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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..6833f05 --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,3 @@ +* text=auto +*.txt text +*.md text diff --git a/5072-8.txt b/5072-8.txt new file mode 100644 index 0000000..3d23d15 --- /dev/null +++ b/5072-8.txt @@ -0,0 +1,4216 @@ +The Project Gutenberg EBook of Dantons Tod, by Georg Büchner + +Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the +copyright laws for your country before downloading or redistributing +this or any other Project Gutenberg eBook. + +This header should be the first thing seen when viewing this Project +Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the +header without written permission. + +Please read the "legal small print," and other information about the +eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is +important information about your specific rights and restrictions in +how the file may be used. You can also find out about how to make a +donation to Project Gutenberg, and how to get involved. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** + + +Title: Dantons Tod + +Author: Georg Büchner + +Release Date: February, 2004 [EBook #5072] +[Yes, we are more than one year ahead of schedule] +[This file was first posted on April 14, 2002] +[Most recently updated August 4, 2002] + +Edition: 10 + +Language: German + +Character set encoding: ISO 8859-1 + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DANTONS TOD *** + + + + +This eBook was produced for Project Gutenberg of Germany by Gerd Bouillon. + + + +Georg Büchner + +Dantons Tod + +Ein Drama + + + +Personen: + +Deputierte des Nationalkonvents: + Georg Danton + Legendre + Camille Desmoulins + Hérault-Séchelles + Lacroix + Philippeau + Fabre d'Eglantine + Mercier + Thomas Payne + +Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses: + Robespierre + St. Just + Barère + Collot d'Herbois + Billaud-Varennes + +Chaumette, Prokurator des Gemeinderats + +Dillon, ein General + +Fouquier-Tinville, öffentlicher Ankläger + +Amar und Vouland, Mitglieder des Sicherheitsausschusses + +Herman und Dumas, Präsidenten des Revolutionstribunales + +Paris, ein Freund Dantons + +Simon, Souffleur + +Weib Simons + +Laflotte + +Julie, Dantons Gattin + +Lucile, Gattin des Camille Desmoulins + +Rosalie, Adelaide und Marion, Grisetten + +Damen am Spieltisch, Herren und Damen sowie junger Herr und Eugenie +auf einer Promenade, Bürger, Bürgersoldaten, Lyoner und andere +Deputierte, Jakobiner, Präsidenten des Jakobinerklubs und des +Nationalkonvents, Schließer, Henker und Fuhrleute, Männer und Weiber +aus dem Volk, Grisetten, Bänkelsänger, Bettler usw. + + + + +Erster Akt + +Erste Szene + +Hérault-Séchelles, einige Damen am Spieltisch. Danton, Julie etwas +weiter weg, Danton auf einem Schemel zu den Füßen von Julie. + +Danton. +Sieh die hübsche Dame, wie artig sie die Karten dreht! Ja wahrhaftig, +sie versteht's; man sagt, sie halte ihrem Manne immer das coeur und +anderen Leuten das carreau hin. - Ihr könntet einen noch in die Lüge +verliebt machen. + +Julie. +Glaubst du an mich? + +Danton. +Was weiß ich! Wir wissen wenig voneinander. Wir sind Dickhäuter, wir +strecken die Hände nacheinander aus, aber es ist vergebliche Mühe, wir +reiben nur das grobe Leder aneinander ab - wir sind sehr einsam. + +Julie. +Du kennst mich, Danton. + +Danton. +Ja, was man so kennen heißt. Du hast dunkle Augen und lockiges Haar +und einen feinen Teint und sagst immer zu mir: lieber Georg! Aber (er +deutet ihr auf Stirn und Augen) da, da, was liegt hinter dem? Geh, wir +haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir müßten uns die Schädeldecken +aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren. - + +Eine Dame (zu Hérault). +Was haben Sie nur mit Ihren Fingern vor? + +Hérault. +Nichts! + +Dame. +Schlagen Sie den Daumen nicht so ein, es ist nicht zum Ansehn! + +Hérault. +Sehn Sie nur, das Ding hat eine ganz eigne Physiognomie. - + +Danton. +Nein, Julie, ich liebe dich wie das Grab. + +Julie (sich abwendend). +Oh! + +Danton. +Nein, höre! Die Leute sagen, im Grab sei Ruhe, und Grab und Ruhe seien +eins. Wenn das ist, lieg ich in deinem Schoß schon unter der Erde. Du +süßes Grab, deine Lippen sind Totenglocken, deine Stimme ist mein +Grabgeläute, deine Brust mein Grabhügel und dein Herz mein Sarg. - + +Dame. +Verloren! + +Hérault. +Das war ein verliebtes Abenteuer, es kostet Geld wie alle andern. + +Dame. +Dann haben Sie Ihre Liebeserklärungen, wie ein Taubstummer, mit den +Fingern gemacht. + +Hérault. +Ei, warum nicht? Man will sogar behaupten, gerade die würden am +leichtesten verstanden. - Ich zettelte eine Liebschaft mit einer +Kartenkönigin an; meine Finger waren in Spinnen verwandelte Prinzen, +Sie, Madame, waren die Fee; aber es ging schlecht, die Dame lag immer +in den Wochen, jeden Augenblick bekam sie einen Buben. Ich würde meine +Tochter dergleichen nicht spielen lassen, die Herren und Damen fallen +so unanständig übereinander und die Buben kommen gleich hintennach. + +(Camille Desmoulins und Philippeau treten ein.) + +Hérault. +Philippeau, welch trübe Augen! Hast du dir ein Loch in die rote Mütze +gerissen? Hat der heilige Jakob ein böses Gesicht gemacht? Hat es +während des Guillotinierens geregnet? Oder hast du einen schlechten +Platz bekommen und nichts sehen können? + +Camille. +Du parodierst den Sokrates. Weißt du auch, was der Göttliche den +Alcibiades fragte, als er ihn eines Tages finster und niedergeschlagen +fand: »Hast du deinen Schild auf dem Schlachtfeld verloren? Bist du im +Wettlauf oder im Schwertkampf besiegt worden? Hat ein andrer besser +gesungen oder besser die Zither geschlagen?« Welche klassischen +Republikaner! Nimm einmal unsere Guillotinenromantik dagegen! + +Philippeau. +Heute sind wieder zwanzig Opfer gefallen. Wir waren im Irrtum, man +hat die Hebertisten nur aufs Schafott geschickt, weil sie nicht +systematisch genug verfuhren, vielleicht auch, weil die Dezemvirn sich +verloren glaubten, wenn es nur eine Woche Männer gegeben hätte, die +man mehr fürchtete als sie. + +Hérault. +Sie möchten uns zu Antediluvianern machen. St. Just säh' es nicht +ungern, wenn wir wieder auf allen vieren kröchen, damit uns der +Advokat von Arras nach der Mechanik des Genfer Uhrmachers Fallhütchen, +Schulbänke und einen Herrgott erfände. + +Philippeau. +Sie würden sich nicht scheuen, zu dem Behuf an Marats Rechnung noch +einige Nullen zu hängen. Wie lange sollen wir noch schmutzig und +blutig sein wie neugeborne Kinder, Särge zur Wiege haben und +mit Köpfen spielen? Wir müssen vorwärts: der Gnadenausschuß muß +durchgesetzt, die ausgestoßnen Deputierten müssen wieder aufgenommen +werden! + +Hérault. +Die Revolution ist in das Stadium der Reorganisation gelangt. - Die +Revolution muß aufhören, und die Republik muß anfangen. - In unsern +Staatsgrundsätzen muß das Recht an die Stelle der Pflicht, das +Wohlbefinden an die der Tugend und die Notwehr an die der Strafe +treten. Jeder muß sich geltend machen und seine Natur durchsetzen +können. Er mag nun vernünftig oder unvernünftig, gebildet oder +ungebildet, gut oder böse sein, das geht den Staat nichts an. Wir alle +sind Narren, es hat keiner das Recht, einem andern seine eigentümliche +Narrheit aufzudrängen. - Jeder muß in seiner Art genießen können, +jedoch so, daß keiner auf Unkosten eines andern genießen oder ihn in +seinem eigentümlichen Genuß stören darf. + +Camille. +Die Staatsform muß ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an +den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen +der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muß sich darin abdrücken. Die +Gestalt mag nun schön oder häßlich sein, sie hat einmal das Recht, +zu sein, wie sie ist; wir sind nicht berechtigt, ihr ein Röcklein +nach Belieben zuzuschneiden. - Wir werden den Leuten, welche über +die nackten Schultern der allerliebsten Sünderin Frankreich den +Nonnenschleier werfen wollen, auf die Finger schlagen. - Wir wollen +nackte Götter, Bacchantinnen, olympische Spiele, und von melodischen +Lippen: ach, die gliederlösende, böse Liebe! - Wir wollen den Römern +nicht verwehren, sich in die Ecke zu setzen und Rüben zu kochen, +aber sie sollen uns keine Gladiatorspiele mehr geben wollen. - Der +göttliche Epikur und die Venus mit dem schönen Hintern müssen statt +der Heiligen Marat und Chalier die Türsteher der Republik werden. - +Danton, du wirst den Angriff im Konvent machen! + +Danton. +Ich werde, du wirst, er wird. Wenn wir bis dahin noch leben! sagen +die alten Weiber. Nach einer Stunde werden sechzig Minuten verflossen +sein. Nicht wahr, mein Junge? + +Camille. +Was soll das hier? Das versteht sich von selbst. + +Danton. +Oh, es versteht sich alles von selbst. Wer soll denn all die schönen +Dinge ins Werk setzen? + +Philippeau. +Wir und die ehrlichen Leute. + +Danton. +Das »und« dazwischen ist ein langes Wort, es hält uns ein wenig weit +auseinander; die Strecke ist lang, die Ehrlichkeit verliert den Atem, +eh' wir zusammenkommen. Und wenn auch! - den ehrlichen Leuten kann man +Geld leihen, man kann bei ihnen Gevatter stehn und seine Töchter an +sie verheiraten, aber das ist alles! + +Camille. +Wenn du das weißt, warum hast du den Kampf begonnen? + +Danton. +Die Leute waren mir zuwider. Ich konnte dergleichen gespreizte Katonen +nie ansehn, ohne ihnen einen Tritt zu geben. Mein Naturell ist einmal +so. (Er erhebt sich.) + +Julie. +Du gehst? + +Danton (zu Julie). +Ich muß fort, sie reiben mich mit ihrer Politik noch auf. - (Im +Hinausgehn:) Zwischen Tür und Angel will ich euch prophezeien: die +Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofen glüht, wir alle +können uns noch die Finger dabei verbrennen. (Ab.) + +Camille. +Laßt ihn! Glaubt ihr, er könne die Finger davon lassen, wenn es zum +Handeln kömmt? + +Hérault. +Ja, aber bloß zum Zeitvertreib, wie man Schach spielt. + + + +Zweite Szene + +Eine Gasse + +Simon. Sein Weib. + +Simon (schlägt das Weib). +Du Kuppelpelz, du runzlige Sublimatpille, du wurmstichiger +Sündenapfel! + +Weib. +He, Hülfe! Hülfe! + +(Es kommen Leute gelaufen.) + +Leute. +Reißt sie auseinander, reißt sie auseinander! + +Simon. +Nein, laßt mich, Römer! Zerschellen will ich dies Geripp! Du Vestalin! + +Weib. +Ich eine Vestalin? Das will ich sehen, ich. + +Simon. + So reiß ich von den Schultern dein Gewand. + Nackt in die Sonne schleudr' ich dann dein Aas. + +Du Hurenbett, in jeder Runzel deines Leibes nistet Unzucht. (Sie +werden getrennt.) + +Erster Bürger. +Was gibt's? + +Simon. +Wo ist die Jungfrau? Sprich! Nein, so kann ich nicht sagen. Das +Mädchen! Nein, auch das nicht. Die Frau, das Weib! Auch das, auch das +nicht! Nur noch ein Name; oh, der erstickt mich! Ich habe keinen Atem +dafür. + +Zweiter Bürger. +Das ist gut, sonst würde der Name nach Schnaps riechen. + +Simon. +Alter Virginius, verhülle dein kahl Haupt - der Rabe Schande sitzt +darauf und hackt nach deinen Augen. Gebt mir ein Messer, Römer! (Er +sinkt um.) + +Weib. +Ach, er ist sonst ein braver Mann, er kann nur nicht viel vertragen; +der Schnaps stellt ihm gleich ein Bein. + +Zweiter Bürger. +Dann geht er mit dreien. + +Weib. +Nein, er fällt. + +Zweiter Bürger. +Richtig, erst geht er mit dreien, und dann fällt er auf das dritte, +bis das dritte selbst wieder fällt. + +Simon. +Du bist die Vampirzunge, die mein wärmstes Herzblut trinkt. + +Weib. +Laßt ihn nur, das ist so die Zeit, worin er immer gerührt wird; es +wird sich schon geben. + +Erster Bürger. +Was gibt's denn? + +Weib. +Seht ihr: ich saß da so auf dem Stein in der Sonne und wärmte mich, +seht ihr - denn wir haben kein Holz, seht ihr - + +Zweiter Bürger. +So nimm deines Mannes Nase. + +Weib. +Und meine Tochter war da hinuntergegangen um die Ecke - sie ist ein +braves Mädchen und ernährt ihre Eltern. + +Simon. +Ha, sie bekennt! + +Weib. +Du Judas! hättest du nur ein Paar Hosen hinauf zuziehen, wenn +die jungen Herren die Hosen nicht bei ihr hinunterließen? Du +Branntweinfaß, willst du verdursten, wenn das Brünnlein zu laufen +aufhört, he? - Wir arbeiten mit allen Gliedern, warum denn nicht auch +damit; ihre Mutter hat damit geschafft, wie sie zur Welt kam, und es +hat ihr weh getan; kann sie für ihre Mutter nicht auch damit schaffen, +he? und tut's ihr auch weh dabei, he? Du Dummkopf! + +Simon. +Ha, Lukretia! ein Messer, gebt mir ein Messer, Römer! Ha, Appius +Claudius! + +Erster Bürger. +Ja, ein Messer, aber nicht für die arme Hure! Was tat sie? Nichts! Ihr +Hunger hurt und bettelt. Ein Messer für die Leute, die das Fleisch +unserer Weiber und Töchter kaufen. Weh über die, so mit den +Töchtern des Volkes huren! Ihr habt Kollern im Leib, und sie haben +Magendrücken; ihr habt Löcher in den Jacken, und sie haben warme +Röcke; ihr habt Schwielen in den Fäusten, und sie haben Samthände. +Ergo, ihr arbeitet, und sie tun nichts; ergo, ihr habt's erworben, und +sie haben's gestohlen; ergo, wenn ihr von eurem gestohlnen Eigentum +ein paar Heller wiederhaben wollt, müßt ihr huren und betteln; ergo, +sie sind Spitzbuben, und man muß sie totschlagen! + +Dritter Bürger. +Sie haben kein Blut in den Adern, als was sie uns ausgesaugt haben. +Sie haben uns gesagt: schlagt die Aristokraten tot, das sind Wölfe! +Wir haben die Aristokraten an die Laternen gehängt. Sie haben gesagt: +das Veto frißt euer Brot; wir haben das Veto totgeschlagen. Sie haben +gesagt: die Girondisten hungern euch aus; wir haben die Girondisten +guillotiniert. Aber sie haben die Toten ausgezogen, und wir laufen wie +zuvor auf nackten Beinen und frieren. Wir wollen ihnen die Haut von +den Schenkeln ziehen und uns Hosen daraus machen, wir wollen ihnen das +Fett auslassen und unsere Suppen mit schmelzen. Fort! Totgeschlagen, +wer kein Loch im Rock hat! + +Erster Bürger. +Totgeschlagen, wer lesen und schreiben kann! + +Zweiter Bürger. +Totgeschlagen, wer auswärts geht! + +Alle (schreien). +Totgeschlagen! Totgeschlagen! + +(Einige schleppen einen jungen Menschen herbei.) + +Einige Stimmen. +Er hat ein Schnupftuch! ein Aristokrat! an die Laterne! an die +Laterne! + +Zweiter Bürger. +Was? er schneuzt sich die Nase nicht mit den Fingern? An die Laterne! +(Eine Laterne wird heruntergelassen.) + +Junger Mensch. +Ach, meine Herren! + +Zweiter Bürger. +Es gibt hier keine Herren! An die Laterne! + +Einige (singen). + Die da liegen in der Erden, + Von de Würm gefresse werden; + Besser hangen in der Luft, + Als verfaulen in der Gruft! + +Junger Mensch. +Erbarmen! + +Dritter Bürger. +Nur ein Spielen mit einer Hanflocke um den Hals! 