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-The Project Gutenberg EBook of Cölestine, oder der eheliche Verdacht;
-Erster Theil (von 2), by Julian Chownitz
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Cölestine, oder der eheliche Verdacht; Erster Theil (von 2)
-
-Author: Julian Chownitz
-
-Release Date: October 5, 2016 [EBook #53217]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK COELESTINE, ERSTER THEIL ***
-
-
-
-
-Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net (This file was produced from images
-generously made available by The Internet Archive)
-
-
-
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- ####################################################################
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
- Der vorliegende Text wurde anhand der 1842 erschienenen Ausgabe
- so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung
- und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend
- korrigiert.
-
- Ungewöhnliche sowie inkonsistente Schreibweisen wurden beibehalten,
- insbesondere wenn diese in der damaligen Zeit üblich waren oder
- im Text mehrfach auftreten. Fremdsprachliche Begriffe und Zitate
- sowie eingedeutschte Fremdwörter wurden nicht korrigiert; einzelne
- unleserliche Buchstaben wurden aber sinngemäß ergänzt.
-
- Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter erstellt.
-
- Für die von der im Originaltext verwendeten Frakturschrift
- abweichenden Schriftschnitte wurden die folgenden Sonderzeichen
- verwendet:
-
- gesperrt: +Pluszeichen+
- Antiqua: _Unterstriche_
-
- ####################################################################
-
-
-
-
- Cölestine,
-
- oder
-
- der eheliche Verdacht.
-
- Von
-
- Julian Chownitz,
-
- Verfasser von: Moderne Liebe, Marie Capelle, Leontin,
- Eugen Neuland, Geld und Herz, Heinrich von
- Sternfels u. s. w.
-
- Erster Theil.
-
- Mit 3 Illustrationen.
-
- [Illustration]
-
- Leipzig,
- Verlag von Franz Peter.
-
- 1842.
-
-
-
-
- Gedruckt bei +Friedrich Andrä+.
-
-
-
-
- Meinen Freunden
-
- Carl Herloßsohn
-
- und
-
- Eduard Maria Oettinger
-
- gewidmet.
-
-
-
-
- Cölestine,
- oder
- der eheliche Verdacht.
-
-
-
-
-Inhaltsverzeichnis.
-
-
- Erstes Kapitel.
- Eine Morgenszene auf dem Wasserglacis. 3
-
- Zweites Kapitel.
- Cölestine von Randow und Alexander von A--x. 31
-
- Drittes Kapitel.
- Die Trauung. 44
-
- Viertes Kapitel.
- Der Hochzeitsball. 55
-
- Fünftes Kapitel.
- Einige Lebensszenen. 85
-
- Sechstes Kapitel.
- Die ersten Tage eines jungen Ehepaars. 113
-
- Siebentes Kapitel.
- Ein _Tête à tête_ -- jedoch kein zärtliches. 136
-
- Achtes Kapitel.
- Der Chevalier von Marsan. 155
-
- Neuntes Kapitel.
- Die Thorheiten der Welt und die Leidenschaften des Herzens. 171
-
- Zehntes Kapitel.
- Ernste und heitere Zwischenszenen. 195
-
- Elftes Kapitel.
- Die beiden Gatten und der Verdacht. 231
-
- Zwölftes Kapitel.
- Die Beweise der Untreue. 261
-
- Dreizehntes Kapitel.
- Neue Proben -- neue Beweise. 285
-
- Vierzehntes Kapitel.
- Die Morgenszene nach dem vorigen Tage. 322
-
- Fünfzehntes Kapitel.
- Abend und Nacht. 334
-
-
-
-
-Erstes Kapitel.
-
-Eine Morgenszene auf dem Wasserglacis.
-
-
-Die Morgensonne leuchtete mit goldener Klarheit über der schönen und
-großen Stadt Wien.
-
-Es ist das Wasserglacis wohin wir uns zum Eingange dieser Erzählung
-versetzt sehen. Sie kennen doch das Wasserglacis, meine liebenswürdigen
-Leserinnen, oder mindestens haben Sie davon bereits gehört; Sie wissen
-also so viel als nöthig ist, nämlich: daß dieses Wasserglacis am
-Morgen und Vormittags einen der lieblichsten, der herrlichsten Plätze
-Wiens bildet -- des Nachmittags und zur Abendzeit hingegen unter
-die abscheulichen und vermeidenswerthen Punkte der großen deutschen
-Metropole gehört -- dies, meine holden Leserinnen, werden Sie wohl
-schon gehört haben. -- O schreckliche Wasserglacis-Nachmittage --
-da sich dort parfumirte Ladendiener, geniale Vagabonden, gutmüthige
-Limonadetrinker und buntbetakelte alte Kokotten versammeln, in deren
-Reihen sich einige honette Menschen verirren, wie Fettaugen in eine
-Gasthaussuppe! -- Wie oft hat man das Wasserglacis mit dem Volksgarten
-in eine Linie zu stellen versucht und diesen letzteren den Bruder von
-jenem genannt! Ach, das war ein schmähliches Unrecht, welches man
-dem ehrenwerthen Volksgarten anthat. In diesem hat zu jeder Zeit das
-bessere -- um nicht geradezu zu sagen: das edlere -- Element überwogen,
-was man vom Wasserglacis und dessen Abendunterhaltungen nicht sagen
-kann -- außer, wir wiederholen es, am Morgen und dann noch allenfalls
-an gewissen Tagen, wenn nämlich von dem Entrepreneur eine Barriere rund
-um den Platz herum gezogen wird, welches das einzige Mittel ist, (nicht
-gewisse Leute abzuhalten, sondern) bessere Gesellschaft anzuziehen.
-
-Zur Zeit des Frühjahrs werden jeden Tag hübsche Konzerte auf dem
-Wasserglacis abgehalten. Hieher strömen dann von der vornehmen und
-mittleren Welt alle Diejenigen, welche eine Morgenpromenade machen, das
-Frühstück im Freien nehmen, irgend eine Negotiation bei einem Glase
-Champagner verrichten oder aber -- jetzt hat dieser Ort sogar seine
-ehrwürdige Seite -- Mineralwasser trinken wollen, denn mit letzterem
-Artikel ist man hier in allen Sorten versehen.
-
--- Es war an einem eben solchen Vormittage, als zwei Herren, deren
-einer älter, der andere noch ein Jüngling war, in raschen Schritten
-und eifrigem Gespräche sich dem Etablissement näherten und ungefähr
-in der Mitte desselben an einem kleinen Tische Platz nahmen. Zufällig
-oder absichtlich hatten sie sich in den am stärksten bevölkerten Theil
-des Ortes begeben, was jedoch -- sollte es mit Vorsatz geschehen sein
--- nur durch den ältern Herrn bewirkt worden war, denn sein junger
-Begleiter schien seit einigen Augenblicken in tiefes Nachsinnen zu
-versinken.
-
-Um die Gestalt der Beiden zu schildern, werden wenige Striche genügen.
-Der Aeltere, ein Mann von 50 bis 60 Jahren, ließ auf den ersten Anblick
-merken, daß es ihm vor Allem darum zu thun sei, so jung als möglich zu
-scheinen. Es war dies mit einem Worte einer jener greisen Stutzer und
-Liebesritter, von welchen die Residenzen wimmeln -- namentlich seit
-dort die Schneider, die Friseure, die Zahnärzte und noch manche andere
-Künstler so große Fortschritte in ihren resp. Fächern gemacht haben.
-Unser alter Adonis war mittlerer Statur und ausnehmend wohlbeleibt, was
-weder seinen engen Kleidern noch dem Gurte, welchen er merkbarer Weise
-unter seinen Kleidern um die Taille oder vielmehr um den Bauch trug --
-noch auch dem Mieder in seiner Weste gelang, zu verbergen. Sein Gesicht
-glänzte von Gesundheit, Verliebtheit und jener Schlauheit -- die sich
-selbst betrügt; auf dem Kopfe trug er eine kostbare schwarze Perücke,
-die von seinem rothen Gesichte abstach wie ein Rabe neben einem Papagei
--- -- welchen Kontrast unser Mann jedoch dadurch zu vermitteln suchte,
-daß er seinen weißen Schnurbart (er trug einen Schnurbart!), und sogar
-seine Augenbraunen schwarz färbte. Es läßt sich denken, daß er stets
-nach der herrschenden Mode gekleidet war, auch Stock und Lorgnette
-trug, letztere um jede Dame zu begucken, ersteren um seinem ein wenig
-watschelnden Gange mehr Eleganz zu geben.
-
-Was den jungen Mann betrifft, so wird es hinreichen, einstweilen zu
-bemerken, daß er ein schöner, schlanker, etwas bleicher Jüngling
-war, an welchem man weder eine Tugend noch einen Fehler mehr bemerken
-konnte, als an andern schönen, schlanken und bleichen Jünglingen. Nur
-melancholisch schien der Arme! Ach, er schien sehr melancholisch.
-
-Einige Zeit hindurch herrschte zwischen beiden tiefe Stille. Der alte
-Seladon hatte mit seiner Lorgnette vollauf zu thun; er besah sich alle
-Frauen ringsherum, eine nach der andern -- manche zwei, drei Mal, und
-dabei schnalzte er zeitweise leise mit der Zunge, lächelte verschmitzt
-und strich sich vorsichtig den gefärbten Schnurbart. Endlich blieb sein
-kleines Aeuglein mit sichtbarem Vergnügen auf einer von den anwesenden
-Damen haften und jetzt ließ er ein leises Husten vernehmen.
-
-Dies brachte den Anderen aus dessen Träumereien. Er wandte sich nach
-dem Alten und sprach: „Also wirklich verhält es sich so, wie Sie mir
-vorhin erzählten? Wirklich? -- -- Nein, nein, ich kann es noch nicht
-glauben. +Cölestine von Randow+ hätte die Absicht, jenem Menschen
-ihre Hand zu geben, wie? --“
-
-„Nicht blos: Sie hätte, bester Freund! Sie +hat+, sie +hat+
-die Absicht, mein Lieber! Sie +hat+, sag’ ich -- und setze noch
-hinzu: ihm höchstwahrscheinlich die Hand schon +gegeben+.“ Hier
-schwieg der Alte und fuhr auf seinem Sitze ungeduldig hin und her, weil
-sich zwischen ihn und seinen Gegenstand Jemand gestellt hatte, so daß
-er zu jenem durch seine Lorgnette nicht hinüber sehen konnte.
-
-„Aber“ fuhr der Jüngling fort: „das ist ja ganz unmöglich! Sie sprechen
-da eine Absurdität aus, lieber Althing. -- Es ist unmöglich, sag’ ich!
-ich kann es nicht glauben.“
-
-Ohne sich an diese Rede zu kehren, rief der Seladon, der nunmehr wieder
-sein _vis à vis_ sah: „Ach! Ach! Welche Formen! Welch herrlicher
-Wuchs! Welcher Gliederbau! Welche Taille -- -- und besonders, welches
-göttliche Gesicht! -- Wahrhaftig, das ist eine Juno -- oder nein eher
-noch eine Venus.... eine.... eine.... Allein, wer ist dort jener
-junge Gelbschnabel, der sich beständig an sie drängt? Offenbar mag
-sie nichts von ihm wissen -- -- und hat ihre Blicke beständig hierher
-nach mir gerichtet. O, glücklicher Althing! Du bist noch immer jener
-große Besieger der Weiberherzen........ Allein, bei Gott, +diese+
-verdient Dich auch im vollsten Maße.“
-
-„Von wem reden Sie, Althing?“ erhob der Jüngling jetzt Kopf und Stimme:
-„Reden Sie von Cölestine von Randow?“
-
-„Ei bewahre!“ entgegnete der Andere lachend: „Ich rede -- -- sehen Sie
-denn nicht +dort+, meine Göttin +dort+ -- von ihr +dort+
-rede ich -- -- sehen Sie +dort+ -- +dort+ -- bester Baron!
-+dort+ sehen Sie sie, bester +Leuben+!... Ha, beim Himmel! so
-eben hat sie mir einen Blick zugeworfen; einen Blick sag’ ich Ihnen!
-Haben Sie ihn denn nicht bemerkt?“
-
-+Leuben+, denn so hieß der Jüngling, hatte schon wieder das Haupt
-auf die Brust fallen lassen und fragte jetzt eintönig:
-
-„Und Sie wissen es also wirklich?“
-
-„Es ist so klar, wie die Sonne. Ueberzeugen Sie sich doch selbst, mein
-theurer Freund.“
-
-„Man hat es Ihnen also nicht blos gesagt? Sie haben es nicht blos vom
-Hörensagen --?“
-
-„Ei, was fällt Ihnen da ein, köstlichster Leuben! Vom Hörensagen! --
-Ich wiederhole Ihnen: diese meine eigenen Augen haben es gesehen, diese
-Augen hier, verstehen Sie mich? und Sie wissen doch, ich habe ein Paar
-Augen wie ein Adler, wiewohl, ohne daß ich darauf eitel wäre, auch noch
-von manchen andern Vorzügen meiner Gestalt die Rede sein könnte. --
-Allein...“
-
-Der junge Mann stieß hier, als ganze Antwort darauf, einen schweren
-Seufzer aus, und als der einsammelnde Kassirer des Orchesters herbei
-trat, um seinen Groschen zu verlangen, warf Leuben ihm in der
-Zerstreuung einen Dukaten hin, was sonst für einen Morellischen Walzer
-doch wohl ein zu hoher Preis sein dürfte.
-
-Mit einem Male fing Althing wieder an: „Ach! Ach! bei Gott -- das
-ist zu stark! das war ein Blick so feurig wie eine Bombe! Du hast
-nicht nöthig, holde Zauberin, mein Herz mit so schwerem Geschütze zu
-bestürmen: es hat Dir seine Thore längst schon aufgethan. -- Abermals!
-Abermals! -- Ach, ich sehe, Du bist rasend in Deiner Zuneigung zu mir!
-Nun ja, Du bist ja erhört! -- Ha! auch noch mit dem Fächer winkst Du
-mir? --“
-
-„Wie?“ fiel Leuben träumerisch ein, „Sie hat Ihnen mit dem Fächer
-gewinkt?“
-
-„Und das so stark -- wie eine türkische Sultanin -- hehehe! Das war
-aber Alles nicht nöthig!“
-
-„Und dies Alles sagen Sie mir, mit so kaltem Blute -- -- mir mir?“
-
-„Mein Gott, was soll ich thun? Kann ich’s denn ändern? Ich habe nun
-einmal schon das Fatum, liebenswürdig zu sein! Was kann man für seine
-Vorzüge, seine Eigenschaften!?“
-
-„Alle Teufel! es wird mir endlich zu toll!“ rief der Jüngling jetzt aus
-und erhob sich rasch von seinem Sitze. „Mein Herr“ sagte er in einem
-Tone, der auf halbe Sinnesabwesenheit schließen ließ: „es ist Alles
-möglich, es kann Alles wahr sein, was Sie da erzählen. Wer kennt die
-Weiber und ihre Launen, ihre Leidenschaften! Es ist bereits da gewesen,
-daß eine Hebe sich in einen Vulkan verliebt hat -- -- und demnach
-kann es auch bei Ihnen wiederkehren. Allein was brauche ich dieses zu
-wissen? Wollen Sie mich kränken oder beleidigen? Wenn dies der Fall,
-so erfahren Sie, daß ich weder zu dem Einen noch zu dem Andern ruhig
-zusehen werde.... Ja, ja, ich weiß, jenes Mädchen, jenes Geschöpf ist
-ein weiblicher Dämon, den wenigstens ich nicht verstehe: tugendhaft,
-streng, unbefleckt -- -- und zugleich eitel, gefallsüchtig und noch
-Gott weiß was. Allein wenn ich von ihr, wenn ich von diesem Mädchen,
-die mir Alles war, auch noch so Manches hätte denken müssen, das Eine,
-fürwahr -- das Eine wäre mir nie beigefallen: daß ein so junger und
-holder Engel fähig sei, einem alten Subjekt +Ihrer+ Art Gehör zu
-geben, während sie mich....“
-
-Hier hatte sich jedoch bereits auch Herr von Althing erhoben und in
-Positur gestellt. Zuerst schlug er mit seinem Fuße, woran sich ein
-klirrender Sporn befand, gewaltig gegen den Boden, dann stemmte er
-sich auf seinen Stock und endlich fing er mit einer Stimme an, die
-furchtbar sein sollte: „Wie mich dünkt, so haben jetzt Sie, mein bester
-Leuben, jene Absicht, welche Sie mir zuvor untergeschoben, nämlich
-zu beleidigen.... Mindestens begreife ich nicht, was sonst Worte
-wie: „ein altes Subjekt“ u. s. w., wie Sie solche so eben gegen mich
-gebrauchten, zu bedeuten hätten.... Wenn nun dies wirklich der Fall
-sein sollte....“
-
-„Nun?“ lächelte Leuben spöttisch: „wenn es der Fall sein sollte?“
-
-„Dann, dann“ polterte Althing und gab sich ungeheure Mühe, so wild als
-möglich die Augen zu rollen: „dann muß ich ihnen sagen, daß --“
-
-„Weiter, weiter!“
-
-„Daß ich das nicht -- -- -- -- begreifen kann.“
-
-„Wie, Sie können es nicht begreifen, daß mich Ihre verdammte
-Liebesgeschichte in Wuth bringt?“
-
-„Aber mein Gott, ist es meine Schuld, wenn man mich liebt, wenn man
-wahnsinnig vernarrt in mich ist? Sie wissen doch, wie ich die Weiber zu
-behandeln pflege -- und doch ist diese da eine solche Närrin.....“
-
-„Ha!“ schrie der Jüngling nun und das Aussehen, welches in der Umgebung
-entstanden war, vergrößerte sich von Augenblick zu Augenblick: „ha! Sie
-wagen es, mein Herr?“
-
-„Allein, mein Himmel -- ich begreife nicht, warum Sie sich so ereifern,
-Leuben. -- Was gehen Sie meine Liebschaften, meine Eroberungen, meine
-Siege an --?“
-
-„Elender -- so wissen Sie nicht, daß ich Cölestine von Randow liebe,
-wie ein Wahnsinniger, wie ein Wüthender!?“
-
-„Nun -- und weiter?“
-
-„Weiter? Noch weiter?“
-
-„Nun ja, wozu erzählen Sie das mir? Weiß ich es denn nicht?“
-
-„Nun ja -- eben darum; und doch sprachen Sie eben --“
-
-„Von --? --“
-
-„Cölestine!“
-
-„Ich? -- Nicht eine Silbe.“
-
-„Von wem also denn?“
-
-„Ei -- alle Wetter! von jenem allerliebsten Brünettchen, die dort
-_vis à vis_ von mir, in der dritten Reihe, sehen Sie -- mit Mutter
-und Vater sitzt. Von ihr, von ihr, die, wenn mich mein Kennerblick
-nicht ganz täuscht, eine kleine Bäckerstochter aus der Wipplinger
-Straße ist.... von ihr sprach ich, mein Freund, und nicht von
-Cölestine!“
-
-„Hahahaha! Hahahaha!“ erhob jetzt der früher so düstere Leuben ein
-schallendes Gelächter: „hahahaha! Ist das das Ganze?“
-
-„Das Ganze! Hahahaha!“ lachte der alte Ritter mit.
-
-„Ein Mißverständniß also? Beim Himmel! das müssen Sie mir verzeihen,
-theuerster Althing!“
-
-„Nun, nun es ist längst verziehen, verlassen Sie sich d’rauf.
-Uebrigens -- da wir uns in dem anstrengenden Diskours beinahe die
-Kehlen ausgedörrt haben, so dürfte, wie mich dünkt, eine Flasche
-Tokaier oder so etwas dergleichen kein unebenes Anfeuchtungs- und
-Restaurationsmittel sein. Daher: Marqueur! Holla! -- Johann! Oder wie
-der Bursche sonst heißt.“
-
-„Befehlen Euer Gnaden? Schaffen Euer Gnaden! Womit können wir
-aufwarten?“
-
-Mit diesen Worten und tiefen Katzenbuckeln waren zwei bis drei
-Aufwärter herbeigesprungen, so flink, so behend, so lustig, daß ein
-norddeutscher Kellner sich nicht einmal eine blasse Idee davon zu
-machen im Stande ist.
-
-„Wie steht es mit Eurem Keller?“ nahm Althing das Wort: „Habt Ihr guten
-Tokaier? Was?“
-
-„Aufzuwarten, Euer Gnaden. Er ist aus dem Keller Sr. Durchlaucht des
-Fürsten -- --“
-
-„Ach, wenn das ist, dann behaltet denselben für Euch; der Tokaier,
-welcher unter diesem Namen passirt, ist häufig der schlechteste. Es
-geht damit, wie mit den schlechten Büchern, die ein Verleger dadurch an
-den Mann zu bringen sucht, daß er zu denselben Vorreden von berühmten
-Literaten schreiben läßt. Also mit dem Tokaier ist es nichts; dafür
-bringst Du uns Champagner und zwar _non mousseux_. -- --“
-
-„Zu dienen, Euer Gnaden! Im Augenblick, Euer Gnaden!“
-
-Und diese Leute sprangen wieder wie die Hirsche davon, so daß es wie
-eine Art von Jagdvergnügen war, ihnen zuzusehen.
-
-„Ei, ei! -- Schon wieder! -- Das war noch deutlicher, als alles
-Frühere! -- Jetzt winkte sie mir gar mit dem Finger und deutete auf
-ihre Mutter neben sich, gleichsam als wollte sie sagen: Diese da genirt
-unser Zusammentreffen, du mein holder Mann! -- Nun, fürwahr, die hat
-an mir complett einen Narren gegessen.... Mein Gott, das ist jedoch
-für Unsereins etwas ganz Alltägliches.... Ha! da fällt mir etwas ein.
-Wissen Sie, was ich thun will, Leuben? Ich will jene verliebte Hexe
-noch rasender verliebt in mich machen -- und zwar dadurch, daß ich
-dieselbe eifersüchtig mache. O, ich bin in diesen Dingen erfahren! --
-Also rasch auf irgend eine Zweite deine Blicke geworfen, Freund Althing
--- und sie wird wahnsinnig, sie wird unglücklich! -- O, in dieser
-Beziehung bin ich ein ganz herzloser Gesell! -- Allein man muß es bei
-dieser Zeit auch sein -- sonst kommt man nicht fort. Nur den Ungeheuern
-in der Liebe sind die Weiber treu. Je beständiger man ist, desto
-wankender sind sie.... je gleichgültiger, um so mehr entbrennen sie für
-uns.... Meiner Treu, ich werde mich darüber weiter auslassen, wenn ich
-erst meine Memoiren unter dem Titel: „Casanova II.“ herausgebe....“
-
-Der alte Schwätzer wäre noch lange in dieser Weise fortgefahren, indem
-er dabei seine lüsternen Blicke immerwährend von der einen seiner
-Auserkornen zur andern gehen ließ -- -- allein jetzt plötzlich schien
-er von einem neuen Anblick überrascht und mit lauter Stimme rief er
-aus: „Ah -- da kommt unser theurer Freund +Edmund von Randow+!...
-Ah, das ist wirklich schön! Der Bursche ist mir so zu sagen ans Herz
-gewachsen: es ist ein köstlicher Junge, der Edmund.“
-
-Die Person, von welcher Althing also deklamirte, näherte sich in
-raschen Schritten und verdoppelte dieselben noch, sobald sie die Zwei
-ansichtig wurde. Man denke sich einen jungen eleganten Mann von guter
-aber etwas leichtfertiger Haltung -- dessen lachendes Auge kühn oder
-nach Umständen auch frech den Leuten bis zwischen die Zahnreihen sieht,
-dieser junge Mensch, ein Liedchen summend, eilte jetzt durch die Reihen
-der Gäste hin, indem er Diesem auf den Fuß trat, Jenen am Ellbogen
-anstieß -- und auf alle Mahnungen die hierauf erfolgten nichts that,
-als daß er mit seiner dünnen Reitgerte in der Luft umherfocht, als
-wollte er Mücken vertreiben.
-
-„Haha!“ ließ er sich mit einem Male so laut vernehmen, daß man es gewiß
-bis zum Zeughause hören konnte: „da sitzen sie ja beisammen die zwei
-Freunde, die zwei Kameraden..... Ach! und welche Blicke dieser alte
-Sünder wieder um sich herum wirft....“
-
-In diesem Augenblick war er zu ihnen gelangt und ohne Weiteres
-warf er sich auf einen Stuhl, griff nach einer von den bereits
-herbeigeschafften Flaschen und schenkte sich ein Glas Champagner
-ein, das er auf einen Zug leerte; -- dann streckte er die Beine von
-sich, erhob die Reitgerte und versetzte damit seinem Nachbar, dem
-Liebesritter Althing, einen leichten Schlag auf die Knie: „Nun, wie
-geht es? Was macht Ihr da? Was machen die holden Fräuleins -- und wie
-viele hat ihrer dieser große Verführer bereits in einem Augenblick
-erobert? --“
-
-Diese Apostrophe schien dem alten Seladon zu schmeicheln und mit den
-Lippen schmatzend versetzte er in geheimnißvollem Tone: „Bis jetzt ist
-es nur Eine -- -- aber diese kann für Tausend gelten, hahaha!“
-
-„Wirklich?“ rief Edmund: „Das muß in der That ein kleines Weltwunder
-sein.... Nun und wo sitzt denn diese Helena -- mein lieber Alter..?“
-
-„Ich habe“ versetzte dieser mit gekränktem Tone -- „Dich bereits zu oft
-gebeten, mich nicht „mein lieber +Alter+“ zu nennen; denn erstens bin
-ich noch in meinen besten Jahren -- zwischen 30 und 40 -- und zweitens
-haben wir uns, was man so sagt, conservirt -- -- endlich drittens -- --“
-
-Er hatte noch nicht ausgesprochen, als ein neuer +Fall+, den man
-wirklich +Fall+ nennen konnte, sich ereignete; Edmund hatte nämlich
-seine Beine so weit ausgestreckt, daß ein Aufwärter, welcher eben mit
-einer Platte voll Confituren und Getränken vorübereilte und die sehr
-vernünftige Absicht hatte, auszuweichen -- so unvernünftig war, es ein
-wenig allzu rasch thun zu wollen -- solchergestalt mit seiner Platte
-hinfiel und den ganzen Inhalt der Gläser auf Edmunds Beinkleider und
-Althings Stiefel ausgoß -- das Uebrige vermälte sich mit dem Staube
-auf dem Boden und wurde von zwei herbeieilenden Knaben und drei Hunden
-in friedfertiger Weise getheilt. Edmund lachte wie toll über das, was
-er „Impromptu“ nannte -- hingegen war Althing über die Vertilgung des
-Glanzes auf seinen Stiefeln so untröstlich, daß er dem unseligen
-Aufwärter nicht nur einen Schimpfnamen nach dem andern -- sondern zum
-Beschluß auch noch einen Tritt auf einen gewissen Theil des Körpers
-versetzte; eine Mode, die in Wien eben nicht ungewöhnlich ist, während
-man dergleichen Divertissements der großen Herrn in dem ganzen übrigen
-Europa bereits längst abgeschafft hat.
-
-Die Unterhaltung erhielt demnach eine bedeutende Lücke, wenigstens in
-ihrer conversationellen Seite; das war jedoch Keinem angenehmer als
-unserm bleichen, melancholischen Freunde, unserm armen Freunde Leuben,
-der, während hier Alles lachte, auch nicht einmal das Gesicht verzog.
-
-„Alle Donner!“ schrie Althing -- „ich bin für diesen Augenblick
-ruinirt; meine Toilette ist hin! Und es ist doch ein so wichtiger
-Augenblick.... Jene kleine Brünette! -- Jene, die ich schon besiegt
-hatte, kraft der Gewalt meiner Physiognomie, -- wer weiß, ob sie nicht
-Anstoß nimmt an ungewichsten Stiefeln! O nichtswürdiger Marqueur!
-Dummkopf von einem Aufwärter -- ich könnte Dich --“
-
-Mittlerweile hatte Edmund dem armseligen Marqueur, dem all dies Unglück
-galt und der da stand vor seinen zerbrochenen Tassen und Gläsern wie
-Niobe, die ihren verfolgten Töchtern nachsieht, -- diesem Unglücksmanne
-hatte der leichtfertige Edmund eine Banknote zugeworfen, die wohl den
-dreifachen Werth des Schadens enthalten mochte und daher ein ganz
-respektables Schmerzensgeld war. Der Unglücksmann verbeugte sich bis
-zu seinem Bauche und würde sich noch tiefer verbeugt haben, hätten ihn
-seine geschundenen Glieder daran nicht gehindert.
-
-„Nun, bist Du zufrieden?“ rief Edmund.
-
-„Vollkommen!“ versetzte der Kerl: „Wenn Euer Gnaden wieder ein ander
-Mal schaffen[A], so brauchen Sie mir’s nur sagen zu lassen. --“
-
-Diese Replik versetzte Alles in heitre Laune, so daß sogar Leuben eine
-Anwandlung davon bekam; erst jetzt erwiderte er den Gruß Edmunds; doch
-plötzlich blieb sein Auge mit einem heftigen fieberhaften Ausdrucke
-auf demselben haften und ein leises Zucken der Lippen schien die
-gewaltsamen Gedanken, welche sich gerne in Worten Bahn brechen wollten,
-anzuzeigen.
-
-„Was haben Sie, mein bester Leuben?“ fragte der Andere: „Was ist Ihnen?
-Sie sind heute bei sehr schlimmer Laune, wie ich merke -- und ich
-finde deshalb den Einfall köstlich, sich dieselbe gleich am Morgen mit
-Champagner zu vertrinken.“
-
-„O“ fiel der alte Dicke ein: „dieser Champagner hat etwas ganz Anderes
-zu bedeuten. Es ist ein Versöhnungstrank -- eine Libation; denn wir
-hatten ein Rencontre, bevor Du kamst -- und wenig fehlte, so hätten wir
-einander die Hälse gebrochen.“
-
-Edmund schlug ein unsinniges Gelächter auf. „Wie -- ein Rencontre?
-einen Streit? -- Seid Ihr denn verrückt? Zwei alte Freunde und ein
-Streit!.. Macht doch keinen Narren aus mir.“
-
-„Nein, nein, in vollem Ernste gesprochen, Du kannst Dich darauf
-verlassen -- -- und überdies, was hindert uns, Dir den Inhalt des
-Streites mitzutheilen. -- Ohnehin betrifft er ja in entfernterer Weise
-sogar Dich. --“
-
-„Wie?“ schrie jetzt Edmund aus Leibeskräften: „Mich, mich, sagst Du,
--- hahaha! -- Der Fall wird interessant -- doch bevor wir weiter gehn:
-Marqueur, noch eine Bouteille von diesem rothen Champagner -- -- er ist
-köstlich! -- -- So, und jetzt erzähle, mein Alter, erzähle!“
-
-„Donnerwetter! noch ein Mal, Edmund, rede mich nicht immer so an,
-+Alter+! darauf werde ich künftig nicht mehr hören; verstehst Du?
---“
-
-„Also, mein Junge, wenn Dir dies lieber ist.“
-
-„Das ist etwas Anderes. Ich verlange, wie Du weißt, nichts Unbilliges.
-Ich könnte zehn Taufscheine beibringen, worin mein Alter von 30 bis 40
-Jahren bestätigt ist -- und --“
-
-„Schon gut -- Alle Teufel! Wirst Du endlich zur Geschichte kommen,
-verd-- Alter -- Althing wollt’ ich sagen.“
-
-„Nun ja, so höre: es handelte sich um Deine Schwester Cölestine.“
-
-Bei diesen Worten nahm der Roué Edmund einen so ernsten Ausdruck des
-Gesichtes an, wie man ihn dessen nimmer fähig gehalten hätte: „Ueber
-diesen Gegenstand“, sagte er mit Nachdruck -- „bitte ich Dich zu
-schweigen, mein Freund, und erkläre Dir ein für alle Mal, daß ich
-hierbei keinen Scherz verstehe.“
-
-„Meinetwegen,“ bemerkte Althing; „was geht die Geschichte mich an? --
-Was mich betrifft, so will ich Dir gerne den Gefallen thun, darüber zu
-schweigen; jedoch ist hier Einer....“ und hierbei deutete er auf Leuben.
-
-Edmund richtete sich auf; in der That schien jetzt dieser ganze Mensch
-verändert -- die Lappen und Flitter der Liederlichkeit schienen alle
-von ihm gefallen zu sein und er stand so würdig da, als irgend Einer.
-Mit Ernst wandte er sich an seine beiden Gesellschafter: „Meine
-Herren,“ sprach er, „es ist da von einer +Geschichte+ und dann von
-Ihnen, Herr von +Leuben+, die Rede. Wollten Sie wohl die Güte haben,
-mir hierüber einige nähere Aufklärung zu geben.“
-
-Der junge Mann, dessen Namen er so eben genannt, hatte seinen festen,
-durchdringenden Blick von ihm noch immer nicht abgekehrt. Jetzt
-zitterte er an allen Gliedern -- und schien mit unaussprechlicher
-Ungeduld den Moment erwartet zu haben, welcher so eben einbrach.
-
-„Reden Sie doch! Reden Sie doch!“ rief Edmund, bald zu Leuben, bald
-wieder zu Althing gewendet, welch’ Letzterer, durch die Aufmerksamkeit,
-die er seinem _vis à vis_, oder seiner Brünette, schenkte, gehindert,
-hier am Tische nur mit halben Ohren zuhörte.
-
-„Werden Sie mir endlich sagen --?“ wiederholte Edmund so heftig, daß
-der Dicke erschrack und nun rasch die Worte aussprach:
-
-„Aber mein Gott, welche Aufregung bei einer so kleinen Sache? Nun denn,
-unser ganzes Gespräch, so weit es Ihre Schwester, Fräulein Cölestine,
-betraf, drehte sich um die Frage: ob sie wirklich, wie man sich
-erzählt, Braut geworden sei oder nicht. Das ist Alles.“
-
-„Ja --“ wiederholte Leuben mit einer wilden, sonderbaren Unruhe: „ob
-sie Braut geworden sei, darum handelte es sich, und dies können Sie,
-Herr von Randow, uns mit der größten Bestimmtheit sagen.“
-
-„Nun -- wenn es sonst nichts ist!“ entgegnete Edmund in munterem Tone,
-„dann hatten wir freilich viel Lärmens um Nichts gemacht; denn es wird
-Ihnen Beiden doch wohl einerlei sein, ob oder ob dies nicht der Fall
-ist.“
-
-„Nein, nein -- es ist uns keineswegs so ganz gleichgültig, wie Du
-glaubst, mein Lieber,“ meinte Althing: „und so magst Du es uns nur
-sagen, was die Sache Wahres enthält.“
-
-„Nun denn -- Cölestine ist in der That die Braut des Grafen von A--x;
-diese Angelegenheit ist bereits abgeschlossen.“
-
-Ein fahler Lichtschein fuhr über Leubens Angesicht, dessen Blässe
-jetzt eine todtenähnliche Farbe annahm. Dieser Mensch schien von
-einem elektrischen Schlag bis ins tiefste Leben hinein getroffen zu
-sein; die Veränderung, welche an ihm vorging, ward jedoch von keinem
-seiner beiden Nachbarn bemerkt -- denn mit einer an’s Uebernatürliche
-streifenden Gewalt schien er sich zu beherrschen. Er blieb auf seinem
-Stuhle sitzen -- bewegungslos, antheillos, und bis auf seine wechselnde
-Gesichtsfarbe, so unverändert, als wäre nichts vorgefallen.
-
-Bald darauf erhob man sich; Edmund hatte Besuche bei Freunden und im
-Kaffeehause zu machen (er traf seine Freunde gewöhnlich an solchen
-Orten); Althing beobachtete den so eben erfolgten Aufbruch seiner
-„Brünette“ -- natürlich, daß er Willens war, ihr zu folgen; was endlich
-Leuben betraf, so war demselben höchst wahrscheinlich wenig daran
-gelegen, dem einen oder dem andern dieser Herren zu folgen -- und in
-der That, wir sehen ihn auch alsbald nach einer leichten Begrüßung
-sich einsam hinweg begeben und den Weg rechts nach den Vorstädten --
-vielleicht um in den nahen Garten des Fürsten Schwarzenberg zu gelangen
--- einschlagen.
-
-Der Schwarzenberg-Garten ist ein allgemeiner Freund sowohl der
-glücklich wie der unglücklich Liebenden. Beide bergen sich in seinem
-Schatten.
-
-Althing und Edmund waren eine Strecke gegangen; da sie jedoch
-verschiedene Ziele verfolgten, so trennten sie sich auch sehr bald
-und unser dicker Adonis ging nun allein klirrenden Trittes Derjenigen
-nach, welche, wie er glaubte, ihm so viele und so ausdrucksvolle
-Liebeszeichen auf dem Wasserglacis gegeben -- und die, wie er nicht
-zweifelte, sich auch jetzt nur erhoben hatte, damit sie endlich
-ungestört mit ihm reden könnte.
-
-Aber welche Ueberraschung für unseren heißblütigen Ritter, als er sich
-plötzlich von einem leisen Handschlage auf seiner Schulter berührt
-fühlte und nun einen ihm unbekannten jungen Herrn hinter sich sah, der
-folgende Worte zu ihm sprach:
-
-„Mein bester Herr -- ich rathe Ihnen, von der Verfolgung jener Dame
-abzulassen, denn es würde Sie zu nichts führen und wahrhaftig, Sie
-können Ihre Zeit auf andere Weise weit besser verwenden. Sollten Sie
-Zweifel in meine Worte setzen, so werden diese bald zerstreut sein.
-Blicken Sie mir gefälligst nach und überzeugen Sie sich, daß unter
-diesem Monde nichts häufiger vorkommt, als der +Irrthum+... Man
-glaubt den goldnen Schatz bereits mit der Hand zu erfassen -- in diesem
-Augenblick jedoch entschlüpft er uns und im nächsten schon hat ihn
-derjenige, für welchen er bestimmt war.“
-
-Dies sprechend, lachte der Fremde unserm dicken Freunde so recht ins
-Gesicht, verdoppelte seine Schritte, so daß er ihm bald vorkam und nach
-wenigen Schritten sich dicht hinter jener Dame, jener Brünette befand.
-Diese drehte sich rasch um, ließ ein Briefchen fallen, der Fremde hob
-es mit einer bewundernswerthen Geschicklichkeit auf und -- bald war er
-mit seinem Schatze hinter einer Hecke verschwunden.
-
-Herr von Althing blieb wie vom Donner gerührt auf dem Platze stehen
--- schüttelte das Haupt -- ließ es ein wenig sinken -- stieß einen
-schweren Seufzer aus und begab sich nach zwei Minuten Ueberlegung auf
-den Rückweg, indem er vor sich hin murmelte:
-
-„Ei, ei, da glaubte ich ganz sicher zu sein. Meiner Treu, ich hätte
-eher meinen Kopf verwettet, als so etwas zu glauben.... Da seh’ man
-mal die Weiber an! Aber machen wir es mit ihnen denn besser? -- Also
-Geduld, Freund Althing! -- Du hast so manches Herz gebrochen -- --
-gebiete dem deinigen jetzt Stillschweigen. Allons nach Hause! und neue
-Toilette gemacht. Ich wette darauf, an diesem ganzen Unglück waren
-meine begossenen Stiefel Schuld.“
-
-
-
-
-Zweites Kapitel.
-
-Cölestine von Randow und Alexander von A--x.
-
-
-Cölestine von Randow war eine der reizendsten Jungfrauen der Residenz.
-Ihre Familie gehörte zu den edelsten des Landes. Erst vor einem
-Zeitraum von 100 Jahren aus Polen eingewandert, hatte der damalige
-Stammhalter durch Dienste, die er dem Staate leistete, derselben
-schnell eine der glänzendsten Stellungen zu verleihen gewußt. Doch
-verlor unter seinem Sohne das Geschlecht wieder einen Theil seiner
-Geltung und seines Vermögens, und erst den beiden Nachfolgern gelang es
--- jene Fehler zu verbessern. Freilich ist ein Schade nicht so leicht
-gehoben wie gemacht, und noch bis zum heutigen Tage empfand die Familie
-Randow jene Nachwehen, die ihr von ihrem Großvater hinterlassen
-worden waren. -- Ueberhaupt war es ein Familienfehler der Randow, den
-fast jedes Glied derselben mehr oder minder theilte -- unüberlegt, ja
-leichtsinnig zu sein, und wiewohl sie alle von Herz und Geist edel und
-vortrefflich waren, so überwog in ihnen jenes Erbgebrechen oft so sehr,
-daß dadurch alle andern und bessern Eigenschaften häufig in Schatten
-gestellt wurden, wie dies z. B. gegenwärtig bei +Edmund+ von Randow,
-dessen Charakter wir schon ziemlich deutlich bezeichnet zu haben
-glauben, der Fall war.
-
-Was wir von Cölestine zu sagen haben, wird in Nachfolgendem bestehen.
-Sie war, wie gesagt, eine der schönsten, der glänzendsten Erscheinungen
-in der höheren Frauenwelt. Man begreift, daß, um in dem Kreise der
-Schönheiten Wiens auf jene Benennung Anspruch zu haben, man weit über
-den Verhältnissen eines gewöhnlichen Maaßes stehen müsse. In der
-That war Cölestine so schön, daß man aus ihrem Bilde einen modernen
-Canon für zeitgenössische Maler hätte machen können. Man stelle sich
-eine zarte, schlanke, feine und doch im höchsten Grade plastische
-Gestalt vor, als wäre sie aus einer Composition, die geschmeidiger als
-Marmor und fester als Wachs ist, von einem neuen Pygmalion gebildet
-worden.... Fürwahr, diese Frau schien nicht aus dem Alltagsmaterial,
-woraus uns der liebe Gott schafft, zu bestehen! -- Das schmale Oval
-des Gesichtes wies einen wie mattes Silber schimmernden Teint, der
-so durchsichtig war, wie Florgewebe, und durch welchen an den Wangen
-ein zart geschämiges Inkarnat, auf den Lippen aber das brennende Roth
-der Granatblüthe durchdrang.... Diese mandelförmig geschnittenen
-Augen mit der feurig dunklen Iris, die einen stechend schwarzen von
-goldnem Schimmer durchwirkten Kreis bot -- diese schweren dunklen
-Wimpern und diese dünnen gewölbten Brauen, die von Meistershand auf
-die glatte, nicht allzu hohe Stirne gezeichnet schienen -- -- diese
-feine, doch ein wenig gestülpte Nase, dieser nicht allzu kleine Mund,
-der geschlossen von einem eigenen unaussprechlichen Zauber -- geöffnet
-es jedoch in einem noch höheren Grade war -- da dann eine entzückende
-Kindlichkeit daraus sprach (eben so wie er, geschlossen, Ernst und
-Sinnigkeit ausdrückte) -- -- ferner dieses Kinn vom reinsten Ebenmaße,
-welches an einen Hals grenzte, der zugleich schlank und kräftig war....
-wenn wir zu all diesem noch den prachtvollen, reichen Haarwuchs vom
-tiefsten Schwarz hinzuthun, der wegen seiner Ueppigkeit und strotzenden
-Fülle das Haupt nach hinten fast unverhältnißmäßig verlängerte, so
-daß er jenem der alten Griechinnen glich: so haben wir im Grunde nur
-erst einen Theil des reizenden Bildes Cölestinens gemalt. Es müßte
-uns jedoch ein weit kunstreicherer Pinsel als der, welchen die Muse
-unserer schwachen Hand anvertraut, zu Gebote stehen -- um Alles, Alles,
-um jedes einzelne Attribut der Schönheit dieses Originals in den
-vergänglichen Rahmen dieses Gemäldes zu fassen....
-
-Gewöhnlich war der Ausdruck von Cölestinens Gesicht still und ernst,
-ohne Trauer; zeitweise jedoch wurde er von einer Lebhaftigkeit und
-jenem muntern Wesen durchstrahlt, das nur einer Französin und einer
-Polin in so entzückender Weise eigen. Cölestine träumte und schwärmte
-nicht -- sie emfang, sie faßte deutlich und zugleich tief auf; leicht
-aber gab sie sich der Wirkung irgend einer ungewöhnlichen Erscheinung
-in der Außenwelt hin und dann blitzte ihr dunkles Auge hell auf -- ihr
-Mund öffnete sich -- ihre Lippe verzog sich zum Lachen, zum Spott, zum
-Zorn, zur Zärtlichkeit, kurz zu dem Ausdruck jeder Empfindung.
-
-Man erzählte sich von ihren Kinderjahren, daß sie zu jener Zeit
-ein kleiner Wildfang und dazu über alles Maß eitel gewesen sei. In
-Wahrheit, die letztere Eigenschaft hatte sie bei sich noch immer nicht
-gänzlich abgestellt, so große Mühe sie sich deswegen übrigens auch
-gab. Sie wußte recht gut, daß Eitelkeit, Gefallsucht und leichter Sinn
-ein so tüchtiges Gemüth und einen so glänzenden Geist, wie womit sie
-ausgestattet war, entwürdigen, und gleichwohl ertappte sie sich --
-mißtrauisch wie sie war -- alle Tage wohl zehn Mal bei diesen Fehlern.
-Sie zürnte dann mit sich, sie schmollte, sie bestrafte sich sogar....
-allein _naturam si furca etc._
-
-Allein welcher Charakter ist frei von Mängeln und welches Geschöpf
-tadellos in der Schöpfung? Ich mißtraue jenem Reinen und Fehlerlosen
-gar gewaltig und würde, hätte ich die Wahl frei, mich zehntausend Mal
-eher an diejenigen schließen, welche von irdischer Gebrechlichkeit
-nicht frei sein wollen. -- O, der Mann, welcher Cölestine einst
-besitzen sollte, hätte sich wahrhaftig in lautem Dankgebet an das
-Schicksal dafür wenden sollen, daß es ihm ein solches Geschenk gewährt.
-
-Dieser Mann nun, von dem wir reden, dieser Glückliche, der Cölestine
-als sein Weib in die Arme schließen sollte -- es war, wie wir schon
-erfahren haben, der Graf von A--x. -- Sein Geschlecht war inländischen
-Ursprungs und mindestens eben so glänzend wie jenes der Randow. Graf
-Alexander von A--x (denn das ist sein Vorname) war keineswegs mehr
-ein Jüngling; er stand im vollkräftigen Mannesalter von 36 Jahren --
--- und dieser Umstand war eine von den Ursachen, um derentwillen ihm
-die achtzehnjährige Cölestine den Vorzug vor dem Heere ihrer andern,
-theils stillen, theils ziemlich aufdringlichen Anbeter gegeben. --
-+Alexander+ bekleidete eine wichtige Stelle im Staatsdienste und
-man glaubte ihn an dem Vertrauen hochmächtiger Personen betheiligt.
-Er war ein düsterer, kalter, verschlossener, fast schwermüthiger
-Charakter -- falls man ihn blos nach der Oberfläche beurtheilte....
-aber ach, welches Feuer von Liebe, welche Lava der Leidenschaft mochte
-da tief unten auf dem Grunde der Seele glühen! -- Seine Gestalt war
-männlich und kräftig; eine nicht allzu hohe aber derbe Statur würde
-ihn als einen gewöhnlichen Kraftmenschen bezeichnet haben, wenn sein
-farbloses oder vielmehr braungelbes Angesicht, in welchem zwei gewaltig
-große, oft wildbewegte, oft düster starrende Augen wohnten -- durch
-die mannigfachen Bewegungen, denen es zeitweise unterworfen war, nicht
-auf ein höchst bewegtes Seelenleben würde gedeutet haben. Zwar wollte
-die Welt damit -- ein wüstes und wildes Sinnenleben in Verbindung
-bringen, welches der Graf in früheren Jahren und fremden südlichen
-Ländern geführt haben sollte; allein Niemand konnte hierüber etwas
-Bestimmtes sagen -- und so dürfen diese Behauptungen eben sowohl in das
-Reich der Annahmen -- wie in jenes der Wirklichkeit gestellt werden.
--- Mit Einem jedoch verhielt es sich vollkommen richtig, nämlich,
-daß Graf Alexander in der Liebe von einer wahrhaft schrecklichen
-Eifersucht verfolgt wurde -- wie man aus einem Verhältnisse, in welchem
-er vor mehreren Jahren mit einer jungen liebenswürdigen Dame stand,
-die bereits als seine Braut galt, wußte. -- Jene Dame war in Folge
-eines Verdachts, den Alexander auf sie, die ganz unschuldig war,
-geworfen, von ihm so tief in der Seele gekränkt worden, daß sie ihr
-Schicksal nicht ertragen konnte und an der Seite des zu spät zur Reue
-zurückkehrenden Bräutigams ihren Geist aushauchte.
-
-Seit dieser Zeit hatte Alexander absichtlich der Liebe widerstrebt
--- er schien sich hieraus eine Buße gemacht zu haben. Doch in der
-Nähe Cölestinens, wohin der Zufall ihn führte, und wo irgend ein
-verhängnißvoller Zwang ihn festhielt, war er nicht länger fähig zu
-widerstehen.... er faßte eine verzehrende Leidenschaft für das reizende
-Wesen und trat mit einer unglaublich großen Anzahl von Mitbewerbern in
-die Schranken.
-
-Trotzdem, daß Cölestine im Ganzen auch die Mitwerbung der Uebrigen
-nicht ohne geheimes Vergnügen sehen mochte -- trotzdem, sagen wir,
-daß sie, Gott weiß durch welche magische oder vielleicht auch ganz
-natürliche und positive Mittel, jenen dichtgeschlossenen Verehrer-Kreis
-(worunter es Einige von der glühendsten, ja von der wüthendsten Sorte
-gab) beständig um sich erhielt: hatte doch entschiedenermaßen Graf
-Alexander seit ziemlich lange her ihr Herz erworben, und endlich ward
-ihm ihre Hand in feierlicher Form zugesagt.
-
-In der Zeit, mit welcher dieser Roman beginnt, gingen in allen Kreisen
-der _haute crême_ Anzeigen folgenden Inhaltes herum:
-
- „Wir beehren uns, Ihnen anzuzeigen, daß am 15ten dieses Monats
- unsere Tochter, Fräulein Cölestine von Randow, mit dem Herrn Grafen
- Alexander von A--x, K. K. etc. etc. vermählt werden wird. Wir werden
- nicht ermangeln, Ihnen das Weitere demnächst bekannt zu geben und
- um die Auszeichnung Ihrer Gegenwart zu bitten.
-
-Wien am 9ten Mai 1842.
-
- Eugenie von Randow,
- geborne Ernini von Kronau.
-
- Friedrich von Randow,
- K. K. General-M.“
-
-So war denn also über Cölestinens und Alexanders von A--x Verhältniß
-kein Zweifel mehr -- man hatte die handgreiflichste Gewißheit.
-
-Als diese zu den früher so hoffnungsreichen, aber jetzt so jämmerlich
-durchgefallenen Amateurs und Adorateurs Cölestinens gelangte -- da
-schäumten Einige von ihnen vor Wuth, Andere sannen still auf Rache
--- noch Andere verzweifelten -- und endlich Einige, (das waren die
-Wenigsten, weil die Vernünftigsten), lachten über dieses Ende vom Liede
--- gingen nach Hause, wuschen ihre Erinnerungen mit Rosenwasser ab --
-und traten als vollkommene Gentlemen wieder auf die Straße; denn es ist
-der Grundzug des wahren Mannes von Welt
-
- _nil admirari,_
-
-d. h. über Alles höchstens -- die Achsel zu zucken.
-
-Warum aber hatte Cölestine dem Grafen Alexander einen so entschiedenen
-Vorzug vor so vielen Andern eingeräumt? -- -- Ach es ist schwer,
-die Calcule der Liebe zu verfolgen. Die Liebe berechnet nach einem
-dynamischen Zahlensysteme, wofür wir in der materiellen Welt keine
-Zeichen haben. Wer kann sagen, warum Diese Jenen liebt und nicht den
-Andern? -- Ja, das Beste dabei ist: wir selber können in den meisten
-Fällen uns das von unserer eigenen Liebe nicht nachweisen. Mich dünkt,
-Shakspeare hat es gesagt: Der Eine verliebt sich in die blauen Strümpfe
-seiner Dame, ein Zweiter in ihren süßen Athem -- -- ein Dritter
-findet in der Pupille ihres Auges eine Gottheit, die ihn zu ihren
-Füßen hinreißt; oft ist ein Traum, in welchem uns eine bisher ganz
-gleichgültige Person erscheint, hinreichend -- um uns in Wirklichkeit
-mit rasender Liebe zu ihr hinzureißen; ja man hat Beispiele, daß uns
-Jemand durch seine enorme Häßlichkeit eben so bezaubert, wie ein
-anderer Jemand unsern Freund durch seine unaussprechliche Schönheit.
-
-Das sagt Shakspeare. Und sollte er es auch nicht sagen, so sage ich
-es, was, wenn es gut gesagt sein sollte, die Sache am Ende auch nicht
-schlimmer macht.
-
-Was nun Alexander und Cölestine betrifft, so ist es höchst
-wahrscheinlich, daß die ernste, bedeutungsvolle, stolze und düstere
-Männlichkeit des Grafen -- sie zu allererst zu ihm hinzog. --
-Solche ungewöhnliche tiefromantische und geheimnißvolle Charaktere
-beschäftigen zu sehr die Neugierde der Weiber, als daß sie später nicht
-auch deren ganze Seele herüberziehen sollten. Denn mag man dagegen
-sagen, was man will -- Neugierde ist der erste Ring in der Kette
-weiblicher Empfindungen; an ihm hangen die übrigen der Theilnahme, des
-Mitleids, der Freude, der Furcht, der Hoffnung, der Freundschaft und
-der Liebe.
-
-Ueberdies war Alexander, dieser stolze, selbstständige und geistreiche
-Mann auch -- ein nicht unschöner Mann. Grund allein schon, ihn zu
-lieben -- wenn er auch sonst nichts besessen hätte. Denn ist materielle
-Schönheit an sich nicht schon hinreichend, ein Weiberherz, oft das
-gebildetste und zarteste, zu besiegen? Wenigstens treffen wir täglich
-auf Beispiele, die hierher gehören. In Rom hat erst kürzlich eine
-jugendliche hochgeborne und hochgebildete Miß ihren -- Kutscher
-geheirathet, und Madame Dudevant in Paris hat sich, wie man mir
-erzählt, neulich in einen allerliebsten handfesten Ouvrier vernarrt,
-wiewohl die große Schriftstellerin nachgerade im Begriffe steht, eine
--- Matrone zu werden.
-
-Doch wohin verirre ich mich? Graf Alexander ist ja nicht in diese
-Kategorie zu versetzen; aber man gelangt beim Raisonniren so leicht vom
-Hundertsten in’s Tausendste, und dies darum: weil es in der Natur so
-viele Aehnlichkeiten -- nahe und entfernte -- giebt.
-
-Genug an dem: sie hatten sich gefunden, sie hatten sich erreicht -- ein
-Himmel voll Lust ging auf über ihren Häuptern und der Erdendämon des
-Kummers zog grollend von dannen. Sie kannten ihn nicht mehr.
-
-
-
-
-Drittes Kapitel.
-
-Die Trauung.
-
-
-Der Vermählungstag erschien. Noch immer hatten die Neider und
-Nebenbuhler sich geschmeichelt, er werde hinausgeschoben und so durch
-irgend einen der zahllosen unberechenbaren Zufälle, auf die der
-Mißgünstige hofft -- endlich gar vereitelt werden. Aber nichts von
-dem Allen geschah. Es war mit diamantenen Buchstaben in dem Buche des
-Lebens geschrieben: Cölestine sollte Alexanders Gemahlin sein.
-
-Als man nun nichts mehr dagegen thun konnte, ergab man sich ins
-Schicksal -- jedoch mit einer Hölle im Herzen. --
-
-Das Palais des Herrn von Randow lag in der --straße, innern Stadt. Man
-nennt diese und noch eine Straße vorzugsweise die: aristokratischen,
-weil sie aus einem Aggregat hochadeliger Wohnungen bestehen. Es ist
-das Quartier: St. Germain Wiens, wiewohl im verjüngten Maßstabe, da
-viele der größten Paläste der _haute volée_ in der ganzen Stadt
-zerstreuet stehen.
-
-Seit vielen Jahren hatte im Palaste der Randow kein so reges Treiben
-geherrscht, wie am heutigen Tage. Es ging und kam, es lief und rannte
-Alles, was der Bewegung fähig war. Vom Haushofmeister herab bis zu dem
-letzten Küchen- und Stalljungen hatten die Domestiken alle Hände voll
-zu thun. Die Gänge, die Vorsäle, der Hof, Küche und Keller -- hier
-wimmelte es von Menschen und menschenähnlichen Geschöpfen.
-
-Dagegen herrschte im Innern der Gemächer eine feierliche grandiose
-Stille, wie denn ein kommendes Ereigniß von höhern Menschen immer mit
-kalter Ruhe erwartet zu werden pflegt.
-
-Im großen Familiensaale stand die geschmückte Braut an der Seite ihres
-Bräutigams, umgeben von ihren Angehörigen und einigen Freunden --
-und harrte des Augenblickes, der sie an die Stufen des Altars führen
-würde. Die Trauung sollte in der Hauskapelle vollzogen werden und man
-erwartete nur das Zeichen zum Aufbruch.
-
-Cölestine war ein wenig blässer als gewöhnlich und hierauf beschränkte
-sich die ganze Veränderung ihrer Gestalt. Man konnte gewiß auch nicht
-das leiseste Zeichen von Alteration auf ihrem Gesichte bemerken -- und
-der Blick, mit welchem sie, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, auf
-Alexander verweilte, war fest, mild und heiter. Es schien, als ob ein
-namenloses Glück in ihr Herz eingezogen sei, von welchem sie jedoch der
-Welt nichts verrathen wollte, da man nur insgeheim wahrhaft glücklich
-ist.
-
-Wenn man dann noch den Grafen, ihren Bräutigam, anblickte, so mußte
-uns anfangs die Aehnlichkeit, welche sich in der Seelenstimmung dieser
-beiden Personen aussprach, lebhaft überraschen -- und man konnte nicht
-umhin, sich zu gestehen: diese Beiden sind in der That für einander
-bestimmt. Graf Alexander stand in diesem Augenblick mit gleichem
-ruhigen Bewußtsein an ihrer Seite und auch er schien mit seinem Glück
-vollständig abgeschlossen zu haben. Doch jenes Leuchten, welches wie
-der Blitz momentan durch sein dunkles Auge zuckte, jedoch nur so
-selten, daß es kaum Jemand bemerkte, sprach von einer Lust, die wilder
-bewegt war, als sie es schien.
-
-Nur wenig von dem Allen fiel den Eltern Cölestinens auf. Ihre
-Zufriedenheit über das Geschick ihrer geliebten Tochter war so groß,
-daß ihr Augenmerk nur in diesem Kreise verweilte und nicht fähig war,
-selbst zu verwandten Dingen hinaus zu treten. Eine freundlichere
-Greisengestalt, wie die des Generals von Randow, konnte man sich nimmer
-vorstellen; es war in ihr jene Mischung von adeligem und militärischem
-Ritterthume vereint, die man auf den Bildern der Condé’s und ähnlicher
-Heldenfamilien so gerne erblickt; hiezu kam noch ein unvertilglicher
-Zug von Herzensgüte, die, wie wir wissen, ein Eigenthum aller
-Familienglieder der Randow bildete -- und die überdies auch sonderbarer
-Weise ein Attribut fast aller heroischer Charaktere ist und war. -- Die
-Mutter Cölestinens, aus einem deutschen Hause entsprossen, war eine
-der sanftmüthigsten und zartsinnigsten Seelen -- ein wahrer, echter,
-niemals getrübter Tugendspiegel, das Muster einer Gattin und Mutter.
-Seit einiger Zeit lebte sie nur in und für diese einzige Tochter, und
-die Thränen, welche sie zum ersten Male im Leben vergossen hatte, waren
-Freudenthränen über Cölestinens Glück.
-
-Es wird nicht eben nöthig sein, viel von den übrigen Personen zu
-reden, welche theils als nächste Verwandte des Hauses, theils als
-erbetene Zeugen das Brautpaar umgaben. -- Da stand eine +Gräfin von
-Wollheim+ mit ihrem Gemahle, der ein großer Jäger war, während sie
-zu den leidenschaftlichsten Mitgliedern des +Wohlthätigkeitsvereins
-hoher Damen+ gehörte und alle Jahre mit eigenen Händen 6 Paar
-grobwollner Strümpfe dazu strickte, die sie freilich viel leichter
-für einige Groschen hätte kaufen können. Ferner war eine Frau von
-+Porgenau+ ebenfalls mit Gemahl da, von welch’ letzterem man sich
-allerlei schnurrige Geschichten erzählte. Er wollte für einen großen
-Bonmotisten und Calembouristen gelten, und da hierzu sein Talent nicht
-völlig ausreichte, griff er zu dem auch bei einigen andern Leuten
-gebräuchlichen Mittel, daß er fremde Witze als eigene auftischte.
-Achtbarer und hochverehrter als der alte -- Rath und Ritter einiger
-Orden, Herr von +Labers+, konnte Keiner sein. Er zählte unter die
-verdientesten Staatsmänner der Regierung und seine Anwesenheit allein
-reichte hin, eine Gesellschaft auszuzeichnen. Er war einer von den
-Trauungszeugen des Brautpaares. An seinem Arme führte er die bejahrte
-Wittwe eines +Feldmarschall-Lieutenant E--z+, welche ebenfalls
-eine Zeugin bei der Ceremonie abgab. Noch mehrere Gäste befanden
-sich im Saale; jedoch ist es nicht unsere Absicht, sie hier alle
-aufzuzählen, um so weniger, da dieselben im Verfolge dieser Geschichte
-wohl nicht wieder auftreten dürften.
-
-Nur von Cölestinens Bruder, Edmund von Randow, müssen wir noch
-sprechen. Natürlich, daß auch er sich im Kreise der Gesellschaft
-befand. Ein Charakterzug, der an diesem leichtsinnigen Jüngling sehr
-auffallend erschien, war eine so zärtliche Liebe für seine Schwester,
-daß er in ihrer Nähe, man möchte sagen, einen ganz neuen Menschen
-anzog; denn es gab dann keinen gefühlvolleren und liebenswürdigeren
-jungen Mann, als wozu er sich Angesichts Cölestinens verwandelte.
-
-So stand denn Edmund jetzt auch schüchtern wie ein Mädchen neben
-seiner Schwester, und wenn er einen Blick von ihr erhielt, wäre er vor
-Seligkeit niedergesunken und hätte ihre Füße geküßt.
-
-Es ist in der That auffallend, und doch ist es vorgekommen, daß
-zwischen Bruder und Schwester oft eine so romantische Liebe existirt,
-wie man sie kaum zwischen Geliebten findet. Woher mag das kommen?
-Ist es vielleicht einerseits die Anziehungskraft zwischen den beiden
-Geschlechtern -- und anderseits die Macht jenes Naturgebots, welches
-eine Scheidewand stellt zwischen Menschen, die ein Schoß gebar? --
-In diesem wechselnden anziehenden, abstoßenden Magnetismus ist gewiß
-ein namenloser Reiz verborgen und es entspringt hieraus einer jener
-romanesken Zustände, welche wir nur erleben, nicht schildern können.
-
-Endlich erschien der Hauskaplan im Chorhemd und Stola, um das Paar
-vor die Stufen des Altars zu laden. Man trat sogleich durch einen
-kurzen Corridor in das Heiligthum. Der Tisch des Herrn war festlich
-geschmückt, helle Lichter brannten auf demselben und zwischen ihnen
-glänzte auf silbernem Kreuze das schmerzvolle Bild des Erlösers.
-
-Der Priester stellte sich auf die oberste Altarsstufe und erwartete
-hier, daß Diejenigen, denen er ein Sakrament der Kirche ertheilen
-sollte, zu ihm kommen und darum bitten würden. -- So wurde denn
-Cölestine von der Wittwe des Feldmarschall-Lieutenant E--z und ihren
-Eltern, Graf Alexander aber von dem --Rath, Herrn von Labers, und
-seinen Freunden dahin geführt.
-
-Mit fester Stimme ward beiderseits das „Ja“ gesprochen, die Ringe
-gewechselt, die Stola schlang sich um die vereinigten Hände.
-
-Sie waren Mann und Weib.
-
-Edmund, der der Ceremonie von ferne zugesehen hatte, sank bei dem
-letzteren Akte ohnmächtig in einen Betstuhl.
-
-Zu gleicher Zeit hörte man draußen einen Pistolenschuß fallen, und
-wie man später erfuhr, hatte ein junger Mann, den man jedoch nicht
-erkannte, den Versuch gemacht, sich selbst zu entleiben. Vor der
-Trauungsfeier noch war er in der Nähe der Kapelle gesehen worden,
-hatte sich aber irgendwo zu verstecken gewußt, so daß man ihn nicht
-finden konnte. Nachdem der Schuß, welchen er gegen seinen Kopf zu thun
-beabsichtigt hatte, durch irgend einen Umstand fehlgegangen war -- war
-dieser Fremde wieder plötzlich verschwunden, ohne daß man wußte, wohin
-er gerieth. -- Diese ganze Szene trug sich vor der Kapelle zu und war
-von einigen Dienern des Hauses beobachtet worden.
-
-Ein heftiger Schrecken hatte sich beim Knall des Gewehres unter der
-Gesellschaft in der Kapelle verbreitet. Man glaubte anfangs, es sei
-nach dem Bräutigam oder gar nach der Braut geschossen worden. Indeß
-erfuhr der General und seine Gemahlin sogleich das Wahre von der
-Sache, und dem Brautpaar, so wie den übrigen Gästen sagte man: es sei
-unvorhergesehenerweise das Gewehr eines Jägers im Hause losgegangen.
-
-Aber welches Entsetzen ergriff Alle, als sie in einem Betstuhle Edmund
-leblos liegen sahen. Doch wieder beruhigte man sich, sobald man seinen
-wahren Zustand entdeckte. Man kannte seine schwärmerische Neigung für
-Cölestine. Aber war es diese Neigung, die ihn im Augenblick, als die
-Schwester ihm auf immer entrissen werden sollte -- oder war es ein
-Vorgefühl vor dem räthselhaften Schusse, -- welches ihn besinnungslos
-hinstürzen ließ, wer kann es berechnen?
-
-Als endlich wieder Alles geordnet war, als man den Ohnmächtigen
-wieder zu sich gebracht hatte, als er in den Armen seiner bräutlich
-geschmückten Schwester vollends zum Leben erwacht war -- verließ der
-Zug endlich die Kapelle und begab sich nach dem großen Familiensaale.
-Cölestine empfing hier den Segen ihrer Eltern, die ersten Glückwünsche
-der gegenwärtigen Gäste, so wie einige Geschenke ihrer Verwandten.
-
-Länger jedoch vermochte die Arme sich nicht aufrecht zu erhalten. Diese
-Menschen, die sie umgaben, waren so gesund, wohlbehalten, ihnen war
-nichts begegnet als ein gewöhnliches Fest -- -- hingegen auf Cölestine
-waren so viele Ereignisse, oder vielmehr ein einziges großes, tausend
-andere in sich fassendes Ereigniß, eingedrungen -- daß ihre ungewohnte
-Brust den Druck desselben nicht länger zu ertragen vermochte.
-
-Cölestine begab sich mit ihrem Manne und ihrer Mutter nach einem andern
-Gemache.
-
-Zurück blieben die Verwandten und Gäste, welche sich um den General
-stellten und ihm jetzt dasselbe wiederholten, was sie früher
-seiner Tochter gesagt hatten, nämlich Glückwünsche, Gratulationen,
-Prophezeihungen und andere leere Sachen, an denen die Welt immer reich
-sein wird, so lange es noch müßige Menschen und solche giebt, denen es
-an Nichts oder an Wenigem fehlt; mögen dieselben hohen oder niedern
-Standes sein, das ist einerlei.
-
-
-
-
-Viertes Kapitel.
-
-Der Hochzeitsball.
-
-
-Des Abends waren die Salons des Palastes glänzend erleuchtet.
-Natürlich, man mußte ja einen Ball geben, ohne das läuft so was nimmer
-ab. Wie hätte sonst die halbe Welt Gelegenheit haben sollen, die
-ersten Augenblicke des Ehepaars mit jener schmählichen Neugierde zu
-kontrolliren, welche Ihr -- Ihr armen braven Handwerksleute, Bürger
-und Bauern nicht kennt. Gewisse Gebräuche und Sitten der _beau monde_
-hat die bloße, nackte Unverschämtheit erfunden -- und die herzlose
-Fühllosigkeit sanktionirt sie und bringt dieselben in Ausübung. Hierher
-gehört auch die Sitte, von welcher wir gegenwärtig sprechen.
-
-Wozu ein Ball, ein Fest, eine Versammlung nach der Vermählung? Sind
-sich in diesen Stunden Mann und Weib nicht genug, halten sie sich denn
-nicht zum ersten Male mit den Armen umschlungen, und sind diese nicht
-noch kräftig genug, um fremder Stütze zu entbehren? -- Bei Gott, es ist
-eine Perfidie -- mich unter dem Vorwande eines Gebrauchs -- von der
-ersten Besitznahme meines Eigenthums zu trennen. Der erste Augenblick
-ist ja der entzückendste, warum stört Ihr mich gerade jetzt? -- -- --
-
-Oder sollen diese Gesellschaften am Tage der Vermählung soviel sagen,
-als: von nun an wollen wir immer und so oft als irgend möglich zwischen
-Euch treten und Euch die einsamen Augenblicke, die so süß sind,
-rauben.... von nun an wollen wir es hindern, daß Ihr Euch so ganz
-vereinigt, wie es in der Schrift geschrieben steht: ein Leib und eine
-Seele.
-
--- Die Räume der Salons waren jetzt bereits so sehr angefüllt, daß
-kaum mehr Platz da war für neue Gäste, und doch kamen deren immer mehr
-und mehr. Namentlich Frauen waren mit ihren Männern in großer Menge
-erschienen und auch junge Leute; weniger waren Mädchen zu bemerken,
-die man von solchen Festen gerne ausschließt.
-
-Schon sammelte und sonderte man sich in Kreisen und Gruppen, schon
-unterhielt man sich in jener halbleisen und halbschreienden Weise,
-welche die Conversation der Leute vom guten Ton auszeichnet. Der
-Gegenstand dieser Conversation, dieser Blicke, dieser Deutungen und
-Zeichen war, wie natürlich -- Cölestine und ihr Mann. Ich weiß nicht,
-ob noch irgend ein anderes menschenmögliches Ereigniß im Stande gewesen
-wäre, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich zu ziehen, es müßte
-denn allenfalls das Herabfallen der Decke des Salons gewesen sein.
-
-„Allein finden Sie nicht, beste N**, daß er beiweiten hübscher ist, als
-wie man uns ihn beschrieb?“
-
-„Gewiß, gewiß, meine Freundin: er kann sogar ein +schöner Mann+
-genannt werden.“
-
-„Was sagen Sie zu seinem Benehmen, theure Gräfin V**? Finden Sie es
-nicht ein wenig schroff? ungewöhnlich?“
-
-„In der That -- ja.... indeß kleidet es ihn nicht schlecht, wie ich
-glaube....“
-
-„Ist er Ihnen schon einmal irgendwo vorgestellt worden, meine Beste?“
-
-„Das nicht, kleine Freundin; jedoch habe ich ihn zeitweise bei der
-Baronin von G--r getroffen, wo er sehr beliebt ist.“
-
-„Es scheint mir unbegreiflich, daß dieser Mann beliebt sein könnte.“
-
-„Warum nicht, liebste Beste! Sie thun ihm wahrhaftig Unrecht....“
-
-„Ach -- wovon reden Sie da, meine schönen Damen?“
-
-„Guten Abend, theure Freundin.... Sie sehen, wir reden von ihm....“
-
-Und wer ist dieser Er und Ihm, und: +dieser Mann+? Wer sonst, als Graf
-Alexander, der junge Ehemann, der so glücklich ist, von heute an für
-zwölf volle Tage Stoff zu liefern für die Conversation der schönen Welt.
-
-Aber entgeht vielleicht Cölestine ihrem Schicksal? O, ein solcher Fall
-ist noch nicht da gewesen.
-
-In einigen Gruppen, gebildet aus jungen Leuten und auch älteren
-Gesellen, ist ein solches Flüstern und Lachen und Deuten (natürlich
-bloß mit den Augen) zu bemerken, daß es die Umstehenden genieren
-müßte, wären diese an dergleichen nicht gewöhnt. Man spricht nämlich
-in diesen Gruppen von der schönen jungen Frau, ohne jedoch hierbei
-außer Acht zu lassen, nebenbei auch über ihren Mann ein Wörtchen
-hineinzumengen. In dieser Beziehung sind die Klatschereien der Herren
-noch weit abscheulicher als jene der Damen, da hier in der Regel ihr
-eigenes Geschlecht viel günstiger beurtheilt wird. Wir haben in jener
-Damen-Unterhaltung, der wir vorhin beiwohnten, nur immer über den
-+Gemahl+, über +Alexander+ reden gehört -- -- aber glaube Niemand,
-daß er jetzt in der Herren-Unterhaltung, die wir sogleich besprechen
-wollen, bloß den Namen Cölestinens zu hören bekommt; im Gegentheil wird
-jener ihres Mannes tausend Mal genannt werden, und zwar nicht nur sein
-Name, sondern auch sein Kopf, sein Hals, seine Brust, sein Arm, sein
-Bein, sein Rock, sein Taschentuch.
-
-O über die männlichen Klatschschwestern!
-
-„Ach ja -- guter T*** -- Du findest diese Cölestine wirklich so
-allerliebst? Ich bemerke so eben, daß sie eine abscheuliche Stumpfnase
-hat.“
-
-„Das deutet auf Herrschsucht und Trotz, meine Herren!“
-
-„Um so besser. Der Herr Gemahl wird sich ihr trefflich fügen, denn wenn
-ich nicht irre, so deutet sein hängender Backenbart ein großes Talent
-zur Unterwürfigkeit an!“
-
-„Hahahaha! hahahaha!“
-
-„Ein vortrefflicher Einfall.... Er dürfte aus dem Munde des alten
-+Porgenau+ kommen! -- hahaha!“
-
-„O, dann wäre er gestohlen!“
-
-„Schadet nichts! Gedanken sind keine Waare!“
-
-„Allein -- wie finden Sie diese Haltung +ihres+ Kopfes? Der Kopf
-an sich ist bewundernswürdig schön!“
-
-„Jedoch entstellt ihn die übermäßige Coiffure.“
-
-„Was man immer sagen mag: +sie+ ist eine der ersten Schönheiten
-Wiens.“
-
-„Gewiß! Vom ersten Wasser! Vom ersten Wasser!“
-
-„Vom ersten Kaliber.“
-
-„Still -- -- welcher Vergleich!“
-
-„Die Zahl +ihrer+ Anbeter soll Legion gewesen sein.“
-
-„Ich wenigstens gehörte nicht dazu.“
-
-„Jedenfalls war dieser Graf Alexander der Glücklichste unter allen...“
-
-„Oder eigentlich der Unglücklichste, wie man’s nehmen will...“
-
-„Ach, ach -- ich denke, er ist an sich schon unglücklich genug; wenn
-man die Physiognomie dieses Menschen betrachtet, so wird man finden,
-daß dieselbe aus lauter Unglücken, oder deutscher: Unglücksfällen
-zusammengesetzt ist...“
-
-„Mäßigen Sie sich, Herr von G--r; denn da kommt eben die Schwiegermama,
-und die scheint in Beziehung auf ihren Tochtermann entgegengesetzter
-Meinung.“
-
-Augenblicklich entstand in diesen Versammlungen eine musterhafte Stille
-und die Gesichter der Herren, welche erst von Satyre und Ironie (aber
-ziemlich erbärmlicher) überflossen, wiesen sich so freundlich süß,
-wie eine Hausfrau von ihren Gästen sie nur immer erwarten kann. Ja
-noch mehr, diese trefflichen jungen Leute umringten die Generalin und
-wußten ihr in einem Athemzuge so viel Schmeichelhaftes zu sagen, daß
-man gemeint hätte, über deren Zungen wäre niemals etwas Anderes als
-Lobgesang und Psalmodei gekommen.
-
-Nichts als Glückwünsche und zwar „aus dem Innersten des Herzens“ wurde
-gespendet -- man pries ihr Haus über diesen neuen Zuwachs an Ehre und
-Glück, der demselben so eben geworden war, und dann was den Grafen
-Alexander von A--x betraf, so bezeichnete man ihn als „einen der
-ausgezeichnetsten Kavaliere der Residenz und einen der einflußreichsten
-Diener des Staates.“
-
-Die alte Dame erwiederte diese Höflichkeiten mit jener Miene von
-Liebenswürdigkeit und jenem feinen Takte, die einer vornehmen Frau
-immer zu Gebote stehen und wovon die erstere durch den zweiten stets
-sicher geleitet und bemessen wird.
-
-Man ordnete sich alsbald zum Tanze. Hierzu waren zwei weitläufige
-Säle bestimmt, wohin man sich jetzt paarweise begab. Cölestine,
-nun Gräfin von A--x, eröffnete an der Hand des Herrn von Labers
-den Zug, -- Graf Alexander bot ihrer Mutter und der General der
-Feldmarschall-Lieutenants Wittwe den Arm. Die übrigen Gäste schlossen
-sich ohne Rangordnung, die in der höhern Gesellschaft nicht existirt,
-an -- da hier mit dem Privilegium des Eintritts auch jenes der
-Gleichheit verbunden wird.
-
-Gräfin Cölestine hatte zum ganzen Feste so viel heitern Sinn und eine
-so sichere Fröhlichkeit mitgebracht, daß alle Welt sagen mußte: sie sei
-glücklich und hoffe es stets zu sein. Von dem Grafen, ihrem Gemahle,
-ließ sich dasselbe sagen, doch schien ihn in manchen Augenblicken
-dieses geräuschvolle und ostensible Treiben zu belästigen; man sah es
-ihm an -- er wünschte lieber allein zu sein mit Derjenigen, die er
-jetzt sein nannte. Sollte man es Besorgniß nennen, die sich momentan
-in seiner Miene kundgab? Vielleicht war es das nicht -- und doch
-flüsterten zwei seiner eifrigsten Beobachter, die vielleicht früher
-auch seine Nebenbuhler gewesen waren:
-
-„Ach, es ist die Eifersucht, die sich selbst in den ersten Tropfen
-seines Freudenkelches mischt! wie wird dies erst später werden?“
-
-Dann lachten diese guten Herren und meinten, der Tag ihrer Rache würde
-schon von selbst kommen.
-
-Einige Stunden später -- Graf Alexander hatte während dieser Zeit nach
-der Sitte der vornehmen Welt mit seiner Frau +so wenig als möglich
-gesprochen und getanzt+ -- konnte ein feiner Menschenkenner Spuren
-eines tiefern Unmuths auf des jungen Ehemanns Stirne lesen. Und in
-der That, Alexander war jetzt von einem jener schrecklichen Gefühle
-geplagt, denen seine Seele in früherer Zeit so oft zur Beute geworden.
-Die immerwährende und sich stets gleichbleibende Heiterkeit Cölestinens
-hatte ihn bitter berührt, sie hatte ihn schmerzlich verletzt. Woher
-diese so bestimmt ausgesprochene Zufriedenheit bei ihr -- -- da doch
-er dieselbe nicht theilte? So fragte er sich. Der Bedauernswerthe! er
-bedachte nicht, daß seine Frage ein Widerspruch sei -- -- -- waren denn
-ihre beiderseitigen Gemüther gleich? ja, entsprangen denn ihre jetzigen
-so verschiedenen Stimmungen aus +einer+ Quelle?
-
-So oft es der Anstand und die Umstände erlaubten, versuchte Alexander
-sich seiner Gemahlin zu nähern und -- da traf er denn immer auf
-Hindernisse, die sich zwischen sie und ihn stellten.
-
-Cölestine war eine leidenschaftliche Tänzerin, und warum sollte sie
-an dem heutigen Freudentage sich diesem Vergnügen nicht mindestens
-im selben Maße überlassen, wie zu andrer Zeit? Werden doch, wenn wir
-fröhlich gestimmt sind, unsere innern Triebe freier entfesselt wie
-sonst.
-
-Aber so urtheilte Alexander keineswegs. Seine glühende, spanische,
-eifersüchtige Liebe lechzte nach dem Besitze des Gegenstandes, auf
-welchen nur er ein Recht zu haben meinte.... Zum Glück war sein
-Charakter fast eben so stolz und verschlossen wie eifersüchtig; sonst
-hätte er die Bewegungen seines Herzens nicht bemeistert.
-
-Indessen wurde sein Betragen zuletzt auffallend genug, daß einige Damen
-und Herren, die eher gekommen waren, zu beobachten und zu secciren --
-als sich zu unterhalten, unter einander sprachen:
-
-„Unser junger Ehemann scheint von höchst eigenthümlicher Sorte zu sein;
-man könnte fast glauben, er befinde sich hier, um die Gäste, die seine
-Schwiegermutter eingeladen hat -- zu vertreiben...“
-
-„Ohne eben weit zu sehen -- ließ sich dergleichen von ihm im Voraus
-erwarten. Sie kennen den Grafen A--x also nicht?“
-
-„O! man muß ihm aber auch Gerechtigkeit widerfahren lassen: er macht
-schon im Voraus das Programm zu den künftigen Gesellschaften seines
-Hauses. Man wird sich darnach richten können. Sie dürften nicht ganz so
-glänzend ausfallen, wie die junge Gräfin vielleicht beabsichtigt.“
-
-„Man spricht davon,“ sagte Frau von Porgenau, die sich so eben näherte,
-„Gräfin Cölestine werde ihre _jour fix_ am Sonnabende geben.“
-
-„In der That?“ versetzten einige Damen und sagten zu einander im
-Stillen: „Um so besser, denn an diesem Tage gibt auch Gräfin Wollheim,
-Frau von H-- -- und die Marquise d’M-- ihre _cercles_.“
-
-„Vortrefflich! Vortrefflich!“ ließ sich in diesem Augenblick die
-schallende Stimme des Grafen von Wollheim vernehmen. Der große Jäger
-sprach jedoch nicht zu dieser Gruppe, sondern zu einer einige Schritte
-von hier, in deren Mitte er saß. Seine Worte galten dem ersten
-tanzenden Paare, über welches alle Welt entzückt war. +Edmund von
-Randow+ tanzte nämlich mit seiner Schwester. Man hatte niemals ein
-eleganteres, ein schöneres Paar gesehen. Es war die Mazurka, ein Tanz,
-worin vielleicht in der ganzen Residenz Niemand so vollkommen war wie
-die beiden Geschwister. Man sah, daß es das nationelle Element sei,
-welches in ihnen zu einem so schönen äußern Leben erwache; denn wie wir
-wissen, waren die Randow ursprünglich Polen, und noch hatte das alte
-Vaterland an ihnen nicht ganz seine Söhne verloren.
-
-Die Mazurka war zu Ende. Man konnte sich nicht enthalten, die Virtuosen
-zu beklatschen -- -- Alexander sah von ferne zu; ob er sich freute, ob
-nicht, ist ungewiß; allein es zuckte keine Muskel auf seinem Gesichte,
-welches starr, kalt, theilnahmlos oder niedergeschlagen schien. -- --
-
-Edmund verließ seine Schwester und ging kaum zwei Schritte, als er
-von den offenen Armen des großen Nimrod in Empfang genommen wurde.
-Denn beiläufig gesagt, waren Edmund und der alte Graf von Wollheim
-sehr große Freunde, weil Jener mit Diesem auf die Jagd ging, trank und
-spielte, von welchen Beschäftigungen sämmtlich unser Nimrod ein großer
-Liebhaber war.
-
-„Alle Hirsche und Rehe!“ rief Letzterer aus: „Edmund, Du hast Dich
-wacker gehalten. Fast so wie auf jener großen Treibjagd, Anno 1839,
-wo Du unter meiner Leitung Dein Meisterstück machtest. -- Aber wo
-zum Guckuck hast Du diese Gelenkigkeit in Deinen Knieen und Flechsen
-her?... ein Pullcinell hätte es nicht besser thun können....“
-
-„Ganz recht, lieber Graf,“ versetzte der Jüngling; „übrigens machen
-Sie mir da kein Kompliment. -- Freilich ist es nicht Ihre Sache, von
-diesen Dingen zu sprechen -- und aufrichtig gesagt, ich unterhalte mich
-mit Ihnen tausend Mal lieber über unsre alten Gegenstände.... Kommen
-Sie daher, mein vielgeliebter Wehrwolf... lassen Sie uns dorthin zur
-Kredenze treten -- erst einige Schluck Wein und dann findet sich schon
-das Uebrige...“
-
-„Köstlicher Junge! Köstlicher Junge!“ exklamirte der Jäger: „Er ist und
-bleibt immer derselbe. Nun fürwahr, an Dir, mein Edmund, habe ich mir
-einen Schüler erzogen, auf welchen ich stolz sein kann.... Allein, was
-meinst Du, wird uns nicht etwa Deine Mutter belauschen? Du weißt, sie
-sieht Dich nicht gerne mit dem Glase in der Hand.... Es scheint mir,
-auch Dein Vater schielt nach uns herüber.... Nehmen wir uns in Acht!
-Hübsch gescheidt, mein Jüngelchen.“
-
-„Schon gut!“ entgegnete Edmund: „Kommen Sie nur... ich verspüre in mir
-einen teufelsmäßigen Durst.... Das kommt stets, wenn ich ein Mal etwas
-lang solid gewesen bin...“
-
-„Ja, ja, Du hast Deiner Schwester heute den Hof gemacht, und zwar --“
-
-„Still -- theurer Mann! Darüber kein Wort mehr.... Können wir nicht
-über andere Dinge reden? Du weißt, ich liebe jenes Thema nicht unter
-uns.“
-
-„Nun so will ich Dir eine alte Jagdgeschichte von einem Herzog von
-Würtemberg erzählen. --“
-
-„Erzähle in Gottes Namen! -- So, jetzt wären wir in der Nähe der
-Gläser.“
-
-Wie man sieht, so dutzten sich die zwei an Alter zwar ungleichen, aber
-an Gesinnung desto ebenmäßigeren Freunde. So machte es Edmund übrigens
-immer. Er war mit allen Leuten seines Schlages auf Du.
-
-Während dieses hier vor sich ging, während Wollheim und Edmund, in eine
-dunkle Ecke zurückgezogen, dem Nierensteiner, oder was es sonst war,
-die möglichst größte Ehre anthaten und dabei Gespräche führten, wie sie
-der Wein eingibt und wie wir sie hier zu wiederholen uns sehr hüten
-werden, unterhielt man sich auf andern Punkten der Salons auch nicht
-übel.
-
-So zum Beispiel beglückte Gräfin von Wollheim einen Kreis alter und
-buckliger Zuhörerinnen mit einer Erzählung ihrer letzten Leistung im
-Fache „der Strümpfe für den Wohlthätigkeitsverein.“
-
-„Glauben Sie, meine Damen,“ so sprach sie, „daß es eine der süßesten
-Empfindungen gewährt, unsere Talente und unseren Fleiß im Dienste der
-Armuth und Noth anzuwenden.... Im vergangenen Winter habe ich 4½ Paar
-guter Socken und Strümpfe gemacht, jedes Paar zu 2½ Pfund... Das gab
-eine Bekleidung! Welche Wärme!“
-
-„Ja, ja -- welche Wärme!“ erwiederte ein altes Stiftsfräulein ohne
-Zähne, dafür jedoch mit einer Zunge, die hinreichend +schnitt+, sobald
-es sich um den Ruf eines Nebenmenschen handelte.... „Auch ich habe
-zwei Paar wollene Jacken an das Comité des +Frauen-Vereins+ gesendet.
--- -- Alles eigene Arbeit! -- Wer weiß, welches Pack sie jetzt auf dem
-Leibe trägt.... Denn Sie wissen doch, meine Freundinnen, daß diese
-unverschämten Armen, welche wir mit unserer Hände Arbeit beglücken, die
-letztere bei nächster Gelegenheit zum Trödler oder in’s Branntweinhaus
-tragen...“
-
-„Sollte das möglich sein?“
-
-„Sie können mir’s glauben!“
-
-„Mein Gott, das wäre ja recht abscheulich! -- Wozu arbeiten wir denn?
--- Dann könnten wir ihnen ja die paar Kreuzer, welche sie für unsere
-Sachen lösen, viel bequemer selbst geben....“
-
-„Das ist Alles wahr und ich habe darüber schon mehrfach nachgedacht.
-Hören Sie mich, meine Besten, welchen Vorschlag ich gesonnen bin, bei
-dem Comité des Frauen-Vereins in den nächsten Tagen einzureichen.
--- Man soll in Zukunft jedes Stück unserer Handarbeiten mit kleinen
-Schlössern versehen: Strümpfe, Socken, Unterbeinkleider, Unterröcke --
-kurz Alles. Jedes Stück wird sodann dem damit betheilten Armen mittelst
-des Schlosses förmlich an den Leib +geschlossen+.... den Schlüssel
-aber behalten wir oder besser das Comité. -- Sollte dieser Vorschlag
-nicht durchgehen, so habe ich einen zweiten in Bereitschaft. Man klebt
-mittelst einer Mischung, bestehend aus Gummi, Pech, Sägespänen und
-Teufelsd-- --, den Leuten ihre Kleidungsstücke an den Leib.... Jene
-Mischung muß in einem glühenden Becken heiß gemacht und in diesem
-Zustande unsern theuern Schützlingen über die nackten Glieder gegossen
-werden, sodann kommt das Kleidungsstück darauf -- und es geht niemals
-wieder herunter. -- Ist dies nicht eine köstliche Erfindung? Was sagen
-Sie dazu, meine Damen?“
-
-So schloß die Stiftsdame.
-
-Die Uebrigen waren nicht ganz ihrer Meinung. Besonders schüttelte
-Gräfin Wollheim sehr unwillig das Haupt und sagte:
-
-„Aber da wird ja unsere schöne Arbeit völlig zu Grunde gerichtet. Das
-abscheuliche Pech muß ja durch alle Nähte dringen....“
-
-Man sieht, sie dachte menschenfreundlich!
-
-„Fürchten Sie dieses nicht, meine Beste!“ beruhigte die Stiftsdame:
-„Das Pech dringt nicht heraus. Dagegen hilft der Teufelsd-- --, den ich
-nicht umsonst beigemischt habe. -- Der Teufelsd-- --, wie Sie wissen
-werden, meine Damen, hat eine contraktive Eigenschaft und ist überhaupt
-auch für die Gesundheit sehr zuträglich.... Unsere Armen werden dabei
-dick werden, wie ungarische Mastschweine....“
-
-Die Stiftsdame hatte unter andern lieben Eigenschaften auch jene, daß
-sie alle Gegenstände bei ihren natürlichen Namen nannte, von welcher
-Gewohnheit sie keine Rücksicht abhielt. Da man dies von ihr wußte, ließ
-man sie reden; freilich redeten mit ihr nur die Buckligen und Häßlichen.
-
--- -- Seit einer halben Stunde bereits lauerte Alexander auf eine
-Gelegenheit, die ihm eine ungestörte Zusammenkunft mit Cölestine
-verschaffen sollte. -- Jetzt schien auch sie seine Wünsche zu begreifen
-und gab ihm hierauf ihre Antwort durch sanfte und wehmüthige Blicke
-zu verstehen. -- Alexander war nun der seligste Mensch! -- So hatte
-er sich also wieder umsonst gequält!.... Er hätte früher nur gleich
-ihre Nähe aufsuchen und sie nicht verlassen sollen, so hätte er sich
-jeden Kummer erspart. -- Er brauchte ja deßhalb nicht die übrigen Leute
-von Cölestine zu verscheuchen. -- Ein günstiger Augenblick gönnte ihm
-jetzt, mit ihr mehrere Worte zu sprechen, und er flüsterte ihr zu:
-
-„Ach, wie sehne ich mich nach Dir, Cölestine!“
-
-„Ich theile Dein Verlangen, mein theurer Geliebter!“ antwortete sie
-ihm leise und ein Blick ihrer schönen schwarzen Augen bestätigte die
-Wahrheit dieser Worte.... Dieser Blick versengte jedoch mit seiner Glut
-wieder die Besonnenheit des Grafen und er sprach mit dumpfem Schmerze:
-
-„Soll ich Dich noch lange entbehren -- so sterbe ich! Erbarme Dich
-meiner! Noch nie habe ich so gefleht.“
-
-Aber in demselben Augenblick fühlte er sich an der Schulter berührt.
-Der Vater seines Weibes stand neben ihm:
-
-„Ei, ei!“ sprach der General: „was soll das heißen, Alexander? Sie
-rauben unseren Freunden ein sehr wichtiges Recht. Heute gehört
-Cölestine noch ihnen -- -- erst von morgen an dürfen Sie allein über
-Ihre Frau verfügen...“
-
-Es ist nicht möglich auszudrücken, wie schwer diese Worte den Grafen
-verletzten; gleich einem vergifteten Degen fuhren sie durch sein
-Herz, und zwar eben deßhalb, weil sein Schwiegervater es war, der sie
-gesprochen. Mit einem unaussprechlichen Blick sah Alexander denselben
-an, zerdrückte in seiner Brust einen heftigen Seufzer und ließ sich
-sodann stumm von dem General fort führen. Dieser hatte ihn unterm Arme
-ergriffen und durchschritt mit ihm einen, zwei Säle.... Es schien, als
-könnte er ihn nicht weit genug weg von Cölestine führen....
-
-Alexander hätte den Alten ermorden mögen -- aber was blieb ihm zu thun
-übrig? Er folgte, folgte wie ein Opferthier, das man zwar mit Blumen
-bekränzt, aber dennoch zur Schlachtbank führt. Der General hatte ihn
-zu einer Ottomane gebracht und ihn genöthigt, hier Platz zu nehmen.
-Er selbst setzte sich neben ihn und begann nunmehr ein Gespräch von
-Geschäftssachen und Gegenständen, die sich auf den zukünftigen
-Haushalt der Eheleute bezogen.... Alexander hätte vor Wuth aufspringen
-mögen wie ein Wahnsinniger... Der General aber schien sehr kalt und
-ruhig.
-
-Dies ist leicht zu begreifen; er war ein Greis und hatte so eben seine
-Tochter versorgt -- während der Andere vor Leidenschaft glühte, diese
-Tochter zu umarmen. Das war der Unterschied; bei Gott ein ziemlich
-großer.
-
-Um das Unglück voll zu machen, kam auch noch Herr +von Porgenau+ herbei
-und fing an, alte Witze aufzutischen, die im Jahre 1805 Mode waren, ja
-einige darunter mochten noch in der Arche Noah von dessen Söhnen aus
-Langerweile gemacht worden sein.
-
-„Ei -- so schön beisammen!“ rief der alte Bonmotist und lächelte schon
-im Voraus über den Witz, welchen er sofort zu machen beabsichtigte.
-Denn Herr von Porgenau hatte die Gewohnheit jener Humoristen und
-Komiker, sowohl auf dem Theater als auf dem Druckpapiere (ich will hier
-ihre Namen nicht nennen!), die, bevor sie einen Gedanken, den sie für
-einen Witz halten, preisgeben -- selbst zu lachen anfangen und sich so
-gleichsam den Erfolg sichern; denn die Zuhörer lachen dann auch mit --
-freilich bloß über die Albernheit des Witzmachers.
-
-Herr von Porgenau war übrigens nicht ganz mit diesen Leuten zu
-vergleichen. Jene lachen nur +vor+ oder +während+ ihres Witzes -- -- er
-aber lachte auch +nach+ demselben.
-
-„Ah! Ah!“ rief er dem General in’s Gesicht und schien dabei vor
-Lust und Vergnügen umzukommen: „Sie theilen diesen Platz mit ihrem
-Schwiegersohne, guter Randow! -- Sie haben ihm also einen Theil ihrer
-+Besitzungen+ übergeben....“
-
-Um dem alten Narren eine Freude zu machen, lachte der General über
-diesen schauderhaften Einfall mit; Alexander aber warf ihm einen
-durchbohrenden Blick zu, der so viel sagte, als: „Packen Sie sich,
-alter Dummkopf!“
-
-„Guter Gott!“ fing Porgenau an, als er sich von seiner Heiterkeit
-wieder erholt hatte: „Wie sehen sie d’rein, lieber Graf von A--x? Das
-ist nicht die Miene eines jungen Ehemannes.... das ist, hahaha! hahaha!
-hahaha! -- vielmehr die Miene eines jungen +Wehemannes+!“
-
-Ueber dieses Wortspiel konnte nicht einmal der heute so dienstfertige
-General lachen, was Herrn von Porgenau gar sehr verdroß. Er regalierte
-sich also zuvörderst durch eigenes Gelächter -- und sodann sann er auf
-einen neuen Witz, der, wie er sich vornahm, Alles besiegen würde, was
-bisher in diesem Fache geleistet worden war.
-
-„Finden Sie -- hahaha! Finden Sie, hahaha!“ begann er: „finden Sie
-nicht, daß, hahaha! hahaha!“
-
-Er konnte vor Selbstvergnügen kaum fortkommen.
-
-„Finden Sie nicht, meine Herren -- daß heute ein, hahaha! -- sehr
-schöner Tag ist? hahaha!“
-
-„Gewiß -- ein schöner Tag,“ bestätigte der General.
-
-„Und wissen Sie -- hahaha! -- weßhalb heute der Tag so schön ist --
-hahaha!?“
-
-„Nun?“
-
-Der Bonmotist nahm eine Triumphatormiene an, platzte dann in eine
-entsetzliche Lache aus, und rief:
-
-„Also -- Sie wissen nicht, weßhalb -- hahaha!“
-
-„Nein.“
-
-„Nun -- +ich weiß es auch nicht!+ -- Hahaha! hahaha! hahaha!
-hahaha! hahaha.“ -- Das war der Witz! Porgenau wälzte sich in einem
-Lehnstuhle wie Einer, der den Lachkrampf hat....
-
-Hier vermochte es Graf Alexander nicht länger auszuhalten. Er fuhr
-gleich einem Gehetzten von seinem Sitze auf, entriß sich den Armen
-seines Schwiegervaters und lief hinaus auf den Gang in die frische
-Nachtluft, wo er den Vater über den Sternen fragte, warum er auch
-solche Wesen, wie diesen Porgenau, geschaffen habe....
-
-Er stand lange auf demselben Fleck, dann trat er auf eine Terrasse, die
-mit Orangenbäumen und Blumen bepflanzt war und einen Rasensitz darbot.
-Auf diesen warf er sich, das Antlitz in das feuchte Grün gedrückt --
-und, zum ersten Male im Leben, weinte er.... Er mochte sehr lange hier
-liegen. --
-
-[Illustration: S. 79]
-
-Da fühlte er sich von zwei heißen Armen umschlungen.... Vor ihm knieete
-+Cölestine+, sein Weib.
-
-Ihm schwindelte und er wollte das nicht glauben: „Es ist ein Traum!“
-murmelte er vor sich und schüttelte das Haupt.
-
-„Es ist kein Traum, mein Geliebter!“ lispelte es ihm so süß von den
-Lippen der Geliebten entgegen, daß er die Hand nach ihr ausstreckte.
-Und was er erfaßte, war warmes, holdes, köstliches Leben.... er
-konnte nicht widerstehen, er tauschte das seinige damit aus -- mit
-fieberischem Entzücken stürzte er sich in dieses jetzt zur klarsten
-Einheit gewordene Doppeldasein: sie versanken beide in seinen
-unergründlichen, schwindelnden Tiefen. --
-
-„Aber, meine Seele,“ sagte er darauf: „wie kommst Du hierher? Und wird
-man Dich mir nicht sogleich wieder entreißen?“
-
-„Fürchte nichts, mein Geliebter!“ flüsterte sie und schmiegte sich ihm
-innig an, wie der Epheuzweig einer starken Säule....: „Jene Menschen,
-die uns einen ganzen Tag lang von einander gerissen -- haben nicht
-die Macht, uns auch noch die Nacht zu rauben. Alles entfernt sich
-bereits aus den Sälen unseres Hauses -- es ist ein wilder Tumult --
-und in diesem stahl ich mich weg, um Dich aufzusuchen. -- Wenn Du
-glaubst, ich folgte Dir nicht überall mit den Augen, so hast Du Dich
-betrogen!... O Du wähnest, daß nur Du mich liebst! So weißt Du nicht,
-daß ich mich ganz, ganz Dir zu eigen gegeben habe? -- Diese Stunde soll
-es Dir sagen. Spricht sie nicht mit tausend Geisterzungen meine Liebe
-Dir aus -- -- so wird nie eine andere es Dir sagen. -- Ja, ja, ich
-liebe Dich -- tiefer, seliger, und ernster vielleicht, als Du mich....
-Urtheile nicht voreilig über uns beide! Glaube meinen Worten!“
-
-„Ja, sie reden jetzt mit überzeugender Gewalt zu mir!... Du bist mein
--- und hast Dich aus freiem Trieb mir übergeben, und so mußt Du mich ja
-lieben! -- Entschuldige meine Thorheit, die mich vorher sich wie ein
-Kind betragen ließ.... Allein wenn man im innersten Herzen erregt ist,
-dann, in Wahrheit, geht man seines Verstandes verlustig, man wird ein
-Narr, ein Wahnsinniger, ein Elender!“
-
-„Sprich, geliebter Engel -- --“ kos’te das holde Weib, das auf seinem
-Schoße saß -- „sprich,“ sagte sie mit einem Tone, der klang und
-duftete wie eine wehende Rose: „wirst Du auch immer so sein, wie jetzt?
-Wirst Du mich immer lieben? -- -- Denn jetzt, ich weiß es, werde ich
-von Dir vielleicht mehr geliebt, als irgend ein Weib von einem Mann.
-Aber wird dies auch immer so bleiben? Kannst Du mir dafür Gewißheit
-geben?“
-
-„Und würde es Dich glücklich machen, wenn ich das könnte?“
-
-„Gewiß -- mein Alexander! Liebte ich Dich nicht, hätte ich Dich nicht
-genommen.... und weil ich Dich liebe, muß ich ja wünschen, daß es
-immerdar so bleiben möge.... Allein es ist ein böser Zustand, hiefür
-keine Bürgschaft zu haben.... Höre mich, mein Gemahl! So wie ich jetzt
-fühle und denke -- würde ich die Hälfte meines Lebens dafür geben, wenn
-ich sicher wäre, daß während der andern Hälfte ich auch nicht einen
-Gran von Deiner Liebe einbüßen sollte!.... Glaubst Du meinen Worten,
-oder meinst Du, ich treibe nur Scherz?....“
-
-Alexander vermochte kaum zu antworten; er preßte den blühenden Leib
-seines jungen Weibes an seine Brust, an seinen Körper -- er that ihr
-mit seinen ungestümen Umarmungen beinahe weh.... doch sie empfand es
-nicht....
-
-„Alexander!“ rief sie mit gedämpfter, tiefer Stimme: „in dieser
-entzückenden Stunde, der heiligsten Stunde unseres Lebens, schwöre ich
-Dir, Dir ewig treu zu sein. Schwöre Du mir’s auch!“
-
-Er wollte sprechen.
-
-„Still!“ rief sie und legte ihr kleines Händchen auf seinen Mund:
-„schwöre nicht eher, als bis Du Alles erwogen hast.... ich gebe Dir
-eine halbe Stunde Zeit.... aber länger vermag ich nicht zu harren, dann
-gelobst Du mir, was Du Deinem Schöpfer geloben kannst.... und jetzt,
-jetzt lass’ uns diesen Ort verlassen, lass’ uns eilen, um, bevor noch
-alle Gäste die Säle verlassen haben, dort gegenwärtig zu sein. --
-Du gehst durch jene, ich durch diese Thür. Nach einer halben Stunde
-treffen wir uns -- -- -- --“
-
-„Im einsamen Brautgemache!“ ergänzte er leise und verließ sie zitternd
-an allen Gliedern, glückselig wie ein Gott.
-
-In der That war ihm in diesem Augenblick der Zufall günstiger, wie
-heute den ganzen Tag über. Noch waren die Gäste in reicher Menge im
-Saale zugegen, und eben weil sich Alles zum Aufbruch rüstete (gewisse
-Leute brauchen dazu einige Stunden Zeit), war seine wie Cölestinens
-vorige Abwesenheit nicht bemerkt worden.
-
-Mutter und Vater vermutheten die junge Frau unter irgend einer
-Gruppe von Bekannten; dasselbe dachte man von dem Grafen, und da die
-Neidischen und Nebenbuhler zufällig alle längst fortgegangen waren, so
-konnten auch diese das geheime Glück der Eheleute nicht stören.
-
-Endlich war Alles aus dem Hause. Dieses stand jetzt still und leer....
-die Lichter in den Sälen wurden ausgelöscht -- die Lakaien nahmen
-nunmehr von diesen Schauplätzen Besitz. Der General mit seiner Gemahlin
-entfernten sich nach dem rechten Flügel des Palais; Alexander mit
-Cölestine am Arme schlug seinen Weg nach dem linken ein.
-
-Nachdem sie eine Reihe von Gemächern durcheilt waren, nahm er sie auf
-seine Arme und ras’te mit ihr, wie ein Riese mit einem Kinde, in’s
-Brautgemach.
-
-Hier leistete er ihr den Schwur, welchen sie verlangte: +ewig ihr
-treu zu bleiben+.
-
-
-
-
-Fünftes Kapitel.
-
-Einige Lebensszenen.
-
-
-Im Kaffeehause bei +Daum+ trafen einige Tage darauf zwei Herren
-zusammen. Es war gegen Mittag, um welche Stunde dieses Etablissement
-sehr zahlreich und zwar von einer gewählteren Gesellschaft besucht
-wird. Hier sehen Sie den Stutzer, der so eben von seiner Toilette
-kommt, um sich hier in den vielen Spiegeln zu besehen, was er zu Hause
-niemals so gut kann, denn welcher Mensch, und sei er ein +Pelham+,
-besitzt in seinem Quartier ganz Spiegelwände? Uebrigens frühstückt hier
-der Stutzer auch, und das ist der Vorwand, unter welchem er erscheint.
--- Ferner werden Sie eine zahlreiche Auswahl junger Kavaliere in diesem
-Saale bemerken.... man beabsichtigt einen Morgenritt nach dem Prater
-und kommt früher hierher, sich zu erfrischen.... Ein großer Theil
-jener Beamten, die eben keine zärtlichen Freunde der Bureaux sind --
-sodann pensionirte Hauptleute und Majore und endlich Fremde, namentlich
-Franzosen, vollenden die Gesellschaft, welche Herrn Daums Kaffeehaus
-Vormittags zwischen zehn und zwei Uhr besucht.
-
-Man tritt, wie gesagt, gewöhnlich unter dem Vorwande, ein Frühstück zu
-nehmen, ein, aber nur bei den Wenigsten lauert keine andere Absicht
-im Hintergrunde. Dieser Herr z. B. will sich zwei Stunden lang auf
-weichen Sopha’s umherwälzen und Neuigkeiten aufschnappen -- -- Jener
-sieht durch’s Fenster nach den vorübergehenden Damen oder er stellt
-sich zu diesem Behufe lieber gleich vor die Thür des Kaffeehauses --
-denn es liegt ja auf dem Kohlmarkt, der besuchtesten Straße Wiens; was
-einen Dritten betrifft, so hat dieser, dem die Gläubiger seine Wohnung
-stürmen, sich vor ihren zudringlichen Schaaren hierher, in dieses
-Asyl geflüchtet, weil öffentlich Niemand gemahnt werden darf. -- Und
-so ließe sich dieses Thema, welches wie so viele andere Kapitel über
-den Unterschied zwischen +Schein+ und +Sein+ handelt, noch weiter
-behandeln, wäre hier der Raum zu dergleichen vorhanden. --
-
-Wir eilen jedoch lieber zu einem der Hauptfäden unserer Geschichte und
-überlassen Schilderungen von Nebendingen jenen Autoren, die in ihrer
-Naivetät solche für Hauptsachen halten.
-
-Jene zwei Herren, die sich bei Daum so eben getroffen haben und
-von welchen wir zuvor sprechen wollten, waren: unser wohlbekannter
-Weiberbesieger +Althing+ -- und +Edmund von Randow+. Sie begrüßten
-einander mit jenem Geschrei, welches zwischen gewissen noblen Leuten
-die herrschende Tonesart ist....
-
-„Ah -- mein lieber Edmund!“
-
-„Ah -- mein alter Bursche Althing!...“
-
-Sie umarmten sich so herzlich als nur möglich.
-
-„Wie kommst Du hierher?“
-
-„Diese Frage wollte ich eben an Dich stellen, furchtbarster aller
-Adonisse -- (ich hoffe, Du wirst mit dieser Charakteristik zufrieden
-sein!). Hab’ ich Dich doch niemals noch hier gesehen.... Ich glaubte
-immer, Du besuchtest dieses Etablissement nicht gerne -- weil keine
-Damen hierher kommen...“
-
-„O, o! soll das ein Scherz sein! Bin ich ein Narr, der den Weibern
-nachläuft? Hoffentlich wirst Du nicht so gering von mir denken, Edmund!
-Ich den Frauen nachlaufen... haha! So etwas ist nicht nöthig. -- --
-Es giebt Männer, die von +ihnen+ verfolgt werden, hahaha...“ Und
-unser Dicker zupfte an seiner Cravatte und schlug mit seinen Sporren,
-die er wie die alten Ritter immerwährend -- vielleicht auch im Bette --
-an den Füßen trug, zusammen....
-
-„Kurz gesagt: was suchst Du eigentlich hier?...“
-
-„Theuerster Freund -- bevor wir über diesen Gegenstand reden -- lass’
-uns eine Tasse Chocolate oder noch besser ein deutsches Frühstück
-zu uns nehmen.... das stärkt zum Diskours.... Marqueur! Marqueur!
-Chocolate, aber.... die Vanille nicht zu vergessen! hahaha!“
-
-„Hahaha!“ -- lachte auch Edmund und rief dem Aufwärter nach: „schlagt
-auch ein Ei hinein und gebt ein wenig von jenem gewissen Pulver dazu,
-welches in Apotheken schwer zu bekommen ist.... hahaha!“
-
-„Hahaha! Mein Freund -- Du übertreibst, Du übertreibst. Jene
-Ingredienzen sind bei mir alle noch nicht nothwendig, Dank Aeskulap,
-dem Gott der Gesundheit....“
-
-„Und einem andern Gott, den man in unsern Schulmythologien nicht
-abgebildet findet.... hahaha!“
-
-Althing hatte einen Tisch gewählt, von wo man sehr bequem auf den
-Kohlmarkt hinaussehen konnte -- und der Jüngling nahm neben seinem
-Mentor Platz.
-
-„In der That,“ sagte er, „ich bin äußerst neugierig, den Grund, der
-Dich hieher führte, zu erfahren, mein Alter....“
-
-Zornig schnob ihn der Dicke an: „Ein für alle Mal, ich bin dieses Wort
-nun satt -- und werde es in Zukunft als eine Beleidigung ansehen,
-die gerächt werden muß, +Alter+ und immer +Alter+! -- --
-Donnerwetter! Ihr macht es ja so, als gäbe es keinen Aelteren mehr in
-der Welt, als ich. Was soll das heißen?... Bin ich Euer Freund, oder
-foppt Ihr mich bloß!?“
-
-„Ihr -- Ihr? -- sprichst Du zu mir per +Ihr+! --“
-
-„Nun ja -- Du und die Andern; Du verstehst mich schon. -- Noch ein Mal,
-Edmund, wenn es in Zukunft zwischen uns nicht schrecklich hergehen soll
--- so sprich jenes verdammte Wort nicht mehr aus.... namentlich vor so
-vielen Leuten....“
-
-In diesem Augenblick ging draußen ein junges und sehr schönes Mädchen
--- ein Ladenmädchen, Putzmacherin, Blumenmädchen oder dergl., kurz
-eine Grisette -- vorbei und Althing fuhr mit einem Ruck, als habe ihn
-Jemand gestochen, in die Höhe: „Alle T--l!“ rief er: „Was seh’ ich?
--- Um diese Stunde schon? -- Sie sagte mir, sie würde erst um ein
-Uhr.... Sapperment, dahinter muß etwas stecken.“ Und er bemühte sich,
-hinter dem Tische, der ihn und seinen Bauch einzwängte, rasch vor zu
-kommen.... Das gelang jedoch nicht so leicht -- und unser Ritter, der
-sich mit den Sporren an den Wandtapeten verfangen, riß, während er
-davon stürmte, ein Stück davon mit sich....
-
-Augenblicklich liefen ein Paar Marqueure herbei und stellten sich ihm
-in den Weg:
-
-„Entschuldigen -- Euer Gnaden!... -- Verzeihen -- Euer Gnaden....
-aber....“
-
-„Was wollt Ihr?“ schrie er wüthend und suchte durchzukommen....
-augenscheinlich hatte er in der Eile von dem Schaden, welchen er
-verursacht, gar nichts gemerkt.... denn seine Wuth über die Kerle stieg
-von Moment zu Moment:
-
-„Was soll das heißen?“ tobte er mit von Zorn erstickter Stimme: „Bin
-ich hier unter Wegelagerern und Mördern?...“
-
-Er fing jetzt an so zu springen, als wollte er über die zwei Aufwärter
-wegsetzen; zum Glück aber war er nicht im Stande, höher als zwei
-Zoll sich zu erheben -- dann plumpste er jedes Mal mit schrecklichem
-Geräusch auf den Boden herab. -- Endlich jedoch aufs Aeußerste
-gebracht, ballte er seine Fäuste, streckte sie, wie ein Stier die
-Hörner, vor sich hin -- und versuchte nun auf diese Weise eine Bresche
-zu machen; aber im selben Augenblick hatte ein dritter Marqueur ihn
-hinten beim Rockschoß ergriffen....
-
-„Entsetzlich!“ stöhnte der Unglückselige, den bereits seine Kräfte --
-er besaß deren nicht große -- verließen: „Entsetzlich! so etwas habe
-ich noch nicht erlebt!... Das ist hier eine Schlachtbank, aber kein
-Kaffeehaus!...“
-
-Jetzt trat der Obermarqueur vor ihn: „Entschuldigen Sie,“ meinte
-dieser -- „es ist ein Kaffeehaus, wie diese Herren hier alle bezeugen
-werden.... Man kommt jedoch nicht in ein Kaffeehaus, um Tapeten zu
-zerreißen, Frühstück zu bestellen und sich dann so beiläufig --
-fortzumachen.... Ich gebrauche noch einen sehr milden Ausdruck, wie Sie
-sehen....“
-
-„Ha! mir das?“ schäumte Althing: „Mir das? -- Fortmachen?
-„+Durchgehen+,“ wollen Sie wohl sagen! -- Wissen Sie denn auch,
-mit wem Sie’s eigentlich zu thun haben, mein Mann?“
-
-„Eben deßhalb, weil man Sie hier nicht kennt, weil Sie noch niemals da
-gewesen sind, mein Herr, durften Sie bei Ihrem forcirten Abgang keine
-andere Behandlung erwarten.... Mein Gott, wer wird uns zumuthen, unsere
-Tapeten von fremden Herren zerreißen zu lassen?....“
-
-„Aber ich wäre wieder gekommen; ich hatte nur ein wichtiges Geschäft
-abzumachen, das keinen Aufschub litt.“
-
-„Mein Herr, ich erlaube mir die Bemerkung, daß, bevor man
-zu wichtigeren Geschäften geht, man so unwichtige, wie eine
-Kaffeehausschuld, abmacht...“
-
-„Aber -- -- bin ich denn allein da? Wo ist denn mein Freund, Herr von
-Randow? -- War dieser denn Euch nicht Bürge genug? --“
-
-„Allerdings; allein der Herr von Randow hatten ja eben die ganze Szene
-mit angesehen -- und da Dieselben sich dessenungeachtet nicht in’s
-Mittel legten....“
-
-Bei diesen Worten drehte der mißhandelte Liebesheld sich um, um nach
-seinem Freunde Edmund zu sehen. Dieser saß zwei Schritte davon und
-hielt sich vor Heiterkeit kaum mehr auf dem Sitze. In der That, die
-eben vorgefallene Szene hatte ihm ein Vergnügen gemacht, in welchem
-er sich um großer Schätze willen nicht hätte mögen stören lassen; von
-ihm war also eine Unterbrechung desselben und somit der Szene nicht zu
-erwarten.
-
-Althing warf ihm einen indignirten Blick zu und sprach, bitter
-lächelnd: „-- -- O, das hat man für seine Freundschaft, für seine
-Lehren! -- Gewöhnlich erzieht man sich an seinen Schülern --
-Schlangen und Nattern. -- Doch schon gut! Ich werde diesen Vorfall
-nicht vergessen -- und auch wie ritterlich man sich dabei gegen mich
-benommen....“
-
-„Aber, mein Gott,“ entgegnete Edmund kichernd: -- „Was sollte ich thun?
--- Du schlugst ja so wüthend umher, daß man nicht in Deine Nähe treten
-und Dir ein Wort zuflüstern konnte. ... Und überdies....“
-
-„Schon gut! schon gut! Keine Entschuldigung, mein Herr!“ sagte
-unser Dicker in jenem kalten Tone, womit man einen Menschen seine
-Gleichgültigkeit fühlen läßt: „Marqueur! -- Was macht der ganze dumme
-Spaß....“
-
-„Nicht mehr als zehn bis zwölf Gulden,“ antwortete der Oberaufwärter.
-
-„Was heißt das: Bis --“
-
-„Das heißt, mein Herr, es läßt sich noch nicht ganz genau
-berechnen....“
-
-„Wohl; hier habt Ihr zwölf Gulden! -- -- und nun ein Glas Limonade. Ihr
-bringt sie jedoch zu diesem Tische, hier nebenan.“
-
-Der Gekränkte setzte sich wirklich an einen andern Tisch, jedoch hatte
-er auch von hier die Aussicht auf den Kohlmarkt. Er saß ganz allein --
-denn die ihm früher während seines Kampfes mit den Aufwärtern umgebende
-Menge hatte sich, bis auf einige junge Herren, die ihn aus einer
-gewissen Entfernung durch Lorgnets besahen, verloren. -- Diese für ihn
-höchst wahrscheinlich jetzt sehr erwünschte Einsamkeit -- fing der gute
-Dicke nun damit an zu benutzen, daß er sein Wesen und seinen Anzug, die
-ein bischen derangirt worden waren, in die vorige Ordnung zu bringen
-versuchte,.... er zog seine Cravatte straffer an -- besah seine Sporren
--- wischte den Schweiß von der Stirne -- und als die Limonade ankam,
-trank er sie auf einen Zug aus. Bei allen diesen Verrichtungen jedoch
-unterließ er nicht, sein Auge immerwährend nach der Straße hinaus zu
-richten.... Allein da konnte er lange schauen! es war Alles vergebens.
-
-Jetzt trat Edmund näher heran, setzte sich auf einen Stuhl neben ihn
-und sprach: „Althing, ich will Dir’s nur sagen! Wenn Du nach jenem
-Mädchen lugst, der Du vorhin nachspringen wolltest -- die ging bereits
-während Deiner Fehde mit den Aufwärtern zurück....“
-
-Dieses Wort war im Stande, den Seladon Alles Geschehene vergessen
-zu machen: „Ist das wahr?“ rief er eifrig: „Du sprichst von jener
-hübschen, niedlichen Grisette?“
-
-„Von jener niedlichen Grisette, ja, ja! -- Sie hat, dünkt mich, sogar
-Deine Rauferei hier vor dem Fenster mit angesehen...“
-
-„Ist das möglich! Und was that sie dabei? -- Sie war gewiß im äußersten
-Grade entrüstet?“
-
-„Nein, denn sie lachte wie toll und rief noch mehrere von ihren
-Freundinnen herbei, die eben vorbeigingen....“
-
-„Aber das ist unglaublich! -- das Mädchen liebt mich ungeheuer!“
-
-„-- Wie die Andern -- haha!“
-
-„Nein, nein, Diese ist in mich total verschossen! Du hast keinen
-Begriff davon, mein Freund. Willst Du einen Beweis? Nun gut: so wisse,
-daß sie mir heute ein Rendezvous gab; daß sie eben meinetwegen hier so
-oft vorüber geht -- --“
-
-„Ich sah jedoch ganz deutlich, daß sie auch nach andern Herrn
-blickte....“
-
-„Blickte?“
-
-„Und -- lachte!“
-
-„-- Dieselben aus.“
-
-„Nein, sondern: lachte sie an. Allein, Du scheinst Deiner Sache sehr
-gewiß.“
-
-„Das bin ich auch, mein Freund! Sie gab mir Tausende von Beweisen, jene
-kleine Hexe.“
-
-„Zum Beispiel.“
-
-„Zum Beispiel --! -- Ach, wozu erst viele Beispiele. Ich weiß, woran
-ich bin und damit gut. Uebrigens weißt Du, daß ich in diesen Dingen
-nicht von heute bin. Man hat Erfahrungen -- man hat Abenteuer gehabt
-von allen Sorten.... kurz, man war glücklich... hehe!“
-
-„Doch was seh’ ich!“ rief Edmund plötzlich: „Kommt sie da nicht schon
-wieder?...“
-
-Rasch blickte der Alte durch’s Fenster: „Richtig! Richtig!“ rief er
-freudig aus.. „Nun, was sagst Du dazu, mein Junge! Siehst Du den
-Blick, welchen sie mir zuwirft.... hahaha! Wirst Du nun noch länger
-zweifeln.... daß man Sieger, daß man Geliebter des Herzens ist?“
-
-Und kaum hatte er das gesagt, als er nun wieder aufsprang und --
-diesmal von den Aufwärtern -- ungefährdet hinaus lief. Doch lief ihm
-fast das ganze Kaffeehaus nach und Alles lachte über eine Begebenheit,
-welche bisher in den Annalen von Daum’s Caffée unerlebt war.
-
-Unter den Zuschauern, welche sich jetzt vor der Thür des Etablissements
-aufstellten, um dem Alten nachzusehen, befand sich auch Edmund. Er nahm
-sich vor, seinem verliebten Freunde zu folgen und ihn nöthigenfalls
-zu hindern, abermals einen dummen Streich zu begehen. Denn hatte
-der junge Mann auch jenem Auftritt im Kaffeehause mit ruhigem Blute
-beigewohnt und sich an demselben auch noch obendrein erlustigt -- so
-war er gleichwohl, nach Art gutmüthiger Menschen, sogleich bereit, sein
-Vergehen durch eine edle That zu sühnen.
-
-Althing verfolgte die Grisette inzwischen Schritt für Schritt; er ging
-ihr über den Kohlmarkt, den Michaelerplatz, die Herrengasse bis zur
-Freiung nach -- -- aber er bemühte sich vergebens, sie einzuholen, denn
-das Mädchen hüpfte leichtfüßig wie ein Reh, während er Mühe hatte,
-seinen dicken Bauch fortzubringen; und dann genirten ihn auch seine
-Sporren, mit denen er alle Augenblicke anstieß und hängen blieb. --
-
-Aber der Eifer des Jägers wächst mit der Mühe der Verfolgung -- und
-man sah es dem dicken Adonis an: er wollte sich lieber seine Beine und
-seine Lungen zu Grunde laufen, als von seinem Vorhaben, das Mädchen zu
-erreichen, abstehen.
-
-Endlich schien das Glück sich ihm wieder zuzuneigen. Die Kleine, auf
-dem tiefen Graben angelangt, wohin sie jetzt ihre Schritte lenkte,
-mäßigte die letzteren.... das gab dem Alten neuen Lebensmuth, und er
-ruderte ihr nun aus Leibeskräften nach, wobei sich Arme, Beine, der
-Kopf, kurz der ganze Körper bewegte. --
-
-„Ah!“ dachte Edmund, der immer in einer kleinen Entfernung nachzog
--- „sollte es wider Vermuthen günstiger ausschlagen? Doch, das ist
-unglaublich! -- Sehen wir nur nach, was es wieder geben wird.“
-
-Schon hatte Althing die Grisette erreicht; -- er rückte ihr an die
-Seite und flüsterte ihr Etwas in’s Ohr... man konnte von hinten sehen,
-zu welcher freundlichen Fratze er sein rothes, schweißtriefendes
-Gesicht verzog; -- -- jetzt trennte ein Schubkarren, welcher mitten
-zwischen die beiden fuhr, den Ritter von seiner Dame.... und Jener
-mußte ein wenig zurückbleiben.... er wollte ihr rasch wieder
-nachspringen, aber in diesem Momente trat die Grisette in ein Haus,
-und unserem Dicken, welcher seinen Fuß schon auf die Schwelle gesetzt
-hatte, wurde die Thüre vor der Nase zugeschlagen... so daß wenig fehlte
-und er wäre um die letztere gekommen...
