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-The Project Gutenberg EBook of Schriften 17: Novellen 1, by Ludwig Tieck
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Schriften 17: Novellen 1
- Die Gemälde / Die Verlobung / Die Reisenden / Musikalische
- Leiden und Freuden
-
-Author: Ludwig Tieck
-
-Release Date: December 17, 2015 [EBook #50707]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 17: NOVELLEN 1 ***
-
-
-
-
-Produced by Delphine Lettau, David Jones, Jens Sadowski,
-and the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
- Novellen
- von
- Ludwig Tieck.
-
- Erster Band.
-
- Die Gemälde.
- Die Verlobung.
- Die Reisenden.
- Musikalische Leiden und Freuden.
-
- Berlin,
- Druck und Verlag von G. Reimer.
- 1844.
-
- Ludwig Tieck's
- Schriften.
-
- Siebzehnter Band.
-
-
-
-
- Novellen.
-
-
- Berlin,
- Druck und Verlag von G. Reimer.
- 1844.
-
-
-
-
- Die Gemälde.
- Novelle.
-
-
-Treten Sie nur indeß hier in den Bildersaal, sagte der Diener, indem er
-den jungen Eduard herein ließ; der alte Herr wird gleich zu Ihnen
-kommen.
-
-Mit schwerem Herzen ging der junge Mann durch die Thüre. Mit wie so
-andern Gefühlen, dachte er bei sich selbst, schritt ich sonst mit meinem
-würdigen Vater durch diese Zimmer! Das ist das erste Mal, daß ich mich
-zu dergleichen hergebe, und es soll auch das letzte seyn. Wahrlich das
-soll es! Und es ist Zeit, daß ich von mir und der Welt anders denke.
-
-Er trat weiter im Saale vor, indem er ein eingehülltes Gemälde an die
-Wand stellte. Wie man nur so unter leblosen Bildern ausdauern kann, und
-einzig in ihnen und für sie da seyn! so setzte er seine stummen
-Betrachtungen fort. Ist es nicht, als wenn diese Enthusiasten in einem
-verzauberten Reiche untergehen? Für sie ist nur die Kunst das Fenster,
-durch welches sie die Natur und die Welt erblicken; sie können beide nur
-erkennen, indem sie sie mit den Nachahmungen derselben vergleichen. Und
-so verträumte doch auch mein Vater seine Jahre; was nicht Bezug auf
-seine Sammlung hatte, war für ihn nicht bedeutender, als wenn es unter
-dem Pole vorfiele. Seltsam, wie jede Begeisterung so leicht dahin führt,
-unser Dasein und alle unsere Gefühle zu beschränken.
-
-Indem erhob er sein Auge, und war fast geblendet oder erschrocken vor
-einem Gemälde, welches in der obern Region des hohen Saales ohne den
-Schmuck eines Rahmens hing. Ein blonder Mädchenkopf mit zierlich
-verwirrten Locken und muthwilligem Lächeln guckte herab, im leichten
-Nachtkleide, die eine Schulter etwas entblößt, die voll und glänzend
-schien; in langen zierlichen Fingern hielt sie eine eben aufgeblühte
-Rose, die sie den glühend rothen Lippen näherte. Nun wahrlich! rief
-Eduard laut, wenn dies Bild von Rubens ist, wie es seyn muß, so hat der
-herrliche Mann in dergleichen Gegenständen alle andern Meister
-übertroffen! Das lebt, das athmet! Wie die frische Rose den noch
-frischeren Lippen entgegen blüht! Wie sanft und zart die Röthe beider in
-einander leuchtet und doch so sicher getrennt ist. Und dieser Glanz der
-vollen Schulter, darüber die Flachshaare in Unordnung gestreut! Wie kann
-der alte Walther sein bestes Stück so hoch hinauf hängen und ohne Rahmen
-lassen, da all das andre Zeug in den kostbarsten Zierden glänzt?
-
-Er erhob wieder den Blick und fing an zu begreifen, welche gewaltige
-Kunst die der Malerei sei, denn das Bild wurde immer lebendiger. Nein,
-diese Augen! sprach er wieder zu sich selbst, ganz im Anschauen
-verloren; wie konnten Pinsel und Farbe dergleichen hervorbringen? Sieht
-man nicht den Busen athmen? die Finger und den runden Arm sich bewegen?
-
-Und so war es auch in der That: denn in diesem Augenblick erhob sich das
-reizende Bild, und warf mit dem Ausdruck schelmischen Muthwillens die
-Rose herab, die dem jungen Mann in's Gesicht flog, trat dann zurück und
-verschloß klirrend das kleine Fenster.
-
-Erschrocken und beschämt nahm Eduard die Rose vom Boden auf. Er
-erinnerte sich nun deutlich des schmalen Ganges, welcher oben neben dem
-Saale weglief und zu den höhern Zimmern des Hauses führte; die übrigen
-kleinen Fenster waren mit Bildern verhangen, nur dieses hatte man, um
-Licht zu gewinnen, in seinem Zustande gelassen, und der Hausherr selbst
-pflegte von dort oft die Gäste zu mustern, die seine Gallerie besuchen
-wollten. Ist es möglich, sagte Eduard, nachdem er sich aller dieser
-Umstände erinnert hatte, daß die kleine Sophie in einem Zeitraume von
-vier Jahren zu einer solchen Schönheit hat erwachsen können? -- Er
-drückte unbewußt und in sonderbarer Zerstreuung die Rose an den Mund,
-stellte sich dann, starr auf den Boden sehend, an die Mauer, und
-bemerkte nicht, daß der alte Walther schon seit einigen Sekunden neben
-ihm stand, bis dieser ihn mit einem freundlichen Schlage auf die
-Schulter aus seiner Träumerei erweckte. Wo waren Sie? junger Mann, sagte
-er scherzend; Sie sind wie einer, der eine Erscheinung gehabt hat.
-
-So ist es mir selbst, sagte Eduard; vergeben Sie, daß ich Ihnen mit
-meinem Besuche lästig falle.
-
-Wir sollten uns nicht so fremd seyn, junger Freund, sagte der Alte
-herzlich; es ist nun schon länger als vier Jahre, daß Sie mein Haus
-nicht betreten haben. Ist es recht, den Freund Ihres Vaters, Ihren
-ehemaligen Vormund, der es gewiß immer gut mit Ihnen meinte, wenn wir
-gleich damals einige Differenzen mit einander hatten, so ganz zu
-vergessen?
-
-Eduard ward roth und wußte nicht gleich, was er antworten sollte. Ich
-glaubte nicht, daß Sie mich vermissen würden, stotterte er endlich. Es
-könnte Vieles, Alles anders gewesen seyn; allein die Irrthümer der
-Jugend --
-
-Lassen wir das, rief der Alte im frohen Muth; was hindert uns, unsre
-ehemalige Bekanntschaft und Freundschaft zu erneuern? Was führt Sie
-jetzt zu mir?
-
-Eduard sah nieder, dann warf er einen eiligen, schnell abgleitenden
-Blick auf den alten Freund, zauderte noch, und ging nun mit zögerndem
-Schritt nach dem Pfeiler, wo das Gemälde stand, das er aus seiner
-Verhüllung nahm. Sehen Sie hier, sagte er, was ich noch unvermuthet in
-der Verlassenschaft meines seligen Vaters gefunden habe, ein Bild, das
-in einem Bücherschranke aufbewahrt war, den ich seit Jahren nicht
-eröffnet hatte; Kenner wollen mir sagen, daß es ein trefflicher Salvator
-Rosa sei.
-
-So ist es, rief der alte Walther mit begeisterten Blicken. Ei, das ist
-ein herrlicher Fund! Ein Glück, daß Sie es so unvermuthet entdeckt
-haben. Ja, mein verstorbener lieber Freund hatte Schätze in seinem
-Hause, und er wußte selber nicht, was er alles besaß.
-
-Er stellte das Bild in das rechte Licht, prüfte es mit leuchtenden
-Augen, ging näher und wieder zurück, begleitete aus der Ferne die Linien
-der Figuren mit einem Kennerfinger und sagte dann: wollen Sie mir es
-ablassen? Nennen Sie mir den Preis, und das Bild ist mein, wenn es nicht
-zu theuer ist.
-
-Indem hatte sich ein Fremder herbei gemacht, der in einer andern Wendung
-des Saales nach einem Julio Romano zeichnete. Ein Salvator? fragte er
-mit etwas schneidendem Tone, den Sie wirklich als einen alten Besitz in
-einer Verlassenschaft gefunden haben?
-
-Allerdings, sagte Eduard, den Fremden mit einem stolzen Blicke musternd,
-dessen schlichter Oberrock und einfaches Wesen etwa einen reisenden
-Künstler vermuthen ließen.
-
-So sind Sie selbst hintergangen, antwortete der Fremde mit einem
-stolzen, rauhen Tone, im Fall Sie nicht hintergehen wollen; denn dieses
-Bild ist augenscheinlich ein ziemlich modernes, vielleicht ist es ganz
-neu, wenigstens gewiß nicht über zehn Jahre alt, eine Nachahmung der
-Manier des Meisters, gut genug, um auf einen Augenblick zu täuschen, das
-sich aber bei näherer Prüfung dem Kenner bald in seiner Blöße zeigt.
-
-Ich muß mich sehr über diese Anmaßung verwundern, rief Eduard aus, ganz
-aus aller Fassung gesetzt. Im Nachlasse meines Vaters befanden sich
-lauter gute Bilder und Originale, denn er und der Herr Walther galten
-immer für die besten Kenner in der Stadt. Und was wollen Sie? Bei unserm
-berühmten Kunsthändler Erich hängt der Pendant zu diesem Salvator, für
-welchen vor einigen Tagen ein Reisender eine sehr große Summe geboten
-hat. Man halte beide zusammen und man wird sehen, daß sie von einem
-Meister sind und zusammen gehören.
-
-So? sagte der Fremde mit lang gedehntem Tone. Sie kennen also oder
-wissen um jenen Salvator auch? Freilich ist er von derselben Hand, wie
-dieser hier, das leidet keinen Zweifel. In dieser Stadt sind die
-Originale dieses Meisters selten, und Herr Erich und Walther besitzen
-keines von ihm; aber ich bin mit dem Pinsel dieses großen Meisters
-vertraut, und gebe Ihnen mein Wort, daß er diese Bilder nicht berührte,
-sondern daß sie von einem Neueren herrühren, der Liebhaber mit ihnen
-hintergehen will.
-
-Ihr Wort? rief Eduard in glühender Röthe; Ihr Wort! Ich sollte denken,
-daß das Meinige hier eben so viel, und noch mehr gölte!
-
-Gewiß nicht, sagte der Unbekannte, und außerdem muß ich noch bedauern,
-daß Sie sich so von Ihrer Hitze übereilen und verrathen lassen. Sie
-wissen also um die Fabrikation dieses Machwerks, und kennen den nicht
-ungeschickten Nachahmer?
-
-Nein! rief Eduard noch heftiger; Sie sollen mir diese Beschimpfung
-beweisen, mein Herr! Diese Anmaßungen, diese Unwahrheiten, die Sie so
-dreist herausstoßen, kündigen einen mehr als gehässigen Charakter an.
-
-Der Geheimerath Walther war in der größten Verlegenheit, daß diese Scene
-in seinem Hause vorfallen mußte. Er stand prüfend vor dem Bilde, und
-hatte sich schon überzeugt, daß es eine moderne, aber treffliche
-Nachahmung des berühmten Meisters sei, die wohl auch ein erfahrenes Auge
-hintergehen konnte. Ihn schmerzte es innig, daß der junge Eduard in
-diesen bösen Handel verwickelt war; die beiden Streitenden aber waren so
-heftig erzürnt, daß jede Vermittlung unmöglich wurde.
-
-Was Sie da sprechen, mein Herr! rief der Fremde jetzt auch in erhöhtem
-Tone, Sie sind unter meinem Zorn, und ich bin erfreut, daß ein Zufall
-mich in diese Gallerie geführt hat, um zu verhüten, daß ein würdiger
-Mann und Sammler hintergangen wurde.
-
-Eduard schäumte vor Wuth. So ist es nicht gemeint gewesen, sagte
-begütigend der Alte.
-
-Wohl war das die Meinung, fuhr der Fremde fort; es ist ein altes
-wiederholtes Spiel, bei dem man es nicht einmal der Mühe werth gefunden
-hat, eine neue Erfindung anzubringen. Ich sah in der Kunsthandlung jenen
-sogenannten Salvator Rosa; der Eigenthümer hielt ihn für ächt, und wurde
-noch mehr darin bestärkt, als ein Reisender, der, der Kleidung nach, ein
-sehr vornehmer Mann seyn konnte, einen hohen Preis für das Bildchen bot;
-er wollte bei der Rückkehr wieder zusprechen, und bat sich vom
-Kunsthändler aus, daß dieser das Gemälde wenigstens vier Wochen nicht
-aus den Händen geben sollte. -- Und wer war dieser vornehme Herr? der
-weggejagte Kammerdiener des Grafen Alten aus Wien. So ist es klar, daß
-das Spiel, von wem es auch herrühre, auf Sie, Herr Walther, und Ihren
-Freund Erich abgekartet war.
-
-Eduard hatte indessen mit zitternden Händen sein Bild schon wieder
-eingewickelt; er knirschte mit den Zähnen, stampfte mit dem Fuße und
-schrie: der Teufel soll mir diesen Streich bezahlen! So stürzte er zur
-Thüre hinaus, und bemerkte nicht, daß das Mädchen wieder von oben in den
-Saal herabschaute, die durch das Geschrei der Streiter herbei gezogen
-worden war.
-
-Mein werther Herr, so wandte sich jetzt der Alte zu dem Unbekannten, Sie
-haben mir weh gethan; Sie sind zu rasch mit dem jungen Manne verfahren;
-er ist leichtsinnig und ausschweifend, aber ich habe bis jetzt noch
-keinen schlechten Streich von ihm gehört.
-
-Einer muß immer der erste seyn, sagte der Fremde mit kalter Bitterkeit;
-er hat wenigstens heute Lehrgeld gegeben, und kehrt entweder um, oder
-lernt so viel, daß man seine Sachen klüger anfangen, und auf keinen Fall
-die Fassung verlieren muß.
-
-Er ist gewiß selbst hintergangen, sagte der alte Walther, oder er hat
-wirklich das Bild, wie er sagt, gefunden, und sein Vater, der ein großer
-Kenner war, hat es schon deswegen, weil es nicht ächt ist, bei Seite
-geschafft.
-
-Sie wollen es zum Besten kehren, alter Herr, sagte der Fremde; aber in
-diesem Falle wäre der junge Mensch nicht so unanständig heftig geworden.
-Wer ist er denn eigentlich?
-
-Sein Vater, erzählte der Alte, war ein reicher Mann, der ein großes
-Vermögen hinterließ; er hatte eine so starke Leidenschaft für die Kunst,
-wie gewiß nur wenige Menschen ihrer fähig sind. Auf diese verwandte er
-einen großen Theil seines Vermögens, und seine Sammlung war
-unvergleichlich zu nennen. Darüber aber versäumte er wohl etwas zu sehr
-die Erziehung dieses seines einzigen Sohnes; so wie daher der Alte
-starb, war der junge Mensch nur darauf bedacht, Geld auszugeben, mit
-Schmarotzern und schlechtem Volke Umgang zu haben, sich Mädchen und
-Equipagen zu halten. Als er majorenn wurde, waren ungeheure Schulden bei
-Wucherern und Wechsel zu bezahlen, aber er setzte seinen Stolz darein,
-nun noch mehr zu verschwenden; die Kunstwerke wurden verkauft, da er
-keinen Sinn für diese hat; ich nahm sie für billige Preise. Jetzt hat er
-wohl, außer dem schönen Hause, so ziemlich Alles durchgebracht, und auch
-auf diesem mögen Schulden lasten; Kenntnisse hat er sich schwerlich
-erworben, Beschäftigung ist ihm unleidlich, und so muß man mit Bedauern
-sehen, wie er seinem Untergange entgegen geht.
-
-Die alltägliche Geschichte von so Vielen, bemerkte der Unbekannte, und
-der gewöhnliche Weg unwürdiger Eitelkeit, der die Menschen lustig in die
-Arme der Verachtung führt.
-
-Wie haben Sie sich nur dieses sichre Auge erwerben können? fragte der
-Rath; auch erstaune ich über die Art, mit der Sie dem Julio
-nachzeichnen, da Sie doch kein Künstler sind, wie Sie sagen.
-
-Aber ich studire seit lange die Kunst, antwortete der Fremde; ich habe
-die wichtigsten Gallerieen in Europa fleißig und nicht ohne Nutzen
-gesehen, mein Blick ist von Natur scharf und richtig, und noch durch
-Uebung gebildet und sicher gemacht, so daß ich mir schmeicheln darf,
-wohl nicht so leicht, am wenigsten über meine Lieblinge zu irren.
-
-Der Fremde empfahl sich jetzt, nachdem er dem Sammler hatte versprechen
-müssen, am folgenden Mittage bei ihm zu essen, denn der Alte hatte vor
-den Kenntnissen des Reisenden große Achtung gewonnen.
-
- * * * * *
-
-Mit unbeschreiblichem Zorne ging Eduard nach Hause. Er trat wüthend ein,
-warf alle Thüren heftig hinter sich zu, und eilte durch die großen
-Gemächer nach einem kleinen Hinterstübchen, wo in der Dämmerung der alte
-Eulenböck bei einem Glase starken Weines seiner wartete. Hier! schrie
-Eduard, du alter, schiefnasiger, weinverbrannter Halunke, ist Deine
-Schmiererei wieder; verkauf sie an den Seifensieder drüben, der sie in
-die Lichte gießen kann, wenn ihm die Malerei nicht ansteht.
-
-Wäre Schade, sagte der alte Maler, um das gute Bildchen, indem er sich
-mit der größten Kaltblütigkeit ein neues Glas einschenkte. Hast Dich
-erhitzt, Freundchen; und der Alte hat von dem Kauf nichts wissen wollen?
-
-Schelm! schrie Eduard, indem er das Bild heftig hinwarf; und um
-Deinetwillen bin ich auch zum Schelm geworden! Beschimpft, gekränkt! O
-und wie beschämt vor mir selber, glühend Kopf und Hals hinunter, daß ich
-mir aus Liebe zu Dir solche Lüge erlaubte.
-
-Ist keine Lüge, liebes Männchen, sagte der Maler, indem er das Bild
-auswickelte, ist ein so veritabler Salvator Rosa, wie ich nur noch je
-einen gemalt habe. Hast mich ja nicht daran arbeiten sehen, und kannst
-also nicht wissen, von wem das Bild herrührt. Du hast kein Geschick,
-mein Hänschen; ich hätte Dir die Sache nicht anvertrauen sollen.
-
-Ich will ehrlich seyn, rief Eduard, und schlug mit der Faust auf den
-Tisch; ich will ein ordentlicher Mensch werden, daß Andre und ich selber
-wieder Achtung vor mir haben! Ganz anders will ich werden, einen neuen
-Lebenswandel will ich anfangen!
-
-Warum Dich erboßen? sagte der Alte und trank. Ich will Dich nicht
-hindern; mich wird's freuen, wenn ich das erlebe. Ich habe ja immer an
-Dir ermahnt und Dir vorgepredigt; ich habe Dich auch an Beschäftigung zu
-gewöhnen gesucht, ich habe Dir das Restauriren lehren wollen, Firnisse
-bereiten, Farben reiben, in Summa, ich habe es an nichts bei Dir fehlen
-lassen.
-
-Hund von Kerl! rief Eduard, Dein Junge, Dein Farbenreiber sollt' ich
-werden? Aber freilich, ich bin ja heute noch tiefer gesunken, da ich
-mich zum Spitzbuben eines Spitzbuben habe gebrauchen lassen.
-
-Was das Kind für ehrenrührige Ausdrücke braucht, sagte der Maler und
-schmunzelte in sein Glas hinein; wenn ich mir so was zu Herzen nähme, so
-hätten wir die Schlägerei oder bittre Feindschaft hier zur Stelle. Er
-meint es aber gut in seinem Eifer; der Junge hat was Nobles in seinem
-ganzen Wesen, allein zum Bilderhändler taugt er freilich nicht.
-
-Eduard legte sich mit dem Kopf auf den Tisch, und der Maler wischte
-schnell einen Weinfleck ab, damit der Jüngling nicht mit dem Aermel
-hineinfahre. Der gute liebe Salvator, sagte er dann bedächtig, soll auch
-nicht das beste Leben geführt haben; sie geben ihm gar Schuld, er sei
-Bandit gewesen. Als Rembrandt sich bei lebendigem Leibe für todt ausgab,
-um den Preis seiner Werke zu erhöhen, war er auch nicht ganz der
-Wahrheit treu geblieben, ob er gleich wirklich einige Jahre später
-starb, und sich also nur in der Jahreszahl etwas verrechnet hatte. So,
-wenn ich nun solch Bildchen in aller Liebe und Demuth male, mich in den
-alten Meister und alle seine lieben Eigenheiten recht sanftselig und
-saumthunlich hineindenke, daß mir immer ist, als führte des Verstorbnen
-Seelchen mir Hand und Pinsel; und das Ding ist dann fertig, und nickt
-mir mit rechter Herzlichkeit seinen Dank zu, daß ich auch was vom alten
-Virtuosen geliefert habe, der doch nicht Alles hat machen und nicht ewig
-hat leben können, und ich mich nun, vollends nach einem Glase Wein,
-indem ich es mit tieferer Prüfung beschaue, rechtgläubig überzeuge, daß
-es vom alten Herrn wirklich herrührt, und ich übergebe es so einem
-andern Liebhaber des Seligen, und verlange nur ein Billiges für die
-Mühe, daß ich mir die Hand habe führen, mein eignes Ingenium derzeit
-unterdrücken lassen, an der Verringerung meines eignen Künstlernamens zu
-arbeiten, -- ist denn das so himmelschreiende Sünde, Freundchen, wenn
-ich mich selbst auf solche kindliche Weise aufopfre?
-
-Er hob den Kopf des Liegenden auf, verwandelte aber seine grinsende
-Freundlichkeit in eben so verzerrten Ernst, als er die Wangen des
-Jünglings voll Thränen sah, die in einem heißen Strome unaufhaltsam aus
-den Augen stürzten. O meine verlorne Jugend! schluchzte Eduard: o ihr
-goldnen Tage, ihr Wochen und Jahre! wie seid ihr doch so sündlich
-verschleudert worden, als läge nicht in euern Stunden der Keim der
-Tugend, der Ehre und des Glücks; als sei dieser köstlichste Schatz der
-Zeit jemals wieder zu gewinnen. Wie ein Glas abgestandenes Wasser hab'
-ich mein Leben und den Inhalt meines Herzens ausgegossen. Ach! welch
-Dasein hätte mir aufgehen können, welch Glück mir und Andern, wenn ein
-böser Geist nicht meine Augen verblendete. Segensbäume wuchsen und
-schatteten um mich und über mir, in denen der Freund, die Gattin und die
-Bedrängten Hülfe, Trost, Heimath und Frieden fanden; und ich habe die
-Axt im schwindelnden Uebermuth an diesen Hain gelegt, und muß nun Frost,
-Sturm und Hitze dulden!
-
-Eulenböck wußte nicht, welch Gesicht er machen, noch weniger, was er
-sagen sollte, denn in dieser Stimmung, mit solchen Gesinnungen hatte er
-seinen jungen Freund noch niemals gesehen; er war endlich nur froh und
-beruhigt, daß dieser ihn nicht bemerkte, so daß er in behaglicher
-Heimlichkeit seinen Wein ausleerte.
-
-Tugendhaft also willst Du werden, mein Sohn? fing er endlich an. Auch
-gut. Wahrlich! wenige Menschen sind für die Tugend so portirt, als ich
-selber, denn es gehört schon ein scharfer Blick dazu, um nur zu wissen,
-was Tugend ist. Knausern, den Leuten abzwacken, sich und unserm Herrgott
-etwas vorlügen, ist gewiß keine. Wer aber das rechte Talent dazu hat,
-der findet's auch. Wenn ich einem verständigen Mann zu einem guten
-Salvator oder Julio Romano von meiner Hand verhelfe, und er freut sich
-dann, so habe ich immer noch besser gehandelt, als wenn ich einem Pinsel
-einen ächten Rafael verkaufe, den der Gimpel nicht zu schätzen weiß, so
-daß ihm im Grunde seines Herzens ein geschniegelter Van der Werft mehr
-Freude machen würde. Meinen großen Julio Romano muß ich nun wohl in
-eigner Person verkaufen, da Du zu dergleichen weder Gaben noch Glück
-hast.
-
-Diese armseligen Sophistereien, sagte Eduard, können auf mich nicht mehr
-wirken; diese Zeit ist vorüber, und Du magst Dich nur in Acht nehmen,
-daß sie Dich nicht ertappen; denn mit Laien mag es Dir wohl gelingen,
-aber nicht mit Kennern, wie der alte Walther einer ist.
-
-Laß gut seyn, mein Kindchen, sagte der alte Maler, die Kenner sind
-gerade am besten zu betrügen, und mit einem Unerfahrnen möcht' ich gar
-nicht einmal anfangen. O dieser gute, alte, liebe Walther, dies feine
-Männchen! Hast Du nicht den schönen Höllenbreughel gesehen, der am
-dritten Pfeiler zwischen der Skizze von Rubens und dem Portrait von Van
-Dyk hängt? Der ist von mir. Ich kam zu dem Männchen mit dem Gemälde:
-Wollen Sie nicht etwas Schönes kaufen? »Was! rief er; solche Fratzen,
-Tollheiten? Das ist nicht meine Sache; zeigen Sie doch. Nun, ich nehme
-sonst dergleichen Unsinn bei mir nicht auf, indessen weil in diesem
-Bilde doch etwas mehr Anmuth und Zeichnung ist, als man sonst bei diesen
-Phantasien trifft, so will ich mit ihm einmal eine Ausnahme machen.« In
-Summa, er hat's behalten, und zeigt's den Leuten, um seinen vielseitigen
-Geschmack zu beurkunden.
-
-Eduard sagte: aber willst Du denn nicht auch noch ein rechtlicher Mann
-werden? Es ist doch die höchste Zeit.
-
-Mein junger Bekehrer, rief der Alte, ich bin es längst; Du verstehst das
-Ding nicht, auch bist Du mit Deinem heißen Anlauf noch nicht durch.
-Stehst Du am Ziel, und bist glücklich allen Klippen, Halseisen,
-Leuchtpfählen vorüber, dann winke mir nur dreist, und ich steure Dir
-vielleicht nach. Bis dahin laß mich ungeschoren.
-
-So trennt sich also unsre Laufbahn, sagte Eduard, indem er ihn wieder
-freundlich anblickte; ich habe viel versäumt, aber doch noch nicht
-Alles, mir bleibt noch etwas von meinem Vermögen, mein Haus. Hier will
-ich mich einfach einrichten, und beim Prinzen, der binnen Kurzem hier
-ankommen wird, eine Stelle als Secretair oder Bibliothekar suchen,
-vielleicht reise ich mit ihm; vielleicht, daß anderswo ein Glück --
-oder, wenn das nicht, so beschränke ich mich hier, und suche Arbeit und
-Beschäftigung in meiner Vaterstadt.
-
-Und wann soll das Tugendleben losgehen? fragte der Alte mit grinsendem
-Lachen.
-
-Gleich, sagte der Jüngling, morgen, heut, diese Stunde!
-
-Narrenspossen! sagte der Maler und schüttelte den greisen Kopf; zu allen
-guten Dingen muß man sich Zeit lassen, sich vorbereiten, einen Anlauf
-nehmen, die alte Periode mit einer Feierlichkeit beschließen und die
-neue eben so beginnen. Das war eine herrliche Sitte, daß in manchen
-Gegenden unsere Vorfahren das Carneval mit rechter ächter
-Ausgelassenheit zu Grabe trugen, daß sie zuletzt noch einmal recht toll
-aufjubelten und sich in der Lust übernahmen, um nachher ungestört und
-ganz ohne Gewissensskrupel fromm seyn zu können. Laß uns der
-verehrlichen Sitte nachfolgen; Brüderchen, sieh, ich bin Dir so gut,
-gieb uns und Deinen Launen noch einmal so einen rechten ausgesuchten
-Weinschmaus, so einen hohen Valet- und Abschied-Hymnus, daß wir,
-besonders ich, Deiner gedenken; laß uns beim besten Wein bis in die
-tiefe Nacht hinein jubeln, dann gehst Du rechts ab zur Tugend und
-Mäßigkeit, und wir andern bleiben links, wo wir sind.
-
-Schlemmer! sagte Eduard lächelnd: wenn Du nur einen Vorwand findest,
-Dich zu betrinken, so ist Dir Alles recht. Es sei also am heiligen
-Dreikönigs-Abend.
-
-Da ist ja noch vier Tage hin, seufzte der Alte, indem er den letzten
-Rest ausschlürfte, und sich dann schweigend entfernte.
-
- * * * * *
-
-Wir werden heut eine kleine Tischgesellschaft haben, sagte der Rath
-Walther zu seiner Tochter.
-
-So? fragte Sophie. Und wird der junge Eduard auch herkommen?
-
-Nein, antwortete der Vater. Wie fällst Du auf diesen?
-
-Ich dachte nur, sagte Sophie, daß Sie ihm vielleicht durch eine
-Einladung die unangenehme Scene etwas vergüten wollten, die er ohne
-Ihren Willen in Ihrem Hause hat erleiden müssen.
-
-Heute würde es am wenigsten passen, erwiederte der Alte, da gerade der
-Mann mit uns speisen wird, von dem der junge Mensch beleidigt ward.
-
-So? der? sagte das Mädchen mit gedehntem Tone.
-
-Es scheint, der fremde Mann ist Dir unangenehm.
-
-Recht sehr, rief Sophie; denn erstlich, kann ich es von Niemand leiden,
-wenn man nicht genau weiß, wer er ist; solch Incognito ist in der Fremde
-allerliebst, um für etwas Besonderes zu gelten, wenn hinter dem Menschen
-gerade gar nichts steckt, und so ist es gewiß mit diesem Unbekannten,
-der ganz das Wesen eines vacirenden Hofmeisters oder Secretairs hat, der
-sich gestern in Ihrer Gallerie ein Ansehen gab, als wenn er der oberste
-Direktor aller Heiden-Bekehrungsanstalten wäre.
-
-Du sagtest: erstens! fragte der Vater lächelnd: nun also zweitens?
-
-Zweitens ist er fatal, sagte sie lachend, und drittens ist er
-unausstehlich, und viertens hasse ich ihn wahrhaft.
-
-Das ist freilich erstens und letztens bei euch, sagte der Alte.
-Uebrigens erscheint noch mein Freund Erich und der junge Maler Dietrich,
-so wie der wunderliche Eulenböck.
-
-Da haben wir ja alle Zeitalter beisammen, rief Sophie aus, alle Arten
-von Geschmack und Gesinnung! Kommt nicht etwa auch noch der junge Herr
-von Eisenschlicht, um mir das Leben recht sauer zu machen?
-
-Der Vater hob den Finger drohend auf, sie ließ sich aber nicht irren,
-sondern fuhr schnell und unwillig fort: es ist ja wahr, daß ich in
-dieser Gesellschaft meines Lebens niemals froh werde; das schwatzt, und
-guckt, und ist artig, und lügt, und wird unausstehlich durch einander,
-daß ich statt solcher Mahlzeiten lieber drei Tage hungern möchte. Solche
-verliebte Leute sind mir so zuwider, wie unreife Johannisbeeren! jedes
-Wort von ihnen schmeckt mir noch sauer nach acht Tagen, und verdirbt mir
-auch die Zunge für alle bessere Früchte. Der alte krummnasige, kupfrige
-Sünder ist mir noch von allen der liebste, denn er denkt doch nicht
-daran, mich wie ein Möbel in seine Stuben hinzustellen.
-
-Diese Art und Weise, sagte der Vater, ist mir an Dir selbst leid, ja
-recht verdrüßlich, weil ich bei Deinem starren Eigensinn noch gar nicht
-absehen kann, wie Du Dich je ändern möchtest. Du weißt nun, wie ich über
-die Ehe und die sogenannte Liebe denke, wie sehr Du mich glücklich
-machen würdest, wenn Du Deinen Willen brechen wolltest --
-
-Ich muß nach der Küche sehen, rief sie plötzlich: ich muß Ihnen heute
-Ehre machen; vergessen Sie nur nicht die guten Weine, damit der
-röthliche Eulenböck nicht Ihren Keller in schlechten Ruf bringt. So lief
-sie hinaus, ohne eine Antwort abzuwarten.
-
-Der Alte ging an seine Geschäfte, indessen die Tochter Küche und Tisch
-besorgte. Sie hatte jenes Gespräch so plötzlich abgebrochen, weil es der
-Wunsch des Vaters, den sie nur gar zu gut kannte, war, sie mit seinem
-Freunde Erich zu verheirathen, der zwar nicht mehr jung, indessen auch
-noch nicht so sehr in Jahren vorgerückt war, daß ein solcher Plan
-lächerlich gewesen wäre. Erich hatte bei seinem Handel ein ansehnliches
-Vermögen erworben; in diesem Augenblicke besaß er eine Sammlung ganz
-vorzüglicher Bilder aus den italienischen Schulen, und Walther hatte den
-Gedanken, daß, falls seine Tochter sich noch zu dieser Heirath bereden
-ließe, Erich alsdann seinen Handel einstellen, und diese vorzüglichen
-Gemälde seiner Gallerie einverleiben solle, damit der Schwiegersohn
-diese dann nach seinem Tode als eine recht ausgezeichnete besäße und
-erhielte. Denn es war ihm fürchterlich, sich diese treffliche Sammlung
-einst wieder zerstreut zu denken, vielleicht gar unter dem Preise
-verkauft und an Menschen vergeudet, bei denen die Bilder durch
-Unverstand zu Grunde gehen könnten. Seine Leidenschaft für Malerei war
-so groß, daß er auf jeden Fall seines Freundes Bilder für eine sehr
-große Summe gekauft haben würde, wenn ihn nicht der Erwerb eines
-ansehnlichen Gutes und großen Gartens, die er seiner Tochter zurück
-lassen wollte, gehindert und ihm jetzt jede Auslage, vorzüglich aber
-eine so bedeutende, unmöglich gemacht hätten. Indem er seine Briefe
-schrieb, zerstreuten ihn diese Gedanken unaufhörlich. Er gedachte dann
-des jungen Malers Dietrich, eines hübschen blonden Jünglings; und ob ihm
-gleich dessen Art, die Kunst auszuüben, so wenig wie die, sich zu
-kleiden, recht war, so hätte er doch auch diesen gern als Schwiegersohn
-umarmt, weil er überzeugt seyn konnte, daß der junge Mensch für sein
-Kunstvermächtniß die höchste Ehrerbietung hegen würde. Der alte Maler
-Eulenböck konnte ihm für seine Plane nie in die Gedanken kommen; aber
-seit gestern hatte er den fremden Kunstkenner mit väterlichem Auge
-gemustert, und die schnippische Antwort der Tochter, mit der sie sich
-über diesen geäußert hatte, war ihm daher um so empfindlicher. Er mochte
-es sich nicht gestehen, aber er dachte, wenn er in die Zukunft schaute,
-weit mehr an das Heil seiner Sammlung, als an das Glück seines Kindes.
-Selbst der junge Herr von Eisenschlicht, der Sohn eines Wucherers, wäre
-ihm zum Eidam erwünscht gewesen, weil der junge Mensch auf Reisen sich
-ziemlich gebildet hatte; und da dieser zugleich die Neigungen seines
-Vaters besaß, so ließ sich wohl erwarten, daß er aus jeder Rücksicht
-eine so kostbare Sammlung in Ehren halten würde.
-
-So war der Vormittag verstrichen, und die Gäste fanden sich nach und
-nach ein. Zuerst der jüngste, Dietrich, im sogenannten altdeutschen
-Rocke, die weißlichen Haare auf den Schultern hängend, und mit einem
-blonden Bärtchen, der sein rosenrothes durchsichtiges Antlitz nicht
-entstellte. Er erkundigte sich sogleich angelegentlich nach der Tochter,
-und diese erschien, geschmückt, in einem grünseidenen Kleide, das den
-Glanz ihres Gesichts und Nackens wunderbar erhob. Der Jüngling begann
-sogleich eben so verlegen als zudringlich ein Gespräch mit Sophien, das
-um so trockner wurde, um so mehr er es überschwenglich zu machen suchte.
-Gestört und getröstet wurden beide durch das Erscheinen des alten
-Eulenböck, der mit seinem braunrothen Gesicht wunderlich aus einer
-hellgrünen Weste und weißlichem Frack heraus schien, da er es, wie viele
-ausgemacht häßliche Menschen, liebte, sich in auffallende Farben zu
-kleiden. Die jungen Leute konnten kaum das Lachen unterdrücken, als sie
-ihn sich linkisch hereindrehen, grimassirend grüßen und mit falscher
-Artigkeit stolpern sahen, wobei sich sein schiefes Gesicht, die kleinen
-grellen Augen und die seitwärts gedrehte Nase noch wunderlicher
-ausnahmen. Der Fremde ließ lange auf sich warten, und Sophie spöttelte
-wieder über die Anmaßung, den vornehmen Mann zu spielen, bis er endlich,
-schlicht gekleidet, erschien und es der Gesellschaft möglich machte,
-sich in das Speisezimmer zu begeben, in welchem sie Erich schon fanden,
-der dort ein Gemälde befestigt hatte, welches der Fremde und die Maler
-in Augenschein nehmen sollten.
-
-Sophie saß zwischen Erich und dem Unbekannten, obgleich Dietrich einen
-vergeblichen Versuch gemacht hatte, sich an ihre Seite einzuschieben.
-Eulenböck, der alles bemerkte, und der am liebsten seine Bosheit in das
-Gewand der Gutmüthigkeit hüllte, drückte dem jungen Menschen die Hand
-und dankte ihm wie gerührt, daß er so lange herum gekreuzt sei, um nur
-neben einem alten Manne zu sitzen, der zwar auch die Kunst liebe und
-ausübe, indessen freilich mit seinen abnehmenden Kräften dem Fluge der
-neuern Schule nicht mehr nachstreben könne, an deren Enthusiasmus er
-aber doch sein altes Feuer wieder anzünde und seine schon kalten
-Lebensgeister erwärme. Dietrich, der noch jung genug war, um alles dies
-für Ernst zu halten, wußte nicht Dankbarkeit genug auszudrücken, noch
-hinlängliche Bescheidenheit aufzutreiben, um diese Demuth aufzuwägen.
-Der alte Schelm freute sich, daß ihm seine Verstellung gelang, und
-machte den gutmüthigen Jüngling immer treuherziger, der in diesem alten
-Knaben schon einen Schüler von sich zu sehen wähnte, und dabei im
-Stillen berechnete, wie er dessen practische Kenntnisse zu höhern
-Zwecken brauchen wolle, ohne daß der Alte merken müsse, wie der neue
-Lehrer wieder zugleich sein Schüler sei.
-
-Indessen diese beiden sich so zu täuschen suchten, war das Gespräch des
-Fremden und des Wirthes zum Theil zufällig, und von der andern Seite
-klug gelenkt, auf die Ehe gefallen; denn der alte Walther ließ nicht
-leicht eine Gelegenheit vorübergehen, seine Gedanken über diesen
-Gegenstand auszusprechen. Ich habe niemals, sagte er, mit den Ansichten
-übereinstimmen können, die nun etwa seit funfzig Jahren zur allgemeinen
-Mode geworden sind. Ich nenne sie Mode, weil ich mich nie, obgleich ich
-auch jung gewesen bin, habe überzeugen können, daß sie in der Natur
-gegründet sind. Kann man läugnen, daß einzelne Menschen zu gewissen
-Zeiten leidenschaftlichen Stimmungen und Verirrungen ausgesetzt gewesen?
-Nur zu häufig haben wir die bösen Folgen des Zornes, der Trunkenheit,
-der Eifersucht und Wuth wahrnehmen müssen. Eben so ist auch nicht zu
-läugnen, daß vielfaches Unheil und seltsame Begebenheiten aus jenen
-gesteigerten Empfindungen, die man Liebe nennt, hervorgegangen sind. Es
-ist nur die Rede von jener Verkehrtheit, daß der Mensch zwar alle andere
-Verwirrungen vermeidet, und sich der Ueberraschung der Leidenschaften zu
-entwöhnen sucht, Alle aber sich seit einer gewissen Zeit damit brüsten,
-ja es für nothwendig zum Leben halten, die Liebe und ihre wilden
-Zustände und leidenschaftlichen Verwirrungen erlebt zu haben.
-
-Der Unbekannte sah den Wirth ernsthaft an und nickte ihm zu, worauf der
-Alte mit erhöhter Stimme fortfuhr:
-
-Möchte man am Ende auch einer gewissen Billigkeit nachgeben, und diese
-Zustände der sogenannten Liebenden, in denen, wie sie uns erzählen, die
-ganze Welt ihnen im schönern Lichte erscheint, und in welchen sie sich
-aller ihrer Seelenkräfte erhöht und vielfacher bewußt werden (obgleich
-sie in jenem Schlummerwachen in der Regel träge, und zu keiner Arbeit zu
-bringen sind), natürlich finden: was thut, frag' ich nun, alles dies,
-auch noch so glücklich sich wendend, um eine vernünftige und gute Ehe zu
-schließen? Ich würde nie meine Einwilligung geben, wenn ich das Unglück
-hätte, an meiner Tochter einmal diese Verstandesverwirrung zu bemerken.
-
-Sophie lächelte; der junge Dietrich sah sie erröthend an, und Eulenböck
-trank mit großem Wohlbehagen, indeß der Fremde den Alten mit Ernst
-anhörte, der, seiner Sache gewiß, um so eifriger fortfuhr: Nein, wohl
-dem Manne, der, mit dieser verkehrenden Leidenschaft völlig unbekannt,
-den vernünftigen Entschluß faßt, sich in den Stand der Ehe zu begeben,
-und Heil dem Mädchen, das züchtig den Gemahl findet, ohne jene Scenen
-des Wahnsinns je mit ihm gespielt zu haben, denn alsdann findet sich
-jene Zufriedenheit, jene Ruhe und jener Segen, der unsern Vorfahren
-nicht unbekannt war, und den die heutige Welt nicht mehr achten will. In
-diesen Ehen, welche nach vernünftiger Ueberlegung, in Demuth und stiller
-Ergebenheit geschlossen wurden, fanden die Menschen damals im wachsenden
-Vertrauen, in zunehmender Zärtlichkeit und im gegenseitigen Ertragen der
-Schwächen ein Glück, welches dem jetzigen hochfahrenden Geschlechte zu
-geringe erscheint, und das auch darum nur Elend und Noth,
-Unzufriedenheit und Mißverständniß, Zwietracht und Verachtung im Garten
-seines Lebens baut. Früh schon an den Rausch der Leidenschaft gewöhnt,
-suchen sie auch diesen in der Ehe, und verachten die Nothwendigkeit des
-alltäglichen Lebens, erneuern dann rechts und links in mannigfaltigen
-und immer geringeren Abwechselungen die Kunststücke ihres
-Liebeshandwerks, und gehen so in Schlechtigkeit und Selbstbetrug unter.
-
-Sehr bitter, aber wahr, sagte der Unbekannte mit nachdenklicher Miene.
-
-Es ist wie mit allen Bitterkeiten, flüsterte Sophie ihrem Nachbar zu,
-sie fallen zu schwer auf die Zunge; man kann nicht recht unterscheiden,
-ob es schmeckt, oder nur allen Geschmack betäubt; dergleichen ist
-natürlich für den wahr, der Liebhaber davon ist.
-
-Eulenböck, der diesen Ausspruch auch gehört hatte, lachte, und der
-Vater, der die Sache nur halb verstanden, wandte sich mit Heiterkeit zu
-seinem fremden Gaste: wir sind also darüber einig, daß nur die
-sogenannten Conventionsheirathen glücklich seyn können; ich werde auch
-niemals Anstand nehmen, meine einzige und nicht unbegabte oder arme
-Tochter einem Manne zu geben, sei er, von welchem Stande er wolle,
-dessen Charakter mir werth ist, und dessen Kenntnisse ich, vorzüglich in
-der Kunst, achten muß, damit auch meine Enkel noch die Früchte meines
-Fleißes ärnten, und nicht in alle Winde und in die Häuser der
-Unwissenden das verstreut werde, was Liebe, Aufopferung, Studium und
-unermüdeter Fleiß in dieser Wohnung versammelt haben.
-
-Er sah den Fremden mit gefälligem Lächeln an; doch dieser, der bis jetzt
-ihm freundlich erwiedert hatte, machte eine fast finstere Miene und
-sagte nach einer kleinen Pause: die Sammlungen von Privatpersonen können
-niemals lange bestehen; wer die Kunst liebt, sollte, falls er gesammelt
-hat, seine Schätze um ein Billiges Fürsten verkaufen, oder sie größern
-Gallerieen durch Testament einverleiben. Darum kann ich auch den Plan
-mit Ihrer Tochter nicht billigen, wenn ich auch mit Ihren Ansichten von
-der Ehe einverstanden bin. Und überhaupt ist es in Ansehung jeder
-Heirath eine mißliche Sache. Wenn ich nicht versprochen wäre und tausend
-dringende Ursachen mich zwängen, mein Wort nicht zu brechen, so würde
-ich meiner Neigung nach immer unverheirathet bleiben.
-
-Der Alte wurde roth und sah vor sich nieder, dann fing er mit seinem
-Nachbar, nicht ohne Verlegenheit, ein anderes Gespräch an. Die neuliche
-Auction der Kupferstiche, sagte der Gemäldehändler, ist bei weitem nicht
-so ergiebig ausgefallen, als es der Eigenthümer sich versprochen hatte.
-Das ist häufig mit Auctionen der Fall, warf die Tochter mit
-schnippischem Tone dazwischen: darum sollte sich kein Mensch damit
-einlassen, den nicht die äußerste Noth dazu treibt.
-
-Dietrich war noch zu unerfahren, um den Zusammenhang dieser Gespräche
-einzusehen; er redete treuherzig und eifrig über die Barbarei der
-Auctionen, in denen oft die kostbarsten Seltenheiten übersehen, viele
-Kunstwerke durch die Gaffer und Handlanger beschädigt, und der Ruhm
-großer Meister, so wie das Gefühl ächter Bewunderer, schmerzlich
-verletzt würden. Dadurch gewann er die gute Meinung des Vaters, der die
-getrübte Miene erheiterte und ihm mit Freundlichkeit Recht gab. Sophie,
-welche fürchten mochte, daß ein neuer Antrag im verdeckten Wege des
-Kunstenthusiasmus vorgeschoben werden sollte, fragte schnell den jungen
-Maler, ob er mit seinem Marienbilde bald fertig sei, oder ob er vorher
-die Abnahme vom Kreuz vollenden wolle?
-
-Sie malen also auch dergleichen rührende Gegenstände? fragte der
-Unbekannte, indem er mit einem fast schielenden Blicke zum jungen Manne
-herüber blinzelte. Mich wundert es immer von Neuem, daß Menschen in
-ihren besten und heitersten Jahren mit dergleichen Gegenständen ihre
-Zeit und Imagination verderben können. Der heiligen Familien haben wir
-wohl, dächte ich, in der Kunst genug; da ist nichts Neues anzubringen
-und zu erfinden, und jene Leichname und Verzerrungen des Schmerzes
-widerstreben so völlig allem Reiz und dem Genuß der Sinne, daß ich mein
-Auge immer davon abwenden muß. Die Kunst soll unser Leben erhöhen und
-erheitern, alle Dürftigkeiten desselben und aller Jammer der Welt soll
-uns in ihrer Nähe verschwinden; nicht aber darf unsre Phantasie durch
-ihre Hervorbringungen geängstigt und gefoltert werden. Im heitern,
-frischen Licht soll die Sinnenwelt spielen, und in freundlichem Reiz uns
-schmeicheln und auf diese Weise erheben. Schönheit ist Freude, Leben,
-Kraft. Der hat sich noch wenig verstanden, der Nacht und düstre Gefühle
-sucht. Oder gehören Sie auch etwa zu denen, die sich vor dergleichen
-Bildern mit erzwungener Gläubigkeit entzücken, und verlangen, daß in uns
-eine Art von Andacht sich entzünden soll, um den Gegenstand zu verstehen
-und christlich zu würdigen?
-
-Und wäre denn das, rief Dietrich mit einer gewissen Eil und Heftigkeit,
-etwas so Unerhörtes, oder nur Besonderes? Im Schönen, wenn es erscheint,
-wird der Reiz der Sinnenwelt zum Göttlichen erhöht, und so wird die
-stumme Ehrfurcht, die hülflose Rührung unbegeisterter Gemüther durch die
-Kunst zur himmlischen Andacht erhoben. Es ist, wenn auch verzeihlich,
-doch abgeschmackt, wenn bloß des frommen Gegenstandes wegen ein elendes
-Bild den gläubigen Beschauer entzückt, aber es ist mir völlig
-unbegreiflich, wenn sich ein fühlendes Herz vor der Sixtinischen Maria
-zu Dresden des Glaubens und der Andacht erwehren kann. Ich weiß es wohl,
-daß die neuen Bestrebungen jüngerer Künstler, zu denen ich mich auch
-bekennen muß, bei vielen trefflichen Leuten großes Aergerniß erregt
-haben, aber man sollte sich doch endlich ohne Leidenschaft überzeugen,
-daß das alte, ganz ausgefahrene Geleise kein Weg mehr ist. Was haben
-diejenigen, die diese neue Lehre zuerst wieder aufbrachten, denn anders
-gewollt, als das Gemüth wieder erwecken, welches seit langer Zeit bei
-allen Kunstproductionen als ganz überflüssig angesehen worden war? Und
-hat denn diese neue Schule nicht schon vieles Achtungwürdige
-hervorgebracht? Ein Geist offenbart sich, das ist nicht abzuläugnen, der
-sich kräftigen wird und ausbilden, ein neuer Weg ist gefunden, auf
-welchem freilich, wie bei jeder Begeisterung, mancher Unberufene auch
-das Uebertriebene, Widerwärtige und ganz Tadelswürdige hervorbringen
-wird. Ist denn aber das Schlechte dieser Zeit wirklich schlechter, als
-was weiland ein gefeierter _Casanova_ erschuf, oder das Leere leerer,
-als jenes kalte Abschreiben der mißverstandnen Antike, das jene ganze
-frühere Zeit als einen großen Lückenbüßer in der Kunstgeschichte
-darstellt? Waren denn nicht bizarre Manieristen auch damals die
-tröstenden Erscheinungen? Und hat denn der Hülfverein für die Kunst, von
-verehrten Männern gestiftet, etwas Tüchtiges hervorbringen können?
-
-Junger Mann, sagte der Unbekannte mit der schneidendsten Kälte: ich
-müßte zehn Jahre jünger, oder Sie einige älter seyn, wenn ich über so
-wichtigen Gegenstand mit Ihnen streiten sollte. Dieser neue
-phantastische Traum hat sich der Zeit bemächtigt, das ist freilich nicht
-zu läugnen, und muß nun bis zum Erwachen fortgeschlummert werden. Waren
-jene, die Sie tadeln wollen, vielleicht zu nüchtern, so sind dafür die
-jetzt Gepriesenen in einem kränklichen Rausch befangen, indem ihnen ein
-wenig schwaches Getränk zu Kopfe gestiegen ist.
-
-Sie wollten nicht streiten, rief der junge Maler, und thun mehr, Sie
-sind bitter. In der Leidenschaft ist man wenigstens keines freien
-Urtheils fähig. Ob die Parthei, für die Sie mit solchen Waffen kämpfen,
-dadurch gewinnen kann, muß die Zukunft entscheiden.
