +Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht. - Es wäre! Sie geht +wie die Unschuld. Nun, Unschuld, du hast ein Zeichen an dir. Weiß +ich's? Weiß ich's? Wer weiß es? - [Er geht.] + + + + Die Wachstube. + +[Woyzeck. Andres.] + +ANDRES [singt]: + Frau Wirtin hat ne brave Magd, + sie sitzt im Garten Tag und Nacht, + sie sitzt in ihrem Garten ... + +WOYZECK: Andres! + +ANDRES: Nu? + +WOYZECK: Schön Wetter. + +ANDRES: Sonntagswetter - Musik vor der Stadt. Vorhin - sind die +Weibsbilder hinaus; die Mensche dampfe, das geht! + +WOYZECK [unruhig]: Tanz, Andres, sie tanze! + +ANDRES: Im Rössel und in Sternen. + +WOYZECK: Tanz, Tanz! + +ANDRES: Meinetwege. + Sitzt in ihrem Garten, + bis dass das Glöcklein zwölfe schlägt, + und paßt auf die Solda-aten. + +WOYZECK: Andres, ich hab' kei Ruh. + +ANDRES: Narr! + +WOYZECK: Ich muß hinaus. Es dreht sich mir vor den Augen. Tanz, Tanz! +Wird sie heiße Händ habe! Verdammt, Andres! + +ANDRES: Was willst du? + +WOYZECK: Ich muß fort, muß sehen. + +ANDRES: Du Unfried! Wegen dem Mensch? + +WOYZECK: Ich muß hinaus, 's is so heiß dahie. + + + + Wirtshaus + +[Die Fenster offen, Tanz. Bänke vor dem Haus. Bursche.] + +ERSTER HANDSWERKSBURSCH: + Ich hab' ein Hemdlein an, das ist nicht mein; + meine Seele stinkt nach Branndewein - + +ZWEITER HANDWERKSBURSCH: Bruder, soll ich dir aus Freundschaft ein +Loch in die Natur machen? Vorwärts! Ich will ein Loch in die Natur +maehen! Ich bin auch ein Kerl, du weißt - ich will ihm alle Flöh am +Leib totschlagen. + +ERSTER HANDWERKSBURSCH: Meine Seele, meine Seele stinkt +nach Branndewein! - Selbst das Geld geht in Verwesung über! +Vergißmeinnicht, wie ist diese Welt so schön! Bruder, ich muß ein +Regenfaß voll greinen vor Wehmut. Ich wollt', unsre Nasen wären zwei +Bouteillen, und wir könnten sie uns einander in den Hals gießen. + +ANDRE [im Chor]: + Ein Jäger aus der Pfalz + ritt einst durch einen grünen Wald. + Halli, hallo, ha lustig ist die Jägerei + allhier auf grüner Heid. + Das Jagen is mei Freud. + +[Woyzeck stellt sich ans Fenster. Marie und der Tambourmajor tanzen +vorbei, ohne ihm zu bemerken.] + +WOYZECK: Er! Sie! Teufel! + +MARIE [im Vorbeitanzen]: Immer zu, imer zu - + +WOYZECK [erstickt]: Immer zu - Immer zu! - [Fährt heftig auf und +sinkt zurück auf die Bank:] Immer zu, immer zu! - [Schlägt die Hände +ineinander:] Dreht euch. wälzt euch! Warum bläst Gott nicht die Sonn +aus, daß alles in Unzucht sich übereinanderwälzt, Mann und Weib, +Mensch und Vieh?! Tut's am hellen Tag, tut's einem auf den Händen wie +die Mücken! - Weib! Das Weib is heiß, heiß! - Immer zu, immer zu! - +[Fährt auf:] Der Kerl, wie er an ihr herum greift, an ihrem Leib! Er, +er hat sie - wie ich zu Anfang. - [Er sinkt betäubt zusammen.] + +ERSTER HANDWERKSBURSCH [predigt auf dem Tisch]: Jedoch, wenn ein +Wandrer, der gelehnt steht an dem Strom der Zeit oder aber sich die +göttliche Weisheit beantwortet und sich anredet: Warum ist der Mensch? +Warum ist der Mensch? - Aber wahrlich, ich sage euch: Von was hätte +der Landmann, der Weißbinder, der Schuster, der Arzt leben sollen, +wenn Gott den Menschen nicht geschaffen hätte? Von was hätte der +Schneider leben sollen, wenn er dem Menschen nicht die Empfindung der +Scham eingepflanzt hätte, von was der Soldat, wenn er ihm nicht mit +dem Bedürfnis sich totzuschlagen ausgerüstet hätte? Darum zweifelt +nicht - ja, ja, es ist lieblich und fein, aber alles Irdische ist +übel, selbst das Geld geht in Verwesung über. Zum Beschluß, meine +geliebten Zuhörer, laßt uns noch übers Kreuz pissen, damit ein Jud +stirbt! + +[Unter allgemeinem Gejohle erwacht Woyzech und rast davon.] + + + + Freies Feld + +WOYZECK: Immer zu! Immer zu! Hisch, hasch! So gehn die Geigen und +die Pfeifen. - Immer zu! Immer zu! - Still, Musik! Was spricht da +unten? - Recht sich gegen den Boden: Ha, was, was sagt ihr? Lauterl +Lauter! Stich, stich die Zickwolfin tot? - Stich, stich die Zickwolfin +tot! - Soll ich! Muß ich? Hör' ich's da auch? - Sagt's der Wind auch? +- Hör' ich's immer, immer zu: stich tot, tot! + + + + Ein Zimmer in der Kaserne + +[Nacht. Andres und Woyzech in einem Bett.] + +WOYZECK [leise]: Andres! + +[Andres murmelt im Schlaf.] + +WOYZECK [schüttelt Andres]: He, Andres! Andres! + +ANDRES: Na was is? + +WOYZECK: Ich kann nit schlafen! Wenn ich die Aug zumach', dreht sich's +immer, und ich hör' die Geigen, immer zu, immer zu. Und dann spricht's +aus der Wand. Hörst du nix? + +ANDRES: Ja - laß sie tanze! Einer is müd, und dann Gott behüt uns, +amen. + +WOYZECK: Es redt lmmer: stich! stich! und zieht mir zwischen den +Augen wie ein Messer - + +ANDRES: Schlaf, Narr! - [Er schläft wieder ein.] + +WOYZECK: Immer zu! Immer zu! + + + + Der Hof des Doktors + +[Studenten und Woyzeck unten, der Doktor am Dachfenster.] + +DOKTOR: Meine Herren, ich bin auf dern Dach wie David, als er +die Bathseba sah; aber ich sehe nichts als die culs de Paris der +Mädchenpension im Garten trocknen. Meine Herren, wir sind an der +wichtigen Frage über das Verhältnis des Subjekts zum Objekt. Wenn +wir nur eins von den Dingen nehmen, worin sich die organische +Selbstaffirmation des Göttlichen, auf einem so hohen Standpunkte, +manifestiert, und ihre Verhältnisse zum Raum, zur Erde, zum +Planetarischen untersuchen, meine Herren, wenn ich diese Katze zum +Fenster hinauswerfe: wie wird diese Wesenheit sich zum centrum +gravitationis gemäß ihrem eigenen Instinkt verhalten? - He, Woyzeck - +[brüllt] -, Woyzeck! + +WOYZECK [fängt die Katze auf]: Herr Doktor, sie beißt! + +DOKTOR: Kerl, Er greift die Bestie so zärtlich an, als wär's seine +Großmutter. - [Er kommt herunter.] + +WOYZECK: Herr Doktor, ich hab's Zittern. + +DOKTOR [ganz erfreut]: Ei, ei! Schön, Woyzeck! - Reibt sich die Hände. +[Er nimmt die Katze:] Was seh' ich, meine Herren, die neue Spezies +Hasenlaus, eine schöne Spezies ... - [Er zieht eine Lupe heraus, +die Katze läuft fort.] - Meine Herren, das Tier hat keinen +wissenschaftlichen Instinkt ... Die können dafür was anders sehen. +Sehen Sie: der Mensch, seit einem Vierteljahr ißt er nichts als +Erbsen; bemerken Sie die Wirkung, fühlen Sie einmal: Was ein +ungleicher Puls! Der und die Augen! + +WOYZECK: Herr Doktor, es wird mir dunkel! - [Er setzt sich.] + +DOKTOR: Courage, Woyzeck! Noch ein paar Tage, und dann ist's fertig. +Fühlen Sie, meine Herren, fühlen Sie! - [Sie betasten ihm Schläfe, +Puls und Busen.] - Apropos, Woyzeck, beweg den Herren doch einmal die +Ohren! Ich hab' es Ihnen schon zeigen wollen, zwei Muskeln sind bei +ihm tätig. Allons, frisch! + +WOYZECK: Ach, Herr Doktor! + +DOKTOR: Bestie, soll ich dir die Ohren bewegen? Willst du's machen +wie die Katze? So, meine Herren! Das sind so Übergänge zum Esel, +häufig auch die Folge weiblicher Erziehung und die Muttersprache. +Wieviel Haare hat dir die Mutter zum Andenken schon ausgerissen aus +Zärtlichkeit? Sie sind dir ja ganz dünn geworden seit ein paar Tagen. +Ja, die Erbsen, meine Herren! + + + + Kasernenhof + +WOYZECK: Hast nix gehört? + +ANDRES: Er is da, noch mit einem Kameraden. + +WOYZECK: Er hat was gesagt. + +ANDRES: Woher weißt du's? Was soll ich's sagen? Nu, er lachte, und +dann sagt er: Ein köstlich Weibsbild! Die hat Schenkel, und alles so +heiß! + +WOYZECK [ganz kalt]: So, hat er das gesagt? Von was hat mir doch heut +nacht geträumt? War's nicht von einem Messer? Was man doch närrische +Träume hat! + +ANDRES: Wohin, Kamerad? + +WOYZECK: Meim Offizier Wein holen. - Aber, Andres, sie war dach ein +einzig Mädel. + +ANDRES: Wer war? + +WOYZECK: Nix. Adies! - [Ab.] + + + + Wirtshaus + +[Tambourmajor. Woyzeck. Leute.] + +TAMBOURMAJOR: Ich bin ein Mann! - [Schlägt sich auf die Brust:] Ein +Mann, sag' ich. Wer will was? Wer kein be- soffner Herrgott ist, der +laß sich von mir. Ich will ihn die Nas ins Arschloch prügeln! Ich +will - [Zu Woyzeck:] Du Kerl, sauf! Ich wollt' die Welt wär' Schnaps, +Schnaps - der Mann muß saufen! - [Woyzech pfeift.] - Kerl, soll ich +dir die Zung aus dem Hals ziehn und sie um den Leib herumwickeln? - +Sie ringen, Woyzeck verliert. - Soll ich dir noch so viel Atem lassen +als 'en Altweiberfurz, soll ich? - [Woyzech setzt sich erschöpft +zitternd auf eine Bank.] - Der Kerl soll dunkelblau pfeifen. + Branndewein, das ist mein Leben; + Branndwein gibt Courage! + +EINE: Der hat sein Fett. + +ANDRE: Er blut'. + +WOYZECK: Eins nach dem andern. + + + + Kramladen + +[Woyzeck. Der Jude.] + +WOYZECK: Das Pistolchen ist zu teuer. + +JUDE: Nu, kauft's oder kauft's nit, was is? + +WOYZECK: Was kost' das Messer? + +JUDE: 's ist ganz grad. Wollt Ihr Euch den Hals mit abschneiden? Nu, +was is es? Ich geb's Euch so wohlfeil wie ein andrer. Ihr sollt Euern +Tod wohlfeil haben, aber doch nit umsonst. Was is es? Er soll ein +ökonomischer Tod haben. + +WOYZECK: Das kann mehr als Brot schneiden - + +JUDE: Zwee Grosche. + +WOYZECK: Da! - Geht ab. + +JUDE: Da! Als ob's nichts wär! Und es is doch Geld. - Du Hund! + + + + Mariens Kammer + +NARR [liegt und erzählt sich Märchen an den Fingern]: Der hat die +goldne Kron, der Herr König ... Morgen hol' ich der Frau Königin ihr +Kind ... Blutwurst sagt: komm, Leber- wurst ... + +MARIE [blättert in der Bibel]: "Und ist kein Betrug in seinem Munde +erfunden": ... Herrgott, Herrgott! Sieh mich nicht an! - [Blättert +weiter:] "Aber die Pharisäer brachten ein Weib zu ihm, im Ehebruch +begriffen, und stelleten sie ins Mittel dar ... Jesus aber sprach: +So verdamme ich dich auch nicht. Geh hin und sündige hinfort nicht +mehr!" - [Schlägt die Hände zusammen:] Hergott! Hergott! Ich kann +nicht! - Herrgott, gib mir nur so viel, daß ich beten kann. - [Das +Kind drängt sich an sie.] - Das Kind gibt mir einen Stich ins Herz. +- [Zum Narrn:] Karl! Das brüst' sich in der Sonne! - [Narr nimmt das +Kind und wird still.] - Der Franz ist nit gekommen, gestern nit, +heut nit. Es wird heiß hier! - [Sie macht das Fenster auf und liest +wieder:] "Und trat hinten zu seinen Füßen und weinete, und fing an, +seine Füße zu netzen mit Tränen und mit den Haaren ihres Hauptes +zu trocknen, und küssete seine Füße und salbete sie mit Salbe ..." +[Schlägt sich auf die Brust:] Alles tot! Heiland! Heiland! ich möchte +dir die Füße salben! - + + + + Kaserne + +[Andres. Woyzeck kramt in seinen Sachen.] + +WOYZECK: Das Kamisolchen, Andres, ist nit zur Montur: du kannst's +brauchen, Andres. + +ANDRES [ganz starr, sagt zu allem]: Jawohl. + +WOYZECK: Das Kreuz meiner Schwester und das Ringlein. + +ANDRES: Jawohl. + +WOYZECK: Ich hab' auch noch ein Heiligen, zwei Herze und schön Gold - +es lag in meiner Mutter Bibel, und da steht: + Herr, wie dein Leib war rot und wund, + so laß mein Herz sein aller Stund. +Mein Mutter fühlt nur noch, wenn ihr die Sonn auf die Händ scheint - +das tut nix. + +ANDRES: Jawohl. + +WOYZECK [zieht ein Papier hervor]: Friedrich Johann Franz Woyzeck, +Wehrmann, Füsilier im 2. Regiment, 2. Bataillion 4. Kompanie, geboren +Mariä Verkündigung, den 20. Juli. - Ich bin heut alt 30 Jahr, 7 Monat +und 12 Tage. + +ANDRES: Franz, du kommst ins Lazarett. Armer, du mußt Schnaps trinken +und Pulver drin, das töt' das Fieber. + +WOYZECK: Ja, Andres, wenn ein Schreiner die Hobelspäne sammelt, es +weiß niemand, wer seinen Kopf drauflegen wird. + + + + Straße + +[Marie mit Mädchen vor der Haustür, Großmutter; später Woyzeck] + +MÄDCHEN: + Wie scheint die Sonn am Lichtmeßtag + und steht das Korn im Blühn. + Sie gingen wohl die Wiese hin, + sie gingen zu zwein und zwein. + Die Pfeifer gingen voran, + die Geiger hinterdrein, + sie hatten rote Socken an ... + +ERSTES KIND: Das ist nit schön. + +ZWEITES KIND: Was willst du auch immer! + +ERSTES KIND: Marie, sing du uns! + +MARIE: Ich kann nit. + +ERSTES KIND: Warum? + +MARIE: Darum. + +ZWEITES KIND: Aber warum darum? + +DRITTES KIND: Großmutter, erzähl! + +GROSSMUTTER: Kommt, ihr kleinen Krabben! - Es war einmal ein arm Kind +und hatt' kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand +mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag +und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt's in Himmel +gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum +Mond kam, war's ein Stück faul Holz. Und da is es zur Sonn gangen, und +wie es zur Sonn kam, war's ein verwelkt Sonneblum. Und wie's zu den +Sternen kam, waren's kleine goldne Mücken, die waren angesteckt, wie +der Neuntöter sie auf die Schlehen steckt. Und wie's wieder auf die +Erde wollt, war die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es war ganz +allein. Und da hat sich's hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch +und is ganz allein. + +WOYZECK [erscheint]: Marie! + +MARIE [erschreckt]: Was is? + +WOYZECK: Marie, wir wollen gehn. 's is Zeit. + +MARIE: Wohin? + +WOYZECK: Weiß ich's? + + + + Waldsaum am Teich + +[Marie und Woyzeck.] + +MARIE: Also dort hinaus is die Stadt. 's is finster. + +WOYZECK: Du sollst noch bleiben. Komm, setz dich! + +MARIE: Aber ich muß fort. + +WOYZECK: Du wirst dir die Füße nit wund laufe. + +MARIE: Wie bist du nur auch! + +WOYZECK: Weißt du auch, wie lang es jetzt is, Marie? + +MARIE: Am Pfingsten zwei Jahr. + +WOYZECK: Weißt du auch, wie lang es noch sein wird? + +MARIE: Ich muß fort, das Nachtessen richten. + +WOYZECK: Friert's dich, Marie? Und doch bist du warm. Was du heiße +Lippen hast! Heiß, heißen Hurenatem! Und doch möcht' ich den Himmel +geben, sie noch einmal zu küssen. - Friert's dich? Wenn man kalt is, +so friert man nicht mehr. Du wirst vom Morgentau nicht frieren. + +MARIE: Was sagst du? + +WOYZECK: Nix. + +[Schweigen.] + +MARIE: Was der Mond rot aufgeht! + +WOYZECK: Wie ein blutig Eisen. + +MARIE: Was hast du vor, Franz, du bist so blaß. - [Er holt mit dem +Messer aus.] - Franz halt ein! Um des Himmels willen, Hilfe, Hilfe! + +WOYZECK [sticht drauflos:] Nimm das und das! Kannst du nicht sterben? +So! So! - Ha, sie zuckt noch; noch nicht? Noch nicht? Immer noch. - +[Stößt nochmals zu.] - Bist du tot! Tot! Tot! - [Er läßt das Messer +fallen und läuft weg.] + + + + Das Wirtshaus + +WOYZECK: Tanzt alle, immer zu! Schwitzt und stinkt! Er holt euch doch +einmal alle! - [Singt:] + Ach. Tochter, lieb Tochter + was hast du gedenkt, + daß du dich an die Landkutscher + und die Fuhrleut haßt gehenkt. +[Er tanzt:] So, Käthe, setz dich! Ich hab' heiß heiß! - [Er zieht den +Rock aus.] - Es ist einmal so, der Teufel holt die eine und läßt die +andre laufen. Käthe, du bist heiß! Warum denn? Käthe, du wirst auch + noch kalt werden. Sei vernünftig. - Kannst du nicht singen? + +KÄTHE [singt]: + Ins Schwabenland, das mag ich nicht, + und lange Kleider trag' ich nicht, + denn lange Kleider, spitze Schuh, + die kommen keiner Dienstmagd zu. + +WOYZECK: Nein, keine Schuh, man kann auch ohne Schuh in die Höll +gehn. + +KÄTHE [singt]: + O pfui mein Schatz, das war nicht fein, + behalt dein Taler und schlaf allein. + +WOYZECK: Ja, wahrhaftig, ich möcte mich nicht blutig machen. + +KÄTHE: Aber was hast du an deiner Hand? + +WOYZECK: Ich? Ich? + +KÄTHE: Rot! Blut! + +[Es stellen sich Leute um sie.] + +WOYZECK: Blut? Blut? + +WIRT: Uu - Blut! + +WOYZECK: Ich glaub', ich hab' mich geschnitten, da an der rechten +Hand. + +WIRT: Wie kommt's aber an den Ellenbogen? + +WOYZECK: Ich hab's abgewischt. + +WIRT: Was, mit der rechten Hand an den rechten Ellenbogen Ihr seid +geschickt! + +NARR: Und da hat der Ries gesagt: Ich riech', ich riech' +Menschenfleisch. Puh, das stinkt schon! + +WOYZECK: Teufel, was wollt ihr? Was geht's euch an? Platz, oder der +erste - Teufel! Meint ihr, ich hätt' jemand umgebracht? Bin ich ein +Mörder? Was gafft ihr? Guckt euch selbst an! Platz da! - [Er läuft +hinaus.] + + + + Am Teich + +WOYZECK [allein]: Das Messer? Wo ist das Messer? Ich hab' es da +gelassen. Es verrät mich! Näher, noch näher! Was is das für ein +Platz? Was hör' ich? Es rührt sich was. Still. - Da in der Nähe. +Marie? Ha, Marie! Still. Alles still! Was bist du so bleich, Marie? +Was hast du eine rote Schnur um den Hals? Bei wem hast du das Halsband +verdient mit deinen Sünden? Du warst schwarz davon, schwarz! Hab' ich +dich gebleicht? Was hängen deine Haare so wild? Hast du deine Zöpfe +heute nicht geflochten? ... - Das Messer, das Messer! Hab' ich's? +So! - [Er läuft zum Wasser.] So, da hinunter! - [Er wirft das Messer +hinein.] - Es taucht in das dunkle Wasser wie ein Stein. - Nein, es +liegt zu weit vorn, wenn sie sich baden. - [Er geht in den Teich und +wirft weit.] - So, jetzt - aber im Sommer, wenn sie tauchen nach +Muscheln? - Bah, es wird rostig, wer kann's erkennen. - Hätt' ich es +zerbrochen! - - Bin ich noch blutig? Ich muß mich waschen. Da ein +Fleck, und da noch einer ... + +[Es kommen Leute.] + +ERSTE PERSON: Halt! + +ZWEITE PERSON: Hörst du? Still! Dort! + +ERSTE: Uu! Da! Was ein Ton! + +ZWEITE: Es ist das Wasser, es ruft: Schon lang ist niemand ertrunken. +Fort! Es ist nicht gut, es zu hören! + +ERSTE: Uu! Jetzt wieder! - Wie ein Mensch, der stirbt! + +ZWEITE: Es ist unheimlich! So dunstig, allenthalben Nebelgrau - und +das Summen der Käfer wie gesprungne Glocken. Fort! + +ERSTE: Nein. zu deutlich, zu laut! Da hinauf! Komm mit! + + + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Woyzeck, by Georg Buchner + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WOYZECK *** + +***** This file should be named 5322-0.txt or 5322-0.