-
-Er prallte heftig zurück und auf eine Frau, die zu dieser Zeit eben
-vorbeiging und auf den Armen einen Korb voll Gemüse trug; es war eine
-Fratschlerin (Höckerweib) -- man weiß was eine Wiener Fratschlerin zu
-bedeuten hat.
-
-Augenblicklich entlud sich eine Fluth von Schimpfwörtern aus ihrem
-Munde: „Der alte Mensch da! -- Da seht ihn einmal an! Ist er
-toll? Wirft sich da in meinen Gemüsekorb hinein -- als gehörte er
-darunter.... Nun ja, er sieht mir auch gerade so aus, wie ein hohler
-Kürbis.... Tausendsapperment hinein!“[B]
-
-Althing schien der Verzweiflung nahe zu sein... Er hatte gänzlich den
-Kopf verloren; er wußte nicht wie ihm geschah -- und blickte bald das
-tobende Höckerweib hinter, bald das Haus vor sich an.... Allein auf
-beiden Seiten war nichts Tröstliches zu sehen, und der wackere Mann
-schüttelte jammervoll sein edles Haupt....
-
-Da warf er einen zerknirschten Blick nach den sechsten Stockwerk hinauf
-und murmelte wehmuthsvoll: „Dort oben soll sie wohnen, wie sie mir
-gesagt hat; aber wozu sagt sie mir dieses, wenn sie mir die Thüre vor
-der Nase zuschlägt?.... O, Althing, so ist Dir noch niemals mitgespielt
-worden! --“
-
-Die Fratschlerin war wieder langsam weiter gegangen, jedoch nicht
-ohne noch immerwährend zu fluchen und sich von Zeit zu Zeit nach
-dem Unglücksmanne zornig umzusehen. Was Edmund betrifft, so hatte
-sich dieser hinter einen Mauervorsprung zurückgezogen und sah von
-hier aus dem Treiben seines alten Kameraden zu. Er wartete blos auf
-die Gelegenheit, wie ein echter Retter in der Noth hervorzuspringen,
-falls dieses irgend nöthig sein sollte. Ach, wahrhaftig! er wartete
-vergebens; die Gelegenheit überrumpelte ihn und seinen Freund, wie ein
-unbarmherziger Feldherr seinen gar zu sicheren Gegner....
-
-Während nämlich Althing noch immerfort nach den Fenstern der sechsten
-Etage hinaufsah -- denn er vermochte nicht sein Auge von da abzuwenden
--- wurde plötzlich aus einem dieser Fenster, gerade über seinem
-Haupte, ein Gefäß ausgeleert, dessen Inhalt den armen Ritter völlig
-überfluthete, so daß er laut aufschrie: „Ah! Ah! -- Feuer! Feuer!“ und
-zuversichtlich noch mehrere ähnliche Rufe herausgestoßen haben würde --
-wäre in diesem Augenblick Edmund nicht herbeigelaufen und hätte sich
-seiner bemächtigt, um ihn hastig in’s nächste Haus zu ziehen und so
-der Polizei, die unfehlbar sogleich herbeieilen mußte, zu entreißen.
-
-Denn ein unbegründeter Feuerruf mußte in Wien mit einer artigen Summe
-bezahlt werden.
-
-Althing’s Kleider verbreiteten eben keinen angenehmen Geruch; zum Glück
-war es indessen blos Seifenwasser oder etwas Aehnliches. -- -- Der
-Dicke triefte wie ein Pudel und überdies schien ihn sowohl vor Schreck
-als vor Kälte ein Fieber ergriffen zu haben, denn er bebte, zitterte
-und klapperte mit den Zähnen, daß es ein Erbarmen war. --
-
-„O, mein Freund!“ sagte er zu dem Jüngling: „Beweine mich! -- Ich
-bin ein Märtyrer der Liebe geworden! -- Ach, wäre ich nur schon zu
-Hause, um andere Kleider anzuziehen! -- Der Zustand dieser hier wird
-mich tödten.... O, hätte ich das träumen können! -- Ich, ich, der so
-viele Siege davon getragen hat; der mit Cäsar sagen konnte: _veni,
-vidi, vici_ -- -- -- und nun eine solche Erfahrung zu machen......
-Allein,“ fuhr er nach einigen Augenblicken fort, indem er sich im
-Gesichte mit der Hand herumwischte.... „was bemerkst Du an meiner
-Physiognomie, Edmund?“
-
-„Ich bemerke, daß sie voll Ruß ist; ihr unterer Theil sieht wie
-bei einem Schornsteinfeger aus.... Dein Schnurbart hat seine Farbe
-gelassen. -- --“
-
-„Glaube dies ja nicht; er ist von Natur schwarz und färbt nicht ab; du
-darfst dessen gewiß sein. Er ist immer schwarz gewesen, dieser Bart --
-in meinem zehnten Jahre schon! -- Auch hat man dieses stets für eine
-meiner vorzüglichsten Zierden erklärt. Allein, werden wir nicht bald
-nach Hause gehen? Ich halte es hier nicht aus.“
-
-„Willst Du der Polizei in die Arme laufen, Unglücklicher, und auf die
-Wachstube geführt werden?“
-
-„Aber man wird uns nicht bemerken -- -- Schaffe einen Fiaker herbei,
-guter Edmund....“
-
-„Das geht nicht; man darf auch mich nicht sehen. Wir müssen noch einige
-Zeit hindurch hier verweilen....“
-
-„Das ist eine schlimme Aussicht.... Jedoch, was bemerke ich da rechts
-im Hofe, siehst Du -- dort, aus dem vierten Fenster, hat so eben ein
-allerliebster Lockenkopf herausgesehen.... das gewährt Zerstreuung. --“
-
-„Ach, Althing -- wirst Du denn nie Vernunft annehmen? In unserer Lage
-haben wir nach andern Dingen zu sehen, als nach Lockenköpfen....“
-
-„Ganz wohl; aber man darf keine Gelegenheit vorbeistreichen lassen --“
-
-„Still doch! -- Hast Du nichts gehört? -- Mir schien es, als hätten
-sich draußen Stimmen hören lassen....“
-
-Augenblicklich verstummte der Dicke und sein Fieberfrost kehrte
-zurück.... Jetzt vernahm man ganz in der Nähe eine Stimme, die keinen
-Zweifel über ihren Besitzer zuließ: „Hier hat Jemand Feuer gerufen! --
-Wer ist das gewesen?“
-
-„Wir wissen nichts, wir wissen es nicht!“ antworteten mehrere Stimmen!
-
-„Es war ein dicker Herr,“ rief jetzt eine --; „er muß in diesem Hause
-verborgen sein! -- ich sah ihn da hinein laufen...“
-
-„O mein Edmund!“ ächzte Althing und fiel bewußtlos seinem Freunde in
-die Arme.
-
-Nun wurde die Thür geöffnet und ein Polizeimann trat ein; sogleich
-deutete ein Weib mit einem Korbe, die zu gleicher Zeit erschien, auf
-den Ohnmächtigen und rief: „Der da ist es gewesen! Der da hat Feuer
-geschrieen! Das ist der Vogel -- -- der früher auch in meinen Korb
-hinein flog, als hätte er sechs Tage nicht gefressen...“
-
-„Mein Herr von Randow,“ bedeutete der Polizeisoldat gegen Edmund --
-denn der Dicke hörte nichts -- „da ich so glücklich bin, Sie und diesen
-Herrn hier zu kennen, so ersuche ich Sie, falls es Ihnen nicht lieber
-wäre, sich sogleich auf die Direktion dieses Viertels zu bemühen -- --
-einige Stunden später daselbst zu erscheinen, um über den Feuerruf, für
-dessen Urheber man Sie ausgibt, die nöthige Auskunft zu ertheilen...“
-
-Nach diesen Worten empfahl sich der Diener der öffentlichen Sicherheit,
-wobei er nicht vergaß, mit der Spitze seiner Finger den Czako zu
-berühren.... zugleich jagte er die Schaar der Neugierigen, welche
-sich vor dem Hause angesammelt hatte, wie dies in Wien häufiger als
-anderswo zu geschehen pflegt, auseinander und öffnete so unsern beiden
-Freunden freies Feld, welches diese denn auch benutzten, nachdem
-Althing wieder zu sich gekommen war.
-
-Edmund packte denselben in einen Fiaker und schickte ihn nach Hause;
-er selbst wurde von Verrichtungen nach einem andern Theile der Stadt
-gerufen.
-
-Es war in der Nähe des Augartens, wohin er in einem Wagen sich bringen
-ließ. Eben stieg er aus, in der Absicht, sich nach einem von den
-schönen neuen Häusern, welche dort stehen zu begeben, -- als ihm aus
-der Allee, welche den Augarten von Außen umgibt -- ein Mensch entgegen
-stürzte, der auf den ersten Anblick einem Wahnsinnigen nicht unähnlich
-sah. -- Ohne Mühe erkannte unser Freund den +Baron von Leuben+,
-jenen glühenden Verehrer Cölestinens, welchen wir auf dem Wasserglacis
-kennen gelernt haben. Aber was war mit dem Menschen vorgegangen!
-Sein Anzug sah im höchsten Grade zerrüttet aus, so als hätte er ihn
-seit 8 Tagen nicht gewechselt und als hätte er die Nächte auf freier
-Straße oder im Felde liegend zugebracht. Das Gesicht war fahl und
-eingefallen, die Züge verzerrt -- das Haar flatternd, allen Winden
-Preis gegeben....
-
-„Sind Sie es oder sind Sie es nicht?“ rief er Edmund an und faßte ihn
-bei der Hand.
-
-Dieser, der ohne Zweifel weder Zeit noch Lust hatte, sich aufzuhalten,
-entschuldigte sich und schützte dringende Geschäfte vor....
-
-„Nein, nein!“ sagte Jener mit zitternder Stimme: „ich lasse Sie nicht;
-Sie müssen mit mir sprechen. Zwei Worte nur, aber um Gotteswillen reden
-Sie mit mir!“
-
-„Mein Herr,“ versetzte Jener; „wäre dazu vielleicht nicht ein ander Mal
-Zeit? Wollen Sie z. B. nicht hier auf diesem Platze einige Augenblicke
-lang auf mich warten? Ich werde sogleich wieder zurück sein....“
-
-„Nicht doch! Keinen Schritt von hier!“ schrie Leuben: „Wollen Sie, daß
-ich völlig toll werde? Zur Hälfte bin ich’s schon. Ich kann es nicht
-länger ertragen. Bei der Barmherzigkeit des Himmels beschwöre ich Sie:
-hören Sie mich an!“
-
-„Nun denn,“ antwortete Edmund, halb in Unmuth und halb mitleidig: „was
-steht zu Ihrem Befehl?“
-
-„Kommen Sie unter jene Bäume dort.... denn hier werden wir gesehen --
--- und ich weiß, mein Aeußeres taugt nicht dazu. --“
-
-Diese Rede rührte den jungen Menschen, der, wie erwähnt worden, so
-leicht zu rühren war: er folgte dem Baron und war mit demselben bald in
-der Allee....
-
-„Sie sehen in mir,“ fing der Letztere an, „einen Unglücklichen, einen
-Elenden -- dessen Herz gebrochen ist und für dessen Verstand nicht
-minder Gefahr droht.“
-
-„-- Nun wohl, mein Herr,“ entgegnete unser Freund: „was Sie mir sagen,
-ist schrecklich genug, um meine innigste Theilnahme zu erwecken: drum
-reden Sie, was kann ich für Sie thun?“
-
-„Was Sie für mich thun können?“ seufzte Leuben schwer auf: „Jetzt
-vielleicht nichts mehr oder sehr wenig; früher jedoch würden Sie ganz
-gewiß mein Leben, meine Seele, mein Glück und meinen Frieden haben
-retten können. --“
-
-Daß Edmund den Zusammenhang und Sinn dieser abgebrochenen Worte
-errieth, läßt sich wohl denken. Er hatte es längst bemerkt, daß dieser
-junge Mann auch zu der Zahl derjenigen gehörte, die von den Reizen
-Cölestinens bezaubert waren; er wußte jedoch bisher noch nichts von der
-namenlosen, alle Grenzen einer gewöhnlichen Empfindung übersteigenden
-Leidenschaft Leubens. Diese Stunde gab ihm indeß hinreichende
-Aufklärung. Da ihm nun solchergestalt das Unzukömmliche seines jetzigen
-Zusammentreffens mit dem jungen Mann und das gänzlich Verwerfliche
-seines längern Verweilens bei demselben einleuchtete, so bemühte er
-sich eifrig, sein Mitleid für ihn zum Schweigen zu bringen und sich
-rasch von hier zu entfernen.
-
-Er wartete daher nur noch eine nähere Erklärung Leubens ab, sodann
-wollte er ihm ohne Rücksicht Adieu sagen. -- Der Unglückliche
-beschleunigte selber diesen Plan. Er faßte Edmund an beiden Händen --
-stellte sich vor ihn hin und sprach mit düsterem Tone:
-
-„Ich liebe Ihre Schwester!“
-
-„Mein Herr!“ versetzte dieser, der jetzt augenblicklich sich losriß und
-zwei Schritte zurück trat -- in kaltem Tone: „Meine Schwester ist seit
-acht Tagen die Gemahlin des Grafen von A--x.“
-
-„Das weiß ich!“ sagte Leuben mit dumpfer Stimme.
-
-„Das wissen Sie!“ rief Edmund streng: „und dennoch wagen Sie es, mir
-eine solche Erklärung zu geben.“
-
-„Und warum nicht?“ fragte Jener finster.
-
-„-- Weil ich,“ entgegnete zornig Randow: „dieselbe nicht zu dulden
-willens bin, mein Herr.“
-
-„Und was weiter --?“ meinte der Jüngling gleichgültig.
-
-„Das Weitere ist, daß ich, Rücksicht auf Ihren Zustand nehmend, Sie
-nicht ferner anhören will. Adieu, mein Herr!“ Er wandte ihm den Rücken.
-
-„Aber -- -- ich habe Sie beschworen, es zu thun, und Sie haben
-eingewilligt. Wollen Sie Ihr Wort brechen?“
-
-„Nach dem, was ich so eben hören mußte, fühle ich mich meiner Pflicht
-vollkommen entledigt. Darum noch ein Mal: Adieu!“
-
-Edmund ging jetzt raschen Schrittes fort.
-
-Leuben aber lachte ihm in jenem schrecklichen Tone nach, welchen man so
-oft hört, wenn man an den Irrenhäusern vorbeikommt -- und welcher Ton
-ein Menschenherz durchschneidet und zerreißt. -- --
-
-„O!“ rief der Unglückliche, so daß Edmund es noch hören konnte: „es ist
-auch so gut. Einer Wölfin Bruder -- pflegt kein Lamm zu sein.... wohl,
-wohl. So ist also Alles vorbei -- und mir bleibt nichts als Tod oder
-Verzweiflung.“
-
-Einen Augenblick hielt er hier inne, dann kreischte er wild auf: „Doch
-nein! mir bleibt noch Eins! -- Noch Eins!“ und abermals ließ er ein
-heiseres Lachen hören -- doch schien durch dieses ein von dem früheren
-sehr verschiedener Grundton durchzuklingen. Jetzt verschwand er im
-Augarten.
-
-Edmund aber trat in ein neues und schönes Gebäude ein. Es war das
-Palais des Grafen Alexander von A--x, welches dieser seit Kurzem mit
-Cölestine bewohnte.
-
-
-
-
-Sechstes Kapitel.
-
-Die ersten Tage eines jungen Ehepaars.
-
-
-Sie lebten so glücklich. --
-
-Welcher Abschnitt des Lebens läßt sich wohl mit jener Zeit vergleichen,
-da die erste Liebe in ehelicher Sicherheit und Kraft blüht, wie die
-Blume des Feldes, die von sorgsamer Hand in das Beet des Gartens
-versetzt wurde.... Ach, sie saugt jetzt edlere Säfte aus diesem edleren
-Boden -- und voll, farbig, duftreich, wie nie, steigt sie empor in die
-blauen Lüfte. --
-
-Was ist die Liebe? Eine Waise, die arm und nackt nach einem Freunde
-sucht, der sie aufnimmt in seiner Hütte.... Hier wird sie groß gezogen
--- reift zum Weibe -- und bringt als Hausfrau Segen über das ganze Haus.
-
-Wir fürchten in der That allzusehr hinter der Wirklichkeit
-zurückzubleiben, indem wir ein Bild von dem jetzigen häuslichen Leben
-Alexanders und Cölestinens zu geben versuchen. So hatten sie sich denn
-endlich erreicht. -- Niemand konnte mehr Eines dem Andern entreißen. --
-Niemand? -- Mit Gewalt wenigstens nicht!
-
-Wir wissen nicht, wer von beiden das Glück, welches ihm an der Seite
-des Gatten geworden war, inniger und tiefer empfand. Es war zwischen
-ihnen ein steter Wettstreit von Zärtlichkeit: Jedes wollte hierin den
-Preis davon tragen.
-
-Das Haus, welches sie vom Tage ihrer Vermählung an bewohnten, war sehr
-geräumig und mit allen Bedürfnissen eines eleganten und wohnlichen
-Aufenthaltes auf verschwenderische Weise ausgestattet. Es enthielt zwei
-Etagen, wovon die erste zwei Salons und viel große Gemächer, die zweite
-kleinere Wohnzimmer, vorne zum untergeordneten Gebrauch der Herrschaft
-und nach hinten zu für die Beamten des Hauses dienten. Die eigentlichen
-Domestiken bewohnten das Parterre. Hinten schloß sich an’s Haus ein
-schöner geräumiger Garten an, ein Gegenstand, der in diesen Theilen
-Wiens nicht eben häufig angetroffen wird. Wie wir schon bemerkten, war
-dieser Wohnplatz, dieses Palais in Bezug auf seine innere und äußere
-Einrichtung im Sinne des Wortes +glänzend+ und +vollkommen+.
-Es konnte den ersten Häusern der Stadt den Rang ablaufen. Graf
-Alexander hatte von dem Augenblick, als er zu dem Besitze des Herzens
-Cölestinens gelangt war und sich Hoffnungen zu machen anfing auf ihre
-Hand -- mit wunderbarem, mit wahrhaft rührendem Eifer gestrebt, hier
-der Geliebten seines Herzens einen Sitz der Freude, der Bequemlichkeit
-und der Pracht zu schaffen. Was der zärtlichste Sinn ihm nur Schönes
-und Vortreffliches eingab, Alles suchte er zur Wirklichkeit zu bringen
--- seine Sorgfalt für dieses Stückchen Erde glich derjenigen, welche
-fromme Gläubige für einen Platz, der ihrem Gott geweiht ist, hegen, und
-welchen Platz sie mit einem Tempel schmücken.
-
-Die Lebensweise des jungen Ehepaars war im Aeußeren ein Bild voll
-Jugend, Anmuth, Einfalt und Glückseligkeit. So ist die Zeit der ersten
-Gattenliebe immer. -- -- Cölestine war nicht getrennt von ihrem Manne;
-ihre beiderseitigen Zimmer wurden durch zahlreiche Thüren und jene
-süßen geheimen Gänge verbunden, welche die Liebe erfunden hat. --
-Von den Verwandten und Freunden des Ehepaars war es schön, daß sie
-während der ersten Wochen seine Einsamkeit nicht störten. In der That,
-es hatte noch kein fremder Fuß diese Schwelle entweiht, welche den
-geheiligten Mysterien der ersten Gattenliebe geweiht war. -- Wenn Er
-und Sie früh erwachten, fanden sie einander in ihren Armen, so wie sie
-Abends sich umschlungen hatten -- dann erhoben sie sich Beide, um auf
-einige Augenblicke Abschied von einander zu nehmen.... Sie gingen in
-ihre Ankleidezimmer -- das einfachste Gewand wurde gewählt -- nur um
-keinen der kostbaren Momente zu verlieren, die sie zusammen genießen
-konnten. -- Alexander bot jetzt seiner Frau den Arm und führte sie in
-den Garten, über welchen eben der heranrückende Sommer das entzückende
-Kleid der Blätter, Gräser und Blumen ausbreitete. Schon winkten
-trauliche Boskets -- doch nicht belaubt genug, um in sich dieselben
-wie in eine undurchdringliche Freistätte zu flüchten. Alexander las
-seiner Gemahlin aus einem Buche vor und wovon handelte dieses Buch?
-Von -- glücklicher Liebe. -- Diese war für sie übrigens allenthalben
-vorhanden, wohin sie auch immer ihre Blicke wandten. Sie fanden diese
-glückliche Liebe bei den Blumen, die einander umschlangen, und im
-Bache, wo eine Welle in die andere hinüberfloß -- sie fanden sie am
-Himmel, wo die Sonnenstrahlen sich mit den kleinen Wölkchen eines
-schönen Tages vermählten und diese zärtlich vergoldeten -- -- sie
-fanden sie auch in den Vöglein unter den Wolken, welche da die Luft
-durchzogen und einander zärtlich verfolgten, sich dann auf einen Zweig
-niederließen und zusammen sangen.... ja sie fanden diese heilige und
-beseligende Liebe überall im Himmel und auf Erden, ja selbst zwischen
-diesen beiden; denn jener mit seiner blauen Decke umschlang diese in
-ihrem bräutlichen Festgewande, und sie streckte ihm durch die Bäume und
-Aeste ihre blühenden Arme entgegen. --
-
-Aber wo wäre auch Liebe nicht? Hat man sie ja tausend Mal den
-Gottesodem genannt, der das Universum durchweht.
-
-Und als nun die Stunde erschien, in der früher die Liebenden, da sie
-noch nicht sich selbst sondern der Welt gehörten, sich aufmachen
-mußten, um im schalprunkenden Staate dem Götzen der Gesellschaft zu
-dienen -- als jene traurige Stunde erschien, in der man Besuche gibt
-und empfängt bei und von Leuten, die für unsere Herzen eben so fremd
-sind wie alltäglich für unsere Augen -- Leute, welche uns verleiten,
-mit ihnen im Verein einen Dienst der Lüge zu begehen, der unsere Seele
-verhärtet und unsern Geist verderbt -- -- der uns immer mehr von uns
-selbst und unserem geheiligten Innern ablenkt -- -- um diese Stunde nun
-saß jetzt das junge Paar noch immer beisammen und lebte noch immer für
-sich und pflanzte und bewirthschaftete den Baum des Glückes, dessen
-Wurzel ihre beiden Herzen waren -- und unter dessen Laub sie still und
-vergnügt wohnen -- von dessen Früchten sie dankbar essen sollten. --
-
-Auch beim Mittagstische fanden sie einander wieder -- und widmeten die
-nächsten Stunden dann gewöhnlich einer süßerquickenden Ruhe. Gegen
-Abend verließen sie entweder zu Wagen oder zu Fuße das Haus und begaben
-sich hinaus in die freie Natur, wo sie gleich Kinder, auf den Wiesen
-umherhüpften, einander neckten, verfolgten, bis zum Rande des Flußes
-liefen, hier bunte Steinchen, Muscheln und Wasserblumen suchten -- --
-auch wohl einen Kahn bestiegen und sich hinüber auf die einsame Insel
-rudern ließen, wo sie, nachdem sie die Dienerschaft zurückschickten,
-mit dem Bedeuten, erst nach einigen Stunden wieder zu kommen -- diese
-Zeit wie Einsiedler durchlebten; wie Robinson. -- Sie gaben sich hier
-dem unmittelbaren Naturgenusse hin, dessen erhabene Süßigkeit ein
-gewöhnliches Herz nicht zu fassen fähig ist. --
-
-Abends im Sternenschimmer und im Silberscheine des Mondes fuhren sie
-sodann auf dem Flusse zurück und verlängerten, wenn es ging, immer
-diese Fahrt. -- Rings um sie herrschte das tiefe Schweigen der Nacht
-und langsam stiegen im Umkreise die Wassergeister aus der Fluth und
-umgaukelten den Kahn -- setzten sich auch wohl mit ihren luftigen,
-neblichten Gliedern auf den Rand desselben und glotzten das liebende
-Paar neugierig aus kristallenen Aeuglein an; -- dann, wenn die Gatten
-sich umarmten oder küßten -- hüpfte das Wasservölkchen schnell wieder
-in ihre nasse Heimath zurück, indem es ein leises Gekicher zurückließ,
-das sich mit dem Rudergeräusch vermählte. --
-
-Mitternacht war längst vorüber und noch fuhren oft die jungen Gatten
-auf dem Wasser, oder wandelten in Auen, Wiesen und Wäldern; und
-überall, wo sie sich nur immer befanden, schien ihnen das bunte kleine
-Völkchen der Kobolde, Elfen und anderer Naturpüppchen zu folgen. -- --
-Man sagt, dies begegne allen glücklichen Menschen. Elfen und Gnomen
-strömen gerne dahin, wo Freude herrscht -- so wie Dämonen und schlimme
-Geister sich stets an die Ferse des Elends und Unglücks hängen. --
-
-Ja, Cölestine und Alexander fanden sich nicht selten noch unter freiem
-Himmel, da auf diesem bereits die ersten Lichtstreifen der Morgensonne
-sich ausbreiteten. -- Ach, sie hatten sich aber auch so Vieles zu
-sagen, wozu daheim im Hause der Raum zu beengt war. Warum suchen
-Liebende und Unglückliche so gerne die Einsamkeit? Weil das Glück
-wie das Unglück nur verstanden und mitempfunden wird von der Natur.
-Die Welt hat für unsere mittleren Zustände allein Raum -- für die
-kleinlichen, bürgerlichen, philisterhaften, katzenjämmerlichen Freuden
-und Leiden; was drüber hinaus geht, was über die Höhe der Marktpfähle
-und Schlagbäume reicht -- das muß draußen zwischen Himmel und Erde
-verhandelt werden.
-
-Das Gemüth Alexanders war weich und sanft geworden wie das eines jungen
-Mädchens; er war nicht mehr jener düstere, stolze, verschlossene Mann,
-der mit Niemand verkehrte als mit seinem Amte und seinem einsamen
-Hochmuthe -- -- dieser Alexander schmiegte sich jetzt an alle Freuden
-des Lebens an, sofern sie nur in seiner Liebe zu Cölestine begründet
-waren. -- Er wäre um dieses Weibes willen Alles geworden, was sie
-wollte. -- Sie hingegen, sie blieb sich gleich, nur daß sie das
-rauschende Sonntagskleid der Welt abgelegt und ein einfaches weißes
-der Poesie und Häuslichkeit angezogen hatte. Sie war noch immer das
-heitere, fröhliche, neckische Wesen mit den schwarzen, brennend
-funkelnden Augen und den tiefrothen Lippen, die sich so gerne zur Lust
-verzogen.... sie war noch immer jenes leichte, erregbare Wesen, fern
-von Melancholie oder Schwärmerei, einfach, natürlich und fröhlich. --
-Indessen hatte doch das Gefühl der Gattenliebe durch ihr ganzes Wesen
-einen Ton durchklingen gemacht -- sanfter als alle andern, die bisher
-in ihrem Herzen wohnten. Es war dies jener Ton, den die Liebe allein
-nicht hervorbringen kann -- jener Ton, worin schon ein mütterliches
-Gefühl spricht. --
-
-„Weißt Du, mein guter Alexander,“ sagte sie eines Tages zu ihrem
-Manne, als sie im Garten beisammen saßen -- „daß ich mit jedem Tage,
-ja ich könnte sagen mit jeder Stunde Dich mehr liebe! -- Bist Du gar
-so liebenswürdig oder entfaltet die Sehnsucht meines Herzens sich in
-immer mehr gesteigertem Maße? -- -- Ich habe Dich nun, ich habe Dich
-allein, ich glaube Dich ganz zu besitzen, und doch enthüllt mir jeder
-Augenblick, daß im vorhergegangenen Du mir noch nicht so vollständig
-angehörtest, wie jetzt. -- O, eine solche Liebe ist ein großes Glück!
-Niemand begreift sie, der sie nicht erfahren hat.“
-
-„Und geht es mir nicht ebenso, Geliebte meines Herzens?“ entgegnete er,
-sie an seine Brust drückend -- ihre Lippen, ihre Augen, ihre Stirne,
-ihren Hals, ihre Schulter, ihre Arme und Fingerspitzen küssend --
---: „Ist meine Liebe zu Dir etwa weniger fortschreitend? Mein Gott,
-kommt es mir doch in manchen Augenblicken vor -- als seien wir zwei zu
-nichts Anderem in der Welt, als um unser Wesen immer tiefer in einander
-zu versenken, eine stets innigere Vereinigung zu bewirken. Was ist
-die Liebe doch so Unendliches und Geheimnißvolles! Wer hat sie noch
-ergründet in allen ihren Tiefen und Schätzen? -- Darum aber lass’ uns
-auch immer uns lieben -- jede Spanne Zeit dazu anwenden, uns in diesem
-göttlichen Beruf immer mehr zu vervollkommnen. Vielleicht, daß diese
-Stufenleiter des Liebesglücks jener Himmel mit seinen Rangstufen ist,
-von welchem unsere Dichter und frommen Weisen so begeistert reden...
-vielleicht, daß dies dieselbe Stufenleiter ist, auf deren untersten
-Sprossen wir standen, als wir zum ersten Male uns sahen -- auf deren
-oberen die seligen Cherubim und Seraphim wohnen, auf der obersten aber
-der allmächtige Gott selber thront. --“
-
-„Wie dem auch sei,“ rief das zärtliche Weib aus: „so lass’ mich Dich
-lieben -- und es störe keine Betrachtung, keine Berechnung den Genuß
-unserer Wonne. Diese erfülle unser Herz, so weit dasselbe Raum hat --
-und mag es auch überfluthen, was schadet das? Wir stürzen uns dann in
-einen Ozean von Glückseligkeit -- -- sollten wir darin auch untergehen.
--- O, wie lieb’ ich Dich, mein Geliebter, mein theurer Alexander!...
-Wie preise ich mich glücklich, Dich jetzt so in meinen Armen halten
--- -- Dir sagen zu können: Alles, Alles, was ich habe, worüber ich
-verfügen kann, gehört Dir!... Denn ich bin Dein Sklave, Dein Eigenthum,
-mein lieber Mann.... aber Dein Sklave aus entzückender Hingebung -- ein
-Eigenthum, das ich selber längst nicht mehr besaß....“
-
-Sie umschlang seinen Nacken mit ihren beiden schönen, blüthenweißen
-Armen und zog sein Haupt herab auf ihren vollen, wogenden, duftenden
-Busen, der, hart wie Marmor, zu zerspringen drohte unter keuscher
-Sinnenlust. Sein Mund küßte die Stelle, wo ihr Herz schlug, und jeder
-Schlag durchfuhr sein ganzes Wesen mit einer magischen Gewalt, davon
-jede Faser in ihm selig erbebte. Er war keines Wortes mächtig -- er
-zitterte wie ein Kind in ihren Armen -- er hätte weinen mögen -- --
-noch nie war es ihm so gewesen, wie jetzt: „So hab’ ich Dich noch nie
-geliebt, wie in diesem Augenblick!“ rief er ganz aufgelös’t.
-
-„Auch ich, auch ich!“ bebte es von ihren Lippen: „Auch ich habe Dich
-noch niemals so geliebt!“
-
-Und diese beiden Wesen schienen von einer unaussprechlichen Trunkenheit
-erfaßt zu werden...
-
-Sie verloren alles Bewußtsein. --
-
--- -- Auf ihrem einsamen Wohnsitze erhielten sie zuerst den Besuch
-von Cölestinens Mutter, darauf erschien Edmund, der den Moment nicht
-erwarten konnte, seine Schwester in die Arme zu schließen. Diese
-Besuche störten nicht mehr das idyllische Glück des jungen Ehepaars --
--- es kam dann auch der alte Vater und auch er war willkommen; aber
-jetzt befürchtete man, daß sie nur allzubald herbeiströmen würden,
-die Schaaren der „Freunde,“ der Neugierigen, der Argwöhnischen und
-Neidischen. -- Alexander jedoch beschloß, so lange als möglich die
-feste Mauer, welche sein Haus umzog, zu vertheidigen. -- Ach, er
-kannte den unerschütterlichen Sinn und die sich immer erneuernde
-Tapferkeit der Belagerer nur zu gut, und so war denn höchstens nur noch
-für ein paar Wochen Sicherheit zu hoffen.
-
-Es war eines Vormittags, als sie von der Generalin besucht wurden.
-
-„O, meine Kinder,“ sprach Cölestinens Mutter, diese würdigste und
-tugendhafteste aller Matronen des Geschlechtes der Randow -- „wie danke
-ich meinem Schöpfer, der Alles so gefüget hat, wie es zu Eurem Glück
-erforderlich ist. So sind wir, so seid Ihr am Ziele aller Wünsche
-und unser Gebet kann sich nur auf den Fortbestand dieses gesegneten
-Zustandes beschränken. -- Ja, er wird fortbestehen und währen, bis
-Euer Auge bricht, bis Eure Herzen ausschlagen.... Ihr werdet Euch
-lieben und glücklich sein bis an’s Ende Eurer Tage. Mir sagt es mein
-ahnendes, mein vertrauendes Mutterherz -- und ich lese hierzu die
-Bestätigung in Euren Augen. -- O Cölestine, mein Kind, liebe Deinen
-edlen Gatten, sänftige und erquicke seinen ernsten, schwermuthvollen
-Sinn!... Aber, was sage ich? Du hast es ja schon gethan! -- Und
-so bleibt mir nur noch eine Bitte an Dich übrig: daß Du es auch in
-Zukunft nicht unterlassen sollst. -- -- Und nun zu Ihnen, mein theurer
-Freund und Sohn Alexander! -- Bewahren Sie für alle Zeiten Ihrem
-Weibe jene Zärtlichkeit, die Sie ihr jetzt widmen, eine Zärtlichkeit,
-an welcher Ihr großes Herz so reich ist!... Sie sind nicht mehr
-unverstanden, Sie sind nicht mehr ungeliebt.... es hat sich Ihnen ein
-Herz ergeben, das Ihrer würdig ist und das streben wird, dies immer
-mehr zu sein. -- Merkt Euch noch Eines, meine Kinder: Lasset Eure Liebe
-von der +Tugend+ geheiligt werden; seid fromm, sittig, rein und
-bescheiden: eine Liebe, welche dies nicht ist, sie wird, glaubt es mir,
-nimmerdar bestehen. -- Die echte Liebe ist nicht von dieser Welt; sie
-sucht an ihrem Gegenstande die höheren Eigenschaften und liebt ihn um
-so inniger, je mehr sie diese in ihm entdeckt -- -- ebenso bemüht sie
-sich, diese in der eigenen Brust zu erwecken, um sie ihm anzubieten
--- um dieselben gegen die seinigen auszutauschen. Das ist wahre Liebe
--- und so haben sich immer jene edlen Menschen geliebt, von deren
-Herzensgeschichte uns die alten Bücher so Rührendes erzählen....“
-
-Die jungen Gatten, ergriffen von der Ermahnung Derjenigen, die jetzt
-ihnen Beiden Mutter war, sanken zu ihren Füßen nieder und gelobten
-feierlich, nach dieser Lehre zu leben. Da segnete sie die fromme Alte
-und weihte sie mit ihren Zähren, welche langsam auf deren Häupter
-herabrieselten.
-
-[Illustration: S. 128]
-
-Edmund, der in diesem feierlichen Momente eintrat, wurde von dem
-Anblick, der sich ihm hier bot, erschüttert, so daß auch er, ohne ein
-Wort zu sprechen, hinstürzte neben die Knieenden, die Hand der Mutter
-sowohl wie die der Schwester ergriff und sie abwechselnd an Herz und
-Mund drückte.... Dann schloß Cölestine den Jüngling in ihre Arme und
-nun konnte auch er seine Thränen nicht mehr zurückhalten: er vermischte
-sie mit denen der beiden Frauen.
-
-Niemals noch hatte er so selig geweint.
-
-In diesem Kreise waren nur zwei Augen trocken, die Alexanders, aber sie
-deuteten, auch trocken, auf eine, wenn auch stille, doch eben so
-tiefe Wehmuth -- als von welcher die übrigen Herzen erfüllt waren.
-
-„So bist Du nun ganz glücklich, meine Schwester!“ begann Edmund in
-jenem innigen, wunderbar gerührten Tone, welchen er für Niemand sonst
-in der Welt, als für sie hatte: „Du bist glücklich! -- Und so weißt Du:
-daß auch ich es bin. -- Ja, in der That, ich habe niemals Deine lieben
-Augen von so sanfter Zufriedenheit, niemals Deine holden Wangen von so
-heiterem Roth strahlen sehen, wie in diesem Augenblick; und nie, nie,
-Cölestine, warst Du so schön! -- O, wie glücklich wird Dein Mann sein
-in Deinem Besitze! -- Tausende werden ihn beneiden -- wie Fürsten einen
-König beneiden, der in seiner Krone eine Perle besitzt, die an Glanz
-und Werth die Summe aller der ihrigen übertrifft.... -- Doch Alexander
-hat Dich auch verdient! Ja, ja, er war der Edelste unter seinen
-Mitwerbern -- und so gönne ich Dich ihm.“
-
-Diese Worte waren für den Grafen nicht ohne Bitterkeit; allein was
-ein romaneskes, schwärmerisches Bruderherz in seinem schrankenlosen
-Enthusiasmus verbrochen, das suchte die Schwester bei dem geliebten
-Manne ihrer Wahl wieder gut zu machen. Sie wandte sich mit einer
-Zärtlichkeit, deren Wahrheit jeder Athemzug ihrer Brust bestätigte --
-zu Alexander und überhäufte ihn mit Beweisen von Liebe, dergleichen sie
-ihm sonst nur, wenn sie allein waren, widmete. Sie schien es gänzlich
-zu vergessen, daß sie nicht ohne Zeugen seien.
-
-Alexander verstand diese zarte und großmüthige Rücksicht: er fand in
-ihr einen hinreichenden Ersatz für die Unbill, welche er zuvor erfahren
--- und ein zärtlicher Blick dankte seiner Gattin dafür.
-
-Da trat rasch und überraschend auch noch der alte General ein; er fand
-alle so heiter und gemüthlich, wie er sie brauchte:
-
-„Allons Kinder!“ rief er „fliegt mir an den Hals! -- Das geht mir
-noch Alles zu langsam. -- Ach, richtig, ich vergesse, daß ich hier
-nicht in meinem Hause bin, sondern unter jungen Eheleuten -- kleinen
-Turteltäubchen, die mit einander genug zu thun haben, als daß sie
-noch an einen so alten Steinadler, wie Unsereins, ihre Zärtlichkeit
-verschwenden sollten.... Nun denn, guten Tag, mein lieber Alexander
--- guten Tag, theure Tochter Cölestine -- und auch Du, Mama, sei
-herzlich gegrüßt. -- -- Doch, alle Donner! da hätte ich fast eine sehr
-wichtige Person vergessen --“ bemerkte der lustige Alte, sich gegen
-Edmund wendend, der ehrfurchtsvoll, wie er es gewohnt war, vor seinem
-Vater stand: „Verzeihen Sie mir, mein Herr!“ fuhr der General gegen ihn
-fort: „und entschuldigen Sie ein schlechtes Gedächtniß, das bekanntlich
-gerade die nächsten Dinge am leichtesten vergißt...“
-
-Cölestine hing am Halse ihres Vaters und küßte ihn so lange, daß er
-selbst endlich ausrief: „Ich denke, meine Tochter, es wird nunmehr
-genug sein!“ Dann reichte er dem Grafen die Hand und ließ sich im
-Kreise der Gesellschaft nieder.
-
-Nun mußte Cölestine ihm genau Bericht abstatten über ihren ganzen
-Haushalt -- und Alles, Alles bis auf die letzte Kleinigkeit sagen; denn
-der greise Kavalier zeigte eine Neugierde, als sei er an die Stelle
-irgend einer alten Haushälterin getreten.
-
-„Also dort auf jener Seite sind nun Deine Zimmer und hier die Deines
-Gemahls?“ fing er an.
-
-„Ja, bester Vater. Das habe ich so eingerichtet, denn Alexander
-überließ Alles meiner Bestimmung.“
-
-„Dies ehrt sowohl Dich, wie Deinen Mann, und ich statte ihm für diese
-Liebenswürdigkeit meinen väterlichen Dank ab.“
-
-„Ah -- aber glauben Sie mir, mein Vater, dies ist noch die kleinste der
-schönen Eigenschaften Alexanders.... Er ist an größern so reich....“
-
-„Gewiß, gewiß, liebe Cölestine. Aber die innere Einrichtung Eures
-Hauses betreffend, so sage mir: ist Alles Uebrige in einem eben so
-feinen und großartigen Geschmack ausgeführt, wie dasjenige, was ich zu
-bemerken Gelegenheit hatte....“
-
-„Alles, mein Vater. --“
-
-„Aber -- dies wird Deinem lieben Manne große Auslagen verursacht haben,
-welche ich, da Du die Urheberin von Allem bist, mißbillige...“
-
-„O, bester Vater, seien Sie überzeugt --, daß in dieser Hinsicht
-Alexander meine Wünsche stets übertroffen hat.... Dieser kleine
-Feenpalast war bereits in Allem fertig, als ich von ihm Besitz nahm --
--- und ich veränderte nur hie und da Etwas in der Anordnung. Darin
-besteht meine ganze Schuld.“
-
-„Wie mich dünkt,“ fuhr der alte General in seinem Beichtamte fort:
-„so ist die Dienerschaft Ihres Hauses, mein theurer Schwiegersohn,
-mindestens um das Dreifache, gegen deren frühern Etat, vermehrt....
-Habe ich nicht Recht?“
-
-„Allerdings -- Herr General; ich fand es nothwendig, das Haus meiner
-Gemahlin in jeder Beziehung auf eine Stufe zu stellen, welche sowohl
-ihren Verdiensten als ihrem Range angemessen ist.... Ich fürchtete,
-noch zu wenig gethan zu haben. --“
-
-„Und was Ihren Marstall anlangt -- lieber Graf -- so fand ich
-Gelegenheit, einen Blick hineinzuwerfen, wiewohl ich mir das Vergnügen,
-ihn genauer zu besichtigen, noch vorbehalte. -- -- Ihr Marstall nun,
-mein theurer Alexander, ist wirklich unvergleichlich, und ich weiß
-nicht, ob er es nicht mit jedem andern in der Residenz aufnehmen
-könnte. Dies nimmt mich um so mehr Wunder, da ich weiß, daß Sie im
-Ganzen keiner von unsern leidenschaftlichen Pferdeliebhabern sind ...
-ich glaube, Sie gehören auch nicht zu unserem Jokey-Clubb....“
-
-Der Graf erwiederte lächelnd: „Bisher noch nicht; doch bin ich Willens,
-mich in denselben aufnehmen zu lassen.“
-
-„Aber -- Sie besteigen ja höchst selten ein Pferd.“
-
-„Ich werde es jetzt öfter thun.“
-
-„Und der Grund davon?“
-
-„Meine Frau wünscht es.“
-
-Der General umarmte seinen Schwiegersohn. --
-
-„Sie sagt,“ fuhr dieser fort: „ein Mann erscheine niemals schöner, als
-wenn er zu Pferde sitzt, und ich will mir das merken.“
-
-„O!“ sagte Cölestine gerührt: „Du hast es nicht nöthig, Alexander, Dich
-werde ich ewig lieben -- und mehr Dich lieben, wie ich, ist kein Herz
-fähig.“
-
-Jetzt schloß +sie+ ihn in ihre Arme und eine Pause entstand,
-reicher an stiller tiefer Wonne, als deren manches ganze Leben enthält.
-
-Die Eltern segneten die Stunde, welche den Grafen zum ersten Male
-in ihr Haus geführt. Nach einiger Zeit erhob man sich und nahm die
-Wohnung der Kinder in Augenschein. Man besichtigte sie von oben bis
-unten, man ließ nicht die kleinsten Winkel unbeachtet -- und es
-bestätigte sich Alles, was man früher von ihr erfahren hatte. Sodann
-ging man in den Garten hinab, dann in den Hof, in die Seitengebäude,
-Alles entsprach einem großartigen Plane, und Alles stand unter einander
-in der schönsten Harmonie.
-
-Endlich nahmen die Alten mit ihrem Sohne Abschied von dem Ehepaar --
-und begaben sich auf den Rückweg nach Hause; denn es war heute bei
-ihnen, aus Anlaß des Nachfestes zu der Vermählungsfeier Cölestinens --
-Tafel, bei welcher einige nähere Freunde des Hauses erscheinen sollten.
---
-
-
-
-
-Siebentes Kapitel.
-
-Ein _Tête à tête_ -- jedoch kein zärtliches.
-
-
-Es schlug sechs Uhr. Dies was die Zeit des Diners. Im kleineren Salon
-der Generalin waren bereits alle Gäste versammelt, unter denen uns
-mehrere Personen nicht ganz unbekannt sind. Denn es fanden sich hier
-der Graf und die Gräfin von Wollheim -- Herr und Frau von Porgenau --
-die Wittwe jenes Feldmarschall-Lieutenants E--z, so wie die Stiftsdame,
-Fräulein Eugenie von +Bomben+ (62 Jahr alt). Auch Herr von Labers,
-der Mann, welchen Alles hochachtete, war zugegen.
-
-Man schritt paarweise in den Speisesaal, wo eine auserlesene Tafel
-bereit stand, die Gäste aufzunehmen. Dies Diner wäre ein ganz
-gewöhnliches gewesen und hätte sich durch nichts von einer materiellen
-Mahlzeit oder Esserei unterschieden, hätten nicht unsere drei oder vier
-Paar Originale, dergleichen nicht überall in der Welt zu finden sind,
-daran Theil genommen. So aber war für den Geist mehr als hinreichend
-gesorgt; d. h. für den Geist, welcher Kontraste und satirische
-Verwickelungen liebt.
-
-Nach den ersten Gängen -- man servirte in diesem Hause auf französische
-Weise -- wurde endlich jene einförmige Stille, die den Anfang eines
-Mahles bezeichnet, durch einige schlechte Witzworte des trefflichen
-Herrn von Porgenau unterbrochen und der Genius der Unterhaltung senkte
-sich auf die Gesellschaft herab.
-
-Es ist im Grunde zwar nicht nöthig, so gewissenhafte
-Geschichtsschreiber wir übrigens auch sind -- jedes alberne Wort
-Herrn von Porgenau’s durch unsern Griffel der Unsterblichkeit zu
-überliefern... Indeß dürfen wir auch diesem Manne, da er einmal ein
-Charakter ist, (obgleich nicht in dem Sinne, worin Börne von Gutzkow
-ein Charakter genannt wird) nicht Unrecht thun, und so geben wir denn
-so viel Züge und Striche von ihm, als zur vollständigen Zeichnung
-seines Bildes nothwendig sind.
-
-So möge man also wissen, daß der erste brillante Einfall Porgenau’s
-heute an dieser Tafel darin bestand, daß er einen Kalbskopf in einer
-_sauce piquante_ mit den Liebesgedichten des berühmten Lokalhumoristen
-Herrn Saphir verglich und hinzusetzte: so sehr dieser Kopf auch mit
-Saucen, Citronenscheiben, Gewürzen, Lorbeerblättern, Blumen und Blüthen
-begossen und bedeckt sei -- erkenne man doch augenblicklich, daß er
-vom +Kalbe+ komme.... Der Bonmotist setzte noch hinzu, daß man im
-Orient auf diese Weise auch +Affenköpfe+ bereite -- -- und meinte,
-dieser Vergleich sei noch viel passender.
-
-Ferner behauptete derselbe: eine schlechte Tafel sei die beste
-Universität, man werde da voll +Geleersamkeit+.
-
-„Wissen Sie,“ wandte er sich zur Gräfin von Wollheim, wobei er wieder
-im Voraus so sehr lachte, daß es eine wahre Freude war: „wissen Sie,
-gnädige Frau -- haha! -- welches mein schönster Calembour ist.... In
-der That, hahaha! ich bin stolz darauf, denselben geschaffen zu haben
--- hahaha!“
-
-„Lassen Sie ihn hören, lassen Sie ihn hören, trefflicher Herr von
-Porgenau!“ hieß es an der ganzen Tafel; denn die Albernheit ist oft
-belustigender als Verstand und Witz.
-
-„Mein erster Calembour --“ sagte Porgenau stolz -- „aber,“ fuhr er
-nach einer Pause fort und verzog das Gesicht so breit, als es ihm nur
-möglich war -- „in der That, ich kann mich vor Lachen kaum halten,
-sobald ich diesen göttlichen Calembour preiszugeben im Begriffe stehe
--- hahaha! hahaha! -- So hören Sie denn: +Was ist der Mensch+?
-Antworten Sie mir, meine Herrschaften, auf die Frage: Was ist der
-Mensch? -- hahaha!“
-
-Alles lachte; aber Niemand sprach.
-
-„Ah -- hahahaha!“ platzte Porgenau aus: „Nicht wahr, Sie wissen es
-nicht. Hahaha! Das ist lustig! das ist sehr lustig -- hahaha!“
-
-„Aber so sagen Sie es uns doch selbst!“ bemerkte die Gräfin
-achselzuckend.... „Sie sehen ja, daß es hier Niemand erräth.“
-
-„Nun -- wenn Sie es wissen wollen.... hahahaha! -- hahahaha! -- Der
-Mensch -- ist ein unbefiedertes Thier mit zwei Beinen. -- Hahahaha!
-hahahaha!“ Und der große Mann wälzte sich in seinem Stuhle.
-
-„Zu diesem Porträt,“ bemerkte Edmund gegen einen jungen Mann: „hat ohne
-Zweifel Er +selbst+ gesessen....“
-
-„Gewiß. Die Aehnlichkeit ist sehr auffallend.“
-
-Aber Porgenau hörte es nicht, wiewohl es ziemlich laut gesprochen
-wurde; er lachte noch immer und hielt sich den Bauch -- es entzückte
-ihn, daß die ganze Gesellschaft mit lachte, was er als Resultat seines
-unwiderstehlichen Witzes nahm.
-
-„Dieser Porgenau,“ meinte Herr von Labers gegen seinen Nachbar, welches
-der General von Randow war: „ist ein halber Fallstaf; denn wenn er auch
-nicht selber witzig ist, so macht er doch Andere dazu. --“
-
-„Sehr richtig,“ bemerkte General Randow -- „und wiewohl ich eigentlich
-nicht weiß, wer dieser Fallstaf sei, so kann ich mir denselben doch
-recht gut vorstellen. -- -- Ah, jetzt entsinne ich mich! Es ist,
-glaube ich, eine dicke, lustige Person in irgend einem Schauspiele. --“
-
-„Ganz recht! in einem Shakspeare’schen.“
-
-„Ah -- dies ist ja derselbe Dichter, welcher so viele kriegerische
-Stücke verfaßt hat, deren Namen mir leider zum größten Theil entfallen
-sind....“ antwortete der General, der wie so manche tüchtige Offiziere
-und -- Kavaliere des Kaiserstaates eben kein großer Literat war
-und welcher, gleich dem edlen Herzog von Reichsstadt, Schillers
-+Wallenstein+ nur wegen der großen Kriegsseite dieses Stückes so
-sehr liebte. --
-
-„Sie sagen, meine Beste,“ sprach Gräfin Wollheim zu dem Stiftsfräulein
--- „Ihr Vorschlag an das Comité, betreffend die Befestigung von
-Strümpfen, Jacken und andern Kleidungsstücken auf dem Leibe der Armen,
-sei zurückgewiesen worden? -- Ich halte dies nicht für möglich. Es wäre
-abscheulich!“
-
-„Auch ich war darüber empört, glauben Sie mir, theuerste Gräfin
---“ versetzte Fräulein von Bomben --; „es heißt dies die
-menschenfreundlichsten Absichten vernichten, mit Füßen treten.... aber
-so ist einmal unsere lasterhafte, sündige Welt. Ich bin überzeugt,
-mein Vorschlag wurde blos deßhalb nicht angenommen -- weil mehrere
-Damen des Comités, wie ich aus sicherer Quelle weiß -- mit einigen
-hübschen Armen im vertrauten -- -- u. s. w. -- Sie verstehen, beste
-Freundin!“
-
-„Aber -- dies scheint mir unmöglich! --“
-
-„Es ist wahr; ich kann es nöthigenfalls beschwören... Und,“ fuhr
-sie schwärmerisch fort, wie ein verliebter Jüngling, der von seinen
-Entwürfen spricht, mit welchen er die Geliebte seines Herzens
-glücklich machen will: „und ich hatte mich bereits mit allen
-Materialien versehen! Ich kaufte _en gros_ ein. Zwei Zentner Pech -- 80
-Pfund Teufelsd-- 300 große und kleine Ketten, Schlösser, Fangeisen,
-Daumenschrauben...“
-
-„Daumenschrauben? Wozu denn diese?“
-
-„Um unseren lieben Armen die Handschuhe, welche wir ihnen im Winter
-geben, an die Finger zu schrauben....“
-
-„Ah, mein Gott -- wie erfinderisch Sie sind, mein theures Fräulein!“
-
-„O, wo es sich um das Wohl der Menschheit handelt!“
-
-„Ach die Menschen verdienen es kaum.“
-
-„Gewiß, gewiß; sie verdienen es nicht. Sie sind Wölfe und Hyänen -- und
-ich wollte nur, daß ich sie in Wolfsgruben oder mit Fußeisen fangen und
-ihnen das Fell abziehen könnte. Das wäre so meine Passion!“
-
-„Indeß -- -- da wir Mitglieder des +Hilfsvereins+ sind.... meine
-Beste: scheint mir diese Ihre Passion doch ein wenig barbarisch.“
-
-„Ei was!“ schrie das fromme Stiftsfräulein und warf Blicke umher
-wie eine Hyäne, von welcher sie eben gesprochen: „barbarisch hin --
-barbarisch her; ich halte es mit Kaiser Nero und wünsche der ganzen
-Menschheit einen Kopf, um ihn mit +einem+ Schlage abzuhauen.“
-
-Das war ein schönes Mitglied frommer Stiftungen und edler
-Wohlthätigkeitsvereine.
-
-Es war jetzt am obern Ende der Tafel die Rede von den Fremden, welche
-in letzterer Zeit die Residenz besucht hatten und Herr von Labers
-führte darunter auch den Namen eines +Chevalier de Marsan+ an. --
-Sogleich erhob sich Edmund und lebhafte Freude malte sich in seinem
-Gesichte: „Wie?“ rief er, „der Chevalier de Marsan -- jener Marsan,
-der, vor zwei Jahren bei der N**schen Gesandtschaft attachirt, mit
-seinem Chef Wien besuchte.... jener elegante, hübsche, glänzende
-Kavalier: ist dieser gemeint?“
-
-„Derselbe!“ entgegnete Herr von Labers: „Man sagt, er werde dies Mal
-für längere Zeit in unserer Stadt verweilen. Seine Gegenwart hängt
-übrigens mit keiner politischen Mission zusammen....“
-
-„So wird man wohl diesen Herrn,“ sagte Frau von Porgenau, die Gemahlin
-des berühmten Calembouristen -- „zu sehen bekommen! Ist derselbe schon
-in vielen Häusern eingeführt?“
-
-„So viel ich weiß, in mehreren -- -- doch scheint dieser stolze
-Chevalier nur die schwindelnden Höhen der Gesellschaft zu goutiren.
-Man erzählt sich, er habe neulich, als man ihn der Gräfin Holborlow
-vorstellen wollte, gefragt, ob diese Dame nicht zu jenen Holborlows
-gehörte, die erst vor beiläufig 150 Jahren in den Adelstand erhoben
-wurden -- und erst, nachdem man ihn überzeugte, daß jene neugeschaffene
-Familie eigentlich +Holbarolow+ heiße -- während die ersten
-+Holborlow’s+ bereits aus den ältesten Zeiten Moskowitischer
-Herrschaft abstammten, willigte er ein, mit der Gräfin bekannt zu
-werden.“
-
-Von zahlreichen Stimmen erscholl jetzt das Lob des ausgezeichneten
-Kavaliers, dessen Grundsätze man als vom ersten Wasser erkannte.... und
-diese Personen, welche applaudirten, wünschten insgeheim alle mit dem
-Chevalier bekannt zu werden.
-
-Einer Dame, die ihre diesfällige Sehnsucht dem Sohne des Hauses
-vortrug, antwortete Edmund: „Nichts in der Welt ist leichter....
-wenigstens für mich ist nichts leichter, als den Ritter von Marsan
-dahin zu führen, wohin es mir gefällt. -- In der That wir sind seit
-einer Reihe von Jahren die wärmsten Freunde. -- Unsere Verbindung
-schreibt sich noch von meiner Reise nach Paris her, wo ich damals den
-Chevalier in der Umgebung des Hofes fand. Dort wie an jedem Horizonte
-war er ein Stern erster Größe -- und ich gestehe es offen, auf keine
-Freundschaft stolzer zu sein, als auf die seinige.“
-
-„In Wahrheit,“ rief Frau von Porgenau: „Sie machen uns neugierig und
-im höchsten Grade gespannt. -- Herr von Marsan muß eine Art kleinen
-Wunders sein!“
-
-„Sagen Sie lieber +großen+ Wunders, beste Freundin!“ fiel die
-Stiftsdame ein: „Sieht er nicht etwa dem Antinous ähnlich -- und ist
-er an Geist nicht ein Cicero -- an Muth nicht ein Leonidas -- und an
-Reichthum nicht ein Rothschild....? hehehe! Wirklich, er muß sehr
-außerordentlich sein....“ schloß das Fräulein mit einem Lächeln,
-welches halb bitter und halb unverschämt war. --
-
-Edmund ergriff den besten Ausweg und gab ihr keine Antwort -- er zuckte
-die Achsel und wandte ihr, so weit dies möglich war den Rücken. ....
-Darüber schien die liebenswürdige Menschenfreundin sehr ungehalten zu
-werden -- und begann nun ihrer Zunge vollen Lauf zu lassen: „Ei, ei --
-wie Schade! daß unsere Residenz nicht auch solche illustre Exceptionen
-des Menschengeschlechtes aufzuweisen hat. -- Wahrlich, wir sind in
-dieser Hinsicht noch sehr weit zurück; -- und müssen, Dank Frankreich,
-von dort aus sowohl mit den Alleweltbezwingern, wie mit Seiltänzern und
-Harlekins versorgt werden....“
-
-„Welche +Versorgung+ uns indeß oft sehr große +Sorgen+
-verursacht... hahahaha! hahahaha! hahahaha!“ rief Herr von Porgenau,
-und dies war sein neuester Witz.
-
-„Ach, was dieser Porgenau -- witzig ist!“ schrie seine Gemahlin, von
-der wir noch nicht erwähnt haben, daß sie die staunende Bewunderin des
-Genies ihres Mannes war -- und stets in dessen unmäßiges Gelächter
-einstimmte, sobald derselbe ein _soi-disant_ Bonmot machte. „O, wie
-glänzend seine Einfälle heute wieder sind!“ und hielt sich die Seiten,
-was ihr sehr schwer wurde, denn sie hatte verschiedene sehr große
-Seiten. Sie war so ein verkleinerter Abguß des Heidelberger Fasses.
-
-„Meiner Treu!“ meinte der Graf von Wollheim: „diese Aeußerungen über
-den Chevalier stimmen keineswegs überein -- -- und wollte man sich nach
-ihnen halten, würde man von Herrn von Marsan nur ein sehr schwankendes
-Bild erhalten. Indessen scheint mir die Meinung meines Freundes Edmund
-da -- nicht ohne Gewicht, da derselbe den Ritter bereits seit so
-langer Zeit kennt, und überdies ein Jüngling ist, auf dessen Urtheil
-und Wort ich ungeheuer viel gebe....“
-
-„Dies scheint mir,“ fuhr die Stiftsdame mit ihrem schneidenden Tone
-dazwischen -- „eben kein großes Kompliment für uns -- --“
-
-„Erlauben Sie, mein Fräulein,“ schrie der Jäger, roth werdend vor Zorn
--- „erlauben Sie --“ wiederholte er mit einer Stimme, als befände er
-sich im Walde und hätte sein Horn verloren.... „erlauben Sie!...“ Er
-konnte vor lauter „Erlauben Sie“ nicht weiter; -- seine Entrüstung war
-zu groß....
-
-Diese wuchs noch, wo möglich, als Fräulein von Bomben sich ruckweise
-mit ihrem Stuhle zurückzog und stets rief: „O mein Gehör! Mein armes
-Gehör! -- Mein unglückliches Gehör! -- Gnade! Gnade! --“
-
-„Das heißt wohl so viel, als, daß ich in Ihrer Nähe verstummen soll --
-ich, ein alter Jäger, der schon vor manchem größern Ungeheuer nicht
-verstummt ist.... Alle Donner und Wehrwölfe!“ Der Nimrod hatte sich mit
-diesen Worten Luft gemacht -- aber die Stiftsdame war bei ihrem Klange
-auch leblos auf die Lehne ihres Stuhles zurückgesunken, indem sie leise
-das Wort „+Ungeheuer+!“ flüsterte. Sie verdrehte ganz entsetzlich
-die Augen und bald schien sie nicht mehr zu athmen.... Man konnte sie
-für todt halten.
-
-Dies war für den argen Nimrod ein ungeheures Gaudium und er unterließ
-es nicht, dasselbe auf folgende Weise auszuschreien: „Ah -- sie ist
-in Ohnmacht gesunken, die vortreffliche Frau!... Fräulein, wollt’
-ich sagen.... Wie schade um eine so liebenswürdige, gutmüthige Dame!
-Ach, sie hat ein zu weiches Herz! Dies war immer ihr größter Fehler.
-Sie, die keiner Mücke weh thun kann -- empfindet natürlich selbst
-jede Verletzung in dreifachem Maße... Ach! daß ich das so wenig
-berücksichtigt habe! -- Und was vollends ihre Tugend -- ihre Reinheit
-betrifft....“
-
-Hier vermochte das Fräulein nicht länger ohnmächtig zu bleiben. Sie,
-die früher einer Verstorbenen ähnlich gesehen, sprang jetzt plötzlich
-mit solcher Lebhaftigkeit auf, als sollte es zum Hochzeitstanze gehen:
-„Was?“ rief sie aus: „Welche Worte! Welche abscheuliche Rohheit!
--- Und dieser sieht man sich in einer auserlesenen Gesellschaft
-ausgesetzt! Ist dies das Haus der Generalin von Randow, jener vornehmen
-Dame, die zu den ersten unserer _haute crême_ zählt -- -- oder was ist
-dies Haus für eines? -- -- --“ Sie überließ sich, wie man sieht, wieder
-so ganz recht ihrer milden Suade. Mittlerweile war die Hausfrau bereits
-längst an ihren Stuhl getreten und hatte die Erzürnte zu besänftigen
-gesucht -- wobei sie von noch zwei oder drei Damen unterstützt wurde.
-Den alten Waldmenschen aber hatte auf einen Wink des Generals Edmund
-bei Seite genommen und, da die Gelegenheit dazu eben günstig war, (das
-Mahl neigte sich nämlich seinem Ende zu) ihn aus dem Saale weggeführt.
-
-„Kommen Sie, kommen Sie, bester Graf --“ raunte er ihm in’s Ohr: „ich
-kann es nicht länger mit ansehen, daß Sie sich mit dieser alten Hexe da
-befassen.... Es ist empörend -- --!“
-
-„Ja!“ fiel der Jäger ein: „Du sprichst ein wahres Wort aus,
-mein Jüngelchen! Empörend ist es, daß eine dürre und von Zorn
-ausgetrocknete Kreatur dieser Art es wagt, mit einem alten Jäger, der
-bereits so manchem Zauberhirsch und Waldteufel in’s feurige Gesicht
-geschaut.... haha! Aber ich hab ihr’s auch recht gegeben! Nicht wahr,
-Edmund! Ich habe sie ordentlich zugerichtet.... hahaha!“
-
-„Ja -- Sie haben sie ordentlich -- --“
-
-„Donnerwetter! Nenne mich nicht immer „Sie!“ Was hast Du heute?... Sind
-wir nicht mehr die alten Freunde?“
-
-„Ei, das wäre!“ rief der Jüngling aus, als er sich mit dem Alten
-endlich in einem Seitenzimmer befand: „Du weißt,“ fing er an: „daß
-meine Familie von unserer Intimität nicht allzu viel merken darf. Unter
-uns -- meine Mutter sieht es nicht gerne, sie meint, ich nehme von Dir
-wilde Sitten an. -- --“
-
-„Alle Hirsche und Rehe! -- Das wird sie doch nicht meinen! -- Geht dies
-wirklich auf mich? -- Wild, wild! -- Ja, freilich ein wilder Bursche
-bin ich.... aber dazu -- bei St. Hubertus! -- eine so ehrliche Haut,
-wie je eine in germanischen Wäldern von Regen und Wind durchgegerbt
-wurde. -- Allein, was fällt mir da ein? Mich dünkt, wir hätten jetzt
-die schönste Gelegenheit, in die Kellnerei hinüber zu spatzieren, die,
-(ich wittere die Spur!) hier irgendwo in der Nähe sein muß.“
-
-„Der Einfall ist nicht übel! -- -- Ja, ja, der Einfall ist nicht
-schlecht!“ schrie Edmund: „Er ist sogar köstlich, beim Teufel!“
-
-Diesen Einfall indeß hatte der Alte jeden Augenblick.
-
-Und alsbald saßen diese edlen Brüder wieder in einem still bescheidenen
-Winkel und vor ihnen erhoben sich mannigfache Humpen -- -- und
-alsbald hatte Edmund wieder seine eigenthümliche Laune (es war seine
-eigenste eigenthümlichste) angenommen; er trank, sang und betrank
-sich mit seinem Freunde, so, als wären sie in irgend einer Dorfkneipe
-eingekehrt. Nach Verlauf von einer Stunde befanden sich diese
-musterhaften Edelleute im Zustande vollkommener Bewußtlosigkeit -- und
-lagen mit erstarrten, bleischweren Gliedern -- Edmund +auf+, der
-Jäger +unter+ dem Tische.
-
-Die Dienerschaft, welche dergleichen schon gewohnt war und für diesen
-Fall ihre Verhaltungsregeln von Edmund empfangen hatte, schloß sie im
-Zimmer ein, damit die Biedern nicht etwa erwachen -- im halbnüchternen
-Zustande das Zimmer verlassen und im Hause Skandal machen könnten, wie
-sie es bereits einmal gethan.
-
-Das Schnarchen, welches sie entwickelten, war bis in den
-Gesellschaftssaal vernehmbar, wo die Gäste beim Kaffee saßen und wo
-eine Dame von sehr furchtsamer Natur beständig sagte: „Ich glaube, es
-zieht ein Gewitter heran. -- Ich glaube, es donnert in der Ferne....“
-
-Die Verfassung, worin die Gesellschaft sich nach dem Abgang der beiden
-Herren befand, war übrigens von bewundernswürdiger Ruhe. Nachdem der
-Jäger, dessen derbe, waldmännische Natur sattsam bekannt war, sich
-entfernt hatte -- machte man dem Stiftsfräulein bemerklich, daß er ihr
-mit diesem Letzteren eine glänzende Genugthuung gegeben habe; -- Gräfin
-Wollheim selbst sprach dieses aus und wandte sich noch überdies mit
-der Versicherung, daß sie selbst das Betragen ihres Mannes mißbillige,
-an die ungeheuer empfindsame Dame.... so gelang es endlich, dieselbe
-zu versöhnen, und Alles kam wieder ins rechte Geleis. -- Herr von
-Porgenau machte wieder seine geistvollen Calembours -- lachte sich
-dabei sammt seiner Gemahlin halbtodt -- Gräfin Wollheim sprach von der
-nächsten Zusammenkunft des Frauenstiftsvereins, zu welcher sie bereits
-drei Unterröcke und sechs Beinkleider fertig liegen habe; zuletzt wurde
-auch noch die Stiftsdame cordial -- sprach von der Immoralität unter
-den Armen und bemerkte dazu sehr scharfsinnig:
-
-„Wer weiß, was in so manchen dieser Jacken und Beinkleider getrieben
-werden wird...“
-
-Ja, endlich kam sie sogar auf ihr beliebtes Thema von Nero, wo sie
-der ganzen Menschheit nur ein Haupt wünschte, um es mit einem Schlage
-herabzusäbeln... --
-
-Dieses Stiftsfräulein hätte in den Türkenkriegen leben und unter die
-Janitscharen gehen sollen. Sie würde dort große Dinge vollbracht haben.
---
-
-
-
-
-Achtes Kapitel.
-
-Der Chevalier von Marsan.
-
-
-Der Chevalier von Marsan machte wirklich in der großen Welt gewaltige
-Sensation. Er hatte sich bereits in den Cirkeln der Fürstin O-- M--
-G--, der Herzogin B--, der Marquise A--, und Re--, der Lady P-- und
-noch in mehreren von den +allersublimsten+ sehen lassen, und
-Alles war von dem Manne entzückt, der gekommen schien, die Zeiten
-eines Alcibiades nach modernen Principien zurückzurufen. In Wahrheit,
-dieser Kavalier vereinigte in sich eine Summe von Liebenswürdigkeit
-und Vorzügen, die ihn zu einem wahren Prototyp der fasshionablen
-Männerwelt machten. Es hatte Natur und Kunst für ihn mit einem Worte
--- Alles gethan, und noch +ein Stückchen dazu+. Er war schön,
-reizend, blendend, er war geistreich, witzig, gelehrt, er war vornehm,
-fürstlich, ja uns dünkt sogar -- von königlicher Verwandtschaft; er war
-reich, mächtig, großmüthig, verschwenderisch, stark wie ein Cyklope und
-sanft wie eine Hamadryade....
-
-Und doch hatte bei diesem Monstrum von Schönheiten -- der Schöpfer
-Eines vergessen; Dasjenige nämlich, was er ihm schon deßhalb nicht
-geben kann, weil er ihm alles Uebrige gab, denn Dieses und Jenes sind
-Gegensätze, die einander aufheben. Dieses Eine, was dem Chevalier
-fehlte, und welches kein Gott ihm zu ersetzen im Stande war -- es war
-Dasjenige, was gerade einem Charakter die höchste poetische Weihe
-gibt: es war jene schöne menschliche Mangelhaftigkeit, jener große,
-oder jene tausend kleinen Fehler, wodurch ein kleines Individuum
-+interessant+, ein großes zum +tragischen Helden+ wird.
-Dieses Ingredienz, dieser Mangel im Menschen, oder eigentlich dieser
-+negative Vorzug+ ist es ja, welcher uns, in seiner höchsten
-Potenz, beim Anblick eines +Cäsar+, eines +Byron+, eines
-+Napoleon+, hinreißt -- während uns die makellose, glatte Reinheit
-eines edlen Menschen blos kalt erhebt. --
-
-Nicht daß es dem Chevalier an Fehlern und Untugenden gemangelt hätte;
-ich weiß nicht, ob er auch nur im entferntesten Sinne einen Vergleich
-mit jenen edlen Menschen ausgehalten hätte, welche wir zuletzt
-nannten, vorausgesetzt, wir hätten ihn mit dem Maßstabe der reinen
-Moral zu messen; nach den Begriffen der Gesellschaft und Zeit jedoch
-war Herr von Marsan das Muster eines vornehmen Mannes, d. h. eines
-Salonsubjektes.
-
-Ach, Ihr guten Seelen, die Ihr in kleinen Häuschen mit Strohdächern,
-unter denen Schwalben und Bienen nisten, wohnt, Ihr habt freilich
-keinen Begriff von +dieser+ Tugendhaftigkeit und +dieser+
-Mustergiltigkeit. Nach Eurer unverständigen Meinung wäre dieser
-Chevalier vielleicht weiter nichts, als ein hübscher, reicher,
-leichter, träger, thörichter, vielleicht auch gutherziger, jedenfalls
-aber ausgelassener und gewissenloser junger Springinsfeld gewesen. Gut,
-daß Euer Votum in der Wagschaale der +bessern Gesellschaft+ nicht
-gilt -- Ihr würdet dort eine schöne Confusion damit anrichten.
-
-Doch wir wissen jetzt ungefähr genug von dem Charakter des Ritters von
-Marsan und eilen nun zu den Begebenheiten, worein wir denselben schnell
-verflochten sehen.
-
-Eines Tages machte Edmund mit seinem Freunde, dem Grafen von Wollheim,
-einen Spazierritt in den Prater, als er, beim ersten Kaffeehause
-angelangt, ungefähr hundert Schritte davon ein Gedränge von Menschen,
-Pferden und Equipagen bemerkte. Hier muß etwas Außerordentliches
-vorgefallen sein, wiewohl dies nicht nothwendig ist und schon eine
-unbedeutende Kleinigkeit hinreicht, die guten Wiener sich mitten
-auf der Straße zu einer Schaar versammeln und neugierig den Himmel
-anstaunen zu sehen....
-
-Als unser Freund näher kam, bemerkte er einen Herrn zu Pferde, der
-mit dem Thiere, welches äußerst widerspenstig schien, mit einer Kunst
-verfuhr, die ihn zum größten Reiter des Jahrhunderts stempelte. Dieser
-Herr hatte den Rücken gegen Edmund gekehrt, und so konnte dieser nicht
-wissen, wen er da vor sich habe. Jedoch schien es ein junger und
-äußerst glänzender Kavalier -- sein Pferd aber war von arabischem
-Vollblut, „halb Hirsch und halb Vogel,“ wie +Balzac+ sagt.
-
-„Er wird das Thier doch nicht zum Stillstehen bringen.“
-
-„Es ist vergebens! Das ist ein wahrer Teufel von einem Afrikaner!“
-
-„Wie heißt das Pferd nur gleich!“
-
-„Jussuf! Jussuf ist sein Name.“
-
-Diese Urtheile und Reden erschollen rings herum. Mitunter ließ eine
-von den schönen Damen, die aus den Wagen den schönen Reiter durch
-ihre Lorgnetten betrachteten -- einen leisen kokettirenden Angstruf
-hören.... oder die Herren zu Pferde suchten durch das gewöhnliche:
-„Prrr! -- Ohe! Heh! Heh!“ den wilden Jussuf zu besänftigen helfen
--- was jedoch von dem fremden Reiter stets mit einer stolzen und
-unwilligen Bewegung erwiedert ward. -- Dieser schien endlich in die
-höchste Wuth zu kommen -- er riß den Zügel so heftig an sich und
-versetzte dem muthwilligen Thiere mit Sporn und umgekehrter Gerte einen
-so furchtbaren Schlag -- daß Jussuf wie ein Mensch aufstand, sich auf
-die Hinterbeine setzte -- und schon zu überschlagen in Gefahr war....
-
-Ein tausendstimmiger Schrei der Zuschauer erfüllte die Luft....
-
-Aber im Augenblick, wo die Gefahr am größten war, wo das Leben von
-Mensch und Thier nur mehr auf einer Nadelspitze stand -- machte der
-Fremde, welcher kalt und lächelnd in den Steigbügeln stand -- eines
-von jenen Maneuvres mit Zügel und Schenkel, die ein Geheimniß der
-Araberhäuptlinge und zwei bis drei Europäer sind -- -- und Jussuf, als
-sei er plötzlich in ein Hündchen verwandelt worden, ließ die Ohren
-fallen -- senkte die Augen, welche zuvor höllische Funken gesprüht
-hatten -- zog die dampfenden Nüstern zusammen -- -- jetzt mit einer
-Viertelkreiswendung drehte es sich auf den Hinterfüßen herum und ließ
-sich ruhig auf die Erde nieder, ohne ferner auch nur mit einer Muskel
-zu zucken.
-
-Bei dieser Evolution, welche an die Mythen der Centauren erinnerte --
-lös’te sich ein zweiter allgemeiner Ruf aus der Mitte der Zuschauer; es
-war einer der Bewunderung und des Erstaunens.
-
-Noch nie hatte man so etwas in Wien gesehen, wo es doch in der That an
-bedeutenden Reitern, deren Koryphäe der Graf S-- ist, auch nicht fehlt.
-
-In dem Augenblick, in welchem der außerordentliche Fremde sein Pferd
-herumgedreht hatte -- erkannte Edmund in ihm den +Chevalier von
-Marsan+. Es bedurfte keinen zweiten Augenblick und der Jüngling
-hatte sich durch den dichten Kreis der Umstehenden hindurchgedrängt
-und stand neben seinem Freunde. Dieser erkannte ihn sogleich und ein
-lauter Willkomm erscholl von beiden Seiten. Zuerst bezeigte Edmund
-ihm seine Bewunderung über die glänzende That, deren Zeuge er so eben
-gewesen -- der Chevalier jedoch bat lächelnd, nicht weiter von „dieser
-Kleinigkeit“ zu sprechen -- wischte sich jedoch mittlerweile den
-dichten Schweiß von der Stirne, welchen diese +Kleinigkeit+ darauf
-gesäet hatte. -- Nach und nach zerstreuten sich wieder die Zuschauer,
-die meisten jedoch nicht eher, als bis sie sich dem Wundermanne noch
-einmal ganz dicht genähert hatten, um ihn auf ewige Zeiten ihrem
-bereitwilligen Gedächtnisse einzuprägen.... Nur noch einige Herren zu
-Pferde blieben neben Marsan, da sie zu seiner Gesellschaft gehörten. Es
-waren meist auch Bekannte des jungen Randow und sie störten daher nicht
-bei der Freude des Wiedersehens, welche sowohl dieser wie der Chevalier
-empfand.
-
-Man setzte nun den Ritt nach dem Jägerhause fort, gefolgt nur noch von
-einigen Spießbürgern, die zu spät gekommen waren -- den Wundermann
-jedoch noch, und sei es mit Aufopferung einiger Jahre ihres Lebens,
-sehen mußten; auch etliche Gassenjungen trabten beständig zur Seite
-einher. --
-
-„Ach, mein theurer, theurer Marsan! -- wie finde ich Sie verändert,
-seit wir uns das letzte Mal sahen! Es war vor 5 Jahren und Sie zählten
-damals 21. Jetzt hat das Mannesalter Alles an Ihnen vervollkommnet.
-Es sind zwar dieselben Züge, aber kräftiger und fester -- es ist
-derselbe Wuchs, dieselbe Haltung, Alles, Alles -- -- nur in Allem viel
-gediegener, wie soll ich sagen? perfekter! --“ Es fehlte wenig und
-der gutmüthige Bursche, der in Liebe und Freundschaft eine Andacht
-besaß, die ihm im ganzen übrigen Leben so sehr fehlte, ja, deren
-+Gegentheil+ ihn hier sogar charakterisirte -- -- es fehlte wenig
-und er wäre dem Franzosen sammt dessen Jussuf -- vom Pferde aus um den
-Hals gefallen...
-
-„Und Sie, mein bester Edmund, wie ist es Ihnen seither ergangen?“
-fragte der Chevalier theilnahmsvoll: „Uebrigens sind Sie mir seit
-länger als einem Jahre die Antwort auf mein letztes Schreiben, welches
-ich Ihnen von Brüssel durch den Baron d’Orville zugesandt habe,
-schuldig.“
-
-„Beim Himmel, Freund, ich habe weder den Baron noch Ihren Brief
-gesehen; auch ist es mir nicht erinnerlich, daß ein d’Orville jemals
-unsere Stadt berührt hätte. Allein wie verhält es sich um diese Sache
--- Herr von L**?“ wandte der junge Randow sich an einen ältern Herrn,
-der ihm zur Seite ritt, und welcher Herr eines von den lebendigen
-Neuigkeitsbureaux vorstellte, an denen in der _société_ einer großen
-Stadt wahrlich kein Mangel ist.
-
-Herr von L**, das Neuigkeitsbureau, (er wußte Alles) sann ein wenig
-nach, murmelte dann zwischen den Lippen „d’Orville, d’Orville“ -- --
-und sagte zuletzt mit der größten Bestimmtheit: „Ein solcher Kavalier
-ist hier ganz gewiß nicht durchgereis’t.“
-
-„Das kann möglich sein.... denn der Baron, der immer auf Reisen
-ist, hat die Gewohnheit, seine Route hundert Mal in einem Tage zu
-verändern.... und er ist im Stande, sich z. B. von hier aus auf
-die Reise nach dem +Ladoga-See+ zu begeben; in der Nähe der
-russischen Grenze -- besinnt er sich dann -- kehrt um und reis’t nach
-+Portugal+. --“
-
-In diesem Augenblick fuhr an der Cavalcade eine Equipage vorbei. Marsan
-wandte sich zufällig nach der Seite und stieß beim Anblick der Personen
-im Wagen einen leisen Ruf aus.
-
-„Was haben Sie? Was haben Sie?“ fragte Edmund.
-
-„Können Sie mir vielleicht sagen,“ gegenfragte der Chevalier rasch --
-„wem dieser Wagen gehört?“
-
-Erst jetzt blickte Edmund nach demselben: „Mein Gott!“ rief er
-erstaunt -- „sollte dies möglich sein? -- Dies ist die Equipage
-meiner Schwester, der Gräfin A--x; da sie uns jedoch bereits zu weit
-vorgekommen ist, kann ich nicht sagen, ob Cölestine selbst sich darin
-befinde. Indeß wäre dies ihre erste Fahrt im Prater.... die ganz
-unvermuthet geschehen sein würde -- denn so viel ich weiß, ist die
-Zeit, wo sie sich zum ersten Male mit ihrem Gemahle zeigen sollte --
-noch nicht erschienen.“
-
-„Ah!“ versetzte Marsan nachdenklich: „jener Herr neben ihr war also ihr
--- Gemahl....“
-
-„Wenn sie es ist -- ganz zuverläßlich.“
-
-„Brünett, ernst, männlich, fast etwas stark...“
-
-„Ganz recht, ganz recht! -- Es ist Alexander!“
-
-Marsan erstaunte einen Augenblick lang; er sah einige Mal
-angelegentlich der Equipage nach, die bereits sehr weit vor ihnen dahin
-rollte, abwechselnd von einer Staubwolke eingehüllt.
-
-„Also -- erst seit kurzem vermählt?“ richtete derselbe halbleise die
-Frage an Edmund...
-
-„Seit einigen Wochen!“ versetzte dieser: „Allein wie es scheint, so
-nehmen Sie ungewöhnlich Antheil an dieser Begebenheit, mein Freund. Ist
-Ihnen vielleicht Graf A--x näher bekannt?...“
-
-„O nicht doch,“ erwiederte Marsan lächelnd: „ich habe nie etwas von
-diesem Herrn gehört...“
-
-Der Ton in dem letztern Worte war fast schneidend und der Chevalier,
-der dies erst jetzt zu merken schien, setzte schnell, gleichsam als
-wollte er sich korrigiren, mit einer freundlichen Ungezwungenheit
-hinzu: „Ich wollte nämlich sagen, daß mir die +Person+ des Grafen
-gänzlich unbekannt sei -- denn sein Name ist es keineswegs; dieser
-Name, der einer der glänzendsten des Kaiserstaates ist -- --“
-
-„Nun gut;“ fiel Edmund ein -- „aber dann sagen Sie mir, was diese
-Theilnahme sonst zu bedeuten hat...“
-
-„Ei, mein Freund,“ bemerkte Marsan mit jener Liebenswürdigkeit in Ton
-und Blick, der man nicht leicht zu widerstehen vermochte: „die Sache
-ist, daß eine Dame meiner Bekanntschaft auf dem Gute meiner Mutter
-in der Provence jener Dame im Wagen, die Sie Ihre Schwester nennen,
-überraschend ähnlich sieht... das ist das Ganze...“
-
-Hiermit ward das Gespräch auf einen andern Gegenstand geleitet und die
-Cavalcade trabte einem Seitenwege zu. Marsan war der Leiter, jedoch
-hatte er diesen Seitenweg gleichsam nur so zufällig eingeschlagen....
-
-Auf diesem kürzeren Wege nun konnte man nach dem Jägerhause, welches
-der Schlußpunkt einer gewöhnlichen Praterpromenade ist, -- schneller
-als auf jedem andern gelangen, und kam daher den Wagen und Reitern,
-welche die Hauptstraße einschlugen, vor. -- Hieran dachte jedoch
-Niemand, auch wußte Marsan die Unterhaltung so zu lenken, daß durch
-sie die Gesellschaft hinlänglich beschäftigt ward. So allein war es
-möglich, daß man die Equipage Cölestinens, worin in der That sie mit
-ihrem Gemahle saß, zum zweiten Male begegnete -- ohne daß Jemand etwas
-davon merkte. Nur der Chevalier machte hiervon eine Ausnahme.... er
-warf in einem Augenblick, wo alle Andern tausend Schritte weit davon
-wegsahen, einen raschen und kurzen Blick in den Wagen; dieser Blick
-jedoch war hinreichend, um in Marsans Geiste eine Fülle entzückender
-Bilder -- in seinem Herzen eine Fülle heißer Wünsche zu erregen....
-
-Alles dieses schien jedoch äußerlich nur dazu zu dienen, um aus seinem
-Munde ein kaltes, gleichgiltiges Gelächter, wie man ein solches hundert
-Mal des Tages aufschlägt, zu locken, womit er sich dann an seine
-Umgebung wandte, indem er dabei nach zwei Jungen wies, die in einiger
-Entfernung davon sich balgten.
-
-Man kehrte noch vor dem Jägerhause um und begab sich auf den Rückweg.
-Der Chevalier war nicht heiterer und auch nicht trauriger wie zuvor.
-Es schien nichts vorgefallen zu sein. Er sprach über Dieses und Jenes,
-kam aus dem Hundertsten ins Tausendste, wie es der Charakter einer
-Conversation unter jungen Männern dieses Standes mit sich bringt.
-
-Am Eingange des Praters trennte sich die Gesellschaft und zerstreute
-sich nach verschiedenen Gegenden. Der Chevalier und Edmund indeß
-blieben beisammen, da der Erstere ihn eingeladen hatte, seine Wohnung
-kennen zu lernen und mit ihm zu Mittag zu speisen.
-
-„Wir haben uns ja so lange Zeit nicht gesehen -- und so müssen wir uns
-endlich recht fest und ordentlich ansehen. Ach, mein Freund, wie freue
-ich mich, so wider Vermuthen mit Ihnen zusammengetroffen zu sein!“
-bemerkte Marsan.
-
-„So wußten Sie also nicht, daß ich in Wien sei?“
-
-„Gewiß nicht; ich vermuthete Sie tausend Meilen weit von hier. Sie
-stießen mir ja in keiner der ersten Gesellschaften auf...“
-
-„Mein Freund -- der Grund hievon ist die Heirath meiner Schwester. So
-lange sie nicht in die Gesellschaft zurückkehrte -- hielt ich es für
-passend, ihr darin zu folgen.“
-
-„Sehr richtig; dies beweis’t einen feinen Takt, lieber Edmund. --
-Uebrigens -- wird vielleicht die Abgeschiedenheit der Gräfin A--x,
-Ihrer Schwester, nicht mehr lange dauern...“
-
-„Ich vermuthe es selbst, nachdem ich weiß, daß sie sich heute im Prater
-gezeigt hat. -- Ach, die theure Cölestine! Wie gerne hätte ich sie
-gesehen!“
-
-Dieses Gespräch über Cölestine schien den Chevalier sehr anzuziehen
-und er suchte den Andern so lange als möglich dabei festzuhalten. Sie
-gelangten so in die Wohnung Marsan’s, welcher eine Etage auf dem
-+Graben+ gemiethet hatte und sich hier mit fürstlichem Glanze
-umgab.
-
-Eine reichgallonirte Dienerschaft empfing sie in der Einfahrt des
-Hauses und nachdem die Freunde vom Pferde gestiegen waren, schritten
-sie hinauf in eine der prachtvollsten Belletagen, welche Edmund jemals
-gesehen.
-
-
-
-
-Neuntes Kapitel.
-
-Die Thorheiten der Welt und die Leidenschaften des Herzens.
-
-
-Edmund war in der That über die neuesten Verhältnisse im Hause seiner
-Schwester nicht unterrichtet. Heute Morgen hatte Cölestine mit
-ihrem Manne zum ersten Male sich in mehreren Häusern gezeigt. Dies
-Geschäft war nicht länger aufzuschieben. Das arme Ehepaar konnte den
-tausendfachen Machinationen, womit man in der vornehmen Welt ein Haus
-einzusprengen versteht, nicht ferner widerstehen. Sie seufzten, sie
-zürnten -- aber sie mußten endlich nachgeben.
-
-Nirgends ist man ein größerer Sklave als in den Cirkeln, welche sich
-die guten nennen. Nicht in dem +äußern+ Zwange, dem man sich
-unterwerfen muß, liegt das Wesen der Sklaverei; nein -- sondern daß
-man hier unsere Seele, unser Herz, unsere heiligsten Empfindungen zu
-knechten versteht, das ist es, welches einen Salon mit dem untern
-Schiffsraum afrikanischer Küstenfahrer in eine Parallele stellt. Und
-bei Gott, sie fällt zum Vortheil der letzteren aus. Was liegt mir
-daran, ob man jenes Theil an mir, welches jeden Augenblick durch einen
-herabfallenden Dachstein -- durch einen Trunk kalten Wassers, durch
-einen verfehlten Tritt vernichtet werden kann, mißhandelt, mordet.
-Hab’ ich es doch nie besessen, da ich es keine Stunde +sicher+
-besaß. Aber jenes göttliche Theil in mir, welches unvergänglich und
-unvernichtbar ist.... jenes Theil, über das selbst Tod und Natur nichts
-vermag, zu knechten, zu quälen, zu peinigen, es an seiner erhabenen
-Entwicklung und in seinem geheiligten Streben zu hemmen -- -- diese
-Wunde schmerzt gewaltiger, ja, sie allein kann schmerzen -- und nie
-werden wir sie ganz verschmerzen.
-
-Von dieser trüben Betrachtung war auch unser junges Ehepaar
-durchdrungen.... es war dies der Tropfen Wermuth, der sich stets in
-ihren vollen Freudenkelch mischte... Ach, +ein+ Tropfen ist
-hinreichend, das ganze Leben zu vergiften!
-
-Doch wer zum Schmerz geboren ist, entgeht demselben nicht; und
-unsere vornehmen Stände wissen in der That mehr von diesem Kapitel
-zu erzählen, als jene glücklichen, beschränkten armen Leute, deren
-Schicksal wir thörichter Weise beklagen. -- Ach, geht doch hin in einen
-Salon und hebt diese glänzenden Decken, diesen goldnen Zierrath weg,
-welche Euch so sehr die Augen blenden: wie viel Elend und Jammer werdet
-ihr unter denselben finden. Ich weiß, daß ich hier eine alte Geschichte
-erzähle -- -- ich habe sie jedoch selbst erlebt und besitze das Recht,
-sie zu wiederholen.
-
-Und so mußten sich denn Cölestine und Alexander aus ihrer wärmsten,
-seligsten Umarmung reißen -- mußten die süße Einsamkeit, diese Zeugin
-ihres jugendlichen Liebesglückes, verlassen, um den Ansprüchen einer
-erbarmungslosen Welt Genüge zu thun. Dahin waren jetzt die holden
-Stunden, welche Morgens beim Erwachen anfingen, um erst tief um
-Mitternacht zu enden! So ungetrübt und schrankenlos beglückend sollten
-sie nie mehr wiederkehren. Dahin waren die Tage voll Sonnenschein --
-und die Nächte voll Sternenpracht! -- dahin die stillen Gemächer,
-verhüllt mit dichten Vorhängen und mit eifersüchtigen Schlössern
-verriegelt!... dahin der Garten mit den treuen Boskets und der
-unzugänglichen Grotte!.. Alles, Alles, +ihre+ ganze Welt dahin,
-verschwunden, versunken wie ein fabelhaftes Land!... Von nun an gab es
-für sie nur eine laute, lebende, wilde, kalte, unverschämt zudringliche
-Welt: Salons mit offenen Thüren -- Boudoirs mit durchsichtigen
-Gazevorhängen -- Equipagen -- Praterfahrten -- Theaterabende -- Bälle
--- Zorn -- Aerger -- Verläumdungen -- Mißmuth -- Verzweiflung oder --
-Verderbniß. --
-
-Dies Alles sah ihre ahnende Seele voraus und darum schien ihr der
-Abschied aus der Einsamkeit ein Abschied vom Leben:
-
-„Wie glücklich waren wir, mein Alexander!“ sagte das liebende Weib
-zärtlich, als er ihr mit schwerem Herzen verkündigte, daß Jenes
-geschehen müsse, was er selbst am schwersten fürchte.
-
-„O!“ rief er aus, seiner erlogenen Fassung nicht Meister bleiben
-könnend: „wir werden nimmer so selig sein! Cölestine, das Glück, was
-wir besaßen -- kehrt nicht mehr so hold zurück! Dies ist ein Gedanke,
-der ein Menschenherz zerreißen könnte....“
-
-„Lass’ uns nicht verzagen!“ entgegnete sie sanft und legte ihren
-weichen Arm um seinen Nacken: „Warum sollen unsere süßen Stunden nicht
-ganz so wiederkehren? -- Wir sind nicht für immerdar von einander
-geschieden. Trennt uns auch der Tag; der Abend, die Nacht führt uns
-ja wieder zusammen.... und dann unsere Seelen wissen nichts von jenem
-Zwang, sie werden stets beisammen sein!“
-
-So beruhigte sie ihn mit Worten, welche aus treuem, liebendem Herzen
-kamen -- und er, er glaubte ihr so gerne. Wenn man liebt, wenn man
-anbetet -- dann +glaubt+ man auch. Und es sind gerade die
-skeptischen, die mißtrauischen Naturen -- welche im Augenblick der
-Leidenschaft und Liebe sich zur innigsten Ueberzeugung hinreißen
-lassen....
-
-Ist aber dieser Augenblick vorbei.... wird Liebe oder Leidenschaft auch
-nur durch den leisesten Windhauch verletzt: dann erwacht der Zweifel in
-diesen Herzen, und mit riesiger Gewalt reißt er sie zum Wahnsinn hin.
-
-Doch Alexander vertraute der Geliebten; er sah ja, daß sie nur in ihm
-und für ihn lebte... Nein, nein, er hatte noch nicht die geringste
-Störung empfunden an dem süßen Frieden seiner Seele. -- -- Ach, er
-liebte unaussprechlich!
-
-Wie gesagt, sie hatten bereits in mehreren Häusern Besuche gemacht.
-Ueberall waren sie mit einer Freude empfangen worden, der es an Worten
-nicht fehlte. Man sagte ihnen tausend schmeichelhafte Dinge -- und
-Alexander war entzückt über die Komplimente, welche man seiner Gemahlin
-zu ihrem heitern, rosigen, reizenden Aussehen machte. Imgleichen vergaß
-man bei diesen Lobsprüchen auch seine Person nicht -- nun glühten
-wieder die Augen Cölestinens im Feuer der Freude -- ihre Wangen färbte
-holde Zufriedenheit, und sie sagte sich im Stillen:
-
-„Das Alles ist mein Verdienst! Denn ich habe ihn so gemacht, wie er
-jetzt ist.“
-
-Außerordentliches Aufsehen machte die naive Antwort, welche sie einer
-Dame auf die Frage gab: „An welchen Tagen in der Woche werden Sie Ihre
-Salons der Gesellschaft öffnen, meine Beste?“
-
-„Meine Beste,“ hatte Cölestine geantwortet: „ich weiß es noch nicht.“
-
-In weniger als vierundzwanzig Stunden war diese Aeußerung der jungen
-Frau in allen Häusern herumgekommen und überall rief man aus:
-
-„Ach, welche affektirte Einfalt! Man könnte es sogar einfältig nennen.“
-
-Und dies war es auch. Einfältig war es gesprochen -- aber mit jener
-heiligen Einfalt, in der Gott unsere Herzen geschaffen hat. -- Dieses
-liebevolle und glückliche Weib hatte wirklich noch nicht an Pflichten
-gedacht, die der Welt so +überaus wichtig scheinen+, dem Herzen
-aber so wenig, daß es sie vergißt.
-
-In fünf bis sechs Tagen hatte das Ehepaar die Tour beendigt; die
-Equipage des Grafen A--x hatte so ziemlich in allen großen Straßen der
-Hauptstadt angehalten. -- Aber damit war nur noch die Hälfte der Arbeit
-geschehen; denn jetzt sollten die Besuche erwiedert werden, jetzt
-fuhren die fremden Equipagen colonnenweise vor dem Palais des Grafen
-auf.
-
-Und nun wurden die Augen mit jener unverschämten Neugier, die bis in
-den letzten Winkel dringt, in diesen Sälen umhergeworfen -- -- da gab
-es denn wieder Stoff zu Abhandlungen in bekannter Weise.
-
-Als man an dem Geschmack Cölestinens und ihres Gemahls nichts
-auszusetzen fand, kritisirte man die Pracht, und fragte sich mit
-allerliebster Albernheit: „Ist das wirklich Alles persisch, indisch
-und antik -- was man uns da als solches gezeigt hat? Nicht, daß wir
-den ernsten Grafen A--x für fähig hielten, uns damit einen kleinen
-Schelmenstreich zu spielen.... sondern es ist möglich, daß man
-+ihm+ einen solchen gespielt hat. O, man versteht es jetzt
-vortrefflich, etrurische Vasen, pompejanische Candelabers und indische
-Draperien zu erzeugen, d. h. in Europa. O, man hat Beispiele! --“
-
-Glaube man ja nicht, daß das +Verläumden+ aus unseren neueren
-Salons ausgewiesen sei und von +schlechtem Geschmack+ zeige --
-wie Herr +Eugen Sue+ uns versichern will. Es ist möglich und
-ich selbst kann mich dessen erinnern, daß man diesen Satz überall
-öffentlich +ausspricht+ -- -- aber man thut es nur, um ihn
-insgeheim +um so weniger zu befolgen+. -- Wir sind in dieser
-Hinsicht, wie in noch so mancher andern, beim Alten geblieben.
-
-Unsere Freunde: der Graf und die Gräfin von Wollheim, Herr und Frau von
-Porgenau, Fräulein von Bomben, die Stiftsdame -- erschienen unter den
-ersten Gästen.
-
-Der Graf von Wollheim hatte vorzüglich deßhalb seinen Besuch so beeilt,
-weil er seit längerer Zeit seinen Busenfreund Edmund nicht mehr zu
-Gesichte bekommen, ihn in dessen Wohnung vergeblich gesucht und ganz
-sicher bei Cölestine zu finden gehofft hatte. -- Leider sah er sich
-in seinen Erwartungen getäuscht und dies tobte fürchterlich in seinem
-Innern. Sein +Durst+ war nicht allein daran schuld, obgleich, nach
-seiner eigenen Behauptung, er diesen Durst nur in Compagnie mit seinem
-jungen Freunde und Schüler gehörig zu löschen verstand; in der That
-zog ihn wirklich das Herz -- zu dem Letzteren hin, den er nun schon
-seit so lange nicht fand. Im höchsten Grade wüthend, zog er sich in
-ausfallender Weise von der Gesellschaft zurück, ließ seine Frau sitzen
--- und begab sich allein aus dem Hause fort in ein Nebengebäude, wo,
-wie er wußte, die Jäger und Forstbedienten des Grafen haus’ten. Er
-setzte sich mitten unter sie -- ließ Wein holen und fraternisirte mit
-ihnen, so, als befände er sich unter Brüdern. Natürlich, daß er nicht
-unterließ, sich zu betrinken, -- in diesem Zustande nun ergriff er eine
-Flinte, hing Pulverhorn und Schrotbeutel um seine Schulter -- trat in’s
-Wirthschaftsgebäude und schoß hier Sperlinge, Schwalben, Tauben, Hühner
-und Fasanen zusammen....
-
-Man mußte dem Jagdingrimm unseres Nimrod mit Gewalt Einhalt thun.
-
-Während dieser Zeit producirten die übrigen Originale ihre Künste
-eben im Salon der Gräfin Cölestine. Frau von Porgenau lachte sich die
-Kolik in den Leib über den fulminanten Humor ihres Gemahls, des sehr
-ehrenwerthen Herrn von Porgenau. Gräfin Wollheim erzählte einige
-rührende Strickstrumpfgeschichten und brachte alle Augenblicke den
-Frauen-Hülfsverein zur Sprache, über den das Stiftsfräulein toller als
-je loszog:
-
-„Nicht nur meine Erfindung: die Composition aus Pech, Theer und
-Teufelsd--, nicht nur meine Fußangeln und Daumenschrauben, haben
-sie zurückgewiesen --“ sagte sie; „stellen Sie sich vor -- -- mich,
-mich selbst, das Stiftsfräulein von Bomben, mich selbst und meine
-Person wollten sie für die Zukunft zurückweisen, mich aus der Liste
-der Vereinsmitglieder streichen, mir Sitz und Stimme nehmen... Ist
-das erhört? -- -- Nein, bei Nero! so wurde noch Niemand für seine
-philanthropischen Bestrebungen belohnt!.. So in den Koth getreten wurde
-Tugend, Menschenfreundlichkeit und Erfindungsgeist noch nie -- seit
-die Welt steht, seit es Fußangeln und warme Unterröcke gibt.... Aber,“
-fuhr die Biederfrau, glühend vor edler Entrüstung auf: „aber dies
-sollen sie mir auch büßen, jene liebenswürdigen Damen vom Comité! Sie
-sollen es büßen! -- So wahr Dionysos sein +Ohr+ gebaut -- so wahr
-Heliogabalus seine +Stühle+[C] erfunden hat! Ich, ich sage das;
-ich schwöre es und bin +Mann+ genug, meinen Schwur zu halten.“
-
-Man ließ diese verfolgte Tugend ausreden, sodann aber schnitt man ihr
-das Gespräch für die ganze übrige Zeit dadurch ab, daß man Musik machte
-und Gesänge vortrug.
-
-Mit einem Male öffnete der Bediente die Thür und meldete die Namen
-+Edmunds+ und des +Chevalier de Marsan+. --
-
-Bei der Nennung des Letztern entstand plötzlich eine athemlose Stille
-und alle Blicke richteten sich nach der Thür, durch welche jetzt die
-beiden jungen Männer eintraten. Jenes Gemurmel blieb nicht aus, welches
-bei solchen Gelegenheiten sich zu verbreiten pflegt -- und welches für
-die angekommene Person, falls sie nicht Routine genug hat, eben so
-angenehm ist, wie das Gesumme eines heranziehenden Bienenschwarms für
-einen armen Teufel ohne Maske...
-
-Edmund stellte Cölestinen seinen Freund vor und dieser wurde von ihr
-mit jener liebenswürdigen Freundlichkeit aufgenommen, an welcher sie
-alle Welt theilnehmen ließ. Der Chevalier verweilte nicht lange in
-ihrer Nähe -- er ließ sich sofort auch mit dem Grafen bekannt machen.
-Hier fand er die Behandlung, wie sie unter Männern von gutem Ton
-üblich ist; und es schien, als trachtete er auch nicht nach mehr; denn
-auch ihn verließ er alsbald, um sich mit Edmund nach einem Winkel
-zurückzuziehen, wo einige Herren sich mit politischen Discussionen
-unterhielten. Marsan stellte sich inmitten dieser Gruppen -- er
-achtete auf nichts weiter -- ihn schien nichts mehr in diesem Salon zu
-interessiren. --
-
-„Nun -- haben Sie ihn gesehen? Was sagen Sie von ihm?“ begannen zwei
-Damen auf einer Ottomane mit Lorgnetts in der Hand, welche sie immer
-dahin richteten, wohin sie nicht sahen....
-
-Sie kennen doch die Taktik der Lorgnetten, meine Leserinnen? Man
-schielt darunter oder daneben weg -- und Niemand weiß, wohin Sie
-blicken. --
-
-„Ach, theure Freundin,“ antwortete die Andere: „Was ich von ihm sage?
--- Er ist einer der schönsten Männer, die mir im Leben vorgekommen.“
-
-„Mich dünkt, er hält sich nicht ganz gerade.... Ich glaube, sein Wuchs
-würde die strengere Kritik nicht befriedigen...“
-
-„Im Gegentheil! Eben sein Wuchs ist unvergleichlich!“
-
-„Und auch sein Mienenspiel! Es ist zu lebhaft!“
-
-„Es ist südlicher Natur -- meine Freundin!“
-
-„Allerdings.... aber wir hier im Norden!--“
-
-„Uebrigens hat Herr von Marsan, wie man mir sagte, allerorts die
-günstigsten Urtheile hervorgerufen...“
-
-„Allerorts? Ist Wien auch gemeint?“
-
-„Gewiß.“
-
-„So bedaure ich, daß ich eine Ausnahme mache; allein ich halte den
-Chevalier nicht im Geringsten für verführerisch -- hahaha!“
-
-„Man spricht indeß von seinen Siegen, die er über die stolzesten Herzen
-davon getragen --“
-
-Hierauf hatte die Andere nur ein mitleidiges Lächeln....
-
-Da ward dieses Gespräch durch den Herzutritt einer dritten Dame
-unterbrochen, welche sich mit der Lobrednerin des Chevaliers in ein
-Gespräch einließ. Sogleich fing die zweite, welche früher so viel Tadel
-über ihn ausgegossen, an mit ihrer Lorgnette zu manövriren, wie oben
-angegeben...
-
-Die Gute richtete das Glas beständig nach dem Klavier, welches in der
-Mitte des Salons stand -- ihre Augen indeß schweiften beständig um die
-Gruppe, welche seitwärts war und in welcher Gruppe sich Marsan befand.
-
-Edmund verließ seinen Freund nicht. Augenscheinlich jedoch schien
-er von diesem zurückgehalten, -- selbst Cölestinen, der geliebten
-Schwester, hatte er sich noch nicht zum zweiten Male genähert. Sie war
-indeß von anderen Personen so zahlreich occupirt, daß sie den Bruder
-kaum entbehrte. Nur nach Alexander warf sie von Zeit zu Zeit Blicke,
-deren zärtlicher Ausdruck immer ungestümer zu sagen schien:
-
-„Ach, wäre nur dieser Tag schon zu Ende!“
-
-Er war darüber glücklich wie ein König; und dieses Glück im Herzen, wie
-sollte er seiner Umgebung nicht liebenswürdig erschienen sein. In der
-That hieß es allenthalben:
-
-„Aber haben Sie den Grafen A--x je so gesehen, wie heute? Er ist ein
-ganz Anderer geworden.“
-
-„Die Ehe scheint ihm sehr wohl zu bekommen.“
-
-„Ein düsterer Timon hat sich da zu einem Ausbund von Artigkeit und
-Galanterie verwandelt. Haben Sie je früher bemerkt, daß er sich mit
-einer fremden Person länger als zwei Minuten unterhalten hätte? und
-heute amüsirt er eine Gesellschaft von zehn bis zwölf Personen so
-unvergleichlich -- daß sie seine Nähe nicht verlassen, die nichts als
-Frohsinn und Heiterkeit zu verbreiten scheint...“
-
-„O -- meine Herren,“ sagte ein dritter; es war dies ein Jüngling, der
-für sehr unternehmend galt und ungeheuer viel Erfahrungen gesammelt
-haben sollte: „man muß in dieser Zeit +heirathen+... damit ist
-+Alles+ gesagt, d. h. +Alles gethan+. Sie glauben, gewisse
-Menschen mache die Liebe glücklich, die sie in der Ehe finden -- es
-zeigt sich jedoch, daß sie blos das +Geld+ glücklich gemacht
-hat... Bei Andern ist es umgekehrt. Was endlich die dritten betrifft,
-so wissen sie selbst nicht, weßhalb sie nach ihrer Verheirathung
-glücklicher sind -- als vor derselben.... Es gibt Leute, denen man
-allerhand in den Kopf setzen kann.... haha!“ Der Jüngling lachte
-äußerst selbstgenügsam.
-
-„Es scheint jedoch nicht -- daß Graf A--x unter Ihre dritte Classe
-gehört, mein Lieber!“ versetzte einer der Vorigen: „Dieser Graf scheint
-recht gut zu wissen, +was er besitzt+.“
-
-„Ich hatte auch nicht die entfernteste Absicht, hier +ihn+ zu
-meinen; dies schwöre ich.“
-
-Das waren Worte eines Thoren, die jedoch im Leben sehr oft in Erfüllung
-zu gehen pflegen; denn das Leben ist ein großer Freund jener Ironie,
-die uns oft Thränen, nicht selten das Leben selbst kostet. --
-
-Trotzdem, daß die Gesellschaft schon wider Vermuthen zahlreich geworden
-war, vermehrte sich dieselbe noch mehr durch immer neu hinzukommende
-Individuen, worunter mehrere zum ersten Male der Gräfin vorgestellt
-wurden. -- Das ist bei Eröffnung eines Hauses nicht ganz in der
-Ordnung, indeß, was läßt sich dagegen thun? -- Da stiegen denn
-Physiognomien im Salon umher, wie sie Cölestine gewiß nicht freiwillig
-um sich versammelt hätte, -- Physiognomien, die für den Griffel eines
-Granville oder Phiz von unbezahlbarem Werthe gewesen wären...
-
-Unter diese Physiognomien und Subjekte hatte sich auch Eines
-hereingeschlichen, welches, gleich nachdem es eingetreten war, sich
-rasch hinter einer Versammlung verlor -- an der Wand hinhuschte, immer
-das dichteste Gedränge, ja selbst Möbeln wählend, um sich dahinter zu
-verstecken... Dieser Mensch trug einen dichten und dunklen Backenbart,
-der ihm das halbe Gesicht bedeckte -- und der, wiewohl das schwer zu
-erkennen war, ein falscher schien; ferner hatte er Brillen vor den
-Augen und eine dunkle Tour auf dem Kopfe; auch sein Anzug war nicht
-sein gewöhnlicher; kurz dieser Mensch schien um eines besondern Zweckes
-willen sich maskirt und in diese Gesellschaft eingeschlichen zu haben.
-
-Wie er so hinstrich, lauerte und hastig umher blickte, hätte man ihn
-für den bösen Geist nehmen können, der unsichtbar die Gesellschaft
-umschwebte.
-
-Allem Anscheine nach war es ein noch junger Mensch.
-
-Jetzt hatte sein Falkenblick die Person Cölestinens erspähet und hing
-an ihr fest wie an einer langgesuchten Beute... von diesem Augenblick
-verließ er sie nicht; er beobachtete jedes Zucken ihrer Augenbrauen,
-jedes Mienenspiel ihres Gesichtes. -- Immer durchdringender ward
-sein Blick -- immer finsterer und wilder. -- Endlich schien eine Art
-schadenfrohen Lächelns um seinen Mund zu spielen, er murmelte vor sich
-hin:
-
-„So ist es schon recht. Sie sitzt allein, umgeben von fremden Menschen,
-die sie jedoch alle weit mehr zu interessiren scheinen, als ihr eigner
-Gatte. -- Der Thor! Warum ging er in die Schlinge! -- Hätte er nicht
-wissen können, -- daß sie seine, wie jede andere Liebe mit -- Verrath
-vergelten wird?“ Und seine Augen, die vorhin starr nach ihr allein
-geblickt hatten, bewegten sich nun, rasch wie der Blitz, im ganzen
-Saale umher... Er lachte bitter -- drückte sich fester hinter einen
-Fenstervorhang, der ihn den Blicken völlig entzog und sah von hier aus
-mit teuflischem Grinsen dem Treiben der Gesellschaft zu, jedoch nicht
-ohne von Zeit zu Zeit Cölestine wieder ins Auge zu fassen, die für ihn
-stets der Mittelpunkt, ja, der einzige Punkt in dieser kleinen Welt zu
-sein schien....
-
-Doch sie sollte es nicht lange bleiben. Mitten in seinem dumpfen
-Hinstarren zuckte er jetzt plötzlich, als wäre ein Pfeil vor ihm
-niedergefahren, zusammen: -- -- sein Blick hatte den +Chevalier von
-Marsan+ erspähet.
-
-Dies hatte nun an sich freilich nicht viel Bedeutendes; die einfache
-Person des Chevaliers konnte unsern Geheimnißvollen nicht mehr wie jede
-andere von den tausend Millionen Personen, welche diesen unsern Globus
-bevölkern, interessiren. Die Person also war es nicht, und zudem kannte
-er den Chevalier nicht einmal....
-
-Es war gleichfalls ein Blick gewesen, der ihn so entsetzlich
-niederschmetterte; es war ein Blick voll heißen Feuers, welchen der
-Chevalier, der sich unbeobachtet wähnte, nach Cölestine geworfen. --
-
-Sie jedoch hatte nichts davon bemerkt; sie hatte keine Ahnung von dem,
-was außer dem engen Kreis, der sie in diesem Augenblick umschloß und
-wozu auch ihr Gemahl gehörte -- im Salon vorging... sie war unschuldig
-an den Anschlägen, welche von zweifacher Seite gegen sie geschmiedet
-wurden.
-
-Der Vermummte schien in diesem Augenblick mit sich heftig zu kämpfen,
-welchem von den Zweien er seine Aufmerksamkeit schärfer, beharrlicher,
-durchdringender, wuthvoller zuwenden sollte: Cölestinen oder dem
-Chevalier. Er glich einer Schlange, die zwei Opfer vor sich sieht
--- beide verschlingen möchte und daher mit keinem den Anfang machen
-will, weil sie fürchtet, das andere möchte ihr inzwischen entgehen.
-Ein Fieber hatte ihn ergriffen und schüttelte an seinen Gebeinen, daß
-diese an die Fensterwand anschlugen, wie hölzerne Klöppel... er konnte
-sich kaum mehr halten und drohte vor Zorn und Ohnmacht jeden Augenblick
-niederzusinken...
-
-„O wäre es möglich,“ bebte es von seinen bleichen Lippen: „Wäre es kein
-bloßes Kindermährchen: ich würde in diesem Augenblick jenem Satan und
-seiner höllischen Macht gerne meine halbe Seligkeit verschreiben --
--- könnte ich damit nur den Elenden dort von der Erde wegblasen, oder
-tausend Meilen weg von hier versetzen....“
-
-Er hatte Marsan gemeint, Marsan, der jetzt in einer Ecke saß, den
-Rücken gegen die Gräfin gekehrt, die er jedoch in einem Spiegel vor
-sich erblickte, ganz so wie ein Bild in einem Rahmen, -- und von
-welcher er kein Auge verwandte -- in deren Zügen, in deren Geberden, in
-deren Bewegungen und Worten (denn auch diese schien er aus der Bewegung
-ihrer Lippen zu errathen) er las -- wie in einem Buche, mit dessen
-Inhalt er sich gänzlich vertraut machen wollte.
-
-Die Gesellschaft fing endlich an sich zu zerstreuen. Alles ging nach
-Hause; auch Herr von Marsan verließ an Edmund’s Arme den Salon. Der
-Vermummte war nicht der Letzte; mit wildem Widerstreben, aber gezwungen
-von unerbittlicher Nothwendigkeit, hatte er, wie er gekommen war, sich
-fortgeschlichen. Während alle Uebrigen nach der Stadt ihren Weg nahmen,
-verfolgte er einen Pfad nach dem Augarten. Hier langte er noch vor der
-Thorsperre an -- verlief sich in entfernte, waldige Partieen -- warf
-sich im Dunkel der Gebüsche auf die Erde nieder und -- verbrachte hier
-die Nacht.
-
-Er hatte sie im heftigsten Fieber -- im Wahnsinn von hundert
-Leidenschaften: in Liebe, Eifersucht, Verzweiflung, Wuth und Rachsucht
-hingebracht. --
-
- * * * * *
-
-„O mein Alexander!“ rief Cölestine, als sie sich in ihrem Hause mit dem
-geliebten Manne wieder allein fand: „So ist endlich Alles vorbei --
-alles Schale und Traurige vorüber -- und nur die Freude ist geblieben.
-Wir haben uns jetzt wieder -- wir können wieder glücklich sein, und
-was wir so lange entbehren mußten, ersetzt das gütige Schicksal in
-diesen Augenblicken uns in doppelter Fülle.... So komm denn, theurer
-Gatte, Mann meiner Wahl, komm an mein Herz -- und lass’ mich wieder die
-Schläge des Deinigen hören.... Lass’ uns eilen, lass’ zur geheimsten
-und einsamsten Stätte unserer Liebe uns flüchten -- und nicht eher
-werde sie verlassen, als bis uns eine tyrannische Gewalt von ihr
-wegreißt. --“ Sie bot ihm ihre Lippen dar und er hing sich daran,
-saugte an ihnen, wie ein Insekt an dem Kelche einer Blume. --
-
-Fürwahr, diese zwei Menschen genossen eines Liebesglücks, wie es nicht
-mehr begehrenswerther kann gefunden werden. -- --
-
-
-
-
-Zehntes Kapitel.
-
-Ernste und heitere Zwischenszenen.
-
-
-Allein wir haben eine sehr ehrenhafte Person dieser Geschichte gänzlich
-aus den Augen verloren und beeilen uns daher, sie wieder aufzusuchen,
-um uns auch nach ihrem Schicksale zu erkundigen und dies um so mehr,
-als dasselbe in letzterer Zeit sehr traurig sich zu gestalten anfing.
-Was kann es auch Lustiges um eine +Erkältung+ oder gar um eine
-+polizeiliche Vorladung+ sein; und beide diese Schläge trafen
-doch, wie wir wissen, zu gleicher Zeit das Haupt Althings, unseres
-Bruders Althing, des großen Herzenstyrannen und Weiberbesiegers
-Althing! -- O wie seufzte er unter diesen Schlägen auf, der Arme.
-Fürwahr, so hat noch Niemand geseufzt! Man hörte ihn bis in’s dritte
-Nachbarhaus hinüber.
-
-Mit der Erkältung war es noch so ziemlich gegangen; einige Gläser
-Essenz, (ein Artikel, welchen Althing zu Hause in allen Sorten und zu
-allen möglichen Zwecken: Aufregungen und Dämpfungen besaß) hatten auf
-seinen dicken Leib die wohlthätigste Wirkung geäußert;... allein die
-Polizei, die Polizei! Diese war dem Armen viel gewaltiger in den Leib
-gefahren, als die Kälte.
-
-Die Sache war, daß unser Dicker mit ihr zum ersten Male in Berührung
-kam; und Jedermann weiß doch, wie ängstliche Menschen ein Uebel,
-welches sie noch nicht kennen, für weit furchtbarer halten, als es
-wirklich ist. Althing dachte schon, man würde ihm auf dem Polizeibureau
-die +eiserne Jungfrau+ zu küssen geben, und ein so großer Freund
-der Jungfrauen er im Ganzen auch war -- vor dieser hatte er doch sehr
-großen Respekt. --
-
-Wie glücklich war er daher, als nach angestelltem Verhör ihm bedeutet
-wurde, er sei verurtheilt, 10 Gulden zu bezahlen und einen Verweis zu
-bekommen.
-
-„O tausend Verweise, wenn Sie wollen, meine Herren!“ hatte er in seiner
-entzückten Dummheit gerufen; und in der That, es war ihm ein Leichtes
-mit dem Verweis: er hörte ihn nicht. Ach, seine Phantasie flog schon
-wieder auf den Straßen der schönen Kaiserstadt und in den 2ten, 3ten,
-4ten, 5ten und 6ten Etagen umher.
-
-Er war kaum aus dem Polizeihause getreten, als er sich schon auf’s
-Casino verfügte, um da eine körperliche Restauration mit sich
-vorzunehmen: er aß und trank jedoch so eilfertig, als beabsichtige er
-irgend eine Flucht. Wirklich stürzte er auch, noch mit dem letzten
-Bissen im Munde, hinaus -- -- um dem ersten Dämchen, das ihm begegnen
-würde, die Begleitung seiner holden Persönlichkeit anzubieten.
-
-War es Zufall oder Schicksalsfügung -- (wir haben es schon irgendwo
-bemerkt, daß dies zwei Benennungen für +eine+ Sache seien)
-er stieß -- und das beinahe mit der Nase -- zuerst auf jenes böse
-Wesen, um derentwillen er alle letzteren Schläge erlitten hatte; um
-derentwillen er bei Daum compromittirt, im tiefen Graben begossen
-und endlich von der Polizei aufgegriffen und verurtheilt worden....
-dieses reizend-verhängnißvolle Wesen stand schon wieder vor ihm. Er
-besann sich einen Augenblick, denn er fühlte sich wirklich ein wenig
-consternirt. Aber unser Mann wurde bei solcher Gelegenheit zuletzt
-immer entschlossener, als ein Türke: „Ah! Bah!“ murmelte er unter
-seinem gefärbten Schnurbart: „das sind Possen, was mir da einfällt! Es
-gibt kein Fatum -- kein Omen! Es gibt in der Welt nur Gewißheiten, und
-nichts ist mir reellere Gewißheit, als ein hübsches Schürzchen. Darum
--- ohneweiters dieser da nach, Freund Althing! -- und hat sie dich auch
-früher in die Patsche geführt -- vielleicht wird sie dir’s jetzt um so
-süßer vergelten. Die Weiber haben ein mitleidiges Herz... namentlich
-bei Männern von einem gewissen Aussehen!“ Noch ehe er diesen Satz
-beendigte, hatte er sie schon eingeholt: „Mein schönes Kind,“ fing er
-an und watschelte an ihre linke Seite: „erkennen Sie mich noch?“ Die
-Grisette antwortete nicht und setzte rasch ihren Weg fort.