-
-Sophie sah den Jüngling ermuthigend mit einem schadenfrohen Blicke an,
-Walther war schon besorgt; doch nahm der Bilderhändler Erich das
-Gespräch beruhigend auf und sagte: sobald sich ein heftiger Widerstreit
-in der Zeit regt, so ist es ein Zeichen, daß etwas Wirkliches in der
-Mitte liegt, das den Streit wohl verdient, und welches der Mitlebende
-nicht ganz ignoriren darf, wenn er nicht unbillig seyn will. Seit lange
-war die Kunst aus dem Leben getreten, und nur ein Artikel des Luxus
-geworden; darüber vergaß man, daß sie jemals mit Kirche und Welt, mit
-Andacht und Begeisterung zusammengehangen hatte, und kalte Kennerschaft,
-Vorliebe für das Kleine und gemeine Natürlichkeit, so wie ein
-erkünstelter Enthusiasmus mußten sie erzeugen. Weiß ich doch die Zeit
-noch, wo man in den Gallerieen die schönsten Werke eines Leonardo nur
-als merkwürdige und sonderbare Alterthümer vorwies, selbst Rafael wurde
-nur mit einschränkender Kritik bewundert, und über noch ältere große
-Meister zuckte man die Achseln, und betrachtete die Malereien der
-früheren Deutschen oder Niederländer niemals ohne Lachen. Diese Barbarei
-der Unwissenheit ist doch jetzt vorüber.
-
-Wenn nur keine neue und schlimmere darüber entstände! rief Eulenböck,
-vom Weine hochroth erglühend, indem er dem Unbekannten einen feurigen
-Blick zuwarf. Mir thut es immer weh, daß in unsern Tagen das Wort des
-ächten Kenners fast nie mehr gehört wird; der Enthusiasmus übertönt die
-Einsicht, und doch ist für den Künstler nichts so lehrreich, als ein
-Gespräch mit einem ächten Kunstfreunde, das ihn belehre und erhebe, da
-es ihm oft in Jahren nicht so gut wird, dergleichen zu genießen.
-
-Der Fremde, welcher schon verstimmt und heftig zu werden schien, ward
-nach diesen Worten wieder heiter und freundlich. Künstler und Freunde
-der Kunst, erwiederte er, sollten sich immer aufsuchen, um beständig von
-einander zu lernen. So war es in voriger Zeit, und auch dies war eine
-der Ursachen, daß die Malerei gedieh. Die Phantasie eines jeden
-Schaffenden ist beschränkt und ermattet, wenn sie nicht von außen
-angefrischt und bereichert wird, und dies kann nur durch verständige,
-freundliche Mittheilungen geschehen; ohne zu erwähnen, was Correktheit,
-Anmuth der Behandlung und Auswahl der Gegenstände gewinnen.
-
-Sie haben sich, antwortete der alte Maler, einen Künstler vorzüglich
-ausersehen, den ich auch gewissermaßen mehr als alle liebe.
-
-Ich gestehe, sagte der Fremde, daß ich ihm mein Herz vielleicht etwas zu
-ausschließlich zugewendet habe. Es war mir früh vergönnt, einige
-ausgezeichnete Werke des Julio Romano kennen zu lernen und zu verstehen;
-in Mantua fand ich auf meinen Reisen Gelegenheit, ihn zu studiren, und
-seitdem glaube ich, meine Vorliebe auch rechtfertigen zu können.
-
-Gewiß, erwiederte der Alte, wird Ihr Aufenthalt dort zu den schönsten
-Epochen Ihres Lebens gehören. Habe ich doch zu meinem innerlichen
-Verdruß in neueren Zeiten auch manchen Tadel dieses großen Geistes hören
-müssen, vorzüglich, daß er die geistlichen Gegenstände nicht mit der
-gehörigen Innigkeit behandle. Einem Jeden ist nicht _alles_ gegeben.
-Aber die Verklärung des frischen sinnlichen Lebens, die Herrlichkeit des
-freien Muthwillens, das Spiel der lebendigsten Phantasie waren ihm
-vorbehalten. Und ist dem jungen Wallfahrer sein Herz noch für den
-Reichthum dieses glänzenden Geistes verschlossen, so wandre er nur nach
-Mantua, um dort in dem Pallast ^T^ kennen zu lernen, was Erd' und
-Himmel, möcht' ich fast sagen, Herrliches in sich fassen; wie in den
-Schrecken des Riesensturzes noch Lust und Scherz gaukelnd, und in dem
-Saale des Amor und Psyche in der Trunkenheit des Entzückens die
-himmlische Erscheinung der vollendeten Schönheit sich verklären.
-
-Der junge Dietrich sah seinen abtrünnigen Anhänger schon seit lange mit
-großen Augen an; er konnte diesen Abfall nicht begreifen und nahm sich
-vor, mit dem Alten in einer vertrauten Stunde darüber zu sprechen; denn
-wenn er auch die Bewunderung des Julius gelten ließ, so schien ihm doch
-die erste Hälfte des Gesprächs geradezu im Widerspruch mit der früheren
-Aeußerung Eulenböcks zu stehen, der sich aber um dergleichen Nebendinge
-nicht kümmerte, sondern sich mit dem fremden Kunstfreunde in so
-lebhaften Enthusiasmus hineinschwatzte, daß beide auf lange Zeit weder
-die übrigen hörten, noch sie zu Worte kommen ließen.
-
-Erich wollte eine Aehnlichkeit des Fremden mit einem Verwandten Walthers
-bemerken; darüber kam man in das Kapitel der Aehnlichkeiten, und wie
-sonderbar sich in den Familien, oft in der fernsten Verzweigung am
-deutlichsten, gewisse Formen wiederholen. Sonderbar ist es auch, sagte
-der Wirth, daß die Natur oft ganz wie die Kunst verfährt. Wenn ein
-Niederländer und ein Italiener aus der vorigen Zeit ein und dasselbe
-Bildniß malen sollten, so würden beide die Aehnlichkeit auffassen, aber
-jeder ein ganz verschiedenes Portrait und eine ganz andere Aehnlichkeit
-hervorbringen. So kannte ich in meiner Jugend eine Familie, die aus
-vielen Kindern bestand, an denen allen die Physiognomie der Aeltern und
-nur eine Hauptform, aber unter verschiedenen Bedingungen ausgeprägt war,
-so klar und sicher, als wenn die Kinder Bildnisse von demselben
-Gegenstande, von verschiedenen großen Malern gezeichnet, wären. Die
-älteste Tochter war wie von Correggio gemalt mit feinem Teint und
-zierlicher Form; die zweite war dasselbe Gesicht, aber größer, voller,
-wie aus der florentinischen Schule; die dritte hatte das Ansehen, als
-habe Rubens das nehmliche Portrait auf seine Art gemalt; die vierte wie
-ein Bild von Dürer; die nächste wie aus der französischen Schule,
-glänzend, voll, aber unbestimmt, und die jüngste wie ein flüssig
-gemaltes Werk von Leonard. Es war eine Freude, diese Gesichter unter
-sich zu vergleichen, die mit denselben Formen, in Ausdruck, Farbe und
-Lineamenten wieder so verschieden waren.
-
-Erinnern Sie sich des wunderbaren Portraits, fragte Erich, welches Ihr
-alter Freund in seiner Sammlung besaß, und welches sich mit so vielen
-andern Sachen auf eine unerklärliche Weise verloren hat?
-
-Ja wohl! rief der alte Walther aus, wenn es nicht von Rafaels Händen
-war, wie einige behaupten wollen, so war es wenigstens von einem
-vorzüglichen Meister, der nach diesem Muster die Kunst mit Glück studirt
-hatte. Wenn einige Neuere von der Kunst des Portraitirens als von einer
-geringen Sache sprechen wollten, oder die gar den Maler erniedrige, so
-durfte man sie nur vor dieses wunderwürdige Bildniß führen, um sie zu
-beschämen.
-
-Wie, sagen Sie, so wandte sich der Fremde lebhaft zum alten Rath, es
-sind außer diesem trefflichen Stück noch andere merkwürdige Gemälde
-verloren gegangen? Auf welche Weise?
-
-Ob verloren, sagte Walther, kann man so eigentlich nicht sagen; aber sie
-sind unsichtbar geworden, und vielleicht in's ferne Ausland verkauft.
-Mein Freund, der Herr von Essen, der Vater des jungen Menschen, den Sie
-neulich in meinem Saale trafen, wurde mit zunehmendem Alter launenhaft
-und wunderlich. Die Liebe zur Kunst hatte uns befreundet, und ich kann
-sagen, daß ich sein ganzes Vertrauen besaß. Wir ergötzten uns an unsern
-Sammlungen, und die seinige übertraf damals bei weitem die meinige, die
-ich erst durch die Nachläßigkeit seines Sohnes so ansehnlich habe
-vermehren können. Wenn wir uns einmal ein rechtes Fest geben wollten, so
-setzten wir uns in sein Cabinet, in welchem die ausgesuchtesten seiner
-Werke versammelt waren. Diese hatte er mit vorzüglich prächtigen Rahmen
-einfassen lassen, und sie sinnreich bei einer sehr vortheilhaften
-Erleuchtung geordnet. Außer jenem Portrait sah man dort eine so
-unvergleichliche Landschaft von _Nicolas Poussin_, wie mir noch nie eine
-vorgekommen ist. Im sanften Abendlicht fuhr Christus mit seinen Jüngern
-auf dem Wasser. Die Lieblichkeit des Wiederscheins der Häuser und Bäume,
-die klare Luft, die Durchsichtigkeit der Wellen, der edle Charakter des
-Erlösers und die himmlische Ruhe, die über dem Ganzen schwebte und unser
-Gemüth wie in Wehmuth und friedlicher Sehnsucht auflöste, ist nicht zu
-beschreiben. Daneben hing ein Christus mit der Dornenkrone von _Guido
-Reni_, von einem Ausdrucke, wie ich ihn seitdem auch nicht wieder
-gesehen habe. Der alte Freund wollte sonst in seinem Eigensinne den
-trefflichen _Guido_ vielleicht zu wenig gelten lassen; aber vor diesem
-Bilde war er immer entzückt, und es ist wahr, man sah es, so oft man es
-sah, jedesmal von Neuem; die vertraute Bekanntschaft mit ihm erhöhte nur
-den Genuß, und ließ immer neue, noch geistigere Schönheiten entdecken.
-Dieser Ausdruck der Milde, des ergebenen Duldens, der himmlischen Güte
-und des Verzeihens mußten auch das starrste Herz durchdringen. Es war
-nicht jene gesteigerte Leidenschaftlichkeit, wie man wohl in andern
-ähnlichen Bildern des Guido wahrnimmt, und die uns bei trefflicher
-Behandlung des Gegenstandes doch eher zurück stößt, als anzieht, sondern
-es war das süßeste, wie das schmerzlichste Gemälde. Durch die zarten
-Fleischpartien unter Wange, Kinn und Auge sah und fühlte man den ganzen
-Schädel, und dieser Ausdruck des Leidens erhöhte nur die Schönheit.
-Gegenüber war eine Lukretia von demselben Meister, die sich mit starkem
-vollen Arm den Dolch in den schönen Busen stieß. In diesem Bilde war der
-Ausdruck groß und kräftig, die Farbe unvergleichlich. Eine Mutter, die
-dem schlafenden Kinde das Tuch vom nackten Körper nimmt, und Joseph und
-Johannes den Schläfer betrachtend, die Figuren lebensgroß, waren von
-einem alten römischen Meister so herrlich und graziös dargestellt, daß
-jede Beschreibung nur unzulänglich ist. Aber wohl möchte ich Worte
-suchen, um auch nur eine schwache Vorstellung von dem einzigen _Van
-Eyck_ zu geben, einer Verkündigung, welche doch vielleicht die Krone der
-Sammlung war. Hat sich die Farbe je als eine Tochter des Himmels
-verherrlicht, ist mit Licht und Schatten jemals gespielt, und im Spiel
-die edelste Rührung der Seele erweckt worden, haben Lust, Begeisterung,
-Poesie und Wahrheit und Adel sich je in Figuren und Färbung auf eine
-Tafel gelegt, so war es in diesem Bilde geschehen, welches mehr als
-Malerei und Zauber war. Ich muß abbrechen, um mich nicht selbst zu
-vergessen. Diese Bilder waren die vorzüglichsten; aber ein _Hemling_,
-ein herrlicher _Annibal Carracci_, ein kleines Bild, Christus zwischen
-den Kriegsknechten, eine Venus, vielleicht von Titian, wären wohl noch
-der Erwähnung werth, und kein Bild war in diesem Cabinet, das nicht
-jeden Freund der Kunst beglückt hätte. Und, denken Sie, fassen Sie die
-Sonderbarkeit des Alten, kurz vor seinem Tode sind alle diese Stücke
-verschwunden, ohne Spur verschwunden. Hat er sie verkauft? Er hat nie
-diese Frage beantwortet, und seine Bücher hätten es nach seinem Tode
-ausweisen müssen, die aber nichts davon sagten. Hat er sie verschenkt?
-Aber wem? Man muß fürchten, und der Gedanke ist herzzerreißend, er hat
-sie in einer Art von wahnsinniger Schwermuth, weil er sie wohl keinem
-andern Menschen auf Erden gönnen mochte, kurz vor seinem Tode
-vernichtet. Vernichtet! Fassen Sie es, begreift ein Mensch diese
-furchtbare Abwesenheit, wenn mein Verdacht gegründet ist?
-
-Der Alte war so erschüttert, daß er seine Thränen nicht zurück halten
-konnte, und Eulenböck zog ein ungeheures gelbseidenes Tuch aus der
-Tasche, um in auffallender Rührung sein dunkelrothes Gesicht
-abzutrocknen. Erinnern Sie sich wohl noch, hub er schluchzend an, des
-sonderbaren Bildes von _Quintin Messys_, auf dem ein junger Schäfer und
-ein Mädchen in seltsamer Tracht abgebildet waren, beide herrlich
-ausgearbeitet, und wovon er behauptete, die Figuren sähen seinem Sohne
-und Ihrer Tochter ähnlich.
-
-Die Aehnlichkeit war damals auffallend, erwiederte Erich. Sie haben aber
-noch den Johannes zu nennen vergessen, der wenigstens mit dem _Guido_
-wetteifern konnte. Dies Bild war vielleicht von _Domenichino_,
-wenigstens war es jenem berühmten äußerst ähnlich. Dieser Blick des
-Jünglings nach dem Himmel, die Begeisterung, die Sehnsucht, zugleich die
-Wehmuth, daß er schon das Göttliche auf Erden gesehen, als Freund umarmt
-und als Lehrer verstanden hatte, dieser Wiederschein einer entschwundnen
-Vergangenheit im Spiegel des edeln Antlitzes war rührend und erhebend.
--- O, wenige von diesen Bildern könnten den jungen Mann retten und
-wieder wohlhabend machen.
-
-Wäre doch Alles an ihm verloren, rief Eulenböck aus. Er würde es doch
-nur wieder vergeuden. Was habe ich nicht an ihm ermahnt! Aber er hört
-auf den ältern Freund und die Stimme der Erfahrung nicht. Nun endlich,
-da ihm das Wasser doch wohl mag an die Seele gehen, ist er in sich
-geschlagen; er sah, daß ich über sein Unglück bis zu Thränen gerührt
-war, da hat er mir in meine Hand versprochen, sich von Stund an zu
-bessern, zu arbeiten und ein ordentlicher Mensch zu werden. Wie ich ihn
-hierauf gerührt umarme, reißt er sich lachend los und ruft: aber erst
-vom heiligen Dreikönigs-Abend an soll dieser Vorsatz gelten, bis dahin
-will ich noch lustig seyn und in der alten Bahn fortlaufen! Was ich auch
-sagen mochte, Alles war umsonst; er drohte, wenn ich ihm nicht seinen
-Willen ließe, die ganze Besserung wieder aufzugeben. -- Ei nun, das Fest
-ist in einigen Tagen, die Frist ist nur kurz; Sie können aber wenigstens
-daraus sehen, wie wenig auf seine guten Vorsätze zu bauen ist.
-
-Von jeher, sagte Sophie, ist er zu sehr mit frommen Leuten umgeben
-gewesen; aus Widerspruch hat er sich auf die andre Seite gewandt, und so
-hat freilich sein Eigensinn verhindert, daß der Umgang mit den
-Tugendhaften ihm hat nützlich werden können.
-
-Sie haben gewissermaßen Recht, rief der alte Maler. Hat er sich nicht
-von dem Pietisten, dem langweiligen alten Musikdirektor Henne seit
-einiger Zeit wie belagern lassen? Aber ich versichere Sie, dessen
-trockne Predigten können unmöglich an ihm haften; auch wird der Alte
-beim dritten Glase betrunken, und so kommt er aus dem Text.
-
-Er hat es zu arg getrieben, bemerkte der Wirth: dergleichen Menschen,
-wenn Unordnung und Verschwendung erst ihre Lebensweise geworden sind,
-können sich niemals wieder zurecht finden. Das rechtliche, wahre Leben
-erscheint ihnen gering und bedeutungslos; sie sind verloren.
-
-Sehr wahr, sagte Eulenböck: und um Ihnen nur ein auffallendes Beispiel
-seiner Raserei zu geben, so hören Sie, wie er es mit seiner Bibliothek
-anfing. Er erbte eine unvergleichliche Büchersammlung von seinem
-würdigen Vater; die herrlichsten Ausgaben der Classiker, die größten
-Seltenheiten der italienischen Literatur, die ersten Ausgaben des Dante
-und Petrarca, nach denen man auch wohl in berühmten Städten umsonst
-fragt. Nun fällt es ihm ein, er müsse einen Secretär haben, der zugleich
-diese Bibliothek in Ordnung halten solle, die neu angekauften Werke in
-das Verzeichniß eintragen, die Werke systematisch aufstellen und
-dergleichen mehr. Ein junger wüster Mensch meldet sich zu diesem
-wichtigen Amte, und wird auch gleich angenommen, weil er zu schwatzen
-weiß. Zu schreiben ist nicht viel, aber trinken muß er lernen, und der
-Unterricht schlägt bei dem lockern Vogel an. Das wilde Leben nimmt
-gleich seinen Anfang; alle Tage toll und voll, Bälle, Maskeraden,
-Schlittenfahrten, die halbe Stadt frei gehalten. So fehlt es denn nun
-schon nach einem halben Jahre, als der junge Gelehrte sich seinen Gehalt
-ausbittet, an baarem Gelde. Man fällt auf den Ausweg, daß er für den
-Gehalt des ersten Jahres an Büchern nach einer billigen Taxe nehmen
-dürfe. Herr und Diener kennen aber den Werth der Sachen nicht, die auch
-nur für den Kenner kostbar sind, und deren finden sich nicht auf allen
-Gassen. Die theuersten Werke werden ihm also lächerlich wohlfeil
-überlassen, und da man die Auskunft einmal gefunden hat, so wiederholt
-sich das Spiel immer wieder, und um so öfter, da der neue Günstling
-zuweilen Gelegenheit hat, für seinen Patron baare Auslagen zu machen,
-die ihm in Büchern wieder erstattet werden. So fürchte ich, sind von der
-Büchersammlung vielleicht nur noch die Schränke übrig geblieben.
-
-Ich weiß am besten, sagte der Rath, wie unverantwortlich man mit den
-Büchern umgegangen ist.
-
-Das sind ja alles erschreckliche Geschichten, sagte Sophie: wer möchte
-sie nur von seinem Feinde so wieder erzählen?
-
-Das Schlimmste aber, fuhr Eulenböck fort, war denn doch seine
-Leidenschaft für die berüchtigte schöne Betty; denn diese that das im
-Großen, was alle seine übrigen Thorheiten an seinem Wohlstand nur im
-Kleinen vernichten konnten. Sie hat auch seinen Charakter zu Grunde
-gerichtet, der sich ursprünglich zum Guten neigte. Er ist gutherzig,
-aber schwach, so daß Jeder, welcher sich seiner bemächtigt, aus ihm
-machen kann, was er will. Meine gutgemeinten Worte verschollen nur in
-den Wind. Bis in die tiefe Mitternacht hinein habe ich zuweilen auf die
-eindringlichste Art gesprochen, aber es war nur Schade um alle meine
-Ermahnungen. Sie hatte ihn so in Stricken, daß er selbst seine
-redlichsten und ältesten Freunde um ihrerwillen mißhandeln konnte.
-
-Indem erhob man sich von der Tafel, und während der gegenseitigen
-Begrüßungen nahm Sophie die Gelegenheit wahr, indem sie dem alten Maler
-die Hand reichte, der sie ihr zierlich küßte, ihm deutlich zuzuflüstern:
-o Sie abscheulichster von allen abscheulichen Sündern, Sie undankbarer
-Heuchler! Wie kann es Ihr verkehrtes Herz über sich gewinnen, den
-öffentlich zu lästern, von dessen Wohlthaten Sie sich bereichert haben,
-dessen Leichtsinn Sie benutzen, um ihn mit andern Gehülfen elend zu
-machen? Bisher habe ich Sie nur für abgeschmackt, aber gutmüthig
-gehalten; ich sehe aber, daß Sie nicht ohne Ursache eine wahre
-Teufels-Physiognomie tragen! Ich verabscheue Sie! -- Sie stieß ihn mit
-Bewegung zurück, und eilte dann aus dem Zimmer.
-
-Die Gesellschaft ging in den Bildersaal, wo der Kaffee herum gereicht
-wurde. Was war denn meiner Tochter? fragte der Rath den Maler: sie
-schien so eilig und hatte Thränen im Auge.
-
-Ein gutes, liebes Kind, schmunzelte Eulenböck. Sie sind recht glücklich,
-Herr Geheimer Rath, bei diesem empfindsamen Herzen Ihrer Tochter. Sie
-war so liebevoll um meine Gesundheit besorgt; sie findet meine Augen
-entzündet, und meinte gar, ich könnte erblinden: darüber ist sie denn so
-gerührt worden.
-
-Ein treffliches Kind! rief der Vater aus: wenn ich sie nur erst gut
-versorgt sähe, daß ich in Frieden sterben könnte. Der Fremde war noch
-zurück geblieben, um das neue Gemälde in Augenschein zu nehmen, welches
-Erich ihm im Speisezimmer zeigte; jetzt kam er mit diesem zur
-Gesellschaft und Dietrich folgte. Sie waren Alle im lebhaften Gespräch
-begriffen; der Fremde tadelte den Gegenstand, welchen Dietrich
-vertheidigen wollte. Wenn _Teniers_ und ähnliche Niederländer, sagte der
-letztere, die Versuchung des heiligen Antonius komisch und fratzenhaft
-dargestellt haben, so ist diese Laune ihrer Stimmung zu vergeben, so wie
-ihrem Talent nachzusehen, da sie das Würdige nicht zu erschaffen wußten.
-Der Gegenstand aber fordert eine ernste Behandlung, und dem alten
-deutschen Meister dort ist sie ohne Zweifel gelungen; wenn der Beschauer
-nur unpartheiisch seyn kann, so wird er sich von seinem Bilde angezogen
-und befriedigt fühlen.
-
-Dieser Gegenstand, nahm der Fremde das Wort, ist keiner für die bildende
-Kunst. Die ängstigenden Träume eines wahnsinnigen Alten, die Gespenster,
-die er in seiner Einsamkeit sieht, und die ihn durch falschen Reiz oder
-Entsetzen von seiner melancholischen Beschaulichkeit abziehen wollen,
-können nur in das Gebiet fratzenhafter Phantome fallen, und auch nur
-phantastisch dargestellt werden, wenn es überhaupt erlaubt seyn soll.
-Dagegen dort die weibliche Gestalt, welche sich edel zeigen will und
-zugleich reizend, eine enthüllte Schönheit in der Fülle der Jugend, und
-die doch nur ein verkleidetes Gespenst ist; die wilden Gestalten umher,
-die durch den grellen Contrast sie noch mehr hervorheben, das Entsetzen
-des Alten, der sich im Vertrauen wieder zu finden sucht, diese
-Vermischung der widersprechendsten Gefühle ist durchaus widersinnig, und
-Schade um Talent und Kunst, die sich an dergleichen abarbeitend
-verschwenden und vernichten.
-
-Ihr Zorn, sagte Dietrich, enthält das schönste Lob des Bildes. Ist denn
-nicht Alles, was den Menschen versucht, nur Gespenst, in die lockende
-Gestalt der Schönheit verhüllt, oder sich scheinbar mit nichtigem
-Entsetzen verpanzernd? Sollte eine Darstellung, wie jene, nicht gerade
-in unsern neuesten Tagen eine doppelte Bedeutung erhalten? Allen kommt
-diese Versuchung, die sich noch ihres Herzens nicht ganz bewußt sind;
-aber in jenem Heiligen sehen wir den festen und reinen Blick, der über
-die Furcht erhaben ist, und längst die wahre unsichtbare Schönheit
-kennt, um Grauen und geringe Lüsternheit von sich zu weisen. Das wahre
-Schöne führt uns in keine Versuchung; das, was wir wirklich fürchten
-dürfen, erscheint nicht in Larve und Unform. Das Bestreben jenes alten
-Meisters läßt sich daher vor dem gebildeten Sinne rechtfertigen; nicht
-so Teniers und seines Gleichen.
-
-Das Tolle, das Alberne und Abgeschmackte ist ein Unendliches, rief der
-Unbekannte: es ist es eben dadurch, daß es sich in keine Gränze fassen
-läßt, denn durch die Schranke wird alles Vernünftige: das Schöne, Edle,
-Freie, Kunst und Enthusiasmus. Weil sich aber etwas Ueberirdisches,
-Unaussprechliches beimischt, so meinen die Thoren, es sei das
-Unbedingte, und sündigen im angemaßten Mystizismus in Natur und
-Phantasie hinein. Sehn Sie diesen tollen _Höllenbreughel_ hier am
-Pfeiler? Weil sein Auge gar keinen Blick mehr hatte für Wahrheit und
-Sinn, weil er sich ganz von der Natur lossagte, und Aberwitz und Unsinn
-ihm als Begeisterung und Verständniß galten, so ist er mir vom ganzen
-Heere der Fratzenmaler geradezu der liebste, da er ohne Weiteres die
-Thüre zuschlug und den Verstand draußen ließ. Sehn Sie den Riesensaal
-von _Julio Romano_ in Mantua, seine wunderlichen Aufzüge mit Thieren und
-Centauren und allen Wundern der Fabel, seine Bacchanalien, seine kühne
-Vermischung des Menschlichen, Schönen, Thierischen und Frechen;
-vertiefen Sie sich in diese Studien, dann werden Sie erst wissen, was
-ein wirklicher Poet aus diesen sonderbaren und unverstandenen Stimmungen
-unsers Gemüthes machen kann und darf, und wie er im Stande ist, auch in
-diesem, aus Träumen geflochtenen Netz, die Schönheit zu fangen.
-
-Auf solchem Wege, sagte Dietrich, sind wir mit allen Dingen sehr bald
-fertig, wenn wir nur eine Norm und Regel annehmen, in leidenschaftlicher
-Verblendung alles Göttliche auf Einen Namen übertragen, und von dem
-einseitigen Erkennen seiner dann abweisen, was er nicht geleistet hat,
-oder nicht leisten konnte, der doch auch nur ein Einzelner und ein
-Sterblicher war, dessen Blick nicht in alle Tiefen drang, und dem
-wenigstens der Tod die Palette aus der Hand nahm, wäre er selbst fähig
-gewesen, alle Erscheinungen aus seinen Fingern quellen zu lassen.
-Schranke muß seyn; wer bezweifelt das? Aber so manche Altklugheit, die
-sich im Halten der Regel so groß dünkt, erinnert mich immer wieder an
-die sonderbare Eigenschaft des Hahns, der, wie unbändig und kriegerisch
-er auch thut, wenn er auf die Seite gelegt wird, und man von seinem
-Schnabel aus einen Kreidestrich auf den Boden hinzieht, unbeweglich und
-andächtig liegen bleibt, weil er sich, wer weiß von welcher
-Naturnothwendigkeit, philosophischer Regel oder unerlaßlichen
-Kunstschranke gefesselt glaubt.
-
-Sie werden unbescheiden, mein junger altdeutscher Herr, sagte der Fremde
-in etwas hohem Tone. Die gute Erziehung wird freilich bald zu den
-verlorenen Künsten gerechnet werden müssen.
-
-Dafür ist aber wohl gesorgt, versetzte Dietrich, daß Uebermuth nicht
-ausstirbt, und Dünkel bei frischen Kräften bleibt. Er verbeugte sich
-schnell gegen den Hausherrn und verließ die Gesellschaft.
-
-Ich weiß nicht wie ich dazu komme, so behandelt zu werden, sagte der
-Fremde. Scheint doch über diesem Saal ein Unheil zu walten, daß ich hier
-immer auf Riesen treffe, die mich in den Staub legen wollen.
-
-Der alte Walther war sehr mißmuthig, daß in seinem Hause solche Scenen
-vorfielen. So wie er den Fremden schon bei Tische hatte aufgeben müssen,
-so gab er nun auch den Gedanken auf, jemals den jungen Maler zum
-Schwiegersohn in Vorschlag zu bringen. Begütigend wendete er sich zu dem
-Fremden, der in seinem Zorn dem Höllenbreughel eine größere
-Aufmerksamkeit schenkte, als außerdem geschehen seyn würde. Nicht wahr,
-fing er an, ein in seiner Art treffliches Gemälde?
-
-Das schönste von diesem Meister, das ich bisher gesehen, erwiederte der
-verstimmte junge Mann. Er nahm sein Glas zu Hülfe, um es genauer zu
-prüfen. Was ist das? rief er plötzlich: sehen Sie, wo die Beine der
-beiden Teufel zusammen kommen, und der feurige Schweif des Dritten, wird
-ein Gesicht, ein recht wunderlich ausdrucksvolles Profil gebildet, und,
-ich irre mich nicht, es gleicht auffallend hier Ihrem ältern Freunde,
-dem braven Künstler.
-
-Alle drängten sich hinzu, keiner hatte diesen sonderbaren Einfall noch
-bemerkt. Eulenböck, der Schalk, spielte am meisten den Erstaunten. Daß
-mein Andenken, sagte er, sich in diesem seltsamen Stammbuche finden
-sollte, hätte ich mir nicht träumen lassen; sollte der boshafte Maler
-aber mein Profil schon in der Vorzeit geahndet haben, so ist es doch zu
-ruchlos, daß dieser Feuerschweif gerade meine etwas rothe Nase formiren
-muß.
-
-Das Ding, sagte Erich, ist so sonderbar angebracht, daß man wirklich
-nicht ergründen kann, ob es Vorsatz, oder bloßer Zufall ist. Walther
-betrachtete das Profil im Bilde, dann musterte er die Physiognomie
-seines Freundes, schüttelte den Kopf, ward nachdenkend und nahm
-zerstreut Abschied, als der Fremde sich mit Eulenböck beurlaubte, der
-sich dessen Begleitung erbeten hatte, um ihm seine Kunstwerke zu zeigen.
-
-Was ist Dir? fragte Erich, der mit dem Alten allein im Saale zurück
-geblieben war. Du scheinst über den sonderbaren Scherz des Zufalls
-verdrüßlich, der uns alle zum Lachen gezwungen hat; ist doch der Säufer
-hinlänglich dadurch bestraft, daß diese Teufelscompagnie so artig sein
-Portrait zusammen setzen muß.
-
-Hältst Du es denn wirklich auch für Zufall? rief Walther erzürnt aus:
-siehst Du denn nicht ein, daß der alte Schelm mir dies Bild betrügerisch
-aufgeheftet hat, daß es von ihm herrührt? Schau nur hieher, ich habe ihn
-vor den Andern nicht beschämen wollen; aber nicht genug an dieser
-Abschattung von sich selbst, hat er auch noch dem großen Teufel da oben,
-der die Seelen in einer Handmühle mahlt, in seinem ungeheuren
-Schnauzbart fein den Namen Eulenböck eingeschrieben. Ich entdeckte die
-Kritzelei schon unlängst einmal; ich glaubte aber, da es nicht ganz
-deutlich war, es habe der Maler, oder ein Anderer, Höllenbreughel
-hineinschreiben wollen; so erklärte es mir der alte Schuft auch selbst,
-der mir, wie ich es ihm zeigte, Ellenbröeg herauslas, und hinzufügte,
-die Künstler hätten sich nie um die Orthographie viel gekümmert. Nun
-geht mir erst ein Licht auf, daß der verruchte Säufer auch nur den
-jungen Mann verführt hat, mir den Salvator zu verkaufen, daß Du einen
-solchen von ihm ebenfalls erhalten hast; und dabei müssen wir noch
-fürchten, unsre Gesichter einmal, wer weiß, unter welchen abscheulichen
-Gegenständen, irgendwo unanständig auf pasquillantische Weise angebracht
-zu sehen.
-
-Er war so zornig, daß er die Faust aufhob, um das Bild zu zerstören.
-Aber Erich hielt ihn zurück und sagte: Vernichte nicht im Unmuth ein
-merkwürdiges Produkt eines Virtuosen, das Dich in Zukunft wieder
-ergötzen wird. Rührt es von unserm _Eulenböck_ her, wie ich jetzt selber
-glauben muß, und sind gar noch die beiden _Salvators_ von ihm, so muß
-ich die Geschicklichkeit des Mannes bewundern. Toll ist die Art, wie er
-sich selbst gezeichnet hat; indessen kann dieser Uebermuth nur ihm
-selber schädlich werden, da ich und Du uns nun wohl hüten werden, von
-ihm zu kaufen, von denen er außerdem wohl noch manchen Thaler gelöst
-hätte. Aber Dich wurmt noch etwas Anderes, ich sehe es Dir wohl an. Kann
-ich Dir rathen? Ist es vielleicht die alte Besorgniß um Deine Tochter?
-
-Ja, mein Freund, sagte der Vater: und wie ist es mit Dir? Hast Du selbst
-meinen Worten nachgedacht?
-
-Viel und oft, erwiederte Erich: aber, lieber Grillenfänger, wenn es auch
-glückliche Ehen ohne Leidenschaft geben kann, so muß doch eine Art von
-Neigung da seyn; die finde ich aber nicht, und ich kann es Deiner
-Tochter nicht verdenken, -- wir sind uns zu ungleich. Schade wär' es
-auch, wenn das liebe Wesen mit seinen lebhaften Empfindungen nicht
-glücklich werden sollte.
-
-Durch wen? rief der Vater, es findet sich ja Niemand, den sie mag, und
-der sich für sie paßt; Du trittst völlig zurück, der fremde hochmüthige
-Gast hat mich heut mit seiner vornehmen Art recht empfindlich geärgert;
-aus dem jungen Herrn Dietrich würde nie ein gescheidter Ehemann werden,
-da er sich gar nicht in die Welt zu schicken weiß, wie ich gesehen habe,
-und vom jungen Eisenschlicht darf ich ihr gar nicht einmal sprechen.
-Dazu ist mir auf's Neue der Verlust der herrlichen Bilder auf das Herz
-gefallen. Wo der Satan sie nur hingeführt hat! Sieh, meinem ärgsten
-Feinde möchte ich sie gönnen, wenn sie nur da wären! -- Und dann -- hab'
-ich nicht auch noch eine Verschuldung gegen Eduard? Du weißt, zu welchen
-billigen Preisen ich nach und nach von ihm kaufte, was er noch im
-Nachlasse seines Vaters fand. Er kannte, er achtete die Sachen nicht;
-ich habe ihm nie abgedrungen, ich habe ihn nie angelockt, -- aber doch
--- wenn der junge Mensch ordentlich werden wollte, wenn er den bessern
-Weg einschlüge, -- wüßte ich nur, daß es ihn nicht wieder schlecht
-machte, daß er es nicht vergeudete, ich wollte ihm noch einen
-beträchtlichen Nachschuß gerne zahlen.
-
-Brav! rief Erich und gab ihm die Hand. Ich habe den jungen Menschen
-nicht aus den Augen gelassen; er ist nicht ganz so schlimm, als die
-Stadt von ihm spricht, er kann noch einmal ein rechter Mann werden. Wenn
-wir Besserung sehen und Du Dich ihm gewogen fühlst, vielleicht daß Deine
-Tochter einmal auch gut von ihm dächte, kann seyn, daß sie ihm gefiele;
--- wie wär's alsdann, wenn Du durch Dein Vermögen Beiden ein glückliches
-Schicksal bereitetest, Enkel auf Deinen Knieen schaukeltest, ihnen die
-ersten Begriffe der Kunstgeschichte beibrächtest, daß sie hier in Deinem
-Saale die berühmten Namen stammelten.
-
-Nimmermehr! rief der Alte und stampfte mit dem Fuße. Wie? einem solchen
-verderbten Taugenichts mein einziges Kind? Ihm diese Sammlung hier, daß
-er sie verprassen und für ein Spottgeld verkaufen könnte? Das räth mir
-kein Freund.
-
-Doch, sagte Erich: sei nur gelassen, überdenke den Vorschlag ohne
-Leidenschaft, und suche Deine Tochter zu prüfen.
-
-Nein, nein! wiederholte Walther laut, es kann, es darf nicht seyn! Ja,
-könnte er noch ein einziges von jenen kostbaren, unvergleichlichen
-Bildern aufweisen, die aber nun auf ewig verloren sind, so ließe sich
-noch eher darüber sprechen. Aber so verschone mich in alle Zukunft mit
-dergleichen Vorschlägen. -- Und der verdammte Breughel hier! Da
-oben, hoch, wo ich ihn nie wieder sehe, will ich ihn mit der
-Galgen-Physiognomie des alten Sünders und allen seinen Teufeln hinauf
-hängen!
-
-Er sah empor, und wieder schaute aus dem offnen Fenster Sophie,
-lauschend auf ihr Gespräch, herab. Sie erröthete, entfloh, ohne das
-Fenster zu schließen, und der Alte rief: das fehlte noch! Nun hat die
-eigensinnige Dirne Alles mit angehört, und setzt sich wohl gar
-dergleichen in den kleinen trotzigen Kopf!
-
-Die alten Freunde trennten sich, Walther mit sich und aller Welt
-unzufrieden.
-
- * * * * *
-
-Tief in der Nacht saß Eduard in seinem einsamen Zimmer, mit vielfachen
-Gedanken beschäftigt. Um ihn lagen unbezahlte Rechnungen, und er häufte
-die Summen daneben auf, um sie am folgenden Morgen zu tilgen. Es war ihm
-gelungen, unter billigen Bedingungen ein Capital auf sein Haus
-aufzunehmen, und so arm er sich erschien, so war er doch schon in dem
-Gefühl zufrieden, welches ihm sein fester Vorsatz gab, künftig auf andre
-Weise zu leben. Er sah sich in Gedanken schon thätig, er machte Plane,
-wie er von einem kleinen Amte zu einem wichtigern emporsteigen, und sich
-in diesem zu einem noch ansehnlichern vorbereiten wolle. Die Gewohnheit,
-sagte er, wird ja zu unserer Natur, so im Guten, wie im Schlimmen, und
-wie mir Müssiggang bisher nothwendig gewesen ist, um mich wohl zu
-befinden, so wird es in Zukunft die Arbeit nicht weniger seyn. -- Aber
-wann, wann wird denn dies erwünschte goldne Zeitalter meines edlern
-Bewußtseins wirklich und wahrhaft in mir seyn, daß ich mit Befriedigung
-und Wohlbehagen die Gegenstände vor mir und mich selbst werde betrachten
-können? Jetzt sind es doch nur noch Vorsätze und liebliche Hoffnungen,
-die blühen und locken; und, ach! werde ich nicht auf halbem Wege,
-vielleicht schon auf dem Anfange meiner Bahn ermatten?
-
-Er sah die Rose zärtlich an, die im Wasserglase ihm glühend entgegen
-lachte. Er nahm sie und drückte mit zarter Berührung einen leisen Kuß in
-ihre Blätter, und hauchte einen Seufzer in den Kelch. Dann stellte er
-sie behutsam in das nährende Element zurück. Er hatte sie neulich, schon
-verwelkt, in seinem Busen wieder gefunden; seit der Stunde, daß sie im
-Fluge sein Gesicht berührt hatte, war er ein andrer Mensch geworden,
-ohne daß er es sich selber gestehen wollte. Man ist nie so abergläubisch
-und merkt so gern auf Vorbedeutungen, als wenn das Herz recht
-erschüttert ist, und aus dem Sturm der Gefühle ein neues Leben sich
-erzeugen will. Eduard merkte selbst nicht, wie sehr ihm die kleine Blume
-Sophien selbst gegenwärtig machte, und da er Alles und sich selbst
-beinah verloren hatte, so sollte die welke Pflanze sein Orakel seyn, ob
-sie sich wieder erfrische und auch ihm ein neues Glück verkündigen
-wolle. Da sie aber nach einigen Stunden sich im Wasser nicht entfaltete,
-so half er ihr und der weissagenden Kraft durch die gewöhnliche Kunst,
-den Stengel zu beschneiden, diesen dann einige Augenblicke in die Flamme
-des Lichtes zu halten und die Blume nachher in das kalte Element zurück
-zu setzen. Fast sichtlich erfrischte sie sich nach dieser gewaltsamen
-Nachhülfe, und blühte so schnell und mächtig auf, daß Eduard fürchten
-mußte, sie würde binnen Kurzem alle ihre Blätter verstreuen. Doch war er
-seitdem getröstet, und traute seinen Sternen wieder.
-
-Er blätterte in alten Papieren seines Vaters, schlug Briefe auseinander,
-und fand so manche Erinnerungen aus seiner Kindheit, so wie aus der
-Jugend des Erzeugers. Er hatte den Inhalt eines Schrankes vor sich
-ausgepackt, der Rechnungen, Nachweisungen, Prozeß-Acten und Vieles
-ähnlicher Art enthielt. Indem rollte sich ein Blatt auf, welches das
-Verzeichniß der ehemaligen Gallerie enthielt, die Geschichte der Bilder,
-ihre Preise, und was dem Besitzer bei jedem Stücke merkwürdig gewesen
-war. Eduard, der von einer Reise zurück kam, als sein Vater auf dem
-Sterbebette lag, hatte nach dem Begräbnisse vielfach nach jenen
-verlorenen Bildern gesucht, und manche vergebliche Nachforschung
-angestellt. Er konnte mit Recht erwarten, daß auch von jenen vermißten
-sich hier ein Wort finden möchte, und wirklich erschien ihm in einem
-andern Packet, zwischen Papieren versteckt, ein Blatt, welches genau
-jene Stücke nannte, die Namen der Meister, so wie die vorigen
-Eigenthümer. Die Schrift war augenscheinlich aus den letzten Tagen
-seines Vaters, und unten fanden sich die Worte: diese Stücke sind jetzt
--- --, weiter hatte die Hand nicht geschrieben, und selbst diese Zeile
-war wieder ausgestrichen worden.
-
-Nun suchte Eduard noch eifriger, aber keine Spur. Das Licht war
-niedergebrannt, sein Blut war erhitzt; er warf die Bogen eilig im Zimmer
-umher, aber es zeigte sich nichts. Als er ein altes vergelbtes Papier
-auseinander schlug, sah er zu seinem Erstaunen einen Schein, der vor
-vielen Jahren ausgestellt war, in welchem sich sein Vater als den
-Schuldner Walthers mit einer namhaften Summe bekannte. Er war nicht
-quittirt, aber doch nicht in den Händen des Gläubigers. Wie war dieser
-Umstand zu erklären? --
-
-Er steckte ihn zu sich und rechnete aus, daß, wenn das Blatt gültig
-wäre, er von seinem Hause kaum noch etwas übrig behalten würde. Er
-betrachtete einen Beutel, den er in eine Ecke gestellt, und der dazu
-bestimmt war, ein für allemal noch den Familien, die er bisher im
-Stillen unterstützt hatte, eine ansehnliche Hülfe zu geben. -- Denn wie
-er im Verschwenden leichtsinnig war, so war er es auch in seinen
-Wohlthaten; man hätte sie auch, wenn man strenge seyn wollte,
-Verschwendung nennen können. -- Wenn ich nur diese Summe nicht anrühren
-darf, damit die Elenden sich noch einmal freuen, so ist es nachher auch
-eben so gut, ganz von vorn anzufangen und nur meinen Kräften zu
-vertrauen. Dies war vor dem Einschlafen sein letzter Gedanke.
-
- * * * * *
-
-Eduard war vom Geheimenrath Walther eingeladen worden; es war lange
-nicht geschehen, und ob der Jüngling gleich nicht begriff, wie der alte
-Freund zu diesem erneuten Wohlwollen komme, so ging er doch mit frischem
-Muthe hin, hauptsächlich in der frohen Erwartung, mit Sophien die
-ehemalige Bekanntschaft wieder anzuknüpfen. Er nahm das aufgefundene
-Papier mit.
-
-Es war ihm sehr verdrüßlich, dort den alten und den jungen Herrn von
-Eisenschlicht zu finden; indessen, da er bei Tische Sophien gegenüber
-saß, so richtete er das Gespräch hauptsächlich an diese, und bestrebte
-sich, heiter zu erscheinen, obgleich sein Gemüth auf vielfache Weise
-gereizt war; denn es entging ihm nicht, wie der alte Walther dem jungen
-Eisenschlicht mit aller Artigkeit entgegen kam, und ihn beinahe
-vernachläßigte; auch war es in der Stadt bekannt, daß sich der Rath den
-jungen reichen Mann zum Schwiegersohne wünsche. Dieser ließ sich die
-Freundlichkeit des Wirthes gefallen mit einer Art, als wenn es nicht
-anders seyn könne, und Erich, der es gut mit dem jungen Eduard meinte,
-suchte nur zu verhindern, daß der gereizte Jüngling nicht in Heftigkeit
-ausbräche. Sophie war die Munterkeit selbst; sie hatte sich mehr
-geschmückt als gewöhnlich, und der Vater mußte sie oft prüfend
-betrachten, denn ihr Anzug wich in einigen Stücken von dem
-gebräuchlichen ab, und erinnerte ihn heute lebhafter als je an jenes
-verlorene Bild von _Messys_, welches die beiden jungen Leute in einer
-gewissen Aehnlichkeit als Schäfer darstellte.
-
-Man versammelte sich nach Tische im Bildersaal, und Erich mußte lächeln,
-als er bemerkte, daß sein Freund wirklich den falschen Höllenbreughel
-hoch in einen Winkel hinauf gehangen hatte, wo man ihn kaum noch
-bemerken konnte. Der junge Eisenschlicht setzte sich neben Sophien, und
-schien sehr angelegentlich mit ihr zu sprechen. Eduard ging unruhig hin
-und her, und betrachtete die Bilder; Erich unterhielt sich mit dem Vater
-des jungen Freiwerbers, und Walther hatte ein prüfendes Auge auf Alle
-gerichtet.
-
-Warum aber, sagte Erich zu seinem Nachbar, ist Ihnen hier das Meiste aus
-der niederländischen Schule zuwider?
-
-Weil sie so viel Lumpenvolk und Bettler darstellt, antwortete der reiche
-Mann. Mein Widerwille trifft auch nicht diese Niederländer allein,
-sondern vorzüglich ist mir deshalb der Spanier _Murillo_ verhaßt, und
-auch so manche Italiener. Es ist schon traurig genug, daß man sich auf
-Markt und Straße, ja in den Häusern selbst, nicht vor diesem Geschmeiße
-zu retten weiß; wenn aber ein Künstler verlangt, ich soll mich gar noch
-auf bunter Leinwand an dem lästigen Volke ergötzen, so heißt das, meiner
-Geduld etwas zu viel anmuthen.
-
-Da würde Ihnen vielleicht, sagte Eduard, der _Quintin Messys_ recht
-seyn, der so häufig Wechsler an ihrem Tische, mit Münzen und
-Rechnungsbüchern so treu und kräftig vor uns hinstellt.
-
-Auch nicht, junger Herr, sagte der alte Mann: das können wir leicht und
-ohne Anstrengung in der Wirklichkeit sehn. Soll ich mich einmal an
-Malerei erfreuen, so verlange ich große königliche Aufzüge, viele
-schwere Seidenzeuge, Kronen und Purpurmäntel, Pagen und Mohren; das,
-vereinigt mit einem Anblick auf Paläste, große Plätze und in weite
-gerade Straßen hinein, erhebt die Seele, das macht mich oft auf lange
-munter, und ich werde nicht müde, es immer wieder von Neuem zu
-beschauen.
-
-Gewiß, sagte Erich, hat _Paul Veronese_ und manche andere Italiener auch
-darin viel Vorzügliches geleistet.
-
-Was sagen Sie denn zu einer Hochzeit von Cana in dieser Manier? fragte
-Eduard.
-
-Alles Essen, erwiederte der alte Herr, wird auf Bildern langweilig, weil
-es doch nie von der Stelle rückt, und die gebratenen Pfauen und hoch
-aufgehobenen Pasteten, so wie die halb umgedrehten Mundschenken, sind
-auf allen solchen Darstellungen lästige Creaturen. Aber ein Anderes ist
-es, wenn sie den kleinen Moses aus dem Wasser ziehn, und dabei steht die
-Prinzeß in ihrem reichsten Schmuck, und umher die geputzten Damen, die
-auch für Fürstinnen gelten könnten, Männer mit Hellebarden und
-Rüstungen, selbst Zwerge und Hunde; ich kann nicht sagen, wie es mich
-erfreut, wenn ich eine solche Geschichte, die ich in meiner frühen
-Jugend oft unter Beklemmungen in einer dunkeln Schulstube lesen mußte,
-so herrlich ausgeschmückt wieder antreffe. Von dergleichen Sachen aber,
-lieber Herr Walther, haben Sie zu wenig. Ihre meisten Bilder sind für
-die Empfindung, und ich will niemals, am wenigsten von Kunstwerken,
-gerührt seyn. Ich werde es auch nicht, sondern ich ärgre mich nur.
-
-Noch schlimmer, fing der junge Eisenschlicht an, ist es aber in unsern
-Comödien. Wenn wir aus einer angenehmen Gesellschaft und von einem
-glänzenden Diner in den erleuchteten Saal treten: wie kann man nur
-verlangen, daß wir uns für das mannigfaltige Elend und den kümmerlichen
-Mangel interessiren sollen, der uns hier aufgetischt wird? Könnte man
-nicht dieselbe polizeiliche Einrichtung treffen, die schon in den
-meisten Städten löblicherweise angeordnet ist, daß ich ein für allemal
-für die Armuth etwas einlege, und mich dann nicht weiter von den
-einzelnen Zerlumpten und Hungernden incommodiren lasse?
-
-Bequem wäre es ohne Zweifel, sagte Eduard: ob aber durchaus zu loben,
-sei es als Polizei- oder Kunsteinrichtung, weiß ich noch nicht zu sagen.
-Ich kann mich wenigstens des Mitleids gegen den Einzelnen nicht
-erwehren, und mag es auch nicht, wenn man freilich oft zur Unzeit
-gestört, unverschämt bedrängt, und zuweilen auch wohl arg betrogen wird.
-
-Ich bin Ihrer Meinung, rief Sophie aus: ich kann die stummen, blinden
-Bücher nicht leiden, in die man sich einschreiben soll, um sich ruhig
-auf eine unsichtbare Verwaltung verlassen zu können, die dem Elende, so
-viel als möglich, abhelfen werde. In manchen Gegenden verlangt man
-sogar, man soll sich verpflichten, dem Einzelnen nichts zu geben. Aber
-wie kann man nur dem Jammer widerstehn? Wenn ich dem gebe, der mir seine
-Noth klagt, so sehe ich doch wenigstens seine augenblickliche Freude,
-und kann hoffen, ihn getröstet zu haben.
-
-Das ist es eben, sagte der alte Kaufmann, was in allen Ländern den
-Bettelstand erhält, daß wir uns nicht von dem kleinlichen Gefühl einer
-weichlichen Eitelkeit und eines süßlichen Wohlthuns frei machen können
-und wollen. Dies ist es zugleich, was die besseren Maßregeln der Staaten
-vereitelt und unmöglich macht.
-
-Sie denken anders, als jene Schweizer, sagte Eduard. Es war in einer
-katholischen Gegend, wo ein alter Bettler seit lange sein Almosen an
-gewissen Tagen einkassirte, und in jedem Hause fast, da die ländliche
-Einsamkeit nicht viel Gewerbe und Umtrieb gestattete, mit zur Familie
-gerechnet wurde. Indessen traf es sich doch, daß man ihn in einer Hütte,
-als er zusprach, da man gerade mit einer Wöchnerin sehr beschäftigt war,
-in der Verwirrung und Besorgniß für die Kranke abwies. Als er wirklich
-nach wiederholter Forderung nichts erhielt, wandte er sich zornig und
-rief im Scheiden: Nun, wahrlich, ihr sollt sehn, daß ich gar nicht
-wiederkomme, und so mögt ihr dann sehen, wo ihr wieder einen Bettler
-herkriegt!