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/5/3/2/5322/ + +Produced by Gunther Olesch from a Project Gutenberg of DE +source file created by Erik Pischel + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Woyzeck + +Author: Georg Buchner + +Release Date: March, 2004 [EBook #5322] +[This file was first posted on July 1, 2002] +[Last updated on November 7, 2013] + +Language: English + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WOYZECK *** + + + + +Produced by Gunther Olesch from a Project Gutenberg of DE +source file created by Erik Pischel + + + + + + + +Woyzeck + +Georg Büchner + + + +Vorbemerkung + +Dieses Stück ist ein Fragment. Es gibt keine einzig richtige +Reihenfolge der einzelnen Szenen, denn sie sind weder nummeriert noch +in Akte aufgeteilt. + +Die hier vorliegende Reihenfolge stimmt mit der Verfilmung mit Klaus +Kinski in der Hauptrolle überein, vom Ende vielleicht einmal +abgesehen. + +Das Stück spielt in Darmstadt, die Figuren sprechen größtenteils in +dortigem Dialekt. Deshalb haben im Hochdeutschen grammatikalisch +falsche Konstruktionen hier seine Richtigkeit. + + + + +Personen + +Woyzeck +Marie +Hauptmann +Doktor +Tamboumajour +Unteroffizier +Andres +Margret +Budenbesitzer +Marktschreier +Alter Mann mit Leierkasten +Jude +Wirt +Erster Handwerksbursch +Zweiter Handwerksbursch +Käthe +Narr Karl +Grossmutter +Erstes, zweites, drittes Kind +erste, zweite Person +Polizeikommissar + +Soldaten. Studenten. Burschen und Mädchen +Kinder. Volk + + + +Woyzeck + + Beim Hauptmann + +[Hauptmann auf dem Stuhl, Woyzeck rasiert ihn.] + +HAUPTMANN: Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern! Er macht +mir ganz schwindlig. Was soll ich dann mit den 10 Minuten anfangen, +die Er heut zu früh fertig wird? Woyzeck, bedenk Er, Er hat noch seine +schönen dreißig Jahr zu leben, dreißig Jahr! Macht dreihundertsechzig +Monate! und Tage! Stunden! Minuten! Was will Er denn mit der +ungeheuren Zeit all anfangen? Teil Er sich ein, Woyzeck! + +WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann. + +HAUPTMANN: Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die +Ewigkeit denke. Beschäftigung, Woyzeck, Beschäftigung! Ewig: das ist +ewig, das ist ewig - das siehst du ein; nur ist es aber wieder nicht +ewig, und das ist ein Augenblick, ja ein Augenblick - Woyzeck, es +schaudert mich, wenn ich denke, daß sich die Welt in einem Tag +herumdreht. Was 'n Zeitverschwendung! Wo soll das hinaus? Woyzeck, ich +kann kein Mühlrad mehr sehen, oder ich werd melancholisch. + +WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann. + +HAUPTMANN: Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt aus! Ein guter Mensch +tut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. - Red er +doch was Woyzeck! Was ist heut für Wetter? + +WOYZECK: Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm: Wind! + +HAUPTMANN: Ich spür's schon. 's ist so was Geschwindes draußen: so ein +Wind macht mir den Effekt wie eine Maus. - [Pfiffig:] Ich glaub', wir +haben so was aus Süd-Nord? + +WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann. + +HAUPTMANN: Ha, ha ha! Süd-Nord! Ha, ha, ha! Oh, Er ist dumm, ganz +abscheulich dumm! - [Gerührt:] Woyzeck, Er ist ein guter Mensch +--aber-- [Mit Würde:] Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, +wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort. Er hat ein +Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hocherwürdiger Herr +Garnisionsprediger sagt - ohne den Segen der Kirche, es ist nicht +von mir. + +WOYZECK: Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum +ansehen, ob das Amen drüber gesagt ist, eh er gemacht wurde. Der Herr +sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen. + +HAUPTMANN: Was sagt Er da? Was ist das für eine kuriose Antwort? Er +macht mich ganz konfus mit seiner Antwort. Wenn ich sag': Er, so mein' +ich Ihn, Ihn - + +WOYZECK: Wir arme Leut - Sehn Sie, Herr Hauptmann: Geld, Geld! Wer +kein Geld hat - Da setz einmal eines seinesgleichen auf die Moral +in der Welt! Man hat auch sein Fleisch und Blut. Unsereins ist doch +einmal unselig in der und der andern Welt. Ich glaub', wenn wir in +Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen. + +HAUPTMANN: Woyzeck, Er hat keine Tugend! Er ist kein tugendhafter +Mensch! Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg', wenn's geregnet +hat, und den weißen Strümpfen nachseh', wie sie über die Gassen +springen - verdammt, Woyzeck, da kommt mir die Liebe! Ich hab' auch +Fleisch und Blut. Aber, Woyzeck, die Tugend! Die Tugend! Wie sollte +ich dann die Zeit rumbringen? Ich sag' mir immer: du bist ein +tugendhafter Mensch - [gerührt:] -, ein guter Mensch, ein guter +Mensch. + +WOYZECK: Ja, Herr Hauptmann, die Tugend - ich hab's noch nit so aus. +Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt nur so die +Natur; aber wenn ich ein Herr wär und hätt' ein' Hut und eine Uhr und +eine Anglaise und könnt' vornehm rede, ich wollt' schon tugendhaft +sein. Es muß was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich +bin ein armer Kerl! + +HAUPTMANN: Gut, Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. +Aber du denkst zuviel, das zehrt; du siehst immer so verhetzt aus. - +Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh jetzt, und renn nicht so; +langsam, hübsch langsam die Straße hinunter! + + + + Freies Feld, die Stadt in der Ferne + +[Woyzeck und Andres schneiden Stecken im Gebüsch. Andres pfeift.] + +WOYZECK: Ja, Andres, der Platz ist verflucht. Siehst Du den lichten +Streif da über das Gras hin, wo die Schwämme so nachwachsen? Da rollt +abends der Kopf. Es hob ihn einmal einer auf, er meint', es wär ein +Igel: drei Tag und drei Nächt, er lag auf den Hobelspänen. - [Leise:] +Andres, das waren die Freimaurer! Ich hab's, die Freimaurer! + +ANDRES [singt]: + Saßen dort zwei Hasen, + fraßen ab das grüne, grüne Gras... + +WOYZECK: Still: Hörst du's, Andres? Hörst du's? Es geht was! + +ANDRES: + Fraßen ab das grüne, grüne Gras... + bis auf den grünen Rasen. + +WOYZECK: Es geht hinter mir, unter mir. - [Stampft auf den Boden:] +Hohl, hörst Du? Alles hohl da unten! Die Freimaurer! + +ANDRES: Ich fürcht' mich. + +WOYZECK: 's ist so kurios still. Man möcht' den Atem halten. - Andres! + +ANDRES: Was? + +WOYZECK: Red was! - [Starrt in die Gegend.] - Andres, wie hell! Über +der Stadt is alles Glut! Ein Feuer fährt um den Himmel und ein Getös +herunter wie Posaunen. Wie's heraufzieht! - Fort! Sieh nicht hinter +dich! - [Reißt ihn ins Gebüsch.] + +ANDRES [nach einer Pause]: Woyzeck, hörst du's noch? + +WOYZECK: Still, alles still, als wär' die Welt tot. + +ANDRES: Hörst du? Sie trommeln drin. Wir müssen fort! + + + + Die Stadt + +[Marie mit ihrem Kind am Fenster. Margret. Der Zapfenstreich geht +vorbei, der Tambourmajor voran.] + +MARIE [das Kind wippend auf dem Arm]: He, Bub! Sa ra ra ra! Hörst? Da +kommen Sie! + +MARGRET: Was ein Mann, wie ein Baum! + +MARIE: Er steht auf seinen Füßen wie ein Löw. + +[Tambourmajor grüßt.] + +MARGRET: Ei, was freundliche Auge, Frau Nachbarin! So was is man an +ihr nit gewöhnt. + +MARIE [singt]: Soldaten, das sind schöne Bursch ... + +MARGRET: Ihre Auge glänze ja noch - + +MARIE: Und wenn! Trag Sie Ihr Aug zum Jud, und laß Sie sie putze; +vielleicht glänze sie noch, daß man sie für zwei Knöpfe verkaufen +könnt. + +MARGRET: Was, Sie? Sie? Frau Jungfer! Ich bin eine honette Person, +aber Sie, es weiß jeder, Sie guckt sieben Paar lederne Hose durch! + +MARIE: Luder! - [Schlägt das Fenster durch.] - Komm, mei Bub! Was die +Leute wolle. Bist doch nur ein arm Hurenkind und machst deiner Mutter +Freud mit deim unehrlichen Gesicht! Sa! sa! - [Singt] + Mädel, was fangst Du jetzt an? + Hast ein klein Kind und kein' Mann! + Ei, was frag' ich danach? + Sing' ich die ganze Nacht + heio, popeio, mei Bu, juchhe! + Gibt mir kein Mensch nix dazu. + +[Es klopft am Fenster.] + +MARIE: Wer da? Bist du's, Franz? Komm herein! + +WOYZECK: Kann nit. Muß zum Verles'. + +MARIE: Hast du Stecken geschnitten für den Hauptmann? + +WOYZECK: Ja, Marie. + +MARIE: Was hast du, Franz? Du siehst so verstört. + +WOYZECK [geheimnisvoll]: Marie, es war wieder was, viel - steht nicht +geschrieben: Und sie, da ging ein Rauch vom Land, wie der Rauch vom +Ofen? + +MARIE: Mann! + +WOYZECK: Es ist hinter mir hergangen bis vor die Stadt. Etwas, was +wir nicht fassen, begreifen, was uns von Sinnen bringt. Was soll das +werden? + +MARIE: Franz! + +WOYZECK: Ich muß fort. - Heut abend auf die Meß! Ich hab wieder +gespart. - [Er geht.] + +MARIE: Der Mann! So vergeistert. Er hat sein Kind nicht angesehn! +Er schnappt noch über mit den Gedanken! - Was bist so still, Bub? +Furchtest dich? Es wird so dunkel; man meint, man wär' blind. Sonst +scheint als die Latern herein. Ich halt's nit aus; es schauert mich! - +[Geht ab.] + + + + Buden. Lichter. Volk + +ALTER MANN [singt und Kind tanzt zum Leierkasten]: + Auf der Welt ist kein Bestand, + Wir müssen alle sterben, + das ist uns wohlbekannt. + +WOYZECK: Hei, Hopsa's! - Armer Mann, alter Mann! Armes Kind, junges +Kind! Sorgen und Feste! + +MARIE: Mensch, sind noch die Narrn von Verstande, dann ist man selbst +ein Narr. - Komische Welt! Schöne Welt! + +[Beide gehn weiter zum Marktschreier.] + +MARKTSCHREIER [vor seiner Bude mit seiner Frau in Hosen und einem +kostümierten Affen]: Meine Herren, meine Herren! Sehn Sie die Kreatur, +wie sie Gott gemacht: nix, gar nix. Sehn Sie jetzt die Kunst: geht +aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein' Säbel! Der Aff ist Soldat; s' +ist noch nicht viel, unterste Stuf von menschliche Geschlecht. Ho! +Mach Kompliment! So - bist Baron. Gib Kuß! - [Er trompetet:] Wicht ist +musikalisch. - Meine Herren, hier ist zu sehen das astronomische Pferd +und die kleine Kanaillevögele. Sind Favorit von alle gekrönte Häupter +Europas, verkündigen den Leuten alles: wie alt, wieviel Kinder, was +für Krankheit. Die Repräsentationen anfangen! Es wird sogleich sein +Commencement von Commencement. + +WOYZECK: Willst Du? + +MARIE: Meinetwegen. Das muß schön Ding sein. Was der Mensch Quasten +hat! Und die Frau Hosen! + +[Beide gehn in die Bude.] + +TAMBOURMAJOR: Halt, jetzt! Siehst du sie! Was ein Weibsbild! + +UNTEROFFIZIER: Teufel! Zum Fortpflanzen von Kürassierregimentern! + +TAMBOURMAJOR: Und zur Zucht von Tambourmajors! + +UNTEROFFIZIER: Wie sie den Kopf trägt! Man meint, das schwarze Haar +müßt' sie abwärts ziehn wie ein Gewicht. Und Augen - + +TAMBOURMAJOR: Als ob man in ein' Ziehbrunnen oder zu einem Schornstein +hinunter guckt. Fort, hintendrein! - + + + + Das Innere der hellerleuchteten Bude + +MARIE: Was Licht! + +WOYZECK: Ja, Marie, schwarze Katzen mit feurigen Augen. Hei, was ein +Abend! + +DER BUDENBESITZER [ein Pferd vorführend]: Zeig dein Talent! Zeig deine +viehische Vernünftigkeit! Beschäme die menschliche Sozietät! Meine +Herren, dies Tier, was Sie da sehn, Schwanz am Leib, auf seine vier +Hufe, ist Mitglied von alle gelehrt Sozietät, ist Professor an unsre +Universität, wo die Studente bei ihm reiten und schlagen lernen. - +Das war einfacher Verstand. Denk jetzt mit der doppelten Raison! Was +machst du, wann du mit der doppelten Raison denkst? Ist unter der +gelehrten Société da ein Esel? - [Der Gaul schüttelt den Kopf.] - Sehn +Sie jetzt die doppelte Raison? Das ist Viehsionomik. Ja, das ist kein +viehdummes Individuum, das ist ein Person, ein Mensch, ein tierischer +Mensch - und doch ein Vieh, ein Bête. - [Das Pferd führt sich +ungebührlich auf.] - So, beschäme die Société. Sehn Sie, das Vieh ist +noch Natur, unideale Natur! Lernen Sie bei ihm! Fragen Sie den Arzt, +es ist sonst höchst schädlich! Das hat geheißen: Mensch, sei +natürlich! Du bist geschaffen aus Staub, Sand, Dreck. Willst du mehr +sein als Staub, Sand, Dreck? - Sehn Sie, was Vernunft: es kann rechnen +und kann doch nit an den Fingern herzählen. Warum? Kann sich nur nit +ausdrücken, nur nit explizieren, ist ein verwandelter Mensch. Sag den +Herren, wieviel Uhr ist es! Wer von den Herren und Damen hat ein Uhr? +ein Uhr? + +UNTEROFFIZIER: Eine Uhr? - [Zieht großartig und gemessen eine Uhr aus +der Tasche:] Da, mein Herr! + +MARIE: Das muß ich sehn. - [Sie klettert auf den ersten Platz; +Unteroffizier hilft ihr.] + +TAMBOURMAJOR: Das ist ein Weibsbild. + + + + Mariens Kammer + +MARIE [sitzt, ihr Kind auf dem Schoß, ein Stückchen Spiegel in +der Hand]: Der andre hat ihm befohlen, und er hat gehen müssen! - +[Bespiegelt sich:] Was die Steine glänzen! Was sind's für? Was hat +er gesagt? - - Schlaf, Bub! Drück die Augen zu, fest! - [Das Kind +versteckt die Augen hinter den Händen.] - Noch fester! Bleib so - +still, oder er holt dich! - [Singt:] + Mädel, mach's Ladel zu + 's kommt e Zigeunerbu, + führt dich an deiner Hand + fort ins Zigeunerland. +[Spiegelt sich wieder.] - 's ist gewiß Gold! Wie wird mir's beim +Tanzen stehen? Unsereins hat nur ein Eckchen in der Welt und ein Stück +Spiegel, und doch hab ich ein' so roten Mund als die großen Madamen +mit ihrem Spiegeln von oben bis unten und ihren schönen Herrn, die +ihnen die Händ küssen. Ich bin nur ein arm Weibsbild! - [Das Kind +richtet sich auf.] - Still, Bub, die Augen zu! Das Schlafengelchen! +Wie's an der Wand läuft. - [Sie blinkt ihm mit dem Glas:] Die Auge zu, +oder es sieht dir hinein, daß du blind wirst! + +[Woyzeck tritt herein, hinter sie. Sie fährt auf, mit den Händen nach +den Ohren.] + +WOYZECK: Was hast du? + +MARIE: Nix. + +WOYZECK: Unter deinen Fingern glänzt's ja. + +MARIE: Ein Ohrringlein; hab's gefunden. + +WOYZECK: Ich hab' so noch nix gefunden, zwei auf einmal! + +MARIE: Bin ich ein Mensch? + +WOYZECK: 's ist gut, Marie. - Was der Bub schläft! Greif ihm unters +Ärmchen, der Stuhl drückt ihn. Die hellen Tropfen stehn ihm auf der +Stirn; alles Arbeit unter der Sonn, sogar Schweiß im Schlaf. Wir +arme Leut! - Da ist wieder Geld, Marie; die Löhnung und was von meim +Hauptmann. + +MARIE: Gott vergelt's, Franz. + +WOYZECK: Ich muß fort. Heut abend, Marie! Adies! + +MARIE [allein, nach einer Pause]: Ich bin doch ein schlechter Mensch! +Ich könnt' mich erstechen. - Ach, was Welt! Geht doch alle zum Teufel, +Mann und Weib! + + + + Beim Doktor + +[Woyzeck. Der Doktor.] + +DOKTOR: Was erleb' ich, Woyzeck? Ein Mann von Wort! + +WOYZECK: Was denn, Herr Doktor? + +DOKTOR: Ich hab's gesehn, Woyzeck; er hat auf die Straß gepißt, an +die Wand gepißt, wie ein Hund. - Und doch drei Groschen täglich und +die Kost! Woyzeck, das ist schlecht; die Welt wird schlecht, sehr +schlecht! + +WOYZECK: Aber, Herr Doktor, wenn einem die Natur kommt. + +DOKTOR: Die Natur kommt, die Natur kommt! Die Natur! Hab' ich nicht +nachgewiesen, daß der Musculus constrictor vesicae dem Willen +unterworfen ist? Die Natur! Woyzeck, der Mensch ist frei, in dem +Menschen verklärt sich die Individualität zur Freiheit. - Den Harn +nicht halten können! - [Schüttelt den Kopf, legt die Hände auf den +Rücken und geht auf und ab.] - Hat Er schon seine Erbsen gegessen, +Woyzeck? Nichts als Erbsen, cruciferae, merk Er sich's! Es gibt eine +Revolution in der Wissenschaft, ich sprenge sie in die Luft. Harnstoff +0,10, salzsaures Ammonium, Hyperoxydul - Woyzeck, muß Er nicht wieder +pissen? Geh Er einmal hinein und probier Er's! + +WOYZECK: Ich kann nit, Herr Doktor. + +DOKTOR [mit Affekt]: Aber an die Wand pissen! Ich hab's schriftlich, +den Akkord in der Hand! - Ich hab's gesehen, mit diesen Augen +gesehen; ich steckt' grade die Nase zum Fenster hinaus und ließ die +Sonnenstrahlen hineinfallen, um das Niesen zu beobachten. - [Tritt auf +ihn los:] Nein, Woyzeck, ich ärgre mich nicht; Ärger ist ungesund, ist +unwissenschaftlich. Ich bin ruhig, ganz ruhig; mein Puls hat +seine gewöhnlichen sechzig, und ich sag's Ihm mit der größten +Kaltblütigkeit. Behüte, wer wird sich über einen Menschen ärgern, +ein' Mensch! Wenn es noch ein Proteus wäre, der einem krepiert! Aber, +Woyzeck, Er hätte nicht an die Wand pissen sollen - + +WOYZECK: Sehn Sie, Herr Doktor, manchmal hat einer so 'en Charakter, +so 'ne Struktur. - Aber mit der Natur ist's was anders, sehn Sie; mit +der Natur - [er kracht mit den Fingern] -, das is so was, wie soll ich +sagen, zum Beispiel ... + +DOKTOR: Woyzeck, Er philosophiert wieder. + +WOYZECK [vertraulich]: Herr Doktor, haben Sie schon was von der +doppelten Natur gesehn? Wenn die Sonn in Mattag steht und es ist, als +ging' die Welt in Feuer auf, hat schon eine fürchterliche Stimme zu +mir geredt! + +DOKTOR: Woyzeck, Er hat eine Aberratio. + +WOYZECK [legt den Finger auf die Nase]: Die Schwämme, Herr Doktor, da, +da steckt's. Haben Sie schon gesehn, in was für Figuren die Schwämme +auf dem Boden wachsen? Wer das lesen könnt! + +DOKTOR: Woyzeck, Er hat die schönste Aberratio mentalis partialis, +die zweite Spezies, sehr schön ausgeprägt. Woyzeck, Er kriegt Zulage! +Zweite Spezies: fixe Idee mit allgemein vernünftigem Zustand. - Er tut +noch alles wie sonst? Rasiert seinen Hauptmann? + +WOYZECK: Jawohl. + +DOKTOR: Ißt seine Erbsen? + +WOYZECK: Immer ordentlich, Herr Doktor. Das Geld für die Menage kriegt +meine Frau. + +DOKTOR: Tut seinen Dienst? + +WOYZECK: Jawohl. + +DOKTOR: Er ist ein interessanter Kasus. Subjekt Woyzeck, Er kriegt +Zulage, halt Er sich brav. Zeig Er seinen Puls. Ja. + + + + Mariens Kammer + +[Marie. Tambourmajor.] + +TAMBOURMAJOR: Marie! + +MARIE [ihn ansehennd, mit Ausdruck]: Geh einmal vor dich hin! Über die +Brust wie ein Rind und ein Bart wie ein Löw. So ist keiner! - Ich bin +stolz vor allen Weibern! + +TAMBOURMAJOR: Wenn ich am Sonntag erst den großen Federbusch hab' und +die weiße Handschuh, Donnerwetter! Der Prinz sagt immer: Mensch, Er +ist ein Kerl. + +MARIE [spöttisch]: Ach was! - [Tritt vor ihn hin:] Mann! + +TAMBOURMAJOR: Und du bist auch ein Weibsbild! Sapperment, wir wollen +eine Zucht Tambourmajors anlegen. He? - [Er umfaßt sie.] + +MARIE [verstimmt]: Laß mich! + +TAMBOURMAJOR: Wild Tier! + +MARIE [heftig]: Rühr mich an! + +TAMBOURMAJOR: Sieht dir der Teufel aus den Augen? + +MARIE: Meinetwegen! Es ist alles eins! + + + + Straße + +[Hauptmann. Doktor. Hauptmann keucht die Straße herunter, hält an; +keucht, sieht sich um.] + +HAUPTMANN: Herr Doktor, rennen Sie nicht so! Rudern Sie mir Ihrem +Stock nicht so in der Luft! Sie hetzen sich ja hinter dem Tod drein. +Ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat, geht nicht so schnell. +Ein guter Mensch - [Er erwischt den Doktor am Rock:] Herr Doktor, +erlauben Sie, daß ich ein Menschenleben rette! + +DOKTOR: Pressiert, hh, pressiert! + +HAUPTMANN: Herr Doktor, ich bin so schwermütig, ich habe so was +Schwärmerisches; ich muß immer weinen, wenn ich meinen Rock an der +Wand hängen sehen -. + +DOKTOR: Hm! Aufgedunsen, fett, dicker Hals: apoplektische +Konstitution. Ja, Herr Hauptmann, Sie können eine Apoplexia cerebri +kriegen; Sie können sie aber vielleicht auch nur auf der einen Seite +bekommen und auf der einen gelähmt sein, oder aber Sie können im +besten Fall geistig gelähmt werden und nur fort vegetieren: das sind +so ohgefähr Ihre Aussichten auf die nächsten vier Wochen! Übrigens +kann ich Sie versichern, daß Sie einen von den interessanten Fällen +abgeben, und wenn Gott will, daß