-
-„Ei,“ begann er wieder: „Sie thun, als ob Sie mich in Ihrem Leben
-niemals gesehen hätten! Das ist ein wenig stark! Blicken Sie mich doch
-ein Bischen an -- vielleicht wird Ihnen (wenn nicht Ihr Herz, doch) Ihr
-Auge Etwas sagen.“
-
-„Ich wüßte nicht,“ lachte das Mädchen, „was mir mein Auge sagen sollte!“
-
-„Wie? Sie wissen es wirklich nicht? Nun, mein Täubchen -- versuchen
-Sie’s doch nur ’mal. Vielleicht werden Sie finden, daß ich für Sie
-keine fremde Person mehr bin, -- hm, hm!“
-
-Dieses „Hm, hm“ hatte Althing ertönen lassen, weil er so eben wieder
-mit seinen Sporren hängen geblieben war und seine Beinkleider tüchtig
-ausgerissen hatte. Jedoch es war jetzt nicht die Zeit, an Kleiderrisse
--- es war vielmehr die Zeit, an Herzensrisse zu denken und er fuhr fort:
-
-„Sie dürften am Ende doch noch finden, mein Schätzchen -- daß ich
-derselbe Herr bin, welchem Sie da neulich bei Daum’s Kaffeehause ein
-Rendezvous gegeben -- -- ein Rendezvous, was mir, bei Gott, theuer
-genug zu stehen gekommen; Sie dürften ferner finden, daß ich auch
-derselbe Herr bin, der Ihnen auf dem tiefen Graben nachgegangen --
-dem Sie die Hausthüre vor der Nase zugeschlagen -- -- und zuletzt
-noch als +höchstes+ Liebeszeichen vom 6ten Stockwerk den Inhalt
-eines Gefäßes auf den Kopf gegossen haben -- das Alles dürften Sie
-finden. Und doch, meine Theuerste, ist das Alles -- bei weiten
-nicht das ganze Alles. Da kann ich Ihnen noch mit einigen andern
-Aufopferungsgeschichten aufwarten: so zum Beispiel, daß ich mir
-aus Liebe zu Ihnen eine Erkältung zuzog, aus welcher ein heftiges
-Nervenfieber entstand -- ferner, daß ich von der Polizei in Beschlag
-genommen und wie ein blutiger Verbrecher behandelt wurde, -- das
-Alles und noch unzähliges Andere habe ich für Sie erduldet, getragen,
-gelitten, mein reizendes Kind.... und mit gutem Gewissen kann ich
-hinzusetzen, gelitten wie ein Mann, wie ein Held! Und jetzt frage ich
-Sie: wollen Sie noch immer so thun, als kennten Sie mich nicht; als
-wäre ich für Sie nichts? -- Antworten Sie, Holdeste!“
-
-„Nun wohl,“ versetzte das Mädchen, die seiner ganzen früheren
-Schmerzengeschichte unter anhaltendem Kichern und Gelächter zugehört
-hatte: „so will ich Ihnen denn sagen, mein Herr -- daß Sie der
-unausstehlichste und zudringlichste alte Mensch sind, der mir je
-vorgekommen!“
-
-„Was?“ schrie Althing, wie gelähmt stehen bleibend und sie am Arme
-ergreifend: „Was unterstehen Sie sich da?“
-
-„Lassen Sie mich los!“ schrie sie: „oder ich rufe um Hilfe! -- Ja, ja,
-ich will es Ihnen nochmals wiederholen: noch niemals habe ich einen
-überlästigeren Menschen gefunden, als Sie. Was haben Sie nöthig, mich
-beständig zu verfolgen?... Alles was Sie bei mir erreicht zu haben oder
-zu erreichen glauben, ist pure Einbildung. -- -- Erstens habe ich Ihnen
-niemals eine Bestellung gegeben....“
-
-„Wie -- Sie haben mich nicht zu Daum bestellt?...“
-
-„Ich weiß kein Wort davon.“
-
-„Sie sagten ja, Sie würden dort um 2 Uhr Nachmittags vorüber gehn.“
-
-„-- Ich sagte das, um Sie los zu werden, als Sie mir nicht auf andere
-Art vom Halse gehen wollten....“
-
-„Ah, so also?“
-
-„Ja, ganz so.“
-
-„-- -- Indeß -- indeß gingen Sie gleichwohl bei Daum vorbei.“
-
-„Aber nicht um 2 Uhr.“
-
-„Was schadet das: um 2 oder 12 Uhr, das ist gleich. Ich war einmal dort
-und wollte Ihnen eben folgen --“
-
-„Dies wäre Ihnen schlecht bekommen.“
-
-„Weßhalb, mein Fräulein?“
-
-„Weil der Obermarqueur, der mein Geliebter ist, Sie am Rockschoße hielt
--- und --“
-
-„Ach! Ach!“ fuhr Althing auf: „jetzt begreife ich den ganzen
-Zusammenhang. Jener unverschämte Bengel oder Marqueur war also Ihr --
--- Geliebter! Darum wollte der Kerl mich durchaus nicht fortlassen --“
-
-„Bis Sie bezahlt hätten; das ist so Weltgebrauch....“
-
-„Allein -- Mademoiselle, für diesen Weltgebrauch habe ich Ihrem holden
-Geliebten einen Fußtritt versetzt -- hahaha!“
-
-„Und er gab Ihnen denselben zurück, hahaha!“
-
-„Er empfing von mir annoch eine Ohrfeige...“
-
-„Und er blieb Ihnen auch diese nicht schuldig, hahaha!“
-
-„-- O -- aber, meine Theure, glauben Sie mir, es beweis’t einen sehr
-schlechten Geschmack, einen Marqueur zum Geliebten zu haben...“
-
-„Der Geschmack ist verschieden. Was mich betrifft, so ist mir ein
-hübscher Marqueur viel lieber -- als ein häßlicher alter Geck.... Ich
-habe in dieser Hinsicht den Geschmack so mancher Fürstin und brauche
-mich seiner also nicht zu schämen...“
-
-„Allein...“
-
-„Allein, mein Herr, ich erlaube mir Ihnen zu bemerken, daß dies
-Gespräch mich bereits dermaßen langweilt -- daß ich, sofern Sie mich
-nicht augenblicklich verlassen, ernstlich auf Mittel denken werde,
-mich von Ihnen zu befreien.... Ah, dort sehe ich meinen Freund! Es ist
-+Franz+, der Polizeikorporal. -- -- Heda! Herr Franz! Herr Franz,
-hören Sie!“
-
-„Um Gotteswillen!“ rief der Dicke erbleichend und einen Satz seitwärts
-machend, daß er von der Grisette weg bis mitten auf die Straße gerieth:
-„verschonen Sie mich mit Ihrem Freund! -- Von dieser Gattung Freunde
-habe ich schon genug erfahren!...“ Und ohne sich weiter lange zu
-bedenken, machte unser Liebesheld schnell noch einen Satz, welcher ihn
-bis zur andern Seite der Straße brachte -- ließ Liebe, Leidenschaft
-und Zärtlichkeit im Stich und schlug eilends einen Weg ein, der
-entgegengesetzt von demjenigen war, welcher die Grisette mit ihrem
-„Freunde“ zusammenführte.
-
-„Teufel!“ meinte Althing, als er endlich nach langem Rennen sich in der
-Gegend der Piaristen in Sicherheit fand --: „Teufel! dieses Mädchen
-hat aber auch ganz kuriose Freundschaften: Marqueurs, Polizeikorporale
-und ähnliche Staatsmänner.... da bleibe ich, aufrichtig gesagt, recht
-gern aus dem Spiele. -- Allein, was man auch sagen mag,“ fuhr er fort,
-„sie bleibt doch eine ganz allerliebste Hexe -- und wäre nur wenigstens
-der verdammte Polizeikorporal nicht -- ich glaube, sie würde mir noch
-immer den Kopf verdrehen können.... Allein, so wie die Sachen stehen,
-bin ich freilich vollkommen geheilt und preise mein Schicksal, das
-mir zum zweiten Male beistand gegen Anfechtungen der Polizei....
-Jedoch in Zukunft will ich mich auch in Acht nehmen und nicht mehr so
-hineinstürmen in’s Leben und in die Liebe. -- Alle Donner! mein lieber
-Althing -- Du hast freilich auch ein viel zu hitziges Temperament!
-Das Jugendblut schäumt noch zu sehr in Deinen Adern! Du mußt Dich
-gewöhnen, kälter, hartherziger, stolzer zu werden.... Dann werden Deine
-Siege sich verdreifachen -- wiewohl, was ihre Zahl betrifft, Du mit
-ihnen auch jetzt nicht eben unzufrieden zu sein brauchst -- haha!“ Er
-fing an seine Schritte zu mäßigen; jetzt machte er die Bemerkung, daß
-die Menschen, bei denen er vorbeikam, Blicke nach ihm warfen: „Was hat
-das zu bedeuten?“ fragte er sich. -- „Nun, nun -- was wird es wohl zu
-bedeuten haben? Sie sehen Dich an, mein guter Althing, das ist Alles.
--- Die Liebe hat so eben Deine Wangen geröthet, -- Dein Auge glänzt
-noch im höhern Feuer, alle Muskeln Deines Körpers zeigen eine gewisse
-Elastizität: es ist kein Zweifel, Du imponirst diesen Leuten -- sie
-bewundern Deine Gestalt -- Deinen Reiz.“ -- Er fuhr selbstgefällig
-fort: „Das, was man nicht von Natur hat, kann man sich nicht selber
-geben. Die Schönheit ist ein Geschenk Gottes.... Man kann sie nicht
-erwerben. -- Wie muß ich über so manchen armen Teufel lachen, der
-von dem Allerhöchsten in dieser Hinsicht weniger bedacht ward -- wie
-muß ich über seine Anstrengung lachen, sich schöner zu machen, als
-er ist... Ach, mein Guter, sag’ ich ihm dann: lass’ das! alle Mühe
-ist hier vergebens. Du wirst nie ein erträgliches Gesicht zu Stande
-bringen, -- alle Deine Salben, Pomaden und Schminken nützen Dir zu
-nichts. Bei uns hingegen thut es einfaches Brunnenwasser -- ein bischen
-Seifenschaum dazu! Wir sind in dieser Hinsicht wie unsere Göttin: die
-holde Venus. Ihre und unsere Reize steigen fertig aus Wasser und Schaum
-hervor. --“
-
-„Aber zum Guckuk -- -- was sehen mich denn diese Menschen gar so
-sehr an, und einige lachen noch dazu?... Sollte meine Gestalt heute
-ungewöhnlich verführerisch sein?... Ach, sie werfen ihre Blicke nach
-meinen Beinen... haha! Ja, unsere Beine!... Alle Donner!“ fuhr er
-plötzlich auf, nachdem er seine stolzen Blicke hinabgerichtet hatte auf
-seine Füße: „Was ist da mit meinen Beinkleidern geschehen? -- Sie sind
-lauter Fetzen! -- -- O verfl-- Sporren! O Unglück! -- O entsetzliches
-Unglück!“ Und er lief so schnell er vermochte in den offenen Thorweg
-eines Hauses hinein -- einige Gassenjungen aber, die ihm beständig
-gefolgt waren, stellten sich draußen vor dem Thore auf und erhoben ein
-lautes Geschrei:
-
-„Wohnt kein Tandler hier! Wohnt kein Tandler[D] hier! Es will Einer
-eine alte Hose verkaufen! Eine Hose! Eine Hose!“
-
-Althing schwitzte drinnen dicke Tropfen. Er fand sich schon wieder
-in einer fürchterlichen Klemme. Das Schicksal hörte nicht auf ihn zu
-verfolgen.... und womit hatte er es denn verdient?
-
-Da führte dasselbe plötzlich einen leeren Fiaker vorbei. Dies war eine
-große Gnade vom Schicksal. Althing rief den Fiaker an und dieser lenkte
-seinen Wagen dicht vor den Thorweg. So stieg denn unser Unglücksmann
-unter dem Jauchzen von dreißig Jungen ein, die ein Vivat um’s andere
-riefen, daß ihm dabei die Sinne vergingen.
-
-„Wohin befehlen Euer Gnaden?“ hatte der Kutscher schon mehrmals
-gefragt, ohne daß es von dem Dicken vernommen worden wäre.
-
-„In die nächste Straße,“ sagte er endlich: „vor das Palais des Generals
-von Randow -- mein Freund.“
-
-„Wie -- Euer Gnaden wollen in diesem Aufzuge dem Herrn General eine
-Visite machen? --“
-
-„Bewahre Gott, bewahre Gott!“ seufzte Althing: „ich will bloß zu
-seinem Sohne -- der mein Freund ist und zum Glück hier nahe bei dem
-Schauplatze meines Unglücks wohnt -- zu ihm will ich mich begeben. Er
-wird mich einstweilen mit andern Beinkleidern versorgen...“
-
-„Ah -- das ist etwas Anderes, und Euer Gnaden thun daran sehr
-recht; denn in diesem da -- sehen Sie gerade so aus, wie der Herr
-+Knieriem+ im Lumpacivagabundus. - Hott, Brauner! hott! --“
-
-Der Wagen hielt vor dem Palais. Wie aber hineingelangen? Das ganze Haus
-mußte den Unglücklichen und seine Beinkleider sehen. Es war eine neue
-Schlinge, die ihm das boshafte Schicksal legte.... Da fiel dem Fiaker
-plötzlich ein großer Gedanke ein (die Fiaker sind geborne Genies!):
-
-„Wissen’s was, Euer Gnaden?“ sagte der Bursche.
-
-„Nun?“ spitzte unser Adonis seine Ohren.
-
-„Ziehen’s da meinen Mantel an -- und kein Mensch im Hause wird Sie
-erkennen. In dieser Maskirung können’s dann bis zu Ihrem Freunde, dem
-jungen gnädigen Herrn kommen....“
-
-Dieser Rath war Goldes werth. Althing dankte dem Fiaker mit einer
-Thräne im Auge, dieser aber zog seinen Mantel vom Bocke herab und warf
-ihm denselben um.... Alles dieses geschah in wenigen Augenblicken....
-Althing sah in diesem Costüme einem Banditen nicht unähnlich, denn
-der Mantel war von hellgrüner Farbe und der spitzbübische Fiaker
-hatte ihm denselben so umgeworfen, daß er sich drappirte und auf
-Althing’s Schultern hing, wie ein Theatermantel... Aber da war keine
-Zeit zu verlieren.... Der Dicke schritt mit entschlossenem Wesen in
-das Palais bei dem Portier vorbei, welcher die Augen aufriß, wie über
-eine nächtliche Erscheinung. Der Fiaker aber, mit dem Hut in der Hand,
-schritt unserem Alten nach -- und lachte in’s Fäustchen.
-
-So gelangten sie quer durch den Hof nach dem linken Flügel des
-Gebäudes, wo Edmund wohnte. Althing ging die Treppe hinauf und fragte
-einen Diener, der ihm begegnete, ob dessen Herr zu Hause wäre....
-
-„Was will man denn bei ihm?“ antwortete der Kerl mit mißtrauischem
-Blick.
-
-Da öffnete der Seladon seinen Mantel, und der Diener rief nun: „Ah,
-Sie sind es, gnädiger Herr? Aber in welchem Aufzuge! Ist denn heute
-Maskenball bei uns?“
-
-„Dummkopf!“ fuhr Althing auf: „ob der Herr zu Hause ist, frage ich.“
-
-„Nun ja -- gewiß; aber er wird in diesem Augenblicke nicht zu sprechen
-sein.“
-
-„Und weßhalb? Wegen meines Anzuges da?“
-
-„Nein, sondern weil ein fremder Herr bei ihm ist, mit welchem er
-eifriger Geschäfte halber sich in ein Zimmer eingeschlossen hat.“
-
-„Ei -- was thut das? -- Er wird doch wohl nicht ewig mit diesem Herrn
-eingeschlossen bleiben.... und überdies brauche ich ihn am Ende gar
-nicht zu sprechen.“
-
-Althing war während dieser Gespräche immer höher gestiegen; jetzt stand
-er vor den Zimmern seines Freundes. Er riß hastig die Thür des nächsten
-auf -- -- und durchzog mit stürmenden Schritten eine ganze Reihe. Die
-Diener, welche auf seinen Anblick nicht vorbereitet waren, flohen
-entsetzt nach allen Seiten, indem sie riefen: „Ein Räuber! Ein Bandit!
-Zu Hülfe! -- --“
-
-Dieses Geschrei verbreitete sich im ganzen Quartiere -- es gelangte
-auch zu Edmund. Dieser, der nicht wußte, was es bedeutete, öffnete
-seine Thüre und wollte eben darnach fragen. -- -- Da stürzte ihm
-Althing im romantischen Costüme entgegen -- wenig fehlte, so hätte er
-auch den jungen Mann in die Flucht geschlagen:
-
-„Aber -- zum Teufel!“ rief dieser: „bist Du es denn, Althing?“
-
-„Ich bin’s! ich bin’s, lieber Freund.“
-
-„Aber was hat denn das Alles zu bedeuten? Kommst Du aus dem Tollhause
-oder vom Theater?“
-
-„Keines von Beiden, bester Edmund...... Es war eine Laune von mir,
-weiter nichts....“
-
-„Was -- eine Laune?“
-
-„Oder vielmehr -- eine Nothwendigkeit! -- Und hier dieser Mann,“ -- er
-wies auf den Fiaker, welcher nicht von seiner Seite wich -- „hat Alles
-zu verantworten. --“
-
-„Das heißt: die zerrissenen Hosen des gnädigen Herrn haben es zu
-verantworten....“
-
-„Nun, ja auch das!... Denke Dir nur, lieber Edmund -- wie ich da unten
-an den Beinen aussehe -- hehe!“ Er warf den grünen Mantel ab und wies
-die hintern Theile seines Körpers und seiner Kleider...
-
-„Tausend Sapperment! -- Aus welchem Welttheile kommst Du denn? Was sind
-denn dies Alles für Kleider?“
-
-Jetzt erst erzählte Althing den ganzen Zusammenhang der Geschichte und
-nun war Edmund nicht länger im Stande, den Ernst, welchen er aus dem
-Zimmer mitgebracht hatte, zu behaupten. Er lachte wie toll -- ließ
-seinen Kammerdiener kommen und befahl ihm, den dicken und entblös’ten
-Freund in die Garderobe zu führen. „In einer halben Stunde,“ setzte
-er gegen diesen gewendet hinzu, „sehen wir uns wieder; Du magst bis
-dahin Dich in mein Rauchzimmer verfügen -- dort wirst Du neue Cabannas
-finden oder wohlriechenden Persier, den Du aus Wasserpfeifen rauchen
-mußt...! Bis dahin Adieu!“
-
-Der Fiaker erhielt seinen grünen Mantel und seinen Lohn und begab sich
-inmitten einiger Lakaien hinweg, denen er den ganzen Vorfall erzählen
-mußte und welche, wie es die Art dieser Schelme ist, über das Malheur
-ihrer Herren oder dessen Freundes ein größeres Vergnügen empfanden, wie
-über irgend ein fremdes.
-
-Althing hatte sich bald wieder angekleidet. Nur mit seinem Schnurbart
-war er noch brouillirt. Dieser hatte unter dem Mantel, womit der Dicke
-sich zeitweise bis zur Nase bedeckt hatte, die ganze Farbe verloren;
-und ein solcher Artikel war auf Edmunds Toilette nicht zu finden, weil
-der Jüngling von Natur mit einem Haar vom schönsten Kastanienbraun
-bedacht war... Allein einem so wichtigen Mangel mußte abgeholfen werden
-und unser Adonis besann sich nicht lange; er schickte den Diener,
-der ihm beim Ankleiden geholfen, fort, griff nach einem in der Nähe
-stehenden Gefäße, welches er für ein Dintenfaß hielt, und bestrich sich
-mit dem Inhalt tüchtig den Bart...
-
-Aber o Entsetzen! Kaum daß er damit angefangen, als er ein Prickeln und
-ein Surren an seiner Lippe verspürte... bald erfüllte ein höllischer
-Gestank seine Nase -- ein brennender Schmerz verbreitete sich an
-der Lippe, drang immer tiefer ein -- der schöne Bart krümmte sich,
-schrumpfte ein -- -- und fiel stückweise herab... der Schmerz wurde
-fürchterlich -- die Lippen schwollen an...
-
-Der Unselige hatte sich mit Vitriolöl eingeschmiert.
-
-Wo aber war während der Operation seine Nase gewesen? Hatte er das
-Oel nicht gerochen? -- Ach, er war zu sehr beschäftigt und von seinen
-Reizen erfüllt... er hatte keinen Geruch, kein Gehör, keinen Geschmack
--- er hatte nur Augen gehabt, der Bedauernswerthe. Diese Augen sahen
-aber auch nur -- ihn. --
-
-Auf sein Geheul liefen abermals die Diener herbei. O weh! wie sah
-dieser noch vor wenigen Augenblicken so schöne Mann aus! Es schien, als
-gehörte er, seinem Kopfe nach, zu dem Geschlechte der Elephanten -- so
-rüsselförmig hatte sein Mund sich gestaltet.
-
-Man brachte ihn aus dieser Rauchatmosphäre heraus, die sehr nachtheilig
-auf das metamorphosirte Glied einzuwirken schien, und trug ihn in ein
-anderes Zimmer. Hier wurde er auf ein Sopha gelegt und man begann
-ihn oder eigentlich seinen Rüssel mit Eisumschlägen zu traktiren.
-Die jedoch schienen seine Schmerzen nur zu vergrößern und so sah
-man sich denn genöthigt -- da keiner von den Dienern medizinische
-Kenntnisse besaß -- nach einem Arzte zu senden. Aber die Zeit, bis
-dieser erschien, war für unsern unglücklichen Adonis eine Epoche
-schauderhafter Höllenqualen: „Oh! Oh!“ wehklagte er -- „was ist mit mir
-geschehen?.. Das brennt und sengt ja, als wenn zehntausend Pechfackeln
-darauf geschleudert würden! -- Ein ganzes Rudel von Beelzebubs tanzt
-mir auf dem Munde herum! -- Ein Gehenna, ein Gehenna -- wächst mir
-unter der Nase hervor! -- --“ Aber so deutlich wie hier angegeben wird
--- konnte der Gequälte nicht sprechen. -- Es war ein stotterndes und
-stammelndes Geschrei, was seinem Munde entströmte... Zuletzt wurde es
-ganz unverständlich -- er konnte die Lippen nicht mehr auseinander
-bringen -- sie schienen zu verwachsen. --
-
-Nach ewiglangem Zögern erschien der Sohn Aeskulaps. Sogar er schlug
-die Hände zusammen und konnte ein leises Gelächter nicht unterdrücken
--- als er hier einen berüsselten Menschen vor sich erblickte. Der Fall
-war ihm noch nicht vorgekommen. -- Die Gesetzbücher Aeskulaps jedoch
-haben auch einem solchen Fall vorgesehen; überhaupt findet man in ihnen
-selbst für die unmöglichsten Fälle Rath -- -- nur daß letzterer häufig
-nicht viel hilft.
-
-[Illustration: S. 212]
-
-War es Bleiweißsalbe oder ein anderes Spezifikum, was der Doctor
-verordnete, genug es wurde eine Salbe auf einen Leinwandlappen
-gestrichen und dies dem Patienten auf den Rüssel gelegt.... Da ein
-ungeschickter Lakai ihm auch die Nase damit bedeckte, so war der Arme
-in Gefahr zu ersticken -- und nur indem er sich des Lappens mittelst
-eines kühnen Risses entledigte, befreite er sich vom Tode.... Eine
-gewandtere Hand legte das Pflaster jetzt dahin, wohin es gehörte -- und
-so ward die Ordination des Doctors vollzogen.
-
--- -- Mittlerweile fand in dem Zimmer nebenan ein sonderbarer Auftritt
-statt. Es war dies dasselbe Zimmer, wo Edmund sich mit jenem +fremden
-Herrn+, von welchem der Diener zu Althing, als dieser sich im
-Banditenkostüm die Treppe hinauf begab, gesprochen...
-
-Der +fremde Herr+ nun war noch bis zur Stunde mit Edmund in diesem
-Zimmer eingeschlossen. Man urtheile also, von welcher Wichtigkeit diese
-Conferenz sein mußte -- da nicht einmal der pathologische Vorfall mit
-Althing im Stande war, Edmund aus dem Zimmer zu locken.
-
-Der +fremde Herr+, von welchem die Rede ist, war ein merkwürdiger
-Kauz. Seine Figur rangirte ihn zur Hälfte unter die Affen, zur andern
-Hälfte unter die Menschen. Seine Physiognomie läßt sich am besten mit
-der jenes Meisters +Jocko+ vergleichen, der in +Van Akens+
-Menagerie so große Sprünge machte. Aber unter dieser Physiognomie saß
-der Verstand eines Archimedes. Mit einem Worte, unser Mann war in der
-Mathematik ein wahres Phänomen; denn er konnte Euch auf’s Haar beweisen
--- daß Ihr, falls Ihr ihm für 1000 Thlr. 3000 verschreibt, mindestens
-500 dabei gewinnen müsset.
-
-Ich glaube für einige meiner geliebten Leser deutlich genug gesprochen
-zu haben.
-
-Was den Anzug des Biedermannes betraf, so bestand dieser aus folgenden
-Stücken:
-
-Ein graues Beinkleid aus dem Zeitalter der Maria Theresia mit einem
-braunen Fleck am Hintertheil, welcher (nämlich der Fleck) aus der Zeit
-Josephs stammte -- einem blauen Fleck auf dem rechten Knie, der unter
-Leopold geboren war und einem hellgrünen Besatz vorne auf dem Bauche;
-dieser Besatz entstand während der ersten französischen Invasion.
-
-Ferner ein Rock -- zweien Dritteln nach einen Frack und einem Drittel
-nach einen Spenzer bildend -- von einer unzuenträthselnden Farbe.
-Dieser Rock war zu allererst ein Mantel gewesen -- aus welchem man
-später ein Wams -- dann einen Ueberrock -- dann eine altfränkische
-Schößen-Weste -- und endlich das gegenwärtige Mittelding zwischen
-Frack und Bonjour gedrechselt hatte. -- Der älteste Ursprung dieses
-Kleidungsstückes verliert sich in die Zeiten Gustav Adolphs.
-
-Ferner die Weste. Ihr Ursprung war nicht anzugeben. Sie schien
-indeß schon bei dem heidnischen Götzendienst der alten Germanen als
-Priestergewand funktionirt zu haben.... Statt der Knöpfe waren an
-dieser Weste natürliche Eicheln angenäht.... Zur Schonung jedoch
-knöpfte ihr Eigenthümer seine Weste niemals zu.
-
-Vom Hemde war bei ihm keine zuverläßliche Spur.
-
-Das Halstuch mochte wohl schon einmal bei einer Leiche als Trauerflor
-geglänzt haben.
-
-Die Stiefeln des Mannes waren veritable Wunderstiefeln, unzugänglich
-dem Wasser sowohl wie dem Feuer. -- Hier saß ein Fleck auf zehn
-andern... Man konnte sagen: vor lauter Flecken sah man den Stiefel
-nicht.
-
-Den Hut endlich anlangend, so mochte derselbe in guten Zeiten auch als
-Pferdesattel gedient haben... Man konnte nicht sagen: „er hatte diese
-oder jene Form,“ weil dieser merkwürdige Hut alle Formen annahm...
-
-Von den Stiefeln bleibt noch zu bemerken, daß sie ursprünglich
-verschiedenen Gattungen angehört hatten: der eine war lang und mit
-Kanonen versehen -- der andere ein Trichterstiefel, wie sie die Ritter
-trugen. An dem letzteren war noch ein Stück, von einem Sporren zu sehen.
-
-Es darf jedoch das Beste nicht vergessen werden. Der achtungswürdige
-Besitzer dieser Kleidersammlung trug in der Hand ein Instrument,
-welches einer Keule nicht ganz unähnlich war: deßhalb man auch eher
-sagen konnte, er +schleppte+, als er +trug+ dieses Instrument. An
-diesem Instrument oder an dieser Keule war oben ein Handriemen,
-welchen der Biedere um seine Finger geschlungen hatte.... so daß er
-das holde Instrument daran hin und her schwingen konnte wie einen
-Glockenschwengel.
-
-Der Mann nannte die Keule sehr zärtlich seinen „besten Freund“ und
-dabei lächelte er so seelenvergnügt, als hätte Achilles von seinem
-Freunde Patroklus gesprochen.
-
-Nachdem wir nun die Gestalt des Mannes beschrieben haben, bleibt uns
-nur noch übrig, Einiges von dem Gespräche mitzutheilen, welches er mit
-Edmund in diesem Zimmer bei festverschlossenen Thüren seit länger als
-einer Stunde führte. -- Freilich muß der Leser darauf verzichten, das
-+Ganze+ dieser interessanten Unterredung zu erfahren; indeß wird
-er sich hoffentlich auch bei dem Wenigen begnügen.
-
-„+Lips+“ hatte Edmund gesagt, indem er mit zorniger Miene ein
-Papier zwischen seinen Händen herumzerrte: „Lips, Sie sind mir ein
-entsetzlicher Mensch! Ein Teufel, ein Schurke!“
-
-„Alles was Euer Gnaden beliebt,“ hatte Lips geantwortet; „ich bitte nur
-um Eins -- -- zerren Sie dieses Papierchen nicht so sehr hin und her:
-es wird, auf Ehrenwort! noch entzwei gehen...“
-
-„Was schadet das, da Du Dir von jeder Schuldverschreibung, von jedem
-Wechsel +zwei Originale+ geben lässest.“
-
-„Zwei ist besser als Eins -- -- sagte ein großer Philosoph in Spanien,
-und dieser große Philosoph hatte, auf Ehrenwort! Recht....“
-
-„Aber -- Lips.... Du mußt mir noch in dieser Stunde 300 Dukaten
-schaffen -- und solltest Du sie in der Hölle holen.“
-
-„Das ist nicht nöthig, mein Gnädiger: ich trage die 300 Füchse bei mir
--- --“ antwortete Lips und schwang seine Keule hin und her...
-
-„Nun was zögerst? Du dann? Heraus mit ihnen!“
-
-„Augenblicklich -- sobald es Ihnen früher gefallen wird, mir das
-Papierchen, welches ich da Ihren hohen Händen präsentirte und was Sie
-so erschrecklich verarbeiten -- zu honoriren. Es macht 1500 Gulden! Auf
-Ehrenwort! Eine Kleinigkeit!“
-
-„Aber wenn ich sie besäße -- brauchte ich ja Deine 300 Dukaten nicht.“
-
-„Das ist gewiß; allein wie können Sie einem Geschäftsmanne zumuthen,
-Ihnen neuen Kredit zu geben -- da Sie Ihre alte Schuld bei ihm noch
-nicht getilgt haben...?“
-
-„Aber -- ich sagte Dir, bei allen Teufeln, zum hundertsten Male: ich
-habe kein Geld.“
-
-„-- Aber -- ich sagte Ihnen ebenfalls schon hundert Mal: Was nützt
-mir das? -- Sie brauchen Geld, Sie brauchen Geld! -- -- Ich, auf
-Ehrenwort! brauche auch Geld, mein gnädigster Herr Graf.“
-
-„-- Du hast dessen genug -- -- bei Dir wachsen die Banknoten in allen
-Winkeln.... bei mir fliegen sie zu allen Fenstern hinaus.“
-
-„Dies ist eben der Unterschied zwischen unsern Geschäften, mein
-Gnädigster. Auf Ehrenwort!“
-
-„Lips!“ schrie Edmund: „bringe mich nicht zur Verzweiflung. Bei Gott,
-ich lasse Dich zur Thür hinauswerfen. --“
-
-„Wie es Euer Gnaden gefällt!“ lächelte dieser und schwang seine Keule.
--- „Aber“ fuhr er fort, „bedenken Sie, daß, wenn Sie mich zur Thür
-hinauswerfen lassen -- die 300 Dukaten darum noch nicht zur Thür herein
-spaziert kommen... Auf mein Ehrenwort!“
-
-„Hol’ Sie der Satan mit Ihrem Ehrenwort! Mißbrauchen Sie diesen
-Ausdruck nicht, der nur Ehrenmännern ziemt... und schaffen Sie lieber
-das Geld herbei!“
-
-„Auf Ehrenwort, Gnädigster -- ich kann nicht anders --“
-
-„Als --?“
-
-„Als -- wenn Sie, wie ich gesagt habe, zuvor das alte Papierchen
-bezahlt haben...“
-
-„Sind Sie denn taub, Verdammter Lips? Habe ich denn nicht schon so laut
-wie ein Löwe gebrüllt: +ich habe kein Geld! ich habe kein Geld!+
---“
-
-„Auf Ehrenwort, das ist schlimm! Auf Ehrenwort!“
-
-„Endlich -- zum letzten Male: Geld! oder packen Sie sich im Augenblick
-aus meinen Augen fort -- elender Wucherer! Seelenverkäufer!“
-
-„Auf Ehrenwort, das trifft mich nicht! -- Ich habe noch in meinem Leben
-keine Seele gekauft. Was soll ich mit diesem Artikel? -- Er ist nicht
-courant! -- Auf Ehrenwort, behalten Sie Ihre gnädige Seele -- und geben
-Sie mir lieber mein Geld....“
-
-Edmund ging mit raschen Schritten im Zimmer auf und nieder... er hatte
-tausend Mal Lust, den Spitzbuben zu erwürgen; aber damit half er weder
-sich noch seiner fatalen Lage. Er brauchte Geld, er brauchte 300
-Dukaten, keinen Pfennig weniger... Er hatte eine Schuld zu bezahlen,
-die morgen fällig war und welche nicht zur Wissenschaft seines Vaters
-gelangen durfte; denn wiewohl der alte General seinen Sohn liebte
--- so stand gleichwohl der Grundsatz bei ihm fest -- nicht einen
-Thaler an Edmunds Gläubiger zu bezahlen. Er wollte diesen dadurch vom
-Schuldenmachen abschrecken. Vergebliche Mühe! -- Ein junger Mensch wie
-dieser, den Verlockungen seiner Standesgenossen und Freunde -- dem
-Anbringen jener Blutigel, welche an dem Mark einer großen Stadt saugen,
-preisgegeben -- war von diesen Wegen nicht abzuhalten -- oder man hätte
-seiner ganzen Erziehung eine strengere Haltung, eine ernstere Richtung
-geben müssen, woran es jedoch im Hause des Generals gänzlich fehlte:
-er selbst mochte in seiner Jugend nicht die wenigsten tollen Streiche
-gemacht haben.
-
-Während Edmund so auf und ab lief, sah der biedere Herr Lips ihm ruhig
-zu. „Was soll das Alles heißen?“ sagte er achselzuckend: „Wozu rennen
-Sie so umher, Gnädiger! -- Auf Ehre, damit wird die Sache nicht besser
-werden.... Oder können Sie, wie Schillers Wallenstein, „+Dukaten aus
-dem Boden stampfen+?““
-
-Meister Lips war auch in der Literatur bewandert. Ja, ja -- dieser Mann
-konnte Alles. Er wußte aus seiner Waare immer drei und vierseitigen
-Nutzen zu ziehen. So pflegte er die +Bücher+, welche man bei ihm
-verkaufte,[E] zuerst selbst zu lesen, sodann verlieh er sie für Geld an
-Andere -- dann gab er sie seiner Tochter zum Lesen (sie war ein sehr
-gebildetes Fräulein und hieß +Philomela+) und endlich verkaufte er
-dieselben.
-
--- In diesem Augenblick sprang Edmund auf, lief nach einem Schranke,
-öffnete ihn und zog eine Pistole heraus. Mit grimmigem Tone schrie er:
-„Jetzt, nichtswürdiger Elender, wirst Du mir Geld geben -- oder beim
-Allmächtigen!“ Und hiermit legte er die Pistole nach ihm aus...
-
-Doch Lips war bei dem Manoeuver kein bloser Zuschauer geblieben.
-Flink wie der Wind hatte er seine Keule erhoben -- und an eine Feder
-gedrückt -- sogleich verwandelte sich diese bescheidene Keule zu
-einem allerliebsten Doppelgewehre, dessen Mündungen sich noch überdies
-trompetenförmig erweiterten (wie die alten Musketons), daß die Ladung
-(gewöhnlich bestehend aus einem Dutzend kleiner Kugeln) sich in die
-Höhe und Breite zerstreuen konnte und also ihren Gegenstand mehrfältig
-traf.
-
-Man muß gestehen, dieser Lips war ein Originalmensch.
-
-Als Edmund solche Demonstrationen sah, konnte er, so wüthend er war,
-das Lachen nicht halten. Die Pistole warf er auf den Tisch -- und ließ
-sich auf einen Stuhl nieder:
-
-„Aber zum Teufel!“ sagte er -- „Du bist ja eine wahre Festung, mein
-Freund Lips!..“
-
-„Das muß man bei dieser Zeit auch sein, in welcher man einen armen
-Teufel, wie Unsereins, seines ehrlichen Erwerbes nicht froh werden
-läßt.... Glauben Sie mir, gnädiger Herr, ich habe ein weiches Herz --
--- aber es hätte Ihnen nur noch eine Miene gekostet -- und ich hätte
-Sie zusammengepfeffert, wie ein Schock Lerchen. Auf Ehre!“
-
-„Aber -- dann wärest Du ja gehängt worden!“
-
-„Wer weiß. Ich hätte mich aus dem Hause so ungesehen hinaus gemacht,
-wie ungesehen ich mich hereingeschlichen habe.“
-
-„Jedoch man hätte Deinen Schuß gehört...“
-
-„Sie vergessen, daß mein Gewehr eine +Windbüchse+ ist...“
-
-„Spitzbube -- von einem Lips! Wer könnte Dir böse sein?“
-
-„Auf Ehre, während der Dauer dieser guten Meinung, die Sie jetzt für
-mich gefaßt haben -- könnten Sie mir schnell das Papierchen bezahlen...
-Gnädigster.“
-
-„Lips! Endlich höre mit Deinen Possen auf. Es ist Zeit, daß wir
-ernstlich in der Sache verfahren. Hinweg mit den Phrasen! Schenken wir
-uns gegenseitig reinen Wein ein. Ich habe keinen Groschen Geld und
-brauche 300 -- besser 400 Dukaten. -- Willst Du sie mir geben? Und was
-verlangst Du dafür?“
-
-Lips hatte sein Gewehr wieder maskirt; es war wieder die schlichte,
-alte, treue Keule -- -- er erhob den Kopf -- zog Stirne, Mund und
-die übrigen Theile des Gesichtes, soweit dies nämlich möglich war,
-in den Mittelpunkt des Gesichtes zusammen (man erinnere sich seiner
-eigentlichen Physiognomie!) und nachdem er zwei Mal mit den Lippen
-geschmatzt und im Ganzen zwei Minuten nachgedacht hatte -- versetzte er:
-
-„Sie wollen reinen Wein haben? Nun gut! -- Zuerst: ob ich Ihnen Geld
-gebe? -- Ja -- -- wenn nämlich zweitens: Sie mir das geben, was ich
-brauche.“
-
-„Und worin besteht dieses?“
-
-„In einer Verschreibung von lumpichten 4000 Gulden nebst den
-+gesetzmäßigen Zinsen+!... Ist Ihnen das recht, sollen Sie: 1tens
-augenblicklich die 300 Dukaten -- und 2tens sollen Sie Ihr altes
-Papierchen über die 1500 Gulden zurückhaben in beiden Originalen, mein
-Gnädigster. -- Dies nennt man einen brüderlichen Handel, auf Ehre!“
-
-Edmund besann sich nicht lange; so Etwas lag, bei einem Falle wie der
-gegenwärtige, nicht in seiner Art. Er +unterschrieb+ -- zerriß die
-alten Papiere und empfing das neue Geld.
-
-So endete diese Szene, nach welcher Meister Lips sich gehorsamst
-empfahl -- und durch eine Hinterthüre aus dem Palais schlich --
-begleitet von Edmund, der ihn die verborgensten Wege führte. --
-
-
-
-
-Elftes Kapitel.
-
-Die beiden Gatten und der Verdacht.
-
-
-Der Graf v. A--x hatte die Gewohnheit, sich nach dem Bureau, in welchem
-er arbeitete, zu Fuße zu begeben. Diese Sitte behielt er auch nach
-seiner Verheirathung bei, wiewohl jetzt seine Wohnung (wir wissen,
-daß sie sich in der Nähe des Augartens befand) von dem betreffenden
-Regierungsgebäude ziemlich entfernt lag. -- Aber der Weg dahin war
-größtentheils einsam, zum Theil sogar romantisch, denn Alexander wußte,
-indem er die Häuser vermied, ihn zwischen Gärten und Pflanzungen zu
-wählen -- und so stimmte er ganz zu seinem Gemüthe, das, wenn auch
-beglückt und froh, einen ernsten Grundzug niemals verläugnete.
-
-Eines Tages schritt der Graf wie gewöhnlich -- langsamen Schrittes in
-dieser Richtung seinem Ziele zu. Es war ein trüber nebeliger Tag und
-die Morgensonne -- die Zeit war 9 Uhr -- kämpfte ununterbrochen mit den
-Wolken, welche ihr den Weg zur geliebten Erde, auf welche sie täglich
-niedersteigt, zu verwehren strebten. -- Die Atmosphäre war schwer und
-drückend -- kein Lüftchen regte sich, und zudem befand man sich jetzt
-im höchsten Sommer: es läßt sich demnach begreifen, unter welcher Last
-die Brust eines düstern Melancholikers wie der Graf erseufzte....
-Ohnehin waren die letzteren Tage nicht so ganz voll gewesen des
-ungetrübten Glückes. -- Grillen, Launen, Mißtrauen beschleichen eine
-Seele wie diese dann eben am heftigsten, wenn sich dieselbe auf
-dem höchsten Gipfel der Freude befindet. Indeß hatten alle diese
-Anfechtungen eine unbestimmte Natur -- Alexander wußte nicht recht,
-gegen wen er eigentlich mißtrauisch sein sollte!... Am liebsten wäre er
-es gegen den theuersten Gegenstand seines Herzens gewesen -- wenn er an
-diesem nur, selbst bei der schärfsten mikroskopischen Untersuchung,
-den geringsten Makel hätte entdecken können...
-
-Aber so ist jene versteckt glühende, rasende, melancholische Liebe. Sie
-fürchtet, das Geliebte zu verlieren -- und tödtet es lieber mitten im
-Taumel der höchsten Seligkeit, an welcher so eben Beide Theil genommen.
---
-
-Alexander ließ sich auf Gängen, wie der, welchen wir so eben berühren,
-von Niemanden begleiten, selbst nicht von einem Diener, und wie sehr
-Cölestine ihn auch bat und beschwor, von dieser Sitte abzulassen, da
-ihm ja so leicht einmal ein Unfall widerfahren könnte, wo er dann
-Niemand an seiner Seite haben würde -- so ließ er doch nicht ab.
-Zärtlich sprach er zu ihr: „Ich bin ja nicht allein, mein theures Weib!
--- Begleitest doch Du mich im Geist und in der Seele überall, wo ich
-auch gehen oder stehen mag.“ Um dieser Zärtlichkeit willen ließ sie ihn
-endlich doch gewähren -- -- aber sie sendete, ohne daß er’s wußte, ihm
-zeitweise einen ihrer treuen Diener nach, der ihm in der Ferne folgen
-mußte. -- Heute hatte sie es unterlassen. --
-
-Wie Alexander nun hinwandelte, fing er an, immer mehr und mehr seine
-Schritte zu verkürzen; zuletzt blieb er stehen. Er war im tiefen
-Nachdenken verloren. Ohne daß er’s wußte, stand er schon länger als
-eine Viertelstunde auf demselben Fleck, die Arme verschränkt, den Kopf
-auf die Brust gesenkt. -- Mit einem Male jedoch fuhr er auf -- über
-seine trübe Miene zog, wie Sonnenschein, eine freundliche Helle, der
-ganze Körper strebte leicht und jugendfroh zur Höhe, die Lippen aber
-murmelten: „Nein! nein! -- Ich will mir die Süße des Lebens nicht
-verbittern -- durch unsinnige Betrachtungen! -- Bin ich nicht glücklich
--- so ist es die ganze Menschheit nicht! denn wer unter allen Männern
-besitzt ein Weib wie Cölestine? -- -- -- Ach!“ fuhr er fort und seine
-Stimme nahm den Ton tiefer Rührung an: „Vergib mir, theure Gattin! Ich
-habe an Dir ein Verbrechen begangen. Du bist rein wie ein Engel und
-gütig wie eine Heilige -- und doch konnten meine Gedanken, meine tollen
-Einfälle Dich beflecken! -- -- Ich verdiene Dich nicht! Ach -- und doch
-liebe ich Dich so sehr! --“ Und er beflügelte jetzt seine Schritte
--- die nicht mehr ihm zu gehören schienen, sondern einem Jüngling von
-sechzehn Jahren...
-
-Er hatte jetzt einen Hohlweg, dessen obere Flächen mit Wald bewachsen
-waren, durchschritten -- rechts neben dem Ausgange stand ein Gesträuch,
-an welches dann später wieder Wald gränzte. -- In dem Augenblick, wo
-Alexander dieses Gesträuch erreichte, ganz Lust und Freude im Gemüth
--- -- hörte er in der Nähe ein Knistern, welches aus dem Dickicht zu
-kommen schien. -- Bald zeigte sich ihm der Kopf eines unbekannten
-Menschen; von der übrigen Gestalt aber war nichts zu sehen, sie war
-gänzlich hinter der Pflanzung verborgen. Dieses Gesicht nun, welches so
-plötzlich und unheimlich auftauchte, war mit einem dichten Bartwuchse
-bedeckt und überdies noch von einem großen Hute so stark beschattet,
-daß man von seinen Zügen wenig zu entdecken vermochte. Es konnte einem
-Bettler, einem Hirten, einem Bauer und auch einem Räuber gehören --
-wiewohl es der Letzteren auf dem gegenwärtigen Stück Erde nicht eben
-viel geben mag.
-
-Alexander, überrascht, rief den Menschen an. -- Dieser begnügte sich
-damit, den Grafen mit einem unbeschreiblichen Blicke zu betrachten.
-
-„Wer bist Du und was willst Du, Bursche?“ rief Alexander zum zweiten
-Male, zugleich ging er fest und kalt, wie es seine Art mit sich
-brachte, auf ihn zu....
-
-„Halt!“ rief dieser jetzt -- „keinen Schritt weiter!.. oder Sie haben
-sich unnöthige Mühe gegeben und erfahren nichts, -- während ich jetzt
-im Begriffe stehe, Ihnen eine für Sie wichtige Nachricht zu ertheilen.
---“
-
-Diese Szene paßte so ziemlich in eine komische Räuberaffaire, welche
-man auf den Theatern, wohl auch in der Wirklichkeit, zu sehen bekommt.
-Dessenungeachtet brachte sie den Grafen nicht zum Lachen; im Gegentheil
-seine Neugierde ward durch deren Seltsamkeit auf’s lebhafteste erregt,
-so daß er unwillkührlich dem Verlangen des Fremden nachgab und den
-Fuß nicht weiter setzte. -- Aber er schärfte seinen Blick und suchte
-die Hülle seines Gegners zu durchdringen -- woran er jedoch sogleich
-scheiterte, denn der Fremde bedeckte nun auch mit seinem Arme das
-Gesicht, gleichsam als hätte er die Absicht des Grafen errathen.
-
-„Nun!“ rief dieser ungeduldig: „was hast Du mir zu sagen, Unbekannter!
--- Oder sollte das Ganze nur ein Scherz sein, den Du Dir mit mir
-erlaubst? -- Möglich auch, daß Du nicht völlig bei Sinnen bist...“
-
-„In der Welt, mein verehrter Herr“ antwortete der Mann mit einer
-tiefen Stimme: „ist Alles möglich; dieß habe ich erfahren. So ist
-es zum Beispiel möglich, daß ein Weib unter ihren Anbetern gerade
-denjenigen glücklich macht -- der von diesem Glücke am allerwenigsten
-einen Begriff hat. Sodann ist noch folgendes möglich: dasselbe Weib,
-welches den Ersten vermöge einer augenblicklichen +Laune+ wählte
--- entledigt sich desselben wieder, sobald jene Laune vorbei ist....
-und sucht sich einen Andern, gleichfalls aus Laune.... Das Alles ist
-möglich, mein verehrter Herr -- und dieß ist zugleich das Ganze, was
-ich Ihnen sagen wollte!“
-
-Kaum verklang das letzte Wort, als der Kopf des Unbekannten
-verschwunden war; -- man hörte nur noch folgende Worte: „Nehmen Sie
-sich vor einem glänzenden jungen Herrn in Acht!“ Dann knisterte es noch
-in den Zweigen, bald hörte auch dieß auf und Alles war still. Der Graf
-aber stand da, wie von einer furchtbaren Macht festgebannt -- er konnte
-kein Glied bewegen und glich im ersten Augenblicke vollkommen einer
-Statue. -- Endlich ermannte er sich und rief dem Verschwundenen nach:
-„Halt! halt! Noch ein Wort!“ -- Umsonst! von diesem war längst nichts
-mehr zu sehen, nichts mehr zu hören.
-
-Alexanders ganzes Wesen verfinsterte sich und schien zu erstarren.
-Seltsame Gedanken wütheten in seiner Seele. Was hatten jene Worte
-zu bedeuten? Standen sie in irgend einer Verbindung mit ihm, mit
-Alexander? -- Das mußten sie; sonst hätte der Unbekannte sie nicht ihm
-zugerufen.... Aber vielleicht war es wirklich nur Scherz, vielleicht
-Wahnsinn! -- -- Ach, hatte Jener denn nicht gesagt:
-
-„Ich stehe im Begriffe, +Ihnen+ eine wichtige Nachricht zu
-ertheilen!“? --
-
-Es war nicht länger zu zweifeln, diese Nachricht betraf das innerste
-Leben Alexanders -- das seines Hauses und seines Glückes: seines
-Weibes! mußte er hinzusetzen, um sich selbst zu verstehen.
-
-Wie der Zahn einer Hyäne nagte diese Idee an dem Herzen des
-Unglücklichen, der es vom jetzigen Augenblicke an auch wirklich ward.
-Er stürzte weg von dem Orte des Schreckens -- als fürchtete er, daß
-aus dem Gesträuche noch mehrere solche Gedanken-Bestien auf ihn
-hervorbrechen könnten... er rannte in wilder Eile auf dem Wege fort: ob
-es der rechte war oder nicht, er wußte nichts davon, es kümmerte ihn
-auch wenig. --
-
-So war er über eine Stunde gelaufen -- ohne daß diese ihm länger als
-ein Augenblick vorgekommen wäre. Jetzt schlug er die Augen auf und
-fand sich in einer ihm ganz unbekannten Gegend. Doch mußte es fern
-von der Stadt sein, denn ihn umgab hier Wald und rauhe Wildniß. --
-Diese Landschaft war ihm willkommen; diese tiefe Einsamkeit that ihm
-noth und er eilte, von ihr Gebrauch zu machen. Er warf sich in eine
-Vertiefung des Bodens nieder, rings herum standen Büsche und Sträucher
-so dicht, daß sein Blick sie nicht zu durchdringen vermochte.... Sein
-Lager war jenes alte vorjährige Laub, welches um diese Zeit bereits in
-Fäulniß übergeht und den natürlichen Dünger des Waldes bildet. -- Was
-kümmerte ihn das -- er achtete der Feuchtigkeit und des Moderduftes
-nicht, welche sich unter ihm verbreiteten.... er sah sich von Insekten
-umschwirrt, von Kröten umhüpft -- er achtete nicht darauf;... in der
-Nähe seines Hauptes raschelte und zischelte es im Grase -- vielleicht
-war es eine Schlange -- auch darauf achtete er nicht; ja selbst als
-eines jener häßlichen Thiere, die in feuchten und moderigen Plätzen
-wohnen, als eine graue Wasserratte bei ihm vorbeilief -- durchzuckte
-weder Ekel noch eine andere Empfindung seinen Körper....
-
-Er schien für die äußere Welt gänzlich erstorben -- und versenkte sich
-nur tief und tiefer in den Feuerpfuhl, der in seiner Seele glühte...
-
-„So ist sie also falsch?!“ sagte er, ohne zu wissen, daß dieser Gedanke
-sich auf seinen Lippen belebt hatte... „Sie ist treulos,“ fuhr er fort:
-„ich habe es ja geahnt! -- Ich kann nicht glücklich sein! das hätte
-ich wissen und mich darnach benehmen sollen. Ach! habe ich es denn
-nicht gewußt -- daß in dem Garten dieser Welt für mich die Rose der
-Liebe nicht blüht? Vielleicht blüht sie auch für keinen Andern... und
-vielleicht ist das, was wir Weibesliebe und Weibertreue nennen, die
-größte Thorheit, der größte Unsinn, der je ausgesprochen wurde..... O!
-ich bin hinlänglich bestraft worden für meinen Vorwitz. -- Habe ich mir
-nicht schon einmal den scharfen Dorn in den Fuß getreten?... mußt’ ich
-noch ein Mal auf diesem Pfade wandeln? -- Freilich jenes erste Mädchen
-habe ich verkannt -- an ihrem Sterbebette enthüllte sich die Reinheit
-ihrer Seele mir! -- Aber -- konnte ich mich nicht auch hier getäuscht
-haben? -- und ist vielleicht nicht gar diese Sterbende mit einer Lüge
-aus der Welt gegangen? -- Wer will mir das bestimmen? Fälle solcher Art
-sind schon vorgekommen! -- zu Hunderten; zu Tausenden da gewesen! -- --
---“
-
-Er verstummte. Plötzlich schrie er wieder auf: „Welcher Gedanke
-entsteht da in meiner Seele? -- Seit ungefähr vierzehn Tagen besucht
-jener Chevalier de Marsan, von welchem man so Fabelhaftes erzählt,
-mein Haus fast Tag um Tag. +Seine Ruhe und Stille ist mir
-aufgefallen!+ -- Sagte man mir denn nicht, dieser Mensch sei ein
-Phänomen im Weltleben; das Leben der Welt aber ist regsam und laut. --
--- O, meine vertrauende Seele, wohin hast Du mich geführt?!.. Jetzt,
-jetzt erst fällt mir ein, daß Marsan bis jetzt weder mit mir, noch
-mit meiner Frau gesprochen hat. Was fesselt ihn also so sehr an unser
-Haus? -- Doch nicht eine fremde Person, die er hier stets antrifft?...
-Allein, auch das wäre möglich! -- -- Aber +möglich+! Was nützt mir
-dies Wort? -- Möglich ist Alles. O mein Gott, ich muß +Gewißheit+
-haben. --“
-
-„Und ist es -- der Chevalier nicht, ist es vielleicht ein Anderer!
-denn jene Worte drückten es ja deutlich aus: Nehmen Sie sich vor einem
-glänzenden jungen Manne in Acht! -- Aber o Gott! -- könnte der Elende,
-der sie mir zuraunte -- könnte er mich nicht betrogen, oder konnte
-er sich nicht auch in mir geirrt haben? -- Welche Thorheit, welches
-Verbrechen, einem Menschen, den man nicht kennt, und welcher ganz so
-aussieht wie ein Schurke, zu vertrauen??........... Ach! Ach! reißt
-mir erst den Pfeil des Verdachts aus der Brust.... bis dahin kann ich
-nichts Anderes thun, als: fürchten, argwöhnen, beben, zittern und --
-glauben!! -- --“
-
-Erst zu später Tageszeit verließ Alexander diesen Wald und fand sich
-endlich mit dem Wege zurecht. Er ging nun nach Hause, in der Absicht,
-sich in sein Zimmer zu begeben und darin bis zum Morgen eingeschlossen
-zu bleiben; denn es war bereits dunkel geworden.
-
-Für den Eifersüchtigen, für den Unglücklichen ist es eine Wollust,
-sich in seinen Schmerz zu vergraben -- in den Wunden seiner Seele zu
-wühlen, und er hört damit oft nicht eher auf, als bis er unter dieser
-wahnsinnigen Selbstqual den Geist aushaucht.
-
-Doch blieb Alexander nicht lange allein; man hatte ihn in das Haus
-treten sehen und es Cölestinen gemeldet. Diese, in qualvoller Angst
-wegen der Abwesenheit ihres Gatten, eilte auf den Flügeln der Liebe zu
-ihm -- -- ach, wie erschrak sie, ihn in diesem Zustande zu finden!
-
-„O mein Gott!“ schrie sie auf und stürzte an seine Brust: „Was ist mit
-Dir geschehen, Alexander? -- Wo bist Du gewesen? -- Welcher Unfall
-hat Dich getroffen? -- Rede, rede, um Himmelswillen, befreie mich von
-meiner Angst!“
-
-Er hatte sich in einem frühern Augenblick vorgenommen, ihr +Alles+
-zu sagen; in einem nächsten faßte er den Vorsatz, ihr +Nichts+
-wissen zu lassen -- d. h. ihr mit kalter Ruhe, unter welcher tiefer
-Abscheu lag, zu begegnen....
-
-Jetzt, in dem gegenwärtigen Augenblicke faßte er einen dritten
-Entschluß: +er wollte heucheln, um sie auf die Probe zu stellen!+
-
-Es gelang ihm in sehr kurzer Frist, ein so heiteres Lächeln auf seine
-Lippen zu zaubern, daß Cölestine freudig aufathmete und ihn mit dem
-Ruf: „So darf ich also ruhig sein!“ umarmte; „doch sprich,“ setzte
-sie hinzu -- „was ist das heute gewesen? Beruhige mich vollständig,
-denn irgend etwas Ungewöhnliches muß dennoch mit Deinem Ausbleiben
-zusammenhängen.“
-
-„Nichts, nichts, meine theure Cölestine!“ versetzte er: „nichts --
-oder nur sehr wenig. Mich hatte, als ich das Haus verließ, um nach dem
-Bureau zu gehen, auf einem Umwege, welchen ich nahm -- eine leichte
-Unpäßlichkeit überfallen, und da ich glaubte, dieselbe würde bald
-vergehen, trat ich in ein nicht weit von dem Orte stehendes Gasthaus
--- wo ich mir ein Zimmer öffnen ließ, um daselbst etwas Stärkendes zu
-mir zu nehmen; denn, wie Du weißt, ich habe heute nicht gefrühstückt.
--- Doch zum Unglück verlief mein Zustand nicht so schnell, als ich
-erwartete -- ich mußte mich auf eine Ruhebank hinstrecken und blieb da
-so lange liegen, bis ich wieder hinlängliche Kräfte gesammelt hatte, um
-den Rückweg nach Hause anzutreten. --“
-
-„Aber mein Gott,“ versetzte die Gattin und Thränen traten ihr in die
-Augen: „warum hast Du mir davon nichts wissen lassen? Ich wäre mit dem
-Eifer der Liebe zu Dir geeilt, und hätte Dich gepflegt.... Mindestens
-hättest Du Dich ja in einem Miethwagen nach Hause können bringen
-lassen. -- --“
-
-„-- -- Es war mir jedoch darum zu thun, Dir jede Unruhe zu ersparen,
-theure Geliebte!“
-
-„+Jede?!+ Unruhe wolltest Du mir ersparen? -- O das hat Dein Herz
-nicht gesprochen, Alexander. Weißt Du denn nicht, daß ich es für
-meine Pflicht halte, Leid und Freude mit Dir zu theilen -- und daß
-diese Pflicht mir Lust ist?.. Und dann, könntest Du glauben, Deine
-lange Abwesenheit, Dein Wegbleiben zur gewöhnlichen Zeit hätte mich
-nicht doppelter Unruhe, der Unruhe und Qual der +Ungewißheit+!
-preisgegeben?..... Geh doch -- -- abscheulicher Mann! Böser, böser
-Alexander! Welche Angst, welche Sorge habe ich um Dich ausgestanden!“
-
-Er sah sie mit einem Blicke an, der sie bis in dem tiefsten Winkel der
-Seele ausholen sollte, und fragte mit halblauter Stimme: „Wirklich hast
-Du das?“
-
-„Nun!“ erwiederte Cölestine arglos: „und Du zweifelst noch? Du willst
-es mir am Ende nicht einmal glauben? -- Wahrhaftig -- Du schlimmer
-Mensch, wäre in diesem Augenblick freudigen Wiedersehens die Zeit dazu
--- ich würde sie Dir recht fühlen lassen, diese Worte, welche Du so
-eben gesprochen; doch hat Dein Herz sicherlich keinen Antheil daran. --“
-
-„Sicherlich -- nein!“ erwiederte er mit heiterer Miene und nahm die
-Beweise ihrer Zärtlichkeit, mit denen sie ihn überschüttete, wie ein
-glücklicher, wie ein froher Mann hin.
-
-Und doch war dieser Mann im Grunde seiner Seele so unglücklich, so
-kummervoll.
-
-Aber das ist eben die Natur des Eifersüchtigen, daß seine entsetzliche
-Leidenschaft, einmal erregt, durch nichts zu stillen ist -- als durch
-die Macht der Zeit. Der größte Beweis von Liebe überzeugt ihn nicht
--- er sieht, wie der Fieberkranke, Alles blutroth und schwarz --
-selbst die reinste Lilie erscheint ihm ihres jungfräulichen Schmuckes
-entkleidet als dunkle Todesblume. -- Die Eifersucht ist ein niederer
-Grad von Wahnsinn, der jedoch bisweilen zum höchsten führen kann.
-
-„Nun aber“ sagte Cölestine, als sie ihren Mann sich aufrichten und an
-ihrer Seite Platz nehmen sah: „will ich Deiner Gegenwart mich auch
-in doppeltem Maße erfreuen. Du warst einen ganzen Tag nicht bei mir
--- ich will jetzt in einer Stunde so viel Glück zu erwerben suchen,
-wie sonst in dreien; und es wird mir auch gelingen, denn ist Dein
-Herz nicht reich und ist es das meine etwa weniger? O wir dürfen ja
-nur mit beiden Händen zulangen -- das Füllhorn unserer Freude ist
-unerschöpflich! Meinst Du dies nicht auch, Alexander?“
-
-„Gewiß, gewiß, mein holdes Weib! -- Und so bist Du denn meiner
-Wiederkunft, wie ich sehe, recht inniglich froh! Ja, ja -- ich begreife
-es, wie Du während meiner Abwesenheit Dich in Sehnsucht nach mir
-verzehrt haben wirst -- ich kann mir Deine Seufzer, Deine Thränen so
-lebhaft vorstellen! --“
-
-„Du kannst es -- Alexander? -- Und doch hast Du sie -- ich möchte
-sagen -- muthwilliger Weise hervorgerufen; denn eine Zeile, die Du mir
-geschrieben -- ein Wort, das Du mir hättest sagen lassen, würden mich
-beruhigt, dieses Fürchten, diese Angst von mir gebannt haben. -- Ach,
-es ist nicht schön, eine Gattin, welche Dich so zärtlich liebt, zu
-quälen.... es ist nicht schön....“
-
-„Es ist nicht schön -- Du hast Recht.“
-
-„Nun, wenn Du es nur selbst zugibst! -- Doch Alles das ist ja vorbei,
-und so reden wir nicht mehr davon. Ach gewiß, mein Geliebter -- der
-gütige Schöpfer hat auch den Schmerz zu unserem Glück erschaffen. Wir
-empfinden nach ihm die Freude um so inniger. -- Und überdies, welches
-Herz vermag unausgesetzt Wonne zu ertragen? Es erlahmt, es sinkt dahin
-unter ihrer Last.“
-
-„Eine richtige Bemerkung,“ entgegnete der Mann mit bitterem Lächeln:
-„und darum wurde von der Natur die -- +Abwechslung+ erschaffen.“
-
-Sie hatte weder in seine Mienen geblickt noch den Ton seiner Stimme
-abgewogen. Sie schien so selig, so zufrieden -- -- in ihrer Brust war
-für nichts Anderes Raum. --
-
-Sein Blick lief jetzt auf ihre ganze Gestalt umher. Er bemerkte zuerst,
-daß Cölestine nicht das gewöhnliche Deshabillé, welches sie sonst
-zu Hause trug, und das er so sehr liebte -- sondern ein elegantes
-Gesellschaftskleid angezogen habe.
-
-An diesem Strohhalm hielt er zuerst sich fest. --
-
-Er sprach noch über Dies und Jenes, dann leitete er die Unterhaltung
-so, daß er unvermerkt die Frage stellen konnte: weßhalb Cölestine
-gesellschaftsmäßig gekleidet sei. --
-
-„Weßhalb?“ -- wiederholte sie: „Ach, in der That -- wenn ich Dir einen
-Grund angeben soll, ich weiß keinen. Es ist dies eins von den neuen
-Kleidern, welche ich neulich bestellt habe.... Da ich den ganzen Tag
-über nichts Anderes zu thun hatte und um mich von den bösen Gedanken
-wegen Deiner Abwesenheit zu befreien, machte ich mir mit meiner
-Garderobe zu schaffen: ich zog ein Kleid um’s andere an -- -- und
-dachte bei mir: in welchem würde ich ihm wohl, wenn er nach Hause
-kommt, am besten gefallen? Da fiel meine Wahl auf dieses da -- und
-darum stecke ich noch in demselben -- wiewohl es mir sehr unbequem ist
-und mich hindert, Dich tausendmal zu umarmen.“
-
-Alexander blieb nach dieser Erklärung stumm und senkte den Blick.
-Höllischere Argwohnsflammen hatten aus demselben heute noch nicht
-gezüngelt.... Er glaubte seine Frau auf einer Lüge ertappt zu haben
--- ihre ganze Rede schien nichts als Widersprüche zu enthalten. Denn
-weßhalb hatte sie früher gesagt, daß sie den Tag in Angst und Sorge
-zubrachte -- da sie doch jetzt erklärte, sich mit ihren Kleidern
-unterhalten und ihrer Eitelkeit gedient zu haben. -- Ferner welche
-erbärmliche Unwahrheit lag darin versteckt, daß sie einmal vor
-Schwermuth und Verlangen nach seiner Wiederkehr fast vergangen sei --
-und gleich darauf sich die Frage gestellt habe: in welchem Kleide sie
-ihm bei seiner Ankunft wohl am besten gefallen möchte?
-
-Dieser Mann, der hier so vortrefflich philosophirt, glaubte seiner
-Geistesgröße nun dadurch die Krone aufzusetzen, daß er sich äußerlich
-von dem, was in ihm vorging, nicht das Geringste merken ließ. Von dem
-Augenblick, wo er gegen seine Gemahlin einen so wichtigen Beweis, wie
-den obigen, in Händen zu haben meinte, war er der Ueberzeugung, die
-Rolle, welche er zu spielen angefangen habe, sei vortrefflich gewählt,
--- und er werde unter ihrem Beistande dem Dinge nach und nach völlig
-auf den Grund kommen.
-
-Cölestine lud ihn ein, den Abend mit ihr im Garten zuzubringen, und er
-willigte sogleich mit der liebevollsten Freundlichkeit ein. Er bot ihr
-den Arm -- führte sie zuerst nach ihren Zimmern, wo sie das Salonkleid
-mit einem bequemeren vertauschte, dann warf sie einen Shawl um -- und
-nun schritten sie Beide hinab in den Garten. -- Sie zog ihn zuerst
-zu allen den Plätzen, die durch irgend eine Erinnerung an die erste
-Zeit ihrer Liebe geheiligt waren. Da traten sie hinein in die Lauben
--- in die Grotten -- da setzten sie sich hin auf die Rasensitze und
-Blumenplätze -- -- überall verweilten sie einige Augenblicke -- und als
-sie überall gewesen waren, fingen sie den süßen Erinnerungsgang wieder
-von Neuem an.
-
-Ach, wie erfinderisch ist wahre Liebe! Sie weiß in einen gewöhnlichen
-Schritt, in einen kurzen Spaziergang Welten voll Seligkeit zu legen....
-Sie weiß auf einer Scholle Erde ein Paradies erblühen zu lassen.
-
-Das Silberlicht des Mondes ergoß sich über den ganzen Garten und
-tauchte jedes Blatt und jedes Steinchen in ein Meer voll stillen
-Zauberscheins. Einem entzückten Auge, wie dem ihren, schien die ganze
-Welt jetzt eine höhere, eine mehr als irdische zu sein.
-
-+Ihrem+ Auge? -- Ja dem +ihren+, dem Auge Cölestinens...
-nicht dem seinen. Dieses sah nichts. Dieses sah nur eine gewöhnliche,
-schlechte, schändliche Welt. --
-
-Nach und nach fand er, unter dem Beistand der früheren, neue Gründe,
-die ihn in seinem Verdachte bestärkten -- er nahm sie als Beweise gegen
-sein Weib hin, wie er die früheren als solche genommen. -- Woher, sagte
-er zu sich -- diese Fröhlichkeit, diese lustige, diese muthwillige
-Fröhlichkeit? -- Jedenfalls ist es das erste Mal, daß ich Cölestinen
-+so+ sehe. Sie war heiter, zufrieden, wonnevoll; aber sie war noch
-niemals lustig und ausgelassen..... Und doch und doch! Damals gleich
-nach unserer Vermählung, auf dem Balle! -- -- Ah! ah! -- habe ich das
-so schnell vergessen? -- Aber jetzt fällt es mir dennoch wieder bei.
-Jetzt, jetzt, da ich es am besten brauchen kann. -- -- Und ich Thor
-ließ mich zu jener Zeit so schnell beruhigen, ließ mich von ihrer
-glatten Zunge beschwatzen. -- Ich Thor! -- Das war damals der Anfang --
-dieses jetzt ist die Fortsetzung.
-
-„War Niemand zum Besuche da?“ warf er später die Frage hin und erfuhr
-nun, daß +Edmund+ mit seinem Freunde dem +Chevalier von
-Marsan+ sich hatten anmelden lassen.... sie, Cölestine, jedoch habe
-ihren Besuch nicht angenommen und ein Unwohlsein vorgeschützt. --
-
-„Und diese zwei Herren gingen fort?“
-
-„Allerdings -- -- jedoch soll Edmund sehr ungehalten gewesen sein,
-nicht vorgelassen zu werden; nun Du kennst die Weise des Tollkopfes!“
-entgegnete sie.
-
-„Er wird es nicht allein gewesen sein, der ungehalten war;“ meinte der
-Ehemann bei sich: „vielleicht war Edmund nichts weiter, als das Echo
-seines Freundes -- -- das Organ, welches der innern Stimme Marsans
-Worte lieh.“ Und laut setzte er hinzu: „Diese beiden Herren besuchen
-uns in der That sehr fleißig.“
-
-„Findest Du das? -- Ich habe daran noch gar nicht gedacht. Ja in der
-That, Du hast Recht: sie waren in der letzten Woche mehrmals bei uns.“
-
-„Sie waren“ verbesserte er: „+alle Tage+ bei uns.“
-
-„Nun ja, gewiß, gewiß. -- Aber was liegt daran? Reden wir von andern
-Dingen, mein Freund...“
-
-„Und warum nicht von diesen -- meine Freundin?“
-
-„Wie? scheinen diese Dir von so großer Wichtigkeit?“ fragte sie und sah
-ihn dabei an.
-
-„Eine solche Frage“ meinte er bei sich: „hätte ich eher an sie stellen
-sollen -- -- indeß nicht als Frage -- sondern als -- Anklage. -- O bei
-Gott, diese Heuchlerin ist in ihrer Kunst erfahrener als ich glaubte.
--- Ach, ach, ein so junges Wesen und doch schon so verderbt! -- Aber
-liegt so Etwas nicht im Blute? -- Und ist es von ihr nicht bekannt, ja
-von ihrem ganzen Stamme -- daß sie insgesammt leichtsinnige, thörichte,
-eitle und gefallsüchtige Menschen sind? -- +Schlecht+ jedoch...
-ist nur diese da! Von ihren Verwandten habe ich noch niemals gehört,
-daß sie ein böses Herz besäßen.“
-
-„Du bist heute ungewöhnlich nachdenklich, Alexander!“ bemerkte
-Cölestine und fuhr nach einer Pause, in welcher sie vor sich
-hinblickte, fort: „Was fehlt Dir? Rede! Was hast Du, lieber Mann?“
-
-„Dies soll“ sagte er wieder zu sich: „das letzte Mal sein, daß ich
-ihr von meiner Gemüthsbewegung etwas merken ließ.... Hinfort mag ihr
-Blick nicht mehr durch diese äußere Hülle dringen, welche ich glatt,
-geschmeidig, lustig und so weltnärrisch als nur möglich machen will.
---“ Und von dem gegenwärtigen Momente an seiner Gestalt, seinen Reden,
-seinem Benehmen einen Schein der natürlichen Heiterkeit gebend -- fing
-er an mit ihr nur mehr von Liebe und Lust, von Welt und Thorheit zu
-sprechen, Tändeleien zu treiben -- -- u. s. w. -- Sie spielten wieder
-wie die Kinder, hüpften und tanzten im Garten umher, so daß der alte
-Mond gar satirisch d’rein sah.
-
-Es war, als hätten sie Raum und besonders -- Zeit vergessen... denn
-Mitternacht war bereits vorüber; doch
-
- „die Uhr schlägt keinem Glücklichen!“
-
-Endlich ließ Alexander matt und müde sich auf einen Ruhesitz nieder und
-zog sie, die Lachende, neben sich: „Was meinst Du,“ sagte er -- „werden
-wir hier bis zum Morgen bleiben?“
-
-„Ich hätte“ versetzte sie ausgelassen: „große Lust dazu.“
-
-„Ich --“ meinte er sehr aufrichtig -- „nicht!“
-
-„Und weßhalb nicht?“
-
-„Weil -- -- -- wie Du weißt, ich mich leicht erkälte.“
-
-„Aufrichtig, mein Freund, davon hast Du mir bisher noch nichts gesagt.“
-
-„Wozu sollte ich Dich mit dergleichen belästigen. Kommen diese Dinge
-heran, so ist es noch immer Zeit genug, sie beim Namen zu nennen.“
-
-„Nun ja; dann aber will ich Dich auch keinen Augenblick länger der
-Nachtluft ausgesetzt sehen -- Alexander. -- Komm, komm -- laß uns
-hinauf gehen. Da, nimm meinen Shawl.“
-
-„Warum nicht gar! Ich würde darin schön aussehen.“
-
-„Wer sieht es denn? -- Es ist ja pechfinster. Nun denn, sei nicht eitel
--- und folge meinem Rathe.... siehst Du, so will ich Dich einhüllen --
-so --“ Sie war im Begriffe, ihm den Shawl um den Hals zu wickeln; er
-ließ es jedoch nicht geschehen...
-
-„Behalte, was Du mitgebracht hast, für Dich; Du bist dessen eben so
-bedürftig wie ich.... und lass’ uns lieber die Schritte beschleunigen,
-so werde ich nichts zu fürchten haben.“ Er hüllte nun sie in den Shawl
-ein, gab ihr den Arm, zog sie dicht an sich, und eilte mit ihr raschen
-Schrittes aus dem Garten in ihre Wohnung.
-
-Sie langten im Schlafzimmer an, wo eine große Kugellampe ihren
-milchweißen Schein auf alle Gegenstände warf. Als der Graf diese
-Zeugen ihrer ersten beiderseitigen Zärtlichkeit, ihres ersten
-Liebesschwures, den er ihr, den sie ihm feierlicher leistete, als dies
-am Altare geschehen war, gewahrte -- als sein Blick auf die Stätte
-fiel, wo sich ihre Arme so heiß, so brünstig, so selig in einander
-verschlungen hatten... da konnte er einen leisen Schauer, der seine
-Glieder schmerzlich und wild durchzog, -- nicht unterdrücken. -- Aber
-seine Selbstbeherrschung kehrte rasch zurück und er erwiederte auf die
-Frage, welche sie mit süßgeschämiger Stimme und begleitet vom feuchten
-Liebesblick, ihm zulispelte: „Du wirst mich nicht verlassen, mein
-Geliebter?“
-
-„Nein, ich bleibe bei Dir, meine holde Seele.“ Er sprach es mit dem
-Tone glückseliger Uebereinstimmung aus.
-
-Ach, wie viel hatten sie sich jetzt noch zu sagen, zu erzählen....
-Die Liebe, die Leidenschaft ist nicht stumm, wie man glaubt -- sie
-ist beredsam und phantasievoll wie ein Dichter. Jene einsilbige Liebe
-gehört den Kindern und den schüchternen Jungfrauen an.
-
-Eine glühende Stunde war vergangen.
-
-„Wirst Du mich immer so lieben?“ fragte das beglückte Weib.
-
-„Immer, ewig; und Du?“ flüsterte er.
-
-Hierauf konnte sie nur mit einem Kusse, der ihre Seele in seine Brust
-hinüberzuhauchen schien, antworten....
-
-„Und -- --“ sagte sie mit vor Angst zitternder Stimme: „hast Du nie
-einer Andern so angehört wie mir? Rede mir Wahrheit, Alexander!“
-
-„Nie! niemals!“ Er konnte dieses mit gutem Gewissen sagen.
-
-„Niemals --?-- auch vor Jahren, vor vielen Jahren nicht?“
-
-„Nein, nein. Aber wozu diese Fragen?“
-
-„Weil -- -- ich zu glücklich in Deinem Besitze bin, und ihn keiner
-Andern, wäre es selbst jene Todte -- Du weißt, welche ich meine --
-vergönne. O -- ich bin eifersüchtiger als Du wähnst!... Ich könnte es
-nicht ertragen, Dich mit einer Zweiten getheilt zu haben, zu theilen --
-oder -- --“
-
-„Oder?“ nahm sie wieder das Wort: -- „Es gibt hier kein Oder. -- Denn
-der Zukunft wirst Du mich doch hoffentlich nicht berauben, wenn Du
-mich auch willenlos um die Vergangenheit oder selbst um die Gegenwart
-betrogen hättest. Nicht wahr -- -- Du wirst mich nicht unglücklich,
-nicht elend, nicht verzweifeln machen, mein Mann?“
-
-„O nein, nein!“ rief er mit leidenschaftlichem Feuer aus, das sich in
-seinem ganzen Wesen verbreitet zu haben schien.
-
-„Herz meines Herzens! Seele meiner Seele! --“ lispelte sie, sich
-innigst an ihn schmiegend --: „O!“ seufzte sie: „möchte ich doch mein
-ganzes Leben in diese holdselige Stunde bergen -- oder möchte ich
-dieselbe zur Dauer meines ganzen Lebens ausdehnen können. -- Niemals,
-niemals noch war ich so glücklich!“
-
-
-
-
-Zwölftes Kapitel.
-
-Die Beweise der Untreue.
-
-
-Die Nacht mit ihren dunkelsten Fittigen umfing die Schläfer und ließ
-sie ein kurzes Vergessen ihres Daseins finden. Bald aber erschienen die
-Genien der Träume und flatterten mit kleinen Spiegelchen, in denen sich
-irgend ein Stück aus dem Leben der Schläfer abconterfeite, (oft sehr
-verworren und verkehrt) um deren Häupter herum.
-
-Cölestine träumte von ihrer Liebe -- ihr Mann von seinem Schmerze. Da
-fand er Alles wieder, wie er es gestern liegen gelassen: da war wieder
-der fremde Kopf -- da dröhnte dessen unheimliche Ermahnung -- da der
-Wald mit Schlangen und Salamandern -- dort Cölestine an ihrer Toilette
--- -- und hinter ihr, hinter ihr lauschte ein junger, schlanker,
-feiner Mann, dessen Antlitz man jedoch nicht sehen konnte...
-
-Mit schwerem Kopfe und noch schwererem Herzen erhob Alexander sich vom
-Lager, während seine Gattin noch schlief:
-
-„Diesen ruhigen, festen, tiefen Schlummer“ sprach er, sie anblickend,
-„hat nur ein reines Gewissen -- -- oder ein gänzlich verderbtes...“
-
-Dann trat er leise vom Lager weg und blickte überall umher im Gemache,
-welches er jetzt sich vornahm zu durchsuchen...: „Ich werde“ sprach er
-vor sich hin -- „ohne Zweifel auf Etwas stoßen, was mir Aufschluß geben
-oder mindestens als Faden in dem Labyrinthe dienen wird, worein ich
-gerathen bin.“
-
-Ein Dieb hätte es ihm nicht so geschickt nachthun können. Es schien,
-als wären seine Füße, als wäre sein Körper nicht von Fleisch und Blut:
-so leise, so luftig, so schattenhaft strich er in diesem Gemache
-umher. Er öffnete zuerst einige Kästchen und einen Schrank;.. hier
-fand er nichts als Dinge, die dahin gehören und mit denen man jedes
-Schlafgemach ausstattet.
-
-Er schritt sodann zu einem Tische und zog dessen Schubladen heraus.
-Er fand nichts. -- Er hob den Deckel ab -- auch hier nichts; -- er
-untersuchte die Winkel, Ritzen, ja selbst die Unterlage der Füße, wie
-er es früher bei dem Schranke gethan: nichts, nichts! --
-
-Jetzt trat er zu einem Repositorium, auf welchem einige Bücher standen.
-Zuerst prüfte er das Gestell, sodann bespionirte er die Bücher, Blatt
-für Blatt....
-
-Halt! hier fand er Etwas: einen Zettel mit den Zahlen: 58 -- 21 --
-333 -- und 578 -- --. Was war das? Sicherlich eine Chiffersprache. --
-Konnte es aber nichts Anderes sein? -- Und was hätte es sein sollen? --
-Mit der Lotterie machte seine Gemahlin sich niemals etwas zu thun...
-Also steckte hinter diesen Zahlen gewiß irgend ein verborgener Sinn,
-von dem man nicht haben wollte, daß er einem Andern bekannt werde. --
-
-Mit zitternden Fingern ergriff der Mann das Papier, faltete es und
-steckte es zu sich.... dann fuhr er mit seiner Nachsuchung fort.
-
-Unter dem Repositorium lag eine halbverwelkte Hortensie. Woher kam
-diese? Sie mußte erst gestern gepflückt worden sein -- -- aber gestern
-war ja Cölestine nicht im Garten gewesen, sie hatte sich mit ihrer
-Garderobe unterhalten. Freilich konnte sie sich eine Hortensie durch
-den Bedienten haben +holen+ lassen, denn in ihrem Garten gab es
-deren.... Aber das schien nicht wahrscheinlich, denn Cölestine pflegte
-sonst diese Blume nicht zu lieben.... Wie, wenn es ein Geschenk jenes
-eitel-glänzenden jungen Mannes wäre -- dessen sprechendes Bild diese
-reizende aber duftlose Blume war? Unwillkührlich mochte das Schicksal
-sie ihm in die Hand gespielt haben -- denn das Schicksal liebt solche
-Ironien. -- Indeß... so weit konnte die Vertraulichkeit der Beiden
-doch noch nicht reichen?! -- -- Ach, wer wird dies entscheiden wollen!
-Alles war möglich und das Schlimmste um so eher! -- -- Wie schön
-reimte sich Folgendes zu einander: Cölestine hatte gestern die Blume
-empfangen, (vielleicht ließ der Chevalier sie zufällig fallen) -- sie
-legte dieselbe an ihr Herz -- ganz dicht an’s Herz -- und dort blieb
-die Hortensie bis zum Augenblicke des Schlafengehens, wo sie unter die
-Bücher fiel. --
-
-Er steckte auch sie zu sich.
-
-Jetzt gab es in diesem Gemache nichts mehr zu untersuchen und
-unser Mann ging hinaus, um sein Geschäft in den andern Gemächern
-fortzusetzen... Da stand zuerst das Boudoir. -- Ach hier in den tausend
-Fächern, Büchsen, Dosen -- Schatullen und Kästchen -- hinter diesen
-tausend Decken, Vorhängen, Falten und Draperien -- -- unter diesen
-Kissen, Pölstern, Teppichen -- was konnte da nicht Alles versteckt
-werden? Alexander verzweifelte fast an dem Erfolge einer Untersuchung,
-die er hier anstellen sollte.... Er wußte nicht, wo er anzufangen
-habe.... Doch die Eifersucht weiß sich immer Rath zu schaffen; auch
-ermüdet sie niemals.
-
-Er hatte über eine halbe Stunde gearbeitet. Die Ausbeute davon bestand
-in einigen Ringen ohne großen Werth, von denen er jedoch bisher nichts
-gewußt -- -- dann in einer Locke von hellbraunem Haar, besonders
-sorgfältig in ein kleines Medaillon gelegt, welches man auf dem Herzen
-tragen kann... die Locke konnte wohl von Edmund sein -- aber sie
-konnte auch einem Andern gehören. -- Ferner: zwei Briefe folgenden
-Inhalts:
-
-„Ich habe sehr angelegentlich mit Dir zu sprechen und muß es noch
-heute. Bestimme der Ueberbringerin eine Stunde.“
-
-Kein Datum, keine Unterschrift.
-
-Das war sehr verdächtig; denn welcher ehrliche Mensch unterschreibt
-heutzutage ein Billet nicht? -- Es war freilich möglich, daß die Eile
-und der Umstand, daß Cölestine die Schriftzüge kannte, dies unnöthig
-gemacht habe, und unter diesen Verhältnissen konnte das Schreiben
-ebenfalls von Edmund sein.... Allein wer verbürgt diese Alternative? --
-
-Der andere Brief war länger und wo möglich noch verrätherischer. Er
-lautete:
-
-„Seit Deiner Verheirathung -- lebst Du für mich nicht mehr, meine
-geliebte Cölestine.... und doch ist es nicht denkbar, daß dieser Mann
-allein Dein Herz ausfüllen könnte. Hast Du meiner denn ganz und gar
-vergessen? -- So wisse, daß meine Seele fester als je an Dir hängt!
-Ach würde uns nicht das mächtigste Band unzertrennlich mit einander
-verknüpfen, wo Du auch sein magst, wo ich auch weilen möge: wahrlich,
-ich würde glauben, gänzlich aus Deinem Gedächtnisse ausgelöscht zu
-sein. Doch so ist dies nicht möglich! -- Magst Du es wollen oder nicht
--- wir gehören uns für immerdar an. Darin liegt mein süßer Trost. Leb’
-wohl -- ich werde Dich morgen küssen! --“
-
-Auch keine Unterschrift; doch schien sie hier wie +zufällig
-weggerissen+ zu sein.
-
-Von wem war dieser verliebte, eifersüchtige Brief? -- Es war nicht
-schwer zu errathen. -- Von einem älteren Liebhaber, der seine Ansprüche
-noch nicht aufgab. -- -- Diese Züge hatten so viele Aehnlichkeit mit
-einer Hand, welche Alexander schon irgendwo ein Mal gesehen! Aber wo?
--- Auch sie schienen sehr eilig hingeworfen.... Eben darum aber konnte
-man nichts mit Bestimmtheit annehmen....
-
-Der unglückliche Gatte glaubte nun einen +Beweis+ in Händen zu
-haben, einen Beweis, der weder zu deuten noch umzustürzen war.... Er
-suchte sich mit einer Art wollüstigen Wahnsinnes darin zu bestärken,
-daß hier nicht mehr gezweifelt werden könne -- ja mit demselben
-wollustvollen Wahnsinn sträubte er sich sogar gegen jede fremde
-Auslegung, gegen jede genauere Untersuchung... Er fürchtete sein
-Unglück zu schmälern! --
-
-Denn so ist der Mensch im Leiden. Ein riesiges, ein außerordentliches
-Weh erscheint ihm willkommener, als jene tausend kleinen Schmerzen und
-Unannehmlichkeiten des gewöhnlichen Lebens.... Es ist als ob im Kampfe
-mit dem Ersteren ein göttlicher Theil unserer Natur, der sonst schläft,
-erwachte, als ob ein höheres Bewußtsein in uns erstände, das uns unser
-schweres Unglück tragen hilft -- während wir hier allein unter der Last
-des Tages keuchen und niedersinken.
-
-Aus dem Boudoir begab er sich in das Arbeitszimmer seiner Frau. Welche
-Ausbeute hoffte er wieder hier nicht zu finden! -- Mit lautem Lachen,
-welches ein Fremder für den Ausbruch heiteren Frohsinns genommen hätte,
--- vergrub er sich hinter allen Möbeln, in allen Cartons, Körbchen
--- er stürzte Tische, Stühle um -- zerlegte ganze Schränke.... Ach
-was fand er da nicht Alles! Ihm erschien jetzt, so weit war es mit
-ihm schon gekommen -- eine Stickerei, die für einen Mann paßte, ein
-buntes Tuch -- ja ein Faden Seide zureichend.... um daran die möglichst
-bösartigen Auslegungen zu knüpfen. O wie jubelte er über seinen neuen
-Fund -- wie packte er ihn sorgfältig zu seinem übrigen Krame! --
-
-Jetzt betrat er einige Nebengemächer -- -- in einem fand er ein leeres
-Stück Papier, welches wie ein Briefumschlag gefaltet war, jedoch ohne
-auch nur einen Buchstaben, ohne ein Stückchen von einem Siegel zu
-enthalten. Was schadet das? -- sagte er zu sich. Man hat schon Briefe
-unter solchen Couverts abgesendet -- -- und überdies scheint dieses an
-der Stelle, wo sonst das Siegel aufgedrückt wird, durchstochen; ein
-Beweis, daß der Brief mit einer Stecknadel zusammengeheftet war. --
-Haha! Eine sehr beliebte Art bei Frauen...
-
-Ferner noch zwei wichtige Indicien! -- Im Gesellschaftssalon war auf
-einem Teppich -- die Spur eines männlichen Fußes abgedrückt -- und
-wiewohl sie eben so gut einem Bedienten, der herbeigerufen wurde, wie
-jedem andern Manne gehören konnte -- schloß unser Gatte dennoch:
-
-„Sie gehört einem Liebhaber!“
-
-Nahe am Fenster auf einem Stuhl lag ein Lorgnon seiner Frau. Was sollte
-hieraus sonst gefolgert werden, als: „sie sah durch das Fenster auf die
-Straße -- nach ihm -- nach dem Liebhaber....?“
-
-Mein Gott, dieser Graf hätte heute einem Tollhäusler zum Muster dienen
-können. Der albernste Einfall erschien ihm als die reinste Vernunft. Er
-mochte wohl recht stolz sein auf seine geistvollen Einfälle!
-
-Um die Zeit, da Cölestine das Schlafgemach zu verlassen pflegte, war
-er mit seiner Entdeckungsreise zu Ende. -- Er hörte jetzt ihre Tritte,
-die sich dem Zimmer, in welchem er, um auszuruhen, sich niedergelassen
-hatte, sich näherten -- und bald darauf trat sie ein. Alexander
-empfing sie mit einer Liebenswürdigkeit, welche meisterhaft gespielt
-sein sollte. Sie war es vielleicht auch -- Cölestine jedoch nahm sie
-für Wahrheit -- denn was sollte sie sonst -- nach einer Nacht, wie
-die vergangene? -- Das süße Weib fiel diesem Menschen, welcher einer
-kalten schönbemalten Bildsäule glich, mit ihren noch von Liebe heißen
-Armen um den Hals -- stumm, wortlos, stillbeglückt... Er seinerseits
-brach dies Schweigen auch nicht -- und so war es zuletzt an ihr, ihm
-die ersten Tagesgrüße zuzurufen: „Theurer Mann!“ sagte sie und sah ihn
-mit Blicken an, aus welchen Himmel strahlten: „Theurer, einziger Mann
--- wie lieb’ ich Dich! -- So bist Du heute wieder mein, wie Du gestern
-es gewesen! -- ja Du bist mein, ich fasse Dich, ich halte Dich in den
-Armen -- -- ewig, ewig werden sie Dich als ihr süßestes Eigenthum
-umklammern. -- Allein, sprich -- was hast Du schon Alles verrichtet?..
-warum mich so früh verlassen? -- Ach, ich Schläferin.... und ich fühlte
-Dich im Traume immer an meiner Seite! -- Da schlug ich die Augen auf:
--- da griff ich mit der Hand nach Dir -- da fühlte ich eine leere,
-kalte Stelle... und der holde Traum war entflohen... Ach warum hast
-Du mir das gethan? Welcher Seligkeit hast Du mich beraubt! Welches
-Verlangen brannte beim Erwachen in mir, an Deine Brust zu sinken!....
-Vergebens! vergebens! -- -- Da sprang ich auf, entfloh der treulosen
-Stätte, die mich um mein schönstes Glück gebracht -- -- ich lief Dir
-nach -- und so kam ich hierher... wo ich Glückliche Dich endlich wieder
-finde. --“
-
-Er gab sich ihren Liebkosungen bereitwillig hin -- ja er erwiederte
-dieselben zärtlich und warm; das arme Weib schien sich in Lust zu
-berauschen -- sie vergoß eine Fluth entzückter Thränen -- ihr weißer
-Busen wogte heftig, voll süßen Schmerzes -- voll wehmuthsvoller
-Zärtlichkeit.
-
-„Und nicht wahr,“ begann sie sich zu sammeln und trocknete mit ihrem
-Battisttuche, woran breite Spitzen hingen, die feuchten Augen, --
-„nicht wahr, mein Alexander, Du bleibst heute bei mir? Diesen Tag
-verlässest Du mich nicht? Du schenkst ihn ganz Deinem Weibe -- Deiner
-Liebe. -- Hast Du ihn mir doch gestern vom frühen Morgen zum späten
-Abend entzogen!... Nun, rede doch, mein geliebter Mann. Rede! Sprich:
-Ja! Hörst Du, Alexander!“
-
-„Theure Cölestine --“ antwortete er mit bebender Stimme und einem
-sonderbaren Blick, mit welchem er sie seit langer Zeit verstohlen
-anblickte, dieser Blick aber schien jetzt von Trauer umflort: --
-„Cölestine,“ wiederholte er: „ich weiß nicht, ob es bei mir steht,
-Deinen Wunsch zu erfüllen.... Du kennst die Verantwortung nicht, welche
-ich dadurch vor meinen Obern auf mich nehme....“
-
-Er schwieg, er vermochte nicht weiter zu reden. Die Wahrheit ist, daß
-zum ersten Male seit vier und zwanzig Stunden ein guter Engel ihm
-durch den Mund Cölestinens etwas zugeflüstert hatte, was sein Herz
-erschütterte. Er hatte, als er heute in ihr reines, spiegelklares Auge
-sah -- als er es so treu lächeln und weinen sah, wie nur Engel lächeln
-und weinen -- als er ihre Worte so voll süßen Klanges, voll Liebe und
-Wahrheit vernahm -- endlich als er diese so seligen Umarmungen --
-diesen so beflügelten Schlag ihres Herzens -- diese trunkenen Küsse
-fühlte: er hatte sich da gefragt: ist es möglich, daß dies Alles
-Verstellung sei? -- Und er hatte sich hierauf keine Antwort geben
-können. --
-
-Aber die Beweise, die Zeugnisse vom Gegentheil, die er in Händen hielt?
---
-
-Er befand sich in einer entsetzlichen Lage. Sein Herz fing an unter
-dem Andringen entgegengesetzter Gewalten zu seufzen. Es war jetzt ein
-Moment, wo er wünschte, daß dies Herz verbluten möchte....
-
-Da fiel ihm der Gedanke ein, die Hortensie aus seiner Tasche zu ziehen
-und sie Cölestinen zu zeigen: „Kennst Du diese Blume?“ rief er mit
-einem Tone, als fragte ein Verurtheilter: „Werde ich hingerichtet?“
-
-O Himmel! Eine Purpurröthe überzog plötzlich ihr Gesicht, das sich
-zitternd senkte.
-
-„Sie ist schuldig!“ sprach eine Donnerstimme in seiner Brust -- diese
-drohte zu zerreißen -- er fiel fast ohnmächtig um.
-
-Doch sein Stolz ließ ihn sich schon in den nächsten Augenblicken wieder
-emporreißen und von jetzt an ward er fest und hart wie Granit. Sie, die
-noch immer gesenkten Blickes vor ihm stand -- wußte nicht, was mit ihm
-vorging, und erst nachdem er, der jetzt wieder ruhig lächelte wie zuvor
--- mit seinen eigenen Händen ihr Haupt aufgerichtet hatte -- wagte sie
-es, ihm in’s Gesicht zu sehen -- und sie erblickte einen vollkommen
-gefaßten Mann, der mit liebreicher Stimme zu ihr sprach:
-
-„Nun, meine süße Taube, was ist mit Dir geschehen? Warum diese
-Ueberraschung? Was lag in meiner Frage wegen jener Blume, die jetzt
-hier auf dem Boden zu unseren Füßen liegt -- so Sonderbares? Du
-schienst erschreckt -- hätte ich dies voraussehen können, ich würde die
-Frage nicht gestellt haben.“
-
-Eine Pause entstand.
-
-„Du antwortest nicht?“ fuhr er fort: „Du hast mir nichts zu sagen. Ei,
-es ist so auch gut! Was liegt an der ganzen thörichten Blume? Reden wir
-nicht mehr von ihr.“
-
-„Ja, reden wir nicht mehr davon!“ wiederholte sie, abermals leicht
-erröthend: „Es ist eine Thorheit, eine Schwäche -- was Du sonst
-willst... Reden wir also nicht davon, geliebter Mann.“
-
-„Gehen wir“ begann er mit einem lustigen Tone: „zu wichtigeren Dingen
-über: _A propos_, was unsere Soirées, unsere _jours fix_
-betrifft, hast Du deshalb schon einen bestimmten Entschluß gefaßt? Wir
-müssen uns darüber endlich doch mit der Gesellschaft verständigen; sie
-ist über unsere Zögerung sehr ungehalten, wie ich vernommen habe. --
-Also an welchem Tage öffnest Du Deinen Salon den Leuten von gutem Ton?“
-
-„Ach, mein Freund“ sagte sie bittend: „reden wir jetzt nicht von diesen
-Dingen. Scheinen sie Dir denn wirklich so wichtig? -- Wie kommt das
-so plötzlich? -- Du warst sonst eher ein Feind Alles dessen, was sich
-hindernd zwischen unsere Liebe stellte. --“
-
-„Ich habe jedoch einsehen gelernt, daß ich in einer solchen Gesinnung
-nicht verbleiben kann. Man hat nicht allein gegen sich, man hat auch
-gegen die Welt Pflichten zu erfüllen... Und was die letztere betrifft,
-so gibt sie ihre Ansprüche an uns ebenfalls nicht auf. --“
-
-„Allerdings, und wir wollen ihr auch ihr Recht nicht vorenthalten
---.... aber nur heute, nur an diesem Tage, wo ich allein und ganz in
-Deinem Besitze leben und alles Andere vergessen möchte -- nur heute
-kein Wort mehr.“
-
-„Ach Du, mein Närrchen,“ lachte er -- „wie bist Du mit einemmale so
-kindisch und schwärmerisch geworden -- schwärmerischer als in den
-ersten Tagen unserer Liebe --! --“
-
-Das rauhe Wort hatte Cölestine verletzt. Ueber ihr freundliches
-Angesicht zog eine trübe Wolke -- und eine von den Thränen, die kaum
-erst versiegt waren -- perlte wieder an ihrer Wimper: „Du hast Recht!“
-sprach sie nach einer Weile eintönig, aber sanft: „Was Du verlangst,
-soll geschehen. Ich achte Deine Wünsche, so wie Du sie bisher bei mir
-geachtet hast. -- Noch heute will ich in Betreff unserer Gesellschaften
-einen bestimmten Plan entwerfen und ihn Dir vorlegen.“
-
-„Warum aber kann das nicht sofort geschehen? Es ist besser, man thut
-ein solches Geschäft rasch ab -- und da ich über diesen Gegenstand
-schon selber nachgedacht habe, so will ich Dir ohne Aufschub meine
-Ansichten mittheilen. --“
-
-„Ich höre Dich!“
-
-„Zuerst also ist meine Meinung, daß wir -- wie schon einmal berührt
-worden -- den +Sonnabend+ zu unserem _jour fix_ wählen;
-an diesem Tage wären dann Deine Salons für die ganze Gesellschaft
-offen...“
-
-„Wohl, mein Freund.“
-
-„Du empfängst alle Welt: Freunde, Bekannte und durch sie eingeführte
-Fremde. -- --“
-
-Der Bediente trat mit der Meldung ein, daß das Frühstück servirt sei.
-
-„Wir wollen es hier einnehmen -- in diesem Gemache, wenn Du damit
-zufrieden bist...“ bedeutete Alexander gegen seine Gemahlin.
-
-„Wie es Dir gefällt, mein Freund,“ entgegnete sie, und während man
-fortging, um das Nöthige herbeizuschaffen, fuhr er in seinem Gespräche
-fort:
-
-„Es ist einer meiner Lieblingsgedanken, unsern größern Cirkel so
-glänzend und zahlreich als möglich zu machen und deßhalb möchte
-ich Dir vorschlagen -- besonders die ausgezeichneteren Fremden
-herbeizuziehen... Personen, wie z. B. die so eben in der Residenz
-anwesenden Grafen Orlowosky aus Petersburg -- die Vicomtesse Defour,
-die aus den Bädern von Ems hierher zurückkehrte -- die Laval’s, die Du
-Quintin’s, die jungen Lord Walpole -- und Aehnliche.... Ach, beinahe
-hätte ich den Wichtigsten vergessen: den +Chevalier de Marsan+!“
-
-Bei Nennung dieses Namens heftete er seinen Blick mit zersetzender
-Schärfe auf Cölestine .... sie, welche diesem Blicke begegnete,
-entsetzte sich vor demselben dermaßen, daß sie zurückfuhr wie von einem
-Schlage getroffen und ein heftiges Zittern sich über ihren ganzen
-Körper verbreitete:
-
-„Die Schändliche! Sie sieht sich entdeckt!“ rief es in seinem Innern
-und laut fragte er im Tone der Ueberraschung: „Aber was ist Dir
-geschehen?.. Was hast Du, Cölestine?“
-
-„Dein Blick --“ erwiederte sie -- „hat mich erschreckt.“
-
-„Mein Blick --?“
-
-„Noch nie sah ich Dich so --“
-
-„Eine Einbildung von Deiner Seite -- ein Zufall -- eine Kleinigkeit von
-der meinen; die Nachwirkung vom gestrigen Unwohlsein...“
-
-Inzwischen ward das Frühstück hereingebracht; der Graf verabschiedete
-mit einem Winke die Dienerschaft und führte seine Gemahlin zum Tische
--- welcher vor einem Divan stand, worauf jetzt Beide Platz nahmen....
-
-Er langte wacker zu -- er hatte freilich auch gestern den ganzen Tag
-nicht gegessen; indeß auch ohne diesen Zufall hätte er sich zum Essen
-+gezwungen+; es gehörte zu seiner Rolle. Sie jedoch berührte
-nichts und dies -- dies schien er gar nicht zu bemerken. --
-
-„Kannst Du, meine Freundin, mir nicht sagen,“ fing er wieder an -- „ob
-wir den Chevalier noch lange in unserer Stadt behalten werden?“
-
-„Welchen Chevalier?“
-
-„-- Den Chevalier de Marsan. -- Allein was macht Dich fortwährend so
-nachdenklich -- -- mein Kind?“
-
-„Du sprichst von Herrn von Marsan?“ sagte sie zerstreut -- „ich kann
-Dir über diesen Herrn keine Auskunft geben.“
-
-„In der That -- er ist einer der glänzendsten Kavaliere...“
-
-„Gewiß!“ versetzte sie, wahrscheinlich an etwas ganz Anderes denkend.
-
-„Und -- einer der interessantesten Charaktere.“
-
-„Ohne Zweifel.“
-
-„Der schönste Mann, den ich je gesehen.“
-
-„Ein reizender Mann!“ bestätigte sie arglos.
-
-Der Graf sprang nun plötzlich von diesem Gegenstande ab und erkundigte
-sich nach den Eltern Cölestinens.
-
-„Ach!“ sagte sie wehmüthig bewegt: „Du erinnerst mich an meine guten
-Eltern. Ich bin eine schlechte Tochter. -- Seit mehreren Tagen habe ich
-an die lieben Ehrwürdigen nicht gedacht. -- Ich dachte nur an -- Dich!“
-
-„Wirklich?“ lachte eine Hölle in seiner Seele.
-
-„Du theures, theures, geliebtes Weib!“ sprach er gegen sie gewendet mit
-zärtlichem Tone und umfing mit seinen Armen ihren Leib -- zog sie an
-sich heran -- und berührte mit seinen fieberischen Lippen die ihrigen.
-
-„Dein Mund brennt wie Feuer!“ rief sie.
-
-„Aus Liebe!“
-
-„Dein Hauch ist so glühend -- so heftig. --“
-
-„Die Leidenschaft in meinem Herzen ist es auch!“ rief er und schloß das
-Weib mit einer Gewalt in seine Arme, die derjenigen glich, da er sie
-noch so heiß liebte. -- -- Ach, die Arme ließ sich bethören... ihr Herz
-schlug und glaubte... es glaubte ihm auch jetzt.... Sie hatte in diesem
-Augenblick ein so großes Bedürfniß, von ihm geliebt zu werden -- und
-er wußte sich so meisterhaft zu verstellen.. --
-
-So ward denn dieses Frühstück, welches traurig genug anfing, für sie
-noch zum Freudenmahle. Sie aß wieder, sie trank wieder -- -- -- denn
-seine Küsse, seine Betheurungen, seine Zärtlichkeit hatten sie besiegt,
-genesen gemacht.
-
-In Wahrheit, es war ihr leicht beweglicher Sinn, ihr, lebhafter
-Eindrücke fähiges, und eher zur Lust als zur Trauer geneigtes Gemüth,
-das ihm hier so trefflich zu statten kam und seine Eroberung in kurzer
-Zeit vollenden half... Wäre ihre Natur der seinigen ähnlich gewesen,
-hätte das Resultat leicht ein entgegengesetztes werden dürfen.
-
-Ueberzeugt und sicher gemacht -- entfaltete ihre Natur sich nun wieder
-rasch in allen jenen eigenthümlichen Formen, die wir von und an ihr
-kennen und vielleicht auch lieben gelernt haben. Sie war wieder das
-jugendliche, holde, heitere, fröhliche, tändelnde, eitle und doch so
-liebenswürdige Wesen, welches die Männer bezauberte und die Frauen
-erfreute... sie war wieder jene Cölestine, die wir als so glücklich und
-froh kennen gelernt haben. --
-
-Was ihren Gatten betrifft, so erfüllte er ihren Wunsch und blieb heute
-den ganzen Tag über bei ihr. Er schien durch sein Betragen Alles wieder
-gut zu machen -- und sie sagte zu sich im Stillen:
-
-„Ach -- der Arme! Es war eine kurze Rückkehr seiner alten bösen
-Krankheit.... Diese Schwermuth, diese Hypochondrie machte ihn nicht
-minder unglücklich als mich.... Man muß Nachsicht mit ihm haben. --
--- Jetzt aber ist Alles vorbei; er ist wieder mein guter, treuer,
-geliebter Alexander, und ich -- ich bin die seligste der Frauen. --“
-
-
-
-
-Dreizehntes Kapitel.
-
-Neue Proben -- neue Beweise.
-
-
-Es war heute Sonnabend. -- Mehrere Reihen Equipagen standen bereits
-draußen vor dem Palaste des Grafen A--x aufgefahren. Die Lakaien in
-ihren bunten, abstechenden, oft verschwenderisch mit Gold und Silber
-beladenen Livréen tummelten sich dazwischen und im Thorwege, während
-das gravitätische Volk der Kutscher auf ihren Wagensitzen voll
-ernster Unbeweglichkeit thronte und sich gegenseitig die Vorzüge und
-Eigenschaften ihrer Pferde erörterte, was diese klugen Geschöpfe auch
-recht gut zu verstehen schienen und wobei sie durch Wiehern, durch
-Prusten, Stampfen und allerhand Bewegungen (in deren geheimnißvolle
-Bedeutungen wir noch nicht völlig eingedrungen sind) ihre Freude,
-ihren Stolz, ihren Unwillen zu erkennen gaben -- denn bekanntlich
-herrscht zwischen Pferd und Kutscher oder Reiter ein Verständniß, eine
-Sympathie...
-
-Drinnen im Hause, in den Salons der Gräfin tummelte sich heute eine
-reiche prunkende und zahlreiche Welt. Nur Gott weiß es, wie sein
-Himmel alle diese Menschen so auf ein Mal herabgeschneit hatte; denn
-mehr als die Hälfte unter ihnen waren für unsere holde Hausfrau, wie
-man sich ausdrückt, „+wildfremd+.“ -- Indeß mangelte es ihnen
-nicht an jenen Eigenschaften und Bedingnissen, vermöge deren selbst
-ein „wildfremder“ Mensch in guter Gesellschaft das Recht erhält, sich
-sofort wie einer ihrer ältesten Bekannten zu geriren. Das heißt: alle
-diese Leute waren eingeführt und jetzt theils der Gräfin, theils ihrem
-Manne vorgestellt worden. -- Die beiden Ehegatten schienen heute
-unvergleichlich liebenswürdig; das sagte die ganze Versammlung -- und
-wir können hinzusetzen: über Cölestine täuschte sie sich nicht. Was
-ihren Gatten betrifft, so ist dies freilich eine andere Sache. --
-
-Zum ersten Male nach so langer Zeit hatte die junge Frau wieder die
-Freude, ihre Eltern bei sich zu sehen; sie umarmte die gute Mutter mit
-Thränen in den Augen. General von Randow scherzte, wie gewöhnlich, ihr
-gleich den Willkomm weg und küßte ihr die Worte von den Lippen, so daß
-sie ihm weiter nichts sagen konnte als: „Mein liebes gutes Väterchen
---!“ worauf er in seiner Weise „Schon gut! schon gut!“ entgegnete. --
-
-Mit dem General war auch die Gräfin Wollheim und die Wittwe
-des Generals E--x angekommen.... Graf Wollheim hatte sich von
-diesen Personen noch in der Wohnung des Generals Randow getrennt,
-unaufschiebbare Geschäfte vorschützend, welche von der Art waren, die
-wir schon kennen. -- In der That war der Graf auch nur deßwegen in das
-Randow’sche Haus gekommen, weil er gehofft hatte -- seines Sehnens Ziel
-endlich zu erreichen, nämlich den Freund Edmund, welchen er bereits
-seit 6 ewiglangen Wochen nicht zu Gesicht, d. h. nicht vor das Glas
-bekommen; ein Umstand, wegen dessen der alte Bär zu verschiedenen
-Malen die bittersten Zähren vergossen. --
-
-General Randow unterhielt sich später mit seiner Tochter; hierüber
-schienen einige von den Anwesenden äußerst ungehalten, indem, ihrer
-Meinung nach, dies sehr wenig Artigkeit gegen die übrigen Gäste bewies,
-von denen fünf oder sechs, die so eben eingetreten waren, vorgestellt
-zu werden wünschten.
-
-„Finden Sie nicht,“ lispelte eine alte Dame einer jungen zu: „daß in
-diesem neuen Hause auch ein ganz neuer Ton herrscht?..“
-
-„Gewiß, meine Freundin -- ein sehr neuer; er ist äußerst interessant,
-und ich muß mir in meinem Tagebuche eine eigene Notiz machen.
--- Erlauben Sie es wohl?“ Hiermit nahm die Jüngere ein dünnes
-Maroquinbändchen heraus und fing an zu schreiben...
-
-„Ach, Sie tragen Ihr Tagebuch bei sich, meine Beste?“
-
-„Immer. Sie wissen doch, mein Gedächtniß zwingt mich zu dieser
-Vorsichtsmaßregel! O ich habe ein schrecklich schwaches Gedächtniß...“
-
-„Ich weiß, ich weiß...“
-
-„Apropos -- Sie erinnern sich wohl noch jenes hübschen jungen Mannes,
-der vor beiläufig einem halben Jahre hier anwesend war... ich meine den
-Herrn von Ingelstein, **schen Gesandtschafts-Sekretär?“
-
-„Ganz recht, ganz recht!... O wie sollt’ ich nicht? -- Nun, was ist mit
-ihm geschehen?“
-
-„Dieser Herr, wie Sie wissen werden, hatte damals die Absicht, dem
-Fräulein von Randow den Hof zu machen....“
-
-„Richtig, richtig --“
-
-„Wurde jedoch -- wie Sie ebenfalls wissen müssen -- von ihr sehr
-gleichgültig behandelt --“
-
-„Sehr wahr, sehr wahr. Und -- nun --“
-
-„Er reis’te demzufolge plötzlich ab.... es war, wenn ich nicht irre, am
-11ten Februar -- einem sehr häßlichen, frostigen Tage....“
-
-„Dieses Umstandes erinnere ich mich nicht mehr --“
-
-„Ja, ja, ich weiß es noch wie heute: es schneite, hagelte -- es
-glatteis’te --“
-
-„So -- so --“
-
-„Ach und der arme schöne junge Mann -- er fuhr ab, verzweifelnd --
-halbsterbend...“
-
-Diese Dame schien demnach kein gar so schlechtes Gedächtniß zu haben,
-wie sie klagte. Sie führte ihre Erzählung von dem schönen jungen Manne
-noch bis zum Schlusse, wobei sie nicht undeutlich merken ließ, daß
-dieser schöne, junge Mann in ihrer Brust kein Felsenherz gefunden
-hätte, falls es auf einen Versuch angekommen wäre.
-
-In diesem Augenblicke trat Graf Wollheim ein, näherte sich dem alten
-General und zog ihn mit sich fort. Dadurch wurde den Verzweifelnden und
-Harrenden Platz gemacht.
-
-„Wirklich,“ setzten jene zwei Damen ihr Gespräch fort: „es war endlich
-Zeit! Dieser alte General hielt seine Tochter occupirt, als wäre es ein
-erobertes Land. -- Dies ist eine Undelikatesse, wie sie mir noch nie
-vorgekommen....“
-
-„Was wollen Sie, meine Beste? -- -- diese Randow’s, so vornehm und
-stolz sie sein mögen, haben keinen Ton, keinen Takt; bei ihnen ist noch
-Alles polnisch...“
-
-„Ja, ja, -- ganz wojwodenmäßig -- bojarisch -- baschkirisch -- hahaha!“
-
-Wollheim hatte unterdessen den General in einen Winkel gezogen: „Ich
-bitte Sie um Himmelswillen,“ fing er mit der Miene eines Menschen an,
-der andeuten will, daß er keinen Spaß versteht: „wo ist denn dieser
-Edmund hingekommen? Ihr Sohn, Ihr einziger Sohn Edmund? -- --“
-
-Es mußte in Wahrheit weit gediehen sein, da der Jäger sich so
-geradewegs an den Vater seines Intimsten wandte, von dem er doch wußte,
-daß ihm diese Intimität sehr fatal sei. Aber unser Nimrod dachte, wie
-jener Araber, der sich seinem Kalifen näherte, um den Aufenthalt von
-dessen Tochter zu erforschen: „Sagt er mir’s, so weiß ich es genauer,
-als wenn mir’s ein Anderer sagen würde; sagt er mir’s nicht -- so steh
-ich auf dem alten Fleck -- und wegen meines Kopfes ist dann noch immer
-Zeit Sorge zu tragen; jedenfalls ist der Kopf hier blos Nebensache.“
-„Hinsichtlich meines Sohnes Edmund,“ antwortete der General -- „weiß
-ich Ihnen nichts zu sagen, als daß er in letzterer Zeit sich an den
-Chevalier von Marsan, mehr als mir lieb ist, angeschlossen hat. --“
-
-„Und mehr als mir ebenfalls lieb ist!“ setzte der Jäger im Stillen
-hinzu: „Aber,“ bemerkte er laut -- „sollte es nicht Mittel geben, den
-jungen Mann von dieser Gesellschaft zu trennen?.. Der Chevalier ist
-glänzend, verschwenderisch -- seine Nähe demnach äußerst gefährlich,
-wie Sie selbst einsehen werden, mein bester Freund. -- Ach! hier
-sollten Sie fürwahr Ihr Ansehen als Vater geltend machen. Es gilt,
-einen arglosen Jüngling vor den Fallstricken der Welt zu schützen....
-ihn vor einem finstern Abgrunde... zu bewahren. Es ist Christenpflicht!
-Es ist Vaterpflicht, hier einzuschreiten -- glauben Sie mir’s, mein
-alter Freund Randow...“
-
-Der General, als er Wollheim so pathetisch deklamiren hörte, konnte ein
-Lächeln nicht unterdrücken; er mochte insgeheim an die Fabel denken:
-Wie der Fuchs das Lamm vor dem Wolfe warnt -- es bleibt indeß doch das
-Opfer. --
-
-„Lieber Wollheim,“ versetzte er: „es scheint, daß Sie dem Chevalier
-nicht minder gram sind, als Sie es gut mit meinem Sohne meinen; ich
-bin Ihnen jedoch, aufrichtig gesagt, weder für das Erste noch für das
-Zweite sehr verbunden; denn wiewohl ich im Ganzen dieses schrankenlose
-Anschließen Edmunds an den Chevalier nicht gerne sehe, so muß ich doch
-gestehen, daß dies keineswegs aus Mißbilligung des, wie Sie sagen,
-glänzenden und verschwenderischen Charakters Marsans entspringt,
-welchen Charakter ich im Gegentheil bei einem großen Herrn von diesem
-Schlage mit Vergnügen erblicke; es ist also hier nicht von den Fehlern
-Marsans -- sondern von dem Uebermaß der Liebe Edmunds zu ihm die Rede.
--- Sie wissen, wozu eine solche Hingebung führt: man wird ein Sklave,
-verliert alle selbstständige Würde -- u. s. w. -- Anderseits, um von
-dem zweiten Punkte zu reden: so habe ich das Verhältniß, welches bisher
-zwischen Ihnen, lieber Graf, und meinem Sohne bestand -- ebenfalls
-nicht gebilligt. Abgesehen vom Unterschied der Jahre --“
-
-„Ach -- warum nicht gar!“ fuhr der Jäger auf: „Unterschied der Jahre!
--- Zwischen Freunden gibt es keinen solchen!“
-
-„-- So ist auch die Grundlage und das Motiv dieser Freundschaft nicht
-geeignet -- mich zu beruhigen, wie Sie selbst einsehen müssen.“
-
-„Alle Guckuck -- mein Freund! Wie ich selbst einsehen muß, sagen Sie?
--- Aber ich sehe hier gar nichts ein, mein bester Randow! -- ich sehe
-hier nicht das Geringste ein...“
-
-„Sie sehen hier nicht das Geringste ein, lieber Graf? -- So finden
-Sie, daß Trinken, Spielen -- Gelage -- Müßiggehen -- in Wäldern
-umherstreifen, welche überdies zum kaiserlichen Revier gehören, -- --
-finden Sie, daß dies Alles nichts sei. -- --“
-
-„Ei -- allerdings ist es Etwas, mein bester Randow... Allein,
-hoffentlich werden Sie mir glauben, daß es dies nicht ist, worauf
-unsere Freundschaft beruht. -- Unsere Freundschaft -- der Bund
-unserer Herzen gründet sich auf ganz andere Dinge -- auf Tugenden und
-ritterliche Gesinnungen, bei St. Hubertus! -- auf Gesinnungen, sag’
-ich, die einem Bayard zur Ehre gereicht haben würden...“
-
-„Unter uns,“ bemerkte der General leise: „rechnen Sie hierher auch jene
-That, die Sie neulich -- im Hühnerhofe dieses Hauses vollbracht haben?
--- --“
-
-Zum Glück für den Jäger, welcher bei dieser Frage seine sonst derbe
-Fassung ein wenig verlor -- zum doppelten Glück für ihn öffnete sich
-jetzt die Thür, und Edmund, wie gewöhnlich am Arme des Chevaliers, trat
-ein. -- Sogleich wollte der Jäger auf ihn zustürzen, der General jedoch
-hielt ihn zurück und sagte mit ernster Stimme: „Mäßigen Sie sich, Graf
-Wollheim! Sie bemerken, daß Alles aufmerksam ist und nach den Beiden
-sieht.“
-
-„Nun -- und was weiter?“
-
-„Sie würden sich in eine lächerliche Lage versetzen. Sehen Sie das
-nicht ein, bester Wollheim?“
-
-Nach kurzer Ueberlegung entgegnete dieser: „Sie haben Recht, Freund
-Randow. Ich bin Ihnen dankbar für diesen Wink, und wollen Sie sich mir
-noch mehr verpflichten -- --“
-
-„Nun?“
-
-„-- So reden Sie mit Edmund und fragen ihn, wie er es bei sich
-verantworten kann, seinen alten Freund Wollheim, seinen Lehrer und
-Führer in den edlen Künsten des Ritterthums -- seit vier Wochen mit
-keinem Auge angesehen zu haben...“
-
-Wir wenden uns jetzt von diesem Vorspiel des Drama’s ab.
-
-Seit etwa einer Viertelstunde war Cölestine wieder von einem Kreise
-jener intimeren Freunde des Hauses umgeben, die sich zu dieser Würde
-größtentheils aus eigener Machtvollkommenheit zu erheben pflegen.
-Nicht nur Gräfin Wollheim -- Fräulein Eugenie von Bomben -- Frau von
-Rabenstein und Andere, deren Namen weder die Blätter der Weltgeschichte
-noch die gegenwärtigen je nennen werden -- -- sondern sogar Frau von
-Porzenheim, die edle und obligate Mitlacherin ihres Mannes, gehörten
-hierher, saßen neben Cölestine und deren Mutter. -- Der Graf, ihr
-Gemahl, hatte in der Nähe, doch so, daß sie ihn nicht im Auge behielt,
-einen Sitz eingenommen und unterhielt sich hier mit einigen Herrn über
-Staatsgeschäfte und die neuesten Zeitungsnachrichten. Er schien ganz
-Aug und Ohr für seine Gesellschaft -- während er doch so achtsam,
-als hätte er neben seinen zwei Menschenaugen die tausend kleinen der
-Insekten gehabt, den ganzen Salon überwachte, so daß ihm hier nichts
-entgehen konnte. --
-
-Dieser Mann war in der Kunst des Lauschens, wozu er vermöge seiner
-mißtrauischen Natur die besten Anlagen zur Welt mitgebracht hatte,
-bereits zu jenem hohen Grade gekommen, welcher seinem Besitzer eine Art
-dämonischer Gewalt verleiht, vermöge deren er eine Sache nicht einmal
-zu sehen braucht, um sich von ihrem Zustande zu überzeugen.... er
-fühlt, er ahnt, er schaut, wie der Clairvoyant, mit geschlossenen Augen
-Alles.
-
-In dem Augenblicke, als Herr von Marsan eintrat, hatte Alexander eben
-über einen Gegenstand gesprochen, der seine volle Aufmerksamkeit
-erforderte -- und dennoch verrieth es ihm ein magnetisches Gefühl, daß
-der Chevalier hier sei. --
-
-Indeß blieb er dabei ruhig, kalt, theilnahmlos im Aeußern -- und nur
-ein Blick, den er später so rasch, daß Niemand ihn gewahrte, nach
-seinem Nebenbuhler warf, sollte ihn überzeugen, ob er richtig gefühlt
-habe. -- Wider Erwarten näherte sich ihm jetzt Dieser mit Edmund und
-Beide nahmen in seiner Nähe Platz. „Dies ist,“ dachte er bei sich:
-„eine Schicksalsfügung welche ganz in meine Intention paßt, so daß ich
-die Götter heute zum ersten Male in meinem Leben preisen muß, mir einen
-+wirklichen Dienst+ erwiesen zu haben.“ -- Alexander hatte sehr
-gut bemerkt, daß, so oft sich zwischen Marsan und Cölestine noch ein
-Dritter oder, wie hier, eine ganze Gesellschaft befand, Jener seinen
-glühenden Blicken einen ehrfurchtsvollen Ausdruck gab. Dies, rief
-Alexander bei sich -- soll blos das heilige Pilgerkleid sein, unter
-welchem sich ein Mörder mit Dolch und Gift verbirgt --; -- so will ich
-ihm denn den Weg abkürzen und die Arbeit erleichtern.... den Moment
-der Ausführung rascher herbeiführen. -- Dann soll er entweder entlarvt
-werden -- oder aber das Opfer, welches für mich keinen Werth mehr hat,
-mag verbluten -- zum Aase werden, auf welches Tags darauf sich die
-Raben setzen.
-
-„Herr von Marsan,“ sagte er nach mancherlei Hin- und Herreden zu dem
-Chevalier -- „ich weiß nicht, ob Sie mir erlauben, eine Bitte an Sie
-zu stellen, welche Ihnen vielleicht an sich sonderbar vorkommen wird,
-es jedoch durch die nähern Umstände, die mich dazu veranlassen, nicht
-ist. Sie erzählten so eben eine hübsche Anekdote aus der Zeit Ihrer
-Anwesenheit im südlichen Frankreich -- diese Begebenheit nun ist mir
-selbst einmal in der Schweiz arrivirt, und so wahrscheinlich ich
-dieselbe auch stets der Gräfin, meiner Frau, zu machen suchte -- sie
-wollte mir niemals glauben. In diesem Falle fertigte sie mich stets mit
-dem gewiß sehr vernünftigen Satze ab: es giebt keine Geister, keine
-Gespenster, selbst die Kinder glauben nicht mehr daran. -- Da Ihr
-Zeugniß, mein Herr, nun von großem Gewicht ist, würden Sie sich hier
-ein Verdienst erwerben, wenn Sie mit einigen Worten die Glaubwürdigkeit
-eines Mannes bei dessen Gemahlin feststellen wollten.“
-
-„Und auf welche Weise würde ich Ihnen diesen Dienst, den ich mit so
-großer Bereitwilligkeit übernehme, leisten können?“ fragte aufmerksam
-der Chevalier.
-
-„Einfach dadurch, daß Sie die artige Historiette, die Sie uns so
-eben vortrugen, meiner Gemahlin wieder erzählen. -- Sie wird diese
-Gelegenheit ergreifen, einen unserer interessantesten Kavaliere näher
-kennen zu lernen...“
-
-Ein mephistophelisches Zucken bewegte sich, während er diese
-Worte sprach, um den Mund des Grafen. Marsan seinerseits ließ ein
-augenblickliches Freudeleuchten über sein Gesicht ziehen, welches
-jedoch bald einer merkbaren Blässe wich.
-
-„Nur so fort!“ dachte der Graf im Stillen, erhob sich jetzt kalt
-und führte den Chevalier zu Cölestinen: „Meine Gemahlin -- Sie
-sollen diesen liebenswürdigen Herrn einige Augenblicke +in meinem
-Interesse+ anhören -- dies ist meine inständige Bitte. Herr
-von Marsan wird Ihnen Etwas, worüber unter uns so oft Streit war,
-bestätigen und sich dadurch nicht nur um mich, sondern auch um Sie,
-meine Theure, ein Verdienst erwerben.“
-
-Cölestine starrte bei dieser Rede ihren Mann an, als verstände sie den
-Sinn seiner Worte nicht; zugleich aber ihrer Pflicht als Frau vom Hause
-eingedenk, wies sie dem Franzosen und Alexander Plätze in ihrer Nähe
-an, indem sie zu Jenem gewendet sprach: „In der That, mein Herr, Sie
-erweisen mir kein geringes Vergnügen, indem Sie mir eine Mittheilung
-machen, die von solchem Interesse ist, daß dieselbe meinen Gemahl sogar
-zu Gedächtnißfehlern verleiten konnte; denn meines Wissens haben wir
-nie über einen Punkt gestritten, der nicht sofort aufgeklärt worden
-wäre. --“
-
-„Du erinnerst Dich jedoch jenes Vorfalls, den ich in Lausanne erlebte.