's ist nur ein +Augenblick, wir sind barmherziger als ihr. Unser Leben ist der Mord +durch Arbeit; wir hängen sechzig Jahre lang am Strick und zapplen, +aber wir werden uns losschneiden. - An die Laterne! + +Junger Mensch. +Meinetwegen, ihr werdet deswegen nicht heller sehen. + +Die Umstehenden. +Bravo! Bravo! + +Einige Stimmen. +Laßt ihn laufen! (Er entwischt.) + +(Robespierre tritt auf, begleitet von Weibern und Ohnehosen.) + +Robespierre. +Was gibt's da, Bürger? + +Dritter Bürger. +Was wird's geben? Die paar Tropfen Bluts vom August und September +haben dem Volk die Backen nicht rot gemacht. Die Guillotine ist zu +langsam. Wir brauchen einen Platzregen! + +Erster Bürger. +Unsere Weiber und Kinder schreien nach Brot, wir wollen sie mit +Aristokratenfleisch füttern. He! totgeschlagen, wer kein Loch im Rock +hat! + +Alle. +Totgeschlagen! Totgeschlagen! + +Robespierre. +Im Namen des Gesetzes! + +Erster Bürger. +Was ist das Gesetz? + +Robespierre. +Der Wille des Volks. + +Erster Bürger. +Wir sind das Volk, und wir wollen, daß kein Gesetz sei; ergo ist +dieser Wille das Gesetz, ergo im Namen des Gesetzes gibt's kein Gesetz +mehr, ergo totgeschlagen! + +Einige Stimmen. +Hört den Aristides! hört den Unbestechlichen! + +Ein Weib. +Hört den Messias, der gesandt ist, zu wählen und zu richten; er wird +die Bösen mit der Schärfe des Schwertes schlagen. Seine Augen sind die +Augen der Wahl, seine Hände sind die Hände des Gerichts. + +Robespierre. +Armes, tugendhaftes Volk! Du tust deine Pflicht, du opferst deine +Feinde. Volk, du bist groß! Du offenbarst dich unter Blitzstrahlen und +Donnerschlägen. Aber, Volk, deine Streiche dürfen deinen eignen Leib +nicht verwunden; du mordest dich selbst in deinem Grimm. Du kannst +nur durch deine eigne Kraft fallen, das wissen deine Feinde. Deine +Gesetzgeber wachen, sie werden deine Hände führen; ihre Augen sind +untrügbar, deine Hände sind unentrinnbar. Kommt mit zu den Jakobinern! +Eure Brüder werden euch ihre Arme öffnen, wir werden ein Blutgericht +über unsere Feinde halten. + +Viele Stimmen. +Zu den Jakobinern! Es lebe Robespierre! (Alle ab.) + +Simon. +Weh mir, verlassen! (Er versucht sich aufzurichten.) + +Weib. +Da! (Sie unterstützt ihn.) + +Simon. +Ach, meine Baucis! du sammelst Kohlen auf mein Haupt. + +Weib. +Da steh! + +Simon. +Du wendest dich ab? Ha, kannst du mir vergeben, Porcia? Schlug ich +dich? Das war nicht meine Hand, war nicht mein Arm, mein Wahnsinn tat +es. + Sein Wahnsinn ist des armen Hamlet Feind. + Hamlet tat's nicht, Hamlet verleugnet's. + + +Wo ist unsre Tochter, wo ist mein Sannchen? + +Weib. +Dort um das Eck herum. + +Simon. +Fort zu ihr! Komm, mein tugendreich Gemahl. (Beide ab.) + + + +Dritte Szene +Der Jakobinerklub + +Ein Lyoner. +Die Brüder von Lyon senden uns, um in eure Brust ihren bittren Unmut +auszuschütten. Wir wissen nicht, ob der Karren, auf dem Ronsin zur +Guillotine fuhr, der Totenwagen der Freiheit war, aber wir wissen, +daß seit jenem Tage die Mörder Chaliers wieder so fest auf den Boden +treten, als ob es kein Grab für sie gäbe. Habt ihr vergessen, daß Lyon +ein Flecken auf dem Boden Frankreichs ist, den man mit den Gebeinen +der Verräter zudecken muß? Habt ihr vergessen, daß diese Hure der +Könige ihren Aussatz nur in dem Wasser der Rhone abwaschen kann? Habt +ihr vergessen, daß dieser revolutionäre Strom die Flotten Pitts im +Mittelmeere auf den Leichen der Aristokraten muß stranden machen? Eure +Barmherzigkeit mordet die Revolution. Der Atemzug eines Aristokraten +ist das Röcheln der Freiheit. Nur ein Feigling stirbt für die +Republik, ein Jakobiner tötet für sie. Wißt: finden wir in euch nicht +mehr die Spannkraft der Männer des 10. August, des September und des +31. Mai, so bleibt uns, wie dem Patrioten Gaillard, nur der Dolch des +Kato. (Beifall und verwirrtes Geschrei.) + +Ein Jakobiner. +Wir werden den Becher des Sokrates mit euch trinken! + +Legendre (schwingt sich auf die Tribüne). +Wir haben nicht nötig, unsere Blicke auf Lyon zu werfen. Die Leute, +die seidne Kleider tragen, die in Kutschen fahren, die in den Logen im +Theater sitzen und nach dem Diktionär der Akademie sprechen, tragen +seit einigen Tagen die Köpfe fest auf den Schultern. Sie sind witzig +und sagen, man müsse Marat und Chalier zu einem doppelten Märtyrertum +verhelfen und sie in effigie guillotinieren. (Heftige Bewegung in der +Versammlung.) + +Einige Stimmen. +Das sind tote Leute, ihre Zunge guillotiniert sie. + +Legendre. +Das Blut dieser Heiligen komme über sie! Ich frage die anwesenden +Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses, seit wann ihre Ohren so taub +geworden sind... + +Collot d'Herbois (unterbricht ihn). +Und ich frage dich, Legendre, wessen Stimme solchen Gedanken Atem +gibt, daß sie lebendig werden und zu sprechen wagen? Es ist Zeit, die +Masken abzureißen. Hört! Die Ursache verklagt ihre Wirkung, der Ruf +sein Echo, der Grund seine Folge. Der Wohlfahrtsausschuß versteht mehr +Logik, Legendre. Sei ruhig! Die Büsten der Heiligen werden unberührt +bleiben, sie werden wie Medusenhäupter die Verräter in Stein +verwandten. + +Robespierre. +Ich verlange das Wort. + +Die Jakobiner. +Hört, hört den Unbestechlichen! + +Robespierre. +Wir warteten nur auf den Schrei des Unwillens, der von allen Seiten +ertönt, um zu sprechen. Unsere Augen waren offen, wir sahen den Feind +sich rüsten und sich erheben, aber wir haben das Lärmzeichen nicht +gegeben; wir ließen das Volk sich selbst bewachen, es hat nicht +geschlafen, es hat an die Waffen geschlagen. Wir ließen den Feind aus +seinem Hinterhalt hervorbrechen, wir ließen ihn anrücken; jetzt steht +er frei und ungedeckt in der Helle des Tages, jeder Streich wird ihn +treffen, er ist tot, sobald ihr ihn erblickt habt. + +Ich habe es euch schon einmal gesagt: in zwei Abteilungen, wie in zwei +Heerhaufen, sind die inneren Feinde der Republik zerfallen. Unter +Bannern von verschiedener Farbe und auf den verschiedensten Wegen +eilen sie alle dem nämlichen Ziele zu. Die eine dieser Faktionen ist +nicht mehr. In ihrem affektierten Wahnsinn suchte sie die erprobtesten +Patrioten als abgenutzte Schwächlinge beiseite zu werfen, um die +Republik ihrer kräftigsten Arme zu berauben. Sie erklärte der Gottheit +und dem Eigentum den Krieg, um eine Diversion zugunsten der Könige zu +machen. Sie parodierte das erhabne Drama der Revolution, um dieselbe +durch studierte Ausschweifungen bloßzustellen. Héberts Triumph +hätte die Republik in ein Chaos verwandelt, und der Despotismus war +befriedigt. Das Schwert des Gesetzes hat den Verräter getroffen. Aber +was liegt den Fremden daran, wenn ihnen Verbrecher einer anderen +Gattung zur Erreichung des nämlichen Zwecks bleiben? Wir haben nichts +getan, wenn wir noch eine andere Faktion zu vernichten haben. + +Sie ist das Gegenteil der vorhergehenden. Sie treibt uns zur Schwäche, +ihr Feldgeschrei heißt: Erbarmen! Sie will dem Volk seine Waffen +und die Kraft, welche die Waffen führt, entreißen, um es nackt und +entnervt den Königen zu überantworten. + +Die Waffe der Republik ist der Schrecken, die Kraft der Republik ist +die Tugend - die Tugend, weil ohne sie der Schrecken verderblich, der +Schrecken, weil ohne ihn die Tugend ohnmächtig ist. Der Schrecken ist +ein Ausfluß der Tugend, er ist nichts anders als die schnelle, strenge +und unbeugsame Gerechtigkeit. Sie sagen, der Schrecken sei die Waffe +einer despotischen Regierung, die unsrige gliche also dem Despotismus. +Freilich! aber so, wie das Schwert in den Händen eines Freiheitshelden +dem Säbel gleicht, womit der Satellit des Tyrannen bewaffnet ist. +Regiere der Despot seine tierähnlichen Untertanen durch den Schrecken, +er hat recht als Despot; zerschmettert durch den Schrecken die Feinde +der Freiheit, und ihr habt als Stifter der Republik nicht minder +recht. Die Revolutionsregierung ist der Despotismus der Freiheit gegen +die Tyrannei. + +Erbarmen mit den Royalisten! rufen gewisse Leute. Erbarmen mit +Bösewichtern? Nein! Erbarmen für die Unschuld, Erbarmen für die +Schwäche, Erbarmen für die Unglücklichen, Erbarmen für die Menschheit! +Nur dem friedlichen Bürger gebührt von seiten der Gesellschaft Schutz. + +In einer Republik sind nur Republikaner Bürger; Royalisten und +Fremde sind Feinde. Die Unterdrücker der Menschheit bestrafen, ist +Gnade; ihnen verzeihen, ist Barbarei. Alle Zeichen einer falschen +Empfindsamkeit scheinen mir Seufzer, welche nach England oder nach +Östreich fliegen. + +Aber nicht zufrieden, den Arm des Volkes zu entwaffnen, sucht man noch +die heiligsten Quellen seiner Kraft durch das Laster zu vergiften. +Dies ist der feinste, gefährlichste und abscheulichste Angriff auf die +Freiheit. Nur der höllischste Machiavellismus, doch - nein! Ich will +nicht sagen, daß ein solcher Plan in dem Gehirne eines Menschen hätte +ausgebrütet werden können! Es mag unwillkürlich geschehen, doch +die Absicht tut nichts zur Sache, die Wirkung bleibt die nämliche, +die Gefahr ist gleich groß! Das Laster ist das Kainszeichen des +Aristokratismus. In einer Republik ist es nicht nur ein moralisches, +sondern auch ein politisches Verbrechen; der Lasterhafte ist der +politische Feind der Freiheit, er ist ihr um so gefährlicher, +je größer die Dienste sind, die er ihr scheinbar erwiesen. Der +gefährlichste Bürger ist derjenige, welcher leichter ein Dutzend rote +Mützen verbraucht als eine gute Handlung vollbringt. + +Ihr werdet mich leicht verstehen, wenn ihr an Leute denkt, welche +sonst in Dachstuben lebten und jetzt in Karossen fahren und mit +ehemaligen Marquisinnen und Baronessen Unzucht treiben. Wir dürfen +wohl fragen: ist das Volk geplündert, oder sind die Goldhände der +Könige gedrückt worden, wenn wir Gesetzgeber des Volks mit allen +Lastern und allem Luxus der ehemaligen Höflinge Parade machen, wenn +wir diese Marquis und Grafen der Revolution reiche Weiber heiraten, +üppige Gastmähler geben, spielen, Diener halten und kostbare Kleider +tragen sehen? Wir dürfen wohl staunen, wenn wir sie Einfälle haben, +schöngeistern und so etwas vom guten Ton bekommen hören. Man hat vor +kurzem auf eine unverschämte Weise den Tacitus parodiert, ich könnte +mit dem Sallust antworten und den Katilina travestieren; doch ich +denke, ich habe keine Striche mehr nötig, die Porträts sind fertig. + +Keinen Vertrag, keinen Waffenstillstand mit den Menschen, welche nur +auf Ausplünderung des Volkes bedacht waren, welche diese Ausplünderung +ungestraft zu vollbringen hofften, für welche die Republik eine +Spekulation und die Revolution ein Handwerk war! In Schrecken gesetzt +durch den reißenden Strom der Beispiele, suchen sie ganz leise die +Gerechtigkeit abzukühlen. Man sollte glauben, jeder sage zu sich +selbst: »Wir sind nicht tugendhaft genug, um so schrecklich zu sein. +Philosophische Gesetzgeber, erbarmt euch unsrer Schwäche! Ich wage +euch nicht zu sagen, daß ich lasterhaft bin; ich sage euch also +lieber: seid nicht grausam!« + +Beruhige dich, tugendhaftes Volk, beruhigt euch, ihr Patrioten! Sagt +euren Brüdern zu Lyon: das Schwert des Gesetzes roste nicht in den +Händen, denen ihr es anvertraut habt! - Wir werden der Republik ein +großes Beispiel geben. (Allgemeiner Beifall.) + +Viele Stimmen. +Es lebe die Republik! Es lebe Robespierre! + +Präsident. +Die Sitzung ist aufgehoben. + + + +Vierte Szene + +Eine Gasse + +Lacroix. Legendre. + +Lacroix. +Was hast du gemacht, Legendre! Weißt du auch, wem du mit deinen Büsten +den Kopf herunterwirfst? + +Legendre. +Einigen Stutzern und eleganten Weibern, das ist alles. + +Lacroix. +Du bist ein Selbstmörder, ein Schatten, der sein Original und somit +sich selbst ermordet. + +Legendre. +Ich begreife nicht. + +Lacroix. +Ich dächte, Collot hätte deutlich gesprochen. + +Legendre. +Was macht das? Es war, als ob eine Champagnerflasche spränge. Er war +wieder betrunken. + +Lacroix. +Narren, Kinder und - nun? - Betrunkne sagen die Wahrheit. Wen glaubst +du denn, daß Robespierre mit dem Katilina gemeint habe? + +Legendre. +Nun? + +Lacroix. +Die Sache ist einfach. Man hat die Atheisten und Ultrarevolutionärs +aufs Schafott geschickt; aber dem Volk ist nicht geholfen, es läuft +noch barfuß in den Gassen und will sich aus Aristokratenleder Schuhe +machen. Der Guillotinenthermometer darf nicht fallen; noch einige +Grade, und der Wohlfahrtsausschuß kann sich sein Bett auf dem +Revolutionsplatz suchen. + +Legendre. +Was haben damit meine Büsten zu schaffen? + +Lacroix. +Siehst du's noch nicht? Du hast die Contrerevolution offiziell +bekanntgemacht, du hast die Dezemvirn zur Energie gezwungen, du hast +ihnen die Hand geführt. Das Volk ist ein Minotaurus, der wöchentlich +seine Leichen haben muß, wenn er sie nicht auffressen soll. + +Legendre. +Wo ist Danton? + +Lacroix. +Was weiß ich! Er sucht eben die Mediceische Venus stückweise bei allen +Grisetten des Palais-Royal zusammen; er macht Mosaik, wie er sagt. Der +Himmel weiß, bei welchem Glied er gerade ist. Es ist ein Jammer, daß +die Natur die Schönheit, wie Medea ihren Bruder, zerstückt und sie so +in Fragmenten in die Körper gesenkt hat. - Gehn wir ins Palais-Royal! +(Beide ab.) + + + +Fünfte Szene + +Ein Zimmer + +Danton. Marion. + +Marion. +Nein, laß mich! So zu deinen Füßen. Ich will dir erzählen. + +Danton. +Du könntest deine Lippen besser gebrauchen. + +Marion. +Nein, laß mich einmal so. - Meine Mutter war eine kluge Frau; sie +sagte mir immer, die Keuschheit sei eine schöne Tugend. Wenn Leute ins +Haus kamen und von manchen Dingen zu sprechen anfingen, hieß sie mich +aus dem Zimmer gehn; frug ich, was die Leute gewollt hätten, so sagte +sie mir, ich solle mich schämen; gab sie mir ein Buch zu lesen, so +mußt' ich fast immer einige Seiten überschlagen. Aber die Bibel las +ich nach Belieben, da war alles heilig; aber es war etwas darin, was +ich nicht begriff. Ich mochte auch niemand fragen, ich brütete über +mir selbst. Da kam der Frühling; es ging überall etwas um mich vor, +woran ich keinen Teil hatte. Ich geriet in eine eigne Atmosphäre, +sie erstickte mich fast. Ich betrachtete meine Glieder; es war mir +manchmal, als wäre ich doppelt und verschmölze dann wieder in eins. +Ein junger Mensch kam zu der Zeit ins Haus; er war hübsch und sprach +oft tolles Zeug; ich wußte nicht recht, was er wollte, aber ich mußte +lachen. Meine Mutter hieß ihn öfters kommen, das war uns beiden recht. +Endlich sahen wir nicht ein, warum wir nicht ebensogut zwischen zwei +Bettüchern beieinander liegen, als auf zwei Stühlen nebeneinander +sitzen durften. Ich fand dabei mehr Vergnügen als bei seiner +Unterhaltung und sah nicht ab, warum man mir das geringere gewähren +und das größere entziehen wollte. Wir taten's heimlich. Das ging so +fort. Aber ich wurde wie ein Meer, was alles verschlang und sich +tiefer und tiefer wühlte. Es war für mich nur ein Gegensatz da, alle +Männer verschmolzen in einen Leib. Meine Natur war einmal so, wer kann +da drüber hinaus? Endlich merkt' er's. Er kam eines Morgens und küßte +mich, als wollte er mich ersticken; seine Arme schnürten sich um +meinen Hals, ich war in unsäglicher Angst. Da ließ er mich los und +lachte und sagte: er hätte fast einen dummen Streich gemacht; ich +solle mein Kleid nur behalten und es brauchen, es würde sich schon von +selbst abtragen, er wolle mir den Spaß nicht vor der Zeit verderben, +es wäre doch das einzige, was ich hätte. Dann ging er; ich wußte +wieder nicht, was er wollte. Den Abend saß ich am Fenster; ich bin +sehr reizbar und hänge mit allem um mich nur durch eine Empfindung +zusammen; ich versank in die Wellen der Abendröte. Da kam ein Haufe +die Straße herab, die Kinder liefen voraus, die Weiber sahen aus den +Fenstern. Ich sah hinunter: sie trugen ihn in einem Korb vorbei, der +Mond schien auf seine bleiche Stirn, seine Locken waren feucht, er +hatte sich ersäuft. Ich mußte weinen. - Das war der einzige Bruch in +meinem Wesen. Die andern Leute haben Sonn- und Werktage, sie arbeiten +sechs Tage und beten am siebenten, sie sind jedes Jahr auf ihren +Geburtstag einmal gerührt und denken jedes Jahr auf Neujahr einmal +nach. Ich begreife nichts davon: ich kenne keinen Absatz, keine +Veränderung. Ich bin immer nur eins; ein ununterbrochenes Sehnen und +Fassen, eine Glut, ein Strom. Meine Mutter ist vor Gram gestorben; die +Leute weisen mit Fingern auf mich. Das ist dumm. Es läuft auf eins +hinaus, an was man seine Freude hat, an Leibern, Christusbildern, +Blumen oder Kinderspielsachen; es ist das nämliche Gefühl; wer am +meisten genießt, betet am meisten. + +Danton. +Warum kann ich deine Schönheit nicht ganz in mich fassen, sie nicht +ganz umschließen? + +Marion. +Danton, deine Lippen haben Augen. + +Danton. +Ich möchte ein Teil des Äthers sein, um dich in meiner Flut zu baden, +um mich auf jeder Welle deines schönen Leibes zu brechen. + +(Lacroix, Adelaide, Rosalie treten ein.) + +Lacroix (bleibt in der Tür stehn). +Ich muß lachen, ich muß lachen. + +Danton (unwillig). +Nun? + +Lacroix. +Die Gasse fällt mir ein. + +Danton. +Und? + +Lacroix. +Auf der Gasse waren Hunde, eine Dogge und ein Bologneser +Schoßhündlein, die quälten sich. + +Danton. +Was soll das? + +Lacroix. +Das fiel mir nun grade so ein, und da mußt' ich lachen. Es sah +erbaulich aus! Die Mädel guckten aus den Fenstern; man sollte +vorsichtig sein und sie nicht einmal in der Sonne sitzen lassen. Die +Mücken treiben's ihnen sonst auf den Händen; das macht Gedanken. +Legendre und ich sind fast durch alle Zellen gelaufen, die Nönnlein +von der Offenbarung durch das Fleisch hingen uns an den Rockschößen +und wollten den Segen. Legendre gibt einer die Disziplin, aber er +wird einen Monat dafür zu fasten bekommen. Da bringe ich zwei von den +Priesterinnen mit dem Leib. + +Marion. +Guten Tag, Demoiselle Adelaide! guten Tag, Demoiselle Rosalie! + +Rosalie. +Wir hatten schon lange nicht das Vergnügen. + +Marion. +Es war mir recht leid. + +Adelaide. +Ach Gott, wir sind Tag und Nacht beschäftigt. + +Danton (zu Rosalie). +Ei, Kleine, du hast ja geschmeidige Hüften bekommen. + +Rosalie. +Ach ja, man vervollkommnet sich täglich. + +Lacroix. +Was ist der Unterschied zwischen dem antiken und einem modernen +Adonis? + +Danton. +Und Adelaide ist sittsam-interessant geworden; eine pikante +Abwechslung. Ihr Gesicht sieht aus wie ein Feigenblatt, das sie sich +vor den ganzen Leib hält. So ein Feigenbaum an einer so gangbaren +Straße gibt einen erquicklichen Schatten. + +Adelaide. +Ich wäre ein Herdweg, wenn Monsieur... + +Danton. +Ich verstehe; nur nicht böse, mein Fräulein! + +Lacroix. +So höre doch! Ein moderner Adonis wird nicht von einem Eber, sondern +von Säuen zerrissen; er bekommt seine Wunde nicht am Schenkel, sondern +in den Leisten, und aus seinem Blut sprießen nicht Rosen hervor, +sondern schießen Quecksilberblüten an. + +Danton. +O laß das, Fräulein Rosalie ist ein restaurierter Torso, woran nur die +Hüften und Füße antik sind. Sie ist eine Magnetnadel: was der Pol Kopf +abstößt, zieht der Pol Fuß an; die Mitte ist ein Äquator, wo jeder +eine Sublimattaufe bekömmt, der die Linie passiert. + +Lacroix. +Zwei Barmherzige Schwestern; jede dient in einem Spital, d. h. in +ihrem eignen Körper. + +Rosalie. +Schämen Sie sich, unsere Ohren rot zu machen! + +Adelaide. +Sie sollten mehr Lebensart haben! (Adelaide und Rosalie ab.) + +Danton. +Gute Nacht, ihr hübschen Kinder! + +Lacroix. +Gute Nacht, ihr Quecksilbergruben! + +Danton. +Sie dauern mich, sie kommen um ihr Nachtessen. + +Lacroix. +Höre, Danton, ich komme von den Jakobinern. + +Danton. +Nichts weiter? + +Lacroix. +Die Lyoner verlasen eine Proklamation; sie meinten, es bliebe ihnen +nichts übrig, als sich in die Toga zu wickeln. Jeder macht ein +Gesicht, als wollte er zu seinem Nachbar