-
-Alle lachten, nur Sophie nicht, welche diesen Ausspruch ganz vernünftig
-finden wollte, und mit diesen Worten schloß: gewiß, wenn es uns
-unmöglich gemacht werden könnte, Wohlthaten zu erzeigen, so möchte unser
-Leben selber arm genug werden. Könnte der Trieb des Mitleids in uns
-ersterben, so möchte es auch wohl um Lust und Freude traurig aussehen.
-Derjenige, der glücklich genug ist, mittheilen zu können, empfängt mehr,
-als der arme Nehmende. Ach! das ist ja noch das Einzige, fügte sie mit
-großer Bewegung hinzu, was das starre Eigenthum, die Grausamkeit des
-Besitzes etwas entschuldigen und mildern kann, daß auf die Schmachtenden
-unten etwas von dem unbillig Aufgehäuften herabgeschüttet wird, damit es
-nicht ganz in Vergessenheit komme, daß wir alle Brüder sind.
-
-Der Vater sah sie mißbilligend an, und wollte eben etwas sagen, als
-Eduard heftig einfiel, indem er seine feurigen Augen auf die feuchten
-des Mädchens heftete: dächte die Mehrzahl der Menschen so, so lebten wir
-in einer andern und bessern Welt. Wir entsetzen uns, wenn wir von dem
-Drangsal lesen, das in Wüsten und Einöden fremder Himmelsstriche dem
-harmlosen Wanderer auflauert, oder von jenen Schrecknissen, die auf der
-unwirthbaren See das Schiffsvolk fürchterlich verzehren, wenn im
-höchsten Mangel kein Fahrzeug oder keine Küste sich auf der
-unermeßlichen Fläche zeigen will; wir entsetzen uns, wenn Ungeheuer der
-Tiefe den Verunglückten zerfleischen, -- und doch -- leben wir nicht in
-den großen Städten, wie auf einem Vorgebirge, wo unmittelbar zu unsern
-Füßen aller dieser Jammer, dasselbe gräuliche Schauspiel sich
-entwickelt, nur langsamer und desto grausamer? Aber wir sehen aus unsern
-Concerten und Festen, und aus dem sichern Gewahrsam des Wohlstandes
-nicht in diesen Abgrund hinein, wo die Gestalten des Elends sich in
-tausend fürchterlichen Gruppen, wie in Dante's Gebilden, zermartern und
-verzehren, und gar nicht einmal mehr zu uns empor zu schauen wagen, weil
-sie schon wissen, welchem kalten Blick sie begegnen, wenn ihr Geschrei
-uns zu Zeiten aus den Betäubungen unsrer kalten Ruhe weckt.
-
-Diese Uebertreibungen, sagte der alte Eisenschlicht, sind jugendlich.
-Ich behaupte immer noch, der wirklich gute Bürger, der echte Patriot
-soll sich von augenblicklicher Rührung nicht hinreißen lassen, die
-Bettelei zu unterstützen. Er theile jenen wohlthätigen Anstalten mit, so
-viel er mit Bequemlichkeit entbehren kann; aber vergeude nicht seine
-geringen Mittel, die auch hierin der Aufsicht des Staates zu Gute kommen
-sollen. Denn was thut er im entgegengesetzten Fall? Er befördert durch
-seine Weichlichkeit, ja ich möchte es fast wollüstigen Kitzel des
-Herzens nennen, Betrug, Faulheit, Unverschämtheit, und entzieht das
-Wenige der wahren Armuth, die er doch nicht immer antreffen oder
-erkennen kann. Wenn wir aber auch jene übertriebene Schilderung des
-Elendes als richtig anerkennen wollten, was kann der Einzelne auch
-selbst in diesem Falle Gutes stiften? Ist er denn im Stande, die Lage
-des Verzweifelnden zu verbessern? Was hilft es, doch immer nur wieder
-einen Tag oder eine Stunde zu erleichtern? Der Unglückliche wird seine
-Schmach nur um so tiefer empfinden, wenn er nicht seinen Zustand in
-einen glücklichen verwandeln kann; er wird noch unzufriedener, noch
-elender werden, und ich schade ihm, anstatt ihm zu nützen.
-
-O, sagen Sie das nicht, rief Eduard aus, wenn ich Sie nicht verkennen
-soll; denn es erscheint mir wie Lästerung! Was der Arme in einem solchen
-Augenblick des Sonnenscheins gewinnt? O mein Herr! er, der schon daran
-gewöhnt ist, von der Gesellschaft der Menschen ausgestoßen zu seyn; er,
-für den es kein Fest, keinen Markt, keine Gesellschaft, und kaum eine
-Kirche giebt; für den Ceremonie, Höflichkeit und alle die Rücksichten
-ausgestorben sind, die sonst jeder Mensch dem andern leistet; dieser
-Elende, dem auf Spaziergängen und in der Frühlingsnatur nur Verachtung
-grünt und blüht, er wendet oft das dürre Auge nach Himmel und Sternen
-über sich, und sieht auch dort nur Leere und Zweifel; aber in solcher
-Stunde, die ihm unverhofft eine reichlichere Gabe spendet, daß er mit
-mehr als augenblicklichem Trost zu den verschmachteten Seinigen in die
-dunkle Hütte kehren kann, geht ihm plötzlich im Herzen wieder der Glaube
-an Gott, an seinen Vater auf; er wird wieder Mensch, er fühlt wieder die
-Nähe eines Bruders, und darf diesen und sich wieder lieben. -- Wohl dem
-Reichen, der diesen Glauben fördern, der mit der sichtbaren Gabe das
-Unsichtbare schenken kann; und wehe dem Verschwender, der sich durch
-frevelnden Leichtsinn dieser Mittel beraubt, ein Mensch unter den
-Menschen zu seyn; denn das Gefühl wird ihn am härtesten strafen, daß er
-als herzloser Barbar in Strömen das Labsal in die Wüste geschüttet hat,
-wovon ein jeder Tropfen seine Brüder, unter der Last des mühseligen
-Lebens erliegend, erquicken könnte.
-
-Er konnte das Letzte nur mit Thränen sagen, er verhüllte sein Angesicht
-und bemerkte nicht, daß die Fremden, auch Erich, vom Wirthe Abschied
-nahmen. Auch Sophie weinte; doch ermunterte sie sich zur Heiterkeit, als
-der Vater zurück kam.
-
-Als sich in andern Gesprächen die Gefühle wieder beruhigt hatten, zog
-Eduard das Papier aus der Tasche, und trug dem Rathe die zweifelhafte
-Sache vor, und wie sehr er besorge, noch mit einer ansehnlichen Summe
-sein Schuldner zu seyn, die er ihm durch ein Capital abzutragen denke,
-welches er auf sein Haus zu bekommen suchen wolle.
-
-Der Alte sah abwechselnd ihn und das vergelbte Papier mit großen Augen
-an, endlich faßte er die Hand des Jünglings und sagte mit gerührter
-Stimme: mein junger Freund, Sie sind viel besser, als ich und auch die
-Welt von Ihnen gedacht haben; Ihr Gefühl entzückt mich, und wenn Sie
-auch mit dem Herrn von Eisenschlicht nicht so heftig hätten sprechen
-sollen, so war ich doch bewegt; denn, wahrlich! ich denke wie Sie über
-diesen Punkt. Was dies Papier betrifft, so kann ich Ihnen darüber
-schwerlich eine entscheidende Antwort geben, ob es gültig sei oder
-nicht. Es rührt aus einer frühen Zeit her, in der ich mit Ihrem wackern
-Vater mancherlei, und zuweilen verwickelte Geldgeschäfte hatte; wir
-halfen einander bei unsern Speculationen und Reisen aus, und der alte
-Herr war dazumal in früher Jugend freilich zuweilen etwas locker und
-wild. Er bekennt hier, mir eine ansehnliche Summe schuldig zu seyn; das
-Blatt muß sich unter seinen Papieren verloren haben; ich weiß nichts
-mehr davon, weil wir sehr viel mit einander zu berechnen hatten, und ich
-war denn damals auch nicht so ordentlich, wie jetzt. Indeß -- (und mit
-diesen Worten zerriß er das Blatt) sei diese anscheinende Forderung
-zernichtet; denn auf keinen Fall, auch wenn die Schuld klar wäre, könnte
-ich von Dir, mein Sohn, diese Summe annehmen; wenigstens sollte ich Dir
-so viel nachzahlen für jene Gemälde, die Du mir viel zu wohlfeil
-verkauft hast. Kann ich Dir überhaupt helfen, mein gutes Kind, so rechne
-auf mich, und Alles kann vielleicht noch gut werden.
-
-Eduard beugte sich über seine Hand und rief: ja sei'n Sie mir Vater,
-ersetzen Sie mir den, den ich zu früh verloren habe! Ich verspreche es
-Ihnen, es ist mein fester Vorsatz, ich will ein andrer Mensch werden,
-ich will meine versäumte Zeit wieder einbringen; ich hoffe, der
-menschlichen Gesellschaft noch einmal nützlich zu werden. Aber
-väterlicher Rath, wohlwollende Aufmunterung muß mich leiten, damit ich
-wieder Vertrauen zu mir fasse.
-
-So gut, sagte der Alte, hätte es uns schon seit manchem Jahre werden
-können, aber Du hast es dazumal verschmäht. Worin ich Dir nur irgend
-helfen kann, darfst Du sicher auf mich rechnen. Jetzt aber will ich
-doch, Neugierde halber, noch einmal meine Papiere ansehen, ob ich denn
-doch von dieser Schuld gar keine Nachricht finden sollte.
-
-Er ließ die beiden jungen Leute allein, die sich erst eine Weile
-stillschweigend ansahen, und sich dann in die Arme flogen. Sie hielten
-sich lange umschlossen, dann machte sich Sophie gelinde los, entfernte
-den Jüngling und sagte, indem sie ihm mit Munterkeit in's Auge sah: wie
-widerfährt mir denn das? Eduard, was soll uns denn das bedeuten?
-
-Liebe, rief Eduard, Glück und ewige Treue! Sieh, liebstes Kind, ich
-fühle mich, wie von einem schweren Traum erwacht. Das Glück, das mir so
-nahe vor den Füßen lag, das mir mein redlicher Vater schon an Deiner
-Wiege zugedacht hatte, stieß ich wie ein ungezogener Knabe von mir, um
-mich der Welt und mir selbst verächtlich zu machen. Hast Du mir denn
-vergeben, holdseliges Wesen? Kannst Du mich denn lieben?
-
-Ich bin Dir recht von Herzen gut, Du mein alter Spielkamerad, sagte
-Sophie: aber glücklich sind wir darum noch nicht.
-
-Was kann uns noch im Wege seyn! rief Eduard aus. O wie tief beschämt es
-mich, daß ich Deinen edeln Vater so sehr habe verkennen mögen! Wie gütig
-er mir entgegen kommt! Wie herzlich er mich als Sohn an seine Brust
-drückt!
-
-Ja, Du wunderlicher Kauz, lachte Sophie auf, das ist ja aber nicht _so_
-gemeint. Aber der bleibt zeitlebens unbesonnen, und hat gleich die
-Rechnung ohne den Wirth gemacht! Davon wird der Papa, so gut er auch
-seyn mag, nicht eine Sylbe hören wollen. Auch müssen wir beide uns ja
-erst näher kennen lernen. Freund, das sind Sachen, die sich noch in die
-Jahre hinaus verziehen können. Und während der Zeit sattelst Du auch
-vielleicht wieder um, und lachst dann in Deiner lustigen Gesellschaft
-über meinen Gram und meine Thränen.
-
-Nein! rief Eduard und warf sich vor ihr nieder: verkenne mich nicht, sei
-so gut und lieb, wie Dein Auge verspricht! Und ich fühle es, Dein Vater
-wird sich unsers Glückes freuen, er wird unsern Bund segnen! Er umfaßte
-sie heftig, ohne zu bemerken, daß der Vater schon wieder hinter ihm
-stand. Was ist das, junger Herr? rief der Alte erzürnt aus: den Bund
-segnen? Nein, vertreiben, aus seinem Hause verbannen wird er den lockern
-Zeisig, der so sein Vertrauen und seine Neigung zu ihm mißbrauchen will.
-
-Eduard war aufgestanden und sah ihm ernst in's Auge. Sie sind nicht
-gesonnen, mir Ihre Tochter zur Frau zu geben? fragte er mit ruhigem
-Tone.
-
-Was! rief der Alte mit der größten Ungeduld, seid Ihr rasend, Patron?
-Einem Menschen, der den Nachlaß seines Vaters, die kostbarsten Bilder
-verkauft und verschleudert hat? Und wenn Ihr ein Millionär wäret, ein so
-gefühlloser Mensch erhielte sie niemals! Ei, da würde es nach meinem
-Tode, vielleicht schon während meinen letzten Tagen, an ein herrliches
-Ausbieten meiner Schätze gehen, da würden die Bilder in alle vier Ecken
-der Welt fliegen, daß ich keine Ruhe in meinem Grabe hätte. Klug ist er
-aber, der saubre Herr. Macht mich erst recht treuherzig, bringt mir mit
-herrlicher Großmuth ein altes Schuldblatt seines Vaters, das er mir noch
-bezahlen will, kirrt mich in die Rührung hinein, damit ich nur noch
-großmüthiger, noch edler und heroischer werden, und ihm meine Tochter an
-den Hals werfen soll. Nein nein, mein junger Herr, so leicht hat er das
-Spiel bei mir nicht gewonnen. Die Schuld ist kassirt, ich finde keine
-Spur davon in meinen Büchern, und selbst, wie ich schon sagte, wenn es
-wäre. Auch will ich Ihm helfen, wie ich versprach, mit Rath und That,
-mit Freundschaft und Geld, so viel Er nur billigerweise verlangen kann.
-Aber mein Kind laß Er mir aus dem Spiele, und darum verbitt' ich mir in
-Zukunft Seine Gegenwart in meinem Hause. Auch mag sie Ihn gar nicht, so
-wie ich sie kenne. Sprich, Sophie, wärst Du wohl im Stande, Dich mit
-einem solchen Thunichtgut einzulassen?
-
-Ich mag gar noch nicht heirathen, sagte Sophie, und diesen wohl am
-wenigsten, der zu allen Dingen in der Welt besser, als zu einem Ehemann
-paßt. Halb schmerzhaft und doch lächelnd warf sie dem Jüngling einen
-scheidenden Blick zu und verließ den Saal. Sophie! rief Eduard aus und
-wollte ihr nacheilen: wie kannst Du diese Worte sprechen? Der Alte hielt
-ihn am Kleide fest und machte Miene, ihm noch eine lange Ermahnung zu
-halten; doch Eduard, der nun die Geduld völlig verloren hatte, nahm
-seinen Hut, stellte sich vor den Vater und sagte mit einer Stimme, die
-von Zorn und Schluchzen unterdrückt war: ich gehe, alter Herr, und komme
-nicht, merken Sie sich das! in Ihr Haus zurück, bis Sie mich rufen
-lassen! bis Sie mich selber wieder hieher zurück rufen! Ja, bis Sie mich
-inständig bitten, Ihre Wohnung nicht zu verschmähen! Es kann mir nicht
-fehlen; Talente, gute Aufführung, Kenntnisse, sie bahnen mir den Weg zu
-den höchsten Ehrenstellen. Dem Prinzen bin ich schon empfohlen. Das ist
-aber nur die erste und kleinste Staffel meines Glücks! Ganz andre Wege
-müssen sich mir eröffnen. Und wenn dann die Stadt es sich zur Ehre
-rechnet, mich geboren zu haben, wenn ich diese jetzige Stunde ganz
-vergessen habe, dann sende ich irgend einen Vertrauten von Ansehn zu
-Ihnen, und lasse unter der Hand anfragen, wie es um Ihre Tochter steht:
-dann fallen Sie aus den Wolken, daß ich noch an Sie denke, Sie falten
-andächtig die Hände, daß sich Ihnen die Möglichkeit zeigt, einen solchen
-Schwiegersohn zu erhalten, -- und so, gerade so wird es kommen, und auf
-diese Weise werde ich Sie zwingen, mir Ihre Tochter zu geben.
-
-Er stürzte fort, und der Vater sah ihm mit zweifelndem Blicke nach und
-murmelte: nun ist er gar verrückt geworden.
-
- * * * * *
-
-Im Freien, als dem jungen Manne ein heftiges Schneegestöber
-entgegenschlug, verkühlte sich seine sonderbare Hitze; er mußte über
-seine Heftigkeit und jene unsinnigen Reden erst lächeln, dann laut
-lachen, und als er sich in seiner Wohnung befand, kam er beim Umkleiden
-völlig zur Besinnung. Dieser Tag war für ihn von der höchsten
-Wichtigkeit, denn die Stunde war jetzt da, in welcher er sich dem
-Prinzen, der unterdessen, wie man ihm gesagt hatte, angelangt war,
-vorstellen sollte. Die Kleider, welche er jetzt anlegte, hatte er lange
-nicht getragen, mit solcher Aufmerksamkeit hatte er sich noch nie im
-Spiegel betrachtet. Er musterte seine Gestalt, und konnte sich nicht
-verhehlen, daß er gut gewachsen, daß sein Auge feurig, sein Gesicht
-anmuthig und die Stirne edel sei. Mein erster Anblick, sagte er zu sich
-selbst, wird ihm wenigstens nicht mißfallen. Alle Menschen, selbst
-diejenigen, die mich nicht leiden können, loben mein gewandtes und
-feines Betragen; ich habe manche Talente und Kenntnisse, und was mir
-mangelt, kann ich bei meiner Jugend, bei meinem trefflichen Gedächtnisse
-leicht nachholen. Er wird mich lieb gewinnen, und bald werde ich ihm
-unentbehrlich seyn. Der Umgang mit der großen Welt wird nach und nach
-alles das wegschleifen, was mir noch von schlechten Gesellschaften
-anhängen mag. Reise ich nun auch mit ihm, und muß mich etwa ein Jahr,
-oder selbst noch länger, von hiesiger Gegend entfernen, so dient dies
-auch in fremden Ländern nur um so mehr dazu, mich in seiner Gunst recht
-fest zu setzen. Wir kommen dann zurück; meiner Bildung, meinen
-Ansprüchen kommen durch seine Protection die ansehnlichsten Stellen
-hier, oder auch im Auslande entgegen, und ich werde gewiß alsdann nicht
-vergessen haben, daß es doch Sophie eigentlich war, die mein besseres
-Selbst zuerst aus seinem Schlaf erweckte.
-
-Er war nun angekleidet und so trunken von seinen Hoffnungen, daß er es
-nicht merkte, wie er wieder die nämlichen Worte vor sich selber
-aussprach, über welche er sich vorhin verlacht hatte. Er nahm die ganz
-erblühte Monatsrose aus dem Glase, und drückte sie, um sich zu seinem
-Gange zu stärken, an den Mund, aber zugleich fielen ihm alle ihre
-Blätter vor die Füße. Eine üble Vorbedeutung! seufzte er und ging aus
-dem Hause, um in den Wagen zu steigen.
-
-Als er im Palast angelangt war, gab er dem Bedienten den Brief, welcher
-ihn dem Prinzen empfehlen sollte. Indem er den Spiegelwänden vorüber
-spazierte, kam zu seiner Verwunderung der junge Dietrich aus einem
-Seitenzimmer in verstörter Eile, und bemerkte anfangs seinen
-Befreundeten nicht. Wie kommen Sie hieher? fragte Eduard hastig. Kennen
-Sie den Prinzen? -- Ja, -- nein, -- stotterte Dietrich, -- es ist eine
-sonderbare Sache, die wohl, -- ich will es Ihnen erzählen, aber freilich
-wird hier keine Zeit dazu seyn.
-
-Dies war in der That der Fall, denn eine geschmückte, in Juwelen
-prangende Dame schritt mit vornehmem Anstande herein, und vertrieb den
-jungen Maler, der sich mit ungeschickten Verbeugungen entfernte. Eduard
-stand still, als die glänzende Erscheinung ihm näher kam; er wollte sich
-verneigen, aber sein Erstaunen lähmte seine Bewegung, als er in ihr jene
-Schöne plötzlich erkannte, die zum Nachtheil seines Rufes so lange in
-seinem Hause gewohnt, und mehr als alle seine Verirrungen sein Vermögen
-verringert hatte. Wie! rief er aus, -- Du selbst -- Sie, hier in diesen
-Zimmern?
-
-Und warum nicht? sagte sie lachend. Es wohnt sich gut hier. Du merkst
-doch wohl, mein Freund, daß ich, wie einst Deine Freundin, so jetzt die
-Freundin des Fürsten bin, und wenn Du etwas bei ihm suchst, so kann ich
-Dir Ungetreuem vielleicht beförderlich seyn, denn er hat mehr Gemüth,
-als Du, und auf seine fortdauernde Gunst kann ich sicherer zählen, als
-es mir mit Deinem Flattersinn gelingen wollte.
-
-Eduard mochte die freundliche Schöne in dieser Stunde nicht daran
-erinnern, daß sie sich zuerst von ihm entfernt hatte, als sie gesehen,
-daß sein Vermögen verschwendet war; er entdeckte ihr seine Lage und
-seine Hoffnungen, und sie versprach, sich mit dem besten Eifer für ihn
-zu verwenden. Sei nur ruhig, mein Freund, so beschloß sie ihre
-Versicherungen, es kann und soll Dir nicht fehlen, und dann wird es sich
-ja zeigen, ob Du noch ein Fünkchen Liebe in Deinem kalten Herzen für
-mich aufbewahrt hast. Nur mußt Du vorsichtig seyn und in seiner
-Gegenwart fremd gegen mich thun, damit er nie erfährt oder merkt, daß
-wir uns schon sonst gekannt haben.
-
-Mit einem flüchtigen Kuß, wobei die geschminkte Wange ihm einen
-lebhaften Widerwillen erregte, verließ sie ihn, und Eduard ging mit dem
-größten Mißbehagen im Saale auf und ab, da sich Alles so ganz anders
-gestaltete, als er es sich vorgebildet hatte. Dieses Wesen, welches er
-hassen mußte, in seiner neuen Umgebung zu finden, schlug alle seine
-Hoffnungen nieder, und er nahm sich fest vor, ihren Netzen und Lockungen
-zu entgehen, und wenn diese seine Tugend ihm auch die größten Nachtheile
-bringen sollte.
-
-Indem öffnete sich die Thüre, und jener ihm so widerwärtige Unbekannte
-trat mit seinem hoffärtigen Gange und stolzer Geberde herein.
-
-Eduard ging ihm entgegen und sagte: vielleicht gehören Sie zum Gefolge
-Seiner Durchlaucht, und können mir melden, ob ich jetzt die Ehre haben
-kann, ihm meine Aufwartung zu machen.
-
-Der Fremde stand still, sah ihn an, und nach einer Pause antwortete er
-in kaltem Tone: das kann ich Ihnen freilich sagen; keiner besser als
-ich. -- Eduard erschrack, da er den Empfehlungsbrief in seinen Händen
-bemerkte. Will mich der Prinz nicht sprechen? fragte er bestürzt. Er
-spricht mit Ihnen, antwortete jener, und mit so höhnendem und
-wegwerfendem Tone, daß der junge Mann alle Fassung verlor. Ich halte
-mich schon seit einiger Zeit in dieser Stadt auf, fuhr der vornehme
-Fremde fort, und habe Gelegenheit gefunden, Menschen und Verhältnisse
-durch mein Incognito kennen zu lernen. Wir sind uns auf eine etwas
-sonderbare Art nahe gekommen, und wenn ich auch jenen Schritt, von dem
-Sie wohl selbst wissen, daß er kein ganz unschuldiger war, entschuldigen
-könnte, so hat er mir doch ein gerechtes Mißtrauen gegen Ihren Charakter
-eingeflößt, so daß ich unmöglich Ihnen eine Stelle einräumen kann, die
-uns in eine vertrauliche Nähe rücken würde. Ich gebe Ihnen also diesen
-Brief zurück, den ich, trotz seiner warmen Empfehlung, und obwohl er aus
-höchst achtungswürdigen Händen kommt, nicht berücksichtigen kann.
-Insofern Sie mich persönlich beleidigt haben, ist Ihnen, da Sie mich
-nicht kannten, völlig vergeben, und Ihre jetzige Beschämung und
-Verwirrung ist mehr als hinlängliche Strafe. Ein junger Mann verließ
-mich eben, von dem ich ein ziemlich wohlgerathenes Bild gekauft habe,
-und welchem ich auch einige Warnungen und gute Lehren für seine Zukunft
-mitgegeben habe. -- Ich sehe, daß unser Zusammentreffen Sie etwas zu
-sehr erschüttert, und da Sie vielleicht auf jene Stelle schon mit zu
-großer Sicherheit gerechnet hatten, und wohl in augenblicklicher
-dringender Verlegenheit sind, so empfangen Sie diesen Ring zu meinem
-Andenken und zum Zeichen, daß ich ohne allen Groll von Ihnen scheide.
-
-Eduard, welcher indeß Zeit gehabt hatte, sich wieder zu sammeln, trat
-mit Bescheidenheit einen Schritt zurück, indem er sagte: rechnen Sie es
-mir, Durchlauchtiger Prinz, nicht als Stolz und Uebermuth an, wenn ich
-dieses Geschenk, welches mir unter andern Umständen höchst ehrenvoll
-seyn würde, in dieser Stunde ausschlage. Ich kann Ihre Art nicht
-mißbilligen, und Sie erlauben mir gewiß, ebenfalls meinem Gefühle zu
-folgen.
-
-Junger Mann, sagte der Prinz, ich will Sie nicht verletzen, und da Sie
-mir Achtung abzwingen, so muß ich Ihnen auch noch sagen, daß wir uns,
-ungeachtet der sonderbaren Art, unsre Bekanntschaft zu machen, vereinigt
-hätten, wenn nicht eine Person, die ich achten und der ich glauben muß,
-und welche Sie vorhin in diesem Saale traf, mir so viel Nachtheiliges
-von Ihnen gesagt, und mich dringend ersucht hätte, auf den Brief keine
-Rücksicht zu nehmen.
-
-Ich werde, sagte Eduard wieder ganz heiter, dem Beispiele dieser Dame
-nicht folgen, und sie wieder anklagen, noch mich über sie beklagen, da
-sie gewiß nur ihrer Ueberzeugung gemäß gesprochen hat. Wenn mir aber
-Ihre Durchlaucht die Gnade erzeigen wollen, das Bild des jungen
-Dietrich, so wie einige Ihrer andern Gemälde zu zeigen, so werde ich mit
-der größten Dankbarkeit von Ihnen scheiden.
-
-Es freut mich, antwortete der Prinz, wenn Sie Interesse an der Kunst
-nehmen; ich habe zwar nur Weniges hier, aber ein Bild, das ich vor
-einigen Tagen so glücklich war, zu dem meinigen zu machen, wiegt allein
-eine gewöhnliche Sammlung auf.
-
-Sie traten in ein reich verziertes Kabinet, wo an den Wänden und auf
-einigen Staffeleien ältere und neuere Bilder sich zeigten. Hier ist der
-Versuch des jungen Mannes, sagte der Prinz, welcher allerdings etwas
-verspricht, und ob ich gleich dem Gegenstande keinen Geschmack
-abgewinnen kann, so ist doch die Behandlung desselben zu loben. Die
-Färbung ist gut, wenn auch etwas grell, die Zeichnung ist sicher und der
-Ausdruck rührend. Nur sollte man die Marien mit dem Kinde endlich zu
-malen aufhören.
-
-Der Prinz zog einen Vorhang auf, stellte Eduard in das rechte Licht und
-rief: sehn Sie aber hier dies gelungene, herrliche Werk meines
-Lieblings, des _Julio Romano_, und erstaunen Sie, und entzücken Sie
-sich!
-
-Mit einem lauten Ausrufe, und mit einem höchst freudigen, ja lachenden
-Gesicht mußte Eduard in der That dieß große Bild begrüßen; denn es war
-das wohlbekannte Machwerk seines alten Freundes, an welchem dieser schon
-seit einem Jahre gearbeitet hatte. Es war Psyche und der schlafende
-Amor. Der Prinz stellte sich zu ihm und rief: daß ich diesen Fund gethan
-habe, bezahlt mir allein schon die Reise hieher! Und bei jenem alten,
-unscheinbaren Manne habe ich dieses Kleinod angetroffen! Ein Mann,
-welcher selbst als Künstler keine unbedeutende Rolle spielt, aber doch
-bei weitem nicht so erkannt wird, wie er sollte. Er besaß das Gemälde
-schon lange und wußte, daß es vom _Julio_ sei; indessen da er nicht
-Alles gesehen hat, so waren ihm immer noch einige Zweifel geblieben, und
-er war erfreut, von mir so viele nähere Umstände von diesem Meister und
-seinen Werken zu erfahren. Denn freilich hat er Sinn, der Alte, und weiß
-wohl ein solches Juwel zu würdigen; aber er ist nicht in alle
-Trefflichkeiten des Malers eingedrungen. Ich würde mich geschämt haben,
-seine Unkenntniß zu benutzen, denn er foderte für diese herrliche
-Arbeit, zu der er auf sonderbare Weise gekommen ist, einen zu mäßigen
-Preis; ich habe diesen erhöht, um die Zierde meiner Gallerie auch auf
-eine würdige Art bezahlt zu haben.
-
-Er ist glücklich, sagte Eduard, der verkannte alte Mann, einen solchen
-Kenner und edlen Beschützer zum Freunde gewonnen zu haben; vielleicht
-ist er im Stande, die Gallerie Eurer Durchlaucht noch mit einigen
-Seltenheiten zu vermehren, denn er besitzt in seiner dunkeln Wohnung
-Manches, was er selbst nicht kennt oder würdigt, und ist eigensinnig
-genug, seine eignen Arbeiten oft allen ältern vorzuziehn.
-
-Eduard empfahl sich, ging aber nicht sogleich nach Hause, sondern eilte,
-so leicht bekleidet er auch war, nach dem Park, rannte lustig durch die
-abgelegenen, mit Schnee bedeckten Gänge, lachte laut und rief: o Welt!
-Welt! Lauter Fratzen und Albernheiten! O Thorheit, du buntes,
-wunderliches Kind, wie führst du deine Lieblinge so zierlich an deinem
-glänzenden Gängelbande! Lange lebe der große Eulenböck, er, der
-trefflicher, als Julio Romano oder Rafael ist! Habe ich doch nun auch
-einmal einen Kenner kennen gelernt.
-
- * * * * *
-
-Eduard hatte nun Anstalten zu dem lustigen Abend gemacht, welchen er mit
-Eulenböck verabredet hatte. Vor Kurzem war ihm dieser Tag als ein
-lästiger erschienen, den er nur bald hinter sich zu haben wünschte;
-jetzt aber war seine Stimmung so, daß er sich auf diese Stunden der
-Betäubung freute, weil er meinte, daß sie für lange Zeit seine letzten
-vergnügten seyn würden. Gegen Abend erschien der Alte, und schleppte mit
-einem Diener zwei Körbe mit Wein herbei. Was soll das? fragte Eduard:
-ist es denn nicht ausgemacht, daß ich Euch bewirthen soll? Das sollst Du
-auch, sagte der Alte, nur bringe ich einigen Vorrath zum Succurs, weil
-Du die Sache doch eigentlich nicht verstehst, und weil ich auch an
-diesem Abend recht ausgelassen seyn will.
-
-Ein trauriger Vorsatz, erwiederte Eduard, lustig seyn zu wollen, und
-dennoch habe ich ihn auch gefaßt, mir und meinem Schicksal zum Trotz.
-
-Sieh da, sagte Eulenböck lachend, hast Du auch ein Schicksal? Das hab'
-ich gar nicht einmal gewußt, junger Bursche; mir schien das Wesen sich
-immer höchstens zum Verhängniß hin zu neigen. Aber vornehmer ist das
-andere ohne Zweifel, und vielleicht wird es noch zum Geschick, wenn Du
-erst etwas klüger geworden bist. Ja, ja, Freund, Geschick, das ist es,
-was den meisten Menschen fehlt, Verstand, Umstände zu nutzen, oder sie
-hervor zu bringen, und darüber gerathen sie in's Schicksal, oder gar in
-das noch fatalere Verhängniß, wo sich dann nicht immer eine christliche
-Hand findet, sie wieder los zu schneiden.
-
-Du bist unverschämt, rief Eduard aus, und glaubst witzig zu seyn; oder
-Du hast Dir gar schon einen Rausch getrunken.
-
-Kann seyn, mein Kind, schmunzelte jener, und wir wollen bald die
-Anstalten treffen, mich wieder nüchtern zu machen. Unser gutes Prinzchen
-hat mich in eine Art von Wohlstand versetzt, der, wenn ich Vernunft
-habe, ein dauernder seyn kann; denn er protegirt mich trefflich, wird
-mir noch mehr abkaufen, und auch Sachen von meinem eignen Pinsel malen
-lassen. Er meint, ich wäre hier in dieser Stadt nicht an meiner Stelle,
-man erkenne mich nicht genug an, und es mangle mir an Aufmunterung.
-Vielleicht nimmt er mich mit, und bildet mich noch zum ächten Künstler
-aus, denn er hat den besten Willen dazu, und ich gerade Sinn und Talent
-genug, um ihn zu verstehn und mir von ihm rathen zu lassen.
-
-Schelm der Du bist! sagte sein junger Freund: ich habe lachen müssen,
-daß Du Deinen Julio Romano so vortheilhaft verkauft hast; aber ich
-möchte denn doch nicht an Deiner Stelle seyn.
-
-Der Alte ging auf ihn zu, sah ihn starr an und sagte: Und warum nicht,
-Kleiner? Wenn Du nur die Gabe dazu hättest! Jeder Mensch malt und
-pinselt an sich herum, um sich für besser auszugeben, als er in der That
-ist, und für ein wunderbares köstliches Original zu gelten, da die
-meisten doch nur geschmierte Copieen von Copieen sind. Hättest Du meinen
-Gönner das Bild nur analysiren hören, da hättest Du etwas lernen können!
-Nun verstehe ich erst alle die Kunst-Absichten des Julio Romano; Du
-glaubst nicht, wie viel Treffliches ich an dem Bilde übersehen hatte,
-wie viele Stellen seines markigen Pinsels. Ja, es ist eine Freude, einen
-solchen Künstler so recht zu durchdringen, und wenn man ihn ganz und in
-allen seinen Theilen zugleich faßt, so überschleicht uns im
-vollständigen Gefühl seines hohen Werthes eine wohlthätige Empfindung,
-als hätten wir auch an seiner Herrlichkeit einigen Antheil; denn ein
-Kunstwerk ganz verstehen, heißt, es gewissermaßen erschaffen. Wie großen
-Dank bin ich meinem erlauchten Gönner und Kenner schuldig, daß er mir
-auch außer dem Gelde noch eine solche Fülle von Künstlerweihe zufließen
-läßt.
-
-Wenn ich ihn nicht an der Tafel hätte malen sehen, rief Eduard lächelnd
-aus, so könnte er mich glauben machen, das Bild sei ein ächtes!
-
-Was hast Du gesehen? antwortete im Eifer der Alte: was verstehst Du von
-der Magie der Kunst und jenen unsichtbaren Geistern, die sich durch die
-Farbe und Zeichnung herbei ziehn und verkörpern lassen? Das sind eben
-Geheimnisse für den Laien. Glaubst Du denn, man malt nur, um zu malen,
-und daß es mit Pallette, Pinsel und dem guten Vorsatze genug sei? O
-theurer Gelbschnabel, da müssen noch gar wunderbare Conjuncturen,
-astralische Einflüsse und Wohlwollen mannigfaltiger Geister zusammen
-treffen, um etwas Rechtschaffenes zu Stande zu bringen! Hast Du es noch
-niemals erlebt, daß ein feinsinniger, tiefdenkender Künstler sein Tuch
-und Netz ausspannt, und seine Pinsel in die besten Farben taucht, um das
-schönste Ideal in sein Netz zu locken und hinein zu kitzeln? Er hat sich
-redlich vorgenommen, einen Apollo zu malen, er streicht und tuscht, und
-wischt und bürstet, und lächelt verliebt und mit süßester Freundlichkeit
-die Creatur an, die aus dem Nichts und Nebel hervor gehen soll; und wenn
-es nun fertig ist, siehe da, so hat sich in alle die künstlichen Netze
-ein wahrer Lümmel eingefangen, der aus der arkadischen Landschaft uns
-zähnefletschend entgegen grinzt! Nun kommen die Unverständigen und
-schreien und toben: der Malerkerl hat kein Talent, er hat die Antike
-nicht gehörig verstanden, er hat statt eines Ideals ein Schmierial
-hervorgebracht! und was dergleichen unverdaute Urtheile mehr ausgestoßen
-werden. So wird alsdann das gerührte Herz des Künstlers verkannt, dem
-sich ein wahrer Teufel, eine Höllenbrut statt eines Himmelsengels in
-seiner künstlichen Krebsreuse gefangen hat. Denn auch diese Geister
-streifen herum, und lauern nur darauf, wo sie sich verkörpern können.
-Bildwerke, die etwa untergehn, treiben sich oft lange geängstigt im
-leeren Raume um, bis ein freundlicher und der Sache gewachsener Mann
-ihnen wieder Gelegenheit verschafft, sichtlich herab zu steigen. Es hat
-mich Mühe genug gekostet, dieses Gedichts des trefflichen römischen
-Malers wieder habhaft zu werden; es erfodert mehr Studium, als Du daran
-wandtest, wenn Du in der Jugend dem Nachbar seine Tauben wegfingst. Wenn
-Du der Meinung bist, daß der Mensch, um eine heilige Geschichte zu
-malen, nicht seine ganze Andacht dem Gegenstande entgegen bringen muß,
-so bist Du sehr im Irrthum, aus dem Dich unser junger Freund, der
-talentvolle Dietrich, am ersten reißen könnte.
-
-Dietrich, welcher eingetreten war und nur die letzte Aeußerung gehört
-hatte, nahm sogleich Gelegenheit, diesen letzten Satz weitläufiger
-auszuführen. Indessen ließ Eulenböck decken, und stellte die Weine in
-die Ordnung, nach welcher sie genossen werden sollten; nachher wandte er
-sich mit der Frage an Eduard: und was denkst Du nun in Zukunft
-anzufangen?
-
-Für's Erste nicht viel, antwortete dieser: indessen will ich meine
-vernachlässigten Studien wieder anknüpfen und fortsetzen, und mich
-vorzüglich mit Geschichte und den neuern Sprachen beschäftigen. Ich
-schränke mich ein, vermiethe die übrigen Theile meines Hauses, welches
-mir doch ohne Nutzen leer steht, und behalte nur diesen kleinen Saal und
-die angränzenden Zimmer. So hoffe ich, ohne Sorgen, bei einer
-vernünftigen Lebensart, über die ersten Jahre hinüber zu kommen, und
-mich indeß zu irgend einem Amte tauglich gemacht zu haben.
-
-Hier also wird Dein Museum seyn? sagte Eulenböck, indem er mit dem Kopfe
-schüttelte. Diese Einrichtung will mir gar nicht gefallen, denn ich
-glaube nicht, daß diese Wände dazu geeignet sind, um hier gehörig
-studiren zu lassen, denn sie haben nicht die gehörige Resonnanz, das
-Zimmer selbst hat nicht die wahre Quadratur, die Gedanken schlagen zu
-heftig zurück und verschwirren, und wenn Du einmal eine rechte Fuge
-denken willst, so klappert gewiß Alles durch einander. Dein seliger Papa
-war auch darin wunderlich, noch in seinen letzten Jahren diesen schönen
-Saal durch seinen Eigensinn so zu verderben. Sonst sah man die Straße
-auf der einen Seite, und hier auf der andern über den Garten und den
-Park hinweg in die Hügel und fernen Berge hinein. Diese schöne Aussicht
-hat er nicht nur zumauern lassen, sondern auch noch die Fensteröffnungen
-mit Bohlen und Täfelung weit herein verbaut, und so das Ebenmaaß des
-Zimmers gestört. An Deiner Stelle riss' ich das Wesen, Tapeten und
-Vertäfelung wieder auf, und ließe, wenn doch einmal Fenster fehlen
-sollen, jene nach der Straße vermauern.
-
-Es war kein Eigensinn, sagte Eduard, es geschah, da er hier am liebsten
-wohnte, seiner Gesundheit wegen; der Morgenwind von hier schadete ihm,
-und erregte ihm Gichtschmerzen. Konnte er doch in den andern Zimmern die
-grüne Aussicht genießen.
-
-Wäre nur der alte Walther kein Narr, fuhr Eulenböck fort, so wäre Dir
-leicht geholfen. Er könnte Dir das Mädchen geben, die ja doch versorgt
-werden muß, und Alles wäre wieder in Ordnung!
-
-Schweig! rief Eduard mit der größten Heftigkeit aus: nur heute laß mich
-vergessen, was ich hoffte und träumte. Ich mag nicht mehr an sie denken,
-seit ich zu meinem Entsetzen fühlte, daß ich sie liebe. Ich will es mir
-nicht wiederholen, wie albern und thöricht ich mich gegen den Vater
-betrug; nichts soll mir heut einfallen, auch ihre unbegreifliche
-Aufführung nicht. Nein, es gab ein herrliches Glück für mich, ich habe
-es zu spät erkannt; das ist die Strafe meines Leichtsinns, daß ich auf
-ewig darauf verzichten muß! Wie ich aber ohne sie leben soll, muß ich
-erst von der Zukunft lernen.
-
-Indem trat der junge Mensch herein, der bis jetzt Eduards Bibliothekar
-vorgestellt hatte. Hier ist der Catalog, welchen Sie befohlen hatten,
-sagte er, indem er dem beschämten Jünglinge einige Blätter überreichte.
-Wie? rief dieser aus, nicht mehr als nur etwa sechshundert Bände sind
-noch von der schönen Sammlung übrig? Und unter diesen nur die
-gewöhnlichsten Werke? Der Bibliothekar zuckte mit den Achseln. Da Sie
-mir gleich vom Anbeginn, erwiederte er, meinen Gehalt in Büchern
-ausgezahlt haben, so mußte ich diejenigen nehmen, die am ersten Käufer
-fanden; auch bin ich nicht genug Kenner von Seltenheiten, und habe diese
-wohl nicht genug gewürdiget; außerdem haben Bücher, vorzüglich
-Raritäten, zu verschiedenen Zeiten einen ungleichen Werth, und ist der
-Verkäufer gedrängt, um eine Summe zu erhalten, so muß er fast nehmen,
-was ihm geboten wird.
-
-So hätt' ich also, sagte Eduard halb in Wehmuth, halb mit Lachen, gewiß
-besser gethan, gar keinen Bibliothekar anzunehmen, oder die Sammlung
-gleich anfangs zu verkaufen, dann hätte ich Geld dafür gehabt, oder die
-Bücher behalten. Und welche Sammlung! Mit welcher Liebe hat sie mein
-Vater gehegt! Welche Freude war es ihm, als er den seltnen Petrark, die
-erste Ausgabe des Dante und Boccaz erhielt! Wie konnt' ich es vergessen,
-daß sich in den meisten Büchern Nachweisungen von seiner Hand finden!
-Wie wollt' ich diese Werke ehren, wenn ich sie noch besäße! Uebrigens,
-da ich keine Bibliothek mehr habe, werden Sie ermessen, wie ich Ihnen
-auch schon neulich meldete, daß ich keines Bibliothekars mehr bedarf.
-Indessen wollen wir heut noch mit einander fröhlich seyn.
-
-Jetzt trat auch der Mann herein, der oft an den wilden Gelagen Theil
-genommen hatte, und den sie wegen seiner Gesinnungen immer nur den
-Pietisten nannten. Sie hatten ihm diesen Namen beigelegt, weil er nie in
-die heitern Scherze oder ausgelassene Fröhlichkeit der Andern stimmte,
-sondern unter Murren und moralischen Betrachtungen seinen Antheil am
-Mahle verzehrte. Nun fehlt nur noch das Krokodill, rief Eulenböck aus,
-so sind wir beisammen. Dies war ein kleiner hypochondrischer Buchhalter,
-blaß und eingeschrumpft, aber einer der größten Trinker. Den sonderbaren
-Namen hatten sie ihm beigelegt, weil er alsbald, so wie ihn der kleinste
-Rausch anwandelte, in Thränen ausbrach, und diese um so reichlicher
-vergoß, je länger das Gelag dauerte, und je ausgelassener die Uebrigen
-waren. Die Thüre öffnete sich, und die Jammergestalt machte den
-wunderlichen Kreis der Gäste vollständig.
-
-Die Tafel war mit Trüffelpasteten, Austern und andern Leckerbissen
-bedeckt; man setzte sich, und Eulenböck, dessen purpurrothes Gesicht
-zwischen den Kerzen einen ehrwürdigen Schein von sich gab, begann auf
-feierliche Weise also: Meine versammelten Freunde! Ein Unwissender, der
-plötzlich in diesen Saal träte, könnte von diesen Anstalten, die den
-Schein eines Festes haben, verleitet werden, im Fall er die Mitglieder
-dieser Gesellschaft nicht näher kennen sollte, die Meinung zu fassen, es
-sei hier auf Schwelgerei, Trinken, Tumult und ausgelassene Lustigkeit,
-die nur der rohen Menge ziemt, angelegt worden. Selbst ein junger
-Künstler, Dietrich mit Namen, der zum ersten Mal unter uns an diesem
-Tische sitzt, läßt verwundernde Blicke auf die Menge dieser Flaschen und
-Gerichte, auf diese Gansleberpastete, auf diese Austern und Muscheln,
-und auf den ganzen Apparat einer Feierlichkeit schießen, der ihm hier
-einen übertriebenen sinnlichen Genuß zu versprechen scheint, und auch er
-wird sich wundern, wenn er erfährt, wie alles dies so ganz anders und im
-entgegengesetzten Sinne gemeint sei. Meine Herren, ich bitte, Acht zu
-geben, und meine Worte nicht zu leicht in das Ohr fallen zu lassen. Wenn
-Länder die Geburt eines Prinzen feierlich begehn, wenn in Arabien ein
-ganzer Stamm sich festlich freut, indem sich ein Dichter in ihm gezeigt
-und hervor gethan hat, wenn die Installation des Lord-Mayor mit einem
-Schmause verherrlicht wird, ja wenn man die Geburtsstunde der Pferde von
-echter Race nicht unbillig auf nachdenkliche Weise auszeichnet: so liegt
-es uns ja wohl noch näher (um nicht mit einem Antiklimax zu schließen)
-aufzuschauen, gerührt zu seyn und etwa mit Gläsern anzustoßen, wenn das
-Unsterbliche sich uns zeigt, wenn die Tugend uns würdigt, körperlich vor
-uns zu erscheinen. Ja, meine Freunde, gerührten Herzens spreche ich es
-aus, ein junger angehender Tugendhafter ist unter uns, der noch heut
-Abend sich als eingepuppter Schmetterling durchbeißen, und seine
-Schwingen im neuen Leben entfalten wird. Es ist Niemand anders, als
-unser edler Wirth, der uns so manchen Schmaus gegönnt, so manches Glas
-eingeschenkt hat. Aber ein feuriger Vorsatz, abgerechnet, daß er selbst
-auf dem Trocknen sitzt, jener Impetus der Begeisterung, von dem schon
-die Alten sangen, reißt ihn nun von uns in lichte Höhen hinauf, und wir,
-von diesem Tisch und Flaschen und Schüsseln, seiner irdischen
-Grabesstätte, schauen ihm schwindelnd nach, staunend, welchen fremden
-Regionen er nun zusteuern wird. Ich sage Euch, Theuerste, er wälzt
-unendlich viele und treffliche Entschlüsse in seinem Busen: und was kann
-der Mensch, selbst der schwächste und unansehnlichste, nicht
-entschließen! Habt Ihr es wohl je schon erwogen (aber in Euerm
-Leichtsinn denkt Ihr nicht an dergleichen), daß in einer unscheinbaren
-Mappe, wenn sie nur etwa hundert gezeichnete Landschaften enthält, sich
-eine Strecke von tausend Meilen verbergen kann, und daß sie selbst doch
-nicht mehr Raum einnimmt, als ein mäßiger Foliant? Denn Perspektive
-liegt dort neben Perspektive, und Berg und Thal und Fluß und weite,
-unendliche Aussichten. So mit den Vorsätzen! so schwächlich unser
-Pietist, oder Herr Dietrich aussieht, so können sie doch gewiß an guten
-Entschlüssen mehr als zehn Elephanten, oder zwanzig Kameele tragen. Wie
-schwach ich selbst in dieser Tugend bin, weiß ich am besten, und daher
-meine Verehrung vor denen, an welchen ich diese Kräfte wahrnehme.
-
-Da wir nun nicht alle der Begeisterung fähig sind, so sitzen wir hier an
-diesem Tische, wie an einem Kreuzwege, an welchem sich viele Straßen in
-mannigfaltigen und entgegengesetzten Richtungen scheiden. Auf
-dergleichen Hauptstationen pflegen auf pyramidalischer Säule die
-Entfernungen der Städte nach allen vier Weltgegenden verzeichnet zu
-stehn. So mag es auch hier, in einem nicht unerfreulichen Bilde, gelten.
-Diese Austern führen, übermäßig genossen, zur Krankheit, dieser
-Burgunder nach einigen Stationen zu rothen Nasen, diese Trüffeln und was
-ihnen anhängt, zu Wassersucht, Magenkrampf und ähnlichen Uebeln. Unser
-Eduard aber, alles dies verschmähend, wandelt zur Tugend. So fahre denn
-wohl auf Deinem einsamen Pfade, und wir, die wir entzündete Gesichter,
-dicke Bäuche und kurzen Athem nicht so sehr scheuen, gehn unsre Straße
-fort. Aber auch ich werde Euch bald verlassen, Theuerste; ein edler
-Unbekannter, den ich Euch noch nicht nennen darf, wird mein Kunstgenie
-zu den höchsten Leistungen begeistern, er wird mich in fernen Regionen
-einer idealischen Weihe empfänglich machen, und so zu sagen,
-vergeistigen. Unser frommer, gemüthlicher Dietrich, den wir kaum kennen
-lernten, wandelt den Kunstdom entlang, und schmückt die vaterländischen
-Altäre. Was soll ich von Dir sagen, Bibliothekar, der Du vor den leeren
-Bücherschränken stehst, und die Werke nicht blos gelesen, sondern
-buchstäblich verschlungen hast? O Du verlesener Mensch, Du von der Secte
-des muselmännischen Omar, Kienraupe der Bibliotheken, Verwüster der
-Schriften, der Du eine neue alexandrinische Sammlung blos durch die
-treffliche neue Erfindung, Dein Salar nicht geistig, sondern wirklich
-aus den Schriften zu ziehn, vernichten könntest. Alle Buchhändler des
-römischen Reiches sollten Dich umher senden, um mit Deiner zerstörenden
-Kraft die Sammlungen zu zerstieben und neue Werke nothwendig zu machen.
-Du, mehr als Recensent und schlimmer als Saturnus, der doch nur
-verzehrte, was er selbst erzeugt: Wo sind sie, Deine Untergebenen, Deine
-Mündel, die mit goldnem Rücken und Schnitt Dich so freundlich anlachten?
-Versilbert hast Du sie alle, und schon nach wenigen Jahren Deine
-silberne Hochzeit mit ihnen gefeiert. Lebe denn wohl, auch Du, Pietist,
-redlichster unter den Sterblichen, Du Hasser aller Poesie und Lüge!
-Reich mir die Hand zum Abschied, armes Krokodill, das schon in Thränen
-schwimmt; im Sumpf einer Taverne mußt Du künftig heulen. In einem
-bessern Leben sehn wir uns alle wieder.
-
-Da Eduard nachdenkend war, und Dietrich in der Gesellschaft noch fremd,
-der Bibliothekar und Pietist keine Miene verzogen, so herrschte während
-und nach der Rede ein tiefes Stillschweigen, welches dadurch noch
-feierlicher wurde, daß der Buchhalter, der schon manches Glas geleert
-hatte, schluchzte und jammerte.