---“
-
-„Ach -- jene Geistergeschichte, worüber ich so lachte! -- Und diese
-scheint Ihnen so wichtig, mein Gemahl? -- --“
-
-„Gnädige Frau,“ nahm Marsan das Wort, der nicht mehr wußte, ob man hier
-Ernst oder Scherz treibe, und der seinerseits zu dem Letzteren sehr
-wenig Lust haben mochte. „Gnädige Frau,“ sagte er in einem ruhigen,
-gemessenen Tone: „nicht mich klagen Sie an, falls es sich hier um Etwas
-handelt, was ich noch nicht begreife... ich bin blos das Werkzeug
-des Herrn Grafen und habe mich aus Hochachtung für Sie gerne diesem
-sonderbaren Berufe unterzogen. --“ Er warf hier zugleich einen jener
-leichten, blitzenden unaussprechlichen Blicke auf Alexander, womit ein
-Mann von gutem Tone eben sowohl seine unerschütterliche Fassung wie
-die Geringschätzung einer Gefahr oder auch eines Menschen zu erkennen
-giebt. Alexander kämpfte, seit Marsan die erste Silbe an Cölestine
-gerichtet hatte, mit einem convulsivischen Zittern, welches er zwar
-bezwang, -- doch nicht so ganz, daß es dem scharfen Blicke seines
-Gegners entgangen wäre.
-
-Das Letztere ward für ihn Marsan von diesem Augenblicke an in der That.
-Er ward sein Gegner, sein Feind, sein entschiedener Widersacher. Der
-größte Beweis hierfür war wohl der, daß er beschloß, es ihn sofort
-merken zu lassen.
-
-So groß war die Zuversicht des Chevaliers auf Eigenschaften, die ihn
-bereits unzählige Mal als Sieger aus den gefährlichsten Kämpfen hatten
-hervorgehen lassen: „Dieser Mensch da,“ murmelte er lächelnd: „hat
-es gewagt, Dich mit Waffen zu bedrohen, welche Du mit der Fußsohle
-zertreten und ihm die Bruchstücke davon an den Kopf werfen solltest...“
-
-Und ohne Weiteres forderte er Cölestine in Gegenwart ihres Mannes zu
-einem Gespräch auf, welches himmelweit von demjenigen verschieden war,
-zu dessen Behuf der Graf ihn mit seiner Frau zusammengeführt hatte;
-dieses Gespräch, in welches er sie mit großer Gewandtheit und rasch
-zu verschlingen wußte, betrieb er überdies mit einem so auffallenden
-Eifer, daß derjenige, welcher hieher gekommen war, um zu beobachten
-und zu beschämen, dies durch die Umstehenden selbst ward, und zwar in
-einem Maße, daß er, so heftig er sich auch dagegen sträubte, endlich
-gleichwohl sich zu erheben gezwungen war, um nur nicht als schmählich
-Ueberwundener dem allgemeinen Bedauern zu verfallen.
-
-Wozu hatte er nöthig gehabt, die Fehde so offen zu provociren?
-
-Vermöge des heitern, lustberauschten Sinnes, von welchem Cölestine
-heute den ganzen Tag, beiläufig in derselben Weise, wie an jenem
-Vermählungstage, beherrscht wurde, war sie nicht fähig, ihrem Gatten in
-die Region der Melancholie, des Unmuths und des Schmerzes zu folgen,
-um so weniger, als er diese Stimmungen durch sein äußeres Betragen
-auf alle Weise zu verdecken sich bemühte; so geschah es denn auch,
-daß, während alle Welt auf ihn aufmerksam ward und ihn mit penetranten
-Blicken verfolgte, sie die Einzige war, welche hievon eine Ausnahme
-machte. --
-
-„Aber sehen Sie doch dorthin! Was bedeutet das?“
-
-„Ach, die Gräfin A--x scheint der berühmten Unwiderstehlichkeit des
-Chevaliers endlich auch ihren Tribut zu entrichten. In der That, diese
-Unterredung ist eklatant.“
-
-„Von ihrer und von seiner Seite. Wer hätte dies erwartet.“
-
-„Mindestens von der Gräfin war es nicht vorherzusehen. Allein da hat
-man nun den besten Commentar zu jenen Berichten, durch welche diese
-jugendliche Ehe als eine solche geschildert ward, wie sie Adam und Eva
-im Paradies geführt haben. --“
-
-„Nämlich -- den Baum und den Apfel mitinbegriffen...“
-
-„Ah, ah -- meine Besten, was wollen Sie? Gräfin A--x hat, Alles
-erwogen, den gegründetsten Anspruch auf unsere Bewunderung. Sie hat
-sich so schnell als es kaum zu erwarten war -- aus einer Gefühlsnärrin
-zur Weltdame aufgeschwungen. Das verdient Anerkennung.“
-
-„Ja, ja -- es verdient dieselbe.“
-
-„Aber mein Himmel! was ist das?“ rief mit einem Male Jene aus, indem
-sie mit den Augen nach Cölestinen deutete: -- „Haben Sie nichts
-bemerkt, meine Damen? -- So eben hat der Chevalier die Gräfin verlassen
--- und sie, diese junge hoffnungsvolle Calypso -- -- ist ihm mit
-einer sonderbaren Bewegung in Blick und Miene gefolgt, mit einer
-Bewegung, sag’ ich, die den Grafen, ihren Mann, welcher dort hinter
-der Blumenpyramide -- wie eine Klapperschlange hinterm Gesträuche --
-verborgen lauert, dem Wahnsinn nahe gebracht zu haben scheint.... denn
-sehen Sie -- seine Hand, die krampfhaft einen Oleander hielt -- hat
-denselben wahrscheinlich ohne daß er es weiß mitten entzwei gebrochen.“
-
-„Richtig! richtig! -- Ah, es ist zu reizend! zu interessant! -- -- Ein
-Herkules also -- der Bäume entwurzelt....“
-
-„Ah! Ah! Ah! -- Ungeheuer großartig! -- Dieser Marsan ist ein Phänomen!
--- -- Er hat sich der Gräfin wieder genähert -- -- -- und bei
-Anadyomene! -- ihr Auge scheint ihm dafür einen eben so stillen als
-ausdrucksvollen Dank zu spenden....“
-
-„Der Mann aber -- der Gemahl -- was thut er?“
-
-„Mein Gott -- er ist halbtoll...... Um Himmelswillen! bemerken Sie
-doch, holde Freundin. -- Seine Phrenesie geht so weit -- -- daß er
-im Angesicht des ganzen Salons sich hinter den Blumen auf alle Vier
-niederläßt, um bequemer zu beobachten, der Bedauernswerthe. Gleicht er
-nicht dem Nabuchedonosor -- und scheint es nicht, als wolle auch er
-Gras fressen?.. hahaha!“
-
-„Es ist entsetzlich! Es ist entsetzlich! -- Das ist noch nie da
-gewesen!“
-
-„Inzwischen scheinen die beiden jungen Leutchen dort -- Marsan und die
-niedliche Frau vom Hause -- sich gar köstlich die Zeit zu vertreiben.
-Sie lacht so viel und er erzählt so unermüdlich, daß man seine Freude
-an diesem Gedeihen haben kann....“
-
-„Der Nabuchedonosor aber huckt noch immer in froschähnlicher Positur
-hinter den Blumen.... Meiner Treu, dieser Mensch muß complett den
-Verstand verloren haben...“
-
-„O wie Schade! -- Jetzt entzieht uns eine allgemeine Bewegung der
-Gesellschaft seinen Anblick. Allein, was soll das bedeuten? -- Auch
-Cölestine hat sich erhoben.“
-
-„Man hat das Zeichen zum Tanzen gegeben -- man wird in den nächsten
-Salon gehen...“
-
-„Also man tanzt heute auch hier?..“
-
-„Man tanzt, man spielt -- man wird sich noch ganz allerliebst
-unterhalten.“
-
-„Meinetwegen. Dann aber lassen Sie uns den Paaren nicht folgen, sondern
-lieber nach dem Spielzimmer gehen -- so werden wir an jener Blumenhecke
-vorbeikommen und unsern Vierfüßler ganz nahe beaugenscheinigen
-können...“
-
-„O was ist das? -- Er ist fort! Verschwunden! -- Keine Spur von ihm
-mehr vorhanden! -- -- Wahrscheinlich durch eine Versenkung wie im
-Theater. --“
-
-„Hahaha! -- -- Vorwärts, meine Freundinnen!“
-
-Und fast Alles verließ diesen Salon, in welchem nur noch wenige
-Gruppen, bestehend aus ältern Herren, zurückblieben, die ein
-angesponnenes Gespräch augenblicklich zu unterbrechen nicht für gut
-fanden.
-
-Was den Chevalier betrifft, so hatte er Cölestine den Arm gegeben -- --
-und Edmund, dadurch allein gelassen, entging seinem Schicksale nicht:
-er, der seine Mutter führen wollte, sah plötzlich -- -- den Grafen
-+Wollheim+ ihren Platz einnehmen.
-
-„O! O! O!“ schrie dieser mit einer Freude, die sich glänzend auf
-seinem Gesichte malte: „da hätten wir ihn endlich den Bösewicht -- den
-Undankbaren -- den treulosesten aller Freunde und Schüler! -- Also so
-weit ist es mit uns gekommen, daß wir auf Bällen als +Paar+ zu
-einander treffen müssen. Wir, wir -- die den Tanz und die Springerei
-verachten -- außer er würde in Wäldern hinter den Rehen aufgeführt!
--- Allein schon gut. Ich werde mir das merken. -- So voll Wonne mein
-Herz in diesem Augenblick auch ist -- eine Wunde, eine Blessur hat es
-dennoch erwischt, die nie vernarben wird -- und das sind: die letzten
-40 Tage, die ich in der Wüste zugebracht habe -- -- in der Wüste,
-sage ich, und verstehe unter diesem Bilde die Welt, in so fern es in
-derselben weder zu trinken, noch zu spielen, noch zu pirschen giebt --
-was Alles ich, wie bekannt, allein nicht thun kann, sintemalen ich dazu
-auch meine Schüler und Freunde brauche. -- So verhalten sich die Dinge!
-Ja so! -- Und nun sprich, Unglückseliger: was konnte Dich zu solchen
-Verbrechen gegen Deinen Meister verleiten?...“
-
-Edmund sah sich vergebens nach einem Ausweg um; der Jäger hatte ihn
-dermaßen gepackt, wie man es etwa mit einem Fuchs, welcher der Schlinge
-entwischen will, thut; wollte er also kein Aufsehen machen, mußte er
-dem Alten folgen -- und Dieser zog ihn geradewegs in ein Gemach, das
-nach der Kellnerei führte. --
-
-Nun wissen wir zwar, daß des jungen Mannes Hingebung in letzterer
-Zeit dem Chevalier von Marsan gegolten, und zwar in jenem Uebermaße,
-welches wir an dem gutmüthigen Roué bereits kennen. -- Indeß, und dies
-muß zu seiner Ehre gesagt werden, glich er darum doch nicht jenen
-unbeständigen und undankbaren Leuten, die aus Liebe zur Abwechslung,
-indem sie das Neue erwählen, des Alten vergessen .... Er hatte seines
-Freundes Nimrod nicht vergessen -- er hatte denselben nur auf einige
-Zeit in den Hintergrund gestellt: aufrichtig gesagt, weniger aus
-eigenem selbstständigen Antriebe -- als weil er, durch Marsan occupirt,
-von diesem ununterbrochen absorbirt worden war, was ihm im Ganzen
-schmeichelte, da er so gut wie jeder Andere sein Stück Eitelkeit besaß
--- und Marsan war ja ein Glanzpunkt in der Gesellschaft...
-
-Das Entscheidende bestand darin: daß Marsan ihm mehr zu imponiren
-wußte, als der Jäger. Denn wir haben schon erwähnt: Edmund mußte sich
-stets an Jemand anlehnen. -- Dies war eine jener Naturen, die allein
-nicht leben können.
-
--- Es wird nach Allem diesen Niemand Wunder nehmen, wenn er erfährt,
-daß Edmund binnen weniger als einer Viertelstunde mit Leib und Seele
-wieder seinem alten Mentor gehörte, d. h. mit demselben in einem
-dunkeln Kellerwinkel (denn diesmal gingen die Edlen direkt in den
-Keller: sie hatten ja so Vieles nachzuholen) zechte und Trinklieder
-sang. -- Wer oben in den Gemächern gute Ohren hatte, konnte folgende
-Strophen herauftönen hören:
-
- „Zwei Flaschen wollten einander frei’n,
- Die eine, die war leer --
- Die and’re war zwar etwas klein --
- Doch war sie gefüllt und schwer.“
-
-Hier ward die Hymne durch eine Art unverständlichen Lärmens
-unterbrochen -- -- und erst nach einiger Zeit ließ sich das Ende vom
-Lied nachstehender Weise vernehmen:
-
- „Ich nehme, ich nehme Dich nicht zum Mann --
- Du bist zwar dick und reich --
- Doch dabei ein grober Bauersmann,
- Ein Stadtkind ich, fein und bleich.“
-
- „So geht es auch im Leben her --
- Der Dicke der thut dick --
- Da kommt darauf ein mag’rer Herr
- Und ruft: Vor mir -- zurück!“
-
-Besonders schön nahm sich zuletzt die Moral, die Nutzanwendung aus.
-Sie war ganz aus den Zeiten des Meister +Rothnas+ in Nürnberg (†
-_Anno Domini_ 1352,) genommen und hätte auch ganz wohl in die
-Liedersammlung eines sichern +nasenlosen+ Poeten -- dieser Poete
-lebt heutigen Tag’s in Wien -- gepaßt.
-
-Das Lied hatte man wohl bis hinauf gehört; aber die sublimen
-Discourse, welche hier unten geführt wurden -- vernahm, außer den zwei
-Glückseligen, welche dieselben führten, Niemand.
-
-„Und so säßen wir denn wieder beisammen....“ begann der Jäger, der
-mit aufgestreiftem Hemdärmel (die Edlen saßen im Hemde bei diesem
-anstrengenden Geschäft,) seine Kanne emporhob: „Und so könnt’ ich denn
-wieder aus vollem Herzen rufen: Auf Dein Wohlsein, mein Jüngelchen,
-Hurrah!“
-
-„Hurrah!“ rief auch Edmund mit erhobener Kanne -- -- seine Stimme war
-bereits sehr klar und metallisch geworden.
-
-„Möge der Himmel,“ schrie +Wollheim+, „Dich zu einem eben solchen
-Manne machen, wie ich bin, mein Junge! Besseres kann ich Dir nicht
-wünschen, Hurrah!“
-
-„Hurrah! -- Hussah!“
-
-„Ich habe nur gerufen +Hurrah!+ und nicht Hussah! -- Achtung auf
-den Ruf des Meisters! -- Hurrah!“
-
-„Hurrah! Zehntausend Mal Hurrah!“
-
-„Blos ein Mal: Hurrah! mein Jüngelchen; blos ein Mal!“
-
-„Nein, nein -- zehntausend Mal!“
-
-„Alle Sechzehnender! -- Was für zehntausend Teufel sind Dir denn heute
-in den Magen gefahren -- verdammter Bursche, Du!“
-
-Es war ihm indessen blos der Wein in den Magen gefahren und der Dunst
-davon in den Kopf.
-
-„Ich sage Dir,“ fing der Alte wieder an: „etwas Besseres als ich kannst
-Du doch nicht werden. Befleißige Dich also, in meine Fußstapfen zu
-treten. Nimm z. B. diesen Krug so, -- siehst Du! -- und leer’ ihn mit
-einem Guß -- -- so, siehst Du!“
-
-Und der größte Humpen entledigte sich seines Inhalts im Nu -- vermöge
-der freundlichen Bereitwilligkeit von Nimrods breiter Kehle. --
-
-Edmund wollte es auch versuchen, um der Aufforderung seines Lehrers zu
-genügen....
-
-„Ah! Ah!“ schrie dieser so dröhnend, daß das Gewölbe des Kellers in
-Schrecken gerieth: „das will nichts sagen, das will nichts sagen --
-Freund Edmund! -- Du hast zwar den Humpen geleert, aber dabei Dein
-ganzes Gesicht begossen... Dies darf nicht stattfinden! Dies ist nicht
-in der Ordnung!... Du mußt den Humpen mit dem Munde allein aussaufen:
-So, siehst Du?!“ Und abermals rollte eine ganze Sündfluth hinab in des
-Jägers verderblichen Schlund...
-
-Sein Leib schien ein wahrer Abgrund zu sein.
-
-Edmund versuchte es sogleich nochmals -- und in Wahrheit er that es
-diesmal mit solcher Virtuosität, daß sein Meister auf eine Bank sprang
-und ausrief: „Ein dreimaliges Hussah auf das Wohl meines Jüngelchens
-und Jagdkumpans!“
-
-Und „Hussah! Hussah! Hussah!“ schrien Beide, als ob sie toll wären....
-die Kellerratten und Maulwürfe liefen einstweilen in’s dritte
-Nachbarhaus hinüber...
-
-.... Aber als sollte das Alles noch nicht ausreichen, seines Zöglings
-Ruhm zu verkünden, sprang Wollheim auf ein in der Nähe stehendes großes
-Weinfaß, welches, gegen den Gebrauch, mit dem Boden aufgestellt war
--- -- auf dieses Faß also sprang er und zwar mit einem solchen Aplomb
-seines dicken Leibes, daß der obere Boden unter seinen Füßen durchbrach
-und er im Nu unter entsetzlichem Geschrei bis an die Ohren im rothen
-Ofner schwamm: „Au! Au! Weh! Hurrah! -- Zur Hilfe -- Kumpane! Jäger!
-Piqeurs!“ brüllte er in der Verzweiflung.... wobei er, vermöge des
-Wellenschlags, welchen der Ofner beständig um sein Kinn machte, von
-demselben _nolens volens_ ein gutes Theil abtrank....
-
-Nur mit Mühe entkam er dem Verderben und stieg endlich heraus. Er stieg
-allein heraus -- denn Edmund war nicht fähig, ihm dabei zu helfen.....
-er hatte mit sich selbst genug zu schaffen.
-
-„Alle Doppelbüchsen!“ rief Nimrod und schüttelte sich wie ein Bär, der
-untertauchte -- „das war ein unvorhergesehenes Bad... Aber der Ofner
-war gut!... Schade um das Faß, welches von schweizerischer Arbeit
-schien. -- Hol’ der Teufel indeß ein schweizerisches Faß, welches
-durchbricht, kaum daß man es betastet. -- -- Wo aber jetzt sich
-abtrocknen.... Brr! brr! -- denn es ist hier verteufelt kalt.... Ha! da
-kommt mir ein göttlicher Einfall! Diesen lieben Ort hier zu verlassen
-wäre unmenschlich. -- Wie wär’ es, wenn ich meine Kleider hier
-trocknete?.. Wir machen dort im Hintergrunde ein Feuer.... Holz ist
-genug vorhanden... der Rauch kann auch zu den Kellerluken abziehen.
-Beim St. Hubertus! das geht! -- Hat man es doch von Faßbindern hundert
-Mal gesehen, daß sie bei Reparaturen mitten im Keller ihren Herd
-aufschlugen.... Also -- vorwärts mein Jüngelchen! und sogleich soll
-hier eine Flamme brennen, so lustig und hoch, daß man dabei zwei und
-zwanzig Ferkel braten kann.... Dann will ich meine Kleider ausziehen --
-wir wollen uns an’s Feuer setzen -- unsere Krüge in die Hand nehmen....
-Hurrah! das soll ein Teufelsleben werden!“
-
-„Hurrah!“ lallte Edmund mit schwerer Zunge nach.
-
-Gesagt, gethan. In kurzer Zeit loderte ein Feuer mächtig auf und seine
-Flamme leckte das schwarze Gewölbe des Kellers... Aber was man nicht
-berechnet und erwartet hatte, geschah. Die Luken waren zu klein und
-konnten den Rauch nicht hinreichend ableiten, so daß sich dieser nun
-hier im Innern zu einer schauderhaften Menge anhäufte... und jeden
-andern Menschen als diese zwei Ehrenmänner vertrieben hätte. -- Aber
-sie waren nicht so leicht von diesem Orte wegzubringen und zwar: ob
-der ruhmwürdigen Wein-Eigenschaften, die er neben diesem Uebelstande
-noch besaß....
-
-Was den Jäger betrifft, so stürzte er eine Kanne um die andere hinunter
--- und hustete beständig dazwischen. Er schien einen ordentlichen Kampf
-mit dem Rausche eingegangen zu sein -- und eben deßwegen war ihm der
-letztere nicht ganz unangenehm...
-
-Edmund jedoch, nicht so taktfest in vorliegender Kunst, sprang sinnlos
-wie er bereits war, umher und stotterte:
-
-„Donnerwetter! -- wir -- stecken -- ja da -- in einem -- Schornsteine!
--- Donnerwetter! -- -- Wie -- kommen -- wir da heraus? -- Puh! Brr! --
---“
-
-„Ei warum nicht gar!“ brüllte Wollheim: „Was sind das für dumme Faxen
---? Schornstein? -- Im Keller sind wir! Im Keller! -- --“
-
-„Nein -- im -- Schorn -- steine -- -- Ah -- Ah -- ich -- ersticke
--- --.“ Und der arme Jüngling fuhr wie ein Gehetzter umher, stieß
-überall an -- und wäre beinahe in’s Feuer gerannt -- wenn der Jäger
-ihn nicht schnell bei der Hand ergriffen hätte. -- Aber das Tanzen
-hörte bei Jenem deßhalb nicht auf und wider Willen sah sich der Alte
-jetzt selbst davon fortgerissen. Er, in seinem halbnackten Zustande
-(er hatte Alles, nur die Strümpfe nicht, ausgezogen, aus angeborner
-Schamhaftigkeit hatte er sich noch überdies sein Taschentuch, statt
-eines Feigenblattes, vor den Bauch gebunden) -- tanzte nun wie ein
-wilder Neuseeländer mit seinem Schüler um die Flamme herum.... Es war
-ein Bild zum Malen! --
-
-In diesem Augenblicke öffnete sich die vorhin geschlossene Thür des
-Kellers und ein halbes Dutzend Bediente traten mit den Worten ein:
-„Aber was giebt es denn da? Ein Rauch verbreitet sich aus den Luken im
-ganzen Hause!... Ist denn hier ein neues Gomorrha untergegangen?..“
-
-Man denke sich die Ueberraschung dieser guten Leute, als sie unser
-Freundespaar in einem eben so interessanten Costüme als Geschäfte
-erblickten....
-
- * *
- *
-
-Aber während hier Momus, Comus und noch andere närrische Halbgötter
-ihre Schellenkappen schüttelten, ward einige Fuß über diesem Orte
--- ein Gemüth von höllischen Qualen durchwühlt und hätte zerreißen
-müssen, läge für manche Naturen nicht eben im Schmerze selbst eine
-nährende, eine belebende Kraft. Es sind dies jene Naturen, die zum
-Unglück geboren scheinen -- die schon in der Wiege von demselben mit
-Milch getränkt, später mit Speisen genährt und mit Kleidern versehen
-werden -- denen also das Unglück: Amme, Erzieherin, Lehrerin und
-Lebensgefährtin ist.
-
-Man hört, wenn von solchen armen Verfluchten die Rede ist, oft sagen:
-„Mein Gott, wie konnte er das nur Alles ertragen? Ich wäre unter
-solchen Umständen schon hundert Mal untergegangen.“
-
-Gewiß, denn Dich hat das Schicksal bei Deiner Geburt gesegnet und es
-hatte nicht nöthig, Dir Nerven von Stahl für’s Leben mitzugeben. --
-
-Allein von wem haben wir zuvor gesprochen? -- Wer war der Unglückliche,
-der Elende, der vom Schicksal Verfluchte -- welcher sechs Fuß über dem
-Keller der zwei lustigen Ritter -- von Qualen gepeitscht wurde, wie
-eine Feder sie nicht beschreiben kann? --
-
-Der Leser wird es wissen. Es war Alexander, der Gemahl Cölestinens,
-Alexander, der sein Weib mehr wie sich selbst liebte -- -- und der sich
-von ihr betrogen, verrathen, um seine ganze irdische Seligkeit gebracht
-sah. --
-
-Ach, diesmal war ihm der milde Trost, der ihn noch vor einigen Stunden,
-wenn auch blos vorübergehend, erquickte, gänzlich geraubt. Diesmal
-konnte er nicht, wie zuvor, sich zurufen:
-
-„Vielleicht -- ist sie doch unschuldig! --“
-
-Er hatte sie jetzt an der Seite jenes Menschen, der ihm ihr Herz
-geraubt hatte, beobachtet -- hatte gesehen, wie Jener für sie glühte
-und wie sie von dieser Gluth erwärmt schien. Welche Blicke hatte sie
-ihm gegeben -- und welche von ihm empfangen! Und Alles das so offenbar,
-so vor aller Welt. --
-
-Sollte es denn schon so weit gekommen sein, daß sie sich nicht einmal
-mehr verstellen konnten oder daß sie es nicht wollten? -- So war er,
-Alexander, also nicht mehr blos das Opfer, er war auch das Spielzeug,
-die Puppe, der Narr, durch welche Dinge sie ihrem Vergnügen neue Reize
-verliehen. --
-
-Ach -- was kümmerte ihn Dieses. Er hatte an Jenem schon genug. Er war
-geopfert, verkauft, sein Herz zertreten -- seine Seele zerrissen, sein
-Leben vergiftet.... So konnte es mit ihm nicht mehr lange bestehen....
-
-Er rannte hinaus aus den Sälen, wo Alles Lust, Freude und herzloser
-Verrath war -- er stürzte hinaus auf eine Terrasse.... Es war wieder
-eine Terrasse, wie dort in der ersten Nacht ein Balkon -- es war
-wieder eine Sternennacht -- und durch diese Nacht strich wieder jener
-allwaltende Geist, der sich eines Elenden erbarmt, oder aber ihn
-verstößt, ihn nicht kennen will....
-
-Diesmal aber war das Letztere der Fall. Diesmal erschien keine
-Cölestine auf dem Balkon und schlang liebewarm ihre Arme um seinen
-Hals. -- Diesmal, diesmal, als Alexander verzweiflungsvoll, wahnsinnig
-die Hände rang gegen das dunkle Firmament, rufend:
-
-„O -- hat sie wirklich an mir gefrevelt? -- Nur noch ein Zeichen! Einen
-letzten Beweis!“
-
-Diesmal antwortete eine Stimme hinter ihm: „Warten Sie einige Tage ab
--- und Alles wird Ihnen offenbar werden.“
-
-Rasch drehte Alexander sich um. Er bemerkte nur noch die Umrisse einer
-dunkeln männlichen Gestalt, die gleich einem Schatten forteilte -- in
-der Nähe um eine Ecke verschwand -- und weiter keine Spur hinter sich
-ließ, als den Wiederhall ihrer schrecklichen Worte...:
-
-„Warten Sie einige Tage ab -- und Alles wird Ihnen offenbar werden.“
-
-Alexander fiel ohnmächtig gegen die marmorne Balustrade des Balkons und
-schlug sich daran die Stirne blutig.
-
-Er erwachte erst nach einer Stunde. --
-
-
-
-
-Vierzehntes Kapitel.
-
-Die Morgenszene nach dem vorigen Tage.
-
-
-„Ach, mein lieber Alexander, wie köstlich haben wir uns gestern
-unterhalten. Es herrschte die allgemeinste Fröhlichkeit. -- Alles war
-vergnügt: man wird sich gewiß dieses Tages noch lange erinnern, und das
-gereicht uns zu großer Ehre. -- Man hat nun den Maßstab in Händen, nach
-welchem man für die Zukunft unser Haus beurtheilen wird.... Wie bin ich
-erfreut, daß dieser Maßstab kein gewöhnlicher ist.“
-
-So, mit diesen Worten begrüßte Cölestine den folgenden Morgen ihren
-Gatten, als dieser, wie es seine Gewohnheit war, in ihr Boudoir trat,
-um ihr hier galanterweise einen Guten Morgen zu wünschen. -- Alexander
-schien sehr heiter -- fast so wie seine Frau; er küßte mit dem
-Ausdruck inniger Zärtlichkeit ihre Hand und nahm neben ihr auf einem
-Tabouret, welches etwas tiefer als ihr Sessel stand, Platz.
-
-„Allein,“ fuhr sie fort, indem sie sich mit jenen tausend
-Quincaillerien, die eine vornehme Dame in einem Boudoir vor sich liegen
-hat, zu schaffen machte: „allein,“ sagte sie: „wie kommt es, daß wir
-seit dem gestrigen Tage bis zu dieser Stunde für einander fast gar
-nicht existirt haben, mein Freund? Ich erfuhr weder, zu welcher Stunde
-Du schlafen gingst, noch wann Du aufstandest....“
-
-„-- Noch,“ setzte lachend der Graf hinzu: „was mit mir gestern während
-des Festes geschah, nicht wahr, mein liebes Kind?“
-
-„Ja, ja -- ganz recht. Jetzt erinnere ich mich, daß ich Dich in der
-That gestern während der Dauer der Unterhaltung auch nicht mit einem
-Auge sah --“
-
-„Jetzt erst erinnert sie sich!“ sagte er zu sich, und, ohne sie zu
-unterbrechen, ließ er sie fortfahren: --
-
-„Wie hängt das zusammen, mein Freund? Erkläre mir es!“
-
-„Ach, was liegt daran?“ versetzte er unbefangen und fast im lustigen
-Tone: „es ist eine Kleinigkeit -- eine Kinderei, wer wird von ihr
-reden. Dir sowohl, der Frau, wie mir, dem Herrn vom Hause, war der
-Platz getrennt angewiesen, und wir durften ihn nicht verlassen, um uns
-einander zu nähern... Bei solcher Gelegenheit besteht eine Pflicht,
-wie die unsrige war, darin, daß man sich dem Vergnügen seiner Gäste
-opfert ... und dies, meine liebe Cölestine,“ sagte er, ohne dem
-Drange widerstehen zu können, eine Schärfe in den Ton zu legen: „hast
-mindestens Du in vollem Maße erfüllt...“
-
-„Ach ja,“ entgegnete sie, nicht ahnend, worauf er zielte: „ich sah
-mich gestern ununterbrochen von einem Kreise interessanter und
-liebenswürdiger Bekannter umgeben, und muß gestehen, daß ihnen
-gegenüber meine Obliegenheit als Frau vom Hause mir nicht schwer
-erschien. Gewiß bin ich jenen Personen zu eben so großem Danke
-verpflichtet wie sie mir. -- Es war ein reizender Abend!“
-
-„Er war reizend und die Nacht darauf ebenfalls!“
-
-„Ich erinnere mich z. B. nicht, daß die Baronin von +Halderstein+,
-diese Blume der guten Gesellschaft, ihren glänzenden Geist sowohl wie
-ihre schöne Seele jemals freudiger entfaltet hätte, als sie es gestern
-in meiner Nähe that. So war auch Herr von Labers dadurch, daß er
-sich meiner Gesellschaft gütig erwies, dies gegen mich; -- er allein
-streute so viel edle Heiterkeit im Kreise aus, daß man noch manchen Tag
-daran wird zu zehren haben.... Sodann die liebe gute E--z, diese alte
-Freundin meiner Mutter, und die Letztere selbst: o, wie sind uns an der
-Seite dieser ehrwürdigen Frauen die Stunden verflossen!... Endlich mein
-guter Vater, sogar Edmund, Alle schienen sich wonnevoll nur um mich zu
-vereinigen....“
-
-„Sie verschweigt absichtlich den Namen Marsan’s!“ sagte er im Stillen:
-„O -- diese Manier ist ungeheuer veraltet -- -- wiewohl man sie in
-neuerer Zeit wieder in Mode zu bringen versucht.“
-
-In seinem Herzen wühlten die Leiden eines Trostlosen, eines in der
-innersten Seele Verzweifelnden -- -- aber auf dem Angesichte zeigten
-sich hiervon keine Spuren; dieses glänzte nicht minder zufrieden, wie
-jenes Cölestinens.
-
-„Was sagst Du,“ warf er leicht hin -- „zu Herrn von Marsan, der, wie
-ich mich erinnere, gestern längere Zeit mit Dir gesprochen? --“
-
-In diesem Augenblicke überzog eine schreckliche Blässe das Gesicht der
-jungen Frau -- und indem sie starr nach seiner Stirne blickte, schrie
-sie auf: „Um Gotteswillen! was ist das? Was ist mit Dir geschehen,
-Alexander? -- Deine Stirne ist verwundet -- mit Blut unterlaufen....“
-
-„Oh!“ höhnte es in seinem Innern: „die Elende! Welche Ausflucht! --
-Jetzt da meine Frage sie in die Enge getrieben, weiß sie keinen Ausweg,
-als daß sie von einer unbedeutenden Verletzung redet, die sie schon
-längst bemerkt haben muß....“
-
-Ob er Recht hatte, so zu urtheilen, bleibt dahin gestellt. Da jedoch
-seine Wunde sehr hoch oben auf der Stirne war, so konnte sie zuvor
-leicht durch sein dunkles Haupthaar bedeckt -- und erst jetzt, da er
-mehrmals mit den Fingern durch dasselbe strich -- blosgelegt und von
-Cölestinen bemerkt worden sein... Sie hatte sich ihm rasch genähert,
-sein Haupt mit beiden Händen ergriffen und bebend in ihn gedrungen:
-„Sprich, um Alles in der Welt! Was soll ich denken, Alexander? --
-Erkläre mir’s! Lasse mich nicht in Ungewißheit? -- Dir ist irgend ein
-Unglück widerfahren! -- O rede, rede! hörst Du denn nicht?..“
-
-„Wie man’s nehmen will,“ entgegnete er in dem gleichgiltigsten Tone:
-„ein Unglück oder auch keins. Jedenfalls aber ist das Ganze nicht
-dieses Aufhebens werth -- und deßhalb laß uns endlich schweigen.“ Er
-entwand sich sanft ihren Händen, die aber sogleich wieder nach ihm
-griffen, sich um seinen Hals legten, ihn heran zogen....
-
-„Die nichtswürdigste aller Heuchlerinnen!“ dachte er und ließ sie
-gewähren. -- Indessen jammerte sie fort: „O mein Alexander, o mein
-Gemahl! Es ist nicht recht von Dir, mir Dein Vertrauen bei einer
-Gelegenheit wie diese zu entziehen. Womit hätte ich das auch verdient?
--- Alexander -- etwas Besonderes muß seit der ewiglangen Zeit, daß wir
-uns nicht sahen, vorgefallen sein -- -- etwas sehr Schlimmes.... mir
-sagt es mein Herz.... Bei unserer Liebe, bei unserer Treue beschwöre
-ich Dich, meine Bitte zu erhören!“
-
-Während der letzteren Worte lachte er gellend auf, so daß sie entsetzt
-von ihm losließ und die Hände zusammenschlagend vom Sitze aufsprang,
-indem sie rief: „Mein Gott -- erbarme Dich seiner und meiner! Träume
-ich blos oder geschieht das wirklich hier, was ich nicht fassen kann?!“
-
-Er richtete sich nun selbst auf und antwortete ganz in der Art, wie
-er sie heute seit seinem Eintritt in das Boudoir angenommen: „Aber --
-meine Freundin, Du bist in der That ganz außer Dir, und ich, ich selbst
-hätte Grund, jene Fragen an Dich zu stellen. -- Was soll denn geschehen
-sein? Weßhalb erschrickst Du? weßhalb fährst Du von Deinem Sitze so auf
--- als sei der Tod vor Dich hingetreten? -- Es ist ja nichts geschehen
--- sonst hätte ich Dich davon natürlich schon in Kenntniß gesetzt. --
-Du starrst noch immer nach meiner Stirne! Nun wohl, diese Wunde von der
-ich bisher selber nichts wußte -- und die ich erst jetzt im Spiegel
-bemerke -- ich muß sie mir im Schlafe geschlagen haben....“
-
-„Nachts im Schlafe?“ schüttelte Cölestine das Haupt.
-
-„Nun ja. Es ist wohl schon vorgekommen, daß man so fest schlief, daß
-man selbst von einem Stoß an die Wand -- an die Säulen der Bettvorhänge
--- nicht erwachte.... Uebrigens, wie gesagt, ich spüre die Wunde kaum.
-Ich fühle keinen Schmerz!“
-
-Wirklich konnte diese Rede auch ein furchtsameres Herz beschwichtigen,
-und nach einigen Augenblicken sprach man bereits nicht mehr von diesem
-Gegenstande...
-
-„Es war ihr nur darum zu thun,“ meinte er „recht lange hierbei zu
-verweilen und mich die Frage wegen des Chevaliers vergessen zu
-machen;..“ und laut setzte er hinzu:
-
-„Hast Du dem engern Kreise unserer Freunde gestern nicht eröffnet, an
-welchem Tage außer dem Sonnabend Du Dich ihrer Gesellschaft erfreuen
-möchtest?“
-
-„Ich sprach davon, mein lieber Mann,“ sagte sie: „und wir wählten den
-Dienstag, den Donnerstag und den Freitag....“
-
-„Auf diese Weise,“ bemerkte er laut: „wird ja in unserem Hause ewige
-Lust und Freude herrschen....“
-
-„Ich dachte bei mir, es sei dies zu Deinem Besten, Dein ernster Sinn
-werde dadurch zerstreut werden.“
-
-„Gewiß, gewiß -- Sie hat bei jedem Schritt, den sie thut, mich im Auge
--- -- wie ein kluger Fechter seinen Gegner. Und,“ fragte er sie: „wird
-auch die Baronin von Halderstein uns recht oft besuchen --“
-
-„Ja, mein Freund, sie hat mir’s bestimmt zugesagt.“
-
-„Auch der Chevalier von Marsan.“
-
-„Du weißt -- daß er sich in letzterer Zeit innig an meinen Bruder
-Edmund anschloß, und demnach dürften wir ihn wohl häufig bei uns
-sehen.... Uebrigens,“ lächelte sie fein: „habe ich mit Herrn von Marsan
-noch einen eigenen Plan...“
-
-„Wirklich?“
-
-„Wenn mich nicht Alles trügt, so hat er während des gestrigen Abends
--- sich mit unserer theuren Baronin von Halderstein angelegentlicher
-als mit einer andern Person beschäftigt. -- Es verging keine
-Viertelstunde, so kehrte er immer wieder zu ihr zurück....“
-
-„Nämlich -- von Dir!“ dachte Alexander: „denn für diesen Herrn scheint
-es nicht zu viel, bei zwei Damen auf einmal den Ritter zu spielen...“
-
-„Und was die Baronin betrifft --“
-
-„Nun?“
-
-„Es schien nicht eben -- daß sie seine Bewerbungen zurückgewiesen
-hätte.“
-
-„Das Alles ist möglich!“ murmelte der Mann.
-
-„Kurz, wenn es glückt, so soll die reizende Frau, welche gegen einen
-Gatten, der sie verließ, keine Pflichten mehr hat, -- die schöne
-Freundin Halderstein soll es übernehmen, den unbezwinglichen Roland,
-den nie überwundenen Tankred in Fesseln zu legen...... Wir haben uns
-dieses gelobt...“
-
-„Wir? -- Wer ist darunter zu verstehen?“
-
-„Das Nähere kann ich Dir leider nicht vertrauen, mein Freund. Genug
-an dem -- ich bin es nicht allein, die sich über diesen Fall freuen
-wird...“
-
-„Und,“ fragte nach einigem Sinnen Alexander: „wird das Spiel, von dem
-Du sprichst, bald beginnen?..“
-
-„Es nimmt mit dem morgigen Tage seinen Anfang. Du weißt, wir sind
-morgen bei der Generalin E--z. Es ist ihr Tag.“
-
-„So wird also auch der Chevalier dort sein?“
-
-„Ohne Zweifel -- und auch die Halderstein wird nicht fehlen....“
-
-„-- Ich weiß genug!“ sagte er zu sich. -- -- Er verließ seinen Platz,
-umarmte Cölestine und empfahl sich ihr.
-
-„Wohin so eilig?“ fragte sie.
-
-„Eine wichtige Angelegenheit ruft mich nach der Stadt.“
-
-„Wirst Du heute nicht mit mir frühstücken?“
-
-„Ich habe dies bereits allein auf meinem Arbeitszimmer gethan.“
-
-„So geh mit Gott und komme bald zurück!“
-
-„Sehr bald, liebe Cölestine.“ Er war bereits an der Thür, als sie ihn
-noch einmal zurückrief -- ihn umfing, leidenschaftlich mit Küssen
-bedeckte und dann mit den Worten zärtlich fortstieß: „Jetzt gehe!“
--- Sie wandte sich von ihm ab -- gleichsam um sein Scheiden nicht zu
-sehen. Er aber draußen vor der Thür schüttelte das Haupt, sein Gesicht
-verfinsterte sich und wild rief er aus: „O schändlich! schändlich! --
--- und dies Alles ist Lüge..... Falschheit...... Betrug!...“
-
-
-
-
-Fünfzehntes Kapitel.
-
-Abend und Nacht.
-
-
-Viel beschäftigte den Grafen A--x der Gedanke, wer jener geheimnißvolle
-Unbekannte sein könne, der wie ein Schatten ihm auf allen Wegen zu
-folgen schien, um sich von Zeit zu Zeit zu verkörpern und Warnungen
-zuzurufen, für welche er ihm bis jetzt noch stets dankbar sein
-zu müssen glaubte -- und welche Warnungen diesen mysteriösen,
-geisterhaften Freund zu seinem Schutzgeiste erhoben. -- Bisweilen
-redete er sich vor, eine Stimme seines eigenen Innern ertheile ihm
-diese Nachrichten -- oder, was dasselbe ist, es seien Ahnungen, die auf
-solche Weise zu ihm sprächen. -- Genug an dem, wegläugnen ließ sich
-diese Erscheinung, so geheimnißvoll sie auch war, keineswegs.... eben
-so wenig, wie die Wahrhaftigkeit in ihren Worten. -- Auch gehörte der
-Graf nicht zu jenen hausbackenen Flachköpfen, die dasjenige, was sie
-nicht begreifen können, kurzweg läugnen... und nach deren Meinung es in
-der Welt nichts geben kann, was nicht mit ihrer armen Alltagsweisheit
-übereinstimmt; Menschen, die da glauben, Alles müsse sich mit den
-Händen greifen und mit den Augen, über welche eine zwei Linien breite
-Hornhaut einen ewigen Schleier legen kann, sehen lassen.... arme
-bedauernswürdige Tröpfe, die, gleich den Kindern, welche die Meinung
-hegen, außer ihrem Dorfe gebe es weiter keins mehr in der Welt, ihre
-fünf Sinne für das einzige Medium halten, wodurch sie mit dem Universum
-in Verbindung treten... weil sie von dem sechsten und siebenten
-göttlicheren Sinn, der im Hirne und in der Brust wohnt, keine Ahnung
-haben....
-
-Zu diesen spaßhaften Leuten gehörte Graf A--x keineswegs. Nicht daß wir
-ihm hieraus ein Verdienst machen wollten; in unseren Tagen ist man,
-Dank den ewigen, Alles wieder zu sich selbst zurückführenden, Gesetzen
-der Natur -- nachdem man sich am schöngedrechselten Springbrunnen
-der Philosophie hinlänglich vollgetrunken hatte und nun sah, daß es
-doch nur Wasser war -- wieder zu dem einfachen Felsenquell der Natur
-zurückgekehrt, dessen geheimes Herkommen, dessen sanftes Rauschen uns
-so Manches erzählt, wovon jene künstlichen Wasserbogen nichts sagen
-können. Wir sind, sage ich, auf unserer zirkelförmigen Wanderung, von
-traurigem Halbwissen endlich zu einem glaubensvollen höhern Anschauen
-gelangt...
-
-Wer war aber jener Warner, falls es ein Mensch wie der Graf selbst war?
-Er wußte Keinen zu nennen -- er kannte Niemand, den er fähig hielt,
-ein so seltsames und edles Amt bei ihm zu übernehmen. -- Nach einigem
-Nachdenken mußte Alexander seine Forschung völlig einstellen; auch
-gestehen wir in seinem Namen, diese Sache schien ihm nicht wichtig
-genug, um sein Augenmerk von einer weit größern lange abzulenken.
-Welche dieses war, begreifen wir: es war der Gedanke, es war der
-Schmerz seiner liebenden Seele.
-
-So ungeduldig kann der Räuber hinter einem Felsenvorsprung auf einen
-die Straße herabkommenden Reisenden nicht warten, um ihm Geld, Glück,
-Leben und vielleicht den Himmel zu rauben, wie Alexander des morgigen
-Abends harrte, an welchem er doch -- wie er mit Gewißheit annahm --
-Alles dieses selbst verlieren sollte. -- Er glaubte vor Sehnsucht, vor
-Erwartung rasend zu werden.... die Stunden rollten so unerbittlich
-gemessen dahin... ihm schien es, als sei jede der doppelte Inbegriff
-aller früheren. --
-
-Endlich brach die entscheidende an. -- Es war um neun Uhr Abends,
-als der Bediente eintrat, meldend, daß die Equipage bereit stehe.
-Alexander war im Zimmer wild auf und niedergerannt, er stieß gegen
-jeden Gegenstand an, ohne es zu wissen, und beinahe hätte er auch seine
-Frau, die eben in diesem Augenblick von ihrer Toilette zurückkehrte,
-niedergeworfen.
-
-„Mein Gott, Alexander, was ist Dir denn?“ redete ihn Cölestine an,
-nachdem der Lakai das Zimmer verlassen hatte: „Ueberhaupt kommst Du mir
-seit einiger Zeit so sonderbar vor -- -- Du bist nicht traurig, bist
-aber auch nicht heiter, und wenn Du lachst, scheint es beinahe, als ob
-Du Dich dazu zwingen wolltest....“
-
-„Meine gewöhnlichen Anfälle -- -- krankhafte Reizungen -- Du kennst
-diesen Zustand bei mir; also bringen wir denselben nicht neuerdings
-zur Sprache...“ versetzte er, indem er ein Paar Handschuhe anzog; den
-Hut ergreifend fragte er dann: „Bist Du bereit, Cölestine? Können wir
-gehen?“
-
-„Wenn es Dir gefällt!“ sie legte ihren Arm in den seinen und ging mit
-ihm die Treppe hinab....
-
-Sie saßen neben einander in einem weiten Batard, und da es überdies
-auf den Straßen bereits ganz dunkel war, konnte Cölestine sich ihrem
-Manne ungesehen nähern; sie ergriff seine Hand mit ihren beiden:
-„Alexander,“ sagte sie mit sanft einschmeichelnder Stimme: „Was hast
-Du? Es ist nicht Alles so, wie Du mir sagtest. Deine düstere Stimmung
-hat einen andern Grund.... Alexander!“ wiederholte sie mit rührender
-Stimme: „soll ich denn Deine Liebe verloren haben -- daß Du gar nicht
-sprichst?“
-
-Dies indeß bewog ihn keineswegs zur Aenderung seines Entschlusses.
-Wirklich ließ er seine Gemahlin heute und in diesem Augenblick mehr als
-je eine Kälte, eine Theilnahmlosigkeit fühlen, an welche sie noch nicht
-gewöhnt war. -- Er redete auch nur wenig zu ihr -- er beschränkte sich
-auf die kürzeste Beantwortung ihrer Fragen, durch +Ja+ oder +Nein+.
-
-„Es ist gleichwohl möglich,“ sagte sie zu sich, -- „daß dieser Trübsinn
-aus der alten Quelle entspringt. -- Und so wird er durch Geduld allein
-zu bannen sein....“
-
-In diesem Augenblick blieb der Wagen stehen, er war vor dem Hause der
-Generalin E--z angekommen. --
-
-Einsilbig, wie man eingestiegen, verließ man den Wagen und begab sich
-durch ein hellerleuchtetes Portal zum Saale hinauf. Die Gesellschaft,
-welche sich hier versammelte, war nicht außerordentlich zahlreich,
-aber man konnte sie eine gewählte nennen. Die Generalin E--z, alt und
-ohne Kinder, ohne Erben, verwendete ihr ziemlich ansehnliches Vermögen
-darauf, ihren Freunden und dadurch sich selbst Vergnügen zu bereiten.
--- Bei ihr fand man Alles, wornach einer zerstreuungssüchtigen
-Seele verlangt: die trefflichsten Concerte, Theater, Bälle,
-literarisch-artistische Matinées u. s. w. u. s. w. Im Sommer wurden
-kurze Ausflüge nach ihren Landsitzen -- im Winter auf diesen echt
-russische Divertissements: Schlittagen, Rutschpartien und was weiß ich
-sonst noch, veranstaltet... Hierbei machte dann, da die Frau vom Hause
-zu einer Glanzrolle dieser Art nicht mehr taugte, stets eine ihrer
-jüngern Freundinnen die Honneurs, und so kam es, daß ihr Haus in der
-That unter die besuchtesten gehörte...
-
-Als Cölestine mit ihrem Gemahl eintrat, wurde sie von der Matrone und
-der Gräfin Wollheim mit jener Auszeichnung empfangen, die man einer
-jungen Frau, welche in dieser Eigenschaft zum ersten Male unser Haus
-besucht, immer zu Theil werden läßt. Wie Alexander bemerkte, so war der
-Chevalier von Marsan schon hier -- er stand nach seiner Gewohnheit an
-der Seite Edmunds und zwischen mehreren Herren, die irgend eine Debatte
-führten. -- Der Chevalier hatte ihn fast in demselben Augenblicke
-wahrgenommen, und es wäre für einen Psychologen interessant gewesen,
-diesen heftigen und völlig naturgesetzlichen Moment: das Zusammenfahren
-zweier feindlicher Elemente, die sich gleich darauf wieder abstoßen, zu
-beobachten.
-
-Diese zwei Menschen verstanden sich schon vollkommen, sie lasen
-einer in des andern Seele. Auf ihren beiden Gesichtern spielte ein
-geringschätzendes Lächeln -- und in ihren Augen blitzte das Feuer des
-Zornes.... Aber als jetzt Alexander nothgedrungen seine Schritte neben
-dem Chevalier vorbei lenken mußte, grüßte dieser artig und als ein Mann
-von Welt -- während jener es nicht überwinden konnte, diese Eigenschaft
-völlig zu verläugnen -- tyrannisirt von der tödtlichen Eifersucht und
-dem tödtlichen Rachedurst eines betrogenen Ehemanns. --
-
-Ach, es ist leichter zu hoffen, zu besitzen -- als zu verlieren!
-
-Cölestine war bei ihren Freundinnen zurückgeblieben und eilte nun, sich
-ihrer Mutter, die auch zugegen war, in die Arme zu werfen... Aber ihr
-Blick folgte von Zeit zu Zeit dem Grafen; wie erschrak sie, als sie ihn
-jetzt nicht weit von dem Chevalier stehen und diesen mit Blicken und
-Mienen durchbohren sah...... In einem Augenblicke wurde ihr so Vieles
-klar. Sie glaubte nun den wahren Ursprung von ihres Mannes Gram zu
-kennen.... Aber welches Entsetzen faßte sie, als sie in dem nämlichen
-Augenblicke den Chevalier seinen Platz verlassen und ihn mit Edmund
-auf sich zukommen sah. -- Wenig fehlte und sie wäre umgesunken; sie
-zitterte an allen Gliedern -- diese schienen gelähmt. Sie mußte sich
-niederlassen und empfing so, mit farblosem Angesichte, die Huldigung
-der zwei Herren. --
-
-Als jetzt ihr Auge wieder Alexander aufsuchte, sah sie, wie dessen
-Miene sich zu einem gräßlichen, grinsenden Lachen verzog, während sein
-Haupt fast unmerklich nickte, -- gleichsam als wollte er sagen: „Also
-so? Es ist gut! --“
-
-Kaum hatte sie dies erblickt, als sie Marsan, der sie in ein längeres
-Gespräch verflechten zu wollen schien, ohne ihn ausreden zu lassen
--- rasch und gegen die bisher in allen Gesellschaften herrschende
-Gewohnheit, verließ -- und sich, so schwach sie war, einige Schritte
-weiter zur Generalin E--z begab, an deren Seite sie Platz nahm...
-
-Marsan schien bei diesem Impromptu einen Augenblick überrascht,
-sogleich aber faßte er sich wieder und lachte vor sich hin: „Ach, meine
-reizende Kleine -- das war ein Meisterstreich, den Sie da Ihrem Herrn
-Gemahle spielten!... Freilich etwas ungewöhnlich, aber eben darum um so
-eher geeignet, ihm Sand in die Augen zu streuen...“
-
-Dieser Alexander hingegen zuckte dabei mit den Achseln und sagte:
-„Der Kunstgriff ist so plump, daß Du mich fast dauerst, armes Weib!
-Elendes Weib!“ setzte er zähneknirschend hinzu. Sodann mischte er sich
-unter eine Gesellschaft, nahm an Allem Theil, was um ihn vorging --
-ließ sich jedoch vermöge seiner Kunst des Beobachtens, worin er sich
-ununterbrochen übte, keine Bewegung Cölestinens entgehen. --
-
-Der Chevalier hatte sich ebenfalls auf einen andern Punkt begeben und
-schien schnell den ganzen früheren Vorfall vergessen zu haben, denn mit
-aller Unbefangenheit und mit dem feinsten Takte eines Mannes, der zwar
-Geist und Liebenswürdigkeit, aber kein Herz besitzt -- begann dieser
-glänzende Salonsmann sich mit einem Kreis von Damen zu beschäftigen,
-die ihn gewiß nicht mehr interessirten, als alle jene Schönheiten der
-Welt, die er noch mit keinem Auge geschaut. Aber Alexander meinte:
-„Alles das gehört zu seiner Rolle... Alles das ist schon abgekartet
-gewesen, bevor wir noch in diesen Salon traten. -- Wo aber ist jene
-Baronesse von Halderstein, um derentwillen Marsan eigentlich erschienen
-sein soll? Ich sehe sie nirgends. -- Und Cölestine wußte es doch so
-gewiß, daß dieselbe hier zugegen sein werde.... Es handelt sich um
-nichts anderes, als die beiden sich vis à vis zu bringen.... Hahaha, --
-Um nichts anderes -- nein, um gar nichts sonst! -- --“
-
-Eine sonderbare Unruhe war heute an Edmund von Randow sichtbar. -- Er
-hatte Marsan seit jenem letzten Impromptu verlassen und schien deutlich
-eine Gelegenheit zu suchen, mit seiner Schwester insgeheim zu reden.
-Er hatte ihr bereits mehrere Winke gegeben -- er hatte sich ihr schon
-einigemal genähert -- sie jedoch schien das Alles nicht zu beachten,
-oder vielmehr, sie vermied absichtlich das Zusammentreffen mit ihm;
-ohne Zweifel weil sie, die bereits hinlänglich gelesen hatte auf dem
-Gesichte ihres Mannes, fürchtete, hierdurch dessen Verdacht noch zu
-nähren. -- Die Angst Cölestinens läßt sich nicht beschreiben...
-
-Sie hatte Recht. Selbst dieses Letztere entging den Argusblicken
-Alexanders nicht: „Dort,“ sprach er, indem er auf Edmund sah, „geht der
-Busenfreund, der Abgesandte ihres Geliebten, um ihr das zu sagen, wozu
-für ihn die Gelegenheit nicht günstig ist. O, nicht umsonst hat mein
-ahnendes Herz diesen Menschen, der sich ihren Bruder nennt, vom ersten
-Augenblick an gehaßt.“
-
-Die Qual des armen Grafen ward jetzt auch noch durch seine Umgebung
-erhöht. Da man nämlich am andern Ende des Salons begann, Musik zu
-machen (+Parish-Alvar+’s hatte unschuldigerweise eine neue Terzett-
-und Quartett-Epoche heraufbeschworen) -- beschloß unser guter Freund,
-der Herr von +Porgenau+, welcher sich an diesem Ende befand, die
-Gesellschaft hier zu entschädigen, indem er anfing, haarsträubende
-Witze zu machen, nachdem er natürlich zuvor auf haarsträubende Weise
-pränumerando gelacht hatte:
-
-„Wissen Sie, meine Freunde,“ sagte er: „wie viele Dinge -- hahahaha!
--- die Franzosen bei ihrem Kriege -- hahahaha! in Algier brauchen...
-hahahaha! hahahaha!“
-
-Alles schwieg. Einige, die Herrn von Porgenau noch nicht kannten,
-erwarteten hier etwas ganz Besonderes zu hören.
-
-„Sie wissen also nicht -- wie viele Dinge -- hahaha! die Franzosen dort
-brauchen -- -- um hahaha! -- sicher zu reussiren?...“
-
-„Nein, nein!“ versetzten jene Neulinge.
-
-„Nun,“ antwortete Porgenau -- -- „aber -- hahahaha! hahahaha! er ist
-wirklich zu gut dieser Einfall... hahaha! ich kann ihn vor Lachen kaum
-von mir geben...“
-
-„Die Franzosen brauchen,“ sagte er einigermaßen gefaßt: „drei Dinge:
-Erstens:“
-
-Aber in diesem Augenblick platzte die Gemahlin des Bonmotisten, die
-natürlicherweise in seiner Nähe saß, um ihr Amt zu verwalten, in ein so
-markerschütterndes Wiehern (Lachen konnte man’s nicht nennen) aus, daß
-selbst ihr Mann erstaunte.
-
-Endlich hörte ihr Wiehern auf. Aber ein neues Hinderniß trat ein, nun
-begann wieder er zu lachen -- und dieses abwechselnde ehelich-zärtliche
-Anticipations-Gelächter dauerte so lange, daß sich schon einige
-Personen erhoben -- -- da schrie Porgenau laut auf: „Sie können nicht
-fortgehen, bevor Sie nicht meine drei Kriegsbedingungen gehört haben.
-Also zum Kriege brauchen die Franzosen: 1tens Geld, 2tens Geld und
-3tens -- -- was glauben Sie wohl, was wird das sein? -- Ebenfalls Geld!
--- hahahahahahahahahahahahaha!! --“
-
-(Aus Mangel an Raum geben wir nur -- wie Handlungsreisende -- eine
-Probe dieses Lachens, welches nach genauer Berechnung zwei und eine
-halbe Meile lang wäre, falls man es ganz niederschreiben wollte.)
-
-Das war zu schauderhaft. Auch die Geduldigsten und die Trägsten von
-den Umstehenden hielten es in der Nähe Porgenau’s nicht länger aus --
-Alles verließ seine Plätze. Da rief er in edlem Unwillen ihnen nach:
-„So! Sie gehen, meine Herren? --“ Und sich umwendend, bemerkte er
-gegen seine Frau, der noch immer alle Muskeln des Gesichts krampfhaft
-manoeuvrirten: „Die Undankbaren! Nachdem man ihnen seine Ideen
-mitgetheilt hat -- suchen sie das Weite, um damit zu wuchern!“
-
-Unter den Zweien oder Dreien, welche zurück blieben, befand sich auch
-Alexander. An ihn hielt sich nun Porgenau vorzüglich und fragte den
-düster vor sich Hinstarrenden --: „Nun, liebster Graf -- es freut mich,
-Sie bei mir behalten zu haben. -- Was sagen Sie zu der Aufführung der
-übrigen Herrn? -- Abscheulich, nicht wahr? -- Allein ich will mir’s
-auch merken. Künftig sollen meine Bonmots nur Ihnen, lieber Freund, und
-diesen zwei, drei Herrn hier mitgetheilt werden. Und zum Beweis wollen
-wir gleich jetzt den Anfang machen....“ Er gab seiner Frau einen Wink;
-sie fing wieder an zu wiehern...
-
-„Was meinen Sie,“ sagte er -- „-- ich werde Ihren Scharfsinn, lieber
-A--x, ein wenig auf die Probe stellen... Sie werden ohne Zweifel
-glänzend bestehen. Also sagen Sie mir gefälligst, welcher +Nuß+
-haben die Alten göttliche Ehren erwiesen? -- hahahaha! hahaha! -- --“
-Er hielt ein wenig inne und gab seiner Frau ein Zeichen, worauf auch
-sie schwieg.
-
-Es erfolgte jedoch keine Antwort.
-
-„Nicht wahr?“ begann Porgenau nach einer Pause -- „nicht wahr? --
-hahahaha...“
-
-Jetzt platzte auch seine Dame wieder aus...
-
-„Nicht wahr -- das ist ein göttliches Wortspiel! -- hahaha! -- O -- ich
-habe hundert ähnliche alle Tage erfunden -- hahaha! hahaha! -- Bei mir
-kommen die Wortspiele, Bonmots und geistreichen Einfälle wie im Sommer
-die Frösche -- hahaha, auch wieder ein guter Vergleich! -- -- Also noch
-einmal, bester Graf: Welches war die Nuß, der die Alten -- --“
-
-In diesem Augenblicke sprang Alexander plötzlich auf und eilte davon
--- im Nu war er vor den Augen des großen Witzboldes verschwunden,
-welcher, nachdem er sich von der ersten Ueberraschung erholt hatte,
-ausrief: „Ach -- Sie entwischen, lieber Graf? Das ist ein alter Kniff.
-Sie schämen sich, das Räthsel nicht auflösen zu können -- -- hahaha!
-hahaha! -- --“ Und zu den drei Letzten des Platzes, die seit einiger
-Zeit sich unter dem Einflusse seiner Unterhaltung einem köstlichen
-Schlummer ergeben hatten, rief er: „Nun -- ich will Sie nicht länger
-warten lassen, meine Herrn -- -- Jene Nuß, der die Alten göttliche Ehre
-erwiesen, war -- -- hahahahahahahahahaha u. s. w. es war: _Venus!_
-
-Hahahahahahaha -- -- -- -- u. s. w.“
-
-(Das Schlußgewieher der Ehehälfte läßt sich typographisch nicht
-darstellen; es fehlen im Setzkasten die Zeichen dafür.)
-
-Jetzt erst bemerkte Porgenau den Zustand der Drei. „O!“ sprach er:
-„meine Freunde, Sie stellen sich, als ob Sie schliefen!... Hahaha! --
-Wieder ein neuer Kniff! Doch auch er ist mir bekannt: Sie fürchten, daß
-ich Ihnen einen neuen Calembour aufgeben würde -- den Sie nicht lösen
-könnten... Fürchten Sie nichts, fürchten Sie nichts! Ich weiß, was ich
-echten Freunden schuldig bin... wiewohl +Schuldner ein schlechtes
-Gedächtniß haben+.... hahaha! hahaha! Wieder ein Witz! hahaha!
-wieder ein Witz!“
-
-Wir wenden uns von dieser _partie honteuse_ der Gesellschaft
-unseres Salons ab, um zu einer interessanteren zu eilen. -- Als
-Alexander so plötzlich seinen Sitz neben dem unglückseligen Porgenau
-verlassen hatte, war dies auf eine Veranlassung geschehen, welche hier
-näher beschrieben werden muß. Wir wissen, daß Alexander ununterbrochen
-seine Frau sowohl wie ihren Bruder und den Chevalier im Auge behielt;
-wir wissen ferner auch, daß Cölestine, als wir zuletzt von ihr gingen,
-von Edmund, welcher sie durchaus zu sprechen verlangte, auf alle
-mögliche Weise verfolgt ward. Sie hatte diesen Aufforderungen bisher
-hartnäckig widerstanden -- indem sie dieselben durchaus nicht zu
-verstehen schien.... sie war, bald dadurch, daß sie sich abwendete,
-bald dadurch, daß sie mit irgend einer Dame sich in ein Gespräch
-einließ -- bald durch die Aufmerksamkeit, die sie der Musik schenkte
--- dem Andringen ihres Bruders entgangen. -- Dieser schien darüber in
-Verzweiflung -- er hatte sich bereits vorgenommen, Cölestinen geradezu
-entgegenzutreten -- bald jedoch verließ ihn der Muth -- und er stand
-einige Augenblicke in kläglichem Zorne, stumm an die Wand gelehnt. Ein
-leichter Schlag weckte ihn aus seinem Trübsinn -- es war Marsan.
-
-„Ah!“ rief Edmund so laut, daß seine Stimme bis zu Alexander drang --
-„Sie sehen, guter Marsan -- es ist umsonst!“
-
-Mehr hatte Alexander nicht vernommen; dies aber war für ihn genug,
-um, wie wir wissen, gleich einem Wahnsinnigen von seinem Sitze
-aufzuspringen -- und die Nähe der Zwei aufzusuchen, welche er behorchen
-wollte. Zum Glück boten die Draperien des Salons an dieser Stelle einen
-vortrefflichen Schlupfwinkel und der Ehemann eilte, davon Gebrauch zu
-machen. Er hörte -- freilich hatte er jedoch den Anfang ihres Gesprächs
-versäumt -- Folgendes:
-
-„Aber -- es ist mir unerklärlich, daß Ihre Schwester Sie durchaus
-nicht hören will....“ sagte Marsan; „bei mir freilich ist das eine
-andere Sache -- -- sie hat Rücksichten auf den Narren, ihren Mann, zu
-nehmen!...“
-
-„Sagen Sie lieber -- den Elenden!“ versetzte Edmund: „dieser Mensch
-hat sie gegen mich aufgehetzt -- es ist klar. Doch ich will ihm das
-entgelten....“
-
-„Ja, ja -- wir wollen es gemeinschaftlich thun, mein Freund! -- Also
-sie will Ihnen die ersehnte Gelegenheit durchaus nicht gewähren,
-Edmund? -- Nun, wissen Sie was? -- Dringen Sie jetzt nicht weiter
-in sie.... Man darf es mit dem Narren Alexander nicht vorzeitig
-verderben.... Zwar übt er durchaus keine Macht auf sie aus... allein
-da er fähig ist, einen öffentlichen Skandal zu provociren, so muß man
-Cölestinen wenigstens in seiner Gegenwart schonen.... Befolgen Sie also
-die Regel, die ich Ihnen vorhin gegeben habe.... Ach!“ rief mit einem
-Male der Chevalier aus: „jetzt ist die Zeit dazu -- der Narr Alexander
-ist nirgends zu sehen -- er muß den Saal verlassen haben.“
-
-„Bei Gott, Sie haben Recht -- Marsan!“ versetzte der Jüngling: „Ha!
-sehen Sie doch -- -- Cölestine blickt überall herum -- sie scheint
-dieselbe Entdeckung gemacht zu haben.... sie sieht den Tyrannen nicht
--- -- -- jetzt giebt sie mir einen Wink! Ich eile zu ihr!“
-
-Hier hörte das Gespräch auf; die zwei Freunde verließen rasch den
-Platz. -- Aber sie waren nicht rascher, wie der Gatte, welcher über
-das, was er so eben gehört hatte, entsetzt aus seinem Hinterhalte
-hervor eilte, um den Zweien nachzugehen. -- Beim ersten Schritte
-jedoch schon blieb er stehen; Cölestine hatte in dem Momente, wo sie
-im Begriffe war, sich mit ihrem Bruder in ein Fenster zurückzuziehen
--- ihn erblickt und war rasch umgekehrt -- indem sie sich auf eine
-Ottomane warf....
-
-Ihr Mann aber zog sich mit einem schweren, tiefen Seufzer zurück -- in
-ein anstoßendes Kabinet. Doch konnte er noch, als er an der Thür sich
-umwandte, sehen, wie sowohl Marsan als Edmund mit kühnem Schritt sich
-abermals Cölestinen näherten -- und sie jetzt anredeten.
-
-„Aber, meine Freundin, ich versichere Ihnen -- dieser Verein unserer
-Damen hat keinen andern Zweck -- als Aufsehen zu erregen, und dann
-noch einen, welchen ich schon einmal angedeutet und hier, vor dieser
-Gesellschaft nicht wiederholen will....“
-
-„Nein, nein, meine Liebe -- Sie irren sich wirklich, Sie thun uns Allen
-so bitteres Unrecht.“
-
-„Wem ist das größte geschehen?“ rief das Stiftsfräulein aus und öffnete
-dabei ihren zahnlosen Mund so gewaltig, daß man, wie am Rande eines
-Precipisses in der Schweiz, den Schwindel bekam -- --: „Ist es nicht
-etwa mir geschehen? -- Mir, mir, die so viele menschenfreundliche Plane
-hegte -- mir, die den Frauenverein zu einer respektableren Bedeutung
-führen wollte -- mir, der Erfinderin jener Composition und jener
-Schlösser, jener Ketten -- jener Fangeisen....“
-
-„Freilich, freilich, es war nicht wohlgethan, Sie, beste Freundin, so
-zu behandeln, wie geschehen ist,“ erwiederte Gräfin von Wollheim....
-„man hat sich übernommen, man war zu strenge -- man -- --“
-
-„Wie? man war zu strenge?!“ schrie die verkannte Edle, auf das Wort
-„zu“ ein Gewicht legend.... „Was hatte man für ein Recht, +strenge+ zu
-sein gegen mich? -- Gegen mich, ein Mitglied, welches sich rühmen kann,
-zeitlebens für die Tugend, die Sittsamkeit, die Menschenfreundlichkeit
-und für das Menschenwohl im Allgemeinen gelebt zu haben..? -- für mich,
-die Erfinderin -- die Entdeckerin so vieler vortrefflicher Dinge,
-welche ich alle hier nicht aufzuzählen brauche, da man dieselben
-hinlänglich kennt!... Oder wie, kennt man sie nicht, die Fußangeln! die
-Daumenschrauben? -- --“
-
-Mehrere von den buckligen und liebenswürdigen Zuhörerinnen (wir wissen,
-daß das Fräulein ihr eigenes Auditorium hatte) hielten sich hier die
-Ohren zu; selbst ihnen, die doch an Humanität auf gleicher Stufe mit
-ihr standen -- wurde es endlich zu arg.
-
-„Es ist indeß, wie ich Ihnen vorhin sagte, Hoffnung vorhanden, daß Ihr
-Wiedereintritt in den Verein nicht länger beanständigt werden wird,
-beste Bomben!“ nahm die Gräfin das Wort.
-
-„Ich habe Ihnen gleichfalls bemerkt,“ erwiederte diese aufgebracht --
-„daß ich das nicht annehmen werde! Mich, mich soll man nie mehr -- ich
-hab’s geschworen! -- in einem Vereine sehen, dessen geheimer Zweck
-darin besteht -- -- hübsche Bauernbursche --“
-
-Hier hielten sich die Zuhörerinnen abermals die Ohren zu, und die
-Wollheim wandte sich mit gefalteten Händen an die Rednerin: „Um
-Gotteswillen -- nicht weiter, meine Freundin! Was denken Sie? Wenn
-diese Worte zur Kenntniß des Vereins kommen sollten!... des Vereins,
-der Sie ohne Zweifel wieder in seine Mitte zurückrufen wird...“
-
-„Aber ich wiederhole zum hundertsten Male: daß ich nichts mehr mit
-diesem Vereine zu thun haben will. Ich bin hierzu viel zu moralisch!
--- Hinfort soll es mein Beruf nur sein: mich dem saubern Vereine
-+entgegenzustellen+... ihn zu bekämpfen... ihn zu ruiniren.....
-Oh! Oh!“ schäumte sie: „Wenn ich schon Nero’s Schwert nicht besitzen
-kann, um diesem hübschen Damenkranz mit einem Hiebe die Köpfe
-abzuschlagen.... so möchte ich doch wenigstens das Gift der +Lukretia
-Borgia+ haben -- -- -- --“ Hier hielt die genügsame Dame plötzlich
-inne, gemahnt ohne Zweifel von der Erinnerung, daß wir in dieser
-verderbten Welt auch eine Polizei haben....
-
-Die buckligen und anderen Zuhörerinnen aber erhoben sich, und ohne ein
-Wort zu sprechen, verließen sie die Aspirantin des Giftes der Borgia --
-
-Es mußte wirklich bis zu einem solchen Punkte kommen, um diese Damen zu
-vertreiben. --
-
-Allein Gräfin Wollheim überdauerte sie alle, vermöge ihrer
-Gutmüthigkeit und einer Leidenschaft für Strumpfgespräche, die beide,
-seit die Welt steht, noch nicht da waren.
-
-Indessen, als diese Episoden sich hier zutrugen, rollte anderwärts die
-Haupthandlung des Abends in ununterbrochener Gleichförmigkeit fort.
-Die Musik war zu Ende -- d. h. jenes Harfenterzett oder Quartett, von
-dem wir oben gesprochen haben. Jetzt -- sollte etwas Neues kommen;
-eine große brillante Arie aus der jüngsten Oper Donizetti’s, dieses
-Lieblings der Musen, der es bleiben wird, mögen seine nordischen
-Eiferer und Geiferer sich und ihre traurigen Federn noch so vollsaugen
-mit Gift und Galle.[F] -- Da die Arie, welche wir meinen, von einer
-sehr berühmten Dilettantin (Fräulein von G--e--) gesungen wurde, so
-widmete man derselben die größte Aufmerksamkeit, und einige Augenblicke
-schien der Geist dieser Versammlung sich nur um die Sängerin zu
-concentriren. -- Dies schien jedoch blos so. Es mochten in so manchen
-Herzen Dinge vorgehen, die keinen Bezug auf die schöne Sängerin hatten,
-wiewohl man Blicke und Mienen nur auf sie richtete -- wiewohl man nur
-zu athmen schien, um Worte des Beifalls für sie zu haben. Wo in aller
-Welt wäre auch eine größere und tiefere Schauspielkunst zu finden, als
-in den Kreisen jener Gesellschaft, die sich ausschließlich die gute
-nennt? Mich dünkt -- es könnte hier Jemand wissen, daß die nächste
-Minute die seines Todes sein werde, und er würde, in der vorhergehenden
-zu einer Polonaise aufgefordert -- süß lächelnd entgegnen: „Mit dem
-größten Vergnügen!“
-
-Diesen Gesichtspunkt müssen wir im Auge behalten, um den Zustand, worin
-sich in diesem Augenblick eine Person in diesem Salon befand, gehörig
-zu würdigen. Da saß Cölestine, dieses schöne, junge, reizende Weib
-und hörte stumm den Tönen der Musik zu. Auf ihrem blüthenreinen --
-aber auch blüthenbleichen Gesichte malte sich Aufmerksamkeit, Spannung
-und tiefe Anschauung ab -- auf diesem Gesichte, worin sonst nur
-Lust, Heiterkeit und schalkhafte Koketterie zu lesen war. Jene Mienen
-schienen mit der herrlichen Musik im Zusammenhange zu stehen -- --
-aber auch hier können wir sagen: daß sie dieses blos +schienen+.
-Dieses schwarze, glühende, jetzt durch den seidnen Vorhang der Wimpern
-halbverdeckte Auge -- war zwar auf die Sängerin gerichtet; es sah
-jedoch nichts von ihr, es sah in sich selbst zurück, in die eigene
-Brust sah es hinein...
-
-Welche mochten die Gedanken sein, die in dieser Brust sich drängten?
--- denn sie war voll, überfüllt davon -- so daß sie zu überfließen
-schienen, wie ein allzu voller Becher: O hätte sie das wohl vor
-einigen Monaten geahnt -- in jener Zeit, als sie ihrem Manne aus
-inniger Zuneigung die Hand reichte? -- Ach, damals kannte sie ihn noch
-nicht! Sie träumte damals von paradiesischen Tagen und hesperidischen
-Nächten... dies war nun vorbei.... es schien ein Wahn, eine
-Seifenblase...
-
-Cölestine warf, wie von einem plötzlichen Gedanken beunruhigt, ihren
-Blick jetzt wieder im Saale umher.... da sah sie den Chevalier neben
-Edmund, welcher sie erst vor Kurzem verlassen hatte, in einiger
-Entfernung, an der entgegengesetzten Wand stehen -- und Marsan schien
-sie mit seinen Augen zu verschlingen... -- Er wollte sich ihr schon
-wieder nähern -- -- da winkte sie ihm flehend mit beiden Händen.... und
-er blieb. --
-
--- Diese ganze Scene aber hatte Alexander wieder aus dem Nebenzimmer
-beobachtet. Noch sah er, daß Edmund versteckt ein Zeichen mit der Hand
-machte, wobei zwei Finger ausgestreckt waren, wie man die zweite Stunde
-zu bezeichnen pflegt. --
-
-Der unglückliche Ehemann rief mit Thränen in den Augen vor sich: „Das
-ist eine Bestellung -- um 2 Uhr! Ein Kind müßte es begreifen.“
-
-Gleich darauf verließ Edmund sowohl wie der Chevalier den Saal und sie
-waren hier heute nicht ferner zu sehen. --
-
--- -- Mitternacht nahte heran, als man von allen Seiten sich zum
-Aufbruch anschickte. -- Alexander erschien, um seine Frau wegzuführen;
-Arm in Arm gelangten beide zu ihrem Wagen. Jedoch glaubte Alexander zu
-bemerken, daß nicht nur der Arm, sondern der ganze Körper seiner Frau
-von aller Kraft entblößt war.
-
-Man sprach sowohl beim Einsteigen als auch während der Fahrt kein Wort.
-Nur in der Nähe ihrer Wohnung erst war es, wo Cölestine wie aus einem
-tiefen Schlafe erwachte. „Ach! schon zu Hause?“ sagte sie, und er
-erwiederte eintönig: „Schon zu Hause!“ Hierauf schwiegen sie wieder. Er
-hob sie aus dem Wagen. -- Vor ihren Gemächern verabschiedete er sich
-von ihr, indem er vorgab, diese Nacht in seinem Studierzimmer zubringen
-zu wollen.
-
-„Wachend?“ fragte sie.
-
-„Nein, nein; im Schlafe!“ entgegnete er, ergriff ihre Hand, führte sie
-zu seinen Lippen und wollte forteilen. Aber sie faßte ihn plötzlich,
-zog ihn zurück, sah ihn einige Augenblicke stumm und mit einem
-unbeschreiblichen Ausdruck von Schmerz an -- preßte sodann seine Hand
-an ihr Herz und fragte endlich mit matter Stimme: „Warum willst Du
-die Nacht so fern von mir zubringen, Alexander?“ Und als er schwieg,
-fuhr sie fort: „Du zürnst mir, Du verdammst mich... Aber ein Gott ist
-mein Zeuge, daß ich mir nichts vorzuwerfen habe! -- O Alexander, mein
-Gemahl, ich liebe Dich so innig! Könntest Du in mein Herz sehen!“
-
-Sie wollte noch weiter sprechen, er hatte sich jedoch bereits sachte
-losgemacht, und noch ein Mal „Gute Nacht!“ wünschend, war er über den
-Corridor verschwunden. --
-
--- Er betrat, wie er gesagt hatte, sein Studierzimmer, schraubte die
-Lampe, die hier bereits brannte, höher, warf einige Kleidungsstücke ab
-und sich in seinen Schlafrock. Sodann verschloß er die Thür, ließ die
-doppelten Rouleaux vor den Fenstern herab, setzte sich an den Tisch und
-legte seine Taschenuhr, die sehr verläßlich war, vor sich nieder. --
-
-Er zählte Minute um Minute; es war jetzt nahe an Eins. --
-
-„Noch eine Stunde --“ murmelte er dumpf -- „dann ist die Betrügerin
-entlarvt.... Ja, ich vertraue fest auf die Zeichen, welche ich sah,
-und auf die Ahnung in meinem Innern, die mir zuflüstert, daß ich das
-Schrecklichste erst jetzt sehen werde. -- -- O, mein Gott! womit habe
-ich es verdient? -- Wesen, das Du voll Allmacht und Gerechtigkeit
-thronst über uns -- wo sind hier die Spuren dieser Eigenschaften? --
-Was habe ich gethan? Ich habe dieses Weib geliebt wie das Blut meines
-Herzens -- wie den Hauch meiner Seele.... und sie, sie vergiftete dafür
-das erstere und erstickte diesen auf meuchlerische Weise. -- Soll das
-die Dankbarkeit sein, welche Du Deinen Kreaturen einimpfest? dann
-freilich entsprechen sie genau Deiner Liebe und Gerechtigkeit, deren
-Ausfluß sie ja sein sollen.... Doch genug! -- Ich will harren und das
-tödtliche Gift bis zum letzten Tropfen einschlürfen!.... Ich will die
-Stunde erwarten.... sie ist nicht mehr fern.“
-
-Er legte sein Haupt in die offene Hand, welche er auf den Tisch
-stützte, und versank in einen Abgrund entsetzlicher Träume. Nur ein an
-Allem, auch dem Letzten und Höchsten, Zweifelnder und Verzweifelnder
-kann so träumen.
-
--- -- Endlich richtete er den Blick auf die Uhr. Der Zeiger stand
-gerade auf Zwei. Wild fuhr er vom Sitze auf und rannte nach einem
-Schranke, aus welchem er ein Kästchen von Sandelholz, mit Perlenmutter
-und emaillirtem Silber ausgelegt, hervorholte. Er stellte es auf den
-Tisch und schloß es auf. Zwei Paar Pistolen lagen darin, eine von ihnen
-lud er und steckte sie zu sich -- dann stellte er das Kästchen wieder
-an seinen Platz, löschte die Lampe aus und verließ das Zimmer. --
-
-In dem Augenblicke, als er den Fuß vor die Thür setzte, fiel ihm ein,
-daß er vielleicht gar zu spät kommen könnte. Er schalt sich, nicht
-+vor+ der Stunde aufgebrochen zu sein, denn noch wußte er ja nicht
-den Ort, an welchen er sich begeben sollte.
-
-Er sann einen Augenblick nach, dann ging er rasch, aber mit leisem
-Schritte hinab zu dem Portier, weckte den guten Mann, der bereits
-längst wohlgemuth in einem thurmhohen Federbette schnarchte, und fragte
-ihn, ob er vor Mitternacht keine Person aus- oder eingehen gesehen
-habe, die ihm verdächtig, unbekannt oder verkleidet schien. Der brave
-Mann in seinem Federbette versetzte, daß ihm nichts dem Aehnliches
-vorgekommen wäre. Schon wollte Alexander fortgehen -- als der brave
-Mann aus seinem Federbette plötzlich auffuhr, rufend: „+Halt!+ --
-+gräfliche Gnaden verzeihen gehorsamst+ .... jetzt fällt mir ein --
-oder vielmehr es kommt mir so vor... als sei so zwischen 11 und 12 Uhr
-ein Herr rasch hereintreten, durch den Thorweg geeilt -- und ehe ich
-ihn anrufen konnte, im Hofe verschwunden. -- Leider ging die Hauptlampe
-heute früher aus wie sonst -- -- und es war dort pechfinster, trotz der
-andern kleinen Lämpchen, gräflichen Gnaden aufzuwarten. -- Ueberdies
-dacht’ ich bei mir: wer weiß, wer der Herr ist! ’s kann auch Jemand
-aus dem Hause sein; Nachts sind alle Kühe schwarz....“ So schloß der
-Portier, welcher, wie man sieht, ein wahres Muster seiner Zunft war. --
-
-Alexander aber war bereits fortgeeilt.... er schlug den Weg zum
-Schlafzimmer seiner Frau ein. -- Ein wildes Fieber schüttelte seine
-Glieder, als er hier anlangte. -- Er hatte bisher alle Thüren leise
-geöffnet -- an diese legte er zuerst sein Ohr an, um zu horchen.
-
-Nichts war zu hören, auch nicht die Athemzüge einer Schlummernden. --
-Er trat vorsichtig ein, näherte sich dem Bette Cölestinens -- tastete
--- -- fand es leer.
-
-Doch konnte nicht gezweifelt werden, daß sie noch kurz vorher darin
-gelegen habe. -- Es war am untern Ende noch warm von den Füßen...
-
-Das Gefühl, welches bei dieser Entdeckung des Armen Herz durchschnitt,
-ist nicht zu beschreiben. Er säumte jedoch nicht lange und ging
-weiter. Wohin aber sollte er sich zuerst wenden? War sie nicht im
-Schlafgemache, wohin sonst sollte sie sich zu dieser Stunde begeben
-haben? -- Etwa aus dem Hause hinaus. Dies schien nicht wahrscheinlich
--- und überdies stimmte diese Annahme nicht mit jener von dem Herrn
-überein, in welchem Manne Alexander keinen Andern als den +Chevalier+
-vermuthete. Was -- vermuthete? -- +Wußte!+ muß gesagt werden; denn er
-hätte für diese Ueberzeugung sein Leben hingegeben. --
-
-Es fiel ihm ein, nach dem Arbeitszimmer seiner Frau zu gehen, da
-dieses sehr einsam und mit den Fenstern nach dem Garten zu lag. Um
-jedoch dahin zu gelangen, mußte er an Cölestinens Boudoir vorüber
-gehen. Als er in dessen Nähe gelangte -- fiel ein Lichtschimmer nicht
-größer als ein kurzer Seidenfaden auf einen seiner Füße -- -- es hätte
-ein Blitzstrahl sein können, er hätte ihn nicht fester an den Platz
-gebannt. -- Jetzt glaubte er ein heftiges Flüstern zu vernehmen -- das
-mit einem Male abbrach -- und bald darauf wieder anhob -- sogar von
-einem leisen Schluchzen unterbrochen. --
-
-Er konnte nicht länger zweifeln. Dies hier war der Schauplatz des
-Verbrechens. --
-
-Vorsichtig trat er an die Thür des Boudoirs -- und versuchte durch’s
-Schlüsselloch zu blicken -- -- aber in demselben Augenblick wurde im
-Innern das Licht ausgelöscht. -- Er hatte jedoch mit dem letzten Blick
-noch die Umrisse einer hohen eleganten Mannesgestalt, in einen langen
-Oberrock gehüllt, erhascht. Das war hinreichend, hätte er übrigens auch
-die letzten Worte, welche Jener mit gedämpfter Stimme sprach, nicht
-gehört. Diese Worte lauteten: „Niemals, niemals werde ich dieser Stunde
-vergessen, und was Du, Geliebte, in ihr für mich gewagt!“ --
-
-Mehr konnte er nicht verstehen -- die Beiden hatten sich bereits in
-einem der nächsten Gemächer verloren. --
-
-Alexander vermuthete, daß Cölestine ihren Geliebten zuerst unten im
-Garten abgeholt und sodann durch eine Reihe von Zimmern, also auf
-Umwegen, hierher geführt habe. -- Seiner Berechnung nach, mochten
-hierüber bis zum gegenwärtigen Augenblick eine und eine halbe Stunde
-verflossen sein, denn es war jetzt ein Viertel auf vier Uhr.
-
-Er hatte von seiner Waffe keinen Gebrauch machen können und trat nun
-den Rückweg nach seinem Arbeitszimmer an -- dumpf im Hirn, todt in der
-Brust.
-
-
- Ende des ersten Theiles.
-
-
-
-
-Fußnoten:
-
-[A] Befehlen.
-
-[B] Man verzeihe es uns, wenn wir nicht im Stande sind, die klassische
-Mundart der Dame in ursprünglicher Form wiederzugeben.
-
-[C] Man kennt diese und andere sinnreiche Werkzeuge, welche jene zwei
-Tyrannen des Alterthums zum Verderben ihrer Opfer erfanden.
-
-[D] Trödler.
-
-[E] Meister Lips Firma, die über seiner Wohnung hing, lautete:
-+Sophronias Lips+, +Wechsler+, +Antiquar+, +Juwelier und
-Hühneraugen-Operateur+.
-
-[F] Es fallen mir hierbei Heine’s Worte ein, der den Feinden des
-göttlichen +Rossini+ wünscht, daß sie verdammt sein sollen, nach dem
-Tode in alle Ewigkeit +Bach’sche Fugen+ anzuhören.
-
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Cölestine, oder der eheliche Verdacht
- Erster Theil (von 2), by Julian Chownitz
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK COELESTINE, ERSTER THEIL ***
-
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@@ -1,8505 +0,0 @@
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- The Project Gutenberg eBook of Cölestine, oder der eheliche Verdacht, Erster Theil, by Julian Chownitz.
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-}
-
- </style>
- </head>
-<body>
-
-
-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Cölestine, oder der eheliche Verdacht;
-Erster Theil (von 2), by Julian Chownitz
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Cölestine, oder der eheliche Verdacht; Erster Theil (von 2)
-
-Author: Julian Chownitz
-
-Release Date: October 5, 2016 [EBook #53217]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK COELESTINE, ERSTER THEIL ***
-
-
-
-
-Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net (This file was produced from images
-generously made available by The Internet Archive)
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-
-<div class="transnote">
-
-<p class="s3 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
-
-<p class="p0">Der vorliegende Text wurde anhand der 1842 erschienenen
-Ausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben.
-Zeichensetzung und offensichtliche typographische Fehler wurden
-stillschweigend korrigiert.</p>
-
-<p class="p0">Ungewöhnliche sowie inkonsistente Schreibweisen wurden
-beibehalten, insbesondere wenn diese in der damaligen Zeit üblich waren
-oder im Text mehrfach auftreten. Fremdsprachliche Begriffe und Zitate
-sowie eingedeutschte Fremdwörter wurden nicht korrigiert; einzelne
-unleserliche Buchstaben wurden aber sinngemäß ergänzt.</p>
-
-<p class="p0">Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter erstellt.</p>
-
-<p class="p0 ebnoshow">Im Original wurde die Seitennummer 43 versehentlich zwei Mal
-vergeben. In der vorliegenden Fassung wurde dieser stattdessen die korrekte
-Seitenzahl 45 zugewiesen.</p>
-
-<p class="p0 htmlnoshow"> Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät
-installierten Schriftart können die im Original <em class="gesperrt">gesperrt</em> gedruckten
-Passagen gesperrt, in serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos
-als auch gesperrt erscheinen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="front">
-
-<h1><b>Cölestine,</b><br />
-
-<span class="s6">oder</span><br />
-
-<span class="s5">der eheliche Verdacht.</span></h1>
-
-<p class="center">Von</p>
-
-<p class="s3 center"><b>Julian Chownitz,</b></p>
-
-<p class="s5 center">Verfasser von: Moderne Liebe, Marie Capelle, Leontin,<br />
-Eugen Neuland, Geld und Herz, Heinrich von<br />
-Sternfels u. s. w.</p>
-
-<p class="s4 center padtop2"><b>Erster Theil.</b></p>
-
-<p class="s4 center padtop2">Mit 3 Illustrationen.</p>
-
-<div class="figcenter">
- <a id="deko" name="deko">
- <img class="w50 mtop2 mbot2" src="images/deko.jpg"
- alt="Dekoration" /></a>
-</div>
-
-<p class="s4 center"><b>Leipzig,</b><br />
-Verlag von Franz Peter.</p>
-
-<hr class="r5" />
-
-<p class="s3 center"><b>1842.</b></p>
-
-<p class="s5 center padtop5 break-before">Gedruckt bei
-<em class="gesperrt">Friedrich Andrä</em>.</p>
-
-<p class="s4 center padtop5 break-before">Meinen Freunden</p>
-
-<p class="s3 center"><b>Carl Herloßsohn</b></p>
-
-<p class="s4 center">und</p>
-
-<p class="s3 center"><b>Eduard Maria Oettinger</b></p>
-
-<p class="s4 center">gewidmet.</p>
-
-</div>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p class="s2 center">Inhaltsverzeichnis.</p>
-
-</div>
-
-<table class="toc" summary="Inhaltsverzeichnis">
- <tr>
- <td class="knr" colspan="2">
- Erstes Kapitel.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kapitel">
- Eine Morgenszene auf dem Wasserglacis.
- </td>
- <td class="snr">
- <a href="#Seite_3">3</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="knr" colspan="2">
- Zweites Kapitel.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kapitel">
- Cölestine von Randow und Alexander von A&mdash;x.
- </td>
- <td class="snr">
- <a href="#Seite_31">31</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="knr" colspan="2">
- Drittes Kapitel.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kapitel">
- Die Trauung.
- </td>
- <td class="snr">
- <a href="#Seite_44">44</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="knr" colspan="2">
- Viertes Kapitel.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kapitel">
- Der Hochzeitsball.
- </td>
- <td class="snr">
- <a href="#Seite_55">55</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="knr" colspan="2">
- Fünftes Kapitel.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kapitel">
- Einige Lebensszenen.
- </td>
- <td class="snr">
- <a href="#Seite_85">85</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="knr" colspan="2">
- Sechstes Kapitel.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kapitel">
- Die ersten Tage eines jungen Ehepaars.
- </td>
- <td class="snr">
- <a href="#Seite_113">113</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="knr" colspan="2">
- Siebentes Kapitel.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kapitel">
- Ein <em class="antiqua">Tête à tête</em> &mdash; jedoch kein zärtliches.
- </td>
- <td class="snr">
- <a href="#Seite_136">136</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="knr" colspan="2">
- Achtes Kapitel.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kapitel">
- Der Chevalier von Marsan.
- </td>
- <td class="snr">
- <a href="#Seite_155">155</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="knr" colspan="2">
- Neuntes Kapitel.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kapitel">
- Die Thorheiten der Welt und die Leidenschaften des Herzens.
- </td>
- <td class="snr">
- <a href="#Seite_171">171</a>
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- </tr>
- <tr>
- <td class="knr" colspan="2">
- Zehntes Kapitel.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kapitel">
- Ernste und heitere Zwischenszenen.
- </td>
- <td class="snr">
- <a href="#Seite_195">195</a>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="knr" colspan="2">
- Elftes Kapitel.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kapitel">
- Die beiden Gatten und der Verdacht.
- </td>
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- </tr>
- <tr>
- <td class="knr" colspan="2">
- Zwölftes Kapitel.
- </td>
- </tr>
- <tr>
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- Die Beweise der Untreue.
- </td>
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- </tr>
- <tr>
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- Dreizehntes Kapitel.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kapitel">
- Neue Proben &mdash; neue Beweise.
- </td>
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- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="knr" colspan="2">
- Vierzehntes Kapitel.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kapitel">
- Die Morgenszene nach dem vorigen Tage.
- </td>
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- </tr>
- <tr>
- <td class="knr" colspan="2">
- Fünfzehntes Kapitel.
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="kapitel">
- Abend und Nacht.
- </td>
- <td class="snr">
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- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<hr class="full" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p class="s2 center padtop2 mbot1"><b>Cölestine,</b></p>
-
-<p class="s4 center mbot2">oder</p>
-
-<p class="s2 center mbot2"><b>der eheliche Verdacht.</b></p>
-
-</div>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_3" id="Seite_3">[3]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Erstes_Kapitel"><b>Erstes Kapitel.</b><br />
-
-<span class="s6">Eine Morgenszene auf dem Wasserglacis.</span></h2>
-
-</div>
-
-<p><span class="initial">D</span>ie Morgensonne leuchtete mit goldener Klarheit über der schönen und
-großen Stadt Wien.</p>
-
-<p>Es ist das Wasserglacis wohin wir uns zum Eingange dieser Erzählung
-versetzt sehen. Sie kennen doch das Wasserglacis, meine liebenswürdigen
-Leserinnen, oder mindestens haben Sie davon bereits gehört; Sie wissen
-also so viel als nöthig ist, nämlich: daß dieses Wasserglacis am
-Morgen und Vormittags einen der lieblichsten, der herrlichsten Plätze
-Wiens bildet &mdash; des Nachmittags und zur Abendzeit hingegen unter
-die abscheulichen und vermeidenswerthen Punkte der großen deutschen
-Metropole gehört &mdash; dies, meine holden Leserinnen, werden Sie wohl
-schon gehört haben. &mdash; O schreckliche Wasserglacis-Nachmittage &mdash;
-da sich dort parfumirte Ladendiener, geniale Vagabonden, gutmüthige
-Limonade<span class="pagenum"><a name="Seite_4" id="Seite_4">[4]</a></span>trinker und buntbetakelte alte Kokotten versammeln, in deren
-Reihen sich einige honette Menschen verirren, wie Fettaugen in eine
-Gasthaussuppe! &mdash; Wie oft hat man das Wasserglacis mit dem Volksgarten
-in eine Linie zu stellen versucht und diesen letzteren den Bruder von
-jenem genannt! Ach, das war ein schmähliches Unrecht, welches man
-dem ehrenwerthen Volksgarten anthat. In diesem hat zu jeder Zeit das
-bessere &mdash; um nicht geradezu zu sagen: das edlere &mdash; Element überwogen,
-was man vom Wasserglacis und dessen Abendunterhaltungen nicht sagen
-kann &mdash; außer, wir wiederholen es, am Morgen und dann noch allenfalls
-an gewissen Tagen, wenn nämlich von dem Entrepreneur eine Barriere rund
-um den Platz herum gezogen wird, welches das einzige Mittel ist, (nicht
-gewisse Leute abzuhalten, sondern) bessere Gesellschaft anzuziehen.</p>
-
-<p>Zur Zeit des Frühjahrs werden jeden Tag hübsche Konzerte auf dem
-Wasserglacis abgehalten. Hieher strömen dann von der vornehmen und
-mittleren Welt alle Diejenigen, welche eine Morgenpromenade machen, das
-Frühstück im Freien nehmen, irgend eine Negotiation bei einem Glase<span class="pagenum"><a name="Seite_5" id="Seite_5">[5]</a></span>
-Champagner verrichten oder aber &mdash; jetzt hat dieser Ort sogar seine
-ehrwürdige Seite &mdash; Mineralwasser trinken wollen, denn mit letzterem
-Artikel ist man hier in allen Sorten versehen.</p>
-
-<p>&mdash; Es war an einem eben solchen Vormittage, als zwei Herren, deren
-einer älter, der andere noch ein Jüngling war, in raschen Schritten
-und eifrigem Gespräche sich dem Etablissement näherten und ungefähr
-in der Mitte desselben an einem kleinen Tische Platz nahmen. Zufällig
-oder absichtlich hatten sie sich in den am stärksten bevölkerten Theil
-des Ortes begeben, was jedoch &mdash; sollte es mit Vorsatz geschehen sein
-&mdash; nur durch den ältern Herrn bewirkt worden war, denn sein junger
-Begleiter schien seit einigen Augenblicken in tiefes Nachsinnen zu
-versinken.</p>
-
-<p>Um die Gestalt der Beiden zu schildern, werden wenige Striche genügen.
-Der Aeltere, ein Mann von 50 bis 60 Jahren, ließ auf den ersten Anblick
-merken, daß es ihm vor Allem darum zu thun sei, so jung als möglich zu
-scheinen. Es war dies mit einem Worte einer jener greisen Stutzer und
-Liebesritter, von welchen die Residenzen wimmeln &mdash; namentlich seit
-dort die Schneider, die<span class="pagenum"><a name="Seite_6" id="Seite_6">[6]</a></span> Friseure, die Zahnärzte und noch manche andere
-Künstler so große Fortschritte in ihren resp. Fächern gemacht haben.
-Unser alter Adonis war mittlerer Statur und ausnehmend wohlbeleibt, was
-weder seinen engen Kleidern noch dem Gurte, welchen er merkbarer Weise
-unter seinen Kleidern um die Taille oder vielmehr um den Bauch trug &mdash;
-noch auch dem Mieder in seiner Weste gelang, zu verbergen. Sein Gesicht
-glänzte von Gesundheit, Verliebtheit und jener Schlauheit &mdash; die sich
-selbst betrügt; auf dem Kopfe trug er eine kostbare schwarze Perücke,
-die von seinem rothen Gesichte abstach wie ein Rabe neben einem Papagei
-&mdash; &mdash; welchen Kontrast unser Mann jedoch dadurch zu vermitteln suchte,
-daß er seinen weißen Schnurbart (er trug einen Schnurbart!), und sogar
-seine Augenbraunen schwarz färbte. Es läßt sich denken, daß er stets
-nach der herrschenden Mode gekleidet war, auch Stock und Lorgnette
-trug, letztere um jede Dame zu begucken, ersteren um seinem ein wenig
-watschelnden Gange mehr Eleganz zu geben.</p>
-
-<p>Was den jungen Mann betrifft, so wird es hinreichen, einstweilen zu
-bemerken, daß er ein<span class="pagenum"><a name="Seite_7" id="Seite_7">[7]</a></span> schöner, schlanker, etwas bleicher Jüngling
-war, an welchem man weder eine Tugend noch einen Fehler mehr bemerken
-konnte, als an andern schönen, schlanken und bleichen Jünglingen. Nur
-melancholisch schien der Arme! Ach, er schien sehr melancholisch.</p>
-
-<p>Einige Zeit hindurch herrschte zwischen beiden tiefe Stille. Der alte
-Seladon hatte mit seiner Lorgnette vollauf zu thun; er besah sich alle
-Frauen ringsherum, eine nach der andern &mdash; manche zwei, drei Mal, und
-dabei schnalzte er zeitweise leise mit der Zunge, lächelte verschmitzt
-und strich sich vorsichtig den gefärbten Schnurbart. Endlich blieb sein
-kleines Aeuglein mit sichtbarem Vergnügen auf einer von den anwesenden
-Damen haften und jetzt ließ er ein leises Husten vernehmen.</p>
-
-<p>Dies brachte den Anderen aus dessen Träumereien. Er wandte sich nach
-dem Alten und sprach: „Also wirklich verhält es sich so, wie Sie mir
-vorhin erzählten? Wirklich? &mdash; &mdash; Nein, nein, ich kann es noch nicht
-glauben. <em class="gesperrt">Cölestine von Randow</em> hätte die Absicht, jenem Menschen
-ihre Hand zu geben, wie? &mdash;“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_8" id="Seite_8">[8]</a></span></p>
-
-<p>„Nicht blos: Sie hätte, bester Freund! Sie <em class="gesperrt">hat</em>, sie <em class="gesperrt">hat</em>
-die Absicht, mein Lieber! Sie <em class="gesperrt">hat</em>, sag’ ich &mdash; und setze noch
-hinzu: ihm höchstwahrscheinlich die Hand schon <em class="gesperrt">gegeben</em>.“ Hier
-schwieg der Alte und fuhr auf seinem Sitze ungeduldig hin und her, weil
-sich zwischen ihn und seinen Gegenstand Jemand gestellt hatte, so daß
-er zu jenem durch seine Lorgnette nicht hinüber sehen konnte.</p>
-
-<p>„Aber“ fuhr der Jüngling fort: „das ist ja ganz unmöglich! Sie sprechen
-da eine Absurdität aus, lieber Althing. &mdash; Es ist unmöglich, sag’ ich!
-ich kann es nicht glauben.“</p>
-
-<p>Ohne sich an diese Rede zu kehren, rief der Seladon, der nunmehr wieder
-sein <em class="antiqua">vis à vis</em> sah: „Ach! Ach! Welche Formen! Welch herrlicher
-Wuchs! Welcher Gliederbau! Welche Taille &mdash; &mdash; und besonders, welches
-göttliche Gesicht! &mdash; Wahrhaftig, das ist eine Juno &mdash; oder nein eher
-noch eine Venus.... eine.... eine.... Allein, wer ist dort jener
-junge Gelbschnabel, der sich beständig an sie drängt? Offenbar mag
-sie nichts von ihm wissen &mdash; &mdash; und hat ihre Blicke beständig hierher
-nach mir gerichtet. O,<span class="pagenum"><a name="Seite_9" id="Seite_9">[9]</a></span> glücklicher Althing! Du bist noch immer jener
-große Besieger der Weiberherzen........ Allein, bei Gott, <em class="gesperrt">diese</em>
-verdient Dich auch im vollsten Maße.“</p>
-
-<p>„Von wem reden Sie, Althing?“ erhob der Jüngling jetzt Kopf und Stimme:
-„Reden Sie von Cölestine von Randow?“</p>
-
-<p>„Ei bewahre!“ entgegnete der Andere lachend: „Ich rede &mdash; &mdash; sehen Sie
-denn nicht <em class="gesperrt">dort</em>, meine Göttin <em class="gesperrt">dort</em> &mdash; von ihr <em class="gesperrt">dort</em>
-rede ich &mdash; &mdash; sehen Sie <em class="gesperrt">dort</em> &mdash; <em class="gesperrt">dort</em> &mdash; bester Baron!
-<em class="gesperrt">dort</em> sehen Sie sie, bester <em class="gesperrt">Leuben</em>!... Ha, beim Himmel! so
-eben hat sie mir einen Blick zugeworfen; einen Blick sag’ ich Ihnen!
-Haben Sie ihn denn nicht bemerkt?“</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Leuben</em>, denn so hieß der Jüngling, hatte schon wieder das Haupt
-auf die Brust fallen lassen und fragte jetzt eintönig:</p>
-
-<p>„Und Sie wissen es also wirklich?“</p>
-
-<p>„Es ist so klar, wie die Sonne. Ueberzeugen Sie sich doch selbst, mein
-theurer Freund.“</p>
-
-<p>„Man hat es Ihnen also nicht blos gesagt? Sie haben es nicht blos vom
-Hörensagen &mdash;?“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_10" id="Seite_10">[S. 10]</a></span></p>
-
-<p>„Ei, was fällt Ihnen da ein, köstlichster Leuben! Vom Hörensagen! &mdash;
-Ich wiederhole Ihnen: diese meine eigenen Augen haben es gesehen, diese
-Augen hier, verstehen Sie mich? und Sie wissen doch, ich habe ein Paar
-Augen wie ein Adler, wiewohl, ohne daß ich darauf eitel wäre, auch noch
-von manchen andern Vorzügen meiner Gestalt die Rede sein könnte. &mdash;
-Allein...“</p>
-
-<p>Der junge Mann stieß hier, als ganze Antwort darauf, einen schweren
-Seufzer aus, und als der einsammelnde Kassirer des Orchesters herbei
-trat, um seinen Groschen zu verlangen, warf Leuben ihm in der
-Zerstreuung einen Dukaten hin, was sonst für einen Morellischen Walzer
-doch wohl ein zu hoher Preis sein dürfte.</p>
-
-<p>Mit einem Male fing Althing wieder an: „Ach! Ach! bei Gott &mdash; das
-ist zu stark! das war ein Blick so feurig wie eine Bombe! Du hast
-nicht nöthig, holde Zauberin, mein Herz mit so schwerem Geschütze zu
-bestürmen: es hat Dir seine Thore längst schon aufgethan. &mdash; Abermals!
-Abermals! &mdash; Ach, ich sehe, Du bist rasend in Deiner Zuneigung zu mir!
-Nun<span class="pagenum"><a name="Seite_11" id="Seite_11">[11]</a></span> ja, Du bist ja erhört! &mdash; Ha! auch noch mit dem Fächer winkst Du
-mir? &mdash;“</p>
-
-<p>„Wie?“ fiel Leuben träumerisch ein, „Sie hat Ihnen mit dem Fächer
-gewinkt?“</p>
-
-<p>„Und das so stark &mdash; wie eine türkische Sultanin &mdash; hehehe! Das war
-aber Alles nicht nöthig!“</p>
-
-<p>„Und dies Alles sagen Sie mir, mit so kaltem Blute &mdash; &mdash; mir mir?“</p>
-
-<p>„Mein Gott, was soll ich thun? Kann ich’s denn ändern? Ich habe nun
-einmal schon das Fatum, liebenswürdig zu sein! Was kann man für seine
-Vorzüge, seine Eigenschaften!?“</p>
-
-<p>„Alle Teufel! es wird mir endlich zu toll!“ rief der Jüngling jetzt aus
-und erhob sich rasch von seinem Sitze. „Mein Herr“ sagte er in einem
-Tone, der auf halbe Sinnesabwesenheit schließen ließ: „es ist Alles
-möglich, es kann Alles wahr sein, was Sie da erzählen. Wer kennt die
-Weiber und ihre Launen, ihre Leidenschaften! Es ist bereits da gewesen,
-daß eine Hebe sich in einen Vulkan verliebt hat &mdash; &mdash; und demnach
-kann es auch bei Ihnen wiederkehren. Allein was brauche ich dieses zu
-wissen?<span class="pagenum"><a name="Seite_12" id="Seite_12">[12]</a></span> Wollen Sie mich kränken oder beleidigen? Wenn dies der Fall,
-so erfahren Sie, daß ich weder zu dem Einen noch zu dem Andern ruhig
-zusehen werde.... Ja, ja, ich weiß, jenes Mädchen, jenes Geschöpf ist
-ein weiblicher Dämon, den wenigstens ich nicht verstehe: tugendhaft,
-streng, unbefleckt &mdash; &mdash; und zugleich eitel, gefallsüchtig und noch
-Gott weiß was. Allein wenn ich von ihr, wenn ich von diesem Mädchen,
-die mir Alles war, auch noch so Manches hätte denken müssen, das Eine,
-fürwahr &mdash; das Eine wäre mir nie beigefallen: daß ein so junger und
-holder Engel fähig sei, einem alten Subjekt <em class="gesperrt">Ihrer</em> Art Gehör zu
-geben, während sie mich....“</p>
-
-<p>Hier hatte sich jedoch bereits auch Herr von Althing erhoben und in
-Positur gestellt. Zuerst schlug er mit seinem Fuße, woran sich ein
-klirrender Sporn befand, gewaltig gegen den Boden, dann stemmte er
-sich auf seinen Stock und endlich fing er mit einer Stimme an, die
-furchtbar sein sollte: „Wie mich dünkt, so haben jetzt Sie, mein bester
-Leuben, jene Absicht, welche Sie mir zuvor untergeschoben, nämlich
-zu beleidigen.... Mindestens begreife ich nicht, was sonst Worte<span class="pagenum"><a name="Seite_13" id="Seite_13">[13]</a></span>
-wie: „ein altes Subjekt“ u. s. w., wie Sie solche so eben gegen mich
-gebrauchten, zu bedeuten hätten.... Wenn nun dies wirklich der Fall
-sein sollte....“</p>
-
-<p>„Nun?“ lächelte Leuben spöttisch: „wenn es der Fall sein sollte?“</p>
-
-<p>„Dann, dann“ polterte Althing und gab sich ungeheure Mühe, so wild als
-möglich die Augen zu rollen: „dann muß ich ihnen sagen, daß &mdash;“</p>
-
-<p>„Weiter, weiter!“</p>
-
-<p>„Daß ich das nicht &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; begreifen kann.“</p>
-
-<p>„Wie, Sie können es nicht begreifen, daß mich Ihre verdammte
-Liebesgeschichte in Wuth bringt?“</p>
-
-<p>„Aber mein Gott, ist es meine Schuld, wenn man mich liebt, wenn man
-wahnsinnig vernarrt in mich ist? Sie wissen doch, wie ich die Weiber zu
-behandeln pflege &mdash; und doch ist diese da eine solche Närrin.....“</p>
-
-<p>„Ha!“ schrie der Jüngling nun und das Aussehen, welches in der Umgebung
-entstanden war, vergrößerte sich von Augenblick zu Augenblick: „ha! Sie
-wagen es, mein Herr?“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_14" id="Seite_14">[14]</a></span></p>
-
-<p>„Allein, mein Himmel &mdash; ich begreife nicht, warum Sie sich so ereifern,
-Leuben. &mdash; Was gehen Sie meine Liebschaften, meine Eroberungen, meine
-Siege an &mdash;?“</p>
-
-<p>„Elender &mdash; so wissen Sie nicht, daß ich Cölestine von Randow liebe,
-wie ein Wahnsinniger, wie ein Wüthender!?“</p>
-
-<p>„Nun &mdash; und weiter?“</p>
-
-<p>„Weiter? Noch weiter?“</p>
-
-<p>„Nun ja, wozu erzählen Sie das mir? Weiß ich es denn nicht?“</p>
-
-<p>„Nun ja &mdash; eben darum; und doch sprachen Sie eben &mdash;“</p>
-
-<p>„Von &mdash;? &mdash;“</p>
-
-<p>„Cölestine!“</p>
-
-<p>„Ich? &mdash; Nicht eine Silbe.“</p>
-
-<p>„Von wem also denn?“</p>
-
-<p>„Ei &mdash; alle Wetter! von jenem allerliebsten Brünettchen, die dort
-<em class="antiqua">vis à vis</em> von mir, in der dritten Reihe, sehen Sie &mdash; mit Mutter
-und Vater sitzt. Von ihr, von ihr, die, wenn mich mein Kennerblick
-nicht ganz täuscht, eine kleine Bäckerstochter aus der Wipplinger
-Straße ist....<span class="pagenum"><a name="Seite_15" id="Seite_15">[15]</a></span> von ihr sprach ich, mein Freund, und nicht von
-Cölestine!“</p>
-
-<p>„Hahahaha! Hahahaha!“ erhob jetzt der früher so düstere Leuben ein
-schallendes Gelächter: „hahahaha! Ist das das Ganze?“</p>
-
-<p>„Das Ganze! Hahahaha!“ lachte der alte Ritter mit.</p>
-
-<p>„Ein Mißverständniß also? Beim Himmel! das müssen Sie mir verzeihen,
-theuerster Althing!“</p>
-
-<p>„Nun, nun es ist längst verziehen, verlassen Sie sich d’rauf.
-Uebrigens &mdash; da wir uns in dem anstrengenden Diskours beinahe die
-Kehlen ausgedörrt haben, so dürfte, wie mich dünkt, eine Flasche
-Tokaier oder so etwas dergleichen kein unebenes Anfeuchtungs- und
-Restaurationsmittel sein. Daher: Marqueur! Holla! &mdash; Johann! Oder wie
-der Bursche sonst heißt.“</p>
-
-<p>„Befehlen Euer Gnaden? Schaffen Euer Gnaden! Womit können wir
-aufwarten?“</p>
-
-<p>Mit diesen Worten und tiefen Katzenbuckeln waren zwei bis drei
-Aufwärter herbeigesprungen, so flink, so behend, so lustig, daß ein
-norddeutscher Kellner sich nicht einmal eine blasse Idee davon zu
-machen im Stande ist.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_16" id="Seite_16">[16]</a></span></p>
-
-<p>„Wie steht es mit Eurem Keller?“ nahm Althing das Wort: „Habt Ihr guten
-Tokaier? Was?“</p>
-
-<p>„Aufzuwarten, Euer Gnaden. Er ist aus dem Keller Sr. Durchlaucht des
-Fürsten &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Ach, wenn das ist, dann behaltet denselben für Euch; der Tokaier,
-welcher unter diesem Namen passirt, ist häufig der schlechteste. Es
-geht damit, wie mit den schlechten Büchern, die ein Verleger dadurch an
-den Mann zu bringen sucht, daß er zu denselben Vorreden von berühmten
-Literaten schreiben läßt. Also mit dem Tokaier ist es nichts; dafür
-bringst Du uns Champagner und zwar <em class="antiqua">non mousseux</em>. &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Zu dienen, Euer Gnaden! Im Augenblick, Euer Gnaden!“</p>
-
-<p>Und diese Leute sprangen wieder wie die Hirsche davon, so daß es wie
-eine Art von Jagdvergnügen war, ihnen zuzusehen.</p>
-
-<p>„Ei, ei! &mdash; Schon wieder! &mdash; Das war noch deutlicher, als alles
-Frühere! &mdash; Jetzt winkte sie mir gar mit dem Finger und deutete auf
-ihre Mutter neben sich, gleichsam als wollte sie sagen: Diese da genirt
-unser Zusammentreffen,<span class="pagenum"><a name="Seite_17" id="Seite_17">[17]</a></span> du mein holder Mann! &mdash; Nun, fürwahr, die hat
-an mir complett einen Narren gegessen.... Mein Gott, das ist jedoch
-für Unsereins etwas ganz Alltägliches.... Ha! da fällt mir etwas ein.
-Wissen Sie, was ich thun will, Leuben? Ich will jene verliebte Hexe
-noch rasender verliebt in mich machen &mdash; und zwar dadurch, daß ich
-dieselbe eifersüchtig mache. O, ich bin in diesen Dingen erfahren!
-&mdash; Also rasch auf irgend eine Zweite deine Blicke geworfen, Freund
-Althing &mdash; und sie wird wahnsinnig, sie wird unglücklich! &mdash; O, in
-dieser Beziehung bin ich ein ganz herzloser Gesell! &mdash; Allein man muß
-es bei dieser Zeit auch sein &mdash; sonst kommt man nicht fort. Nur den
-Ungeheuern in der Liebe sind die Weiber treu. Je beständiger man ist,
-desto wankender sind sie.... je gleichgültiger, um so mehr entbrennen
-sie für uns.... Meiner Treu, ich werde mich darüber weiter auslassen,
-wenn ich erst meine Memoiren unter dem Titel: „Casanova II.“
-herausgebe....“</p>
-
-<p>Der alte Schwätzer wäre noch lange in dieser Weise fortgefahren, indem
-er dabei seine lüsternen Blicke immerwährend von der einen sei<span class="pagenum"><a name="Seite_18" id="Seite_18">[18]</a></span>ner
-Auserkornen zur andern gehen ließ &mdash; &mdash; allein jetzt plötzlich schien
-er von einem neuen Anblick überrascht und mit lauter Stimme rief er
-aus: „Ah &mdash; da kommt unser theurer Freund <em class="gesperrt">Edmund von Randow</em>!...
-Ah, das ist wirklich schön! Der Bursche ist mir so zu sagen ans Herz
-gewachsen: es ist ein köstlicher Junge, der Edmund.“</p>
-
-<p>Die Person, von welcher Althing also deklamirte, näherte sich in
-raschen Schritten und verdoppelte dieselben noch, sobald sie die Zwei
-ansichtig wurde. Man denke sich einen jungen eleganten Mann von guter
-aber etwas leichtfertiger Haltung &mdash; dessen lachendes Auge kühn oder
-nach Umständen auch frech den Leuten bis zwischen die Zahnreihen sieht,
-dieser junge Mensch, ein Liedchen summend, eilte jetzt durch die Reihen
-der Gäste hin, indem er Diesem auf den Fuß trat, Jenen am Ellbogen
-anstieß &mdash; und auf alle Mahnungen die hierauf erfolgten nichts that,
-als daß er mit seiner dünnen Reitgerte in der Luft umherfocht, als
-wollte er Mücken vertreiben.</p>
-
-<p>„Haha!“ ließ er sich mit einem Male so laut vernehmen, daß man es gewiß
-bis zum<span class="pagenum"><a name="Seite_19" id="Seite_19">[19]</a></span> Zeughause hören konnte: „da sitzen sie ja beisammen die zwei
-Freunde, die zwei Kameraden..... Ach! und welche Blicke dieser alte
-Sünder wieder um sich herum wirft....“</p>
-
-<p>In diesem Augenblick war er zu ihnen gelangt und ohne Weiteres
-warf er sich auf einen Stuhl, griff nach einer von den bereits
-herbeigeschafften Flaschen und schenkte sich ein Glas Champagner
-ein, das er auf einen Zug leerte; &mdash; dann streckte er die Beine von
-sich, erhob die Reitgerte und versetzte damit seinem Nachbar, dem
-Liebesritter Althing, einen leichten Schlag auf die Knie: „Nun, wie
-geht es? Was macht Ihr da? Was machen die holden Fräuleins &mdash; und wie
-viele hat ihrer dieser große Verführer bereits in einem Augenblick
-erobert? &mdash;“</p>
-
-<p>Diese Apostrophe schien dem alten Seladon zu schmeicheln und mit den
-Lippen schmatzend versetzte er in geheimnißvollem Tone: „Bis jetzt ist
-es nur Eine &mdash; &mdash; aber diese kann für Tausend gelten, hahaha!“</p>
-
-<p>„Wirklich?“ rief Edmund: „Das muß in der That ein kleines Weltwunder
-sein.... Nun und wo sitzt denn diese Helena &mdash; mein lieber Alter..?“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_20" id="Seite_20">[20]</a></span></p>
-
-<p>„Ich habe“ versetzte dieser mit gekränktem Tone &mdash; „Dich bereits zu
-oft gebeten, mich nicht „mein lieber <em class="gesperrt">Alter</em>“ zu nennen; denn
-erstens bin ich noch in meinen besten Jahren &mdash; zwischen 30 und 40 &mdash;
-und zweitens haben wir uns, was man so sagt, conservirt &mdash; &mdash; endlich
-drittens &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Er hatte noch nicht ausgesprochen, als ein neuer <em class="gesperrt">Fall</em>, den
-man wirklich <em class="gesperrt">Fall</em> nennen konnte, sich ereignete; Edmund hatte
-nämlich seine Beine so weit ausgestreckt, daß ein Aufwärter, welcher
-eben mit einer Platte voll Confituren und Getränken vorübereilte und
-die sehr vernünftige Absicht hatte, auszuweichen &mdash; so unvernünftig
-war, es ein wenig allzu rasch thun zu wollen &mdash; solchergestalt mit
-seiner Platte hinfiel und den ganzen Inhalt der Gläser auf Edmunds
-Beinkleider und Althings Stiefel ausgoß &mdash; das Uebrige vermälte sich
-mit dem Staube auf dem Boden und wurde von zwei herbeieilenden Knaben
-und drei Hunden in friedfertiger Weise getheilt. Edmund lachte wie toll
-über das, was er „Impromptu“ nannte &mdash; hingegen war Althing über die
-Vertilgung des Glanzes auf sei<span class="pagenum"><a name="Seite_21" id="Seite_21">[21]</a></span>nen Stiefeln so untröstlich, daß er dem
-unseligen Aufwärter nicht nur einen Schimpfnamen nach dem andern &mdash;
-sondern zum Beschluß auch noch einen Tritt auf einen gewissen Theil des
-Körpers versetzte; eine Mode, die in Wien eben nicht ungewöhnlich ist,
-während man dergleichen Divertissements der großen Herrn in dem ganzen
-übrigen Europa bereits längst abgeschafft hat.</p>
-
-<p>Die Unterhaltung erhielt demnach eine bedeutende Lücke, wenigstens in
-ihrer conversationellen Seite; das war jedoch Keinem angenehmer als
-unserm bleichen, melancholischen Freunde, unserm armen Freunde Leuben,
-der, während hier Alles lachte, auch nicht einmal das Gesicht verzog.</p>
-
-<p>„Alle Donner!“ schrie Althing &mdash; „ich bin für diesen Augenblick
-ruinirt; meine Toilette ist hin! Und es ist doch ein so wichtiger
-Augenblick.... Jene kleine Brünette! &mdash; Jene, die ich schon besiegt
-hatte, kraft der Gewalt meiner Physiognomie, &mdash; wer weiß, ob sie nicht
-Anstoß nimmt an ungewichsten Stiefeln! O nichtswürdiger Marqueur!
-Dummkopf von einem Aufwärter &mdash; ich könnte Dich &mdash;“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_22" id="Seite_22">[22]</a></span></p>
-
-<p>Mittlerweile hatte Edmund dem armseligen Marqueur, dem all dies Unglück
-galt und der da stand vor seinen zerbrochenen Tassen und Gläsern wie
-Niobe, die ihren verfolgten Töchtern nachsieht, &mdash; diesem Unglücksmanne
-hatte der leichtfertige Edmund eine Banknote zugeworfen, die wohl den
-dreifachen Werth des Schadens enthalten mochte und daher ein ganz
-respektables Schmerzensgeld war. Der Unglücksmann verbeugte sich bis
-zu seinem Bauche und würde sich noch tiefer verbeugt haben, hätten ihn
-seine geschundenen Glieder daran nicht gehindert.</p>
-
-<p>„Nun, bist Du zufrieden?“ rief Edmund.</p>
-
-<p>„Vollkommen!“ versetzte der Kerl: „Wenn Euer Gnaden wieder ein ander
-Mal schaffen<a name="FNAnker_A_1" id="FNAnker_A_1"></a><a href="#Fussnote_A_1" class="fnanchor">[A]</a>, so brauchen Sie mir’s nur sagen zu lassen. &mdash;“</p>
-
-<p>Diese Replik versetzte Alles in heitre Laune, so daß sogar Leuben eine
-Anwandlung davon bekam; erst jetzt erwiderte er den Gruß Edmunds; doch
-plötzlich blieb sein Auge mit einem heftigen fieberhaften Ausdrucke
-auf demselben haften und ein leises Zucken der Lippen schien<span class="pagenum"><a name="Seite_23" id="Seite_23">[23]</a></span> die
-gewaltsamen Gedanken, welche sich gerne in Worten Bahn brechen wollten,
-anzuzeigen.</p>
-
-<p>„Was haben Sie, mein bester Leuben?“ fragte der Andere: „Was ist Ihnen?
-Sie sind heute bei sehr schlimmer Laune, wie ich merke &mdash; und ich
-finde deshalb den Einfall köstlich, sich dieselbe gleich am Morgen mit
-Champagner zu vertrinken.“</p>
-
-<p>„O“ fiel der alte Dicke ein: „dieser Champagner hat etwas ganz Anderes
-zu bedeuten. Es ist ein Versöhnungstrank &mdash; eine Libation; denn wir
-hatten ein Rencontre, bevor Du kamst &mdash; und wenig fehlte, so hätten wir
-einander die Hälse gebrochen.“</p>
-
-<p>Edmund schlug ein unsinniges Gelächter auf. „Wie &mdash; ein Rencontre?