sagen: Paetus, es schmerzt +nicht! - Legendre rief, man wolle Chaliers und Marats Büsten +zerschlagen. Ich glaube, er will sich das Gesicht wieder rot machen; +er ist ganz aus der Terreur herausgekommen, die Kinder zupfen ihn auf +der Gasse am Rock. + +Danton. +Und Robespierre? + +Lacroix. +Fingerte auf der Tribüne und sagte: die Tugend muß durch den Schrecken +herrschen. Die Phrase machte mir Halsweh. + +Danton. +Sie hobelt Bretter für die Guillotine. + +Lacroix. +Und Collot schrie wie besessen, man müsse die Masken abreißen. + +Danton. +Da werden die Gesichter mitgehen. + +(Paris tritt ein.) + +Lacroix. +Was gibt's, Fabricius? + +Paris. +Von den Jakobinern weg ging ich zu Robespierre; ich verlangte eine +Erklärung. Er suchte eine Miene zu machen wie Brutus, der seine +Söhne opfert. Er sprach im allgemeinen von den Pflichten, sagte: der +Freiheit gegenüber kenne er keine Rücksicht, er würde alles opfern, +sich, seinen Bruder, seine Freunde. + +Danton. +Das war deutlich; man braucht nur die Skala herumzukehren, so steht +er unten und hält seinen Freunden die Leiter. Wir sind Legendre Dank +schuldig, er hat sie sprechen gemacht. + +Lacroix. +Die Hebertisten sind noch nicht tot, das Volk ist materiell elend, das +ist ein furchtbarer Hebel. Die Schale des Blutes darf nicht steigen, +wenn sie dem Wohlfahrtsausschuß nicht zur Laterne werden soll; er hat +Ballast nötig, er braucht einen schweren Kopf. + +Danton. +Ich weiß wohl - die Revolution ist wie Saturn, sie frißt ihre eignen +Kinder. (Nach einigem Besinnen:) Doch, sie werden's nicht wagen. + +Lacroix. +Danton, du bist ein toter Heiliger; aber die Revolution kennt keine +Reliquien, sie hat die Gebeine aller Könige auf die Gasse und alle +Bildsäulen von den Kirchen geworfen. Glaubst du, man würde dich als +Monument stehen lassen? + +Danton. +Mein Name! das Volk! + +Lacroix. +Dein Name! Du bist ein Gemäßigter, ich bin einer, Camille, Philippeau, +Hérault. Für das Volk sind Schwäche und Mäßigung eins; es schlägt die +Nachzügler tot. Die Schneider von der Sektion der roten Mütze werden +die ganze römische Geschichte in ihrer Nadel fühlen, wenn der Mann des +September ihnen gegenüber ein Gemäßigter war. + +Danton. +Sehr wahr, und außerdem - das Volk ist wie ein Kind, es muß alles +zerbrechen, um zu sehen, was darin steckt. + +Lacroix. +Und außerdem, Danton, sind wir lasterhaft, wie Robespierre sagt, d. h. +wir genießen; und das Volk ist tugendhaft, d. h. es genießt nicht, +weil ihm die Arbeit die Genußorgane stumpf macht, es besäuft sich +nicht, weil es kein Geld hat, und es geht nicht ins Bordell, weil es +nach Käs und Hering aus dem Hals stinkt und die Mädel davor einen Ekel +haben. + +Danton. +Es haßt die Genießenden wie ein Eunuch die Männer. + +Lacroix. +Man nennt uns Spitzbuben, und (sich zu den Ohren Dantons neigend) es +ist, unter uns gesagt, so halbwegs was Wahres dran. Robespierre und +das Volk werden tugendhaft sein. St. Just wird einen Roman schreiben, +und Barère wird eine Carmagnole schneidern und dem Konvent das +Blutmäntelchen umhängen und - ich sehe alles. + +Danton. +Du träumst. Sie hatten nie Mut ohne mich, sie werden keinen gegen mich +haben; die Revolution ist noch nicht fertig, sie könnten mich noch +nötig haben, sie werden mich im Arsenal aufheben. + +Lacroix. +Wir müssen handeln. + +Danton. +Das wird sich finden. + +Lacroix. +Es wird sich finden, wenn wir verloren sind. + +Marion (zu Danton). +Deine Lippen sind kalt geworden, deine Worte haben deine Küsse +erstickt. + +Danton (zu Marion). +So viel Zeit zu verlieren! Das war der Mühe wert! - (Zu Lacroix:) +Morgen geh ich zu Robespierre; ich werde ihn ärgern, da kann er nicht +schweigen. Morgen also! Gute Nacht, meine Freunde, gute Nacht! ich +danke euch! + +Lacroix. +Packt euch, meine guten Freunde, Packt euch! Gute Nacht, Danton! Die +Schenkel der Demoiselle guillotinieren dich, der Mons Veneris wird +dein Tarpejischer Fels. (Ab mit Paris.) + + + +Sechste Szene + +Ein Zimmer + +Robespierre. Danton. Paris. + +Robespierre. +Ich sage dir, wer mir in den Arm fällt, wenn ich das Schwert ziehe, +ist mein Feind - seine Absicht tut nichts zur Sache; wer mich +verhindert, mich zu verteidigen, tötet mich so gut, als wenn er mich +angriffe. + +Danton. +Wo die Notwehr aufhört, fängt der Mord an; ich sehe keinen Grund, der +uns länger zum Töten zwänge. + +Robespierre. +Die soziale Revolution ist noch nicht fertig; wer eine Revolution zur +Hälfte vollendet, gräbt sich selbst sein Grab. Die gute Gesellschaft +ist noch nicht tot, die gesunde Volkskraft muß sich an die Stelle +dieser nach allen Richtungen abgekitzelten Klasse setzen. Das Laster +muß bestraft werden, die Tugend muß durch den Schrecken herrschen. + +Danton. +Ich verstehe das Wort Strafe nicht. - Mit deiner Tugend, Robespierre! +Du hast kein Geld genommen, du hast keine Schulden gemacht, du hast +bei keinem Weibe geschlafen, du hast immer einen anständigen Rock +getragen und dich nie betrunken. Robespierre, du bist empörend +rechtschaffen. Ich würde mich schämen, dreißig Jahre lang mit der +nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen, +bloß um des elenden Vergnügens willen, andre schlechter zu finden als +mich. - Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leise, +heimlich sagte: du lügst, du lügst!? + +Robespierre. +Mein Gewissen ist rein. + +Danton. +Das Gewissen ist ein Spiegel, vor dem ein Affe sich quält; jeder putzt +sich, wie er kann, und geht auf seine eigne Art auf seinen Spaß dabei +aus. Das ist der Mühe wert, sich darüber in den Haaren zu liegen! +Jeder mag sich wehren, wenn ein andrer ihm den Spaß verdirbt. Hast du +das Recht, aus der Guillotine einen Waschzuber für die unreine Wäsche +anderer Leute und aus ihren abgeschlagenen Köpfen Fleckkugeln für ihre +schmutzigen Kleider zu machen, weil du immer einen sauber gebürsteten +Rock trägst? Ja, du kannst dich wehren, wenn sie dir drauf spucken +oder Löcher hineinreißen; aber was geht es dich an, solang sie dich in +Ruhe lassen? Wenn sie sich nicht genieren, so herumzugehn, hast du +deswegen das Recht, sie ins Grabloch zu sperren? Bist du der +Polizeisoldat des Himmels? Und kannst du es nicht ebensogut mitansehn +als dein lieber Herrgott, so halte dir dein Schnupftuch vor die +Augen. + +Robespierre. +Du leugnest die Tugend? + +Danton. +Und das Laster. Es gibt nur Epikureer, und zwar grobe und feine, +Christus war der feinste; das ist der einzige Unterschied, den ich +zwischen den Menschen herausbringen kann. Jeder handelt seiner Natur +gemäß, d. h. er tut, was ihm wohltut. - Nicht wahr, Unbestechlicher, +es ist grausam, dir die Absätze so von den Schuhen zu treten? + +Robespierre. +Danton, das Laster ist zu gewissen Zeiten Hochverrat. + +Danton. +Du darfst es nicht proskribieren, ums Himmels willen nicht, das wäre +undankbar; du bist ihm zu viel schuldig, durch den Kontrast nämlich. - +Übrigens, um bei deinen Begriffen zu bleiben, unsere Streiche müssen +der Republik nützlich sein, man darf die Unschuldigen nicht mit den +Schuldigen treffen. + +Robespierre. +Wer sagt dir denn, daß ein Unschuldiger getroffen worden sei? + +Danton. +Hörst du, Fabricius? Es starb kein Unschuldiger! (Er geht; im +Hinausgehn zu Paris:) Wir dürfen keinen Augenblick verlieren, wir +müssen uns zeigen! (Danton und Paris ab.) + +Robespierre. (allein). +Geh nur! Er will die Rosse der Revolution am Bordell halten machen, +wie ein Kutscher seine dressierten Gäule; sie werden Kraft genug +haben, ihn zum Revolutionsplatz zu schleifen. + +Mir die Absätze von den Schuhen treten! Um bei deinen Begriffen zu +bleiben! - Halt! Halt! Ist's das eigentlich? Sie werden sagen, seine +gigantische Gestalt hätte zu viel Schatten auf mich geworfen, ich +hätte ihn deswegen aus der Sonne gehen heißen. - Und wenn sie recht +hätten? Ist's denn so notwendig? Ja, ja! die Republik! Er muß weg. + +Es ist lächerlich, wie meine Gedanken einander beaufsichtigen. - Er +muß weg. Wer in einer Masse, die vorwärts drängt, stehenbleibt, +leistet so gut Widerstand, als trät' er ihr entgegen: er wird +zertreten. + +Wir werden das Schiff der Revolution nicht auf den seichten +Berechnungen und den Schlammbänken dieser Leute stranden lassen; wir +müssen die Hand abhauen, die es zu halten wagt - und wenn er es mit +den Zähnen packte! + +Weg mit einer Gesellschaft, die der toten Aristokratie die Kleider +ausgezogen und ihren Aussatz geerbt hat! + +Keine Tugend! Die Tugend ein Absatz meiner Schuhe! Bei meinen +Begriffen! - Wie das immer wiederkommt. - Warum kann ich den Gedanken +nicht loswerden? Er deutet mit blutigem Finger immer da, da hin! Ich +mag so viel Lappen darum wickeln, als ich will, das Blut schlägt immer +durch. - (Nach einer Pause:) Ich weiß nicht, was in mir das andere +belügt. + +(Er tritt ans Fenster.) Die Nacht schnarcht über der Erde und wälzt +sich im wüsten Traum. Gedanken, Wünsche, kaum geahnt, wirr und +gestaltlos, die scheu sich vor des Tages Licht verkrochen, empfangen +jetzt Form und Gewand und stehlen sich in das stille Haus des Traums. +Sie öffnen die Türen, sie sehen aus den Fenstern, sie werden halbwegs +Fleisch, die Glieder strecken sich im Schlaf, die Lippen murmeln. - +Und ist nicht unser Wachen ein hellerer Traum? sind wir nicht +Nachtwandler? ist nicht unser Handeln wie das im Traum, nur +deutlicher, bestimmter, durchgeführter? Wer will uns darum schelten? +In einer Stunde verrichtet der Geist mehr Taten des Gedankens, als der +träge Organismus unsres Leibes in Jahren nachzutun vermag. Die Sünde +ist im Gedanken. Ob der Gedanke Tat wird, ob ihn der Körper +nachspiele, das ist Zufall. + +(St. Just tritt ein.) + +Robespierre. +He, wer da im Finstern? He, Licht, Licht! + +St. Just. +Kennst du meine Stimme? + +Robespierre. +Ah du, St. Just! + +(Eine Dienerin bringt Licht.) + +St. Just. +Warst du allein? + +Robespierre. +Eben ging Danton weg. + +St. Just. +Ich traf ihn unterwegs im Palais-Royal. Er machte seine revolutionäre +Stirn und sprach in Epigrammen; er duzte sich mit den Ohnehosen, die +Grisetten liefen hinter seinen Waden drein, und die Leute blieben +stehn und zischelten sich in die Ohren, was er gesagt hatte. - Wir +werden den Vorteil des Angriffs verlieren. Willst du noch länger +zaudern? Wir werden ohne dich handeln. Wir sind entschlossen. + +Robespierre. +Was wollt ihr tun? + +St. Just. +Wir berufen den Gesetzgebungs-, den Sicherheits- und den +Wohlfahrtsausschuß zu feierlicher Sitzung. + +Robespierre. +Viel Umstände. + +St. Just. +Wir müssen die große Leiche mit Anstand begraben, wie Priester, nicht +wie Mörder; wir dürfen sie nicht verstümmeln, alle ihre Glieder müssen +mit hinunter. + +Robespierre. +Sprich deutlicher! + +St. Just. +Wir müssen ihn in seiner vollen Waffenrüstung beisetzen und seine +Pferde und Sklaven auf seinem Grabhügel schlachten: Lacroix - + +Robespierre. +Ein ausgemachter Spitzbube, gewesener Advokatenschreiber, gegenwärtig +Generalleutnant von Frankreich. Weiter! + +St. Just. +Hérault-Séchelles. + +Robespierre. +Ein schöner Kopf! + +St. Just. +Er war der schöngemalte Anfangsbuchstaben der Konstitutionsakte; wir +haben dergleichen Zierat nicht mehr nötig, er wird ausgewischt. - +Philippeau. - Camille. + +Robespierre. +Auch der? + +St. Just (überreicht ihm ein Papier) +Das dacht' ich. Da lies! + +Robespierre. +Aha, »Der alte Franziskaner«! Sonst nichts? Er ist ein Kind, er hat +über euch gelacht. + +St. Just. +Lies hier, hier! (Er zeigt ihm eine Stelle.) + +Robespierre (liest). +»Dieser Blutmessias Robespierre auf seinem Kalvarienberge zwischen den +beiden Schächern Couthon und Collot, auf dem er opfert und nicht +geopfert wird. Die Guillotinen-Betschwestern stehen wie Maria und +Magdalena unten. St. Just liegt ihm wie Johannes am Herzen und macht +den Konvent mit den apokalyptischen Offenbarungen des Meisters +bekannt; er trägt seinen Kopf wie eine Monstranz.« + +St. Just. +Ich will ihn den seinigen wie St. Denis tragen machen. + +Robespierre (liest weiter). +»Sollte man glauben, daß der saubere Frack des Messias das Leichenhemd +Frankreichs ist, und daß seine dünnen, auf der Tribüne herumzuckenden +Finger Guillotinenmesser sind? - Und du, Barère, der du gesagt hast, +auf dem Revolutionsplatz werde Münze geschlagen! Doch - ich will den +alten Sack nicht aufwühlen. Er ist eine Witwe, die schon ein halb +Dutzend Männer hatte und sie alle begraben half. Wer kann was dafür? +Das ist so seine Gabe, er sieht den Leuten ein halbes Jahr vor dem +Tode das hippokratische Gesicht an. Wer mag sich auch zu Leichen +setzen und den Gestank riechen?« + +Also auch du, Camille? - Weg mit ihnen! Rasch! Nur die Toten kommen +nicht wieder. + +Hast du die Anklage bereit? + +St. Just. +Es macht sich leicht. Du hast die Andeutungen bei den Jakobinern +gemacht. + +Robespierre. +Ich wollte sie schrecken. + +St. Just. +Ich brauche nur durchzuführen; die Fälscher geben das Ei und die +Fremden den Apfel ab. - Sie sterben an der Mahlzeit, ich gebe dir mein +Wort. + +Robespierre. +Dann rasch, morgen! Keinen langen Todeskampf! Ich bin empfindlich seit +einigen Tagen. Nur rasch! (St. Just ab.) + +Robespierre (allein). +Jawohl, Blutmessias, der opfert und nicht geopfert wird. - Er hat sie +mit seinem Blut erlöst, und ich erlöse sie mit ihrem eignen. Er hat +sie sündigen gemacht, und ich nehme die Sünde auf mich. Er hatte die +Wollust des Schmerzes, und ich habe die Qual des Henkers. Wer hat sich +mehr verleugnet, ich oder er? - Und doch ist was von Narrheit in dem +Gedanken. - Was sehen wir nur immer nach dem Einen? Wahrlich, der +Menschensohn wird in uns allen gekreuzigt, wir ringen alle im +Gethsemanegarten im blutigen Schweiß, aber es erlöst keiner den andern +mit seinen Wunden. + +Mein Camille! - Sie gehen alle von mir - es ist alles wüst und leer - +ich bin allein. + + + + +Zweiter Akt + +Erste Szene + +Ein Zimmer + +Danton. Lacroix. Philippeau. Paris. Camille Desmoulins. + +Camille. +Rasch, Danton, wir haben keine Zeit zu verlieren! + +Danton (er kleidet sich an). +Aber die Zeit verliert uns. Das ist sehr langweilig, immer das Hemd +zuerst und dann die Hosen drüber zu ziehen und des Abends ins Bett und +morgens wieder herauszukriechen und einen Fuß immer so vor den andern +zu setzen; da ist gar kein Absehen, wie es anders werden soll. Das ist +sehr traurig, und daß Millionen es schon so gemacht haben, und daß +Millionen es wieder so machen werden, und daß wir noch obendrein aus +zwei Hälften bestehen, die beide das nämliche tun, so daß alles +doppelt geschieht - das ist sehr traurig. + +Camille. +Du sprichst in einem ganz kindlichen Ton. + +Danton. +Sterbende werden oft kindisch. + +Lacroix. +Du stürzest dich durch dein Zögern ins Verderben, du reißest alle +deine Freunde mit dir. Benachrichtige die Feiglinge, daß es Zeit ist, +sich um dich zu versammeln, fordere sowohl die vom Tale als die vom +Berge auf! Schreie über die Tyrannei der Dezemvirn, sprich von +Dolchen, rufe Brutus an, dann wirst du die Tribunen erschrecken und +selbst die um dich sammeln, die man als Mitschuldige Héberts bedroht! +Du mußt dich deinem Zorn überlassen. Laßt uns wenigstens nicht +entwaffnet und erniedrigt wie der schändliche Hébert sterben! + +Danton. +Du hast ein schlechtes Gedächtnis, du nanntest mich einen toten +Heiligen. Du hattest mehr recht, als du selbst glaubtest. Ich war bei +den Sektionen; sie waren ehrfurchtsvoll, aber wie Leichenbitter. Ich +bin eine Reliquie, und Reliquien wirft man auf die Gasse, du hattest +recht. + +Lacroix. +Warum hast du es dazu kommen lassen? + +Danton. +Dazu? Ja, wahrhaftig, es war mir zuletzt langweilig. Immer im +nämlichen Rock herumzulaufen und die nämlichen Falten zu ziehen! Das +ist erbärmlich. So ein armseliges Instrument zu sein, auf dem eine +Saite immer nur einen Ton angibt! - 's ist nicht zum Aushalten. Ich +wollte mir's bequem machen. Ich habe es erreicht; die Revolution setzt +mich in Ruhe, aber auf andere Weise, als ich dachte. + +Übrigens, auf was sich stützen? Unsere Huren könnten es noch mit den +Guillotinen-Betschwestern aufnehmen; sonst weiß ich nichts. Es läßt +sich an den Fingern herzählen: die Jakobiner haben erklärt, daß die +Tugend an der Tagesordnung sei, die Cordeliers nennen mich Héberts +Henker, der Gemeinderat tut Buße, der Konvent - das wäre noch ein +Mittel! aber es gäbe einen 31. Mai, sie würden nicht gutwillig +weichen. Robespierre ist das Dogma der Revolution, es darf nicht +ausgestrichen werden. Es ginge auch nicht. Wir haben nicht die +Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht. + +Und wenn es ginge - ich will lieber guillotiniert werden als +guillotinieren lassen. Ich hab es satt; wozu sollen wir Menschen +miteinander kämpfen? Wir sollten uns nebeneinander setzen und Ruhe +haben. Es wurde ein Fehler gemacht, wie wir geschaffen wurden; es +fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür - aber wir werden es +einander nicht aus den Eingeweiden herauswühlen, was sollen wir uns +drum die Leiber aufbrechen? Geht, wir sind elende Alchymisten! + +Camille. +Pathetischer gesagt, würde es heißen: wie lange soll die Menschheit in +ewigem Hunger ihre eignen Glieder fressen? oder: wie lange sollen wir +Schiffbrüchige auf einem Wrack in unlöschbarem Durst einander das Blut +aus den Adern saugen? oder: wie lange sollen wir Algebraisten im +Fleisch beim Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten X unsere +Rechnungen mit zerfetzten Gliedern schreiben? + +Danton. +Du bist ein starkes Echo. + +Camille. +Nicht wahr, ein Pistolenschuß schallt gleich wie ein Donnerschlag. +Desto besser für dich, du solltest mich immer bei dir haben. + +Philippeau. +Und Frankreich bleibt seinen Henkern? + +Danton. +Was liegt daran? Die Leute befinden sich ganz wohl dabei. Sie haben +Unglück; kann man mehr verlangen um gerührt, edel, tugendhaft oder +witzig zu sein, oder um überhaupt keine Langeweile zu haben? - Ob sie +nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter sterben! Es ist +noch vorzuziehen, sie treten mit gelenken Gliedern hinter die Kulissen +und können im Abgehen noch hübsch gestikulieren und die Zuschauer +klatschen hören. Das ist ganz artig und paßt für uns; wir stehen immer +auf dem Theater, wenn wir auch zuletzt im Ernst erstochen werden. + +Es ist recht gut, daß die Lebenszeit ein wenig reduziert wird; der +Rock war zu lang, unsere Glieder konnten ihn nicht ausfüllen. Das +Leben wird ein Epigramm, das geht an; wer hat auch Atem und Geist +genug für ein Epos in fünfzig oder sechzig Gesängen? 