Ihre Zunge zum Teil gelähmt wird, so +machen wir unsterbliche Experimente. + +HAUPTMANN: Herr Doktor, erschrecken Sie mich nicht! Es sind schon +Leute am Schreck gestorben, am bloßen hellen Schreck. - Ich sehe schon +die Leute mit den Zitronen in den Händen; aber sie werden sagen, er +war ein guter Mensch, ein guter Mensch - Teufel Sargnagel! + +DOKTOR [hält ihm den Hut hin]: Was ist das, hh? - Das ist ein +Hohlkopf, geehrtester Herr Exerzierzagel! + +HAUPTMANN [macht eine Falte]: Was ist das, Herr Doktor? - Das ist +Einfalt, bester Herr Sargnagel! Hähähä! Aber nichts für ungut! Ich bin +ein guter Mensch, aber ich kann auch, wenn ich will, Herr Doktor, +hähähä, wenn ich will ... - [Woyzeck kommt und will vorbeieilen] - He, +Woyzeck, was hetzt Er sich so an uns vorbei. Bleib er doch, Woyzeck! +Er läuft ja wie ein offnes Rasiermesser durch die Welt, man schneidt +sich an Ihm; Er läuft, als hätt er ein Regiment Kastrierte zu rasieren +und würde gehenkt über dem längsten Haar noch vor dem Verschwinden. +Aber, über die langen Bärte - was wollt' ich doch sagen? Woyzeck: die +langen Bärte ... + +DOKTOR: Ein langer Bart unter dem Kinn, schon Plinius spricht davon, +man müßt es den Soldaten abgewöhnen ... + +HAUPTMANN [fährt fort]: Ha, über die langen Bärte! Wie is, Woyzeck, +hat Er noch nicht ein Haar aus einem Bart in seiner Schüssel gefunden? +He, Er versteht mich doch? Ein Haar eines Menschen, vom Bart eines +Sapeurs, eines Unteroffiziers, eines - eines Tambourmajors? He, +Woyzeck? Aber Er hat eine brave Frau. Geht Ihm nicht wie andern. + +WOYZECK: Jawohl! Was wollen Sie sagen, Herr Hauptmann? + +HAUPTMANN: Was der Kerl ein Gesicht macht! ... Vielleicht nun auch +nicht in der Suppe, aber wenn Er sich eilt und um die Eck geht, so +kann er vielleicht noch auf ein Paar Lippen eins finden. Ein Paar +Lippen, Woyzeck. Kerl, Er ist ja kreideweiß! + +WOYZECK: hh, ich bin ein armer Teufel - und hab's sonst nichts auf der +Welt. hh, wenn Sie Spaß machen - + +HAUPTMANN: Spaß ich? Daß dich Spaß, Kerl! + +DOKTOR: Den Puls, Woyzeck, den Puls! - Klein, hart, hüpfend, +unregelmäßig. + +WOYZECK: hh, die Erd is höllenheiß - mir eiskalt, eiskalt - Die Hölle +is kalt, wollen wir wetten. - - Unmöglich! Mensch! Mensch! Unmöglich! + +HAUPTMANN: Kerl, will Er - will Er ein paar Kugeln vor den Kopf haben? +Er ersticht mich mit seinen Augen, und ich mein' es gut mit Ihm, weil +Er ein guter Mensch ist, Woyzeck, ein guter Mensch. + +DOKTOR: Gesichtsmuskeln starr, gespannt, zuweilen hüpfend. Haltung +aufgeregt, gespannt. + +WOYZECK: Ich geh'. Es is viel möglich. Der Mensch! Es is viel möglich. +- Wir haben schön Wetter, hh. Sehn Sie, so ein schöner, fester, grauer +Himmel; man könnte Lust bekommen, ein' Kloben hineinzuschlagen und +sich daran zu hängen, nur wegen des Gedankenstriches zwischen Ja und +wieder Ja - und Nein. hh, Ja und Nein? Ist das Nein am Ja oder das +Ja am Nein schuld? Ich will darüber nachdenken. - [Geht mit breiten +Schritten ab, erst langsamer, dann immer schneller.] + +HAUPTMANN: Mir wird ganz schwindlig vor den Menschen. Wie schnell! +Der lange Schlingel greift aus, als läuft der Schatten von einem +Spinnbein, und der Kurze, das zuckelt. Der Lange ist der Blitz und der +Kleine der Donner. Haha ... Grotesk! grotesk! + + + + Mariens Kammer + +[Marie. Woyzeck.] + +WOYZECK [sieht sie starr an und schüttelt den Kopf]: Hm! Ich seh' +nichts, ich seh nichts. O man müßt's sehen, man müßt's greifen könne +mit Fäusten! + +MARIE [verschüchtert]: Was hast du, Franz? - Du bist hirnwütig, Franz. + +WOYZECK: Eine Sünde, so dick und so breit - es stinkt, daß man die +Engelchen zum Himmel hinausräuchern könnt'! Du hast ein' roten Mund, +Marie. Keine Blase drauf? Wie, Marie, du bist schön wie die Sünde - +kann die Totsünde so schön sein? + +MARIE: Franz, du redest im Fieber! + +WOYZECK: Teufel! - Hat er da gestanden? So? So? + +MARIE: Dieweil der Tag lang und die Welt alt is, können viele Menschen +an einem Platz stehen, einer nach dem andern. + +WOYZECK: Ich hab ihn gesehn! + +MARIE: Man kann viel sehn, wenn man zwei Auge hat und nicht blind is +und die Sonn scheint. + +WOYZECK: Mensch! - [Geht auf sie los.] + +MARIE: Rühr mich an, Franz! Ich hätt' lieber ein Messer in den Leib +als deine Hand auf meiner. Mein Vater hat mich nit anzugreifen gewagt, +wie ich zehn Jahre alt war, wenn ich ihn ansah. + +WOYZECK: Weib! - Nein, es müßte was an dir sein! Jeder Mensch ist ein +Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht. - Es wäre! Sie geht +wie die Unschuld. Nun, Unschuld, du hast ein Zeichen an dir. Weiß +ich's? Weiß ich's? Wer weiß es? - [Er geht.] + + + + Die Wachstube. + +[Woyzeck. Andres.] + +ANDRES [singt]: + Frau Wirtin hat ne brave Magd, + sie sitzt im Garten Tag und Nacht, + sie sitzt in ihrem Garten ... + +WOYZECK: Andres! + +ANDRES: Nu? + +WOYZECK: Schön Wetter. + +ANDRES: Sonntagswetter - Musik vor der Stadt. Vorhin - sind die +Weibsbilder hinaus; die Mensche dampfe, das geht! + +WOYZECK [unruhig]: Tanz, Andres, sie tanze! + +ANDRES: Im Rössel und in Sternen. + +WOYZECK: Tanz, Tanz! + +ANDRES: Meinetwege. + Sitzt in ihrem Garten, + bis dass das Glöcklein zwölfe schlägt, + und paßt auf die Solda-aten. + +WOYZECK: Andres, ich hab' kei Ruh. + +ANDRES: Narr! + +WOYZECK: Ich muß hinaus. Es dreht sich mir vor den Augen. Tanz, Tanz! +Wird sie heiße Händ habe! Verdammt, Andres! + +ANDRES: Was willst du? + +WOYZECK: Ich muß fort, muß sehen. + +ANDRES: Du Unfried! Wegen dem Mensch? + +WOYZECK: Ich muß hinaus, 's is so heiß dahie. + + + + Wirtshaus + +[Die Fenster offen, Tanz. Bänke vor dem Haus. Bursche.] + +ERSTER HANDSWERKSBURSCH: + Ich hab' ein Hemdlein an, das ist nicht mein; + meine Seele stinkt nach Branndewein - + +ZWEITER HANDWERKSBURSCH: Bruder, soll ich dir aus Freundschaft ein +Loch in die Natur machen? Vorwärts! Ich will ein Loch in die Natur +maehen! Ich bin auch ein Kerl, du weißt - ich will ihm alle Flöh am +Leib totschlagen. + +ERSTER HANDWERKSBURSCH: Meine Seele, meine Seele stinkt +nach Branndewein! - Selbst das Geld geht in Verwesung über! +Vergißmeinnicht, wie ist diese Welt so schön! Bruder, ich muß ein +Regenfaß voll greinen vor Wehmut. Ich wollt', unsre Nasen wären zwei +Bouteillen, und wir könnten sie uns einander in den Hals gießen. + +ANDRE [im Chor]: + Ein Jäger aus der Pfalz + ritt einst durch einen grünen Wald. + Halli, hallo, ha lustig ist die Jägerei + allhier auf grüner Heid. + Das Jagen is mei Freud. + +[Woyzeck stellt sich ans Fenster. Marie und der Tambourmajor tanzen +vorbei, ohne ihm zu bemerken.] + +WOYZECK: Er! Sie! Teufel! + +MARIE [im Vorbeitanzen]: Immer zu, imer zu - + +WOYZECK [erstickt]: Immer zu - Immer zu! - [Fährt heftig auf und +sinkt zurück auf die Bank:] Immer zu, immer zu! - [Schlägt die Hände +ineinander:] Dreht euch. wälzt euch! Warum bläst Gott nicht die Sonn +aus, daß alles in Unzucht sich übereinanderwälzt, Mann und Weib, +Mensch und Vieh?! Tut's am hellen Tag, tut's einem auf den Händen wie +die Mücken! - Weib! Das Weib is heiß, heiß! - Immer zu, immer zu! - +[Fährt auf:] Der Kerl, wie er an ihr herum greift, an ihrem Leib! Er, +er hat sie - wie ich zu Anfang. - [Er sinkt betäubt zusammen.] + +ERSTER HANDWERKSBURSCH [predigt auf dem Tisch]: Jedoch, wenn ein +Wandrer, der gelehnt steht an dem Strom der Zeit oder aber sich die +göttliche Weisheit beantwortet und sich anredet: Warum ist der Mensch? +Warum ist der Mensch? - Aber wahrlich, ich sage euch: Von was hätte +der Landmann, der Weißbinder, der Schuster, der Arzt leben sollen, +wenn Gott den Menschen nicht geschaffen hätte? Von was hätte der +Schneider leben sollen, wenn er dem Menschen nicht die Empfindung der +Scham eingepflanzt hätte, von was der Soldat, wenn er ihm nicht mit +dem Bedürfnis sich totzuschlagen ausgerüstet hätte? Darum zweifelt +nicht - ja, ja, es ist lieblich und fein, aber alles Irdische ist +übel, selbst das Geld geht in Verwesung über. Zum Beschluß, meine +geliebten Zuhörer, laßt uns noch übers Kreuz pissen, damit ein Jud +stirbt! + +[Unter allgemeinem Gejohle erwacht Woyzech und rast davon.] + + + + Freies Feld + +WOYZECK: Immer zu! Immer zu! Hisch, hasch! So gehn die Geigen und +die Pfeifen. - Immer zu! Immer zu! - Still, Musik! Was spricht da +unten? - Recht sich gegen den Boden: Ha, was, was sagt ihr? Lauterl +Lauter! Stich, stich die Zickwolfin tot? - Stich, stich die Zickwolfin +tot! - Soll ich! Muß ich? Hör' ich's da auch? - Sagt's der Wind auch? +- Hör' ich's immer, immer zu: stich tot, tot! + + + + Ein Zimmer in der Kaserne + +[Nacht. Andres und Woyzech in einem Bett.] + +WOYZECK [leise]: Andres! + +[Andres murmelt im Schlaf.] + +WOYZECK [schüttelt Andres]: He, Andres! Andres! + +ANDRES: Na was is? + +WOYZECK: Ich kann nit schlafen! Wenn ich die Aug zumach', dreht sich's +immer, und ich hör' die Geigen, immer zu, immer zu. Und dann spricht's +aus der Wand. Hörst du nix? + +ANDRES: Ja - laß sie tanze! Einer is müd, und dann Gott behüt uns, +amen. + +WOYZECK: Es redt lmmer: stich! stich! und zieht mir zwischen den +Augen wie ein Messer - + +ANDRES: Schlaf, Narr! - [Er schläft wieder ein.] + +WOYZECK: Immer zu! Immer zu! + + + + Der Hof des Doktors + +[Studenten und Woyzeck unten, der Doktor am Dachfenster.] + +DOKTOR: Meine Herren, ich bin auf dern Dach wie David, als er +die Bathseba sah; aber ich sehe nichts als die culs de Paris der +Mädchenpension im Garten trocknen. Meine Herren, wir sind an der +wichtigen Frage über das Verhältnis des Subjekts zum Objekt. Wenn +wir nur eins von den Dingen nehmen, worin sich die organische +Selbstaffirmation des Göttlichen, auf einem so hohen Standpunkte, +manifestiert, und ihre Verhältnisse zum Raum, zur Erde, zum +Planetarischen untersuchen, meine Herren, wenn ich diese Katze zum +Fenster hinauswerfe: wie wird diese Wesenheit sich zum centrum +gravitationis gemäß ihrem eigenen Instinkt verhalten? - He, Woyzeck - +[brüllt] -, Woyzeck! + +WOYZECK [fängt die Katze auf]: Herr Doktor, sie beißt! + +DOKTOR: Kerl, Er greift die Bestie so zärtlich an, als wär's seine +Großmutter. - [Er kommt herunter.] + +WOYZECK: Herr Doktor, ich hab's Zittern. + +DOKTOR [ganz erfreut]: Ei, ei! Schön, Woyzeck! - Reibt sich die Hände. +[Er nimmt die Katze:] Was seh' ich, meine Herren, die neue Spezies +Hasenlaus, eine schöne Spezies ... - [Er zieht eine Lupe heraus, +die Katze läuft fort.] - Meine Herren, das Tier hat keinen +wissenschaftlichen Instinkt ... Die können dafür was anders sehen. +Sehen Sie: der Mensch, seit einem Vierteljahr ißt er nichts als +Erbsen; bemerken Sie die Wirkung, fühlen Sie einmal: Was ein +ungleicher Puls! Der und die Augen! + +WOYZECK: Herr Doktor, es wird mir dunkel! - [Er setzt sich.] + +DOKTOR: Courage, Woyzeck! Noch ein paar Tage, und dann ist's fertig. +Fühlen Sie, meine Herren, fühlen Sie! - [Sie betasten ihm Schläfe, +Puls und Busen.] - Apropos, Woyzeck, beweg den Herren doch einmal die +Ohren! Ich hab' es Ihnen schon zeigen wollen, zwei Muskeln sind bei +ihm tätig. Allons, frisch! + +WOYZECK: Ach, Herr Doktor! + +DOKTOR: Bestie, soll ich dir die Ohren bewegen? Willst du's machen +wie die Katze? So, meine Herren! Das sind so Übergänge zum Esel, +häufig auch die Folge weiblicher Erziehung und die Muttersprache. +Wieviel Haare hat dir die Mutter zum Andenken schon ausgerissen aus +Zärtlichkeit? Sie sind dir ja ganz dünn geworden seit ein paar Tagen. +Ja, die Erbsen, meine Herren! + + + + Kasernenhof + +WOYZECK: Hast nix gehört? + +ANDRES: Er is da, noch mit einem Kameraden. + +WOYZECK: Er hat was gesagt. + +ANDRES: Woher weißt du's? Was soll ich's sagen? Nu, er lachte, und +dann sagt er: Ein köstlich Weibsbild! Die hat Schenkel, und alles so +heiß! + +WOYZECK [ganz kalt]: So, hat er das gesagt? Von was hat mir doch heut +nacht geträumt? War's nicht von einem Messer? Was man doch närrische +Träume hat! + +ANDRES: Wohin, Kamerad? + +WOYZECK: Meim Offizier Wein holen. - Aber, Andres, sie war dach ein +einzig Mädel. + +ANDRES: Wer war? + +WOYZECK: Nix. Adies! - [Ab.] + + + + Wirtshaus + +[Tambourmajor. Woyzeck. Leute.] + +TAMBOURMAJOR: Ich bin ein Mann! - [Schlägt sich auf die Brust:] Ein +Mann, sag' ich. Wer will was? Wer kein be- soffner Herrgott ist, der +laß sich von mir. Ich will ihn die Nas ins Arschloch prügeln! Ich +will - [Zu Woyzeck:] Du Kerl, sauf! Ich wollt' die Welt wär' Schnaps, +Schnaps - der Mann muß saufen! - [Woyzech pfeift.] - Kerl, soll ich +dir die Zung aus dem Hals ziehn und sie um den Leib herumwickeln? - +Sie ringen, Woyzeck verliert. - Soll ich dir noch so viel Atem lassen +als 'en Altweiberfurz, soll ich? - [Woyzech setzt sich erschöpft +zitternd auf eine Bank.] - Der Kerl soll dunkelblau pfeifen. + Branndewein, das ist mein Leben; + Branndwein gibt Courage! + +EINE: Der hat sein Fett. + +ANDRE: Er blut'. + +WOYZECK: Eins nach dem andern. + + + + Kramladen + +[Woyzeck. Der Jude.] + +WOYZECK: Das Pistolchen ist zu teuer. + +JUDE: Nu, kauft's oder kauft's nit, was is? + +WOYZECK: Was kost' das Messer? + +JUDE: 's ist ganz grad. Wollt Ihr Euch den Hals mit abschneiden? Nu, +was is es? Ich geb's Euch so wohlfeil wie ein andrer. Ihr sollt Euern +Tod wohlfeil haben, aber doch nit umsonst. Was is es? Er soll ein +ökonomischer Tod haben. + +WOYZECK: Das kann mehr als Brot schneiden - + +JUDE: Zwee Grosche. + +WOYZECK: Da! - Geht ab. + +JUDE: Da! Als ob's nichts wär! Und es is doch Geld. - Du Hund! + + + + Mariens Kammer + +NARR [liegt und erzählt sich Märchen an den Fingern]: Der hat die +goldne Kron, der Herr König ... Morgen hol' ich der Frau Königin ihr +Kind ... Blutwurst sagt: komm, Leber- wurst ... + +MARIE [blättert in der Bibel]: "Und ist kein Betrug in seinem Munde +erfunden": ... Herrgott, Herrgott! Sieh mich nicht an! - [Blättert +weiter:] "Aber die Pharisäer brachten ein Weib zu ihm, im Ehebruch +begriffen, und stelleten sie ins Mittel dar ... Jesus aber sprach: +So verdamme ich dich auch nicht. Geh hin und sündige hinfort nicht +mehr!" - [Schlägt die Hände zusammen:] Hergott! Hergott! Ich kann +nicht! - Herrgott, gib mir nur so viel, daß ich beten kann. - [Das +Kind drängt sich an sie.] - Das Kind gibt mir einen Stich ins Herz. +- [Zum Narrn:] Karl! Das brüst' sich in der Sonne! - [Narr nimmt das +Kind und wird still.] - Der Franz ist nit gekommen, gestern nit, +heut nit. Es wird heiß hier! - [Sie macht das Fenster auf und liest +wieder:] "Und trat hinten zu seinen Füßen und weinete, und fing an, +seine Füße zu netzen mit Tränen und mit den Haaren ihres Hauptes +zu trocknen, und küssete seine Füße und salbete sie mit Salbe ..." +[Schlägt sich auf die Brust:] Alles tot! Heiland! Heiland! ich möchte +dir die Füße salben! - + + + + Kaserne + +[Andres. Woyzeck kramt in seinen Sachen.] + +WOYZECK: Das Kamisolchen, Andres, ist nit zur Montur: du kannst's +brauchen, Andres. + +ANDRES [ganz starr, sagt zu allem]: Jawohl. + +WOYZECK: Das Kreuz meiner Schwester und das Ringlein. + +ANDRES: Jawohl. + +WOYZECK: Ich hab' auch noch ein Heiligen, zwei Herze und schön Gold - +es lag in meiner Mutter Bibel, und da steht: + Herr, wie dein Leib war rot und wund, + so laß mein Herz sein aller Stund. +Mein Mutter fühlt nur noch, wenn ihr die Sonn auf die Händ scheint - +das tut nix. + +ANDRES: Jawohl. + +WOYZECK [zieht ein Papier hervor]: Friedrich Johann Franz Woyzeck, +Wehrmann, Füsilier im 2. Regiment, 2. Bataillion 4. Kompanie, geboren +Mariä Verkündigung, den 20. Juli. - Ich bin heut alt 30 Jahr, 7 Monat +und 12 Tage. + +ANDRES: Franz, du kommst ins Lazarett. Armer, du mußt Schnaps trinken +und Pulver drin, das töt' das Fieber. + +WOYZECK: Ja, Andres, wenn ein Schreiner die Hobelspäne sammelt, es +weiß niemand, wer seinen Kopf drauflegen wird. + + + + Straße + +[Marie mit Mädchen vor der Haustür, Großmutter; später Woyzeck] + +MÄDCHEN: + Wie scheint die Sonn am Lichtmeßtag + und steht das Korn im Blühn. + Sie gingen wohl die Wiese hin, + sie gingen zu zwein und zwein. + Die Pfeifer gingen voran, + die Geiger hinterdrein, + sie hatten rote Socken an ... + +ERSTES KIND: Das ist nit schön. + +ZWEITES KIND: Was willst du auch immer! + +ERSTES KIND: Marie, sing du uns! + +MARIE: Ich kann nit. + +ERSTES KIND: Warum? + +MARIE: Darum. + +ZWEITES KIND: Aber warum darum? + +DRITTES KIND: Großmutter, erzähl! + +GROSSMUTTER: Kommt, ihr kleinen Krabben! - Es war einmal ein arm Kind +und hatt' kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand +mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag +und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt's in Himmel +gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum +Mond kam, war's ein Stück faul Holz. Und da is es zur Sonn gangen, und +wie es zur Sonn kam, war's ein verwelkt Sonneblum. Und wie's zu den +Sternen kam, waren's kleine goldne Mücken, die waren angesteckt, wie +der Neuntöter sie auf die Schlehen steckt. Und wie's wieder auf die +Erde wollt, war die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es war ganz +allein. Und da hat sich's hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch +und is ganz allein. + +WOYZECK [erscheint]: Marie! + +MARIE [erschreckt]: Was is? + +WOYZECK: Marie, wir wollen gehn. 's is Zeit. + +MARIE: Wohin? + +WOYZECK: Weiß ich's? + + + + Waldsaum am Teich + +[Marie und Woyzeck.] + +MARIE: Also dort hinaus is die Stadt. 