-einen Streit? &mdash; Seid Ihr denn verrückt? Zwei alte Freunde und ein
-Streit!.. Macht doch keinen Narren aus mir.“</p>
-
-<p>„Nein, nein, in vollem Ernste gesprochen, Du kannst Dich darauf
-verlassen &mdash; &mdash; und überdies, was hindert uns, Dir den Inhalt des
-Streites mitzutheilen. &mdash; Ohnehin betrifft er ja in entfernterer Weise
-sogar Dich. &mdash;“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_24" id="Seite_24">[24]</a></span></p>
-
-<p>„Wie?“ schrie jetzt Edmund aus Leibeskräften: „Mich, mich, sagst Du,
-&mdash; hahaha! &mdash; Der Fall wird interessant &mdash; doch bevor wir weiter gehn:
-Marqueur, noch eine Bouteille von diesem rothen Champagner &mdash; &mdash; er ist
-köstlich! &mdash; &mdash; So, und jetzt erzähle, mein Alter, erzähle!“</p>
-
-<p>„Donnerwetter! noch ein Mal, Edmund, rede mich nicht immer so an,
-<em class="gesperrt">Alter</em>! darauf werde ich künftig nicht mehr hören; verstehst Du?
-&mdash;“</p>
-
-<p>„Also, mein Junge, wenn Dir dies lieber ist.“</p>
-
-<p>„Das ist etwas Anderes. Ich verlange, wie Du weißt, nichts Unbilliges.
-Ich könnte zehn Taufscheine beibringen, worin mein Alter von 30 bis 40
-Jahren bestätigt ist &mdash; und &mdash;“</p>
-
-<p>„Schon gut &mdash; Alle Teufel! Wirst Du endlich zur Geschichte kommen,
-verd&mdash; Alter &mdash; Althing wollt’ ich sagen.“</p>
-
-<p>„Nun ja, so höre: es handelte sich um Deine Schwester Cölestine.“</p>
-
-<p>Bei diesen Worten nahm der Roué Edmund einen so ernsten Ausdruck des
-Gesichtes an, wie man ihn dessen nimmer fähig gehalten hätte: „Ueber
-diesen Gegenstand“, sagte er mit Nachdruck &mdash; „bitte ich Dich zu
-schweigen, mein<span class="pagenum"><a name="Seite_25" id="Seite_25">[25]</a></span> Freund, und erkläre Dir ein für alle Mal, daß ich
-hierbei keinen Scherz verstehe.“</p>
-
-<p>„Meinetwegen,“ bemerkte Althing; „was geht die Geschichte mich an? &mdash;
-Was mich betrifft, so will ich Dir gerne den Gefallen thun, darüber zu
-schweigen; jedoch ist hier Einer....“ und hierbei deutete er auf Leuben.</p>
-
-<p>Edmund richtete sich auf; in der That schien jetzt dieser ganze Mensch
-verändert &mdash; die Lappen und Flitter der Liederlichkeit schienen alle
-von ihm gefallen zu sein und er stand so würdig da, als irgend Einer.
-Mit Ernst wandte er sich an seine beiden Gesellschafter: „Meine
-Herren,“ sprach er, „es ist da von einer <em class="gesperrt">Geschichte</em> und dann
-von Ihnen, Herr von <em class="gesperrt">Leuben</em>, die Rede. Wollten Sie wohl die Güte
-haben, mir hierüber einige nähere Aufklärung zu geben.“</p>
-
-<p>Der junge Mann, dessen Namen er so eben genannt, hatte seinen festen,
-durchdringenden Blick von ihm noch immer nicht abgekehrt. Jetzt
-zitterte er an allen Gliedern &mdash; und schien mit unaussprechlicher
-Ungeduld den Moment erwartet zu haben, welcher so eben einbrach.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_26" id="Seite_26">[26]</a></span></p>
-
-<p>„Reden Sie doch! Reden Sie doch!“ rief Edmund, bald zu Leuben, bald
-wieder zu Althing gewendet, welch’ Letzterer, durch die Aufmerksamkeit,
-die er seinem <em class="antiqua">vis à vis</em>, oder seiner Brünette, schenkte,
-gehindert, hier am Tische nur mit halben Ohren zuhörte.</p>
-
-<p>„Werden Sie mir endlich sagen &mdash;?“ wiederholte Edmund so heftig, daß
-der Dicke erschrack und nun rasch die Worte aussprach:</p>
-
-<p>„Aber mein Gott, welche Aufregung bei einer so kleinen Sache? Nun denn,
-unser ganzes Gespräch, so weit es Ihre Schwester, Fräulein Cölestine,
-betraf, drehte sich um die Frage: ob sie wirklich, wie man sich
-erzählt, Braut geworden sei oder nicht. Das ist Alles.“</p>
-
-<p>„Ja &mdash;“ wiederholte Leuben mit einer wilden, sonderbaren Unruhe: „ob
-sie Braut geworden sei, darum handelte es sich, und dies können Sie,
-Herr von Randow, uns mit der größten Bestimmtheit sagen.“</p>
-
-<p>„Nun &mdash; wenn es sonst nichts ist!“ entgegnete Edmund in munterem Tone,
-„dann hatten wir freilich viel Lärmens um Nichts gemacht;<span class="pagenum"><a name="Seite_27" id="Seite_27">[27]</a></span> denn es wird
-Ihnen Beiden doch wohl einerlei sein, ob oder ob dies nicht der Fall
-ist.“</p>
-
-<p>„Nein, nein &mdash; es ist uns keineswegs so ganz gleichgültig, wie Du
-glaubst, mein Lieber,“ meinte Althing: „und so magst Du es uns nur
-sagen, was die Sache Wahres enthält.“</p>
-
-<p>„Nun denn &mdash; Cölestine ist in der That die Braut des Grafen von A&mdash;x;
-diese Angelegenheit ist bereits abgeschlossen.“</p>
-
-<p>Ein fahler Lichtschein fuhr über Leubens Angesicht, dessen Blässe
-jetzt eine todtenähnliche Farbe annahm. Dieser Mensch schien von
-einem elektrischen Schlag bis ins tiefste Leben hinein getroffen zu
-sein; die Veränderung, welche an ihm vorging, ward jedoch von keinem
-seiner beiden Nachbarn bemerkt &mdash; denn mit einer an’s Uebernatürliche
-streifenden Gewalt schien er sich zu beherrschen. Er blieb auf seinem
-Stuhle sitzen &mdash; bewegungslos, antheillos, und bis auf seine wechselnde
-Gesichtsfarbe, so unverändert, als wäre nichts vorgefallen.</p>
-
-<p>Bald darauf erhob man sich; Edmund hatte Besuche bei Freunden und im
-Kaffeehause zu machen (er traf seine Freunde gewöhnlich an solchen<span class="pagenum"><a name="Seite_28" id="Seite_28">[28]</a></span>
-Orten); Althing beobachtete den so eben erfolgten Aufbruch seiner
-„Brünette“ &mdash; natürlich, daß er Willens war, ihr zu folgen; was endlich
-Leuben betraf, so war demselben höchst wahrscheinlich wenig daran
-gelegen, dem einen oder dem andern dieser Herren zu folgen &mdash; und in
-der That, wir sehen ihn auch alsbald nach einer leichten Begrüßung
-sich einsam hinweg begeben und den Weg rechts nach den Vorstädten &mdash;
-vielleicht um in den nahen Garten des Fürsten Schwarzenberg zu gelangen
-&mdash; einschlagen.</p>
-
-<p>Der Schwarzenberg-Garten ist ein allgemeiner Freund sowohl der
-glücklich wie der unglücklich Liebenden. Beide bergen sich in seinem
-Schatten.</p>
-
-<p>Althing und Edmund waren eine Strecke gegangen; da sie jedoch
-verschiedene Ziele verfolgten, so trennten sie sich auch sehr bald
-und unser dicker Adonis ging nun allein klirrenden Trittes Derjenigen
-nach, welche, wie er glaubte, ihm so viele und so ausdrucksvolle
-Liebeszeichen auf dem Wasserglacis gegeben &mdash; und die, wie er nicht
-zweifelte, sich auch jetzt nur<span class="pagenum"><a name="Seite_29" id="Seite_29">[29]</a></span> erhoben hatte, damit sie endlich
-ungestört mit ihm reden könnte.</p>
-
-<p>Aber welche Ueberraschung für unseren heißblütigen Ritter, als er sich
-plötzlich von einem leisen Handschlage auf seiner Schulter berührt
-fühlte und nun einen ihm unbekannten jungen Herrn hinter sich sah, der
-folgende Worte zu ihm sprach:</p>
-
-<p>„Mein bester Herr &mdash; ich rathe Ihnen, von der Verfolgung jener Dame
-abzulassen, denn es würde Sie zu nichts führen und wahrhaftig, Sie
-können Ihre Zeit auf andere Weise weit besser verwenden. Sollten Sie
-Zweifel in meine Worte setzen, so werden diese bald zerstreut sein.
-Blicken Sie mir gefälligst nach und überzeugen Sie sich, daß unter
-diesem Monde nichts häufiger vorkommt, als der <em class="gesperrt">Irrthum</em>... Man
-glaubt den goldnen Schatz bereits mit der Hand zu erfassen &mdash; in diesem
-Augenblick jedoch entschlüpft er uns und im nächsten schon hat ihn
-derjenige, für welchen er bestimmt war.“</p>
-
-<p>Dies sprechend, lachte der Fremde unserm dicken Freunde so recht ins
-Gesicht, verdoppelte seine Schritte, so daß er ihm bald vorkam und nach
-wenigen Schritten sich dicht hinter jener<span class="pagenum"><a name="Seite_30" id="Seite_30">[30]</a></span> Dame, jener Brünette befand.
-Diese drehte sich rasch um, ließ ein Briefchen fallen, der Fremde hob
-es mit einer bewundernswerthen Geschicklichkeit auf und &mdash; bald war er
-mit seinem Schatze hinter einer Hecke verschwunden.</p>
-
-<p>Herr von Althing blieb wie vom Donner gerührt auf dem Platze stehen
-&mdash; schüttelte das Haupt &mdash; ließ es ein wenig sinken &mdash; stieß einen
-schweren Seufzer aus und begab sich nach zwei Minuten Ueberlegung auf
-den Rückweg, indem er vor sich hin murmelte:</p>
-
-<p>„Ei, ei, da glaubte ich ganz sicher zu sein. Meiner Treu, ich hätte
-eher meinen Kopf verwettet, als so etwas zu glauben.... Da seh’ man
-mal die Weiber an! Aber machen wir es mit ihnen denn besser? &mdash; Also
-Geduld, Freund Althing! &mdash; Du hast so manches Herz gebrochen &mdash; &mdash;
-gebiete dem deinigen jetzt Stillschweigen. Allons nach Hause! und neue
-Toilette gemacht. Ich wette darauf, an diesem ganzen Unglück waren
-meine begossenen Stiefel Schuld.“</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_31" id="Seite_31">[31]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Zweites_Kapitel"><b>Zweites Kapitel.</b><br />
-
-<span class="s6">Cölestine von Randow und Alexander von A&mdash;x.</span></h2>
-
-</div>
-
-<p><span class="initial">C</span>ölestine von Randow war eine der reizendsten Jungfrauen der Residenz.
-Ihre Familie gehörte zu den edelsten des Landes. Erst vor einem
-Zeitraum von 100 Jahren aus Polen eingewandert, hatte der
-damalige Stammhalter durch Dienste, die er dem Staate leistete,
-derselben schnell eine der glänzendsten Stellungen zu verleihen gewußt.
-Doch verlor unter seinem Sohne das Geschlecht wieder einen Theil seiner
-Geltung und seines Vermögens, und erst den beiden Nachfolgern gelang es
-&mdash; jene Fehler zu verbessern. Freilich ist ein Schade nicht so leicht
-gehoben wie gemacht, und noch bis zum heutigen Tage empfand die Familie
-Randow jene Nach<span class="pagenum"><a name="Seite_32" id="Seite_32">[32]</a></span>wehen, die ihr von ihrem Großvater hinterlassen
-worden waren. &mdash; Ueberhaupt war es ein Familienfehler der Randow, den
-fast jedes Glied derselben mehr oder minder theilte &mdash; unüberlegt, ja
-leichtsinnig zu sein, und wiewohl sie alle von Herz und Geist edel
-und vortrefflich waren, so überwog in ihnen jenes Erbgebrechen oft
-so sehr, daß dadurch alle andern und bessern Eigenschaften häufig in
-Schatten gestellt wurden, wie dies z. B. gegenwärtig bei <em class="gesperrt">Edmund</em>
-von Randow, dessen Charakter wir schon ziemlich deutlich bezeichnet zu
-haben glauben, der Fall war.</p>
-
-<p>Was wir von Cölestine zu sagen haben, wird in Nachfolgendem bestehen.
-Sie war, wie gesagt, eine der schönsten, der glänzendsten Erscheinungen
-in der höheren Frauenwelt. Man begreift, daß, um in dem Kreise der
-Schönheiten Wiens auf jene Benennung Anspruch zu haben, man weit über
-den Verhältnissen eines gewöhnlichen Maaßes stehen müsse. In der
-That war Cölestine so schön, daß man aus ihrem Bilde einen modernen
-Canon für zeitgenössische Maler hätte machen können. Man stelle sich
-eine zarte, schlanke, feine und doch im höchsten Grade plastische<span class="pagenum"><a name="Seite_33" id="Seite_33">[33]</a></span>
-Gestalt vor, als wäre sie aus einer Composition, die geschmeidiger als
-Marmor und fester als Wachs ist, von einem neuen Pygmalion gebildet
-worden.... Fürwahr, diese Frau schien nicht aus dem Alltagsmaterial,
-woraus uns der liebe Gott schafft, zu bestehen! &mdash; Das schmale Oval
-des Gesichtes wies einen wie mattes Silber schimmernden Teint, der
-so durchsichtig war, wie Florgewebe, und durch welchen an den Wangen
-ein zart geschämiges Inkarnat, auf den Lippen aber das brennende Roth
-der Granatblüthe durchdrang.... Diese mandelförmig geschnittenen
-Augen mit der feurig dunklen Iris, die einen stechend schwarzen von
-goldnem Schimmer durchwirkten Kreis bot &mdash; diese schweren dunklen
-Wimpern und diese dünnen gewölbten Brauen, die von Meistershand auf
-die glatte, nicht allzu hohe Stirne gezeichnet schienen &mdash; &mdash; diese
-feine, doch ein wenig gestülpte Nase, dieser nicht allzu kleine Mund,
-der geschlossen von einem eigenen unaussprechlichen Zauber &mdash; geöffnet
-es jedoch in einem noch höheren Grade war &mdash; da dann eine entzückende
-Kindlichkeit daraus sprach (eben so wie er, geschlossen, Ernst<span class="pagenum"><a name="Seite_34" id="Seite_34">[34]</a></span> und
-Sinnigkeit ausdrückte) &mdash; &mdash; ferner dieses Kinn vom reinsten Ebenmaße,
-welches an einen Hals grenzte, der zugleich schlank und kräftig war....
-wenn wir zu all diesem noch den prachtvollen, reichen Haarwuchs vom
-tiefsten Schwarz hinzuthun, der wegen seiner Ueppigkeit und strotzenden
-Fülle das Haupt nach hinten fast unverhältnißmäßig verlängerte, so
-daß er jenem der alten Griechinnen glich: so haben wir im Grunde nur
-erst einen Theil des reizenden Bildes Cölestinens gemalt. Es müßte
-uns jedoch ein weit kunstreicherer Pinsel als der, welchen die Muse
-unserer schwachen Hand anvertraut, zu Gebote stehen &mdash; um Alles, Alles,
-um jedes einzelne Attribut der Schönheit dieses Originals in den
-vergänglichen Rahmen dieses Gemäldes zu fassen....</p>
-
-<p>Gewöhnlich war der Ausdruck von Cölestinens Gesicht still und ernst,
-ohne Trauer; zeitweise jedoch wurde er von einer Lebhaftigkeit und
-jenem muntern Wesen durchstrahlt, das nur einer Französin und einer
-Polin in so entzückender Weise eigen. Cölestine träumte und schwärmte
-nicht &mdash; sie emfang, sie faßte deutlich und zu<span class="pagenum"><a name="Seite_35" id="Seite_35">[35]</a></span>gleich tief auf; leicht
-aber gab sie sich der Wirkung irgend einer ungewöhnlichen Erscheinung
-in der Außenwelt hin und dann blitzte ihr dunkles Auge hell auf &mdash; ihr
-Mund öffnete sich &mdash; ihre Lippe verzog sich zum Lachen, zum Spott, zum
-Zorn, zur Zärtlichkeit, kurz zu dem Ausdruck jeder Empfindung.</p>
-
-<p>Man erzählte sich von ihren Kinderjahren, daß sie zu jener Zeit
-ein kleiner Wildfang und dazu über alles Maß eitel gewesen sei. In
-Wahrheit, die letztere Eigenschaft hatte sie bei sich noch immer nicht
-gänzlich abgestellt, so große Mühe sie sich deswegen übrigens auch
-gab. Sie wußte recht gut, daß Eitelkeit, Gefallsucht und leichter Sinn
-ein so tüchtiges Gemüth und einen so glänzenden Geist, wie womit sie
-ausgestattet war, entwürdigen, und gleichwohl ertappte sie sich &mdash;
-mißtrauisch wie sie war &mdash; alle Tage wohl zehn Mal bei diesen Fehlern.
-Sie zürnte dann mit sich, sie schmollte, sie bestrafte sich sogar....
-allein <em class="antiqua">naturam si furca etc.</em></p>
-
-<p>Allein welcher Charakter ist frei von Mängeln und welches Geschöpf
-tadellos in der Schöpfung? Ich mißtraue jenem Reinen und Fehlerlosen<span class="pagenum"><a name="Seite_36" id="Seite_36">[36]</a></span>
-gar gewaltig und würde, hätte ich die Wahl frei, mich zehntausend Mal
-eher an diejenigen schließen, welche von irdischer Gebrechlichkeit
-nicht frei sein wollen. &mdash; O, der Mann, welcher Cölestine einst
-besitzen sollte, hätte sich wahrhaftig in lautem Dankgebet an das
-Schicksal dafür wenden sollen, daß es ihm ein solches Geschenk gewährt.</p>
-
-<p>Dieser Mann nun, von dem wir reden, dieser Glückliche, der Cölestine
-als sein Weib in die Arme schließen sollte &mdash; es war, wie wir schon
-erfahren haben, der Graf von A&mdash;x. &mdash; Sein Geschlecht war inländischen
-Ursprungs und mindestens eben so glänzend wie jenes der Randow. Graf
-Alexander von A&mdash;x (denn das ist sein Vorname) war keineswegs mehr
-ein Jüngling; er stand im vollkräftigen Mannesalter von 36 Jahren &mdash;
-&mdash; und dieser Umstand war eine von den Ursachen, um derentwillen ihm
-die achtzehnjährige Cölestine den Vorzug vor dem Heere ihrer andern,
-theils stillen, theils ziemlich aufdringlichen Anbeter gegeben. &mdash;
-<em class="gesperrt">Alexander</em> bekleidete eine wichtige Stelle im Staatsdienste und
-man glaubte ihn an dem Vertrauen hoch<span class="pagenum"><a name="Seite_37" id="Seite_37">[37]</a></span>mächtiger Personen betheiligt.
-Er war ein düsterer, kalter, verschlossener, fast schwermüthiger
-Charakter &mdash; falls man ihn blos nach der Oberfläche beurtheilte....
-aber ach, welches Feuer von Liebe, welche Lava der Leidenschaft mochte
-da tief unten auf dem Grunde der Seele glühen! &mdash; Seine Gestalt war
-männlich und kräftig; eine nicht allzu hohe aber derbe Statur würde
-ihn als einen gewöhnlichen Kraftmenschen bezeichnet haben, wenn sein
-farbloses oder vielmehr braungelbes Angesicht, in welchem zwei gewaltig
-große, oft wildbewegte, oft düster starrende Augen wohnten &mdash; durch
-die mannigfachen Bewegungen, denen es zeitweise unterworfen war, nicht
-auf ein höchst bewegtes Seelenleben würde gedeutet haben. Zwar wollte
-die Welt damit &mdash; ein wüstes und wildes Sinnenleben in Verbindung
-bringen, welches der Graf in früheren Jahren und fremden südlichen
-Ländern geführt haben sollte; allein Niemand konnte hierüber etwas
-Bestimmtes sagen &mdash; und so dürfen diese Behauptungen eben sowohl in das
-Reich der Annahmen &mdash; wie in jenes der Wirklichkeit gestellt werden.
-&mdash; Mit Einem jedoch verhielt es sich<span class="pagenum"><a name="Seite_38" id="Seite_38">[38]</a></span> vollkommen richtig, nämlich,
-daß Graf Alexander in der Liebe von einer wahrhaft schrecklichen
-Eifersucht verfolgt wurde &mdash; wie man aus einem Verhältnisse, in welchem
-er vor mehreren Jahren mit einer jungen liebenswürdigen Dame stand,
-die bereits als seine Braut galt, wußte. &mdash; Jene Dame war in Folge
-eines Verdachts, den Alexander auf sie, die ganz unschuldig war,
-geworfen, von ihm so tief in der Seele gekränkt worden, daß sie ihr
-Schicksal nicht ertragen konnte und an der Seite des zu spät zur Reue
-zurückkehrenden Bräutigams ihren Geist aushauchte.</p>
-
-<p>Seit dieser Zeit hatte Alexander absichtlich der Liebe widerstrebt
-&mdash; er schien sich hieraus eine Buße gemacht zu haben. Doch in der
-Nähe Cölestinens, wohin der Zufall ihn führte, und wo irgend ein
-verhängnißvoller Zwang ihn festhielt, war er nicht länger fähig zu
-widerstehen.... er faßte eine verzehrende Leidenschaft für das reizende
-Wesen und trat mit einer unglaublich großen Anzahl von Mitbewerbern in
-die Schranken.</p>
-
-<p>Trotzdem, daß Cölestine im Ganzen auch die Mitwerbung der Uebrigen
-nicht ohne geheimes Vergnügen sehen mochte &mdash; trotzdem, sagen wir,<span class="pagenum"><a name="Seite_39" id="Seite_39">[39]</a></span>
-daß sie, Gott weiß durch welche magische oder vielleicht auch ganz
-natürliche und positive Mittel, jenen dichtgeschlossenen Verehrer-Kreis
-(worunter es Einige von der glühendsten, ja von der wüthendsten Sorte
-gab) beständig um sich erhielt: hatte doch entschiedenermaßen Graf
-Alexander seit ziemlich lange her ihr Herz erworben, und endlich ward
-ihm ihre Hand in feierlicher Form zugesagt.</p>
-
-<p>In der Zeit, mit welcher dieser Roman beginnt, gingen in allen Kreisen
-der <em class="antiqua">haute crême</em> Anzeigen folgenden Inhaltes herum:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Wir beehren uns, Ihnen anzuzeigen, daß am 15ten dieses Monats
-unsere Tochter, Fräulein Cölestine von Randow, mit dem Herrn Grafen
-Alexander von A&mdash;x, K. K. etc. etc. vermählt werden wird. Wir werden
-nicht ermangeln, Ihnen das Weitere demnächst bekannt zu geben und
-um die Auszeichnung Ihrer Gegenwart zu bitten.</p></div>
-
-<p>Wien am 9ten Mai 1842.</p>
-
-<p><span class="mleft2">Eugenie von Randow,</span><br />
-<span class="mleft2">geborne Ernini von Kronau.</span></p>
-
-<p class="right mright2">Friedrich von Randow,<br />
-<span class="mright1">K. K. General-M.“</span></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_40" id="Seite_40">[40]</a></span></p>
-
-<p>So war denn also über Cölestinens und Alexanders von A&mdash;x Verhältniß
-kein Zweifel mehr &mdash; man hatte die handgreiflichste Gewißheit.</p>
-
-<p>Als diese zu den früher so hoffnungsreichen, aber jetzt so jämmerlich
-durchgefallenen Amateurs und Adorateurs Cölestinens gelangte &mdash; da
-schäumten Einige von ihnen vor Wuth, Andere sannen still auf Rache
-&mdash; noch Andere verzweifelten &mdash; und endlich Einige, (das waren die
-Wenigsten, weil die Vernünftigsten), lachten über dieses Ende vom Liede
-&mdash; gingen nach Hause, wuschen ihre Erinnerungen mit Rosenwasser ab &mdash;
-und traten als vollkommene Gentlemen wieder auf die Straße; denn es ist
-der Grundzug des wahren Mannes von Welt</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse"><em class="antiqua">nil admirari,</em></div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="p0">d. h. über Alles höchstens &mdash; die Achsel zu zucken.</p>
-
-<p>Warum aber hatte Cölestine dem Grafen Alexander einen so entschiedenen
-Vorzug vor so vielen Andern eingeräumt? &mdash; &mdash; Ach es ist schwer,
-die Calcule der Liebe zu verfolgen. Die Liebe berechnet nach einem
-dynamischen Zahlensysteme, wofür wir in der materiellen Welt keine
-Zeichen haben. Wer kann sagen, warum Diese<span class="pagenum"><a name="Seite_41" id="Seite_41">[41]</a></span> Jenen liebt und nicht den
-Andern? &mdash; Ja, das Beste dabei ist: wir selber können in den meisten
-Fällen uns das von unserer eigenen Liebe nicht nachweisen. Mich dünkt,
-Shakspeare hat es gesagt: Der Eine verliebt sich in die blauen Strümpfe
-seiner Dame, ein Zweiter in ihren süßen Athem &mdash; &mdash; ein Dritter
-findet in der Pupille ihres Auges eine Gottheit, die ihn zu ihren
-Füßen hinreißt; oft ist ein Traum, in welchem uns eine bisher ganz
-gleichgültige Person erscheint, hinreichend &mdash; um uns in Wirklichkeit
-mit rasender Liebe zu ihr hinzureißen; ja man hat Beispiele, daß uns
-Jemand durch seine enorme Häßlichkeit eben so bezaubert, wie ein
-anderer Jemand unsern Freund durch seine unaussprechliche Schönheit.</p>
-
-<p>Das sagt Shakspeare. Und sollte er es auch nicht sagen, so sage ich
-es, was, wenn es gut gesagt sein sollte, die Sache am Ende auch nicht
-schlimmer macht.</p>
-
-<p>Was nun Alexander und Cölestine betrifft, so ist es höchst
-wahrscheinlich, daß die ernste, bedeutungsvolle, stolze und düstere
-Männlichkeit des Grafen &mdash; sie zu allererst zu ihm hinzog. &mdash;
-Solche ungewöhnliche tiefromantische und geheim<span class="pagenum"><a name="Seite_42" id="Seite_42">[42]</a></span>nißvolle Charaktere
-beschäftigen zu sehr die Neugierde der Weiber, als daß sie später nicht
-auch deren ganze Seele herüberziehen sollten. Denn mag man dagegen
-sagen, was man will &mdash; Neugierde ist der erste Ring in der Kette
-weiblicher Empfindungen; an ihm hangen die übrigen der Theilnahme, des
-Mitleids, der Freude, der Furcht, der Hoffnung, der Freundschaft und
-der Liebe.</p>
-
-<p>Ueberdies war Alexander, dieser stolze, selbstständige und geistreiche
-Mann auch &mdash; ein nicht unschöner Mann. Grund allein schon, ihn zu
-lieben &mdash; wenn er auch sonst nichts besessen hätte. Denn ist materielle
-Schönheit an sich nicht schon hinreichend, ein Weiberherz, oft das
-gebildetste und zarteste, zu besiegen? Wenigstens treffen wir täglich
-auf Beispiele, die hierher gehören. In Rom hat erst kürzlich eine
-jugendliche hochgeborne und hochgebildete Miß ihren &mdash; Kutscher
-geheirathet, und Madame Dudevant in Paris hat sich, wie man mir
-erzählt, neulich in einen allerliebsten handfesten Ouvrier vernarrt,
-wiewohl die große Schriftstellerin nachgerade im Begriffe steht, eine
-&mdash; Matrone zu werden.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_43" id="Seite_43">[43]</a></span></p>
-
-<p>Doch wohin verirre ich mich? Graf Alexander ist ja nicht in diese
-Kategorie zu versetzen; aber man gelangt beim Raisonniren so leicht vom
-Hundertsten in’s Tausendste, und dies darum: weil es in der Natur so
-viele Aehnlichkeiten &mdash; nahe und entfernte &mdash; giebt.</p>
-
-<p>Genug an dem: sie hatten sich gefunden, sie hatten sich erreicht &mdash; ein
-Himmel voll Lust ging auf über ihren Häuptern und der Erdendämon des
-Kummers zog grollend von dannen. Sie kannten ihn nicht mehr.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_44" id="Seite_44">[44]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Drittes_Kapitel"><b>Drittes Kapitel.</b><br />
-
-<span class="s6">Die Trauung.</span></h2>
-
-</div>
-
-<p><span class="initial">D</span>er Vermählungstag erschien. Noch immer hatten die Neider und
-Nebenbuhler sich geschmeichelt, er werde hinausgeschoben und so durch
-irgend einen der zahllosen unberechenbaren Zufälle, auf die der
-Mißgünstige hofft &mdash; endlich gar vereitelt werden. Aber nichts von
-dem Allen geschah. Es war mit diamantenen Buchstaben in dem Buche des
-Lebens geschrieben: Cölestine sollte Alexanders Gemahlin sein.</p>
-
-<p>Als man nun nichts mehr dagegen thun konnte, ergab man sich ins
-Schicksal &mdash; jedoch mit einer Hölle im Herzen. &mdash;</p>
-
-<p>Das Palais des Herrn von Randow lag in der &mdash;straße, innern Stadt. Man
-nennt diese und noch eine Straße vorzugsweise die: aristokratischen,
-weil sie aus einem Aggregat hochadeliger<span class="pagenum"><a name="Seite_45" id="Seite_45">[45]</a></span> Wohnungen bestehen. Es ist
-das Quartier: St. Germain Wiens, wiewohl im verjüngten Maßstabe, da
-viele der größten Paläste der <em class="antiqua">haute volée</em> in der ganzen Stadt
-zerstreuet stehen.</p>
-
-<p>Seit vielen Jahren hatte im Palaste der Randow kein so reges Treiben
-geherrscht, wie am heutigen Tage. Es ging und kam, es lief und rannte
-Alles, was der Bewegung fähig war. Vom Haushofmeister herab bis zu dem
-letzten Küchen- und Stalljungen hatten die Domestiken alle Hände voll
-zu thun. Die Gänge, die Vorsäle, der Hof, Küche und Keller &mdash; hier
-wimmelte es von Menschen und menschenähnlichen Geschöpfen.</p>
-
-<p>Dagegen herrschte im Innern der Gemächer eine feierliche grandiose
-Stille, wie denn ein kommendes Ereigniß von höhern Menschen immer mit
-kalter Ruhe erwartet zu werden pflegt.</p>
-
-<p>Im großen Familiensaale stand die geschmückte Braut an der Seite ihres
-Bräutigams, umgeben von ihren Angehörigen und einigen Freunden &mdash;
-und harrte des Augenblickes, der sie an die Stufen des Altars führen
-würde. Die Trauung<span class="pagenum"><a name="Seite_46" id="Seite_46">[46]</a></span> sollte in der Hauskapelle vollzogen werden und man
-erwartete nur das Zeichen zum Aufbruch.</p>
-
-<p>Cölestine war ein wenig blässer als gewöhnlich und hierauf beschränkte
-sich die ganze Veränderung ihrer Gestalt. Man konnte gewiß auch nicht
-das leiseste Zeichen von Alteration auf ihrem Gesichte bemerken &mdash; und
-der Blick, mit welchem sie, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, auf
-Alexander verweilte, war fest, mild und heiter. Es schien, als ob ein
-namenloses Glück in ihr Herz eingezogen sei, von welchem sie jedoch der
-Welt nichts verrathen wollte, da man nur insgeheim wahrhaft glücklich
-ist.</p>
-
-<p>Wenn man dann noch den Grafen, ihren Bräutigam, anblickte, so mußte
-uns anfangs die Aehnlichkeit, welche sich in der Seelenstimmung dieser
-beiden Personen aussprach, lebhaft überraschen &mdash; und man konnte nicht
-umhin, sich zu gestehen: diese Beiden sind in der That für einander
-bestimmt. Graf Alexander stand in diesem Augenblick mit gleichem
-ruhigen Bewußtsein an ihrer Seite und auch er schien mit seinem Glück
-vollständig abgeschlossen zu haben. Doch jenes Leuchten, welches wie
-der Blitz momentan durch<span class="pagenum"><a name="Seite_47" id="Seite_47">[47]</a></span> sein dunkles Auge zuckte, jedoch nur so
-selten, daß es kaum Jemand bemerkte, sprach von einer Lust, die wilder
-bewegt war, als sie es schien.</p>
-
-<p>Nur wenig von dem Allen fiel den Eltern Cölestinens auf. Ihre
-Zufriedenheit über das Geschick ihrer geliebten Tochter war so groß,
-daß ihr Augenmerk nur in diesem Kreise verweilte und nicht fähig war,
-selbst zu verwandten Dingen hinaus zu treten. Eine freundlichere
-Greisengestalt, wie die des Generals von Randow, konnte man sich nimmer
-vorstellen; es war in ihr jene Mischung von adeligem und militärischem
-Ritterthume vereint, die man auf den Bildern der Condé’s und ähnlicher
-Heldenfamilien so gerne erblickt; hiezu kam noch ein unvertilglicher
-Zug von Herzensgüte, die, wie wir wissen, ein Eigenthum aller
-Familienglieder der Randow bildete &mdash; und die überdies auch sonderbarer
-Weise ein Attribut fast aller heroischer Charaktere ist und war. &mdash; Die
-Mutter Cölestinens, aus einem deutschen Hause entsprossen, war eine
-der sanftmüthigsten und zartsinnigsten Seelen &mdash; ein wahrer, echter,
-niemals getrübter Tugendspiegel, das Muster einer Gattin und Mutter.
-Seit einiger<span class="pagenum"><a name="Seite_48" id="Seite_48">[48]</a></span> Zeit lebte sie nur in und für diese einzige Tochter, und
-die Thränen, welche sie zum ersten Male im Leben vergossen hatte, waren
-Freudenthränen über Cölestinens Glück.</p>
-
-<p>Es wird nicht eben nöthig sein, viel von den übrigen Personen zu
-reden, welche theils als nächste Verwandte des Hauses, theils als
-erbetene Zeugen das Brautpaar umgaben. &mdash; Da stand eine <em class="gesperrt">Gräfin von
-Wollheim</em> mit ihrem Gemahle, der ein großer Jäger war, während sie
-zu den leidenschaftlichsten Mitgliedern des <em class="gesperrt">Wohlthätigkeitsvereins
-hoher Damen</em> gehörte und alle Jahre mit eigenen Händen 6 Paar
-grobwollner Strümpfe dazu strickte, die sie freilich viel leichter
-für einige Groschen hätte kaufen können. Ferner war eine Frau von
-<em class="gesperrt">Porgenau</em> ebenfalls mit Gemahl da, von welch’ letzterem man sich
-allerlei schnurrige Geschichten erzählte. Er wollte für einen großen
-Bonmotisten und Calembouristen gelten, und da hierzu sein Talent nicht
-völlig ausreichte, griff er zu dem auch bei einigen andern Leuten
-gebräuchlichen Mittel, daß er fremde Witze als eigene auftischte.
-Achtbarer und hochverehrter als der alte &mdash; Rath und Ritter eini<span class="pagenum"><a name="Seite_49" id="Seite_49">[49]</a></span>ger
-Orden, Herr von <em class="gesperrt">Labers</em>, konnte Keiner sein. Er zählte unter die
-verdientesten Staatsmänner der Regierung und seine Anwesenheit allein
-reichte hin, eine Gesellschaft auszuzeichnen. Er war einer von den
-Trauungszeugen des Brautpaares. An seinem Arme führte er die bejahrte
-Wittwe eines <em class="gesperrt">Feldmarschall-Lieutenant E&mdash;z</em>, welche ebenfalls
-eine Zeugin bei der Ceremonie abgab. Noch mehrere Gäste befanden
-sich im Saale; jedoch ist es nicht unsere Absicht, sie hier alle
-aufzuzählen, um so weniger, da dieselben im Verfolge dieser Geschichte
-wohl nicht wieder auftreten dürften.</p>
-
-<p>Nur von Cölestinens Bruder, Edmund von Randow, müssen wir noch
-sprechen. Natürlich, daß auch er sich im Kreise der Gesellschaft
-befand. Ein Charakterzug, der an diesem leichtsinnigen Jüngling sehr
-auffallend erschien, war eine so zärtliche Liebe für seine Schwester,
-daß er in ihrer Nähe, man möchte sagen, einen ganz neuen Menschen
-anzog; denn es gab dann keinen gefühlvolleren und liebenswürdigeren
-jungen Mann, als wozu er sich Angesichts Cölestinens verwandelte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_50" id="Seite_50">[50]</a></span></p>
-
-<p>So stand denn Edmund jetzt auch schüchtern wie ein Mädchen neben
-seiner Schwester, und wenn er einen Blick von ihr erhielt, wäre er vor
-Seligkeit niedergesunken und hätte ihre Füße geküßt.</p>
-
-<p>Es ist in der That auffallend, und doch ist es vorgekommen, daß
-zwischen Bruder und Schwester oft eine so romantische Liebe existirt,
-wie man sie kaum zwischen Geliebten findet. Woher mag das kommen?
-Ist es vielleicht einerseits die Anziehungskraft zwischen den beiden
-Geschlechtern &mdash; und anderseits die Macht jenes Naturgebots, welches
-eine Scheidewand stellt zwischen Menschen, die ein Schoß gebar? &mdash;
-In diesem wechselnden anziehenden, abstoßenden Magnetismus ist gewiß
-ein namenloser Reiz verborgen und es entspringt hieraus einer jener
-romanesken Zustände, welche wir nur erleben, nicht schildern können.</p>
-
-<p>Endlich erschien der Hauskaplan im Chorhemd und Stola, um das Paar
-vor die Stufen des Altars zu laden. Man trat sogleich durch einen
-kurzen Corridor in das Heiligthum. Der Tisch des Herrn war festlich
-geschmückt, helle<span class="pagenum"><a name="Seite_51" id="Seite_51">[51]</a></span> Lichter brannten auf demselben und zwischen ihnen
-glänzte auf silbernem Kreuze das schmerzvolle Bild des Erlösers.</p>
-
-<p>Der Priester stellte sich auf die oberste Altarsstufe und erwartete
-hier, daß Diejenigen, denen er ein Sakrament der Kirche ertheilen
-sollte, zu ihm kommen und darum bitten würden. &mdash; So wurde denn
-Cölestine von der Wittwe des Feldmarschall-Lieutenant E&mdash;z und ihren
-Eltern, Graf Alexander aber von dem &mdash;Rath, Herrn von Labers, und
-seinen Freunden dahin geführt.</p>
-
-<p>Mit fester Stimme ward beiderseits das „Ja“ gesprochen, die Ringe
-gewechselt, die Stola schlang sich um die vereinigten Hände.</p>
-
-<p>Sie waren Mann und Weib.</p>
-
-<p>Edmund, der der Ceremonie von ferne zugesehen hatte, sank bei dem
-letzteren Akte ohnmächtig in einen Betstuhl.</p>
-
-<p>Zu gleicher Zeit hörte man draußen einen Pistolenschuß fallen, und
-wie man später erfuhr, hatte ein junger Mann, den man jedoch nicht
-erkannte, den Versuch gemacht, sich selbst zu entleiben. Vor der
-Trauungsfeier noch war er in der Nähe der Kapelle gesehen worden,
-hatte sich<span class="pagenum"><a name="Seite_52" id="Seite_52">[52]</a></span> aber irgendwo zu verstecken gewußt, so daß man ihn nicht
-finden konnte. Nachdem der Schuß, welchen er gegen seinen Kopf zu thun
-beabsichtigt hatte, durch irgend einen Umstand fehlgegangen war &mdash; war
-dieser Fremde wieder plötzlich verschwunden, ohne daß man wußte, wohin
-er gerieth. &mdash; Diese ganze Szene trug sich vor der Kapelle zu und war
-von einigen Dienern des Hauses beobachtet worden.</p>
-
-<p>Ein heftiger Schrecken hatte sich beim Knall des Gewehres unter der
-Gesellschaft in der Kapelle verbreitet. Man glaubte anfangs, es sei
-nach dem Bräutigam oder gar nach der Braut geschossen worden. Indeß
-erfuhr der General und seine Gemahlin sogleich das Wahre von der
-Sache, und dem Brautpaar, so wie den übrigen Gästen sagte man: es sei
-unvorhergesehenerweise das Gewehr eines Jägers im Hause losgegangen.</p>
-
-<p>Aber welches Entsetzen ergriff Alle, als sie in einem Betstuhle Edmund
-leblos liegen sahen. Doch wieder beruhigte man sich, sobald man seinen
-wahren Zustand entdeckte. Man kannte seine schwärmerische Neigung für
-Cölestine. Aber<span class="pagenum"><a name="Seite_53" id="Seite_53">[53]</a></span> war es diese Neigung, die ihn im Augenblick, als die
-Schwester ihm auf immer entrissen werden sollte &mdash; oder war es ein
-Vorgefühl vor dem räthselhaften Schusse, &mdash; welches ihn besinnungslos
-hinstürzen ließ, wer kann es berechnen?</p>
-
-<p>Als endlich wieder Alles geordnet war, als man den Ohnmächtigen
-wieder zu sich gebracht hatte, als er in den Armen seiner bräutlich
-geschmückten Schwester vollends zum Leben erwacht war &mdash; verließ der
-Zug endlich die Kapelle und begab sich nach dem großen Familiensaale.
-Cölestine empfing hier den Segen ihrer Eltern, die ersten Glückwünsche
-der gegenwärtigen Gäste, so wie einige Geschenke ihrer Verwandten.</p>
-
-<p>Länger jedoch vermochte die Arme sich nicht aufrecht zu erhalten. Diese
-Menschen, die sie umgaben, waren so gesund, wohlbehalten, ihnen war
-nichts begegnet als ein gewöhnliches Fest &mdash; &mdash; hingegen auf Cölestine
-waren so viele Ereignisse, oder vielmehr ein einziges großes, tausend
-andere in sich fassendes Ereigniß, eingedrungen &mdash; daß ihre ungewohnte
-Brust den Druck desselben nicht länger zu ertragen vermochte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_54" id="Seite_54">[54]</a></span></p>
-
-<p>Cölestine begab sich mit ihrem Manne und ihrer Mutter nach einem andern
-Gemache.</p>
-
-<p>Zurück blieben die Verwandten und Gäste, welche sich um den General
-stellten und ihm jetzt dasselbe wiederholten, was sie früher
-seiner Tochter gesagt hatten, nämlich Glückwünsche, Gratulationen,
-Prophezeihungen und andere leere Sachen, an denen die Welt immer reich
-sein wird, so lange es noch müßige Menschen und solche giebt, denen es
-an Nichts oder an Wenigem fehlt; mögen dieselben hohen oder niedern
-Standes sein, das ist einerlei.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_55" id="Seite_55">[55]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Viertes_Kapitel"><b>Viertes Kapitel.</b><br />
-
-<span class="s6">Der Hochzeitsball.</span></h2>
-
-</div>
-
-<p><span class="initial">D</span>es Abends waren die Salons des Palastes glänzend erleuchtet.
-Natürlich, man mußte ja einen Ball geben, ohne das läuft so was nimmer
-ab. Wie hätte sonst die halbe Welt Gelegenheit haben sollen, die
-ersten Augenblicke des Ehepaars mit jener schmählichen Neugierde zu
-kontrolliren, welche Ihr &mdash; Ihr armen braven Handwerksleute, Bürger
-und Bauern nicht kennt. Gewisse Gebräuche und Sitten der <em class="antiqua">beau monde</em>
-hat die bloße, nackte Unverschämtheit erfunden &mdash; und die herzlose
-Fühllosigkeit sanktionirt sie und bringt dieselben in Ausübung. Hierher
-gehört auch die Sitte, von welcher wir gegenwärtig sprechen.</p>
-
-<p>Wozu ein Ball, ein Fest, eine Versammlung nach der Vermählung? Sind
-sich in diesen<span class="pagenum"><a name="Seite_56" id="Seite_56">[56]</a></span> Stunden Mann und Weib nicht genug, halten sie sich denn
-nicht zum ersten Male mit den Armen umschlungen, und sind diese nicht
-noch kräftig genug, um fremder Stütze zu entbehren? &mdash; Bei Gott, es ist
-eine Perfidie &mdash; mich unter dem Vorwande eines Gebrauchs &mdash; von der
-ersten Besitznahme meines Eigenthums zu trennen. Der erste Augenblick
-ist ja der entzückendste, warum stört Ihr mich gerade jetzt? &mdash; &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Oder sollen diese Gesellschaften am Tage der Vermählung soviel sagen,
-als: von nun an wollen wir immer und so oft als irgend möglich zwischen
-Euch treten und Euch die einsamen Augenblicke, die so süß sind,
-rauben.... von nun an wollen wir es hindern, daß Ihr Euch so ganz
-vereinigt, wie es in der Schrift geschrieben steht: ein Leib und eine
-Seele.</p>
-
-<p>&mdash; Die Räume der Salons waren jetzt bereits so sehr angefüllt, daß
-kaum mehr Platz da war für neue Gäste, und doch kamen deren immer mehr
-und mehr. Namentlich Frauen waren mit ihren Männern in großer Menge
-erschienen und auch junge Leute; weniger waren Mädchen zu<span class="pagenum"><a name="Seite_57" id="Seite_57">[57]</a></span> bemerken,
-die man von solchen Festen gerne ausschließt.</p>
-
-<p>Schon sammelte und sonderte man sich in Kreisen und Gruppen, schon
-unterhielt man sich in jener halbleisen und halbschreienden Weise,
-welche die Conversation der Leute vom guten Ton auszeichnet. Der
-Gegenstand dieser Conversation, dieser Blicke, dieser Deutungen und
-Zeichen war, wie natürlich &mdash; Cölestine und ihr Mann. Ich weiß nicht,
-ob noch irgend ein anderes menschenmögliches Ereigniß im Stande gewesen
-wäre, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich zu ziehen, es müßte
-denn allenfalls das Herabfallen der Decke des Salons gewesen sein.</p>
-
-<p>„Allein finden Sie nicht, beste N**, daß er beiweiten hübscher ist, als
-wie man uns ihn beschrieb?“</p>
-
-<p>„Gewiß, gewiß, meine Freundin: er kann sogar ein <em class="gesperrt">schöner Mann</em>
-genannt werden.“</p>
-
-<p>„Was sagen Sie zu seinem Benehmen, theure Gräfin V**? Finden Sie es
-nicht ein wenig schroff? ungewöhnlich?“</p>
-
-<p>„In der That &mdash; ja.... indeß kleidet es ihn nicht schlecht, wie ich
-glaube....“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_58" id="Seite_58">[58]</a></span></p>
-
-<p>„Ist er Ihnen schon einmal irgendwo vorgestellt worden, meine Beste?“</p>
-
-<p>„Das nicht, kleine Freundin; jedoch habe ich ihn zeitweise bei der
-Baronin von G&mdash;r getroffen, wo er sehr beliebt ist.“</p>
-
-<p>„Es scheint mir unbegreiflich, daß dieser Mann beliebt sein könnte.“</p>
-
-<p>„Warum nicht, liebste Beste! Sie thun ihm wahrhaftig Unrecht....“</p>
-
-<p>„Ach &mdash; wovon reden Sie da, meine schönen Damen?“</p>
-
-<p>„Guten Abend, theure Freundin.... Sie sehen, wir reden von ihm....“</p>
-
-<p>Und wer ist dieser Er und Ihm, und: <em class="gesperrt">dieser Mann</em>? Wer sonst, als
-Graf Alexander, der junge Ehemann, der so glücklich ist, von heute an
-für zwölf volle Tage Stoff zu liefern für die Conversation der schönen
-Welt.</p>
-
-<p>Aber entgeht vielleicht Cölestine ihrem Schicksal? O, ein solcher Fall
-ist noch nicht da gewesen.</p>
-
-<p>In einigen Gruppen, gebildet aus jungen Leuten und auch älteren
-Gesellen, ist ein solches Flüstern und Lachen und Deuten (natürlich
-bloß mit den Augen) zu bemerken, daß es die Um<span class="pagenum"><a name="Seite_59" id="Seite_59">[59]</a></span>stehenden genieren
-müßte, wären diese an dergleichen nicht gewöhnt. Man spricht nämlich
-in diesen Gruppen von der schönen jungen Frau, ohne jedoch hierbei
-außer Acht zu lassen, nebenbei auch über ihren Mann ein Wörtchen
-hineinzumengen. In dieser Beziehung sind die Klatschereien der Herren
-noch weit abscheulicher als jene der Damen, da hier in der Regel ihr
-eigenes Geschlecht viel günstiger beurtheilt wird. Wir haben in jener
-Damen-Unterhaltung, der wir vorhin beiwohnten, nur immer über den
-<em class="gesperrt">Gemahl</em>, über <em class="gesperrt">Alexander</em> reden gehört &mdash; &mdash; aber glaube
-Niemand, daß er jetzt in der Herren-Unterhaltung, die wir sogleich
-besprechen wollen, bloß den Namen Cölestinens zu hören bekommt; im
-Gegentheil wird jener ihres Mannes tausend Mal genannt werden, und zwar
-nicht nur sein Name, sondern auch sein Kopf, sein Hals, seine Brust,
-sein Arm, sein Bein, sein Rock, sein Taschentuch.</p>
-
-<p>O über die männlichen Klatschschwestern!</p>
-
-<p>„Ach ja &mdash; guter T*** &mdash; Du findest diese Cölestine wirklich so
-allerliebst? Ich bemerke so eben, daß sie eine abscheuliche Stumpfnase
-hat.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_60" id="Seite_60">[60]</a></span></p>
-
-<p>„Das deutet auf Herrschsucht und Trotz, meine Herren!“</p>
-
-<p>„Um so besser. Der Herr Gemahl wird sich ihr trefflich fügen, denn wenn
-ich nicht irre, so deutet sein hängender Backenbart ein großes Talent
-zur Unterwürfigkeit an!“</p>
-
-<p>„Hahahaha! hahahaha!“</p>
-
-<p>„Ein vortrefflicher Einfall.... Er dürfte aus dem Munde des alten
-<em class="gesperrt">Porgenau</em> kommen! &mdash; hahaha!“</p>
-
-<p>„O, dann wäre er gestohlen!“</p>
-
-<p>„Schadet nichts! Gedanken sind keine Waare!“</p>
-
-<p>„Allein &mdash; wie finden Sie diese Haltung <em class="gesperrt">ihres</em> Kopfes? Der Kopf
-an sich ist bewundernswürdig schön!“</p>
-
-<p>„Jedoch entstellt ihn die übermäßige Coiffure.“</p>
-
-<p>„Was man immer sagen mag: <em class="gesperrt">sie</em> ist eine der ersten Schönheiten
-Wiens.“</p>
-
-<p>„Gewiß! Vom ersten Wasser! Vom ersten Wasser!“</p>
-
-<p>„Vom ersten Kaliber.“</p>
-
-<p>„Still &mdash; &mdash; welcher Vergleich!“</p>
-
-<p>„Die Zahl <em class="gesperrt">ihrer</em> Anbeter soll Legion gewesen sein.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_61" id="Seite_61">[61]</a></span></p>
-
-<p>„Ich wenigstens gehörte nicht dazu.“</p>
-
-<p>„Jedenfalls war dieser Graf Alexander der Glücklichste unter allen...“</p>
-
-<p>„Oder eigentlich der Unglücklichste, wie man’s nehmen will...“</p>
-
-<p>„Ach, ach &mdash; ich denke, er ist an sich schon unglücklich genug; wenn
-man die Physiognomie dieses Menschen betrachtet, so wird man finden,
-daß dieselbe aus lauter Unglücken, oder deutscher: Unglücksfällen
-zusammengesetzt ist...“</p>
-
-<p>„Mäßigen Sie sich, Herr von G&mdash;r; denn da kommt eben die Schwiegermama,
-und die scheint in Beziehung auf ihren Tochtermann entgegengesetzter
-Meinung.“</p>
-
-<p>Augenblicklich entstand in diesen Versammlungen eine musterhafte Stille
-und die Gesichter der Herren, welche erst von Satyre und Ironie (aber
-ziemlich erbärmlicher) überflossen, wiesen sich so freundlich süß,
-wie eine Hausfrau von ihren Gästen sie nur immer erwarten kann. Ja
-noch mehr, diese trefflichen jungen Leute umringten die Generalin und
-wußten ihr in einem Athemzuge so viel Schmeichelhaftes zu sagen, daß
-man gemeint<span class="pagenum"><a name="Seite_62" id="Seite_62">[62]</a></span> hätte, über deren Zungen wäre niemals etwas Anderes als
-Lobgesang und Psalmodei gekommen.</p>
-
-<p>Nichts als Glückwünsche und zwar „aus dem Innersten des Herzens“ wurde
-gespendet &mdash; man pries ihr Haus über diesen neuen Zuwachs an Ehre und
-Glück, der demselben so eben geworden war, und dann was den Grafen
-Alexander von A&mdash;x betraf, so bezeichnete man ihn als „einen der
-ausgezeichnetsten Kavaliere der Residenz und einen der einflußreichsten
-Diener des Staates.“</p>
-
-<p>Die alte Dame erwiederte diese Höflichkeiten mit jener Miene von
-Liebenswürdigkeit und jenem feinen Takte, die einer vornehmen Frau
-immer zu Gebote stehen und wovon die erstere durch den zweiten stets
-sicher geleitet und bemessen wird.</p>
-
-<p>Man ordnete sich alsbald zum Tanze. Hierzu waren zwei weitläufige
-Säle bestimmt, wohin man sich jetzt paarweise begab. Cölestine,
-nun Gräfin von A&mdash;x, eröffnete an der Hand des Herrn von Labers
-den Zug, &mdash; Graf Alexander bot ihrer Mutter und der General der
-Feldmarschall-Lieutenants Wittwe den Arm. Die übrigen Gäste schlossen
-sich ohne Rangordnung, die in der<span class="pagenum"><a name="Seite_63" id="Seite_63">[63]</a></span> höhern Gesellschaft nicht existirt,
-an &mdash; da hier mit dem Privilegium des Eintritts auch jenes der
-Gleichheit verbunden wird.</p>
-
-<p>Gräfin Cölestine hatte zum ganzen Feste so viel heitern Sinn und eine
-so sichere Fröhlichkeit mitgebracht, daß alle Welt sagen mußte: sie sei
-glücklich und hoffe es stets zu sein. Von dem Grafen, ihrem Gemahle,
-ließ sich dasselbe sagen, doch schien ihn in manchen Augenblicken
-dieses geräuschvolle und ostensible Treiben zu belästigen; man sah es
-ihm an &mdash; er wünschte lieber allein zu sein mit Derjenigen, die er
-jetzt sein nannte. Sollte man es Besorgniß nennen, die sich momentan
-in seiner Miene kundgab? Vielleicht war es das nicht &mdash; und doch
-flüsterten zwei seiner eifrigsten Beobachter, die vielleicht früher
-auch seine Nebenbuhler gewesen waren:</p>
-
-<p>„Ach, es ist die Eifersucht, die sich selbst in den ersten Tropfen
-seines Freudenkelches mischt! wie wird dies erst später werden?“</p>
-
-<p>Dann lachten diese guten Herren und meinten, der Tag ihrer Rache würde
-schon von selbst kommen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_64" id="Seite_64">[64]</a></span></p>
-
-<p>Einige Stunden später &mdash; Graf Alexander hatte während dieser Zeit nach
-der Sitte der vornehmen Welt mit seiner Frau <em class="gesperrt">so wenig als möglich
-gesprochen und getanzt</em> &mdash; konnte ein feiner Menschenkenner Spuren
-eines tiefern Unmuths auf des jungen Ehemanns Stirne lesen. Und in
-der That, Alexander war jetzt von einem jener schrecklichen Gefühle
-geplagt, denen seine Seele in früherer Zeit so oft zur Beute geworden.
-Die immerwährende und sich stets gleichbleibende Heiterkeit Cölestinens
-hatte ihn bitter berührt, sie hatte ihn schmerzlich verletzt. Woher
-diese so bestimmt ausgesprochene Zufriedenheit bei ihr &mdash; &mdash; da doch
-er dieselbe nicht theilte? So fragte er sich. Der Bedauernswerthe! er
-bedachte nicht, daß seine Frage ein Widerspruch sei &mdash; &mdash; &mdash; waren denn
-ihre beiderseitigen Gemüther gleich? ja, entsprangen denn ihre jetzigen
-so verschiedenen Stimmungen aus <em class="gesperrt">einer</em> Quelle?</p>
-
-<p>So oft es der Anstand und die Umstände erlaubten, versuchte Alexander
-sich seiner Gemahlin zu nähern und &mdash; da traf er denn immer auf
-Hindernisse, die sich zwischen sie und ihn stellten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_65" id="Seite_65">[65]</a></span></p>
-
-<p>Cölestine war eine leidenschaftliche Tänzerin, und warum sollte sie
-an dem heutigen Freudentage sich diesem Vergnügen nicht mindestens
-im selben Maße überlassen, wie zu andrer Zeit? Werden doch, wenn wir
-fröhlich gestimmt sind, unsere innern Triebe freier entfesselt wie
-sonst.</p>
-
-<p>Aber so urtheilte Alexander keineswegs. Seine glühende, spanische,
-eifersüchtige Liebe lechzte nach dem Besitze des Gegenstandes, auf
-welchen nur er ein Recht zu haben meinte.... Zum Glück war sein
-Charakter fast eben so stolz und verschlossen wie eifersüchtig; sonst
-hätte er die Bewegungen seines Herzens nicht bemeistert.</p>
-
-<p>Indessen wurde sein Betragen zuletzt auffallend genug, daß einige Damen
-und Herren, die eher gekommen waren, zu beobachten und zu secciren &mdash;
-als sich zu unterhalten, unter einander sprachen:</p>
-
-<p>„Unser junger Ehemann scheint von höchst eigenthümlicher Sorte zu sein;
-man könnte fast glauben, er befinde sich hier, um die Gäste, die seine
-Schwiegermutter eingeladen hat &mdash; zu vertreiben...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_66" id="Seite_66">[66]</a></span></p>
-
-<p>„Ohne eben weit zu sehen &mdash; ließ sich dergleichen von ihm im Voraus
-erwarten. Sie kennen den Grafen A&mdash;x also nicht?“</p>
-
-<p>„O! man muß ihm aber auch Gerechtigkeit widerfahren lassen: er macht
-schon im Voraus das Programm zu den künftigen Gesellschaften seines
-Hauses. Man wird sich darnach richten können. Sie dürften nicht ganz so
-glänzend ausfallen, wie die junge Gräfin vielleicht beabsichtigt.“</p>
-
-<p>„Man spricht davon,“ sagte Frau von Porgenau, die sich so eben näherte,
-„Gräfin Cölestine werde ihre <em class="antiqua">jour fix</em> am Sonnabende geben.“</p>
-
-<p>„In der That?“ versetzten einige Damen und sagten zu einander im
-Stillen: „Um so besser, denn an diesem Tage gibt auch Gräfin Wollheim,
-Frau von H&mdash; &mdash; und die Marquise d’M&mdash; ihre <em class="antiqua">cercles</em>.“</p>
-
-<p>„Vortrefflich! Vortrefflich!“ ließ sich in diesem Augenblick die
-schallende Stimme des Grafen von Wollheim vernehmen. Der große Jäger
-sprach jedoch nicht zu dieser Gruppe, sondern zu einer einige Schritte
-von hier, in deren Mitte er saß. Seine Worte galten dem ersten
-tanzenden Paare, über welches alle Welt entzückt war. <em class="gesperrt">Edmund<span class="pagenum"><a name="Seite_67" id="Seite_67">[67]</a></span> von
-Randow</em> tanzte nämlich mit seiner Schwester. Man hatte niemals ein
-eleganteres, ein schöneres Paar gesehen. Es war die Mazurka, ein Tanz,
-worin vielleicht in der ganzen Residenz Niemand so vollkommen war wie
-die beiden Geschwister. Man sah, daß es das nationelle Element sei,
-welches in ihnen zu einem so schönen äußern Leben erwache; denn wie wir
-wissen, waren die Randow ursprünglich Polen, und noch hatte das alte
-Vaterland an ihnen nicht ganz seine Söhne verloren.</p>
-
-<p>Die Mazurka war zu Ende. Man konnte sich nicht enthalten, die Virtuosen
-zu beklatschen &mdash; &mdash; Alexander sah von ferne zu; ob er sich freute, ob
-nicht, ist ungewiß; allein es zuckte keine Muskel auf seinem Gesichte,
-welches starr, kalt, theilnahmlos oder niedergeschlagen schien. &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Edmund verließ seine Schwester und ging kaum zwei Schritte, als er
-von den offenen Armen des großen Nimrod in Empfang genommen wurde.
-Denn beiläufig gesagt, waren Edmund und der alte Graf von Wollheim
-sehr große Freunde, weil Jener mit Diesem auf die Jagd ging, trank und
-spielte, von welchen Be<span class="pagenum"><a name="Seite_68" id="Seite_68">[68]</a></span>schäftigungen sämmtlich unser Nimrod ein großer
-Liebhaber war.</p>
-
-<p>„Alle Hirsche und Rehe!“ rief Letzterer aus: „Edmund, Du hast Dich
-wacker gehalten. Fast so wie auf jener großen Treibjagd, Anno 1839,
-wo Du unter meiner Leitung Dein Meisterstück machtest. &mdash; Aber wo
-zum Guckuck hast Du diese Gelenkigkeit in Deinen Knieen und Flechsen
-her?... ein Pullcinell hätte es nicht besser thun können....“</p>
-
-<p>„Ganz recht, lieber Graf,“ versetzte der Jüngling; „übrigens machen
-Sie mir da kein Kompliment. &mdash; Freilich ist es nicht Ihre Sache, von
-diesen Dingen zu sprechen &mdash; und aufrichtig gesagt, ich unterhalte mich
-mit Ihnen tausend Mal lieber über unsre alten Gegenstände.... Kommen
-Sie daher, mein vielgeliebter Wehrwolf... lassen Sie uns dorthin zur
-Kredenze treten &mdash; erst einige Schluck Wein und dann findet sich schon
-das Uebrige...“</p>
-
-<p>„Köstlicher Junge! Köstlicher Junge!“ exklamirte der Jäger: „Er ist und
-bleibt immer derselbe. Nun fürwahr, an Dir, mein Edmund, habe ich mir
-einen Schüler erzogen, auf welchen<span class="pagenum"><a name="Seite_69" id="Seite_69">[69]</a></span> ich stolz sein kann.... Allein, was
-meinst Du, wird uns nicht etwa Deine Mutter belauschen? Du weißt, sie
-sieht Dich nicht gerne mit dem Glase in der Hand.... Es scheint mir,
-auch Dein Vater schielt nach uns herüber.... Nehmen wir uns in Acht!
-Hübsch gescheidt, mein Jüngelchen.“</p>
-
-<p>„Schon gut!“ entgegnete Edmund: „Kommen Sie nur... ich verspüre in mir
-einen teufelsmäßigen Durst.... Das kommt stets, wenn ich ein Mal etwas
-lang solid gewesen bin...“</p>
-
-<p>„Ja, ja, Du hast Deiner Schwester heute den Hof gemacht, und zwar &mdash;“</p>
-
-<p>„Still &mdash; theurer Mann! Darüber kein Wort mehr.... Können wir nicht
-über andere Dinge reden? Du weißt, ich liebe jenes Thema nicht unter
-uns.“</p>
-
-<p>„Nun so will ich Dir eine alte Jagdgeschichte von einem Herzog von
-Würtemberg erzählen. &mdash;“</p>
-
-<p>„Erzähle in Gottes Namen! &mdash; So, jetzt wären wir in der Nähe der
-Gläser.“</p>
-
-<p>Wie man sieht, so dutzten sich die zwei an Alter zwar ungleichen, aber
-an Gesinnung desto ebenmäßigeren Freunde. So machte es Edmund<span class="pagenum"><a name="Seite_70" id="Seite_70">[70]</a></span> übrigens
-immer. Er war mit allen Leuten seines Schlages auf Du.</p>
-
-<p>Während dieses hier vor sich ging, während Wollheim und Edmund, in eine
-dunkle Ecke zurückgezogen, dem Nierensteiner, oder was es sonst war,
-die möglichst größte Ehre anthaten und dabei Gespräche führten, wie sie
-der Wein eingibt und wie wir sie hier zu wiederholen uns sehr hüten
-werden, unterhielt man sich auf andern Punkten der Salons auch nicht
-übel.</p>
-
-<p>So zum Beispiel beglückte Gräfin von Wollheim einen Kreis alter und
-buckliger Zuhörerinnen mit einer Erzählung ihrer letzten Leistung im
-Fache „der Strümpfe für den Wohlthätigkeitsverein.“</p>
-
-<p>„Glauben Sie, meine Damen,“ so sprach sie, „daß es eine der süßesten
-Empfindungen gewährt, unsere Talente und unseren Fleiß im Dienste der
-Armuth und Noth anzuwenden.... Im vergangenen Winter habe ich 4½ Paar
-guter Socken und Strümpfe gemacht, jedes Paar zu 2½ Pfund... Das gab
-eine Bekleidung! Welche Wärme!“</p>
-
-<p>„Ja, ja &mdash; welche Wärme!“ erwiederte ein altes Stiftsfräulein ohne
-Zähne, dafür jedoch<span class="pagenum"><a name="Seite_71" id="Seite_71">[71]</a></span> mit einer Zunge, die hinreichend <em class="gesperrt">schnitt</em>,
-sobald es sich um den Ruf eines Nebenmenschen handelte.... „Auch ich
-habe zwei Paar wollene Jacken an das Comité des <em class="gesperrt">Frauen-Vereins</em>
-gesendet. &mdash; &mdash; Alles eigene Arbeit! &mdash; Wer weiß, welches Pack sie
-jetzt auf dem Leibe trägt.... Denn Sie wissen doch, meine Freundinnen,
-daß diese unverschämten Armen, welche wir mit unserer Hände Arbeit
-beglücken, die letztere bei nächster Gelegenheit zum Trödler oder in’s
-Branntweinhaus tragen...“</p>
-
-<p>„Sollte das möglich sein?“</p>
-
-<p>„Sie können mir’s glauben!“</p>
-
-<p>„Mein Gott, das wäre ja recht abscheulich! &mdash; Wozu arbeiten wir denn?
-&mdash; Dann könnten wir ihnen ja die paar Kreuzer, welche sie für unsere
-Sachen lösen, viel bequemer selbst geben....“</p>
-
-<p>„Das ist Alles wahr und ich habe darüber schon mehrfach nachgedacht.
-Hören Sie mich, meine Besten, welchen Vorschlag ich gesonnen bin, bei
-dem Comité des Frauen-Vereins in den nächsten Tagen einzureichen.
-&mdash; Man soll in Zukunft jedes Stück unserer Handarbeiten mit kleinen
-Schlössern versehen: Strümpfe, Socken,<span class="pagenum"><a name="Seite_72" id="Seite_72">[72]</a></span> Unterbeinkleider, Unterröcke &mdash;
-kurz Alles. Jedes Stück wird sodann dem damit betheilten Armen mittelst
-des Schlosses förmlich an den Leib <em class="gesperrt">geschlossen</em>.... den Schlüssel
-aber behalten wir oder besser das Comité. &mdash; Sollte dieser Vorschlag
-nicht durchgehen, so habe ich einen zweiten in Bereitschaft. Man klebt
-mittelst einer Mischung, bestehend aus Gummi, Pech, Sägespänen und
-Teufelsd&mdash; &mdash;, den Leuten ihre Kleidungsstücke an den Leib.... Jene
-Mischung muß in einem glühenden Becken heiß gemacht und in diesem
-Zustande unsern theuern Schützlingen über die nackten Glieder gegossen
-werden, sodann kommt das Kleidungsstück darauf &mdash; und es geht niemals
-wieder herunter. &mdash; Ist dies nicht eine köstliche Erfindung? Was sagen
-Sie dazu, meine Damen?“</p>
-
-<p>So schloß die Stiftsdame.</p>
-
-<p>Die Uebrigen waren nicht ganz ihrer Meinung. Besonders schüttelte
-Gräfin Wollheim sehr unwillig das Haupt und sagte:</p>
-
-<p>„Aber da wird ja unsere schöne Arbeit völlig zu Grunde gerichtet. Das
-abscheuliche Pech muß ja durch alle Nähte dringen....“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_73" id="Seite_73">[73]</a></span></p>
-
-<p>Man sieht, sie dachte menschenfreundlich!</p>
-
-<p>„Fürchten Sie dieses nicht, meine Beste!“ beruhigte die Stiftsdame:
-„Das Pech dringt nicht heraus. Dagegen hilft der Teufelsd&mdash; &mdash;, den ich
-nicht umsonst beigemischt habe. &mdash; Der Teufelsd&mdash; &mdash;, wie Sie wissen
-werden, meine Damen, hat eine contraktive Eigenschaft und ist überhaupt
-auch für die Gesundheit sehr zuträglich.... Unsere Armen werden dabei
-dick werden, wie ungarische Mastschweine....“</p>
-
-<p>Die Stiftsdame hatte unter andern lieben Eigenschaften auch jene, daß
-sie alle Gegenstände bei ihren natürlichen Namen nannte, von welcher
-Gewohnheit sie keine Rücksicht abhielt. Da man dies von ihr wußte, ließ
-man sie reden; freilich redeten mit ihr nur die Buckligen und Häßlichen.</p>
-
-<p>&mdash; &mdash; Seit einer halben Stunde bereits lauerte Alexander auf eine
-Gelegenheit, die ihm eine ungestörte Zusammenkunft mit Cölestine
-verschaffen sollte. &mdash; Jetzt schien auch sie seine Wünsche zu begreifen
-und gab ihm hierauf ihre Antwort durch sanfte und wehmüthige Blicke
-zu verstehen. &mdash; Alexander war nun der seligste<span class="pagenum"><a name="Seite_74" id="Seite_74">[74]</a></span> Mensch! &mdash; So hatte
-er sich also wieder umsonst gequält!.... Er hätte früher nur gleich
-ihre Nähe aufsuchen und sie nicht verlassen sollen, so hätte er sich
-jeden Kummer erspart. &mdash; Er brauchte ja deßhalb nicht die übrigen Leute
-von Cölestine zu verscheuchen. &mdash; Ein günstiger Augenblick gönnte ihm
-jetzt, mit ihr mehrere Worte zu sprechen, und er flüsterte ihr zu:</p>
-
-<p>„Ach, wie sehne ich mich nach Dir, Cölestine!“</p>
-
-<p>„Ich theile Dein Verlangen, mein theurer Geliebter!“ antwortete sie
-ihm leise und ein Blick ihrer schönen schwarzen Augen bestätigte die
-Wahrheit dieser Worte.... Dieser Blick versengte jedoch mit seiner Glut
-wieder die Besonnenheit des Grafen und er sprach mit dumpfem Schmerze:</p>
-
-<p>„Soll ich Dich noch lange entbehren &mdash; so sterbe ich! Erbarme Dich
-meiner! Noch nie habe ich so gefleht.“</p>
-
-<p>Aber in demselben Augenblick fühlte er sich an der Schulter berührt.
-Der Vater seines Weibes stand neben ihm:</p>
-
-<p>„Ei, ei!“ sprach der General: „was soll das heißen, Alexander? Sie
-rauben unseren Freunden ein sehr wichtiges Recht. Heute gehört<span class="pagenum"><a name="Seite_75" id="Seite_75">[75]</a></span>
-Cölestine noch ihnen &mdash; &mdash; erst von morgen an dürfen Sie allein über
-Ihre Frau verfügen...“</p>
-
-<p>Es ist nicht möglich auszudrücken, wie schwer diese Worte den Grafen
-verletzten; gleich einem vergifteten Degen fuhren sie durch sein
-Herz, und zwar eben deßhalb, weil sein Schwiegervater es war, der sie
-gesprochen. Mit einem unaussprechlichen Blick sah Alexander denselben
-an, zerdrückte in seiner Brust einen heftigen Seufzer und ließ sich
-sodann stumm von dem General fort führen. Dieser hatte ihn unterm Arme
-ergriffen und durchschritt mit ihm einen, zwei Säle.... Es schien, als
-könnte er ihn nicht weit genug weg von Cölestine führen....</p>
-
-<p>Alexander hätte den Alten ermorden mögen &mdash; aber was blieb ihm zu thun
-übrig? Er folgte, folgte wie ein Opferthier, das man zwar mit Blumen
-bekränzt, aber dennoch zur Schlachtbank führt. Der General hatte ihn
-zu einer Ottomane gebracht und ihn genöthigt, hier Platz zu nehmen.
-Er selbst setzte sich neben ihn und begann nunmehr ein Gespräch von
-Geschäftssachen und Gegenständen, die sich auf den zukünftigen<span class="pagenum"><a name="Seite_76" id="Seite_76">[76]</a></span>
-Haushalt der Eheleute bezogen.... Alexander hätte vor Wuth aufspringen
-mögen wie ein Wahnsinniger... Der General aber schien sehr kalt und
-ruhig.</p>
-
-<p>Dies ist leicht zu begreifen; er war ein Greis und hatte so eben seine
-Tochter versorgt &mdash; während der Andere vor Leidenschaft glühte, diese
-Tochter zu umarmen. Das war der Unterschied; bei Gott ein ziemlich
-großer.</p>
-
-<p>Um das Unglück voll zu machen, kam auch noch Herr <em class="gesperrt">von Porgenau</em>
-herbei und fing an, alte Witze aufzutischen, die im Jahre 1805 Mode
-waren, ja einige darunter mochten noch in der Arche Noah von dessen
-Söhnen aus Langerweile gemacht worden sein.</p>
-
-<p>„Ei &mdash; so schön beisammen!“ rief der alte Bonmotist und lächelte schon
-im Voraus über den Witz, welchen er sofort zu machen beabsichtigte.
-Denn Herr von Porgenau hatte die Gewohnheit jener Humoristen und
-Komiker, sowohl auf dem Theater als auf dem Druckpapiere (ich will hier
-ihre Namen nicht nennen!), die, bevor sie einen Gedanken, den sie für
-einen Witz halten, preisgeben &mdash; selbst zu lachen anfangen und sich so
-gleich<span class="pagenum"><a name="Seite_77" id="Seite_77">[77]</a></span>sam den Erfolg sichern; denn die Zuhörer lachen dann auch mit &mdash;
-freilich bloß über die Albernheit des Witzmachers.</p>
-
-<p>Herr von Porgenau war übrigens nicht ganz mit diesen Leuten zu
-vergleichen. Jene lachen nur <em class="gesperrt">vor</em> oder <em class="gesperrt">während</em> ihres
-Witzes &mdash; &mdash; er aber lachte auch <em class="gesperrt">nach</em> demselben.</p>
-
-<p>„Ah! Ah!“ rief er dem General in’s Gesicht und schien dabei vor
-Lust und Vergnügen umzukommen: „Sie theilen diesen Platz mit ihrem
-Schwiegersohne, guter Randow! &mdash; Sie haben ihm also einen Theil ihrer
-<em class="gesperrt">Besitzungen</em> übergeben....“</p>
-
-<p>Um dem alten Narren eine Freude zu machen, lachte der General über
-diesen schauderhaften Einfall mit; Alexander aber warf ihm einen
-durchbohrenden Blick zu, der so viel sagte, als: „Packen Sie sich,
-alter Dummkopf!“</p>
-
-<p>„Guter Gott!“ fing Porgenau an, als er sich von seiner Heiterkeit
-wieder erholt hatte: „Wie sehen sie d’rein, lieber Graf von A&mdash;x? Das
-ist nicht die Miene eines jungen Ehemannes.... das ist, hahaha! hahaha!
-hahaha! &mdash; vielmehr die Miene eines jungen <em class="gesperrt">Wehemannes</em>!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_78" id="Seite_78">[78]</a></span></p>
-
-<p>Ueber dieses Wortspiel konnte nicht einmal der heute so dienstfertige
-General lachen, was Herrn von Porgenau gar sehr verdroß. Er regalierte
-sich also zuvörderst durch eigenes Gelächter &mdash; und sodann sann er auf
-einen neuen Witz, der, wie er sich vornahm, Alles besiegen würde, was
-bisher in diesem Fache geleistet worden war.</p>
-
-<p>„Finden Sie &mdash; hahaha! Finden Sie, hahaha!“ begann er: „finden Sie
-nicht, daß, hahaha! hahaha!“</p>
-
-<p>Er konnte vor Selbstvergnügen kaum fortkommen.</p>
-
-<p>„Finden Sie nicht, meine Herren &mdash; daß heute ein, hahaha! &mdash; sehr
-schöner Tag ist? hahaha!“</p>
-
-<p>„Gewiß &mdash; ein schöner Tag,“ bestätigte der General.</p>
-
-<p>„Und wissen Sie &mdash; hahaha! &mdash; weßhalb heute der Tag so schön ist &mdash;
-hahaha!?“</p>
-
-<p>„Nun?“</p>
-
-<p>Der Bonmotist nahm eine Triumphatormiene an, platzte dann in eine
-entsetzliche Lache aus, und rief:</p>
-
-<p>„Also &mdash; Sie wissen nicht, weßhalb &mdash; hahaha!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_79" id="Seite_79">[79]</a></span></p>
-
-<p>„Nein.“</p>
-
-<p>„Nun &mdash; <em class="gesperrt">ich weiß es auch nicht!</em> &mdash; Hahaha! hahaha! hahaha!
-hahaha! hahaha.“ &mdash; Das war der Witz! Porgenau wälzte sich in einem
-Lehnstuhle wie Einer, der den Lachkrampf hat....</p>
-
-<p>Hier vermochte es Graf Alexander nicht länger auszuhalten. Er fuhr
-gleich einem Gehetzten von seinem Sitze auf, entriß sich den Armen
-seines Schwiegervaters und lief hinaus auf den Gang in die frische
-Nachtluft, wo er den Vater über den Sternen fragte, warum er auch
-solche Wesen, wie diesen Porgenau, geschaffen habe....</p>
-
-<p>Er stand lange auf demselben Fleck, dann trat er auf eine Terrasse, die
-mit Orangenbäumen und Blumen bepflanzt war und einen Rasensitz darbot.
-Auf diesen warf er sich, das Antlitz in das feuchte Grün gedrückt &mdash;
-und, zum ersten Male im Leben, weinte er.... Er mochte sehr lange hier
-liegen. &mdash;</p>
-
-<div class="figcenter">
- <a id="fig2" name="fig2">
- <img class="mtop1 mbot1" src="images/fig2.jpg"
- alt="Zu S. 79" /></a>
-</div>
-
-<p>Da fühlte er sich von zwei heißen Armen umschlungen.... Vor ihm knieete
-<em class="gesperrt">Cölestine</em>, sein Weib.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_80" id="Seite_80">[80]</a></span></p>
-
-<p>Ihm schwindelte und er wollte das nicht glauben: „Es ist ein Traum!“
-murmelte er vor sich und schüttelte das Haupt.</p>
-
-<p>„Es ist kein Traum, mein Geliebter!“ lispelte es ihm so süß von den
-Lippen der Geliebten entgegen, daß er die Hand nach ihr ausstreckte.
-Und was er erfaßte, war warmes, holdes, köstliches Leben.... er
-konnte nicht widerstehen, er tauschte das seinige damit aus &mdash; mit
-fieberischem Entzücken stürzte er sich in dieses jetzt zur klarsten
-Einheit gewordene Doppeldasein: sie versanken beide in seinen
-unergründlichen, schwindelnden Tiefen. &mdash;</p>
-
-<p>„Aber, meine Seele,“ sagte er darauf: „wie kommst Du hierher? Und wird
-man Dich mir nicht sogleich wieder entreißen?“</p>
-
-<p>„Fürchte nichts, mein Geliebter!“ flüsterte sie und schmiegte sich ihm
-innig an, wie der Epheuzweig einer starken Säule....: „Jene Menschen,
-die uns einen ganzen Tag lang von einander gerissen &mdash; haben nicht
-die Macht, uns auch noch die Nacht zu rauben. Alles entfernt sich
-bereits aus den Sälen unseres Hauses &mdash; es ist ein wilder Tumult &mdash;
-und in diesem stahl<span class="pagenum"><a name="Seite_81" id="Seite_81">[81]</a></span> ich mich weg, um Dich aufzusuchen. &mdash; Wenn Du
-glaubst, ich folgte Dir nicht überall mit den Augen, so hast Du Dich
-betrogen!... O Du wähnest, daß nur Du mich liebst! So weißt Du nicht,
-daß ich mich ganz, ganz Dir zu eigen gegeben habe? &mdash; Diese Stunde soll
-es Dir sagen. Spricht sie nicht mit tausend Geisterzungen meine Liebe
-Dir aus &mdash; &mdash; so wird nie eine andere es Dir sagen. &mdash; Ja, ja, ich
-liebe Dich &mdash; tiefer, seliger, und ernster vielleicht, als Du mich....
-Urtheile nicht voreilig über uns beide! Glaube meinen Worten!“</p>
-
-<p>„Ja, sie reden jetzt mit überzeugender Gewalt zu mir!... Du bist mein
-&mdash; und hast Dich aus freiem Trieb mir übergeben, und so mußt Du mich ja
-lieben! &mdash; Entschuldige meine Thorheit, die mich vorher sich wie ein
-Kind betragen ließ.... Allein wenn man im innersten Herzen erregt ist,
-dann, in Wahrheit, geht man seines Verstandes verlustig, man wird ein
-Narr, ein Wahnsinniger, ein Elender!“</p>
-
-<p>„Sprich, geliebter Engel &mdash; &mdash;“ kos’te das holde Weib, das auf seinem
-Schoße saß &mdash; „sprich,“ sagte sie mit einem Tone, der klang und<span class="pagenum"><a name="Seite_82" id="Seite_82">[82]</a></span>
-duftete wie eine wehende Rose: „wirst Du auch immer so sein, wie jetzt?
-Wirst Du mich immer lieben? &mdash; &mdash; Denn jetzt, ich weiß es, werde ich
-von Dir vielleicht mehr geliebt, als irgend ein Weib von einem Mann.
-Aber wird dies auch immer so bleiben? Kannst Du mir dafür Gewißheit
-geben?“</p>
-
-<p>„Und würde es Dich glücklich machen, wenn ich das könnte?“</p>
-
-<p>„Gewiß &mdash; mein Alexander! Liebte ich Dich nicht, hätte ich Dich nicht
-genommen.... und weil ich Dich liebe, muß ich ja wünschen, daß es
-immerdar so bleiben möge.... Allein es ist ein böser Zustand, hiefür
-keine Bürgschaft zu haben.... Höre mich, mein Gemahl! So wie ich jetzt
-fühle und denke &mdash; würde ich die Hälfte meines Lebens dafür geben, wenn
-ich sicher wäre, daß während der andern Hälfte ich auch nicht einen
-Gran von Deiner Liebe einbüßen sollte!.... Glaubst Du meinen Worten,
-oder meinst Du, ich treibe nur Scherz?....“</p>
-
-<p>Alexander vermochte kaum zu antworten; er preßte den blühenden Leib
-seines jungen Weibes an seine Brust, an seinen Körper &mdash; er that ihr<span class="pagenum"><a name="Seite_83" id="Seite_83">[83]</a></span>
-mit seinen ungestümen Umarmungen beinahe weh.... doch sie empfand es
-nicht....</p>
-
-<p>„Alexander!“ rief sie mit gedämpfter, tiefer Stimme: „in dieser
-entzückenden Stunde, der heiligsten Stunde unseres Lebens, schwöre ich
-Dir, Dir ewig treu zu sein. Schwöre Du mir’s auch!“</p>
-
-<p>Er wollte sprechen.</p>
-
-<p>„Still!“ rief sie und legte ihr kleines Händchen auf seinen Mund:
-„schwöre nicht eher, als bis Du Alles erwogen hast.... ich gebe Dir
-eine halbe Stunde Zeit.... aber länger vermag ich nicht zu harren, dann
-gelobst Du mir, was Du Deinem Schöpfer geloben kannst.... und jetzt,
-jetzt lass’ uns diesen Ort verlassen, lass’ uns eilen, um, bevor noch
-alle Gäste die Säle verlassen haben, dort gegenwärtig zu sein. &mdash;
-Du gehst durch jene, ich durch diese Thür. Nach einer halben Stunde
-treffen wir uns &mdash; &mdash; &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Im einsamen Brautgemache!“ ergänzte er leise und verließ sie zitternd
-an allen Gliedern, glückselig wie ein Gott.</p>
-
-<p>In der That war ihm in diesem Augenblick der Zufall günstiger, wie
-heute den ganzen Tag<span class="pagenum"><a name="Seite_84" id="Seite_84">[84]</a></span> über. Noch waren die Gäste in reicher Menge im
-Saale zugegen, und eben weil sich Alles zum Aufbruch rüstete (gewisse
-Leute brauchen dazu einige Stunden Zeit), war seine wie Cölestinens
-vorige Abwesenheit nicht bemerkt worden.</p>
-
-<p>Mutter und Vater vermutheten die junge Frau unter irgend einer
-Gruppe von Bekannten; dasselbe dachte man von dem Grafen, und da die
-Neidischen und Nebenbuhler zufällig alle längst fortgegangen waren, so
-konnten auch diese das geheime Glück der Eheleute nicht stören.</p>
-
-<p>Endlich war Alles aus dem Hause. Dieses stand jetzt still und leer....
-die Lichter in den Sälen wurden ausgelöscht &mdash; die Lakaien nahmen
-nunmehr von diesen Schauplätzen Besitz. Der General mit seiner Gemahlin
-entfernten sich nach dem rechten Flügel des Palais; Alexander mit
-Cölestine am Arme schlug seinen Weg nach dem linken ein.</p>
-
-<p>Nachdem sie eine Reihe von Gemächern durcheilt waren, nahm er sie auf
-seine Arme und ras’te mit ihr, wie ein Riese mit einem Kinde, in’s
-Brautgemach.</p>
-
-<p>Hier leistete er ihr den Schwur, welchen sie verlangte: <em class="gesperrt">ewig ihr
-treu zu bleiben</em>.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_85" id="Seite_85">[85]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Fuenftes_Kapitel"><b>Fünftes Kapitel.</b><br />
-
-<span class="s6">Einige Lebensszenen.</span></h2>
-
-</div>
-
-<p><span class="initial">I</span>m Kaffeehause bei <em class="gesperrt">Daum</em> trafen einige Tage darauf zwei Herren
-zusammen. Es war gegen Mittag, um welche Stunde dieses Etablissement
-sehr zahlreich und zwar von einer gewählteren Gesellschaft besucht
-wird. Hier sehen Sie den Stutzer, der so eben von seiner Toilette
-kommt, um sich hier in den vielen Spiegeln zu besehen, was er zu Hause
-niemals so gut kann, denn welcher Mensch, und sei er ein <em class="gesperrt">Pelham</em>,
-besitzt in seinem Quartier ganz Spiegelwände? Uebrigens frühstückt hier
-der Stutzer auch, und das ist der Vorwand, unter welchem er erscheint.
-&mdash; Ferner werden Sie eine zahlreiche Auswahl junger Kavaliere in diesem
-Saale bemerken.... man beabsichtigt einen Morgenritt nach dem Prater
-und kommt früher hierher, sich zu er<span class="pagenum"><a name="Seite_86" id="Seite_86">[86]</a></span>frischen.... Ein großer Theil
-jener Beamten, die eben keine zärtlichen Freunde der Bureaux sind &mdash;
-sodann pensionirte Hauptleute und Majore und endlich Fremde, namentlich
-Franzosen, vollenden die Gesellschaft, welche Herrn Daums Kaffeehaus
-Vormittags zwischen zehn und zwei Uhr besucht.</p>
-
-<p>Man tritt, wie gesagt, gewöhnlich unter dem Vorwande, ein Frühstück zu
-nehmen, ein, aber nur bei den Wenigsten lauert keine andere Absicht
-im Hintergrunde. Dieser Herr z. B. will sich zwei Stunden lang auf
-weichen Sopha’s umherwälzen und Neuigkeiten aufschnappen &mdash; &mdash; Jener
-sieht durch’s Fenster nach den vorübergehenden Damen oder er stellt
-sich zu diesem Behufe lieber gleich vor die Thür des Kaffeehauses &mdash;
-denn es liegt ja auf dem Kohlmarkt, der besuchtesten Straße Wiens; was
-einen Dritten betrifft, so hat dieser, dem die Gläubiger seine Wohnung
-stürmen, sich vor ihren zudringlichen Schaaren hierher, in dieses
-Asyl geflüchtet, weil öffentlich Niemand gemahnt werden darf. &mdash; Und
-so ließe sich dieses Thema, welches wie so viele andere Kapitel über
-den Unterschied zwischen<span class="pagenum"><a name="Seite_87" id="Seite_87">[87]</a></span> <em class="gesperrt">Schein</em> und <em class="gesperrt">Sein</em> handelt, noch
-weiter behandeln, wäre hier der Raum zu dergleichen vorhanden. &mdash;</p>
-
-<p>Wir eilen jedoch lieber zu einem der Hauptfäden unserer Geschichte und
-überlassen Schilderungen von Nebendingen jenen Autoren, die in ihrer
-Naivetät solche für Hauptsachen halten.</p>
-
-<p>Jene zwei Herren, die sich bei Daum so eben getroffen haben und
-von welchen wir zuvor sprechen wollten, waren: unser wohlbekannter
-Weiberbesieger <em class="gesperrt">Althing</em> &mdash; und <em class="gesperrt">Edmund von Randow</em>. Sie
-begrüßten einander mit jenem Geschrei, welches zwischen gewissen noblen
-Leuten die herrschende Tonesart ist....</p>
-
-<p>„Ah &mdash; mein lieber Edmund!“</p>
-
-<p>„Ah &mdash; mein alter Bursche Althing!...“</p>
-
-<p>Sie umarmten sich so herzlich als nur möglich.</p>
-
-<p>„Wie kommst Du hierher?“</p>
-
-<p>„Diese Frage wollte ich eben an Dich stellen, furchtbarster aller
-Adonisse &mdash; (ich hoffe, Du wirst mit dieser Charakteristik zufrieden
-sein!). Hab’ ich Dich doch niemals noch hier gesehen.... Ich glaubte
-immer, Du besuchtest dieses Etablissement nicht gerne &mdash; weil keine
-Damen hierher kommen...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_88" id="Seite_88">[88]</a></span></p>
-
-<p>„O, o! soll das ein Scherz sein! Bin ich ein Narr, der den Weibern
-nachläuft? Hoffentlich wirst Du nicht so gering von mir denken, Edmund!
-Ich den Frauen nachlaufen... haha! So etwas ist nicht nöthig. &mdash; &mdash;
-Es giebt Männer, die von <em class="gesperrt">ihnen</em> verfolgt werden, hahaha...“ Und
-unser Dicker zupfte an seiner Cravatte und schlug mit seinen Sporren,
-die er wie die alten Ritter immerwährend &mdash; vielleicht auch im Bette &mdash;
-an den Füßen trug, zusammen....</p>
-
-<p>„Kurz gesagt: was suchst Du eigentlich hier?...“</p>
-
-<p>„Theuerster Freund &mdash; bevor wir über diesen Gegenstand reden &mdash; lass’
-uns eine Tasse Chocolate oder noch besser ein deutsches Frühstück
-zu uns nehmen.... das stärkt zum Diskours.... Marqueur! Marqueur!
-Chocolate, aber.... die Vanille nicht zu vergessen! hahaha!“</p>
-
-<p>„Hahaha!“ &mdash; lachte auch Edmund und rief dem Aufwärter nach: „schlagt
-auch ein Ei hinein und gebt ein wenig von jenem gewissen Pulver dazu,
-welches in Apotheken schwer zu bekommen ist.... hahaha!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_89" id="Seite_89">[89]</a></span></p>
-
-<p>„Hahaha! Mein Freund &mdash; Du übertreibst, Du übertreibst. Jene
-Ingredienzen sind bei mir alle noch nicht nothwendig, Dank Aeskulap,
-dem Gott der Gesundheit....“</p>
-
-<p>„Und einem andern Gott, den man in unsern Schulmythologien nicht
-abgebildet findet.... hahaha!“</p>
-
-<p>Althing hatte einen Tisch gewählt, von wo man sehr bequem auf den
-Kohlmarkt hinaussehen konnte &mdash; und der Jüngling nahm neben seinem
-Mentor Platz.</p>
-
-<p>„In der That,“ sagte er, „ich bin äußerst neugierig, den Grund, der
-Dich hieher führte, zu erfahren, mein Alter....“</p>
-
-<p>Zornig schnob ihn der Dicke an: „Ein für alle Mal, ich bin dieses Wort
-nun satt &mdash; und werde es in Zukunft als eine Beleidigung ansehen,
-die gerächt werden muß, <em class="gesperrt">Alter</em> und immer <em class="gesperrt">Alter</em>! &mdash; &mdash;
-Donnerwetter! Ihr macht es ja so, als gäbe es keinen Aelteren mehr in
-der Welt, als ich. Was soll das heißen?... Bin ich Euer Freund, oder
-foppt Ihr mich bloß!?“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_90" id="Seite_90">[90]</a></span></p>
-
-<p>„Ihr &mdash; Ihr? &mdash; sprichst Du zu mir per <em class="gesperrt">Ihr</em>! &mdash;“</p>
-
-<p>„Nun ja &mdash; Du und die Andern; Du verstehst mich schon. &mdash; Noch ein Mal,
-Edmund, wenn es in Zukunft zwischen uns nicht schrecklich hergehen soll
-&mdash; so sprich jenes verdammte Wort nicht mehr aus.... namentlich vor so
-vielen Leuten....“</p>
-
-<p>In diesem Augenblick ging draußen ein junges und sehr schönes Mädchen
-&mdash; ein Ladenmädchen, Putzmacherin, Blumenmädchen oder dergl., kurz
-eine Grisette &mdash; vorbei und Althing fuhr mit einem Ruck, als habe ihn
-Jemand gestochen, in die Höhe: „Alle T&mdash;l!“ rief er: „Was seh’ ich?
-&mdash; Um diese Stunde schon? &mdash; Sie sagte mir, sie würde erst um ein
-Uhr.... Sapperment, dahinter muß etwas stecken.“ Und er bemühte sich,
-hinter dem Tische, der ihn und seinen Bauch einzwängte, rasch vor zu
-kommen.... Das gelang jedoch nicht so leicht &mdash; und unser Ritter, der
-sich mit den Sporren an den Wandtapeten verfangen, riß, während er
-davon stürmte, ein Stück davon mit sich....</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_91" id="Seite_91">[91]</a></span></p>
-
-<p>Augenblicklich liefen ein Paar Marqueure herbei und stellten sich ihm
-in den Weg:</p>
-
-<p>„Entschuldigen &mdash; Euer Gnaden!... &mdash; Verzeihen &mdash; Euer Gnaden....
-aber....“</p>
-
-<p>„Was wollt Ihr?“ schrie er wüthend und suchte durchzukommen....
-augenscheinlich hatte er in der Eile von dem Schaden, welchen er
-verursacht, gar nichts gemerkt.... denn seine Wuth über die Kerle stieg
-von Moment zu Moment:</p>
-
-<p>„Was soll das heißen?“ tobte er mit von Zorn erstickter Stimme: „Bin
-ich hier unter Wegelagerern und Mördern?...“</p>
-
-<p>Er fing jetzt an so zu springen, als wollte er über die zwei Aufwärter
-wegsetzen; zum Glück aber war er nicht im Stande, höher als zwei
-Zoll sich zu erheben &mdash; dann plumpste er jedes Mal mit schrecklichem
-Geräusch auf den Boden herab. &mdash; Endlich jedoch aufs Aeußerste
-gebracht, ballte er seine Fäuste, streckte sie, wie ein Stier die
-Hörner, vor sich hin &mdash; und versuchte nun auf diese Weise eine Bresche
-zu machen; aber im selben Augenblick hatte ein dritter Marqueur ihn
-hinten beim Rockschoß ergriffen....</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_92" id="Seite_92">[92]</a></span></p>
-
-<p>„Entsetzlich!“ stöhnte der Unglückselige, den bereits seine Kräfte &mdash;
-er besaß deren nicht große &mdash; verließen: „Entsetzlich! so etwas habe
-ich noch nicht erlebt!... Das ist hier eine Schlachtbank, aber kein
-Kaffeehaus!...“</p>
-
-<p>Jetzt trat der Obermarqueur vor ihn: „Entschuldigen Sie,“ meinte
-dieser &mdash; „es ist ein Kaffeehaus, wie diese Herren hier alle bezeugen
-werden.... Man kommt jedoch nicht in ein Kaffeehaus, um Tapeten zu
-zerreißen, Frühstück zu bestellen und sich dann so beiläufig &mdash;
-fortzumachen.... Ich gebrauche noch einen sehr milden Ausdruck, wie Sie
-sehen....“</p>
-
-<p>„Ha! mir das?“ schäumte Althing: „Mir das? &mdash; Fortmachen?
-„<em class="gesperrt">Durchgehen</em>,“ wollen Sie wohl sagen! &mdash; Wissen Sie denn auch,
-mit wem Sie’s eigentlich zu thun haben, mein Mann?“</p>
-
-<p>„Eben deßhalb, weil man Sie hier nicht kennt, weil Sie noch niemals da
-gewesen sind, mein Herr, durften Sie bei Ihrem forcirten Abgang keine
-andere Behandlung erwarten.... Mein Gott, wer wird uns zumuthen, unsere
-Tapeten von fremden Herren zerreißen zu lassen?....“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_93" id="Seite_93">[93]</a></span></p>
-
-<p>„Aber ich wäre wieder gekommen; ich hatte nur ein wichtiges Geschäft
-abzumachen, das keinen Aufschub litt.“</p>
-
-<p>„Mein Herr, ich erlaube mir die Bemerkung, daß, bevor man
-zu wichtigeren Geschäften geht, man so unwichtige, wie eine
-Kaffeehausschuld, abmacht...“</p>
-
-<p>„Aber &mdash; &mdash; bin ich denn allein da? Wo ist denn mein Freund, Herr von
-Randow? &mdash; War dieser denn Euch nicht Bürge genug? &mdash;“</p>
-
-<p>„Allerdings; allein der Herr von Randow hatten ja eben die ganze Szene
-mit angesehen &mdash; und da Dieselben sich dessenungeachtet nicht in’s
-Mittel legten....“</p>
-
-<p>Bei diesen Worten drehte der mißhandelte Liebesheld sich um, um nach
-seinem Freunde Edmund zu sehen. Dieser saß zwei Schritte davon und
-hielt sich vor Heiterkeit kaum mehr auf dem Sitze. In der That, die
-eben vorgefallene Szene hatte ihm ein Vergnügen gemacht, in welchem
-er sich um großer Schätze willen nicht hätte mögen stören lassen; von
-ihm war also eine Unterbrechung desselben und somit der Szene nicht zu
-erwarten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_94" id="Seite_94">[94]</a></span></p>
-
-<p>Althing warf ihm einen indignirten Blick zu und sprach, bitter
-lächelnd: „&mdash; &mdash; O, das hat man für seine Freundschaft, für seine
-Lehren! &mdash; Gewöhnlich erzieht man sich an seinen Schülern &mdash;
-Schlangen und Nattern. &mdash; Doch schon gut! Ich werde diesen Vorfall
-nicht vergessen &mdash; und auch wie ritterlich man sich dabei gegen mich
-benommen....“</p>
-
-<p>„Aber, mein Gott,“ entgegnete Edmund kichernd: &mdash; „Was sollte ich thun?
-&mdash; Du schlugst ja so wüthend umher, daß man nicht in Deine Nähe treten
-und Dir ein Wort zuflüstern konnte. ... Und überdies....“</p>
-
-<p>„Schon gut! schon gut! Keine Entschuldigung, mein Herr!“ sagte
-unser Dicker in jenem kalten Tone, womit man einen Menschen seine
-Gleichgültigkeit fühlen läßt: „Marqueur! &mdash; Was macht der ganze dumme
-Spaß....“</p>
-
-<p>„Nicht mehr als zehn bis zwölf Gulden,“ antwortete der Oberaufwärter.</p>
-
-<p>„Was heißt das: Bis &mdash;“</p>
-
-<p>„Das heißt, mein Herr, es läßt sich noch nicht ganz genau
-berechnen....“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_95" id="Seite_95">[95]</a></span></p>
-
-<p>„Wohl; hier habt Ihr zwölf Gulden! &mdash; &mdash; und nun ein Glas Limonade. Ihr
-bringt sie jedoch zu diesem Tische, hier nebenan.“</p>
-
-<p>Der Gekränkte setzte sich wirklich an einen andern Tisch, jedoch hatte
-er auch von hier die Aussicht auf den Kohlmarkt. Er saß ganz allein &mdash;
-denn die ihm früher während seines Kampfes mit den Aufwärtern umgebende
-Menge hatte sich, bis auf einige junge Herren, die ihn aus einer
-gewissen Entfernung durch Lorgnets besahen, verloren. &mdash; Diese für ihn
-höchst wahrscheinlich jetzt sehr erwünschte Einsamkeit &mdash; fing der gute
-Dicke nun damit an zu benutzen, daß er sein Wesen und seinen Anzug, die
-ein bischen derangirt worden waren, in die vorige Ordnung zu bringen
-versuchte,.... er zog seine Cravatte straffer an &mdash; besah seine Sporren
-&mdash; wischte den Schweiß von der Stirne &mdash; und als die Limonade ankam,
-trank er sie auf einen Zug aus. Bei allen diesen Verrichtungen jedoch
-unterließ er nicht, sein Auge immerwährend nach der Straße hinaus zu
-richten.... Allein da konnte er lange schauen! es war Alles vergebens.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_96" id="Seite_96">[96]</a></span></p>
-
-<p>Jetzt trat Edmund näher heran, setzte sich auf einen Stuhl neben ihn
-und sprach: „Althing, ich will Dir’s nur sagen! Wenn Du nach jenem
-Mädchen lugst, der Du vorhin nachspringen wolltest &mdash; die ging bereits
-während Deiner Fehde mit den Aufwärtern zurück....“</p>
-
-<p>Dieses Wort war im Stande, den Seladon Alles Geschehene vergessen
-zu machen: „Ist das wahr?“ rief er eifrig: „Du sprichst von jener
-hübschen, niedlichen Grisette?“</p>
-
-<p>„Von jener niedlichen Grisette, ja, ja! &mdash; Sie hat, dünkt mich, sogar
-Deine Rauferei hier vor dem Fenster mit angesehen...“</p>
-
-<p>„Ist das möglich! Und was that sie dabei? &mdash; Sie war gewiß im äußersten
-Grade entrüstet?“</p>
-
-<p>„Nein, denn sie lachte wie toll und rief noch mehrere von ihren
-Freundinnen herbei, die eben vorbeigingen....“</p>
-
-<p>„Aber das ist unglaublich! &mdash; das Mädchen liebt mich ungeheuer!“</p>
-
-<p>„&mdash; Wie die Andern &mdash; haha!“</p>
-
-<p>„Nein, nein, Diese ist in mich total verschossen! Du hast keinen
-Begriff davon, mein Freund<span class="pagenum"><a name="Seite_97" id="Seite_97">[97]</a></span>. Willst Du einen Beweis? Nun gut: so wisse,
-daß sie mir heute ein Rendezvous gab; daß sie eben meinetwegen hier so
-oft vorüber geht &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Ich sah jedoch ganz deutlich, daß sie auch nach andern Herrn
-blickte....“</p>
-
-<p>„Blickte?“</p>
-
-<p>„Und &mdash; lachte!“</p>
-
-<p>„&mdash; Dieselben aus.“</p>
-
-<p>„Nein, sondern: lachte sie an. Allein, Du scheinst Deiner Sache sehr
-gewiß.“</p>
-
-<p>„Das bin ich auch, mein Freund! Sie gab mir Tausende von Beweisen, jene
-kleine Hexe.“</p>
-
-<p>„Zum Beispiel.“</p>
-
-<p>„Zum Beispiel &mdash;! &mdash; Ach, wozu erst viele Beispiele. Ich weiß, woran
-ich bin und damit gut. Uebrigens weißt Du, daß ich in diesen Dingen
-nicht von heute bin. Man hat Erfahrungen &mdash; man hat Abenteuer gehabt
-von allen Sorten.... kurz, man war glücklich... hehe!“</p>
-
-<p>„Doch was seh’ ich!“ rief Edmund plötzlich: „Kommt sie da nicht schon
-wieder?...“</p>
-
-<p>Rasch blickte der Alte durch’s Fenster: „Richtig! Richtig!“ rief er
-freudig aus.. „Nun, was sagst Du dazu, mein Junge! Siehst Du den<span class="pagenum"><a name="Seite_98" id="Seite_98">[98]</a></span>
-Blick, welchen sie mir zuwirft.... hahaha! Wirst Du nun noch länger
-zweifeln.... daß man Sieger, daß man Geliebter des Herzens ist?“</p>
-
-<p>Und kaum hatte er das gesagt, als er nun wieder aufsprang und &mdash;
-diesmal von den Aufwärtern &mdash; ungefährdet hinaus lief. Doch lief ihm
-fast das ganze Kaffeehaus nach und Alles lachte über eine Begebenheit,
-welche bisher in den Annalen von Daum’s Caffée unerlebt war.</p>
-
-<p>Unter den Zuschauern, welche sich jetzt vor der Thür des Etablissements
-aufstellten, um dem Alten nachzusehen, befand sich auch Edmund. Er nahm
-sich vor, seinem verliebten Freunde zu folgen und ihn nöthigenfalls
-zu hindern, abermals einen dummen Streich zu begehen. Denn hatte
-der junge Mann auch jenem Auftritt im Kaffeehause mit ruhigem Blute
-beigewohnt und sich an demselben auch noch obendrein erlustigt &mdash; so
-war er gleichwohl, nach Art gutmüthiger Menschen, sogleich bereit, sein
-Vergehen durch eine edle That zu sühnen.</p>
-
-<p>Althing verfolgte die Grisette inzwischen Schritt für Schritt; er ging
-ihr über den Kohl<span class="pagenum"><a name="Seite_99" id="Seite_99">[99]</a></span>markt, den Michaelerplatz, die Herrengasse bis zur
-Freiung nach &mdash; &mdash; aber er bemühte sich vergebens, sie einzuholen, denn
-das Mädchen hüpfte leichtfüßig wie ein Reh, während er Mühe hatte,
-seinen dicken Bauch fortzubringen; und dann genirten ihn auch seine
-Sporren, mit denen er alle Augenblicke anstieß und hängen blieb. &mdash;</p>
-
-<p>Aber der Eifer des Jägers wächst mit der Mühe der Verfolgung &mdash; und
-man sah es dem dicken Adonis an: er wollte sich lieber seine Beine und
-seine Lungen zu Grunde laufen, als von seinem Vorhaben, das Mädchen zu
-erreichen, abstehen.</p>
-
-<p>Endlich schien das Glück sich ihm wieder zuzuneigen. Die Kleine, auf
-dem tiefen Graben angelangt, wohin sie jetzt ihre Schritte lenkte,
-mäßigte die letzteren.... das gab dem Alten neuen Lebensmuth, und er
-ruderte ihr nun aus Leibeskräften nach, wobei sich Arme, Beine, der
-Kopf, kurz der ganze Körper bewegte. &mdash;</p>
-
-<p>„Ah!“ dachte Edmund, der immer in einer kleinen Entfernung nachzog
-&mdash; „sollte es wider Vermuthen günstiger ausschlagen? Doch, das ist<span class="pagenum"><a name="Seite_100" id="Seite_100">[100]</a></span>
-unglaublich! &mdash; Sehen wir nur nach, was es wieder geben wird.“</p>
-
-<p>Schon hatte Althing die Grisette erreicht; &mdash; er rückte ihr an die
-Seite und flüsterte ihr Etwas in’s Ohr... man konnte von hinten sehen,
-zu welcher freundlichen Fratze er sein rothes, schweißtriefendes
-Gesicht verzog; &mdash; &mdash; jetzt trennte ein Schubkarren, welcher mitten
-zwischen die beiden fuhr, den Ritter von seiner Dame.... und Jener
-mußte ein wenig zurückbleiben.... er wollte ihr rasch wieder
-nachspringen, aber in diesem Momente trat die Grisette in ein Haus,
-und unserem Dicken, welcher seinen Fuß schon auf die Schwelle gesetzt
-hatte, wurde die Thüre vor der Nase zugeschlagen... so daß wenig fehlte
-und er wäre um die letztere gekommen...</p>
-
-<p>Er prallte heftig zurück und auf eine Frau, die zu dieser Zeit eben
-vorbeiging und auf den Armen einen Korb voll Gemüse trug; es war eine
-Fratschlerin (Höckerweib) &mdash; man weiß was eine Wiener Fratschlerin zu
-bedeuten hat.</p>
-
-<p>Augenblicklich entlud sich eine Fluth von Schimpfwörtern aus ihrem
-Munde: „Der alte<span class="pagenum"><a name="Seite_101" id="Seite_101">[101]</a></span> Mensch da! &mdash; Da seht ihn einmal an! Ist er
-toll? Wirft sich da in meinen Gemüsekorb hinein &mdash; als gehörte er
-darunter.... Nun ja, er sieht mir auch gerade so aus, wie ein hohler
-Kürbis.... Tausendsapperment hinein!“<a name="FNAnker_B_2" id="FNAnker_B_2"></a><a href="#Fussnote_B_2" class="fnanchor">[B]</a></p>
-
-<p>Althing schien der Verzweiflung nahe zu sein... Er hatte gänzlich den
-Kopf verloren; er wußte nicht wie ihm geschah &mdash; und blickte bald das
-tobende Höckerweib hinter, bald das Haus vor sich an.... Allein auf
-beiden Seiten war nichts Tröstliches zu sehen, und der wackere Mann
-schüttelte jammervoll sein edles Haupt....</p>
-
-<p>Da warf er einen zerknirschten Blick nach den sechsten Stockwerk hinauf
-und murmelte wehmuthsvoll: „Dort oben soll sie wohnen, wie sie mir
-gesagt hat; aber wozu sagt sie mir dieses, wenn sie mir die Thüre vor
-der Nase zuschlägt?.... O, Althing, so ist Dir noch niemals mitgespielt
-worden! &mdash;“</p>
-
-<p>Die Fratschlerin war wieder langsam weiter gegangen, jedoch nicht
-ohne noch immerwährend<span class="pagenum"><a name="Seite_102" id="Seite_102">[102]</a></span> zu fluchen und sich von Zeit zu Zeit nach
-dem Unglücksmanne zornig umzusehen. Was Edmund betrifft, so hatte
-sich dieser hinter einen Mauervorsprung zurückgezogen und sah von
-hier aus dem Treiben seines alten Kameraden zu. Er wartete blos auf
-die Gelegenheit, wie ein echter Retter in der Noth hervorzuspringen,
-falls dieses irgend nöthig sein sollte. Ach, wahrhaftig! er wartete
-vergebens; die Gelegenheit überrumpelte ihn und seinen Freund, wie ein
-unbarmherziger Feldherr seinen gar zu sicheren Gegner....</p>
-
-<p>Während nämlich Althing noch immerfort nach den Fenstern der sechsten
-Etage hinaufsah &mdash; denn er vermochte nicht sein Auge von da abzuwenden
-&mdash; wurde plötzlich aus einem dieser Fenster, gerade über seinem
-Haupte, ein Gefäß ausgeleert, dessen Inhalt den armen Ritter völlig
-überfluthete, so daß er laut aufschrie: „Ah! Ah! &mdash; Feuer! Feuer!“ und
-zuversichtlich noch mehrere ähnliche Rufe herausgestoßen haben würde &mdash;
-wäre in diesem Augenblick Edmund nicht herbeigelaufen und hätte sich
-seiner be<span class="pagenum"><a name="Seite_103" id="Seite_103">[103]</a></span>mächtigt, um ihn hastig in’s nächste Haus zu ziehen und so
-der Polizei, die unfehlbar sogleich herbeieilen mußte, zu entreißen.</p>
-
-<p>Denn ein unbegründeter Feuerruf mußte in Wien mit einer artigen Summe
-bezahlt werden.</p>
-
-<p>Althing’s Kleider verbreiteten eben keinen angenehmen Geruch; zum Glück
-war es indessen blos Seifenwasser oder etwas Aehnliches. &mdash; &mdash; Der
-Dicke triefte wie ein Pudel und überdies schien ihn sowohl vor Schreck
-als vor Kälte ein Fieber ergriffen zu haben, denn er bebte, zitterte
-und klapperte mit den Zähnen, daß es ein Erbarmen war. &mdash;</p>
-
-<p>„O, mein Freund!“ sagte er zu dem Jüngling: „Beweine mich! &mdash; Ich
-bin ein Märtyrer der Liebe geworden! &mdash; Ach, wäre ich nur schon zu
-Hause, um andere Kleider anzuziehen! &mdash; Der Zustand dieser hier wird
-mich tödten.... O, hätte ich das träumen können! &mdash; Ich, ich, der so
-viele Siege davon getragen hat; der mit Cäsar sagen konnte: <em class="antiqua">veni,
-vidi, vici</em> &mdash; &mdash; &mdash; und nun eine solche Erfahrung zu machen......
-Allein,“ fuhr er nach einigen Augenblicken fort,<span class="pagenum"><a name="Seite_104" id="Seite_104">[104]</a></span> indem er sich im
-Gesichte mit der Hand herumwischte.... „was bemerkst Du an meiner
-Physiognomie, Edmund?“</p>
-
-<p>„Ich bemerke, daß sie voll Ruß ist; ihr unterer Theil sieht wie
-bei einem Schornsteinfeger aus.... Dein Schnurbart hat seine Farbe
-gelassen. &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Glaube dies ja nicht; er ist von Natur schwarz und färbt nicht ab; du
-darfst dessen gewiß sein. Er ist immer schwarz gewesen, dieser Bart &mdash;
-in meinem zehnten Jahre schon! &mdash; Auch hat man dieses stets für eine
-meiner vorzüglichsten Zierden erklärt. Allein, werden wir nicht bald
-nach Hause gehen? Ich halte es hier nicht aus.“</p>
-
-<p>„Willst Du der Polizei in die Arme laufen, Unglücklicher, und auf die
-Wachstube geführt werden?“</p>
-
-<p>„Aber man wird uns nicht bemerken &mdash; &mdash; Schaffe einen Fiaker herbei,
-guter Edmund....“</p>
-
-<p>„Das geht nicht; man darf auch mich nicht sehen. Wir müssen noch einige
-Zeit hindurch hier verweilen....“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_105" id="Seite_105">[105]</a></span></p>
-
-<p>„Das ist eine schlimme Aussicht.... Jedoch, was bemerke ich da rechts
-im Hofe, siehst Du &mdash; dort, aus dem vierten Fenster, hat so eben ein
-allerliebster Lockenkopf herausgesehen.... das gewährt Zerstreuung. &mdash;“</p>
-
-<p>„Ach, Althing &mdash; wirst Du denn nie Vernunft annehmen? In unserer Lage
-haben wir nach andern Dingen zu sehen, als nach Lockenköpfen....“</p>
-
-<p>„Ganz wohl; aber man darf keine Gelegenheit vorbeistreichen lassen &mdash;“</p>
-
-<p>„Still doch! &mdash; Hast Du nichts gehört? &mdash; Mir schien es, als hätten
-sich draußen Stimmen hören lassen....“</p>
-
-<p>Augenblicklich verstummte der Dicke und sein Fieberfrost kehrte
-zurück.... Jetzt vernahm man ganz in der Nähe eine Stimme, die keinen
-Zweifel über ihren Besitzer zuließ: „Hier hat Jemand Feuer gerufen! &mdash;
-Wer ist das gewesen?“</p>
-
-<p>„Wir wissen nichts, wir wissen es nicht!“ antworteten mehrere Stimmen!</p>
-
-<p>„Es war ein dicker Herr,“ rief jetzt eine &mdash;; „er muß in diesem Hause
-verborgen sein! &mdash; ich sah ihn da hinein laufen...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_106" id="Seite_106">[106]</a></span></p>
-
-<p>„O mein Edmund!“ ächzte Althing und fiel bewußtlos seinem Freunde in
-die Arme.</p>
-
-<p>Nun wurde die Thür geöffnet und ein Polizeimann trat ein; sogleich
-deutete ein Weib mit einem Korbe, die zu gleicher Zeit erschien, auf
-den Ohnmächtigen und rief: „Der da ist es gewesen! Der da hat Feuer
-geschrieen! Das ist der Vogel &mdash; &mdash; der früher auch in meinen Korb
-hinein flog, als hätte er sechs Tage nicht gefressen...“</p>
-
-<p>„Mein Herr von Randow,“ bedeutete der Polizeisoldat gegen Edmund &mdash;
-denn der Dicke hörte nichts &mdash; „da ich so glücklich bin, Sie und diesen
-Herrn hier zu kennen, so ersuche ich Sie, falls es Ihnen nicht lieber
-wäre, sich sogleich auf die Direktion dieses Viertels zu bemühen &mdash; &mdash;
-einige Stunden später daselbst zu erscheinen, um über den Feuerruf, für
-dessen Urheber man Sie ausgibt, die nöthige Auskunft zu ertheilen...“</p>
-
-<p>Nach diesen Worten empfahl sich der Diener der öffentlichen Sicherheit,
-wobei er nicht vergaß, mit der Spitze seiner Finger den Czako zu
-berühren.... zugleich jagte er die Schaar der Neugierigen, welche
-sich vor dem Hause angesammelt hatte, wie dies in Wien häufiger als
-an<span class="pagenum"><a name="Seite_107" id="Seite_107">[107]</a></span>derswo zu geschehen pflegt, auseinander und öffnete so unsern beiden
-Freunden freies Feld, welches diese denn auch benutzten, nachdem
-Althing wieder zu sich gekommen war.</p>
-
-<p>Edmund packte denselben in einen Fiaker und schickte ihn nach Hause;
-er selbst wurde von Verrichtungen nach einem andern Theile der Stadt
-gerufen.</p>
-
-<p>Es war in der Nähe des Augartens, wohin er in einem Wagen sich bringen
-ließ. Eben stieg er aus, in der Absicht, sich nach einem von den
-schönen neuen Häusern, welche dort stehen zu begeben, &mdash; als ihm aus
-der Allee, welche den Augarten von Außen umgibt &mdash; ein Mensch entgegen
-stürzte, der auf den ersten Anblick einem Wahnsinnigen nicht unähnlich
-sah. &mdash; Ohne Mühe erkannte unser Freund den <em class="gesperrt">Baron von Leuben</em>,
-jenen glühenden Verehrer Cölestinens, welchen wir auf dem Wasserglacis
-kennen gelernt haben. Aber was war mit dem Menschen vorgegangen!
-Sein Anzug sah im höchsten Grade zerrüttet aus, so als hätte er ihn
-seit 8 Tagen nicht gewechselt und als hätte er die Nächte auf freier
-Straße oder im Felde liegend zugebracht.<span class="pagenum"><a name="Seite_108" id="Seite_108">[108]</a></span> Das Gesicht war fahl und
-eingefallen, die Züge verzerrt &mdash; das Haar flatternd, allen Winden
-Preis gegeben....</p>
-
-<p>„Sind Sie es oder sind Sie es nicht?“ rief er Edmund an und faßte ihn
-bei der Hand.</p>
-
-<p>Dieser, der ohne Zweifel weder Zeit noch Lust hatte, sich aufzuhalten,
-entschuldigte sich und schützte dringende Geschäfte vor....</p>
-
-<p>„Nein, nein!“ sagte Jener mit zitternder Stimme: „ich lasse Sie nicht;
-Sie müssen mit mir sprechen. Zwei Worte nur, aber um Gotteswillen reden
-Sie mit mir!“</p>
-
-<p>„Mein Herr,“ versetzte Jener; „wäre dazu vielleicht nicht ein ander Mal
-Zeit? Wollen Sie z. B. nicht hier auf diesem Platze einige Augenblicke
-lang auf mich warten? Ich werde sogleich wieder zurück sein....“</p>
-
-<p>„Nicht doch! Keinen Schritt von hier!“ schrie Leuben: „Wollen Sie, daß
-ich völlig toll werde? Zur Hälfte bin ich’s schon. Ich kann es nicht
-länger ertragen. Bei der Barmherzigkeit des Himmels beschwöre ich Sie:
-hören Sie mich an!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_109" id="Seite_109">[109]</a></span></p>
-
-<p>„Nun denn,“ antwortete Edmund, halb in Unmuth und halb mitleidig: „was
-steht zu Ihrem Befehl?“</p>
-
-<p>„Kommen Sie unter jene Bäume dort.... denn hier werden wir gesehen &mdash;
-&mdash; und ich weiß, mein Aeußeres taugt nicht dazu. &mdash;“</p>
-
-<p>Diese Rede rührte den jungen Menschen, der, wie erwähnt worden, so
-leicht zu rühren war: er folgte dem Baron und war mit demselben bald in
-der Allee....</p>
-
-<p>„Sie sehen in mir,“ fing der Letztere an, „einen Unglücklichen, einen
-Elenden &mdash; dessen Herz gebrochen ist und für dessen Verstand nicht
-minder Gefahr droht.“</p>
-
-<p>„&mdash; Nun wohl, mein Herr,“ entgegnete unser Freund: „was Sie mir sagen,
-ist schrecklich genug, um meine innigste Theilnahme zu erwecken: drum
-reden Sie, was kann ich für Sie thun?“</p>
-
-<p>„Was Sie für mich thun können?“ seufzte Leuben schwer auf: „Jetzt
-vielleicht nichts mehr oder sehr wenig; früher jedoch würden Sie ganz
-gewiß mein Leben, meine Seele, mein Glück und meinen Frieden haben
-retten können. &mdash;“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_110" id="Seite_110">[110]</a></span></p>
-
-<p>Daß Edmund den Zusammenhang und Sinn dieser abgebrochenen Worte
-errieth, läßt sich wohl denken. Er hatte es längst bemerkt, daß dieser
-junge Mann auch zu der Zahl derjenigen gehörte, die von den Reizen
-Cölestinens bezaubert waren; er wußte jedoch bisher noch nichts von der
-namenlosen, alle Grenzen einer gewöhnlichen Empfindung übersteigenden
-Leidenschaft Leubens. Diese Stunde gab ihm indeß hinreichende
-Aufklärung. Da ihm nun solchergestalt das Unzukömmliche seines jetzigen
-Zusammentreffens mit dem jungen Mann und das gänzlich Verwerfliche
-seines längern Verweilens bei demselben einleuchtete, so bemühte er
-sich eifrig, sein Mitleid für ihn zum Schweigen zu bringen und sich
-rasch von hier zu entfernen.</p>
-
-<p>Er wartete daher nur noch eine nähere Erklärung Leubens ab, sodann
-wollte er ihm ohne Rücksicht Adieu sagen. &mdash; Der Unglückliche
-beschleunigte selber diesen Plan. Er faßte Edmund an beiden Händen &mdash;
-stellte sich vor ihn hin und sprach mit düsterem Tone:</p>
-
-<p>„Ich liebe Ihre Schwester!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_111" id="Seite_111">[111]</a></span></p>
-
-<p>„Mein Herr!“ versetzte dieser, der jetzt augenblicklich sich losriß und
-zwei Schritte zurück trat &mdash; in kaltem Tone: „Meine Schwester ist seit
-acht Tagen die Gemahlin des Grafen von A&mdash;x.“</p>
-
-<p>„Das weiß ich!“ sagte Leuben mit dumpfer Stimme.</p>
-
-<p>„Das wissen Sie!“ rief Edmund streng: „und dennoch wagen Sie es, mir
-eine solche Erklärung zu geben.“</p>
-
-<p>„Und warum nicht?“ fragte Jener finster.</p>
-
-<p>„&mdash; Weil ich,“ entgegnete zornig Randow: „dieselbe nicht zu dulden
-willens bin, mein Herr.“</p>
-
-<p>„Und was weiter &mdash;?“ meinte der Jüngling gleichgültig.</p>
-
-<p>„Das Weitere ist, daß ich, Rücksicht auf Ihren Zustand nehmend, Sie
-nicht ferner anhören will. Adieu, mein Herr!“ Er wandte ihm den Rücken.</p>
-
-<p>„Aber &mdash; &mdash; ich habe Sie beschworen, es zu thun, und Sie haben
-eingewilligt. Wollen Sie Ihr Wort brechen?“</p>
-
-<p>„Nach dem, was ich so eben hören mußte, fühle ich mich meiner Pflicht
-vollkommen entledigt. Darum noch ein Mal: Adieu!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_112" id="Seite_112">[112]</a></span></p>
-
-<p>Edmund ging jetzt raschen Schrittes fort.</p>
-
-<p>Leuben aber lachte ihm in jenem schrecklichen Tone nach, welchen man so
-oft hört, wenn man an den Irrenhäusern vorbeikommt &mdash; und welcher Ton
-ein Menschenherz durchschneidet und zerreißt. &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>„O!“ rief der Unglückliche, so daß Edmund es noch hören konnte: „es ist
-auch so gut. Einer Wölfin Bruder &mdash; pflegt kein Lamm zu sein.... wohl,
-wohl. So ist also Alles vorbei &mdash; und mir bleibt nichts als Tod oder
-Verzweiflung.“</p>
-
-<p>Einen Augenblick hielt er hier inne, dann kreischte er wild auf: „Doch
-nein! mir bleibt noch Eins! &mdash; Noch Eins!“ und abermals ließ er ein
-heiseres Lachen hören &mdash; doch schien durch dieses ein von dem früheren
-sehr verschiedener Grundton durchzuklingen. Jetzt verschwand er im
-Augarten.</p>
-
-<p>Edmund aber trat in ein neues und schönes Gebäude ein. Es war das
-Palais des Grafen Alexander von A&mdash;x, welches dieser seit Kurzem mit
-Cölestine bewohnte.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_113" id="Seite_113">[113]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Sechstes_Kapitel"><b>Sechstes Kapitel.</b><br />
-
-<span class="s6">Die ersten Tage eines jungen Ehepaars.</span></h2>
-
-</div>
-
-<p><span class="initial">S</span>ie lebten so glücklich. &mdash;</p>
-
-<p>Welcher Abschnitt des Lebens läßt sich wohl mit jener Zeit vergleichen,
-da die erste Liebe in ehelicher Sicherheit und Kraft blüht, wie die
-Blume des Feldes, die von sorgsamer Hand in das Beet des Gartens
-versetzt wurde.... Ach, sie saugt jetzt edlere Säfte aus diesem edleren
-Boden &mdash; und voll, farbig, duftreich, wie nie, steigt sie empor in die
-blauen Lüfte. &mdash;</p>
-
-<p>Was ist die Liebe? Eine Waise, die arm und nackt nach einem Freunde
-sucht, der sie aufnimmt in seiner Hütte.... Hier wird sie groß gezogen
-&mdash; reift zum Weibe &mdash; und bringt als Hausfrau Segen über das ganze Haus.</p>
-
-<p>Wir fürchten in der That allzusehr hinter der Wirklichkeit
-zurückzubleiben, indem wir ein<span class="pagenum"><a name="Seite_114" id="Seite_114">[114]</a></span> Bild von dem jetzigen häuslichen Leben
-Alexanders und Cölestinens zu geben versuchen. So hatten sie sich denn
-endlich erreicht. &mdash; Niemand konnte mehr Eines dem Andern entreißen. &mdash;
-Niemand? &mdash; Mit Gewalt wenigstens nicht!</p>
-
-<p>Wir wissen nicht, wer von beiden das Glück, welches ihm an der Seite
-des Gatten geworden war, inniger und tiefer empfand. Es war zwischen
-ihnen ein steter Wettstreit von Zärtlichkeit: Jedes wollte hierin den
-Preis davon tragen.</p>
-
-<p>Das Haus, welches sie vom Tage ihrer Vermählung an bewohnten, war sehr
-geräumig und mit allen Bedürfnissen eines eleganten und wohnlichen
-Aufenthaltes auf verschwenderische Weise ausgestattet. Es enthielt zwei
-Etagen, wovon die erste zwei Salons und viel große Gemächer, die zweite
-kleinere Wohnzimmer, vorne zum untergeordneten Gebrauch der Herrschaft
-und nach hinten zu für die Beamten des Hauses dienten. Die eigentlichen
-Domestiken bewohnten das Parterre. Hinten schloß sich an’s Haus ein
-schöner geräumiger Garten an, ein Gegenstand, der in diesen Theilen
-Wiens nicht eben häufig angetroffen wird. Wie wir schon bemerkten, war<span class="pagenum"><a name="Seite_115" id="Seite_115">[115]</a></span>
-dieser Wohnplatz, dieses Palais in Bezug auf seine innere und äußere
-Einrichtung im Sinne des Wortes <em class="gesperrt">glänzend</em> und <em class="gesperrt">vollkommen</em>.