-
-Heut ist der Abend der heiligen Drei-Könige, sagte Eduard, und wie es
-noch in manchen Gegenden Sitte ist, sich an diesem Tage zu beschenken,
-so wünsche ich, daß meine bisherigen Genossen und Freunde auch diese
-Nacht in froher Geselligkeit mit mir verbringen.
-
-An diesem Abend, fuhr Eulenböck fort, ist es nicht unschicklich, einmal
-anders, als gewöhnlich zu leben; daher waren sonst Glücksspiele
-gebräuchlich, wenn sie auch übrigens verboten waren. Und wie gut wäre es
-für Dich, Freund Eduard, wenn heute auch Dein Glücksstern von Neuem
-erwachte, daß dem verarmten Verschwender ein neues Vermögen bescheert
-würde. Man hat wunderliche Erzählungen, wie verzweifelte Jünglinge sich
-in der Armuth haben in ihrem väterlichen Hause erhängen wollen, und
-siehe da, der Nagel fällt mit dem Balken der Decke herab, und mit beidem
-zugleich viele tausend Goldstücke, die der vorsorgende Vater dorthin
-versteckt hatte. Beim Lichte besehen, eine dumme Geschichte. Konnte der
-Vater denn wissen, daß der Sohn für das Hängen eine besondere Vorliebe
-haben würde? Konnte er wohl berechnen, daß der Körper des Desperaten
-noch schwer genug bleibe, den verborgenen Schatz durch sein Gewicht
-aufzudecken und herab zu ziehn? Konnte der verlorene Sohn nicht schon
-früher einen Kronenleuchter dort anbringen wollen, und das Geld finden?
-Kurz, tausend gegründete Einwürfe kann die vernünftige Kritik diesem
-schlecht erfundenen Mährchen machen.
-
-Ohne daß Du immer wieder auf diesen Vorwurf zurück kommst, sagte Eduard
-empfindlich, schilt mein eignes Gewissen, meinen Leichtsinn und
-thörichte Verschwendung. Wären die Leidenschaften nicht unbändig, die
-ihren Stolz darein setzen, die Vernunft zu verhöhnen, so hätten die
-Moralprediger nur leichte Arbeit. Es ist ganz begreiflich, wenn die
-armen Menschen glauben, von bösen Geistern besessen zu seyn. Denn wie
-soll man es erklären, daß man dem Schlimmen folgt, indem man das Bessere
-einsieht, ja daß wir oft zum Letztern selbst in unsern wildesten Stunden
-mehr Trieb, als zum Unrecht empfinden, und dennoch, uns selbst zum
-Trotz, jeder Einsicht den Rücken kehren, und schon vor der begangenen
-That von unserm Gewissen gequält werden? Es muß eine tiefgewurzelte
-Verderbniß in der menschlichen Natur seyn, die sich auch nie ganz zum
-Edeln erziehn, oder durch Pfropfreiser der Tugend umwandeln läßt.
-
-So ist es, sagte der Pietist: der Mensch an sich taugt nichts, er ist
-gleich in der Schöpfung mißrathen. Er kann nur geflickt werden, und die
-Lappen bleiben immer auf dem alten schäbigen Tuche sichtbar.
-
-Ja wohl, seufzte das Krokodill, es ist zu bejammern, und immer wieder zu
-bejammern. Die Thränen flossen ihm dicht aus den weinglühenden Augen.
-
-Als Du mich zum ersten Mal in jene Weinschenke führtest, fuhr Eduard zum
-alten Maler gewendet fort, machte es mir denn Freude, mich in dem Kreise
-dieser rohen und langweiligen Menschen zu sehn? Ich war beschämt, als
-der Herr der Schenke mir mit einer Ehrfurcht entgegen kam, als sei ich
-einer der Götter, vom Olymp herabgestiegen. Dergleichen Ehre war seinem
-Hause noch niemals widerfahren. Bald gewöhnte man sich an die Gegenwart
-meiner Herrlichkeit, und immer zog es mich wider meinen Willen in den
-Weinduft des Zimmers, in das schreiende Gespräch und an meine Wand hin,
-wie ein Zauber, der auch nicht riß, als die Gesichter des Wirthes und
-seiner Leute kälter, ja verdrossen wurden, als man mein Wort nicht mehr
-beachtete, und geringere Gäste anständiger behandelte; denn durch meine
-Nachlässigkeit war ich schon in eine bedeutende Schuld gerathen, um
-welche man mich mit grober Zudringlichkeit mahnte. Noch schlimmer ging
-es einem armen Lumpen, einem täglichen Gast, auf den man fast nie hörte,
-der oft verdorbenen Essig erhielt, und sich doch nicht beschweren
-durfte; er war die Zielscheibe des witzigen Gesindes, der Gegenstand des
-Hohns und Mitleids der übrigen Fremden, so wie seiner eignen furchtsamen
-Verachtung. Und so schlecht man ihn behandelte, mußte er doch theurer
-als Alle bezahlen, und ward betrogen, ohne klagen zu dürfen, indeß sein
-Gewerbe versäumt ward, und Frau und Kinder zu Hause schmachteten. In
-diesem Spiegel sah ich nun mein eignes Elend, und als einmal ein
-redlicher Handwerker von unbescholtenem Wandel dort zufällig einkehrte,
-und von Allen als eine seltene Erscheinung mit Hochachtung begrüßt
-wurde, erwachte ich endlich aus dem Schlummer meiner Ohnmacht, bezahlte,
-was nur meine Trägheit versäumt hatte, und suchte auch jenen Elenden zu
-retten, daß er nicht ganz versank. Aber so ist es, daß selbst
-diejenigen, die sich vom Leichtsinnigen und Taugenichts bereichern,
-diesen verachten, und dem Würdigen, der ihnen aus dem Wege geht, ihre
-Ehrfurcht nicht versagen können. So habe ich meine Zeit und mein
-Vermögen unwürdig verschleudert, um Verachtung einzukaufen.
-
-Sei still, Sohn, rief Eulenböck, Du hast auch mancher armen Familie
-Gutes gethan.
-
-Laß uns davon schweigen, antwortete Eduard in Unmuth: auch das geschah
-ohne Sinn, so wie ich ohne Sinn Aufwand machte, ohne Sinn reisete,
-spielte und Wein trank, und weder mir noch Andern eine gute Stunde
-zuzubereiten verstand.
-
-Das ist freilich schlimm, sagte der Alte, und was den lieblichen Wein
-betrifft, eine Sünde. Aber seid munter und trinkt, ihr wackern Gehülfen,
-damit auch der Wirth in die Stimmung komme, die ihm geziemt.
-
-Es bedurfte aber dieser Aufmunterung nicht, denn die Tischgesellschaft
-war unermüdet. Selbst der junge Dietrich trank fleißig, und Eulenböck
-ordnete an, wie die Weine auf einander folgen sollten. Heute gilt es!
-rief er aus, die Schlacht muß gewonnen werden, und der Sieger erzeigt
-den Besiegten keine Gnade. Seht in mein kriegerisches Antlitz, Ihr
-jüngern Helden, hier hab' ich die rothe Blutfahne dräuend ausgehängt,
-zum Zeichen, daß kein Erbarmen statt finden soll! Nichts in der Welt
-wird so mißverstanden, Freunde, als der scheinbar einfache Actus, den
-die Menschen so obenhin trinken nennen, und keine Gabe wird so verkannt,
-so wenig gewürdiget, als der Wein. Könnt' ich wünschen, der Welt einmal
-nützlich zu werden, so möcht' ich eine aufgeklärte Regierung dahin
-bewegen, einen eignen Lehrstuhl zu errichten, von wo herab ich die
-unwissende Menschheit über die trefflichen Eigenschaften des Weines
-unterrichtete. Wer trinkt nicht gern? Es giebt nur wenige Unglückselige,
-die das mit Wahrheit von sich versichern können. Aber es ist ein
-Erbarmen, anzusehn, wie sie trinken, ohne alle Application, ohne Styl,
-Schatten und Licht, so daß sich kaum die Spur einer Schule findet;
-höchstens Colorit, was die Uebermüthigen dann auch gleich sich und der
-Welt auf die Nase binden und zur Schau aushängen.
-
-Und wie muß man es eigentlich anfangen? fragte Dietrich.
-
-Anfangs, erwiederte der Alte, muß man durch stille Demuth und einfachen
-Glauben, wie in allen Künsten, den Grund legen. Nur ja keine vorzeitige
-Kritik, kein spürendes, naseweises Schnüffeln, sondern ein edles,
-vertrauenvolles Dahingeben. Kommt der Schüler weiter, nun so mag er auch
-unterscheiden; und trifft der Wein nur Lehrbegier und Sitteneinfalt, so
-unterrichtet auch sein Geist von innen heraus, und weckt mit dem
-Enthusiasmus zugleich das Verständniß. Nur nicht die Uebung, als das
-Hauptsächlichste, hintangesetzt, keine leere Schwärmerei; denn nur die
-That macht den Meister.
-
-O wie wahr! seufzte der Buchhalter, indem er seinen Thränen keinen
-Einhalt that. Worte, sagte der Pietist, die der gemeine Haufe goldne
-nennen würde.
-
-Wäre das Trinken, fuhr Eulenböck fort, keine Kunst und Wissenschaft, so
-dürfte es auch nur einerlei Getränk auf Erden geben, so wie das
-unschuldige Wasser schon diese Rolle spielt. Aber der Geist der Natur
-versenkt sich auf lieblich anmuthige Weise wechselnd und spielend hier
-und dort in die Rebe, und läßt sich im wundersamen Ringen keltern und
-verklären, um über den magischen Weg der Zunge in unser Inneres zu
-steigen, und dort aus altem Chaos alle glänzende Kräfte aus Betäubung
-und Schlummer aufzuwecken. Seht, da geht der Säufer! O meine Freunde, so
-schalten und spotteten auch diejenigen, die die Eleusinische Weihe nicht
-empfangen hatten. Mit dieser goldnen und purpurnen Fluth ergießt sich
-und breitet sich in uns ein Meer von Wohllaut aus, und dem aufgehenden
-Morgenroth erklingt das alte Memnons-Bild, das bis dahin stumm in
-dunkler Nacht gestanden hatte. Durch Blut und Gehirn rinnt und eilt
-frohlockend der holde Ruf: der Frühling ist da! Da fühlen alle die
-Geisterchen die süßen Wogen, und kriechen mit lachenden Augen aus ihren
-finstern Winkeln hervor; sie dehnen die feinen kristallnen Gliederchen,
-und stürzen sich zum Bade in die Weinfluth, und plätschern und ringen,
-und steigen schwebend wieder heraus, und schütteln die bunten
-Geisterschwingen, daß mit Gesäusel die klaren Tropfen von den Federchen
-fallen. Sie rennen umher und begegnen einander, und küssen frohes Leben
-einer von des andern Lippe. Immer dichter, immer leuchtender wird die
-Schaar, immer wohllautender ihr Gestammel: da führen sie gekränzt und
-hoch triumphirend den Genius herbei, der kaum mit den dunkeln Augen aus
-vollen Blumengewinden hervor schauen kann. Nun fühlt der Mensch die
-Unendlichkeit, die Unsterblichkeit; er sieht und fühlt die Millionen von
-Geistern in sich, und ergötzt sich an ihren Spielen. Was soll man dann
-von den gemeinen Seelen sagen, die einem nachrufen: seht! der Kerl ist
-besoffen. Was meinst Du, redliches Krokodill?
-
-Der blasse Weinende reichte ihm die Hand und sagte: ach! Lieber, die
-Leute haben Recht, und Ihr habt Recht, und die ganze Welt hat Recht. Was
-Ihr so prophetisch daher gekugelt habt, geht über mein Verständniß, aber
-ich bin selig in meiner tiefen Rührung. Wenn Leute in die Komödie gehn,
-um für ihr Geld zu weinen, so kommt mir das ganz abgeschmackt vor; mag
-es Andern vergönnt seyn, sich an hohen Gesinnungen und Thaten zu erheben
-und darüber Thränen zu vergießen, aber ich verstehe es nicht; doch, wenn
-solch guter Wein in mich hinein geht, so wirkt er wundersam, daß mir
-dann Alles, Alles, mag man sprechen was man will, mag man schweigen oder
-lachen, in der schönsten Rührung aufgeht. Seht, mein Herz möchte vor
-Wonne brechen, ich könnte Alles, und wär' es Euer lahmer Pudel, in die
-Arme schließen. Aber meine Augen leiden darunter, und der Doctor hat mir
-deshalb das Trinken ganz verbieten wollen. Aber dieser Gedanke ist mir
-eben die rührendste von allen Vorstellungen, darüber könnte ich Tage
-lang weinen, und deshalb hat er auch diese Verordnung wieder zurück
-nehmen müssen.
-
-Je mehr ich trinke, sagte der Pietist, je mehr hasse ich das, was Ihr,
-Eulenböck, da schwadronirt habt, je unvernünftiger kommt es mir vor. Lug
-und Trug! Es ist beinah eben so dumm, als beim Trinken die Lieder zu
-singen, die dazu gemacht sind. Jedes Wort darin ist gelogen. Wenn der
-Mensch nur einen Gegenstand mit dem andern vergleicht, so lügt er schon.
-»Das Morgenroth streut Rosen.« Giebt es etwas Dümmeres? »Die Sonne
-taucht sich in das Meer.« Fratzen! »Der Wein glüht purpurn.«
-Narrenspossen! »Der Morgen erwacht.« Es giebt keinen Morgen; wie kann er
-schlafen? Es ist ja nichts, als die Stunde, wenn die Sonne aufgeht.
-Verflucht! Die Sonne geht ja nicht auf; auch das ist ja schon Unsinn und
-Poesie. O dürft' ich nur einmal über die Sprache her, und sie so recht
-säubern und ausfegen! O verdammt! Ausfegen! Man kann in dieser lügenden
-Welt es nicht lassen, Unsinn zu sprechen!
-
-Laßt's Euch nicht irren, ehrlicher Mann, sagte Eulenböck, Eure Tugend
-meint es gut, und wenn Ihr die Sache anders anseht, als ich, so trinkt
-Ihr wenigstens denselben Wein, und fast eben so viel, als ich selber.
-Die That vereinigt uns, wenn uns das System aus einander führt. Wer
-versteht sich heut zu Tage? Davon ist auch gar nicht die Rede mehr. Ich
-wollte nur noch bemerken, wenn es auch mit dem Vorigen gar nicht
-zusammen hängt, daß mir die Art, wie Menschen und Aerzte den
-Nahrungsprozeß und die sogenannte Assimilation ansehen, höchst einfältig
-vorkommt. Der Eichenbaum wird aus seinem Saamenkorne eine Eiche, und die
-Feige bringt den Feigenbaum hervor, und wenn sie auch Luft, Wasser und
-Erde bedürfen, so sind es doch diese Elemente nicht eigentlich, aus
-denen sie erwachsen. So erweckt die Nahrung in uns nur die Kräfte und
-den Wachsthum, bringt sie aber nicht hervor; sie giebt die Möglichkeit,
-aber nicht die Sache, und aus sich selbst quillt der Mensch wie eine
-Pflanze hervor. Es ist eine platte Ansicht, zu glauben, daß der Wein
-unmittelbar, an sich selbst, alle die Wirkungen hervor bringt, die wir
-ihm zuschreiben; nein, wie ich sagte, sein Duft und Hauch _erweckt_ nur
-die Qualitäten, die in uns ruhn. Nun stürzen sich die Kräfte, Gefühle
-und Entzückungen hervor, wenn sie von diesen Wellen getränkt werden.
-Meint man denn, daß es in aller Kunst und Wissenschaft anders sei? Ich
-brauche doch wohl die alte Platonische Idee nicht von Neuem vorzutragen.
-Rafael und Correggio und Titian regen nur mein eignes Selbst an, das in
-Vergessenheit schlummert, und das größte Genie, der tiefste Kunstsinn
-können sich die Gebilde mit aller Imagination nicht erfinden, die ihnen
-von den großen Meistern vorgehalten werden; und doch wecken diese Werke
-selbst nur die alten Erinnerungen auf. Daher auch die Sucht nach neuen
-geistigen Genüssen, die sonst nicht löblich seyn würden; daher der
-Wunsch, Unbekanntes aufzufinden, Originelles hervor zu bringen, der
-außerdem nur Unsinn wäre. Denn wir ahnen die Unendlichkeit der
-Erkenntniß in uns, diesen weissagenden Spiegel der Ewigkeit, und was
-diese uns werden kann, ein unaufhörlich neues Erkennen, das sich im
-Mittelpunkt einer himmlischen Ruhe sammelt, und von hier aus weiter nach
-neuen Regionen ausbreitet. Und darum eben, meine lieben Saufbrüder, muß
-es auch viele und mancherlei Weine geben.
-
-Und welchen ziehen Sie vor? fragte Dietrich. Giebt es hier nicht auch
-das Classische und Vollendete, das Moderne und Triviale, das Manierirte
-und Gesuchte, das Lieblich-Alte und Fromm-Schlichte, das Gemüthliche und
-leer Renommirende?
-
-Jüngling, sagte der Alte, diese Frage ist zu verwickelt, setzt
-unendliche Erfahrung, historischen Ueberblick, abgelegtes Vorurtheil,
-und einen nach allen Richtungen ausgebildeten Geschmack voraus, den nur
-viele Jahre, fortgesetzte Arbeit und unermüdliches Studium, so wie die
-Mittel dazu, die nicht in Jedermanns Händen sind, fassen und lösen
-können. Einiges Encyklopädische wird Dir hinreichen. Fast jeder Wein hat
-sein Gutes, fast alle verdienen gekannt zu werden. Ist in unserm
-Vaterlande der Neckar fast nur, den Durst zu löschen, da, so erhebt sich
-der Würzburger schon zum Edeln, und die vielfachen hohen Sorten des
-Rheinweins lassen sich nicht in der Eile charakterisiren. Ihr habt sie
-hier vor Euch stehn gehabt und genossen. Diese trefflichen Wogen, vom
-leichten Laubenheimer bis zum starken Nierensteiner, gewaltigen
-Rüdesheimer und tiefsinnigen Hochheimer, mit allen ihren verwandten
-Fluthen gehörig zu preisen, dazu gehört mehr als die Zunge eines Redi,
-der in seinem toskanischen Dithyrambus doch nur mittelmäßig gefaselt
-hat. Diese Geister gehn rein und klar, kühlend und den Sinn erläuternd
-den Gaumen hinunter. Soll ich es vergleichen, so ist es die ruhige
-Gediegenheit trefflicher Schriftsteller, Gemüth und Fülle ohne
-Phantasterei oder schwärmerische Allegorie. Was ist nun der heißere
-Burgunder demjenigen, der ihn vertragen kann! Wie die unmittelbare
-Begeisterung fällt er in uns hinab, schwer, blutig, heftig erweckt er
-unsre Geister. Die Rebe von Bourdeaux dagegen ist heiter, geschwätzig,
-ermuntert, aber begeistert nicht. Doch schon voller und wunderlicher
-dichtet die Provence und das poetische Languedoc. Dann das heiße Spanien
-im Xerez und ächten Malaga, und den glühenden Weinen von Valencia. Hier
-verwandelt sich der Weinstrom, indem wir ihn genießen, schon an unserm
-Gaumen in Kugelgestalt, die sich weit und weiter ausbreitet, und uns im
-Tokayer und St. Georgen-Ausbruch noch weit inniger und sinniger so
-erscheint. Wie erfüllt Mund und Gaumen und den ganzen Sinn des Gefälls
-nur ein Tropfen des edelsten Cap-Weins. Diese Weine muß der Kenner
-nippen und züngeln, und nicht mehr trinken wie unsern braven Rhein. Was
-sag' ich von euch, ihr lieblichsten Gewächse Italiens, und namentlich
-Toskana's, du geistreichster Monte-Fiascone, du wahrhaft rührender
-Monte-Pulciano? Nun so kostet denn, Freunde, und versteht mich! Aber
-nicht konnt' ich dich aufsetzen, dich König aller Weine, dich
-rosenröthlicher Aleatico, Blume und Ausbund alles Weingeistes, Milch und
-Wein, Blume und Süße, Feuer und Milde zugleich! Diesen Wundergesellen
-trinkt, kostet, nippt und züngelt man nicht; sondern dem Beseligten
-erschließt sich ein neues Organ, das sich dem Unkundigen und Nüchternen
-nicht beschreiben läßt. -- Hier brach er gerührt ab, und trocknete die
-Augen.
-
-So hatte meine Ahnung ja doch Recht, rief Dietrich begeistert aus:
-dieser ist denn im Weinreich, was der alte Eyck oder Hemling, vielleicht
-auch der Bruder Johann von Fiesole unter den Malern sind. So schmeckt ja
-auch diese lieblich rührende und tiefe Farbe, die ohne Schatten doch so
-wahr, ohne Weiße so blendend und überzeugend ist. So sättigt und
-berauscht der Purpur des Gewandes, und so mildert und sänftigt das Feuer
-das milde Blau, das schwärmende Violett. Alles ist Eins, und klingt in
-unserm Geiste zusammen!
-
-Ausgenommen Eulenböcks Nase, rief der ganz trunkene Bibliothekar aus:
-die hat keinen Scharlach mehr, keine Uebergänge in den Tönen, um sie mit
-dem Gesicht in Verbindung zu setzen, sondern jenes violette Dunkelroth
-bratet in ihrer Zauberküche, wie unterirdisch in den Reichen der
-feuchten Nacht die rothe Rübe gerinnt, aller Sonne abgewandt. Soll dies
-Gewächs wohl dem Leben angehören? Soll der Weingott es so aufgefüttert
-haben? Nimmermehr! Es ist ein ungeschlachtes Gehäuse, ein widerwärtiges
-Etui für Bosheit und Lüge.
-
-Leerer Schwulst, rief der Buchhalter, morscher Glanz, hinfällige
-Sterblichkeit! Und krumm, baufällig steht sie auch noch in dem
-unterminirten Gesicht, so daß sie mit ihrer Wucht bald den ganzen Mann
-in Trümmer drücken kann. Kerl! wo hast Du die unverschämt schiefe Nase
-her?
-
-Ruhig, Krokodill! schrie Eulenböck, indem er heftig auf den Tisch
-schlug: will das Geziefer die Welt reformiren? Jede Nase hat ihre
-Geschichte, ihr Naseweise. Meint das dumme Volk denn, daß nicht auch das
-Kleinste sich als Ring an die Nothwendigkeit ewiger Gesetze fügt? Meine
-Nase, wie sie da ist, habe ich meinem Barbier zu verdanken.
-
-Erzähle, Alter! riefen die jungen Leute.
-
-Geduld! sprach der Maler. Die Physiognomik wird immer eine trügliche
-Wissenschaft bleiben, eben weil sie auf Barbiere, Weinschenken und
-sonstige historische Umstände zu wenig Rücksicht nimmt. Freilich ist das
-Gesicht der Ausdruck des Geistes; aber es leidet unter der Art, wie man
-damit handthiert, auffallend. Die Stirn hat es ihrer Festigkeit nach am
-besten, wenn sich der Mensch nicht gewöhnt, alle kleine Leidenschaften,
-Verdruß und Mißbehagen durch Faltenziehen darauf zu malen. Seht, wie
-edel ist die unsers Eduard, und wie viel schöner würde sie noch seyn,
-wenn der junge Bursche mehr gedacht und sich beschäftigt hätte! Die
-Augen, ihrer Beweglichkeit nach, hin und her rennend, conserviren sich
-in ihrem Spiel auch noch leidlich, man müßte sie denn ausweinen, wie
-unser krokodilischer Freund dort. Schlimmer ist es schon mit dem Munde;
-der schleift sich bald durch Schwatzen und fades Lächeln ab, wie bei
-unserm werthen Bibliothekar; wischt Einer nun gar nach Essen und Trinken
-übermäßig daran, so wird er bald unkenntlich, besonders, wenn man aus
-falscher Schaam etwa die Lippen immer nach innen kneipt, wie unser
-trefflicher Pietist, der die Röthe derselben wohl für Lüge und unnützen
-Schwulst, erklärt. Aber die Nase, die arme, die von allen Theilen am
-meisten sich hervor arbeitet, uns Unglückliche von allen Thieren
-unterscheidet, bei denen Maul und Schnauze so freundlich eins werden,
-und die beim Menschen als Höcker und Blocksberg der Tummelplatz aller
-Hexen und bösen Geister wird: wird sie nicht schon der kalten Luft und
-des Schnupfens wegen bei den meisten Menschen zum Sausewind und zur
-klingenden Trompete und Schlachtposaune ausgereckt, gezogen, gedehnt und
-gehudelt? Wird ihre Nachgiebigkeit, ihre Entwickelungs-Fähigkeit nicht
-gemißbraucht, um fast Elephantenrüssel und Truthahnsschnäbel heraus zu
-arbeiten? Frommere Seelen drücken sie wieder nieder und plätschen den
-Hochmuth in jammervolle Unformen zusammen. Alles dieses sah ich früh,
-schonte meine Nase, und konnte meinem Schicksal doch nicht entgehn. Ich
-bin mit meinem Barbier, einem meiner innigsten Freunde, aufgewachsen und
-alt geworden. Dieser Künstler, indem er sich von einer Seite meines
-Antlitzes zur andern wandte, pflegte bei diesem Wechsel, um einen
-Stützpunkt zu haben, mir die Schneide des Messers unten an die Kehle zu
-setzen, und darauf drückend und sich lehnend schnell die andre Seite zu
-gewinnen. Dies schien mir bedenklich. Er durfte ausgleiten, sich stoßen,
-so schnitt er höchst wahrscheinlich mit dem Gestützten in das Stützende,
-und mein Angesicht lag unrasirt zu seinen Füßen. Dem mußte abgeholfen
-werden. Er dachte nach, und als wahres Genie war es ihm nicht so gar
-schwer, sein System und seine Manier zu ändern. Er packte nämlich mit
-seinen Fingern meine Nase, was ihm den Vortheil gewährte, sich stützen
-und viel länger auf sie lehnen zu können, und zog sie gewaltsam in die
-Höhe, vorzüglich, indem er die Oberlippe barbirte, und so beschauten wir
-uns Auge in Auge, ein Herz dem andern nahe, und das Scheermesser
-arbeitete in besonnener und sicherer Thätigkeit. Es traf sich aber, daß
-mein Freund von je her eins der auffallendsten Gesichter an sich trug,
-die der gemeine Haufe abscheulich, verzerrt und garstig zu nennen
-pflegt; dabei hatte er die Gewohnheit, zu grimmassiren, und liebäugelte
-mir so herzlich entgegen, daß ich es in jeder Sitzung ihm erwiedern, und
-in dieser Nähe auch seine übrigen Fratzen unwillkührlich nachahmen
-mußte. Riß er die Nase unbillig hinauf, so zerrte er dafür, um mit
-seiner Kunst in die Mundwinkel zu gelangen, die Lippen und den Mund zu
-gewaltsam in die Breite. Hatte er auf diese mechanische Weise in meinem
-Antlitz ein scheinbares Lächeln erzwungen, so kam mir sein Lachen so
-liebreich, freundlich, herzinnig und rührend entgegen, daß mir oft aus
-schmerzlicher Theilnahme, und um nur ein boshaftes Lachen zu verbeißen,
-die Thränen in die Augen traten. Mensch! barbirender Freund! rief ich
-aus: stelle Dein menschenfreundliches Anlachen ein, ich lächle ja gar
-nicht, Du ziehst mir ja nur die Mundwinkel wie einen Schwamm aus
-einander. Thut nichts, antwortete die redliche Seele, Dein Liebreiz in
-diesem Lächeln zwingt mich zur Erwiederung. Seht, so grinsten wir uns
-denn wie die Affen minutenlang an. Ich bemerkte nach zwölf Wochen etwa
-eine auffallende Veränderung in meiner Physiognomie. Die Nase stieg und
-bäumte sich so auffallend nach oben, als wenn sie den Augen und der
-Stirn den Krieg ankündigen wollte, die wirklich häßlichen Verzerrungen
-der Wangen und Lippen ungerechnet, die ich aber schon nicht mehr lassen
-konnte, weil ich sie wie ein Andenken von meinem Freunde empfangen
-hatte. Ich drückte die aufstrebende Nase wieder nieder und trug dem
-Edeln meine Wünsche noch einmal vor. Nun schien aber guter Rath theuer,
-und eine Auskunft kaum möglich. Doch entschloß er sich, ein zweiter
-Rafael, eine dritte, untadelige Manier anzunehmen, und nach einigen
-Kämpfen gelang es ihm, indem er vorher bedächtig auskundschaftete, nach
-welcher Seite es am vortheilhaftesten sei, mir die Nase beim Auflehnen
-hin zu drehen: und dabei sind wir denn auch stehen geblieben, und diese
-Nothwendigkeit hat sie mir gebogen; das wahre Gesicht, nach dem ich mich
-instinktartig bilden mußte, hat mir diese Falten eingegraben, und tiefes
-Forschen und Denken, flammende Begeisterung und glühende Liebe zum Guten
-und Besten haben endlich diesen rothen Teppich über das Ganze gewoben.
-
-Lautes Lachen hatte diese Erzählung begleitet; jetzt forderte der
-Bibliothekar ungestüm Champagner, und der Buchhalter schrie nach Punsch.
-Eulenböck aber rief: o ihr gemeinen Seelen! Nach dieser Himmelsleiter,
-die ich Euch habe hinauf klettern lassen, um in das Paradies zu schauen,
-kann auch ein so unedler, manierirter, moderner und witzloser Geist, wie
-dieser sogenannte Punsch, auch nur in den fernsten Winkel Eures
-Gedächtnisses kommen? Dies elende Gebräu aus heißem Wasser, schlechtem
-Branntwein und Zitronensäure? Und was soll dieses diplomatische,
-nüchterne Getränk, der Champagner, in unserm Kreise? Der nicht Herz und
-Geist aufschließt, und nach dem halben Rausche höchstens dazu dienen
-kann, wieder nüchtern zu machen? O Ihr Profanen!
-
-Er schlug auf den Tisch; aber die Uebrigen, Eduard ausgenommen,
-erwiederten diese Geberde so heftig, daß von der Erschütterung die
-Flaschen tanzten, und mehrere Gläser zerschmetternd auf den Boden
-stürzten. Hierüber ward Gelächter und Tumult noch lauter, man sprang
-auf, andere Gläser zu holen, und Dietrich rief: es ist so kalt, eiskalt
-hier geworden, und dagegen würde der Punsch helfen.
-
-Es war tief in der Nacht, die Diener hatten sich entfernt, man wußte
-nicht, wie man den Ofen wieder heizen sollte; auch gestand Eduard, daß
-sein Holzvorrath völlig zu Ende sei, und er morgen mit der Frühe erst
-neuen wieder herbei fahren lasse. Was meint Ihr? rief der ganz
-berauschte Dietrich, unser Wirth hat doch beschlossen, dies Zimmer auf
-neue Art einzurichten: wenn wir diese unnütze Vertäfelung, diese
-Bretter, welche die Fenster bedecken, heraus brächen, und in dem großen
-altfränkischen Camin hier ein herrliches deutsches Feuer anzündeten?
-Dieser tolle Vorschlag fand bei den verwilderten Gästen sogleich Gehör
-und lauten Beifall, und Eduard, der den ganzen Abend in einer Art von
-Betäubung gewesen war, widersetzte sich nicht. Man hob den Schirm vom
-Camin hinweg, und lief dann mit Kerzen nach der Küche, um Beile, Stangen
-und andere Instrumente herbei zu holen. Im Vorsaal fand Eulenböck ein
-altes verdorbenes Waldhorn, und darauf blasend, marschirten sie wie
-Soldaten unter Schreien und abscheulicher Musik in den Saal zurück. Der
-Tisch, welcher im Wege stand, ward umgeworfen, und sogleich begann ein
-Hauen, Brechen und Hämmern gegen die hohle Wand. Jeder suchte den Andern
-in Aemsigkeit zu übertreffen; um die Arbeitenden zu ermuntern, stimmte
-der Maler den Schlachtruf auf dem Horne wieder an, und beim Gepolter
-riefen Alle wie besessen: Holz! Holz! Feuer! Feuer! so daß dies
-Geschrei, die Musik, das Schlagen der Aexte, das Krachen der brechenden
-und ausspringenden Bretter den Wirth des Hauses in eine so dumpfe
-Betäubung warf, daß er sich stumm in eine Ecke des Zimmers zurück zog.
-
-Plötzlich wurde die Gesellschaft noch auf eine eben so unerwartete als
-unangenehme Art vermehrt. Die Nachbarschaft war unruhig geworden, und
-die Wache, welche ebenfalls das ungeheure Getümmel vernommen hatte, trat
-jetzt, einen Offizier an ihrer Spitze, herein, da sie das Haus
-unverschlossen gefunden hatten. Sie forschten nach der Ursache des
-Getöses, und weshalb man Feuer geschrieen habe. Eduard, der ziemlich
-nüchtern geblieben war, suchte ihnen Alles zu erklären, um seine Freunde
-zu entschuldigen. Diese aber, aufgeregt und keines vernünftigen
-Gedankens mehr fähig, behandelten diesen Besuch als einen gewaltsamen
-Einbruch in ihre unveräußerlichsten Rechte; jeder schrie auf den
-Offizier ein, Eulenböck drohte, der Buchhalter fluchte und weinte, der
-Bibliothekar holte mit der Brechstange aus, und Dietrich, welcher am
-meisten begeistert war, wollte sich mit dem Beile über den Lieutenant
-hermachen. Dieser, ebenfalls ein junger hitziger Mann, nahm es von der
-ernsthaften Seite und fand seine Ehre verletzt, und so war das Ende der
-Scene, daß Jene unter Geschrei und Lärmen, Drohungen und
-Freiheits-Declamationen nach der Hauptwache abgeführt wurden. So endigte
-das Fest, und Eduard, der allein im Saal zurück geblieben war, ging
-völlig verstimmt auf und nieder, und betrachtete die Verwüstung, welche
-seine begeisterten Freunde angerichtet hatten. Unter dem umgeworfenen
-Tische lagen zertrümmerte Flaschen, Gläser, Teller und Schüsseln, nebst
-Allem, was von den Leckerbissen übrig geblieben war; der kostbarste Wein
-floß über den Boden; die Leuchter waren zerschlagen; von denen, welche
-stehen geblieben waren, waren alle Lichter, bis auf eine Wachskerze,
-nieder gebrannt und ausgelöscht. Er nahm das Licht und betrachtete die
-Wand, von der die Tapete abgerissen, und einige starke Bretter heraus
-gebrochen waren; ein Balken stand davor, der den Zutritt in die Nische
-hemmte. Ein sonderbares Gelüst befiel den Jüngling, noch in der Nacht
-das angefangene Werk seiner wilden Gesellen fortzusetzen; um aber kein
-übermäßiges Geräusch zu erregen, und doch noch vielleicht ihr Schicksal
-zu theilen, nahm er eine feine Säge, und durchschnitt oben vorsichtig
-den Balken; er wiederholte dies unten, und nahm dann den Kloben heraus.
-Hierauf war es nicht so gar schwer, noch eine innere leichte Vertäfelung
-wegzubrechen; das dünne Bret fiel nieder, und Eduard leuchtete in die
-Nische hinein. Er konnte aber kaum den breiten Raum übersehen, und
-etwas, das ihm wie Gold entgegen glänzte, wahrnehmen, als Alles
-plötzlich verschwand; denn er hatte mit dem Lichte oben angestoßen und
-es ausgelöscht. Erschreckt und in der größten Bewegung tappte er durch
-den finstern Saal, aus der Thüre, über einen langen Gang, dann über den
-Hof nach einem kleinen Hintergebäude. Wie zürnte er über sich selbst,
-daß er keine Anstalt in der Nähe habe, Feuer zu machen. Aus festem
-Schlafe ermunterte er den eisgrauen Thürhüter, der sich lange nicht
-besinnen konnte, ließ sich von ihm, nach vielen vergeblichen Versuchen,
-sein Licht wieder anzünden, und kehrte dann mit behutsam vorgehaltner
-Hand, an allen Gliedern zitternd und mit klopfendem Herzen über die
-Gänge nach dem Zimmer zurück. Er wußte nicht, was er gesehen hatte, er
-wollte noch nicht glauben, was er ahndete. Im Saale setzte er sich erst
-in den Lehnstuhl, um sich zu sammeln, dann zündete er noch einige Kerzen
-an, und begab sich nun gebückt in die Nische. Der weite Raum der Fenster
-erglänzte von oben bis unten wie in goldnem Brand; denn Rahmen drängte
-sich an Rahmen, einer kostbarer als der andere, und in ihnen alle jene
-verloren gewähnten Gemälde seines Vaters, um die der alte Walther und
-Erich so oft gejammert hatten. Der Erlöser _Guido's_, der Johannes von
-Domenichino, sie alle schauten ihn an, und er fühlte sich selbst
-gerührt, andächtig, erstaunt, wie in einer bezauberten Welt. Als er sich
-besann, flossen seine Thränen, und er blieb dort, die Kälte nicht
-achtend, unter seinen neugefundenen Schätzen sitzen, bis der Morgen
-herauf dämmerte.
-
- * * * * *
-
-Walther war eben vom Tisch aufgestanden, als Erich eilig zu ihm in den
-Gemäldesaal trat. Was ist Dir, mein Freund? rief der Rath aus: hast Du
-Geister gesehn? Wie Du es nimmst, erwiederte Erich: mache Dich auf eine
-außerordentliche Nachricht gefaßt. -- Nun? -- Was gäbest Du wohl, was
-thätest Du wohl dafür, wenn alle die verlorenen Malereien Deines seligen
-Freundes, jene unschätzbaren Kostbarkeiten wieder da wären und Dein
-werden könnten?
-
-Himmel! rief der Rath aus und verfärbte sich: ich habe keinen Athem. Was
-sagst Du? -- Sie sind da, rief jener, und können Dein Eigenthum werden.
--- Ich habe kein Vermögen, sie zu kaufen, sagte der Rath: aber Alles,
-Alles würde ich geben, sie zu erhalten, meine Gallerie und Vermögen,
-aber ich bin zu arm dazu. -- Wenn man sie Dir nun überlassen wollte,
-sagte Erich, und der Eigenthümer forderte bloß die Gunst dafür, Dein
-Schwiegersohn zu werden?
-
-Ohne Antwort rannte der Alte hinaus und zur Tochter hinüber. Im Streit
-mit dieser kam er zurück. Du mußt mein Glück machen, geliebtes Kind,
-rief er aus, indem er mit ihr herein trat: von Dir hängt nun die
-Seligkeit meines Lebens ab. Die erschrockene Tochter wollte immer noch
-widersprechen, aber auf einen heimlichen Wink Erichs, den sie zu
-verstehen glaubte, schien sie endlich nachzugeben. Sie ging fort, sich
-umzukleiden; denn bei Erich warteten, wie dieser erklärte, die Bilder
-und der Freiwerber auf sie. Unter welchen sonderbaren Gedanken und
-Erwartungen suchte sie ihren besten Schmuck hervor; konnte sie sich in
-Erich nicht irren? Hatte er denn auch sie verstanden? hatte sie ihn
-richtig gedeutet? Walther war ungeduldig und zählte die Augenblicke;
-endlich kam Sophie zurück.
-
-In Erichs Hause waren alle jene Gemälde im besten Lichte aufgehangen,
-und es wäre vergeblich, des Vaters Erstaunen, Freude und Entzücken
-beschreiben zu wollen. Die Bilder waren, so behauptete er, bei weitem
-schöner, als er sie in seiner Erinnerung gesehen hatte. Du sagst, der
-Liebhaber meiner Tochter sei jung, wohlerzogen, von gutem Stande, Du
-giebst mir Dein Wort darauf, daß er ein ordentlicher Mann seyn wird, und
-niemals nach meinem Tode diese Bilder wieder veräußern? Wenn dies alles
-so ist, so braucht er kein anderes Vermögen zu besitzen, als diese
-Bilder, denn er ist überreich. Aber wo ist er?
-
-Eine Seitenthüre öffnete sich, und Eduard trat ungefähr so gekleidet
-herein, wie der ihm ähnliche Schäfer auf dem alten Gemälde von Quintin
-Messys stand. -- Dieser? schrie Walther: woher haben Sie die Gemälde?
-Als ihm Eduard den sonderbaren Vorfall erzählt hatte, nahm der Alte die
-Hand der Tochter und legte sie in die des Jünglings, indem er sagte:
-Sophie wagt viel, aber sie thut es aus Liebe zu ihrem Vater; ich denke,
-mein Sohn, Du wirst nun klug und gut geworden seyn. Doch, eine
-Bedingung: Ihr wohnt bei mir, und Eulenböck kommt nie über meine
-Schwelle, auch siehst Du ihn mit keinem Auge wieder. Gewiß nicht,
-antwortete Eduard: überdies reiset er mit dem fremden Prinzen von hier
-fort.
-
-Man ging nach dem Hause des Vaters. Dieser führte den Jüngling in seine
-Bibliothek: hier, junger Mensch, sagte er, findest Du auch Deine
-Seltenheiten wieder, die Dein luftiger Bibliothekar mir für ein
-Spottgeld verkauft hat. Du wirst diese Schätze Deines Vaters künftig
-heiliger halten.
-
-Die Liebenden waren glücklich. Als sie allein waren, schloß Sophie den
-Jüngling herzlich in die Arme. Ich liebe Dich innigst, mein Freund,
-flüsterte sie ihm zu, aber ich mußte neulich dem Eigensinne meines
-Vaters nachgeben, und mich damals und heute stellen, als gehorchte ich
-ihm unbedingt, um erst nicht alle Hoffnung aufzugeben, und heute ohne
-Widerspruch Dein zu seyn; denn hätte er meine Liebe gemerkt, so hätte er
-nimmermehr so schnell eingewilligt.
-
-Nach wenigen Wochen waren sie vermählt. Es ward dem Jünglinge nun nicht
-schwer, ein ordentlicher und glücklicher Mann zu werden; an seine wilde
-Jugend dachte er im Arme seiner Frau und im Kreise seiner Kinder nur wie
-an einen schweren Traum zurück. Eulenböck hatte mit dem Prinzen die
-Stadt verlassen, und mit ihm zugleich der sogenannte Bibliothekar, der
-jene Stelle als Secretär beim Prinzen erhielt, um welche Eduard sich
-bemüht hatte, und nach einigen Jahren die lockre Schöne heirathete, die
-unserm jungen Freunde einen so übeln Ruf in seiner Vaterstadt
-verursachte, und fast die Veranlassung seines Unglücks geworden war.
-
-
-
-
- Die Verlobung.
- Novelle.
-
-
-»Ich habe lange auf Dich gewartet,« rief der junge Ferdinand seinem
-Freunde entgegen.
-
-»Du weißt ja,« erwiederte jener, »daß es unmöglich ist, sich schnell von
-dem wohlbeleibten Barone loszureißen, wenn er Fragmente aus seiner
-Lebensgeschichte vorträgt.«
-
-»Wärst Du Offizier, wie ich,« antwortete Ferdinand, »so würdest Du es
-dennoch möglich gefunden haben, pünktlich zu seyn; dies wenigstens lernt
-man im Dienst. Sie sind alle schon auf dem Spaziergange dort versammelt,
-laß uns eilen, daß ich Dich der verehrten Familie vorstellen kann.«
-
-Die jungen Freunde bogen um die Felsenecke, und erfreuten sich des
-klaren Anblickes am rauschenden Strome, der Wäldern und Bergen leuchtend
-vorüber zog. Der Frühling war in diesem Jahre vorzüglich üppig
-erschienen. »Wie wohl wird es dem Arbeiter,« sagte Alfred, »an einem
-solchen Tage die Stadt und die geistlosen Geschäfte hinter sich zu
-haben, um nach langer Anstrengung und Entbehrung diesen Segen der Natur
-zu fühlen und ihre heilige Stimme zu vernehmen! Und wie dankbar bin ich
-Dir, mein theurer Freund, daß Du mich in den Kreis der besten, der
-edelsten Menschen einführen willst. Denn wie wir uns auch zu bilden
-streben, wie ernsthaft wir studiren, einsammeln, und unser Herz und
-Gemüth erweitern wollen, so ist es doch der Umgang mit echten Menschen,
-der alles dies todte Wirken und unbeholfene Kämpfen erst belebt, und den
-Besitz in ein wahrhaftes Gut verwandelt. Den zarten Frauen ist es aber
-vorbehalten, dem Manne die Bildung zu geben, deren er nach seinen
-Kräften und Gaben fähig ist.«
-
-Der junge Offizier sah seinen Freund kopfschüttelnd an, stand einen
-Augenblick still, und sagte dann, indem sie weiter schritten: »O wie
-kann ich in diese Phrasen, die man schon tausendmal hat hören müssen, so
-gar nicht einstimmen! Somit wäre es ja die große Welt, oder die
-sogenannte gute Gesellschaft, die man aufsuchen müßte, um in schlechtem
-Witz, Coquetterie, Lügen und Geschwätz die Reife zu erlangen, die uns
-die Einsamkeit nicht gewähren könnte. Bin ich auch in den meisten Dingen
-Deiner Meinung, so muß ich Dir doch hierin geradezu Unrecht geben. Die
-Weiber! sie sind es ja eben, die recht eigentlich von einem boshaften
-Schicksal dazu hingestellt zu seyn scheinen, sich des Mannes, wenn er
-schwach genug ist, zu bemächtigen, alles Menschliche, Edle, Kraftvolle
-und Wahre von ihm abzustreifen, und ihn, so viel es nur möglich ist, in
-sein Gegentheil zu verwandeln, damit er ihnen nur zu einem unwürdigen
-Spielzeuge gut genug sei. Das, was Du eben äußertest, ist auch schon
-mehr die Denkweise einer jetzt fast verschwundenen Zeit, einer Zeit, die
-der Wahrheit, vorzüglich aber aller religiösen Gesinnung, feindlich
-gegenüber stand. Auch muß ich Dir sagen, daß Du jenes Wesen, wodurch
-sich vormals unsre jungen Herren zu bilden glaubten, in der Gesellschaft
-dieser Frauen nicht finden wirst, weil bei ihnen alles heilige Wahrheit,
-Unschuld und echte Frömmigkeit ist.«
-
-Der Freund suchte seine Meinung und sich selbst zu rechtfertigen, indem
-sie unter lebhaften Gesprächen ihren Weg eilig fortgesetzt hatten. Sie
-sahen jetzt schon den Garten vor sich liegen, in dessen kühlen Gängen
-die Baronin mit ihrer Familie und einigen auserwählten Freunden die
-Ankommenden erwartete. Alle fühlten sich in der grünen Umgebung wohl und
-behaglich.
-
-Nur dem jungen Rathe Alfred ward es Anfangs schwer, sich in die Stimmung
-und Unterhaltung zu fügen. Wie es wohl zu geschehen pflegt, war er zu
-gespannt, um sich dem Gespräche leicht hinzugeben; auch hatte er zu
-Vieles auf dem Herzen, was er mit einer gewissen Bangigkeit an den Mann
-zu bringen strebte, wodurch er oft an sich und den Andern irre werden
-mußte; denn wenn er Gedanken zu einer Rede verarbeitet hatte, so war
-indessen der schickliche Moment verschwunden, um diese einzufügen, und
-unter den neuen Gegenständen der Unterhaltung kam wieder so Manches vor,
-das ihm unverständlich schien, und worüber er sich nähere Belehrung
-auszubitten doch zu verschämt war. Dazu kam, daß er von dem Reiz der
-Frauengestalten wie geblendet war; die vermählte Tochter Kunigunde war
-eine glänzende Schönheit; noch üppiger strahlte die jüngere Clementine,
-gegen welche die blonde kindliche Physiognomie der jüngsten, Fräulein
-Clara, rührend kontrastirte; selbst die Mutter durfte noch Ansprüche auf
-Anmuth machen, und man sah, daß sie in ihrer Jugend eine schöne Frau
-gewesen war. Dorothea, das älteste Fräulein, fiel in dieser Umgebung am
-wenigsten auf, so schön auch ihr Auge, so fein ihr Wuchs war; auch zog
-sie sich zurück und blieb still und blöde; sie schien selbst an der
-lebhaften Unterhaltung der Geschwister nur geringen Antheil zu nehmen,
-und es fiel auf, daß keine Rede oder Frage an sie gerichtet wurde, so
-sehr die anwesenden Männer sich auch mit Lebhaftigkeit um die übrigen
-Töchter oder die Mutter bemühten.
-
-Unter den Männern zeichnete sich ein ältlicher aus, der am meisten das
-Wort führte, der Alle belehrte und alle streitigen oder zweifelhaften
-Fälle entschied. Auch der Offizier behandelte ihn mit ergebener Demuth,
-und dieser Familienfreund wandte sich mit Güte und Herablassung an Alle,
-sie fragend, zurecht weisend, aufmunternd und sich auf seine Weise
-bestrebend, Jeden zu ermuthigen oder aufzuklären. Ihm gelang es auch
-endlich, den verlegenen Alfred in das Gespräch zu ziehen, und dessen
-Dankbarkeit äußerte sich in einer feurigen Rede, die er jetzt
-anzubringen Gelegenheit fand, und in welcher er seinen Wunsch nach
-Bildung, seine Verehrung des Familienglücks, seine Hoffnung, daß die
-echte religiöse Stimmung und wahre Frömmigkeit sich durch ganz
-Deutschland ausbreiten würden, mit allgemeinem Beifall und zu seiner
-eignen Zufriedenheit entwickelte.
-
-Mehr noch als die Uebrigen war die schöne Kunigunde aufmerksam gewesen,
-und sie war es auch jetzt, die am lautesten ihren Beifall aussprach.
-»Wie glücklich sind wir,« beschloß sie endlich, »daß in unserm theuern
-Kreise sich immer mehr Gemüther versammeln, die das Gute und Edle
-wollen, die das Ueberirdische erkennen, und denen die Welt mit allen
-ihren anlockenden Schätzen nur nichtig erscheint. Aber das ist die
-Eigenschaft der Wahrheit und Güte, daß sie das Bessere sich näher zieht,
-daß sie das Schwache in etwas Höheres verwandelt. Wirkt der gesellige
-Umgang so glücklich in einem weitern Umfang, so ist es im beschränkten
-Hause der Segen der Ehe, der noch inniger die Vermählten anregt, sich
-für das Göttliche zu begeistern, der hier noch kräftiger das schwächere
-Gemüth zur Liebe des Unendlichen erhebt.«
-
-»Ja wohl,« sagte ein junger Mann, der neben dem ältern saß, »dies ist
-es, was ich mit jedem Tage inniger und dankbarer empfinde.« Er seufzte
-und sah an die Wolken, und der Rath erfuhr auf seine Erkundigung, daß
-dieser der Gemahl der schönen und frommen Kunigunde sei.