's ist Zeit, daß +man das bißchen Essenz nicht mehr aus Zubern, sondern aus +Likörgläschen trinkt; so bekommt man doch das Maul voll, sonst konnte +man kaum einige Tropfen in dem plumpen Gefäß zusammenrinnen machen. + +Endlich - ich müßte schreien; das ist mir der Mühe zuviel, das Leben +ist nicht die Arbeit wert, die man sich macht, es zu erhalten. + +Paris. +So flieh, Danton! + +Danton. +Nimmt man das Vaterland an den Schuhsohlen mit? + +Und endlich - und das ist die Hauptsache: sie werden's nicht wagen. +(Zu Camille:) Komm, mein Junge; ich sage dir, sie werden's nicht +wagen. Adieu, adieu! (Danton und Camille ab.) + +Philippeau. +Da geht er hin. + +Lacroix. +Und glaubt kein Wort von dem, was er gesagt hat. Nichts als Faulheit! +Er will sich lieber guillotinieren lassen als eine Rede halten. + +Paris. +Was tun? + +Lacroix. +Heimgehn und als Lukretia auf einen anständigen Fall studieren. + + + +Zweite Szene + +Eine Promenade + +Spaziergänger. + +Ein Bürger. +Meine gute Jacqueline - ich wollte sagen Korn... wollt ich: Kor... + +Simon. +Kornelia, Bürger, Kornelia. + +Bürger. +Meine gute Kornelia hat mich mit einem Knäblein erfreut. + +Simon. +Hat der Republik einen Sohn geboren. + +Bürger. +Der Republik, das lautet zu allgemein; man könnte sagen... + +Simon. +Das ist's gerade, das Einzelne muß sich dem Allgemeinen... + +Bürger. +Ach ja, das sagt meine Frau auch. + +Bänkelsänger (singt). + Was doch ist, was doch ist + Aller Männer Freud' und Lüst'? + +Bürger. +Ach, mit den Namen, da komm ich gar nicht ins reine. + +Simon. +Tauf ihn Pike, Marat! + +Bänkelsänger. + Unter Kummer, unter Sorgen + Sich bemühn vom frühen Morgen, + Bis der Tag vorüber ist. + +Bürger. +Ich hätte gern drei - es ist doch was mit der Zahl Drei - und dann was +Nützliches und was Rechtliches; jetzt hab ich's: Pflug, Robespierre. +Und dann das dritte? + +Simon. +Pike. + +Bürger. +Ich dank Euch, Nachbar; Pike, Pflug, Robespierre, das sind hübsche +Namen, das macht sich schön. + +Simon. +Ich sage dir, die Brust deiner Kornelia wird wie das Euter der +römischen Wölfin - nein, das geht nicht: Romulus war ein Tyrann, das +geht nicht. (Gehn vorbei.) + +Ein Bettler (singt). +»Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos...« Liebe Herren, schöne Damen! + +Erster Herr. +Kerl, arbeite, du siehst ganz wohlgenährt aus! + +Zweiter Herr. +Da! (Er gibt ihm Geld.) Er hat eine Hand wie Sammet. Das ist +unverschämt. + +Bettler. +Mein Herr, wo habt Ihr Euren Rock her? + +Zweiter Herr. +Arbeit, Arbeit! Du könntest den nämlichen haben; ich will dir Arbeit +geben, komm zu mir, ich wohne... + +Bettler. +Herr, warum habt Ihr gearbeitet? + +Zweiter Herr. +Narr, um den Rock zu haben. + +Bettler. +Ihr habt Euch gequält, um einen Genuß zu haben; denn so ein Rock ist +ein Genuß, ein Lumpen tut's auch. + +Zweiter Herr. +Freilich, sonst geht's nicht. + +Bettler. +Daß ich ein Narr wäre! Das hebt einander. +Die Sonne scheint warm an das Eck, und das geht ganz leicht. (Singt:) +»Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos...« + +Rosalie (zu Adelaiden). +Mach fort, da kommen Soldaten! Wir haben seit gestern nichts Warmes in +den Leib gekriegt. + +Bettler. +»Ist auf dieser Erde einst mein letztes Los!« Meine Herren, meine +Damen! + +Soldat. +Halt! Wo hinaus, meine Kinder? (Zu Rosalie:) Wie alt bist du? + +Rosalie. +So alt wie mein kleiner Finger. + +Soldat. +Du bist sehr spitz. + +Rosalie. +Und du sehr stumpf. + +Soldat. +So will ich mich an dir wetzen. (Er singt:) + + Christinlein, lieb Christinlein mein, + Tut dir der Schaden weh, Schaden weh, + Schaden weh, Schaden weh? + +Rosalie (singt). + Ach nein, ihr Herrn Soldaten, + Ich hätt' es gerne meh, gerne meh, + Gerne meh, gerne meh! + +(Danton und Camille treten auf.) + +Danton. +Geht das nicht lustig? - Ich wittre was in der Atmosphäre; es ist, als +brüte die Sonne Unzucht aus. - Möchte man nicht drunter springen, sich +die Hosen vom Leibe reißen und sich über den Hintern begatten wie die +Hunde auf der Gasse? (Gehn vorbei.) + +Junger Herr. +Ach, Madame, der Ton einer Glocke, das Abendlicht an den Bäumen, das +Blinken eines Sterns... + +Madame. +Der Duft einer Blume! Diese natürlichen Freuden, dieser reine Genuß +der Natur! (Zu ihrer Tochter:) Sieh, Eugenie, nur die Tugend hat Augen +dafür. + +Eugenie (küßt ihrer Mutter die Hand). +Ach, Mama, ich sehe nur Sie. + +Madame. +Gutes Kind! + +Junger Herr (zischelt Eugenien ins Ohr). +Sehen Sie dort die hübsche Dame mit dem alten Herrn? + +Eugenie. +Ich kenne sie. + +Junger Herr. +Man sagt, ihr Friseur habe sie à l'enfant frisiert. + +Eugenie (lacht). +Böse Zunge! + +Junger Herr. +Der alte Herr geht nebenbei; er sieht das Knöspchen schwellen und +führt es in die Sonne spazieren und meint, er sei der Gewitterregen, +der es habe wachsen machen. + +Eugenie. +Wie unanständig! Ich hätte Lust, rot zu werden. + +Junger Herr. +Das könnte mich blaß machen. (Gehn ab.) + +Danton (zu Camille). +Mute mir nur nichts Ernsthaftes zu! Ich begreife nicht, warum die +Leute nicht auf der Gasse stehenbleiben und einander ins Gesicht +lachen. Ich meine, sie müßten zu den Fenstern und zu den Gräbern +heraus lachen, und der Himmel müsse bersten, und die Erde müsse sich +wälzen vor Lachen. (Gehn ab.) + +Erster Herr. +Ich versichre Sie, eine außerordentliche Entdeckung! Alle technischen +Künste bekommen dadurch eine andere Physiognomie. Die Menschheit eilt +mit Riesenschritten ihrer hohen Bestimmung entgegen. + +Zweiter Herr. +Haben Sie das neue Stück gesehen? Ein babylonischer Turm! Ein Gewirr +von Gewölben, Treppchen, Gängen, und das alles so leicht und kühn in +die Luft gesprengt. Man schwindelt bei jedem Tritt. Ein bizarrer Kopf. +(Er bleibt verlegen stehn.) + +Erster Herr. +Was haben Sie denn? + +Zweiter Herr. +Ach, nichts! Ihre Hand, Herr! die Pfütze - so! Ich danke Ihnen. Kaum +kam ich vorbei; das konnte gefährlich werden! + +Erster Herr. +Sie fürchteten doch nicht? + +Zweiter Herr. +Ja, die Erde ist eine dünne Kruste; ich meine immer, ich könnte +durchfallen, wo so ein Loch ist. - Man muß mit Vorsicht auftreten, man +könnte durchbrechen. Aber gehn Sie ins Theater, ich rat es Ihnen! + + + +Dritte Szene + +Ein Zimmer + +Danton. Camille. Lucile. + +Camille. +Ich sage euch, wenn sie nicht alles in hölzernen Kopien bekommen, +verzettelt in Theatern, Konzerten und Kunstausstellungen, so haben sie +weder Augen noch Ohren dafür. Schnitzt einer eine Marionette, wo man +den Strick hereinhängen sieht, an dem sie gezerrt wird und deren +Gelenke bei jedem Schritt in fünffüßigen Jamben krachen - welch ein +Charakter, welche Konsequenz! Nimmt einer ein Gefühlchen, eine +Sentenz, einen Begriff und zieht ihm Rock und Hosen an, macht ihm +Hände und Füße, färbt ihm das Gesicht und läßt das Ding sich drei Akte +hindurch herumquälen, bis es sich zuletzt verheiratet oder sich +totschießt - ein Ideal! Fiedelt einer eine Oper, welche das Schweben +und Senken im menschlichen Gemüt wiedergibt wie eine Tonpfeife mit +Wasser die Nachtigall - ach, die Kunst! + +Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse: die erbärmliche +Wirklichkeit! - Sie vergessen ihren Herrgott über seinen schlechten +Kopisten. Von der Schöpfung, die glühend, brausend und leuchtend, um +und in ihnen, sich jeden Augenblick neu gebiert, hören und sehen sie +nichts. Sie gehen ins Theater, lesen Gedichte und Romane, schneiden +den Fratzen darin die Gesichter nach und sagen zu Gottes Geschöpfen: +wie gewöhnlich! - Die Griechen wußten, was sie sagten, wenn sie +erzählten, Pygmalions Statue sei wohl lebendig geworden, habe aber +keine Kinder bekommen. + +Danton. +Und die Künstler gehn mit der Natur um wie David, der im September die +Gemordeten, wie sie aus der Force auf die Gasse geworfen wurden, +kaltblütig zeichnete und sagte: ich erhasche die letzten Zuckungen des +Lebens in diesen Bösewichtern. (Danton wird hinausgerufen.) + +Camille. +Was sagst du, Lucile? + +Lucile. +Nichts, ich seh dich so gern sprechen. + +Camille. +Hörst mich auch? + +Lucile. +Ei freilich! + +Camille. +Hab ich recht? Weißt du auch, was ich gesagt habe? + +Lucile. +Nein, wahrhaftig nicht. + +(Danton kommt zurück.) + +Camille. +Was hast du? + +Danton. +Der Wohlfahrtsausschuß hat meine Verhaftung beschlossen. Man hat mich +gewarnt und mir einen Zufluchtsort angeboten. + +Sie wollen meinen Kopf; meinetwegen. Ich bin der Hudeleien +überdrüssig. Mögen sie ihn nehmen. Was liegt daran? Ich werde mit Mut +zu sterben wissen; das ist leichter, als zu leben. + +Camille. +Danton, noch ist's Zeit! + +Danton. +Unmöglich - aber ich hätte nicht gedacht... + +Camille. +Deine Trägheit! + +Danton. +Ich bin nicht träg, aber müde; meine Sohlen brennen mich. + +Camille. +Wo gehst du hin? + +Danton. +Ja, wer das wüßte! + +Camille. +Im Ernst, wohin? + +Danton. +Spazieren, mein Junge, spazieren. (Er geht.) + +Lucile. +Ach, Camille! + +Camille. +Sei ruhig, lieb Kind! + +Lucile. +Wenn ich denke, daß sie dies Haupt -! Mein Camille! das ist Unsinn, +gelt, ich bin wahnsinnig? + +Camille. +Sei ruhig, Danton und ich sind nicht eins. + +Lucile. +Die Erde ist weit, und es sind viel Dinge drauf - warum denn gerade +das eine? Wer sollte mir's nehmen? Das wäre arg. Was wollten sie auch +damit anfangen? + +Camille. +Ich wiederhole dir: du kannst ruhig sein. Gestern sprach ich mit +Robespierre: er war freundlich. Wir sind ein wenig gespannt, das ist +wahr; verschiedne Ansichten, sonst nichts! + +Lucile. +Such ihn auf! + +Camille. +Wir saßen auf einer Schulbank. Er war immer finster und einsam. Ich +allein suchte ihn auf und machte ihn zuweilen lachen. Er hat mir immer +große Anhänglichkeit gezeigt. Ich gehe. + +Lucile. +So schnell, mein Freund? Geh! Komm! Nur das (sie küßt ihn) und das! +Geh! Geh! (Camille ab.) + +Das ist eine böse Zeit. Es geht einmal so. Wer kann da drüber hinaus? +Man muß sich fassen. (Singt:) + + Ach Scheiden, ach Scheiden, ach Scheiden, + Wer hat sich das Scheiden erdacht? + +Wie kommt mir grad das in Kopf? Das ist nicht gut, daß es den Weg so +von selbst findet. - Wie er hinaus ist, war mir's, als könnte er nicht +mehr umkehren und müsse immer weiter weg von mir, immer weiter. + +Wie das Zimmer so leer ist; die Fenster stehn offen, als hätte ein +Toter drin gelegen. Ich halt es da oben nicht aus. (Sie geht.) + + + +Vierte Szene + +Freies Feld + +Danton. +Ich mag nicht weiter. Ich mag in dieser Stille mit dem Geplauder +meiner Tritte und dem Keuchen meines Atems nicht Lärm machen. (Er +setzt sich nieder; nach einer Pause:) + +Man hat mir von einer Krankheit erzählt, die einem das Gedächtnis +verlieren mache. Der Tod soll etwas davon haben. Dann kommt mir +manchmal die Hoffnung, daß er vielleicht noch kräftiger wirke und +einem alles verlieren mache. Wenn das wäre! - Dann lief ich wie ein +Christ, um einen Feind, d. h. mein Gedächtnis, zu retten. + +Der Ort soll sicher sein, ja für mein Gedächtnis, aber nicht für mich; +mir gibt das Grab mehr Sicherheit, es schafft mir wenigstens +Vergessen. Es tötet mein Gedächtnis. Dort aber lebt mein Gedächtnis +und tötet mich. Ich oder es? Die Antwort ist leicht. (Er erhebt sich +und kehrt um.) + +Ich kokettiere mit dem Tod; es ist ganz angenehm, so aus der Ferne mit +dem Lorgnon mit ihm zu liebäugeln. + +Eigentlich muß ich über die ganze Geschichte lachen. Es ist ein Gefühl +des Bleibens in mir, was mir sagt: es wird morgen sein wie heute, und +übermorgen und weiter hinaus ist alles wie eben. Das ist leerer Lärm, +man will mich schrecken; sie werden's nicht wagen! (Ab.) + + + +Fünfte Szene + +Ein Zimmer + +Es ist Nacht. + +Danton (am Fenster). +Will denn das nie aufhören? Wird das Licht nie ausglühn und der Schall +nie modern? Will's denn nie still und dunkel werden, daß wir uns +die garstigen Sünden einander nicht mehr anhören und ansehen? - +September! - + +Julie (ruft von innen). +Danton! Danton! + +Danton. +He? + +Julie (tritt ein). +Was rufst du? + +Danton. +Rief ich? + +Julie. +Du sprachst von garstigen Sünden, und dann stöhntest du: September! + +Danton. +Ich, ich? Nein, ich sprach nicht; das dacht' ich kaum, das waren nur +ganz leise, heimliche Gedanken. + +Julie. +Du zitterst, Danton! + +Danton. +Und soll ich nicht zittern, wenn so die Wände plaudern? Wenn mein Leib +so zerteilt ist, daß meine Gedanken unstet, umirrend mit den Lippen +der Steine reden? Das ist seltsam. + +Julie. +Georg, mein Georg! + +Danton. +Ja, Julie, das ist sehr seltsam. Ich möchte nicht mehr denken, wenn +das gleich so spricht. Es gibt Gedanken, Julie, für die es keine Ohren +geben sollte. Das ist nicht gut, daß sie bei der Geburt gleich +schreien wie Kinder; das ist nicht gut. + +Julie. +Gott erhalte dir deine Sinne! - Georg, Georg, erkennst du mich? + +Danton. +Ei warum nicht! Du bist ein Mensch und dann eine Frau und endlich +meine Frau, und die Erde hat fünf Weltteile, Europa, Asien, Afrika, +Amerika, Australien, und zwei mal zwei macht vier. Ich bin bei Sinnen, +siehst du. - Schrie's nicht September? Sagtest du nicht so was? + +Julie. +Ja, Danton, durch alle Zimmer hört ich's. + +Danton. +Wie ich ans Fenster kam - (er sieht hinaus:) die Stadt ist ruhig, alle +Lichter aus... + +Julie. +Ein Kind schreit in der Nähe. + +Danton. +Wie ich ans Fenster kam - durch alle Gassen schrie und zetert' es: +September! + +Julie. +Du träumtest, Danton. Faß dich! + +Danton. +Träumtest? Ja, ich träumte; doch das war anders, ich will dir es +gleich sagen - mein armer Kopf ist schwach - gleich! So, jetzt hab +ich's: Unter mir keuchte die Erdkugel in ihrem Schwung; ich hatte sie +wie ein wildes Roß gepackt, mit riesigen Gliedern wühlt' ich in ihren +Mähnen und preßt' ich ihre Rippen, das Haupt abwärts gewandt, die +Haare flatternd über dem Abgrund; so ward ich geschleift. Da schrie +ich in der Angst, und ich erwachte. Ich trat ans Fenster - und da +hört' ich's, Julie. + +Was das Wort nur will? Warum gerade das? Was hab ich damit zu +schaffen? Was streckt es nach mir die blutigen Hände? Ich hab es nicht +geschlagen. - O hilf mir, Julie, mein Sinn ist stumpf! War's nicht im +September, Julie? + +Julie. +Die Könige waren nur noch vierzig Stunden von Paris... + +Danton. +Die Festungen gefallen, die Aristokraten in der Stadt... + +Julie. +Die Republik war verloren. + +Danton. +Ja, verloren. Wir konnten den Feind nicht im Rücken lassen, wir wären +Narren gewesen: zwei Feinde auf einem Brett; wir oder sie, der +Stärkere stößt den Schwächeren hinunter - ist das nicht +billig? + +Julie. +Ja, ja. + +Danton. +Wir schlugen sie - das war kein Mord, das war Krieg nach innen. + +Julie. +Du hast das Vaterland gerettet. + +Danton. +Ja, das hab ich; das war Notwehr, wir mußten. Der Mann am Kreuze hat +sich's bequem gemacht: es muß ja Ärgernis kommen, doch wehe dem, durch +welchen Ärgernis kommt! - Es muß; das war dies Muß. Wer will der Hand +fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß +gesprochen, wer? Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und +mordet? + +Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, +nichts wir selbst! die Schwerter, mit denen Geister kämpfen - man +sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen. - Jetzt bin ich ruhig. + +Julie. +Ganz ruhig, lieb Herz? + +Danton. +Ja, Julie; komm, zu Bette! + + + +Sechste Szene + +Straße vor Dantons Haus + +Simon. Bürgersoldaten. + +Simon. +Wie weit ist's in der Nacht? + +Erster Bürger. +Was in der Nacht? + +Simon. +Wie weit ist die Nacht? + +Erster Bürger. +So weit als zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang. + +Simon. +Schuft, wieviel Uhr? + +Erster Bürger. +Sieh auf dein Zifferblatt; es ist die Zeit, wo die Perpendikel unter +den Bettdecken ausschlagen. + +Simon. +Wir müssen hinauf! Fort, Bürger! Wir haften mit unseren Köpfen dafür. +Tot oder lebendig! Er hat gewaltige Glieder. Ich werde vorangehn, +Bürger. Der Freiheit eine Gasse! - Sorgt für mein Weib! Eine +Eichenkrone werd ich ihr hinterlassen. + +Erster Bürger. +Eine Eichelkrone? Es sollen ihr ohnehin jeden Tag Eicheln genug in den +Schoß fallen. + +Simon. +Vorwärts, Bürger, ihr werdet euch um das Vaterland verdient machen! + +Zweiter Bürger. +Ich wollte, das Vaterland machte sich um uns verdient; über all den +Löchern, die wir in andrer Leute Körper machen, ist noch kein einziges +in unsern Hosen zugegangen. + +Erster Bürger. +Willst du, daß dir dein Hosenlatz zuginge? Hä, hä, hä! + +Die andern. +Hä, hä, hä! + +Simon. +Fort, fort! (Sie dringen in Dantons Haus.) + + + +Siebente Szene + +Der Nationalkonvent + +Eine Gruppe von Deputierten. + +Legendre. +Soll denn das Schlachten der Deputierten nicht aufhören? - Wer ist +noch sicher, wenn Danton fällt? + +Ein Deputierter. +Was tun? + +Ein anderer. +Er muß vor den Schranken des Konvents gehört werden. - Der Erfolg +dieses Mittels ist sicher; was sollten sie seiner Stimme +entgegensetzen? + +Ein anderer. +Unmöglich, ein Dekret verhindert uns. + +Legendre. +Es muß zurückgenommen oder eine Ausnahme gestattet werden. - Ich werde +den Antrag machen; ich rechne auf eure Unterstützung. + +Der Präsident. +Die Sitzung ist eröffnet. + +Legendre (besteigt die Tribüne). +Vier Mitglieder des Nationalkonvents sind verflossene Nacht verhaftet +worden. Ich weiß, daß Danton einer von ihnen ist, die Namen der +übrigen kenne ich nicht. Mögen sie übrigens sein, wer sie wollen, so +verlange ich, daß sie vor den Schranken gehört werden. + +Bürger, ich erkläre es: ich halte Danton für ebenso rein wie mich +selbst, und ich glaube nicht, daß mir irgendein Vorwurf gemacht werden +kann. Ich will kein Mitglied des Wohlfahrts- oder des +Sicherheitsausschusses angreifen, aber gegründete Ursachen lassen mich +fürchten, Privathaß und Privatleidenschaft möchten der Freiheit Männer +entreißen, die ihr die größten Dienste erwiesen haben. Der Mann, +welcher im Jahre 1792 Frankreich durch seine Energie rettete, verdient +gehört zu werden; er muß sich erklären dürfen, wenn man ihn des +Hochverrats anklagt. (Heftige Bewegung.) + +Einige Stimmen. +Wir unterstützen Legendres Vorschlag. + +Ein Deputierter. +Wir sind hier im Namen des Volkes; man kann uns ohne den Willen +unserer Wähler nicht von unseren Plätzen reißen. + +Ein anderer. +Eure Worte riechen nach Leichen; ihr habt sie den Girondisten aus dem +Munde genommen. Wollt ihr Privilegien? Das Beil des Gesetzes schwebt +über allen Häuptern. + +Ein anderer. +Wir können unsern Ausschüssen nicht erlauben, die Gesetzgeber aus dem +Asyl des Gesetzes auf die Guillotine zu schicken. + +Ein anderer. +Das Verbrechen hat kein Asyl, nur gekrönte Verbrecher finden eins auf +dem Thron. + +Ein anderer. +Nur Spitzbuben appellieren an das Asylrecht. + +Ein anderer. +Nur Mörder erkennen es nicht an. + +Robespierre. +Die seit langer Zeit in dieser Versammlung unbekannte Verwirrung +beweist, daß es sich um große Dinge handelt. Heute entscheidet sich's, +ob einige Männer den Sieg über das Vaterland davontragen werden. - Wie +könnt ihr eure Grundsätze weit genug verleugnen, um heute einigen +Individuen das zu bewilligen, was ihr gestern Chabot, Delaunai und +Fahre verweigert habt? Was soll dieser Unterschied zugunsten einiger +Männer? Was kümmern mich die Lobsprüche, die man sich selbst und +seinen Freunden spendet? Nur zu viele Erfahrungen haben uns gezeigt, +was davon zu halten sei. Wir fragen nicht, ob ein Mann diese oder jene +patriotische Handlung vollbracht habe; wir fragen nach seiner ganzen +politischen Laufbahn. - Legendre scheint die Namen der Verhafteten +nicht zu wissen; der ganze Konvent kennt sie. Sein Freund Lacroix ist +darunter. Warum scheint Legendre das nicht zu wissen? Weil er wohl +weiß, daß nur die Schamlosigkeit Lacroix verteidigen kann. Er nannte +nur Danton, weil er glaubt, an diesen Namen knüpfe sich ein +Privilegium. Nein, wir wollen keine Privilegien, wir wollen keine +Götzen! (Beifall.) + +Was hat Danton vor Lafayette, vor Dumouriez, vor Brissot, Fabre, +Chabot, Hébert voraus? Was sagt man von diesen, was man nicht auch von +ihm sagen könnte? Habt ihr sie gleichwohl geschont? Wodurch verdient +er einen Vorzug vor seinen Mitbürgern? Etwa, weil einige betrogene +Individuen und andere, die sich nicht betrügen ließen, sich um ihn +reihten, um in seinem Gefolge dem Glück und der Macht in die Arme zu +laufen? - Je mehr er die Patrioten betrogen hat, welche Vertrauen in +ihn setzten, desto nachdrücklicher muß er die Strenge der +Freiheitsfreunde empfinden. + +Man will euch Furcht einflößen vor dem Mißbrauche einer Gewalt, die +ihr selbst ausgeübt habt. Man schreit über den Despotismus der +Ausschüsse, als ob das Vertrauen, welches das Volk euch geschenkt und +das ihr diesen Ausschüssen übertragen habt, nicht eine sichre Garantie +ihres Patriotismus wäre. Man stellt sich, als zittre man. Aber ich +sage euch, wer in diesem Augenblicke zittert, ist schuldig; denn nie +zittert die Unschuld vor der öffentlichen Wachsamkeit. (Allgemeiner +Beifall.) + +Man hat auch mich schrecken wollen; man gab mir zu verstehen, daß die +Gefahr, indem sie sich Danton nähere, auch bis zu mir dringen könne. +Man schrieb mir, Dantons Freunde hielten mich umlagert, in der +Meinung, die Erinnerung an eine alte Verbindung, der blinde Glauben an +erheuchelte Tugenden könnten mich bestimmen, meinen Eifer und meine +Leidenschaft für die Freiheit zu mäßigen. - So erkläre ich denn: +nichts soll mich aufhalten, und sollte auch Dantons Gefahr die meinige +werden. Wir alle haben etwas Mut und etwas Seelengröße nötig. Nur +Verbrecher und gemeine Seelen fürchten, ihresgleichen an ihrer Seite +fallen zu sehen, weil sie, wenn keine Schar von Mitschuldigen sie mehr +versteckt, sich dem Licht der Wahrheit ausgesetzt sehen. Aber wenn es +dergleichen Seelen in dieser Versammlung gibt, so gibt es in ihr auch +heroische. Die Zahl der Schurken ist nicht groß; wir haben nur wenige +Köpfe zu treffen, und das Vaterland ist gerettet. (Beifall.) + +Ich verlange, daß Legendres Vorschlag zurückgewiesen werde. (Die +Deputierten erheben sich sämtlich zum Zeichen allgemeiner +Beistimmung.) + +St. Just. +Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben, +die das Wort »Blut« nicht wohl vertragen können. Einige allgemeine +Betrachtungen mögen sie überzeugen, daß wir nicht grausamer sind als +die Natur und als die Zeit. Die Natur folgt ruhig und unwiderstehlich +ihren Gesetzen; der Mensch wird vernichtet, wo er mit ihnen in +Konflikt kommt. Eine Änderung in den Bestandteilen der Luft, ein +Auflodern des tellurischen Feuers, ein Schwanken in dem Gleichgewicht +einer Wassermasse und eine Seuche, ein vulkanischer Ausbruch, eine +Überschwemmung begraben Tausende. Was ist das Resultat? Eine +unbedeutende, im großen Ganzen kaum bemerkbare Veränderung der +physischen Natur, die fast spurlos vorübergegangen sein würde, wenn +nicht Leichen auf ihrem Wege lägen. + +Ich frage nun: soll die geistige Natur in ihren Revolutionen mehr +Rücksicht nehmen als die physische? Soll eine Idee nicht ebensogut wie +ein Gesetz der Physik vernichten dürfen, was sich ihr widersetzt? Soll +überhaupt ein Ereignis, was die ganze Gestaltung der moralischen +Natur, das heißt der Menschheit, umändert, nicht durch Blut gehen +dürfen? Der Weltgeist bedient sich in der geistigen Sphäre unserer +Arme ebenso, wie er in der physischen Vulkane und Wasserfluten +gebraucht. Was liegt daran, ob sie an einer Seuche oder an der +Revolution sterben? + +Die Schritte der Menschheit sind langsam, man kann sie nur nach +Jahrhunderten zählen; hinter jedem erheben sich die Gräber von +Generationen. Das Gelangen zu den einfachsten Erfindungen und +Grundsätzen hat Millionen das Leben gekostet, die auf dem Wege +starben. Ist es denn nicht einfach, daß zu einer Zeit, wo der Gang der +Geschichte rascher ist, auch mehr Menschen außer Atem kommen? + +Wir schließen schnell und einfach: Da alle unter gleichen +Verhältnissen geschaffen werden, so sind alle gleich, die Unterschiede +abgerechnet, welche die Natur selbst gemacht hat; es darf daher jeder +Vorzüge und darf daher keiner Vorrechte haben, weder ein einzelner +noch eine geringere oder größere Klasse von Individuen. - Jedes Glied +dieses in der Wirklichkeit angewandten Satzes hat seine Menschen +getötet. Der 14. Juli, der 10. August, der 31. Mai sind seine +Interpunktionszeichen. Er hatte vier Jahre Zeit nötig, um in der +Körperwelt durchgeführt zu werden, und unter gewöhnlichen Umständen +hätte er ein Jahrhundert dazu gebraucht und wäre mit Generationen +interpunktiert worden. Ist es da so zu verwundern, daß der Strom der +Revolution bei jedem Absatz, bei jeder neuen Krümmung seine Leichen +ausstößt? + +Wir werden unserm Satze noch einige Schlüsse hinzuzufügen haben; +sollen einige hundert Leichen uns verhindern, sie zu machen? - Moses +führte sein Volk durch das Rote Meer und in die Wüste, bis die alte +verdorbne Generation sich aufgerieben hatte, eh' er den neuen Staat +gründete. Gesetzgeber! Wir haben weder das Rote Meer noch die Wüste, +aber wir haben den Krieg und die Guillotine. + +Die Revolution ist wie die Töchter des Pelias: sie zerstückt die +Menschheit, um sie zu verjüngen. Die Menschheit wird aus dem +Blutkessel wie die Erde aus den Wellen der Sündflut mit urkräftigen +Gliedern sich erheben, als wäre sie zum ersten Male geschaffen. +(Langer, anhaltender Beifall. Einige Mitglieder erheben sich im +Enthusiasmus.) + +Alle geheimen Feinde der Tyrannei, welche in Europa und auf dem ganzen +Erdkreise den Dolch des Brutus unter ihren Gewändern tragen, fordern +wir auf, diesen erhabnen Augenblick mit uns zu teilen. (Die Zuhörer +und die Deputierten stimmen die Marseillaise an.) + + + + +Dritter Akt + +Erste Szene + +Das Luxembourg. Ein Saal mit Gefangnen + +Chaumette, Payne, Mercier, Hérault-Séchelles und andre Gefangne. + +Chaumette (zupft Payne am Ärmel). +Hören Sie, Payne, es könnte doch so sein, vorhin überkam es mich so; +ich habe heute Kopfweh, helfen Sie mir ein wenig mit Ihren Schlüssen, +es ist mir ganz unheimlich zumut. + +Payne. +So komm, Philosoph Anaxagoras, ich will dich katechisieren. - Es gibt +keinen Gott, denn: Entweder hat Gott die Welt geschaffen oder nicht. +Hat er sie nicht geschaffen, so hat die Welt ihren Grund in sich, und +es gibt keinen Gott, da Gott nur dadurch Gott wird, daß er den Grund +alles Seins enthält. Nun kann aber Gott die Welt nicht geschaffen +haben; denn entweder ist die Schöpfung ewig wie Gott, oder sie hat +einen Anfang. Ist letzteres der Fall, so muß Gott sie zu einem +bestimmten Zeitpunkt geschaffen haben, Gott muß also, nachdem er eine +Ewigkeit geruht, einmal tätig geworden sein, muß also einmal eine +Veränderung in sich erlitten haben, die den Begriff Zeit auf ihn +anwenden läßt, was beides gegen das Wesen Gottes streitet. Gott kann +also die Welt nicht geschaffen haben. Da wir nun aber sehr deutlich +wissen, daß die Welt oder daß unser Ich wenigstens vorhanden ist und +daß sie dem Vorhergehenden nach also auch ihren Grund in sich oder in +etwas haben muß, das nicht Gott ist, so kann es keinen Gott geben. +Quod erat demonstrandum. + +Chaumette. +Ei wahrhaftig, das gibt mir wieder Licht; ich danke, danke! + +Mercier. +Halten Sie, Payne! Wenn aber die Schöpfung ewig ist? + +Payne. +Dann ist sie schon keine Schöpfung mehr, dann ist sie eins mit Gott +oder ein Attribut desselben, wie Spinoza sagt; dann ist Gott in allem, +in Ihnen, Wertester, im Philosoph Anaxagoras und in mir. Das wäre so +übel nicht, aber Sie müssen mir zugestehen, daß es gerade nicht viel +um die himmlische Majestät ist, wenn der liebe Herrgott in jedem von +uns Zahnweh kriegen, den Tripper haben, lebendig begraben werden oder +wenigstens die sehr unangenehmen Vorstellungen davon haben kann. + +Mercier. +Aber eine Ursache muß doch da sein. + +Payne. +Wer leugnet dies? Aber wer sagt Ihnen denn, daß diese Ursache das sei, +was wir uns als Gott, d. h. als das Vollkommne denken? Halten Sie die +Welt für vollkommen? + +Mercier. +Nein. + +Payne. +Wie wollen Sie denn aus einer unvollkommnen Wirkung auf eine +vollkommne Ursache schließen? - Voltaire wagte es ebensowenig mit Gott +als mit den Königen zu verderben, deswegen tat er es. Wer einmal +nichts hat als Verstand und ihn nicht einmal konsequent zu gebrauchen +weiß oder wagt, ist ein Stümper. + +Mercier. +Ich frage dagegen: kann eine vollkommne Ursache eine vollkommne +Wirkung haben, d. h. kann etwas Vollkommnes was Vollkommnes schaffen? +Ist das nicht unmöglich, weil das Geschaffne doch nie seinen Grund in +sich haben kann, was doch, wie Sie sagten, zur Vollkommenheit gehört? + +Chaumette. +Schweigen Sie! Schweigen Sie! + +Payne. +Beruhige dich, Philosoph! - Sie haben recht; aber muß denn Gott einmal +schaffen, kann er nur was Unvollkommnes schaffen, so läßt er es +gescheuter ganz bleiben. Ist's nicht sehr menschlich, uns Gott nur als +schaffend denken zu können? Weil wir uns immer regen und schütteln +müssen, um uns nur immer sagen zu können: wir sind! müssen wir Gott +auch dies elende Bedürfnis andichten? - Müssen wir, wenn sich unser +Geist in das Wesen einer harmonisch in sich ruhenden, ewigen Seligkeit +versenkt, gleich annehmen, sie müsse die Finger ausstrecken und über +Tisch Brotmännchen kneten? aus überschwenglichem Liebesbedürfnis, wie +wir uns ganz geheimnisvoll in die Ohren sagen. Müssen wir das alles, +bloß um uns zu Göttersöhnen zu machen? Ich nehme mit einem geringern +Vater vorlieb; wenigstens werd ich ihm nicht nachsagen können, daß er +mich unter seinem Stande in Schweineställen oder auf den Galeeren habe +erziehen lassen. + +Schafft das Unvollkommne weg, dann allein könnt ihr Gott +demonstrieren; Spinoza hat es versucht. Man kann das Böse leugnen, +aber nicht den Schmerz; nur der Verstand kann Gott beweisen, das +Gefühl empört sich dagegen. Merke dir es, Anaxagoras: warum leide ich? +Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und +rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riß in der Schöpfung von +oben bis unten. + +Mercier. +Und die Moral? + +Payne. +Erst beweist ihr Gott aus der Moral und dann die Moral aus Gott! - Was +wollt ihr denn mit eurer Moral? Ich weiß nicht, ob es an und für sich +was Böses oder was Gutes gibt, und habe deswegen doch nicht nötig, +meine Handlungsweise zu ändern. Ich handle meiner Natur gemäß; was ihr +angemessen, ist für mich gut und ich tue es, und was ihr zuwider, ist +für mich bös und ich tue es nicht und verteidige mich dagegen, wenn es +mir in den Weg kommt. Sie können, wie man so sagt, tugendhaft bleiben +und sich gegen das sogenannte Laster wehren, ohne deswegen ihre Gegner +verachten zu müssen, was ein gar trauriges Gefühl ist. + +Chaumette. +Wahr, sehr wahr! + +Hérault. +O Philosoph Anaxagoras, man könnte aber auch sagen: damit Gott alles +sei, müsse er auch sein eignes Gegenteil sein, d. h. vollkommen und +unvollkommen, bös und gut, selig und leidend; das Resultat freilich +würde gleich Null sein, es würde sich gegenseitig heben, wir kämen zum +Nichts. - Freue dich, du kömmst glücklich durch: du kannst ganz ruhig +in Madame Momoro das Meisterstück der Natur anbeten, wenigstens hat +sie dir die Rosenkränze dazu in den Leisten gelassen. + +Chaumette. +Ich danke Ihnen verbindlichste meine Herren! (Ab.) + +Payne. +Er traut noch nicht, er wird sich zu guter Letzt noch die Ölung geben, +die Füße nach Mekka zu legen und sich beschneiden lassen, um ja keinen +Weg zu verfehlen. + +(Danton, Lacroix, Camille, Philippeau werden hereingeführt.) + +Hérault. (läuft auf Danton zu und umarmt ihn). +Guten Morgen! Gute Nacht sollte ich sagen. Ich kann nicht fragen, wie +hast du geschlafen -: wie wirst du schlafen? + +Danton. +Nun gut, man muß lachend zu Bett gehn. + +Mercier (zu Payne). +Diese Dogge mit Taubenflügeln! Er ist der böse Genius der Revolution; +er wagte sich an seine Mutter, aber sie war stärker als er. + +Payne. +Sein Leben und sein Tod sind ein gleich großes Unglück. + +Lacroix (zu Danton). +Ich dachte nicht, daß sie so schnell kommen würden. + +Danton. +Ich wußt' es, man hatte mich gewarnt. + +Lacroix. +Und du hast nichts gesagt? + +Danton. +Zu was? Ein Schlagfluß ist der beste Tod; wolltest du zuvor krank +sein? Und - ich dachte nicht, daß sie es wagen würden. (Zu Hérault:) +Es ist besser, sich in die Erde legen als sich Leichdörner auf ihr +laufen; ich habe sie lieber zum Kissen als zum Schemel. + +Hérault. +Wir werden wenigstens nicht mit Schwielen an den Fingern der hübschen +Dame Verwesung die Wangen streicheln. + +Camille (zu Danton). +Gib dir nur keine Mühe! du magst die Zunge noch so weit zum Hals +heraushängen, du kannst dir damit doch nicht den Todesschweiß von der +Stirne lecken. - O Lucile! Das ist ein großer Jammer! + +(Die Gefangnen drängen sich um die neu Angekommnen.) + +Danton (zu Payne). +Was Sie für das Wohl Ihres Landes getan, habe ich für das meinige +versucht. Ich war weniger glücklich, man schickt mich aufs Schafott; +meinetwegen, ich werde nicht stolpern. + +Mercier (zu Danton). +Das Blut der Zweiundzwanzig ersäuft dich. + +Ein Gefangener (zu Hérault). +Die Macht des Volkes und die Macht der Vernunft sind eins. + +Ein andrer (zu Camille). +Nun, Generalprokurator der Laterne, deine Verbesserung der +Straßenbeleuchtung hat in Frankreich nicht heller gemacht. + +Ein andrer. +Laßt ihn! Das sind die Lippen, welche das Wort »Erbarmen« gesprochen. +(Er umarmt Camille, mehrere Gefangne folgen seinem Beispiel.) + +Philippeau. +Wir sind Priester, die mit Sterbenden gebetet haben; wir sind +angesteckt worden und sterben an der nämlichen Seuche. + +Einige Stimmen. +Der Streich, der euch trifft, tötet uns alle. + +Camille. +Meine Herren, ich beklage sehr, daß unsere Anstrengungen so fruchtlos +waren; ich gehe aufs Schafott, weil mir die Augen über das Los einiger +Unglücklichen naß geworden. + + + +Zweite Szene + +Ein Zimmer + +Fouquier-Tinville. Herman. + +Fouquier. +Alles bereit? + +Herman. +Es wird schwer halten; wäre Danton nicht darunter, so ginge es leicht. + +Fouquier. +Er muß vortanzen. + +Herman. +Er wird die Geschwornen erschrecken, er ist die Vogelscheuche der +Revolution. + +Fouquier. +Die Geschwornen müssen wollen. + +Herman. +Ein Mittel wüßt' ich, aber es wird die gesetzliche Form verletzen. + +Fouquier. +Nur zu! + +Herman. +Wir losen nicht, sondern suchen die Handfesten aus. + +Fouquier. +Das muß gehen. - Das wird ein gutes Heckefeuer geben. Es sind ihrer +neunzehn. Sie sind geschickt zusammengewörfelt. Die vier Fälscher, +dann einige Bankiers und Fremde. Es ist ein pikantes Gericht. Das Volk +braucht dergleichen. - Also zuverlässige Leute! Wer zum Beispiel? + +Herman. +Leroi. Er ist taub und hört daher nichts von all dem, was die +Angeklagten vorbringen. Danton mag sich den Hals bei ihm rauh +schreien. + +Fouquier. +Sehr gut; weiter! + +Herman. +Vilatte und Lumière. Der eine sitzt immer in der Trinkstube, und der +andere schläft immer; beide öffnen den Mund nur, um das Wort +»Schuldig« zu sagen. - Girard hat den Grundsatz, es dürfe keiner +entwischen, der einmal vor das Tribunal gestellt sei. +Renaudin... + +Fouquier. +Auch der? Er half einmal einigen Pfaffen durch. + +Herman. +Sei ruhig! Vor einigen Tagen kommt er zu mir und verlangt, man solle +allen Verurteilten vor der Hinrichtung zur Ader lassen, um sie ein +wenig matt zu machen; ihre meist trotzige Haltung ärgere ihn. + +Fouquier. +Ach, sehr gut. Also ich verlasse mich! + +Herman. +Laß mich nur machen! + + + +Dritte Szene + +Die Conciergerie. Ein Korridor + +Lacroix, Danton, Mercier und andre Gefangne auf und ab gehend. + +Lacroix (zu einem Gefangnen). +Wie, so viel Unglückliche, und in einem so elenden Zustande? + +Der Gefangne. +Haben Ihnen die Guillotinenkarren nie gesagt, daß Paris eine +Schlachtbank sei? + +Mercier. +Nicht wahr, Lacroix, die Gleichheit schwingt ihre Sichel über allen +Häuptern, die Lava der Revolution fließt, die Guillotine +republikanisiert! Da klatschen die Galerien, und die Römer reiben sich +die Hände; aber sie hören nicht, daß jedes dieser Worte das Röcheln +eines Opfers ist. Geht einmal euren Phrasen nach bis zu dem Punkt, wo +sie verkörpert werden. - Blickt um euch, das alles habt ihr +gesprochen; es ist eine mimische Übersetzung eurer Worte. Diese +Elenden, ihre Henker und die Guillotine sind eure lebendig gewordnen +Reden. Ihr bautet eure Systeme, wie Bajazet seine Pyramiden, aus +Menschenköpfen. + +Danton. +Du hast recht - man arbeitet heutzutag alles in Menschenfleisch. Das +ist der Fluch unserer Zeit. Mein Leib wird jetzt auch verbraucht. + +Es ist grade ein Jahr, daß ich das Revolutionstribunal schuf. Ich +bitte Gott und Menschen dafür um Verzeihung; ich wollte neuen +Septembermorden zuvorkommen, ich hoffte die Unschuldigen zu retten, +aber dies langsame Morden mit seinen Formalitäten ist gräßlicher und +ebenso unvermeidlich. Meine Herren, ich hoffte, Sie alle diesen Ort +verlassen zu machen. + +Mercier. +Oh, herausgehen werden wir. + +Danton. +Ich bin jetzt bei Ihnen; der Himmel weiß, wie das enden soll. + + + +Vierte Szene + +Das Revolutionstribunal + +Herman (zu Danton). +Ihr Name, Bürger. + +Danton. +Die Revolution nennt meinen Namen. Meine Wohnung ist bald im Nichts +und mein Name im Pantheon der Geschichte. + +Herman. +Danton, der Konvent beschuldigt Sie, mit Mirabeau, mit Dumouriez, mit +Orléans, mit den Girondisten, den Fremden und der Faktion Ludwigs des +XVII. konspiriert zu haben. + +Danton. +Meine Stimme, die ich so oft für die Sache des Volkes ertönen ließ, +wird ohne Mühe die Verleumdung zurückweisen. Die Elenden, welche mich +anklagen, mögen hier erscheinen, und ich werde sie mit Schande +bedecken. Die Ausschüsse mögen sich hierher begeben, ich werde nur vor +ihnen antworten. Ich habe sie als Kläger und als Zeugen nötig. Sie +mögen sich zeigen. + +Übrigens, was liegt mir an euch und eurem Urteil? Ich hab es euch +schon gesagt: das Nichts wird bald mein Asyl sein; - das Leben ist mir +zur Last, man mag mir es entreißen, ich sehne mich danach, es +abzuschütteln. + +Herman. +Danton, die Kühnheit ist dem Verbrecher, die Ruhe der Unschuld eigen. + +Danton. +Privatkühnheit ist ohne Zweifel zu tadeln, aber jene Nationalkühnheit, +die ich so oft gezeigt, mit welcher ich so oft für die Freiheit +gekämpft habe, ist die verdienstvollste aller Tugenden. - Sie ist +meine Kühnheit, sie ist es, der ich mich hier zum Besten der Republik +gegen meine erbärmlichen Ankläger bediene. Kann ich mich fassen, wenn +ich mich auf eine so niedrige Weise verleumdet sehe? - Von einem +Revolutionär wie ich darf man keine kalte Verteidigung erwarten. +Männer meines Schlages sind in Revolutionen unschätzbar, auf ihrer +Stirne schwebt das Genie der Freiheit. (Zeichen von Beifall unter den +Zuhörern.) + +Mich klagt man an, mit Mirabeau, mit Dumouriez, mit Orléans +konspiriert, zu den Füßen elender Despoten gekrochen zu haben; mich +fordert man auf, vor der unentrinnbaren, unbeugsamen Gerechtigkeit zu +antworten. - Du elender St. Just wirst der Nachwelt für diese +Lästerung verantwortlich sein! + +Herman. +Ich fordere Sie auf, mit Ruhe zu antworten; gedenken Sie Marats, er +trat mit Ehrfurcht vor seine Richter. + +Danton. +Sie haben die Hände an mein ganzes Leben gelegt, so mag es sich denn +aufrichten und ihnen entgegentreten; unter dem Gewichte jeder meiner +Handlungen werde ich sie begraben. - Ich bin nicht stolz darauf. Das +Schicksal führt uns den Arm, aber nur gewaltige Naturen sind seine +Organe. + +Ich habe auf dem Marsfelde dem Königtume den Krieg erklärt, ich habe +es am 10. August geschlagen, ich habe es am 21. Januar getötet und den +Königen einen Königskopf als Fehdehandschuh hingeworfen. (Wiederholte +Zeichen von Beifall. - Er nimmt die Anklageakte.) Wenn ich einen Blick +auf diese Schandschrift werfe, fühle ich mein ganzes Wesen beben. Wer +sind denn die, welche Danton nötigen mußten, sich an jenem +denkwürdigen Tage (dem 10. August) zu zeigen? Wer sind denn die +privilegierten Wesen, von denen er seine Energie borgte? - Meine +Ankläger mögen erscheinen! Ich bin ganz bei Sinnen, wenn ich es +verlange. Ich werde die platten Schurken entlarven und sie in das +Nichts zurückschleudern, aus dem sie nie hätten hervorkriechen +sollen. + +Herman (schellt). +Hören Sie die Klingel nicht? + +Danton. +Die Stimme eines Menschen, welcher seine Ehre und sein Leben +verteidigt, muß deine Schelle überschreien. + +Ich habe im September die junge Brut der Revolution mit den +zerstückten Leibern der Aristokraten geätzt. Meine Stimme hat aus dem +Golde der Aristokraten und Reichen dem Volke Waffen geschmiedet. Meine +Stimme war der Orkan, welcher die Satelliten des Despotismus unter +Wogen von Bajonetten begrub. (Lauter Beifall.) + +Herman. +Danton, Ihre Stimme ist erschöpft, Sie sind zu heftig bewegt. Sie +werden das nächste Mal Ihre Verteidigung beschließen, Sie haben Ruhe +nötig. - Die Sitzung ist aufgehoben. + +Danton. +Jetzt kennt Ihr Danton - noch wenige Stunden, und er wird in den Armen +des Ruhmes entschlummern. + + + +Fünfte Szene + +Das Luxembourg. Ein Kerker + +Dillon. Laflotte. Ein Gefangenwärter. + +Dillon. +Kerl, leuchte mir mit deiner Nase nicht so ins Gesicht. Hä, hä, hä! + +Laflotte. +Halte den Mund zu, deine Mondsichel hat einen Hof. Hä, hä, hä! + +Wärter. +Hä, hä, hä! Glaubt Ihr, Herr, daß Ihr bei ihrem Schein lesen könntet? +(Zeigt auf einen Zettel, den er in der Hand hält.) + +Dillon. +Gib her! + +Wärter. +Herr, meine Mondsichel hat Ebbe bei mir gemacht. + +Laflotte. +Deine Hosen sehen aus, als ob Flut wäre. + +Wärter. +Nein, sie zieht Wasser. (Zu Dillon:) Sie hat sich vor Eurer Sonne +verkrochen, Herr; Ihr müßt mir was geben, das sie wieder feurig macht, +wenn Ihr dabei lesen wollt. + +Dillon. +Da, Kerl! Pack dich! (Er gibt ihm Geld. Wärter ab. - Dillon liest:) +Danton hat das Tribunal erschreckt, die Geschwornen schwankten, die +Zuhörer murrten. Der Zudrang war außerordentlich. Das Volk drängte +sich um den Justizpalast und stand bis zu den Brücken. Eine Handvoll +Geld, ein Arm endlich - hin! hin! (Er geht auf und ab und schenkt sich +von Zeit zu Zeit aus einer Flasche ein.) Hätt' ich nur den Fuß auf der +Gasse! Ich werde mich nicht so schlachten lassen. Ja, nur den Fuß auf +der Gasse! + +Laflotte. +Und auf dem Karren, das ist eins. + +Dillon. +Meinst du? Da lägen noch ein paar Schritte dazwischen, lange genug, um +sie mit den Leichen der Dezemvirn zu messen. - Es ist endlich Zeit, +daß die rechtschaffnen Leute das Haupt erheben. + +Laflotte (für sich). +Desto besser, um so leichter ist es zu treffen. Nur zu, Alter; noch +einige Gläser, und ich werde flott. + +Dillon. +Die Schurken, die Narren, sie werden sich zuletzt noch selbst +guillotinieren. (Er läuft auf und ab.) + +Laflotte (beiseite). +Man könnte das Leben ordentlich wieder liebhaben, wie sein Kind, wenn +man sich's selbst gegeben. Das kommt gerade nicht oft vor, daß man so +mit dem Zufall Blutschande treiben und sein eigner Vater werden kann. +Vater und Kind zugleich. Ein behaglicher Ödipus! + +Dillon. +Man füttert das Volk nicht mit Leichen; Dantons und Camilles Weiber +mögen Assignaten unter das Volk werfen, das ist besser als Köpfe. + +Laflotte (beiseite). +Ich würde mir hintennach die Augen nicht ausreißen; ich könnte sie +nötig haben, um den guten General zu beweinen. + +Dillon. +Die Hand an Danton! Wer ist noch sicher? Die Furcht wird sie +vereinigen. + +Laflotte (beiseite). +Er ist doch verloren. Was ist's denn, wenn ich auf eine Leiche trete, +um aus dem Grab zu klettern? + +Dillon. +Nur den Fuß auf der Gasse! Ich werde Leute genug finden, alte +Soldaten, Girondisten, Exadlige; wir erbrechen die Gefängnisse, wir +müssen uns mit den Gefangnen verständigen. + +Laflotte (beiseite). +Nun freilich, es riecht ein wenig nach Schufterei. Was tut's? Ich +hätte Lust, auch das zu versuchen; ich war bisher zu einseitig. Man +bekommt Gewissensbisse, das ist doch eine Abwechslung; es ist nicht so +unangenehm, seinen eignen Gestank zu riechen. - Die Aussicht auf die +Guillotine ist mir langweilig geworden; so lang auf die Sache zu +warten! Ich habe sie im Geist schon zwanzigmal durchprobiert. Es ist +auch gar nichts Pikantes mehr dran; es ist ganz gemein geworden. + +Dillon. +Man muß Dantons Frau ein Billett zukommen lassen. + +Laflotte (beiseite). +Und dann - ich fürchte den Tod nicht, aber den Schmerz. Es könnte wehe +tun, wer steht mir dafür? Man sagt zwar, es sei nur ein Augenblick; +aber der Schmerz hat ein feineres Zeitmaß, er zerlegt eine Tertie. +Nein! Der Schmerz ist die einzige Sünde, und das Leiden ist das +einzige Laster; ich werde tugendhaft bleiben. + +Dillon. +Höre, Laflotte, wo ist der Kerl hingekommen? Ich habe Geld, das muß +gehen. Wir müssen das Eisen schmieden; mein Plan ist fertig. + +Laflotte. +Gleich, gleich! Ich kenne den Schließer, ich werde mit ihm sprechen. +Du kannst auf mich zählen, General, wir werden aus dem Loch kommen - +(für sich im Hinausgehn:) um in ein anderes zu gehen: ich in das +weiteste, die Welt, er in das engste, das Grab. + + + +Sechste Szene + +Der Wohlfahrtsausschuß + +St. Just. Barère. Collot d'Herbois. Billaud-Varennes. + +Barère. +Was schreibt Fouquier? + +St. Just. +Das zweite Verhör ist vorbei. Die Gefangnen verlangen das Erscheinen +mehrerer Mitglieder des Konvents und des Wohlfahrtsausschusses; sie +appellierten an das Volk, wegen Verweigerung der Zeugen. Die Bewegung +der Gemüter soll unbeschreiblich sein. - Danton parodierte den Jupiter +und schüttelte die Locken. + +Collot. +Um so leichter wird ihn Samson daran packen. + +Barère. +Wir dürfen uns nicht zeigen, die Fischweiber und die Lumpensammler +könnten uns weniger imposant finden. + +Billaud. +Das Volk hat einen Instinkt, sich treten zu lassen, und wäre es nur +mit Blicken; dergleichen insolente Physiognomien gefallen ihm. Solche +Stirnen sind ärger als ein adliges Wappen, der feine Aristokratismus +der Menschenverachtung sitzt auf ihnen. Es sollte sie jeder +einschlagen helfen, den es verdrießt, einen Blick von oben herunter zu +erhalten. + +Barère. +Er ist wie der hörnerne Siegfried, das Blut der Septembrisierten hat +ihn unverwundbar gemacht. Was sagt Robespierre? + +St. Just. +Er tut, als ob er etwas zu sagen hätte. Die Geschwornen müssen sich +für hinlänglich unterrichtet erklären und die Debatten schließen. + +Barère. +Unmöglich, das geht nicht. + +St. Just. +Sie müssen weg, um jeden Preis, und sollten wir sie mit den eignen +Händen erwürgen. Wagt! Danton soll uns das Wort nicht umsonst gelehrt +haben. Die Revolution wird über ihre Leichen nicht stolpern; aber +bleibt Danton am Leben, so wird er sie am Gewand fassen, und er hat +etwas in seiner Gestalt, als ob er die Freiheit notzüchtigen könnte. +(St. Just wird hinausgerufen.) + +(Ein Schließer tritt ein.) + +Schließer. +In St. Pelagie liegen Gefangne am Sterben, sie verlangen einen Arzt. + +Billaud. +Das ist unnötig, so viel Mühe weniger für den Scharfrichter. + +Schließer. +Es sind schwangere Weiber dabei. + +Billaud. +Desto besser, da brauchen ihre Kinder keinen Sarg. + +Barère. +Die Schwindsucht eines Aristokraten spart dem Revolutionstribunal eine +Sitzung. Jede Arznei wäre contrerevolutionär. + +Collot (nimmt ein Papier). +Eine Bittschrift, ein Weibername! + +Barère. +Wohl eine von denen, die gezwungen sein möchten, zwischen einem +Guillotinenbrett und dem Bett eines Jakobiners zu wählen. Die wie +Lukretia nach dem Verlust ihrer Ehre sterben, aber etwas später als +die Römerin: im Kindbett oder am Krebs oder aus Altersschwäche. - Es +mag nicht so unangenehm sein, einen Tarquinius aus der Tugendrepublik +einer Jungfrau zu treiben. + +Collot. +Sie ist zu alt. Madame verlangt den Tod, sie weiß sich auszudrücken: +das Gefängnis liege auf ihr wie ein Sargdeckel; sie sitzt erst seit +vier Wochen. Die Antwort ist leicht. (Er schreibt und liest:) +»Bürgerin, es ist noch nicht lange genug, daß du den Tod wünschest.« +(Schließer ab.) + +Barère. +Gut gesagt! Aber, Collot, es ist nicht gut, daß die Guillotine zu +lachen anfängt; die Leute haben sonst keine Furcht mehr davor; man muß +sich nicht so familiär machen. + +(St. Just kommt zurück.) + +St. Just. +Eben erhalte ich eine Denunziation. Man konspiriert in den +Gefängnissen; ein junger Mensch namens Laflotte hat alles entdeckt. Er +saß mit Dillon im nämlichen Zimmer, Dillon hat getrunken und +geplaudert. + +Barère. +Er schneidet sich mit seiner Bouteille den Hals ab; das ist schon mehr +vorgekommen. + +St. Just. +Dantons und Camilles Weiber sollen Geld unter das Volk werfen, Dillon +soll ausbrechen, man will die Gefangnen befreien, der Konvent soll +gesprengt werden. + +Barère. +Das sind Märchen. + +St. Just. +Wir werden sie aber mit dem Märchen in Schlaf erzählen. Die Anzeige +habe ich in Händen; dazu die Keckheit der Angeklagten, das Murren des +Volks, die Bestürzung der Geschwornen - ich werde einen Bericht +machen. + +Barère. +Ja, geh, St. Just, und spinne deine Perioden, worin jedes Komma ein +Säbelhieb und jeder Punkt ein abgeschlagner Kopf ist! + +St. Just. +Der Konvent muß dekretieren, das Tribunal solle ohne Unterbrechung den +Prozeß fortführen und dürfe jeden Angeklagten, welcher die dem +Gerichte schuldige Achtung verletzte oder störende Auftritte +veranlaßte, von den Debatten ausschließen. + +Barère. +Du hast einen revolutionären Instinkt; das lautet ganz gemäßigt und +wird doch seine Wirkung tun. Sie können nicht schweigen, Danton muß +schreien. + +St. Just. +Ich zähle auf eure Unterstützung. Es gibt Leute im Konvent, die ebenso +krank sind wie Danton und welche die nämliche Kur fürchten. Sie haben +wieder Mut bekommen, sie werden über Verletzung der Formen +schreien... + +Barère(ihn unterbrechend) +Ich werde ihnen sagen: Zu Rom wurde der Konsul, welcher die +Verschwörung des Katilina entdeckte und die Verbrecher auf der Stelle +mit dem Tod bestrafte, der verletzten Förmlichkeit angeklagt. Wer +waren seine Ankläger? + +Collot (mit Pathos). +Geh, St. Just! Die Lava der Revolution fließt. Die Freiheit wird die +Schwächlinge, welche ihren mächtigen Schoß befruchten wollten, in +ihren Umarmungen ersticken; die Majestät des Volks wird ihnen wie +Jupiter der Semele unter Donner und Blitz erscheinen und sie in Asche +verwandeln. Geh, St. Just, wir werden dir helfen, den Donnerkeil auf +die Häupter der Feiglinge zu schleudern! (St. Just ab.) + +Barère. +Hast du das Wort Kur gehört? Sie werden noch aus der Guillotine ein +Spezifikum gegen die Lustseuche machen. Sie kämpfen nicht mit den +Moderierten, sie kämpfen mit dem Laster. + +Billaud. +Bis jetzt geht unser Weg zusammen. + +Barère. +Robespierre will aus der Revolution einen Hörsaal für Moral machen und +die Guillotine als Katheder gebrauchen. + +Billaud. +Oder als Betschemel. + +Collot. +Auf dem er aber alsdann nicht stehen, sondern liegen soll. + +Barère. +Das wird leicht gehen. Die Welt müßte auf dem Kopf stehen, wenn die +sogenannten Spitzbuben von den sogenannten rechtlichen Leuten gehängt +werden sollten. + +Collot(zu Barère). +Wann kommst du wieder nach Clichy? + +Barère. +Wenn der Arzt nicht mehr zu mir kommt. + +Collot. +Nicht wahr, über dem Ort steht ein Haarstern, unter dessen +versengenden Strahlen dein Rückenmark ganz ausgedörrt +wird? + +Billaud. +Nächstens werden die niedlichen Finger der reizenden Demaly es ihm aus +dem Futterale ziehen und es als Zöpfchen über den Rücken +hinunterhängen machen. + +Barère (zuckt die Achseln). +Pst! davon darf der Tugendhafte nichts wissen. + +Billaud. +Er ist ein impotenter Masoret. (Billaud und Collot ab.) + +Barère (allein). +Die Ungeheuer! - »Es ist noch nicht lange genug, daß du den Tod +wünschest!