-Es konnte den ersten Häusern der Stadt den Rang ablaufen. Graf
-Alexander hatte von dem Augenblick, als er zu dem Besitze des Herzens
-Cölestinens gelangt war und sich Hoffnungen zu machen anfing auf ihre
-Hand &mdash; mit wunderbarem, mit wahrhaft rührendem Eifer gestrebt, hier
-der Geliebten seines Herzens einen Sitz der Freude, der Bequemlichkeit
-und der Pracht zu schaffen. Was der zärtlichste Sinn ihm nur Schönes
-und Vortreffliches eingab, Alles suchte er zur Wirklichkeit zu bringen
-&mdash; seine Sorgfalt für dieses Stückchen Erde glich derjenigen, welche
-fromme Gläubige für einen Platz, der ihrem Gott geweiht ist, hegen, und
-welchen Platz sie mit einem Tempel schmücken.</p>
-
-<p>Die Lebensweise des jungen Ehepaars war im Aeußeren ein Bild voll
-Jugend, Anmuth, Einfalt und Glückseligkeit. So ist die Zeit der ersten
-Gattenliebe immer. &mdash; &mdash; Cölestine war nicht getrennt von ihrem Manne;
-ihre beiderseitigen Zimmer wurden durch zahlreiche Thüren<span class="pagenum"><a name="Seite_116" id="Seite_116">[116]</a></span> und jene
-süßen geheimen Gänge verbunden, welche die Liebe erfunden hat. &mdash;
-Von den Verwandten und Freunden des Ehepaars war es schön, daß sie
-während der ersten Wochen seine Einsamkeit nicht störten. In der That,
-es hatte noch kein fremder Fuß diese Schwelle entweiht, welche den
-geheiligten Mysterien der ersten Gattenliebe geweiht war. &mdash; Wenn Er
-und Sie früh erwachten, fanden sie einander in ihren Armen, so wie sie
-Abends sich umschlungen hatten &mdash; dann erhoben sie sich Beide, um auf
-einige Augenblicke Abschied von einander zu nehmen.... Sie gingen in
-ihre Ankleidezimmer &mdash; das einfachste Gewand wurde gewählt &mdash; nur um
-keinen der kostbaren Momente zu verlieren, die sie zusammen genießen
-konnten. &mdash; Alexander bot jetzt seiner Frau den Arm und führte sie in
-den Garten, über welchen eben der heranrückende Sommer das entzückende
-Kleid der Blätter, Gräser und Blumen ausbreitete. Schon winkten
-trauliche Boskets &mdash; doch nicht belaubt genug, um in sich dieselben
-wie in eine undurchdringliche Freistätte zu flüchten. Alexander las
-seiner Gemahlin aus einem Buche vor und wovon han<span class="pagenum"><a name="Seite_117" id="Seite_117">[117]</a></span>delte dieses Buch?
-Von &mdash; glücklicher Liebe. &mdash; Diese war für sie übrigens allenthalben
-vorhanden, wohin sie auch immer ihre Blicke wandten. Sie fanden diese
-glückliche Liebe bei den Blumen, die einander umschlangen, und im
-Bache, wo eine Welle in die andere hinüberfloß &mdash; sie fanden sie am
-Himmel, wo die Sonnenstrahlen sich mit den kleinen Wölkchen eines
-schönen Tages vermählten und diese zärtlich vergoldeten &mdash; &mdash; sie
-fanden sie auch in den Vöglein unter den Wolken, welche da die Luft
-durchzogen und einander zärtlich verfolgten, sich dann auf einen Zweig
-niederließen und zusammen sangen.... ja sie fanden diese heilige und
-beseligende Liebe überall im Himmel und auf Erden, ja selbst zwischen
-diesen beiden; denn jener mit seiner blauen Decke umschlang diese in
-ihrem bräutlichen Festgewande, und sie streckte ihm durch die Bäume und
-Aeste ihre blühenden Arme entgegen. &mdash;</p>
-
-<p>Aber wo wäre auch Liebe nicht? Hat man sie ja tausend Mal den
-Gottesodem genannt, der das Universum durchweht.</p>
-
-<p>Und als nun die Stunde erschien, in der früher die Liebenden, da sie
-noch nicht sich selbst<span class="pagenum"><a name="Seite_118" id="Seite_118">[118]</a></span> sondern der Welt gehörten, sich aufmachen
-mußten, um im schalprunkenden Staate dem Götzen der Gesellschaft zu
-dienen &mdash; als jene traurige Stunde erschien, in der man Besuche gibt
-und empfängt bei und von Leuten, die für unsere Herzen eben so fremd
-sind wie alltäglich für unsere Augen &mdash; Leute, welche uns verleiten,
-mit ihnen im Verein einen Dienst der Lüge zu begehen, der unsere Seele
-verhärtet und unsern Geist verderbt &mdash; &mdash; der uns immer mehr von uns
-selbst und unserem geheiligten Innern ablenkt &mdash; &mdash; um diese Stunde nun
-saß jetzt das junge Paar noch immer beisammen und lebte noch immer für
-sich und pflanzte und bewirthschaftete den Baum des Glückes, dessen
-Wurzel ihre beiden Herzen waren &mdash; und unter dessen Laub sie still und
-vergnügt wohnen &mdash; von dessen Früchten sie dankbar essen sollten. &mdash;</p>
-
-<p>Auch beim Mittagstische fanden sie einander wieder &mdash; und widmeten die
-nächsten Stunden dann gewöhnlich einer süßerquickenden Ruhe. Gegen
-Abend verließen sie entweder zu Wagen oder zu Fuße das Haus und begaben
-sich hinaus in die freie Natur, wo sie gleich Kinder, auf den<span class="pagenum"><a name="Seite_119" id="Seite_119">[119]</a></span> Wiesen
-umherhüpften, einander neckten, verfolgten, bis zum Rande des Flußes
-liefen, hier bunte Steinchen, Muscheln und Wasserblumen suchten &mdash; &mdash;
-auch wohl einen Kahn bestiegen und sich hinüber auf die einsame Insel
-rudern ließen, wo sie, nachdem sie die Dienerschaft zurückschickten,
-mit dem Bedeuten, erst nach einigen Stunden wieder zu kommen &mdash; diese
-Zeit wie Einsiedler durchlebten; wie Robinson. &mdash; Sie gaben sich hier
-dem unmittelbaren Naturgenusse hin, dessen erhabene Süßigkeit ein
-gewöhnliches Herz nicht zu fassen fähig ist. &mdash;</p>
-
-<p>Abends im Sternenschimmer und im Silberscheine des Mondes fuhren sie
-sodann auf dem Flusse zurück und verlängerten, wenn es ging, immer
-diese Fahrt. &mdash; Rings um sie herrschte das tiefe Schweigen der Nacht
-und langsam stiegen im Umkreise die Wassergeister aus der Fluth und
-umgaukelten den Kahn &mdash; setzten sich auch wohl mit ihren luftigen,
-neblichten Gliedern auf den Rand desselben und glotzten das liebende
-Paar neugierig aus kristallenen Aeuglein an; &mdash; dann, wenn die Gatten
-sich umarmten oder küßten &mdash; hüpfte das Wasservölkchen schnell wieder
-in<span class="pagenum"><a name="Seite_120" id="Seite_120">[120]</a></span> ihre nasse Heimath zurück, indem es ein leises Gekicher zurückließ,
-das sich mit dem Rudergeräusch vermählte. &mdash;</p>
-
-<p>Mitternacht war längst vorüber und noch fuhren oft die jungen Gatten
-auf dem Wasser, oder wandelten in Auen, Wiesen und Wäldern; und
-überall, wo sie sich nur immer befanden, schien ihnen das bunte kleine
-Völkchen der Kobolde, Elfen und anderer Naturpüppchen zu folgen. &mdash; &mdash;
-Man sagt, dies begegne allen glücklichen Menschen. Elfen und Gnomen
-strömen gerne dahin, wo Freude herrscht &mdash; so wie Dämonen und schlimme
-Geister sich stets an die Ferse des Elends und Unglücks hängen. &mdash;</p>
-
-<p>Ja, Cölestine und Alexander fanden sich nicht selten noch unter freiem
-Himmel, da auf diesem bereits die ersten Lichtstreifen der Morgensonne
-sich ausbreiteten. &mdash; Ach, sie hatten sich aber auch so Vieles zu
-sagen, wozu daheim im Hause der Raum zu beengt war. Warum suchen
-Liebende und Unglückliche so gerne die Einsamkeit? Weil das Glück
-wie das Unglück nur verstanden und mitempfunden wird von der Natur.
-Die Welt hat für unsere mittleren Zustände<span class="pagenum"><a name="Seite_121" id="Seite_121">[121]</a></span> allein Raum &mdash; für die
-kleinlichen, bürgerlichen, philisterhaften, katzenjämmerlichen Freuden
-und Leiden; was drüber hinaus geht, was über die Höhe der Marktpfähle
-und Schlagbäume reicht &mdash; das muß draußen zwischen Himmel und Erde
-verhandelt werden.</p>
-
-<p>Das Gemüth Alexanders war weich und sanft geworden wie das eines jungen
-Mädchens; er war nicht mehr jener düstere, stolze, verschlossene Mann,
-der mit Niemand verkehrte als mit seinem Amte und seinem einsamen
-Hochmuthe &mdash; &mdash; dieser Alexander schmiegte sich jetzt an alle Freuden
-des Lebens an, sofern sie nur in seiner Liebe zu Cölestine begründet
-waren. &mdash; Er wäre um dieses Weibes willen Alles geworden, was sie
-wollte. &mdash; Sie hingegen, sie blieb sich gleich, nur daß sie das
-rauschende Sonntagskleid der Welt abgelegt und ein einfaches weißes
-der Poesie und Häuslichkeit angezogen hatte. Sie war noch immer das
-heitere, fröhliche, neckische Wesen mit den schwarzen, brennend
-funkelnden Augen und den tiefrothen Lippen, die sich so gerne zur Lust
-verzogen.... sie war noch immer jenes leichte, erregbare Wesen, fern
-von Melancholie oder Schwär<span class="pagenum"><a name="Seite_122" id="Seite_122">[122]</a></span>merei, einfach, natürlich und fröhlich. &mdash;
-Indessen hatte doch das Gefühl der Gattenliebe durch ihr ganzes Wesen
-einen Ton durchklingen gemacht &mdash; sanfter als alle andern, die bisher
-in ihrem Herzen wohnten. Es war dies jener Ton, den die Liebe allein
-nicht hervorbringen kann &mdash; jener Ton, worin schon ein mütterliches
-Gefühl spricht. &mdash;</p>
-
-<p>„Weißt Du, mein guter Alexander,“ sagte sie eines Tages zu ihrem
-Manne, als sie im Garten beisammen saßen &mdash; „daß ich mit jedem Tage,
-ja ich könnte sagen mit jeder Stunde Dich mehr liebe! &mdash; Bist Du gar
-so liebenswürdig oder entfaltet die Sehnsucht meines Herzens sich in
-immer mehr gesteigertem Maße? &mdash; &mdash; Ich habe Dich nun, ich habe Dich
-allein, ich glaube Dich ganz zu besitzen, und doch enthüllt mir jeder
-Augenblick, daß im vorhergegangenen Du mir noch nicht so vollständig
-angehörtest, wie jetzt. &mdash; O, eine solche Liebe ist ein großes Glück!
-Niemand begreift sie, der sie nicht erfahren hat.“</p>
-
-<p>„Und geht es mir nicht ebenso, Geliebte meines Herzens?“ entgegnete er,
-sie an seine Brust drückend &mdash; ihre Lippen, ihre Augen, ihre Stirne,<span class="pagenum"><a name="Seite_123" id="Seite_123">[123]</a></span>
-ihren Hals, ihre Schulter, ihre Arme und Fingerspitzen küssend &mdash;
-&mdash;: „Ist meine Liebe zu Dir etwa weniger fortschreitend? Mein Gott,
-kommt es mir doch in manchen Augenblicken vor &mdash; als seien wir zwei zu
-nichts Anderem in der Welt, als um unser Wesen immer tiefer in einander
-zu versenken, eine stets innigere Vereinigung zu bewirken. Was ist
-die Liebe doch so Unendliches und Geheimnißvolles! Wer hat sie noch
-ergründet in allen ihren Tiefen und Schätzen? &mdash; Darum aber lass’ uns
-auch immer uns lieben &mdash; jede Spanne Zeit dazu anwenden, uns in diesem
-göttlichen Beruf immer mehr zu vervollkommnen. Vielleicht, daß diese
-Stufenleiter des Liebesglücks jener Himmel mit seinen Rangstufen ist,
-von welchem unsere Dichter und frommen Weisen so begeistert reden...
-vielleicht, daß dies dieselbe Stufenleiter ist, auf deren untersten
-Sprossen wir standen, als wir zum ersten Male uns sahen &mdash; auf deren
-oberen die seligen Cherubim und Seraphim wohnen, auf der obersten aber
-der allmächtige Gott selber thront. &mdash;“</p>
-
-<p>„Wie dem auch sei,“ rief das zärtliche Weib aus: „so lass’ mich Dich
-lieben &mdash; und es störe<span class="pagenum"><a name="Seite_124" id="Seite_124">[124]</a></span> keine Betrachtung, keine Berechnung den Genuß
-unserer Wonne. Diese erfülle unser Herz, so weit dasselbe Raum hat &mdash;
-und mag es auch überfluthen, was schadet das? Wir stürzen uns dann in
-einen Ozean von Glückseligkeit &mdash; &mdash; sollten wir darin auch untergehen.
-&mdash; O, wie lieb’ ich Dich, mein Geliebter, mein theurer Alexander!...
-Wie preise ich mich glücklich, Dich jetzt so in meinen Armen halten
-&mdash; &mdash; Dir sagen zu können: Alles, Alles, was ich habe, worüber ich
-verfügen kann, gehört Dir!... Denn ich bin Dein Sklave, Dein Eigenthum,
-mein lieber Mann.... aber Dein Sklave aus entzückender Hingebung &mdash; ein
-Eigenthum, das ich selber längst nicht mehr besaß....“</p>
-
-<p>Sie umschlang seinen Nacken mit ihren beiden schönen, blüthenweißen
-Armen und zog sein Haupt herab auf ihren vollen, wogenden, duftenden
-Busen, der, hart wie Marmor, zu zerspringen drohte unter keuscher
-Sinnenlust. Sein Mund küßte die Stelle, wo ihr Herz schlug, und jeder
-Schlag durchfuhr sein ganzes Wesen mit einer magischen Gewalt, davon
-jede Faser in ihm selig erbebte. Er war keines Wortes mäch<span class="pagenum"><a name="Seite_125" id="Seite_125">[125]</a></span>tig &mdash; er
-zitterte wie ein Kind in ihren Armen &mdash; er hätte weinen mögen &mdash; &mdash;
-noch nie war es ihm so gewesen, wie jetzt: „So hab’ ich Dich noch nie
-geliebt, wie in diesem Augenblick!“ rief er ganz aufgelös’t.</p>
-
-<p>„Auch ich, auch ich!“ bebte es von ihren Lippen: „Auch ich habe Dich
-noch niemals so geliebt!“</p>
-
-<p>Und diese beiden Wesen schienen von einer unaussprechlichen Trunkenheit
-erfaßt zu werden...</p>
-
-<p>Sie verloren alles Bewußtsein. &mdash;</p>
-
-<p>&mdash; &mdash; Auf ihrem einsamen Wohnsitze erhielten sie zuerst den Besuch
-von Cölestinens Mutter, darauf erschien Edmund, der den Moment nicht
-erwarten konnte, seine Schwester in die Arme zu schließen. Diese
-Besuche störten nicht mehr das idyllische Glück des jungen Ehepaars &mdash;
-&mdash; es kam dann auch der alte Vater und auch er war willkommen; aber
-jetzt befürchtete man, daß sie nur allzubald herbeiströmen würden,
-die Schaaren der „Freunde,“ der Neugierigen, der Argwöhnischen und
-Neidischen. &mdash; Alexander jedoch beschloß, so lange als möglich die
-feste Mauer, welche sein Haus umzog, zu<span class="pagenum"><a name="Seite_126" id="Seite_126">[126]</a></span> vertheidigen. &mdash; Ach, er
-kannte den unerschütterlichen Sinn und die sich immer erneuernde
-Tapferkeit der Belagerer nur zu gut, und so war denn höchstens nur noch
-für ein paar Wochen Sicherheit zu hoffen.</p>
-
-<p>Es war eines Vormittags, als sie von der Generalin besucht wurden.</p>
-
-<p>„O, meine Kinder,“ sprach Cölestinens Mutter, diese würdigste und
-tugendhafteste aller Matronen des Geschlechtes der Randow &mdash; „wie danke
-ich meinem Schöpfer, der Alles so gefüget hat, wie es zu Eurem Glück
-erforderlich ist. So sind wir, so seid Ihr am Ziele aller Wünsche
-und unser Gebet kann sich nur auf den Fortbestand dieses gesegneten
-Zustandes beschränken. &mdash; Ja, er wird fortbestehen und währen, bis
-Euer Auge bricht, bis Eure Herzen ausschlagen.... Ihr werdet Euch
-lieben und glücklich sein bis an’s Ende Eurer Tage. Mir sagt es mein
-ahnendes, mein vertrauendes Mutterherz &mdash; und ich lese hierzu die
-Bestätigung in Euren Augen. &mdash; O Cölestine, mein Kind, liebe Deinen
-edlen Gatten, sänftige und erquicke seinen ernsten, schwermuthvollen
-Sinn!... Aber, was sage ich?<span class="pagenum"><a name="Seite_127" id="Seite_127">[127]</a></span> Du hast es ja schon gethan! &mdash; Und
-so bleibt mir nur noch eine Bitte an Dich übrig: daß Du es auch in
-Zukunft nicht unterlassen sollst. &mdash; &mdash; Und nun zu Ihnen, mein theurer
-Freund und Sohn Alexander! &mdash; Bewahren Sie für alle Zeiten Ihrem
-Weibe jene Zärtlichkeit, die Sie ihr jetzt widmen, eine Zärtlichkeit,
-an welcher Ihr großes Herz so reich ist!... Sie sind nicht mehr
-unverstanden, Sie sind nicht mehr ungeliebt.... es hat sich Ihnen ein
-Herz ergeben, das Ihrer würdig ist und das streben wird, dies immer
-mehr zu sein. &mdash; Merkt Euch noch Eines, meine Kinder: Lasset Eure Liebe
-von der <em class="gesperrt">Tugend</em> geheiligt werden; seid fromm, sittig, rein und
-bescheiden: eine Liebe, welche dies nicht ist, sie wird, glaubt es mir,
-nimmerdar bestehen. &mdash; Die echte Liebe ist nicht von dieser Welt; sie
-sucht an ihrem Gegenstande die höheren Eigenschaften und liebt ihn um
-so inniger, je mehr sie diese in ihm entdeckt &mdash; &mdash; ebenso bemüht sie
-sich, diese in der eigenen Brust zu erwecken, um sie ihm anzubieten
-&mdash; um dieselben gegen die seinigen auszutauschen. Das ist wahre Liebe
-&mdash; und so haben sich immer jene edlen<span class="pagenum"><a name="Seite_128" id="Seite_128">[128]</a></span> Menschen geliebt, von deren
-Herzensgeschichte uns die alten Bücher so Rührendes erzählen....“</p>
-
-<p>Die jungen Gatten, ergriffen von der Ermahnung Derjenigen, die jetzt
-ihnen Beiden Mutter war, sanken zu ihren Füßen nieder und gelobten
-feierlich, nach dieser Lehre zu leben. Da segnete sie die fromme Alte
-und weihte sie mit ihren Zähren, welche langsam auf deren Häupter
-herabrieselten.</p>
-
-<div class="figcenter">
- <a id="fig3" name="fig3">
- <img class="mtop1 mbot1" src="images/fig3.jpg"
- alt="Zu S. 128" /></a>
-</div>
-
-<p>Edmund, der in diesem feierlichen Momente eintrat, wurde von dem
-Anblick, der sich ihm hier bot, erschüttert, so daß auch er, ohne ein
-Wort zu sprechen, hinstürzte neben die Knieenden, die Hand der Mutter
-sowohl wie die der Schwester ergriff und sie abwechselnd an Herz und
-Mund drückte.... Dann schloß Cölestine den Jüngling in ihre Arme und
-nun konnte auch er seine Thränen nicht mehr zurückhalten: er vermischte
-sie mit denen der beiden Frauen.</p>
-
-<p>Niemals noch hatte er so selig geweint.</p>
-
-<p>In diesem Kreise waren nur zwei Augen trocken, die Alexanders, aber sie
-deuteten, auch trocken, auf eine, wenn auch stille, doch eben so<span class="pagenum"><a name="Seite_129" id="Seite_129">[129]</a></span>
-tiefe Wehmuth &mdash; als von welcher die übrigen Herzen erfüllt waren.</p>
-
-<p>„So bist Du nun ganz glücklich, meine Schwester!“ begann Edmund in
-jenem innigen, wunderbar gerührten Tone, welchen er für Niemand sonst
-in der Welt, als für sie hatte: „Du bist glücklich! &mdash; Und so weißt Du:
-daß auch ich es bin. &mdash; Ja, in der That, ich habe niemals Deine lieben
-Augen von so sanfter Zufriedenheit, niemals Deine holden Wangen von so
-heiterem Roth strahlen sehen, wie in diesem Augenblick; und nie, nie,
-Cölestine, warst Du so schön! &mdash; O, wie glücklich wird Dein Mann sein
-in Deinem Besitze! &mdash; Tausende werden ihn beneiden &mdash; wie Fürsten einen
-König beneiden, der in seiner Krone eine Perle besitzt, die an Glanz
-und Werth die Summe aller der ihrigen übertrifft.... &mdash; Doch Alexander
-hat Dich auch verdient! Ja, ja, er war der Edelste unter seinen
-Mitwerbern &mdash; und so gönne ich Dich ihm.“</p>
-
-<p>Diese Worte waren für den Grafen nicht ohne Bitterkeit; allein was
-ein romaneskes, schwärmerisches Bruderherz in seinem schrankenlosen
-Enthusiasmus verbrochen, das suchte die<span class="pagenum"><a name="Seite_130" id="Seite_130">[130]</a></span> Schwester bei dem geliebten
-Manne ihrer Wahl wieder gut zu machen. Sie wandte sich mit einer
-Zärtlichkeit, deren Wahrheit jeder Athemzug ihrer Brust bestätigte &mdash;
-zu Alexander und überhäufte ihn mit Beweisen von Liebe, dergleichen sie
-ihm sonst nur, wenn sie allein waren, widmete. Sie schien es gänzlich
-zu vergessen, daß sie nicht ohne Zeugen seien.</p>
-
-<p>Alexander verstand diese zarte und großmüthige Rücksicht: er fand in
-ihr einen hinreichenden Ersatz für die Unbill, welche er zuvor erfahren
-&mdash; und ein zärtlicher Blick dankte seiner Gattin dafür.</p>
-
-<p>Da trat rasch und überraschend auch noch der alte General ein; er fand
-alle so heiter und gemüthlich, wie er sie brauchte:</p>
-
-<p>„Allons Kinder!“ rief er „fliegt mir an den Hals! &mdash; Das geht mir
-noch Alles zu langsam. &mdash; Ach, richtig, ich vergesse, daß ich hier
-nicht in meinem Hause bin, sondern unter jungen Eheleuten &mdash; kleinen
-Turteltäubchen, die mit einander genug zu thun haben, als daß sie
-noch an einen so alten Steinadler, wie Unsereins, ihre Zärtlichkeit
-verschwenden sollten.... Nun denn, guten Tag, mein lieber Alexander
-&mdash; gu<span class="pagenum"><a name="Seite_131" id="Seite_131">[131]</a></span>ten Tag, theure Tochter Cölestine &mdash; und auch Du, Mama, sei
-herzlich gegrüßt. &mdash; &mdash; Doch, alle Donner! da hätte ich fast eine sehr
-wichtige Person vergessen &mdash;“ bemerkte der lustige Alte, sich gegen
-Edmund wendend, der ehrfurchtsvoll, wie er es gewohnt war, vor seinem
-Vater stand: „Verzeihen Sie mir, mein Herr!“ fuhr der General gegen ihn
-fort: „und entschuldigen Sie ein schlechtes Gedächtniß, das bekanntlich
-gerade die nächsten Dinge am leichtesten vergißt...“</p>
-
-<p>Cölestine hing am Halse ihres Vaters und küßte ihn so lange, daß er
-selbst endlich ausrief: „Ich denke, meine Tochter, es wird nunmehr
-genug sein!“ Dann reichte er dem Grafen die Hand und ließ sich im
-Kreise der Gesellschaft nieder.</p>
-
-<p>Nun mußte Cölestine ihm genau Bericht abstatten über ihren ganzen
-Haushalt &mdash; und Alles, Alles bis auf die letzte Kleinigkeit sagen; denn
-der greise Kavalier zeigte eine Neugierde, als sei er an die Stelle
-irgend einer alten Haushälterin getreten.</p>
-
-<p>„Also dort auf jener Seite sind nun Deine Zimmer und hier die Deines
-Gemahls?“ fing er an.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_132" id="Seite_132">[132]</a></span></p>
-
-<p>„Ja, bester Vater. Das habe ich so eingerichtet, denn Alexander
-überließ Alles meiner Bestimmung.“</p>
-
-<p>„Dies ehrt sowohl Dich, wie Deinen Mann, und ich statte ihm für diese
-Liebenswürdigkeit meinen väterlichen Dank ab.“</p>
-
-<p>„Ah &mdash; aber glauben Sie mir, mein Vater, dies ist noch die kleinste der
-schönen Eigenschaften Alexanders.... Er ist an größern so reich....“</p>
-
-<p>„Gewiß, gewiß, liebe Cölestine. Aber die innere Einrichtung Eures
-Hauses betreffend, so sage mir: ist Alles Uebrige in einem eben so
-feinen und großartigen Geschmack ausgeführt, wie dasjenige, was ich zu
-bemerken Gelegenheit hatte....“</p>
-
-<p>„Alles, mein Vater. &mdash;“</p>
-
-<p>„Aber &mdash; dies wird Deinem lieben Manne große Auslagen verursacht haben,
-welche ich, da Du die Urheberin von Allem bist, mißbillige...“</p>
-
-<p>„O, bester Vater, seien Sie überzeugt &mdash;, daß in dieser Hinsicht
-Alexander meine Wünsche stets übertroffen hat.... Dieser kleine
-Feenpalast war bereits in Allem fertig, als ich von ihm Besitz nahm &mdash;
-&mdash; und ich veränderte nur hie und da<span class="pagenum"><a name="Seite_133" id="Seite_133">[133]</a></span> Etwas in der Anordnung. Darin
-besteht meine ganze Schuld.“</p>
-
-<p>„Wie mich dünkt,“ fuhr der alte General in seinem Beichtamte fort:
-„so ist die Dienerschaft Ihres Hauses, mein theurer Schwiegersohn,
-mindestens um das Dreifache, gegen deren frühern Etat, vermehrt....
-Habe ich nicht Recht?“</p>
-
-<p>„Allerdings &mdash; Herr General; ich fand es nothwendig, das Haus meiner
-Gemahlin in jeder Beziehung auf eine Stufe zu stellen, welche sowohl
-ihren Verdiensten als ihrem Range angemessen ist.... Ich fürchtete,
-noch zu wenig gethan zu haben. &mdash;“</p>
-
-<p>„Und was Ihren Marstall anlangt &mdash; lieber Graf &mdash; so fand ich
-Gelegenheit, einen Blick hineinzuwerfen, wiewohl ich mir das Vergnügen,
-ihn genauer zu besichtigen, noch vorbehalte. &mdash; &mdash; Ihr Marstall nun,
-mein theurer Alexander, ist wirklich unvergleichlich, und ich weiß
-nicht, ob er es nicht mit jedem andern in der Residenz aufnehmen
-könnte. Dies nimmt mich um so mehr Wunder, da ich weiß, daß Sie im
-Ganzen keiner von unsern leidenschaftlichen Pferdeliebhabern sind<span class="pagenum"><a name="Seite_134" id="Seite_134">[134]</a></span> ...
-ich glaube, Sie gehören auch nicht zu unserem Jokey-Clubb....“</p>
-
-<p>Der Graf erwiederte lächelnd: „Bisher noch nicht; doch bin ich Willens,
-mich in denselben aufnehmen zu lassen.“</p>
-
-<p>„Aber &mdash; Sie besteigen ja höchst selten ein Pferd.“</p>
-
-<p>„Ich werde es jetzt öfter thun.“</p>
-
-<p>„Und der Grund davon?“</p>
-
-<p>„Meine Frau wünscht es.“</p>
-
-<p>Der General umarmte seinen Schwiegersohn. &mdash;</p>
-
-<p>„Sie sagt,“ fuhr dieser fort: „ein Mann erscheine niemals schöner, als
-wenn er zu Pferde sitzt, und ich will mir das merken.“</p>
-
-<p>„O!“ sagte Cölestine gerührt: „Du hast es nicht nöthig, Alexander, Dich
-werde ich ewig lieben &mdash; und mehr Dich lieben, wie ich, ist kein Herz
-fähig.“</p>
-
-<p>Jetzt schloß <em class="gesperrt">sie</em> ihn in ihre Arme und eine Pause entstand,
-reicher an stiller tiefer Wonne, als deren manches ganze Leben enthält.</p>
-
-<p>Die Eltern segneten die Stunde, welche den Grafen zum ersten Male
-in ihr Haus geführt. Nach einiger Zeit erhob man sich und nahm die<span class="pagenum"><a name="Seite_135" id="Seite_135">[135]</a></span>
-Wohnung der Kinder in Augenschein. Man besichtigte sie von oben bis
-unten, man ließ nicht die kleinsten Winkel unbeachtet &mdash; und es
-bestätigte sich Alles, was man früher von ihr erfahren hatte. Sodann
-ging man in den Garten hinab, dann in den Hof, in die Seitengebäude,
-Alles entsprach einem großartigen Plane, und Alles stand unter einander
-in der schönsten Harmonie.</p>
-
-<p>Endlich nahmen die Alten mit ihrem Sohne Abschied von dem Ehepaar &mdash;
-und begaben sich auf den Rückweg nach Hause; denn es war heute bei
-ihnen, aus Anlaß des Nachfestes zu der Vermählungsfeier Cölestinens &mdash;
-Tafel, bei welcher einige nähere Freunde des Hauses erscheinen sollten.
-&mdash;</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_136" id="Seite_136">[136]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Siebentes_Kapitel"><b>Siebentes Kapitel.</b><br />
-
-<span class="s6">Ein <em class="antiqua">Tête à tête</em> &mdash; jedoch kein zärtliches.</span></h2>
-
-</div>
-
-<p><span class="initial">E</span>s schlug sechs Uhr. Dies was die Zeit des Diners. Im kleineren Salon
-der Generalin waren bereits alle Gäste versammelt, unter denen uns
-mehrere Personen nicht ganz unbekannt sind. Denn es fanden sich hier
-der Graf und die Gräfin von Wollheim &mdash; Herr und Frau von Porgenau &mdash;
-die Wittwe jenes Feldmarschall-Lieutenants E&mdash;z, so wie die Stiftsdame,
-Fräulein Eugenie von <em class="gesperrt">Bomben</em> (62 Jahr alt). Auch Herr von Labers,
-der Mann, welchen Alles hochachtete, war zugegen.</p>
-
-<p>Man schritt paarweise in den Speisesaal, wo eine auserlesene Tafel
-bereit stand, die Gäste aufzunehmen. Dies Diner wäre ein ganz
-gewöhnliches gewesen und hätte sich durch nichts<span class="pagenum"><a name="Seite_137" id="Seite_137">[137]</a></span> von einer materiellen
-Mahlzeit oder Esserei unterschieden, hätten nicht unsere drei oder vier
-Paar Originale, dergleichen nicht überall in der Welt zu finden sind,
-daran Theil genommen. So aber war für den Geist mehr als hinreichend
-gesorgt; d. h. für den Geist, welcher Kontraste und satirische
-Verwickelungen liebt.</p>
-
-<p>Nach den ersten Gängen &mdash; man servirte in diesem Hause auf französische
-Weise &mdash; wurde endlich jene einförmige Stille, die den Anfang eines
-Mahles bezeichnet, durch einige schlechte Witzworte des trefflichen
-Herrn von Porgenau unterbrochen und der Genius der Unterhaltung senkte
-sich auf die Gesellschaft herab.</p>
-
-<p>Es ist im Grunde zwar nicht nöthig, so gewissenhafte
-Geschichtsschreiber wir übrigens auch sind &mdash; jedes alberne Wort
-Herrn von Porgenau’s durch unsern Griffel der Unsterblichkeit zu
-überliefern... Indeß dürfen wir auch diesem Manne, da er einmal ein
-Charakter ist, (obgleich nicht in dem Sinne, worin Börne von Gutzkow
-ein Charakter genannt wird) nicht Unrecht thun, und so geben wir denn
-so viel Züge und Striche von ihm, als<span class="pagenum"><a name="Seite_138" id="Seite_138">[138]</a></span> zur vollständigen Zeichnung
-seines Bildes nothwendig sind.</p>
-
-<p>So möge man also wissen, daß der erste brillante Einfall Porgenau’s
-heute an dieser Tafel darin bestand, daß er einen Kalbskopf in einer
-<em class="antiqua">sauce piquante</em> mit den Liebesgedichten des berühmten Lokalhumoristen
-Herrn Saphir verglich und hinzusetzte: so sehr dieser Kopf auch mit
-Saucen, Citronenscheiben, Gewürzen, Lorbeerblättern, Blumen und Blüthen
-begossen und bedeckt sei &mdash; erkenne man doch augenblicklich, daß er
-vom <em class="gesperrt">Kalbe</em> komme.... Der Bonmotist setzte noch hinzu, daß man im
-Orient auf diese Weise auch <em class="gesperrt">Affenköpfe</em> bereite &mdash; &mdash; und meinte,
-dieser Vergleich sei noch viel passender.</p>
-
-<p>Ferner behauptete derselbe: eine schlechte Tafel sei die beste
-Universität, man werde da voll <em class="gesperrt">Geleersamkeit</em>.</p>
-
-<p>„Wissen Sie,“ wandte er sich zur Gräfin von Wollheim, wobei er wieder
-im Voraus so sehr lachte, daß es eine wahre Freude war: „wissen Sie,
-gnädige Frau &mdash; haha! &mdash; welches mein schönster Calembour ist.... In
-der That, ha<span class="pagenum"><a name="Seite_139" id="Seite_139">[139]</a></span>haha! ich bin stolz darauf, denselben geschaffen zu haben
-&mdash; hahaha!“</p>
-
-<p>„Lassen Sie ihn hören, lassen Sie ihn hören, trefflicher Herr von
-Porgenau!“ hieß es an der ganzen Tafel; denn die Albernheit ist oft
-belustigender als Verstand und Witz.</p>
-
-<p>„Mein erster Calembour &mdash;“ sagte Porgenau stolz &mdash; „aber,“ fuhr er
-nach einer Pause fort und verzog das Gesicht so breit, als es ihm nur
-möglich war &mdash; „in der That, ich kann mich vor Lachen kaum halten,
-sobald ich diesen göttlichen Calembour preiszugeben im Begriffe stehe
-&mdash; hahaha! hahaha! &mdash; So hören Sie denn: <em class="gesperrt">Was ist der Mensch</em>?
-Antworten Sie mir, meine Herrschaften, auf die Frage: Was ist der
-Mensch? &mdash; hahaha!“</p>
-
-<p>Alles lachte; aber Niemand sprach.</p>
-
-<p>„Ah &mdash; hahahaha!“ platzte Porgenau aus: „Nicht wahr, Sie wissen es
-nicht. Hahaha! Das ist lustig! das ist sehr lustig &mdash; hahaha!“</p>
-
-<p>„Aber so sagen Sie es uns doch selbst!“ bemerkte die Gräfin
-achselzuckend.... „Sie sehen ja, daß es hier Niemand erräth.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_140" id="Seite_140">[140]</a></span></p>
-
-<p>„Nun &mdash; wenn Sie es wissen wollen.... hahahaha! &mdash; hahahaha! &mdash; Der
-Mensch &mdash; ist ein unbefiedertes Thier mit zwei Beinen. &mdash; Hahahaha!
-hahahaha!“ Und der große Mann wälzte sich in seinem Stuhle.</p>
-
-<p>„Zu diesem Porträt,“ bemerkte Edmund gegen einen jungen Mann: „hat ohne
-Zweifel Er <em class="gesperrt">selbst</em> gesessen....“</p>
-
-<p>„Gewiß. Die Aehnlichkeit ist sehr auffallend.“</p>
-
-<p>Aber Porgenau hörte es nicht, wiewohl es ziemlich laut gesprochen
-wurde; er lachte noch immer und hielt sich den Bauch &mdash; es entzückte
-ihn, daß die ganze Gesellschaft mit lachte, was er als Resultat seines
-unwiderstehlichen Witzes nahm.</p>
-
-<p>„Dieser Porgenau,“ meinte Herr von Labers gegen seinen Nachbar, welches
-der General von Randow war: „ist ein halber Fallstaf; denn wenn er auch
-nicht selber witzig ist, so macht er doch Andere dazu. &mdash;“</p>
-
-<p>„Sehr richtig,“ bemerkte General Randow &mdash; „und wiewohl ich eigentlich
-nicht weiß, wer dieser Fallstaf sei, so kann ich mir denselben doch
-recht gut vorstellen. &mdash; &mdash; Ah, jetzt entsinne ich<span class="pagenum"><a name="Seite_141" id="Seite_141">[141]</a></span> mich! Es ist,
-glaube ich, eine dicke, lustige Person in irgend einem Schauspiele. &mdash;“</p>
-
-<p>„Ganz recht! in einem Shakspeare’schen.“</p>
-
-<p>„Ah &mdash; dies ist ja derselbe Dichter, welcher so viele kriegerische
-Stücke verfaßt hat, deren Namen mir leider zum größten Theil entfallen
-sind....“ antwortete der General, der wie so manche tüchtige Offiziere
-und &mdash; Kavaliere des Kaiserstaates eben kein großer Literat war
-und welcher, gleich dem edlen Herzog von Reichsstadt, Schillers
-<em class="gesperrt">Wallenstein</em> nur wegen der großen Kriegsseite dieses Stückes so
-sehr liebte. &mdash;</p>
-
-<p>„Sie sagen, meine Beste,“ sprach Gräfin Wollheim zu dem Stiftsfräulein
-&mdash; „Ihr Vorschlag an das Comité, betreffend die Befestigung von
-Strümpfen, Jacken und andern Kleidungsstücken auf dem Leibe der Armen,
-sei zurückgewiesen worden? &mdash; Ich halte dies nicht für möglich. Es wäre
-abscheulich!“</p>
-
-<p>„Auch ich war darüber empört, glauben Sie mir, theuerste Gräfin
-&mdash;“ versetzte Fräulein von Bomben &mdash;; „es heißt dies die
-menschenfreundlichsten Absichten vernichten, mit Füßen treten.... aber
-so ist einmal unsere lasterhafte, sündige<span class="pagenum"><a name="Seite_142" id="Seite_142">[142]</a></span> Welt. Ich bin überzeugt,
-mein Vorschlag wurde blos deßhalb nicht angenommen &mdash; weil mehrere
-Damen des Comités, wie ich aus sicherer Quelle weiß &mdash; mit einigen
-hübschen Armen im vertrauten &mdash; &mdash; u. s. w. &mdash; Sie verstehen, beste
-Freundin!“</p>
-
-<p>„Aber &mdash; dies scheint mir unmöglich! &mdash;“</p>
-
-<p>„Es ist wahr; ich kann es nöthigenfalls beschwören... Und,“ fuhr
-sie schwärmerisch fort, wie ein verliebter Jüngling, der von seinen
-Entwürfen spricht, mit welchen er die Geliebte seines Herzens
-glücklich machen will: „und ich hatte mich bereits mit allen
-Materialien versehen! Ich kaufte <em class="antiqua">en gros</em> ein. Zwei Zentner Pech &mdash; 80
-Pfund Teufelsd&mdash; 300 große und kleine Ketten, Schlösser, Fangeisen,
-Daumenschrauben...“</p>
-
-<p>„Daumenschrauben? Wozu denn diese?“</p>
-
-<p>„Um unseren lieben Armen die Handschuhe, welche wir ihnen im Winter
-geben, an die Finger zu schrauben....“</p>
-
-<p>„Ah, mein Gott &mdash; wie erfinderisch Sie sind, mein theures Fräulein!“</p>
-
-<p>„O, wo es sich um das Wohl der Menschheit handelt!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_143" id="Seite_143">[143]</a></span></p>
-
-<p>„Ach die Menschen verdienen es kaum.“</p>
-
-<p>„Gewiß, gewiß; sie verdienen es nicht. Sie sind Wölfe und Hyänen &mdash; und
-ich wollte nur, daß ich sie in Wolfsgruben oder mit Fußeisen fangen und
-ihnen das Fell abziehen könnte. Das wäre so meine Passion!“</p>
-
-<p>„Indeß &mdash; &mdash; da wir Mitglieder des <em class="gesperrt">Hilfsvereins</em> sind.... meine
-Beste: scheint mir diese Ihre Passion doch ein wenig barbarisch.“</p>
-
-<p>„Ei was!“ schrie das fromme Stiftsfräulein und warf Blicke umher
-wie eine Hyäne, von welcher sie eben gesprochen: „barbarisch hin &mdash;
-barbarisch her; ich halte es mit Kaiser Nero und wünsche der ganzen
-Menschheit einen Kopf, um ihn mit <em class="gesperrt">einem</em> Schlage abzuhauen.“</p>
-
-<p>Das war ein schönes Mitglied frommer Stiftungen und edler
-Wohlthätigkeitsvereine.</p>
-
-<p>Es war jetzt am obern Ende der Tafel die Rede von den Fremden, welche
-in letzterer Zeit die Residenz besucht hatten und Herr von Labers
-führte darunter auch den Namen eines <em class="gesperrt">Chevalier de Marsan</em> an. &mdash;
-Sogleich erhob sich Edmund und lebhafte Freude malte sich in seinem
-Gesichte: „Wie?“ rief er, „der Chevalier de<span class="pagenum"><a name="Seite_144" id="Seite_144">[144]</a></span> Marsan &mdash; jener Marsan,
-der, vor zwei Jahren bei der N**schen Gesandtschaft attachirt, mit
-seinem Chef Wien besuchte.... jener elegante, hübsche, glänzende
-Kavalier: ist dieser gemeint?“</p>
-
-<p>„Derselbe!“ entgegnete Herr von Labers: „Man sagt, er werde dies Mal
-für längere Zeit in unserer Stadt verweilen. Seine Gegenwart hängt
-übrigens mit keiner politischen Mission zusammen....“</p>
-
-<p>„So wird man wohl diesen Herrn,“ sagte Frau von Porgenau, die Gemahlin
-des berühmten Calembouristen &mdash; „zu sehen bekommen! Ist derselbe schon
-in vielen Häusern eingeführt?“</p>
-
-<p>„So viel ich weiß, in mehreren &mdash; &mdash; doch scheint dieser stolze
-Chevalier nur die schwindelnden Höhen der Gesellschaft zu goutiren.
-Man erzählt sich, er habe neulich, als man ihn der Gräfin Holborlow
-vorstellen wollte, gefragt, ob diese Dame nicht zu jenen Holborlows
-gehörte, die erst vor beiläufig 150 Jahren in den Adelstand erhoben
-wurden &mdash; und erst, nachdem man ihn überzeugte, daß jene neugeschaffene
-Familie eigentlich <em class="gesperrt">Holbarolow</em> heiße &mdash; während die ersten
-<em class="gesperrt">Holborlow’s</em> bereits aus den ältesten Zeiten<span class="pagenum"><a name="Seite_145" id="Seite_145">[145]</a></span> Moskowitischer
-Herrschaft abstammten, willigte er ein, mit der Gräfin bekannt zu
-werden.“</p>
-
-<p>Von zahlreichen Stimmen erscholl jetzt das Lob des ausgezeichneten
-Kavaliers, dessen Grundsätze man als vom ersten Wasser erkannte.... und
-diese Personen, welche applaudirten, wünschten insgeheim alle mit dem
-Chevalier bekannt zu werden.</p>
-
-<p>Einer Dame, die ihre diesfällige Sehnsucht dem Sohne des Hauses
-vortrug, antwortete Edmund: „Nichts in der Welt ist leichter....
-wenigstens für mich ist nichts leichter, als den Ritter von Marsan
-dahin zu führen, wohin es mir gefällt. &mdash; In der That wir sind seit
-einer Reihe von Jahren die wärmsten Freunde. &mdash; Unsere Verbindung
-schreibt sich noch von meiner Reise nach Paris her, wo ich damals den
-Chevalier in der Umgebung des Hofes fand. Dort wie an jedem Horizonte
-war er ein Stern erster Größe &mdash; und ich gestehe es offen, auf keine
-Freundschaft stolzer zu sein, als auf die seinige.“</p>
-
-<p>„In Wahrheit,“ rief Frau von Porgenau: „Sie machen uns neugierig und
-im höchsten<span class="pagenum"><a name="Seite_146" id="Seite_146">[146]</a></span> Grade gespannt. &mdash; Herr von Marsan muß eine Art kleinen
-Wunders sein!“</p>
-
-<p>„Sagen Sie lieber <em class="gesperrt">großen</em> Wunders, beste Freundin!“ fiel die
-Stiftsdame ein: „Sieht er nicht etwa dem Antinous ähnlich &mdash; und ist
-er an Geist nicht ein Cicero &mdash; an Muth nicht ein Leonidas &mdash; und an
-Reichthum nicht ein Rothschild....? hehehe! Wirklich, er muß sehr
-außerordentlich sein....“ schloß das Fräulein mit einem Lächeln,
-welches halb bitter und halb unverschämt war. &mdash;</p>
-
-<p>Edmund ergriff den besten Ausweg und gab ihr keine Antwort &mdash; er zuckte
-die Achsel und wandte ihr, so weit dies möglich war den Rücken. ....
-Darüber schien die liebenswürdige Menschenfreundin sehr ungehalten zu
-werden &mdash; und begann nun ihrer Zunge vollen Lauf zu lassen: „Ei, ei &mdash;
-wie Schade! daß unsere Residenz nicht auch solche illustre Exceptionen
-des Menschengeschlechtes aufzuweisen hat. &mdash; Wahrlich, wir sind in
-dieser Hinsicht noch sehr weit zurück; &mdash; und müssen, Dank Frankreich,
-von dort aus sowohl mit den Alleweltbezwingern, wie mit Seiltänzern und
-Harlekins versorgt werden....“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_147" id="Seite_147">[147]</a></span></p>
-
-<p>„Welche <em class="gesperrt">Versorgung</em> uns indeß oft sehr große <em class="gesperrt">Sorgen</em>
-verursacht... hahahaha! hahahaha! hahahaha!“ rief Herr von Porgenau,
-und dies war sein neuester Witz.</p>
-
-<p>„Ach, was dieser Porgenau &mdash; witzig ist!“ schrie seine Gemahlin, von
-der wir noch nicht erwähnt haben, daß sie die staunende Bewunderin des
-Genies ihres Mannes war &mdash; und stets in dessen unmäßiges Gelächter
-einstimmte, sobald derselbe ein <em class="antiqua">soi-disant</em> Bonmot machte. „O, wie
-glänzend seine Einfälle heute wieder sind!“ und hielt sich die Seiten,
-was ihr sehr schwer wurde, denn sie hatte verschiedene sehr große
-Seiten. Sie war so ein verkleinerter Abguß des Heidelberger Fasses.</p>
-
-<p>„Meiner Treu!“ meinte der Graf von Wollheim: „diese Aeußerungen über
-den Chevalier stimmen keineswegs überein &mdash; &mdash; und wollte man sich nach
-ihnen halten, würde man von Herrn von Marsan nur ein sehr schwankendes
-Bild erhalten. Indessen scheint mir die Meinung meines Freundes Edmund
-da &mdash; nicht ohne Gewicht, da derselbe den Ritter bereits seit so<span class="pagenum"><a name="Seite_148" id="Seite_148">[148]</a></span>
-langer Zeit kennt, und überdies ein Jüngling ist, auf dessen Urtheil
-und Wort ich ungeheuer viel gebe....“</p>
-
-<p>„Dies scheint mir,“ fuhr die Stiftsdame mit ihrem schneidenden Tone
-dazwischen &mdash; „eben kein großes Kompliment für uns &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Erlauben Sie, mein Fräulein,“ schrie der Jäger, roth werdend vor Zorn
-&mdash; „erlauben Sie &mdash;“ wiederholte er mit einer Stimme, als befände er
-sich im Walde und hätte sein Horn verloren.... „erlauben Sie!...“ Er
-konnte vor lauter „Erlauben Sie“ nicht weiter; &mdash; seine Entrüstung war
-zu groß....</p>
-
-<p>Diese wuchs noch, wo möglich, als Fräulein von Bomben sich ruckweise
-mit ihrem Stuhle zurückzog und stets rief: „O mein Gehör! Mein armes
-Gehör! &mdash; Mein unglückliches Gehör! &mdash; Gnade! Gnade! &mdash;“</p>
-
-<p>„Das heißt wohl so viel, als, daß ich in Ihrer Nähe verstummen soll &mdash;
-ich, ein alter Jäger, der schon vor manchem größern Ungeheuer nicht
-verstummt ist.... Alle Donner und Wehrwölfe!“ Der Nimrod hatte sich mit
-diesen Worten Luft gemacht &mdash; aber die Stiftsdame war<span class="pagenum"><a name="Seite_149" id="Seite_149">[149]</a></span> bei ihrem Klange
-auch leblos auf die Lehne ihres Stuhles zurückgesunken, indem sie leise
-das Wort „<em class="gesperrt">Ungeheuer</em>!“ flüsterte. Sie verdrehte ganz entsetzlich
-die Augen und bald schien sie nicht mehr zu athmen.... Man konnte sie
-für todt halten.</p>
-
-<p>Dies war für den argen Nimrod ein ungeheures Gaudium und er unterließ
-es nicht, dasselbe auf folgende Weise auszuschreien: „Ah &mdash; sie ist
-in Ohnmacht gesunken, die vortreffliche Frau!... Fräulein, wollt’
-ich sagen.... Wie schade um eine so liebenswürdige, gutmüthige Dame!
-Ach, sie hat ein zu weiches Herz! Dies war immer ihr größter Fehler.
-Sie, die keiner Mücke weh thun kann &mdash; empfindet natürlich selbst
-jede Verletzung in dreifachem Maße... Ach! daß ich das so wenig
-berücksichtigt habe! &mdash; Und was vollends ihre Tugend &mdash; ihre Reinheit
-betrifft....“</p>
-
-<p>Hier vermochte das Fräulein nicht länger ohnmächtig zu bleiben. Sie,
-die früher einer Verstorbenen ähnlich gesehen, sprang jetzt plötzlich
-mit solcher Lebhaftigkeit auf, als sollte es zum Hochzeitstanze gehen:
-„Was?“ rief sie aus:<span class="pagenum"><a name="Seite_150" id="Seite_150">[150]</a></span> „Welche Worte! Welche abscheuliche Rohheit!
-&mdash; Und dieser sieht man sich in einer auserlesenen Gesellschaft
-ausgesetzt! Ist dies das Haus der Generalin von Randow, jener vornehmen
-Dame, die zu den ersten unserer <em class="antiqua">haute crême</em> zählt &mdash; &mdash; oder was ist
-dies Haus für eines? &mdash; &mdash; &mdash;“ Sie überließ sich, wie man sieht, wieder
-so ganz recht ihrer milden Suade. Mittlerweile war die Hausfrau bereits
-längst an ihren Stuhl getreten und hatte die Erzürnte zu besänftigen
-gesucht &mdash; wobei sie von noch zwei oder drei Damen unterstützt wurde.
-Den alten Waldmenschen aber hatte auf einen Wink des Generals Edmund
-bei Seite genommen und, da die Gelegenheit dazu eben günstig war, (das
-Mahl neigte sich nämlich seinem Ende zu) ihn aus dem Saale weggeführt.</p>
-
-<p>„Kommen Sie, kommen Sie, bester Graf &mdash;“ raunte er ihm in’s Ohr: „ich
-kann es nicht länger mit ansehen, daß Sie sich mit dieser alten Hexe da
-befassen.... Es ist empörend &mdash; &mdash;!“</p>
-
-<p>„Ja!“ fiel der Jäger ein: „Du sprichst ein wahres Wort aus,
-mein Jüngelchen! Empörend ist es, daß eine dürre und von Zorn
-ausgetrock<span class="pagenum"><a name="Seite_151" id="Seite_151">[151]</a></span>nete Kreatur dieser Art es wagt, mit einem alten Jäger, der
-bereits so manchem Zauberhirsch und Waldteufel in’s feurige Gesicht
-geschaut.... haha! Aber ich hab ihr’s auch recht gegeben! Nicht wahr,
-Edmund! Ich habe sie ordentlich zugerichtet.... hahaha!“</p>
-
-<p>„Ja &mdash; Sie haben sie ordentlich &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Donnerwetter! Nenne mich nicht immer „Sie!“ Was hast Du heute?... Sind
-wir nicht mehr die alten Freunde?“</p>
-
-<p>„Ei, das wäre!“ rief der Jüngling aus, als er sich mit dem Alten
-endlich in einem Seitenzimmer befand: „Du weißt,“ fing er an: „daß
-meine Familie von unserer Intimität nicht allzu viel merken darf. Unter
-uns &mdash; meine Mutter sieht es nicht gerne, sie meint, ich nehme von Dir
-wilde Sitten an. &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Alle Hirsche und Rehe! &mdash; Das wird sie doch nicht meinen! &mdash; Geht dies
-wirklich auf mich? &mdash; Wild, wild! &mdash; Ja, freilich ein wilder Bursche
-bin ich.... aber dazu &mdash; bei St. Hubertus! &mdash; eine so ehrliche Haut,
-wie je eine in germanischen Wäldern von Regen und Wind durchgegerbt
-wurde. &mdash; Allein, was fällt mir<span class="pagenum"><a name="Seite_152" id="Seite_152">[152]</a></span> da ein? Mich dünkt, wir hätten jetzt
-die schönste Gelegenheit, in die Kellnerei hinüber zu spatzieren, die,
-(ich wittere die Spur!) hier irgendwo in der Nähe sein muß.“</p>
-
-<p>„Der Einfall ist nicht übel! &mdash; &mdash; Ja, ja, der Einfall ist nicht
-schlecht!“ schrie Edmund: „Er ist sogar köstlich, beim Teufel!“</p>
-
-<p>Diesen Einfall indeß hatte der Alte jeden Augenblick.</p>
-
-<p>Und alsbald saßen diese edlen Brüder wieder in einem still bescheidenen
-Winkel und vor ihnen erhoben sich mannigfache Humpen &mdash; &mdash; und
-alsbald hatte Edmund wieder seine eigenthümliche Laune (es war seine
-eigenste eigenthümlichste) angenommen; er trank, sang und betrank
-sich mit seinem Freunde, so, als wären sie in irgend einer Dorfkneipe
-eingekehrt. Nach Verlauf von einer Stunde befanden sich diese
-musterhaften Edelleute im Zustande vollkommener Bewußtlosigkeit &mdash; und
-lagen mit erstarrten, bleischweren Gliedern &mdash; Edmund <em class="gesperrt">auf</em>, der
-Jäger <em class="gesperrt">unter</em> dem Tische.</p>
-
-<p>Die Dienerschaft, welche dergleichen schon gewohnt war und für diesen
-Fall ihre Verhal<span class="pagenum"><a name="Seite_153" id="Seite_153">[153]</a></span>tungsregeln von Edmund empfangen hatte, schloß sie im
-Zimmer ein, damit die Biedern nicht etwa erwachen &mdash; im halbnüchternen
-Zustande das Zimmer verlassen und im Hause Skandal machen könnten, wie
-sie es bereits einmal gethan.</p>
-
-<p>Das Schnarchen, welches sie entwickelten, war bis in den
-Gesellschaftssaal vernehmbar, wo die Gäste beim Kaffee saßen und wo
-eine Dame von sehr furchtsamer Natur beständig sagte: „Ich glaube, es
-zieht ein Gewitter heran. &mdash; Ich glaube, es donnert in der Ferne....“</p>
-
-<p>Die Verfassung, worin die Gesellschaft sich nach dem Abgang der beiden
-Herren befand, war übrigens von bewundernswürdiger Ruhe. Nachdem der
-Jäger, dessen derbe, waldmännische Natur sattsam bekannt war, sich
-entfernt hatte &mdash; machte man dem Stiftsfräulein bemerklich, daß er ihr
-mit diesem Letzteren eine glänzende Genugthuung gegeben habe; &mdash; Gräfin
-Wollheim selbst sprach dieses aus und wandte sich noch überdies mit
-der Versicherung, daß sie selbst das Betragen ihres Mannes mißbillige,
-an die ungeheuer empfindsame Dame.... so gelang es endlich, dieselbe
-zu versöhnen, und Alles kam wieder<span class="pagenum"><a name="Seite_154" id="Seite_154">[154]</a></span> ins rechte Geleis. &mdash; Herr von
-Porgenau machte wieder seine geistvollen Calembours &mdash; lachte sich
-dabei sammt seiner Gemahlin halbtodt &mdash; Gräfin Wollheim sprach von der
-nächsten Zusammenkunft des Frauenstiftsvereins, zu welcher sie bereits
-drei Unterröcke und sechs Beinkleider fertig liegen habe; zuletzt wurde
-auch noch die Stiftsdame cordial &mdash; sprach von der Immoralität unter
-den Armen und bemerkte dazu sehr scharfsinnig:</p>
-
-<p>„Wer weiß, was in so manchen dieser Jacken und Beinkleider getrieben
-werden wird...“</p>
-
-<p>Ja, endlich kam sie sogar auf ihr beliebtes Thema von Nero, wo sie
-der ganzen Menschheit nur ein Haupt wünschte, um es mit einem Schlage
-herabzusäbeln... &mdash;</p>
-
-<p>Dieses Stiftsfräulein hätte in den Türkenkriegen leben und unter die
-Janitscharen gehen sollen. Sie würde dort große Dinge vollbracht haben.
-&mdash;</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_155" id="Seite_155">[155]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Achtes_Kapitel"><b>Achtes Kapitel.</b><br />
-
-<span class="s6">Der Chevalier von Marsan.</span></h2>
-
-</div>
-
-<p><span class="initial">D</span>er Chevalier von Marsan machte wirklich in der großen Welt gewaltige
-Sensation. Er hatte sich bereits in den Cirkeln der Fürstin O&mdash; M&mdash;
-G&mdash;, der Herzogin B&mdash;, der Marquise A&mdash;, und Re&mdash;, der Lady P&mdash; und
-noch in mehreren von den <em class="gesperrt">allersublimsten</em> sehen lassen, und
-Alles war von dem Manne entzückt, der gekommen schien, die Zeiten
-eines Alcibiades nach modernen Principien zurückzurufen. In Wahrheit,
-dieser Kavalier vereinigte in sich eine Summe von Liebenswürdigkeit
-und Vorzügen, die ihn zu einem wahren Prototyp der fasshionablen
-Männerwelt machten. Es hatte Natur und Kunst für ihn mit einem Worte
-&mdash; Alles gethan, und noch <em class="gesperrt">ein Stückchen dazu</em>. Er war schön,
-reizend, blendend, er war geistreich, witzig, gelehrt,<span class="pagenum"><a name="Seite_156" id="Seite_156">[156]</a></span> er war vornehm,
-fürstlich, ja uns dünkt sogar &mdash; von königlicher Verwandtschaft; er war
-reich, mächtig, großmüthig, verschwenderisch, stark wie ein Cyklope und
-sanft wie eine Hamadryade....</p>
-
-<p>Und doch hatte bei diesem Monstrum von Schönheiten &mdash; der Schöpfer
-Eines vergessen; Dasjenige nämlich, was er ihm schon deßhalb nicht
-geben kann, weil er ihm alles Uebrige gab, denn Dieses und Jenes sind
-Gegensätze, die einander aufheben. Dieses Eine, was dem Chevalier
-fehlte, und welches kein Gott ihm zu ersetzen im Stande war &mdash; es war
-Dasjenige, was gerade einem Charakter die höchste poetische Weihe
-gibt: es war jene schöne menschliche Mangelhaftigkeit, jener große,
-oder jene tausend kleinen Fehler, wodurch ein kleines Individuum
-<em class="gesperrt">interessant</em>, ein großes zum <em class="gesperrt">tragischen Helden</em> wird.
-Dieses Ingredienz, dieser Mangel im Menschen, oder eigentlich dieser
-<em class="gesperrt">negative Vorzug</em> ist es ja, welcher uns, in seiner höchsten
-Potenz, beim Anblick eines <em class="gesperrt">Cäsar</em>, eines <em class="gesperrt">Byron</em>, eines
-<em class="gesperrt">Napoleon</em>, hinreißt &mdash; während uns die makellose, glatte Reinheit
-eines edlen Menschen blos kalt erhebt. &mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_157" id="Seite_157">[157]</a></span></p>
-
-<p>Nicht daß es dem Chevalier an Fehlern und Untugenden gemangelt hätte;
-ich weiß nicht, ob er auch nur im entferntesten Sinne einen Vergleich
-mit jenen edlen Menschen ausgehalten hätte, welche wir zuletzt
-nannten, vorausgesetzt, wir hätten ihn mit dem Maßstabe der reinen
-Moral zu messen; nach den Begriffen der Gesellschaft und Zeit jedoch
-war Herr von Marsan das Muster eines vornehmen Mannes, d. h. eines
-Salonsubjektes.</p>
-
-<p>Ach, Ihr guten Seelen, die Ihr in kleinen Häuschen mit Strohdächern,
-unter denen Schwalben und Bienen nisten, wohnt, Ihr habt freilich
-keinen Begriff von <em class="gesperrt">dieser</em> Tugendhaftigkeit und <em class="gesperrt">dieser</em>
-Mustergiltigkeit. Nach Eurer unverständigen Meinung wäre dieser
-Chevalier vielleicht weiter nichts, als ein hübscher, reicher,
-leichter, träger, thörichter, vielleicht auch gutherziger, jedenfalls
-aber ausgelassener und gewissenloser junger Springinsfeld gewesen. Gut,
-daß Euer Votum in der Wagschaale der <em class="gesperrt">bessern Gesellschaft</em> nicht
-gilt &mdash; Ihr würdet dort eine schöne Confusion damit anrichten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_158" id="Seite_158">[158]</a></span></p>
-
-<p>Doch wir wissen jetzt ungefähr genug von dem Charakter des Ritters von
-Marsan und eilen nun zu den Begebenheiten, worein wir denselben schnell
-verflochten sehen.</p>
-
-<p>Eines Tages machte Edmund mit seinem Freunde, dem Grafen von Wollheim,
-einen Spazierritt in den Prater, als er, beim ersten Kaffeehause
-angelangt, ungefähr hundert Schritte davon ein Gedränge von Menschen,
-Pferden und Equipagen bemerkte. Hier muß etwas Außerordentliches
-vorgefallen sein, wiewohl dies nicht nothwendig ist und schon eine
-unbedeutende Kleinigkeit hinreicht, die guten Wiener sich mitten
-auf der Straße zu einer Schaar versammeln und neugierig den Himmel
-anstaunen zu sehen....</p>
-
-<p>Als unser Freund näher kam, bemerkte er einen Herrn zu Pferde, der
-mit dem Thiere, welches äußerst widerspenstig schien, mit einer Kunst
-verfuhr, die ihn zum größten Reiter des Jahrhunderts stempelte. Dieser
-Herr hatte den Rücken gegen Edmund gekehrt, und so konnte dieser nicht
-wissen, wen er da vor sich habe. Jedoch schien es ein junger und
-äußerst glänzender Kavalier &mdash; sein Pferd aber war von<span class="pagenum"><a name="Seite_159" id="Seite_159">[159]</a></span> arabischem
-Vollblut, „halb Hirsch und halb Vogel,“ wie <em class="gesperrt">Balzac</em> sagt.</p>
-
-<p>„Er wird das Thier doch nicht zum Stillstehen bringen.“</p>
-
-<p>„Es ist vergebens! Das ist ein wahrer Teufel von einem Afrikaner!“</p>
-
-<p>„Wie heißt das Pferd nur gleich!“</p>
-
-<p>„Jussuf! Jussuf ist sein Name.“</p>
-
-<p>Diese Urtheile und Reden erschollen rings herum. Mitunter ließ eine
-von den schönen Damen, die aus den Wagen den schönen Reiter durch
-ihre Lorgnetten betrachteten &mdash; einen leisen kokettirenden Angstruf
-hören.... oder die Herren zu Pferde suchten durch das gewöhnliche:
-„Prrr! &mdash; Ohe! Heh! Heh!“ den wilden Jussuf zu besänftigen helfen
-&mdash; was jedoch von dem fremden Reiter stets mit einer stolzen und
-unwilligen Bewegung erwiedert ward. &mdash; Dieser schien endlich in die
-höchste Wuth zu kommen &mdash; er riß den Zügel so heftig an sich und
-versetzte dem muthwilligen Thiere mit Sporn und umgekehrter Gerte einen
-so furchtbaren Schlag &mdash; daß Jussuf wie ein Mensch aufstand, sich auf
-die Hinterbeine<span class="pagenum"><a name="Seite_160" id="Seite_160">[160]</a></span> setzte &mdash; und schon zu überschlagen in Gefahr war....</p>
-
-<p>Ein tausendstimmiger Schrei der Zuschauer erfüllte die Luft....</p>
-
-<p>Aber im Augenblick, wo die Gefahr am größten war, wo das Leben von
-Mensch und Thier nur mehr auf einer Nadelspitze stand &mdash; machte der
-Fremde, welcher kalt und lächelnd in den Steigbügeln stand &mdash; eines
-von jenen Maneuvres mit Zügel und Schenkel, die ein Geheimniß der
-Araberhäuptlinge und zwei bis drei Europäer sind &mdash; &mdash; und Jussuf, als
-sei er plötzlich in ein Hündchen verwandelt worden, ließ die Ohren
-fallen &mdash; senkte die Augen, welche zuvor höllische Funken gesprüht
-hatten &mdash; zog die dampfenden Nüstern zusammen &mdash; &mdash; jetzt mit einer
-Viertelkreiswendung drehte es sich auf den Hinterfüßen herum und ließ
-sich ruhig auf die Erde nieder, ohne ferner auch nur mit einer Muskel
-zu zucken.</p>
-
-<p>Bei dieser Evolution, welche an die Mythen der Centauren erinnerte &mdash;
-lös’te sich ein zweiter allgemeiner Ruf aus der Mitte der Zuschauer; es
-war einer der Bewunderung und des Erstaunens.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_161" id="Seite_161">[161]</a></span></p>
-
-<p>Noch nie hatte man so etwas in Wien gesehen, wo es doch in der That an
-bedeutenden Reitern, deren Koryphäe der Graf S&mdash; ist, auch nicht fehlt.</p>
-
-<p>In dem Augenblick, in welchem der außerordentliche Fremde sein Pferd
-herumgedreht hatte &mdash; erkannte Edmund in ihm den <em class="gesperrt">Chevalier von
-Marsan</em>. Es bedurfte keinen zweiten Augenblick und der Jüngling
-hatte sich durch den dichten Kreis der Umstehenden hindurchgedrängt
-und stand neben seinem Freunde. Dieser erkannte ihn sogleich und ein
-lauter Willkomm erscholl von beiden Seiten. Zuerst bezeigte Edmund
-ihm seine Bewunderung über die glänzende That, deren Zeuge er so eben
-gewesen &mdash; der Chevalier jedoch bat lächelnd, nicht weiter von „dieser
-Kleinigkeit“ zu sprechen &mdash; wischte sich jedoch mittlerweile den
-dichten Schweiß von der Stirne, welchen diese <em class="gesperrt">Kleinigkeit</em> darauf
-gesäet hatte. &mdash; Nach und nach zerstreuten sich wieder die Zuschauer,
-die meisten jedoch nicht eher, als bis sie sich dem Wundermanne noch
-einmal ganz dicht genähert hatten, um ihn auf ewige Zeiten ihrem
-bereitwilligen Gedächtnisse einzuprägen....<span class="pagenum"><a name="Seite_162" id="Seite_162">[162]</a></span> Nur noch einige Herren zu
-Pferde blieben neben Marsan, da sie zu seiner Gesellschaft gehörten. Es
-waren meist auch Bekannte des jungen Randow und sie störten daher nicht
-bei der Freude des Wiedersehens, welche sowohl dieser wie der Chevalier
-empfand.</p>
-
-<p>Man setzte nun den Ritt nach dem Jägerhause fort, gefolgt nur noch von
-einigen Spießbürgern, die zu spät gekommen waren &mdash; den Wundermann
-jedoch noch, und sei es mit Aufopferung einiger Jahre ihres Lebens,
-sehen mußten; auch etliche Gassenjungen trabten beständig zur Seite
-einher. &mdash;</p>
-
-<p>„Ach, mein theurer, theurer Marsan! &mdash; wie finde ich Sie verändert,
-seit wir uns das letzte Mal sahen! Es war vor 5 Jahren und Sie zählten
-damals 21. Jetzt hat das Mannesalter Alles an Ihnen vervollkommnet.
-Es sind zwar dieselben Züge, aber kräftiger und fester &mdash; es ist
-derselbe Wuchs, dieselbe Haltung, Alles, Alles &mdash; &mdash; nur in Allem viel
-gediegener, wie soll ich sagen? perfekter! &mdash;“ Es fehlte wenig und
-der gutmüthige Bursche, der in Liebe und Freundschaft eine Andacht
-besaß, die ihm im ganzen<span class="pagenum"><a name="Seite_163" id="Seite_163">[163]</a></span> übrigen Leben so sehr fehlte, ja, deren
-<em class="gesperrt">Gegentheil</em> ihn hier sogar charakterisirte &mdash; &mdash; es fehlte wenig
-und er wäre dem Franzosen sammt dessen Jussuf &mdash; vom Pferde aus um den
-Hals gefallen...</p>
-
-<p>„Und Sie, mein bester Edmund, wie ist es Ihnen seither ergangen?“
-fragte der Chevalier theilnahmsvoll: „Uebrigens sind Sie mir seit
-länger als einem Jahre die Antwort auf mein letztes Schreiben, welches
-ich Ihnen von Brüssel durch den Baron d’Orville zugesandt habe,
-schuldig.“</p>
-
-<p>„Beim Himmel, Freund, ich habe weder den Baron noch Ihren Brief
-gesehen; auch ist es mir nicht erinnerlich, daß ein d’Orville jemals
-unsere Stadt berührt hätte. Allein wie verhält es sich um diese Sache
-&mdash; Herr von L**?“ wandte der junge Randow sich an einen ältern Herrn,
-der ihm zur Seite ritt, und welcher Herr eines von den lebendigen
-Neuigkeitsbureaux vorstellte, an denen in der <em class="antiqua">société</em> einer großen
-Stadt wahrlich kein Mangel ist.</p>
-
-<p>Herr von L**, das Neuigkeitsbureau, (er wußte Alles) sann ein wenig
-nach, murmelte dann zwischen den Lippen „d’Orville, d’Orville<span class="pagenum"><a name="Seite_164" id="Seite_164">[164]</a></span>“ &mdash; &mdash;
-und sagte zuletzt mit der größten Bestimmtheit: „Ein solcher Kavalier
-ist hier ganz gewiß nicht durchgereis’t.“</p>
-
-<p>„Das kann möglich sein.... denn der Baron, der immer auf Reisen
-ist, hat die Gewohnheit, seine Route hundert Mal in einem Tage zu
-verändern.... und er ist im Stande, sich z. B. von hier aus auf
-die Reise nach dem <em class="gesperrt">Ladoga-See</em> zu begeben; in der Nähe der
-russischen Grenze &mdash; besinnt er sich dann &mdash; kehrt um und reis’t nach
-<em class="gesperrt">Portugal</em>. &mdash;“</p>
-
-<p>In diesem Augenblick fuhr an der Cavalcade eine Equipage vorbei. Marsan
-wandte sich zufällig nach der Seite und stieß beim Anblick der Personen
-im Wagen einen leisen Ruf aus.</p>
-
-<p>„Was haben Sie? Was haben Sie?“ fragte Edmund.</p>
-
-<p>„Können Sie mir vielleicht sagen,“ gegenfragte der Chevalier rasch &mdash;
-„wem dieser Wagen gehört?“</p>
-
-<p>Erst jetzt blickte Edmund nach demselben: „Mein Gott!“ rief er
-erstaunt &mdash; „sollte dies möglich sein? &mdash; Dies ist die Equipage
-meiner Schwester, der Gräfin A&mdash;x; da sie uns jedoch<span class="pagenum"><a name="Seite_165" id="Seite_165">[165]</a></span> bereits zu weit
-vorgekommen ist, kann ich nicht sagen, ob Cölestine selbst sich darin
-befinde. Indeß wäre dies ihre erste Fahrt im Prater.... die ganz
-unvermuthet geschehen sein würde &mdash; denn so viel ich weiß, ist die
-Zeit, wo sie sich zum ersten Male mit ihrem Gemahle zeigen sollte &mdash;
-noch nicht erschienen.“</p>
-
-<p>„Ah!“ versetzte Marsan nachdenklich: „jener Herr neben ihr war also ihr
-&mdash; Gemahl....“</p>
-
-<p>„Wenn sie es ist &mdash; ganz zuverläßlich.“</p>
-
-<p>„Brünett, ernst, männlich, fast etwas stark...“</p>
-
-<p>„Ganz recht, ganz recht! &mdash; Es ist Alexander!“</p>
-
-<p>Marsan erstaunte einen Augenblick lang; er sah einige Mal
-angelegentlich der Equipage nach, die bereits sehr weit vor ihnen dahin
-rollte, abwechselnd von einer Staubwolke eingehüllt.</p>
-
-<p>„Also &mdash; erst seit kurzem vermählt?“ richtete derselbe halbleise die
-Frage an Edmund...</p>
-
-<p>„Seit einigen Wochen!“ versetzte dieser: „Allein wie es scheint, so
-nehmen Sie ungewöhnlich Antheil an dieser Begebenheit, mein Freund. Ist
-Ihnen vielleicht Graf A&mdash;x näher bekannt?...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_166" id="Seite_166">[166]</a></span></p>
-
-<p>„O nicht doch,“ erwiederte Marsan lächelnd: „ich habe nie etwas von
-diesem Herrn gehört...“</p>
-
-<p>Der Ton in dem letztern Worte war fast schneidend und der Chevalier,
-der dies erst jetzt zu merken schien, setzte schnell, gleichsam als
-wollte er sich korrigiren, mit einer freundlichen Ungezwungenheit
-hinzu: „Ich wollte nämlich sagen, daß mir die <em class="gesperrt">Person</em> des Grafen
-gänzlich unbekannt sei &mdash; denn sein Name ist es keineswegs; dieser
-Name, der einer der glänzendsten des Kaiserstaates ist &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Nun gut;“ fiel Edmund ein &mdash; „aber dann sagen Sie mir, was diese
-Theilnahme sonst zu bedeuten hat...“</p>
-
-<p>„Ei, mein Freund,“ bemerkte Marsan mit jener Liebenswürdigkeit in Ton
-und Blick, der man nicht leicht zu widerstehen vermochte: „die Sache
-ist, daß eine Dame meiner Bekanntschaft auf dem Gute meiner Mutter
-in der Provence jener Dame im Wagen, die Sie Ihre Schwester nennen,
-überraschend ähnlich sieht... das ist das Ganze...“</p>
-
-<p>Hiermit ward das Gespräch auf einen andern Gegenstand geleitet und die
-Cavalcade trabte<span class="pagenum"><a name="Seite_167" id="Seite_167">[167]</a></span> einem Seitenwege zu. Marsan war der Leiter, jedoch
-hatte er diesen Seitenweg gleichsam nur so zufällig eingeschlagen....</p>
-
-<p>Auf diesem kürzeren Wege nun konnte man nach dem Jägerhause, welches
-der Schlußpunkt einer gewöhnlichen Praterpromenade ist, &mdash; schneller
-als auf jedem andern gelangen, und kam daher den Wagen und Reitern,
-welche die Hauptstraße einschlugen, vor. &mdash; Hieran dachte jedoch
-Niemand, auch wußte Marsan die Unterhaltung so zu lenken, daß durch
-sie die Gesellschaft hinlänglich beschäftigt ward. So allein war es
-möglich, daß man die Equipage Cölestinens, worin in der That sie mit
-ihrem Gemahle saß, zum zweiten Male begegnete &mdash; ohne daß Jemand etwas
-davon merkte. Nur der Chevalier machte hiervon eine Ausnahme.... er
-warf in einem Augenblick, wo alle Andern tausend Schritte weit davon
-wegsahen, einen raschen und kurzen Blick in den Wagen; dieser Blick
-jedoch war hinreichend, um in Marsans Geiste eine Fülle entzückender
-Bilder &mdash; in seinem Herzen eine Fülle heißer Wünsche zu erregen....</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_168" id="Seite_168">[168]</a></span></p>
-
-<p>Alles dieses schien jedoch äußerlich nur dazu zu dienen, um aus seinem
-Munde ein kaltes, gleichgiltiges Gelächter, wie man ein solches hundert
-Mal des Tages aufschlägt, zu locken, womit er sich dann an seine
-Umgebung wandte, indem er dabei nach zwei Jungen wies, die in einiger
-Entfernung davon sich balgten.</p>
-
-<p>Man kehrte noch vor dem Jägerhause um und begab sich auf den Rückweg.
-Der Chevalier war nicht heiterer und auch nicht trauriger wie zuvor.
-Es schien nichts vorgefallen zu sein. Er sprach über Dieses und Jenes,
-kam aus dem Hundertsten ins Tausendste, wie es der Charakter einer
-Conversation unter jungen Männern dieses Standes mit sich bringt.</p>
-
-<p>Am Eingange des Praters trennte sich die Gesellschaft und zerstreute
-sich nach verschiedenen Gegenden. Der Chevalier und Edmund indeß
-blieben beisammen, da der Erstere ihn eingeladen hatte, seine Wohnung
-kennen zu lernen und mit ihm zu Mittag zu speisen.</p>
-
-<p>„Wir haben uns ja so lange Zeit nicht gesehen &mdash; und so müssen wir uns
-endlich recht fest und ordentlich ansehen. Ach, mein Freund,<span class="pagenum"><a name="Seite_169" id="Seite_169">[169]</a></span> wie freue
-ich mich, so wider Vermuthen mit Ihnen zusammengetroffen zu sein!“
-bemerkte Marsan.</p>
-
-<p>„So wußten Sie also nicht, daß ich in Wien sei?“</p>
-
-<p>„Gewiß nicht; ich vermuthete Sie tausend Meilen weit von hier. Sie
-stießen mir ja in keiner der ersten Gesellschaften auf...“</p>
-
-<p>„Mein Freund &mdash; der Grund hievon ist die Heirath meiner Schwester. So
-lange sie nicht in die Gesellschaft zurückkehrte &mdash; hielt ich es für
-passend, ihr darin zu folgen.“</p>
-
-<p>„Sehr richtig; dies beweis’t einen feinen Takt, lieber Edmund. &mdash;
-Uebrigens &mdash; wird vielleicht die Abgeschiedenheit der Gräfin A&mdash;x,
-Ihrer Schwester, nicht mehr lange dauern...“</p>
-
-<p>„Ich vermuthe es selbst, nachdem ich weiß, daß sie sich heute im Prater
-gezeigt hat. &mdash; Ach, die theure Cölestine! Wie gerne hätte ich sie
-gesehen!“</p>
-
-<p>Dieses Gespräch über Cölestine schien den Chevalier sehr anzuziehen
-und er suchte den Andern so lange als möglich dabei festzuhalten. Sie
-gelangten so in die Wohnung Marsan’s,<span class="pagenum"><a name="Seite_170" id="Seite_170">[170]</a></span> welcher eine Etage auf dem
-<em class="gesperrt">Graben</em> gemiethet hatte und sich hier mit fürstlichem Glanze
-umgab.</p>
-
-<p>Eine reichgallonirte Dienerschaft empfing sie in der Einfahrt des
-Hauses und nachdem die Freunde vom Pferde gestiegen waren, schritten
-sie hinauf in eine der prachtvollsten Belletagen, welche Edmund jemals
-gesehen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_171" id="Seite_171">[171]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Neuntes_Kapitel"><b>Neuntes Kapitel.</b><br />
-
-<span class="s6">Die Thorheiten der Welt und die Leidenschaften des Herzens.</span></h2>
-
-</div>
-
-<p><span class="initial">E</span>dmund war in der That über die neuesten Verhältnisse im Hause seiner
-Schwester nicht unterrichtet. Heute Morgen hatte Cölestine mit
-ihrem Manne zum ersten Male sich in mehreren Häusern gezeigt. Dies
-Geschäft war nicht länger aufzuschieben. Das arme Ehepaar konnte den
-tausendfachen Machinationen, womit man in der vornehmen Welt ein Haus
-einzusprengen versteht, nicht ferner widerstehen. Sie seufzten, sie
-zürnten &mdash; aber sie mußten endlich nachgeben.</p>
-
-<p>Nirgends ist man ein größerer Sklave als in den Cirkeln, welche sich
-die guten nennen. Nicht in dem <em class="gesperrt">äußern</em> Zwange, dem man sich
-unterwerfen muß, liegt das Wesen der Sklaverei; nein<span class="pagenum"><a name="Seite_172" id="Seite_172">[172]</a></span> &mdash; sondern daß
-man hier unsere Seele, unser Herz, unsere heiligsten Empfindungen zu
-knechten versteht, das ist es, welches einen Salon mit dem untern
-Schiffsraum afrikanischer Küstenfahrer in eine Parallele stellt. Und
-bei Gott, sie fällt zum Vortheil der letzteren aus. Was liegt mir
-daran, ob man jenes Theil an mir, welches jeden Augenblick durch einen
-herabfallenden Dachstein &mdash; durch einen Trunk kalten Wassers, durch
-einen verfehlten Tritt vernichtet werden kann, mißhandelt, mordet.
-Hab’ ich es doch nie besessen, da ich es keine Stunde <em class="gesperrt">sicher</em>
-besaß. Aber jenes göttliche Theil in mir, welches unvergänglich und
-unvernichtbar ist.... jenes Theil, über das selbst Tod und Natur nichts
-vermag, zu knechten, zu quälen, zu peinigen, es an seiner erhabenen
-Entwicklung und in seinem geheiligten Streben zu hemmen &mdash; &mdash; diese
-Wunde schmerzt gewaltiger, ja, sie allein kann schmerzen &mdash; und nie
-werden wir sie ganz verschmerzen.</p>
-
-<p>Von dieser trüben Betrachtung war auch unser junges Ehepaar
-durchdrungen.... es war dies der Tropfen Wermuth, der sich stets in
-ihren vollen Freudenkelch mischte... Ach, <em class="gesperrt">ein</em><span class="pagenum"><a name="Seite_173" id="Seite_173">[173]</a></span> Tropfen ist
-hinreichend, das ganze Leben zu vergiften!</p>
-
-<p>Doch wer zum Schmerz geboren ist, entgeht demselben nicht; und
-unsere vornehmen Stände wissen in der That mehr von diesem Kapitel
-zu erzählen, als jene glücklichen, beschränkten armen Leute, deren
-Schicksal wir thörichter Weise beklagen. &mdash; Ach, geht doch hin in einen
-Salon und hebt diese glänzenden Decken, diesen goldnen Zierrath weg,
-welche Euch so sehr die Augen blenden: wie viel Elend und Jammer werdet
-ihr unter denselben finden. Ich weiß, daß ich hier eine alte Geschichte
-erzähle &mdash; &mdash; ich habe sie jedoch selbst erlebt und besitze das Recht,
-sie zu wiederholen.</p>
-
-<p>Und so mußten sich denn Cölestine und Alexander aus ihrer wärmsten,
-seligsten Umarmung reißen &mdash; mußten die süße Einsamkeit, diese Zeugin
-ihres jugendlichen Liebesglückes, verlassen, um den Ansprüchen einer
-erbarmungslosen Welt Genüge zu thun. Dahin waren jetzt die holden
-Stunden, welche Morgens beim Erwachen anfingen, um erst tief um
-Mitternacht zu enden! So ungetrübt und schrankenlos beglückend sollten<span class="pagenum"><a name="Seite_174" id="Seite_174">[174]</a></span>
-sie nie mehr wiederkehren. Dahin waren die Tage voll Sonnenschein &mdash;
-und die Nächte voll Sternenpracht! &mdash; dahin die stillen Gemächer,
-verhüllt mit dichten Vorhängen und mit eifersüchtigen Schlössern
-verriegelt!... dahin der Garten mit den treuen Boskets und der
-unzugänglichen Grotte!.. Alles, Alles, <em class="gesperrt">ihre</em> ganze Welt dahin,
-verschwunden, versunken wie ein fabelhaftes Land!... Von nun an gab es
-für sie nur eine laute, lebende, wilde, kalte, unverschämt zudringliche
-Welt: Salons mit offenen Thüren &mdash; Boudoirs mit durchsichtigen
-Gazevorhängen &mdash; Equipagen &mdash; Praterfahrten &mdash; Theaterabende &mdash; Bälle
-&mdash; Zorn &mdash; Aerger &mdash; Verläumdungen &mdash; Mißmuth &mdash; Verzweiflung oder &mdash;
-Verderbniß. &mdash;</p>
-
-<p>Dies Alles sah ihre ahnende Seele voraus und darum schien ihr der
-Abschied aus der Einsamkeit ein Abschied vom Leben:</p>
-
-<p>„Wie glücklich waren wir, mein Alexander!“ sagte das liebende Weib
-zärtlich, als er ihr mit schwerem Herzen verkündigte, daß Jenes
-geschehen müsse, was er selbst am schwersten fürchte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_175" id="Seite_175">[175]</a></span></p>
-
-<p>„O!“ rief er aus, seiner erlogenen Fassung nicht Meister bleiben
-könnend: „wir werden nimmer so selig sein! Cölestine, das Glück, was
-wir besaßen &mdash; kehrt nicht mehr so hold zurück! Dies ist ein Gedanke,
-der ein Menschenherz zerreißen könnte....“</p>
-
-<p>„Lass’ uns nicht verzagen!“ entgegnete sie sanft und legte ihren
-weichen Arm um seinen Nacken: „Warum sollen unsere süßen Stunden nicht
-ganz so wiederkehren? &mdash; Wir sind nicht für immerdar von einander
-geschieden. Trennt uns auch der Tag; der Abend, die Nacht führt uns
-ja wieder zusammen.... und dann unsere Seelen wissen nichts von jenem
-Zwang, sie werden stets beisammen sein!“</p>
-
-<p>So beruhigte sie ihn mit Worten, welche aus treuem, liebendem Herzen
-kamen &mdash; und er, er glaubte ihr so gerne. Wenn man liebt, wenn man
-anbetet &mdash; dann <em class="gesperrt">glaubt</em> man auch. Und es sind gerade die
-skeptischen, die mißtrauischen Naturen &mdash; welche im Augenblick der
-Leidenschaft und Liebe sich zur innigsten Ueberzeugung hinreißen
-lassen....</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_176" id="Seite_176">[176]</a></span></p>
-
-<p>Ist aber dieser Augenblick vorbei.... wird Liebe oder Leidenschaft auch
-nur durch den leisesten Windhauch verletzt: dann erwacht der Zweifel in
-diesen Herzen, und mit riesiger Gewalt reißt er sie zum Wahnsinn hin.</p>
-
-<p>Doch Alexander vertraute der Geliebten; er sah ja, daß sie nur in ihm
-und für ihn lebte... Nein, nein, er hatte noch nicht die geringste
-Störung empfunden an dem süßen Frieden seiner Seele. &mdash; &mdash; Ach, er
-liebte unaussprechlich!</p>
-
-<p>Wie gesagt, sie hatten bereits in mehreren Häusern Besuche gemacht.
-Ueberall waren sie mit einer Freude empfangen worden, der es an Worten
-nicht fehlte. Man sagte ihnen tausend schmeichelhafte Dinge &mdash; und
-Alexander war entzückt über die Komplimente, welche man seiner Gemahlin
-zu ihrem heitern, rosigen, reizenden Aussehen machte. Imgleichen vergaß
-man bei diesen Lobsprüchen auch seine Person nicht &mdash; nun glühten
-wieder die Augen Cölestinens im Feuer der Freude &mdash; ihre Wangen färbte
-holde Zufriedenheit, und sie sagte sich im Stillen:</p>
-
-<p>„Das Alles ist mein Verdienst! Denn ich habe ihn so gemacht, wie er
-jetzt ist.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_177" id="Seite_177">[177]</a></span></p>
-
-<p>Außerordentliches Aufsehen machte die naive Antwort, welche sie einer
-Dame auf die Frage gab: „An welchen Tagen in der Woche werden Sie Ihre
-Salons der Gesellschaft öffnen, meine Beste?“</p>
-
-<p>„Meine Beste,“ hatte Cölestine geantwortet: „ich weiß es noch nicht.“</p>
-
-<p>In weniger als vierundzwanzig Stunden war diese Aeußerung der jungen
-Frau in allen Häusern herumgekommen und überall rief man aus:</p>
-
-<p>„Ach, welche affektirte Einfalt! Man könnte es sogar einfältig nennen.“</p>
-
-<p>Und dies war es auch. Einfältig war es gesprochen &mdash; aber mit jener
-heiligen Einfalt, in der Gott unsere Herzen geschaffen hat. &mdash; Dieses
-liebevolle und glückliche Weib hatte wirklich noch nicht an Pflichten
-gedacht, die der Welt so <em class="gesperrt">überaus wichtig scheinen</em>, dem Herzen
-aber so wenig, daß es sie vergißt.</p>
-
-<p>In fünf bis sechs Tagen hatte das Ehepaar die Tour beendigt; die
-Equipage des Grafen A&mdash;x hatte so ziemlich in allen großen Straßen der
-Hauptstadt angehalten. &mdash; Aber damit war nur noch die Hälfte der Arbeit
-geschehen; denn jetzt<span class="pagenum"><a name="Seite_178" id="Seite_178">[178]</a></span> sollten die Besuche erwiedert werden, jetzt
-fuhren die fremden Equipagen colonnenweise vor dem Palais des Grafen
-auf.</p>
-
-<p>Und nun wurden die Augen mit jener unverschämten Neugier, die bis in
-den letzten Winkel dringt, in diesen Sälen umhergeworfen &mdash; &mdash; da gab
-es denn wieder Stoff zu Abhandlungen in bekannter Weise.</p>
-
-<p>Als man an dem Geschmack Cölestinens und ihres Gemahls nichts
-auszusetzen fand, kritisirte man die Pracht, und fragte sich mit
-allerliebster Albernheit: „Ist das wirklich Alles persisch, indisch
-und antik &mdash; was man uns da als solches gezeigt hat? Nicht, daß wir
-den ernsten Grafen A&mdash;x für fähig hielten, uns damit einen kleinen
-Schelmenstreich zu spielen.... sondern es ist möglich, daß man
-<em class="gesperrt">ihm</em> einen solchen gespielt hat. O, man versteht es jetzt
-vortrefflich, etrurische Vasen, pompejanische Candelabers und indische
-Draperien zu erzeugen, d. h. in Europa. O, man hat Beispiele! &mdash;“</p>
-
-<p>Glaube man ja nicht, daß das <em class="gesperrt">Verläumden</em> aus unseren neueren
-Salons ausgewiesen sei und von <em class="gesperrt">schlechtem Geschmack</em> zeige &mdash;
-wie<span class="pagenum"><a name="Seite_179" id="Seite_179">[179]</a></span> Herr <em class="gesperrt">Eugen Sue</em> uns versichern will. Es ist möglich und
-ich selbst kann mich dessen erinnern, daß man diesen Satz überall
-öffentlich <em class="gesperrt">ausspricht</em> &mdash; &mdash; aber man thut es nur, um ihn
-insgeheim <em class="gesperrt">um so weniger zu befolgen</em>. &mdash; Wir sind in dieser
-Hinsicht, wie in noch so mancher andern, beim Alten geblieben.</p>
-
-<p>Unsere Freunde: der Graf und die Gräfin von Wollheim, Herr und Frau von
-Porgenau, Fräulein von Bomben, die Stiftsdame &mdash; erschienen unter den
-ersten Gästen.</p>
-
-<p>Der Graf von Wollheim hatte vorzüglich deßhalb seinen Besuch so beeilt,
-weil er seit längerer Zeit seinen Busenfreund Edmund nicht mehr zu
-Gesichte bekommen, ihn in dessen Wohnung vergeblich gesucht und ganz
-sicher bei Cölestine zu finden gehofft hatte. &mdash; Leider sah er sich
-in seinen Erwartungen getäuscht und dies tobte fürchterlich in seinem
-Innern. Sein <em class="gesperrt">Durst</em> war nicht allein daran schuld, obgleich, nach
-seiner eigenen Behauptung, er diesen Durst nur in Compagnie mit seinem
-jungen Freunde und Schüler gehörig zu löschen verstand; in der That
-zog ihn wirklich das Herz &mdash; zu dem Letz<span class="pagenum"><a name="Seite_180" id="Seite_180">[180]</a></span>teren hin, den er nun schon
-seit so lange nicht fand. Im höchsten Grade wüthend, zog er sich in
-ausfallender Weise von der Gesellschaft zurück, ließ seine Frau sitzen
-&mdash; und begab sich allein aus dem Hause fort in ein Nebengebäude, wo,
-wie er wußte, die Jäger und Forstbedienten des Grafen haus’ten. Er
-setzte sich mitten unter sie &mdash; ließ Wein holen und fraternisirte mit
-ihnen, so, als befände er sich unter Brüdern. Natürlich, daß er nicht
-unterließ, sich zu betrinken, &mdash; in diesem Zustande nun ergriff er eine
-Flinte, hing Pulverhorn und Schrotbeutel um seine Schulter &mdash; trat in’s
-Wirthschaftsgebäude und schoß hier Sperlinge, Schwalben, Tauben, Hühner
-und Fasanen zusammen....</p>
-
-<p>Man mußte dem Jagdingrimm unseres Nimrod mit Gewalt Einhalt thun.</p>
-
-<p>Während dieser Zeit producirten die übrigen Originale ihre Künste
-eben im Salon der Gräfin Cölestine. Frau von Porgenau lachte sich die
-Kolik in den Leib über den fulminanten Humor ihres Gemahls, des sehr
-ehrenwerthen Herrn von Porgenau. Gräfin Wollheim erzählte<span class="pagenum"><a name="Seite_181" id="Seite_181">[181]</a></span> einige
-rührende Strickstrumpfgeschichten und brachte alle Augenblicke den
-Frauen-Hülfsverein zur Sprache, über den das Stiftsfräulein toller als
-je loszog:</p>
-
-<p>„Nicht nur meine Erfindung: die Composition aus Pech, Theer und
-Teufelsd&mdash;, nicht nur meine Fußangeln und Daumenschrauben, haben
-sie zurückgewiesen &mdash;“ sagte sie; „stellen Sie sich vor &mdash; &mdash; mich,
-mich selbst, das Stiftsfräulein von Bomben, mich selbst und meine
-Person wollten sie für die Zukunft zurückweisen, mich aus der Liste
-der Vereinsmitglieder streichen, mir Sitz und Stimme nehmen... Ist
-das erhört? &mdash; &mdash; Nein, bei Nero! so wurde noch Niemand für seine
-philanthropischen Bestrebungen belohnt!.. So in den Koth getreten wurde
-Tugend, Menschenfreundlichkeit und Erfindungsgeist noch nie &mdash; seit
-die Welt steht, seit es Fußangeln und warme Unterröcke gibt.... Aber,“
-fuhr die Biederfrau, glühend vor edler Entrüstung auf: „aber dies
-sollen sie mir auch büßen, jene liebenswürdigen Damen vom Comité! Sie
-sollen es büßen! &mdash; So wahr Dionysos sein <em class="gesperrt">Ohr</em> gebaut &mdash; so wahr<span class="pagenum"><a name="Seite_182" id="Seite_182">[182]</a></span>
-Heliogabalus seine <em class="gesperrt">Stühle</em><a name="FNAnker_C_3" id="FNAnker_C_3"></a><a href="#Fussnote_C_3" class="fnanchor">[C]</a> erfunden hat! Ich, ich sage das;
-ich schwöre es und bin <em class="gesperrt">Mann</em> genug, meinen Schwur zu halten.“</p>
-
-<p>Man ließ diese verfolgte Tugend ausreden, sodann aber schnitt man ihr
-das Gespräch für die ganze übrige Zeit dadurch ab, daß man Musik machte
-und Gesänge vortrug.</p>
-
-<p>Mit einem Male öffnete der Bediente die Thür und meldete die Namen
-<em class="gesperrt">Edmunds</em> und des <em class="gesperrt">Chevalier de Marsan</em>. &mdash;</p>
-
-<p>Bei der Nennung des Letztern entstand plötzlich eine athemlose Stille
-und alle Blicke richteten sich nach der Thür, durch welche jetzt die
-beiden jungen Männer eintraten. Jenes Gemurmel blieb nicht aus, welches
-bei solchen Gelegenheiten sich zu verbreiten pflegt &mdash; und welches für
-die angekommene Person, falls sie nicht Routine genug hat, eben so
-angenehm ist, wie das Gesumme eines heranziehenden Bienenschwarms für
-einen armen Teufel ohne Maske...</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_183" id="Seite_183">[183]</a></span></p>
-
-<p>Edmund stellte Cölestinen seinen Freund vor und dieser wurde von ihr
-mit jener liebenswürdigen Freundlichkeit aufgenommen, an welcher sie
-alle Welt theilnehmen ließ. Der Chevalier verweilte nicht lange in
-ihrer Nähe &mdash; er ließ sich sofort auch mit dem Grafen bekannt machen.
-Hier fand er die Behandlung, wie sie unter Männern von gutem Ton
-üblich ist; und es schien, als trachtete er auch nicht nach mehr; denn
-auch ihn verließ er alsbald, um sich mit Edmund nach einem Winkel
-zurückzuziehen, wo einige Herren sich mit politischen Discussionen
-unterhielten. Marsan stellte sich inmitten dieser Gruppen &mdash; er
-achtete auf nichts weiter &mdash; ihn schien nichts mehr in diesem Salon zu
-interessiren. &mdash;</p>
-
-<p>„Nun &mdash; haben Sie ihn gesehen? Was sagen Sie von ihm?“ begannen zwei
-Damen auf einer Ottomane mit Lorgnetts in der Hand, welche sie immer
-dahin richteten, wohin sie nicht sahen....</p>
-
-<p>Sie kennen doch die Taktik der Lorgnetten, meine Leserinnen? Man
-schielt darunter oder daneben weg &mdash; und Niemand weiß, wohin Sie
-blicken. &mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_184" id="Seite_184">[184]</a></span></p>
-
-<p>„Ach, theure Freundin,“ antwortete die Andere: „Was ich von ihm sage?
-&mdash; Er ist einer der schönsten Männer, die mir im Leben vorgekommen.“</p>
-
-<p>„Mich dünkt, er hält sich nicht ganz gerade.... Ich glaube, sein Wuchs
-würde die strengere Kritik nicht befriedigen...“</p>
-
-<p>„Im Gegentheil! Eben sein Wuchs ist unvergleichlich!“</p>
-
-<p>„Und auch sein Mienenspiel! Es ist zu lebhaft!“</p>
-
-<p>„Es ist südlicher Natur &mdash; meine Freundin!“</p>
-
-<p>„Allerdings.... aber wir hier im Norden!&mdash;“</p>
-
-<p>„Uebrigens hat Herr von Marsan, wie man mir sagte, allerorts die
-günstigsten Urtheile hervorgerufen...“</p>
-
-<p>„Allerorts? Ist Wien auch gemeint?“</p>
-
-<p>„Gewiß.“</p>
-
-<p>„So bedaure ich, daß ich eine Ausnahme mache; allein ich halte den
-Chevalier nicht im Geringsten für verführerisch &mdash; hahaha!“</p>
-
-<p>„Man spricht indeß von seinen Siegen, die er über die stolzesten Herzen
-davon getragen &mdash;“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_185" id="Seite_185">[185]</a></span></p>
-
-<p>Hierauf hatte die Andere nur ein mitleidiges Lächeln....</p>
-
-<p>Da ward dieses Gespräch durch den Herzutritt einer dritten Dame
-unterbrochen, welche sich mit der Lobrednerin des Chevaliers in ein
-Gespräch einließ. Sogleich fing die zweite, welche früher so viel Tadel
-über ihn ausgegossen, an mit ihrer Lorgnette zu manövriren, wie oben
-angegeben...</p>
-
-<p>Die Gute richtete das Glas beständig nach dem Klavier, welches in der
-Mitte des Salons stand &mdash; ihre Augen indeß schweiften beständig um die
-Gruppe, welche seitwärts war und in welcher Gruppe sich Marsan befand.</p>
-
-<p>Edmund verließ seinen Freund nicht. Augenscheinlich jedoch schien
-er von diesem zurückgehalten, &mdash; selbst Cölestinen, der geliebten
-Schwester, hatte er sich noch nicht zum zweiten Male genähert. Sie war
-indeß von anderen Personen so zahlreich occupirt, daß sie den Bruder
-kaum entbehrte. Nur nach Alexander warf sie von Zeit zu Zeit Blicke,
-deren zärtlicher Ausdruck immer ungestümer zu sagen schien:</p>
-
-<p>„Ach, wäre nur dieser Tag schon zu Ende!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_186" id="Seite_186">[186]</a></span></p>
-
-<p>Er war darüber glücklich wie ein König; und dieses Glück im Herzen, wie
-sollte er seiner Umgebung nicht liebenswürdig erschienen sein. In der
-That hieß es allenthalben:</p>
-
-<p>„Aber haben Sie den Grafen A&mdash;x je so gesehen, wie heute? Er ist ein
-ganz Anderer geworden.“</p>
-
-<p>„Die Ehe scheint ihm sehr wohl zu bekommen.“</p>
-
-<p>„Ein düsterer Timon hat sich da zu einem Ausbund von Artigkeit und
-Galanterie verwandelt. Haben Sie je früher bemerkt, daß er sich mit
-einer fremden Person länger als zwei Minuten unterhalten hätte? und
-heute amüsirt er eine Gesellschaft von zehn bis zwölf Personen so
-unvergleichlich &mdash; daß sie seine Nähe nicht verlassen, die nichts als
-Frohsinn und Heiterkeit zu verbreiten scheint...“</p>
-
-<p>„O &mdash; meine Herren,“ sagte ein dritter; es war dies ein Jüngling, der
-für sehr unternehmend galt und ungeheuer viel Erfahrungen gesammelt
-haben sollte: „man muß in dieser Zeit <em class="gesperrt">heirathen</em>... damit ist
-<em class="gesperrt">Alles</em> gesagt, d. h. <em class="gesperrt">Alles gethan</em>. Sie glauben, gewisse
-Menschen mache die Liebe glücklich, die sie in der Ehe fin<span class="pagenum"><a name="Seite_187" id="Seite_187">[187]</a></span>den &mdash; es
-zeigt sich jedoch, daß sie blos das <em class="gesperrt">Geld</em> glücklich gemacht
-hat... Bei Andern ist es umgekehrt. Was endlich die dritten betrifft,
-so wissen sie selbst nicht, weßhalb sie nach ihrer Verheirathung
-glücklicher sind &mdash; als vor derselben.... Es gibt Leute, denen man
-allerhand in den Kopf setzen kann.... haha!“ Der Jüngling lachte
-äußerst selbstgenügsam.</p>
-
-<p>„Es scheint jedoch nicht &mdash; daß Graf A&mdash;x unter Ihre dritte Classe
-gehört, mein Lieber!“ versetzte einer der Vorigen: „Dieser Graf scheint
-recht gut zu wissen, <em class="gesperrt">was er besitzt</em>.“</p>
-
-<p>„Ich hatte auch nicht die entfernteste Absicht, hier <em class="gesperrt">ihn</em> zu
-meinen; dies schwöre ich.“</p>
-
-<p>Das waren Worte eines Thoren, die jedoch im Leben sehr oft in Erfüllung
-zu gehen pflegen; denn das Leben ist ein großer Freund jener Ironie,
-die uns oft Thränen, nicht selten das Leben selbst kostet. &mdash;</p>
-
-<p>Trotzdem, daß die Gesellschaft schon wider Vermuthen zahlreich geworden
-war, vermehrte sich dieselbe noch mehr durch immer neu hinzukommende
-Individuen, worunter mehrere zum ersten Male der Gräfin vorgestellt
-wurden. &mdash;<span class="pagenum"><a name="Seite_188" id="Seite_188">[188]</a></span> Das ist bei Eröffnung eines Hauses nicht ganz in der
-Ordnung, indeß, was läßt sich dagegen thun? &mdash; Da stiegen denn
-Physiognomien im Salon umher, wie sie Cölestine gewiß nicht freiwillig
-um sich versammelt hätte, &mdash; Physiognomien, die für den Griffel eines
-Granville oder Phiz von unbezahlbarem Werthe gewesen wären...</p>
-
-<p>Unter diese Physiognomien und Subjekte hatte sich auch Eines
-hereingeschlichen, welches, gleich nachdem es eingetreten war, sich
-rasch hinter einer Versammlung verlor &mdash; an der Wand hinhuschte, immer
-das dichteste Gedränge, ja selbst Möbeln wählend, um sich dahinter zu
-verstecken... Dieser Mensch trug einen dichten und dunklen Backenbart,
-der ihm das halbe Gesicht bedeckte &mdash; und der, wiewohl das schwer zu
-erkennen war, ein falscher schien; ferner hatte er Brillen vor den
-Augen und eine dunkle Tour auf dem Kopfe; auch sein Anzug war nicht
-sein gewöhnlicher; kurz dieser Mensch schien um eines besondern Zweckes
-willen sich maskirt und in diese Gesellschaft eingeschlichen zu haben.</p>
-
-<p>Wie er so hinstrich, lauerte und hastig umher blickte, hätte man ihn
-für den bösen Geist<span class="pagenum"><a name="Seite_189" id="Seite_189">[189]</a></span> nehmen können, der unsichtbar die Gesellschaft
-umschwebte.</p>
-
-<p>Allem Anscheine nach war es ein noch junger Mensch.</p>
-
-<p>Jetzt hatte sein Falkenblick die Person Cölestinens erspähet und hing
-an ihr fest wie an einer langgesuchten Beute... von diesem Augenblick
-verließ er sie nicht; er beobachtete jedes Zucken ihrer Augenbrauen,
-jedes Mienenspiel ihres Gesichtes. &mdash; Immer durchdringender ward
-sein Blick &mdash; immer finsterer und wilder. &mdash; Endlich schien eine Art
-schadenfrohen Lächelns um seinen Mund zu spielen, er murmelte vor sich
-hin:</p>
-
-<p>„So ist es schon recht. Sie sitzt allein, umgeben von fremden Menschen,
-die sie jedoch alle weit mehr zu interessiren scheinen, als ihr eigner
-Gatte. &mdash; Der Thor! Warum ging er in die Schlinge! &mdash; Hätte er nicht
-wissen können, &mdash; daß sie seine, wie jede andere Liebe mit &mdash; Verrath
-vergelten wird?“ Und seine Augen, die vorhin starr nach ihr allein
-geblickt hatten, bewegten sich nun, rasch wie der Blitz, im ganzen
-Saale umher... Er lachte bitter &mdash; drückte sich<span class="pagenum"><a name="Seite_190" id="Seite_190">[190]</a></span> fester hinter einen
-Fenstervorhang, der ihn den Blicken völlig entzog und sah von hier aus
-mit teuflischem Grinsen dem Treiben der Gesellschaft zu, jedoch nicht
-ohne von Zeit zu Zeit Cölestine wieder ins Auge zu fassen, die für ihn
-stets der Mittelpunkt, ja, der einzige Punkt in dieser kleinen Welt zu
-sein schien....</p>
-
-<p>Doch sie sollte es nicht lange bleiben. Mitten in seinem dumpfen
-Hinstarren zuckte er jetzt plötzlich, als wäre ein Pfeil vor ihm
-niedergefahren, zusammen: &mdash; &mdash; sein Blick hatte den <em class="gesperrt">Chevalier von
-Marsan</em> erspähet.</p>
-
-<p>Dies hatte nun an sich freilich nicht viel Bedeutendes; die einfache
-Person des Chevaliers konnte unsern Geheimnißvollen nicht mehr wie jede
-andere von den tausend Millionen Personen, welche diesen unsern Globus
-bevölkern, interessiren. Die Person also war es nicht, und zudem kannte
-er den Chevalier nicht einmal....</p>
-
-<p>Es war gleichfalls ein Blick gewesen, der ihn so entsetzlich
-niederschmetterte; es war ein Blick voll heißen Feuers, welchen der
-Chevalier, der sich unbeobachtet wähnte, nach Cölestine geworfen. &mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_191" id="Seite_191">[191]</a></span></p>
-
-<p>Sie jedoch hatte nichts davon bemerkt; sie hatte keine Ahnung von dem,
-was außer dem engen Kreis, der sie in diesem Augenblick umschloß und
-wozu auch ihr Gemahl gehörte &mdash; im Salon vorging... sie war unschuldig
-an den Anschlägen, welche von zweifacher Seite gegen sie geschmiedet
-wurden.</p>
-
-<p>Der Vermummte schien in diesem Augenblick mit sich heftig zu kämpfen,
-welchem von den Zweien er seine Aufmerksamkeit schärfer, beharrlicher,
-durchdringender, wuthvoller zuwenden sollte: Cölestinen oder dem
-Chevalier. Er glich einer Schlange, die zwei Opfer vor sich sieht
-&mdash; beide verschlingen möchte und daher mit keinem den Anfang machen
-will, weil sie fürchtet, das andere möchte ihr inzwischen entgehen.
-Ein Fieber hatte ihn ergriffen und schüttelte an seinen Gebeinen, daß
-diese an die Fensterwand anschlugen, wie hölzerne Klöppel... er konnte
-sich kaum mehr halten und drohte vor Zorn und Ohnmacht jeden Augenblick
-niederzusinken...</p>
-
-<p>„O wäre es möglich,“ bebte es von seinen bleichen Lippen: „Wäre es kein
-bloßes Kindermährchen: ich würde in diesem Augenblick jenem<span class="pagenum"><a name="Seite_192" id="Seite_192">[192]</a></span> Satan und
-seiner höllischen Macht gerne meine halbe Seligkeit verschreiben &mdash;
-&mdash; könnte ich damit nur den Elenden dort von der Erde wegblasen, oder
-tausend Meilen weg von hier versetzen....“</p>
-
-<p>Er hatte Marsan gemeint, Marsan, der jetzt in einer Ecke saß, den
-Rücken gegen die Gräfin gekehrt, die er jedoch in einem Spiegel vor
-sich erblickte, ganz so wie ein Bild in einem Rahmen, &mdash; und von
-welcher er kein Auge verwandte &mdash; in deren Zügen, in deren Geberden, in
-deren Bewegungen und Worten (denn auch diese schien er aus der Bewegung
-ihrer Lippen zu errathen) er las &mdash; wie in einem Buche, mit dessen
-Inhalt er sich gänzlich vertraut machen wollte.</p>
-
-<p>Die Gesellschaft fing endlich an sich zu zerstreuen. Alles ging nach
-Hause; auch Herr von Marsan verließ an Edmund’s Arme den Salon. Der
-Vermummte war nicht der Letzte; mit wildem Widerstreben, aber gezwungen
-von unerbittlicher Nothwendigkeit, hatte er, wie er gekommen war, sich
-fortgeschlichen. Während alle Uebrigen nach der Stadt ihren Weg nahmen,
-verfolgte<span class="pagenum"><a name="Seite_193" id="Seite_193">[193]</a></span> er einen Pfad nach dem Augarten. Hier langte er noch vor der
-Thorsperre an &mdash; verlief sich in entfernte, waldige Partieen &mdash; warf
-sich im Dunkel der Gebüsche auf die Erde nieder und &mdash; verbrachte hier
-die Nacht.</p>
-
-<p>Er hatte sie im heftigsten Fieber &mdash; im Wahnsinn von hundert
-Leidenschaften: in Liebe, Eifersucht, Verzweiflung, Wuth und Rachsucht
-hingebracht. &mdash;</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>„O mein Alexander!“ rief Cölestine, als sie sich in ihrem Hause mit dem
-geliebten Manne wieder allein fand: „So ist endlich Alles vorbei &mdash;
-alles Schale und Traurige vorüber &mdash; und nur die Freude ist geblieben.
-Wir haben uns jetzt wieder &mdash; wir können wieder glücklich sein, und
-was wir so lange entbehren mußten, ersetzt das gütige Schicksal in
-diesen Augenblicken uns in doppelter Fülle.... So komm denn, theurer
-Gatte, Mann meiner Wahl, komm an mein Herz &mdash; und lass’ mich wieder die
-Schläge des Deinigen hören.... Lass’ uns eilen, lass’ zur geheimsten
-und einsamsten Stätte unserer Liebe uns flüchten &mdash; und nicht eher
-werde sie<span class="pagenum"><a name="Seite_194" id="Seite_194">[194]</a></span> verlassen, als bis uns eine tyrannische Gewalt von ihr
-wegreißt. &mdash;“ Sie bot ihm ihre Lippen dar und er hing sich daran,
-saugte an ihnen, wie ein Insekt an dem Kelche einer Blume. &mdash;</p>
-
-<p>Fürwahr, diese zwei Menschen genossen eines Liebesglücks, wie es nicht
-mehr begehrenswerther kann gefunden werden. &mdash; &mdash;</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_195" id="Seite_195">[195]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Zehntes_Kapitel"><b>Zehntes Kapitel.</b><br />
-
-<span class="s6">Ernste und heitere Zwischenszenen.</span></h2>
-
-</div>
-
-<p><span class="initial">A</span>llein wir haben eine sehr ehrenhafte Person dieser Geschichte gänzlich
-aus den Augen verloren und beeilen uns daher, sie wieder aufzusuchen,
-um uns auch nach ihrem Schicksale zu erkundigen und dies um so mehr,
-als dasselbe in letzterer Zeit sehr traurig sich zu gestalten anfing.
-Was kann es auch Lustiges um eine <em class="gesperrt">Erkältung</em> oder gar um eine
-<em class="gesperrt">polizeiliche Vorladung</em> sein; und beide diese Schläge trafen
-doch, wie wir wissen, zu gleicher Zeit das Haupt Althings, unseres
-Bruders Althing, des großen Herzenstyrannen und Weiberbesiegers
-Althing! &mdash; O wie seufzte er unter diesen Schlägen auf, der Arme.
-Fürwahr, so hat noch Niemand geseufzt! Man hörte ihn bis in’s dritte
-Nachbarhaus hinüber.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_196" id="Seite_196">[196]</a></span></p>
-
-<p>Mit der Erkältung war es noch so ziemlich gegangen; einige Gläser
-Essenz, (ein Artikel, welchen Althing zu Hause in allen Sorten und zu
-allen möglichen Zwecken: Aufregungen und Dämpfungen besaß) hatten auf
-seinen dicken Leib die wohlthätigste Wirkung geäußert;... allein die
-Polizei, die Polizei! Diese war dem Armen viel gewaltiger in den Leib
-gefahren, als die Kälte.</p>
-
-<p>Die Sache war, daß unser Dicker mit ihr zum ersten Male in Berührung
-kam; und Jedermann weiß doch, wie ängstliche Menschen ein Uebel,
-welches sie noch nicht kennen, für weit furchtbarer halten, als es
-wirklich ist. Althing dachte schon, man würde ihm auf dem Polizeibureau
-die <em class="gesperrt">eiserne Jungfrau</em> zu küssen geben, und ein so großer Freund
-der Jungfrauen er im Ganzen auch war &mdash; vor dieser hatte er doch sehr
-großen Respekt. &mdash;</p>
-
-<p>Wie glücklich war er daher, als nach angestelltem Verhör ihm bedeutet
-wurde, er sei verurtheilt, 10 Gulden zu bezahlen und einen Verweis zu
-bekommen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_197" id="Seite_197">[197]</a></span></p>
-
-<p>„O tausend Verweise, wenn Sie wollen, meine Herren!“ hatte er in seiner
-entzückten Dummheit gerufen; und in der That, es war ihm ein Leichtes
-mit dem Verweis: er hörte ihn nicht. Ach, seine Phantasie flog schon
-wieder auf den Straßen der schönen Kaiserstadt und in den 2ten, 3ten,
-4ten, 5ten und 6ten Etagen umher.</p>
-
-<p>Er war kaum aus dem Polizeihause getreten, als er sich schon auf’s
-Casino verfügte, um da eine körperliche Restauration mit sich
-vorzunehmen: er aß und trank jedoch so eilfertig, als beabsichtige er
-irgend eine Flucht. Wirklich stürzte er auch, noch mit dem letzten
-Bissen im Munde, hinaus &mdash; &mdash; um dem ersten Dämchen, das ihm begegnen
-würde, die Begleitung seiner holden Persönlichkeit anzubieten.</p>
-
-<p>War es Zufall oder Schicksalsfügung &mdash; (wir haben es schon irgendwo
-bemerkt, daß dies zwei Benennungen für <em class="gesperrt">eine</em> Sache seien)
-er stieß &mdash; und das beinahe mit der Nase &mdash; zuerst auf jenes böse
-Wesen, um derentwillen er alle letzteren Schläge erlitten hatte; um
-derentwillen er bei Daum compromittirt, im tiefen Graben begossen
-und endlich von der Polizei aufgegriffen und<span class="pagenum"><a name="Seite_198" id="Seite_198">[198]</a></span> verurtheilt worden....