-
-Die Mutter nahm das Wort und sagte nicht ohne Bewegung: »Wie beglückt
-muß ich mich fühlen, daß ich so im Kreise meiner Kinder das Höchste
-gefunden und es ihnen selbst möglich gemacht habe, den edelsten Besitz
-dieser Erde zu erreichen. Wie kann ich doch so gar nicht an den
-Bestrebungen der meisten Menschen Antheil nehmen, ja wie erregt mir ihr
-mannigfaltiger Enthusiasmus eher Mitleid, als daß ich in ihren
-vielfachen Anstrengungen, ein sogenanntes Gut zu ergreifen, etwas finden
-könnte, das unsere Achtung aufruft. So rennen sie nach Kunst, oder
-Philosophie, meinen, im Wissen oder in Farben und Ton solle ihnen das
-ewige Licht aufgehen, quälen sich in Geschichte und den verworrenen
-Händeln des Lebens ab, und versäumen darüber das Eine, das Noth ist, und
-welches Alles ergänzt und ersetzt. Seit ich diesen Quell gefunden habe,
-der jeden Durst der Seele so lieblich stillt, ist jenes bunte
-Mannigfaltige für mich gar nicht mehr da, dem ich in der Jugend auch
-wohl manchen sehnsüchtigen Blick zuwendete.«
-
-»Wie muß ich Sie bewundern!« rief der Rath aus: »mit welcher Sehnsucht
-habe ich das Leben gesucht, und immer nur leere Schatten gehascht! und
-wie leicht ist es doch, die Wahrheit zu finden, die uns niemals täuscht,
-die nie entschlüpft, die dem Herzen Alles gewährt, in der wir nur leben
-und seyn können.«
-
-»Ich verstehe Sie,« antwortete die Baronesse, »Sie gehören zu unserm
-Kreise; es ist ein seliges Gefühl, daß sich die Gemeinschaft frommer und
-begeisterter Gemüther immerdar vermehrt.«
-
-»Den herrlichsten Zeiten gehen wir entgegen!« rief der junge Offizier in
-Begeisterung aus. »Und wie selig müssen wir uns fühlen, da Dasjenige,
-was uns über das nüchterne Leben erhebt, die ewige Wahrheit selber ist,
-da diese uns beherrscht, und wir, von ihr regiert, nicht fehlen, niemals
-irren können; denn wir geben uns der Liebe hin, daß sie in uns wirke und
-ihre Geheimnisse unserm Herzen offenbare.«
-
-»Nicht anders,« beschloß der ältere würdige Mann; »dies ist es, was uns
-die Sicherheit geben muß, die uns von gewöhnlichen Enthusiasten oder
-Schwärmern unterscheidet. Sie haben ein großes Wort gesprochen, theurer
-Ferdinand, und darum sind Sie mir so werth, weil Keiner, so wie Sie, auf
-dem kürzesten Wege das Rechte findet, weil Niemand es alsdann so klar
-und einfach auszusprechen weiß.« Er umarmte den Jüngling, sah gen
-Himmel, und eine große Thräne glänzte ihm im schönen dunkeln Auge. Die
-Baronesse erhob sich und schloß sich an die Gruppe; alle waren bewegt,
-nur Fräulein Dorothea wandte sich ab, und schien im Busche etwas
-Verlornes zu suchen.
-
-Dem aufmerksamen Alfred entging es nicht, daß die Mutter mit einem
-Ausdrucke des Schmerzes zu ihrem ältesten Kinde hinsah, das auf seltsame
-Weise von diesem Kreise der Rührung und Liebe ausgeschlossen schien. Der
-Baron Wallen, so hieß der ältere Hausfreund, näherte sich mit dem
-Ausdruck einer rührenden Milde dem Fräulein, die scheu vor sich nieder
-sah, und in diesem Augenblick hochroth erglühte. Er sprach heimlich und
-mit vieler Bewegung zu ihr, sie schien aber in ihrer Verlegenheit auf
-seine Worte nicht sonderlich zu achten; denn als jetzt eine Dame in der
-Allee zur Gesellschaft herschritt, ging sie dieser in großer Eile
-entgegen, und schloß sie mit der größten Herzlichkeit und Freude in die
-Arme.
-
-Die Mutter schüttelte fast unmerklich mit dem Kopfe, und sah den Baron
-Wallen mit prüfendem Auge an; dieser lächelte, und die Unterredung der
-Gesellschaft gerieth nun auf ganz andere und gleichgültige Gegenstände;
-denn die Frau von Halden, welche jetzt lautschwatzend, lachend und
-Neuigkeiten erzählend, herzu trat, machte jeden Aufschwung, jede
-innigere Mittheilung völlig unmöglich, so daß auch alle, bis auf
-Fräulein Dorothea, etwas verstimmt wurden, die wie erquickt und
-getröstet mit ihren Blicken am Munde der Redenden hing, und jetzt an der
-übrigen Gesellschaft noch weniger Antheil nahm.
-
-»Wer ist denn diese Neuigkeits-Krämerin?« fragte Alfred unwillig, »die
-wie ein wilder Vogel in unsern stillen Kreis herein fliegt, und alle
-zarteren Gefühle verschüchtert?«
-
-»Eine Nachbarin unserer verehrlichen Baronesse,« antwortete der Herr von
-Wallen: »sie hat sich auf eine unbegreifliche Weise des Gemüthes der
-Fräulein Dorothea bemeistert, was wir alle nur beklagen können. Schon in
-der Jugend hat es die treffliche Erzieherin, die Fräulein von Erhard,
-eine Verwandte der Familie, verhindern wollen, daß dieser Umgang nicht
-die bessern Fähigkeiten des schönen Mädchens unterdrücke; aber von jeher
-sind alle ihre Bemühungen vergeblich gewesen.«
-
-Diese Erzieherin, welche bisher wenig bemerkt worden war, näherte sich
-jetzt, da sie sah, daß von ihr die Rede sei, und mischte sich in das
-Gespräch. Sie erzählte, daß in dieser so liebenden und hochgestimmten
-Familie Dorothea von früher Jugend ein abgesondertes Leben geführt habe,
-und unter so vielen Geschwistern gewissermaßen ganz einsam gewesen sei.
-Fräulein Charlotte von Erhard erzählte dies mit einer rauhen und heisern
-Stimme, wurde aber so bewegt, daß sie sich der Thränen nicht enthalten
-konnte. Alfred, der schon gerührt war, fand in seiner erhobenen Stimmung
-die geälterte und fast häßliche Dame liebenswürdig und schön, und ein
-herzlicher Unwille, eine lebhafte Geringschätzung wandte sich gegen die
-arme Dorothea, die jetzt von der redseligen Freundin Abschied nahm und
-zur übrigen Gesellschaft zurück kehrte. Sie war sichtlich erheitert,
-aber man sah, welche Ueberwindung es ihr koste, wieder an den ernsteren
-Gesprächen Theil zu nehmen. Sie erzählte, wie die Frau von Halden in
-Unterhandlungen stehe, und wahrscheinlich ihr Gut verkaufen werde.
-
-»Verkaufen?« fragte die Mutter erstaunt, »und sie konnte dennoch so
-heiter, ja ausgelassen seyn?«
-
-»Sie meint,« erwiederte Dorothea, »einen so vortheilhaften Kauf ihrer
-noch unmündigen Kinder wegen nicht abweisen zu dürfen.«
-
-»Giebt es einen Vortheil,« sagte die Mutter, »welcher den Kindern das
-Glück der Heimath aufwiegen kann? Und sie selbst, Deine Freundin, die
-hier auf ihrem Gute aufgewachsen ist, die hier mit Eltern und
-Geschwistern, nachher mit einem geliebten Manne lebte, wie kann sie sich
-selber so verstoßen und diesen Bäumen den Rücken wenden, sich von den
-Zimmern verbannen, die sie als Kind geliebt und gekannt hat? Immer
-wieder muß es mir auffallen, wie ich das Leben und Treiben der
-allermeisten Menschen so gar nicht verstehe. -- Und wer ist denn der
-Käufer?«
-
-»Die Sache ist wunderlich genug,« erwiederte Dorothea, »der Käufer will
-noch gar nicht genannt seyn; aber ein gewisser Graf Brandenstein führt
-die Unterhandlung. Meine Freundin ist eilig und bestimmt, denn der
-Fremde aus Amerika kauft noch manches andere Gut, so daß sie es für eine
-Gunst hält, da er nicht ängstlich auf den Preis sieht, wenn sie das
-ihrige dem Unbekannten zuwenden kann.«
-
-Bei dem Namen »Brandenstein« wurde die Mutter blaß. Sie suchte sich aber
-schnell zu fassen, und sagte nach einer kleinen Pause: »Ja, der Name war
-es, der mir schon seit einer Woche schwer auf dem Herzen lag. Ich weiß
-es schon, daß dieser Mann hier ist, der nun auf eine Zeitlang unsre
-stille Freude verderben, und die Harmonie unsers Kreises stören wird.
-Und ich kann es nicht vermeiden, ihn zu sehn, denn er ist ein alter
-Bekannter unsers Hauses, und die Sitte der Welt zwingt uns ja, selbst
-mit denjenigen freundlich umzugehen, die uns im innersten Herzen zuwider
-sind, ja, die wir, wenn wir noch so billig denken, für schlechte und
-ruchlose Menschen anerkennen müssen.«
-
-Dorothea meinte, wo eine so bestimmte Empfindung vorherrsche, solle sich
-der Mensch keinen Zwang anthun; und besonders auf dem Lande, wo sie
-lebten, wäre es noch leichter, als in der Stadt, so widrigen
-Erscheinungen auszuweichen. Die Mutter aber sagte: »Du verstehst dies
-nicht, mein Kind; könnte ein gewissenloser Mensch ohne Grundsätze uns
-nicht auf die empfindlichste Art schaden oder kränken, hätte er es durch
-Witz und Frivolität nicht in seiner Gewalt, unser ganzes Leben zu
-verderben, so würde ich ihn kalt abweisen, und mit meiner Wahrheitsliebe
-ihm ohne Umschweif sagen, daß ich mit ihm nicht umgehen wolle; da aber
-dies nicht möglich ist, so muß ich ihm höflich entgegen kommen, mit
-Feinheit und Wohlwollen den bösen Geist in ihm zu beschwichtigen suchen,
-und mich späterhin so unmerklich, als es seyn kann, von seinem
-verderblichen Kreise zurück ziehn.«
-
-Die übrigen Töchter drängten sich um die Mutter, und umarmten sie wie
-tröstend. »Wenn ich Euch nicht hätte!« seufzte die Baronesse: »wenn ich
-nicht auf die Hülfe unsers edlen Hausfreundes rechnen dürfte, so würde
-mich der Besuch dieses gottlosen Menschen noch mehr ängstigen.«
-
-»Wer ist er eigentlich?« fragte der Baron.
-
-»Ein Mann,« antwortete die Mutter, »der sich schon früh in der Welt und
-ihren Verstrickungen herum getrieben hat, der, von seinem eignen Herzen
-belehrt, alles, was Liebe, Demuth, Frömmigkeit heißt, arg verspottet und
-verfolgt, ein grober Egoist, der Niemand lieben kann, und den das
-Heilige, Ueberirdische, wo er es wahrnimmt, wo er es nur ahndet, in
-einen widrigen Zorn versetzt, der ihn dann zu jenem frivolen Witze
-begeistert, den wir Alle so tief verachten. Es war das Unglück meines
-Lebens, daß er die Bekanntschaft meines guten seligen Mannes machte, daß
-dieser ihn lieb gewann, und sich in manchen trüben Stunden seiner
-Gesellschaft und traurigen Philosophie hingab.«
-
-»Sie schildern, verehrte Frau,« sagte der Offizier, »einen von jenen
-Charakteren, die, dem Himmel sei Dank! jetzt schon seltener geworden
-sind.«
-
-»Eine Verruchtheit,« sagte der Baron, »die das Unsichtbare lästert, weil
-sie auf Selbstverachtung gegründet ist. Sie sind aber, wie wir Alle,
-über diesem Jammer erhaben.«
-
-»Sein mittelmäßiges Vermögen,« fuhr die Mutter fort, »war bald
-ausgegeben; nun verließ er Europa, trieb sich, wer weiß, unter welchen
-wilden Völkern um, und ist nun zurück gekehrt, wie ich höre, als
-Geschäftsträger eines unermeßlich reichen Amerikaners, der ihm in
-Jahresfrist nachfolgen will, und der die Grille gefaßt hat, in unserer
-Nachbarschaft viele Güter zu einer großen Herrschaft zusammen zu
-kaufen.«
-
-Fräulein Dorothea blieb dabei, daß man einem so bösen Menschen
-ausweichen könne und müsse, und daß sie ihm schon das Haus zu betreten
-unmöglich machen wolle, wenn die Mutter ihr dazu die gehörige Vollmacht
-gebe; doch diese ward unwillig, und gebot, für heute den Namen des
-Störenfried nicht mehr zu nennen. Jetzt sah man die Wagen vorfahren,
-weil mit der Abendkühle die Familie sich wieder auf ihr nahes Landgut
-begeben wollte, als sich in diesem Augenblick eine sonderbare Scene
-entwickelte. Der alte Baron hatte sich schon einigemal Dorotheen
-genähert; sie war ihm aber ausgewichen, doch benutzte er den Moment, als
-er ihr in den Wagen half, ihr einige freundliche Worte zuzuraunen; sie
-sprang zurück, indem sie hastig der Kutsche enteilte und in den Baumgang
-lief. Der Baron konnte sie nicht einholen, so sehr er sich bestrebte;
-als er schon tief im Garten war, kam sie athemlos zurück, warf den
-Schleier über das erhitzte Angesicht, und weinte heftig, indem sie dem
-fragenden und strafenden Blicke der mehr als erstaunten Mutter ängstlich
-auswich. Der Wagen fuhr rasch davon, und der Baron, nachdem er verwirrt
-und beschämt von den jüngern Freunden Abschied genommen hatte, bestieg
-den seinigen, schwer gekränkt, wie man ihm anmerken konnte, so sehr er
-auch seiner Fassung Gewalt zu thun suchte.
-
-Als der junge Rath und der Offizier ihren Rückweg zur Stadt antraten,
-sagte der erste nach einer Pause: »Was war das? Immer noch kann ich
-nicht von meiner Verwunderung zurück kommen, daß unter so gebildeten und
-feinen Menschen eine solche unschickliche Scene hat vorfallen können!
-Ueberhaupt, wie kommt dieses Fräulein, dieser sonderbare, ja
-widerwärtige Charakter in eine Familie, die ich fast eine geheiligte
-nennen möchte? Irgend eine tiefe Verschuldung muß sie drücken, da sie
-sich immer scheu zurück zieht, niemals an der Unterhaltung Theil nimmt,
-und auch von allen Uebrigen mit einem herablassenden, fast
-geringschätzenden Mitleide behandelt wird, das einem Fremden sehr
-auffallen muß. Man kommt auf ärgerliche Vermuthungen, wenn man auch eben
-nicht zum Argwohn geneigt ist.«
-
-»Du würdest aber irren,« sagte der militärische Freund, »denn keine
-Schuld, kein Vergehn drückt dieses Wesen nieder. Unter so hochgestimmten
-Menschen, wie alle diese sind, würde sich dergleichen vielleicht ohne
-große Kämpfe wieder herstellen, wenn diese Schwester nur sonst in einer
-geistigen Harmonie mit den übrigen stände. Schlimmer aber als alles ist,
-daß sie schon mit einem niedrigern, unedlern Geiste geboren wurde, daß
-sie das Bestreben aller Uebrigen nicht versteht, und sich doch sagen
-muß, es sei ein Hohes und Edles, nur für sie Unerreichbares. Dies Gefühl
-der Unwürdigkeit drückt sie mehr nieder, als das Bewußtsein einer Schuld
-es thun könnte. Sie fühlt sich fremd unter den Nächsten, unheimisch in
-ihrem Hause; sie erquickt sich an den unwürdigen Bekanntschaften, wie
-mit jener dicken und geschwätzigen Nachbarin, und entflieht besonders
-dem Baron, den wir Alle so hoch verehren, und der sich zu sehr, fast mit
-Leidenschaft herabläßt, ihren Sinn für ein höheres Leben
-aufzuschließen.«
-
-Sie bogen jetzt um die Felsenecke, und sahen die Stadt schon vor sich
-liegen. Aber zu ihrem Entsetzen bemerkten sie auch zugleich jenen
-wohlbeleibten Baron von Wilden, von dem sich Nachmittags der junge Rath
-nur schwer hatte losmachen können. »Nun,« rief dieser ihnen entgegen,
-»kommt Ihr schon aus dem Himmel zurück? Hat's brav viel ambrosische
-Redensarten abgesetzt? Sind die nektarischen Gesinnungen gut
-eingeschlagen? Hoffentlich war doch kein Mißwachs an überirdischen
-Gefühlen?«
-
-Die Freunde, die in der schönen Natur und dem lieblichen Abende gern
-noch ihre Gefühle hätten harmonisch nachklingen lassen, suchten sich von
-ihm loszuwickeln; da sie aber denselben Weg zur Stadt zurück gingen, war
-dies unmöglich. »Nichts da!« rief er mit herrschender Stimme aus: »wir
-bleiben treu beisammen, und dort unten beim Brunnen treffen wir noch
-einen armen Sünder, der auf mich wartet.«
-
-Die beiden jungen Leute sahen sich gezwungen, aus der Noth eine Tugend
-zu machen, besonders weil der unempfindliche Baron mit kreischendem Tone
-fortfuhr: »Ich merke wohl, Ihr wäret hier in der Gegend gern noch
-empfindsam, besonders weil der Mond bald hervor kommen wird; aber
-dergleichen Unfug wird in meiner prosaischen Gesellschaft nicht
-geduldet. Glaubt mir doch, junge Menschen, all' das Aetherisiren und
-Frommsüßlichen dort geschieht ja doch nur, daß Ihr an diesem lockenden
-Hamen als Eheleute anbeißen sollt, wenn Ihr nämlich selbst Amt und
-Vermögen besitzt. Es sind so viele Töchter dort, und nur die älteste,
-verwilderte, ist so toll, alle Partieen abzuweisen. Ja die liebe, gute,
-so hocherwünschte Ehe, das Freiwerben, wonach mit allen Fernröhren
-hinaus geschaut wird, wenn so herrliche edle Töchter in dem Familiensaal
-dasitzen, rund und fett, roth und weiß, züchtig und tüchtig,
-auferwachsen und vollständig! Und in der Mitte die verständige Mutter,
-achtsam, lauernd und spekulirend, die Augen nach allen Seiten, jeden
-anfühlend, der nur eintritt, ob der feine Rock auch bezahlt ist, ob
-derselbe, wenn er von Reisen und Bällen erzählt, auch wohl im Stande
-sei, ein Ehefrauchen standesmäßig zu ernähren. Da gehn der guten Matrone
-dann so fromme, weiche und gar unbefangene Redensarten aus dem zarten
-Munde, die Blicke leuchten zum Himmel und rechts und links, und alle
-Worte und alle Blicke schwimmen wie hundert Angeln im Strom der faden
-Unterhaltung, und die jungen Bursche schießen bald nach dieser, bald
-nach jener Schnur wedelnd und spielend hin, bis denn, wenn auch nach
-Wochen, einer und der andere fest sitzt. So haben sie für die Kunigunde
-den zarten Weißfisch erschnappt, und ihm gleich darauf eingebildet, das
-runde Mädchen sei für ihn viel zu gut, so daß er wie ein reuiger Sünder
-am Wagen des Ehestandes zieht, und sich geehrt fühlen muß, daß die Hohe
-sich zu ihm erniedrigt hat; nun müssen Clara, Clementine und die
-irdische Dorothea noch versorgt werden, ja ich stehe nicht dafür, daß
-die bejahrte Bekehrerin nicht selbst noch einmal aus einem frommen
-Knaben einen Bräutigam für sich drechselt, und ihm statt des Katechismus
-einen Ehekontrakt in die Hände schiebt. Ja wohl Ehestand, Wehestand! Wie
-rennt nur alles so blind und taub in das traurige Joch, und opfert
-Freiheit und Laune dem bösen Geiste, der den Mann fast immer unter den
-Sklaven erniedrigt.«
-
-»Sie sind ein arger Frevler,« sagte der Offizier: »aus launenhafter
-Verruchtheit hassen Sie die Ehe, und verlangen nun, alle Menschen sollen
-als sündliche freigeisternde Hagestolze leben, und weil Ihr Sinn nicht
-in jene Umgebung paßt, so lästern Sie diese Menschen, die jeder
-Verläumdung zu erhaben sind.«
-
-»Ganz martialisch!« rief der Baron aus. »Und doch werde ich Recht
-behalten, und vielleicht seufzen Sie selbst einmal, wenn Sie an der
-Kette wie ein Eichhorn immer wieder dieselben rechtgläubigen Sprünge
-machen müssen, um die Nüsse zu knappern, die die Gemahlin Ihnen zukommen
-läßt: ach! wenn ich doch dem resoluten Wilden hätte glauben wollen!«
-
-»Nein, mein Herr,« sagte der Rath sich ereifernd, »Ihre Ansicht geht nur
-aus der Verzweiflung hervor, ja, Sie glauben sich selber nicht.«
-
-»Meinethalben,« rief jener aus, »kann seyn, daß eine ganz andere
-Kreatur, als ich selber, aus mir heraus redet; denn das ist im Leben oft
-der Fall, und bei jenen Apostolischen guckt auch oft was, wie ein Affe,
-aus den verbrämten und aufgesteiften Gewändern hervor. Nicht wahr,
-besonders aus dem ältlichen, zu wenig weltlichen Fräulein Erhard, der
-unvergleichlichen Erziehungskünstlerin? Diese hat das Haubenmuster der
-inwendigen Gesinnung für die ganze Familie zurecht gesteckt, sich selbst
-aber die krauseste Religions-Frisur zurecht gezimmert. Ihr meint, wenn
-diese ihr Orakel kräht und die kleinen Augen verdreht, so müssen wir
-Ungläubige gleich unterducken. Ihr bin ich am meisten aufsässig, denn
-sie ist es eigentlich, die die ganze Familie in Grund und Boden
-verdorben hat.«
-
-Jetzt standen sie am Brunnen. Die Sonne war längst untergegangen, und
-aus der Finsterniß drehte sich ein Mensch hinter dem Weidenbusche
-hervor. »Ach! der Michel!« rief der Baron: »können Sie, meine Herren,
-einen ehrlichen Bedienten brauchen?«
-
-»Warum,« fragte der Offizier, »habt Ihr die Dienste der trefflichen
-Baronesse verlassen, die so mütterlich für ihre Leute sorgt?«
-
-»Ach! gnädiger Herr,« sagte der Diener, »weil ich neulich so ein bischen
-unschuldig gelogen habe, bin ich gleich fortgeschickt worden.«
-
-»Das ist recht!« rief der Offizier, »daran erkenn' ich die edle Frau.«
-
-»Alles ist nur ein Anstiften,« fuhr Michel fort, von dem neidischen
-Fräulein Erhard: »die kann's nicht leiden, wenn Mann und Weibsen sich
-gut sind, weil keiner sie aus dem ledigen Stande erlösen will, und seit
-sie vor vier Wochen sah, wie ich dem Hausmädchen einen Kuß gab, hat sie
-mir's nachgetragen.«
-
-»Wie gemein!« rief Alfred aus.
-
-»Ja, mein gnädiger Herr,« sagte der Diener, »sie ist nicht vornehm, aber
-hübsch, und Kuß bleibt Kuß. Nun hatt' ich eines Tags, auch wegen des
-Mädchens, ein neues Buch von der Stadt zu holen vergessen, es sollte so
-ein recht superkluges, andächtiges seyn, da sagt' ich in der Angst, das
-Buch sei schon verliehen, das kam heraus, daß ich gar nicht weggegangen
-war, und da wurde ich nun um das bischen Lügen gleich aus dem Dienst
-geschickt.«
-
-»Können Sie ihn brauchen?« fragte der Baron die beiden jungen Leute;
-diese versicherten aber: sie würden sich nie mit einem Menschen zu thun
-machen, der in der edelsten und nachsichtigsten Familie nicht einmal
-hätte geduldet werden können. »Nun so bleib indessen bei mir,« schloß
-der Baron, »aber lüge so wenig als möglich.«
-
-»Gewiß, gnädigster Baron,« rief der Mensch aus, »vorsätzlich niemals; es
-kommt einem manchmal in der Angst eine sogenannte Nothlüge in den Hals,
-die, meinte selbst mein alter Priester da hinten in meinem Dorfe, sei
-wohl noch zu vergeben; aber meine gnäd'ge Herrschaft legt alles auf die
-Goldwage, und in einem Hause, wo dann so die allerausgesuchteste
-Frömmigkeit und aufgeputzteste Tugend herrscht, da kommt ein armer,
-ordinärer Domestik durchaus gar nicht fort; wir sind zu irdisch, beste
-Herren, die vornehmen Leute haben es leichter, das schleift und schleift
-immer am Herzen und der Seele, dazu haben wir nicht Zeit vor
-Messerputzen und andern Verrichtungen. Fräulein Dorchen wollte mich auch
-entschuldigen und sagen, es wäre nicht so wichtig, die kam aber übel an,
-auf die schrieen sie alle zusammen noch mehr los, als auf mich. Die
-verachten sie alle, und sie ist doch die beste im Hause, weil sie nicht
-so hoch hinaus will, denn der Mensch ist doch einmal aus einem Erdenklos
-formirt, und da rührt sich von Zeit zu Zeit der alte Lehm und Thon in
-ihm.«
-
-»Sie passen gut zusammen, Sie und Michel,« sagte lachend der Offizier.
-
-»Aber halt!« rief der Baron, »ich habe Dich nun in meine Dienste
-genommen, und ganz vergessen, daß morgen die Fräulein Ehrhard auf einige
-Zeit in mein Haus kommt. Ja, meine Freunde, ich kann diese Person gar
-nicht leiden, aber da ich mit meiner jungen Schwester lebe, die nun ganz
-aufgewachsen ist, mancher Mensch bei mir aus- und eingeht, ich auch oft
-außer dem Hause bin, so muß sie doch, da ich nicht zu heirathen Willens
-bin, eine Gesellschaft und Aufsicht haben. Da hat sich das verdrehte
-Weibsen entschlossen, es bei mir zu versuchen, denn sie weiß wohl, daß
-es bei mir gut hergeht, nicht so arm, wie dort in der Familie; ich sehe
-auch oft Gesellschaft, vielleicht denkt sie leichter einen Herzenskumpan
-bei mir zu finden, als dort in der Einsamkeit. So versuchen wir es denn
-auf einen Monat, oder so mit einander.«
-
-»Alles recht fein gemein konstruirt!« sagte der Rath: »wenn Sie nur
-geringe Motive finden, so begreifen Sie die Sachen.«
-
-»Kann nicht anders,« sagte der Baron. Sie schieden, da sie schon das
-Stadtthor erreicht hatten.
-
- * * * * *
-
-Am andern Morgen war im Hause der Baronesse schon früh viel Unruhe. Im
-großen Saale, der unmittelbar in den Garten führte, war die ganze
-Familie mit Sonnenaufgang versammelt. Man zog Blumenkränze an den Wänden
-auf, ein geschmückter Tisch stand unter einer Thüre, mit Kleidern,
-Büchern und mannigfaltigen Angedenken bedeckt, und man erwartete nun die
-älteste Tochter Dorothea, die täglich den Garten am frühesten Morgen zu
-besuchen pflegte, um sie mit diesen Geschenken und dieser Festlichkeit
-erfreulich zu überraschen. Es war ihr Geburtstag, und Mutter und Töchter
-hatten alles anordnen können, ohne daß sie es bemerkte, weil sie sich
-niemals um den Kalender sonderlich bekümmerte. Jetzt kam sie den Garten
-herunter, und sah schon aus der Ferne die versammelten Geschwister. Als
-sie erstaunt in den Saal trat, und Alle sie freundlich umringten, die
-verschiedenen Gaben darboten, und Schwestern und Mutter sich so
-ungewöhnlich liebevoll bezeigten, war sie tief gerührt und um so
-heftiger erschüttert, je weniger sie diese Feier der Liebe erwartet
-hatte.
-
-»Wie neu ist mir dies!« rief sie aus: »ach! wie wenig habe ich das um
-Euch verdienen können! Liebt Ihr mich denn wirklich so? Alle diese
-Geschenke, dieser Glanz, diese freundliche Aufmerksamkeit, wie kann ich
-es Euch vergelten? Ich bin so überrascht, daß Ihr alle so an mich Arme
-denken mochtet, daß ich Euch noch gar nicht einmal danken kann.«
-
-»Liebe uns nur recht innig,« sagte die Mutter, sie herzlich umarmend,
-»sondere Dich nicht so ab, komm uns allen mehr entgegen; erkenne, wie
-wir es meinen, und bemühe Dich, in unsere Gefühle und Ansichten
-einzugehen; denn wir suchen ja nur das Gute, wir wollen ja nur das
-Rechte. Diese Deine Launen, mein geliebtes Kind, Dein störriger Sinn,
-der Dich den Freunden und Geschwistern entfremdet, der Dich geringeren
-Menschen entgegen führt, ist eine Unart und Verwöhnung Deines Geistes.
-Du wirst und kannst die Wahrheit erkennen, sobald es nur Dein
-ernstlicher Wille ist.«
-
-»Ich will besser werden,« sagte die weinende Tochter, »ich verspreche es
-Ihnen in dieser Stunde, die mich so unendlich bewegt.«
-
-Alle herzten und küßten sie, und Dorothea, die schon seit lange als ein
-Fremdling in ihrer Familie stand, fühlte sich wie in einem neuen Leben.
-Sie sah Alle prüfend an, sie liebkoste Jeden, sie ließ sich die
-Geschenke zeigen und erklären; es war, als wäre sie von einer langen und
-weiten Reise zurück gekommen, und begrüße jetzt die Ihrigen nach
-schmerzlicher Trennung. »Wenn ich nur auch für Euch alle etwas thun
-könnte!« rief sie aus.
-
-»Wenn Du es ernstlich willst,« antwortete die Mutter, »so kannst Du uns
-heut Alle, vor allen aber mich, unbeschreiblich glücklich machen.«
-
-»Nennen Sie,« rief Dorothea, »sagen Sie, was ich thun soll.«
-
-»Wenn Du heut an diesem feierlichen Tage,« fuhr die Baronesse fort,
-»endlich Deine so lange verweigerte Einwilligung geben, wenn Du unsern
-Freund Wallen heut mit Deinem Worte beglücken wolltest, den Du gestern
-so unziemlich gekränkt hast.«
-
-Dorothea wurde blaß und trat erschreckend zurück. »Dies fordern Sie?«
-sagte sie stotternd: »ich dachte, ich hätte darüber ein für allemal
-meine Erklärung gegeben.«
-
-»Deine Leidenschaftlichkeit,« sagte die Mutter, »kann für keinen
-vernünftigen Entschluß gelten. Du liebst keinen Mann, wie Du oft gesagt
-hast, Du kennst kaum einen, den Du achten möchtest; dieser edle Freund
-ist Dir mit der schönsten Herzlichkeit ergeben, er bietet Dir ein Glück
-an, das Dir so schön nicht wieder entgegen kommt, wenn Du es jetzt von
-Dir weisest; Du kennst die Lage Deiner Familie, wie mißlich es mit
-unserm Vermögen steht; Du kannst die Wohlthäterin Deiner Mutter, die
-Versorgerin Deiner Schwestern werden. Hast Du wohl schon bedacht, mein
-liebes Kind, wie trostlos Deine eigne Zukunft seyn muß, wenn Du auf
-Deinem Eigensinn beharrst? Von Männern und Frauen verlassen, den
-Deinigen empört und gehässig, einsam und ganz verloren in einer kalten,
-höhnenden Welt, arm und ohne Hülfe! Wirst Du Dich alsdann nicht in Deine
-Jugend zurück sehnen, und in bitterm Schmerz bereuen, daß Du jetzt alles
-Glück für Dich und die Deinigen so muthwillig, so unbedacht von Dir
-gestoßen hast? Fordert dieser edle Mann denn Liebe und Leidenschaft von
-Dir, wie sie wohl in unsern verkehrten Büchern geschildert werden? Will
-er mehr als Freundschaft und Achtung? Und kannst Du ihm diese versagen?
-Er ist zu allen Aufopferungen bereit, die unsere drückende Lage fordert,
-und die sein großer Reichthum möglich macht; aber wenn Du ihn so spröde
-verhöhnst, und er tritt beleidigt und beschimpft zurück -- wer weiß, wo
-Deine Geschwister oder Deine Mutter und Du selbst noch einmal im Alter
-ein schnödes Almosen erbetteln müssen, wo ich noch krank und hülflos
-liege, und Dein weinendes Auge dann umsonst in diese Tage sehnsüchtig
-zurück blickt, die dann auf ewig verschwunden sind.«
-
-»Hören Sie auf, meine geliebteste Mutter!« rief Dorothea im größten
-Schmerze aus. »O leider, leider ist das Recht ganz auf Ihrer, und das
-Unrecht durchaus auf meiner Seite. Nein, ich habe noch nie geliebt, und
-werde es nie, mein Herz ist für dieses Gefühl verschlossen; die Männer,
-die ich gekannt habe, flößen mir alle ein Gefühl des Widerwillens ein,
-viele des Mitleids, um nicht Verachtung zu sagen; ich sehe ja ein, daß
-eine Ehe, die auf Vernunft sich gründet, die uns in Wohlstand und
-Sorglosigkeit versetzt, etwas Wünschenswerthes seyn muß; daß ich durch
-ein einziges Wort Sie und uns alle beglücken kann, daß es wohl edel ist,
-wenn ich es ausspreche, daß es die Nothwendigkeit vielleicht von mir
-erzwingt, und Kindespflicht und die edelsten Rücksichten -- und doch --
-warum schaudert mein Gefühl davor zurück? -- Ach, liebe Mutter, wenn nur
-eins nicht wäre, -- darf ich es sagen? werden Sie mich nicht ganz
-mißverstehn? O gewiß! denn ich verstehe mich ja selber nicht.«
-
-»Sprich, mein geliebtes Kind,« sagte die Mutter im freundlichsten Tone,
-»ich werde Dein Herz fühlen, wenn ich auch nicht ganz Deine Worte
-fasse.«
-
-Dorothea zögerte, sah sie bittend an, und sagte endlich verlegen und mit
-bittender Stimme: »Oft habe ich mir selbst die Frage vorgelegt, ich habe
-mich in einsamen Stunden ernst geprüft, und mir schien dann wohl, als
-könnte ich meine Hand in die des würdigen Mannes fügen, den Sie alle,
-den die ganze Welt verehrt, wenn er nur nicht --«
-
-»Nun?« rief die Mutter.
-
-»Wenn er nur nicht fromm wäre,« sagte die Tochter hastig.
-
-Eine lange Pause der Verlegenheit entstand. Dorothea war glühend roth
-geworden, die Schwestern traten scheu zurück, die Mutter schlug den
-Blick nieder, und wandte ihn dann um so schärfer prüfend auf die Arme,
-die Allen und sich selbst fast eine Entartete schien. Endlich sagte die
-Mutter: »Nun, wahrlich, das muß mich überraschen, und wenn ich dies in
-Dir verstehe, so möchte es mich auch mit Schauder erfüllen. Also Du
-bekennst nun öffentlich Deinen Abfall von Gott? Du bist also darüber mit
-Dir einig, daß das Heilige Dir ein Anstoß und Greuel ist? Du kannst das
-nicht lieben, was die Liebe selber ist? So geh denn und verläugne das
-Göttliche, lebe ruchlos und stirb vom Himmel verlassen.«
-
-»Sie verstehn mich nicht,« rief Dorothea mit einem hohen Unwillen: »das
-ist ja das Unglück meines Lebens, daß Alles an mir mißdeutet wird, wenn
-ich es noch so gut meine. Vielleicht würde mir Herr von Wallen ganz
-recht seyn, wenn ich nur nicht wüßte, daß er so fromm ist, ja vielleicht
-würde ich ihn alsdann für fromm halten.«
-
-»Trefflich!« sagte die Mutter in schmerzlicher Entrüstung: »wenn wir
-selber verderbt sind, so ist es freilich am bequemsten, an den Würdigen
-ihre Tugend zu bezweifeln. Damit sprichst Du auch zugleich aus, wie Du
-von mir denkst, und was ich überhaupt von Deiner Kindesliebe zu erwarten
-habe.«
-
-»Sie sollen, Sie werden sich irren!« rief Dorothea fast im Zorne aus:
-»ich will mehr thun aus Liebe für Sie, als ich vor mir selbst
-verantworten kann, ich will mich heute Abend, darauf gebe ich Ihnen
-jetzt mein Wort, mit dem Herrn von Wallen verloben.«
-
-Ein allgemeiner Ausruf der Freude, Thränen, Umarmungen, Schluchzen
-unterbrachen und ersetzten jedes Gespräch. Der Wortwechsel verwandelte
-sich in das lauteste und fröhlichste Getümmel, Alle hatten die Fassung
-verloren, und drückten Liebe und Entzücken heftig und übertrieben aus.
-Nur Dorothea war nach ihren letzten Worten plötzlich wieder ganz kalt
-geworden, und gab sich ohne alle Erwiederung still den Liebkosungen hin.
-
-»O Du mein geliebtes Kind!« sagte die Mutter endlich wieder gefaßt, »ja,
-ich habe Dich mißverstanden, und Du wirst mir verzeihen; macht ja diese
-unerwartete freiwillige Erklärung Alles wieder gut. Und jetzt darf ich
-Dir auch noch das schönste und kostbarste Geschenk zu jenen Gaben der
-Liebe hinzufügen, diesen Schmuck, den Dir der Baron sendet; ich habe ihn
-zurück gehalten, weil ich wirklich an Deinem schönen Gefühle zweifelte.«
-
-Die Tochter sah die Mutter mit großen Augen an, dann warf sie einen
-kalten Blick auf die kostbaren Steine, und legte sie ruhig zu den Blumen
-auf den Tisch. Das Frühstück ward gebracht, und man war nach der lauten
-Scene um so ruhiger, kein Gespräch wollte in den Gang kommen. Es läutete
-zur Kirche, die Bedienten brachten Mäntel und Bücher. Dorothea legte ihr
-Andachtsbuch aus der Hand und sagte: »Sie verzeihen wohl, liebe Mutter,
-wenn ich Sie heut nicht zur Kirche begleite, ich bin zu gespannt, ich
-will mich hier in der Einsamkeit indeß zu sammeln suchen und auf unsere
-Mittagsgesellschaft vorbereiten, noch mehr auf den Abend.«
-
-»Wie Du willst, mein holdes Kind,« antwortete die Baronesse: »zwar wäre
-die Kirche und die Rede unsers frommen Seelsorgers wohl der natürlichste
-Ort und Anlaß, Deine Gedanken zu sammeln, indessen hast Du einmal Deine
-Art und Weise, sie bleibe Dir ganz unbekrittelt. Es ist augenscheinlich
-der Himmel selbst, der Dich, Geliebte, die Du es am meisten bedarfst,
-unserm geliebten Wallen zuführt; an seinem Arm wirst Du anders denken
-lernen, und vielleicht erlebe ich es noch, daß Du uns alle beschämst und
-in höherem Glanze voran leuchtest.«
-
-Als sich Dorothea allein sah, musterte sie, fast gedankenlos, die
-Geschenke. Die schimmernden, kostbar gebundenen Bücher waren von jenen
-neuen religiösen, denen sie nie ein Interesse hatte abgewinnen können.
-Was macht es? sagte sie zu sich: ist denn die Erde selbst, das ganze
-Leben so sehr der Rede werth? Warum will ich mit so großem Widerwillen
-die Rolle durchführen, die mir einmal aufgegeben ist? Was ich mir früher
-dachte und vorsetzte, ist ja doch nur Traum und leere Einbildung! Ich
-sehe ja, wie alle, alle Menschen nur spielen und Erhebung heucheln, dann
-gern und beruhigt in die Gemeinheit sinken. Ist es das allgemeine
-Schicksal, warum will ich mich so heftig dagegen sträuben? Entsetzlich
-ist es! aber endlich, früh oder spät, löst ja doch der Tod das
-verwickelte Netz dieses Lebens, und jenseits wird es ja doch wohl
-Freiheit geben.
-
-Mit ihrer Stimmung wurde auch der Himmel finsterer. Dunkle schwere
-Wolken zogen näher, und schienen ein Gewitter herbei zu führen. Ein
-schlanker Mann kam den Garten herauf und näherte sich dem Saal. Als er
-eintreten wollte, ging sie dem Fremden, der ein Mann von Stande zu seyn
-schien, entgegen. Sie begrüßten sich, und der Unbekannte bat um die
-Erlaubniß, verweilen zu dürfen, er habe in der Lindenallee sein Pferd
-dem Diener übergeben, und sei dann in den offenen Garten gerathen; er
-bedauerte, die übrige Familie nicht zu finden, worauf ihn Dorothea
-einlud, im Saale das Gewitter abzuwarten und zu verweilen, bis Mutter
-und Schwestern aus der Kirche zurück kehren würden.
-
-»Sie scheinen beim Gewitter nicht ängstlich zu seyn,« bemerkte der
-Fremde.
-
-»Doch,« erwiederte Dorothea, »wenn es allzunahe kommt, und Feuer und
-Schlag eins und dasselbe werden; ich glaube auch, daß sich alsdann wohl
-alle Menschen mehr oder minder fürchten; denn wo es keinen Widerstand
-giebt, wo ein plötzlicher unversehener Augenblick mich wegraffen dürfte,
-da ängstet es mich gerade, daß ich nicht auf meiner Hut seyn kann. In
-diesen Augenblicken beruhigt nur der Glaube an ein nothwendiges Fatum
-und die Betrachtung, daß ich nichts Besseres bin, als die Tausende
-meiner Mitmenschen, die demselben Schrecken ausgesetzt sind.«
-
-»Diese Gesinnung,« sagte der Unbekannte, »muß ich eine tapfere nennen,
-im Gegensatz jener schwachen, die bei den Damen gar nicht selten ist,
-wenn sie beinahe in Furcht vergehn, alle Fassung verlieren und in
-Thränen jammern, indem nur noch das fernste Wetterleuchten herüber
-schimmert.«
-
-»Wohl,« sagte Dorothea, »und ich sorge schon um Mutter und Schwestern,
-die nur gar zu reizbar sind. Ich mag es nicht tadeln, weil es wohl, wie
-so viele krampfhafte Furcht, Krankheit des Körpers seyn mag.«
-
-»Es ist nicht so leicht zu entscheiden,« bemerkte der fremde Mann, »weil
-wir erst ernsthaft versuchen müßten, was der starke Wille denn wohl
-vermag, und ob, wenn die Seele sich zwingt, nicht auch der Körper
-wenigstens einige Schritte mitgeht, und von selbst da Gesundheit
-entsteht, wo die eigenwillige Stimmung die Kränklichkeit erzeugt hat.«
-
-»Das führt auf die Frage,« sagte Dorothea, »in wie fern wir frei sind,
-und was wir im Geist und Körper durch Vorsatz vermögen.«
-
-»Gewiß,« erwiederte jener, »und nicht blos diese, alle ernsten
-Betrachtungen führen zu der großen Frage. Ohne diese uns beantwortet zu
-haben, können wir auch für nichts Interesse fassen, und weder an uns,
-noch an andere glauben.«
-
-»Freiheit!« seufzte Dorothea, wie vor sich hin phantasirend: »Sie
-glauben also daran? Ich auch ehemals, als ich jünger war.« --
-
-»Jünger, mein Fräulein? das klingt von Ihren schönen Lippen sonderbar.
-Ich zweifelte als Jüngling, und habe erst später diese Ueberzeugung
-fassen lernen.«
-
-»Vergeben Sie,« rief Dorothea beschämt, »daß ich mich mit Ihnen in
-dergleichen Worte verliere, da ich« --
-
-Der Fremde unterbrach sie: »Behandeln Sie mich nicht wie einen
-unbekannten jungen Menschen, der nur da seyn darf, um Ihnen etwas
-Verbindliches zu sagen. Sie sind mir mit einem schönen und ernsten
-Vertrauen entgegen gekommen, und ich weiß, daß ich dessen nicht unwerth
-bin.«
-
-Und wirklich schien es, als spräche Dorothea mit einem alten Bekannten
-oder Bruder, so wenig war dieser Mann -- nach dessen Namen sie selbst zu
-fragen vergaß -- ihr fremd. Seit lange hatte sie nicht dieses Gefühl
-gehabt, ihre Gedanken, ohne Furcht, mißverstanden zu werden, aussprechen
-zu dürfen; dies gab ihr eine Behaglichkeit, daß sie auf das
-heranrückende Gewitter nur wenig achtete, und selbst den Abend vergaß,
-an welchen sie so eben noch nur mit Entsetzen hatte denken können. Im
-Verlauf des Gesprächs erzählte der Fremde von seinen Reisen, Manches von
-seinen Schicksalen; er erinnerte sich seiner Jugend, und bekannte
-endlich, daß er dies Haus, und vorzüglich den vor Jahren verstorbenen
-Vater des Fräuleins oft gesehn habe. »Sie sehen Ihrem Vater wunderbar
-ähnlich,« beschloß er, »und ich habe gleich Anfangs diese freundlichen
-Lineamente nicht ohne Rührung betrachten können.«
-
-Dorothea war überrascht, als sie die Familie schon aus der Kirche zurück
-kommen sah. Man begrüßte den Fremden, die Mutter trat fast erschrocken
-zurück, und Dorothea erblaßte, als sie ihn Graf Brandenstein nennen
-hörte. Er ward höflich zu Tische geladen, und der alte Baron Wallen
-erschien ebenfalls, so wie der Rath Alfred und der junge Offizier; beide
-waren aus der Stadt herüber geritten. Die Familie kleidete sich um, und
-Dorothea war in ihrem einsamen Zimmer in tiefen Gedanken verloren. Die
-Welt lag sonderbarer als je vor ihrem Geiste da, sie konnte sich kaum
-zurecht finden, um ihren bescheidenen Putz zu ordnen, und als sie
-nachher wie träumend zur Gesellschaft zurückkehrte, erschienen ihr alle
-Gesichter wie hart und gespannt, ja, als fremd, besonders aber die
-weiche, gesalbte Miene des Barons wie zum Erschrecken verzerrt, und ein
-Gefühl, als wenn sie lachen solle, bemeisterte sich wie ein Frost ihres
-ganzen Wesens, indem sie sich erinnerte, daß sie diesen Mann noch heut
-Abend für ihren Bräutigam erklären müsse. Wie widrig ihr der junge
-Offizier und Rath auffielen, so bekannt, vertrauensvoll und milde
-leuchteten ihr die Blicke des Grafen entgegen, den sie als einen bösen
-und gefährlichen Menschen noch gestern hatte schildern hören.
-
-Er schien allein unbefangen am Tische. Mit Behaglichkeit erzählte er von
-seinen Geschäften, die er für seinen amerikanischen Freund betrieb; er
-nannte die Güter, die er schon gekauft hatte, oder um welche er noch in
-Unterhandlungen stand, und man verwunderte sich über den Reichthum des
-unbekannten Mannes, der die schönsten Besitzungen zu einer großen
-Herrschaft vereinigen konnte. Durch die Gewandtheit des Grafen ward die
-Unterhaltung bald freier, und der Baron, welcher dem Gefühle, das ihn
-bedrängte, wie mit Gewalt widerstand, suchte das Gespräch an sich zu
-reißen und zu beherrschen, vorzüglich wohl, damit die Jugend und die
-Frau des Hauses nicht in der gewohnten Verehrung nachlassen möchten.
-
-Wie es aber zu geschehen pflegt, daß ein Gespräch, wenn es nicht mit
-leichter Unbefangenheit und feinem Sinne geführt wird, wohl in Anmaßung
-und Spannung eine polemische Natur annimmt, so war es auch hier; denn
-die Reden und Aeußerungen des Barons waren alle verhüllte Angriffe gegen
-den Grafen und dessen Meinungen, wie er sich diese nach der Schilderung
-desselben dachte. Der Graf achtete diese Demonstrationen Anfangs wenig;
-er unterhielt sich hauptsächlich mit Dorotheen, die neben ihm saß,
-sprach von seinen Geschäften, und sagte endlich auch, wie im Scherz, er
-habe zugleich von seinem amerikanischen Freunde den Auftrag erhalten,
-ihm eine Gemahlin zu suchen.
-
-»Das kann wohl von Ihnen beiden nicht ernsthaft gemeint seyn,« sagte die
-Baronesse.
-
-»Und warum nicht?« erwiederte der Graf in heitrer Laune, »mein Freund
-ahmt ja hierin nur den regierenden Fürsten nach, durch Anwalde und nach
-politischen Rücksichten zu unterhandeln. Er ist nicht mehr jung und kann
-nicht erwarten, Leidenschaft zu erregen; er hat in der Jugend traurige
-Erfahrungen gemacht, und an seinem eignen Unglück, so wie an manchem
-Freunde erlebt, daß dasjenige, was die Menschen Liebe nennen, nur
-weichliche Sehnsucht, oft Eitelkeit, zuweilen sogar Verblendung sei, und
-die meisten Ehen, die in scheinbarer Leidenschaft geschlossen werden,
-nur ein dürftiges, ganz kümmerliches Leben, oft Elend herbei führen. Ich
-bin sein ganz vertrauter Freund, und er rechnet auf meine
-Menschenkenntniß, daß ich ihm ein Loos ziehen werde, welches ihm
-geziemt.«
-
-Der Baron erwiederte, daß ihm ein solches Unternehmen immer noch mißlich
-scheine, und daß der Unbekannte dabei doch das Glück seines Lebens auf
-das Spiel setze.