's is finster. + +WOYZECK: Du sollst noch bleiben. Komm, setz dich! + +MARIE: Aber ich muß fort. + +WOYZECK: Du wirst dir die Füße nit wund laufe. + +MARIE: Wie bist du nur auch! + +WOYZECK: Weißt du auch, wie lang es jetzt is, Marie? + +MARIE: Am Pfingsten zwei Jahr. + +WOYZECK: Weißt du auch, wie lang es noch sein wird? + +MARIE: Ich muß fort, das Nachtessen richten. + +WOYZECK: Friert's dich, Marie? Und doch bist du warm. Was du heiße +Lippen hast! Heiß, heißen Hurenatem! Und doch möcht' ich den Himmel +geben, sie noch einmal zu küssen. - Friert's dich? Wenn man kalt is, +so friert man nicht mehr. Du wirst vom Morgentau nicht frieren. + +MARIE: Was sagst du? + +WOYZECK: Nix. + +[Schweigen.] + +MARIE: Was der Mond rot aufgeht! + +WOYZECK: Wie ein blutig Eisen. + +MARIE: Was hast du vor, Franz, du bist so blaß. - [Er holt mit dem +Messer aus.] - Franz halt ein! Um des Himmels willen, Hilfe, Hilfe! + +WOYZECK [sticht drauflos:] Nimm das und das! Kannst du nicht sterben? +So! So! - Ha, sie zuckt noch; noch nicht? Noch nicht? Immer noch. - +[Stößt nochmals zu.] - Bist du tot! Tot! Tot! - [Er läßt das Messer +fallen und läuft weg.] + + + + Das Wirtshaus + +WOYZECK: Tanzt alle, immer zu! Schwitzt und stinkt! Er holt euch doch +einmal alle! - [Singt:] + Ach. Tochter, lieb Tochter + was hast du gedenkt, + daß du dich an die Landkutscher + und die Fuhrleut haßt gehenkt. +[Er tanzt:] So, Käthe, setz dich! Ich hab' heiß heiß! - [Er zieht den +Rock aus.] - Es ist einmal so, der Teufel holt die eine und läßt die +andre laufen. Käthe, du bist heiß! Warum denn? Käthe, du wirst auch + noch kalt werden. Sei vernünftig. - Kannst du nicht singen? + +KÄTHE [singt]: + Ins Schwabenland, das mag ich nicht, + und lange Kleider trag' ich nicht, + denn lange Kleider, spitze Schuh, + die kommen keiner Dienstmagd zu. + +WOYZECK: Nein, keine Schuh, man kann auch ohne Schuh in die Höll +gehn. + +KÄTHE [singt]: + O pfui mein Schatz, das war nicht fein, + behalt dein Taler und schlaf allein. + +WOYZECK: Ja, wahrhaftig, ich möcte mich nicht blutig machen. + +KÄTHE: Aber was hast du an deiner Hand? + +WOYZECK: Ich? Ich? + +KÄTHE: Rot! Blut! + +[Es stellen sich Leute um sie.] + +WOYZECK: Blut? Blut? + +WIRT: Uu - Blut! + +WOYZECK: Ich glaub', ich hab' mich geschnitten, da an der rechten +Hand. + +WIRT: Wie kommt's aber an den Ellenbogen? + +WOYZECK: Ich hab's abgewischt. + +WIRT: Was, mit der rechten Hand an den rechten Ellenbogen Ihr seid +geschickt! + +NARR: Und da hat der Ries gesagt: Ich riech', ich riech' +Menschenfleisch. Puh, das stinkt schon! + +WOYZECK: Teufel, was wollt ihr? Was geht's euch an? Platz, oder der +erste - Teufel! Meint ihr, ich hätt' jemand umgebracht? Bin ich ein +Mörder? Was gafft ihr? Guckt euch selbst an! Platz da! - [Er läuft +hinaus.] + + + + Am Teich + +WOYZECK [allein]: Das Messer? Wo ist das Messer? Ich hab' es da +gelassen. Es verrät mich! Näher, noch näher! Was is das für ein +Platz? Was hör' ich? Es rührt sich was. Still. - Da in der Nähe. +Marie? Ha, Marie! Still. Alles still! Was bist du so bleich, Marie? +Was hast du eine rote Schnur um den Hals? Bei wem hast du das Halsband +verdient mit deinen Sünden? Du warst schwarz davon, schwarz! Hab' ich +dich gebleicht? Was hängen deine Haare so wild? Hast du deine Zöpfe +heute nicht geflochten? ... - Das Messer, das Messer! Hab' ich's? +So! - [Er läuft zum Wasser.] So, da hinunter! - [Er wirft das Messer +hinein.] - Es taucht in das dunkle Wasser wie ein Stein. - Nein, es +liegt zu weit vorn, wenn sie sich baden. - [Er geht in den Teich und +wirft weit.] - So, jetzt - aber im Sommer, wenn sie tauchen nach +Muscheln? - Bah, es wird rostig, wer kann's erkennen. - Hätt' ich es +zerbrochen! - - Bin ich noch blutig? Ich muß mich waschen. Da ein +Fleck, und da noch einer ... + +[Es kommen Leute.] + +ERSTE PERSON: Halt! + +ZWEITE PERSON: Hörst du? Still! Dort! + +ERSTE: Uu! Da! Was ein Ton! + +ZWEITE: Es ist das Wasser, es ruft: Schon lang ist niemand ertrunken. +Fort! Es ist nicht gut, es zu hören! + +ERSTE: Uu! Jetzt wieder! - Wie ein Mensch, der stirbt! + +ZWEITE: Es ist unheimlich! So dunstig, allenthalben Nebelgrau - und +das Summen der Käfer wie gesprungne Glocken. Fort! + +ERSTE: Nein. zu deutlich, zu laut! Da hinauf! Komm mit! + + + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Woyzeck, by Georg Buchner + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WOYZECK *** + +***** This file should be named 5322-8.txt or 5322-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/5/3/2/5322/ + +Produced by Gunther Olesch from a Project Gutenberg of DE +source file created by Erik Pischel + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm +concept of a library of electronic works that could be freely shared +with anyone. For forty years, he produced and distributed Project +Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. +unless a copyright notice is included. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms of +the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Woyseck + +Author: Georg Buchner + +Posting Date: August 23, 2014 [EBook #5322] +Release Date: March, 2004 +First Posted: July 1, 2002 +Last Updated: August 4, 2002 + +Language: German + +Character set encoding: ASCII + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WOYSECK *** + + + + +Produced by Gunther Olesch and Erik Pishel + + + + + + + + + +Woyzeck + +Georg Buechner + + + +Vorbemerkung + +Dieses Stueck ist ein Fragment. Es gibt keine einzig richtige +Reihenfolge der einzelnen Szenen, denn sie sind weder nummeriert noch +in Akte aufgeteilt. + +Die hier vorliegende Reihenfolge stimmt mit der Verfilmung mit +Klaus Kinski in der Hauptrolle ueberein, vom Ende vielleicht einmal +abgesehen. + +Das Stueck spielt in Darmstadt, die Figuren sprechen groesstenteils +in dortigem Dialekt. Deshalb haben im Hochdeutschen grammatikalisch +falsche Konstruktionen hier seine Richtigkeit. + + + + + Personen + + Woyzeck + Marie + Hauptmann + Doktor + Tamboumajour + Unteroffizier + Andres + Margret + Budenbesitzer + Marktschreier + Alter Mann mit Leierkasten + Jude + Wirt + Erster Handwerksbursch + Zweiter Handwerksbursch + Kaethe + Narr Karl + Grossmutter + Erstes, zweites, drittes Kind + erste, zweite Person + Polizeikommissar + + Soldaten. Studenten. Burschen und Maedchen + Kinder. Volk + + + +Woyzeck + + Beim Hauptmann + +[Hauptmann auf dem Stuhl, Woyzeck rasiert ihn.] + +HAUPTMANN: Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern! Er macht +mir ganz schwindlig. Was soll ich dann mit den 10 Minuten anfangen, +die Er heut zu frueh fertig wird? Woyzeck, bedenk Er, Er hat +noch seine schoenen dreissig Jahr zu leben, dreissig Jahr! Macht +dreihundertsechzig Monate! und Tage! Stunden! Minuten! Was will Er +denn mit der ungeheuren Zeit all anfangen? Teil Er sich ein, Woyzeck! + +WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann. + +HAUPTMANN: Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die +Ewigkeit denke. Beschaeftigung, Woyzeck, Beschaeftigung! Ewig: das ist +ewig, das ist ewig - das siehst du ein; nur ist es aber wieder nicht +ewig, und das ist ein Augenblick, ja ein Augenblick - Woyzeck, es +schaudert mich, wenn ich denke, dass sich die Welt in einem Tag +herumdreht. Was 'n Zeitverschwendung! Wo soll das hinaus? Woyzeck, ich +kann kein Muehlrad mehr sehen, oder ich werd melancholisch. + +WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann. + +HAUPTMANN: Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt aus! Ein guter Mensch +tut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. - Red er +doch was Woyzeck! Was ist heut fuer Wetter? + +WOYZECK: Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm: Wind! + +HAUPTMANN: Ich spuer's schon. 's ist so was Geschwindes draussen: so +ein Wind macht mir den Effekt wie eine Maus. - [Pfiffig:] Ich glaub', +wir haben so was aus Sued-Nord? + +WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann. + +HAUPTMANN: Ha, ha ha! Sued-Nord! Ha, ha, ha! Oh, Er ist dumm, ganz +abscheulich dumm! - [Geruehrt:] Woyzeck, Er ist ein guter Mensch +--aber-- [Mit Wuerde:] Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, +wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort. Er hat +ein Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hocherwuerdiger Herr +Garnisionsprediger sagt - ohne den Segen der Kirche, es ist ist nicht +von mir. + +WOYZECK: Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum +ansehen, ob das Amen drueber gesagt ist, eh er gemacht wurde. Der Herr +sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen. + +HAUPTMANN: Was sagt Er da? Was ist das fuer eine kuriose Antwort? Er +macht mich ganz konfus mit seiner Antwort. Wenn ich sag': Er, so mein' +ich Ihn, Ihn - + +WOYZECK: Wir arme Leut - Sehn Sie, Herr Hauptmann: Geld, Geld! Wer +kein Geld hat - Da setz einmal eines seinesgleichen auf die Moral +in der Welt! Man hat auch sein Fleisch und Blut. Unsereins ist doch +einmal unselig in der und der andern Welt. Ich glaub', wenn wir in +Himmel kaemen, so muessten wir donnern helfen. + +HAUPTMANN: Woyzeck, Er hat keine Tugend! Er ist kein tugendhafter +Mensch! Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg', wenn's geregnet +hat, und den weissen Struempfen nachseh', wie sie ueber die Gassen +springen - verdammt, Woyzeck, da kommt mir die Liebe! Ich hab' auch +Fleisch und Blut. Aber, Woyzeck, die Tugend! Die Tugend! Wie sollte +ich dann die Zeit rumbringen? Ich sag' mir immer: du bist ein +tugendhafter Mensch - [geruehrt:] -, ein guter Mensch, ein guter +Mensch. + +WOYZECK: Ja, Herr Hauptmann, die Tugend - ich hab's noch nit so aus. +Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt nur so +die Natur; aber wenn ich ein Herr waer und haett' ein' Hut und eine +Uhr und eine Anglaise und koennt' vornehm rede, ich wollt' schon +tugendhaft sein. Es muss was Schoenes sein um die Tugend, Herr +Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl! + +HAUPTMANN: Gut, Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. +Aber du denkst zuviel, das zehrt; du siehst immer so verhetzt aus. - +Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh jetzt, und renn nicht so; +langsam, huebsch langsam die Strasse hinunter! + + + + Freies Feld, die Stadt in der Ferne + +[Woyzeck und Andres schneiden Stecken im Gebuesch. Andres pfeift.] + +WOYZECK: Ja, Andres, der Platz ist verflucht. Siehst Du den lichten +Streif da ueber das Gras hin, wo die Schwaemme so nachwachsen? Da +rollt abends der Kopf. Es hob ihn einmal einer auf, er meint', es waer +ein Igel: drei Tag und drei Naecht, er lag auf den Hobelspaenen. - +[Leise:] Andres, das waren die Freimaurer! Ich hab's, die Freimaurer! + +ANDRES [singt]: + + Sassen dort zwei Hasen, + frassen ab das gruene, gruene Gras... + +WOYZECK: Still: Hoerst du's, Andres? Hoerst du's? Es geht was! + +ANDRES: + Frassen ab das gruene, gruene Gras... + bis auf den gruenen Rasen. + +WOYZECK: Es geht hinter mir, unter mir. - [Stampft auf den Boden:] +Hohl, hoerst Du? Alles hohl da unten! Die Freimaurer! + +ANDRES: Ich fuercht' mich. + +WOYZECK: 's ist so kurios still. Man moecht' den Atem halten. - +Andres! + +ANDRES: Was? + +WOYZECK: Red was! - [Starrt in die Gegend.] - Andres, wie hell! Ueber +der Stadt is alles Glut! Ein Feuer faehrt um den Himmel und ein Getoes +herunter wie Posaunen. Wie's heraufzieht! - Fort! Sieh nicht hinter +dich! - [Reisst ihn ins Gebuesch.] + +ANDRES [nach einer Pause]: Woyzeck, hoerst du's noch? + +WOYZECK: Still, alles still, als waer' die Welt tot. + +ANDRES: Hoerst du? Sie trommeln drin. Wir muessen fort! + + + + Die Stadt + +[Marie mit ihrem Kind am Fenster. Margret. Der Zapfenstreich geht +vorbei, der Tambourmajor voran.] + +MARIE [das Kind wippend auf dem Arm]: He, Bub! Sa ra ra ra! Hoerst? Da +kommen Sie! + +MARGRET: Was ein Mann, wie ein Baum! + +MARIE: Er steht auf seinen Fuessen wie ein Loew. + +[Tambourmajor gruesst.] + +MARGRET: Ei, was freundliche Auge, Frau Nachbarin! So was is man an +ihr nit gewoehnt. + +MARIE [singt]: Soldaten, das sind schoene Bursch ... + +MARGRET: Ihre Auge glaenze ja noch - + +MARIE: Und wenn! Trag Sie Ihr Aug zum Jud, und lass Sie sie putze; +vielleicht glaenze sie noch, dass man sie fuer zwei Knoepfe verkaufen +koennt. + +MARGRET: Was, Sie? Sie? Frau Jungfer! Ich bin eine honette Person, +aber Sie, es weiss jeder, Sie guckt sieben Paar lederne Hose durch! + +MARIE: Luder! - [Schlaegt das Fenster durch.] - Komm, mei Bub! Was die +Leute wolle. Bist doch nur ein arm Hurenkind und machst deiner Mutter +Freud mit deim unehrlichen Gesicht! Sa! sa! - [Singt] + + Maedel, was fangst Du jetzt an? + Hast ein klein Kind und kein' Mann! + Ei, was frag' ich danach? + Sing' ich die ganze Nacht + heio, popeio, mei Bu, juchhe! + Gibt mir kein Mensch nix dazu. + +[Es klopft am Fenster.] + +MARIE: Wer da? Bist du's, Franz? Komm herein! + +WOYZECK: Kann nit. Muss zum Verles'. + +MARIE: Hast du Stecken geschnitten fuer den Hauptmann? + +WOYZECK: Ja, Marie. + +MARIE: Was hast du, Franz? Du siehst so verstoert. + +WOYZECK [geheimnisvoll]: Marie, es war wieder was, viel - steht nicht +geschrieben: Und sie, da ging ein Rauch vom Land, wie der Rauch vom +Ofen? + +MARIE: Mann! + +WOYZECK: Es ist hinter mir hergangen bis vor die Stadt. Etwas, was +wir nicht fassen, begreifen, was uns von Sinnen bringt. Was soll das +werden? + +MARIE: Franz! + +WOYZECK: Ich muss fort. - Heut abend auf die Mess! Ich hab wieder +gespart. - [Er geht.] + +MARIE: Der Mann! So vergeistert. Er hat sein Kind nicht angesehn! +Er schnappt noch ueber mit den Gedanken! - Was bist so still, Bub? +Furchtest dich? Es wird so dunkel; man meint, man waer' blind. Sonst +scheint als die Latern herein. Ich halt's nit aus; es schauert mich! - +[Geht ab.] + + + + Buden. Lichter. Volk + +ALTER MANN [singt und Kind tanzt zum Leierkasten]: + + Auf der Welt ist kein Bestand, + Wir muessen alle sterben, + das ist uns wohlbekannt. + +WOYZECK: Hei, Hopsa's! - Armer Mann, alter Mann! Armes Kind, junges +Kind! Sorgen und Feste! + +MARIE: Mensch, sind noch die Narrn von Verstande, dann ist man selbst +ein Narr. - Komische Welt! Schoene Welt! + +[Beide gehn weiter zum Marktschreier.] + +MARKTSCHREIER [vor seiner Bude mit seiner Frau in Hosen und einem +kostuemierten Affen]: Meine Herren, meine Herren! Sehn Sie die +Kreatur, wie sie Gott gemacht: nix, gar nix. Sehn Sie jetzt die Kunst: +geht aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein' Saebel! Der Aff ist +Soldat; s' ist noch nicht viel, unterste Stuf von menschliche +Geschlecht. Ho! Mach Kompliment! So - bist Baron. Gib Kuss! - [Er +trompetet:] Wicht ist musikalisch. - Meine Herren, hier ist zu sehen +das astronomische Pferd und die kleine Kanaillevoegele. Sind Favorit +von alle gekroente Haeupter Europas, verkuendigen den Leuten alles: +wie alt, wieviel Kinder, was fuer Krankheit. Die Repraesentationen +anfangen! Es wird sogleich sein Commencement von Commencement. + +WOYZECK: Willst Du? + +MARIE: Meinetwegen. Das muss schoen Ding sein. Was der Mensch Quasten +hat! Und die Frau Hosen! + +[Beide gehn in die Bude.] + +TAMBOURMAJOR: Halt, jetzt! Siehst du sie! Was ein Weibsbild! + +UNTEROFFIZIER: Teufel! Zum Fortpflanzen von Kuerassierregimentern! + +TAMBOURMAJOR: Und zur Zucht von Tambourmajors! + +UNTEROFFIZIER: Wie sie den Kopf traegt! Man meint, das schwarze Haar +muesst' sie abwaerts ziehn wie ein Gewicht. Und Augen - + +TAMBOURMAJOR: Als ob man in ein' Ziehbrunnen oder zu einem Schornstein +hinunter guckt. Fort, hintendrein! - + + + + Das Innere der hellerleuchteten Bude + +MARIE: Was Licht! + +WOYZECK: Ja, Marie, schwarze Katzen mit feurigen Augen. Hei, was ein +Abend! + +DER BUDENBESITZER [ein Pferd vorfuehrend]: Zeig dein Talent! Zeig +deine viehische Vernuenftigkeit! Beschaeme die menschliche Sozietaet! +Meine Herren, dies Tier, was Sie da sehn, Schwanz am Leib, auf seine +vier Hufe, ist Mitglied von alle gelehrt Sozietaet, ist Professor +an unsre Universitaet, wo die Studente bei ihm reiten und schlagen +lernen. - Das war einfacher Verstand. Denk jetzt mit der doppelten +Raison! Was machst du, wann du mit der doppelten Raison denkst? Ist +unter der gelehrten Societe da ein Esel? - [Der Gaul schuettelt den +Kopf.] - Sehn Sie jetzt die doppelte Raison? Das ist Viehsionomik. Ja, +das ist kein viehdummes Individuum, das ist ein Person, ein Mensch, +ein tierischer Mensch - und doch ein Vieh, ein Bete. - [Das Pferd +fuehrt sich ungebuehrlich auf.] - So, beschaeme die Societe. Sehn Sie, +das Vieh ist noch Natur, unideale Natur! Lernen Sie bei ihm! Fragen +Sie den Arzt, es ist sonst hoechst schaedlich! Das hat geheissen: +Mensch, sei natuerlich! Du bist geschaffen aus Staub, Sand, Dreck. +Willst du mehr sein als Staub, Sand, Dreck? - Sehn Sie, was Vernunft: +es kann rechnen und kann doch nit an den Fingern herzaehlen. +Warum? Kann sich nur nit ausdruecken, nur nit explizieren, ist ein +verwandelter Mensch. Sag den Herren, wieviel Uhr ist es! Wer von den +Herren und Damen hat ein Uhr? ein Uhr? + +UNTEROFFIZIER: Eine Uhr? - [Zieht grossartig und gemessen eine Uhr aus +der Tasche:] Da, mein Herr! + +MARIE: Das muss ich sehn. - [Sie klettert auf den ersten Platz; +Unteroffizier hilft ihr.] + +TAMBOURMAJOR: Das ist ein Weibsbild. + + + + Mariens Kammer + +MARIE [sitzt, ihr Kind auf dem Schoss, ein Stueckchen Spiegel in +der Hand]: Der andre hat ihm befohlen, und er hat gehen muessen! - +[Bespiegelt sich:] Was die Steine glaenzen! Was sind's fuer? Was hat +er gesagt? - - Schlaf, Bub! Drueck die Augen zu, fest! - [Das Kind +versteckt die Augen hinter den Haenden.] - Noch fester! Bleib so - +still, oder er holt dich! - [Singt:] + + Maedel, mach's Ladel zu + 's kommt e Zigeunerbu, + fuehrt dich an deiner Hand + fort ins Zigeunerland. + +[Spiegelt sich wieder.] - 's ist gewiss Gold! Wie wird mir's beim +Tanzen stehen? Unsereins hat nur ein Eckchen in der Welt und ein +Stueck Spiegel, und doch hab ich ein' so roten Mund als die grossen +Madamen mit ihrem Spiegeln von oben bis unten und ihren schoenen +Herrn, die ihnen die Haend kuessen. Ich bin nur ein arm Weibsbild! +- [Das Kind richtet sich auf.] - Still, Bub, die Augen zu! Das +Schlafengelchen! Wie's an der Wand laeuft. - [Sie blinkt ihm mit dem +Glas:] Die Auge zu, oder es sieht dir hinein, dass du blind wirst! + +[Woyzeck tritt herein, hinter sie. Sie faehrt auf, mit den Haenden +nach den Ohren.] + +WOYZECK: Was hast du? + +MARIE: Nix. + +WOYZECK: Unter deinen Fingern glaenzt's ja. + +MARIE: Ein Ohrringlein; hab's gefunden. + +WOYZECK: Ich hab' so noch nix gefunden, zwei auf einmal! + +MARIE: Bin ich ein Mensch? + +WOYZECK: 's ist gut, Marie. - Was der Bub schlaeft! Greif ihm unters +Aermchen, der Stuhl drueckt ihn. Die hellen Tropfen stehn ihm auf der +Stirn; alles Arbeit unter der Sonn, sogar Schweiss im Schlaf. Wir +arme Leut! - Da ist wieder Geld, Marie; die Loehnung und was von meim +Hauptmann. + +MARIE: Gott vergelt's, Franz. + +WOYZECK: Ich muss fort. Heut abend, Marie! Adies! + +MARIE [allein, nach einer Pause]: Ich bin doch ein schlechter Mensch! +Ich koennt' mich erstechen. - Ach, was Welt! Geht doch alle zum +Teufel, Mann und Weib! Vorige Seite Naechste Seite + + + + Beim Doktor + +[Woyzeck. Der Doktor.] + +DOKTOR: Was erleb' ich, Woyzeck? Ein Mann von Wort! + +WOYZECK: Was denn, Herr Doktor? + +DOKTOR: Ich hab's gesehn, Woyzeck; er hat auf die Strass gepisst, an +die Wand gepisst, wie ein Hund. - Und doch drei Groschen taeglich und +die Kost! Woyzeck, das ist schlecht; die Welt wird schlecht, sehr +schlecht! + +WOYZECK: Aber, Herr Doktor, wenn einem die Natur kommt. + +DOKTOR: Die Natur kommt, die Natur kommt! Die Natur! Hab' ich nicht +nachgewiesen, dass der Musculus constrictor vesicae dem Willen +unterworfen ist? Die Natur! Woyzeck, der Mensch ist frei, in dem +Menschen verklaert sich die Individualitaet zur Freiheit. - Den Harn +nicht halten koennen! - [Schuettelt den Kopf, legt die Haende auf den +Ruecken und geht auf und ab.] - Hat Er schon seine Erbsen gegessen, +Woyzeck? Nichts als Erbsen, cruciferae, merk Er sich's! Es gibt eine +Revolution in der Wissenschaft, ich sprenge sie in die Luft. Harnstoff +0,10, salzsaures Ammonium, Hyperoxydul - Woyzeck, muss Er nicht wieder +pissen? Geh Er einmal hinein und probier Er's! + +WOYZECK: Ich kann nit, Herr Doktor. + +DOKTOR [mit Affekt]: Aber an die Wand pissen! Ich hab's schriftlich, +den Akkord in der Hand! - Ich hab's gesehen, mit diesen Augen +gesehen; ich steckt' grade die Nase zum Fenster hinaus und liess die +Sonnenstrahlen hineinfallen, um das Niesen zu beobachten. - [Tritt auf +ihn los:] Nein, Woyzeck, ich aergre mich nicht; Aerger ist ungesund, +ist unwissenschaftlich. Ich bin ruhig, ganz ruhig; mein Puls hat +seine gewoehnlichen sechzig, und ich sag's Ihm mit der groessten +Kaltbluetigkeit. Behuete, wer wird sich ueber einen Menschen aergern, +ein' Mensch! Wenn es noch ein Proteus waere, der einem krepiert! Aber, +Woyzeck, Er haette nicht an die Wand pissen sollen - + +WOYZECK: Sehn Sie, Herr Doktor, manchmal hat einer so 'en Charakter, +so 'ne Struktur. - Aber mit der Natur ist's was anders, sehn Sie; mit +der Natur - [er kracht mit den Fingern] -, das is so was, wie soll ich +sagen, zum Beispiel ... + +DOKTOR: Woyzeck, Er philosophiert wieder. + +WOYZECK [vertraulich]: Herr Doktor, haben Sie schon was von der +doppelten Natur gesehn? Wenn die Sonn in Mattag steht und es ist, als +ging' die Welt in Feuer auf, hat schon eine fuerchterliche Stimme zu +mir geredt! + +DOKTOR: Woyzeck, Er hat eine Aberratio. + +WOYZECK [legt den Finger auf die Nase]: Die Schwaemme, Herr Doktor, +da, da steckt's. Haben Sie schon gesehn, in was fuer Figuren die +Schwaemme auf dem Boden wachsen? Wer das lesen koennt! + +DOKTOR: Woyzeck, Er hat die schoenste Aberratio mentalis partialis, +die zweite Spezies, sehr schoen ausgepraegt. Woyzeck, Er kriegt +Zulage! Zweite Spezies: fixe Idee mit allgemein vernuenftigem Zustand. +- Er tut noch alles wie sonst? Rasiert seinen Hauptmann? + +WOYZECK: Jawohl. + +DOKTOR: Isst seine Erbsen? + +WOYZECK: Immer ordentlich, Herr Doktor. Das Geld fuer die Menage +kriegt meine Frau. + +DOKTOR: Tut seinen Dienst? + +WOYZECK: Jawohl. + +DOKTOR: Er ist ein interessanter Kasus. Subjekt Woyzeck, Er kriegt +Zulage, halt Er sich brav. Zeig Er seinen Puls. Ja. + + + + Mariens Kammer + +[Marie. Tambourmajor.] + +TAMBOURMAJOR: Marie! + +MARIE [ihn ansehennd, mit Ausdruck]: Geh einmal vor dich hin! Ueber +die Brust wie ein Rind und ein Bart wie ein Loew. So ist keiner! - Ich +bin stolz vor allen Weibern! + +TAMBOURMAJOR: Wenn ich am Sonntag erst den grossen Federbusch hab' und +die weisse Handschuh, Donnerwetter! Der Prinz sagt immer: Mensch, Er +ist ein Kerl. + +MARIE [spoettisch]: Ach was! - [Tritt vor ihn hin:] Mann! + +TAMBOURMAJOR: Und du bist auch ein Weibsbild! Sapperment, wir wollen +eine Zucht Tambourmajors anlegen. He? - [Er umfasst sie.] + +MARIE [verstimmt]: Lass mich! + +TAMBOURMAJOR: Wild Tier! + +MARIE [heftig]: Ruehr mich an! + +TAMBOURMAJOR: Sieht dir der Teufel aus den Augen? + +MARIE: Meinetwegen! Es ist alles eins! + + + + Strasse + +[Hauptmann. Doktor. Hauptmann keucht die Strasse herunter, haelt an; +keucht, sieht sich um.] + +HAUPTMANN: Herr Doktor, rennen Sie nicht so! Rudern Sie mir Ihrem +Stock nicht so in der Luft! Sie hetzen sich ja hinter dem Tod drein. +Ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat, geht nicht so schnell. +Ein guter Mensch - [Er erwischt den Doktor am Rock:] Herr Doktor, +erlauben Sie, dass ich ein Menschenleben rette! + +DOKTOR: Pressiert, hh, pressiert! + +HAUPTMANN: Herr Doktor, ich bin so schwermuetig, ich habe so was +Schwaermerisches; ich muss immer weinen, wenn ich meinen Rock an der +Wand haengen sehen -. + +DOKTOR: Hm! Aufgedunsen, fett, dicker Hals: apoplektische +Konstitution. Ja, Herr Hauptmann, Sie koennen eine Apoplexia cerebri +kriegen; Sie koennen sie aber vielleicht auch nur auf der einen Seite +bekommen und auf der einen gelaehmt sein, oder aber Sie koennen im +besten Fall geistig gelaehmt werden und nur fort vegetieren: das sind +so ohgefaehr Ihre Aussichten auf die naechsten vier Wochen! Uebrigens +kann ich Sie versichern, dass Sie einen von den interessanten Faellen +abgeben, und wenn Gott will, dass Ihre Zunge zum Teil gelaehmt wird, +so machen wir unsterbliche Experimente. + +HAUPTMANN: Herr Doktor, erschrecken Sie mich nicht! Es sind schon +Leute am Schreck gestorben, am blossen hellen Schreck. - Ich sehe +schon die Leute mit den Zitronen in den Haenden; aber sie werden +sagen, er war ein guter Mensch, ein guter Mensch - Teufel Sargnagel! + +DOKTOR [haelt ihm den Hut hin]: Was ist das, hh? - Das ist ein +Hohlkopf, geehrtester Herr Exerzierzagel! + +HAUPTMANN [macht eine Falte]: Was ist das, Herr Doktor? - Das ist +Einfalt, bester Herr Sargnagel! Haehaehae! Aber nichts fuer ungut! Ich +bin ein guter Mensch, aber ich kann auch, wenn ich will, Herr Doktor, +haehaehae, wenn ich will ... - [Woyzeck kommt und will vorbeieilen] +- He, Woyzeck, was hetzt Er sich so an uns vorbei. Bleib er doch, +Woyzeck! Er laeuft ja wie ein offnes Rasiermesser durch die Welt, man +schneidt sich an Ihm; Er laeuft, als haett er ein Regiment Kastrierte +zu rasieren und wuerde gehenkt ueber dem laengsten Haar noch vor dem +Verschwinden. Aber, ueber die langen Baerte - was wollt' ich doch +sagen? Woyzeck: die langen Baerte ... + +DOKTOR: Ein langer Bart unter dem Kinn, schon Plinius spricht davon, +man muesst es den Soldaten abgewoehnen ... + +HAUPTMANN [faehrt fort]: Ha, ueber die langen Baerte! Wie is, Woyzeck, +hat Er noch nicht ein Haar aus einem Bart in seiner Schuessel +gefunden? He, Er versteht mich doch? Ein Haar eines Menschen, vom Bart +eines Sapeurs, eines Unteroffiziers, eines - eines Tambourmajors? He, +Woyzeck? Aber Er hat eine brave Frau. Geht Ihm nicht wie andern. + +WOYZECK: Jawohl! Was wollen Sie sagen, Herr Hauptmann? + +HAUPTMANN: Was der Kerl ein Gesicht macht! ... Vielleicht nun auch +nicht in der Suppe, aber wenn Er sich eilt und um die Eck geht, so +kann er vielleicht noch auf ein Paar Lippen eins finden. Ein Paar +Lippen, Woyzeck. Kerl, Er ist ja kreideweiss! + +WOYZECK: hh, ich bin ein armer Teufel - und hab's sonst nichts auf der +Welt. hh, wenn Sie Spass machen - + +HAUPTMANN: Spass ich? Dass dich Spass, Kerl! + +DOKTOR: Den Puls, Woyzeck, den Puls! - Klein, hart, huepfend, +unregelmaessig. + +WOYZECK: hh, die Erd is hoellenheiss - mir eiskalt, eiskalt - Die +Hoelle is kalt, wollen wir wetten. - - Unmoeglich! Mensch! Mensch! +Unmoeglich! + +HAUPTMANN: Kerl, will Er - will Er ein paar Kugeln vor den Kopf haben? +Er ersticht mich mit seinen Augen, und ich mein' es gut mit Ihm, weil +Er ein guter Mensch ist, Woyzeck, ein guter Mensch. + +DOKTOR: Gesichtsmuskeln starr, gespannt, zuweilen huepfend. Haltung +aufgeregt, gespannt. + +WOYZECK: Ich geh'. Es is viel moeglich. Der Mensch! Es is viel +moeglich. - Wir haben schoen Wetter, hh. Sehn Sie, so ein schoener, +fester, grauer Himmel; man koennte Lust bekommen, ein' Kloben +hineinzuschlagen und sich daran zu haengen, nur wegen des +Gedankenstriches zwischen Ja und wieder Ja - und Nein. hh, Ja und +Nein? Ist das Nein am Ja oder das Ja am Nein schuld? Ich will darueber +nachdenken. - [Geht mit breiten Schritten ab, erst langsamer, dann +immer schneller.] + +HAUPTMANN: Mir wird ganz schwindlig vor den Menschen. Wie schnell! +Der lange Schlingel greift aus, als laeuft der Schatten von einem +Spinnbein, und der Kurze, das zuckelt. Der Lange ist der Blitz und der +Kleine der Donner. Haha ... Grotesk! grotesk! + + + + Mariens Kammer + +[Marie. Woyzeck.] + +WOYZECK [sieht sie starr an und schuettelt den Kopf]: Hm! Ich seh' +nichts, ich seh nichts. O man muesst's sehen, man muesst's greifen +koenne mit Faeusten! + +MARIE [verschuechtert]: Was hast du, Franz? - Du bist hirnwuetig, +Franz. + +WOYZECK: Eine Suende, so dick und so breit - es stinkt, dass man die +Engelchen zum Himmel hinausraeuchern koennt'! Du hast ein' roten Mund, +Marie. Keine Blase drauf? Wie, Marie, du bist schoen wie die Suende - +kann die Totsuende so schoen sein? + +MARIE: Franz, du redest im Fieber! + +WOYZECK: Teufel! - Hat er da gestanden? So? So? + +MARIE: Dieweil der Tag lang und die Welt alt is, koennen viele +Menschen an einem Platz stehen, einer nach dem andern. + +WOYZECK: Ich hab ihn gesehn! + +MARIE: Man kann viel sehn, wenn man zwei Auge hat und nicht blind is +und die Sonn scheint. + +WOYZECK: Mensch! - [Geht auf sie los.] + +MARIE: Ruehr mich an, Franz! Ich haett' lieber ein Messer in den Leib +als deine Hand auf meiner. Mein Vater hat mich nit anzugreifen gewagt, +wie ich zehn Jahre alt war, wenn ich ihn ansah. + +WOYZECK: Weib! - Nein, es muesste was an dir sein! Jeder Mensch ist +ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht. - Es waere! +Sie geht wie die Unschuld. Nun, Unschuld, du hast ein Zeichen an dir. +Weiss ich's? Weiss ich's? Wer weiss es? - [Er geht.] + + + + Die Wachstube. + +[Woyzeck. Andres.] + +ANDRES [singt]: + + Frau Wirtin hat ne brave Magd, + sie sitzt im Garten Tag und Nacht, + sie sitzt in ihrem Garten ... + +WOYZECK: Andres! + +ANDRES: Nu? + +WOYZECK: Schoen Wetter. + +ANDRES: Sonntagswetter - Musik vor der Stadt. Vorhin - sind die +Weibsbilder hinaus; die Mensche dampfe, das geht! + +WOYZECK [unruhig]: Tanz, Andres, sie tanze! + +ANDRES: Im Roessel und in Sternen. + +WOYZECK: Tanz, Tanz! + +ANDRES: Meinetwege. + Sitzt in ihrem Garten, + bis dass das Gloecklein zwoelfe schlaegt, + und passt auf die Solda-aten. + +WOYZECK: Andres, ich hab' kei Ruh. + +ANDRES: Narr! + +WOYZECK: Ich muss hinaus. Es dreht sich mir vor den Augen. Tanz, Tanz! +Wird sie heisse Haend habe! Verdammt, Andres! + +ANDRES: Was willst du? + +WOYZECK: Ich muss fort, muss sehen. + +ANDRES: Du Unfried! Wegen dem Mensch? + +WOYZECK: Ich muss hinaus, 's is so heiss dahie. + + + + Wirtshaus + +[Die Fenster offen, Tanz. Baenke vor dem Haus. Bursche.] + +ERSTER HANDSWERKSBURSCH: + Ich hab' ein Hemdlein an, das ist nicht mein; + meine Seele stinkt nach Branndewein - + +ZWEITER HANDWERKSBURSCH: Bruder, soll ich dir aus Freundschaft ein +Loch in die Natur machen? Vorwaerts! Ich will ein Loch in die Natur +maehen! Ich bin auch ein Kerl, du weisst - ich will ihm alle Floeh am +Leib totschlagen. + +ERSTER HANDWERKSBURSCH: Meine Seele, meine Seele stinkt nach +Branndewein! - Selbst das Geld geht in Verwesung ueber! +Vergissmeinnicht, wie ist diese Welt so schoen! Bruder, ich muss ein +Regenfass voll greinen vor Wehmut. Ich wollt', unsre Nasen waeren zwei +Bouteillen, und wir koennten sie uns einander in den Hals giessen. + +ANDRE [im Chor]: + + Ein Jaeger aus der Pfalz + ritt einst durch einen gruenen Wald. + Halli, hallo, ha lustig ist die Jaegerei + allhier auf gruener Heid. + Das Jagen is mei Freud. + +[Woyzeck stellt sich ans Fenster. Marie und der Tambourmajor tanzen +vorbei, ohne ihm zu bemerken.] + +WOYZECK: Er! Sie! Teufel! + +MARIE [im Vorbeitanzen]: Immer zu, imer zu - + +WOYZECK [erstickt]: Immer zu - immer zu! - [Faehrt heftig auf und +sinkt zurueck auf die Bank:] Immer zu, immer zu! - [Schlaegt die +Haende ineinander:] Dreht euch. waelzt euch! Warum blaest Gott nicht +die Sonn aus, dass alles in Unzucht sich uebereinanderwaelzt, Mann +und Weib, Mensch und Vieh?! Tut's am hellen Tag, tut's einem auf den +Haenden wie die Muecken! - Weib! Das Weib is heiss, heiss! - Immer zu, +immer zu! - [Faehrt auf:] Der Kerl, wie er an ihr herum greift, an +ihrem Leib! Er, er hat sie - wie ich zu Anfang. - [Er sinkt betaeubt +zusammen.] + +ERSTER HANDWERKSBURSCH [predigt auf dem Tisch]: Jedoch, wenn ein +Wandrer, der gelehnt steht an dem Strom der Zeit oder aber sich die +goettliche Weisheit beantwortet und sich anredet: Warum ist der +Mensch? Warum ist der Mensch? - Aber wahrlich, ich sage euch: Von was +haette der Landmann, der Weissbinder, der Schuster, der Arzt leben +sollen, wenn Gott den Menschen nicht geschaffen haette? Von was haette +der Schneider leben sollen, wenn er dem Menschen nicht die Empfindung +der Scham eingepflanzt haette, von was der Soldat, wenn er ihm nicht +mit dem Beduerfnis sich totzuschlagen ausgeruestet haette? Darum +zweifelt nicht - ja, ja, es ist lieblich und fein, aber alles Irdische +ist uebel, selbst das Geld geht in Verwesung ueber. Zum Beschluss, +meine geliebten Zuhoerer, lasst uns noch uebers Kreuz pissen, damit +ein Jud stirbt! + +[Unter allgemeinem Gejohle erwacht Woyzech und rast davon.] + + + + Freies Feld + +WOYZECK: Immer zu! Immner zu! Hisch, hasch! So gehn die Geigen und die +Pfeifen. - Immer zul Immer zu! - Still, Musik! Was spricht da unten? +- Recht sich gegen den Boden: Ha, was, was sagt ihr? Lauterl Lauter! +Stich, stich die Zickwolfin tot? - Stich, stich die Zickwolfin tot! +- Soll ich! Muss ich? Hoer' ich's da auch? - Sagt's der Wind auch? - +Hoer' ich's immer, immer zu: stich tot, tot! + + + + Ein Zimmer in der Kaserne + +[Nacht. Andres und Woyzech in einem Bett.] + +WOYZECK [leise]: Andres! + +[Andres murmelt im Schlaf.] + +WOYZECK [schuettelt Andres]: He, Andres! Andres! + +ANDRES: Na was is? + +WOYZECK: Ich kann nit schlafen! Wenn ich die Aug zumach', dreht +sich's immer, und ich hoer' die Geigen, immer zu, immer zu. Und dann +spricht's aus der Wand. Hoerst du nix? + +ANDRES: Ja - lass sie tanze! Einer is mued, und dann Gott behuet uns, +amen. + +WOYZECK: Es redt lmmer: stich! stich! und zieht mir zwischen den Augen +wie ein Messer - + +ANDRES: Schlaf, Narr! - [Er schlaeft wieder ein.] + +WOYZECK: Immer zu! Immer zu! + + + + Der Hof des Doktors + +[Studenten und Woyzeck unten, der Doktor am Dachfenster.] + +DOKTOR: Meine Herren, ich bin auf dern Dach wie David, als er +die Bathseba sah; aber ich sehe nichts als die culs de Paris der +Maedchenpension im Garten trocknen. Meine Herren, wir sind an der +wichtigen Frage ueber das Verhaeltnis des Subjekts zum Objekt. +Wenn wir nur eins von den Dingen nehmen, worin sich die organische +Selbstaffirmation des Goettlichen, auf einem so hohen Standpunkte, +manifestiert, und ihre Verhaeltnisse zum Raum, zur Erde, zum +Planetarischen untersuchen, meine Herren, wenn ich diese Katze zum +Fenster hinauswerfe: wie wird diese Wesenheit sich zum centrum +gravitationis gemaess ihrem eigenen Instinkt verhalten? - He, Woyzeck +- [bruellt] -, Woyzeck! + +WOYZECK [faengt die Katze auf]: Herr Doktor, sie beisst! + +DOKTOR: Kerl, Er greift die Bestie so zaertlich an, als waer's seine +Grossmutter. - [Er kommt herunter.] + +WOYZECK: Herr Doktor, ich hab's Zittern. + +DOKTOR [ganz erfreut]: Ei, ei! Schoen, Woyzeck! - Reibt sich die +Haende. [Er nimmt die Katze:] Was seh' ich, meine Herren, die neue +Spezies Hasenlaus, eine schoene Spezies ... - [Er zieht eine Lupe +heraus, die Katze laeuft fort.] - Meine Herren, das Tier hat keinen +wissenschaftlichen Instinkt ... Die koennen dafuer was anders sehen. +Sehen Sie: der Mensch, seit einem Vierteljahr isst er nichts als +Erbsen; bemerken Sie die Wirkung, fuehlen Sie einmal: Was ein +ungleicher Puls! Der und die Augen! + +WOYZECK: Herr Daktor, es wird mir dunkel! - [Er setzt sich.] + +DOKTOR: Courage, Woyzeck! Noch ein paar Tage, und dann ist's fertig. +Fuehlen Sie, meine Herren, fuehlen Sie! - [Sie betasten ihm Schlaefe, +Puls und Busen.] - Apropos, Woyzeck, beweg den Herren doch einmal die +Ohren! Ich hab' es Ihnen schon zeigen wollen, zwei Muskeln sind bei +ihm taetig. Allons, frisch! + +WOYZECK: Ach, Herr Doktor! + +DOKTOR: Bestie, sall ich dir die Ohren bewegen? Willst du's machen wie +die Katze? So, meine Herren! Das sind so Uebergaenge zum Esel, haeufig +auch die Folge weiblicher Erziehung und die Muttersprache. Wieviel +Haare hat dir die Mutter zum Andenken schon ausgerissen aus +Zaertlichkeit? Sie sind dir ja ganz duenn geworden seit ein paar +Tagen. Ja, die Erbsen, meine Herren! + + + + Kasernenhof + +WOYZECK: Hast nix gehoert? + +ANDRES: Er is da, noch mit einem Kameraden. + +WOYZECK: Er hat was gesagt. + +ANDRES: Woher weisst du's? Was soll ich's sagen? Nu, er lachte, und +dann sagt er: Ein koestlich Weibsbild! Die hat Schenkel, und alles so +heiss! + +WOYZECK [ganz kalt]: So, hat er das gesagt? Von was hat mir doch hat +nacht getraeumt? War's nicht von einem Messer? Was man doch naerrische +Traeume hat! + +ANDRES: Wohin, Kamerad? + +WOYZECK: Meim Offizier Wein holen. - Aber, Andres, sie war dach ein +einzig Maedel. + +ANDRES: Wer war? + +WOYZECK: Nix. Adies! - [Ab.] + + + + Wirtshaus + +[Tambourmajor. Woyzeck. Leute.] + +TAMBOURMAJOR: Ich bin ein Mann! - [Schlaegt sich auf die Brust:] Ein +Mann, sag' ich. Wer will was? Wer kein be- soffner Herrgott ist, der +lass sich von mir. Ich will ihn die Nas ins Arschloch pruegeln! Ich +will - [Zu Woyzeck:] Du Kerl, sauf! Ich wollt' die Welt waer' Schnaps, +Schnaps - der Mann muss saufen! - [Woyzech pfeift.] - Kerl, soll ich +dir die Zung aus dem Hals ziehn und sie um den Leib herumwickeln? - +Sie ringen, Woyzeck verliert. - Soll ich dir noch so viel Atem lassen +als 'en Altweiberfurz, soll ich? - [Woyzech setzt sich erschoepft +zitternd auf eine Bank.] - Der Kerl soll dunkelblau pfeifen. + + Branndewein, das ist mein Leben; + Branndwein gibt Courage! + +EINE: Der hat sein Fett. + +ANDRE: Er blut'. + +WOYZECK: Eins nach dem andern. + + + + Kramladen + +[Woyzeck. Der Jude.] + +WOYZECK: Das Pistolchen ist zu teuer. + +JUDE: Nu, kauft's oder kauft's nit, was is? + +WOYZECK: Was kost' das Messer? + +JUDE: 's ist ganz grad. Wollt