-dieses reizend-verhängnißvolle Wesen stand schon wieder vor ihm. Er
-besann sich einen Augenblick, denn er fühlte sich wirklich ein wenig
-consternirt. Aber unser Mann wurde bei solcher Gelegenheit zuletzt
-immer entschlossener, als ein Türke: „Ah! Bah!“ murmelte er unter
-seinem gefärbten Schnurbart: „das sind Possen, was mir da einfällt! Es
-gibt kein Fatum &mdash; kein Omen! Es gibt in der Welt nur Gewißheiten, und
-nichts ist mir reellere Gewißheit, als ein hübsches Schürzchen. Darum
-&mdash; ohneweiters dieser da nach, Freund Althing! &mdash; und hat sie dich auch
-früher in die Patsche geführt &mdash; vielleicht wird sie dir’s jetzt um so
-süßer vergelten. Die Weiber haben ein mitleidiges Herz... namentlich
-bei Männern von einem gewissen Aussehen!“ Noch ehe er diesen Satz
-beendigte, hatte er sie schon eingeholt: „Mein schönes Kind,“ fing er
-an und watschelte an ihre linke Seite: „erkennen Sie mich noch?“ Die
-Grisette antwortete nicht und setzte rasch ihren Weg fort.</p>
-
-<p>„Ei,“ begann er wieder: „Sie thun, als ob Sie mich in Ihrem Leben
-niemals gesehen hätten! Das ist ein wenig stark! Blicken Sie mich doch<span class="pagenum"><a name="Seite_199" id="Seite_199">[199]</a></span>
-ein Bischen an &mdash; vielleicht wird Ihnen (wenn nicht Ihr Herz, doch) Ihr
-Auge Etwas sagen.“</p>
-
-<p>„Ich wüßte nicht,“ lachte das Mädchen, „was mir mein Auge sagen sollte!“</p>
-
-<p>„Wie? Sie wissen es wirklich nicht? Nun, mein Täubchen &mdash; versuchen
-Sie’s doch nur ’mal. Vielleicht werden Sie finden, daß ich für Sie
-keine fremde Person mehr bin, &mdash; hm, hm!“</p>
-
-<p>Dieses „Hm, hm“ hatte Althing ertönen lassen, weil er so eben wieder
-mit seinen Sporren hängen geblieben war und seine Beinkleider tüchtig
-ausgerissen hatte. Jedoch es war jetzt nicht die Zeit, an Kleiderrisse
-&mdash; es war vielmehr die Zeit, an Herzensrisse zu denken und er fuhr fort:</p>
-
-<p>„Sie dürften am Ende doch noch finden, mein Schätzchen &mdash; daß ich
-derselbe Herr bin, welchem Sie da neulich bei Daum’s Kaffeehause ein
-Rendezvous gegeben &mdash; &mdash; ein Rendezvous, was mir, bei Gott, theuer
-genug zu stehen gekommen; Sie dürften ferner finden, daß ich auch
-derselbe Herr bin, der Ihnen auf dem tiefen Graben nachgegangen &mdash;
-dem Sie die Hausthüre vor der Nase zugeschlagen &mdash; &mdash; und zuletzt
-noch als<span class="pagenum"><a name="Seite_200" id="Seite_200">[200]</a></span> <em class="gesperrt">höchstes</em> Liebeszeichen vom 6ten Stockwerk den Inhalt
-eines Gefäßes auf den Kopf gegossen haben &mdash; das Alles dürften Sie
-finden. Und doch, meine Theuerste, ist das Alles &mdash; bei weiten
-nicht das ganze Alles. Da kann ich Ihnen noch mit einigen andern
-Aufopferungsgeschichten aufwarten: so zum Beispiel, daß ich mir
-aus Liebe zu Ihnen eine Erkältung zuzog, aus welcher ein heftiges
-Nervenfieber entstand &mdash; ferner, daß ich von der Polizei in Beschlag
-genommen und wie ein blutiger Verbrecher behandelt wurde, &mdash; das
-Alles und noch unzähliges Andere habe ich für Sie erduldet, getragen,
-gelitten, mein reizendes Kind.... und mit gutem Gewissen kann ich
-hinzusetzen, gelitten wie ein Mann, wie ein Held! Und jetzt frage ich
-Sie: wollen Sie noch immer so thun, als kennten Sie mich nicht; als
-wäre ich für Sie nichts? &mdash; Antworten Sie, Holdeste!“</p>
-
-<p>„Nun wohl,“ versetzte das Mädchen, die seiner ganzen früheren
-Schmerzengeschichte unter anhaltendem Kichern und Gelächter zugehört
-hatte: „so will ich Ihnen denn sagen, mein Herr &mdash; daß Sie der
-unausstehlichste und zudringlichste alte Mensch sind, der mir je
-vorgekommen!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_201" id="Seite_201">[201]</a></span></p>
-
-<p>„Was?“ schrie Althing, wie gelähmt stehen bleibend und sie am Arme
-ergreifend: „Was unterstehen Sie sich da?“</p>
-
-<p>„Lassen Sie mich los!“ schrie sie: „oder ich rufe um Hilfe! &mdash; Ja, ja,
-ich will es Ihnen nochmals wiederholen: noch niemals habe ich einen
-überlästigeren Menschen gefunden, als Sie. Was haben Sie nöthig, mich
-beständig zu verfolgen?... Alles was Sie bei mir erreicht zu haben oder
-zu erreichen glauben, ist pure Einbildung. &mdash; &mdash; Erstens habe ich Ihnen
-niemals eine Bestellung gegeben....“</p>
-
-<p>„Wie &mdash; Sie haben mich nicht zu Daum bestellt?...“</p>
-
-<p>„Ich weiß kein Wort davon.“</p>
-
-<p>„Sie sagten ja, Sie würden dort um 2 Uhr Nachmittags vorüber gehn.“</p>
-
-<p>„&mdash; Ich sagte das, um Sie los zu werden, als Sie mir nicht auf andere
-Art vom Halse gehen wollten....“</p>
-
-<p>„Ah, so also?“</p>
-
-<p>„Ja, ganz so.“</p>
-
-<p>„&mdash; &mdash; Indeß &mdash; indeß gingen Sie gleichwohl bei Daum vorbei.“</p>
-
-<p>„Aber nicht um 2 Uhr.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_202" id="Seite_202">[202]</a></span></p>
-
-<p>„Was schadet das: um 2 oder 12 Uhr, das ist gleich. Ich war einmal dort
-und wollte Ihnen eben folgen &mdash;“</p>
-
-<p>„Dies wäre Ihnen schlecht bekommen.“</p>
-
-<p>„Weßhalb, mein Fräulein?“</p>
-
-<p>„Weil der Obermarqueur, der mein Geliebter ist, Sie am Rockschoße hielt
-&mdash; und &mdash;“</p>
-
-<p>„Ach! Ach!“ fuhr Althing auf: „jetzt begreife ich den ganzen
-Zusammenhang. Jener unverschämte Bengel oder Marqueur war also Ihr &mdash;
-&mdash; Geliebter! Darum wollte der Kerl mich durchaus nicht fortlassen &mdash;“</p>
-
-<p>„Bis Sie bezahlt hätten; das ist so Weltgebrauch....“</p>
-
-<p>„Allein &mdash; Mademoiselle, für diesen Weltgebrauch habe ich Ihrem holden
-Geliebten einen Fußtritt versetzt &mdash; hahaha!“</p>
-
-<p>„Und er gab Ihnen denselben zurück, hahaha!“</p>
-
-<p>„Er empfing von mir annoch eine Ohrfeige...“</p>
-
-<p>„Und er blieb Ihnen auch diese nicht schuldig, hahaha!“</p>
-
-<p>„&mdash; O &mdash; aber, meine Theure, glauben Sie mir, es beweis’t einen sehr
-schlechten Geschmack, einen Marqueur zum Geliebten zu haben...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_203" id="Seite_203">[203]</a></span></p>
-
-<p>„Der Geschmack ist verschieden. Was mich betrifft, so ist mir ein
-hübscher Marqueur viel lieber &mdash; als ein häßlicher alter Geck.... Ich
-habe in dieser Hinsicht den Geschmack so mancher Fürstin und brauche
-mich seiner also nicht zu schämen...“</p>
-
-<p>„Allein...“</p>
-
-<p>„Allein, mein Herr, ich erlaube mir Ihnen zu bemerken, daß dies
-Gespräch mich bereits dermaßen langweilt &mdash; daß ich, sofern Sie mich
-nicht augenblicklich verlassen, ernstlich auf Mittel denken werde,
-mich von Ihnen zu befreien.... Ah, dort sehe ich meinen Freund! Es ist
-<em class="gesperrt">Franz</em>, der Polizeikorporal. &mdash; &mdash; Heda! Herr Franz! Herr Franz,
-hören Sie!“</p>
-
-<p>„Um Gotteswillen!“ rief der Dicke erbleichend und einen Satz seitwärts
-machend, daß er von der Grisette weg bis mitten auf die Straße gerieth:
-„verschonen Sie mich mit Ihrem Freund! &mdash; Von dieser Gattung Freunde
-habe ich schon genug erfahren!...“ Und ohne sich weiter lange zu
-bedenken, machte unser Liebesheld schnell noch einen Satz, welcher ihn
-bis zur andern Seite der Straße brachte &mdash; ließ Liebe, Leidenschaft
-und<span class="pagenum"><a name="Seite_204" id="Seite_204">[204]</a></span> Zärtlichkeit im Stich und schlug eilends einen Weg ein, der
-entgegengesetzt von demjenigen war, welcher die Grisette mit ihrem
-„Freunde“ zusammenführte.</p>
-
-<p>„Teufel!“ meinte Althing, als er endlich nach langem Rennen sich in der
-Gegend der Piaristen in Sicherheit fand &mdash;: „Teufel! dieses Mädchen
-hat aber auch ganz kuriose Freundschaften: Marqueurs, Polizeikorporale
-und ähnliche Staatsmänner.... da bleibe ich, aufrichtig gesagt, recht
-gern aus dem Spiele. &mdash; Allein, was man auch sagen mag,“ fuhr er fort,
-„sie bleibt doch eine ganz allerliebste Hexe &mdash; und wäre nur wenigstens
-der verdammte Polizeikorporal nicht &mdash; ich glaube, sie würde mir noch
-immer den Kopf verdrehen können.... Allein, so wie die Sachen stehen,
-bin ich freilich vollkommen geheilt und preise mein Schicksal, das
-mir zum zweiten Male beistand gegen Anfechtungen der Polizei....
-Jedoch in Zukunft will ich mich auch in Acht nehmen und nicht mehr so
-hineinstürmen in’s Leben und in die Liebe. &mdash; Alle Donner! mein lieber
-Althing &mdash; Du hast freilich auch ein viel zu hitziges Temperament!
-Das Jugendblut schäumt<span class="pagenum"><a name="Seite_205" id="Seite_205">[205]</a></span> noch zu sehr in Deinen Adern! Du mußt Dich
-gewöhnen, kälter, hartherziger, stolzer zu werden.... Dann werden Deine
-Siege sich verdreifachen &mdash; wiewohl, was ihre Zahl betrifft, Du mit
-ihnen auch jetzt nicht eben unzufrieden zu sein brauchst &mdash; haha!“ Er
-fing an seine Schritte zu mäßigen; jetzt machte er die Bemerkung, daß
-die Menschen, bei denen er vorbeikam, Blicke nach ihm warfen: „Was hat
-das zu bedeuten?“ fragte er sich. &mdash; „Nun, nun &mdash; was wird es wohl zu
-bedeuten haben? Sie sehen Dich an, mein guter Althing, das ist Alles.
-&mdash; Die Liebe hat so eben Deine Wangen geröthet, &mdash; Dein Auge glänzt
-noch im höhern Feuer, alle Muskeln Deines Körpers zeigen eine gewisse
-Elastizität: es ist kein Zweifel, Du imponirst diesen Leuten &mdash; sie
-bewundern Deine Gestalt &mdash; Deinen Reiz.“ &mdash; Er fuhr selbstgefällig
-fort: „Das, was man nicht von Natur hat, kann man sich nicht selber
-geben. Die Schönheit ist ein Geschenk Gottes.... Man kann sie nicht
-erwerben. &mdash; Wie muß ich über so manchen armen Teufel lachen, der
-von dem Allerhöchsten in dieser Hinsicht weniger bedacht ward &mdash; wie
-muß ich über seine<span class="pagenum"><a name="Seite_206" id="Seite_206">[206]</a></span> Anstrengung lachen, sich schöner zu machen, als
-er ist... Ach, mein Guter, sag’ ich ihm dann: lass’ das! alle Mühe
-ist hier vergebens. Du wirst nie ein erträgliches Gesicht zu Stande
-bringen, &mdash; alle Deine Salben, Pomaden und Schminken nützen Dir zu
-nichts. Bei uns hingegen thut es einfaches Brunnenwasser &mdash; ein bischen
-Seifenschaum dazu! Wir sind in dieser Hinsicht wie unsere Göttin: die
-holde Venus. Ihre und unsere Reize steigen fertig aus Wasser und Schaum
-hervor. &mdash;“</p>
-
-<p>„Aber zum Guckuk &mdash; &mdash; was sehen mich denn diese Menschen gar so
-sehr an, und einige lachen noch dazu?... Sollte meine Gestalt heute
-ungewöhnlich verführerisch sein?... Ach, sie werfen ihre Blicke nach
-meinen Beinen... haha! Ja, unsere Beine!... Alle Donner!“ fuhr er
-plötzlich auf, nachdem er seine stolzen Blicke hinabgerichtet hatte auf
-seine Füße: „Was ist da mit meinen Beinkleidern geschehen? &mdash; Sie sind
-lauter Fetzen! &mdash; &mdash; O verfl&mdash; Sporren! O Unglück! &mdash; O entsetzliches
-Unglück!“ Und er lief so schnell er vermochte in den offenen Thorweg
-eines Hauses hinein &mdash; einige Gassenjungen aber,<span class="pagenum"><a name="Seite_207" id="Seite_207">[207]</a></span> die ihm beständig
-gefolgt waren, stellten sich draußen vor dem Thore auf und erhoben ein
-lautes Geschrei:</p>
-
-<p>„Wohnt kein Tandler hier! Wohnt kein Tandler<a name="FNAnker_D_4" id="FNAnker_D_4"></a><a href="#Fussnote_D_4" class="fnanchor">[D]</a> hier! Es will Einer
-eine alte Hose verkaufen! Eine Hose! Eine Hose!“</p>
-
-<p>Althing schwitzte drinnen dicke Tropfen. Er fand sich schon wieder
-in einer fürchterlichen Klemme. Das Schicksal hörte nicht auf ihn zu
-verfolgen.... und womit hatte er es denn verdient?</p>
-
-<p>Da führte dasselbe plötzlich einen leeren Fiaker vorbei. Dies war eine
-große Gnade vom Schicksal. Althing rief den Fiaker an und dieser lenkte
-seinen Wagen dicht vor den Thorweg. So stieg denn unser Unglücksmann
-unter dem Jauchzen von dreißig Jungen ein, die ein Vivat um’s andere
-riefen, daß ihm dabei die Sinne vergingen.</p>
-
-<p>„Wohin befehlen Euer Gnaden?“ hatte der Kutscher schon mehrmals
-gefragt, ohne daß es von dem Dicken vernommen worden wäre.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_208" id="Seite_208">[208]</a></span></p>
-
-<p>„In die nächste Straße,“ sagte er endlich: „vor das Palais des Generals
-von Randow &mdash; mein Freund.“</p>
-
-<p>„Wie &mdash; Euer Gnaden wollen in diesem Aufzuge dem Herrn General eine
-Visite machen? &mdash;“</p>
-
-<p>„Bewahre Gott, bewahre Gott!“ seufzte Althing: „ich will bloß zu
-seinem Sohne &mdash; der mein Freund ist und zum Glück hier nahe bei dem
-Schauplatze meines Unglücks wohnt &mdash; zu ihm will ich mich begeben. Er
-wird mich einstweilen mit andern Beinkleidern versorgen...“</p>
-
-<p>„Ah &mdash; das ist etwas Anderes, und Euer Gnaden thun daran sehr
-recht; denn in diesem da &mdash; sehen Sie gerade so aus, wie der Herr
-<em class="gesperrt">Knieriem</em> im Lumpacivagabundus. - Hott, Brauner! hott! &mdash;“</p>
-
-<p>Der Wagen hielt vor dem Palais. Wie aber hineingelangen? Das ganze Haus
-mußte den Unglücklichen und seine Beinkleider sehen. Es war eine neue
-Schlinge, die ihm das boshafte Schicksal legte.... Da fiel dem Fiaker
-plötzlich ein großer Gedanke ein (die Fiaker sind geborne Genies!):</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_209" id="Seite_209">[209]</a></span></p>
-
-<p>„Wissen’s was, Euer Gnaden?“ sagte der Bursche.</p>
-
-<p>„Nun?“ spitzte unser Adonis seine Ohren.</p>
-
-<p>„Ziehen’s da meinen Mantel an &mdash; und kein Mensch im Hause wird Sie
-erkennen. In dieser Maskirung können’s dann bis zu Ihrem Freunde, dem
-jungen gnädigen Herrn kommen....“</p>
-
-<p>Dieser Rath war Goldes werth. Althing dankte dem Fiaker mit einer
-Thräne im Auge, dieser aber zog seinen Mantel vom Bocke herab und warf
-ihm denselben um.... Alles dieses geschah in wenigen Augenblicken....
-Althing sah in diesem Costüme einem Banditen nicht unähnlich, denn
-der Mantel war von hellgrüner Farbe und der spitzbübische Fiaker
-hatte ihm denselben so umgeworfen, daß er sich drappirte und auf
-Althing’s Schultern hing, wie ein Theatermantel... Aber da war keine
-Zeit zu verlieren.... Der Dicke schritt mit entschlossenem Wesen in
-das Palais bei dem Portier vorbei, welcher die Augen aufriß, wie über
-eine nächtliche Erscheinung. Der Fiaker aber, mit dem Hut in der Hand,
-schritt unserem Alten nach &mdash; und lachte in’s Fäustchen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_210" id="Seite_210">[210]</a></span></p>
-
-<p>So gelangten sie quer durch den Hof nach dem linken Flügel des
-Gebäudes, wo Edmund wohnte. Althing ging die Treppe hinauf und fragte
-einen Diener, der ihm begegnete, ob dessen Herr zu Hause wäre....</p>
-
-<p>„Was will man denn bei ihm?“ antwortete der Kerl mit mißtrauischem
-Blick.</p>
-
-<p>Da öffnete der Seladon seinen Mantel, und der Diener rief nun: „Ah,
-Sie sind es, gnädiger Herr? Aber in welchem Aufzuge! Ist denn heute
-Maskenball bei uns?“</p>
-
-<p>„Dummkopf!“ fuhr Althing auf: „ob der Herr zu Hause ist, frage ich.“</p>
-
-<p>„Nun ja &mdash; gewiß; aber er wird in diesem Augenblicke nicht zu sprechen
-sein.“</p>
-
-<p>„Und weßhalb? Wegen meines Anzuges da?“</p>
-
-<p>„Nein, sondern weil ein fremder Herr bei ihm ist, mit welchem er
-eifriger Geschäfte halber sich in ein Zimmer eingeschlossen hat.“</p>
-
-<p>„Ei &mdash; was thut das? &mdash; Er wird doch wohl nicht ewig mit diesem Herrn
-eingeschlossen bleiben.... und überdies brauche ich ihn am Ende gar
-nicht zu sprechen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_211" id="Seite_211">[211]</a></span></p>
-
-<p>Althing war während dieser Gespräche immer höher gestiegen; jetzt stand
-er vor den Zimmern seines Freundes. Er riß hastig die Thür des nächsten
-auf &mdash; &mdash; und durchzog mit stürmenden Schritten eine ganze Reihe. Die
-Diener, welche auf seinen Anblick nicht vorbereitet waren, flohen
-entsetzt nach allen Seiten, indem sie riefen: „Ein Räuber! Ein Bandit!
-Zu Hülfe! &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Dieses Geschrei verbreitete sich im ganzen Quartiere &mdash; es gelangte
-auch zu Edmund. Dieser, der nicht wußte, was es bedeutete, öffnete
-seine Thüre und wollte eben darnach fragen. &mdash; &mdash; Da stürzte ihm
-Althing im romantischen Costüme entgegen &mdash; wenig fehlte, so hätte er
-auch den jungen Mann in die Flucht geschlagen:</p>
-
-<p>„Aber &mdash; zum Teufel!“ rief dieser: „bist Du es denn, Althing?“</p>
-
-<p>„Ich bin’s! ich bin’s, lieber Freund.“</p>
-
-<p>„Aber was hat denn das Alles zu bedeuten? Kommst Du aus dem Tollhause
-oder vom Theater?“</p>
-
-<p>„Keines von Beiden, bester Edmund...... Es war eine Laune von mir,
-weiter nichts....“</p>
-
-<p>„Was &mdash; eine Laune?“</p>
-
-<p>„Oder vielmehr &mdash; eine Nothwendigkeit! &mdash;<span class="pagenum"><a name="Seite_212" id="Seite_212">[212]</a></span> Und hier dieser Mann,“ &mdash; er
-wies auf den Fiaker, welcher nicht von seiner Seite wich &mdash; „hat Alles
-zu verantworten. &mdash;“</p>
-
-<p>„Das heißt: die zerrissenen Hosen des gnädigen Herrn haben es zu
-verantworten....“</p>
-
-<p>„Nun, ja auch das!... Denke Dir nur, lieber Edmund &mdash; wie ich da unten
-an den Beinen aussehe &mdash; hehe!“ Er warf den grünen Mantel ab und wies
-die hintern Theile seines Körpers und seiner Kleider...</p>
-
-<p>„Tausend Sapperment! &mdash; Aus welchem Welttheile kommst Du denn? Was sind
-denn dies Alles für Kleider?“</p>
-
-<p>Jetzt erst erzählte Althing den ganzen Zusammenhang der Geschichte und
-nun war Edmund nicht länger im Stande, den Ernst, welchen er aus dem
-Zimmer mitgebracht hatte, zu behaupten. Er lachte wie toll &mdash; ließ
-seinen Kammerdiener kommen und befahl ihm, den dicken und entblös’ten
-Freund in die Garderobe zu führen. „In einer halben Stunde,“ setzte
-er gegen diesen gewendet hinzu, „sehen wir uns wieder; Du magst bis
-dahin Dich in mein Rauchzimmer verfügen &mdash; dort wirst Du neue Cabannas
-finden<span class="pagenum"><a name="Seite_213" id="Seite_213">[213]</a></span> oder wohlriechenden Persier, den Du aus Wasserpfeifen rauchen
-mußt...! Bis dahin Adieu!“</p>
-
-<p>Der Fiaker erhielt seinen grünen Mantel und seinen Lohn und begab sich
-inmitten einiger Lakaien hinweg, denen er den ganzen Vorfall erzählen
-mußte und welche, wie es die Art dieser Schelme ist, über das Malheur
-ihrer Herren oder dessen Freundes ein größeres Vergnügen empfanden, wie
-über irgend ein fremdes.</p>
-
-<p>Althing hatte sich bald wieder angekleidet. Nur mit seinem Schnurbart
-war er noch brouillirt. Dieser hatte unter dem Mantel, womit der Dicke
-sich zeitweise bis zur Nase bedeckt hatte, die ganze Farbe verloren;
-und ein solcher Artikel war auf Edmunds Toilette nicht zu finden, weil
-der Jüngling von Natur mit einem Haar vom schönsten Kastanienbraun
-bedacht war... Allein einem so wichtigen Mangel mußte abgeholfen werden
-und unser Adonis besann sich nicht lange; er schickte den Diener,
-der ihm beim Ankleiden geholfen, fort, griff nach einem in der Nähe
-stehenden Gefäße, welches er für ein Dintenfaß hielt, und bestrich sich
-mit dem Inhalt tüchtig den Bart...</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_214" id="Seite_214">[214]</a></span></p>
-
-<p>Aber o Entsetzen! Kaum daß er damit angefangen, als er ein Prickeln und
-ein Surren an seiner Lippe verspürte... bald erfüllte ein höllischer
-Gestank seine Nase &mdash; ein brennender Schmerz verbreitete sich an
-der Lippe, drang immer tiefer ein &mdash; der schöne Bart krümmte sich,
-schrumpfte ein &mdash; &mdash; und fiel stückweise herab... der Schmerz wurde
-fürchterlich &mdash; die Lippen schwollen an...</p>
-
-<p>Der Unselige hatte sich mit Vitriolöl eingeschmiert.</p>
-
-<p>Wo aber war während der Operation seine Nase gewesen? Hatte er das
-Oel nicht gerochen? &mdash; Ach, er war zu sehr beschäftigt und von seinen
-Reizen erfüllt... er hatte keinen Geruch, kein Gehör, keinen Geschmack
-&mdash; er hatte nur Augen gehabt, der Bedauernswerthe. Diese Augen sahen
-aber auch nur &mdash; ihn. &mdash;</p>
-
-<p>Auf sein Geheul liefen abermals die Diener herbei. O weh! wie sah
-dieser noch vor wenigen Augenblicken so schöne Mann aus! Es schien, als
-gehörte er, seinem Kopfe nach, zu dem Geschlechte der Elephanten &mdash; so
-rüsselförmig hatte sein Mund sich gestaltet.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_215" id="Seite_215">[215]</a></span></p>
-
-<p>Man brachte ihn aus dieser Rauchatmosphäre heraus, die sehr nachtheilig
-auf das metamorphosirte Glied einzuwirken schien, und trug ihn in ein
-anderes Zimmer. Hier wurde er auf ein Sopha gelegt und man begann
-ihn oder eigentlich seinen Rüssel mit Eisumschlägen zu traktiren.
-Die jedoch schienen seine Schmerzen nur zu vergrößern und so sah
-man sich denn genöthigt &mdash; da keiner von den Dienern medizinische
-Kenntnisse besaß &mdash; nach einem Arzte zu senden. Aber die Zeit, bis
-dieser erschien, war für unsern unglücklichen Adonis eine Epoche
-schauderhafter Höllenqualen: „Oh! Oh!“ wehklagte er &mdash; „was ist mit mir
-geschehen?.. Das brennt und sengt ja, als wenn zehntausend Pechfackeln
-darauf geschleudert würden! &mdash; Ein ganzes Rudel von Beelzebubs tanzt
-mir auf dem Munde herum! &mdash; Ein Gehenna, ein Gehenna &mdash; wächst mir
-unter der Nase hervor! &mdash; &mdash;“ Aber so deutlich wie hier angegeben wird
-&mdash; konnte der Gequälte nicht sprechen. &mdash; Es war ein stotterndes und
-stammelndes Geschrei, was seinem Munde entströmte... Zuletzt wurde es
-ganz unverständlich &mdash; er konnte die Lippen nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_216" id="Seite_216">[216]</a></span> mehr auseinander
-bringen &mdash; sie schienen zu verwachsen. &mdash;</p>
-
-<p>Nach ewiglangem Zögern erschien der Sohn Aeskulaps. Sogar er schlug
-die Hände zusammen und konnte ein leises Gelächter nicht unterdrücken
-&mdash; als er hier einen berüsselten Menschen vor sich erblickte. Der Fall
-war ihm noch nicht vorgekommen. &mdash; Die Gesetzbücher Aeskulaps jedoch
-haben auch einem solchen Fall vorgesehen; überhaupt findet man in ihnen
-selbst für die unmöglichsten Fälle Rath &mdash; &mdash; nur daß letzterer häufig
-nicht viel hilft.</p>
-
-<div class="figcenter">
- <a id="fig1" name="fig1">
- <img class="mtop1 mbot1" src="images/fig1.jpg"
- alt="Zu S. 216" /></a>
-</div>
-
-<p>War es Bleiweißsalbe oder ein anderes Spezifikum, was der Doctor
-verordnete, genug es wurde eine Salbe auf einen Leinwandlappen
-gestrichen und dies dem Patienten auf den Rüssel gelegt.... Da ein
-ungeschickter Lakai ihm auch die Nase damit bedeckte, so war der Arme
-in Gefahr zu ersticken &mdash; und nur indem er sich des Lappens mittelst
-eines kühnen Risses entledigte, befreite er sich vom Tode.... Eine
-gewandtere Hand legte das Pflaster jetzt dahin, wohin es gehörte &mdash; und
-so ward die Ordination des Doctors vollzogen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_217" id="Seite_217">[217]</a></span></p>
-
-<p>&mdash; &mdash; Mittlerweile fand in dem Zimmer nebenan ein sonderbarer Auftritt
-statt. Es war dies dasselbe Zimmer, wo Edmund sich mit jenem <em class="gesperrt">fremden
-Herrn</em>, von welchem der Diener zu Althing, als dieser sich im
-Banditenkostüm die Treppe hinauf begab, gesprochen...</p>
-
-<p>Der <em class="gesperrt">fremde Herr</em> nun war noch bis zur Stunde mit Edmund in diesem
-Zimmer eingeschlossen. Man urtheile also, von welcher Wichtigkeit diese
-Conferenz sein mußte &mdash; da nicht einmal der pathologische Vorfall mit
-Althing im Stande war, Edmund aus dem Zimmer zu locken.</p>
-
-<p>Der <em class="gesperrt">fremde Herr</em>, von welchem die Rede ist, war ein merkwürdiger
-Kauz. Seine Figur rangirte ihn zur Hälfte unter die Affen, zur andern
-Hälfte unter die Menschen. Seine Physiognomie läßt sich am besten mit
-der jenes Meisters <em class="gesperrt">Jocko</em> vergleichen, der in <em class="gesperrt">Van Akens</em>
-Menagerie so große Sprünge machte. Aber unter dieser Physiognomie saß
-der Verstand eines Archimedes. Mit einem Worte, unser Mann war in der
-Mathematik ein wahres Phänomen; denn er konnte Euch auf’s Haar beweisen
-&mdash;<span class="pagenum"><a name="Seite_218" id="Seite_218">[218]</a></span> daß Ihr, falls Ihr ihm für 1000 Thlr. 3000 verschreibt, mindestens
-500 dabei gewinnen müsset.</p>
-
-<p>Ich glaube für einige meiner geliebten Leser deutlich genug gesprochen
-zu haben.</p>
-
-<p>Was den Anzug des Biedermannes betraf, so bestand dieser aus folgenden
-Stücken:</p>
-
-<p>Ein graues Beinkleid aus dem Zeitalter der Maria Theresia mit einem
-braunen Fleck am Hintertheil, welcher (nämlich der Fleck) aus der Zeit
-Josephs stammte &mdash; einem blauen Fleck auf dem rechten Knie, der unter
-Leopold geboren war und einem hellgrünen Besatz vorne auf dem Bauche;
-dieser Besatz entstand während der ersten französischen Invasion.</p>
-
-<p>Ferner ein Rock &mdash; zweien Dritteln nach einen Frack und einem Drittel
-nach einen Spenzer bildend &mdash; von einer unzuenträthselnden Farbe.
-Dieser Rock war zu allererst ein Mantel gewesen &mdash; aus welchem man
-später ein Wams &mdash; dann einen Ueberrock &mdash; dann eine altfränkische
-Schößen-Weste &mdash; und endlich das gegenwärtige Mittelding zwischen
-Frack und Bonjour gedrechselt hatte. &mdash; Der älteste Ursprung<span class="pagenum"><a name="Seite_219" id="Seite_219">[219]</a></span> dieses
-Kleidungsstückes verliert sich in die Zeiten Gustav Adolphs.</p>
-
-<p>Ferner die Weste. Ihr Ursprung war nicht anzugeben. Sie schien
-indeß schon bei dem heidnischen Götzendienst der alten Germanen als
-Priestergewand funktionirt zu haben.... Statt der Knöpfe waren an
-dieser Weste natürliche Eicheln angenäht.... Zur Schonung jedoch
-knöpfte ihr Eigenthümer seine Weste niemals zu.</p>
-
-<p>Vom Hemde war bei ihm keine zuverläßliche Spur.</p>
-
-<p>Das Halstuch mochte wohl schon einmal bei einer Leiche als Trauerflor
-geglänzt haben.</p>
-
-<p>Die Stiefeln des Mannes waren veritable Wunderstiefeln, unzugänglich
-dem Wasser sowohl wie dem Feuer. &mdash; Hier saß ein Fleck auf zehn
-andern... Man konnte sagen: vor lauter Flecken sah man den Stiefel
-nicht.</p>
-
-<p>Den Hut endlich anlangend, so mochte derselbe in guten Zeiten auch als
-Pferdesattel gedient haben... Man konnte nicht sagen: „er hatte diese
-oder jene Form,“ weil dieser merkwürdige Hut alle Formen annahm...</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_220" id="Seite_220">[220]</a></span></p>
-
-<p>Von den Stiefeln bleibt noch zu bemerken, daß sie ursprünglich
-verschiedenen Gattungen angehört hatten: der eine war lang und mit
-Kanonen versehen &mdash; der andere ein Trichterstiefel, wie sie die Ritter
-trugen. An dem letzteren war noch ein Stück, von einem Sporren zu sehen.</p>
-
-<p>Es darf jedoch das Beste nicht vergessen werden. Der achtungswürdige
-Besitzer dieser Kleidersammlung trug in der Hand ein Instrument,
-welches einer Keule nicht ganz unähnlich war: deßhalb man auch
-eher sagen konnte, er <em class="gesperrt">schleppte</em>, als er <em class="gesperrt">trug</em> dieses
-Instrument. An diesem Instrument oder an dieser Keule war oben ein
-Handriemen, welchen der Biedere um seine Finger geschlungen hatte....
-so daß er das holde Instrument daran hin und her schwingen konnte wie
-einen Glockenschwengel.</p>
-
-<p>Der Mann nannte die Keule sehr zärtlich seinen „besten Freund“ und
-dabei lächelte er so seelenvergnügt, als hätte Achilles von seinem
-Freunde Patroklus gesprochen.</p>
-
-<p>Nachdem wir nun die Gestalt des Mannes beschrieben haben, bleibt uns
-nur noch übrig,<span class="pagenum"><a name="Seite_221" id="Seite_221">[221]</a></span> Einiges von dem Gespräche mitzutheilen, welches er mit
-Edmund in diesem Zimmer bei festverschlossenen Thüren seit länger als
-einer Stunde führte. &mdash; Freilich muß der Leser darauf verzichten, das
-<em class="gesperrt">Ganze</em> dieser interessanten Unterredung zu erfahren; indeß wird
-er sich hoffentlich auch bei dem Wenigen begnügen.</p>
-
-<p>„<em class="gesperrt">Lips</em>“ hatte Edmund gesagt, indem er mit zorniger Miene ein
-Papier zwischen seinen Händen herumzerrte: „Lips, Sie sind mir ein
-entsetzlicher Mensch! Ein Teufel, ein Schurke!“</p>
-
-<p>„Alles was Euer Gnaden beliebt,“ hatte Lips geantwortet; „ich bitte nur
-um Eins &mdash; &mdash; zerren Sie dieses Papierchen nicht so sehr hin und her:
-es wird, auf Ehrenwort! noch entzwei gehen...“</p>
-
-<p>„Was schadet das, da Du Dir von jeder Schuldverschreibung, von jedem
-Wechsel <em class="gesperrt">zwei Originale</em> geben lässest.“</p>
-
-<p>„Zwei ist besser als Eins &mdash; &mdash; sagte ein großer Philosoph in Spanien,
-und dieser große Philosoph hatte, auf Ehrenwort! Recht....“</p>
-
-<p>„Aber &mdash; Lips.... Du mußt mir noch in<span class="pagenum"><a name="Seite_222" id="Seite_222">[222]</a></span> dieser Stunde 300 Dukaten
-schaffen &mdash; und solltest Du sie in der Hölle holen.“</p>
-
-<p>„Das ist nicht nöthig, mein Gnädiger: ich trage die 300 Füchse bei mir
-&mdash; &mdash;“ antwortete Lips und schwang seine Keule hin und her...</p>
-
-<p>„Nun was zögerst? Du dann? Heraus mit ihnen!“</p>
-
-<p>„Augenblicklich &mdash; sobald es Ihnen früher gefallen wird, mir das
-Papierchen, welches ich da Ihren hohen Händen präsentirte und was Sie
-so erschrecklich verarbeiten &mdash; zu honoriren. Es macht 1500 Gulden! Auf
-Ehrenwort! Eine Kleinigkeit!“</p>
-
-<p>„Aber wenn ich sie besäße &mdash; brauchte ich ja Deine 300 Dukaten nicht.“</p>
-
-<p>„Das ist gewiß; allein wie können Sie einem Geschäftsmanne zumuthen,
-Ihnen neuen Kredit zu geben &mdash; da Sie Ihre alte Schuld bei ihm noch
-nicht getilgt haben...?“</p>
-
-<p>„Aber &mdash; ich sagte Dir, bei allen Teufeln, zum hundertsten Male: ich
-habe kein Geld.“</p>
-
-<p>„&mdash; Aber &mdash; ich sagte Ihnen ebenfalls schon hundert Mal: Was nützt
-mir das? &mdash; Sie brauchen Geld, Sie brauchen Geld! &mdash; &mdash; Ich,<span class="pagenum"><a name="Seite_223" id="Seite_223">[223]</a></span> auf
-Ehrenwort! brauche auch Geld, mein gnädigster Herr Graf.“</p>
-
-<p>„&mdash; Du hast dessen genug &mdash; &mdash; bei Dir wachsen die Banknoten in allen
-Winkeln.... bei mir fliegen sie zu allen Fenstern hinaus.“</p>
-
-<p>„Dies ist eben der Unterschied zwischen unsern Geschäften, mein
-Gnädigster. Auf Ehrenwort!“</p>
-
-<p>„Lips!“ schrie Edmund: „bringe mich nicht zur Verzweiflung. Bei Gott,
-ich lasse Dich zur Thür hinauswerfen. &mdash;“</p>
-
-<p>„Wie es Euer Gnaden gefällt!“ lächelte dieser und schwang seine Keule.
-&mdash; „Aber“ fuhr er fort, „bedenken Sie, daß, wenn Sie mich zur Thür
-hinauswerfen lassen &mdash; die 300 Dukaten darum noch nicht zur Thür herein
-spaziert kommen... Auf mein Ehrenwort!“</p>
-
-<p>„Hol’ Sie der Satan mit Ihrem Ehrenwort! Mißbrauchen Sie diesen
-Ausdruck nicht, der nur Ehrenmännern ziemt... und schaffen Sie lieber
-das Geld herbei!“</p>
-
-<p>„Auf Ehrenwort, Gnädigster &mdash; ich kann nicht anders &mdash;“</p>
-
-<p>„Als &mdash;?“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_224" id="Seite_224">[224]</a></span></p>
-
-<p>„Als &mdash; wenn Sie, wie ich gesagt habe, zuvor das alte Papierchen
-bezahlt haben...“</p>
-
-<p>„Sind Sie denn taub, Verdammter Lips? Habe ich denn nicht schon so laut
-wie ein Löwe gebrüllt: <em class="gesperrt">ich habe kein Geld! ich habe kein Geld!</em>
-&mdash;“</p>
-
-<p>„Auf Ehrenwort, das ist schlimm! Auf Ehrenwort!“</p>
-
-<p>„Endlich &mdash; zum letzten Male: Geld! oder packen Sie sich im Augenblick
-aus meinen Augen fort &mdash; elender Wucherer! Seelenverkäufer!“</p>
-
-<p>„Auf Ehrenwort, das trifft mich nicht! &mdash; Ich habe noch in meinem Leben
-keine Seele gekauft. Was soll ich mit diesem Artikel? &mdash; Er ist nicht
-courant! &mdash; Auf Ehrenwort, behalten Sie Ihre gnädige Seele &mdash; und geben
-Sie mir lieber mein Geld....“</p>
-
-<p>Edmund ging mit raschen Schritten im Zimmer auf und nieder... er hatte
-tausend Mal Lust, den Spitzbuben zu erwürgen; aber damit half er weder
-sich noch seiner fatalen Lage. Er brauchte Geld, er brauchte 300
-Dukaten, keinen Pfennig weniger... Er hatte eine Schuld zu bezahlen,
-die morgen fällig war und welche<span class="pagenum"><a name="Seite_225" id="Seite_225">[225]</a></span> nicht zur Wissenschaft seines Vaters
-gelangen durfte; denn wiewohl der alte General seinen Sohn liebte
-&mdash; so stand gleichwohl der Grundsatz bei ihm fest &mdash; nicht einen
-Thaler an Edmunds Gläubiger zu bezahlen. Er wollte diesen dadurch vom
-Schuldenmachen abschrecken. Vergebliche Mühe! &mdash; Ein junger Mensch wie
-dieser, den Verlockungen seiner Standesgenossen und Freunde &mdash; dem
-Anbringen jener Blutigel, welche an dem Mark einer großen Stadt saugen,
-preisgegeben &mdash; war von diesen Wegen nicht abzuhalten &mdash; oder man hätte
-seiner ganzen Erziehung eine strengere Haltung, eine ernstere Richtung
-geben müssen, woran es jedoch im Hause des Generals gänzlich fehlte:
-er selbst mochte in seiner Jugend nicht die wenigsten tollen Streiche
-gemacht haben.</p>
-
-<p>Während Edmund so auf und ab lief, sah der biedere Herr Lips ihm ruhig
-zu. „Was soll das Alles heißen?“ sagte er achselzuckend: „Wozu rennen
-Sie so umher, Gnädiger! &mdash; Auf Ehre, damit wird die Sache nicht besser
-werden.... Oder können Sie, wie Schillers Wallenstein, „<em class="gesperrt">Dukaten aus
-dem Boden stampfen</em>?““</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_226" id="Seite_226">[226]</a></span></p>
-
-<p>Meister Lips war auch in der Literatur bewandert. Ja, ja &mdash; dieser Mann
-konnte Alles. Er wußte aus seiner Waare immer drei und vierseitigen
-Nutzen zu ziehen. So pflegte er die <em class="gesperrt">Bücher</em>, welche man bei ihm
-verkaufte,<a name="FNAnker_E_5" id="FNAnker_E_5"></a><a href="#Fussnote_E_5" class="fnanchor">[E]</a> zuerst selbst zu lesen, sodann verlieh er sie für Geld an
-Andere &mdash; dann gab er sie seiner Tochter zum Lesen (sie war ein sehr
-gebildetes Fräulein und hieß <em class="gesperrt">Philomela</em>) und endlich verkaufte er
-dieselben.</p>
-
-<p>&mdash; In diesem Augenblick sprang Edmund auf, lief nach einem Schranke,
-öffnete ihn und zog eine Pistole heraus. Mit grimmigem Tone schrie er:
-„Jetzt, nichtswürdiger Elender, wirst Du mir Geld geben &mdash; oder beim
-Allmächtigen!“ Und hiermit legte er die Pistole nach ihm aus...</p>
-
-<p>Doch Lips war bei dem Manoeuver kein bloser Zuschauer geblieben.
-Flink wie der Wind hatte er seine Keule erhoben &mdash; und an eine Feder
-gedrückt &mdash; sogleich verwandelte sich diese bescheidene<span class="pagenum"><a name="Seite_227" id="Seite_227">[227]</a></span> Keule zu
-einem allerliebsten Doppelgewehre, dessen Mündungen sich noch überdies
-trompetenförmig erweiterten (wie die alten Musketons), daß die Ladung
-(gewöhnlich bestehend aus einem Dutzend kleiner Kugeln) sich in die
-Höhe und Breite zerstreuen konnte und also ihren Gegenstand mehrfältig
-traf.</p>
-
-<p>Man muß gestehen, dieser Lips war ein Originalmensch.</p>
-
-<p>Als Edmund solche Demonstrationen sah, konnte er, so wüthend er war,
-das Lachen nicht halten. Die Pistole warf er auf den Tisch &mdash; und ließ
-sich auf einen Stuhl nieder:</p>
-
-<p>„Aber zum Teufel!“ sagte er &mdash; „Du bist ja eine wahre Festung, mein
-Freund Lips!..“</p>
-
-<p>„Das muß man bei dieser Zeit auch sein, in welcher man einen armen
-Teufel, wie Unsereins, seines ehrlichen Erwerbes nicht froh werden
-läßt.... Glauben Sie mir, gnädiger Herr, ich habe ein weiches Herz &mdash;
-&mdash; aber es hätte Ihnen nur noch eine Miene gekostet &mdash; und ich hätte
-Sie zusammengepfeffert, wie ein Schock Lerchen. Auf Ehre!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_228" id="Seite_228">[228]</a></span></p>
-
-<p>„Aber &mdash; dann wärest Du ja gehängt worden!“</p>
-
-<p>„Wer weiß. Ich hätte mich aus dem Hause so ungesehen hinaus gemacht,
-wie ungesehen ich mich hereingeschlichen habe.“</p>
-
-<p>„Jedoch man hätte Deinen Schuß gehört...“</p>
-
-<p>„Sie vergessen, daß mein Gewehr eine <em class="gesperrt">Windbüchse</em> ist...“</p>
-
-<p>„Spitzbube &mdash; von einem Lips! Wer könnte Dir böse sein?“</p>
-
-<p>„Auf Ehre, während der Dauer dieser guten Meinung, die Sie jetzt für
-mich gefaßt haben &mdash; könnten Sie mir schnell das Papierchen bezahlen...
-Gnädigster.“</p>
-
-<p>„Lips! Endlich höre mit Deinen Possen auf. Es ist Zeit, daß wir
-ernstlich in der Sache verfahren. Hinweg mit den Phrasen! Schenken wir
-uns gegenseitig reinen Wein ein. Ich habe keinen Groschen Geld und
-brauche 300 &mdash; besser 400 Dukaten. &mdash; Willst Du sie mir geben? Und was
-verlangst Du dafür?“</p>
-
-<p>Lips hatte sein Gewehr wieder maskirt; es war wieder die schlichte,
-alte, treue Keule &mdash; &mdash; er erhob den Kopf &mdash; zog Stirne, Mund und<span class="pagenum"><a name="Seite_229" id="Seite_229">[229]</a></span>
-die übrigen Theile des Gesichtes, soweit dies nämlich möglich war,
-in den Mittelpunkt des Gesichtes zusammen (man erinnere sich seiner
-eigentlichen Physiognomie!) und nachdem er zwei Mal mit den Lippen
-geschmatzt und im Ganzen zwei Minuten nachgedacht hatte &mdash; versetzte er:</p>
-
-<p>„Sie wollen reinen Wein haben? Nun gut! &mdash; Zuerst: ob ich Ihnen Geld
-gebe? &mdash; Ja &mdash; &mdash; wenn nämlich zweitens: Sie mir das geben, was ich
-brauche.“</p>
-
-<p>„Und worin besteht dieses?“</p>
-
-<p>„In einer Verschreibung von lumpichten 4000 Gulden nebst den
-<em class="gesperrt">gesetzmäßigen Zinsen</em>!... Ist Ihnen das recht, sollen Sie: 1tens
-augenblicklich die 300 Dukaten &mdash; und 2tens sollen Sie Ihr altes
-Papierchen über die 1500 Gulden zurückhaben in beiden Originalen, mein
-Gnädigster. &mdash; Dies nennt man einen brüderlichen Handel, auf Ehre!“</p>
-
-<p>Edmund besann sich nicht lange; so Etwas lag, bei einem Falle wie der
-gegenwärtige, nicht in seiner Art. Er <em class="gesperrt">unterschrieb</em> &mdash; zerriß die
-alten Papiere und empfing das neue Geld.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_230" id="Seite_230">[230]</a></span></p>
-
-<p>So endete diese Szene, nach welcher Meister Lips sich gehorsamst
-empfahl &mdash; und durch eine Hinterthüre aus dem Palais schlich &mdash;
-begleitet von Edmund, der ihn die verborgensten Wege führte. &mdash;</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_231" id="Seite_231">[231]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Elftes_Kapitel"><b>Elftes Kapitel.</b><br />
-
-<span class="s6">Die beiden Gatten und der Verdacht.</span></h2>
-
-</div>
-
-<p><span class="initial">D</span>er Graf v. A&mdash;x hatte die Gewohnheit, sich nach dem Bureau, in welchem
-er arbeitete, zu Fuße zu begeben. Diese Sitte behielt er auch nach
-seiner Verheirathung bei, wiewohl jetzt seine Wohnung (wir wissen,
-daß sie sich in der Nähe des Augartens befand) von dem betreffenden
-Regierungsgebäude ziemlich entfernt lag. &mdash; Aber der Weg dahin war
-größtentheils einsam, zum Theil sogar romantisch, denn Alexander wußte,
-indem er die Häuser vermied, ihn zwischen Gärten und Pflanzungen zu
-wählen &mdash; und so stimmte er ganz zu seinem Gemüthe, das, wenn auch
-beglückt und froh, einen ernsten Grundzug niemals verläugnete.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_232" id="Seite_232">[232]</a></span></p>
-
-<p>Eines Tages schritt der Graf wie gewöhnlich &mdash; langsamen Schrittes in
-dieser Richtung seinem Ziele zu. Es war ein trüber nebeliger Tag und
-die Morgensonne &mdash; die Zeit war 9 Uhr &mdash; kämpfte ununterbrochen mit den
-Wolken, welche ihr den Weg zur geliebten Erde, auf welche sie täglich
-niedersteigt, zu verwehren strebten. &mdash; Die Atmosphäre war schwer und
-drückend &mdash; kein Lüftchen regte sich, und zudem befand man sich jetzt
-im höchsten Sommer: es läßt sich demnach begreifen, unter welcher Last
-die Brust eines düstern Melancholikers wie der Graf erseufzte....
-Ohnehin waren die letzteren Tage nicht so ganz voll gewesen des
-ungetrübten Glückes. &mdash; Grillen, Launen, Mißtrauen beschleichen eine
-Seele wie diese dann eben am heftigsten, wenn sich dieselbe auf
-dem höchsten Gipfel der Freude befindet. Indeß hatten alle diese
-Anfechtungen eine unbestimmte Natur &mdash; Alexander wußte nicht recht,
-gegen wen er eigentlich mißtrauisch sein sollte!... Am liebsten wäre er
-es gegen den theuersten Gegenstand seines Herzens gewesen &mdash; wenn er an
-diesem nur, selbst bei der schärfsten mikroskopischen Unter<span class="pagenum"><a name="Seite_233" id="Seite_233">[233]</a></span>suchung,
-den geringsten Makel hätte entdecken können...</p>
-
-<p>Aber so ist jene versteckt glühende, rasende, melancholische Liebe. Sie
-fürchtet, das Geliebte zu verlieren &mdash; und tödtet es lieber mitten im
-Taumel der höchsten Seligkeit, an welcher so eben Beide Theil genommen.
-&mdash;</p>
-
-<p>Alexander ließ sich auf Gängen, wie der, welchen wir so eben berühren,
-von Niemanden begleiten, selbst nicht von einem Diener, und wie sehr
-Cölestine ihn auch bat und beschwor, von dieser Sitte abzulassen, da
-ihm ja so leicht einmal ein Unfall widerfahren könnte, wo er dann
-Niemand an seiner Seite haben würde &mdash; so ließ er doch nicht ab.
-Zärtlich sprach er zu ihr: „Ich bin ja nicht allein, mein theures Weib!
-&mdash; Begleitest doch Du mich im Geist und in der Seele überall, wo ich
-auch gehen oder stehen mag.“ Um dieser Zärtlichkeit willen ließ sie ihn
-endlich doch gewähren &mdash; &mdash; aber sie sendete, ohne daß er’s wußte, ihm
-zeitweise einen ihrer treuen Diener nach, der ihm in der Ferne folgen
-mußte. &mdash; Heute hatte sie es unterlassen. &mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_234" id="Seite_234">[234]</a></span></p>
-
-<p>Wie Alexander nun hinwandelte, fing er an, immer mehr und mehr seine
-Schritte zu verkürzen; zuletzt blieb er stehen. Er war im tiefen
-Nachdenken verloren. Ohne daß er’s wußte, stand er schon länger als
-eine Viertelstunde auf demselben Fleck, die Arme verschränkt, den Kopf
-auf die Brust gesenkt. &mdash; Mit einem Male jedoch fuhr er auf &mdash; über
-seine trübe Miene zog, wie Sonnenschein, eine freundliche Helle, der
-ganze Körper strebte leicht und jugendfroh zur Höhe, die Lippen aber
-murmelten: „Nein! nein! &mdash; Ich will mir die Süße des Lebens nicht
-verbittern &mdash; durch unsinnige Betrachtungen! &mdash; Bin ich nicht glücklich
-&mdash; so ist es die ganze Menschheit nicht! denn wer unter allen Männern
-besitzt ein Weib wie Cölestine? &mdash; &mdash; &mdash; Ach!“ fuhr er fort und seine
-Stimme nahm den Ton tiefer Rührung an: „Vergib mir, theure Gattin! Ich
-habe an Dir ein Verbrechen begangen. Du bist rein wie ein Engel und
-gütig wie eine Heilige &mdash; und doch konnten meine Gedanken, meine tollen
-Einfälle Dich beflecken! &mdash; &mdash; Ich verdiene Dich nicht! Ach &mdash; und doch
-liebe ich Dich so sehr! &mdash;“ Und er beflü<span class="pagenum"><a name="Seite_235" id="Seite_235">[235]</a></span>gelte jetzt seine Schritte
-&mdash; die nicht mehr ihm zu gehören schienen, sondern einem Jüngling von
-sechzehn Jahren...</p>
-
-<p>Er hatte jetzt einen Hohlweg, dessen obere Flächen mit Wald bewachsen
-waren, durchschritten &mdash; rechts neben dem Ausgange stand ein Gesträuch,
-an welches dann später wieder Wald gränzte. &mdash; In dem Augenblick, wo
-Alexander dieses Gesträuch erreichte, ganz Lust und Freude im Gemüth
-&mdash; &mdash; hörte er in der Nähe ein Knistern, welches aus dem Dickicht zu
-kommen schien. &mdash; Bald zeigte sich ihm der Kopf eines unbekannten
-Menschen; von der übrigen Gestalt aber war nichts zu sehen, sie war
-gänzlich hinter der Pflanzung verborgen. Dieses Gesicht nun, welches so
-plötzlich und unheimlich auftauchte, war mit einem dichten Bartwuchse
-bedeckt und überdies noch von einem großen Hute so stark beschattet,
-daß man von seinen Zügen wenig zu entdecken vermochte. Es konnte einem
-Bettler, einem Hirten, einem Bauer und auch einem Räuber gehören &mdash;
-wiewohl es der Letzteren auf dem gegenwärtigen Stück Erde nicht eben
-viel geben mag.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_236" id="Seite_236">[236]</a></span></p>
-
-<p>Alexander, überrascht, rief den Menschen an. &mdash; Dieser begnügte sich
-damit, den Grafen mit einem unbeschreiblichen Blicke zu betrachten.</p>
-
-<p>„Wer bist Du und was willst Du, Bursche?“ rief Alexander zum zweiten
-Male, zugleich ging er fest und kalt, wie es seine Art mit sich
-brachte, auf ihn zu....</p>
-
-<p>„Halt!“ rief dieser jetzt &mdash; „keinen Schritt weiter!.. oder Sie haben
-sich unnöthige Mühe gegeben und erfahren nichts, &mdash; während ich jetzt
-im Begriffe stehe, Ihnen eine für Sie wichtige Nachricht zu ertheilen.
-&mdash;“</p>
-
-<p>Diese Szene paßte so ziemlich in eine komische Räuberaffaire, welche
-man auf den Theatern, wohl auch in der Wirklichkeit, zu sehen bekommt.
-Dessenungeachtet brachte sie den Grafen nicht zum Lachen; im Gegentheil
-seine Neugierde ward durch deren Seltsamkeit auf’s lebhafteste erregt,
-so daß er unwillkührlich dem Verlangen des Fremden nachgab und den
-Fuß nicht weiter setzte. &mdash; Aber er schärfte seinen Blick und suchte
-die Hülle seines Gegners zu durchdringen &mdash; woran er jedoch sogleich
-scheiterte, denn der Fremde bedeckte nun auch mit seinem<span class="pagenum"><a name="Seite_237" id="Seite_237">[237]</a></span> Arme das
-Gesicht, gleichsam als hätte er die Absicht des Grafen errathen.</p>
-
-<p>„Nun!“ rief dieser ungeduldig: „was hast Du mir zu sagen, Unbekannter!
-&mdash; Oder sollte das Ganze nur ein Scherz sein, den Du Dir mit mir
-erlaubst? &mdash; Möglich auch, daß Du nicht völlig bei Sinnen bist...“</p>
-
-<p>„In der Welt, mein verehrter Herr“ antwortete der Mann mit einer
-tiefen Stimme: „ist Alles möglich; dieß habe ich erfahren. So ist
-es zum Beispiel möglich, daß ein Weib unter ihren Anbetern gerade
-denjenigen glücklich macht &mdash; der von diesem Glücke am allerwenigsten
-einen Begriff hat. Sodann ist noch folgendes möglich: dasselbe Weib,
-welches den Ersten vermöge einer augenblicklichen <em class="gesperrt">Laune</em> wählte
-&mdash; entledigt sich desselben wieder, sobald jene Laune vorbei ist....
-und sucht sich einen Andern, gleichfalls aus Laune.... Das Alles ist
-möglich, mein verehrter Herr &mdash; und dieß ist zugleich das Ganze, was
-ich Ihnen sagen wollte!“</p>
-
-<p>Kaum verklang das letzte Wort, als der Kopf des Unbekannten
-verschwunden war; &mdash; man hörte nur noch folgende Worte: „Nehmen<span class="pagenum"><a name="Seite_238" id="Seite_238">[238]</a></span> Sie
-sich vor einem glänzenden jungen Herrn in Acht!“ Dann knisterte es noch
-in den Zweigen, bald hörte auch dieß auf und Alles war still. Der Graf
-aber stand da, wie von einer furchtbaren Macht festgebannt &mdash; er konnte
-kein Glied bewegen und glich im ersten Augenblicke vollkommen einer
-Statue. &mdash; Endlich ermannte er sich und rief dem Verschwundenen nach:
-„Halt! halt! Noch ein Wort!“ &mdash; Umsonst! von diesem war längst nichts
-mehr zu sehen, nichts mehr zu hören.</p>
-
-<p>Alexanders ganzes Wesen verfinsterte sich und schien zu erstarren.
-Seltsame Gedanken wütheten in seiner Seele. Was hatten jene Worte
-zu bedeuten? Standen sie in irgend einer Verbindung mit ihm, mit
-Alexander? &mdash; Das mußten sie; sonst hätte der Unbekannte sie nicht ihm
-zugerufen.... Aber vielleicht war es wirklich nur Scherz, vielleicht
-Wahnsinn! &mdash; &mdash; Ach, hatte Jener denn nicht gesagt:</p>
-
-<p>„Ich stehe im Begriffe, <em class="gesperrt">Ihnen</em> eine wichtige Nachricht zu
-ertheilen!“? &mdash;</p>
-
-<p>Es war nicht länger zu zweifeln, diese Nachricht betraf das innerste
-Leben Alexanders &mdash; das<span class="pagenum"><a name="Seite_239" id="Seite_239">[239]</a></span> seines Hauses und seines Glückes: seines
-Weibes! mußte er hinzusetzen, um sich selbst zu verstehen.</p>
-
-<p>Wie der Zahn einer Hyäne nagte diese Idee an dem Herzen des
-Unglücklichen, der es vom jetzigen Augenblicke an auch wirklich ward.
-Er stürzte weg von dem Orte des Schreckens &mdash; als fürchtete er, daß
-aus dem Gesträuche noch mehrere solche Gedanken-Bestien auf ihn
-hervorbrechen könnten... er rannte in wilder Eile auf dem Wege fort: ob
-es der rechte war oder nicht, er wußte nichts davon, es kümmerte ihn
-auch wenig. &mdash;</p>
-
-<p>So war er über eine Stunde gelaufen &mdash; ohne daß diese ihm länger als
-ein Augenblick vorgekommen wäre. Jetzt schlug er die Augen auf und
-fand sich in einer ihm ganz unbekannten Gegend. Doch mußte es fern
-von der Stadt sein, denn ihn umgab hier Wald und rauhe Wildniß. &mdash;
-Diese Landschaft war ihm willkommen; diese tiefe Einsamkeit that ihm
-noth und er eilte, von ihr Gebrauch zu machen. Er warf sich in eine
-Vertiefung des Bodens nieder, rings herum standen Büsche und Sträucher
-so dicht,<span class="pagenum"><a name="Seite_240" id="Seite_240">[240]</a></span> daß sein Blick sie nicht zu durchdringen vermochte.... Sein
-Lager war jenes alte vorjährige Laub, welches um diese Zeit bereits in
-Fäulniß übergeht und den natürlichen Dünger des Waldes bildet. &mdash; Was
-kümmerte ihn das &mdash; er achtete der Feuchtigkeit und des Moderduftes
-nicht, welche sich unter ihm verbreiteten.... er sah sich von Insekten
-umschwirrt, von Kröten umhüpft &mdash; er achtete nicht darauf;... in der
-Nähe seines Hauptes raschelte und zischelte es im Grase &mdash; vielleicht
-war es eine Schlange &mdash; auch darauf achtete er nicht; ja selbst als
-eines jener häßlichen Thiere, die in feuchten und moderigen Plätzen
-wohnen, als eine graue Wasserratte bei ihm vorbeilief &mdash; durchzuckte
-weder Ekel noch eine andere Empfindung seinen Körper....</p>
-
-<p>Er schien für die äußere Welt gänzlich erstorben &mdash; und versenkte sich
-nur tief und tiefer in den Feuerpfuhl, der in seiner Seele glühte...</p>
-
-<p>„So ist sie also falsch?!“ sagte er, ohne zu wissen, daß dieser Gedanke
-sich auf seinen Lippen belebt hatte... „Sie ist treulos,“ fuhr er fort:
-„ich habe es ja geahnt! &mdash; Ich kann nicht glücklich sein! das hätte
-ich wissen und mich darnach<span class="pagenum"><a name="Seite_241" id="Seite_241">[241]</a></span> benehmen sollen. Ach! habe ich es denn
-nicht gewußt &mdash; daß in dem Garten dieser Welt für mich die Rose der
-Liebe nicht blüht? Vielleicht blüht sie auch für keinen Andern... und
-vielleicht ist das, was wir Weibesliebe und Weibertreue nennen, die
-größte Thorheit, der größte Unsinn, der je ausgesprochen wurde..... O!
-ich bin hinlänglich bestraft worden für meinen Vorwitz. &mdash; Habe ich mir
-nicht schon einmal den scharfen Dorn in den Fuß getreten?... mußt’ ich
-noch ein Mal auf diesem Pfade wandeln? &mdash; Freilich jenes erste Mädchen
-habe ich verkannt &mdash; an ihrem Sterbebette enthüllte sich die Reinheit
-ihrer Seele mir! &mdash; Aber &mdash; konnte ich mich nicht auch hier getäuscht
-haben? &mdash; und ist vielleicht nicht gar diese Sterbende mit einer Lüge
-aus der Welt gegangen? &mdash; Wer will mir das bestimmen? Fälle solcher Art
-sind schon vorgekommen! &mdash; zu Hunderten; zu Tausenden da gewesen! &mdash; &mdash;
-&mdash;“</p>
-
-<p>Er verstummte. Plötzlich schrie er wieder auf: „Welcher Gedanke
-entsteht da in meiner Seele? &mdash; Seit ungefähr vierzehn Tagen besucht
-jener Chevalier de Marsan, von welchem man so Fabelhaftes erzählt,
-mein Haus fast<span class="pagenum"><a name="Seite_242" id="Seite_242">[242]</a></span> Tag um Tag. <em class="gesperrt">Seine Ruhe und Stille ist mir
-aufgefallen!</em> &mdash; Sagte man mir denn nicht, dieser Mensch sei ein
-Phänomen im Weltleben; das Leben der Welt aber ist regsam und laut. &mdash;
-&mdash; O, meine vertrauende Seele, wohin hast Du mich geführt?!.. Jetzt,
-jetzt erst fällt mir ein, daß Marsan bis jetzt weder mit mir, noch
-mit meiner Frau gesprochen hat. Was fesselt ihn also so sehr an unser
-Haus? &mdash; Doch nicht eine fremde Person, die er hier stets antrifft?...
-Allein, auch das wäre möglich! &mdash; &mdash; Aber <em class="gesperrt">möglich</em>! Was nützt mir
-dies Wort? &mdash; Möglich ist Alles. O mein Gott, ich muß <em class="gesperrt">Gewißheit</em>
-haben. &mdash;“</p>
-
-<p>„Und ist es &mdash; der Chevalier nicht, ist es vielleicht ein Anderer!
-denn jene Worte drückten es ja deutlich aus: Nehmen Sie sich vor einem
-glänzenden jungen Manne in Acht! &mdash; Aber o Gott! &mdash; könnte der Elende,
-der sie mir zuraunte &mdash; könnte er mich nicht betrogen, oder konnte
-er sich nicht auch in mir geirrt haben? &mdash; Welche Thorheit, welches
-Verbrechen, einem Menschen, den man nicht kennt, und welcher ganz so
-aussieht wie ein Schurke, zu ver<span class="pagenum"><a name="Seite_243" id="Seite_243">[243]</a></span>trauen??........... Ach! Ach! reißt
-mir erst den Pfeil des Verdachts aus der Brust.... bis dahin kann ich
-nichts Anderes thun, als: fürchten, argwöhnen, beben, zittern und &mdash;
-glauben!! &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Erst zu später Tageszeit verließ Alexander diesen Wald und fand sich
-endlich mit dem Wege zurecht. Er ging nun nach Hause, in der Absicht,
-sich in sein Zimmer zu begeben und darin bis zum Morgen eingeschlossen
-zu bleiben; denn es war bereits dunkel geworden.</p>
-
-<p>Für den Eifersüchtigen, für den Unglücklichen ist es eine Wollust,
-sich in seinen Schmerz zu vergraben &mdash; in den Wunden seiner Seele zu
-wühlen, und er hört damit oft nicht eher auf, als bis er unter dieser
-wahnsinnigen Selbstqual den Geist aushaucht.</p>
-
-<p>Doch blieb Alexander nicht lange allein; man hatte ihn in das Haus
-treten sehen und es Cölestinen gemeldet. Diese, in qualvoller Angst
-wegen der Abwesenheit ihres Gatten, eilte auf den Flügeln der Liebe zu
-ihm &mdash; &mdash; ach, wie erschrak sie, ihn in diesem Zustande zu finden!</p>
-
-<p>„O mein Gott!“ schrie sie auf und stürzte an seine Brust: „Was ist mit
-Dir geschehen,<span class="pagenum"><a name="Seite_244" id="Seite_244">[244]</a></span> Alexander? &mdash; Wo bist Du gewesen? &mdash; Welcher Unfall
-hat Dich getroffen? &mdash; Rede, rede, um Himmelswillen, befreie mich von
-meiner Angst!“</p>
-
-<p>Er hatte sich in einem frühern Augenblick vorgenommen, ihr <em class="gesperrt">Alles</em>
-zu sagen; in einem nächsten faßte er den Vorsatz, ihr <em class="gesperrt">Nichts</em>
-wissen zu lassen &mdash; d. h. ihr mit kalter Ruhe, unter welcher tiefer
-Abscheu lag, zu begegnen....</p>
-
-<p>Jetzt, in dem gegenwärtigen Augenblicke faßte er einen dritten
-Entschluß: <em class="gesperrt">er wollte heucheln, um sie auf die Probe zu stellen!</em></p>
-
-<p>Es gelang ihm in sehr kurzer Frist, ein so heiteres Lächeln auf seine
-Lippen zu zaubern, daß Cölestine freudig aufathmete und ihn mit dem
-Ruf: „So darf ich also ruhig sein!“ umarmte; „doch sprich,“ setzte
-sie hinzu &mdash; „was ist das heute gewesen? Beruhige mich vollständig,
-denn irgend etwas Ungewöhnliches muß dennoch mit Deinem Ausbleiben
-zusammenhängen.“</p>
-
-<p>„Nichts, nichts, meine theure Cölestine!“ versetzte er: „nichts &mdash;
-oder nur sehr wenig. Mich hatte, als ich das Haus verließ, um nach dem
-Bureau zu gehen, auf einem Umwege, welchen<span class="pagenum"><a name="Seite_245" id="Seite_245">[245]</a></span> ich nahm &mdash; eine leichte
-Unpäßlichkeit überfallen, und da ich glaubte, dieselbe würde bald
-vergehen, trat ich in ein nicht weit von dem Orte stehendes Gasthaus
-&mdash; wo ich mir ein Zimmer öffnen ließ, um daselbst etwas Stärkendes zu
-mir zu nehmen; denn, wie Du weißt, ich habe heute nicht gefrühstückt.
-&mdash; Doch zum Unglück verlief mein Zustand nicht so schnell, als ich
-erwartete &mdash; ich mußte mich auf eine Ruhebank hinstrecken und blieb da
-so lange liegen, bis ich wieder hinlängliche Kräfte gesammelt hatte, um
-den Rückweg nach Hause anzutreten. &mdash;“</p>
-
-<p>„Aber mein Gott,“ versetzte die Gattin und Thränen traten ihr in die
-Augen: „warum hast Du mir davon nichts wissen lassen? Ich wäre mit dem
-Eifer der Liebe zu Dir geeilt, und hätte Dich gepflegt.... Mindestens
-hättest Du Dich ja in einem Miethwagen nach Hause können bringen
-lassen. &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„&mdash; &mdash; Es war mir jedoch darum zu thun, Dir jede Unruhe zu ersparen,
-theure Geliebte!“</p>
-
-<p>„<em class="gesperrt">Jede?!</em> Unruhe wolltest Du mir ersparen? &mdash; O das hat Dein Herz
-nicht gesprochen, Alexander. Weißt Du denn nicht, daß ich es für<span class="pagenum"><a name="Seite_246" id="Seite_246">[246]</a></span>
-meine Pflicht halte, Leid und Freude mit Dir zu theilen &mdash; und daß
-diese Pflicht mir Lust ist?.. Und dann, könntest Du glauben, Deine
-lange Abwesenheit, Dein Wegbleiben zur gewöhnlichen Zeit hätte mich
-nicht doppelter Unruhe, der Unruhe und Qual der <em class="gesperrt">Ungewißheit</em>!
-preisgegeben?..... Geh doch &mdash; &mdash; abscheulicher Mann! Böser, böser
-Alexander! Welche Angst, welche Sorge habe ich um Dich ausgestanden!“</p>
-
-<p>Er sah sie mit einem Blicke an, der sie bis in dem tiefsten Winkel der
-Seele ausholen sollte, und fragte mit halblauter Stimme: „Wirklich hast
-Du das?“</p>
-
-<p>„Nun!“ erwiederte Cölestine arglos: „und Du zweifelst noch? Du willst
-es mir am Ende nicht einmal glauben? &mdash; Wahrhaftig &mdash; Du schlimmer
-Mensch, wäre in diesem Augenblick freudigen Wiedersehens die Zeit dazu
-&mdash; ich würde sie Dir recht fühlen lassen, diese Worte, welche Du so
-eben gesprochen; doch hat Dein Herz sicherlich keinen Antheil daran. &mdash;“</p>
-
-<p>„Sicherlich &mdash; nein!“ erwiederte er mit heiterer Miene und nahm die
-Beweise ihrer Zärt<span class="pagenum"><a name="Seite_247" id="Seite_247">[247]</a></span>lichkeit, mit denen sie ihn überschüttete, wie ein
-glücklicher, wie ein froher Mann hin.</p>
-
-<p>Und doch war dieser Mann im Grunde seiner Seele so unglücklich, so
-kummervoll.</p>
-
-<p>Aber das ist eben die Natur des Eifersüchtigen, daß seine entsetzliche
-Leidenschaft, einmal erregt, durch nichts zu stillen ist &mdash; als durch
-die Macht der Zeit. Der größte Beweis von Liebe überzeugt ihn nicht
-&mdash; er sieht, wie der Fieberkranke, Alles blutroth und schwarz &mdash;
-selbst die reinste Lilie erscheint ihm ihres jungfräulichen Schmuckes
-entkleidet als dunkle Todesblume. &mdash; Die Eifersucht ist ein niederer
-Grad von Wahnsinn, der jedoch bisweilen zum höchsten führen kann.</p>
-
-<p>„Nun aber“ sagte Cölestine, als sie ihren Mann sich aufrichten und an
-ihrer Seite Platz nehmen sah: „will ich Deiner Gegenwart mich auch
-in doppeltem Maße erfreuen. Du warst einen ganzen Tag nicht bei mir
-&mdash; ich will jetzt in einer Stunde so viel Glück zu erwerben suchen,
-wie sonst in dreien; und es wird mir auch gelingen, denn ist Dein
-Herz nicht reich und ist es das meine etwa weniger? O wir dürfen ja
-nur<span class="pagenum"><a name="Seite_248" id="Seite_248">[248]</a></span> mit beiden Händen zulangen &mdash; das Füllhorn unserer Freude ist
-unerschöpflich! Meinst Du dies nicht auch, Alexander?“</p>
-
-<p>„Gewiß, gewiß, mein holdes Weib! &mdash; Und so bist Du denn meiner
-Wiederkunft, wie ich sehe, recht inniglich froh! Ja, ja &mdash; ich begreife
-es, wie Du während meiner Abwesenheit Dich in Sehnsucht nach mir
-verzehrt haben wirst &mdash; ich kann mir Deine Seufzer, Deine Thränen so
-lebhaft vorstellen! &mdash;“</p>
-
-<p>„Du kannst es &mdash; Alexander? &mdash; Und doch hast Du sie &mdash; ich möchte
-sagen &mdash; muthwilliger Weise hervorgerufen; denn eine Zeile, die Du mir
-geschrieben &mdash; ein Wort, das Du mir hättest sagen lassen, würden mich
-beruhigt, dieses Fürchten, diese Angst von mir gebannt haben. &mdash; Ach,
-es ist nicht schön, eine Gattin, welche Dich so zärtlich liebt, zu
-quälen.... es ist nicht schön....“</p>
-
-<p>„Es ist nicht schön &mdash; Du hast Recht.“</p>
-
-<p>„Nun, wenn Du es nur selbst zugibst! &mdash; Doch Alles das ist ja vorbei,
-und so reden wir nicht mehr davon. Ach gewiß, mein Geliebter &mdash; der
-gütige Schöpfer hat auch den Schmerz<span class="pagenum"><a name="Seite_249" id="Seite_249">[249]</a></span> zu unserem Glück erschaffen. Wir
-empfinden nach ihm die Freude um so inniger. &mdash; Und überdies, welches
-Herz vermag unausgesetzt Wonne zu ertragen? Es erlahmt, es sinkt dahin
-unter ihrer Last.“</p>
-
-<p>„Eine richtige Bemerkung,“ entgegnete der Mann mit bitterem Lächeln:
-„und darum wurde von der Natur die &mdash; <em class="gesperrt">Abwechslung</em> erschaffen.“</p>
-
-<p>Sie hatte weder in seine Mienen geblickt noch den Ton seiner Stimme
-abgewogen. Sie schien so selig, so zufrieden &mdash; &mdash; in ihrer Brust war
-für nichts Anderes Raum. &mdash;</p>
-
-<p>Sein Blick lief jetzt auf ihre ganze Gestalt umher. Er bemerkte zuerst,
-daß Cölestine nicht das gewöhnliche Deshabillé, welches sie sonst
-zu Hause trug, und das er so sehr liebte &mdash; sondern ein elegantes
-Gesellschaftskleid angezogen habe.</p>
-
-<p>An diesem Strohhalm hielt er zuerst sich fest. &mdash;</p>
-
-<p>Er sprach noch über Dies und Jenes, dann leitete er die Unterhaltung
-so, daß er unvermerkt die Frage stellen konnte: weßhalb Cölestine
-gesellschaftsmäßig gekleidet sei. &mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_250" id="Seite_250">[250]</a></span></p>
-
-<p>„Weßhalb?“ &mdash; wiederholte sie: „Ach, in der That &mdash; wenn ich Dir einen
-Grund angeben soll, ich weiß keinen. Es ist dies eins von den neuen
-Kleidern, welche ich neulich bestellt habe.... Da ich den ganzen Tag
-über nichts Anderes zu thun hatte und um mich von den bösen Gedanken
-wegen Deiner Abwesenheit zu befreien, machte ich mir mit meiner
-Garderobe zu schaffen: ich zog ein Kleid um’s andere an &mdash; &mdash; und
-dachte bei mir: in welchem würde ich ihm wohl, wenn er nach Hause
-kommt, am besten gefallen? Da fiel meine Wahl auf dieses da &mdash; und
-darum stecke ich noch in demselben &mdash; wiewohl es mir sehr unbequem ist
-und mich hindert, Dich tausendmal zu umarmen.“</p>
-
-<p>Alexander blieb nach dieser Erklärung stumm und senkte den Blick.
-Höllischere Argwohnsflammen hatten aus demselben heute noch nicht
-gezüngelt.... Er glaubte seine Frau auf einer Lüge ertappt zu haben
-&mdash; ihre ganze Rede schien nichts als Widersprüche zu enthalten. Denn
-weßhalb hatte sie früher gesagt, daß sie den Tag in Angst und Sorge
-zubrachte &mdash; da sie doch jetzt erklärte, sich mit ihren Kleidern
-unterhalten und ihrer<span class="pagenum"><a name="Seite_251" id="Seite_251">[251]</a></span> Eitelkeit gedient zu haben. &mdash; Ferner welche
-erbärmliche Unwahrheit lag darin versteckt, daß sie einmal vor
-Schwermuth und Verlangen nach seiner Wiederkehr fast vergangen sei &mdash;
-und gleich darauf sich die Frage gestellt habe: in welchem Kleide sie
-ihm bei seiner Ankunft wohl am besten gefallen möchte?</p>
-
-<p>Dieser Mann, der hier so vortrefflich philosophirt, glaubte seiner
-Geistesgröße nun dadurch die Krone aufzusetzen, daß er sich äußerlich
-von dem, was in ihm vorging, nicht das Geringste merken ließ. Von dem
-Augenblick, wo er gegen seine Gemahlin einen so wichtigen Beweis, wie
-den obigen, in Händen zu haben meinte, war er der Ueberzeugung, die
-Rolle, welche er zu spielen angefangen habe, sei vortrefflich gewählt,
-&mdash; und er werde unter ihrem Beistande dem Dinge nach und nach völlig
-auf den Grund kommen.</p>
-
-<p>Cölestine lud ihn ein, den Abend mit ihr im Garten zuzubringen, und er
-willigte sogleich mit der liebevollsten Freundlichkeit ein. Er bot ihr
-den Arm &mdash; führte sie zuerst nach ihren Zimmern, wo sie das Salonkleid
-mit einem<span class="pagenum"><a name="Seite_252" id="Seite_252">[252]</a></span> bequemeren vertauschte, dann warf sie einen Shawl um &mdash; und
-nun schritten sie Beide hinab in den Garten. &mdash; Sie zog ihn zuerst
-zu allen den Plätzen, die durch irgend eine Erinnerung an die erste
-Zeit ihrer Liebe geheiligt waren. Da traten sie hinein in die Lauben
-&mdash; in die Grotten &mdash; da setzten sie sich hin auf die Rasensitze und
-Blumenplätze &mdash; &mdash; überall verweilten sie einige Augenblicke &mdash; und als
-sie überall gewesen waren, fingen sie den süßen Erinnerungsgang wieder
-von Neuem an.</p>
-
-<p>Ach, wie erfinderisch ist wahre Liebe! Sie weiß in einen gewöhnlichen
-Schritt, in einen kurzen Spaziergang Welten voll Seligkeit zu legen....
-Sie weiß auf einer Scholle Erde ein Paradies erblühen zu lassen.</p>
-
-<p>Das Silberlicht des Mondes ergoß sich über den ganzen Garten und
-tauchte jedes Blatt und jedes Steinchen in ein Meer voll stillen
-Zauberscheins. Einem entzückten Auge, wie dem ihren, schien die ganze
-Welt jetzt eine höhere, eine mehr als irdische zu sein.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Ihrem</em> Auge? &mdash; Ja dem <em class="gesperrt">ihren</em>, dem Auge Cölestinens...
-nicht dem seinen. Dieses<span class="pagenum"><a name="Seite_253" id="Seite_253">[253]</a></span> sah nichts. Dieses sah nur eine gewöhnliche,
-schlechte, schändliche Welt. &mdash;</p>
-
-<p>Nach und nach fand er, unter dem Beistand der früheren, neue Gründe,
-die ihn in seinem Verdachte bestärkten &mdash; er nahm sie als Beweise gegen
-sein Weib hin, wie er die früheren als solche genommen. &mdash; Woher, sagte
-er zu sich &mdash; diese Fröhlichkeit, diese lustige, diese muthwillige
-Fröhlichkeit? &mdash; Jedenfalls ist es das erste Mal, daß ich Cölestinen
-<em class="gesperrt">so</em> sehe. Sie war heiter, zufrieden, wonnevoll; aber sie war noch
-niemals lustig und ausgelassen..... Und doch und doch! Damals gleich
-nach unserer Vermählung, auf dem Balle! &mdash; &mdash; Ah! ah! &mdash; habe ich das
-so schnell vergessen? &mdash; Aber jetzt fällt es mir dennoch wieder bei.
-Jetzt, jetzt, da ich es am besten brauchen kann. &mdash; &mdash; Und ich Thor
-ließ mich zu jener Zeit so schnell beruhigen, ließ mich von ihrer
-glatten Zunge beschwatzen. &mdash; Ich Thor! &mdash; Das war damals der Anfang &mdash;
-dieses jetzt ist die Fortsetzung.</p>
-
-<p>„War Niemand zum Besuche da?“ warf er später die Frage hin und erfuhr
-nun, daß <em class="gesperrt">Edmund</em> mit seinem Freunde dem <em class="gesperrt">Chevalier<span class="pagenum"><a name="Seite_254" id="Seite_254">[254]</a></span> von
-Marsan</em> sich hatten anmelden lassen.... sie, Cölestine, jedoch habe
-ihren Besuch nicht angenommen und ein Unwohlsein vorgeschützt. &mdash;</p>
-
-<p>„Und diese zwei Herren gingen fort?“</p>
-
-<p>„Allerdings &mdash; &mdash; jedoch soll Edmund sehr ungehalten gewesen sein,
-nicht vorgelassen zu werden; nun Du kennst die Weise des Tollkopfes!“
-entgegnete sie.</p>
-
-<p>„Er wird es nicht allein gewesen sein, der ungehalten war;“ meinte der
-Ehemann bei sich: „vielleicht war Edmund nichts weiter, als das Echo
-seines Freundes &mdash; &mdash; das Organ, welches der innern Stimme Marsans
-Worte lieh.“ Und laut setzte er hinzu: „Diese beiden Herren besuchen
-uns in der That sehr fleißig.“</p>
-
-<p>„Findest Du das? &mdash; Ich habe daran noch gar nicht gedacht. Ja in der
-That, Du hast Recht: sie waren in der letzten Woche mehrmals bei uns.“</p>
-
-<p>„Sie waren“ verbesserte er: „<em class="gesperrt">alle Tage</em> bei uns.“</p>
-
-<p>„Nun ja, gewiß, gewiß. &mdash; Aber was liegt daran? Reden wir von andern
-Dingen, mein Freund...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_255" id="Seite_255">[255]</a></span></p>
-
-<p>„Und warum nicht von diesen &mdash; meine Freundin?“</p>
-
-<p>„Wie? scheinen diese Dir von so großer Wichtigkeit?“ fragte sie und sah
-ihn dabei an.</p>
-
-<p>„Eine solche Frage“ meinte er bei sich: „hätte ich eher an sie stellen
-sollen &mdash; &mdash; indeß nicht als Frage &mdash; sondern als &mdash; Anklage. &mdash; O bei
-Gott, diese Heuchlerin ist in ihrer Kunst erfahrener als ich glaubte.
-&mdash; Ach, ach, ein so junges Wesen und doch schon so verderbt! &mdash; Aber
-liegt so Etwas nicht im Blute? &mdash; Und ist es von ihr nicht bekannt, ja
-von ihrem ganzen Stamme &mdash; daß sie insgesammt leichtsinnige, thörichte,
-eitle und gefallsüchtige Menschen sind? &mdash; <em class="gesperrt">Schlecht</em> jedoch...
-ist nur diese da! Von ihren Verwandten habe ich noch niemals gehört,
-daß sie ein böses Herz besäßen.“</p>
-
-<p>„Du bist heute ungewöhnlich nachdenklich, Alexander!“ bemerkte
-Cölestine und fuhr nach einer Pause, in welcher sie vor sich
-hinblickte, fort: „Was fehlt Dir? Rede! Was hast Du, lieber Mann?“</p>
-
-<p>„Dies soll“ sagte er wieder zu sich: „das letzte Mal sein, daß ich
-ihr von meiner Gemüthsbewegung etwas merken ließ.... Hinfort mag<span class="pagenum"><a name="Seite_256" id="Seite_256">[256]</a></span> ihr
-Blick nicht mehr durch diese äußere Hülle dringen, welche ich glatt,
-geschmeidig, lustig und so weltnärrisch als nur möglich machen will.
-&mdash;“ Und von dem gegenwärtigen Momente an seiner Gestalt, seinen Reden,
-seinem Benehmen einen Schein der natürlichen Heiterkeit gebend &mdash; fing
-er an mit ihr nur mehr von Liebe und Lust, von Welt und Thorheit zu
-sprechen, Tändeleien zu treiben &mdash; &mdash; u. s. w. &mdash; Sie spielten wieder
-wie die Kinder, hüpften und tanzten im Garten umher, so daß der alte
-Mond gar satirisch d’rein sah.</p>
-
-<p>Es war, als hätten sie Raum und besonders &mdash; Zeit vergessen... denn
-Mitternacht war bereits vorüber; doch</p>
-
-<div class="poetry-container">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">„die Uhr schlägt keinem Glücklichen!“</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p>Endlich ließ Alexander matt und müde sich auf einen Ruhesitz nieder und
-zog sie, die Lachende, neben sich: „Was meinst Du,“ sagte er &mdash; „werden
-wir hier bis zum Morgen bleiben?“</p>
-
-<p>„Ich hätte“ versetzte sie ausgelassen: „große Lust dazu.“</p>
-
-<p>„Ich &mdash;“ meinte er sehr aufrichtig &mdash; „nicht!“</p>
-
-<p>„Und weßhalb nicht?“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_257" id="Seite_257">[257]</a></span></p>
-
-<p>„Weil &mdash; &mdash; &mdash; wie Du weißt, ich mich leicht erkälte.“</p>
-
-<p>„Aufrichtig, mein Freund, davon hast Du mir bisher noch nichts gesagt.“</p>
-
-<p>„Wozu sollte ich Dich mit dergleichen belästigen. Kommen diese Dinge
-heran, so ist es noch immer Zeit genug, sie beim Namen zu nennen.“</p>
-
-<p>„Nun ja; dann aber will ich Dich auch keinen Augenblick länger der
-Nachtluft ausgesetzt sehen &mdash; Alexander. &mdash; Komm, komm &mdash; laß uns
-hinauf gehen. Da, nimm meinen Shawl.“</p>
-
-<p>„Warum nicht gar! Ich würde darin schön aussehen.“</p>
-
-<p>„Wer sieht es denn? &mdash; Es ist ja pechfinster. Nun denn, sei nicht eitel
-&mdash; und folge meinem Rathe.... siehst Du, so will ich Dich einhüllen &mdash;
-so &mdash;“ Sie war im Begriffe, ihm den Shawl um den Hals zu wickeln; er
-ließ es jedoch nicht geschehen...</p>
-
-<p>„Behalte, was Du mitgebracht hast, für Dich; Du bist dessen eben so
-bedürftig wie ich.... und lass’ uns lieber die Schritte beschleunigen,
-so werde ich nichts zu fürchten haben.“ Er<span class="pagenum"><a name="Seite_258" id="Seite_258">[258]</a></span> hüllte nun sie in den Shawl
-ein, gab ihr den Arm, zog sie dicht an sich, und eilte mit ihr raschen
-Schrittes aus dem Garten in ihre Wohnung.</p>
-
-<p>Sie langten im Schlafzimmer an, wo eine große Kugellampe ihren
-milchweißen Schein auf alle Gegenstände warf. Als der Graf diese
-Zeugen ihrer ersten beiderseitigen Zärtlichkeit, ihres ersten
-Liebesschwures, den er ihr, den sie ihm feierlicher leistete, als dies
-am Altare geschehen war, gewahrte &mdash; als sein Blick auf die Stätte
-fiel, wo sich ihre Arme so heiß, so brünstig, so selig in einander
-verschlungen hatten... da konnte er einen leisen Schauer, der seine
-Glieder schmerzlich und wild durchzog, &mdash; nicht unterdrücken. &mdash; Aber
-seine Selbstbeherrschung kehrte rasch zurück und er erwiederte auf die
-Frage, welche sie mit süßgeschämiger Stimme und begleitet vom feuchten
-Liebesblick, ihm zulispelte: „Du wirst mich nicht verlassen, mein
-Geliebter?“</p>
-
-<p>„Nein, ich bleibe bei Dir, meine holde Seele.“ Er sprach es mit dem
-Tone glückseliger Uebereinstimmung aus.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_259" id="Seite_259">[259]</a></span></p>
-
-<p>Ach, wie viel hatten sie sich jetzt noch zu sagen, zu erzählen....
-Die Liebe, die Leidenschaft ist nicht stumm, wie man glaubt &mdash; sie
-ist beredsam und phantasievoll wie ein Dichter. Jene einsilbige Liebe
-gehört den Kindern und den schüchternen Jungfrauen an.</p>
-
-<p>Eine glühende Stunde war vergangen.</p>
-
-<p>„Wirst Du mich immer so lieben?“ fragte das beglückte Weib.</p>
-
-<p>„Immer, ewig; und Du?“ flüsterte er.</p>
-
-<p>Hierauf konnte sie nur mit einem Kusse, der ihre Seele in seine Brust
-hinüberzuhauchen schien, antworten....</p>
-
-<p>„Und &mdash; &mdash;“ sagte sie mit vor Angst zitternder Stimme: „hast Du nie
-einer Andern so angehört wie mir? Rede mir Wahrheit, Alexander!“</p>
-
-<p>„Nie! niemals!“ Er konnte dieses mit gutem Gewissen sagen.</p>
-
-<p>„Niemals &mdash;?&mdash; auch vor Jahren, vor vielen Jahren nicht?“</p>
-
-<p>„Nein, nein. Aber wozu diese Fragen?“</p>
-
-<p>„Weil &mdash; &mdash; ich zu glücklich in Deinem Besitze bin, und ihn keiner
-Andern, wäre es<span class="pagenum"><a name="Seite_260" id="Seite_260">[260]</a></span> selbst jene Todte &mdash; Du weißt, welche ich meine &mdash;
-vergönne. O &mdash; ich bin eifersüchtiger als Du wähnst!... Ich könnte es
-nicht ertragen, Dich mit einer Zweiten getheilt zu haben, zu theilen &mdash;
-oder &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Oder?“ nahm sie wieder das Wort: &mdash; „Es gibt hier kein Oder. &mdash; Denn
-der Zukunft wirst Du mich doch hoffentlich nicht berauben, wenn Du
-mich auch willenlos um die Vergangenheit oder selbst um die Gegenwart
-betrogen hättest. Nicht wahr &mdash; &mdash; Du wirst mich nicht unglücklich,
-nicht elend, nicht verzweifeln machen, mein Mann?“</p>
-
-<p>„O nein, nein!“ rief er mit leidenschaftlichem Feuer aus, das sich in
-seinem ganzen Wesen verbreitet zu haben schien.</p>
-
-<p>„Herz meines Herzens! Seele meiner Seele! &mdash;“ lispelte sie, sich
-innigst an ihn schmiegend &mdash;: „O!“ seufzte sie: „möchte ich doch mein
-ganzes Leben in diese holdselige Stunde bergen &mdash; oder möchte ich
-dieselbe zur Dauer meines ganzen Lebens ausdehnen können. &mdash; Niemals,
-niemals noch war ich so glücklich!“</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_261" id="Seite_261">[261]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Zwoelftes_Kapitel"><b>Zwölftes Kapitel.</b><br />
-
-<span class="s6">Die Beweise der Untreue.</span></h2>
-
-</div>
-
-<p><span class="initial">D</span>ie Nacht mit ihren dunkelsten Fittigen umfing die Schläfer und ließ
-sie ein kurzes Vergessen ihres Daseins finden. Bald aber erschienen die
-Genien der Träume und flatterten mit kleinen Spiegelchen, in denen sich
-irgend ein Stück aus dem Leben der Schläfer abconterfeite, (oft sehr
-verworren und verkehrt) um deren Häupter herum.</p>
-
-<p>Cölestine träumte von ihrer Liebe &mdash; ihr Mann von seinem Schmerze. Da
-fand er Alles wieder, wie er es gestern liegen gelassen: da war wieder
-der fremde Kopf &mdash; da dröhnte dessen unheimliche Ermahnung &mdash; da der
-Wald mit Schlangen und Salamandern &mdash; dort Cölestine an ihrer Toilette
-&mdash; &mdash; und hinter ihr, hinter ihr lauschte ein junger, schlanker,
-feiner<span class="pagenum"><a name="Seite_262" id="Seite_262">[262]</a></span> Mann, dessen Antlitz man jedoch nicht sehen konnte...</p>
-
-<p>Mit schwerem Kopfe und noch schwererem Herzen erhob Alexander sich vom
-Lager, während seine Gattin noch schlief:</p>
-
-<p>„Diesen ruhigen, festen, tiefen Schlummer“ sprach er, sie anblickend,
-„hat nur ein reines Gewissen &mdash; &mdash; oder ein gänzlich verderbtes...“</p>
-
-<p>Dann trat er leise vom Lager weg und blickte überall umher im Gemache,
-welches er jetzt sich vornahm zu durchsuchen...: „Ich werde“ sprach er
-vor sich hin &mdash; „ohne Zweifel auf Etwas stoßen, was mir Aufschluß geben
-oder mindestens als Faden in dem Labyrinthe dienen wird, worein ich
-gerathen bin.“</p>
-
-<p>Ein Dieb hätte es ihm nicht so geschickt nachthun können. Es schien,
-als wären seine Füße, als wäre sein Körper nicht von Fleisch und Blut:
-so leise, so luftig, so schattenhaft strich er in diesem Gemache
-umher. Er öffnete zuerst einige Kästchen und einen Schrank;.. hier
-fand er nichts als Dinge, die dahin gehören und mit denen man jedes
-Schlafgemach ausstattet.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_263" id="Seite_263">[263]</a></span></p>
-
-<p>Er schritt sodann zu einem Tische und zog dessen Schubladen heraus.
-Er fand nichts. &mdash; Er hob den Deckel ab &mdash; auch hier nichts; &mdash; er
-untersuchte die Winkel, Ritzen, ja selbst die Unterlage der Füße, wie
-er es früher bei dem Schranke gethan: nichts, nichts! &mdash;</p>
-
-<p>Jetzt trat er zu einem Repositorium, auf welchem einige Bücher standen.
-Zuerst prüfte er das Gestell, sodann bespionirte er die Bücher, Blatt
-für Blatt....</p>
-
-<p>Halt! hier fand er Etwas: einen Zettel mit den Zahlen: 58 &mdash; 21 &mdash;
-333 &mdash; und 578 &mdash; &mdash;. Was war das? Sicherlich eine Chiffersprache. &mdash;
-Konnte es aber nichts Anderes sein? &mdash; Und was hätte es sein sollen? &mdash;
-Mit der Lotterie machte seine Gemahlin sich niemals etwas zu thun...
-Also steckte hinter diesen Zahlen gewiß irgend ein verborgener Sinn,
-von dem man nicht haben wollte, daß er einem Andern bekannt werde. &mdash;</p>
-
-<p>Mit zitternden Fingern ergriff der Mann das Papier, faltete es und
-steckte es zu sich.... dann fuhr er mit seiner Nachsuchung fort.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_264" id="Seite_264">[264]</a></span></p>
-
-<p>Unter dem Repositorium lag eine halbverwelkte Hortensie. Woher kam
-diese? Sie mußte erst gestern gepflückt worden sein &mdash; &mdash; aber gestern
-war ja Cölestine nicht im Garten gewesen, sie hatte sich mit ihrer
-Garderobe unterhalten. Freilich konnte sie sich eine Hortensie durch
-den Bedienten haben <em class="gesperrt">holen</em> lassen, denn in ihrem Garten gab es
-deren.... Aber das schien nicht wahrscheinlich, denn Cölestine pflegte
-sonst diese Blume nicht zu lieben.... Wie, wenn es ein Geschenk jenes
-eitel-glänzenden jungen Mannes wäre &mdash; dessen sprechendes Bild diese
-reizende aber duftlose Blume war? Unwillkührlich mochte das Schicksal
-sie ihm in die Hand gespielt haben &mdash; denn das Schicksal liebt solche
-Ironien. &mdash; Indeß... so weit konnte die Vertraulichkeit der Beiden
-doch noch nicht reichen?! &mdash; &mdash; Ach, wer wird dies entscheiden wollen!
-Alles war möglich und das Schlimmste um so eher! &mdash; &mdash; Wie schön
-reimte sich Folgendes zu einander: Cölestine hatte gestern die Blume
-empfangen, (vielleicht ließ der Chevalier sie zufällig fallen) &mdash; sie
-legte dieselbe an ihr Herz &mdash; ganz dicht an’s Herz &mdash; und dort blieb
-die Hortensie bis zum<span class="pagenum"><a name="Seite_265" id="Seite_265">[265]</a></span> Augenblicke des Schlafengehens, wo sie unter die
-Bücher fiel. &mdash;</p>
-
-<p>Er steckte auch sie zu sich.</p>
-
-<p>Jetzt gab es in diesem Gemache nichts mehr zu untersuchen und
-unser Mann ging hinaus, um sein Geschäft in den andern Gemächern
-fortzusetzen... Da stand zuerst das Boudoir. &mdash; Ach hier in den tausend
-Fächern, Büchsen, Dosen &mdash; Schatullen und Kästchen &mdash; hinter diesen
-tausend Decken, Vorhängen, Falten und Draperien &mdash; &mdash; unter diesen
-Kissen, Pölstern, Teppichen &mdash; was konnte da nicht Alles versteckt
-werden? Alexander verzweifelte fast an dem Erfolge einer Untersuchung,
-die er hier anstellen sollte.... Er wußte nicht, wo er anzufangen
-habe.... Doch die Eifersucht weiß sich immer Rath zu schaffen; auch
-ermüdet sie niemals.</p>
-
-<p>Er hatte über eine halbe Stunde gearbeitet. Die Ausbeute davon bestand
-in einigen Ringen ohne großen Werth, von denen er jedoch bisher nichts
-gewußt &mdash; &mdash; dann in einer Locke von hellbraunem Haar, besonders
-sorgfältig in ein kleines Medaillon gelegt, welches man auf dem Herzen
-tragen kann... die Locke konnte wohl<span class="pagenum"><a name="Seite_266" id="Seite_266">[266]</a></span> von Edmund sein &mdash; aber sie
-konnte auch einem Andern gehören. &mdash; Ferner: zwei Briefe folgenden
-Inhalts:</p>
-
-<p>„Ich habe sehr angelegentlich mit Dir zu sprechen und muß es noch
-heute. Bestimme der Ueberbringerin eine Stunde.“</p>
-
-<p>Kein Datum, keine Unterschrift.</p>
-
-<p>Das war sehr verdächtig; denn welcher ehrliche Mensch unterschreibt
-heutzutage ein Billet nicht? &mdash; Es war freilich möglich, daß die Eile
-und der Umstand, daß Cölestine die Schriftzüge kannte, dies unnöthig
-gemacht habe, und unter diesen Verhältnissen konnte das Schreiben
-ebenfalls von Edmund sein.... Allein wer verbürgt diese Alternative? &mdash;</p>
-
-<p>Der andere Brief war länger und wo möglich noch verrätherischer. Er
-lautete:</p>
-
-<p>„Seit Deiner Verheirathung &mdash; lebst Du für mich nicht mehr, meine
-geliebte Cölestine.... und doch ist es nicht denkbar, daß dieser Mann
-allein Dein Herz ausfüllen könnte. Hast Du meiner denn ganz und gar
-vergessen? &mdash; So wisse, daß meine Seele fester als je an Dir hängt!
-Ach würde uns nicht das mächtigste Band unzer<span class="pagenum"><a name="Seite_267" id="Seite_267">[267]</a></span>trennlich mit einander
-verknüpfen, wo Du auch sein magst, wo ich auch weilen möge: wahrlich,
-ich würde glauben, gänzlich aus Deinem Gedächtnisse ausgelöscht zu
-sein. Doch so ist dies nicht möglich! &mdash; Magst Du es wollen oder nicht
-&mdash; wir gehören uns für immerdar an. Darin liegt mein süßer Trost. Leb’
-wohl &mdash; ich werde Dich morgen küssen! &mdash;“</p>
-
-<p>Auch keine Unterschrift; doch schien sie hier wie <em class="gesperrt">zufällig
-weggerissen</em> zu sein.</p>
-
-<p>Von wem war dieser verliebte, eifersüchtige Brief? &mdash; Es war nicht
-schwer zu errathen. &mdash; Von einem älteren Liebhaber, der seine Ansprüche
-noch nicht aufgab. &mdash; &mdash; Diese Züge hatten so viele Aehnlichkeit mit
-einer Hand, welche Alexander schon irgendwo ein Mal gesehen! Aber wo?
-&mdash; Auch sie schienen sehr eilig hingeworfen.... Eben darum aber konnte
-man nichts mit Bestimmtheit annehmen....</p>
-
-<p>Der unglückliche Gatte glaubte nun einen <em class="gesperrt">Beweis</em> in Händen zu
-haben, einen Beweis, der weder zu deuten noch umzustürzen war.... Er
-suchte sich mit einer Art wollüstigen Wahnsinnes darin zu bestärken,
-daß hier nicht mehr<span class="pagenum"><a name="Seite_268" id="Seite_268">[268]</a></span> gezweifelt werden könne &mdash; ja mit demselben
-wollustvollen Wahnsinn sträubte er sich sogar gegen jede fremde
-Auslegung, gegen jede genauere Untersuchung... Er fürchtete sein
-Unglück zu schmälern! &mdash;</p>
-
-<p>Denn so ist der Mensch im Leiden. Ein riesiges, ein außerordentliches
-Weh erscheint ihm willkommener, als jene tausend kleinen Schmerzen und
-Unannehmlichkeiten des gewöhnlichen Lebens.... Es ist als ob im Kampfe
-mit dem Ersteren ein göttlicher Theil unserer Natur, der sonst schläft,
-erwachte, als ob ein höheres Bewußtsein in uns erstände, das uns unser
-schweres Unglück tragen hilft &mdash; während wir hier allein unter der Last
-des Tages keuchen und niedersinken.</p>
-
-<p>Aus dem Boudoir begab er sich in das Arbeitszimmer seiner Frau. Welche
-Ausbeute hoffte er wieder hier nicht zu finden! &mdash; Mit lautem Lachen,
-welches ein Fremder für den Ausbruch heiteren Frohsinns genommen hätte,
-&mdash; vergrub er sich hinter allen Möbeln, in allen Cartons, Körbchen
-&mdash; er stürzte Tische, Stühle um &mdash; zerlegte ganze Schränke.... Ach
-was fand er da<span class="pagenum"><a name="Seite_269" id="Seite_269">[269]</a></span> nicht Alles! Ihm erschien jetzt, so weit war es mit
-ihm schon gekommen &mdash; eine Stickerei, die für einen Mann paßte, ein
-buntes Tuch &mdash; ja ein Faden Seide zureichend.... um daran die möglichst
-bösartigen Auslegungen zu knüpfen. O wie jubelte er über seinen neuen
-Fund &mdash; wie packte er ihn sorgfältig zu seinem übrigen Krame! &mdash;</p>
-
-<p>Jetzt betrat er einige Nebengemächer &mdash; &mdash; in einem fand er ein leeres
-Stück Papier, welches wie ein Briefumschlag gefaltet war, jedoch ohne
-auch nur einen Buchstaben, ohne ein Stückchen von einem Siegel zu
-enthalten. Was schadet das? &mdash; sagte er zu sich. Man hat schon Briefe
-unter solchen Couverts abgesendet &mdash; &mdash; und überdies scheint dieses an
-der Stelle, wo sonst das Siegel aufgedrückt wird, durchstochen; ein
-Beweis, daß der Brief mit einer Stecknadel zusammengeheftet war. &mdash;
-Haha! Eine sehr beliebte Art bei Frauen...</p>
-
-<p>Ferner noch zwei wichtige Indicien! &mdash; Im Gesellschaftssalon war auf
-einem Teppich &mdash; die Spur eines männlichen Fußes abgedrückt &mdash; und
-wiewohl sie eben so gut einem Bedienten, der<span class="pagenum"><a name="Seite_270" id="Seite_270">[270]</a></span> herbeigerufen wurde, wie
-jedem andern Manne gehören konnte &mdash; schloß unser Gatte dennoch:</p>
-
-<p>„Sie gehört einem Liebhaber!“</p>
-
-<p>Nahe am Fenster auf einem Stuhl lag ein Lorgnon seiner Frau. Was sollte
-hieraus sonst gefolgert werden, als: „sie sah durch das Fenster auf die
-Straße &mdash; nach ihm &mdash; nach dem Liebhaber....?“</p>
-
-<p>Mein Gott, dieser Graf hätte heute einem Tollhäusler zum Muster dienen
-können. Der albernste Einfall erschien ihm als die reinste Vernunft. Er
-mochte wohl recht stolz sein auf seine geistvollen Einfälle!</p>
-
-<p>Um die Zeit, da Cölestine das Schlafgemach zu verlassen pflegte, war
-er mit seiner Entdeckungsreise zu Ende. &mdash; Er hörte jetzt ihre Tritte,
-die sich dem Zimmer, in welchem er, um auszuruhen, sich niedergelassen
-hatte, sich näherten &mdash; und bald darauf trat sie ein. Alexander
-empfing sie mit einer Liebenswürdigkeit, welche meisterhaft gespielt
-sein sollte. Sie war es vielleicht auch &mdash; Cölestine jedoch nahm sie
-für Wahrheit &mdash; denn was sollte sie sonst &mdash; nach einer Nacht, wie
-die vergangene? &mdash; Das süße Weib<span class="pagenum"><a name="Seite_271" id="Seite_271">[271]</a></span> fiel diesem Menschen, welcher einer
-kalten schönbemalten Bildsäule glich, mit ihren noch von Liebe heißen
-Armen um den Hals &mdash; stumm, wortlos, stillbeglückt... Er seinerseits
-brach dies Schweigen auch nicht &mdash; und so war es zuletzt an ihr, ihm
-die ersten Tagesgrüße zuzurufen: „Theurer Mann!“ sagte sie und sah ihn
-mit Blicken an, aus welchen Himmel strahlten: „Theurer, einziger Mann
-&mdash; wie lieb’ ich Dich! &mdash; So bist Du heute wieder mein, wie Du gestern
-es gewesen! &mdash; ja Du bist mein, ich fasse Dich, ich halte Dich in den
-Armen &mdash; &mdash; ewig, ewig werden sie Dich als ihr süßestes Eigenthum
-umklammern. &mdash; Allein, sprich &mdash; was hast Du schon Alles verrichtet?..
-warum mich so früh verlassen? &mdash; Ach, ich Schläferin.... und ich fühlte
-Dich im Traume immer an meiner Seite! &mdash; Da schlug ich die Augen auf:
-&mdash; da griff ich mit der Hand nach Dir &mdash; da fühlte ich eine leere,
-kalte Stelle... und der holde Traum war entflohen... Ach warum hast
-Du mir das gethan? Welcher Seligkeit hast Du mich beraubt! Welches
-Verlangen brannte beim Erwachen in mir, an Deine Brust zu sinken!....<span class="pagenum"><a name="Seite_272" id="Seite_272">[272]</a></span>
-Vergebens! vergebens! &mdash; &mdash; Da sprang ich auf, entfloh der treulosen
-Stätte, die mich um mein schönstes Glück gebracht &mdash; &mdash; ich lief Dir
-nach &mdash; und so kam ich hierher... wo ich Glückliche Dich endlich wieder
-finde. &mdash;“</p>
-
-<p>Er gab sich ihren Liebkosungen bereitwillig hin &mdash; ja er erwiederte
-dieselben zärtlich und warm; das arme Weib schien sich in Lust zu
-berauschen &mdash; sie vergoß eine Fluth entzückter Thränen &mdash; ihr weißer
-Busen wogte heftig, voll süßen Schmerzes &mdash; voll wehmuthsvoller
-Zärtlichkeit.</p>
-
-<p>„Und nicht wahr,“ begann sie sich zu sammeln und trocknete mit ihrem
-Battisttuche, woran breite Spitzen hingen, die feuchten Augen, &mdash;
-„nicht wahr, mein Alexander, Du bleibst heute bei mir? Diesen Tag
-verlässest Du mich nicht? Du schenkst ihn ganz Deinem Weibe &mdash; Deiner
-Liebe. &mdash; Hast Du ihn mir doch gestern vom frühen Morgen zum späten
-Abend entzogen!... Nun, rede doch, mein geliebter Mann. Rede! Sprich:
-Ja! Hörst Du, Alexander!“</p>
-
-<p>„Theure Cölestine &mdash;“ antwortete er mit bebender Stimme und einem
-sonderbaren Blick,<span class="pagenum"><a name="Seite_273" id="Seite_273">[273]</a></span> mit welchem er sie seit langer Zeit verstohlen
-anblickte, dieser Blick aber schien jetzt von Trauer umflort: &mdash;
-„Cölestine,“ wiederholte er: „ich weiß nicht, ob es bei mir steht,
-Deinen Wunsch zu erfüllen.... Du kennst die Verantwortung nicht, welche
-ich dadurch vor meinen Obern auf mich nehme....“</p>
-
-<p>Er schwieg, er vermochte nicht weiter zu reden. Die Wahrheit ist, daß
-zum ersten Male seit vier und zwanzig Stunden ein guter Engel ihm
-durch den Mund Cölestinens etwas zugeflüstert hatte, was sein Herz
-erschütterte. Er hatte, als er heute in ihr reines, spiegelklares Auge
-sah &mdash; als er es so treu lächeln und weinen sah, wie nur Engel lächeln
-und weinen &mdash; als er ihre Worte so voll süßen Klanges, voll Liebe und
-Wahrheit vernahm &mdash; endlich als er diese so seligen Umarmungen &mdash;
-diesen so beflügelten Schlag ihres Herzens &mdash; diese trunkenen Küsse
-fühlte: er hatte sich da gefragt: ist es möglich, daß dies Alles
-Verstellung sei? &mdash; Und er hatte sich hierauf keine Antwort geben
-können. &mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_274" id="Seite_274">[274]</a></span></p>
-
-<p>Aber die Beweise, die Zeugnisse vom Gegentheil, die er in Händen hielt?
-&mdash;</p>
-
-<p>Er befand sich in einer entsetzlichen Lage. Sein Herz fing an unter
-dem Andringen entgegengesetzter Gewalten zu seufzen. Es war jetzt ein
-Moment, wo er wünschte, daß dies Herz verbluten möchte....</p>
-
-<p>Da fiel ihm der Gedanke ein, die Hortensie aus seiner Tasche zu ziehen
-und sie Cölestinen zu zeigen: „Kennst Du diese Blume?“ rief er mit
-einem Tone, als fragte ein Verurtheilter: „Werde ich hingerichtet?“</p>
-
-<p>O Himmel! Eine Purpurröthe überzog plötzlich ihr Gesicht, das sich
-zitternd senkte.</p>
-
-<p>„Sie ist schuldig!“ sprach eine Donnerstimme in seiner Brust &mdash; diese
-drohte zu zerreißen &mdash; er fiel fast ohnmächtig um.</p>
-
-<p>Doch sein Stolz ließ ihn sich schon in den nächsten Augenblicken wieder
-emporreißen und von jetzt an ward er fest und hart wie Granit. Sie, die
-noch immer gesenkten Blickes vor ihm stand &mdash; wußte nicht, was mit ihm
-vorging, und erst nachdem er, der jetzt wieder ruhig lächelte wie zuvor
-&mdash; mit seinen eigenen Händen<span class="pagenum"><a name="Seite_275" id="Seite_275">[275]</a></span> ihr Haupt aufgerichtet hatte &mdash; wagte sie
-es, ihm in’s Gesicht zu sehen &mdash; und sie erblickte einen vollkommen
-gefaßten Mann, der mit liebreicher Stimme zu ihr sprach:</p>
-
-<p>„Nun, meine süße Taube, was ist mit Dir geschehen? Warum diese
-Ueberraschung? Was lag in meiner Frage wegen jener Blume, die jetzt
-hier auf dem Boden zu unseren Füßen liegt &mdash; so Sonderbares? Du
-schienst erschreckt &mdash; hätte ich dies voraussehen können, ich würde die
-Frage nicht gestellt haben.“</p>
-
-<p>Eine Pause entstand.</p>
-
-<p>„Du antwortest nicht?“ fuhr er fort: „Du hast mir nichts zu sagen. Ei,
-es ist so auch gut! Was liegt an der ganzen thörichten Blume? Reden wir
-nicht mehr von ihr.“</p>
-
-<p>„Ja, reden wir nicht mehr davon!“ wiederholte sie, abermals leicht
-erröthend: „Es ist eine Thorheit, eine Schwäche &mdash; was Du sonst
-willst... Reden wir also nicht davon, geliebter Mann.“</p>
-
-<p>„Gehen wir“ begann er mit einem lustigen Tone: „zu wichtigeren Dingen
-über: <em class="antiqua">A propos</em>, was unsere Soirées, unsere <em class="antiqua">jours fix</em>
-betrifft, hast Du deshalb schon einen bestimmten Entschluß<span class="pagenum"><a name="Seite_276" id="Seite_276">[276]</a></span> gefaßt? Wir
-müssen uns darüber endlich doch mit der Gesellschaft verständigen; sie
-ist über unsere Zögerung sehr ungehalten, wie ich vernommen habe. &mdash;
-Also an welchem Tage öffnest Du Deinen Salon den Leuten von gutem Ton?“</p>
-
-<p>„Ach, mein Freund“ sagte sie bittend: „reden wir jetzt nicht von diesen
-Dingen. Scheinen sie Dir denn wirklich so wichtig? &mdash; Wie kommt das
-so plötzlich? &mdash; Du warst sonst eher ein Feind Alles dessen, was sich
-hindernd zwischen unsere Liebe stellte. &mdash;“</p>
-
-<p>„Ich habe jedoch einsehen gelernt, daß ich in einer solchen Gesinnung
-nicht verbleiben kann. Man hat nicht allein gegen sich, man hat auch
-gegen die Welt Pflichten zu erfüllen... Und was die letztere betrifft,
-so gibt sie ihre Ansprüche an uns ebenfalls nicht auf. &mdash;“</p>
-
-<p>„Allerdings, und wir wollen ihr auch ihr Recht nicht vorenthalten
-&mdash;.... aber nur heute, nur an diesem Tage, wo ich allein und ganz in
-Deinem Besitze leben und alles Andere vergessen möchte &mdash; nur heute
-kein Wort mehr.“</p>
-
-<p>„Ach Du, mein Närrchen,“ lachte er &mdash; „wie bist Du mit einemmale so
-kindisch und schwärmerisch<span class="pagenum"><a name="Seite_277" id="Seite_277">[277]</a></span> geworden &mdash; schwärmerischer als in den
-ersten Tagen unserer Liebe &mdash;! &mdash;“</p>
-
-<p>Das rauhe Wort hatte Cölestine verletzt. Ueber ihr freundliches
-Angesicht zog eine trübe Wolke &mdash; und eine von den Thränen, die kaum
-erst versiegt waren &mdash; perlte wieder an ihrer Wimper: „Du hast Recht!“
-sprach sie nach einer Weile eintönig, aber sanft: „Was Du verlangst,
-soll geschehen. Ich achte Deine Wünsche, so wie Du sie bisher bei mir
-geachtet hast. &mdash; Noch heute will ich in Betreff unserer Gesellschaften
-einen bestimmten Plan entwerfen und ihn Dir vorlegen.“</p>
-
-<p>„Warum aber kann das nicht sofort geschehen? Es ist besser, man thut
-ein solches Geschäft rasch ab &mdash; und da ich über diesen Gegenstand
-schon selber nachgedacht habe, so will ich Dir ohne Aufschub meine
-Ansichten mittheilen. &mdash;“</p>
-
-<p>„Ich höre Dich!“</p>
-
-<p>„Zuerst also ist meine Meinung, daß wir &mdash; wie schon einmal berührt
-worden &mdash; den <em class="gesperrt">Sonnabend</em> zu unserem <em class="antiqua">jour fix</em> wählen;
-an diesem Tage wären dann Deine Salons für die ganze Gesellschaft
-offen...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_278" id="Seite_278">[278]</a></span></p>
-
-<p>„Wohl, mein Freund.“</p>
-
-<p>„Du empfängst alle Welt: Freunde, Bekannte und durch sie eingeführte
-Fremde. &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Der Bediente trat mit der Meldung ein, daß das Frühstück servirt sei.</p>
-
-<p>„Wir wollen es hier einnehmen &mdash; in diesem Gemache, wenn Du damit
-zufrieden bist...“ bedeutete Alexander gegen seine Gemahlin.</p>
-
-<p>„Wie es Dir gefällt, mein Freund,“ entgegnete sie, und während man
-fortging, um das Nöthige herbeizuschaffen, fuhr er in seinem Gespräche
-fort:</p>
-
-<p>„Es ist einer meiner Lieblingsgedanken, unsern größern Cirkel so
-glänzend und zahlreich als möglich zu machen und deßhalb möchte
-ich Dir vorschlagen &mdash; besonders die ausgezeichneteren Fremden
-herbeizuziehen... Personen, wie z. B. die so eben in der Residenz
-anwesenden Grafen Orlowosky aus Petersburg &mdash; die Vicomtesse Defour,
-die aus den Bädern von Ems hierher zurückkehrte &mdash; die Laval’s, die Du
-Quintin’s, die jungen Lord Walpole &mdash; und Aehnliche.... Ach, beinahe
-hätte ich den Wichtigsten vergessen: den <em class="gesperrt">Chevalier de Marsan</em>!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_279" id="Seite_279">[279]</a></span></p>
-
-<p>Bei Nennung dieses Namens heftete er seinen Blick mit zersetzender
-Schärfe auf Cölestine .... sie, welche diesem Blicke begegnete,
-entsetzte sich vor demselben dermaßen, daß sie zurückfuhr wie von einem
-Schlage getroffen und ein heftiges Zittern sich über ihren ganzen
-Körper verbreitete:</p>
-
-<p>„Die Schändliche! Sie sieht sich entdeckt!“ rief es in seinem Innern
-und laut fragte er im Tone der Ueberraschung: „Aber was ist Dir
-geschehen?.. Was hast Du, Cölestine?“</p>
-
-<p>„Dein Blick &mdash;“ erwiederte sie &mdash; „hat mich erschreckt.“</p>
-
-<p>„Mein Blick &mdash;?“</p>
-
-<p>„Noch nie sah ich Dich so &mdash;“</p>
-
-<p>„Eine Einbildung von Deiner Seite &mdash; ein Zufall &mdash; eine Kleinigkeit von
-der meinen; die Nachwirkung vom gestrigen Unwohlsein...“</p>
-
-<p>Inzwischen ward das Frühstück hereingebracht; der Graf verabschiedete
-mit einem Winke die Dienerschaft und führte seine Gemahlin zum Tische
-&mdash; welcher vor einem Divan stand, worauf jetzt Beide Platz nahmen....</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_280" id="Seite_280">[280]</a></span></p>
-
-<p>Er langte wacker zu &mdash; er hatte freilich auch gestern den ganzen Tag
-nicht gegessen; indeß auch ohne diesen Zufall hätte er sich zum Essen
-<em class="gesperrt">gezwungen</em>; es gehörte zu seiner Rolle. Sie jedoch berührte
-nichts und dies &mdash; dies schien er gar nicht zu bemerken. &mdash;</p>
-
-<p>„Kannst Du, meine Freundin, mir nicht sagen,“ fing er wieder an &mdash; „ob
-wir den Chevalier noch lange in unserer Stadt behalten werden?“</p>
-
-<p>„Welchen Chevalier?“</p>
-
-<p>„&mdash; Den Chevalier de Marsan. &mdash; Allein was macht Dich fortwährend so
-nachdenklich &mdash; &mdash; mein Kind?“</p>
-
-<p>„Du sprichst von Herrn von Marsan?“ sagte sie zerstreut &mdash; „ich kann
-Dir über diesen Herrn keine Auskunft geben.“</p>
-
-<p>„In der That &mdash; er ist einer der glänzendsten Kavaliere...“</p>
-
-<p>„Gewiß!“ versetzte sie, wahrscheinlich an etwas ganz Anderes denkend.</p>
-
-<p>„Und &mdash; einer der interessantesten Charaktere.“</p>
-
-<p>„Ohne Zweifel.“</p>
-
-<p>„Der schönste Mann, den ich je gesehen.“</p>
-
-<p>„Ein reizender Mann!“ bestätigte sie arglos.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_281" id="Seite_281">[281]</a></span></p>
-
-<p>Der Graf sprang nun plötzlich von diesem Gegenstande ab und erkundigte
-sich nach den Eltern Cölestinens.</p>
-
-<p>„Ach!“ sagte sie wehmüthig bewegt: „Du erinnerst mich an meine guten
-Eltern. Ich bin eine schlechte Tochter. &mdash; Seit mehreren Tagen habe ich
-an die lieben Ehrwürdigen nicht gedacht. &mdash; Ich dachte nur an &mdash; Dich!“</p>
-
-<p>„Wirklich?“ lachte eine Hölle in seiner Seele.</p>
-
-<p>„Du theures, theures, geliebtes Weib!“ sprach er gegen sie gewendet mit
-zärtlichem Tone und umfing mit seinen Armen ihren Leib &mdash; zog sie an
-sich heran &mdash; und berührte mit seinen fieberischen Lippen die ihrigen.</p>
-
-<p>„Dein Mund brennt wie Feuer!“ rief sie.</p>
-
-<p>„Aus Liebe!“</p>
-
-<p>„Dein Hauch ist so glühend &mdash; so heftig. &mdash;“</p>
-
-<p>„Die Leidenschaft in meinem Herzen ist es auch!“ rief er und schloß das
-Weib mit einer Gewalt in seine Arme, die derjenigen glich, da er sie
-noch so heiß liebte. &mdash; &mdash; Ach, die Arme ließ sich bethören... ihr Herz
-schlug und glaubte... es glaubte ihm auch jetzt.... Sie hatte in diesem
-Augenblick ein so großes Bedürfniß,<span class="pagenum"><a name="Seite_282" id="Seite_282">[282]</a></span> von ihm geliebt zu werden &mdash; und
-er wußte sich so meisterhaft zu verstellen.. &mdash;</p>
-
-<p>So ward denn dieses Frühstück, welches traurig genug anfing, für sie
-noch zum Freudenmahle. Sie aß wieder, sie trank wieder &mdash; &mdash; &mdash; denn
-seine Küsse, seine Betheurungen, seine Zärtlichkeit hatten sie besiegt,
-genesen gemacht.</p>
-
-<p>In Wahrheit, es war ihr leicht beweglicher Sinn, ihr, lebhafter
-Eindrücke fähiges, und eher zur Lust als zur Trauer geneigtes Gemüth,
-das ihm hier so trefflich zu statten kam und seine Eroberung in kurzer
-Zeit vollenden half... Wäre ihre Natur der seinigen ähnlich gewesen,
-hätte das Resultat leicht ein entgegengesetztes werden dürfen.</p>
-
-<p>Ueberzeugt und sicher gemacht &mdash; entfaltete ihre Natur sich nun wieder
-rasch in allen jenen eigenthümlichen Formen, die wir von und an ihr
-kennen und vielleicht auch lieben gelernt haben. Sie war wieder das
-jugendliche, holde, heitere, fröhliche, tändelnde, eitle und doch so
-liebenswürdige Wesen, welches die Männer bezauberte und die Frauen
-erfreute... sie war wieder jene Cölestine, die wir als so glücklich und
-froh kennen gelernt haben. &mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_283" id="Seite_283">[283]</a></span></p>
-
-<p>Was ihren Gatten betrifft, so erfüllte er ihren Wunsch und blieb heute
-den ganzen Tag über bei ihr. Er schien durch sein Betragen Alles wieder
-gut zu machen &mdash; und sie sagte zu sich im Stillen:</p>
-
-<p>„Ach &mdash; der Arme! Es war eine kurze Rückkehr seiner alten bösen
-Krankheit.... Diese Schwermuth, diese Hypochondrie machte ihn nicht
-minder unglücklich als mich.... Man muß Nachsicht mit ihm haben. &mdash;
-&mdash; Jetzt aber ist Alles vorbei; er ist wieder mein guter, treuer,
-geliebter Alexander, und ich &mdash; ich bin die seligste der Frauen. &mdash;“</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_284" id="Seite_284">[284]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Dreizehntes_Kapitel"><b>Dreizehntes Kapitel.</b><br />
-
-<span class="s6">Neue Proben &mdash; neue Beweise.</span></h2>
-
-</div>
-
-<p><span class="initial">E</span>s war heute Sonnabend. &mdash; Mehrere Reihen Equipagen standen bereits
-draußen vor dem Palaste des Grafen A&mdash;x aufgefahren. Die Lakaien in
-ihren bunten, abstechenden, oft verschwenderisch mit Gold und Silber
-beladenen Livréen tummelten sich dazwischen und im Thorwege, während
-das gravitätische Volk der Kutscher auf ihren Wagensitzen voll
-ernster Unbeweglichkeit thronte und sich gegenseitig die Vorzüge und
-Eigenschaften ihrer Pferde erörterte, was diese klugen Geschöpfe auch
-recht gut zu verstehen schienen und wobei sie durch Wiehern, durch
-Prusten, Stampfen und allerhand Bewegungen (in deren geheimnißvolle
-Bedeutungen wir noch nicht völlig eingedrungen sind) ihre<span class="pagenum"><a name="Seite_285" id="Seite_285">[285]</a></span> Freude,
-ihren Stolz, ihren Unwillen zu erkennen gaben &mdash; denn bekanntlich
-herrscht zwischen Pferd und Kutscher oder Reiter ein Verständniß, eine
-Sympathie...</p>
-
-<p>Drinnen im Hause, in den Salons der Gräfin tummelte sich heute eine
-reiche prunkende und zahlreiche Welt. Nur Gott weiß es, wie sein
-Himmel alle diese Menschen so auf ein Mal herabgeschneit hatte; denn
-mehr als die Hälfte unter ihnen waren für unsere holde Hausfrau, wie
-man sich ausdrückt, „<em class="gesperrt">wildfremd</em>.“ &mdash; Indeß mangelte es ihnen
-nicht an jenen Eigenschaften und Bedingnissen, vermöge deren selbst
-ein „wildfremder“ Mensch in guter Gesellschaft das Recht erhält, sich
-sofort wie einer ihrer ältesten Bekannten zu geriren. Das heißt: alle
-diese Leute waren eingeführt und jetzt theils der Gräfin, theils ihrem
-Manne vorgestellt worden. &mdash; Die beiden Ehegatten schienen heute
-unvergleichlich liebenswürdig; das sagte die ganze Versammlung &mdash; und
-wir können hinzusetzen: über Cölestine täuschte sie sich nicht. Was
-ihren Gatten betrifft, so ist dies freilich eine andere Sache. &mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_286" id="Seite_286">[286]</a></span></p>
-
-<p>Zum ersten Male nach so langer Zeit hatte die junge Frau wieder die
-Freude, ihre Eltern bei sich zu sehen; sie umarmte die gute Mutter mit
-Thränen in den Augen. General von Randow scherzte, wie gewöhnlich, ihr
-gleich den Willkomm weg und küßte ihr die Worte von den Lippen, so daß
-sie ihm weiter nichts sagen konnte als: „Mein liebes gutes Väterchen
-&mdash;!“ worauf er in seiner Weise „Schon gut! schon gut!“ entgegnete. &mdash;</p>
-
-<p>Mit dem General war auch die Gräfin Wollheim und die Wittwe
-des Generals E&mdash;x angekommen.... Graf Wollheim hatte sich von
-diesen Personen noch in der Wohnung des Generals Randow getrennt,
-unaufschiebbare Geschäfte vorschützend, welche von der Art waren, die
-wir schon kennen. &mdash; In der That war der Graf auch nur deßwegen in das
-Randow’sche Haus gekommen, weil er gehofft hatte &mdash; seines Sehnens Ziel
-endlich zu erreichen, nämlich den Freund Edmund, welchen er bereits
-seit 6 ewiglangen Wochen nicht zu Gesicht, d. h. nicht vor das Glas
-bekommen; ein Umstand, wegen dessen<span class="pagenum"><a name="Seite_287" id="Seite_287">[287]</a></span> der alte Bär zu verschiedenen
-Malen die bittersten Zähren vergossen. &mdash;</p>
-
-<p>General Randow unterhielt sich später mit seiner Tochter; hierüber
-schienen einige von den Anwesenden äußerst ungehalten, indem, ihrer
-Meinung nach, dies sehr wenig Artigkeit gegen die übrigen Gäste bewies,
-von denen fünf oder sechs, die so eben eingetreten waren, vorgestellt
-zu werden wünschten.</p>
-
-<p>„Finden Sie nicht,“ lispelte eine alte Dame einer jungen zu: „daß in
-diesem neuen Hause auch ein ganz neuer Ton herrscht?..“</p>
-
-<p>„Gewiß, meine Freundin &mdash; ein sehr neuer; er ist äußerst interessant,
-und ich muß mir in meinem Tagebuche eine eigene Notiz machen.