-
-»Glück?« nahm der Graf das Wort auf: »gewiß, wenn er sich jenes
-Unbedingte, Unendliche und Unaussprechliche dabei dächte, was die Jugend
-gewöhnlich mit diesem Worte verbindet. Wo finden wir dies? Wer sich
-nicht zu beschränken versteht, wird nichts erlangen, am wenigsten, was
-jenseit aller Schranken liegt. Die Resignation mag Anfangs bitter
-scheinen, aber ohne sie ist kein Zustand des Lebens zu ertragen; denn
-wenn wir mit uns nur wahr umgehen, so müssen ja doch auch alle
-Entzückungen unmittelbar der Wehmuth Platz machen, ja sie sind eins mit
-dieser, und Schönheit, Kunst, Begeisterung, Alles ist für uns irdische,
-vergängliche Menschen nur da, indem es vergänglich ist, obgleich die
-Wurzel alles Göttlichen in der Ewigkeit ruht.«
-
-»Sonderbar!« sagte der Baron: »somit wäre auch die Andacht und die
-Frömmigkeit, das Erkennen des Himmlischen diesem Wandel unterworfen?«
-
-»Ich glaube,« sagte der Graf, »wer nicht irdisch seyn mag, kann auch
-nicht überirdisch seyn; Nacht und Tag, Schlaf und Wachen, Erhebung und
-Gleichgültigkeit müssen sich ablösen. Wir beklagen mit Recht, daß es so
-ist und seyn muß, aber es kann nicht anders; wer aber die Erleuchtungen
-der Andacht, die Entzückungen einer himmlischen Liebe zu einem stehenden
-Artikel in seinem Herzen machen wollte, der dürfte sich wohl auf dem
-allergefährlichsten Standpunkte befinden, auf den der Mensch sich nur
-wagen kann.«
-
-»Sie sind einmal als Freigeist bekannt,« antwortete die Mutter, »und es
-wird Ihnen bei uns nicht gelingen, unsere klare Ueberzeugung zu trüben.«
-
-Kunigunde sagte mit einem schmelzenden Tone: »Sie meinen also, es sei
-gefährlich, den Herrn zu lieben?«
-
-Brandenstein mußte lächeln: »Gefährlich, wie alle Liebe, schöne Frau,«
-erwiederte er leicht, »besonders, wenn man den Gegenstand, den man zu
-lieben unternimmt, nicht kennt, oder sich eine ganz unrichtige
-Vorstellung von ihm macht; noch schlimmer, wenn wir ein Phantom aus ihm
-bilden, das alle unsre Vorurtheile bestärken, uns in unsern Schwächen
-Recht geben, unsere Fehler und Irrthümer autorisiren soll. Da dürften
-wir unser thörichtes Herz leicht an ein Gespenst verschenken, wie einige
-alte Mährchen etwas Aehnliches erzählen, und uns entsetzen, wenn uns die
-wahre Gestalt des Göttlichen einmal in einer erleuchteten Minute
-erschiene.«
-
-Dorothea hörte aufmerksam zu, und der Baron sagte nicht ohne Verdruß:
-»Die Liebe kann nicht irren. Wo sonst einen Wegweiser auf unserm Pfade
-suchen?«
-
-»Wenn sie die wahre ist, nicht,« erwiederte der Graf: »aber über diese
-täuschen wir uns selber nur gar zu leicht; denn wenn unsere
-Leidenschaften nicht Sophisten wären, so wären sie eben auch keine
-Leidenschaften.«
-
-»So ist denn der Zweifel,« sagte der Baron zürnend, »das Einzige, was
-wir gewinnen können.«
-
-»Er sei unser Diener,« antwortete der Graf, »der die Wege untersucht,
-unser Thor, der mit nüchternem Spaß uns vor dem Allzuviel oder vor
-Uebereilung warne. Kinder und Narren reden aber, wie das Volkssprichwort
-sagt, die Wahrheit: zuweilen wenigstens, wenn nicht oft und immer.«
-
-»Eine Mutter,« sagte die Baronesse, »weiß, was Liebe ist; der Mann
-behält vielleicht immer eine dunkle, zweifelnde Vorstellung von dieser
-Kraft. Auch ist die That immer mehr als das Wort, und so habe ich meine
-Kinder erzogen und mit ihnen gelebt, ganz in Liebe, keinen blinden
-Gehorsam, nie etwas Unvernünftiges von ihnen fordernd, immer habe ich
-mich ihnen geopfert; aber sie haben schon lallend meine Liebe erkannt
-und erwiedert, auch sie haben nur ihren Herzen folgen dürfen, und
-Strenge, Furcht und dergleichen ist ihnen völlig unbekannt geblieben.«
-
-Die Töchter sahen die Mutter zärtlich an, die Mutter hatte Thränen im
-Auge, nur Dorothea blickte scheu vor sich nieder, und der Baron sagte
-begeistert: »Man kennt und verehrt diese musterhafte Erziehung, und wer
-an Liebe zweifelt, komme und sehe diesen Familienkreis.«
-
-»Fern sei es von mir,« sagte Brandenstein, zu Dorotheen gewendet, »mit
-rohem Gefühl diese zarte Liebe nicht anerkennen zu wollen; nur meine
-ich, wenn ich mich meiner glücklichen Kindheit erinnere, daß die Liebe
-zu den Aeltern, und eine gewisse religiöse und edle Furcht vor ihnen ein
-und dasselbe seyn müßte; denn durch die letztere scheint mir meine
-Kindesliebe erst ihre wahre Kraft und Innigkeit erlangt zu haben, auch
-soll ja diese heilige Scheu vor etwas Unbegreiflichem in den Aeltern
-jenen blinden, unbedingten Gehorsam erzeugen, in welchem sich das Kind
-eben so glücklich fühlt; denn ohne diesen Gehorsam findet, scheint es
-mir, weder Erziehung noch Liebe statt.«
-
-Die Mutter sah die älteste Tochter, welche derselben Meinung zu seyn
-schien, bedenklich an, und sagte dann mit etwas gespitztem Tone: »Ich
-habe es vorgezogen, meine Kinder früh zu überzeugen, und wo das nicht
-möglich war, stimmte ich sie so, daß sie aus Liebe zu mir das thaten,
-was sie nicht einsehen konnten.«
-
-»Ich verehre Ihre Erziehung,« sagte der Graf, »denn wer möchte in dieser
-schönen Umgebung dagegen streiten? Doch dürften diese Auswege vielleicht
-etwas zu kostspielige Surrogate für den einfachen und wohlfeilen
-Gehorsam seyn.«
-
-Der Baron wandte sich verstimmt an den Rath Alfred, und das Gespräch
-nahm eine andere Wendung. Der junge Offizier erzählte mit
-Selbstgenügsamkeit, daß er neulich die Gesellschaft, zu der ihn eine
-Dame eingeladen hatte, ohne alle Entschuldigung vermieden habe, da es
-ihm sündlich scheine, eine Unpäßlichkeit oder ein Geschäft
-vorzuschützen. Man lobte diesen Wahrheitstrieb und meinte, diese Art und
-Weise müßte in der Gesellschaft die allgemeine werden, wenn sie sich vor
-der leeren Affectation, Heuchelei und fortwährenden kleinen Lüge retten
-wolle. Auch die Mutter stimmte zögernd in diese Behauptungen ein, ob sie
-gleich befürchtete, daß dergleichen nur schwer möglich zu machen sei,
-ohne zugleich die feinen Bande der Geselligkeit völlig zu lösen; doch
-sei eben darum die Tugend des Einzelnen, der den Muth habe, sich über
-diese Rücksichten hinweg zu setzen, um so mehr zu preisen. »Nichts,«
-fuhr sie fort, »habe ich bei meinen Kindern so sehr zu erwecken und zu
-beleben gesucht, als den heiligen Wahrheitstrieb; ich habe sie bewacht,
-daß sie sich nie auch nur die kleinste Unwahrheit, ja selbst im Scherze
-nicht, erlauben durften. Immer auch habe ich mich bestrebt, alle Fragen
-wahr zu beantworten, aus dem Unterricht alles zu entfernen, was nicht
-klar und deutlich gemacht werden konnte; am meisten aber vermied ich
-jene unsinnigen Mährchen und lügenhaften Geschichten, die Furcht und
-Aberglauben nähren, und das Gemüth der Kinder wohl am allermeisten der
-Wahrheit entfremden.«
-
-Der Baron führte diese Sätze noch mehr aus, und alle Uebrigen stimmten
-ein, außer dem Grafen, welcher äußerte, daß es eine der schwierigsten
-Antworten seyn möchte, zu sagen, was denn Wahrheit, die eigentliche
-Wahrheit sei. »Die Menschen,« meinte er, »suchen sie in allen Richtungen
-schon seit Jahrtausenden, und auch hier muß, wie fast immer, der gute
-Wille, wahr seyn zu wollen, nur zu oft die Sache selbst vertreten. Will
-ich gegen Kinder oder Schwache immerdar auf alle Fragen die Wahrheit
-sagen, so komme ich in die Gefahr, gar nicht mehr wahrhaft seyn zu
-können; denn das Letzte beruht ja doch auf einem Geheimniß, das ich eben
-so wenig läugnen darf, als ich es erklären kann. Und zu diesem
-Unsichtbaren hin drängen uns Phantasie und Gefühl schon sehr früh, und
-der Lehrer, der die junge Ungeduld hiervon entfernen will, muß nur
-wieder zu einer andern Lüge seine Zuflucht nehmen, die vielleicht in
-falscher Aufklärung eben so schlimm, als die des Abergläubigen ist. So
-scheint es mir auch nicht gut gethan, die Phantasie der Kinder nicht
-bilden zu wollen, auch in der sonderbaren Kraft, die das Grauen sucht,
-und blinde, wilde Schrecknisse ersinnt. Dieser Trieb ist in uns, er regt
-sich früh; und soll er unterdrückt werden, strebt man ihn zu vernichten,
-was nicht möglich ist, so wächst er in der finstern Tiefe fort und
-gewinnt an Macht, was er an Gestaltung verliert. Ich habe weibliche
-Wesen gekannt, die man aus übertriebener Aufklärung selbst vor dem
-unschuldigsten Mährchen bewahrte, und die in reifen Jahren es nicht über
-sich vermochten, am Abend auch nur durch das benachbarte Zimmer zu
-gehen, so bezwang sie ein namenloses, ganz kindisches Grauen, so daß sie
-vor jedem Laut, vor jedem Schatten ohnmächtig erzitterten. Wird dagegen
-in der Kinder-Phantasie auch das Seltsam-Aengstigende in Gestalt
-gebracht, wird es in Mährchen und Erzählungen gesänftiget, so vermischt
-sich diese Schattenwelt sogar mit Laune und Scherz, und sie selbst, die
-verworrenste unsers Geistes, kann ein Wunderspiegel der Wahrheit werden.
-Durch diese Krystallseherei können wir weitentfernte und doch
-befreundete Geister wahrnehmen, die uns in sichtlicher Nähe nur höchst
-selten vorüber schweben.«
-
-»Daß Sie ein solcher Freund des Aberglaubens sind,« erwiederte die
-Baronesse, »muß ich erst jetzt von Ihnen erfahren.«
-
-Dorothea schien kein Wort dieser sonderbaren Unterredung zu verlieren;
-sie sah Kunigunden an, auf welche jene Schilderung einer unvernünftigen
-Angst, die sie oft sogar am Tage befiel, buchstäblich paßte; auch waren
-die andern Schwestern zuweilen kindisch genug, und scheuten am Abend
-jeden Gang. Kunigunde war empfindlich, sie glaubte, der fremde Gast
-kenne diese ihre Schwäche, und habe sie nur schildern wollen. Die Mutter
-konnte ihre Verlegenheit nicht ganz verbergen.
-
-»Der Gesellschaft,« fuhr Brandenstein fort, »kann ich mich nicht immer
-mit der nackten Wahrheit nahen, denn sie fordert und erwartet sie nicht
-von mir. Ich darf die Tugenden der Einsamkeit nicht in sie werfen, wenn
-ich nicht den Zauber, durch welchen sie für den gebildeten Menschen so
-reizend wird, zerstören will. Man findet allenthalben schlechte
-Gesellschaft, die ich wahrlich nicht preisen will; aber daß man das
-feine Leben, die zarteren Bande der gebildetern Welt, das anmuthige
-Verhältniß der Geschlechter, die Formen, welche Witz und Lebensart
-erfanden, so oft schmähend mit den Gesetzen und Bedingnissen eines
-sinnreichen Kartenspiels verglichen hat, ist mir zwar nicht unpassend,
-aber sonderbar vorgekommen, und unbegreiflich, daß man nicht die
-Mannigfaltigkeit des Lebens und dessen nothwendige Figuren hat
-anerkennen wollen. Man muß nur eine Zeitlang mit bäuerischen Menschen
-gelebt haben, die ihre rohe Zutäppigkeit für biedere Tugend so oft
-verkaufen wollen, die alles verletzen, die kein Geheimniß, kein zartes
-Verhältniß anerkennen, sondern alles Geistigere Affectation und
-Heuchelei taufen; man muß Wochen lang diesem rohen Betasten und
-Anpacken, und der drückenden Langeweile ausgesetzt gewesen seyn, um den
-Adel eines feinen, geistreichen Umgangs wieder schätzen zu lernen. Hier
-gilt denn freilich nicht immer das blanke Ja und Nein; und mit der
-sogenannten Wahrheit die gegebenen Formen, durch welche diese
-Erscheinung sich nur darstellen läßt, umstoßen wollen, ist eben so
-unbillig, als wenn ich die Gesetze eines künstlichen Schachspiels Lüge
-nenne, mit meinen Bauern gleich in das letzte Feld des Gegners rücke und
-mein Spiel für gewonnen erkläre.«
-
-»Sie sind ein ziemlicher Sophist,« sagte der Baron. »Es fehlte noch, daß
-die Verläumdung, Klatscherei, Neid und Verfolgung der großen
-Gesellschaften einen Lobredner fanden; es bleibt dann nur noch übrig,
-die stille Tugend, die schöne Bürgerlichkeit, die kindliche Unschuld und
-edle Einfalt der nichtvornehmen Welt zu schmähen.«
-
-»Sie können mich unmöglich so mißverstanden haben,« sagte der Graf: »ich
-meine nur, man soll Bedingnisse, die jedes Spiel und Kunstwerk
-nothwendig macht (und die gute und feine Gesellschaft sollte wohl von
-beidem etwas haben), nicht mit Unwahrheiten verwechseln; denn auch im
-Tanz ist keine Wahrheit, wenn anders der gerade eilige Geschäftsschritt
-so zu nennen ist, und es dürften sich von dieser Ansicht her selbst
-gegen den Spaziergang nicht unerhebliche tugendhafte Zweifel aufwerfen
-lassen.«
-
-»Immer ärger!« rief der Baron: »zum Glück, mein scharfsinniger Graf,
-sprechen Sie alles dies in einer Gesellschaft, auf die es nicht
-schädlich einwirken kann.«
-
-»Sie haben mich einmal hinein gezogen,« erwiederte Brandenstein, »und so
-mögen Sie denn auch mein ganzes Glaubensbekenntniß hören. Ich denke, es
-hat noch keinen Menschen gegeben (und keiner wird kommen), der nicht
-irgend einmal in seinem Leben mit Bewußtsein gelogen hätte. Sei es nun
-Nothlüge oder Schwäche, Furcht, Eigennutz oder Eitelkeit, und wie sie
-alle heißen mögen, diese Flecken unsrer Natur; vielleicht auch, um nur
-einmal diesem Geiste zu folgen, der uns doch gar zu reizend verlockt.
-Und dürfen wir doch nur auf die erhabenen Apostel sehen, um zu lernen,
-daß sie ihrem Vorbilde, der ewigen göttlichen Wahrheit, nicht immer
-getreu zu seyn stark genug waren. Vieles dieser Art möchte ich die
-unschuldigen Lügen nennen, denen der bessere Mensch, eben weil sie so
-resolut sind, bald aus dem Wege gehn kann. Aber wie steht es denn mit
-jener gleissenden Eigenliebe, mit jenem prunkenden Egoismus, mit der
-ausgebildeten Heuchelei, die aus dem ganzen langen Leben mancher
-Menschen nur eine einzige Lüge bilden? Ich habe wenigstens einige
-gekannt, die so im Lügengeiste untergesunken waren, daß es für sie gar
-keine Wahrheit mehr gab. Und diese Menschen galten für tugendhaft, sie
-hielten sich selbst für Auserlesene, es war ihnen möglich, selbst auf
-dem Sterbebette die Rolle der Heuchelei fortzuspielen.«
-
-»Dergleichen ist nicht möglich!« rief der Baron, und Alle stimmten ihm
-bei; nur Alfred äußerte, es könne doch wohl dergleichen Verkehrtheit
-geben, worauf ihn Dorothea verwundert mit großen Augen ansah. »Sie
-sprechen überhaupt,« fuhr der Baron fort, »von einer vorigen Welt; seit
-Ihrer Abwesenheit hat sich bei uns Alles so geändert, daß Sie, wenn Sie
-unser Vaterland erst wieder kennen lernen, kaum mehr eine Spur vom
-vorigen finden werden. Die alte Irreligiosität, jene leere
-Freigeisterei, die sich Aufklärung nannte, ist, dem Himmel sei Dank!
-ziemlich verschwunden; immer schöner entwickeln sich die Keime einer
-ächten Religiosität, man schämt sich nicht mehr, Christ zu seyn, an den
-Herrn zu glauben und sich im brünstigen Gebet zu ihm zu erheben. Die
-Kirchen sind wieder gefüllt, die höhern Stände verschmähen nicht mehr
-die Gemeinschaft ihres Nebenchristen, andächtige Bücher haben die
-frivolen von den Tischen unserer Weiber und Mädchen verdrängt,
-geläuterte Seelen unterhalten sich, statt mit Theatergeschwätz, über die
-Bibel, ermuntern sich zur Buße und Andacht, theilen sich die Erfahrungen
-mit, die sie an ihrem Herzen machen, stärken sich gegenseitig, und immer
-deutlicher spricht aus diesen erhobenen Gemüthern der Geist des Herrn.
-Alles dies, mein zweifelnder Freund, werden Sie wenigstens gelten und
-stehn lassen müssen, denn hier ist Wahrheit und Liebe, hier ist kein
-Irren möglich.«
-
-Er hatte alles dieses mit großer Salbung gesprochen. Der Graf schwieg
-einen Augenblick, ehe er sagte: »Unser Tischgespräch hat eine so
-ernsthafte Wendung und einen so feierlichen Inhalt gefunden, daß es wohl
-passender wäre, abzubrechen, entweder auf eine stillere Stunde diese
-Eröffnungen zu versparen, oder ganz zu schweigen, weil man sich über
-diese wichtigen Gegenstände am leichtesten mißversteht.«
-
-»Weil Sie sich jetzt völlig geschlagen fühlen,« sagte der Baron, »so
-wollen Sie sich wenigstens einen sichern Rückzug vorbehalten. Ich
-dächte, es wäre jetzt Ihre Pflicht, offen zu gestehen, daß Sie über
-diesen Punkt nichts zu sagen wissen, wenn Sie nicht unverholen bekennen
-wollen, daß Ihnen jene fast vergessene Freigeisterei lieber als unsere
-heilige Religion sei.«
-
-»O sprechen Sie!« rief Dorothea, sich selbst vergessend.
-
-»Sie sehen, wie dringend Sie aufgefordert werden,« sagte die Mutter,
-indem sie einen langen und drohenden Blick zu Dorotheen hinüber warf;
-auch Alfred bat, daß der Graf sich erklären möchte, in wiefern er in
-diesem Punkt mit dem Zeitalter einverstanden sei.
-
-»Da ich es nicht ganz umgehen kann,« sagte dieser: »so will ich kurz
-andeuten, was ich habe beobachten können; denn da ich schon seit einem
-Jahre wieder in Deutschland bin, so ist mir nicht alles so fremd, wie
-Sie glauben, ob ich gleich erst seit kurzer Zeit meine Geburtsgegend
-hier wieder besucht habe. Könnte ich Ihnen allen nur das Vorurtheil
-benehmen, daß Sie mich, wie ich merke, für einen gottlosen Unchristen
-halten. Nein, ein solcher bin ich wahrlich nicht, aber ich muß mir nur
-das unbestreitbare Recht vorbehalten, auf meine Weise ein Christ seyn zu
-dürfen. Daß es jetzt, wie zu allen Zeiten, wahrhaft fromme und
-erleuchtete Gemüther giebt, und daß man diese verehren solle, wer möchte
-daran zweifeln? Das Bedürfniß des Glaubens hat sich wieder gemeldet, der
-Geist hat fast an alle Herzen geklopft, und Anmahnungen mancher Art und
-aus allen Gegenden haben sich vernehmen lassen. Ein klarer frischer
-Strom hat sich wieder durch die lechzende Ebene von den ewigen Gebirgen
-her ergossen, und der Kraft seiner Wogen folgen die Dinge und Wesen,
-welche er ergreift; unwiderstehlich fühlt sich Alles fortgezogen, und
-Groß und Klein, Stark und Schwach muß nothgedrungen mit hinunter
-fließen. Wie ächte Begeisterung dies veranlaßt hat, so ist es denn doch
-auch hier, wie in allen geschichtlichen Ereignissen, ergangen, die
-Menge, die Eitelkeit, die menschliche Schwäche trübt auch diese
-Erscheinung, und als es einmal Mode war, frei zu denken und den starken
-Geist zu spielen, wenn Viele auch schwach und abergläubig waren, so ist
-es jetzt Sitte geworden, religiös zu scheinen, wenn es Manchem auch
-frivol und unerleuchtet genug zu Muthe seyn mag.«
-
-»^Desinit in atrum piscem,^« sagte der Baron ereifert, »der Anfang Ihrer
-Rede ließ etwas Besseres vermuthen.«
-
-»Wie Viele,« fuhr Brandenstein ruhig fort: »sind mir aufgestoßen, die
-mir fast beim Begrüßen entgegen warfen, daß sie außerordentliche
-Christen seien. Andere sprechen beim dritten Worte und bei den
-gleichgültigsten Gegenständen vom Heiland; bei jeder Veranlassung, sei
-sie noch so geringe, beten sie, und erzählen uns dies; ja ich habe
-Romane gelesen, in denen der Verfasser in der Vorrede sagte, er schreibe
-niemals, ohne vorher zu beten, und alles Gute, was im Buche stehe, sei
-unmittelbare Eingebung; das kürzeste Mittel, jede Kritik zurück zu
-schlagen, und die Romanze dicht an die geoffenbarte Schrift zu schieben.
-In Gesellschaften ergreift man jede Veranlassung, von Reue, Buße,
-Andacht und Erlösung zu sprechen, und entweiht, nach meinem Gefühl, das
-Heilige, vergißt, daß es eine Aehnlichkeit mit der Liebe hat, deren
-Gefühle und Geständnisse der wahre Liebende auch nicht jedem fremden
-Ohre Preis geben wird.«
-
-»Was schadet es aber,« sagte der Baron, »wenn die frommen Gemüther
-vielleicht auch zu oft von dem Gegenstande ihrer Liebe sprechen?«
-
-»Es kann nicht die Liebe seyn,« erwiederte Brandenstein: »es ist
-Eitelkeit, Hochmuth, der besser seyn will, als andere Menschen. Gerade
-wie zu der Zeit der Empfindsamkeit oder der Aufklärung, ist es ein
-krankes Bedürfniß, das allenthalben Nahrung sucht, das sich schmeichelt
-und zu immer tieferer Krankheit verzieht, das unduldsam und verachtend
-auf Nebenmenschen, die oft besser und frömmer sind, hinblickt, weil
-diese nicht gerade in den angegebenen Ton auch einstimmen wollen.«
-
-»Sie schildern die Ausartung,« stammelte die Baronesse in einer Art von
-Angst.
-
-»Nichts anderes, verehrte Frau,« antwortete der Graf: »nur daß mir diese
-häufig in die Augen gefallen ist. Auch habe ich Erbauungsbücher gesehn,
-die sehr in der Mode zu seyn scheinen, Altes und Neues, die wahrlich nur
-dazu dienen können, mittelmäßige Menschen, die schon von der Eitelkeit
-ergriffen sind, ganz zu verwirren, in denen der Schöpfer, die reine
-Liebe, gleich einem launigen wunderlichen Alten dasteht, der sich aus
-Langeweile gelüsten läßt, die krausesten Schicksale zu flechten, und
-Diesen und Jenen, wenn auch Viele dabei untergehn, auf feine und
-seltsame Art aus seinem Elende wieder heraus zu führen. Andere
-verwandeln Religion in Magie und Zauberei; oder verhärten die Herzen der
-Weiber, daß sie sich unendlich über ihre Männer erhaben fühlen, diese,
-wenn sie nicht ganz auf ihre Weise frömmeln, in einem Zustande der
-Zerknirschung erhalten, und in dem Gefühl, wie tief sie sich
-herablassen, die geheiligten Gattinnen so ordinärer Sünder zu seyn. Ich
-kannte ein armes, mittelmäßiges Mädchen, die sich glücklich schätzte, an
-einen jungen wohlhabenden Mann verheirathet zu werden, die aber nach
-einem halben Jahre auch zur Heiligen wurde, und sich nun vorlügt, ihre
-christliche Tugend bestehe darin, den Mann zu dulden; übermenschlich
-erscheint sie sich, wenn sie ihn nicht ganz verachtet, aber doch sagt
-sie sich dies täglich und ihren religiösen Gespielinnen, die sie auch in
-dieser Frömmigkeit bestärken. Ist nun dies nicht Sünde?«
-
-»Ja wohl!« seufzte plötzlich Kunigundens Gatte auf, und die Mutter,
-welche den Halt ihrer Familie fast sichtlich zusammenbrechen sah,
-bereuete es, dies Gespräch begonnen zu haben, und zürnte ihrem würdigen
-Hausfreunde, dem Baron, daß es durch ihn so angefeuert wurde.
-Brandenstein aber, der nun einmal im Zuge war, konnte ebenfalls in
-seinem geistlichen Eifer nicht ruhen, bis er seine ganze Catilinarische
-Rede an den Mann gebracht hatte. »Wie erhebend kann es seyn,« fuhr er
-lauter fort: »wenn wir fromme Männer, um sich ganz dem Heiligen zu
-ergeben, der Welt und allen ihren Schätzen den Rücken kehren sehen, um
-in stiller Abgeschiedenheit nur Einem großen Gefühle zu leben. Ich will
-einzelne Brüderschaften nicht tadeln, wenn sie sich in einem ähnlichen
-Sinne verschließen, und von Kunst und Geschichte, Philosophie und Welt
-nichts wissen wollen. Aber wenn diese einseitigen Frommen, die in der
-Welt stehen bleiben, die Erziehung der Uebrigen genossen haben und sich
-selbst für gebildet ausgeben, uns immer und immer wieder zurufen, nur
-Eins sei, was Noth thue, Malerei, Musik und Dichtkunst seien nicht nur
-überflüssig, sondern sogar sündhaft, und nur Gebet, Erleuchtung, Buße
-sei alles, was den Menschen in Anspruch nehmen solle, -- so möchte ich
-doch wohl Diese fragen: von welchem engen Gefühle ihre sogenannte
-Religion sei, daß sie Liebe, Wahrheit, Vernunft und die lieblichen
-Erscheinungen der Phantasie gar nicht zulassen könne und dürfe? Also
-wäre den Reinen heut nicht mehr alles rein? Der Mensch ist schon als
-todt zu betrachten, dem in der Natur und Geschichte nicht Gott mehr
-erscheint; der ist verloren, der in der Kraft der Vernunft seine hohe
-Gegenwart nicht mehr sieht. Auch der ist fromm, dem aus dem Gemälde eine
-Entzückung anstrahlt, und der sich, so lange er Shakspeares Sommernacht
-liest, selig und im Himmel fühlt. Denn auch Scherz, Lust und Witz sind
-göttlicher Abkunft, und wir werden um so reiner und geläuterter, je mehr
-wir den göttlichen Strahl in diesen zarten Spielen erkennen lernen.«
-
-»Ja wohl,« sagte der Baron, welcher das auffallende Mißvergnügen der
-Baronesse bemerkt hatte, »können wir heut dies interessante Gespräch
-nicht zu Ende führen.«
-
-»Unmöglich,« antwortete der Graf, welcher selber über seinen Eifer zu
-erstaunen schien, »denn sonst möchte ich wohl noch darüber belehrt seyn,
-warum diese frommen Gemüther sich nicht mit mehr Demuth der Kirche
-anschließen? Warum sie verlangen, daß alle Menschen auf ihre Weise die
-Dinge sehen sollen? Warum nicht Zweifel auch sie anwandeln und es ihnen
-begreiflich machen, daß sie doch auch wohl irren könnten? Ob es nicht
-christlicher sei, mehr nach dem Evangelium bei verschlossenen Thüren zu
-beten, als pharisäisch ihr vieles Beten weltkundig zu machen? Ich könnte
-denn wohl noch bemerken, daß dieser geistliche Schwindel sich auffallend
-genug mit einem politischen verbindet, und daß diese kranke Stimmung,
-die sich über ganz Deutschland verbreitet, es einem überaus verwirrten
-und schwachen Buche möglich gemacht hat, den Beifallsruf einer Menge zu
-erwerben, die nun erst beurkundet, wie wenig sie je unsern großen
-Dichter faßte, als sie ihm zujauchzte. Es kann als ein Frevel gegen
-diesen großen Mann erscheinen, wenn man es nicht lieber lächerlich
-finden will, daß man ihm so schulmeisternd mit Glaubensfragen nahe
-rückt, daß man Immoralität und Mangel an Idee seinen Werken vorwirft,
-weil er sich nie zu den armen Bedürfnissen dieses Wortführers
-herabgelassen hat. Daß alles dies möglich gewesen ist, hat mir gezeigt,
-wie wenig wahre Bildung bei uns noch Wurzel gefaßt hat, und wie leicht
-es daher Schwindlern wird, mit halbwahren Begriffen die schreiende Menge
-zu verwirren.«
-
-»Sie meinen _Göthe_,« sagte der Baron, »und die sogenannten unächten
-Wanderjahre. Nun, da sind wir ja schon so ziemlich weit von unserm
-ersten Diskurse abgekommen.«
-
-Es trat eine Pause ein, Alle schienen verstimmt, Dorothea war tief
-bewegt. Indem der Bediente jetzt den Braten brachte, rief die Baronesse:
-»Ach! wie konnte ich nur die arme kranke Wittwe vergessen? Johann, tragt
-dies Gericht sogleich zu der Unglücklichen, mit meinen herzlichen
-Wünschen. Sie leidet, wie ich heut gehört habe, unglaublich, dabei ist
-sie arm, und ihre Kinder können ihr nur wenige Hülfe geben.« »Ja, die
-Armuth, die Krankheit!« seufzte der Baron. »O Himmel, was würde aus der
-finstern Erde werden, wenn nicht immer noch weiche, edle Gemüther das
-ungeheure Elend zu mildern trachteten.«
-
-»Die bedauernswürdige Frau,« fügte Kunigunde hinzu: »soll auch mit ihrem
-verstorbenen Manne gar nicht glücklich gewesen seyn, er war hart und
-rauh, und behandelte sie oft übermüthig.« Sie warf dabei ihrem Gatten,
-der am andern Ende des Tisches saß, einen sonderbaren Blick zu, der gar
-Vieles bedeuten konnte. Der junge Mann, vom Tischgespräch aufgeregt, war
-so unerhört dreist, zu erwiedern, daß es auch oft der Weiber eigne
-Schuld sei, wenn sie in der Ehe nicht glücklich wären. Der Graf, um
-nähere Erörterung zu verhindern, bemerkte, daß es vielleicht, da man die
-Krankheit der Frau nicht genau kenne, schädliche Wirkung thun möchte,
-wenn sie von der Fleischspeise unvorsichtig genösse. Der Baron aber, der
-einen neuen kriegerischen Angriff vermuthete, sprach gerührt über die
-große Wohlthätigkeit der Baronesse, wie sie den Armen eine Mutter sei,
-und begriff nicht, wie es noch so harte Menschen geben könne, die von
-dem Elende ihrer Nebengeschöpfe so ungerührt blieben.
-
-Jetzt kam Johann mit dem Braten zurück und meldete, daß die Wittwe sich
-gehorsamst bedanke; es sei ihr aber vom Arzte im Fieber Fleischspeise
-bis jetzt noch untersagt, auch empfange sie seit drei Wochen alles vom
-Schlosse, was sie gebrauche, worüber sie ihre Rührung nicht genug
-ausdrücken könne. »Ein Arzt?« sagte die Baronesse, »sie bekömmt schon?
-und wie?« -- »Ach, gnädige Frau,« sagte der alte Diener verlegen und mit
-Bewegung: »Fräulein Dorothea sendet ihr schon seit lange Alles, sie hat
-auch den Doktor kommen lassen, und besucht die Kranke selbst alle Morgen
-und Abende.« -- »So?« sagte die Baronesse mit einem gedehnten,
-zitternden Tone, und ein durchdringender Blick fiel auf die Tochter, die
-in der Beschämung nichts erwiedern konnte; »und warum, mein Kind,
-geschieht denn diese Ausübung der Wohlthätigkeit, diese Tugend, die mir
-an Dir neu ist, so heimlich? Warum gönnst Du Deiner Mutter denn nicht
-auch einen Antheil an dem Verdienste, da sich Dein Herz nun endlich auf
-dergleichen christliche Liebesdienste hinlenkt? Mein Rath würde die
-Wohlthat erst zu einer ächten machen können. Aber so sieht es aus, als
-wenn eher Eigensinn, als Mitleid, Deine Handlungen lenke.«
-
-»Liebe Mutter,« flehte Dorothea, »schonen Sie mich.«
-
-»Es ist zu beklagen,« fuhr diese fort, »wenn selbst das, was an sich
-Tugend ist, durch die Art, wie man es ausübt, sich zum tadelnswürdigen
-Fehler umgestaltet. Vorzüglich sehe ich Stolz und Anmaßung in dieser Art
-zu handeln, daß Du es übernimmst, ohne mich klug und weise seyn zu
-wollen, da Du doch nicht wissen kannst, ob Du nicht dadurch mehr Schaden
-als Nutzen stiftest.«
-
-»Es ist zu viel!« rief Dorothea laut weinend aus, stand schnell auf und
-verließ mit verhülltem Angesicht das Zimmer.
-
-Alle sahen auf, der Graf aber schien am meisten überrascht, er sagte mit
-bewegter Stimme: »Geschieht aber dem Fräulein auch nicht zu viel? Sie
-hat es wahrscheinlich gut gemeint; und mir scheint es auch nicht
-strafbar, daß sie ihre Wohlthaten heimlich erzeigt, daß sie vielleicht
-etwas zu verschwiegen ist, um sich nicht dem Schein des Prunkens
-auszusetzen.«
-
-»Gewiß, gnädigste Frau,« sagte der greise Diener, »das Fräulein ist ein
-Engel, alle Leute im Dorfe sehn sie auch so an; was sie nur von ihrem
-Taschengelde sich absparen kann, was sie an Kleidern irgend entbehrlich
-findet, wendet sie auf die Armuth, aber das Schönste dabei ist die
-freundliche, stille Art, und wie sie die Leute beruhigt, und die Kranken
-tröstet, und die Kinder zum Gehorsam gegen die Aeltern ermahnt, die oft
-unwirsch sind: -- ja, wir sollen schweigen, denn das hat sie uns strenge
-befohlen, wir haben es auch Jahre lang gethan, aber einmal verschnappt
-man sich denn doch. Verzeihung, gnädige Frau.«
-
-Diese Reden fielen vor, indem man aufstand; die Baronesse zitterte; der
-Baron suchte mit feierlichem Gesicht und Anstand, indem er der Mutter
-die Hand küßte, die Sache gut zu machen; der Graf empfahl sich mit
-wenigen Worten, und Alfred begleitete ihn; die übrige Gesellschaft ging
-in den Gartensaal.
-
-»Es thut nicht gut,« sagte die Mutter, »wenn böse Menschen über unsere
-Schwelle treten.«
-
-»Ihnen folgt kein Segen des Himmels,« fügte der Baron hinzu.
-
-»Welch ein Mittag!« rief die Baronesse, »ich werde ihn lange nicht
-vergessen! Solche Menschen fehlen uns noch in unsrer Nähe, um mein armes
-abtrünniges Kind ganz unglücklich zu machen. Aber auch Sie, Herr Sohn,
-nahmen an dem gottlosen Menschen mehr Antheil, als ich oder die fromme
-Kunigunde wünschen können.«
-
-»Mich dünkt aber,« sagte Kunigundens Gatte, »daß er manches ganz
-Vernünftige sprach; ich glaube auch, daß die Frömmigkeit zu weit gehe,
-und daß manche Frauen sich zu viel einbilden können.«
-
-Da sah ihn der Baron mit einem langen strafenden Blicke an, den der Arme
-nicht aushalten konnte, und als jetzt Kunigunde laut zu weinen anfing,
-die Mutter ebenfalls weinend diese in die Arme nahm, um sie zu trösten,
-konnte er gerührt die bereuenden Thränen nicht länger zurück halten; er
-stürzte sich auch an den Busen seiner Gattin, schluchzend und um
-Verzeihung bittend. »Sein Sie alle beruhigt,« tröstete feierlich der
-Baron, indem er den Blick zum Himmel erhob: »der Herr wird Alles gut
-machen, denn heut Abend, wie Sie mir gesagt haben, verlobt sich mir
-jenes verhärtete, uns dennoch theure Herz, durch meine schwache Hülfe
-wird der Geist sie dann erleuchten, und wir alle werden Ein Herz und
-Eine Liebe seyn.«
-
- * * * * *
-
-Weinend hatte sich Dorothea in ihr Zimmer geschlossen. So zerstört,
-unzufrieden mit sich und der Welt, so ganz verloren und elend hatte sie
-sich noch nie gefühlt. Sie war tief beschämt, daß die einfache Art, sich
-der Armen anzunehmen, die ihr die natürlichste dünkte, plötzlich durch
-die Einfalt des Dieners war bekannt worden; aber es schien ihr auch zu
-hart, wie die eigne Mutter sie deshalb vor allen Gästen behandelt hatte,
-am schmerzhaftesten aber war es ihr, daß es in Gegenwart des Mannes
-geschah, den sie verehren mußte, der ihr Vertrauen gewonnen hatte, und
-dessen Achtung sie sich ebenfalls wünschte.
-
-Es war finster geworden, ohne daß sie es bemerkte, als der Diener
-klopfte, und sie zur Mutter und der Gesellschaft herab zu kommen bat.
-»Mutter!« sagte sie vor sich hin: »Mutter! welch schönes Wort! Warum
-habe ich keine kennen gelernt?«
-
-Sie ging hinab, im Saale saß die Familie versammelt, auch der junge
-Offizier war gegenwärtig. Indem Dorothea herein trat, fiel ihr erst
-wieder ein, weswegen sie gerufen werde. Ein Fieberfrost überfiel sie.
-Alle begrüßten sie als die Braut des Barons, die Mutter sagte
-freundlich, sie wolle ihr jetzt das Betragen des heutigen Tages
-verzeihn, die Schwestern wünschten der Betrübten Glück, und der Baron
-bedeckte ihre zitternde Hand mit zärtlichen Küssen. »Sein Sie ruhig,
-sein Sie glücklich,« sagte er mit sanftem Tone, »von heut an werden Sie,
-Geliebte, ganz zu uns gehören, und dieser Mensch wird das Haus nicht
-mehr betreten; wohl hatten Sie Recht, und der Himmel sprach aus Ihnen,
-daß ein solcher Elender nicht wandeln darf, wo wir unsre Schritte
-setzen.«
-
-»Elender?« rief Dorothea, und riß ihre Hand so gewaltsam weg, daß der
-Baron zurück taumelte. »Sie sind ein frecher Mensch, daß Sie einen
-solchen Mann so zu lästern wagen!«
-
-»Himmel!« schrie die Mutter, »sie hat den Verstand verloren! Ein böser
-Geist spricht aus ihr.«
-
-Dorothea besann sich wieder, sie sah das Erstaunen der Umgebenden und
-suchte sich zu sammeln. »Ich bin so erschüttert,« fing sie an, »ich
-fühle mich so bewegt, vielleicht daß eine Krankheit -- nur einen
-Augenblick will ich mich im Freien abkühlen.«
-
-»In diesem Wetter?« sagte die Mutter, »in diesem Sturm und Regen, so
-ohne Tuch, in Deiner dünnen Bekleidung?«
-
-»Es muß seyn! es muß!« rief sie aus, und hatte schon, ohne auf die
-Uebrigen zu hören, die Saalthüre geöffnet, und stand im finstern kalten
-Garten. Da der Regen ihr entgegen schlug, so wandte sie sich in den
-bedeckten, dicht verflochtenen Gang, und ging hastig auf und nieder.
-»Ihm, dem Widerwärtigen,« sagte sie zu sich selbst, »auf immer
-verbunden? So tief, so tief herabgewürdigt? Und für wen? Für Jene, die
-es mir niemals danken werden, die dann wieder thun, als sei mir dadurch
-die größte Wohlthat erwiesen worden? Meine Seele retten? Verloren geht
-sie hier, vernichtet wird sie!«
-
-Ein dunkler Schatten kam auf sie zu, und an der lispelnden, sanften
-Stimme erkannte sie sogleich den Baron. »Meine Gute,« fing er an, »Ihre
-liebe Mutter und wir alle erwarten Sie drinnen mit banger Besorgniß;
-mein Herz fließt in Zärtlichkeit über, da ich Sie schon als meine
-Gattin, und die Mutter meiner frommen Kinder betrachte.«
-
-»Himmel!« rief sie aus, »das bedachte ich nicht einmal, daß mein Elend
-sich auch so weit erstrecken kann, Heuchler und böse Egoisten aus meinem
-Blute entsprießen zu sehen. Aber wenn mir auch dies Unglück nicht würde,
-so kann ich doch nie die Ihrige werden.«
-
-»Wie?« rief der Baron, »und das feierliche Versprechen, welches Sie heut
-Morgen in die Hände Ihrer Mutter legten?«
-
-»Und wenn ich es einem Engel vom Himmel gethan hätte,« sagte Dorothea,
-»so kann ich es nicht halten! Ja, wenn schon die Trauung geschehen wäre,
-so müßte man uns doch wieder trennen!«
-
-»Seltsam, mein Fräulein! Bedenken Sie auch die Folgen?«
-
-»Welche können es seyn? Alles ist zu tragen gegen das unabsehbare Elend,
-das meiner wartet.«
-
-»Wissen Sie auch, daß es Ihre Mutter fordern kann? Wissen Sie, daß diese
-mir verpflichtet ist, was ich bis jetzt mit der Geduld der Liebe trug
-und verschwieg, in der Hoffnung, Ihrer Familie anzugehören? Fragen Sie
-sich, ob Sie unter diesen Umständen die Verpflichtungen Ihrer Mutter
-nicht lösen müssen, wenn Sie für eine gute Tochter gelten wollen?«
-
-»Nein!« rief das Mädchen in der allergrößten Anstrengung, »lieber mit
-ihr darben, für sie arbeiten, ja, für sie sterben!«
-
-»Es giebt aber doch noch Mittel,« sagte der Baron halb lachend, »solchen
-Starrsinn zu beugen; die Rechte der Aeltern sind groß, und offenbar sind
-Sie jetzt Ihrer Sinne nicht ganz mächtig; etwas Bitte, etwas Gewalt wird
-schon den kindischen Willen brechen.«
-
-Er hatte heftig ihren Arm gefaßt, und war bestrebt, sie nach dem Hause
-zu ziehen; aber das starke Mädchen riß sich behende los, und floh durch
-den Gang, der Baron ihr nach, sie aber, die leichter war und die
-Verschlingungen des Gartens besser kannte, war ihm bald weit voraus;
-jetzt war sie an der offenen Grenze des Parks, sie überschritt auch
-diese, und rannte nun über das Blachfeld wie ein gejagtes Reh, indem
-abwechselnd Regen sie durchnäßte, und Sturm ihre zarten Glieder
-erstarren machte.
-
- * * * * *
-
-Die Frau von Halden saß behaglich in ihrem Stübchen, indem die Bäume
-draußen der Sturm schüttelte, und der Regen rasselnd gegen die Fenster
-schlug. Sie war recht von Herzen zufrieden; denn für einen unerwartet
-hohen Preis hatte sie ihr Gut verkauft, Alles war abgeschlossen, und
-Graf Brandenstein hatte mit dem Rathe Alfred noch diesen Abend Alles in
-Richtigkeit gebracht. Beide schliefen schon in den obern Zimmern des
-Hauses, denn es war nahe an Mitternacht, und sie wollte sich auch eben
-in ihr Schlafzimmer begeben, als ein heftiges, lautes Pochen an das
-Hausthor, und eine klägliche, bittende Stimme sie erschreckten. Sie
-klingelte, der Diener ward gesandt, um zu öffnen, und mit triefenden
-Kleidern, zitternd und todtenblaß stürzte Dorothea herein, warf sich ihr
-sogleich stürmisch an die Brust und rief mit heiserer Stimme: »Rette
-mich! rette mich!«
-
-»Um Gotteswillen!« sagte die Freundin im höchsten Schreck, »Du bist es,
-geliebtes Kind? und so, in diesem Zustande? Ich traue meinen Augen noch
-nicht.«
-
-So sehr sie erschrocken war, so schaffte sie doch sogleich mit der
-größten Freundlichkeit Wäsche und Kleider herbei, half der Erkälteten
-beim Umziehen, tröstete sie lachend und freundlich, und nöthigte sie
-dann, Glühwein zu genießen, den sie eiligst besorgt hatte, um den bösen
-Folgen der Erkältung vorzubeugen. Dabei umarmte sie sie so herzlich,
-trocknete ihr die Thränen vom Auge, küßte die Wangen, die sich schon
-wieder rötheten, daß Dorothea sich fast so glücklich wie in den Armen
-einer Mutter fühlte. Nach vielen tröstenden und scherzenden Worten sagte
-die Frau von Halden endlich: »Nun erzähle mir kurz, wie Du zu diesem
-tollen Entschluß gekommen bist, und dann geh zu Bett und verschlafe
-Alles.«
-
-»Du mußt mich schützen,« sagte Dorothea: »Du mußt mir ein Obdach nicht
-versagen, sonst muß ich verzweifelnd in die weite Welt rennen, oder die
-Raserei stürzt mich in die Wogen eines Mühlteichs.«
-
-»Beruhige Dich, mein Kind,« tröstete jene, »Du mußt ja doch wieder nach
-Hause. Aber erzähle: was ist Dir denn so plötzlich gekommen?«
-
-»Nur lache nicht,« rief Dorothea, »bleibe ernsthaft, meine gute liebe
-Freundin, denn ich bin in Verzweiflung. Heut Morgen ließ ich mich
-bereden, aus Schwäche, aus Rührung, man hatte so unerwartet meinen
-Geburtstag gefeiert, daß ich versprach, mich heute Abend mit dem Baron
-von Wallen zu verloben. Das sollte nun geschehen, und darum bin ich
-weggerannt, weil ich ihn verabscheue, weil ich in meinem väterlichen
-Hause mit meinen Geschwistern, mit meiner Mutter nicht mehr leben kann.«
-
-»Ich weiß wohl,« erwiederte die Freundin, »daß Du den Baron nie lieben
-kannst, daß Dir in der Familie oftmals Unrecht geschah; aber dieser
-Ausdruck des Entsetzens in Dir, da Du Alles so gewohnt schienst, bleibt
-mir doch unbegreiflich.«
-
-»Immer noch fasse ich es selbst nicht,« antwortete Dorothea: »ich weiß
-nicht, wie ich es Dir erzählen soll. Daß ich nicht glücklich war, mußt
-Du wohl gesehn haben, wenn ich Dir auch niemals ein Wort darüber sagte.
-Ach, das schreibt sich ja schon seit dem Tode meines geliebten Vaters
-her. Du weißt, ich war kaum dreizehn Jahre, als er starb. O Himmel,
-welch ein Mann! ich konnte damals seinen Werth nicht ermessen; aber je
-älter ich wurde, je mehr blühte er in meiner Erinnerung zum verklärten
-Gegenstande meiner Liebe auf. Dieser milde, freundliche Sinn, diese
-Heiterkeit, Menschenliebe, stille Frömmigkeit, diese Freude an Natur und
-Kunst, dieser rege, herrliche Geist -- ach! und er war auch nicht
-glücklich! Ich sah, ich bemerkte es wohl, als ich etwas zu Verstande
-kam, er war in der Ehe nicht glücklich, er und meine Mutter waren sich
-zu ungleich, sie stritten oft mit einander. Dann war er zu Zeiten recht
-tiefbetrübt, aus seinen schönen braunen Augen konnte ein unendlicher
-Kummer sprechen, wenn er sie so still vor sich nieder senkte. Dann war
-ich seine Freude, ich fühle es, wie ich ihn trösten konnte. Und nun war
-er plötzlich dahin gegangen! Er muß es jenseits erfahren und gefühlt
-haben, wie meine Herzensliebe ihm gefolgt ist. O meine Freundin, es
-giebt Momente des Schmerzes, wo nur die kalte, taube Dumpfheit, in die
-endlich unser Wesen versinkt, uns von Wahnsinn und Raserei errettet. So
-war ich nun in Schmerz und Sehnsucht erwachsen, die Keiner theilte,
-Keiner verstand. Und wie veränderte sich das Leben unsers Hauses! Statt
-der heitern Mittheilungen, statt der frohen Gesellschaften ein ernstes,
-feierliches Prunken. Meine jüngern Geschwister wurden in einem ganz
-entgegengesetzten Sinne erzogen, als es mein Vater gewünscht hatte.
-Betstunden, Andachtbücher, religiöse Gespräche füllten die Zeiten des
-Tages; und mein Herz wurde immer leerer, ich konnte die Andacht nicht
-mitfühlen, ja, nicht einmal an ihr Dasein glauben. Alle meine Bücher,
-noch Geschenke meines Vaters, durfte ich nicht mehr zeigen, Alles war
-weltlich, anstößig; ich erschrak über die Deutungen, die man den Stellen
-gab, die mir die liebsten waren, die ich auswendig wußte. Göthe's
-himmlische Natur selbst, seine edle Hoheit war Verführung, Sinnenlust,
-und eine raffinirte Prüderie, die mir höchst anstößig schien, mußte
-Tugend heißen. Meine Geschwister, so wie sie zur Besinnung kamen,
-betrachteten mich als eine Ausgeartete, die für's Gute nicht empfänglich
-sei; sie hörten das ja in allen Stunden, sie mußten es wohl glauben.
-Zwischen ihnen und der Mutter entspann sich ein Verhältniß, welches mich
-gleich sehr von beiden entfernte, und um welches ich sie doch nicht
-beneiden konnte. Eine übertriebene Liebe, eine zarte Weichheit, ein
-Schonen und Liebkosen, das mir oft durch's Herz schnitt; ja die Mutter
-ging so weit, diese jüngern Töchter zu vergöttern, sie anzubeten und es
-ihnen zu sagen, daß sie es thue. Die Schwestern behandelten die Mutter,
-wie man etwa mit einer abgeschiedenen Heiligen umgehen würde, wenn sie
-zu uns zurück kehrte; doch könnte ich es auch wohl nur einen Tag so
-treiben, und müßte dann heiterer mit ihr bekannt werden, oder sie wieder
-ganz vermeiden. Ich erinnerte mich noch wohl, wie oft mein Vater gesagt
-hatte, in früher Jugend müßten die Kinder blind gehorchen lernen, damit
-sie, erwachsen, der Freiheit fähig wären. Diese Freiheit des Geistes und
-des Gemüthes, die den Menschen erst zum bestehenden Wesen, die die
-Liebe, ein freies Hingeben, erst möglich macht, fand aber unter diesen
-so eng Verbundenen doch nicht statt, ja sie wurde, wenn sie sich einmal
-zeigen wollte, als die ärgste Sünde behandelt. Die kleinste Schwäche,
-das geringste Vorurtheil der Mutter durfte nicht berührt werden, auch in
-Kleinigkeiten, über ein gleichgültiges Buch, über einen Menschen, ja
-über die Farbe eines Bandes, durfte keins eine andere Meinung hegen, als
-sie. War nur von einem Spaziergange die Rede, nur zum nächsten Gut, ja,
-durch den Garten, so verbot sie diesen, wenn sie nicht daran Theil
-nehmen konnte oder wollte, nicht geradezu, sondern sie sagte: »Geht,
-wenn Ihr ohne mich seyn könnt; ich kann zwar ohne Euch nicht leben, aber
-könnt Ihr es, so will ich Euch nicht stören; bin ich doch daran gewöhnt,
-Euch alle Opfer zu bringen.« Natürlich geschah nichts, und die
-Schwestern gaben dann ihrem Verdruß den Anstrich der Andacht, und ich,
-die ich zum Bündniß nicht gehörte, mußte ihre Launen entgelten. Mein
-Muth entwich. Ich ertrug es, auch von der jüngsten Schwester
-gehofmeistert zu werden. O meine Freundin! wenn ich dies alles so, was
-mir verkehrt und unrecht schien, bemerkte, so ging ich dann wohl in den
-einsamsten Theil des Gartens, und ließ meinen heißen Thränen ihren Lauf,
-weil ich mir schlecht und gottlos erschien, daß ich mir alles dies
-gestand, und meinen Wahrheitssinn, der von meinem Vater erweckt und
-gebildet worden war, doch nicht unterdrücken konnte. Oft war ich so
-unaussprechlich elend, daß ich Gott um meinen Tod bat. Es kamen dann
-auch Zeiten, da ich doch sehn mußte, wie alle Menschen, die in unser
-Haus kamen, meine Schwestern verehrten, ihnen huldigten und mich
-vermieden, in denen ich mir selbst schlecht und verächtlich schien. Wenn
-ich aber rang, so wie die Andern zu seyn, so brachen mir alle Kräfte
-zusammen, und die Arme fielen mir gelähmt am Leibe nieder. -- Aber,
-hörtest Du nicht Geräusch im Nebenzimmer?«
-
-»Nein, mein gutes Kind,« sagte Frau von Halden: »Alles schläft, es kann
-höchstens eine Katze seyn.«
-
-»Kunigunde heirathete,« fuhr Dorothea fort: »die Männer, die sich um
-mich bewarben, ängstigten mich nur durch ihr läppisches Wesen, andere
-stießen mich durch ihre Rohheit zurück. Ich konnte nicht fassen, daß
-mich einer lieben könne, ohne daß ich ihn auch innigst liebte, und darum
-erschienen mir ihre affectirten, übertriebenen Redensarten so nüchtern,
-und es war mir unmöglich, an ihre Leidenschaft zu glauben. Alles aber
-war noch erträglich, bis der Baron Wallen in unser Haus kam; er
-bemächtigte sich bald des Gemüthes meiner Mutter, die Sclaverei wurde
-nun ganz unleidlich. Nun wurde erst recht im Großen mit der Liebe
-geprunkt, die meine Geschwister zu einander und zur Mutter trugen; in
-der ganzen Provinz sprach man davon; wenn Fremde kamen, war es wie ein
-Schauspiel, in dem sich alle Tugenden entwickelten. O vergieb mir, Du
-und die einsame Nacht werden meine Reden nicht weiter tragen; auch hast
-Du ja selbst die Art oft gesehen, und der Himmel mag meine Empfindungen
-ändern, oder sie verzeihn. Recht ängstlich aber war es, daß in diesem
-gleißenden Baron ein wahrer Faun unter der priesterlichen Decke wandelt.