Ihr Euch den Hals mit abschneiden? Nu, +was is es? Ich geb's Euch so wohlfeil wie ein andrer. Ihr sollt Euern +Tod wohifeil haben, aber doch nit umsonst. Was is es? Er soll ein +oekonomischer Tod haben. + +WOYZECK: Das kann mehr als Brot schneiden - + +JUDE: Zwee Grosche. + +WOYZECK: Da! - Geht ab. + +JUDE: Da! Als ob's nichts waer! Und es is doch Geld. - Du Hund! + + + + Mariens Kammer + +NARR [liegt und erzaehlt sich Maerchen an den Fingern]: Der hat die +goldne Kron, der Herr Koenig ... Morgen hol' ich der Frau Koenigin ihr +Kind ... Blutwurst sagt: komm, Leber- wurst ... + +MARIE [blaettert in der Bibel]: "Und ist kein Betrug in seinem Munde +erfunden": ... Herrgott, Herrgott! Sieh mich nicht an! - [Blaettert +weiter:] "Aber die Pharisaeer brachten ein Weib zu ihm, im Ehebruch +begriffen, und stelleten sie ins Mittel dar ... Jesus aber sprach: +So verdamme ich dich auch nicht. Geh hin und suendige hinfort nicht +mehr!" - [Schlaegt die Haende zusammen:] Hergott! Hergott! Ich kann +nicht! - Herrgott, gib mir nur so viel, dass ich beten kann. - [Das +Kind draengt sich an sie.] - Das Kind gibt mir einen Stich ins Herz. +- [Zum Narrn:] Karl! Das bruest' sich in der Sonne! - [Narr nimmt +das Kind und wird still.] - Der Franz ist nit gekommen, gestern nit, +heut nit. Es wird heiss hier! - [Sie macht das Fenster auf und liest +wieder:] "Und trat hinten zu seinen Fuessen und weinete, und fing an, +seine Fuesse zu netzen mit Traenen und mit den Haaren ihres Hauptes +zu trocknen, und kuessete seine Fuesse und salbete sie mit Salbe +..." [Schlaegt sich auf die Brust:] Alles tot! Heiland! Heiland! ich +moechte dir die Fuesse salben! - + + + + Kaserne + +[Andres. Woyzeck kramt in seinen Sachen.] + +WOYZECK: Das Kamisolchen, Andres, ist nit zur Montur: du kannst's +brauchen, Andres. + +ANDRES [ganz starr, sagt zu allem]: Jawohl. + +WOYZECK: Das Kreuz meiner Schwester und das Ringlein. + +ANDRES: Jawohl. + +WOYZECK: Ich hab' auch noch ein Heiligen, zwei Herze und schoen Gold - +es lag in meiner Mutter Bibel, und da steht: + + Herr, wie dein Leib war rot und wund, + so lass mein Herz sein aller Stund. + +Mein Mutter fuehlt nur noch, wenn ihr die Sonn auf die Haend scheint - +das tut nix. + +ANDRES: Jawohl. + +WOYZECK [zieht ein Papier hervor]: Friedrich Johann Franz Woyzeck, +Wehrmann, Fuesilier im 2. Regiment, 2. Bataillion 4. Kompanie, geboren +Mariae Verkuendigung, den 20. Juli. - Ich bin heut alt 30 Jahr, 7 +Monat und 12 Tage. + +ANDRES: Franz, du kommst ins Lazarett. Armer, du musst Schnaps trinken +und Pulver drin, das toet' das Fieber. + +WOYZECK: Ja, Andres, wenn ein Schreiner die Hobelspaene sammelt, es +weiss niemand, wer seinen Kopf drauflegen wird. + + + + Strasse + +[Marie mit Maedchen vor der Haustuer, Grossmutter; spaeter Woyzeck] + +MAEDCHEN: + Wie scheint die Sonn am Lichtmesstag + und steht das Korn im Bluehn. + Sie gingen wohl die Wiese hin, + sie gingen zu zwein und zwein. + Die Pfeifer gingen voran, + die Geiger hinterdrein, + sie hatten rote Socken an ... + +ERSTES KIND: Das ist nit schoen. + +ZWEITES KIND: Was willst du auch immer! + +ERSTES KIND: Marie, sing du uns! + +MARIE: Ich kann nit. + +ERSTES KIND: Warum? + +MARIE: Darum. + +ZWEITES KIND: Aber warum darum? + +DRITTES KIND: Grossmutter, erzaehl! + +GROSSMUTTER: Kommt, ihr kleinen Krabben! - Es war einmal ein arm Kind +und hatt' kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand +mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag +und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt's in Himmel +gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum +Mond kam, war's ein Stueck faul Holz. Und da is es zur Sonn gangen, +und wie es zur Sonn kam, war's ein verwelkt Sonneblum. Und wie's zu +den Sternen kam, waren's kleine goldne Muecken, die waren angesteckt, +wie der Neuntoeter sie auf die Schlehen steckt. Und wie's wieder auf +die Erde wollt, war die Erde ein umgestuerzter Hafen. Und es war ganz +allein. Und da hat sich's hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch +und is ganz allein. + +WOYZECK [erscheint]: Marie! + +MARIE [erschreckt]: Was is? + +WOYZECK: Marie, wir wollen gehn. 's is Zeit. + +MARIE: Wohin? + +WOYZECK: Weiss ich's? + + + + Waldsaum am Teich + +[Marie und Woyzeck.] + +MARIE: Also dort hinaus is die Stadt. 's is finster. + +WOYZECK: Du sollst noch bleiben. Komm, setz dich! + +MARIE: Aber ich muss fort. + +WOYZECK: Du wirst dir die Fuesse nit wund laufe. + +MARIE: Wie bist du nur auch! + +WOYZECK: Weisst du auch, wie lang es jetzt is, Marie? + +MARIE: Am Pfingsten zwei Jahr. + +WOYZECK: Weisst du auch, wie lang es noch sein wird? + +MARIE: Ich muss fort, das Nachtessen richten. + +WOYZECK: Friert's dich, Marie? Und doch bist du warm. Was du heisse +Lippen hast! Heiss, heissen Hurenatem! Und doch moecht' ich den Himmel +geben, sie noch einmal zu kuessen. - Friert's dich? Wenn man kalt is, +so friert man nicht mehr. Du wirst vom Morgentau nicht frieren. + +MARIE: Was sagst du? + +WOYZECK: Nix. + +[Schweigen.] + +MARIE: Was der Mond rot aufgeht! + +WOYZECK: Wie ein blutig Eisen. + +MARIE: Was hast du vor, Franz, du bist so blass. - [Er holt mit dem +Messer aus.] - Franz halt ein! Um des Himmels willen, Hilfe, Hilfe! + +WOYZECK [sticht drauflos:] Nimm das und das! Kannst du nicht sterben? +So! So! - Ha, sie zuckt noch; noch nicht? Noch nicht? Immer noch. +- [Stoesst nochmals zu.] - Bist du tot! Tot! Tot! - [Er laesst das +Messer fallen und laeuft weg.] + + + + Das Wirtshaus + +WOYZECK: Tanzt alle, immer zu! Schwitzt und stinkt! Er holt euch doch +einmal alle! - [Singt:] + + Ach. Tochter, lieb Tochter + was hast du gedenkt, + dass du dich an die Landkutscher + und die Fuhrleut hasst gehenkt. + +[Er tanzt:] So, Kaethe, setz dich! Ich hab' heiss heiss! - [Er zieht +den Rock aus.] - Es ist einmal so, der Teufel holt die eine und laesst +die andre laufen. Kaethe, du bist heiss! War- um denn? Kaethe, du +wirst auch noch kalt werden. Sei vernuenftig. - Kannst du nicht +singen? + +KAETHE [singt]: + + Ins Schwabenland, das mag ich nicht, + und lange Kleider trag' ich nicht, + denn lange Kleider, spitze Schuh, + die kommen keiner Dienstmagd zu. + +WOYZECK: Nein, keine Schuh, man kann auch ohne Schuh in die Hoell +gehn. + +KAETHE [singt]: + + O pfui mein Schatz, das war nicht fein, + behalt dein Taler und schlaf allein. + +WOYZECK: Ja, wahrhaftig, ich moecte mich nicht blutig machen. + +KAETHE: Aber was hast du an deiner Hand? + +WOYZECK: Ich? Ich? + +KAETHE: Rot! Blut! + +[Es stellen sich Leute um sie.] + +WOYZECK: Blut? Blut? + +WIRT: Uu - Blut! + +WOYZECK: Ich glaub', ich hab' mich geschnitten, da an der rechten +Hand. + +WIRT: Wie kommt's aber an den Ellenbogen? + +WOYZECK: Ich hab's abgewischt. + +WIRT: Was, mit der rechten Hand an den rechten Ellenbogen Ihr seid +geschickt! + +NARR: Und da hat der Ries gesagt: Ich riech', ich riech' +Menschenfleisch. Puh, das stinkt schon! + +WOYZECK: Teufel, was wollt ihr? Was geht's euch an? Platz, oder der +erste - Teufel! Meint ihr, ich haett' jemand umgebracht? Bin ich ein +Moerder? Was gafft ihr? Guckt euch selbst an! Platz da! - [Er laeuft +hinaus.] + + + + Am Teich + +WOYZECK [allein]: Das Messer? Wo ist das Messer? Ich hab' es da +gelassen. Es verraet mich! Naeher, noch naeher! Was is das fuer ein +Platz? Was hoer' ich? Es ruehrt sich was. Still. - Da in der Naehe. +Marie? Ha, Marie! Still. Alles still! Was bist du so bleich, Marie? +Was hast du eine rote Schnur um den Hals? Bei wem hast du das Halsband +verdient mit deinen Suenden? Du warst schwarz davon, schwarz! Hab' ich +dich gebleicht? Was haengen deine Haare so wild? Hast du deine Zoepfe +heute nicht geflochten? ... - Das Messer, das Messer! Hab' ich's? So! +- [Er laeuft zum Wasser.] So, da hinunter! - [Er wirft das Messer +hinein.] - Es taucht in das dunkle Wasser wie ein Stein. - Nein, es +liegt zu weit vorn, wenn sie sich baden. - [Er geht in den Teich und +wirft weit.] - So, jetzt - aber im Sommer, wenn sie tauchen nach +Muscheln? - Bah, es wird rostig, wer kann's erkennen. - Haett' ich es +zerbrochen! - - Bin ich noch blutig? Ich muss mich waschen. Da ein +Fleck, und da noch einer ... + +[Es kommen Leute.] + +ERSTE PERSON: Halt! + +ZWEITE PERSON: Hoerst du? Still! Dort! + +ERSTE: Uu! Da! Was ein Ton! + +ZWEITE: Es ist das Wasser, es ruft: Schon lang ist niemand ertrunken. +Fort! Es ist nicht gut, es zu hoeren! + +ERSTE: Uu! Jetzt wieder! - Wie ein Mensch, der stirbt! + +ZWEITE: Es ist unheimlich! So dunstig, allenthalben Nebelgrau - und +das Summen der Kaefer wie gesprungne Glocken. Fort! + +ERSTE: Nein. zu deutlich, zu laut! Da hinauf! Komm mit! + + + + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Woyseck, by Georg Buchner + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WOYSECK *** + +***** This file should be named 5322.txt or 5322.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/5/3/2/5322/ + +Produced by Gunther Olesch and Erik Pishel +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part +of this license, apply to copying and distributing Project +Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm +concept and trademark. 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Redistribution is subject to the +trademark license, especially commercial redistribution. + +START: FULL LICENSE + +THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE +PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK + +To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free +distribution of electronic works, by using or distributing this work +(or any other work associated in any way with the phrase "Project +Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full +Project Gutenberg-tm License available with this file or online at +www.gutenberg.org/license. + +Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project +Gutenberg-tm electronic works + +1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm +electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to +and accept all the terms of this license and intellectual property +(trademark/copyright) agreement. 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It +exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations +from people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future +generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see +Sections 3 and 4 and the Foundation information page at +www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by +U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the +mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its +volunteers and employees are scattered throughout numerous +locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt +Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to +date contact information can be found at the Foundation's web site and +official page at www.gutenberg.org/contact + +For additional contact information: + + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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Donations are accepted in a number of other +ways including checks, online payments and credit card donations. To +donate, please visit: www.gutenberg.org/donate + +Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. + +Professor Michael S. Hart was the originator of the Project +Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be +freely shared with anyone. For forty years, he produced and +distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of +volunteer support. + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in +the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not +necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper +edition. + +Most people start at our Web site which has the main PG search +facility: www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. + diff --git a/5322.zip b/5322.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..2a37263 --- /dev/null +++ b/5322.zip diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize +this eBook outside of the United States should confirm copyright +status under the laws that apply to them. diff --git a/README.md b/README.md new file mode 100644 index 0000000..12c2ec2 --- /dev/null +++ b/README.md @@ -0,0 +1,2 @@ +Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for +eBook #5322 (https://www.gutenberg.org/ebooks/5322) diff --git a/old/7woyz10.txt b/old/7woyz10.txt new file mode 100644 index 0000000..893be24 --- /dev/null +++ b/old/7woyz10.txt @@ -0,0 +1,1536 @@ +The Project Gutenberg EBook of Woyzeck, by Georg Buchner +(#2 in our series by Georg Buchner) + +Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the +copyright laws for your country before downloading or redistributing +this or any other Project Gutenberg eBook. + +This header should be the first thing seen when viewing this Project +Gutenberg file. Please do not remove it. 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You can also find out about how to make a +donation to Project Gutenberg, and how to get involved. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** + + +Title: Woyzeck + +Author: Georg Buchner + +Release Date: March, 2004 [EBook #5322] +[Yes, we are more than one year ahead of schedule] +[This file was first posted on July 1, 2002] +[Most recently updated August 4, 2002] + +Edition: 10 + +Language: German + +Character set encoding: ASCII + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, WOYZECK *** + + + + +This eBook was prepared by Gunther Olesch from a Project Gutenberg of DE +source file created by Erik Pischel. + + + +Woyzeck + +Georg Buechner + + + +Vorbemerkung + +Dieses Stueck ist ein Fragment. Es gibt keine einzig richtige +Reihenfolge der einzelnen Szenen, denn sie sind weder nummeriert noch +in Akte aufgeteilt. + +Die hier vorliegende Reihenfolge stimmt mit der Verfilmung mit +Klaus Kinski in der Hauptrolle ueberein, vom Ende vielleicht einmal +abgesehen. + +Das Stueck spielt in Darmstadt, die Figuren sprechen groesstenteils +in dortigem Dialekt. Deshalb haben im Hochdeutschen grammatikalisch +falsche Konstruktionen hier seine Richtigkeit. + + + + +Personen + +Woyzeck +Marie +Hauptmann +Doktor +Tamboumajour +Unteroffizier +Andres +Margret +Budenbesitzer +Marktschreier +Alter Mann mit Leierkasten +Jude +Wirt +Erster Handwerksbursch +Zweiter Handwerksbursch +Kaethe +Narr Karl +Grossmutter +Erstes, zweites, drittes Kind +erste, zweite Person +Polizeikommissar + +Soldaten. Studenten. Burschen und Maedchen +Kinder. Volk + + + +Woyzeck + + Beim Hauptmann + +[Hauptmann auf dem Stuhl, Woyzeck rasiert ihn.] + +HAUPTMANN: Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern! Er macht +mir ganz schwindlig. Was soll ich dann mit den 10 Minuten anfangen, +die Er heut zu frueh fertig wird? Woyzeck, bedenk Er, Er hat +noch seine schoenen dreissig Jahr zu leben, dreissig Jahr! Macht +dreihundertsechzig Monate! und Tage! Stunden! Minuten! Was will Er +denn mit der ungeheuren Zeit all anfangen? Teil Er sich ein, Woyzeck! + +WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann. + +HAUPTMANN: Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die +Ewigkeit denke. Beschaeftigung, Woyzeck, Beschaeftigung! Ewig: das ist +ewig, das ist ewig - das siehst du ein; nur ist es aber wieder nicht +ewig, und das ist ein Augenblick, ja ein Augenblick - Woyzeck, es +schaudert mich, wenn ich denke, dass sich die Welt in einem Tag +herumdreht. Was 'n Zeitverschwendung! Wo soll das hinaus? Woyzeck, ich +kann kein Muehlrad mehr sehen, oder ich werd melancholisch. + +WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann. + +HAUPTMANN: Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt aus! Ein guter Mensch +tut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. - Red er +doch was Woyzeck! Was ist heut fuer Wetter? + +WOYZECK: Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm: Wind! + +HAUPTMANN: Ich spuer's schon. 's ist so was Geschwindes draussen: so +ein Wind macht mir den Effekt wie eine Maus. - [Pfiffig:] Ich glaub', +wir haben so was aus Sued-Nord? + +WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann. + +HAUPTMANN: Ha, ha ha! Sued-Nord! Ha, ha, ha! Oh, Er ist dumm, ganz +abscheulich dumm! - [Geruehrt:] Woyzeck, Er ist ein guter Mensch +--aber-- [Mit Wuerde:] Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, +wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort. Er hat +ein Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hocherwuerdiger Herr +Garnisionsprediger sagt - ohne den Segen der Kirche, es ist ist nicht +von mir. + +WOYZECK: Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum +ansehen, ob das Amen drueber gesagt ist, eh er gemacht wurde. Der Herr +sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen. + +HAUPTMANN: Was sagt Er da? Was ist das fuer eine kuriose Antwort? Er +macht mich ganz konfus mit seiner Antwort. Wenn ich sag': Er, so mein' +ich Ihn, Ihn - + +WOYZECK: Wir arme Leut - Sehn Sie, Herr Hauptmann: Geld, Geld! Wer +kein Geld hat - Da setz einmal eines seinesgleichen auf die Moral +in der Welt! Man hat auch sein Fleisch und Blut. Unsereins ist doch +einmal unselig in der und der andern Welt. Ich glaub', wenn wir in +Himmel kaemen, so muessten wir donnern helfen. + +HAUPTMANN: Woyzeck, Er hat keine Tugend! Er ist kein tugendhafter +Mensch! Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg', wenn's geregnet +hat, und den weissen Struempfen nachseh', wie sie ueber die Gassen +springen - verdammt, Woyzeck, da kommt mir die Liebe! Ich hab' auch +Fleisch und Blut. Aber, Woyzeck, die Tugend! Die Tugend! Wie sollte +ich dann die Zeit rumbringen? Ich sag' mir immer: du bist ein +tugendhafter Mensch - [geruehrt:] -, ein guter Mensch, ein guter +Mensch. + +WOYZECK: Ja, Herr Hauptmann, die Tugend - ich hab's noch nit so aus. +Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt nur so +die Natur; aber wenn ich ein Herr waer und haett' ein' Hut und eine +Uhr und eine Anglaise und koennt' vornehm rede, ich wollt' schon +tugendhaft sein. Es muss was Schoenes sein um die Tugend, Herr +Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl! + +HAUPTMANN: Gut, Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. +Aber du denkst zuviel, das zehrt; du siehst immer so verhetzt aus. - +Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh jetzt, und renn nicht so; +langsam, huebsch langsam die Strasse hinunter! + + + + Freies Feld, die Stadt in der Ferne + +[Woyzeck und Andres schneiden Stecken im Gebuesch. Andres pfeift.] + +WOYZECK: Ja, Andres, der Platz ist verflucht. Siehst Du den lichten +Streif da ueber das Gras hin, wo die Schwaemme so nachwachsen? Da +rollt abends der Kopf. Es hob ihn einmal einer auf, er meint', es waer +ein Igel: drei Tag und drei Naecht, er lag auf den Hobelspaenen. - +[Leise:] Andres, das waren die Freimaurer! Ich hab's, die Freimaurer! + +ANDRES [singt]: + Sassen dort zwei Hasen, + frassen ab das gruene, gruene Gras... + +WOYZECK: Still: Hoerst du's, Andres? Hoerst du's? Es geht was! + +ANDRES: + Frassen ab das gruene, gruene Gras... + bis auf den gruenen Rasen. + +WOYZECK: Es geht hinter mir, unter mir. - [Stampft auf den Boden:] +Hohl, hoerst Du? Alles hohl da unten! Die Freimaurer! + +ANDRES: Ich fuercht' mich. + +WOYZECK: 's ist so kurios still. Man moecht' den Atem halten. - +Andres! + +ANDRES: Was? + +WOYZECK: Red was! - [Starrt in die Gegend.] - Andres, wie hell! Ueber +der Stadt is alles Glut! Ein Feuer faehrt um den Himmel und ein Getoes +herunter wie Posaunen. Wie's heraufzieht! - Fort! Sieh nicht hinter +dich! - [Reisst ihn ins Gebuesch.] + +ANDRES [nach einer Pause]: Woyzeck, hoerst du's noch? + +WOYZECK: Still, alles still, als waer' die Welt tot. + +ANDRES: Hoerst du? Sie trommeln drin. Wir muessen fort! + + + + Die Stadt + +[Marie mit ihrem Kind am Fenster. Margret. Der Zapfenstreich geht +vorbei, der Tambourmajor voran.] + +MARIE [das Kind wippend auf dem Arm]: He, Bub! Sa ra ra ra! Hoerst? Da +kommen Sie! + +MARGRET: Was ein Mann, wie ein Baum! + +MARIE: Er steht auf seinen Fuessen wie ein Loew. + +[Tambourmajor gruesst.] + +MARGRET: Ei, was freundliche Auge, Frau Nachbarin! So was is man an +ihr nit gewoehnt. + +MARIE [singt]: Soldaten, das sind schoene Bursch ... + +MARGRET: Ihre Auge glaenze ja noch - + +MARIE: Und wenn! Trag Sie Ihr Aug zum Jud, und lass Sie sie putze; +vielleicht glaenze sie noch, dass man sie fuer zwei Knoepfe verkaufen +koennt. + +MARGRET: Was, Sie? Sie? Frau Jungfer! Ich bin eine honette Person, +aber Sie, es weiss jeder, Sie guckt sieben Paar lederne Hose durch! + +MARIE: Luder! - [Schlaegt das Fenster durch.] - Komm, mei Bub! Was die +Leute wolle. Bist doch nur ein arm Hurenkind und machst deiner Mutter +Freud mit deim unehrlichen Gesicht! Sa! sa! - [Singt] + Maedel, was fangst Du jetzt an? + Hast ein klein Kind und kein' Mann! + Ei, was frag' ich danach? + Sing' ich die ganze Nacht + heio, popeio, mei Bu, juchhe! + Gibt mir kein Mensch nix dazu. + +[Es klopft am Fenster.] + +MARIE: Wer da? Bist du's, Franz? Komm herein! + +WOYZECK: Kann nit. Muss zum Verles'. + +MARIE: Hast du Stecken geschnitten fuer den Hauptmann? + +WOYZECK: Ja, Marie. + +MARIE: Was hast du, Franz? Du siehst so verstoert. + +WOYZECK [geheimnisvoll]: Marie, es war wieder was, viel - steht nicht +geschrieben: Und sie, da ging ein Rauch vom Land, wie der Rauch vom +Ofen? + +MARIE: Mann! + +WOYZECK: Es ist hinter mir hergangen bis vor die Stadt. Etwas, was +wir nicht fassen, begreifen, was uns von Sinnen bringt. Was soll das +werden? + +MARIE: Franz! + +WOYZECK: Ich muss fort. - Heut abend auf die Mess! Ich hab wieder +gespart. - [Er geht.] + +MARIE: Der Mann! So vergeistert. Er hat sein Kind nicht angesehn! +Er schnappt noch ueber mit den Gedanken! - Was bist so still, Bub? +Furchtest dich? Es wird so dunkel; man meint, man waer' blind. Sonst +scheint als die Latern herein. Ich halt's nit aus; es schauert mich! - +[Geht ab.] + + + + Buden. Lichter. Volk + +ALTER MANN [singt und Kind tanzt zum Leierkasten]: + Auf der Welt ist kein Bestand, + Wir muessen alle sterben, + das ist uns wohlbekannt. + +WOYZECK: Hei, Hopsa's! - Armer Mann, alter Mann! Armes Kind, junges +Kind! Sorgen und Feste! + +MARIE: Mensch, sind noch die Narrn von Verstande, dann ist man selbst +ein Narr. - Komische Welt! Schoene Welt! + +[Beide gehn weiter zum Marktschreier.] + +MARKTSCHREIER [vor seiner Bude mit seiner Frau in Hosen und einem +kostuemierten Affen]: Meine Herren, meine Herren! Sehn Sie die +Kreatur, wie sie Gott gemacht: nix, gar nix. Sehn Sie jetzt die Kunst: +geht aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein' Saebel! Der Aff ist +Soldat; s' ist noch nicht viel, unterste Stuf von menschliche +Geschlecht. Ho! Mach Kompliment! So - bist Baron. Gib Kuss! - [Er +trompetet:] Wicht ist musikalisch. - Meine Herren, hier ist zu sehen +das astronomische Pferd und die kleine Kanaillevoegele. Sind Favorit +von alle gekroente Haeupter Europas, verkuendigen den Leuten alles: +wie alt, wieviel Kinder, was fuer Krankheit. Die Repraesentationen +anfangen! Es wird sogleich sein Commencement von Commencement. + +WOYZECK: Willst Du? + +MARIE: Meinetwegen. Das muss schoen Ding sein. Was der Mensch Quasten +hat! Und die Frau Hosen! + +[Beide gehn in die Bude.] + +TAMBOURMAJOR: Halt, jetzt! Siehst du sie! Was ein Weibsbild! + +UNTEROFFIZIER: Teufel! Zum Fortpflanzen von Kuerassierregimentern! + +TAMBOURMAJOR: Und zur Zucht von Tambourmajors! + +UNTEROFFIZIER: Wie sie den Kopf traegt! Man meint, das schwarze Haar +muesst' sie abwaerts ziehn wie ein Gewicht. Und Augen - + +TAMBOURMAJOR: Als ob man in ein' Ziehbrunnen oder zu einem Schornstein +hinunter guckt. Fort, hintendrein! - + + + + Das Innere der hellerleuchteten Bude + +MARIE: Was Licht! + +WOYZECK: Ja, Marie, schwarze Katzen mit feurigen Augen. Hei, was ein +Abend! + +DER BUDENBESITZER [ein Pferd vorfuehrend]: Zeig dein Talent! Zeig +deine viehische Vernuenftigkeit! Beschaeme die menschliche Sozietaet! +Meine Herren, dies Tier, was Sie da sehn, Schwanz am Leib, auf seine +vier Hufe, ist Mitglied von alle gelehrt Sozietaet, ist Professor +an unsre Universitaet, wo die Studente bei ihm reiten und schlagen +lernen. - Das war einfacher Verstand. Denk jetzt mit der doppelten +Raison! Was machst du, wann du mit der doppelten Raison denkst? Ist +unter der gelehrten Societe da ein Esel? - [Der Gaul schuettelt den +Kopf.] - Sehn Sie jetzt die doppelte Raison? Das ist Viehsionomik. Ja, +das ist kein viehdummes Individuum, das ist ein Person, ein Mensch, +ein tierischer Mensch - und doch ein Vieh, ein Bete. - [Das Pferd +fuehrt sich ungebuehrlich auf.] - So, beschaeme die Societe. Sehn Sie, +das Vieh ist noch Natur, unideale Natur! Lernen Sie bei ihm! Fragen +Sie den Arzt, es ist sonst hoechst schaedlich! Das hat geheissen: +Mensch, sei natuerlich! Du bist geschaffen aus Staub, Sand, Dreck. +Willst du mehr sein als Staub, Sand, Dreck? - Sehn Sie, was Vernunft: +es kann rechnen und kann doch nit an den Fingern herzaehlen. +Warum? Kann sich nur nit ausdruecken, nur nit explizieren, ist ein +verwandelter Mensch. Sag den Herren, wieviel Uhr ist es! Wer von den +Herren und Damen hat ein Uhr? ein Uhr? + +UNTEROFFIZIER: Eine Uhr? - [Zieht grossartig und gemessen eine Uhr aus +der Tasche:] Da, mein Herr! + +MARIE: Das muss ich sehn. - [Sie klettert auf den ersten Platz; +Unteroffizier hilft ihr.] + +TAMBOURMAJOR: Das ist ein Weibsbild. + + + + Mariens Kammer + +MARIE [sitzt, ihr Kind auf dem Schoss, ein Stueckchen Spiegel in +der Hand]: Der andre hat ihm befohlen, und er hat gehen muessen! - +[Bespiegelt sich:] Was die Steine glaenzen! Was sind's fuer? Was hat +er gesagt? - - Schlaf, Bub! Drueck die Augen zu, fest! - [Das Kind +versteckt die Augen hinter den Haenden.] - Noch fester! Bleib so - +still, oder er holt dich! - [Singt:] + Maedel, mach's Ladel zu + 's kommt e Zigeunerbu, + fuehrt dich an deiner Hand + fort ins Zigeunerland. +[Spiegelt sich wieder.] - 's ist gewiss Gold! Wie wird mir's beim +Tanzen stehen? Unsereins hat nur ein Eckchen in der Welt und ein +Stueck Spiegel, und doch hab ich ein' so roten Mund als die grossen +Madamen mit ihrem Spiegeln von oben bis unten und ihren schoenen +Herrn, die ihnen die Haend kuessen. Ich bin nur ein arm Weibsbild! +- [Das Kind richtet sich auf.] - Still, Bub, die Augen zu! Das +Schlafengelchen! Wie's an der Wand laeuft. - [Sie blinkt ihm mit dem +Glas:] Die Auge zu, oder es sieht dir hinein, dass du blind wirst! + +[Woyzeck tritt herein, hinter sie. Sie faehrt auf, mit den Haenden +nach den Ohren.] + +WOYZECK: Was hast du? + +MARIE: Nix. + +WOYZECK: Unter deinen Fingern glaenzt's ja. + +MARIE: Ein Ohrringlein; hab's gefunden. + +WOYZECK: Ich hab' so noch nix gefunden, zwei auf einmal! + +MARIE: Bin ich ein Mensch? + +WOYZECK: 's ist gut, Marie. - Was der Bub schlaeft! Greif ihm unters +Aermchen, der Stuhl drueckt ihn. Die hellen Tropfen stehn ihm auf der +Stirn; alles Arbeit unter der Sonn, sogar Schweiss im Schlaf. Wir +arme Leut! - Da ist wieder Geld, Marie; die Loehnung und was von meim +Hauptmann. + +MARIE: Gott vergelt's, Franz. + +WOYZECK: Ich muss fort. Heut abend, Marie! Adies! + +MARIE [allein, nach einer Pause]: Ich bin doch ein schlechter Mensch! +Ich koennt' mich erstechen. - Ach, was Welt! Geht doch alle zum +Teufel, Mann und Weib! Vorige Seite Naechste Seite + + + + Beim Doktor + +[Woyzeck. Der Doktor.] + +DOKTOR: Was erleb' ich, Woyzeck? Ein Mann von Wort! + +WOYZECK: Was denn, Herr Doktor? + +DOKTOR: Ich hab's gesehn, Woyzeck; er hat auf die Strass gepisst, an +die Wand gepisst, wie ein Hund. - Und doch drei Groschen taeglich und +die Kost! Woyzeck, das ist schlecht; die Welt wird schlecht, sehr +schlecht! + +WOYZECK: Aber, Herr Doktor, wenn einem die Natur kommt. + +DOKTOR: Die Natur kommt, die Natur kommt! Die Natur! Hab' ich nicht +nachgewiesen, dass der Musculus constrictor vesicae dem Willen +unterworfen ist? Die Natur! Woyzeck, der Mensch ist frei, in dem +Menschen verklaert sich die Individualitaet zur Freiheit. - Den Harn +nicht halten koennen! - [Schuettelt den Kopf, legt die Haende auf den +Ruecken und geht auf und ab.] - Hat Er schon seine Erbsen gegessen, +Woyzeck? Nichts als Erbsen, cruciferae, merk Er sich's! Es gibt eine +Revolution in der Wissenschaft, ich sprenge sie in die Luft. Harnstoff +0,10, salzsaures Ammonium, Hyperoxydul - Woyzeck, muss Er nicht wieder +pissen? Geh Er einmal hinein und probier Er's! + +WOYZECK: Ich kann nit, Herr Doktor. + +DOKTOR [mit Affekt]: Aber an die Wand pissen! Ich hab's schriftlich, +den Akkord in der Hand! - Ich hab's gesehen, mit diesen Augen +gesehen; ich steckt' grade die Nase zum Fenster hinaus und liess die +Sonnenstrahlen hineinfallen, um das Niesen zu beobachten. - [Tritt auf +ihn los:] Nein, Woyzeck, ich aergre mich nicht; Aerger ist ungesund, +ist unwissenschaftlich. Ich bin ruhig, ganz ruhig; mein Puls hat +seine gewoehnlichen sechzig, und ich sag's Ihm mit der groessten +Kaltbluetigkeit. Behuete, wer wird sich ueber einen Menschen aergern, +ein' Mensch! Wenn es noch ein Proteus waere, der einem krepiert! Aber, +Woyzeck, Er haette nicht an die Wand pissen sollen - + +WOYZECK: Sehn Sie, Herr Doktor, manchmal hat einer so 'en Charakter, +so 'ne Struktur. - Aber mit der Natur ist's was anders, sehn Sie; mit +der Natur - [er kracht mit den Fingern] -, das is so was, wie soll ich +sagen, zum Beispiel ... + +DOKTOR: Woyzeck, Er philosophiert wieder. + +WOYZECK [vertraulich]: Herr Doktor, haben Sie schon was von der +doppelten Natur gesehn? Wenn die Sonn in Mattag steht und es ist, als +ging' die Welt in Feuer auf, hat schon eine fuerchterliche Stimme zu +mir geredt! + +DOKTOR: Woyzeck, Er hat eine Aberratio. + +WOYZECK [legt den Finger auf die Nase]: Die Schwaemme, Herr Doktor, +da, da steckt's. Haben Sie schon gesehn, in was fuer Figuren die +Schwaemme auf dem Boden wachsen? Wer das lesen koennt! + +DOKTOR: Woyzeck, Er hat die schoenste Aberratio mentalis partialis, +die zweite Spezies, sehr schoen ausgepraegt. Woyzeck, Er kriegt +Zulage! Zweite Spezies: fixe Idee mit allgemein vernuenftigem Zustand. +- Er tut noch alles wie sonst? Rasiert seinen Hauptmann? + +WOYZECK: Jawohl. + +DOKTOR: Isst seine Erbsen? + +WOYZECK: Immer ordentlich, Herr Doktor. Das Geld fuer die Menage +kriegt meine Frau. + +DOKTOR: Tut seinen Dienst? + +WOYZECK: Jawohl. + +DOKTOR: Er ist ein interessanter Kasus. Subjekt Woyzeck, Er kriegt +Zulage, halt Er sich brav. Zeig Er seinen Puls. Ja. + + + + Mariens Kammer + +[Marie. Tambourmajor.] + +TAMBOURMAJOR: Marie! + +MARIE [ihn ansehennd, mit Ausdruck]: Geh einmal vor dich hin! Ueber +die Brust wie ein Rind und ein Bart wie ein Loew. So ist keiner! - Ich +bin stolz vor allen Weibern! + +TAMBOURMAJOR: Wenn ich am Sonntag erst den grossen Federbusch hab' und +die weisse Handschuh, Donnerwetter! Der Prinz sagt immer: Mensch, Er +ist ein Kerl. + +MARIE [spoettisch]: Ach was! - [Tritt vor ihn hin:] Mann! + +TAMBOURMAJOR: Und du bist auch ein Weibsbild! Sapperment, wir wollen +eine Zucht Tambourmajors anlegen. He? - [Er umfasst sie.] + +MARIE [verstimmt]: Lass mich! + +TAMBOURMAJOR: Wild Tier! + +MARIE [heftig]: Ruehr mich an! + +TAMBOURMAJOR: Sieht dir der Teufel aus den Augen? + +MARIE: Meinetwegen! Es ist alles eins! + + + + Strasse + +[Hauptmann. Doktor. Hauptmann keucht die Strasse herunter, haelt an; +keucht, sieht sich um.] + +HAUPTMANN: Herr Doktor, rennen Sie nicht so! Rudern Sie mir Ihrem +Stock nicht so in der Luft! Sie hetzen sich ja hinter dem Tod drein. +Ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat, geht nicht so schnell. +Ein guter Mensch - [Er erwischt den Doktor am Rock:] Herr Doktor, +erlauben Sie, dass ich ein Menschenleben rette! + +DOKTOR: Pressiert, hh, pressiert! + +HAUPTMANN: Herr Doktor, ich bin so schwermuetig, ich habe so was +Schwaermerisches; ich muss immer weinen, wenn ich meinen Rock an der +Wand haengen sehen -. + +DOKTOR: Hm! Aufgedunsen, fett, dicker Hals: apoplektische +Konstitution. Ja, Herr Hauptmann, Sie koennen eine Apoplexia cerebri +kriegen; Sie koennen sie aber vielleicht auch nur auf der einen Seite +bekommen und auf der einen gelaehmt sein, oder aber Sie koennen im +besten Fall geistig gelaehmt werden und nur fort vegetieren: das sind +so ohgefaehr Ihre Aussichten auf die naechsten vier Wochen! Uebrigens +kann ich Sie versichern, dass Sie einen von den interessanten Faellen +abgeben, und wenn Gott will, dass Ihre Zunge zum Teil gelaehmt wird, +so machen wir unsterbliche Experimente. + +HAUPTMANN: Herr Doktor, erschrecken Sie mich nicht! Es sind schon +Leute am Schreck gestorben, am blossen hellen Schreck. - Ich sehe +schon die Leute mit den Zitronen in den Haenden; aber sie werden +sagen, er war ein guter Mensch, ein guter Mensch - Teufel Sargnagel! + +DOKTOR [haelt ihm den Hut hin]: Was ist das, hh? - Das ist ein +Hohlkopf, geehrtester Herr Exerzierzagel! + +HAUPTMANN [macht eine Falte]: Was ist das, Herr Doktor? - Das ist +Einfalt, bester Herr Sargnagel! Haehaehae! Aber nichts fuer ungut! Ich +bin ein guter Mensch, aber ich kann auch, wenn ich will, Herr Doktor, +haehaehae, wenn ich will ... - [Woyzeck kommt und will vorbeieilen] +- He, Woyzeck, was hetzt Er sich so an uns vorbei. Bleib er doch, +Woyzeck! Er laeuft ja wie ein offnes Rasiermesser durch die Welt, man +schneidt sich an Ihm; Er laeuft, als haett er ein Regiment Kastrierte +zu rasieren und wuerde gehenkt ueber dem laengsten Haar noch vor dem +Verschwinden. Aber, ueber die langen Baerte - was wollt' ich doch +sagen? Woyzeck: die langen Baerte ... + +DOKTOR: Ein langer Bart unter dem Kinn, schon Plinius spricht davon, +man muesst es den Soldaten abgewoehnen ... + +HAUPTMANN [faehrt fort]: Ha, ueber die langen Baerte! Wie is, Woyzeck, +hat Er noch nicht ein Haar aus einem Bart in seiner Schuessel +gefunden? He, Er versteht mich doch? Ein Haar eines Menschen, vom Bart +eines Sapeurs, eines Unteroffiziers, eines - eines Tambourmajors? He, +Woyzeck? Aber Er hat eine brave Frau. Geht Ihm nicht wie andern. + +WOYZECK: Jawohl! Was wollen Sie sagen, Herr Hauptmann? + +HAUPTMANN: Was der Kerl ein Gesicht macht! ... Vielleicht nun auch +nicht in der Suppe, aber wenn Er sich eilt und um die Eck geht, so +kann er vielleicht noch auf ein Paar Lippen eins finden. Ein Paar +Lippen, Woyzeck. Kerl, Er ist ja kreideweiss! + +WOYZECK: hh, ich bin ein armer Teufel - und hab's sonst nichts auf der +Welt. hh, wenn Sie Spass machen - + +HAUPTMANN: Spass ich? Dass dich Spass, Kerl! + +DOKTOR: Den Puls, Woyzeck, den Puls! - Klein, hart, huepfend, +unregelmaessig. + +WOYZECK: hh, die Erd is hoellenheiss - mir eiskalt, eiskalt - Die +Hoelle is kalt, wollen wir wetten. - - Unmoeglich! Mensch! Mensch! +Unmoeglich! + +HAUPTMANN: Kerl, will Er - will Er ein paar Kugeln vor den Kopf haben? +Er ersticht mich mit seinen Augen, und ich mein' es gut mit Ihm, weil +Er ein guter Mensch ist, Woyzeck, ein guter Mensch. + +DOKTOR: Gesichtsmuskeln starr, gespannt, zuweilen huepfend. Haltung +aufgeregt, gespannt. + +WOYZECK: Ich geh'. Es is viel moeglich. Der Mensch! Es is viel +moeglich. - Wir haben schoen Wetter, hh. Sehn Sie, so ein schoener, +fester, grauer Himmel; man koennte Lust bekommen, ein' Kloben +hineinzuschlagen und sich daran zu haengen, nur wegen des +Gedankenstriches zwischen Ja und wieder Ja - und Nein. hh, Ja und +Nein? Ist das Nein am Ja oder das Ja am Nein schuld? Ich will darueber +nachdenken. - [Geht mit breiten Schritten ab, erst langsamer, dann +immer schneller.] + +HAUPTMANN: Mir wird ganz schwindlig vor den Menschen. Wie schnell! +Der lange Schlingel greift aus, als laeuft der Schatten von einem +Spinnbein, und der Kurze, das zuckelt. Der Lange ist der Blitz und der +Kleine der Donner. Haha ... Grotesk! grotesk! + + + + Mariens Kammer + +[Marie. Woyzeck.] + +WOYZECK [sieht sie starr an und schuettelt den Kopf]: Hm! Ich seh' +nichts, ich seh nichts. O man muesst's sehen, man muesst's greifen +koenne mit Faeusten! + +MARIE [verschuechtert]: Was hast du, Franz? - Du bist hirnwuetig, +Franz. + +WOYZECK: Eine Suende, so dick und so breit - es stinkt, dass man die +Engelchen zum Himmel hinausraeuchern koennt'! Du hast ein' roten Mund, +Marie. Keine Blase drauf? Wie, Marie, du bist schoen wie die Suende - +kann die Totsuende so schoen sein? + +MARIE: Franz, du redest im Fieber! + +WOYZECK: Teufel! - Hat er da gestanden? So? So? + +MARIE: Dieweil der Tag lang und die Welt alt is, koennen viele +Menschen an