-&mdash; Erlauben Sie es wohl?“ Hiermit nahm die Jüngere ein dünnes
-Maroquinbändchen heraus und fing an zu schreiben...</p>
-
-<p>„Ach, Sie tragen Ihr Tagebuch bei sich, meine Beste?“</p>
-
-<p>„Immer. Sie wissen doch, mein Gedächtniß zwingt mich zu dieser
-Vorsichtsmaßregel! O ich habe ein schrecklich schwaches Gedächtniß...“</p>
-
-<p>„Ich weiß, ich weiß...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_288" id="Seite_288">[288]</a></span></p>
-
-<p>„Apropos &mdash; Sie erinnern sich wohl noch jenes hübschen jungen Mannes,
-der vor beiläufig einem halben Jahre hier anwesend war... ich meine den
-Herrn von Ingelstein, **schen Gesandtschafts-Sekretär?“</p>
-
-<p>„Ganz recht, ganz recht!... O wie sollt’ ich nicht? &mdash; Nun, was ist mit
-ihm geschehen?“</p>
-
-<p>„Dieser Herr, wie Sie wissen werden, hatte damals die Absicht, dem
-Fräulein von Randow den Hof zu machen....“</p>
-
-<p>„Richtig, richtig &mdash;“</p>
-
-<p>„Wurde jedoch &mdash; wie Sie ebenfalls wissen müssen &mdash; von ihr sehr
-gleichgültig behandelt &mdash;“</p>
-
-<p>„Sehr wahr, sehr wahr. Und &mdash; nun &mdash;“</p>
-
-<p>„Er reis’te demzufolge plötzlich ab.... es war, wenn ich nicht irre, am
-11ten Februar &mdash; einem sehr häßlichen, frostigen Tage....“</p>
-
-<p>„Dieses Umstandes erinnere ich mich nicht mehr &mdash;“</p>
-
-<p>„Ja, ja, ich weiß es noch wie heute: es schneite, hagelte &mdash; es
-glatteis’te &mdash;“</p>
-
-<p>„So &mdash; so &mdash;“</p>
-
-<p>„Ach und der arme schöne junge Mann &mdash; er fuhr ab, verzweifelnd &mdash;
-halbsterbend...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_289" id="Seite_289">[289]</a></span></p>
-
-<p>Diese Dame schien demnach kein gar so schlechtes Gedächtniß zu haben,
-wie sie klagte. Sie führte ihre Erzählung von dem schönen jungen Manne
-noch bis zum Schlusse, wobei sie nicht undeutlich merken ließ, daß
-dieser schöne, junge Mann in ihrer Brust kein Felsenherz gefunden
-hätte, falls es auf einen Versuch angekommen wäre.</p>
-
-<p>In diesem Augenblicke trat Graf Wollheim ein, näherte sich dem alten
-General und zog ihn mit sich fort. Dadurch wurde den Verzweifelnden und
-Harrenden Platz gemacht.</p>
-
-<p>„Wirklich,“ setzten jene zwei Damen ihr Gespräch fort: „es war endlich
-Zeit! Dieser alte General hielt seine Tochter occupirt, als wäre es ein
-erobertes Land. &mdash; Dies ist eine Undelikatesse, wie sie mir noch nie
-vorgekommen....“</p>
-
-<p>„Was wollen Sie, meine Beste? &mdash; &mdash; diese Randow’s, so vornehm und
-stolz sie sein mögen, haben keinen Ton, keinen Takt; bei ihnen ist noch
-Alles polnisch...“</p>
-
-<p>„Ja, ja, &mdash; ganz wojwodenmäßig &mdash; bojarisch &mdash; baschkirisch &mdash; hahaha!“</p>
-
-<p>Wollheim hatte unterdessen den General in<span class="pagenum"><a name="Seite_290" id="Seite_290">[290]</a></span> einen Winkel gezogen: „Ich
-bitte Sie um Himmelswillen,“ fing er mit der Miene eines Menschen an,
-der andeuten will, daß er keinen Spaß versteht: „wo ist denn dieser
-Edmund hingekommen? Ihr Sohn, Ihr einziger Sohn Edmund? &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Es mußte in Wahrheit weit gediehen sein, da der Jäger sich so
-geradewegs an den Vater seines Intimsten wandte, von dem er doch wußte,
-daß ihm diese Intimität sehr fatal sei. Aber unser Nimrod dachte, wie
-jener Araber, der sich seinem Kalifen näherte, um den Aufenthalt von
-dessen Tochter zu erforschen: „Sagt er mir’s, so weiß ich es genauer,
-als wenn mir’s ein Anderer sagen würde; sagt er mir’s nicht &mdash; so steh
-ich auf dem alten Fleck &mdash; und wegen meines Kopfes ist dann noch immer
-Zeit Sorge zu tragen; jedenfalls ist der Kopf hier blos Nebensache.“
-„Hinsichtlich meines Sohnes Edmund,“ antwortete der General &mdash; „weiß
-ich Ihnen nichts zu sagen, als daß er in letzterer Zeit sich an den
-Chevalier von Marsan, mehr als mir lieb ist, angeschlossen hat. &mdash;“</p>
-
-<p>„Und mehr als mir ebenfalls lieb ist!“ setzte<span class="pagenum"><a name="Seite_291" id="Seite_291">[291]</a></span> der Jäger im Stillen
-hinzu: „Aber,“ bemerkte er laut &mdash; „sollte es nicht Mittel geben, den
-jungen Mann von dieser Gesellschaft zu trennen?.. Der Chevalier ist
-glänzend, verschwenderisch &mdash; seine Nähe demnach äußerst gefährlich,
-wie Sie selbst einsehen werden, mein bester Freund. &mdash; Ach! hier
-sollten Sie fürwahr Ihr Ansehen als Vater geltend machen. Es gilt,
-einen arglosen Jüngling vor den Fallstricken der Welt zu schützen....
-ihn vor einem finstern Abgrunde... zu bewahren. Es ist Christenpflicht!
-Es ist Vaterpflicht, hier einzuschreiten &mdash; glauben Sie mir’s, mein
-alter Freund Randow...“</p>
-
-<p>Der General, als er Wollheim so pathetisch deklamiren hörte, konnte ein
-Lächeln nicht unterdrücken; er mochte insgeheim an die Fabel denken:
-Wie der Fuchs das Lamm vor dem Wolfe warnt &mdash; es bleibt indeß doch das
-Opfer. &mdash;</p>
-
-<p>„Lieber Wollheim,“ versetzte er: „es scheint, daß Sie dem Chevalier
-nicht minder gram sind, als Sie es gut mit meinem Sohne meinen; ich
-bin Ihnen jedoch, aufrichtig gesagt, weder für das Erste noch für das
-Zweite sehr verbunden; denn wiewohl ich im Ganzen dieses schrankenlose<span class="pagenum"><a name="Seite_292" id="Seite_292">[292]</a></span>
-Anschließen Edmunds an den Chevalier nicht gerne sehe, so muß ich doch
-gestehen, daß dies keineswegs aus Mißbilligung des, wie Sie sagen,
-glänzenden und verschwenderischen Charakters Marsans entspringt,
-welchen Charakter ich im Gegentheil bei einem großen Herrn von diesem
-Schlage mit Vergnügen erblicke; es ist also hier nicht von den Fehlern
-Marsans &mdash; sondern von dem Uebermaß der Liebe Edmunds zu ihm die Rede.
-&mdash; Sie wissen, wozu eine solche Hingebung führt: man wird ein Sklave,
-verliert alle selbstständige Würde &mdash; u. s. w. &mdash; Anderseits, um von
-dem zweiten Punkte zu reden: so habe ich das Verhältniß, welches bisher
-zwischen Ihnen, lieber Graf, und meinem Sohne bestand &mdash; ebenfalls
-nicht gebilligt. Abgesehen vom Unterschied der Jahre &mdash;“</p>
-
-<p>„Ach &mdash; warum nicht gar!“ fuhr der Jäger auf: „Unterschied der Jahre!
-&mdash; Zwischen Freunden gibt es keinen solchen!“</p>
-
-<p>„&mdash; So ist auch die Grundlage und das Motiv dieser Freundschaft nicht
-geeignet &mdash; mich zu beruhigen, wie Sie selbst einsehen müssen.“</p>
-
-<p>„Alle Guckuck &mdash; mein Freund! Wie ich<span class="pagenum"><a name="Seite_293" id="Seite_293">[293]</a></span> selbst einsehen muß, sagen Sie?
-&mdash; Aber ich sehe hier gar nichts ein, mein bester Randow! &mdash; ich sehe
-hier nicht das Geringste ein...“</p>
-
-<p>„Sie sehen hier nicht das Geringste ein, lieber Graf? &mdash; So finden
-Sie, daß Trinken, Spielen &mdash; Gelage &mdash; Müßiggehen &mdash; in Wäldern
-umherstreifen, welche überdies zum kaiserlichen Revier gehören, &mdash; &mdash;
-finden Sie, daß dies Alles nichts sei. &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Ei &mdash; allerdings ist es Etwas, mein bester Randow... Allein,
-hoffentlich werden Sie mir glauben, daß es dies nicht ist, worauf
-unsere Freundschaft beruht. &mdash; Unsere Freundschaft &mdash; der Bund
-unserer Herzen gründet sich auf ganz andere Dinge &mdash; auf Tugenden und
-ritterliche Gesinnungen, bei St. Hubertus! &mdash; auf Gesinnungen, sag’
-ich, die einem Bayard zur Ehre gereicht haben würden...“</p>
-
-<p>„Unter uns,“ bemerkte der General leise: „rechnen Sie hierher auch jene
-That, die Sie neulich &mdash; im Hühnerhofe dieses Hauses vollbracht haben?
-&mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Zum Glück für den Jäger, welcher bei dieser Frage seine sonst derbe
-Fassung ein wenig<span class="pagenum"><a name="Seite_294" id="Seite_294">[294]</a></span> verlor &mdash; zum doppelten Glück für ihn öffnete sich
-jetzt die Thür, und Edmund, wie gewöhnlich am Arme des Chevaliers, trat
-ein. &mdash; Sogleich wollte der Jäger auf ihn zustürzen, der General jedoch
-hielt ihn zurück und sagte mit ernster Stimme: „Mäßigen Sie sich, Graf
-Wollheim! Sie bemerken, daß Alles aufmerksam ist und nach den Beiden
-sieht.“</p>
-
-<p>„Nun &mdash; und was weiter?“</p>
-
-<p>„Sie würden sich in eine lächerliche Lage versetzen. Sehen Sie das
-nicht ein, bester Wollheim?“</p>
-
-<p>Nach kurzer Ueberlegung entgegnete dieser: „Sie haben Recht, Freund
-Randow. Ich bin Ihnen dankbar für diesen Wink, und wollen Sie sich mir
-noch mehr verpflichten &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Nun?“</p>
-
-<p>„&mdash; So reden Sie mit Edmund und fragen ihn, wie er es bei sich
-verantworten kann, seinen alten Freund Wollheim, seinen Lehrer und
-Führer in den edlen Künsten des Ritterthums &mdash; seit vier Wochen mit
-keinem Auge angesehen zu haben...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_295" id="Seite_295">[295]</a></span></p>
-
-<p>Wir wenden uns jetzt von diesem Vorspiel des Drama’s ab.</p>
-
-<p>Seit etwa einer Viertelstunde war Cölestine wieder von einem Kreise
-jener intimeren Freunde des Hauses umgeben, die sich zu dieser Würde
-größtentheils aus eigener Machtvollkommenheit zu erheben pflegen.
-Nicht nur Gräfin Wollheim &mdash; Fräulein Eugenie von Bomben &mdash; Frau von
-Rabenstein und Andere, deren Namen weder die Blätter der Weltgeschichte
-noch die gegenwärtigen je nennen werden &mdash; &mdash; sondern sogar Frau von
-Porzenheim, die edle und obligate Mitlacherin ihres Mannes, gehörten
-hierher, saßen neben Cölestine und deren Mutter. &mdash; Der Graf, ihr
-Gemahl, hatte in der Nähe, doch so, daß sie ihn nicht im Auge behielt,
-einen Sitz eingenommen und unterhielt sich hier mit einigen Herrn über
-Staatsgeschäfte und die neuesten Zeitungsnachrichten. Er schien ganz
-Aug und Ohr für seine Gesellschaft &mdash; während er doch so achtsam,
-als hätte er neben seinen zwei Menschenaugen die tausend kleinen der
-Insekten gehabt, den ganzen Salon überwachte, so daß ihm hier nichts
-entgehen konnte. &mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_296" id="Seite_296">[296]</a></span></p>
-
-<p>Dieser Mann war in der Kunst des Lauschens, wozu er vermöge seiner
-mißtrauischen Natur die besten Anlagen zur Welt mitgebracht hatte,
-bereits zu jenem hohen Grade gekommen, welcher seinem Besitzer eine Art
-dämonischer Gewalt verleiht, vermöge deren er eine Sache nicht einmal
-zu sehen braucht, um sich von ihrem Zustande zu überzeugen.... er
-fühlt, er ahnt, er schaut, wie der Clairvoyant, mit geschlossenen Augen
-Alles.</p>
-
-<p>In dem Augenblicke, als Herr von Marsan eintrat, hatte Alexander eben
-über einen Gegenstand gesprochen, der seine volle Aufmerksamkeit
-erforderte &mdash; und dennoch verrieth es ihm ein magnetisches Gefühl, daß
-der Chevalier hier sei. &mdash;</p>
-
-<p>Indeß blieb er dabei ruhig, kalt, theilnahmlos im Aeußern &mdash; und nur
-ein Blick, den er später so rasch, daß Niemand ihn gewahrte, nach
-seinem Nebenbuhler warf, sollte ihn überzeugen, ob er richtig gefühlt
-habe. &mdash; Wider Erwarten näherte sich ihm jetzt Dieser mit Edmund und
-Beide nahmen in seiner Nähe Platz. „Dies ist,“ dachte er bei sich:
-„eine Schicksalsfügung<span class="pagenum"><a name="Seite_297" id="Seite_297">[297]</a></span> welche ganz in meine Intention paßt, so daß ich
-die Götter heute zum ersten Male in meinem Leben preisen muß, mir einen
-<em class="gesperrt">wirklichen Dienst</em> erwiesen zu haben.“ &mdash; Alexander hatte sehr
-gut bemerkt, daß, so oft sich zwischen Marsan und Cölestine noch ein
-Dritter oder, wie hier, eine ganze Gesellschaft befand, Jener seinen
-glühenden Blicken einen ehrfurchtsvollen Ausdruck gab. Dies, rief
-Alexander bei sich &mdash; soll blos das heilige Pilgerkleid sein, unter
-welchem sich ein Mörder mit Dolch und Gift verbirgt &mdash;; &mdash; so will ich
-ihm denn den Weg abkürzen und die Arbeit erleichtern.... den Moment
-der Ausführung rascher herbeiführen. &mdash; Dann soll er entweder entlarvt
-werden &mdash; oder aber das Opfer, welches für mich keinen Werth mehr hat,
-mag verbluten &mdash; zum Aase werden, auf welches Tags darauf sich die
-Raben setzen.</p>
-
-<p>„Herr von Marsan,“ sagte er nach mancherlei Hin- und Herreden zu dem
-Chevalier &mdash; „ich weiß nicht, ob Sie mir erlauben, eine Bitte an Sie
-zu stellen, welche Ihnen vielleicht an sich sonderbar vorkommen wird,
-es jedoch durch die nähern Umstände, die mich dazu veranlassen, nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_298" id="Seite_298">[298]</a></span>
-ist. Sie erzählten so eben eine hübsche Anekdote aus der Zeit Ihrer
-Anwesenheit im südlichen Frankreich &mdash; diese Begebenheit nun ist mir
-selbst einmal in der Schweiz arrivirt, und so wahrscheinlich ich
-dieselbe auch stets der Gräfin, meiner Frau, zu machen suchte &mdash; sie
-wollte mir niemals glauben. In diesem Falle fertigte sie mich stets mit
-dem gewiß sehr vernünftigen Satze ab: es giebt keine Geister, keine
-Gespenster, selbst die Kinder glauben nicht mehr daran. &mdash; Da Ihr
-Zeugniß, mein Herr, nun von großem Gewicht ist, würden Sie sich hier
-ein Verdienst erwerben, wenn Sie mit einigen Worten die Glaubwürdigkeit
-eines Mannes bei dessen Gemahlin feststellen wollten.“</p>
-
-<p>„Und auf welche Weise würde ich Ihnen diesen Dienst, den ich mit so
-großer Bereitwilligkeit übernehme, leisten können?“ fragte aufmerksam
-der Chevalier.</p>
-
-<p>„Einfach dadurch, daß Sie die artige Historiette, die Sie uns so
-eben vortrugen, meiner Gemahlin wieder erzählen. &mdash; Sie wird diese
-Gelegenheit ergreifen, einen unserer interessantesten Kavaliere näher
-kennen zu lernen...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_299" id="Seite_299">[299]</a></span></p>
-
-<p>Ein mephistophelisches Zucken bewegte sich, während er diese
-Worte sprach, um den Mund des Grafen. Marsan seinerseits ließ ein
-augenblickliches Freudeleuchten über sein Gesicht ziehen, welches
-jedoch bald einer merkbaren Blässe wich.</p>
-
-<p>„Nur so fort!“ dachte der Graf im Stillen, erhob sich jetzt kalt
-und führte den Chevalier zu Cölestinen: „Meine Gemahlin &mdash; Sie
-sollen diesen liebenswürdigen Herrn einige Augenblicke <em class="gesperrt">in meinem
-Interesse</em> anhören &mdash; dies ist meine inständige Bitte. Herr
-von Marsan wird Ihnen Etwas, worüber unter uns so oft Streit war,
-bestätigen und sich dadurch nicht nur um mich, sondern auch um Sie,
-meine Theure, ein Verdienst erwerben.“</p>
-
-<p>Cölestine starrte bei dieser Rede ihren Mann an, als verstände sie den
-Sinn seiner Worte nicht; zugleich aber ihrer Pflicht als Frau vom Hause
-eingedenk, wies sie dem Franzosen und Alexander Plätze in ihrer Nähe
-an, indem sie zu Jenem gewendet sprach: „In der That, mein Herr, Sie
-erweisen mir kein geringes Vergnügen, indem Sie mir eine Mittheilung
-machen, die von solchem Interesse ist, daß dieselbe meinen Gemahl sogar
-zu Gedächtnißfehlern<span class="pagenum"><a name="Seite_300" id="Seite_300">[300]</a></span> verleiten konnte; denn meines Wissens haben wir
-nie über einen Punkt gestritten, der nicht sofort aufgeklärt worden
-wäre. &mdash;“</p>
-
-<p>„Du erinnerst Dich jedoch jenes Vorfalls, den ich in Lausanne erlebte.
-&mdash;“</p>
-
-<p>„Ach &mdash; jene Geistergeschichte, worüber ich so lachte! &mdash; Und diese
-scheint Ihnen so wichtig, mein Gemahl? &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Gnädige Frau,“ nahm Marsan das Wort, der nicht mehr wußte, ob man hier
-Ernst oder Scherz treibe, und der seinerseits zu dem Letzteren sehr
-wenig Lust haben mochte. „Gnädige Frau,“ sagte er in einem ruhigen,
-gemessenen Tone: „nicht mich klagen Sie an, falls es sich hier um Etwas
-handelt, was ich noch nicht begreife... ich bin blos das Werkzeug
-des Herrn Grafen und habe mich aus Hochachtung für Sie gerne diesem
-sonderbaren Berufe unterzogen. &mdash;“ Er warf hier zugleich einen jener
-leichten, blitzenden unaussprechlichen Blicke auf Alexander, womit ein
-Mann von gutem Tone eben sowohl seine unerschütterliche Fassung wie
-die Geringschätzung einer Gefahr oder auch eines Menschen zu erkennen
-giebt. Alexander kämpfte,<span class="pagenum"><a name="Seite_301" id="Seite_301">[301]</a></span> seit Marsan die erste Silbe an Cölestine
-gerichtet hatte, mit einem convulsivischen Zittern, welches er zwar
-bezwang, &mdash; doch nicht so ganz, daß es dem scharfen Blicke seines
-Gegners entgangen wäre.</p>
-
-<p>Das Letztere ward für ihn Marsan von diesem Augenblicke an in der That.
-Er ward sein Gegner, sein Feind, sein entschiedener Widersacher. Der
-größte Beweis hierfür war wohl der, daß er beschloß, es ihn sofort
-merken zu lassen.</p>
-
-<p>So groß war die Zuversicht des Chevaliers auf Eigenschaften, die ihn
-bereits unzählige Mal als Sieger aus den gefährlichsten Kämpfen hatten
-hervorgehen lassen: „Dieser Mensch da,“ murmelte er lächelnd: „hat
-es gewagt, Dich mit Waffen zu bedrohen, welche Du mit der Fußsohle
-zertreten und ihm die Bruchstücke davon an den Kopf werfen solltest...“</p>
-
-<p>Und ohne Weiteres forderte er Cölestine in Gegenwart ihres Mannes zu
-einem Gespräch auf, welches himmelweit von demjenigen verschieden war,
-zu dessen Behuf der Graf ihn mit seiner Frau zusammengeführt hatte;
-dieses<span class="pagenum"><a name="Seite_302" id="Seite_302">[302]</a></span> Gespräch, in welches er sie mit großer Gewandtheit und rasch
-zu verschlingen wußte, betrieb er überdies mit einem so auffallenden
-Eifer, daß derjenige, welcher hieher gekommen war, um zu beobachten
-und zu beschämen, dies durch die Umstehenden selbst ward, und zwar in
-einem Maße, daß er, so heftig er sich auch dagegen sträubte, endlich
-gleichwohl sich zu erheben gezwungen war, um nur nicht als schmählich
-Ueberwundener dem allgemeinen Bedauern zu verfallen.</p>
-
-<p>Wozu hatte er nöthig gehabt, die Fehde so offen zu provociren?</p>
-
-<p>Vermöge des heitern, lustberauschten Sinnes, von welchem Cölestine
-heute den ganzen Tag, beiläufig in derselben Weise, wie an jenem
-Vermählungstage, beherrscht wurde, war sie nicht fähig, ihrem Gatten in
-die Region der Melancholie, des Unmuths und des Schmerzes zu folgen,
-um so weniger, als er diese Stimmungen durch sein äußeres Betragen
-auf alle Weise zu verdecken sich bemühte; so geschah es denn auch,
-daß, während alle Welt auf ihn aufmerksam ward und ihn mit penetranten
-Blicken verfolgte,<span class="pagenum"><a name="Seite_303" id="Seite_303">[303]</a></span> sie die Einzige war, welche hievon eine Ausnahme
-machte. &mdash;</p>
-
-<p>„Aber sehen Sie doch dorthin! Was bedeutet das?“</p>
-
-<p>„Ach, die Gräfin A&mdash;x scheint der berühmten Unwiderstehlichkeit des
-Chevaliers endlich auch ihren Tribut zu entrichten. In der That, diese
-Unterredung ist eklatant.“</p>
-
-<p>„Von ihrer und von seiner Seite. Wer hätte dies erwartet.“</p>
-
-<p>„Mindestens von der Gräfin war es nicht vorherzusehen. Allein da hat
-man nun den besten Commentar zu jenen Berichten, durch welche diese
-jugendliche Ehe als eine solche geschildert ward, wie sie Adam und Eva
-im Paradies geführt haben. &mdash;“</p>
-
-<p>„Nämlich &mdash; den Baum und den Apfel mitinbegriffen...“</p>
-
-<p>„Ah, ah &mdash; meine Besten, was wollen Sie? Gräfin A&mdash;x hat, Alles
-erwogen, den gegründetsten Anspruch auf unsere Bewunderung. Sie hat
-sich so schnell als es kaum zu erwarten war &mdash; aus einer Gefühlsnärrin
-zur Weltdame aufgeschwungen. Das verdient Anerkennung.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_304" id="Seite_304">[304]</a></span></p>
-
-<p>„Ja, ja &mdash; es verdient dieselbe.“</p>
-
-<p>„Aber mein Himmel! was ist das?“ rief mit einem Male Jene aus, indem
-sie mit den Augen nach Cölestinen deutete: &mdash; „Haben Sie nichts
-bemerkt, meine Damen? &mdash; So eben hat der Chevalier die Gräfin verlassen
-&mdash; und sie, diese junge hoffnungsvolle Calypso &mdash; &mdash; ist ihm mit
-einer sonderbaren Bewegung in Blick und Miene gefolgt, mit einer
-Bewegung, sag’ ich, die den Grafen, ihren Mann, welcher dort hinter
-der Blumenpyramide &mdash; wie eine Klapperschlange hinterm Gesträuche &mdash;
-verborgen lauert, dem Wahnsinn nahe gebracht zu haben scheint.... denn
-sehen Sie &mdash; seine Hand, die krampfhaft einen Oleander hielt &mdash; hat
-denselben wahrscheinlich ohne daß er es weiß mitten entzwei gebrochen.“</p>
-
-<p>„Richtig! richtig! &mdash; Ah, es ist zu reizend! zu interessant! &mdash; &mdash; Ein
-Herkules also &mdash; der Bäume entwurzelt....“</p>
-
-<p>„Ah! Ah! Ah! &mdash; Ungeheuer großartig! &mdash; Dieser Marsan ist ein Phänomen!
-&mdash; &mdash; Er hat sich der Gräfin wieder genähert &mdash; &mdash; &mdash; und bei
-Anadyomene! &mdash; ihr Auge scheint ihm dafür einen eben so stillen als
-ausdrucksvollen Dank zu spenden....“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_305" id="Seite_305">[305]</a></span></p>
-
-<p>„Der Mann aber &mdash; der Gemahl &mdash; was thut er?“</p>
-
-<p>„Mein Gott &mdash; er ist halbtoll...... Um Himmelswillen! bemerken Sie
-doch, holde Freundin. &mdash; Seine Phrenesie geht so weit &mdash; &mdash; daß er
-im Angesicht des ganzen Salons sich hinter den Blumen auf alle Vier
-niederläßt, um bequemer zu beobachten, der Bedauernswerthe. Gleicht er
-nicht dem Nabuchedonosor &mdash; und scheint es nicht, als wolle auch er
-Gras fressen?.. hahaha!“</p>
-
-<p>„Es ist entsetzlich! Es ist entsetzlich! &mdash; Das ist noch nie da
-gewesen!“</p>
-
-<p>„Inzwischen scheinen die beiden jungen Leutchen dort &mdash; Marsan und die
-niedliche Frau vom Hause &mdash; sich gar köstlich die Zeit zu vertreiben.
-Sie lacht so viel und er erzählt so unermüdlich, daß man seine Freude
-an diesem Gedeihen haben kann....“</p>
-
-<p>„Der Nabuchedonosor aber huckt noch immer in froschähnlicher Positur
-hinter den Blumen.... Meiner Treu, dieser Mensch muß complett den
-Verstand verloren haben...“</p>
-
-<p>„O wie Schade! &mdash; Jetzt entzieht uns eine allgemeine Bewegung der
-Gesellschaft seinen<span class="pagenum"><a name="Seite_306" id="Seite_306">[306]</a></span> Anblick. Allein, was soll das bedeuten? &mdash; Auch
-Cölestine hat sich erhoben.“</p>
-
-<p>„Man hat das Zeichen zum Tanzen gegeben &mdash; man wird in den nächsten
-Salon gehen...“</p>
-
-<p>„Also man tanzt heute auch hier?..“</p>
-
-<p>„Man tanzt, man spielt &mdash; man wird sich noch ganz allerliebst
-unterhalten.“</p>
-
-<p>„Meinetwegen. Dann aber lassen Sie uns den Paaren nicht folgen, sondern
-lieber nach dem Spielzimmer gehen &mdash; so werden wir an jener Blumenhecke
-vorbeikommen und unsern Vierfüßler ganz nahe beaugenscheinigen
-können...“</p>
-
-<p>„O was ist das? &mdash; Er ist fort! Verschwunden! &mdash; Keine Spur von ihm
-mehr vorhanden! &mdash; &mdash; Wahrscheinlich durch eine Versenkung wie im
-Theater. &mdash;“</p>
-
-<p>„Hahaha! &mdash; &mdash; Vorwärts, meine Freundinnen!“</p>
-
-<p>Und fast Alles verließ diesen Salon, in welchem nur noch wenige
-Gruppen, bestehend aus ältern Herren, zurückblieben, die ein
-angesponnenes Gespräch augenblicklich zu unterbrechen nicht für gut
-fanden.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_307" id="Seite_307">[307]</a></span></p>
-
-<p>Was den Chevalier betrifft, so hatte er Cölestine den Arm gegeben &mdash; &mdash;
-und Edmund, dadurch allein gelassen, entging seinem Schicksale nicht:
-er, der seine Mutter führen wollte, sah plötzlich &mdash; &mdash; den Grafen
-<em class="gesperrt">Wollheim</em> ihren Platz einnehmen.</p>
-
-<p>„O! O! O!“ schrie dieser mit einer Freude, die sich glänzend auf
-seinem Gesichte malte: „da hätten wir ihn endlich den Bösewicht &mdash; den
-Undankbaren &mdash; den treulosesten aller Freunde und Schüler! &mdash; Also so
-weit ist es mit uns gekommen, daß wir auf Bällen als <em class="gesperrt">Paar</em> zu
-einander treffen müssen. Wir, wir &mdash; die den Tanz und die Springerei
-verachten &mdash; außer er würde in Wäldern hinter den Rehen aufgeführt!
-&mdash; Allein schon gut. Ich werde mir das merken. &mdash; So voll Wonne mein
-Herz in diesem Augenblick auch ist &mdash; eine Wunde, eine Blessur hat es
-dennoch erwischt, die nie vernarben wird &mdash; und das sind: die letzten
-40 Tage, die ich in der Wüste zugebracht habe &mdash; &mdash; in der Wüste,
-sage ich, und verstehe unter diesem Bilde die Welt, in so fern es in
-derselben weder zu trinken, noch zu spielen, noch zu pirschen giebt &mdash;<span class="pagenum"><a name="Seite_308" id="Seite_308">[308]</a></span>
-was Alles ich, wie bekannt, allein nicht thun kann, sintemalen ich dazu
-auch meine Schüler und Freunde brauche. &mdash; So verhalten sich die Dinge!
-Ja so! &mdash; Und nun sprich, Unglückseliger: was konnte Dich zu solchen
-Verbrechen gegen Deinen Meister verleiten?...“</p>
-
-<p>Edmund sah sich vergebens nach einem Ausweg um; der Jäger hatte ihn
-dermaßen gepackt, wie man es etwa mit einem Fuchs, welcher der Schlinge
-entwischen will, thut; wollte er also kein Aufsehen machen, mußte er
-dem Alten folgen &mdash; und Dieser zog ihn geradewegs in ein Gemach, das
-nach der Kellnerei führte. &mdash;</p>
-
-<p>Nun wissen wir zwar, daß des jungen Mannes Hingebung in letzterer
-Zeit dem Chevalier von Marsan gegolten, und zwar in jenem Uebermaße,
-welches wir an dem gutmüthigen Roué bereits kennen. &mdash; Indeß, und dies
-muß zu seiner Ehre gesagt werden, glich er darum doch nicht jenen
-unbeständigen und undankbaren Leuten, die aus Liebe zur Abwechslung,
-indem sie das Neue erwählen, des Alten vergessen .... Er hatte seines
-Freundes Nimrod nicht vergessen &mdash; er hatte denselben nur auf einige
-Zeit<span class="pagenum"><a name="Seite_309" id="Seite_309">[309]</a></span> in den Hintergrund gestellt: aufrichtig gesagt, weniger aus
-eigenem selbstständigen Antriebe &mdash; als weil er, durch Marsan occupirt,
-von diesem ununterbrochen absorbirt worden war, was ihm im Ganzen
-schmeichelte, da er so gut wie jeder Andere sein Stück Eitelkeit besaß
-&mdash; und Marsan war ja ein Glanzpunkt in der Gesellschaft...</p>
-
-<p>Das Entscheidende bestand darin: daß Marsan ihm mehr zu imponiren
-wußte, als der Jäger. Denn wir haben schon erwähnt: Edmund mußte sich
-stets an Jemand anlehnen. &mdash; Dies war eine jener Naturen, die allein
-nicht leben können.</p>
-
-<p>&mdash; Es wird nach Allem diesen Niemand Wunder nehmen, wenn er erfährt,
-daß Edmund binnen weniger als einer Viertelstunde mit Leib und Seele
-wieder seinem alten Mentor gehörte, d. h. mit demselben in einem
-dunkeln Kellerwinkel (denn diesmal gingen die Edlen direkt in den
-Keller: sie hatten ja so Vieles nachzuholen) zechte und Trinklieder
-sang. &mdash; Wer oben in den Gemächern gute Ohren hatte, konnte folgende
-Strophen herauftönen hören:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_310" id="Seite_310">[310]</a></span></p>
-
-<div class="poetry-container s5">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">„Zwei Flaschen wollten einander frei’n,</div>
- <div class="verse">Die eine, die war leer &mdash;</div>
- <div class="verse">Die and’re war zwar etwas klein &mdash;</div>
- <div class="verse">Doch war sie gefüllt und schwer.“</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p>Hier ward die Hymne durch eine Art unverständlichen Lärmens
-unterbrochen &mdash; &mdash; und erst nach einiger Zeit ließ sich das Ende vom
-Lied nachstehender Weise vernehmen:</p>
-
-<div class="poetry-container s5">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">„Ich nehme, ich nehme Dich nicht zum Mann &mdash;</div>
- <div class="verse">Du bist zwar dick und reich &mdash;</div>
- <div class="verse">Doch dabei ein grober Bauersmann,</div>
- <div class="verse">Ein Stadtkind ich, fein und bleich.“</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse">„So geht es auch im Leben her &mdash;</div>
- <div class="verse">Der Dicke der thut dick &mdash;</div>
- <div class="verse">Da kommt darauf ein mag’rer Herr</div>
- <div class="verse">Und ruft: Vor mir &mdash; zurück!“</div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p>Besonders schön nahm sich zuletzt die Moral, die Nutzanwendung aus.
-Sie war ganz aus den Zeiten des Meister <em class="gesperrt">Rothnas</em> in Nürnberg (†
-<em class="antiqua">Anno Domini</em> 1352,) genommen und hätte auch ganz wohl in die
-Liedersammlung eines sichern <em class="gesperrt">nasenlosen</em> Poeten &mdash; dieser Poete
-lebt heutigen Tag’s in Wien &mdash; gepaßt.</p>
-
-<p>Das Lied hatte man wohl bis hinauf gehört; aber die sublimen
-Discourse, welche hier unten geführt wurden &mdash; vernahm, außer den zwei
-Glückseligen, welche dieselben führten, Niemand.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_311" id="Seite_311">[311]</a></span></p>
-
-<p>„Und so säßen wir denn wieder beisammen....“ begann der Jäger, der
-mit aufgestreiftem Hemdärmel (die Edlen saßen im Hemde bei diesem
-anstrengenden Geschäft,) seine Kanne emporhob: „Und so könnt’ ich denn
-wieder aus vollem Herzen rufen: Auf Dein Wohlsein, mein Jüngelchen,
-Hurrah!“</p>
-
-<p>„Hurrah!“ rief auch Edmund mit erhobener Kanne &mdash; &mdash; seine Stimme war
-bereits sehr klar und metallisch geworden.</p>
-
-<p>„Möge der Himmel,“ schrie <em class="gesperrt">Wollheim</em>, „Dich zu einem eben solchen
-Manne machen, wie ich bin, mein Junge! Besseres kann ich Dir nicht
-wünschen, Hurrah!“</p>
-
-<p>„Hurrah! &mdash; Hussah!“</p>
-
-<p>„Ich habe nur gerufen <em class="gesperrt">Hurrah!</em> und nicht Hussah! &mdash; Achtung auf
-den Ruf des Meisters! &mdash; Hurrah!“</p>
-
-<p>„Hurrah! Zehntausend Mal Hurrah!“</p>
-
-<p>„Blos ein Mal: Hurrah! mein Jüngelchen; blos ein Mal!“</p>
-
-<p>„Nein, nein &mdash; zehntausend Mal!“</p>
-
-<p>„Alle Sechzehnender! &mdash; Was für zehntau<span class="pagenum"><a name="Seite_312" id="Seite_312">[312]</a></span>send Teufel sind Dir denn heute
-in den Magen gefahren &mdash; verdammter Bursche, Du!“</p>
-
-<p>Es war ihm indessen blos der Wein in den Magen gefahren und der Dunst
-davon in den Kopf.</p>
-
-<p>„Ich sage Dir,“ fing der Alte wieder an: „etwas Besseres als ich kannst
-Du doch nicht werden. Befleißige Dich also, in meine Fußstapfen zu
-treten. Nimm z. B. diesen Krug so, &mdash; siehst Du! &mdash; und leer’ ihn mit
-einem Guß &mdash; &mdash; so, siehst Du!“</p>
-
-<p>Und der größte Humpen entledigte sich seines Inhalts im Nu &mdash; vermöge
-der freundlichen Bereitwilligkeit von Nimrods breiter Kehle. &mdash;</p>
-
-<p>Edmund wollte es auch versuchen, um der Aufforderung seines Lehrers zu
-genügen....</p>
-
-<p>„Ah! Ah!“ schrie dieser so dröhnend, daß das Gewölbe des Kellers in
-Schrecken gerieth: „das will nichts sagen, das will nichts sagen &mdash;
-Freund Edmund! &mdash; Du hast zwar den Humpen geleert, aber dabei Dein
-ganzes Gesicht begossen... Dies darf nicht stattfinden! Dies ist nicht
-in der Ordnung!... Du mußt den Humpen mit dem Munde allein aussaufen:
-So, siehst<span class="pagenum"><a name="Seite_313" id="Seite_313">[313]</a></span> Du?!“ Und abermals rollte eine ganze Sündfluth hinab in des
-Jägers verderblichen Schlund...</p>
-
-<p>Sein Leib schien ein wahrer Abgrund zu sein.</p>
-
-<p>Edmund versuchte es sogleich nochmals &mdash; und in Wahrheit er that es
-diesmal mit solcher Virtuosität, daß sein Meister auf eine Bank sprang
-und ausrief: „Ein dreimaliges Hussah auf das Wohl meines Jüngelchens
-und Jagdkumpans!“</p>
-
-<p>Und „Hussah! Hussah! Hussah!“ schrien Beide, als ob sie toll wären....
-die Kellerratten und Maulwürfe liefen einstweilen in’s dritte
-Nachbarhaus hinüber...</p>
-
-<p>.... Aber als sollte das Alles noch nicht ausreichen, seines Zöglings
-Ruhm zu verkünden, sprang Wollheim auf ein in der Nähe stehendes großes
-Weinfaß, welches, gegen den Gebrauch, mit dem Boden aufgestellt war
-&mdash; &mdash; auf dieses Faß also sprang er und zwar mit einem solchen Aplomb
-seines dicken Leibes, daß der obere Boden unter seinen Füßen durchbrach
-und er im Nu unter entsetzlichem Geschrei bis an die Ohren im rothen
-Ofner schwamm: „Au! Au! Weh! Hurrah! &mdash; Zur Hilfe &mdash; Kumpane! Jäger!<span class="pagenum"><a name="Seite_314" id="Seite_314">[314]</a></span>
-Piqeurs!“ brüllte er in der Verzweiflung.... wobei er, vermöge des
-Wellenschlags, welchen der Ofner beständig um sein Kinn machte, von
-demselben <em class="antiqua">nolens volens</em> ein gutes Theil abtrank....</p>
-
-<p>Nur mit Mühe entkam er dem Verderben und stieg endlich heraus. Er stieg
-allein heraus &mdash; denn Edmund war nicht fähig, ihm dabei zu helfen.....
-er hatte mit sich selbst genug zu schaffen.</p>
-
-<p>„Alle Doppelbüchsen!“ rief Nimrod und schüttelte sich wie ein Bär, der
-untertauchte &mdash; „das war ein unvorhergesehenes Bad... Aber der Ofner
-war gut!... Schade um das Faß, welches von schweizerischer Arbeit
-schien. &mdash; Hol’ der Teufel indeß ein schweizerisches Faß, welches
-durchbricht, kaum daß man es betastet. &mdash; &mdash; Wo aber jetzt sich
-abtrocknen.... Brr! brr! &mdash; denn es ist hier verteufelt kalt.... Ha! da
-kommt mir ein göttlicher Einfall! Diesen lieben Ort hier zu verlassen
-wäre unmenschlich. &mdash; Wie wär’ es, wenn ich meine Kleider hier
-trocknete?.. Wir machen dort im Hintergrunde ein Feuer.... Holz ist
-genug vorhanden... der<span class="pagenum"><a name="Seite_315" id="Seite_315">[315]</a></span> Rauch kann auch zu den Kellerluken abziehen.
-Beim St. Hubertus! das geht! &mdash; Hat man es doch von Faßbindern hundert
-Mal gesehen, daß sie bei Reparaturen mitten im Keller ihren Herd
-aufschlugen.... Also &mdash; vorwärts mein Jüngelchen! und sogleich soll
-hier eine Flamme brennen, so lustig und hoch, daß man dabei zwei und
-zwanzig Ferkel braten kann.... Dann will ich meine Kleider ausziehen &mdash;
-wir wollen uns an’s Feuer setzen &mdash; unsere Krüge in die Hand nehmen....
-Hurrah! das soll ein Teufelsleben werden!“</p>
-
-<p>„Hurrah!“ lallte Edmund mit schwerer Zunge nach.</p>
-
-<p>Gesagt, gethan. In kurzer Zeit loderte ein Feuer mächtig auf und seine
-Flamme leckte das schwarze Gewölbe des Kellers... Aber was man nicht
-berechnet und erwartet hatte, geschah. Die Luken waren zu klein und
-konnten den Rauch nicht hinreichend ableiten, so daß sich dieser nun
-hier im Innern zu einer schauderhaften Menge anhäufte... und jeden
-andern Menschen als diese zwei Ehrenmänner vertrieben hätte. &mdash; Aber
-sie waren nicht so leicht von diesem Orte wegzubringen<span class="pagenum"><a name="Seite_316" id="Seite_316">[316]</a></span> und zwar: ob
-der ruhmwürdigen Wein-Eigenschaften, die er neben diesem Uebelstande
-noch besaß....</p>
-
-<p>Was den Jäger betrifft, so stürzte er eine Kanne um die andere hinunter
-&mdash; und hustete beständig dazwischen. Er schien einen ordentlichen Kampf
-mit dem Rausche eingegangen zu sein &mdash; und eben deßwegen war ihm der
-letztere nicht ganz unangenehm...</p>
-
-<p>Edmund jedoch, nicht so taktfest in vorliegender Kunst, sprang sinnlos
-wie er bereits war, umher und stotterte:</p>
-
-<p>„Donnerwetter! &mdash; wir &mdash; stecken &mdash; ja da &mdash; in einem &mdash; Schornsteine!
-&mdash; Donnerwetter! &mdash; &mdash; Wie &mdash; kommen &mdash; wir da heraus? &mdash; Puh! Brr! &mdash;
-&mdash;“</p>
-
-<p>„Ei warum nicht gar!“ brüllte Wollheim: „Was sind das für dumme Faxen
-&mdash;? Schornstein? &mdash; Im Keller sind wir! Im Keller! &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Nein &mdash; im &mdash; Schorn &mdash; steine &mdash; &mdash; Ah &mdash; Ah &mdash; ich &mdash; ersticke
-&mdash; &mdash;.“ Und der arme Jüngling fuhr wie ein Gehetzter umher, stieß
-überall an &mdash; und wäre beinahe in’s Feuer gerannt &mdash; wenn der Jäger
-ihn nicht schnell bei<span class="pagenum"><a name="Seite_317" id="Seite_317">[317]</a></span> der Hand ergriffen hätte. &mdash; Aber das Tanzen
-hörte bei Jenem deßhalb nicht auf und wider Willen sah sich der Alte
-jetzt selbst davon fortgerissen. Er, in seinem halbnackten Zustande
-(er hatte Alles, nur die Strümpfe nicht, ausgezogen, aus angeborner
-Schamhaftigkeit hatte er sich noch überdies sein Taschentuch, statt
-eines Feigenblattes, vor den Bauch gebunden) &mdash; tanzte nun wie ein
-wilder Neuseeländer mit seinem Schüler um die Flamme herum.... Es war
-ein Bild zum Malen! &mdash;</p>
-
-<p>In diesem Augenblicke öffnete sich die vorhin geschlossene Thür des
-Kellers und ein halbes Dutzend Bediente traten mit den Worten ein:
-„Aber was giebt es denn da? Ein Rauch verbreitet sich aus den Luken im
-ganzen Hause!... Ist denn hier ein neues Gomorrha untergegangen?..“</p>
-
-<p>Man denke sich die Ueberraschung dieser guten Leute, als sie unser
-Freundespaar in einem eben so interessanten Costüme als Geschäfte
-erblickten....</p>
-
-<p class="center">* &emsp; &emsp; &emsp; *<br />
-*</p>
-
-<p>Aber während hier Momus, Comus und noch<span class="pagenum"><a name="Seite_318" id="Seite_318">[318]</a></span> andere närrische Halbgötter
-ihre Schellenkappen schüttelten, ward einige Fuß über diesem Orte
-&mdash; ein Gemüth von höllischen Qualen durchwühlt und hätte zerreißen
-müssen, läge für manche Naturen nicht eben im Schmerze selbst eine
-nährende, eine belebende Kraft. Es sind dies jene Naturen, die zum
-Unglück geboren scheinen &mdash; die schon in der Wiege von demselben mit
-Milch getränkt, später mit Speisen genährt und mit Kleidern versehen
-werden &mdash; denen also das Unglück: Amme, Erzieherin, Lehrerin und
-Lebensgefährtin ist.</p>
-
-<p>Man hört, wenn von solchen armen Verfluchten die Rede ist, oft sagen:
-„Mein Gott, wie konnte er das nur Alles ertragen? Ich wäre unter
-solchen Umständen schon hundert Mal untergegangen.“</p>
-
-<p>Gewiß, denn Dich hat das Schicksal bei Deiner Geburt gesegnet und es
-hatte nicht nöthig, Dir Nerven von Stahl für’s Leben mitzugeben. &mdash;</p>
-
-<p>Allein von wem haben wir zuvor gesprochen? &mdash; Wer war der Unglückliche,
-der Elende, der vom Schicksal Verfluchte &mdash; welcher sechs Fuß<span class="pagenum"><a name="Seite_319" id="Seite_319">[319]</a></span> über dem
-Keller der zwei lustigen Ritter &mdash; von Qualen gepeitscht wurde, wie
-eine Feder sie nicht beschreiben kann? &mdash;</p>
-
-<p>Der Leser wird es wissen. Es war Alexander, der Gemahl Cölestinens,
-Alexander, der sein Weib mehr wie sich selbst liebte &mdash; &mdash; und der sich
-von ihr betrogen, verrathen, um seine ganze irdische Seligkeit gebracht
-sah. &mdash;</p>
-
-<p>Ach, diesmal war ihm der milde Trost, der ihn noch vor einigen Stunden,
-wenn auch blos vorübergehend, erquickte, gänzlich geraubt. Diesmal
-konnte er nicht, wie zuvor, sich zurufen:</p>
-
-<p>„Vielleicht &mdash; ist sie doch unschuldig! &mdash;“</p>
-
-<p>Er hatte sie jetzt an der Seite jenes Menschen, der ihm ihr Herz
-geraubt hatte, beobachtet &mdash; hatte gesehen, wie Jener für sie glühte
-und wie sie von dieser Gluth erwärmt schien. Welche Blicke hatte sie
-ihm gegeben &mdash; und welche von ihm empfangen! Und Alles das so offenbar,
-so vor aller Welt. &mdash;</p>
-
-<p>Sollte es denn schon so weit gekommen sein, daß sie sich nicht einmal
-mehr verstellen konnten oder daß sie es nicht wollten? &mdash; So war er,
-Alexander, also nicht mehr blos das Opfer, er<span class="pagenum"><a name="Seite_320" id="Seite_320">[320]</a></span> war auch das Spielzeug,
-die Puppe, der Narr, durch welche Dinge sie ihrem Vergnügen neue Reize
-verliehen. &mdash;</p>
-
-<p>Ach &mdash; was kümmerte ihn Dieses. Er hatte an Jenem schon genug. Er war
-geopfert, verkauft, sein Herz zertreten &mdash; seine Seele zerrissen, sein
-Leben vergiftet.... So konnte es mit ihm nicht mehr lange bestehen....</p>
-
-<p>Er rannte hinaus aus den Sälen, wo Alles Lust, Freude und herzloser
-Verrath war &mdash; er stürzte hinaus auf eine Terrasse.... Es war wieder
-eine Terrasse, wie dort in der ersten Nacht ein Balkon &mdash; es war
-wieder eine Sternennacht &mdash; und durch diese Nacht strich wieder jener
-allwaltende Geist, der sich eines Elenden erbarmt, oder aber ihn
-verstößt, ihn nicht kennen will....</p>
-
-<p>Diesmal aber war das Letztere der Fall. Diesmal erschien keine
-Cölestine auf dem Balkon und schlang liebewarm ihre Arme um seinen
-Hals. &mdash; Diesmal, diesmal, als Alexander verzweiflungsvoll, wahnsinnig
-die Hände rang gegen das dunkle Firmament, rufend:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_321" id="Seite_321">[321]</a></span></p>
-
-<p>„O &mdash; hat sie wirklich an mir gefrevelt? &mdash; Nur noch ein Zeichen! Einen
-letzten Beweis!“</p>
-
-<p>Diesmal antwortete eine Stimme hinter ihm: „Warten Sie einige Tage ab
-&mdash; und Alles wird Ihnen offenbar werden.“</p>
-
-<p>Rasch drehte Alexander sich um. Er bemerkte nur noch die Umrisse einer
-dunkeln männlichen Gestalt, die gleich einem Schatten forteilte &mdash; in
-der Nähe um eine Ecke verschwand &mdash; und weiter keine Spur hinter sich
-ließ, als den Wiederhall ihrer schrecklichen Worte...:</p>
-
-<p>„Warten Sie einige Tage ab &mdash; und Alles wird Ihnen offenbar werden.“</p>
-
-<p>Alexander fiel ohnmächtig gegen die marmorne Balustrade des Balkons und
-schlug sich daran die Stirne blutig.</p>
-
-<p>Er erwachte erst nach einer Stunde. &mdash;</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_322" id="Seite_322">[322]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Vierzehntes_Kapitel"><b>Vierzehntes Kapitel.</b><br />
-
-<span class="s6">Die Morgenszene nach dem vorigen Tage.</span></h2>
-
-</div>
-
-<p>„<span class="initial">A</span>ch, mein lieber Alexander, wie köstlich haben wir uns gestern
-unterhalten. Es herrschte die allgemeinste Fröhlichkeit. &mdash; Alles war
-vergnügt: man wird sich gewiß dieses Tages noch lange erinnern, und das
-gereicht uns zu großer Ehre. &mdash; Man hat nun den Maßstab in Händen, nach
-welchem man für die Zukunft unser Haus beurtheilen wird.... Wie bin ich
-erfreut, daß dieser Maßstab kein gewöhnlicher ist.“</p>
-
-<p>So, mit diesen Worten begrüßte Cölestine den folgenden Morgen ihren
-Gatten, als dieser, wie es seine Gewohnheit war, in ihr Boudoir trat,
-um ihr hier galanterweise einen Guten Morgen zu wünschen. &mdash; Alexander
-schien sehr heiter &mdash; fast so wie seine Frau; er küßte mit<span class="pagenum"><a name="Seite_323" id="Seite_323">[323]</a></span> dem
-Ausdruck inniger Zärtlichkeit ihre Hand und nahm neben ihr auf einem
-Tabouret, welches etwas tiefer als ihr Sessel stand, Platz.</p>
-
-<p>„Allein,“ fuhr sie fort, indem sie sich mit jenen tausend
-Quincaillerien, die eine vornehme Dame in einem Boudoir vor sich liegen
-hat, zu schaffen machte: „allein,“ sagte sie: „wie kommt es, daß wir
-seit dem gestrigen Tage bis zu dieser Stunde für einander fast gar
-nicht existirt haben, mein Freund? Ich erfuhr weder, zu welcher Stunde
-Du schlafen gingst, noch wann Du aufstandest....“</p>
-
-<p>„&mdash; Noch,“ setzte lachend der Graf hinzu: „was mit mir gestern während
-des Festes geschah, nicht wahr, mein liebes Kind?“</p>
-
-<p>„Ja, ja &mdash; ganz recht. Jetzt erinnere ich mich, daß ich Dich in der
-That gestern während der Dauer der Unterhaltung auch nicht mit einem
-Auge sah &mdash;“</p>
-
-<p>„Jetzt erst erinnert sie sich!“ sagte er zu sich, und, ohne sie zu
-unterbrechen, ließ er sie fortfahren: &mdash;</p>
-
-<p>„Wie hängt das zusammen, mein Freund? Erkläre mir es!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_324" id="Seite_324">[324]</a></span></p>
-
-<p>„Ach, was liegt daran?“ versetzte er unbefangen und fast im lustigen
-Tone: „es ist eine Kleinigkeit &mdash; eine Kinderei, wer wird von ihr
-reden. Dir sowohl, der Frau, wie mir, dem Herrn vom Hause, war der
-Platz getrennt angewiesen, und wir durften ihn nicht verlassen, um uns
-einander zu nähern... Bei solcher Gelegenheit besteht eine Pflicht,
-wie die unsrige war, darin, daß man sich dem Vergnügen seiner Gäste
-opfert ... und dies, meine liebe Cölestine,“ sagte er, ohne dem
-Drange widerstehen zu können, eine Schärfe in den Ton zu legen: „hast
-mindestens Du in vollem Maße erfüllt...“</p>
-
-<p>„Ach ja,“ entgegnete sie, nicht ahnend, worauf er zielte: „ich sah
-mich gestern ununterbrochen von einem Kreise interessanter und
-liebenswürdiger Bekannter umgeben, und muß gestehen, daß ihnen
-gegenüber meine Obliegenheit als Frau vom Hause mir nicht schwer
-erschien. Gewiß bin ich jenen Personen zu eben so großem Danke
-verpflichtet wie sie mir. &mdash; Es war ein reizender Abend!“</p>
-
-<p>„Er war reizend und die Nacht darauf ebenfalls!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_325" id="Seite_325">[325]</a></span></p>
-
-<p>„Ich erinnere mich z. B. nicht, daß die Baronin von <em class="gesperrt">Halderstein</em>,
-diese Blume der guten Gesellschaft, ihren glänzenden Geist sowohl wie
-ihre schöne Seele jemals freudiger entfaltet hätte, als sie es gestern
-in meiner Nähe that. So war auch Herr von Labers dadurch, daß er
-sich meiner Gesellschaft gütig erwies, dies gegen mich; &mdash; er allein
-streute so viel edle Heiterkeit im Kreise aus, daß man noch manchen Tag
-daran wird zu zehren haben.... Sodann die liebe gute E&mdash;z, diese alte
-Freundin meiner Mutter, und die Letztere selbst: o, wie sind uns an der
-Seite dieser ehrwürdigen Frauen die Stunden verflossen!... Endlich mein
-guter Vater, sogar Edmund, Alle schienen sich wonnevoll nur um mich zu
-vereinigen....“</p>
-
-<p>„Sie verschweigt absichtlich den Namen Marsan’s!“ sagte er im Stillen:
-„O &mdash; diese Manier ist ungeheuer veraltet &mdash; &mdash; wiewohl man sie in
-neuerer Zeit wieder in Mode zu bringen versucht.“</p>
-
-<p>In seinem Herzen wühlten die Leiden eines Trostlosen, eines in der
-innersten Seele Verzweifelnden &mdash; &mdash; aber auf dem Angesichte zeigten<span class="pagenum"><a name="Seite_326" id="Seite_326">[326]</a></span>
-sich hiervon keine Spuren; dieses glänzte nicht minder zufrieden, wie
-jenes Cölestinens.</p>
-
-<p>„Was sagst Du,“ warf er leicht hin &mdash; „zu Herrn von Marsan, der, wie
-ich mich erinnere, gestern längere Zeit mit Dir gesprochen? &mdash;“</p>
-
-<p>In diesem Augenblicke überzog eine schreckliche Blässe das Gesicht der
-jungen Frau &mdash; und indem sie starr nach seiner Stirne blickte, schrie
-sie auf: „Um Gotteswillen! was ist das? Was ist mit Dir geschehen,
-Alexander? &mdash; Deine Stirne ist verwundet &mdash; mit Blut unterlaufen....“</p>
-
-<p>„Oh!“ höhnte es in seinem Innern: „die Elende! Welche Ausflucht! &mdash;
-Jetzt da meine Frage sie in die Enge getrieben, weiß sie keinen Ausweg,
-als daß sie von einer unbedeutenden Verletzung redet, die sie schon
-längst bemerkt haben muß....“</p>
-
-<p>Ob er Recht hatte, so zu urtheilen, bleibt dahin gestellt. Da jedoch
-seine Wunde sehr hoch oben auf der Stirne war, so konnte sie zuvor
-leicht durch sein dunkles Haupthaar bedeckt &mdash; und erst jetzt, da er
-mehrmals mit den Fingern durch dasselbe strich &mdash; blosgelegt und von
-Cölestinen bemerkt worden sein... Sie hatte sich ihm<span class="pagenum"><a name="Seite_327" id="Seite_327">[327]</a></span> rasch genähert,
-sein Haupt mit beiden Händen ergriffen und bebend in ihn gedrungen:
-„Sprich, um Alles in der Welt! Was soll ich denken, Alexander? &mdash;
-Erkläre mir’s! Lasse mich nicht in Ungewißheit? &mdash; Dir ist irgend ein
-Unglück widerfahren! &mdash; O rede, rede! hörst Du denn nicht?..“</p>
-
-<p>„Wie man’s nehmen will,“ entgegnete er in dem gleichgiltigsten Tone:
-„ein Unglück oder auch keins. Jedenfalls aber ist das Ganze nicht
-dieses Aufhebens werth &mdash; und deßhalb laß uns endlich schweigen.“ Er
-entwand sich sanft ihren Händen, die aber sogleich wieder nach ihm
-griffen, sich um seinen Hals legten, ihn heran zogen....</p>
-
-<p>„Die nichtswürdigste aller Heuchlerinnen!“ dachte er und ließ sie
-gewähren. &mdash; Indessen jammerte sie fort: „O mein Alexander, o mein
-Gemahl! Es ist nicht recht von Dir, mir Dein Vertrauen bei einer
-Gelegenheit wie diese zu entziehen. Womit hätte ich das auch verdient?
-&mdash; Alexander &mdash; etwas Besonderes muß seit der ewiglangen Zeit, daß wir
-uns nicht sahen, vorgefallen sein &mdash; &mdash; etwas sehr Schlimmes....<span class="pagenum"><a name="Seite_328" id="Seite_328">[328]</a></span> mir
-sagt es mein Herz.... Bei unserer Liebe, bei unserer Treue beschwöre
-ich Dich, meine Bitte zu erhören!“</p>
-
-<p>Während der letzteren Worte lachte er gellend auf, so daß sie entsetzt
-von ihm losließ und die Hände zusammenschlagend vom Sitze aufsprang,
-indem sie rief: „Mein Gott &mdash; erbarme Dich seiner und meiner! Träume
-ich blos oder geschieht das wirklich hier, was ich nicht fassen kann?!“</p>
-
-<p>Er richtete sich nun selbst auf und antwortete ganz in der Art, wie
-er sie heute seit seinem Eintritt in das Boudoir angenommen: „Aber &mdash;
-meine Freundin, Du bist in der That ganz außer Dir, und ich, ich selbst
-hätte Grund, jene Fragen an Dich zu stellen. &mdash; Was soll denn geschehen
-sein? Weßhalb erschrickst Du? weßhalb fährst Du von Deinem Sitze so auf
-&mdash; als sei der Tod vor Dich hingetreten? &mdash; Es ist ja nichts geschehen
-&mdash; sonst hätte ich Dich davon natürlich schon in Kenntniß gesetzt. &mdash;
-Du starrst noch immer nach meiner Stirne! Nun wohl, diese Wunde von der
-ich bisher selber nichts wußte &mdash; und<span class="pagenum"><a name="Seite_329" id="Seite_329">[329]</a></span> die ich erst jetzt im Spiegel
-bemerke &mdash; ich muß sie mir im Schlafe geschlagen haben....“</p>
-
-<p>„Nachts im Schlafe?“ schüttelte Cölestine das Haupt.</p>
-
-<p>„Nun ja. Es ist wohl schon vorgekommen, daß man so fest schlief, daß
-man selbst von einem Stoß an die Wand &mdash; an die Säulen der Bettvorhänge
-&mdash; nicht erwachte.... Uebrigens, wie gesagt, ich spüre die Wunde kaum.
-Ich fühle keinen Schmerz!“</p>
-
-<p>Wirklich konnte diese Rede auch ein furchtsameres Herz beschwichtigen,
-und nach einigen Augenblicken sprach man bereits nicht mehr von diesem
-Gegenstande...</p>
-
-<p>„Es war ihr nur darum zu thun,“ meinte er „recht lange hierbei zu
-verweilen und mich die Frage wegen des Chevaliers vergessen zu
-machen;..“ und laut setzte er hinzu:</p>
-
-<p>„Hast Du dem engern Kreise unserer Freunde gestern nicht eröffnet, an
-welchem Tage außer dem Sonnabend Du Dich ihrer Gesellschaft erfreuen
-möchtest?“</p>
-
-<p>„Ich sprach davon, mein lieber Mann,“ sagte<span class="pagenum"><a name="Seite_330" id="Seite_330">[330]</a></span> sie: „und wir wählten den
-Dienstag, den Donnerstag und den Freitag....“</p>
-
-<p>„Auf diese Weise,“ bemerkte er laut: „wird ja in unserem Hause ewige
-Lust und Freude herrschen....“</p>
-
-<p>„Ich dachte bei mir, es sei dies zu Deinem Besten, Dein ernster Sinn
-werde dadurch zerstreut werden.“</p>
-
-<p>„Gewiß, gewiß &mdash; Sie hat bei jedem Schritt, den sie thut, mich im Auge
-&mdash; &mdash; wie ein kluger Fechter seinen Gegner. Und,“ fragte er sie: „wird
-auch die Baronin von Halderstein uns recht oft besuchen &mdash;“</p>
-
-<p>„Ja, mein Freund, sie hat mir’s bestimmt zugesagt.“</p>
-
-<p>„Auch der Chevalier von Marsan.“</p>
-
-<p>„Du weißt &mdash; daß er sich in letzterer Zeit innig an meinen Bruder
-Edmund anschloß, und demnach dürften wir ihn wohl häufig bei uns
-sehen.... Uebrigens,“ lächelte sie fein: „habe ich mit Herrn von Marsan
-noch einen eigenen Plan...“</p>
-
-<p>„Wirklich?“</p>
-
-<p>„Wenn mich nicht Alles trügt, so hat er<span class="pagenum"><a name="Seite_331" id="Seite_331">[331]</a></span> während des gestrigen Abends
-&mdash; sich mit unserer theuren Baronin von Halderstein angelegentlicher
-als mit einer andern Person beschäftigt. &mdash; Es verging keine
-Viertelstunde, so kehrte er immer wieder zu ihr zurück....“</p>
-
-<p>„Nämlich &mdash; von Dir!“ dachte Alexander: „denn für diesen Herrn scheint
-es nicht zu viel, bei zwei Damen auf einmal den Ritter zu spielen...“</p>
-
-<p>„Und was die Baronin betrifft &mdash;“</p>
-
-<p>„Nun?“</p>
-
-<p>„Es schien nicht eben &mdash; daß sie seine Bewerbungen zurückgewiesen
-hätte.“</p>
-
-<p>„Das Alles ist möglich!“ murmelte der Mann.</p>
-
-<p>„Kurz, wenn es glückt, so soll die reizende Frau, welche gegen einen
-Gatten, der sie verließ, keine Pflichten mehr hat, &mdash; die schöne
-Freundin Halderstein soll es übernehmen, den unbezwinglichen Roland,
-den nie überwundenen Tankred in Fesseln zu legen...... Wir haben uns
-dieses gelobt...“</p>
-
-<p>„Wir? &mdash; Wer ist darunter zu verstehen?“</p>
-
-<p>„Das Nähere kann ich Dir leider nicht vertrauen, mein Freund. Genug
-an dem &mdash; ich<span class="pagenum"><a name="Seite_332" id="Seite_332">[332]</a></span> bin es nicht allein, die sich über diesen Fall freuen
-wird...“</p>
-
-<p>„Und,“ fragte nach einigem Sinnen Alexander: „wird das Spiel, von dem
-Du sprichst, bald beginnen?..“</p>
-
-<p>„Es nimmt mit dem morgigen Tage seinen Anfang. Du weißt, wir sind
-morgen bei der Generalin E&mdash;z. Es ist ihr Tag.“</p>
-
-<p>„So wird also auch der Chevalier dort sein?“</p>
-
-<p>„Ohne Zweifel &mdash; und auch die Halderstein wird nicht fehlen....“</p>
-
-<p>„&mdash; Ich weiß genug!“ sagte er zu sich. &mdash; &mdash; Er verließ seinen Platz,
-umarmte Cölestine und empfahl sich ihr.</p>
-
-<p>„Wohin so eilig?“ fragte sie.</p>
-
-<p>„Eine wichtige Angelegenheit ruft mich nach der Stadt.“</p>
-
-<p>„Wirst Du heute nicht mit mir frühstücken?“</p>
-
-<p>„Ich habe dies bereits allein auf meinem Arbeitszimmer gethan.“</p>
-
-<p>„So geh mit Gott und komme bald zurück!“</p>
-
-<p>„Sehr bald, liebe Cölestine.“ Er war bereits an der Thür, als sie ihn
-noch einmal zurückrief &mdash; ihn umfing, leidenschaftlich mit Küssen
-bedeckte<span class="pagenum"><a name="Seite_333" id="Seite_333">[333]</a></span> und dann mit den Worten zärtlich fortstieß: „Jetzt gehe!“
-&mdash; Sie wandte sich von ihm ab &mdash; gleichsam um sein Scheiden nicht zu
-sehen. Er aber draußen vor der Thür schüttelte das Haupt, sein Gesicht
-verfinsterte sich und wild rief er aus: „O schändlich! schändlich! &mdash;
-&mdash; und dies Alles ist Lüge..... Falschheit...... Betrug!...“</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_334" id="Seite_334">[334]</a></span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Fuenfzehntes_Kapitel"><b>Fünfzehntes Kapitel.</b><br />
-
-<span class="s6">Abend und Nacht.</span></h2>
-
-</div>
-
-<p><span class="initial">V</span>iel beschäftigte den Grafen A&mdash;x der Gedanke, wer jener geheimnißvolle
-Unbekannte sein könne, der wie ein Schatten ihm auf allen Wegen zu
-folgen schien, um sich von Zeit zu Zeit zu verkörpern und Warnungen
-zuzurufen, für welche er ihm bis jetzt noch stets dankbar sein
-zu müssen glaubte &mdash; und welche Warnungen diesen mysteriösen,
-geisterhaften Freund zu seinem Schutzgeiste erhoben. &mdash; Bisweilen
-redete er sich vor, eine Stimme seines eigenen Innern ertheile ihm
-diese Nachrichten &mdash; oder, was dasselbe ist, es seien Ahnungen, die auf
-solche Weise zu ihm sprächen. &mdash; Genug an dem, wegläugnen ließ sich
-diese Erscheinung, so geheimnißvoll sie auch war, keineswegs.... eben
-so<span class="pagenum"><a name="Seite_335" id="Seite_335">[335]</a></span> wenig, wie die Wahrhaftigkeit in ihren Worten. &mdash; Auch gehörte der
-Graf nicht zu jenen hausbackenen Flachköpfen, die dasjenige, was sie
-nicht begreifen können, kurzweg läugnen... und nach deren Meinung es in
-der Welt nichts geben kann, was nicht mit ihrer armen Alltagsweisheit
-übereinstimmt; Menschen, die da glauben, Alles müsse sich mit den
-Händen greifen und mit den Augen, über welche eine zwei Linien breite
-Hornhaut einen ewigen Schleier legen kann, sehen lassen.... arme
-bedauernswürdige Tröpfe, die, gleich den Kindern, welche die Meinung
-hegen, außer ihrem Dorfe gebe es weiter keins mehr in der Welt, ihre
-fünf Sinne für das einzige Medium halten, wodurch sie mit dem Universum
-in Verbindung treten... weil sie von dem sechsten und siebenten
-göttlicheren Sinn, der im Hirne und in der Brust wohnt, keine Ahnung
-haben....</p>
-
-<p>Zu diesen spaßhaften Leuten gehörte Graf A&mdash;x keineswegs. Nicht daß wir
-ihm hieraus ein Verdienst machen wollten; in unseren Tagen ist man,
-Dank den ewigen, Alles wieder zu sich selbst zurückführenden, Gesetzen
-der Natur &mdash; nachdem<span class="pagenum"><a name="Seite_336" id="Seite_336">[336]</a></span> man sich am schöngedrechselten Springbrunnen
-der Philosophie hinlänglich vollgetrunken hatte und nun sah, daß es
-doch nur Wasser war &mdash; wieder zu dem einfachen Felsenquell der Natur
-zurückgekehrt, dessen geheimes Herkommen, dessen sanftes Rauschen uns
-so Manches erzählt, wovon jene künstlichen Wasserbogen nichts sagen
-können. Wir sind, sage ich, auf unserer zirkelförmigen Wanderung, von
-traurigem Halbwissen endlich zu einem glaubensvollen höhern Anschauen
-gelangt...</p>
-
-<p>Wer war aber jener Warner, falls es ein Mensch wie der Graf selbst war?
-Er wußte Keinen zu nennen &mdash; er kannte Niemand, den er fähig hielt,
-ein so seltsames und edles Amt bei ihm zu übernehmen. &mdash; Nach einigem
-Nachdenken mußte Alexander seine Forschung völlig einstellen; auch
-gestehen wir in seinem Namen, diese Sache schien ihm nicht wichtig
-genug, um sein Augenmerk von einer weit größern lange abzulenken.
-Welche dieses war, begreifen wir: es war der Gedanke, es war der
-Schmerz seiner liebenden Seele.</p>
-
-<p>So ungeduldig kann der Räuber hinter einem<span class="pagenum"><a name="Seite_337" id="Seite_337">[337]</a></span> Felsenvorsprung auf einen
-die Straße herabkommenden Reisenden nicht warten, um ihm Geld, Glück,
-Leben und vielleicht den Himmel zu rauben, wie Alexander des morgigen
-Abends harrte, an welchem er doch &mdash; wie er mit Gewißheit annahm &mdash;
-Alles dieses selbst verlieren sollte. &mdash; Er glaubte vor Sehnsucht, vor
-Erwartung rasend zu werden.... die Stunden rollten so unerbittlich
-gemessen dahin... ihm schien es, als sei jede der doppelte Inbegriff
-aller früheren. &mdash;</p>
-
-<p>Endlich brach die entscheidende an. &mdash; Es war um neun Uhr Abends,
-als der Bediente eintrat, meldend, daß die Equipage bereit stehe.
-Alexander war im Zimmer wild auf und niedergerannt, er stieß gegen
-jeden Gegenstand an, ohne es zu wissen, und beinahe hätte er auch seine
-Frau, die eben in diesem Augenblick von ihrer Toilette zurückkehrte,
-niedergeworfen.</p>
-
-<p>„Mein Gott, Alexander, was ist Dir denn?“ redete ihn Cölestine an,
-nachdem der Lakai das Zimmer verlassen hatte: „Ueberhaupt kommst Du mir
-seit einiger Zeit so sonderbar vor &mdash; &mdash; Du bist nicht traurig, bist
-aber auch nicht heiter,<span class="pagenum"><a name="Seite_338" id="Seite_338">[338]</a></span> und wenn Du lachst, scheint es beinahe, als ob
-Du Dich dazu zwingen wolltest....“</p>
-
-<p>„Meine gewöhnlichen Anfälle &mdash; &mdash; krankhafte Reizungen &mdash; Du kennst
-diesen Zustand bei mir; also bringen wir denselben nicht neuerdings
-zur Sprache...“ versetzte er, indem er ein Paar Handschuhe anzog; den
-Hut ergreifend fragte er dann: „Bist Du bereit, Cölestine? Können wir
-gehen?“</p>
-
-<p>„Wenn es Dir gefällt!“ sie legte ihren Arm in den seinen und ging mit
-ihm die Treppe hinab....</p>
-
-<p>Sie saßen neben einander in einem weiten Batard, und da es überdies
-auf den Straßen bereits ganz dunkel war, konnte Cölestine sich ihrem
-Manne ungesehen nähern; sie ergriff seine Hand mit ihren beiden:
-„Alexander,“ sagte sie mit sanft einschmeichelnder Stimme: „Was hast
-Du? Es ist nicht Alles so, wie Du mir sagtest. Deine düstere Stimmung
-hat einen andern Grund.... Alexander!“ wiederholte sie mit rührender
-Stimme: „soll ich denn Deine Liebe verloren haben &mdash; daß Du gar nicht
-sprichst?“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_339" id="Seite_339">[339]</a></span></p>
-
-<p>Dies indeß bewog ihn keineswegs zur Aenderung seines Entschlusses.
-Wirklich ließ er seine Gemahlin heute und in diesem Augenblick mehr
-als je eine Kälte, eine Theilnahmlosigkeit fühlen, an welche sie noch
-nicht gewöhnt war. &mdash; Er redete auch nur wenig zu ihr &mdash; er beschränkte
-sich auf die kürzeste Beantwortung ihrer Fragen, durch <em class="gesperrt">Ja</em> oder
-<em class="gesperrt">Nein</em>.</p>
-
-<p>„Es ist gleichwohl möglich,“ sagte sie zu sich, &mdash; „daß dieser Trübsinn
-aus der alten Quelle entspringt. &mdash; Und so wird er durch Geduld allein
-zu bannen sein....“</p>
-
-<p>In diesem Augenblick blieb der Wagen stehen, er war vor dem Hause der
-Generalin E&mdash;z angekommen. &mdash;</p>
-
-<p>Einsilbig, wie man eingestiegen, verließ man den Wagen und begab sich
-durch ein hellerleuchtetes Portal zum Saale hinauf. Die Gesellschaft,
-welche sich hier versammelte, war nicht außerordentlich zahlreich,
-aber man konnte sie eine gewählte nennen. Die Generalin E&mdash;z, alt und
-ohne Kinder, ohne Erben, verwendete ihr ziemlich ansehnliches Vermögen
-darauf, ihren Freunden und dadurch sich selbst Vergnügen zu<span class="pagenum"><a name="Seite_340" id="Seite_340">[340]</a></span> bereiten.
-&mdash; Bei ihr fand man Alles, wornach einer zerstreuungssüchtigen
-Seele verlangt: die trefflichsten Concerte, Theater, Bälle,
-literarisch-artistische Matinées u. s. w. u. s. w. Im Sommer wurden
-kurze Ausflüge nach ihren Landsitzen &mdash; im Winter auf diesen echt
-russische Divertissements: Schlittagen, Rutschpartien und was weiß ich
-sonst noch, veranstaltet... Hierbei machte dann, da die Frau vom Hause
-zu einer Glanzrolle dieser Art nicht mehr taugte, stets eine ihrer
-jüngern Freundinnen die Honneurs, und so kam es, daß ihr Haus in der
-That unter die besuchtesten gehörte...</p>
-
-<p>Als Cölestine mit ihrem Gemahl eintrat, wurde sie von der Matrone und
-der Gräfin Wollheim mit jener Auszeichnung empfangen, die man einer
-jungen Frau, welche in dieser Eigenschaft zum ersten Male unser Haus
-besucht, immer zu Theil werden läßt. Wie Alexander bemerkte, so war der
-Chevalier von Marsan schon hier &mdash; er stand nach seiner Gewohnheit an
-der Seite Edmunds und zwischen mehreren Herren, die irgend eine Debatte
-führten. &mdash; Der Chevalier hatte ihn fast in demselben Augenblicke<span class="pagenum"><a name="Seite_341" id="Seite_341">[341]</a></span>
-wahrgenommen, und es wäre für einen Psychologen interessant gewesen,
-diesen heftigen und völlig naturgesetzlichen Moment: das Zusammenfahren
-zweier feindlicher Elemente, die sich gleich darauf wieder abstoßen, zu
-beobachten.</p>
-
-<p>Diese zwei Menschen verstanden sich schon vollkommen, sie lasen
-einer in des andern Seele. Auf ihren beiden Gesichtern spielte ein
-geringschätzendes Lächeln &mdash; und in ihren Augen blitzte das Feuer des
-Zornes.... Aber als jetzt Alexander nothgedrungen seine Schritte neben
-dem Chevalier vorbei lenken mußte, grüßte dieser artig und als ein Mann
-von Welt &mdash; während jener es nicht überwinden konnte, diese Eigenschaft
-völlig zu verläugnen &mdash; tyrannisirt von der tödtlichen Eifersucht und
-dem tödtlichen Rachedurst eines betrogenen Ehemanns. &mdash;</p>
-
-<p>Ach, es ist leichter zu hoffen, zu besitzen &mdash; als zu verlieren!</p>
-
-<p>Cölestine war bei ihren Freundinnen zurückgeblieben und eilte nun, sich
-ihrer Mutter, die auch zugegen war, in die Arme zu werfen... Aber ihr
-Blick folgte von Zeit zu Zeit dem Grafen; wie erschrak sie, als sie ihn
-jetzt nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_342" id="Seite_342">[342]</a></span> weit von dem Chevalier stehen und diesen mit Blicken und
-Mienen durchbohren sah...... In einem Augenblicke wurde ihr so Vieles
-klar. Sie glaubte nun den wahren Ursprung von ihres Mannes Gram zu
-kennen.... Aber welches Entsetzen faßte sie, als sie in dem nämlichen
-Augenblicke den Chevalier seinen Platz verlassen und ihn mit Edmund
-auf sich zukommen sah. &mdash; Wenig fehlte und sie wäre umgesunken; sie
-zitterte an allen Gliedern &mdash; diese schienen gelähmt. Sie mußte sich
-niederlassen und empfing so, mit farblosem Angesichte, die Huldigung
-der zwei Herren. &mdash;</p>
-
-<p>Als jetzt ihr Auge wieder Alexander aufsuchte, sah sie, wie dessen
-Miene sich zu einem gräßlichen, grinsenden Lachen verzog, während sein
-Haupt fast unmerklich nickte, &mdash; gleichsam als wollte er sagen: „Also
-so? Es ist gut! &mdash;“</p>
-
-<p>Kaum hatte sie dies erblickt, als sie Marsan, der sie in ein längeres
-Gespräch verflechten zu wollen schien, ohne ihn ausreden zu lassen
-&mdash; rasch und gegen die bisher in allen Gesellschaften herrschende
-Gewohnheit, verließ &mdash; und sich, so schwach sie war, einige Schritte
-weiter<span class="pagenum"><a name="Seite_343" id="Seite_343">[343]</a></span> zur Generalin E&mdash;z begab, an deren Seite sie Platz nahm...</p>
-
-<p>Marsan schien bei diesem Impromptu einen Augenblick überrascht,
-sogleich aber faßte er sich wieder und lachte vor sich hin: „Ach, meine
-reizende Kleine &mdash; das war ein Meisterstreich, den Sie da Ihrem Herrn
-Gemahle spielten!... Freilich etwas ungewöhnlich, aber eben darum um so
-eher geeignet, ihm Sand in die Augen zu streuen...“</p>
-
-<p>Dieser Alexander hingegen zuckte dabei mit den Achseln und sagte:
-„Der Kunstgriff ist so plump, daß Du mich fast dauerst, armes Weib!
-Elendes Weib!“ setzte er zähneknirschend hinzu. Sodann mischte er sich
-unter eine Gesellschaft, nahm an Allem Theil, was um ihn vorging &mdash;
-ließ sich jedoch vermöge seiner Kunst des Beobachtens, worin er sich
-ununterbrochen übte, keine Bewegung Cölestinens entgehen. &mdash;</p>
-
-<p>Der Chevalier hatte sich ebenfalls auf einen andern Punkt begeben und
-schien schnell den ganzen früheren Vorfall vergessen zu haben, denn mit
-aller Unbefangenheit und mit dem feinsten Takte eines Mannes, der zwar
-Geist und Liebenswür<span class="pagenum"><a name="Seite_344" id="Seite_344">[344]</a></span>digkeit, aber kein Herz besitzt &mdash; begann dieser
-glänzende Salonsmann sich mit einem Kreis von Damen zu beschäftigen,
-die ihn gewiß nicht mehr interessirten, als alle jene Schönheiten der
-Welt, die er noch mit keinem Auge geschaut. Aber Alexander meinte:
-„Alles das gehört zu seiner Rolle... Alles das ist schon abgekartet
-gewesen, bevor wir noch in diesen Salon traten. &mdash; Wo aber ist jene
-Baronesse von Halderstein, um derentwillen Marsan eigentlich erschienen
-sein soll? Ich sehe sie nirgends. &mdash; Und Cölestine wußte es doch so
-gewiß, daß dieselbe hier zugegen sein werde.... Es handelt sich um
-nichts anderes, als die beiden sich vis à vis zu bringen.... Hahaha, &mdash;
-Um nichts anderes &mdash; nein, um gar nichts sonst! &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Eine sonderbare Unruhe war heute an Edmund von Randow sichtbar. &mdash; Er
-hatte Marsan seit jenem letzten Impromptu verlassen und schien deutlich
-eine Gelegenheit zu suchen, mit seiner Schwester insgeheim zu reden.
-Er hatte ihr bereits mehrere Winke gegeben &mdash; er hatte sich ihr schon
-einigemal genähert &mdash; sie jedoch schien das Alles nicht zu beachten,
-oder vielmehr,<span class="pagenum"><a name="Seite_345" id="Seite_345">[345]</a></span> sie vermied absichtlich das Zusammentreffen mit ihm;
-ohne Zweifel weil sie, die bereits hinlänglich gelesen hatte auf dem
-Gesichte ihres Mannes, fürchtete, hierdurch dessen Verdacht noch zu
-nähren. &mdash; Die Angst Cölestinens läßt sich nicht beschreiben...</p>
-
-<p>Sie hatte Recht. Selbst dieses Letztere entging den Argusblicken
-Alexanders nicht: „Dort,“ sprach er, indem er auf Edmund sah, „geht der
-Busenfreund, der Abgesandte ihres Geliebten, um ihr das zu sagen, wozu
-für ihn die Gelegenheit nicht günstig ist. O, nicht umsonst hat mein
-ahnendes Herz diesen Menschen, der sich ihren Bruder nennt, vom ersten
-Augenblick an gehaßt.“</p>
-
-<p>Die Qual des armen Grafen ward jetzt auch noch durch seine Umgebung
-erhöht. Da man nämlich am andern Ende des Salons begann, Musik zu
-machen (<em class="gesperrt">Parish-Alvar</em>’s hatte unschuldigerweise eine neue
-Terzett- und Quartett-Epoche heraufbeschworen) &mdash; beschloß unser
-guter Freund, der Herr von <em class="gesperrt">Porgenau</em>, welcher sich an diesem
-Ende befand, die Gesellschaft hier zu entschädigen, indem er anfing,
-haarsträubende<span class="pagenum"><a name="Seite_346" id="Seite_346">[346]</a></span> Witze zu machen, nachdem er natürlich zuvor auf
-haarsträubende Weise pränumerando gelacht hatte:</p>
-
-<p>„Wissen Sie, meine Freunde,“ sagte er: „wie viele Dinge &mdash; hahahaha!
-&mdash; die Franzosen bei ihrem Kriege &mdash; hahahaha! in Algier brauchen...
-hahahaha! hahahaha!“</p>
-
-<p>Alles schwieg. Einige, die Herrn von Porgenau noch nicht kannten,
-erwarteten hier etwas ganz Besonderes zu hören.</p>
-
-<p>„Sie wissen also nicht &mdash; wie viele Dinge &mdash; hahaha! die Franzosen dort
-brauchen &mdash; &mdash; um hahaha! &mdash; sicher zu reussiren?...“</p>
-
-<p>„Nein, nein!“ versetzten jene Neulinge.</p>
-
-<p>„Nun,“ antwortete Porgenau &mdash; &mdash; „aber &mdash; hahahaha! hahahaha! er ist
-wirklich zu gut dieser Einfall... hahaha! ich kann ihn vor Lachen kaum
-von mir geben...“</p>
-
-<p>„Die Franzosen brauchen,“ sagte er einigermaßen gefaßt: „drei Dinge:
-Erstens:“</p>
-
-<p>Aber in diesem Augenblick platzte die Gemahlin des Bonmotisten, die
-natürlicherweise in seiner Nähe saß, um ihr Amt zu verwalten, in ein so
-markerschütterndes Wiehern (Lachen konnte<span class="pagenum"><a name="Seite_347" id="Seite_347">[347]</a></span> man’s nicht nennen) aus, daß
-selbst ihr Mann erstaunte.</p>
-
-<p>Endlich hörte ihr Wiehern auf. Aber ein neues Hinderniß trat ein, nun
-begann wieder er zu lachen &mdash; und dieses abwechselnde ehelich-zärtliche
-Anticipations-Gelächter dauerte so lange, daß sich schon einige
-Personen erhoben &mdash; &mdash; da schrie Porgenau laut auf: „Sie können nicht
-fortgehen, bevor Sie nicht meine drei Kriegsbedingungen gehört haben.
-Also zum Kriege brauchen die Franzosen: 1tens Geld, 2tens Geld und
-3tens &mdash; &mdash; was glauben Sie wohl, was wird das sein? &mdash; Ebenfalls Geld!
-&mdash; hahahahahahahahahahahahaha!! &mdash;“</p>
-
-<p>(Aus Mangel an Raum geben wir nur &mdash; wie Handlungsreisende &mdash; eine
-Probe dieses Lachens, welches nach genauer Berechnung zwei und eine
-halbe Meile lang wäre, falls man es ganz niederschreiben wollte.)</p>
-
-<p>Das war zu schauderhaft. Auch die Geduldigsten und die Trägsten von
-den Umstehenden hielten es in der Nähe Porgenau’s nicht länger aus &mdash;
-Alles verließ seine Plätze. Da rief er in edlem Unwillen ihnen nach:
-„So!<span class="pagenum"><a name="Seite_348" id="Seite_348">[348]</a></span> Sie gehen, meine Herren? &mdash;“ Und sich umwendend, bemerkte er
-gegen seine Frau, der noch immer alle Muskeln des Gesichts krampfhaft
-manoeuvrirten: „Die Undankbaren! Nachdem man ihnen seine Ideen
-mitgetheilt hat &mdash; suchen sie das Weite, um damit zu wuchern!“</p>
-
-<p>Unter den Zweien oder Dreien, welche zurück blieben, befand sich auch
-Alexander. An ihn hielt sich nun Porgenau vorzüglich und fragte den
-düster vor sich Hinstarrenden &mdash;: „Nun, liebster Graf &mdash; es freut mich,
-Sie bei mir behalten zu haben. &mdash; Was sagen Sie zu der Aufführung der
-übrigen Herrn? &mdash; Abscheulich, nicht wahr? &mdash; Allein ich will mir’s
-auch merken. Künftig sollen meine Bonmots nur Ihnen, lieber Freund, und
-diesen zwei, drei Herrn hier mitgetheilt werden. Und zum Beweis wollen
-wir gleich jetzt den Anfang machen....“ Er gab seiner Frau einen Wink;
-sie fing wieder an zu wiehern...</p>
-
-<p>„Was meinen Sie,“ sagte er &mdash; „&mdash; ich werde Ihren Scharfsinn, lieber
-A&mdash;x, ein wenig auf die Probe stellen... Sie werden ohne Zweifel
-glänzend bestehen. Also sagen Sie mir<span class="pagenum"><a name="Seite_349" id="Seite_349">[349]</a></span> gefälligst, welcher <em class="gesperrt">Nuß</em>
-haben die Alten göttliche Ehren erwiesen? &mdash; hahahaha! hahaha! &mdash; &mdash;“
-Er hielt ein wenig inne und gab seiner Frau ein Zeichen, worauf auch
-sie schwieg.</p>
-
-<p>Es erfolgte jedoch keine Antwort.</p>
-
-<p>„Nicht wahr?“ begann Porgenau nach einer Pause &mdash; „nicht wahr? &mdash;
-hahahaha...“</p>
-
-<p>Jetzt platzte auch seine Dame wieder aus...</p>
-
-<p>„Nicht wahr &mdash; das ist ein göttliches Wortspiel! &mdash; hahaha! &mdash; O &mdash; ich
-habe hundert ähnliche alle Tage erfunden &mdash; hahaha! hahaha! &mdash; Bei mir
-kommen die Wortspiele, Bonmots und geistreichen Einfälle wie im Sommer
-die Frösche &mdash; hahaha, auch wieder ein guter Vergleich! &mdash; &mdash; Also noch
-einmal, bester Graf: Welches war die Nuß, der die Alten &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>In diesem Augenblicke sprang Alexander plötzlich auf und eilte davon
-&mdash; im Nu war er vor den Augen des großen Witzboldes verschwunden,
-welcher, nachdem er sich von der ersten Ueberraschung erholt hatte,
-ausrief: „Ach &mdash; Sie entwischen, lieber Graf? Das ist ein alter Kniff.
-Sie schämen sich, das Räthsel nicht auflösen zu können &mdash; &mdash; hahaha!
-hahaha! &mdash; &mdash;“ Und<span class="pagenum"><a name="Seite_350" id="Seite_350">[350]</a></span> zu den drei Letzten des Platzes, die seit einiger
-Zeit sich unter dem Einflusse seiner Unterhaltung einem köstlichen
-Schlummer ergeben hatten, rief er: „Nun &mdash; ich will Sie nicht länger
-warten lassen, meine Herrn &mdash; &mdash; Jene Nuß, der die Alten göttliche Ehre
-erwiesen, war &mdash; &mdash; hahahahahahahahahaha u. s. w. es war: <em class="antiqua">Venus!</em></p>
-
-<p>Hahahahahahaha &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; u. s. w.“</p>
-
-<p>(Das Schlußgewieher der Ehehälfte läßt sich typographisch nicht
-darstellen; es fehlen im Setzkasten die Zeichen dafür.)</p>
-
-<p>Jetzt erst bemerkte Porgenau den Zustand der Drei. „O!“ sprach er:
-„meine Freunde, Sie stellen sich, als ob Sie schliefen!... Hahaha! &mdash;
-Wieder ein neuer Kniff! Doch auch er ist mir bekannt: Sie fürchten, daß
-ich Ihnen einen neuen Calembour aufgeben würde &mdash; den Sie nicht lösen
-könnten... Fürchten Sie nichts, fürchten Sie nichts! Ich weiß, was ich
-echten Freunden schuldig bin... wiewohl <em class="gesperrt">Schuldner ein schlechtes
-Gedächtniß haben</em>.... hahaha! hahaha! Wieder ein Witz! hahaha!
-wieder ein Witz!“</p>
-
-<p>Wir wenden uns von dieser <em class="antiqua">partie honteuse</em> der Gesellschaft
-unseres Salons ab, um zu einer<span class="pagenum"><a name="Seite_351" id="Seite_351">[351]</a></span> interessanteren zu eilen. &mdash; Als
-Alexander so plötzlich seinen Sitz neben dem unglückseligen Porgenau
-verlassen hatte, war dies auf eine Veranlassung geschehen, welche hier
-näher beschrieben werden muß. Wir wissen, daß Alexander ununterbrochen
-seine Frau sowohl wie ihren Bruder und den Chevalier im Auge behielt;
-wir wissen ferner auch, daß Cölestine, als wir zuletzt von ihr gingen,
-von Edmund, welcher sie durchaus zu sprechen verlangte, auf alle
-mögliche Weise verfolgt ward. Sie hatte diesen Aufforderungen bisher
-hartnäckig widerstanden &mdash; indem sie dieselben durchaus nicht zu
-verstehen schien.... sie war, bald dadurch, daß sie sich abwendete,
-bald dadurch, daß sie mit irgend einer Dame sich in ein Gespräch
-einließ &mdash; bald durch die Aufmerksamkeit, die sie der Musik schenkte
-&mdash; dem Andringen ihres Bruders entgangen. &mdash; Dieser schien darüber in
-Verzweiflung &mdash; er hatte sich bereits vorgenommen, Cölestinen geradezu
-entgegenzutreten &mdash; bald jedoch verließ ihn der Muth &mdash; und er stand
-einige Augenblicke in kläglichem Zorne, stumm an die Wand<span class="pagenum"><a name="Seite_352" id="Seite_352">[352]</a></span> gelehnt. Ein
-leichter Schlag weckte ihn aus seinem Trübsinn &mdash; es war Marsan.</p>
-
-<p>„Ah!“ rief Edmund so laut, daß seine Stimme bis zu Alexander drang &mdash;
-„Sie sehen, guter Marsan &mdash; es ist umsonst!“</p>
-
-<p>Mehr hatte Alexander nicht vernommen; dies aber war für ihn genug,
-um, wie wir wissen, gleich einem Wahnsinnigen von seinem Sitze
-aufzuspringen &mdash; und die Nähe der Zwei aufzusuchen, welche er behorchen
-wollte. Zum Glück boten die Draperien des Salons an dieser Stelle einen
-vortrefflichen Schlupfwinkel und der Ehemann eilte, davon Gebrauch zu
-machen. Er hörte &mdash; freilich hatte er jedoch den Anfang ihres Gesprächs
-versäumt &mdash; Folgendes:</p>
-
-<p>„Aber &mdash; es ist mir unerklärlich, daß Ihre Schwester Sie durchaus
-nicht hören will....“ sagte Marsan; „bei mir freilich ist das eine
-andere Sache &mdash; &mdash; sie hat Rücksichten auf den Narren, ihren Mann, zu
-nehmen!...“</p>
-
-<p>„Sagen Sie lieber &mdash; den Elenden!“ versetzte Edmund: „dieser Mensch
-hat sie gegen mich aufgehetzt &mdash; es ist klar. Doch ich will ihm das
-entgelten....“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_353" id="Seite_353">[353]</a></span></p>
-
-<p>„Ja, ja &mdash; wir wollen es gemeinschaftlich thun, mein Freund! &mdash; Also
-sie will Ihnen die ersehnte Gelegenheit durchaus nicht gewähren,
-Edmund? &mdash; Nun, wissen Sie was? &mdash; Dringen Sie jetzt nicht weiter
-in sie.... Man darf es mit dem Narren Alexander nicht vorzeitig
-verderben.... Zwar übt er durchaus keine Macht auf sie aus... allein
-da er fähig ist, einen öffentlichen Skandal zu provociren, so muß man
-Cölestinen wenigstens in seiner Gegenwart schonen.... Befolgen Sie also
-die Regel, die ich Ihnen vorhin gegeben habe.... Ach!“ rief mit einem
-Male der Chevalier aus: „jetzt ist die Zeit dazu &mdash; der Narr Alexander
-ist nirgends zu sehen &mdash; er muß den Saal verlassen haben.“</p>
-
-<p>„Bei Gott, Sie haben Recht &mdash; Marsan!“ versetzte der Jüngling: „Ha!
-sehen Sie doch &mdash; &mdash; Cölestine blickt überall herum &mdash; sie scheint
-dieselbe Entdeckung gemacht zu haben.... sie sieht den Tyrannen nicht
-&mdash; &mdash; &mdash; jetzt giebt sie mir einen Wink! Ich eile zu ihr!“</p>
-
-<p>Hier hörte das Gespräch auf; die zwei Freunde verließen rasch den
-Platz. &mdash; Aber sie waren nicht rascher, wie der Gatte, welcher über<span class="pagenum"><a name="Seite_354" id="Seite_354">[354]</a></span>
-das, was er so eben gehört hatte, entsetzt aus seinem Hinterhalte
-hervor eilte, um den Zweien nachzugehen. &mdash; Beim ersten Schritte
-jedoch schon blieb er stehen; Cölestine hatte in dem Momente, wo sie
-im Begriffe war, sich mit ihrem Bruder in ein Fenster zurückzuziehen
-&mdash; ihn erblickt und war rasch umgekehrt &mdash; indem sie sich auf eine
-Ottomane warf....</p>
-
-<p>Ihr Mann aber zog sich mit einem schweren, tiefen Seufzer zurück &mdash; in
-ein anstoßendes Kabinet. Doch konnte er noch, als er an der Thür sich
-umwandte, sehen, wie sowohl Marsan als Edmund mit kühnem Schritt sich
-abermals Cölestinen näherten &mdash; und sie jetzt anredeten.</p>
-
-<p>„Aber, meine Freundin, ich versichere Ihnen &mdash; dieser Verein unserer
-Damen hat keinen andern Zweck &mdash; als Aufsehen zu erregen, und dann
-noch einen, welchen ich schon einmal angedeutet und hier, vor dieser
-Gesellschaft nicht wiederholen will....“</p>
-
-<p>„Nein, nein, meine Liebe &mdash; Sie irren sich wirklich, Sie thun uns Allen
-so bitteres Unrecht.“</p>
-
-<p>„Wem ist das größte geschehen?“ rief das Stiftsfräulein aus und öffnete
-dabei ihren zahn<span class="pagenum"><a name="Seite_355" id="Seite_355">[355]</a></span>losen Mund so gewaltig, daß man, wie am Rande eines
-Precipisses in der Schweiz, den Schwindel bekam &mdash; &mdash;: „Ist es nicht
-etwa mir geschehen? &mdash; Mir, mir, die so viele menschenfreundliche Plane
-hegte &mdash; mir, die den Frauenverein zu einer respektableren Bedeutung
-führen wollte &mdash; mir, der Erfinderin jener Composition und jener
-Schlösser, jener Ketten &mdash; jener Fangeisen....“</p>
-
-<p>„Freilich, freilich, es war nicht wohlgethan, Sie, beste Freundin, so
-zu behandeln, wie geschehen ist,“ erwiederte Gräfin von Wollheim....
-„man hat sich übernommen, man war zu strenge &mdash; man &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Wie? man war zu strenge?!“ schrie die verkannte Edle, auf das
-Wort „zu“ ein Gewicht legend.... „Was hatte man für ein Recht,
-<em class="gesperrt">strenge</em> zu sein gegen mich? &mdash; Gegen mich, ein Mitglied, welches
-sich rühmen kann, zeitlebens für die Tugend, die Sittsamkeit, die
-Menschenfreundlichkeit und für das Menschenwohl im Allgemeinen gelebt
-zu haben..? &mdash; für mich, die Erfinderin &mdash; die Entdeckerin so vieler
-vortrefflicher Dinge, welche ich alle hier nicht aufzuzählen<span class="pagenum"><a name="Seite_356" id="Seite_356">[356]</a></span> brauche,
-da man dieselben hinlänglich kennt!... Oder wie, kennt man sie nicht,
-die Fußangeln! die Daumenschrauben? &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Mehrere von den buckligen und liebenswürdigen Zuhörerinnen (wir wissen,
-daß das Fräulein ihr eigenes Auditorium hatte) hielten sich hier die
-Ohren zu; selbst ihnen, die doch an Humanität auf gleicher Stufe mit
-ihr standen &mdash; wurde es endlich zu arg.</p>
-
-<p>„Es ist indeß, wie ich Ihnen vorhin sagte, Hoffnung vorhanden, daß Ihr
-Wiedereintritt in den Verein nicht länger beanständigt werden wird,
-beste Bomben!“ nahm die Gräfin das Wort.</p>
-
-<p>„Ich habe Ihnen gleichfalls bemerkt,“ erwiederte diese aufgebracht &mdash;
-„daß ich das nicht annehmen werde! Mich, mich soll man nie mehr &mdash; ich
-hab’s geschworen! &mdash; in einem Vereine sehen, dessen geheimer Zweck
-darin besteht &mdash; &mdash; hübsche Bauernbursche &mdash;“</p>
-
-<p>Hier hielten sich die Zuhörerinnen abermals die Ohren zu, und die
-Wollheim wandte sich mit gefalteten Händen an die Rednerin: „Um
-Gotteswillen &mdash; nicht weiter, meine Freundin! Was denken Sie? Wenn
-diese Worte zur Kenntniß<span class="pagenum"><a name="Seite_357" id="Seite_357">[357]</a></span> des Vereins kommen sollten!... des Vereins,
-der Sie ohne Zweifel wieder in seine Mitte zurückrufen wird...“</p>
-
-<p>„Aber ich wiederhole zum hundertsten Male: daß ich nichts mehr mit
-diesem Vereine zu thun haben will. Ich bin hierzu viel zu moralisch!
-&mdash; Hinfort soll es mein Beruf nur sein: mich dem saubern Vereine
-<em class="gesperrt">entgegenzustellen</em>... ihn zu bekämpfen... ihn zu ruiniren.....
-Oh! Oh!“ schäumte sie: „Wenn ich schon Nero’s Schwert nicht besitzen
-kann, um diesem hübschen Damenkranz mit einem Hiebe die Köpfe
-abzuschlagen.... so möchte ich doch wenigstens das Gift der <em class="gesperrt">Lukretia
-Borgia</em> haben &mdash; &mdash; &mdash; &mdash;“ Hier hielt die genügsame Dame plötzlich
-inne, gemahnt ohne Zweifel von der Erinnerung, daß wir in dieser
-verderbten Welt auch eine Polizei haben....</p>
-
-<p>Die buckligen und anderen Zuhörerinnen aber erhoben sich, und ohne ein
-Wort zu sprechen, verließen sie die Aspirantin des Giftes der Borgia &mdash;</p>
-
-<p>Es mußte wirklich bis zu einem solchen Punkte kommen, um diese Damen zu
-vertreiben. &mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_358" id="Seite_358">[358]</a></span></p>
-
-<p>Allein Gräfin Wollheim überdauerte sie alle, vermöge ihrer
-Gutmüthigkeit und einer Leidenschaft für Strumpfgespräche, die beide,
-seit die Welt steht, noch nicht da waren.</p>
-
-<p>Indessen, als diese Episoden sich hier zutrugen, rollte anderwärts die
-Haupthandlung des Abends in ununterbrochener Gleichförmigkeit fort.
-Die Musik war zu Ende &mdash; d. h. jenes Harfenterzett oder Quartett, von
-dem wir oben gesprochen haben. Jetzt &mdash; sollte etwas Neues kommen;
-eine große brillante Arie aus der jüngsten Oper Donizetti’s, dieses
-Lieblings der Musen, der es bleiben wird, mögen seine nordischen
-Eiferer und Geiferer sich und ihre traurigen Federn noch so vollsaugen
-mit Gift und Galle.<a name="FNAnker_F_6" id="FNAnker_F_6"></a><a href="#Fussnote_F_6" class="fnanchor">[F]</a> &mdash; Da die Arie, welche wir meinen, von einer
-sehr berühmten Dilettantin (Fräulein von G&mdash;e&mdash;) gesungen wurde, so
-widmete man derselben die größte Aufmerksamkeit, und einige Augenblicke
-schien der Geist dieser Versammlung sich nur um<span class="pagenum"><a name="Seite_359" id="Seite_359">[359]</a></span> die Sängerin zu
-concentriren. &mdash; Dies schien jedoch blos so. Es mochten in so manchen
-Herzen Dinge vorgehen, die keinen Bezug auf die schöne Sängerin hatten,
-wiewohl man Blicke und Mienen nur auf sie richtete &mdash; wiewohl man nur
-zu athmen schien, um Worte des Beifalls für sie zu haben. Wo in aller
-Welt wäre auch eine größere und tiefere Schauspielkunst zu finden, als
-in den Kreisen jener Gesellschaft, die sich ausschließlich die gute
-nennt? Mich dünkt &mdash; es könnte hier Jemand wissen, daß die nächste
-Minute die seines Todes sein werde, und er würde, in der vorhergehenden
-zu einer Polonaise aufgefordert &mdash; süß lächelnd entgegnen: „Mit dem
-größten Vergnügen!“</p>
-
-<p>Diesen Gesichtspunkt müssen wir im Auge behalten, um den Zustand, worin
-sich in diesem Augenblick eine Person in diesem Salon befand, gehörig
-zu würdigen. Da saß Cölestine, dieses schöne, junge, reizende Weib
-und hörte stumm den Tönen der Musik zu. Auf ihrem blüthenreinen &mdash;
-aber auch blüthenbleichen Gesichte malte sich Aufmerksamkeit, Spannung
-und tiefe Anschauung ab &mdash; auf diesem Gesichte, worin sonst<span class="pagenum"><a name="Seite_360" id="Seite_360">[360]</a></span> nur
-Lust, Heiterkeit und schalkhafte Koketterie zu lesen war. Jene Mienen
-schienen mit der herrlichen Musik im Zusammenhange zu stehen &mdash; &mdash;
-aber auch hier können wir sagen: daß sie dieses blos <em class="gesperrt">schienen</em>.
-Dieses schwarze, glühende, jetzt durch den seidnen Vorhang der Wimpern
-halbverdeckte Auge &mdash; war zwar auf die Sängerin gerichtet; es sah
-jedoch nichts von ihr, es sah in sich selbst zurück, in die eigene
-Brust sah es hinein...</p>
-
-<p>Welche mochten die Gedanken sein, die in dieser Brust sich drängten?
-&mdash; denn sie war voll, überfüllt davon &mdash; so daß sie zu überfließen
-schienen, wie ein allzu voller Becher: O hätte sie das wohl vor
-einigen Monaten geahnt &mdash; in jener Zeit, als sie ihrem Manne aus
-inniger Zuneigung die Hand reichte? &mdash; Ach, damals kannte sie ihn noch
-nicht! Sie träumte damals von paradiesischen Tagen und hesperidischen
-Nächten... dies war nun vorbei.... es schien ein Wahn, eine
-Seifenblase...</p>
-
-<p>Cölestine warf, wie von einem plötzlichen Gedanken beunruhigt, ihren
-Blick jetzt wieder im Saale umher.... da sah sie den Chevalier<span class="pagenum"><a name="Seite_361" id="Seite_361">[361]</a></span> neben
-Edmund, welcher sie erst vor Kurzem verlassen hatte, in einiger
-Entfernung, an der entgegengesetzten Wand stehen &mdash; und Marsan schien
-sie mit seinen Augen zu verschlingen... &mdash; Er wollte sich ihr schon
-wieder nähern &mdash; &mdash; da winkte sie ihm flehend mit beiden Händen.... und
-er blieb. &mdash;</p>
-
-<p>&mdash; Diese ganze Scene aber hatte Alexander wieder aus dem Nebenzimmer
-beobachtet. Noch sah er, daß Edmund versteckt ein Zeichen mit der Hand
-machte, wobei zwei Finger ausgestreckt waren, wie man die zweite Stunde
-zu bezeichnen pflegt. &mdash;</p>
-
-<p>Der unglückliche Ehemann rief mit Thränen in den Augen vor sich: „Das
-ist eine Bestellung &mdash; um 2 Uhr! Ein Kind müßte es begreifen.“</p>
-
-<p>Gleich darauf verließ Edmund sowohl wie der Chevalier den Saal und sie
-waren hier heute nicht ferner zu sehen. &mdash;</p>
-
-<p>&mdash; &mdash; Mitternacht nahte heran, als man von allen Seiten sich zum
-Aufbruch anschickte. &mdash; Alexander erschien, um seine Frau wegzuführen;
-Arm in Arm gelangten beide zu ihrem Wagen. Jedoch glaubte Alexander zu
-bemerken, daß nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_362" id="Seite_362">[362]</a></span> nur der Arm, sondern der ganze Körper seiner Frau
-von aller Kraft entblößt war.</p>
-
-<p>Man sprach sowohl beim Einsteigen als auch während der Fahrt kein Wort.
-Nur in der Nähe ihrer Wohnung erst war es, wo Cölestine wie aus einem
-tiefen Schlafe erwachte. „Ach! schon zu Hause?“ sagte sie, und er
-erwiederte eintönig: „Schon zu Hause!“ Hierauf schwiegen sie wieder. Er
-hob sie aus dem Wagen. &mdash; Vor ihren Gemächern verabschiedete er sich
-von ihr, indem er vorgab, diese Nacht in seinem Studierzimmer zubringen
-zu wollen.</p>
-
-<p>„Wachend?“ fragte sie.</p>
-
-<p>„Nein, nein; im Schlafe!“ entgegnete er, ergriff ihre Hand, führte sie
-zu seinen Lippen und wollte forteilen. Aber sie faßte ihn plötzlich,
-zog ihn zurück, sah ihn einige Augenblicke stumm und mit einem
-unbeschreiblichen Ausdruck von Schmerz an &mdash; preßte sodann seine Hand
-an ihr Herz und fragte endlich mit matter Stimme: „Warum willst Du
-die Nacht so fern von mir zubringen, Alexander?“ Und als er schwieg,
-fuhr sie fort: „Du zürnst mir, Du verdammst mich... Aber ein Gott ist
-mein<span class="pagenum"><a name="Seite_363" id="Seite_363">[363]</a></span> Zeuge, daß ich mir nichts vorzuwerfen habe! &mdash; O Alexander, mein
-Gemahl, ich liebe Dich so innig! Könntest Du in mein Herz sehen!“</p>
-
-<p>Sie wollte noch weiter sprechen, er hatte sich jedoch bereits sachte
-losgemacht, und noch ein Mal „Gute Nacht!“ wünschend, war er über den
-Corridor verschwunden. &mdash;</p>
-
-<p>&mdash; Er betrat, wie er gesagt hatte, sein Studierzimmer, schraubte die
-Lampe, die hier bereits brannte, höher, warf einige Kleidungsstücke ab
-und sich in seinen Schlafrock. Sodann verschloß er die Thür, ließ die
-doppelten Rouleaux vor den Fenstern herab, setzte sich an den Tisch und
-legte seine Taschenuhr, die sehr verläßlich war, vor sich nieder. &mdash;</p>
-
-<p>Er zählte Minute um Minute; es war jetzt nahe an Eins. &mdash;</p>
-
-<p>„Noch eine Stunde &mdash;“ murmelte er dumpf &mdash; „dann ist die Betrügerin
-entlarvt.... Ja, ich vertraue fest auf die Zeichen, welche ich sah,
-und auf die Ahnung in meinem Innern, die mir zuflüstert, daß ich das
-Schrecklichste erst jetzt sehen werde. &mdash; &mdash; O, mein Gott! womit habe
-ich es verdient? &mdash; Wesen, das Du voll Allmacht<span class="pagenum"><a name="Seite_364" id="Seite_364">[364]</a></span> und Gerechtigkeit
-thronst über uns &mdash; wo sind hier die Spuren dieser Eigenschaften? &mdash;
-Was habe ich gethan? Ich habe dieses Weib geliebt wie das Blut meines
-Herzens &mdash; wie den Hauch meiner Seele.... und sie, sie vergiftete dafür
-das erstere und erstickte diesen auf meuchlerische Weise. &mdash; Soll das
-die Dankbarkeit sein, welche Du Deinen Kreaturen einimpfest? dann
-freilich entsprechen sie genau Deiner Liebe und Gerechtigkeit, deren
-Ausfluß sie ja sein sollen.... Doch genug! &mdash; Ich will harren und das
-tödtliche Gift bis zum letzten Tropfen einschlürfen!.... Ich will die
-Stunde erwarten.... sie ist nicht mehr fern.“</p>
-
-<p>Er legte sein Haupt in die offene Hand, welche er auf den Tisch
-stützte, und versank in einen Abgrund entsetzlicher Träume. Nur ein an
-Allem, auch dem Letzten und Höchsten, Zweifelnder und Verzweifelnder
-kann so träumen.</p>
-
-<p>&mdash; &mdash; Endlich richtete er den Blick auf die Uhr. Der Zeiger stand
-gerade auf Zwei. Wild fuhr er vom Sitze auf und rannte nach einem
-Schranke, aus welchem er ein Kästchen von Sandelholz, mit Perlenmutter
-und emaillirtem Sil<span class="pagenum"><a name="Seite_365" id="Seite_365">[365]</a></span>ber ausgelegt, hervorholte. Er stellte es auf den
-Tisch und schloß es auf. Zwei Paar Pistolen lagen darin, eine von ihnen
-lud er und steckte sie zu sich &mdash; dann stellte er das Kästchen wieder
-an seinen Platz, löschte die Lampe aus und verließ das Zimmer. &mdash;</p>
-
-<p>In dem Augenblicke, als er den Fuß vor die Thür setzte, fiel ihm ein,
-daß er vielleicht gar zu spät kommen könnte. Er schalt sich, nicht
-<em class="gesperrt">vor</em> der Stunde aufgebrochen zu sein, denn noch wußte er ja nicht
-den Ort, an welchen er sich begeben sollte.</p>
-
-<p>Er sann einen Augenblick nach, dann ging er rasch, aber mit leisem
-Schritte hinab zu dem Portier, weckte den guten Mann, der bereits
-längst wohlgemuth in einem thurmhohen Federbette schnarchte, und fragte
-ihn, ob er vor Mitternacht keine Person aus- oder eingehen gesehen
-habe, die ihm verdächtig, unbekannt oder verkleidet schien. Der brave
-Mann in seinem Federbette versetzte, daß ihm nichts dem Aehnliches
-vorgekommen wäre. Schon wollte Alexander fortgehen &mdash; als der brave
-Mann aus seinem Federbette plötzlich auffuhr, rufend: „<em class="gesperrt">Halt!</em>
-&mdash;<span class="pagenum"><a name="Seite_366" id="Seite_366">[366]</a></span> <em class="gesperrt">gräfliche Gnaden verzeihen gehorsamst</em> .... jetzt fällt
-mir ein &mdash; oder vielmehr es kommt mir so vor... als sei so zwischen
-11 und 12 Uhr ein Herr rasch hereintreten, durch den Thorweg geeilt
-&mdash; und ehe ich ihn anrufen konnte, im Hofe verschwunden. &mdash; Leider
-ging die Hauptlampe heute früher aus wie sonst &mdash; &mdash; und es war dort
-pechfinster, trotz der andern kleinen Lämpchen, gräflichen Gnaden
-aufzuwarten. &mdash; Ueberdies dacht’ ich bei mir: wer weiß, wer der Herr
-ist! ’s kann auch Jemand aus dem Hause sein; Nachts sind alle Kühe
-schwarz....“ So schloß der Portier, welcher, wie man sieht, ein wahres
-Muster seiner Zunft war. &mdash;</p>
-
-<p>Alexander aber war bereits fortgeeilt.... er schlug den Weg zum
-Schlafzimmer seiner Frau ein. &mdash; Ein wildes Fieber schüttelte seine
-Glieder, als er hier anlangte. &mdash; Er hatte bisher alle Thüren leise
-geöffnet &mdash; an diese legte er zuerst sein Ohr an, um zu horchen.</p>
-
-<p>Nichts war zu hören, auch nicht die Athemzüge einer Schlummernden. &mdash;
-Er trat vorsichtig ein, näherte sich dem Bette Cölestinens &mdash; tastete
-&mdash; &mdash; fand es leer.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_367" id="Seite_367">[367]</a></span></p>
-
-<p>Doch konnte nicht gezweifelt werden, daß sie noch kurz vorher darin
-gelegen habe. &mdash; Es war am untern Ende noch warm von den Füßen...</p>
-
-<p>Das Gefühl, welches bei dieser Entdeckung des Armen Herz durchschnitt,
-ist nicht zu beschreiben. Er säumte jedoch nicht lange und ging
-weiter. Wohin aber sollte er sich zuerst wenden? War sie nicht im
-Schlafgemache, wohin sonst sollte sie sich zu dieser Stunde begeben
-haben? &mdash; Etwa aus dem Hause hinaus. Dies schien nicht wahrscheinlich
-&mdash; und überdies stimmte diese Annahme nicht mit jener von dem
-Herrn überein, in welchem Manne Alexander keinen Andern als den
-<em class="gesperrt">Chevalier</em> vermuthete. Was &mdash; vermuthete? &mdash; <em class="gesperrt">Wußte!</em>
-muß gesagt werden; denn er hätte für diese Ueberzeugung sein Leben
-hingegeben. &mdash;</p>
-
-<p>Es fiel ihm ein, nach dem Arbeitszimmer seiner Frau zu gehen, da
-dieses sehr einsam und mit den Fenstern nach dem Garten zu lag. Um
-jedoch dahin zu gelangen, mußte er an Cölestinens Boudoir vorüber
-gehen. Als er in dessen Nähe gelangte &mdash; fiel ein Lichtschimmer nicht
-größer als ein kurzer Seidenfaden auf einen seiner Füße &mdash; &mdash; es hätte
-ein Blitzstrahl sein können, er hätte ihn nicht fester an den Platz
-gebannt. &mdash; Jetzt glaubte er ein heftiges Flüstern zu vernehmen &mdash; das
-mit einem Male abbrach &mdash; und bald darauf wieder anhob &mdash; sogar von
-einem leisen Schluchzen unterbrochen. &mdash;</p>
-
-<p>Er konnte nicht länger zweifeln. Dies hier war der Schauplatz des
-Verbrechens. &mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_368" id="Seite_368">[368]</a></span></p>
-
-<p>Vorsichtig trat er an die Thür des Boudoirs &mdash; und versuchte durch’s
-Schlüsselloch zu blicken &mdash; &mdash; aber in demselben Augenblick wurde im
-Innern das Licht ausgelöscht. &mdash; Er hatte jedoch mit dem letzten Blick
-noch die Umrisse einer hohen eleganten Mannesgestalt, in einen langen
-Oberrock gehüllt, erhascht. Das war hinreichend, hätte er übrigens auch
-die letzten Worte, welche Jener mit gedämpfter Stimme sprach, nicht
-gehört. Diese Worte lauteten: „Niemals, niemals werde ich dieser Stunde
-vergessen, und was Du, Geliebte, in ihr für mich gewagt!“ &mdash;</p>
-
-<p>Mehr konnte er nicht verstehen &mdash; die Beiden hatten sich bereits in
-einem der nächsten Gemächer verloren. &mdash;</p>
-
-<p>Alexander vermuthete, daß Cölestine ihren Geliebten zuerst unten im
-Garten abgeholt und sodann durch eine Reihe von Zimmern, also auf
-Umwegen, hierher geführt habe. &mdash; Seiner Berechnung nach, mochten
-hierüber bis zum gegenwärtigen Augenblick eine und eine halbe Stunde
-verflossen sein, denn es war jetzt ein Viertel auf vier Uhr.</p>
-
-<p>Er hatte von seiner Waffe keinen Gebrauch machen können und trat nun
-den Rückweg nach seinem Arbeitszimmer an &mdash; dumpf im Hirn, todt in der
-Brust.</p>
-
-<p class="s5 center padtop2 mbot3">Ende des ersten Theiles.</p>
-
-<div class="footnotes">
-
-<div class="chapter">
-
-<p class="s2 center"><b>Fußnoten:</b></p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a name="Fussnote_A_1" id="Fussnote_A_1"></a><a href="#FNAnker_A_1"><span class="label">[A]</span></a> Befehlen.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a name="Fussnote_B_2" id="Fussnote_B_2"></a><a href="#FNAnker_B_2"><span class="label">[B]</span></a> Man verzeihe es uns, wenn wir nicht im Stande sind, die
-klassische Mundart der Dame in ursprünglicher Form wiederzugeben.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a name="Fussnote_C_3" id="Fussnote_C_3"></a><a href="#FNAnker_C_3"><span class="label">[C]</span></a> Man kennt diese und andere sinnreiche Werkzeuge, welche
-jene zwei Tyrannen des Alterthums zum Verderben ihrer Opfer erfanden.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a name="Fussnote_D_4" id="Fussnote_D_4"></a><a href="#FNAnker_D_4"><span class="label">[D]</span></a> Trödler.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a name="Fussnote_E_5" id="Fussnote_E_5"></a><a href="#FNAnker_E_5"><span class="label">[E]</span></a> Meister Lips Firma, die über seiner Wohnung hing, lautete:
-<em class="gesperrt">Sophronias Lips</em>, <em class="gesperrt">Wechsler</em>, <em class="gesperrt">Antiquar</em>, <em class="gesperrt">Juwelier
-und Hühneraugen-Operateur</em>.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a name="Fussnote_F_6" id="Fussnote_F_6"></a><a href="#FNAnker_F_6"><span class="label">[F]</span></a> Es fallen mir hierbei Heine’s Worte ein, der den Feinden
-des göttlichen <em class="gesperrt">Rossini</em> wünscht, daß sie verdammt sein sollen,
-nach dem Tode in alle Ewigkeit <em class="gesperrt">Bach’sche Fugen</em> anzuhören.</p></div>
-
-</div>
-
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
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-
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-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Cölestine, oder der eheliche Verdacht
- Erster Theil (von 2), by Julian Chownitz
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK COELESTINE, ERSTER THEIL ***
-
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-
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-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
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