-Clara gefiel ihm, auch Clementine; aber die Kinder, so sehr sie ihn auch
-verehren mußten, erschraken doch vor dem Gedanken, ihn als Ehemann
-anbeten zu müssen. Sie wurden aber bald befreit; denn die Bestimmung,
-für die sie sich zu gut fühlten, wurde mir unvermerkt und künstlich
-zugeschoben. Nun hörte ich immerdar, wie edel, ja wie nothwendig es sei,
-sich zu opfern, wie armselig die eigentliche Leidenschaft der Liebe
-erscheine, wie eine vernünftige Ehe jedes andere Glück der Erde
-übertreffe. Glaube mir, ich hätte mich fallen lassen, mein Leben war
-völlig abgeblüht, ich wäre das Opfer und ganz elend geworden, wenn --
---«
-
-Dorothea zögerte. »Nun, mein Kind?« fragte die Freundin gespannt.
-
-»Wenn nicht heut,« fuhr jene im melodischen Tone fort, »heut an diesem
-Tage, an dem ich geboren ward, und an welchem ich auch wieder zu leben
-anfing, ein Mann erschienen wäre, der unserer Familie ein Abscheu war,
-und auf den ich, nach den Beschreibungen, heftig zürnte, ein Mann, der
-mein ganzes Herz umgewendet, ja neu geschaffen hat, und dessen bloßer
-Anblick, wenn er auch nicht gesprochen hätte, es mir unmöglich macht,
-den Baron, ja irgend einen Mann zu heirathen.«
-
-»Wunderbar!« rief die Frau von Halden.
-
-»Nenn' es so,« sagte das Mädchen: »es ist auch so, ach, und doch wieder
-so natürlich, so nothwendig. In ihm, in seinem milden Blick, der
-Vertrauen einflößt (glaube mir, ich hatte wirklich ganz vergessen, daß
-es noch Augen giebt), in seiner verständigen Rede, in jeder seiner
-Geberden erschien mir die Wahrheit wieder, die mir schon zur Fabel
-geworden war, meine Jugendzeit, der Segen meines Vaters. Nie habe ich
-begreifen können, was die Menschen Liebe nennen, in den Dichtern habe
-ich es wohl geahndet; ich glaubte aber immer, dies himmlische Gefühl sei
-für mich armes, verstoßenes Wesen nicht geschaffen; aber jetzt weiß ich,
-daß es das seyn müsse, was ich für diesen trefflichen Mann empfinde,
-denn ich konnte mir nicht einbilden, daß auf Erden wirklich eine solche
-Erscheinung wandle.«
-
-»Armes Kind!« sagte die Freundin: »er ist ein ruinirter Mann, ohne
-Vermögen, und wer weiß auch, ob er so für Dich empfände, denn er ist
-nicht mehr jung. Jetzt geh nur zu Bett, morgen früh wollen wir mit
-Verstand darüber nachdenken, wie der Baron zu besänftigen sei, und daß
-der Baron Dir Ruhe läßt.«
-
-»Nie gehe ich zurück!« rief Dorothea mit erneuter Heftigkeit: »ich will
-lieber in einem fernen Lande als Magd dienen.«
-
-Jetzt hörte man deutlicher im Nebenzimmer Geräusch, die Frauen stutzten,
-die Thüre öffnete sich, ein Lichtstrahl drang heraus und Graf
-Brandenstein trat ihnen entgegen.
-
-»O mein Gott!« rief Dorothea: »der Graf selbst!«
-
-»Ich war nicht schlafen gegangen,« antwortete dieser: »sondern arbeitete
-noch, als dieser unerwartete Besuch --«
-
-»O Sie Heimtückischer!« rief die Frau von Halden: »und so haben Sie auch
-gewiß alles gehört, was meine Freundin erzählt hat?«
-
-»Ich kann es nicht leugnen,« sagte der Graf: »die Wand und Thüre sind so
-dünn, daß mir kein Wort verloren ging. (Dorothea zitterte heftig.) Sie
-würden mich also, mein schönes, edles und mir unbeschreiblich theures
-Fräulein, nicht verschmähen, wenn ich ein Vermögen zu Ihren Füßen legen
-könnte?«
-
-»O wie beschämen Sie mich!« sagte das Fräulein --: »soll ich noch mehr
-sagen?«
-
-»Nehmen Sie dieses Blatt,« fuhr der Graf fort: »diese wenigen Zeilen
-werden Ihnen in Ihrem Hause vollkommene Sicherheit gewähren.«
-
-Er sah Dorotheen durchdringend an, und entfernte sich zögernd. Sie war
-so bewegt und erschüttert, daß ein unruhiger Schlummer sie nur wenig
-erquicken konnte.
-
- * * * * *
-
-Im Hause des Baron Wilden waren einige Freunde zu einem kleinen Balle
-versammelt. Auch Alfred und der Offizier waren zugegen, und die junge
-Schwester, ein liebenswürdiges Kind, schien äußerst vergnügt; auch
-zeigte sich das Fräulein Ehrhard sehr munter, und Michel, der Zuschauer
-war, begriff kaum, wie sie sich so schnell im schottischen Tanze bewegen
-konnte. Jetzt war der Tanz geendigt, und der korpulente Wirth taumelte
-erschöpft auf ein Sopha nieder. »Wird man nicht ordentlich wieder jung,«
-rief er aus: »so sauer es einem auch ankommt. Daß dich, mein werthes
-Fräulein Erhard, was Sie springen können! Niemals hätte ich mir bei
-Ihrer Gottesfurcht so viele Elasticität vermuthet. So gefällt's mir,
-wenn man das überirdische Wesen mit dem weltlichen vereinigen kann, denn
-wahrhaftig, das Herz stirbt in der Demuth und dem weichen Wesen ab, wenn
-es nicht wieder einmal in Lust und Freude recht aufzappeln kann. Wie ein
-ganz neues Geschöpf, Fräulein Erhard, kommen Sie mir in meinem Hause
-hier vor, ich hätte Sie gar nicht wieder erkannt, wenn ich es nicht
-sonst wüßte, daß Sie es wären.«
-
-Das muntere Fräulein setzte sich zu ihm, und beide betrachteten die
-tanzenden Paare. Der Rath Alfred bemühte sich sehr um Sophien, die
-Schwester des Barons, welches dieser nicht ohne Wohlgefallen bemerkte.
-Die Schenktische waren reichlich mit Erfrischungen versehen, und Diener
-in reichen Livreen servirten auf silbernem Geschirr. »Nicht wahr,«
-schmunzelte Herr von Wilden, der die wohlgefälligen Blicke des Fräuleins
-wahrnahm: »hier geht es nicht so zu wie drüben, wo sie meistentheils
-alle beisammen sitzen, wie Adam und Eva vor dem Sündenfalle? Hochherzige
-Redensarten, apokalyptische Seufzer und eine Wundertinktur von
-ambrosianischer Wehmuth. Tugend und Andacht zum Zeuche, frommes Gemüth
-zum Unterfutter, und dann noch mit Reue und Buße aufgeschlagen. Nein,
-man muß ein bischen sündigen, um sich dann wieder bekehren zu können;
-nicht wahr, mein hochgeschätztes Fräulein? Die Beine thun Ihnen doch
-nicht weh? Sie zwinkeln so mit dem Munde.«
-
-»Nein,« sagte diese, »ich wollte mir nur das Lachen über Ihre
-sonderbaren Ausdrücke verhalten, denn Sie sind in der That ein arger
-Sünder; indessen, hoffe ich, werden Sie noch Buße thun.«
-
-»Kommt Zeit, kommt Rath,« sagte der Baron: »sehn Sie, ich habe mich klug
-eingerichtet, ich habe in meiner Jugend eine Menge Sünden im voraus
-begangen, damit ich in meinem Alter hübsch was zu bereuen hätte, um mir
-nicht, wie mancher Pietist, die Verbrechen aus den Fingern zu saugen,
-und um nichts und wider nichts Gewissensscrupel zu machen. O, davon kann
-ich Ihnen noch einmal in manchem Nachmittagsstündchen erzählen, daß Sie
-Ihr blaues Wunder daran haben sollen.«
-
-»Aber auch dergleichen Reden sind wieder Sünde,« antwortete das
-Fräulein.
-
-»Nein,« rief Herr von Wilden, »durch das Mikroskop müssen Sie meine
-Tugend nicht betrachten, sonst werden wir nicht mit einander fertig;
-denn bei mir geht Alles etwas ins Große, verfeinert sind meine
-Verdienste so wenig, wie meine Laster. Aber sehn Sie, wie unter allen
-meinen Gästen der Herr von Böhmer so einsam am Ofen steht, und mitten in
-der Musik seine Kalender macht! Herr Lieutenant, kommen Sie doch, und
-tanzen Sie einmal mit einer von diesen Damen.«
-
-»Ich tanze niemals,« sagte der junge Offizier, indem er näher trat:
-»auch würde ich nicht hergekommen seyn, wenn mich nicht Fräulein Erhard
-eingeladen hätte, von der es mir wohl nicht einfallen konnte, daß sie es
-auf einen tobenden Ball abgesehen hatte.«
-
-»Sollte dem Reinen nicht alles rein seyn?« fragte das Fräulein mit
-vieler Salbung.
-
-Alfred, der hinzu getreten war, antwortete: »Gewiß ist dies die richtige
-Ansicht, und es wäre lustig genug, wenn Herr von Wilden durch das
-Fräulein, und dieses durch unsern fröhlichen Baron bekehrt würde. Aber
-Du, Ferdinand (indem er sich an den Offizier wandte), trägst auch nicht
-eine einzige festliche Miene auf Deinem finstern Angesicht.«
-
-»Ich gehe von hier,« antwortete dieser, »zur Baronesse hinüber, wirst Du
-mich begleiten?«
-
-»Nein, mein Freund,« antwortete dieser, »und ich gedenke auch, diesem
-Kreise nie mehr zur Last zu fallen; denn diese prunkende Gleißnerei ist
-mir neulich deutlich genug geworden. Wie danke ich es dem wackern Manne,
-der mir diese Binde vom Auge schüttelte.«
-
-»Du meinst den Graf Brandenstein?« sagte jener: »Du nimmst also die
-Partei des Bösen gegen den Frommen, der Sünde gegen die Tugend?«
-
-»Lassen wir jetzt diese Reden,« antwortete Alfred, »ich fühle mich, seit
-ich diesen Mann kennen gelernt habe, mündiger.«
-
-»Wissen Sie denn,« fiel der Baron ein: »etwas von der Geschichte? Der
-Wilde, der Amerikaner, soll ja nun angekommen seyn, ein gefleckter,
-kupfriger Mensch, mit Haaren wie Schuppen oder Stacheln. Auch sagen die
-Leute, dies unbändige Thier würde die störrige Dorothea heirathen.«
-
-»Man weiß nichts Gewisses,« sagte Alfred: »der Amerikaner wird übrigens
-wohl ein Mensch wie alle seyn, und folglich ist sie mit ihm wohl
-glücklicher, als mit dem Baron Wallen.«
-
-»Den Du nicht zu schätzen verstehst,« rief der Offizier, indem er sich
-nach einer kleinen Verbeugung entfernte.
-
-»Sie meinen,« fuhr der Baron fort: »ein wohlerzogenes Mädchen könnte mit
-einem solchen See-Ungeheuer glücklich leben? Aber freilich müssen im
-Leben wohl vielerlei Arten von Glück verbraucht werden, damit Jeder
-etwas bekommt, was für ihn paßt; und wie ich höre, ist ja die hübsche
-Dorothea so gottlos, daß vielleicht der gottloseste Menschenfresser für
-sie nicht zu schlimm ist.«
-
-»Sie sind unrecht berichtet,« antwortete Alfred, und wollte eine
-Erzählung anfangen, als die freundliche Sophie herbei hüpfte, um ihn zu
-erinnern, daß er mit ihr zur Quadrille versprochen sei. Der Baron trank
-indessen, und versprach dem Fräulein Erhard die nächste Polonaise, auf
-jeden Fall aber den fröhlichen Kehraus mit ihr zu tanzen.
-
- * * * * *
-
-Als man in jener Nacht Dorotheen vermißte, und der Baron die Geschichte
-seiner unglücklichen Werbung mitgetheilt, gerieth das ganze Haus in die
-größte Verwirrung. Man sendete Boten mit Lichtern aus, aber alle kamen
-in der stürmischen Nacht ohne Nachricht wieder. Die Mutter war sehr
-unruhig, und schien sich Vorwürfe zu machen, daß sie ein heftiges
-Gemüth, das sie an ihrer ältern Tochter kannte, zu weit getrieben habe.
-Sie schlief nicht, sondern irrte im Hause umher, und die beiden jüngern
-Töchter suchten sie zu trösten. Am Morgen erschien ein Bote von der Frau
-von Halden, der der Baronesse ein Billet übergab, und bald darauf fuhr
-eine Kutsche vor, aus welcher Dorothea stieg, welche die Mutter mit
-gezwungener Fassung aufnahm. Man sprach nur wenig, aber kein Wort des
-Vorwurfes ließ sich vernehmen, eben so wenig konnte die Tochter eine
-Entschuldigung vorbringen.
-
-Der Baron, welcher Alles ängstlich und verwirrt beobachtet hatte, sagte
-endlich, als er sich mit der Baronesse allein sah: »Dies Blatt hat ja
-Wunder gethan! Von allem, was Sie sich gegen das ungerathene Kind
-vornahmen, ist nicht das Mindeste geschehen, Sie sind im Gegentheil
-gütiger als jemals gegen sie. Darf ich nicht wissen, von wem es kommt,
-und was es enthält?«
-
-Die Baronesse erröthete. »Es kommt von dem Brandenstein,« sagte sie mit
-ungewisser Stimme: »doch enthält der Schluß die gröbste Verläumdung.«
-
-Der Baron las: »Im Fall Sie, wie ich gewiß hoffe, Ihre edle, trauernde
-Tochter freundlich aufnehmen, sie unter keinem Vorwande quälen, an die
-Ehe mit dem Baron Wallen nicht mehr denken, so verspreche ich Ihnen das
-Capital, welches der Baron an Sie zu fordern hat, und außerdem ein
-bedeutendes Darlehn, beide ohne Zinsen, auf unbestimmte Zeit. Zwingen
-Sie mich nicht, gegen Sie aufzutreten, es möchte sonst manches bekannt
-werden, was sich nicht zu dem Tugendbilde eignet, das die Welt in Ihnen
-bewundert. Gewiß darf ich mich unterschreiben
-
- Ihren Freund
- _G. Brandenstein_.«
-
-»Dieser Zettel besagt,« schmunzelte der Baron: »daß unser heroischer
-Graf über ansehnliche Summen zu disponiren hat, und daß sein
-amerikanischer Freund oder Schützling, dessen Hofmeister und Verwalter
-er spielt, so ziemlich blödsinnig seyn mag, ganz so, wie ich mir vom
-Anfange die Sache gedacht habe. Der edle Mann wird nach Umständen seine
-Hand tief in den Beutel des fremden Wunderthieres tauchen, und so
-verschwindet denn bei näherer Prüfung bei jedem aufgedunsenen Cato die
-falsche Vergoldung, und setzt sich in Kupfer um.«
-
-Die Sache bekam aber doch einen andern Schein, als am folgenden Tage ein
-Brief des Grafen anlangte, in welchem er für seinen reichen Amerikaner
-um die Hand Dorotheens anhielt. Er hätte sich überzeugt, so schrieb er,
-daß sein Freund, da er ihn genau kenne, nur mit diesem Wesen glücklich
-seyn könne.
-
-Dorothea, die ganz in ihren Gedanken und Empfindungen verloren war,
-erschrak über diesen Antrag; sie lehnte ihn heftig ab, ihr Herz
-verzweifelte, daß der Graf, der ihre ganze Seele gesehn hatte, diesen
-Vorschlag thun konnte. Also kein Gefühl, seufzte sie im Stillen, nicht
-das kleinste für mich, die ich ihn nur denke und träume.
-
-Auf die abschlägige Antwort der Mutter erfolgte ein noch freundlicherer
-Brief des Grafen, er bat für seinen Unbekannten, der binnen Kurzem
-erscheinen würde, nur um die Erlaubniß, sich zeigen zu dürfen, daß
-Fräulein Dorothea ihn so viel würdigen möge, ihn und seine Gesinnungen
-kennen zu lernen.
-
-Auf diesen Antrag hatte Dorothea nichts erwiedert. Im stummen Schmerz
-beachtete sie die Zeit nicht, und ihre Angehörigen mußten ihr anzeigen,
-es sei nun Tag und Stunde da, in welcher der sonderbare Freiwerber
-auftreten würde. Frau von Halden war als Freundin zugegen. Ein Postzug
-englischer Pferde sprang vor, ein kostbarer Wagen und Domestiken
-erschienen. Dorothea war im Gartensaal einer Ohnmacht nahe. Brandenstein
-trat hochzeitlich geschmückt in der Schönheit des Mannes herein. »Und
-ihr Freund?« fragte die Mutter. »Nur die theure, geliebte Dorothea ist
-es,« antwortete er, auf diese zueilend: »von welcher mein Scherz
-Verzeihung erflehen muß, ich bin der Amerikaner selbst, jene Herrschaft
-ist nun endlich mein, und meinem Glücke fehlt nur noch ein Wort von
-diesem holdseligen Munde.«
-
-Dorothea blühte auf, sah ihn mit einer Thräne im glänzenden Auge an und
-reichte ihm ihre Hand. »Wir fahren sogleich, meine Theuern,« indem er
-Alle begrüßte: »auf das nächste Gut, welches bisher der Frau von Halden
-zugehörte: ich habe die Erlaubniß zur Trauung, das Haus ist geschmückt,
-der Geistliche wartet.«
-
-Nur der Brautkranz ward dem Mädchen in das Haar geheftet, dann stiegen
-Alle in den Wagen. Der Graf umarmte seine Braut, und drückte den ersten
-Kuß auf ihre Lippen. »Durfte ich diese Seligkeit hoffen?« sagte er mit
-Thränen: »mußte mir die Liebe dieser reinen Seele begegnen? Dasselbe
-Kind wird die Freude meines Lebens, welches ich vor Jahren, neben Deinem
-theuren Vater sitzend, auf den Knieen wiegte? Sieh, hier bist Du in
-jener Sturmnacht verzweifelnd gewandelt. In demselben Zimmer erwartet
-uns der Geistliche, in welchem Du damals der Freundin das Bekenntniß
-ablegtest, das mich wie Blitze durchdrang.«
-
-Dorothea war so glücklich, so vom Schmerz zur Wonne erwacht, daß sie nur
-wenig sprechen konnte. -- Die ganze Provinz ertönte von dem Reichthum
-des Grafen, von dem wunderbaren Glück des Fräuleins, und alle Nachbarn
-waren Zeugen dieser glücklichen Ehe.
-
-Als Alfred sich mit Sophien verlobte, meldete auch der Baron Wilden
-seine Verbindung mit dem Fräulein Erhard. Den Freunden, die sich darüber
-wunderten, antwortete er: »Seht, besten Leute, Einsamkeit und Langeweile
-machen viele Dinge möglich; dazu hat meine Braut viele gute
-Eigenschaften, und ist viel lustiger geworden, als sie ehemals war. Auch
-bemüht sie sich außerordentlich um meine Bekehrung, und das ist nichts
-Leichtes, da in meinem fetten Körper meine Seele so viel tiefer liegt,
-als bei andern Menschen. Ich bin nun auch bald auf meine Weise fromm,
-sorgt nur dafür, daß die Sache hübsch in der Mode bleibt, damit ich
-nicht wieder einmal, wie ein Krebs, rückwärts gehn muß.«
-
-Nach einiger Zeit fanden der Baron Wallen und die Baronesse es auch
-besser, sich durch die Ehe zu verbinden, da er keine der Töchter
-erhalten konnte, und ihm der Umgang dieser Familie doch unentbehrlich
-geworden war.
-
-Alfred lebte nachher viel im Hause des Grafen, dessen Geschäftsträger er
-war, und noch oft erinnerte sich Brandenstein mit Entzücken, daß das
-Schicksal es ihm gegönnt habe, in seiner Gattin die edle Perle zu
-finden, die von ihrer ganzen Umgebung und von den nächsten
-Blutsverwandten so gänzlich verkannt wurde.
-
-
-
-
- Die Reisenden.
- Novelle.
-
-
-Es war an einem schönen Sommernachmittage, als drei junge Männer in
-lebhaften Gesprächen im schattigen Lindengange auf- und niederwandelten.
-Keiner kannte den Andern genau; noch weniger waren sie Freunde: und
-daher betraf ihre Unterhaltung auch nur unbedeutende Gegenstände. Doch
-wurde laut und sogar heftig gesprochen, weil der jüngste der Redenden es
-seinem Charakter und ausgezeichnetem Verstande angemessen hielt, seine
-Gedanken und Meinungen nicht ruhig, sondern in einem gewissen zänkischen
-und anmaßenden Tone vorzutragen, durch welchen er vielleicht seine
-Gegner eher zum Schweigen zu bringen, wenn auch nicht zu überzeugen
-glaubte. Sie sind, wie Sie mir gesagt haben, Arzt (so rief er eben jetzt
-aus), und als ein solcher haben Sie sich seit Jahren gewöhnt, das ganze
-Menschengeschlecht aus dem Gesichtspunkte der Kränklichkeit anzusehen.
-Wir Gesunden aber werden uns gewiß nicht so leicht, Ihrem Metier zu
-Gefallen, unsre feste Ueberzeugung nehmen lassen.
-
-Mein Herr von Wolfsberg, erwiederte der Arzt, von meinem Metier, wie Sie
-es zu nennen belieben, kann hier gar nicht die Rede seyn.
-
-Ja wohl, sagte der dritte Sprechende, welcher der Ruhigste schien. Wie
-kommen wir denn überhaupt dazu, zu streiten? Wir reden ja nur über
-allgemeine Gegenstände, die unmöglich einen von uns persönlich aufreizen
-können.
-
-Warum nicht, mein ruhiger Herr Justizrath? rief der Baron noch lebhafter
-aus; denn gewiß können wir über die Leidenschaften nur dann etwas
-Bedeutendes aussprechen, wenn wir sie im eignen Herzen erfahren haben,
-und es scheint wohl, daß Sie alle Ihre klügelnden Beobachtungen nur aus
-mittelmäßigen Büchern schöpften.
-
-Wenn Sie die Sache schon vorher abgemacht haben, antwortete der ruhige
-Mann, so thäten wir wohl besser, das ganze Gespräch zu schließen.
-
-Es wandelt sich in der anmuthigen Kühle gut, sagte der Arzt; ereifern
-wir uns nicht, gönnen aber dem Herrn _Baron_ diese Motion, die ihm nach
-dem Mittagsmahle wohl zuträglich seyn mag, da lebhaftere Geister und
-Temperamente auch im Verlauf des Tages mehr Lebenskraft verbrauchen, als
-wir übrigen.
-
-So ist es, erwiederte der Baron mit vieler Selbstgenügsamkeit. Und ist
-es denn wohl anders mit der Liebe, über welche sich unser Streit anhob?
-Will ich es denn den sanften, stillen Gemüthern zum Vorwurf machen, wenn
-sie meinen und behaupten, ein einziger Gegenstand könne ihre Seele für
-die ganze Lebenszeit ausfüllen? Giebt es doch auch Menschen, die nur
-wenige Gedanken brauchen, noch weniger Bücher; die einen Monat lang sich
-an einer Flasche Wein vergnügen; die bei einem Schmause anderthalb
-Austern verzehren, und wenn sie in jedem Frühling einen Spaziergang mit
-der ganzen auferbauten Familie gemacht haben, die Natur dann wieder, wie
-eine Bude, bis zum künftigen Jahre verschließen. Lassen wir diese
-genügsamen Lämmerseelen in ihrer stillen Friedfertigkeit; nur stelle man
-sie uns nicht als Muster hin, wenn sie sich in grünen Tagen in eine
-verblaßte Amarillis vergaffen, und nachher mit erkaltetem Herzen in
-alberner Treue ihr Leben verwinseln, stolz sind auf diese felsenfeste
-Tugend, und auf feurige Gemüther, auf Herzen, die der Fülle und des
-jugendlichen Wechsels bedürfen, mit moralischer Verachtung hinab blicken
-wollen.
-
-Nach einigen Erwiederungen ließ man dies Gespräch fallen, weil es
-deutlich wurde, daß der Edelmann nur sich selbst und seinen
-Leidenschaften das Wort reden wollte. Wohin gedenken Sie von hier zu
-reisen? fragte endlich der Arzt.
-
-Ich weiß es selbst noch so eigentlich nicht, antwortete der Baron: und
-wenn ich es auch wüßte, so würde ich es Ihnen nicht sagen.
-
-Warum das?
-
-Weil das eben, fuhr jener fort, auch zu meinen Eigenthümlichkeiten
-gehört, weßhalb mich so viele bürgerliche Menschen mit dem Namen Genie
-verlästern wollen. Wenn ich so recht eigentlich zur Lust reise, so halte
-ich mir die ganze Welt mit ihren erfreulichen Zufällen offen; ohne Paß,
-ohne Briefe, ohne Bedienten oder Kutscher, ohne alle die Zugaben, die
-unser Leben nur belästigen, tauche ich, wie die Schwalbe in die blaue
-Luft, in die Schönheit der Natur hinein, und hinter mir muß jede Spur,
-so wie die der Welle im Strome, verschwinden. An einige Häuser ist schon
-im voraus geschrieben, wo ich Gelder finde, wenn ich sie brauche, doch
-führe ich so viel mit mir, als ich nöthig zu haben glaube. Dient es mir,
-so wechsle ich auch mit meinem Namen; und so wissen Sie von mir nur so
-viel, als ich für gut befunden habe, Ihnen mitzutheilen, und können
-nicht darauf wetten, daß der Name, den ich Ihnen genannt habe, mein
-wirklicher sei.
-
-Sie können, sagte der Justizrath, auf diese Weise aber neben manchen
-angenehmen Zufällen auch auf sehr widerwärtige stoßen.
-
-Jede Verwicklung wird sich doch nur lustig lösen, und wer die Menschen
-will kennen lernen, sollte durchaus nur in meiner Manier reisen.
-
-Der Arzt konnte sich nicht entbrechen, die Frage zu thun: Was nennen Sie
-Menschenkenntniß? Da Sie die meisten Menschen schon vor der Untersuchung
-für _Narren_ halten, so lohnt es sich schwerlich der Mühe, sie noch zu
-beobachten.
-
-Zugegeben, rief jener, Sie thäten mir nicht so ganz Unrecht; ist denn
-nicht noch immer an den verschiedenen Modificationen eines und desselben
-Stoffes zu lernen? Ist es denn nicht auch erhebend und beruhigend, sich
-selbst an diesem und jenem zu messen? Das scheint mir eben die ächte
-Humanität, keinen zu verschmähen, und aufzumerken, welche Thorheit wir
-schon abgelegt haben, welche wohl noch unentwickelt in uns ruht, zu
-welcher wir keine Anlage spüren, warum _wir_ uns für besser als andere
-halten dürfen, um so in uns hochfahrenden Stolz und kleinmüthige
-Bescheidenheit in das gehörige Gleichgewicht zu setzen.
-
-Dann thäten Sie aber vielleicht besser, erwiederte der Arzt mit
-übertriebener Höflichkeit, sich gleich an die wahre Quelle zu begeben,
-und sich die mühseligen Umwege zu ersparen.
-
-Und wo flösse diese?
-
-Wie die Engländer, fuhr der Arzt fort, sich in Deutschland gern in
-Pension geben, um unsere Sprache zu lernen, so sollte ein Kosmopolit,
-der sich so für das, was man Narrheit nennt, begeistern kann, geradezu
-vor die rechte Schmiede gehn, und sich ein Jahr lang in einem gut
-versehenen Narrenhause als Kostgänger verpflegen lassen.
-
-Sie sind ein Arzt! rief der Baron in der größten Erbitterung: man sagt
-mir, Ihre Reise sei auf diese Anstalten gerichtet, vielleicht um die zu
-finden, die Ihnen am meisten behagt, und sich dort niederzulassen. -- Er
-warf noch einen grimmigen Blick, dann eilte er schnell den Lindengang
-hinunter.
-
-Sie haben unsern edeln Unbekannten überrascht, sagte der Justizrath: wir
-werden seine theuere Gesellschaft darüber verlieren.
-
-Er ist unerträglich, rief der Arzt aus. Sie haben es selber gehört,
-welche Geschichten er von sich an der Wirthstafel erzählt, wie alle
-Weiber ihm entgegen kommen, mit welcher Leichtigkeit er Liebschaften
-anknüpft und wieder löst. Gestern vertraute er mir, daß er seine Heimath
-plötzlich verlassen habe, weil ein unglückliches Mädchen gegründete
-Ansprüche an ihn mache. Die Arme wird nun vielleicht mit einem Kinde
-ihres Jammers nach ihm aussehn, indessen er sich mit seiner feigen
-Gewissenlosigkeit wie mit einer Tugend brüstet, und nach neuen
-Schlachtopfern seines verderbten Herzens sucht.
-
-Der Justizrath meinte, er sei vielleicht nicht ganz so schlimm, sondern
-möge wohl zu jener armseligsten Gattung von Prahlern gehören, die sich
-mit einer Verworfenheit brüsten, zu der ihnen doch der Muth ermangle.
-
- * * * * *
-
-Der junge Baron war indessen zornig ins Feld gelaufen. Er mußte sich
-seine Verdienste in den glänzendsten Farben dicht vor das Auge rücken,
-um seinen Verdruß zu überwinden. Indessen stellte sich bald seine gute
-Laune wieder ein, besonders durch Aussicht auf ein nahes und
-freundliches Abenteuer, das seiner Eitelkeit schon im voraus
-schmeichelte. Auf dem Walle, welchen große Linden schmückten, hatte er
-hinter einem Gitterfenster ein schönes blondes Köpfchen, einen
-blendenden Hals und Nacken bemerkt; schöne Augen hatten ihm nachgesehn,
-ein freundlicher Mund hatte ihn angelächelt, und ein dreister Gruß war
-ihm endlich bei seinem dritten Vorüberwandeln entgegen gekommen. Er
-hatte die Schöne auch in der Ferne nicht ganz aus dem Gesichte verloren:
-er wollte nur die zunehmende Dämmerung und die größere Einsamkeit der
-Gegend abwarten, um sich ihr zu nähern, Bekanntschaft zu machen, und
-sie, wenn die Umstände sich günstig erwiesen, zu besuchen. Er
-betrachtete sich selber wohlgefällig und ging mit Behaglichkeit die
-Scenen seines bunten Lebens durch, indem er sich vornahm, daß diese
-phantastische Reise ihm noch angenehmere Abenteuer zuführen solle.
-
-Wieder schaute das Lockenköpfchen durch das Gitter, lächelte, winkte und
-zeigte sich sehr erfreut, als es den geputzten, schlanken Spaziergänger
-von Neuem vorbei gaukeln sah. Der Abend nahte schon, die Sonne ging
-unter. Er benutzte die Einsamkeit, um zu grüßen, stehn zu bleiben, und
-mit fragender Geberde auf die Thür zu deuten. Sie nickte und entfernte
-sich schnell. Er öffnete die Thür und stieg die Treppe hinauf. Sie
-empfing ihn oben; »nur leise, leise!« flüsterte sie, indem sie ihn in
-ihr Zimmer führte. So viel er in der Dunkelheit unterscheiden konnte,
-fand er das Gemach zierlich ausgeschmückt; er bemerkte, daß seine
-Führerin in Atlas gekleidet war. »Liebchen!« sagte sie mit leiser
-Stimme, »gedulde dich hier einen Augenblick, ich bin gleich wieder bei
-dir; ich will mich nur putzen und Licht bringen. Aber rühre dich nicht,
-daß meine Feinde dich nicht gewahr werden!«
-
-Mit diesen Worten ging sie in ein Nebenzimmer. Dem Abenteurer fing an,
-unheimlich zu Muthe zu werden. Da schlich man leise die Treppe herauf.
-Er besorgte einen Ueberfall und wußte nicht, welchen Entschluß er fassen
-sollte; doch trat Niemand ein, aber er wurde zu seinem Erstaunen gewahr,
-daß man von außen die Thür verschloß. Als er jetzt von unten eine
-männliche Stimme zu einem andern sagen hörte: er ist drinnen; er kann
-uns nicht entwischen! so sträubten sich ihm die Haare vor Entsetzen.
-Sein Schauder wurde aber noch vermehrt, als jetzt die Schöne mit einer
-brennenden Wachskerze wieder in das Zimmer trat. Hals und Busen waren
-fast ganz entblößt und schimmerten wie Marmor; ihr Auge strahlte in
-seltsamem Glanze, ein Diadem von Goldpapier stand auf dem Haupte, große
-Glasperlen hingen auf den weißen Schultern, Stroh und Blumen rankten
-sich um den Leib. So schritt sie mit Lachen und wilder Geberde auf den
-Geängsteten zu, der seine Gedanken noch nicht ordnen konnte, als die
-andere Thür wieder aufgeschlossen wurde, die räthselhafte Schöne mit
-einem lauten Schrei das Licht fallen ließ, und zwei starke Männer den
-Verwirrten in der Dunkelheit faßten, ihn die Treppe mehr hinunter trugen
-als führten, und ihn unten schnell in einen offen stehenden Wagen
-warfen. Ehe er noch fragen, sprechen, sich besinnen konnte, war die Thür
-des Wagens zugeschlagen, und im schnellsten Trabe fuhr dieser mit ihm
-durch die finstre Nacht über das Feld davon.
-
- * * * * *
-
-Am andern Morgen kam der Arzt in Eile und großer Bewegung zum Rathe. Was
-ist Ihnen? fragte dieser: es muß etwas Außerordentliches begegnet seyn.
-Theuerster Walther, rief der Arzt aus, unser Beisammensein, mein
-Aufenthalt wird plötzlich auf die unangenehmste Weise gestört und
-unmöglich gemacht. Sie haben ja zuweilen einen jungen Menschen in meiner
-Gesellschaft gesehen, der uns oft genug lästig fiel. Dieses Original,
-schon einfältig, stumpf und zugleich leidenschaftlich von Natur, durch
-eine verwahrlosete Erziehung aber völlig zum Thoren gemacht, ist mir von
-seinem Vater, einem reichen Grafen in Schwaben, in der Hoffnung
-anvertraut worden, daß eine Reise unter meiner Aufsicht ihn vielleicht
-bessern und von seinem verwirrten Zustande befreien könnte. Ich nahm
-damals diesen mißlichen Auftrag sehr ungern über mich, und würde mich
-gar nicht darauf eingelassen haben, hätte ich die unzähligen
-Verdrießlichkeiten vorher sehn können, die mit demselben verknüpft sind.
-Das hätte ich aber niemals vermuthet, daß dieses drückende Verhältniß
-mich von Ihnen trennen und meine Freiheit völlig aufheben würde.
-
-Aber wie ist dies möglich geworden? fragte der Rath.
-
-Sie sollen es gleich hören, war die Antwort. Nachdem dieser junge Mensch
-schon tausend Händel angezettelt, die ich wieder habe schlichten müssen,
-oft durch Geld, zuweilen mit guten Worten, immer aber auf Unkosten
-meiner Zeit und guten Laune, hat er es seit gestern Abend für gut
-gefunden, sich unsichtbar zu machen. Ich habe schon zu allen Bekannten
-geschickt, auf der Post Erkundigung eingezogen, in allen Wirthshäusern
-nachgefragt: aber man will nirgend von ihm wissen. Es würde mir keine
-große Sorge machen, wenn er nicht Mittel gefunden hätte, Schrank und
-Schatulle zu öffnen, und hundert Goldstücke, so wie bedeutende Wechsel
-mitzunehmen; dies überzeugt mich, daß er gesonnen ist, seine
-Bekanntschaft mit mir nicht zu erneuern, so lange diese Summen
-vorhalten. Ich darf den Thörichten nicht seinem Schicksal überlassen,
-sondern muß ihn wieder zu finden suchen; dies ändert mein Reiseprojekt.
-Ungern nur würde ich ihn in öffentlichen Blättern auffordern und
-kenntlich machen.
-
-Und Sie glauben nicht, fragte der Freund, daß er mit diesem Gelde in
-seine Heimath zurückgekehrt sei?
-
-Auf keinen Fall, erwiederte der Arzt; es liegt ihm zu viel daran, frei
-und ungehindert in der Welt umher zu schwärmen. Seine Leidenschaft ist,
-allenthalben Händel anzufangen und in gemeinen Trinkstuben Zank zu
-erregen; er freut sich dann, einige Stunden auf der Wache zu sitzen, um
-nachher als Graf Birken ausgelöst zu werden. Am schlimmsten aber ist es,
-daß er mit Kammermädchen und Aufwärterinnen Liebeshändel anspinnt und
-ihnen die Ehe verspricht; und ich muß am meisten fürchten, ihn auf diese
-Weise verheirathet wieder zu finden.
-
-Und was denken Sie nun zu thun?
-
-Ich muß ihn aufsuchen, und wenn ich ihn in einigen Wochen nicht wieder
-antreffen sollte, die ganze Sache seinem Vater melden.
-
-Ein Diener trat eilig herein, gab dem Rathe einen Brief und entfernte
-sich wieder. Walther las und wurde nachdenkend. Verweilen Sie noch zwei
-Tage hier, sagte er endlich, und ich reise vielleicht mit Ihnen. Ich
-suche ebenfalls einen Verlornen, der mir und seinen Freunden schon seit
-Jahr und Tag aus dem Gesichte gekommen ist, einen jungen Mann, der Ihrem
-Entflohenen freilich auch nicht auf das Entfernteste gleicht. Ich glaube
-jetzt auf seiner Spur zu seyn, und wenn Sie unterdessen den
-Entsprungenen nicht wieder kommen sehen, oder keine bestimmte Nachricht
-über seinen Aufenthalt empfangen, so könnten wir die Reise, die wir uns
-vorgesetzt hatten, immer noch in Gesellschaft unternehmen.
-
-Der Arzt war derselben Meinung, und man versprach sich, am andern Tage
-eine nähere Abrede zu treffen.
-
- * * * * *
-
-Der verschlossene Wagen fuhr mit dem jungen Baron die ganze Nacht
-hindurch fort. Allenthalben waren schon Pferde in Bereitschaft, und da
-der Mond sehr hell schien, konnte man so schnell, wie bei Tage reisen.
-In den dicht verhängten Wagen fielen nur wenige Strahlen hinein; doch
-bemerkte der Entführte, daß ein Mann an seiner Seite, und ein anderer
-ihm gegenüber saß. Als er sich von seinem ersten Erstaunen erholt hatte,
-wollte er seinen Gesellschaftern Rede abgewinnen; aber sie beantworteten
-keine seiner Fragen oder Bemerkungen. Wohin führt man mich? rief er
-endlich in der größten Ungeduld. Ruhe! antwortete der starke Mann, Alles
-wird sich aufklären. -- »Man verkennt mich, man verwechselt mich mit
-jemand anderm!« -- »»Nichts weniger.«« -- »Was hat man mit mir vor?« --
-»»Morgen am Ort Ihrer Bestimmung werden Sie Alles erfahren.««
-
-Als der Gefangene Miene machte, den Wagen zu öffnen, ergriffen ihn die
-Unbekannten gewaltig, und der eine rief drohend: keine Umstände! Finden
-Sie sich nicht gutwillig, so haben wir das Recht, Sie zu binden und zu
-knebeln; das geschieht auch bei dem ersten Versuche zu entfliehen, oder
-wenn Sie jemand Fremdes anreden wollten. Auch kann es Ihnen nichts
-nutzen; denn wir haben die gemessenste Ordre, die wir vorzeigen können,
-und auf welche uns in jeder Stadt Beistand geleistet werden muß.
-
-So fügte sich denn der Entführte und sann stillschweigend nach, für
-welche Begebenheit seines frühern Lebens ihn etwa dieses Unheil treffen
-möchte. So in seinen Busen und dessen Geheimnisse eingehend, fand er
-mehr auf der Rechnung stehen, als er in seinen heitern und zerstreuten
-Stunden vermuthet hatte. Je länger er in der stillen Nacht fuhr, je
-größer wuchs in seiner Erinnerung sein Sündenregister an, und er
-zitterte vor der Entwicklung seines Schicksals; denn Vestung,
-lebenslängliche Einkerkerung, ja selbst das Aergste standen vor seiner
-erregten Phantasie. Er wandte sich von diesen Bildern des Schreckens ab,
-und suchte sich wieder zu überreden, Alles, was man ihm vorwerfen könne,
-sei doch nur Jugendthorheit und Leichtsinn. Mit Wehmuth mußte er an die
-hochmüthigen Reden gedenken, die er vor Kurzem noch gegen den Arzt
-geführt, und alle seine Zweifel kamen wenigstens darin überein, daß jene
-Handlungen, mit denen er als eben so viel Tugenden und Kraftäußerungen
-geprahlt hatte, doch wohl Sünden, oder gelindestens Verirrungen zu
-nennen wären. So blätterte er in dem dunkeln Buche seines Gewissens hin
-und her, und nahm sich vor, wenn ihn ein günstigeres Schicksal aus
-dieser Bedrängniß erlösen sollte, seinen Lebenslauf mit viel mehr
-Anstand und etwas mehr Weisheit zu führen.
-
-Man fuhr die ganze Nacht und auch den folgenden Tag. Der Gefangene hatte
-sich fast schon an seinen Zustand gewöhnt, und die Furcht, daß seine
-Lage noch viel schlimmer werden könnte, machte, daß er die gegenwärtige
-mit Geduld ertrug. Hätte er sich ganz frei und ohne Schuld gewußt, so
-würde er in seinem Bewußtsein Waffen gefunden haben, sich dieser Gewalt
-zu widersetzen; aber der Zagende bettelte jetzt von jeder Stunde seines
-Daseins noch eine dürftige Erquickung, im Aufschub und in der
-Verzögerung fand er eine Art von Glück, und vergaß sogar in manchen
-Augenblicken, daß sich sein Schicksal doch endlich, und wohl bald,
-entwickeln würde.
-
-Am Abende, als es schon wieder finster ward, kam man an. Durch ein Thor,
-das sogleich wieder verschlossen wurde, fuhr der Wagen. Man brachte
-Licht. Ein Schreiben ward von einem der Begleiter hinaus gereicht.
-»Immer neue Gäste, immer mehr Geschäfte!« murrte eine dumpfe,
-verdrießliche Stimme draußen. Man fuhr in den Hof. Indem man ausstieg,
-ging einer der Männer jenem nach, der erst geschmollt hatte, und sagte:
-Ja, werther Herr Direktor, endlich haben wir ihn Gott Lob! erwischt;
-fünf Tage hatten wir ihm vergeblich aufgepaßt. -- War er ruhig? fragte
-jener. -- »Ja, er hat sich so leidlich vernünftig aufgeführt. Ein paar
-Mal wollte er närrisch thun. Je nun, wir sind ja alle Menschen!«
-
-Das Letzte hörte der Entführte nur noch aus der Ferne. Er befand sich
-schon auf einer großen Treppe, zu welcher ihm zwei Menschen hinauf
-leuchteten. Ist Numero 18. aufgeschlossen? fragte der eine. Ja! scholl
-es von oben herab, und zugleich ward der Fremde in ein kleines,
-behagliches Zimmer hinein geschoben, in welchem Stühle, Tische, ein Bett
-und Sopha sich befanden. Lichter wurden hingestellt, und ein
-freundlicher Mann trug eine Abendmahlzeit auf. »Herr Friedrich, sagte
-der eine Diener, Sie haben doch nichts vergessen?« -- Gewiß nicht,
-antwortete der kleine Mann; Alles ist schon mit dem Direktor abgemacht.
-
-Man ließ den Fremden allein. Da er hungrig war, aß er mit großem
-Behagen; nur vermißte er ungern den Wein, doch ließ ihn der Durst das
-Wasser schmackhafter finden, als er es unter andern Umständen für
-möglich gehalten hätte. Er öffnete das Fenster. Eisenstäbe verwahrten
-es; doch blickte er im Mondlicht über eine reiche und mannigfaltige
-Landschaft hin. Die Thür fand er verschlossen.
-
-Als man den Tisch wieder abgeräumt hatte, legte er sich nieder, und
-schlief auf die Anstrengung des Körpers und Geistes ruhig und lange.
-Nach dem Frühstück wurde die Thür mit einigen Ceremonien geöffnet, und
-ein starker, untersetzter Mann mit finsterer Miene und braunem Gesicht
-trat herein, dessen grollende Stimme er sogleich für diejenige erkannte,
-die er schon gestern Abend gehört hatte.
-
-Der finstere Mann warf einen durchdringenden, festen Blick auf ihn, und
-der Baron, der sich am Morgen eine lange, wohlgesetzte Rede ausgesonnen
-hatte, um seine Unschuld und das Mißverständniß, das über ihm schweben
-müsse, aus einander zu setzen, wurde so verwirrt und beängstigt, daß er
-jedes Wort vergaß und nur wünschte, diesen Besuch erst wieder los zu
-seyn.
-
-Haben Sie gut geschlafen? fragte der verdrießliche Mann.
-
-»Besser, als ich denken konnte, da ich so plötzlich« --
-
-»»Lassen wir das! Haben Sie mit Appetit gefrühstückt?««
-
-»O ja -- nur wünschte ich das Mißverständniß, den Irrthum schnell
-aufzuklären; da man mich gewiß für einen andern hält.«
-
-»»Wir kennen Sie, junger Herr, besser, als Sie vielleicht glauben.««
-
-»Besser? sagte der junge Mann, und wurde roth und von Neuem verwirrt.
-Man hat mich um meinen Namen hier noch nicht gefragt!«
-
-»»Ist auch gar nicht nöthig. Wir wollen keine Rollen mit einander
-spielen.««
-
-»Rollen? Wie meinen Sie das?«
-
-»»Wie man so was meint. Sie sollen sich nicht verstellen, Sie sollen
-nicht hoffen, daß Sie mich hintergehen können.««
-
-»Wenn ich Ihnen aber so ganz bekannt bin -- so sagen Sie mir wenigstens,
--- wo befinde ich mich? Ich bin vielleicht zwanzig Meilen gereist, ohne
-zu wissen wohin.«
-
-»»Lassen wir das noch jetzt, dergleichen muß Ihnen fürs Erste noch ganz
-gleichgültig seyn.««
-
-»Die Forderung ist mehr als sonderbar.«
-
-»»Bester junger Mann, sagte der Alte, um alle diese äußerlichen
-Zufälligkeiten müssen Sie sich jetzt gar nicht ängstigen. Es wird eine
-Zeit kommen, in der Ihnen Alles klar aufgeht.««
-
-»Und welch Schicksal erwartet mich?«
-
-»»Das wird ganz von Ihrem Betragen abhängen! Sind Sie sanft und ruhig,
-so wird Ihnen kein Mensch etwas in den Weg legen; können Sie es über
-sich gewinnen, vernünftig zu seyn, wenn es Ihnen auch im Anfange etwas
-schwer ankommen sollte, so wird man Ihnen alle Achtung bezeigen, die Sie
-erwarten können, und es liegt in Ihrer Hand, wie früh oder spät Sie Ihre
-Freiheit wieder erhalten werden.««
-
-»In meiner Hand? fragte der Gefangene, indem er seine Hände
-betrachtete.«
-
-»»Dummheit und kein Ende! fuhr der Alte ungeduldig heraus, ich dachte es
-wohl, daß der Diskurs nicht lange auf der geraden Straße bleiben würde.
-Figürlich gesprochen, junger Herr! Wie Sie sich benehmen, so wird man
-sich wieder gegen Sie benehmen; vielleicht sind Sie in Jahr und Tag
-wieder auf freien Füßen: das heißt, Jüngling, (damit Sie nicht wieder
-querfeldein fragen) wenn Ihre Beine wieder frei sind, wird hoffentlich
-das übrige Zubehör, sogar der Kopf wieder mitlaufen dürfen.««
-
-»Und was befiehlt man, fragte der Baron, das ich vorstellen soll? Wie
-soll mein Name heißen? Denn es scheint, daß hier ein strenges Regiment
-obwaltet, dem man sich fügen muß.«
-
-»»Nur keine Quängeleien! rief der alte Mann; machen Sie nicht, daß ich
-härter seyn muß, als ich von Natur bin; denn das ist mein Elend, daß der
-Teufel mir so ein breiweiches Herz eingesetzt hat, daß ich eigentlich
-ein altes Weib hätte werden müssen. Nun, lieber Herr Graf, wir werden
-uns schon noch verstehen lernen.««
-
-»Graf? rief der Baron; also doch wenigstens eine Standeserhöhung.« -- Er
-war nach diesem Worte plötzlich viel heitrer geworden; die Beklemmung,
-die ihn drückte, schien ziemlich verschwunden.
-
-»»Ja, Graf, nicht anders, fuhr der Alte fort; ja, mein junger Herr, man
-weiß hier mehr von Ihnen, als Sie begreifen können.««
-
-»Nur noch eine Frage, dann will ich schweigen, sagte der Baron. -- Bin
-ich etwa hier, wegen des Verhältnisses, das vor zwei Jahren die
-Baronesse« --
-
-»»Still! rief zornig der Alte; das ist es ja eben; an Liebe müssen Sie
-hier gar nicht denken, so wie Sie auf diese Passion gerathen, müssen
-gleich Anstalten getroffen werden; weder Baronesse, noch Gräfin, noch
-Fräulein, selbst das Wort Frauenzimmer muß nicht von Ihren Lippen gehört
-werden! Nun geben Sie mir die Hand, daß ich Sie noch einmal bewillkomme.
-Ich hoffe also, Sie werden uns keine Schande machen.««
-
-Er hielt die Hand des Barons lange in der seinigen eingeschlossen,
-drückte sie, schob seine Finger hinauf, fast als wenn er den Puls fühlen
-wollte, sah dem jungen Mann noch einmal scharf in die Augen, und
-entfernte sich dann schnell nach dieser sonderbaren Begrüßung.
-
-Nach einiger Zeit erschien der kleine freundliche Mann, den man den
-Herrn Friedrich nannte. Nun, sagte dieser, es ist ja gut abgelaufen;
-unser melancholischer Gebieter ist ja mit Ihnen zufrieden, er meint, es
-würde schon werden.
-
-Aber, wo bin ich nur? fragte der Baron.
-
-Der Kleine legte mit einer sehr listigen Miene den Finger auf den Mund,
-kräuselte die Lippen, zog die schmalen Schultern bis zu den Ohren, und
-sagte dann ganz leise: so lange Sie noch bloß auf Ihr Zimmer
-eingeschränkt sind, darf ich nichts Bestimmtes mit Ihnen sprechen; aber
-wenn Sie erst einmal herunter gekommen sind, dann wird Ihnen nichts mehr
-Geheimniß bleiben.
-
-Wer sind Sie, fragte der Baron eifrig, und wer ist der Mann, der mich
-heute besuchte?
-
-Nichts! nichts! rief der Kleine; sehn Sie, Verehrter, wir sind Alle ohne
-Ausnahme nur das, was unser gestrenger Herr uns befiehlt zu seyn. Hat er
-doch nun die Macht einmal; woher er sie hat, das weiß der Himmel wohl am
-besten, der sie ihm verlieh. Sehn Sie, er ist sehr hypochondrisch, und
-fast niemals vergnügt, und darum verlangt er, Alles im Hause solle auch
-ehrbar und fromm zugehn. Eine unbillige Forderung. Ich gelte aber doch
-viel bei ihm, und er meint, ich hätte Gaben. Nun haben Sie gleich beim
-Eintritt durch Ihr feines vornehmes Wesen mein ganzes Herz gewonnen, --
-Sie sehn einem großen Feldherrn so ähnlich, den ich einmal gekannt habe;
-aber ich bin doch zu schwach, Ihnen zu helfen.
-
-Wie so, zu schwach?
-
-Betrachten Sie nur selbst meine Schultern, wie schmal, flüsterte der
-kleine Mann. Ja, wenn ich mehr heben und arbeiten könnte; wenn ich mich
-nicht immer so schonen müßte; wenn ich mir mehr bieten dürfte, so wäre
-mein Schicksal wohl ein ganz anderes, als hier im Hause herum zu
-kriechen.
-
-Er entfernte sich, um dem Fremden das Mittagsessen zu holen, verschloß
-aber sorgfältig indessen die Thür.