« Diese Worte hätten die Zunge müssen verdorren machen, die +sie gesprochen. + +Und ich? - Als die Septembriseurs in die Gefängnisse drangen, faßt ein +Gefangner sein Messer, er drängt sich unter die Mörder, er stößt es in +die Brust eines Priesters, er ist gerettet! Wer kann was dawider +haben? Ob ich mich nun unter die Mörder dränge oder mich in den +Wohlfahrtsausschuß setze, ob ich ein Guillotinen- oder ein +Taschenmesser nehme? Es ist der nämliche Fall, nur mit etwas +verwickelteren Umständen; die Grundverhältnisse sind sich gleich. - +Und durft' er einen morden: durft' er auch zwei, auch drei, auch noch +mehr? wo hört das auf? Da kommen die Gerstenkörner! Machen zwei einen +Haufen, drei, vier, wieviel dann? Komm, mein Gewissen, komm, mein +Hühnchen, komm, bi, bi, bi, da ist Futter! + +Doch - war ich auch Gefangner? Verdächtig war ich, das läuft auf eins +hinaus; der Tod war mir gewiß. (Ab.) + + + +Siebente Szene + +Die Conciergerie + +Lacroix. Danton. Philippeau. Camille. + +Lacroix. +Du hast gut geschrien, Danton; hättest du dich etwas früher so um dein +Leben gequält, es wäre jetzt anders. Nicht wahr, wenn der Tod einem so +unverschämt nahe kommt und so aus dem Hals stinkt und immer +zudringlicher wird? + +Camille. +Wenn er einen noch notzüchtigte und seinen Raub unter Ringen und Kampf +aus den heißen Gliedern riß! Aber so in allen Formalitäten wie bei der +Hochzeit mit einem alten Weibe, wie die Pakten aufgesetzt, wie die +Zeugen gerufen, wie das Amen gesagt und wie dann die Bettdecke gehoben +wird und es langsam hereinkriecht mit seinen kalten Gliedern! + +Danton. +Wär' es ein Kampf, daß die Arme und Zähne einander packten! Aber es +ist mir, als wäre ich in ein Mühlwerk gefallen, und die Glieder würden +mir langsam systematisch von der kalten physischen Gewalt abgedreht. +So mechanisch getötet zu werden! + +Camille. +Und dann daliegen allein, kalt, steif in dem feuchten Dunst der +Fäulnis - vielleicht, daß einem der Tod das Leben langsam aus den +Fibern martert - mit Bewußtsein vielleicht sich wegzufaulen! + +Philippeau. +Seid ruhig, meine Freunde! Wir sind wie die Herbstzeitlose, welche +erst nach dem Winter Samen trägt. Von Blumen, die versetzt werden, +unterscheiden wir uns nur dadurch, daß wir über dem Versuch ein wenig +stinken. Ist das so arg? + +Danton. +Eine erbauliche Aussicht! Von einem Misthaufen auf den andern! Nicht +wahr, die göttliche Klassentheorie? Von Prima nach Sekunda, von +Sekunda nach Tertia und so weiter? Ich habe die Schulbänke satt, ich +habe mir Gesäßschwielen wie ein Affe darauf gesessen. + +Philippeau. +Was willst du denn? + +Danton. +Ruhe. + +Philippeau. +Die ist in Gott. + +Danton. +Im Nichts. Versenke dich in was Ruhigers als das Nichts, und wenn die +höchste Ruhe Gott ist, ist nicht das Nichts Gott? Aber ich bin ein +Atheist. Der verfluchte Satz: Etwas kann nicht zu nichts werden! Und +ich bin etwas, das ist der Jammer! - Die Schöpfung hat sich so breit +gemacht, da ist nichts leer, alles voll Gewimmels. Das Nichts hat sich +ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen, +die Welt ist das Grab, worin es fault. - Das lautet verrückt, es ist +aber doch was Wahres daran. + +Camille. +Die Welt ist der Ewige Jude, das Nichts ist der Tod, aber er ist +unmöglich. Oh, nicht sterben können, nicht sterben können! wie es im +Lied heißt. + +Danton. +Wir sind alle lebendig begraben und wie Könige in drei- oder +vierfachen Särgen beigesetzt, unter dem Himmel, in unsern Häusern, in +unsern Röcken und Hemden. - Wir kratzen fünfzig Jahre lang am +Sargdeckel. Ja, wer an Vernichtung glauben könnte! dem wäre geholfen. +- Da ist keine Hoffnung im Tod; er ist nur eine einfachere, das Leben +eine verwickeltere, organisiertere Fäulnis, das ist der ganze +Unterschied! - Aber ich bin gerad einmal an diese Art des Faulens +gewöhnt; der Teufel weiß, wie ich mit einer andern zurechtkomme. O +Julie! Wenn ich allein ginge! Wenn sie mich einsam ließe! - Und wenn +ich ganz zerfiele, mich ganz auflöste: ich wäre eine Handvoll +gemarterten Staubes, jedes meiner Atome könnte nur Ruhe finden bei +ihr. - Ich kann nicht sterben, nein, ich kann nicht sterben. Wir sind +noch nicht geschlagen. Wir müssen schreien; sie müssen mir jeden +Lebenstropfen aus den Gliedern reißen. + +Lacroix. +Wir müssen auf unsrer Forderung bestehen; unsre Ankläger und die +Ausschüsse müssen vor dem Tribunal erscheinen. + + + +Achte Szene + +Ein Zimmer + +Fouquier. Amar. Vouland. + +Fouquier. +Ich weiß nicht mehr, was ich antworten soll; sie fordern eine +Kommission. + +Amar. +Wir haben die Schurken: da hast du, was du verlangst. (Er überreicht +Fouquier ein Papier.) + +Vouland. +Das wird sie zufriedenstellen. + +Fouquier. +Wahrhaftig, das hatten wir nötig. + +Amar. +Nun mache, daß wir und sie die Sache vom Hals bekommen. + + + +Neunte Szene + +Das Revolutionstribunal + +Danton. +Die Republik ist in Gefahr, und er hat keine Instruktion! Wir +appellieren an das Volk; meine Stimme ist noch stark genug, um den +Dezemvirn die Leichenrede zu halten. - Ich wiederhole es, wir +verlangen eine Kommission; wir haben wichtige Entdeckungen zu machen. +Ich werde mich in die Zitadelle der Vernunft zurückziehen, ich werde +mit der Kanone der Wahrheit hervorbrechen und meine Feinde zermalmen. +(Zeichen des Beifalls.) + +(Fouquier, Amar und Vouland treten ein.) + +Fouquier. +Ruhe im Namen der Republik, Achtung dem Gesetz! Der Konvent +beschließt: + +In Betracht, daß in den Gefängnissen sich Spuren von Meutereien +zeigen, in Betracht, daß Dantons und Camilles Weiber Geld unter das +Volk werfen und daß der General Dillon ausbrechen und sich an die +Spitze der Empörer stellen soll, um die Angeklagten zu befreien, in +Betracht endlich, daß diese selbst unruhige Auftritte herbeizuführen +sich bemüht und das Tribunal zu beleidigen versucht haben, wird das +Tribunal ermächtigt, die Untersuchung ohne Unterbrechung fortzusetzen +und jeden Angeklagten, der die dem Gesetze schuldige Ehrfurcht außer +Augen setzen sollte, von den Debatten auszuschließen. + +Danton. +Ich frage die Anwesenden, ob wir dem Tribunal, dem Volke oder dem +Nationalkonvent Hohn gesprochen haben? + +Viele Stimmen. +Nein! Nein! + +Camille. +Die Elenden, sie wollen meine Lucile morden! + +Danton. +Eines Tages wird man die Wahrheit erkennen. Ich sehe großes Unglück +über Frankreich hereinbrechen. Das ist die Diktatur; sie hat ihren +Schleier zerrissen, sie trägt die Stirne hoch, sie schreitet über +unsere Leichen. (Auf Amar und Vouland deutend:) Seht da die feigen +Mörder, seht da die Raben des Wohlfahrtsausschusses! + +Ich klage Robespierre, St. Just und ihre Henker des Hochverrats an. - +Sie wollen die Republik im Blut ersticken. Die Gleise der +Guillotinenkarren sind die Heerstraßen, auf welchen die Fremden in das +Herz des Vaterlandes dringen sollen. + +Wie lange sollen die Fußstapfen der Freiheit Gräber sein? - Ihr wollt +Brot, und sie werfen euch Köpfe hin! Ihr durstet, und sie machen euch +das Blut von den Stufen der Guillotine lecken! (Heftige Bewegung unter +den Zuhörern, Geschrei des Beifalls.) + +Viele Stimmen. +Es lebe Danton, nieder mit den Dezemvirn! (Die Gefangnen werden mit +Gewalt hinausgeführt.) + + + +Zehnte Szene + +Platz vor dem Justizpalast + +Ein Volkshaufe. + +Einige Stimmen. +Nieder mit den Dezemvirn! Es lebe Danton! + +Erster Bürger. +Ja, das ist wahr, Köpfe statt Brot, Blut statt Wein! + +Einige Weiber. +Die Guillotine ist eine schlechte Mühle und Samson ein schlechter +Bäckerknecht; wir wollen Brot, Brot! + +Zweiter Bürger. +Euer Brot, das hat Danton gefressen. Sein Kopf wird euch allen wieder +Brot geben, er hatte recht. + +Erster Bürger. +Danton war unter uns am 10. August, Danton war unter uns im September. +Wo waren die Leute, welche ihn angeklagt haben? + +Zweiter Bürger. +Und Lafayette war mit euch in Versailles und war doch ein Verräter. + +Erster Bürger. +Wer sagt, daß Danton ein Verräter sei? + +Zweiter Bürger. +Robespierre. + +Erster Bürger. +Und Robespierre ist ein Verräter! + +Zweiter Bürger. +Wer sagt das? + +Erster Bürger. +Danton. + +Zweiter Bürger. +Danton hat schöne Kleider, Danton hat ein schönes Haus, Danton hat +eine schöne Frau, er badet sich in Burgunder, ißt das Wildbret von +silbernen Tellern und schläft bei euren Weibern und Töchtern, wenn er +betrunken ist. - Danton war arm wie ihr. Woher hat er das alles? Das +Veto hat es ihm gekauft, damit er ihm die Krone rette. Der Herzog von +Orléans hat es ihm geschenkt, damit er ihm die Krone stehle. Der +Fremde hat es ihm gegeben, damit er euch alle verrate. - Was hat +Robespierre? Der tugendhafte Robespierre! Ihr kennt ihn alle. + +Alle. +Es lebe Robespierre! Nieder mit Danton! Nieder mit dem Verräter! + + + + +Vierter Akt + +Erste Szene + +Ein Zimmer + +Julie. Ein Knabe. + +Julie. +Es ist aus. Sie zitterten vor ihm. Sie töten ihn aus Furcht. Geh! ich +habe ihn zum letzten Mal gesehen; sag ihm, ich könne ihn nicht so +sehen. (Sie gibt ihm eine Locke.) Da, bring ihm das und sag ihm, er +würde nicht allein gehn - er versteht mich schon. Und dann schnell +zurück, ich will seine Blicke aus deinen Augen lesen. + + + +Zweite Szene + +Eine Straße + +Dumas. Ein Bürger. + +Bürger. +Wie kann man nach einem solchen Verhör soviel Unschuldige zum Tod +verurteilen? + +Dumas. +Das ist in der Tat außerordentlich; aber die Revolutionsmänner haben +einen Sinn, der andern Menschen fehlt, und dieser Sinn trügt sie +nie. + +Bürger. +Das ist der Sinn des Tigers. - Du hast ein Weib. + +Dumas. +Ich werde bald eins gehabt haben. + +Bürger. +So ist es denn wahr? + +Dumas. +Das Revolutionstribunal wird unsere Ehescheidung aussprechen; die +Guillotine wird uns von Tisch und Bett trennen. + +Bürger. +Du bist ein Ungeheuer! + +Dumas. +Schwachkopf! Du bewunderst Brutus? + +Bürger. +Von ganzer Seele. + +Dumas. +Muß man denn gerade römischer Konsul sein und sein Haupt mit der Toga +verhüllen können, um sein Liebstes dem Vaterlande zu opfern? Ich werde +mir die Augen mit dem Ärmel meines roten Fracks abwischen; das ist der +ganze Unterschied. + +Bürger. +Das ist entsetzlich! + +Dumas. +Geh, du begreifst mich nicht! (Sie gehen ab.) + + + +Dritte Szene + +Die Conciergerie + +Lacroix, Hérault auf einem Bett, Danton, Camille auf einem andern. + +Lacroix. +Die Haare wachsen einem so und die Nägel, man muß sich wirklich +schämen. + +Hérault. +Nehmen Sie sich ein wenig in acht, Sie niesen mir das ganze Gesicht +voll Sand! + +Lacroix. +Und treten Sie mir nicht so auf die Füße, Bester, ich habe +Hühneraugen! + +Hérault. +Sie leiden noch an Ungeziefer. + +Lacroix. +Ach, wenn ich nur einmal die Würmer ganz los wäre! + +Hérault. +Nun, schlafen Sie wohl! wir müssen sehen, wie wir miteinander +zurechtkommen, wir haben wenig Raum. - Kratzen Sie mich nicht mit +Ihren Nägeln im Schlaf! - So! Zerren Sie nicht so am Leichtuch, es ist +kalt da unten! - + +Danton. +Ja, Camille, morgen sind wir durchgelaufne Schuhe, die man der +Bettlerin Erde in den Schoß wirft. + +Camille. +Das Rindsleder, woraus nach Platon die Engel sich Pantoffeln +geschnitten und damit auf der Erde herumtappen. Es geht aber auch +danach. - Meine Lucile! + +Danton. +Sei ruhig, mein Junge! + +Camille. +Kann ich's? Glaubst du, Danton? Kann ich's? Sie können die Hände nicht +an sie legen! Das Licht der Schönheit, das von ihrem süßen Leib sich +ausgießt, ist unlöschbar. Sieh, die Erde würde nicht wagen, sie zu +verschütten; sie würde sich um sie wölben, der Grabdunst würde wie Tau +an ihren Wimpern funkeln, Kristalle würden wie Blumen um ihre Glieder +sprießen und helle Quellen in Schlaf sie murmeln. + +Danton. +Schlafe, mein Junge, schlafe! + +Camille. +Höre, Danton, unter uns gesagt, es ist so elend, sterben müssen. Es +hilft auch zu nichts. Ich will dem Leben noch die letzten Blicke aus +seinen hübschen Augen stehlen, ich will die Augen offen haben. + +Danton. +Du wirst sie ohnehin offen behalten, Samson drückt einem die Augen +nicht zu. Der Schlaf ist barmherziger. Schlafe, mein Junge, +schlafe! + +Camille. +Lucile, deine Küsse phantasieren auf meinen Lippen; jeder Kuß wird ein +Traum, meine Augen sinken und schließen ihn fest ein. - + +Danton. +Will denn die Uhr nicht ruhen? Mit jedem Picken schiebt sie die Wände +enger um mich, bis sie so eng sind wie ein Sarg. - Ich las einmal als +Kind so 'ne Geschichte, die Haare standen mir zu Berg. Ja, als Kind! +Das war der Mühe wert, mich so groß zu füttern und mich warm zu +halten. Bloß Arbeit für den Totengräber! + +Es ist mir, als röch' ich schon. Mein lieber Leib, ich will mir die +Nase zuhalten und mir einbilden, du seist ein Frauenzimmer, was vom +Tanzen schwitzt und stinkt, und dir Artigkeiten sagen. Wir haben uns +sonst schon mehr miteinander die Zeit vertrieben. + +Morgen bist du eine zerbrochene Fiedel; die Melodie darauf ist +ausgespielt. Morgen bist du eine leere Bouteille; der Wein ist +ausgetrunken, aber ich habe keinen Rausch davon und gehe nüchtern zu +Bett - das sind glückliche Leute, die sich noch besaufen können. +Morgen bist du eine durchgerutschte Hose; du wirst in die Garderobe +geworfen, und die Motten werden dich fressen, du magst stinken, wie du +willst. + +Ach, das hilft nichts! Jawohl, es ist so elend, sterben müssen. Der +Tod äfft die Geburt; beim Sterben sind wir so hilflos und nackt wie +neugeborne Kinder. Freilich, wir bekommen das Leichentuch zur Windel. +Was wird es helfen? Wir können im Grab so gut wimmern wie in der +Wiege. + +Camille! Er schläft; (indem er sich über ihn bückt:) ein Traum spielt +zwischen seinen Wimpern. Ich will den goldnen Tau des Schlafes ihm +nicht von den Augen streifen + +(Er erhebt sich und tritt ans Fenster.) Ich werde nicht allein gehn: +ich danke dir, Julie! doch hätte ich anders sterben mögen, so ganz +mühelos, so wie ein Stern fällt, wie ein Ton sich selbst aushaucht, +sich mit den eignen Lippen rotküßt, wie ein Lichtstrahl in klaren +Fluten sich begräbt. - Wie schimmernde Tränen sind die Sterne durch +die Nacht gesprengt; es muß ein großer Jammer in dem Aug' sein, von +dem sie abträufelten. + +Camille. +Oh! (Er hat sich aufgerichtet und tastet nach der Decke.) + +Danton. +Was hast du, Camille? + +Camille. +Oh, oh! + +Danton (schüttelt ihn). +Willst du die Decke herunterkratzen? + +Camille. +Ach du, du - o halt mich! sprich, du! + +Danton. +Du bebst an allen Gliedern, der Schweiß steht dir auf der Stirne. + +Camille. +Das bist du, das ich - so! Das ist meine Hand! Ja! jetzt besinn ich +mich. O Danton, das war entsetzlich! + +Danton. +Was denn? + +Camille. +Ich lag so zwischen Traum und Wachen. Da schwand die Decke, und der +Mond sank herein, ganz nahe, ganz dicht, mein Arm erfaßt' ihn. Die +Himmelsdecke mit ihren Lichtern hatte sich gesenkt, ich stieß daran, +ich betastete die Sterne, ich taumelte wie ein Ertrinkender unter der +Eisdecke. Das war entsetzlich, Danton! + +Danton. +Die Lampe wirft einen runden Schein an die Decke, das sahst du. + +Camille. +Meinetwegen, es braucht grade nicht viel, um einem das bißchen +Verstand verlieren zu machen. Der Wahnsinn faßte mich bei den Haaren. +(Er erhebt sich.) Ich mag nicht mehr schlafen, ich mag nicht verrückt +werden. (Er greift nach einem Buch.) + +Danton. +Was nimmst du? + +Camille. +Die Nachtgedanken. + +Danton. +Willst du zum voraus sterben? Ich nehme die Pucelle. Ich will mich aus +dem Leben nicht wie aus dem Betstuhl, sondern wie aus dem Bett einer +Barmherzigen Schwester wegschleichen. Es ist eine Hure; es treibt mit +der ganzen Welt Unzucht. + + + +Vierte Szene + +Platz vor der Conciergerie + +Ein Schließer. Zwei Fuhrleute mit Karren. Weiber. + +Schließer. +Wer hat euch herfahren geheißen? + +Erster Fuhrmann. +Ich heiße nicht Herfahren, das ist ein kurioser Namen. + +Schließer. +Dummkopf, wer hat dir die Bestallung dazu gegeben? + +Erster Fuhrmann. +Ich habe keine Stallung dazu kriegt, nichts als zehn Sous für den +Kopf. + +Zweiter