einem Platz stehen, einer nach dem andern. + +WOYZECK: Ich hab ihn gesehn! + +MARIE: Man kann viel sehn, wenn man zwei Auge hat und nicht blind is +und die Sonn scheint. + +WOYZECK: Mensch! - [Geht auf sie los.] + +MARIE: Ruehr mich an, Franz! Ich haett' lieber ein Messer in den Leib +als deine Hand auf meiner. Mein Vater hat mich nit anzugreifen gewagt, +wie ich zehn Jahre alt war, wenn ich ihn ansah. + +WOYZECK: Weib! - Nein, es muesste was an dir sein! Jeder Mensch ist +ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht. - Es waere! +Sie geht wie die Unschuld. Nun, Unschuld, du hast ein Zeichen an dir. +Weiss ich's? Weiss ich's? Wer weiss es? - [Er geht.] + + + + Die Wachstube. + +[Woyzeck. Andres.] + +ANDRES [singt]: + Frau Wirtin hat ne brave Magd, + sie sitzt im Garten Tag und Nacht, + sie sitzt in ihrem Garten ... + +WOYZECK: Andres! + +ANDRES: Nu? + +WOYZECK: Schoen Wetter. + +ANDRES: Sonntagswetter - Musik vor der Stadt. Vorhin - sind die +Weibsbilder hinaus; die Mensche dampfe, das geht! + +WOYZECK [unruhig]: Tanz, Andres, sie tanze! + +ANDRES: Im Roessel und in Sternen. + +WOYZECK: Tanz, Tanz! + +ANDRES: Meinetwege. + Sitzt in ihrem Garten, + bis dass das Gloecklein zwoelfe schlaegt, + und passt auf die Solda-aten. + +WOYZECK: Andres, ich hab' kei Ruh. + +ANDRES: Narr! + +WOYZECK: Ich muss hinaus. Es dreht sich mir vor den Augen. Tanz, Tanz! +Wird sie heisse Haend habe! Verdammt, Andres! + +ANDRES: Was willst du? + +WOYZECK: Ich muss fort, muss sehen. + +ANDRES: Du Unfried! Wegen dem Mensch? + +WOYZECK: Ich muss hinaus, 's is so heiss dahie. + + + + Wirtshaus + +[Die Fenster offen, Tanz. Baenke vor dem Haus. Bursche.] + +ERSTER HANDSWERKSBURSCH: + Ich hab' ein Hemdlein an, das ist nicht mein; + meine Seele stinkt nach Branndewein - + +ZWEITER HANDWERKSBURSCH: Bruder, soll ich dir aus Freundschaft ein +Loch in die Natur machen? Vorwaerts! Ich will ein Loch in die Natur +maehen! Ich bin auch ein Kerl, du weisst - ich will ihm alle Floeh am +Leib totschlagen. + +ERSTER HANDWERKSBURSCH: Meine Seele, meine Seele stinkt nach +Branndewein! - Selbst das Geld geht in Verwesung ueber! +Vergissmeinnicht, wie ist diese Welt so schoen! Bruder, ich muss ein +Regenfass voll greinen vor Wehmut. Ich wollt', unsre Nasen waeren zwei +Bouteillen, und wir koennten sie uns einander in den Hals giessen. + +ANDRE [im Chor]: + Ein Jaeger aus der Pfalz + ritt einst durch einen gruenen Wald. + Halli, hallo, ha lustig ist die Jaegerei + allhier auf gruener Heid. + Das Jagen is mei Freud. + +[Woyzeck stellt sich ans Fenster. Marie und der Tambourmajor tanzen +vorbei, ohne ihm zu bemerken.] + +WOYZECK: Er! Sie! Teufel! + +MARIE [im Vorbeitanzen]: Immer zu, imer zu - + +WOYZECK [erstickt]: Immer zu - immer zu! - [Faehrt heftig auf und +sinkt zurueck auf die Bank:] Immer zu, immer zu! - [Schlaegt die +Haende ineinander:] Dreht euch. waelzt euch! Warum blaest Gott nicht +die Sonn aus, dass alles in Unzucht sich uebereinanderwaelzt, Mann +und Weib, Mensch und Vieh?! Tut's am hellen Tag, tut's einem auf den +Haenden wie die Muecken! - Weib! Das Weib is heiss, heiss! - Immer zu, +immer zu! - [Faehrt auf:] Der Kerl, wie er an ihr herum greift, an +ihrem Leib! Er, er hat sie - wie ich zu Anfang. - [Er sinkt betaeubt +zusammen.] + +ERSTER HANDWERKSBURSCH [predigt auf dem Tisch]: Jedoch, wenn ein +Wandrer, der gelehnt steht an dem Strom der Zeit oder aber sich die +goettliche Weisheit beantwortet und sich anredet: Warum ist der +Mensch? Warum ist der Mensch? - Aber wahrlich, ich sage euch: Von was +haette der Landmann, der Weissbinder, der Schuster, der Arzt leben +sollen, wenn Gott den Menschen nicht geschaffen haette? Von was haette +der Schneider leben sollen, wenn er dem Menschen nicht die Empfindung +der Scham eingepflanzt haette, von was der Soldat, wenn er ihm nicht +mit dem Beduerfnis sich totzuschlagen ausgeruestet haette? Darum +zweifelt nicht - ja, ja, es ist lieblich und fein, aber alles Irdische +ist uebel, selbst das Geld geht in Verwesung ueber. Zum Beschluss, +meine geliebten Zuhoerer, lasst uns noch uebers Kreuz pissen, damit +ein Jud stirbt! + +[Unter allgemeinem Gejohle erwacht Woyzech und rast davon.] + + + + Freies Feld + +WOYZECK: Immer zu! Immner zu! Hisch, hasch! So gehn die Geigen und die +Pfeifen. - Immer zul Immer zu! - Still, Musik! Was spricht da unten? +- Recht sich gegen den Boden: Ha, was, was sagt ihr? Lauterl Lauter! +Stich, stich die Zickwolfin tot? - Stich, stich die Zickwolfin tot! +- Soll ich! Muss ich? Hoer' ich's da auch? - Sagt's der Wind auch? - +Hoer' ich's immer, immer zu: stich tot, tot! + + + + Ein Zimmer in der Kaserne + +[Nacht. Andres und Woyzech in einem Bett.] + +WOYZECK [leise]: Andres! + +[Andres murmelt im Schlaf.] + +WOYZECK [schuettelt Andres]: He, Andres! Andres! + +ANDRES: Na was is? + +WOYZECK: Ich kann nit schlafen! Wenn ich die Aug zumach', dreht +sich's immer, und ich hoer' die Geigen, immer zu, immer zu. Und dann +spricht's aus der Wand. Hoerst du nix? + +ANDRES: Ja - lass sie tanze! Einer is mued, und dann Gott behuet uns, +amen. + +WOYZECK: Es redt lmmer: stich! stich! und zieht mir zwischen den Augen +wie ein Messer - + +ANDRES: Schlaf, Narr! - [Er schlaeft wieder ein.] + +WOYZECK: Immer zu! Immer zu! + + + + Der Hof des Doktors + +[Studenten und Woyzeck unten, der Doktor am Dachfenster.] + +DOKTOR: Meine Herren, ich bin auf dern Dach wie David, als er +die Bathseba sah; aber ich sehe nichts als die culs de Paris der +Maedchenpension im Garten trocknen. Meine Herren, wir sind an der +wichtigen Frage ueber das Verhaeltnis des Subjekts zum Objekt. +Wenn wir nur eins von den Dingen nehmen, worin sich die organische +Selbstaffirmation des Goettlichen, auf einem so hohen Standpunkte, +manifestiert, und ihre Verhaeltnisse zum Raum, zur Erde, zum +Planetarischen untersuchen, meine Herren, wenn ich diese Katze zum +Fenster hinauswerfe: wie wird diese Wesenheit sich zum centrum +gravitationis gemaess ihrem eigenen Instinkt verhalten? - He, Woyzeck +- [bruellt] -, Woyzeck! + +WOYZECK [faengt die Katze auf]: Herr Doktor, sie beisst! + +DOKTOR: Kerl, Er greift die Bestie so zaertlich an, als waer's seine +Grossmutter. - [Er kommt herunter.] + +WOYZECK: Herr Doktor, ich hab's Zittern. + +DOKTOR [ganz erfreut]: Ei, ei! Schoen, Woyzeck! - Reibt sich die +Haende. [Er nimmt die Katze:] Was seh' ich, meine Herren, die neue +Spezies Hasenlaus, eine schoene Spezies ... - [Er zieht eine Lupe +heraus, die Katze laeuft fort.] - Meine Herren, das Tier hat keinen +wissenschaftlichen Instinkt ... Die koennen dafuer was anders sehen. +Sehen Sie: der Mensch, seit einem Vierteljahr isst er nichts als +Erbsen; bemerken Sie die Wirkung, fuehlen Sie einmal: Was ein +ungleicher Puls! Der und die Augen! + +WOYZECK: Herr Daktor, es wird mir dunkel! - [Er setzt sich.] + +DOKTOR: Courage, Woyzeck! Noch ein paar Tage, und dann ist's fertig. +Fuehlen Sie, meine Herren, fuehlen Sie! - [Sie betasten ihm Schlaefe, +Puls und Busen.] - Apropos, Woyzeck, beweg den Herren doch einmal die +Ohren! Ich hab' es Ihnen schon zeigen wollen, zwei Muskeln sind bei +ihm taetig. Allons, frisch! + +WOYZECK: Ach, Herr Doktor! + +DOKTOR: Bestie, sall ich dir die Ohren bewegen? Willst du's machen wie +die Katze? So, meine Herren! Das sind so Uebergaenge zum Esel, haeufig +auch die Folge weiblicher Erziehung und die Muttersprache. Wieviel +Haare hat dir die Mutter zum Andenken schon ausgerissen aus +Zaertlichkeit? Sie sind dir ja ganz duenn geworden seit ein paar +Tagen. Ja, die Erbsen, meine Herren! + + + + Kasernenhof + +WOYZECK: Hast nix gehoert? + +ANDRES: Er is da, noch mit einem Kameraden. + +WOYZECK: Er hat was gesagt. + +ANDRES: Woher weisst du's? Was soll ich's sagen? Nu, er lachte, und +dann sagt er: Ein koestlich Weibsbild! Die hat Schenkel, und alles so +heiss! + +WOYZECK [ganz kalt]: So, hat er das gesagt? Von was hat mir doch hat +nacht getraeumt? War's nicht von einem Messer? Was man doch naerrische +Traeume hat! + +ANDRES: Wohin, Kamerad? + +WOYZECK: Meim Offizier Wein holen. - Aber, Andres, sie war dach ein +einzig Maedel. + +ANDRES: Wer war? + +WOYZECK: Nix. Adies! - [Ab.] + + + + Wirtshaus + +[Tambourmajor. Woyzeck. Leute.] + +TAMBOURMAJOR: Ich bin ein Mann! - [Schlaegt sich auf die Brust:] Ein +Mann, sag' ich. Wer will was? Wer kein be- soffner Herrgott ist, der +lass sich von mir. Ich will ihn die Nas ins Arschloch pruegeln! Ich +will - [Zu Woyzeck:] Du Kerl, sauf! Ich wollt' die Welt waer' Schnaps, +Schnaps - der Mann muss saufen! - [Woyzech pfeift.] - Kerl, soll ich +dir die Zung aus dem Hals ziehn und sie um den Leib herumwickeln? - +Sie ringen, Woyzeck verliert. - Soll ich dir noch so viel Atem lassen +als 'en Altweiberfurz, soll ich? - [Woyzech setzt sich erschoepft +zitternd auf eine Bank.] - Der Kerl soll dunkelblau pfeifen. + Branndewein, das ist mein Leben; + Branndwein gibt Courage! + +EINE: Der hat sein Fett. + +ANDRE: Er blut'. + +WOYZECK: Eins nach dem andern. + + + + Kramladen + +[Woyzeck. Der Jude.] + +WOYZECK: Das Pistolchen ist zu teuer. + +JUDE: Nu, kauft's oder kauft's nit, was is? + +WOYZECK: Was kost' das Messer? + +JUDE: 's ist ganz grad. Wollt Ihr Euch den Hals mit abschneiden? Nu, +was is es? Ich geb's Euch so wohlfeil wie ein andrer. Ihr sollt Euern +Tod wohifeil haben, aber doch nit umsonst. Was is es? Er soll ein +oekonomischer Tod haben. + +WOYZECK: Das kann mehr als Brot schneiden - + +JUDE: Zwee Grosche. + +WOYZECK: Da! - Geht ab. + +JUDE: Da! Als ob's nichts waer! Und es is doch Geld. - Du Hund! + + + + Mariens Kammer + +NARR [liegt und erzaehlt sich Maerchen an den Fingern]: Der hat die +goldne Kron, der Herr Koenig ... Morgen hol' ich der Frau Koenigin ihr +Kind ... Blutwurst sagt: komm, Leber- wurst ... + +MARIE [blaettert in der Bibel]: "Und ist kein Betrug in seinem Munde +erfunden": ... Herrgott, Herrgott! Sieh mich nicht an! - [Blaettert +weiter:] "Aber die Pharisaeer brachten ein Weib zu ihm, im Ehebruch +begriffen, und stelleten sie ins Mittel dar ... Jesus aber sprach: +So verdamme ich dich auch nicht. Geh hin und suendige hinfort nicht +mehr!" - [Schlaegt die Haende zusammen:] Hergott! Hergott! Ich kann +nicht! - Herrgott, gib mir nur so viel, dass ich beten kann. - [Das +Kind draengt sich an sie.] - Das Kind gibt mir einen Stich ins Herz. +- [Zum Narrn:] Karl! Das bruest' sich in der Sonne! - [Narr nimmt +das Kind und wird still.] - Der Franz ist nit gekommen, gestern nit, +heut nit. Es wird heiss hier! - [Sie macht das Fenster auf und liest +wieder:] "Und trat hinten zu seinen Fuessen und weinete, und fing an, +seine Fuesse zu netzen mit Traenen und mit den Haaren ihres Hauptes +zu trocknen, und kuessete seine Fuesse und salbete sie mit Salbe +..." [Schlaegt sich auf die Brust:] Alles tot! Heiland! Heiland! ich +moechte dir die Fuesse salben! - + + + + Kaserne + +[Andres. Woyzeck kramt in seinen Sachen.] + +WOYZECK: Das Kamisolchen, Andres, ist nit zur Montur: du kannst's +brauchen, Andres. + +ANDRES [ganz starr, sagt zu allem]: Jawohl. + +WOYZECK: Das Kreuz meiner Schwester und das Ringlein. + +ANDRES: Jawohl. + +WOYZECK: Ich hab' auch noch ein Heiligen, zwei Herze und schoen Gold - +es lag in meiner Mutter Bibel, und da steht: + Herr, wie dein Leib war rot und wund, + so lass mein Herz sein aller Stund. +Mein Mutter fuehlt nur noch, wenn ihr die Sonn auf die Haend scheint - +das tut nix. + +ANDRES: Jawohl. + +WOYZECK [zieht ein Papier hervor]: Friedrich Johann Franz Woyzeck, +Wehrmann, Fuesilier im 2. Regiment, 2. Bataillion 4. Kompanie, geboren +Mariae Verkuendigung, den 20. Juli. - Ich bin heut alt 30 Jahr, 7 +Monat und 12 Tage. + +ANDRES: Franz, du kommst ins Lazarett. Armer, du musst Schnaps trinken +und Pulver drin, das toet' das Fieber. + +WOYZECK: Ja, Andres, wenn ein Schreiner die Hobelspaene sammelt, es +weiss niemand, wer seinen Kopf drauflegen wird. + + + + Strasse + +[Marie mit Maedchen vor der Haustuer, Grossmutter; spaeter Woyzeck] + +MAEDCHEN: + Wie scheint die Sonn am Lichtmesstag + und steht das Korn im Bluehn. + Sie gingen wohl die Wiese hin, + sie gingen zu zwein und zwein. + Die Pfeifer gingen voran, + die Geiger hinterdrein, + sie hatten rote Socken an ... + +ERSTES KIND: Das ist nit schoen. + +ZWEITES KIND: Was willst du auch immer! + +ERSTES KIND: Marie, sing du uns! + +MARIE: Ich kann nit. + +ERSTES KIND: Warum? + +MARIE: Darum. + +ZWEITES KIND: Aber warum darum? + +DRITTES KIND: Grossmutter, erzaehl! + +GROSSMUTTER: Kommt, ihr kleinen Krabben! - Es war einmal ein arm Kind +und hatt' kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand +mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag +und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt's in Himmel +gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum +Mond kam, war's ein Stueck faul Holz. Und da is es zur Sonn gangen, +und wie es zur Sonn kam, war's ein verwelkt Sonneblum. Und wie's zu +den Sternen kam, waren's kleine goldne Muecken, die waren angesteckt, +wie der Neuntoeter sie auf die Schlehen steckt. Und wie's wieder auf +die Erde wollt, war die Erde ein umgestuerzter Hafen. Und es war ganz +allein. Und da hat sich's hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch +und is ganz allein. + +WOYZECK [erscheint]: Marie! + +MARIE [erschreckt]: Was is? + +WOYZECK: Marie, wir wollen gehn. 's is Zeit. + +MARIE: Wohin? + +WOYZECK: Weiss ich's? + + + + Waldsaum am Teich + +[Marie und Woyzeck.] + +MARIE: Also dort hinaus is die Stadt. 's is finster. + +WOYZECK: Du sollst noch bleiben. Komm, setz dich! + +MARIE: Aber ich muss fort. + +WOYZECK: Du wirst dir die Fuesse nit wund laufe. + +MARIE: Wie bist du nur auch! + +WOYZECK: Weisst du auch, wie lang es jetzt is, Marie? + +MARIE: Am Pfingsten zwei Jahr. + +WOYZECK: Weisst du auch, wie lang es noch sein wird? + +MARIE: Ich muss fort, das Nachtessen richten. + +WOYZECK: Friert's dich, Marie? Und doch bist du warm. Was du heisse +Lippen hast! Heiss, heissen Hurenatem! Und doch moecht' ich den Himmel +geben, sie noch einmal zu kuessen. - Friert's dich? Wenn man kalt is, +so friert man nicht mehr. Du wirst vom Morgentau nicht frieren. + +MARIE: Was sagst du? + +WOYZECK: Nix. + +[Schweigen.] + +MARIE: Was der Mond rot aufgeht! + +WOYZECK: Wie ein blutig Eisen. + +MARIE: Was hast du vor, Franz, du bist so blass. - [Er holt mit dem +Messer aus.] - Franz halt ein! Um des Himmels willen, Hilfe, Hilfe! + +WOYZECK [sticht drauflos:] Nimm das und das! Kannst du nicht sterben? +So! So! - Ha, sie zuckt noch; noch nicht? Noch nicht? Immer noch. +- [Stoesst nochmals zu.] - Bist du tot! Tot! Tot! - [Er laesst das +Messer fallen und laeuft weg.] + + + + Das Wirtshaus + +WOYZECK: Tanzt alle, immer zu! Schwitzt und stinkt! Er holt euch doch +einmal alle! - [Singt:] + Ach. Tochter, lieb Tochter + was hast du gedenkt, + dass du dich an die Landkutscher + und die Fuhrleut hasst gehenkt. +[Er tanzt:] So, Kaethe, setz dich! Ich hab' heiss heiss! - [Er zieht +den Rock aus.] - Es ist einmal so, der Teufel holt die eine und laesst +die andre laufen. Kaethe, du bist heiss! War- um denn? Kaethe, du +wirst auch noch kalt werden. Sei vernuenftig. - Kannst du nicht +singen? + +KAETHE [singt]: + Ins Schwabenland, das mag ich nicht, + und lange Kleider trag' ich nicht, + denn lange Kleider, spitze Schuh, + die kommen keiner Dienstmagd zu. + +WOYZECK: Nein, keine Schuh, man kann auch ohne Schuh in die Hoell +gehn. + +KAETHE [singt]: + O pfui mein Schatz, das war nicht fein, + behalt dein Taler und schlaf allein. + +WOYZECK: Ja, wahrhaftig, ich moecte mich nicht blutig machen. + +KAETHE: Aber was hast du an deiner Hand? + +WOYZECK: Ich? Ich? + +KAETHE: Rot! Blut! + +[Es stellen sich Leute um sie.] + +WOYZECK: Blut? Blut? + +WIRT: Uu - Blut! + +WOYZECK: Ich glaub', ich hab' mich geschnitten, da an der rechten +Hand. + +WIRT: Wie kommt's aber an den Ellenbogen? + +WOYZECK: Ich hab's abgewischt. + +WIRT: Was, mit der rechten Hand an den rechten Ellenbogen Ihr seid +geschickt! + +NARR: Und da hat der Ries gesagt: Ich riech', ich riech' +Menschenfleisch. Puh, das stinkt schon! + +WOYZECK: Teufel, was wollt ihr? Was geht's euch an? Platz, oder der +erste - Teufel! Meint ihr, ich haett' jemand umgebracht? Bin ich ein +Moerder? Was gafft ihr? Guckt euch selbst an! Platz da! - [Er laeuft +hinaus.] + + + + Am Teich + +WOYZECK [allein]: Das Messer? Wo ist das Messer? Ich hab' es da +gelassen. Es verraet mich! Naeher, noch naeher! Was is das fuer ein +Platz? Was hoer' ich? Es ruehrt sich was. Still. - Da in der Naehe. +Marie? Ha, Marie! Still. Alles still! Was bist du so bleich, Marie? +Was hast du eine rote Schnur um den Hals? Bei wem hast du das Halsband +verdient mit deinen Suenden? Du warst schwarz davon, schwarz! Hab' ich +dich gebleicht? Was haengen deine Haare so wild? Hast du deine Zoepfe +heute nicht geflochten? ... - Das Messer, das Messer! Hab' ich's? So! +- [Er laeuft zum Wasser.] So, da hinunter! - [Er wirft das Messer +hinein.] - Es taucht in das dunkle Wasser wie ein Stein. - Nein, es +liegt zu weit vorn, wenn sie sich baden. - [Er geht in den Teich und +wirft weit.] - So, jetzt - aber im Sommer, wenn sie tauchen nach +Muscheln? - Bah, es wird rostig, wer kann's erkennen. - Haett' ich es +zerbrochen! - - Bin ich noch blutig? Ich muss mich waschen. Da ein +Fleck, und da noch einer ... + +[Es kommen Leute.] + +ERSTE PERSON: Halt! + +ZWEITE PERSON: Hoerst du? Still! Dort! + +ERSTE: Uu! Da! Was ein Ton! + +ZWEITE: Es ist das Wasser, es ruft: Schon lang ist niemand ertrunken. +Fort! Es ist nicht gut, es zu hoeren! + +ERSTE: Uu! Jetzt wieder! - Wie ein Mensch, der stirbt! + +ZWEITE: Es ist unheimlich! So dunstig, allenthalben Nebelgrau - und +das Summen der Kaefer wie gesprungne Glocken. Fort! + +ERSTE: Nein. zu deutlich, zu laut! Da hinauf! Komm mit! + + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, WOYZECK *** + +This file should be named 7woyz10.txt or 7woyz10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7woyz11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7woyz10a.txt + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. 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If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. 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