Fuhrmann. +Der Schuft will mich ums Brot bringen. + +Erster Fuhrmann. +Was nennst du dein Brot? (Auf die Fenster der Gefangnen deutend:) Das +ist Wurmfraß. + +Zweiter Fuhrmann. +Meine Kinder sind auch Würmer, und die wollen auch ihr Teil davon. Oh, +es geht schlecht mit unsrem Metier, und doch sind wir die besten +Fuhrleute. + +Erster Fuhrmann. +Wie das? + +Zweiter Fuhrmann. +Wer ist der beste Fuhrmann? + +Erster Fuhrmann. +Der am weitesten und am schnellsten fährt. + +Zweiter Fuhrmann. +Nun, Esel, wer fährt weiter, als der aus der Welt fährt, und wer fährt +schneller, als der 's in einer Viertelstunde tut? Genau gemessen ist's +eine Viertelstunde von da bis zum Revolutionsplatz. + +Schließer. +Rasch, ihr Schlingel! Näher ans Tor; Platz da, ihr Mädel! + +Erster Fuhrmann. +Halt't Euren Platz vor! Um ein Mädel fährt man nit herum, immer in die +Mitt' 'nein. + +Zweiter Fuhrmann. +Ja, das glaub ich: du kannst mit Karren und Gäulen hinein, du findst +gute Gleise; aber du mußt Quarantäne halten, wenn du herauskommst. +(Sie fahren vor.) + +Zweiter Fuhrmann. (zu den Weibern). +Was gafft ihr? + +Ein Weib. +Wir warten auf alte Kunden. + +Zweiter Fuhrmann. +Meint ihr, mein Karren wär' ein Bordell? Er ist ein anständiger +Karren, er hat den König und alle vornehmen Herren aus Paris zur Tafel +gefahren. + +Lucile (tritt auf. Sie setzt sich auf einen Stein unter die Fenster +der Gefangnen). +Camille, Camille! (Camille erscheint am Fenster.) Höre, Camille, du +machst mich lachen mit dem langen Steinrock und der eisernen Maske vor +dem Gesicht; kannst du dich nicht bücken? Wo sind deine Arme? - Ich +will dich locken, lieber Vogel. (Singt:) + + Es stehn zwei Sternlein an dem Himmel, + Scheinen heller als der Mond, + Der ein' scheint vor Feinsliebchens Fenster, + Der andre vor die Kammertür. + +Komm, komm, mein Freund! Leise die Truppe herauf, sie schlafen alle. +Der Mond hilft mir schon lange warten. Aber du kannst ja nicht zum Tor +herein, das ist eine unleidliche Tracht. Das ist zu arg für den Spaß, +mach ein Ende! Du rührst dich auch gar nicht, warum sprichst du nicht? +Du machst mir Angst. + +Höre! die Leute sagen, du müßtest sterben, und machen dazu so +ernsthafte Gesichter. Sterben! ich muß lachen über die Gesichter. +Sterben! Was ist das für ein Wort? Sag mir's, Camille. Sterben! Ich +will nachdenken. Da, da ist's. Ich will ihm nachlaufen; komm, süßer +Freund, hilf mir fangen, komm! komm! (Sie läuft weg.) + +Camille (ruft). +Lucile! Lucile! + + + +Fünfte Szene + +Die Conciergerie + +Danton an einem Fenster, was ins nächste Zimmer geht. Camille. +Philippeau. Lacroix. Hérault. + +Danton. +Du bist jetzt ruhig, Fabre. + +Eine Stimme (von innen). +Am Sterben. + +Danton. +Weißt du auch, was wir jetzt machen werden? + +Die Stimme. +Nun? + +Danton. +Was du dein ganzes Leben hindurch gemacht hast - des vers. + +Camille (für sich). +Der Wahnsinn saß hinter ihren Augen. Es sind schon mehr Leute +wahnsinnig geworden, das ist der Lauf der Welt. Was können wir dazu? +Wir waschen unsere Hände -. Es ist auch besser so. + +Danton. +Ich lasse alles in einer schrecklichen Verwirrung. Keiner versteht das +Regieren. Es könnte vielleicht noch gehn, wenn ich Robespierre meine +Huren und Couthon meine Waden hinterließe. + +Lacroix. +Wir hätten die Freiheit zur Hure gemacht! + +Danton. +Was wäre es auch! Die Freiheit und eine Hure sind die +kosmopolitischsten Dinge unter der Sonne. Sie wird sich jetzt +anständig im Ehebett des Advokaten von Arras prostituieren. Aber ich +denke, sie wird die Klytämnestra gegen ihn spielen; ich lasse ihm +keine sechs Monate Frist, ich ziehe ihn mit mir. + +Camille (für sich). +Der Himmel verhelf ihr zu einer behaglichen fixen Idee. Die +allgemeinen fixen Ideen, welche man die gesunde Vernunft tauft, sind +unerträglich langweilig. Der glücklichste Mensch war der, welcher sich +einbilden konnte, daß er Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist sei. + +Lacroix. +Die Esel werden schreien »Es lebe die Republik«, wenn wir vorbeigehen. + +Danton. +Was liegt daran? Die Sündflut der Revolution mag unsere Leichen +absetzen, wo sie will; mit unsern fossilen Knochen wird man noch immer +allen Königen die Schädel einschlagen können. + +Hérault. +Ja, wenn sich gerade ein Simson für unsere Kinnbacken findet. + +Danton. +Sie sind Kainsbrüder. + +Lacroix. +Nichts beweist mehr, daß Robespierre ein Nero ist, als der Umstand, +daß er gegen Camille nie freundlicher war als zwei Tage vor dessen +Verhaftung. Ist es nicht so, Camille? + +Camille. +Meinetwegen, was geht das mich an? - (Für sich:) Was sie an dem +Wahnsinn ein reizendes Kind geboren hat! Warum muß ich jetzt fort? Wir +hätten zusammen mit ihm gelacht, es gewiegt und geküßt. + +Danton. +Wenn einmal die Geschichte ihre Grüfte öffnet, kann der Despotismus +noch immer an dem Duft unsrer Leichen ersticken. + +Hérault. +Wir stanken bei Lebzeiten schon hinlänglich. - Das sind Phrasen für +die Nachwelt, nicht wahr, Danton; uns gehn sie eigentlich nichts +an. + +Camille. +Er zieht ein Gesicht, als solle es versteinern und von der Nachwelt +als Antike ausgegraben werden. Das verlohnt sich auch der Mühe, +Mäulchen zu machen und Rot aufzulegen und mit einem guten Akzent zu +sprechen; wir sollten einmal die Masken abnehmen, wir sähen dann, wie +in einem Zimmer mit Spiegeln, überall nur den einen uralten, +zahnlosen, unverwüstlichen Schafskopf, nichts mehr, nichts weniger. +Die Unterschiede sind so groß nicht, wir alle sind Schurken und Engel, +Dummköpfe und Genies, und zwar das alles in einem: die vier Dinge +finden Platz genug in dem nämlichen Körper, sie sind nicht so breit, +als man sich einbildet. Schlafen, Verdauen, Kinder machen - das +treiben alle; die übrigen Dinge sind nur Variationen aus verschiedenen +Tonarten über das nämliche Thema. Da braucht man sich auf die Zehen zu +stellen und Gesichter zu schneiden, da braucht man sich voreinander zu +genieren! Wir haben uns alle am nämlichen Tische krank gegessen und +haben Leibgrimmen; was haltet ihr euch die Servietten vor das Gesicht? +Schreit nur und greint, wie es euch ankommt! Schneidet nur keine so +tugendhafte und so witzige und so heroische und so geniale Grimassen, +wir kennen uns ja einander, spart euch die Mühe! + +Hérault. +Ja, Camille, wir wollen uns beieinandersetzen und schreien; nichts +dummer, als die Lippen zusammenzupressen, wenn einem was weh tut. - +Griechen und Götter schrien, Römer und Stoiker machten die heroische +Fratze. + +Danton. +Die einen waren so gut Epikureer wie die andern. Sie machten sich ein +ganz behagliches Selbstgefühl zurecht. Es ist nicht so übel, seine +Toga zu drapieren und sich umzusehen, ob man einen langen Schatten +wirft. Was sollen wir uns zerren? Ob wir uns nun Lorbeerblätter, +Rosenkränze oder Weinlaub vor die Scham binden oder das häßliche Ding +offen tragen und es uns von den Hunden lecken lassen? + +Philippeau. +Meine Freunde, man braucht gerade nicht hoch über der Erde zu stehen, +um von all dem wirren Schwanken und Flimmern nichts mehr zu sehen und +die Augen von einigen großen, göttlichen Linien erfüllt zu haben. Es +gibt ein Ohr, für welches das Ineinanderschreien und der Zeter, die +uns betäuben, ein Strom von Harmonien sind. + +Danton. +Aber wir sind die armen Musikanten und unsere Körper die Instrumente. +Sind denn die häßlichen Töne, welche auf ihnen herausgepfuscht werden, +nur da, um höher und höher dringend und endlich leise verhallend wie +ein wollüstiger Hauch in himmlischen Ohren zu sterben? + +Hérault. +Sind wir wie Ferkel, die man für fürstliche Tafeln mit Ruten +totpeitscht, damit ihr Fleisch schmackhafter werde? + +Danton. +Sind wir Kinder, die in den glühenden Molochsarmen dieser Welt +gebraten und mit Lichtstrahlen gekitzelt werden, damit die Götter sich +über ihr Lachen freuen? + +Camille. +Ist denn der Äther mit seinen Goldaugen eine Schüssel mit Goldkarpfen, +die am Tisch der seligen Götter steht, und die seligen Götter lachen +ewig, und die Fische sterben ewig, und die Götter erfreuen sich ewig +am Farbenspiel des Todeskampfes? + +Danton. +Die Welt ist das Chaos. Das Nichts ist der zu gebärende Weltgott. + +(Der Schließer tritt ein.) + +Schließer. +Meine Herren, Sie können abfahren, die Wagen halten vor der Tür. + +Philippeau. +Gute Nacht, meine Freunde! Legen wir ruhig die große Decke über uns, +worunter alle Herzen ausschlagen und alle Augen zufallen. (Sie umarmen +einander.) + +Hérault. (nimmt Camilles Arm). +Freue dich, Camille, wir bekommen eine schöne Nacht. Die Wolken hängen +am stillen Abendhimmel wie ein ausglühender Olymp mit verbleichenden, +versinkenden Göttergestalten. (Sie gehen ab.) + + + +Sechste Szene + +Ein Zimmer + +Julie. +Das Volk lief in den Gassen, jetzt ist alles still. Keinen Augenblick +möchte ich ihn warten lassen. (Sie zieht eine Phiole hervor.) Komm, +liebster Priester, dessen Amen uns zu Bette gehn macht. (Sie tritt ans +Fenster.) Es ist so hübsch, Abschied zu nehmen; ich habe die Türe nur +noch hinter mir zuzuziehen. (Sie trinkt.) + +Man möchte immer so stehn. - Die Sonne ist hinunter; der Erde Züge +waren so scharf in ihrem Licht, doch jetzt ist ihr Gesicht so still +und ernst wie einer Sterbenden. - Wie schön das Abendlicht ihr um +Stirn und Wangen spielt. - Stets bleicher und bleicher wird sie, wie +eine Leiche treibt sie abwärts in der Flut des Äthers. Will denn kein +Arm sie bei den goldnen Locken fassen und aus dem Strom sie ziehen und +sie begraben? + +Ich gehe leise. Ich küsse sie nicht, daß kein Hauch, kein Seufzer sie +aus dem Schlummer wecke. - Schlafe, schlafe! (Sie stirbt.) + + + +Siebente Szene + +Der Revolutionsplatz + +Die Wagen kommen angefahren und halten vor der Guillotine. Männer und +Weiber singen und tanzen die Carmagnole. Die Gefangenen stimmen die +Marseillaise an. + +Ein Weib (mit Kindern). +Platz! Platz! Die Kinder schreien, sie haben Hunger. Ich muß sie +zusehen machen, daß sie still sind. Platz! + +Ein Weib. +He, Danton, du kannst jetzt mit den Würmern Unzucht treiben. + +Eine andere. +Hérault, aus deinen hübschen Haaren laß ich mir eine Perücke machen. + +Hérault. +Ich habe nicht Waldung genug für einen so abgeholzten Venusberg. + +Camille. +Verfluchte Hexen! Ihr werdet noch schreien: »Ihr Berge, fallet auf +uns!« + +Ein Weib. +Der Berg ist auf euch, oder ihr seid ihn vielmehr hinuntergefallen. + +Danton (zu Camille). +Ruhig, mein Junge! Du hast dich heiser geschrien. + +Camille (gibt dem Fuhrmann Geld). +Da, alter Charon, dein Karren ist ein guter Präsentierteller! - Meine +Herren, ich will mich zuerst servieren. Das ist ein klassisches +Gastmahl; wir liegen auf unsern Plätzen und verschütten etwas Blut als +Libation. Adieu, Danton! (Er besteigt das Blutgerüst, die Gefangnen +folgen ihm, einer nach dem andern. Danton steigt zuletzt hinauf.) + +Lacroix (zu dem Volk). +Ihr tötet uns an dem Tage, wo ihr den Verstand verloren habt; ihr +werdet sie an dem töten, wo ihr ihn wiederbekommt. + +Einige Stimmen. +Das war schon einmal da; wie langweilig! + +Lacroix. +Die Tyrannen werden über unsern Gräbern den Hals brechen. + +Hérault (zu Danton). +Er hält seine Leiche für ein Mistbeet der Freiheit. + +Philippeau (auf dem Schafott). +Ich vergebe euch; ich wünsche, eure Todesstunde sei nicht bittrer als +die meinige. + +Hérault. +Dacht' ich's doch! er muß sich noch einmal in den Busen greifen und +den Leuten da unten zeigen, daß er reine Wäsche hat. + +Fabre. +Lebe wohl, Danton! Ich sterbe doppelt. + +Danton. +Adieu, mein Freund! Die Guillotine ist der beste Arzt. + +Hérault (will Danton umarmen). +Ach, Danton, ich bringe nicht einmal einen Spaß mehr heraus. Da ist's +Zeit. (Ein Henker stößt ihn zurück.) + +Danton (zum Henker). +Willst du grausamer sein als der Tod? Kannst du verhindern, daß unsere +Köpfe sich auf dem Boden des Korbes küssen? + + + +Achte Szene + +Eine Straße + +Lucile. +Es ist doch was wie Ernst darin. Ich will einmal nachdenken. Ich fange +an, so was zu begreifen. + +Sterben - Sterben -! - Es darf ja alles leben, alles, die kleine Mücke +da, der Vogel. Warum denn er nicht? Der Strom des Lebens müßte +stocken, wenn nur der eine Tropfen verschüttet würde. Die Erde müßte +eine Wunde bekommen von dem Streich. + +Es regt sich alles, die Uhren gehen, die Glocken schlagen, die Leute +laufen, das Wasser rinnt, und so alles weiter bis da, dahin - nein, es +darf nicht geschehen, nein, ich will mich auf den Boden setzen und +schreien, daß erschrocken alles stehn bleibt, alles stockt, sich +nichts mehr regt. (Sie setzt sich nieder, verhüllt sich die Augen und +stößt einen Schrei aus. Nach einer Pause erhebt sie sich:) Das hilft +nichts, da ist noch alles wie sonst; die Häuser, die Gasse, der Wind +geht, die Wolken ziehen. - Wir müssen's wohl leiden. + +(Einige Weiber kommen die Gasse herunter.) + +Erstes Weib. +Ein hübscher Mann, der Hérault! + +Zweites Weib. +Wie er beim Konstitutionsfest so am Triumphbogen stand, da dacht' ich +so, der muß sich gut auf der Guillotine ausnehmen, dacht' ich. Das war +so 'ne Ahnung. + +Drittes Weib. +Ja, man muß die Leute in allen Verhältnissen sehen; es ist recht gut, +daß das Sterben so öffentlich wird. (Sie geben vorbei.) + +Lucile. +Mein Camille! Wo soll ich dich jetzt suchen? + + + +Neunte Szene + +Der Revolutionsplatz + +Zwei Henker, an der Guillotine beschäftigt. + +Erster Henker (steht auf der Guillotine und singt). + Und wann ich hame geh, + Scheint der Mond so scheh... + +Zweiter Henker. +He, holla! Bist bald fertig? + +Erster Henker. +Gleich, gleich! (Singt:) + + Scheint in meines Ellervaters Fenster - + Kerl, wo bleibst so lang bei de Menscher? + +So! Die Jacke her! (Sie gehn singend ab:) + + Und wann ich hame geh, + Scheint der Mond so scheh... + +Lucile (tritt auf und setzt sich auf die Stufen der Guillotine). +Ich setze mich auf deinen Schoß, du stiller Todesengel. (Sie singt:) + + Es ist ein Schnitter, der heißt Tod, + Hat Gewalt vom höchsten Gott. + +Du liebe Wiege, die du meinen Camille in Schlaf gelullt, ihn unter +deinen Rosen erstickt hast. Du Totenglocke, die du ihn mit deiner +süßen Zunge zu Grabe sangst. (Sie singt:) + + Viel Hunderttausend ungezählt, + Was nur unter die Sichel fällt. + +(Eine Patrouille tritt auf.) + +Ein Bürger. +He, wer da? + +Lucile (sinnend und wie einen Entschluß fassend, plötzlich). +Es lebe der König! + +Bürger. +Im Namen der Republik! (Sie wird von der Wache umringt und +weggeführt.) + + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DANTONS TOD *** + +This file should be named 5072-8.txt or 5072-8.zip + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A +preliminary version may often be posted for suggestion, comment +and editing by those who wish to do so. + +Most people start at our Web sites at: +https://gutenberg.org or +http://promo.net/pg + +These Web sites include award-winning information about Project +Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new +eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!). + + +Those of you who want to download any eBook before announcement +can get to them as follows, and just download by date. 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If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. If your state is not listed and +you would like to know if we have added it since the list you have, +just ask. + +While we cannot solicit donations from people in states where we are +not yet registered, we know of no prohibition against accepting +donations from donors in these states who approach us with an offer to +donate. + +International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about +how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made +deductible, and don't have the staff to handle it even if there are +ways. + +Donations by check or money order may be sent to: + +Project Gutenberg Literary Archive Foundation +PMB 113 +1739 University Ave. +Oxford, MS 38655-4109 + +Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment +method other than by check or money order. + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by +the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN +[Employee Identification Number] 64-622154. Donations are +tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising +requirements for other states are met, additions to this list will be +made and fund-raising will begin in the additional states. + +We need your donations more than ever! + +You can get up to date donation information online at: + +https://www.gutenberg.org/donation.html + + +*** + +If you can't reach Project Gutenberg, +you can always email directly to: + +Michael S. Hart <hart@pobox.com> + +Prof. Hart will answer or forward your message. + +We would prefer to send you information by email. + + +**The Legal Small Print** + + +(Three Pages) + +***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START*** +Why is this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. +They tell us you might sue us if there is something wrong with +your copy of this eBook, even if you got it for free from +someone other than us, and even if what's wrong is not our +fault. 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