-
- * * * * *
-
-Der Rath Walther hatte den Arzt wieder aufgesucht, um über den Plan
-ihrer gemeinschaftlichen Reise zu sprechen. Der Doctor hatte von seinem
-entlaufenen Zögling noch keine Nachrichten; er war jetzt neugierig, was
-sein Freund, dem er sich immer enger anschloß, ihm würde zu eröffnen
-haben.
-
-Vielleicht, fing dieser an, sehe ich schon in einigen Tagen einen
-Jüngling wieder, dem ich seit vielen Jahren schon, seit ich ihn als
-Knaben kennen lernte und aufwachsen sah, meine Freundschaft, ja mein
-ganzes Herz schenken mußte. Alle unsere Bücher sind voll von
-Schilderungen der sogenannten Liebe; genau sind alle ihre Kennzeichen
-beschrieben, die Steigerungen, so wie die Verirrungen dieser
-Leidenschaft nachgewiesen, und von der _Freundschaft_, die eben so
-wundersam, zuweilen noch seltsamer erscheinen kann, wird kaum
-gesprochen, oder man setzt sie voraus, und meint, sie zu schildern, sei
-ohne Interesse. Wenn Alle zu _lieben_ glauben, ist es vielleicht nur
-Wenigen gegeben, im wahren Sinne _Freund_ zu seyn. Ich habe mich früh
-und ohne Leidenschaft verheirathet, und bin glücklich in meiner Familie.
-Aber von frühster Jugend habe ich das Talent in mir ausgebildet, Freund
-seyn zu können, mich dem geliebten Gegenstande hinzugeben, seine
-Eigenheiten, Schwächen und Vortrefflichkeiten zu erkennen, mich zu
-überzeugen, wie bei den verdienstvollen Menschen die einen nicht ohne
-die andern seyn können, und alle Liebe ohne gegenseitiges Ertragen nicht
-möglich ist. Doch, um nicht zu weitläuftig zu werden, sage ich nur, daß
-es mir gelang, viele und sehr verschiedene Freunde zu erwerben; doch
-hatte ich noch nie das seltsame Gefühl kennen lernen, das mich zu einem
-Knaben hinzog, der in unsrer Familie aufwuchs und ein entfernter
-Verwandter von mir war. Er hatte nichts mit andern Kindern seines Alters
-gemein; er nahm an ihren Spielen nicht Theil; er sonderte sich ab, und
-lebte, seine Lehrstunden abgerechnet, ganz einer träumenden Einsamkeit
-hingegeben. Da der junge Mensch schon früh seine Aeltern verloren hatte,
-so war sein Vormund, ein liebevoller Oheim, sehr um ihn besorgt. Fragte
-man Raimund, so hieß der Knabe, was ihm fehle, so antwortete er immer,
-ihm sei in der Einsamkeit unendlich wohl; ihn störe das Geräusch der
-Welt, er sinne sich und seinen Empfindungen nach. Hauptsächlich schien
-ihn eine Wehmuth über das Elend der Welt, über ihre Armuth und Krankheit
-zu durchdringen, vorzüglich über die Feindschaft und den Haß, den er so
-oft wahrnehmen mußte. Der Vormund wünschte, ihn zum Geschäftsmann
-heranzubilden, oder ihm doch die Fähigkeit zu verschaffen, das große
-Vermögen, das er für ihn bewahrte, künftig selbst verwalten zu können.
-Die Bemühungen aber, den Weichgestimmten mit den Verhältnissen der Welt
-bekannt zu machen, schienen immer vergeblich; denn so leichte
-Fassungsgabe sein feiner Geist sonst verrieth; wie er in Poesie, Musik
-und Natur Alles begriff, und sich das Schwierigste aneignen konnte; so
-schien ihm doch der Sinn für gesetzliche Verhältnisse, für alles das,
-was Besitz und Eigenthum sichert, für juristische Verwickelungen,
-Berechnungen und dergleichen, gänzlich verschlossen. Begriff er doch gar
-nicht einmal, wie es möglich sei, daß seine Capitalien Zinsen trügen. Er
-hielt dies, als er selbst schon erwachsen war, für ein Ergebniß, welches
-nur auf Betrug gegründet seyn könne. Als Jüngling war er die lieblichste
-Erscheinung. Wir verhärten uns gewöhnlich, und wohl mit Recht, gegen die
-Sentimentalität; weil dasjenige, was die Menge so nennt und schwache
-Gemüther interessirt, nur eine Mischung von Heuchelei und falscher
-Süßigkeit ist, eine egoistische Zartheit, die gerade da verletzt und roh
-tyrannisirt, wo sie Liebe und Weichheit zeigen sollte. Aber in Raimund
-offenbarte sich etwas Himmlisches verkörpert, und die naivste Wahrheit,
-die edelste Treue und Einfalt bildeten sein Wesen. Ich konnte oft in
-Gedanken beklagen, daß er späterhin doch zum Manne reifen und diese
-Wunderblume sich in Frucht verwandeln müsse. Er blieb immer
-menschenscheu; am meisten aber ängsteten ihn die schwatzenden und
-lachenden Mädchengesellschaften. Die meisten Menschen verspotteten ihn;
-ich allein verstand sein liebendes Gemüth; doch zitterte ich auch für
-ihn, wenn ich voraus dachte, wie ihm wohl einmal ein gleich gestimmtes
-weibliches Wesen begegnen könne. Dies geschah, und die Folgen waren
-erschreckender, als ich vermuthen konnte. Die schöngebildete Tochter
-eines reichen Hauses, schwärmerisch und scheu, lernte ihn kennen. Als
-wären die beiden Wesen nur für einander geschaffen, so schnell
-verstanden und vereinigten sie sich. Was ihr Glück störte, war der
-Oheim, obgleich er seinen Neffen so innig liebte. Er schien der
-Ueberzeugung, daß diese Leidenschaft nur zu Beider Unglück ausschlagen
-könne; er verweigerte durchaus seine Einwilligung zu ihrer Verbindung,
-bis Raimund großjährig geworden sei. Dieser härmte sich und sann und
-träumte nur Unglück. Blanka weinte; ihr Gram zog ihr ein Nervenfieber
-zu. Nun schien auch Raimund verloren. Er irrte in den Nächten im Felde
-umher, er verschmähte fast alle Nahrung, er wollte nur seinem Schmerze
-leben und sterben. Als sie die gefährliche Krise überstanden hatte,
-erlaubte sich ein Bedienter den grausamen Scherz, um ihn desto freudiger
-zu überraschen, ihm zu sagen, Blanka sei gestorben. Der Widerruf kam zu
-spät; sein ganzes Leben schien aus allen Fugen gerissen. Es währte nicht
-lange, so war er verschwunden; jede Nachfrage, jede Nachforschung
-umsonst. Sein Oheim, der Freiherr Eberhard ist außer sich; nun erst
-zeigt er, wie sehr er seinen Neffen geliebt; er macht sich die
-bittersten Vorwürfe, daß er jene Verbindung gehindert; er zögert noch
-immer, als der nächste Erbe, das Vermögen des Unglücklichen als das
-seinige zu betrachten; er hofft noch immer auf seine Rückkehr, und
-beweint ihn doch schon als einen Verlornen. Blanka war seitdem in einem
-fürchterlichen Zustande, ich habe sie nicht wieder gesehn; ihre Aeltern
-verließen die Stadt, und ein ungewisses Gerücht wollte sagen, sie habe
-den Verstand verloren. Denken Sie nun die Freude, die mir der Brief
-machen mußte, der mir eine wahrscheinliche Spur meines jungen Freundes
-entdeckt. Wie werde ich den Oheim überraschen, wenn ich ihm etwas
-Gewisses melden kann!
-
-Der Arzt war nachdenkend. Eberhard, -- sagte er sinnend, -- ein Mann bei
-Jahren, zwei ungleiche Augenbraunen, und eben so ein braunes und ein
-blaues Auge? Auch schwebt mir dunkel vor, als habe ich aus seinem Munde
-selbst die Geschichte, die Sie mir jetzt mittheilen, gehört; nur
-erzählte er die Umstände anders.
-
-Ihre Beschreibung paßt auf ihn, sagte der Rath; er ist von der Natur so
-sonderbar gezeichnet, daß man ihn nicht leicht verkennen kann.
-
-Wie seltsam, fuhr der Arzt fort; wenn es dieser seyn sollte! -- Er
-spielte in meiner Vaterstadt eine wunderliche Rolle, und bewarb sich
-noch ganz kürzlich um eine Schauspielerin, die nicht den besten Ruf
-hatte.
-
-Dann ist es dieser doch nicht, sagte der Rath; er lebt einsam,
-eingezogen, ja neigt eher zu einer übertriebenen Frömmigkeit hin.
-
-Man kam dahin überein, am folgenden Tage abzureisen; denn im Dorfe eines
-einsamen Gebirges sollte der Jüngling, von dem der Rath Nachricht
-erhalten hatte, im Hause eines Predigers leben.
-
- * * * * *
-
-Es war einige Zeit verflossen, in der sich der junge Wolfsberg an seinen
-Aufenthalt und seine Lage gewöhnt hatte, und da er sich immer ruhig
-betragen, so trat eines Tages sein Freund, der kleine Friedrich, in sein
-Gemach, that einen kurzen Sprung, zuckte die Schultern, verzog sein
-blasses Gesicht zum Grinsen und sagte: jetzt werden Sie einer von den
-unsern; der Alte schickt mich, Sie möchten in den Gesellschaftssaal
-hinunter kommen.
-
-Sind viele Leute dort? fragte der Baron.
-
-Je nun, eine hübsche Gesellschaft; bald mehr, bald weniger; mancher
-reiset dann auch wieder ab, und so habe ich vorige Woche einen meiner
-besten Freunde auf der Welt verloren.
-
-Sie traten in den untern großen Saal, und Wolfsberg, der so lange in der
-Einsamkeit und im kleinen Zimmer gelebt hatte, war so vom Licht, von der
-Gesellschaft und dem weiten Blicke über die Ebne und das Waldgebirge hin
-geblendet, daß er sich nur schwer fassen konnte, und einige Zeit
-brauchte, um sich mit allen diesen Gegenständen, vorzüglich aber mit den
-Menschen in dem großen Gemache bekannt zu machen. Der Direktor ging mit
-großen Schritten auf und nieder, noch finstrer, als er gewöhnlich war;
-er schien nur seinen Gedanken nachzuhängen, und sich um die Gesellschaft
-nicht zu kümmern. Er bemerkte auch den Eintretenden nicht, und
-erwiederte nichts auf dessen Gruß. Zwei Männer spielten mit großer
-Anstrengung und gespannten Mienen Schach; in einer Ecke las ein Andrer
-in einem Buche, lächelte zuweilen, oder schüttelte den Kopf, machte auch
-zuweilen Geberden der Billigung, so daß er völlig mit seinem Autor
-beschäftigt schien. Auf einem Lehnstuhle war ein Mann eingeschlafen, der
-durch sein rothes Kleid auffiel; noch mehr dadurch, daß sein Kopf von
-einem großen dreieckigen Hute bedeckt war. Starr nach dem Himmel und
-dessen Wolken war der Blick eines Andern gerichtet, der einen Maaßstab
-in der Hand hielt, dessen Zolle er dann immer wieder von Neuem
-überzählte. Drei seltsame Gesichter standen abseits, und stritten
-lebhaft. Der eine von diesen Männern war sehr beleibt; sein Kopf
-aufgedunsen, die Augen waren fast verschwollen, er krächzte mehr, als er
-sprach, und stach um so mehr gegen seinen schmalen langen Nachbar ab,
-dessen Gesicht so dürr und bleich erschien, daß man kaum noch Lippen
-darauf wahrnahm, indem die großen blauen Augen aber desto auffallender
-hervor leuchteten. Der dritte Redner lachte beständig mit seinem großen,
-aufgeworfenen Munde, und zerrte die wundersamsten Linien in seine
-kupfrigen Wangen hinein. Wolfsberg sah sich um, von seinem getreuen
-Friedrich Einiges über diese sonderbare Versammlung zu erfahren; dieser
-aber war verschwunden, und er mußte also selbst Bekanntschaft zu machen
-suchen. Er näherte sich den Schachspielern, und sah beim ersten Blick,
-daß beide Könige im Schach standen, ohne daß es die Streitenden trotz
-ihrer angestrengten Aufmerksamkeit bemerkten; aber seine Verwunderung
-stieg noch mehr, als man den weißen Thurm nahm, ihn schräg über das
-Brett zog, mit ihm einen Läufer schlug, und ihn darauf neben den König
-stellte. Der braune König retirirte nun behende als Springer, und ein
-weißer Springer nahm mit einem Satz im Zickzack drei Bauern zugleich
-weg. Wie, meine Herren, rief Wolfsberg aus, Sie spielen ja ganz gegen
-die ersten Regeln! Was? rief der eine tiefsinnig vom Brett aufsehend;
-sehn Sie einmal, durchlauchtiger Kriegsgefährte, der Neuling will uns
-wohl Schach spielen lehren? -- Nehmen Sie es dem Grünling nicht übel,
-erhabener Mann, antwortete die andere Figur: er ist augenscheinlich
-nicht in die Geheimnisse des Cosroes und die alte orientalische
-Spielweise eingeweiht; er weiß es ja nicht, daß Sie einer der Urindianer
-sind, großer Geist, und will nun seine Fibelweisheit hier scheinen
-lassen. Wissen Sie, junger Abendländer, Vandal, oder Gothe, vielleicht
-Slave, -- man spielt hier nicht mit Brett und Schritt und Sprung, wie in
-den Westländern; unser freier Geist erkennt weder die conventionelle
-Würde des Königs, noch den niedern Rang der Bauern, sondern wir spielen
-nach Sympathie, in jenem Geist, der alle Welten nach unsichtbaren
-Gesetzen zusammenhält! In jeder Nacht hat mein Freund eine neue
-Inspiration, am folgenden Tage bin _ich_ inspirirt; dann erräth der
-andre durch hochgetriebenen Instinkt, welch neues System sein Mitspieler
-ersonnen hat und geht in seine Mysterien ein. Das ist gar eine andre
-Vielseitigkeit, als das moderne Hin- und Herrutschen der Figuren.
-
-Das ist freilich eine andre Sache, sagte Wolfsberg, indem er sich zurück
-zog. Er näherte sich dem Lesenden, sah aber zu seinem Erstaunen, daß
-dieser das Buch verkehrt hielt, und rückwärts die Blätter umschlug. Wie,
-mein Herr, sagte er höflich, sind Sie so zerstreut, daß Sie nicht
-bemerken, wie man auf diese Art nicht lesen kann? Oder sind Sie der
-Kunst etwa gar nicht mächtig? -- Der Lesende stand schnell auf, machte
-ihm eine sehr tiefe Verbeugung, sah ihn an, beugte sich noch tiefer, und
-sprach dann mit einer lispelnden Stimme und mit überhöflichem Tone:
-»geruhen dieselben gütigst zu bemerken, mein verehrter Herr Unbekannter,
-daß es denenselben gefällt, sich wie ein wahrer Einfaltspinsel
-auszudrücken. Nicht etwa, daß ich in Ihre eben so tiefen, als
-ausdrücklichen Einsichten einen Zweifel setzen wollte (fern sei von mir
-ein solcher Frevel!), so scheint es mir doch einleuchtend (möchte ich
-Sie auch übrigens anbeten), daß Sie mit der crassesten Ignoranz über
-eine Wissenschaft sich äußern, die freilich Ihrem elenden, kurzen,
-stümperhaften Horizonte weit entwachsen ist. Was? Weil ich etwa nicht
-von vorn lese, oder das Buch verkehrt halte, darum könnte ich nicht
-lesen? Ja, und wenn ich nun selber keinen Buchstaben wüßte, armer
-Hergelaufener, und ich nähme das Buch nur mit Glauben und Andacht in die
-Hand, könnte es nicht auch in mich übergehen? Habt Ihr denn wohl schon
-oft lesend gelesen, und verstehend verstanden? Ja, Druckerschwärze und
-die krausen Figuren sind Euch in die Augen, Geruch von Leim und Papier
-in die Nase gekräuselt, und dazu habt Ihr eine Physiognomie geschnitten,
-wie Schafe beim Gewitter, und meint alsdann, Ihr habt Weisheit in Euch
-geschlürft, oder seid Eurem berühmten Autor gar noch über den Kopf
-gewachsen! Bester Nichtdenker, verehrter Strohkopf, ich war seit Jahren
-Recensent, thätig und einsichtsvoll, gewöhnte mich ans Blättern und
-hatte immer um so mehr Urtheil, um so weniger ich las; ich brachte es zu
-der Höhe, daß ich kaum den Titel anzusehn brauchte, nur, wo verlegt, so
-hatt' ich das ganze Buch weg. Ist das etwa keine Kunst? Seit ich mich in
-diese Einsamkeit zurück gezogen, habe ich, weil ich ein demüthiger
-Charakter bin, wieder zu lesen angefangen; aber warum denn von vorn? Das
-_Ende_ ist mein Anfang, und da ich mich längst geübt habe, die Schrift
-umgekehrt zu erkennen, so wäre es mir nun gar nicht mehr möglich, auf
-Eure dumme, hirnlose, völlig altfränkische Art die Sache zu treiben. Und
-wo ist denn der Anfang, der anfinge, Ihr Gimpel? Setzt nicht das erste
-Verslein im Mose schon einen andern Anfang voraus? Und wenn wir den
-fänden, wiese er dann nicht wieder auf ein Voriges? O Ihr Bettelmann der
-Gegenwart und Dürftigkeit! ein Ende giebt es; ja in Eurem Verstande; mit
-dem seid Ihr längst zu Ende! -- Er verbeugte sich hierauf wieder sehr
-tief und beschloß: Verzeihung, Verehrtester und Einsichtsvollster aller
-Trefflichen, wenn ich, so tief ich auch unter Ihnen stehe, nur durch ein
-geringes Scherflein habe andeuten wollen, wie sehr ich mich bestrebe,
-Ihre Meinung zu fassen, und gewiß nicht wagen werde, Ihnen irgend in
-Hauptansichten zu widersprechen, sondern nur submissest einige kleine
-Zweifel, welche die Bitte um Belehrung enthalten, entgegen zu schütten,
-und dadurch nur Veranlassung gebe, noch tiefer Ihr tiefes Ingenium und
-noch klarer Ihren klaren Geist, noch glänzender die Glanz-Atmosphäre
-Ihres Wissens, Denkens, zu entwickeln, -- und ^enfin^, excellenter Mann,
-ich verstumme.«
-
-Heiliger Himmel! rief Wolfsberg mit Entsetzen aus, denn er erkannte nun
-erst, indem er noch einen hastigen Blick auf alle Gruppen warf, wo er
-sich befinde, -- ich bin in einem _Narrenhaus_! Wer hat die
-Unverschämtheit gehabt, mich hieher zu versetzen?
-
-Bei diesem lauten Ausruf und dem Worte »Narrenhaus« wurden plötzlich
-alle Thoren aus ihren stillen Gesprächen und Speculationen
-aufgeschreckt. Der Beobachter ließ seinen Maaßstab fallen und rannte
-herbei; der Aufgedunsene, der Bleiche, so wie der Kupferfarbene liefen
-schreiend herzu; die Schachspieler sprangen auf; der Lesende machte ein
-grimmiges Gesicht, und der schlafende Rothrock erwachte, indem er
-zugleich eine kleine Peitsche aus dem Busen zog. Was? Wie? schrieen Alle
-und tobten durch einander -- ein Narrenhaus? Herr! Wissen Sie, was Sie
-sprechen? Er wird auch nicht für die Langeweile hier seyn, sagte der
-große kräftige Mann im rothen Rock, und er darf mir nicht viel gute
-Worte geben, so lasse ich ihn hier, so wie meine Pygmäen, tanzen, bis
-die bösen Geister aus ihm gefahren sind.
-
-Und wo sollten Sie denn sonst seyn, lieber Mann, schrie der Direktor
-zornig, der den verwirrten Haufen theilte und jeden zur Ruhe verwies;
-wenn Sie sich aber so aufführen und sich in Gesellschaft nicht zu nehmen
-wissen, so werden wir Sie wieder auf Ihr kleines Stübchen einquartiren
-müssen. Dies Wort zu nennen, was Sie gebrauchen, schickt sich in diesem
-Hause gar nicht, und schon aus Achtung vor mir müssen Sie es vermeiden!
-Und wer Sie hieher gesandt hat? Männer, denen Sie nicht verweigern
-werden, Gehorsam und Ehrfurcht zu bezeigen!
-
-Wolfsberg war still und nachdenkend geworden, und der Rothgekleidete
-rief: hab' ichs nicht gesagt? indem er zugleich die kleine Peitsche nahm
-und eifrig gegen alle Wände des Saales schlug, bis er außer Athem und
-ganz kraftlos war. Der Director wandte sich unwillig ab, und als der
-Ermüdete sich wieder in seinen Sessel geworfen hatte, trat Wolfsberg zu
-diesem und fragte: was machten Sie eben, und was hat diese Anstrengung
-zu bedeuten?
-
-Was? rief Herr Kranich aus (denn so nannten ihn die Uebrigen), Herr,
-wenn ich nicht wäre und die Augen immer offen hätte, so wären Sie und
-alle Uebrigen hier verloren; ja, ich möchte wohl wissen, was von der
-Welt sonderlich übrig bleiben würde. Sie sehn es nicht, wie diese
-verdammten Pygmäen, kleine böse Geister, mich allenthalben verfolgen,
-Gesichter schneiden, und alles Uebel auf Erden anrichten. Von diesen
-rührt auch Ihre Verstockung her, daß Sie nicht einsehn wollen, was an
-Ihnen ist; von diesen kleinen Creaturen entspringt alles Unglück, und
-ich muß sie unaufhörlich bewachen, um nur zu verhüten, daß sie nicht das
-Aergste ausüben.
-
-So war Alles wieder beruhigt, als man einen Landedelmann mit seiner
-Familie anmeldete, die sich das Haus betrachten wollten. Ein ältlicher
-Mann trat lächelnd herein und sah sich selbstgenügsam um; ihm folgte
-eine erwachsene Tochter, blöde und einfältig, und ein ebenfalls
-erwachsener Sohn, der sich gleich das Ansehn gab, als wenn er hier zu
-Hause gehöre. Der Director fuhr sogleich barsch auf sie zu, und fragte
-heftig, was zu ihrem Befehle sei. Gott bewahre! stammelte der Edelmann,
-indem er scheu zurück trat; ist denn hier kein andrer ruhiger Mann, der
-uns herumführen, und die Merkwürdigkeiten zeigen kann? Der Director
-sammelte sich wieder und sagte in sanftem Tone, daß er selbst der
-Vorsteher dieser Anstalt sei, und daß er sich ihm und dem kleinen
-Friedrich, der sich unterdessen wieder herbei gemacht hatte, getrost
-anvertrauen könne. Sie gingen hierauf friedlich durch den Saal,
-ergötzten sich an der Aussicht und betrachteten die Gesellschaft aus der
-Ferne, als sich der Kupferfarbene herbei machte und um die Erlaubniß
-bat, etwas vorzutragen.
-
-Meine beiden trefflichen Schüler, fing er an, möchten heute einen
-poetischen Wettstreit halten, wie er bei den alten Griechen wohl üblich
-war, und es trifft sich gut, daß einige Fremde, als ganz unbefangene
-Zuhörer zugegen seyn können, um über die Verdienste meiner begeisterten
-Scholaren nach reifer Prüfung ein Urtheil zu fällen.
-
-Er winkte, und der lange Blasse, so wie der Beleibte mit dem
-verschwollenen Gesichte näherten sich. Die Uebrigen schlossen einen
-Kreis; der Lesende drängte sich am nächsten, und der Pygmäenbekämpfer
-sah kritisch umher, ob auch keine bösen Geister die poetische
-Unterhaltung stören möchten.
-
-Der Mann mit der Kupfernase wandte sich hierauf an den Edelmann, den er
-freundlich bei der Hand nahm und ihm die Tressen seines grünen Kleides
-streichelte. Englischer Mann, sagte er zärtlich, verstehen Sie wohl
-Galimathias zu sprechen?
-
-Nein, sagte jener; was ist das für eine Sprache?
-
-Schade, fuhr jener fort; da werden Sie es nur halb genießen können, denn
-etwas wenigstens sollten sich wohl alle Menschen damit befassen. Es ist
-zu verwundern, wie wenig wir immer noch auf unsre eigentliche Ausbildung
-wenden. Tretet zuerst vor, mein theurer Freund und Schüler, würdiger
-Troubadour und Meistersänger!
-
-Der Aufgeschwollene räusperte sich, athmete tief auf und sprach dann
-schnell, aber mit einer krähenden Stimme: »Sind wir nicht alle innigst
-von dem Gefühle durchdrungen, daß, wenn eine Krebsmoral erst an der
-tiefsten Wurzel der Menschenschicksale nagt, kein einziges Schaalthier
-mehr auf den Höhen der Gebirge wird gefunden werden? Gewiß, meine
-Theuersten, schlägt jeder mit erneuertem Mannsgefühl auf seine Brust,
-wenn er bedenkt, daß bei dem siderischen Einfluß, den jede Theemaschine
-auf die Verflechtung innerer Organe und Inspirationen unbedenklich
-ausströmt, die alten Germanen nimmermehr ihren Wodansdienst ohne
-Hülfsleistung abnormer Zustände und tief empfundener mikroskopischer
-Ansichten würden haben durchsetzen können. Denn hier kommt es ja nicht
-auf ein oberflächliches, leichtgewagtes Entdecken vulkanischer
-Revolutionen an; sondern die Menschheit selbst ruft das in uns auf, was
-schon im Anbeginn der Zeiten reif und heterodox, aber im galvanischen
-Mittelpunkt unendlicher Verschlossenheit, tief und geheimnißvoll
-gebrütet hat. War es denn nicht auch damals dieselbe große
-Schicksalskatastrophe und Weltumschwungsaxiomatische Wunderbegebenheit,
-als dasjenige, was man bis dahin nur für orkanische Centripetalkraft
-abgewogen hatte, sich plötzlich als das ungeheure Ixionsrad
-schwärmerischer Antidiluvianer manifestirte? So merken wir, ist unsre
-Seele anders nicht völlig aphoristisch gebildet, und im Mausoleum
-hyrkanischer Waldgötter anticipirt worden, daß umgekehrte Verhältnisse
-sich immer wieder zu Kegelausschnitten gestalten, wenn die Galaxie der
-Planeten sich in ekliptische Rodomantaden verwandeln möchte. Aber
-festhalten müssen wir einen Gedanken, daß die Hieroglyphen immer nur
-wieder Apostrophen ausgebären können, wenn wir nicht mit den
-conglomerirten Gnostikern annehmen wollen, daß die Hypotenuse der
-Polarvölker immer wieder in die materiellste Abstraction der
-eleusinischen Pyrrichien verfallen müßte, an welchem Irrthum auch schon
-der berühmte Johann Ballhorn in seinem großen granitgebundenen Werke vom
-Phlogiston der Polypenkrater verstorben ist, da er ein Apostem der
-großen alchemistischen Tinktur mit den rauschenden Katarakten der
-Amathontischen Apodiktik mehr als ihm billig zugegeben werden konnte,
-verwechselt hat. So hoffe ich denn bewiesen zu haben, daß immer und ewig
-das große Geheimniß der peloponnesischen Antithese klar und verständlich
-ist ausgesprochen worden.«
-
-Gewiß! sagte der Edelmann.
-
-Sublim! rief der Leser aus.
-
-Ein Beifallsmurmeln ertönte aus der dichtgedrängten Umgebung.
-
-Nun, Görge, was meinst du? fragte der Edelmann, indem er sich an seinen
-Sohn wandte, der mit starren Augen und offnem Munde zugehört hatte.
-
-Ich wollte nur, antwortete Görge, unser Herr Pastor wäre hier, der den
-Mann vielleicht widerlegen könnte; denn seine Reden klingen fast eben
-so.
-
-Nun höre man aber auch, rief der Kupferne, meinen zweiten Zögling, den
-edeln, sanften Musenliebling.
-
-Die lange, hagre Gestalt trat hervor und klagte in einem weinenden,
-schnell singenden Tone also: Ist nicht die Liebe und immer nur wieder
-die Liebe das hoch erhabne athletische Bildwerk der ächten attischen
-Hybla-akademischen, süßflötenden Nachtigallen-Atmosphäre? Wer möchte
-sich der Thränen enthalten, wenn flutende Herzenslustren im Umschwung
-der zartesten Cicaden-Gesinnung nicht endlich einmal zur Vollendung
-einer umarmenden Schicksals-Apotheose hinstreben sollen? Denn das
-Bildwerk liebender Gestirne ist ja doch nur ein Abglanz häuslicher und
-mattherzig rührender Sarkophag-Mumien-Attribute; vorausgesetzt, das
-fromme kindliche Gemüth hat sich schon in eine Phaläne von träumerischen
-Allegorieen verwandelt, und ist die ganze sublunarische
-Etymologie der peripatetischen, eben so großartigen, als
-herzergreifenden Sylbenstechereien uralter Religionsentzündungen
-durchgegangen. Fragt sich einzig nur: hat ein kryptogamisches
-Pfeifergericht von enggetriebenen Bildwerken nicht immerdar den
-Blumenstaub somnambulistischer Zustände auf hydraulische Weise mit
-Prophetenencyklopädieen vorher verkündigt? worauf die mathematische
-Antwort lautet: so gewiß der Umkreis der Welt einzig in den Umfang
-sanfter Cirkelschwingungen gebannt ist, so gewiß hat auch jede Periode
-und bacchische Begeisterung im Lichtscheine der erotischen Neufundländer
-Sitz und Stimme gefunden. Denn, was ist es denn, was das Echo unsrer
-Brust ewig beweint? Nicht wahr, daß noch kein Sterblicher in das
-Universal-Paradoxon der Himmelskräfte hat einschlüpfen können? Aber
-dennoch sagen uns begeisterte Seher, daß das Berlappenmehl dazu diene,
-den Blitz der Götter, so wie alle diagonale hochgefeierte Perioden des
-Immateriellen zu erschöpfen, wenn wir nicht vergessen, daß Phidias darum
-der Große genannt wird, weil er zuerst die petrarkische Elegie in der
-neuen Ausgabe der Homilien hat mit Vignetten in einen großen Salat von
-Vergißmeinnicht bei den Olympischen Spielen verzehren lassen, was eben
-die Ursache war, daß Romeo und Julia sterben mußten, so sehr sie auch
-vorher auf Pardon vom Könige von Abyssinien rechnen durften. Aber
-das ist das Große und Erschütternde eben in den edelsten
-Lebensverhältnissen, daß die Liebe des Herzens immer wieder auf die
-reine und unreine Mathematik angewendet werden soll, was doch kaum dem
-Platonischen John Bull möglich gewesen ist, mit Hülfe seines Freundes,
-des großen Eklektikers Pope, vermöge seiner Stanzen und der noch
-berühmtern Parlamentsreform einzuführen. Daher bleibt unserm Leben diese
-ewige Trauer, daß jede Sonnenblume in Oel kann verwandelt werden, wenn
-wir umgekehrt niemals einen Tropfen Oel in Blumen, ja kaum in Sonnen
-umschmelzen können; daher ist die Thräne an unsrer Wimper ein zartes
-Herzenssiegel, welches tropfend beurkundet, daß wir alle nur
-Blindschleichen und arme Würmer sind. Dies herzzerreißende Gefühl
-mitzutheilen, habe ich mich nicht enthalten können.
-
-Die Tochter des Edelmanns weinte und sagte: ja wohl, ist unser Leben nur
-ein zerbrechliches Geschirr! Der Lehrer aber sah triumphirend umher und
-fragte: nun, meine Freunde, welchem würden Sie den Preis zuerkennen?
-
-Das zweite, sagte das junge Mädchen, war mehr für das Herz, das erste
-mehr für den Geist.
-
-So ist es, sagte Herr Kranich; der lange Herr Melchior hat die beste
-Rede gehalten: wir sind Alle gerührt; dazu hat er eine Stimme wie eine
-Nachteule oder Unke: die Thränen laufen einem über die Nase, man weiß
-nicht wie.
-
-Ja, meine theuern Freunde und Sie, verehrte fremde Zuhörer, sagte der
-beleibte Lehrer, ich bin stolz darauf, daß ich in diesen beiden Männern
-diese großen Talente habe wecken und zur Reife führen können. Diese
-sokratische Hebammenkunst ist es, in welche ich meinen Stolz setze, da
-ich selber nichts dergleichen hervor bringen kann. Aber meine Schüler
-werden mich unsterblich machen. Doch soll der liebende, herzliche
-Melchior seines Kranzes nicht entbehren.
-
-Er heftete diesem einen Stern von Blech an die Brust, mit welchem der
-lange blasse Mann sich brüstend durch den Saal schritt. Der Aufgedunsene
-ging verdrießlich in eine Ecke und murmelte: Abgeschmackter Kerl! Er hat
-doch durchaus keinen Begriff vom Aechten! Ich von ihm gelernt! Ja,
-freilich, wenn ich solche Alfanzereien spräche, wie die aschgraue
-Hopfenstange!
-
-Ruhig, großer Mann, sagte der Lesende, der ihm nachgegangen war; das
-Erhabene wird nie verstanden, so ist es vom Anfang der Schöpfung
-gewesen: der größere Sophokles wurde eben so vom süßlichen Euripides
-verdunkelt; Terenz mußte Seiltänzern weichen; Phidias ward verkannt;
-Dante aus seinem Vaterlande vertrieben. Lassen Sie den Narren mit dem
-alten Stückchen Blech laufen; Ihr Herz sei Ihr Elysium, und morgen werde
-ich Ihnen eine zinnerne Schnalle bringen; heften Sie diese an Ihre
-erhabene Brust und verachten Sie den Gegner.
-
-Der Edelmann hatte sich indessen wieder mit dem Sokrates ins Gespräch
-eingelassen, und bewunderte am meisten, daß die beiden Proberedenden
-diese Fülle von Gedanken und gelehrten Materien so aus dem Stegereif
-hätten hersagen können. Begeistrung, rief der Sokratiker, ist Alles: sie
-haben ihr Gemüth gesammelt, und dann aus dem Mittelpunkt ihres Wesens
-den rauschenden Springquell der Suada hingeströmt.
-
-Ich kann niemals, äußerte der Edelmann, gegen meinen Pfarrer zu Worte
-kommen; wären Sie nun capabel, mir auch die Zunge zu lösen, daß ich so
-wie ein Advokat oder Prokurator zu reden wüßte?
-
-Der Director zupfte kopfschüttelnd den Edelmann am Rocke; dieser sah
-sich verdrießlich um, indem der finstre Mann zu ihm sagte: lieber Mann,
-Sie verweilen offenbar zu lange in dieser Gesellschaft; dieser Umgang
-kann Ihnen unmöglich gut bekommen.
-
-Indem erhob sich ein lautes Getümmel am andern Ende des Saales. Lassen
-Sie mich ungeschoren; rief der junge Wolfsberg laut, ich müßte ja selbst
-unsinnig seyn, wenn ich dergleichen Unsinn bewundern, oder mir
-auseinandersetzen wollte, welche von den beiden abgeschmackten Reden die
-bessere sei.
-
-Die erste ist aber die bessere, rief der Lesende, und wenn Sie keine
-Kritik mehr respectiren wollen, so ist es mit Ihrem eigenen Verstande
-nur schwach bestellt. Und was nennen Sie denn Unsinn, Bester? O mein
-verehrter Widerwärtiger, hundert Meilen wollte ich reisen, wenn ich
-dergleichen doch nur einmal in Wahrheit anzutreffen wüßte. Das ist ja
-mein Jammer, daß ich mich schon seit länger als zehn Jahren damit
-abquäle, einmal den Unsinn zu finden. Aber rutschen Sie durch zehn
-Schauspielhäuser, und wenn Sie in jedem flüchtig auch nur ein paar
-Secunden verweilen, so hören Sie leider allenthalben etwas leidlich
-Vernünftiges; ja was noch schlimmer ist, die zehn kurzen Fragmente aus
-dem Trauer- und Lustspiel, aus dem Familiengemälde und der Posse, aus
-der Oper und dem Nachspiel, werden zusammen noch einen passabeln Satz
-formiren, über den sich sprechen läßt. Ein Blättchen, das Sie finden,
-ein Wort, das Sie aus dem Fenster hören, ein Gespräch aus einer
-vorüberrollenden Kutsche, Alles, Alles will leider noch etwas
-Verständiges aussprechen. Habe ich es nicht damals, als ich diese
-Liebhaberei zuerst bekam, an mich gewandt, die brillantesten Romane und
-Schauspiele, die verrufensten Broschüren anzukaufen und zu lesen, weil
-ich von allen Seiten hörte, daß Unsinn darin vorkäme. Nichts da! Eine
-alberne dumme Vernünftigkeit fand ich allenthalben, daß die Sachen mich
-auch gleich anekelten, eine miserable Lust, hie und da über die Schnur
-zu hauen, und gleich zum alltäglichen Verstande, wie Kinder im Finstern
-zur Mutter zurück gelaufen. Ja, mein Herzensfreund, in allem dem
-Geschwätz über Liberalismus und Monarchismus, in diesen Schilderungen
-von Riesen, Rittern und Pferden, in den Elementargeistern und
-Gespenster-Katzbalgereien, in dieser frömmelnden, liebesiechen
-Inspirationssucht ist immer noch kein rechter Aufschwung; allenthalben
-die kalte Vernunft; die Philisterei der Philisterei; und so sehr ich
-unsern Demosthenes oder Aeschylus hier in seiner ersten Rede verehre, so
-möchte ich sie doch nicht so übertrieben loben, daß ich sie unsinnig zu
-nennen wagte, denn jeden einzelnen Satz würde ich zu beweisen
-unternehmen und auch zeigen können, wie innig alle unter einander
-zusammenhangen. Von der zweiten Rede kann gar nicht die Rede seyn, denn
-sie war ganz trivial.
-
-Der verschmähte Redner hatte sich indessen die Zinnschnalle aus dem
-Zimmer des Lesenden geholt, und stolzirte mit diesem Schmucke schon im
-Saale auf und ab. Der Blasse wollte ihm die Auszeichnung nicht gönnen,
-weil sie seinen eignen Ruf zu beeinträchtigen schien. Er ging daher auf
-den Usurpator zu, und suchte ihm das glänzende Zeichen zu entreißen;
-dieser aber wehrte sich und wurde vom Recensenten vertheidigt. Die
-Schachspieler nahmen dieselbe Partei, indessen der Denker mit dem
-Maaßstabe den sanften Melchior zu beschützen strebte. Der Edelmann und
-Wolfsberg standen in der Mitte, und da sich bald aus dem Gezänk ein
-Stoßen und Schlagen entwickelte, so zog der Pygmäen-Bekämpfer seine
-kleine Peitsche hervor, und schlug ohne Unterschied unter beide Parteien
-hinein, indem er behauptete, daß er allenthalben auf Rücken und
-Schultern jene bösen Geister wahrnehme, welche nur aus Bosheit diesen
-Zank und Streit unter Menschen erregt, die bisher immer als befreundete
-Wesen mit einander hätten leben können. Der Director fuhr ebenfalls
-tobend dazwischen, und durch seine drohenden und ernstlichen Worte ward
-der Friede endlich wieder hergestellt, obgleich Wolfsberg und der
-Edelmann, beide als unschuldige Zuhörer, manchen Streich davon getragen
-hatten, weil es die boshaften Pygmäen-Geister nicht unter ihrer Würde
-gehalten hatten, diese neutralen Leiber während des Krieges besetzt zu
-halten. Der Edelmann verließ die Anstalt sehr verdrießlich, und sein
-Sohn Görge begriff nicht, wie eine so lehrreiche Unterhaltung ohne alle
-Veranlassung eine so kriegerische Wendung hatte nehmen können.
-
- * * * * *
-
-Friedrich hatte, seiner sanftmüthigen Gemüthsart nach, den letzten Krieg
-nur ungern entstehn sehn. Er zog sich früh zurück und beklagte aus der
-Ferne seinen jungen Freund, zu dem er sich tröstend gesellte, als der
-Friede wieder hergestellt war. Sie gingen in den beschränkten
-Blumengarten. Da Sie nun, Theuerster, im Grunde ein freier Mann sind, so
-fing der Kleine an, so will ich Ihnen heute in der Nacht etwas
-mittheilen, was für uns beide von dem größten Nutzen seyn kann.
-Wolfsberg war überzeugt, daß es nichts Geringeres, als die Mittel, sich
-frei zu machen, betreffen könne. Er ging zur Gesellschaft zurück und
-erwartete mit bangem Gefühl die Dunkelheit.
-
-Gegen Mitternacht ward sein Zimmer eröffnet, der Kleine trat mit einer
-Laterne herein, und winkte seinem Freunde mit stummer Geberde. Wolfsberg
-folgte schnell, und schweigend stiegen sie die große Treppe hinunter.
-Das Hausthor war verschlossen, und als Wolfsberg die Klinke ergriff,
-schüttelte der Kleine sehr unwillig mit dem Kopfe und zeigte heftig nach
-einem Winkel hin. Der junge Mann folgte seinem Führer; sie stiegen eine
-andre Treppe hinab, und befanden sich jetzt in einem weitläuftigen
-Gewölbe. Nun fand der ängstliche Freund endlich seine Sprache wieder.
-Hier sind wir sicher, nicht behorcht zu werden, sagte er flüsternd: dies
-sind die Kellergewölbe des großen Hauses. -- Ich dachte, Sie wollten mir
-den Weg zur Freiheit zeigen, sagte der Baron. -- »Nicht daran zu denken,
-bester einziger Freund; das Thor ist doppelt verschlossen, dann müßten
-wir noch über den Hof und die äußere große Thür aufmachen, die der
-fatale Portier bewacht, mein größter Feind in der Welt, der niemals
-Vernunft annimmt, und sich von allen Menschen für den Klügsten hält.« --
-»»Was machen wir aber hier?«« -- »Wenn es uns gelingt, liegt hier mehr,
-als Ihre Freiheit.« -- »»Wie meinen Sie das?«« -- »Nur still, unten
-sollen Sie Alles erfahren!«
-
-Sie stiegen noch tiefer hinab. Im fernsten Winkel setzte sich nun
-Friedrich nieder, stellte die Laterne neben sich, und Wolfsberg sah zu
-seinem Erstaunen Hacke und Spaten auf dem Boden liegen. Die Erde war
-dort schon aufgewühlt, und als der Baron seinen Führer fragend und
-erstaunt betrachtete, lächelte dieser mit dem Ausdrucke der größten
-Verschmitztheit, zog den Andern neben sich nieder, und nachdem er ihn
-feurig umarmt hatte, sagte er endlich: liebster Baron, Ihnen vor allen
-Menschen gönne ich das Glück, dessen Sie hier theilhaftig werden können;
-hieher folgt uns kein Neid und keine Beobachtung, diese Gegend der
-Gewölbe wird niemals besucht; hier können wir mit geringer Anstrengung
-und in kurzer Zeit einen Schatz entdecken, der uns über alle Sorgen der
-Zukunft hebt, ja uns zu den angesehensten Männern der ganzen Provinz
-macht. Ich habe niemand da oben etwas von dieser Entdeckung sagen mögen;
-denn alle jene Menschen sind mehr oder minder gemeine Naturen, wozu noch
-kommt, daß sie alle einen Stich von Narrheit haben, der sie mir höchst
-widerwärtig macht. Dem Director mag ich von meinem Funde gar nichts
-mittheilen; er würde in seiner hochfahrenden Superklugheit thun, als
-wenn er mir nicht glaubte, und hernach stillschweigend für sich arbeiten
-lassen: denn er ist ein sehr mißgünstiger Mann und beim Lichte besehn
-ohne Verstand; er stellt sich viel klüger an, als er wirklich ist, und
-da er das Regiment im Hause hat, so darf ihm Keiner viel widersprechen.
-Nun, lieber, hochgeehrter Freund, hier nehmen Sie den Spaten und
-arbeiten Sie!
-
-Aber, sagte Wolfsberg, wie kommen Sie nur zu dem Glauben, oder der
-Einbildung -- --
-
-Still! still! rief der Kleine im größten Eifer, nur ums Himmels willen
-keine Zweifel in dieser feierlichen Stunde ausgesprochen, sonst ist
-Alles verloren. Kennen Sie die Wünschelruthe und ihre Wirkungen?
-
-Nein, sagte Wolfsberg verwirrt und schüchtern.
-
-Haben Sie wohl Wirkungen des Magnetismus gesehen, und glauben Sie an die
-Wunder dieser Wissenschaft?
-
-Ich habe mich nur wenig um dergleichen Gegenstände bekümmert, antwortete
-jener, und kann also auch nicht einmal sagen, ob ich an die
-Seltsamkeiten, die man davon erzählt, glaube oder nicht.
-
-O Sie unverständiger Mann, rief der Kleine im größten Eifer aus, so muß
-ich ja also dem Blinden von der Farbe predigen! Indessen, was thuts?
-Glaube und Ueberzeugung werden Ihnen schon, wie zahme Hündchen, in die
-Hände laufen. Sehn Sie, ich bin schon eine Anzahl von Jahren
-Unteraufseher in diesem Hause. Ich sage nicht etwa deßwegen
-Unteraufseher, weil wir jetzt hier im untern Theile des Hauses eine
-gewisse Aufsicht führen; sondern Sie verstehn mich schon: ich meine, ich
-bin so fast nach dem Director der wichtigste Mann hier, wie Sie auch
-wohl werden bemerkt haben; nur der verdammte Thürhüter will keinen
-Respect vor mir haben. Nach einer Nervenkrankheit, wie es die trivialen
-Aerzte nennen, fand ich mich schon vor vielen Jahren als einen
-verwandelten Menschen wieder. Freund, da war mir ganz so zu Muthe, als
-wenn einer meinem inwendigen Geiste Hosen und Weste aus-, ja noch die
-Haut dazu abgezogen hätte, so daß er nun niemals mehr zerstreut, oder
-dumm, oder langweilig war. Sie werden mich nicht ganz verstehn, thut
-aber auch nichts zur Sache. Es ist nämlich so: ich konnte von dem
-Augenblicke an überirdische Dinge begreifen und fassen, nicht mit meiner
-alltäglichen Vernunft; sondern in meinem inwendigsten Geiste hatte sich
-noch ein eignes kleines und feines Verständchen angesetzt, das
-dergleichen begriff, und da der Geist nun nicht mehr bekleidet war, und
-auch keine dumme Haut mehr über sich hatte, so konnte Ich, der
-Lebendige, der hier draußen steht und mit Ihnen spricht, so frischweg in
-jene meine unsichtbare Creatur hinein sehn und Alles capiren. Capiren
-Sie mich?
-
-So halb und halb, sagte Wolfsberg, Sie drücken sich etwas figürlich aus!
-
-Außerdem aber, fuhr Friedrich fort, wurde ich gewahr, daß ich in fremde
-Leute hinein sehn konnte. Schaut's! jetzt laufen Ihnen die Gedanken wie
-Ameisen durch Ihren Kopf, und einige schleppen sich dummerweise mit
-kleinen Steinen, Holz, albernen Zweifeln. Da rennt eben eine großmäulige
-Ideenassociation in der inwendigen Gegend des Ohres, und schreit, daß
-Alles, was ich Ihnen vortrage, aberwitziges Zeug sei; und nun fliegt
-eine kluge Gedankentaube mit dem Oelzweig hintennach und meint, man
-könne es denn doch noch nicht wissen. Husch! rennen die übrigen Gedanken
-in den Winkel und sitzen gluckend wie die brütenden Hühner da. Ja, ja,
-Herr Baron, ich weiß wohl, wer Sie sind.
-
-So? fragte Wolfsberg in der größten Spannung.
-
-Ja wohl, sagte der Kleine ganz ruhig, kein Graf, wie unser mürrischer
-Director meint, -- he he he! Sie sind auch kein Baron, Sie Vocativus,
-Sie!
-
-Ich dächte doch, sagte Wolfsberg verwirrt.
-
-Mir können Sie nichts weißmachen, fuhr der Wahrsagende fort, denn ich
-weiß ja Alles: ja, ja, alle Ihre Streiche und Kniffe könnte ich Ihnen an
-den Fingern hersagen; aber still! wir sind ja alle Menschen, und Sie
-bleiben bei allem dem immer ein großer Mann. Ein sehr großer Mann, und
-ein berühmter Mann sind Sie, einer von denen, die die Nachwelt noch
-nennen wird! Haben Sie erst, was Sie brauchen, so werden Sie auch weiser
-werden, und das kann ich Ihnen schaffen, und vertraue dabei Ihrer
-Großmuth, daß Sie nicht allzu ungleich mit mir theilen werden.
-
-Also zur Sache, rief Wolfsberg entschlossen, worauf kommt es an?
-
-Wie ich in Menschen und Seelen hinein sehn kann, fuhr der Kleine fort,
-so kann ich es auch zu Zeiten in leblose Gegenstände. Lange schon habe
-ich gesehn, daß gerade hier, etwa vier Klaftern tief, ein ungeheurer
-Schatz liegt, fast ganz in Golde, nur wenige Edelsteine darunter. Es
-sind zwei große eiserne Kasten, auf dem einen ist eine Inschrift, aber
-so verrostet, daß ich die Buchstaben nicht recht zusammenbringen kann.
-Aber im zweiten Kasten befindet sich ein geschriebenes Blatt, welches
-Alles erklärt.
-
-Wie sind aber diese Schätze hieher gekommen? fragte Wolfsberg; und
-weßwegen hier verscharrt?
-
-Schwer zu sagen ist es, sagte Friedrich, denn Sie begreifen doch so
-viel, daß ich in die Vergangenheit, in ein Nichts, das weder Körper noch
-Geist hat, nicht so hinein sehn kann, wie in einen Menschen, oder in ein
-Kellergewölbe. Doch, Spaß apart, wollen Sie mir helfen oder nicht?
-Glauben Sie mir, oder nicht? Wenn Sie nicht dran wollen, suche ich einen
-andern Gehülfen, oder verschweige die Sache noch Jahre lang, wie ich
-denn bisher ein Geheimniß daraus gemacht habe.
-
-Und was soll ich also thun, wenn ich Ihnen glaube?
-
-O Fragen und kein Ende, rief Friedrich in der größten Ungeduld, ich habe
-Ihnen ja schon neulich meine Schultern gezeigt, wie schwach, meine Arme,
-wie dünn sie sind. Ich habe es schon oft versucht; aber ich kann nicht
-graben, ich bekomme auch gleich den Husten, wenn ich stark arbeite.
-Hier, ungläubiger Thomas, ist das Grabscheit! Machen Sie sich dran und
-grübeln Sie nicht weiter; in acht Tagen sind wir die reichsten Männer im
-Lande, und dann können wir den Director und alle Narren da oben
-auslachen.
-
-Wolfsberg bequemte sich und arbeitete mit der größten Anstrengung einige
-Stunden. Als er es kaum mehr vermochte, rief Friedrich: für heute genug!
-Schlafen Sie nun gesund, denn man muß uns nicht vermissen. In der
-nächsten Nacht werde ich Sie wieder zur Arbeit abrufen.
-
-Müde und ermattet, wie am ganzen Leibe zerschlagen ging der junge Mann,
-der an dergleichen Anstrengungen nicht gewöhnt war, auf sein Zimmer, und
-legte sich nieder.
-
- * * * * *
-
-Der Rath Walther hatte sich indessen mit dem Arzte auf die Reise
-begeben. Ihr Weg führte sie durch anmuthige Gegenden, und Walther wurde
-nicht müde, seinen Begleiter von der Trefflichkeit des jungen Raimund zu
-unterhalten. Der Arzt war sehr darauf gespannt, einer so wunderbaren
-Erscheinung im Leben zu begegnen; nur fürchtete er, ihre feine Harmonie
-jetzt durch Schmerz und Wahnsinn zerrissen zu finden. Manchmal stieß mir
-wohl ein Zweifel auf, ob die Schilderungen des Rathes, der in allen
-andern Dingen, außer dieser Verherrlichung seines jungen Freundes, ein
-ruhiger und kalter Mann war, nicht übertrieben poetisch seyn möchten.
-Sie näherten sich jetzt dem Dorfe, in welchem der junge Mensch leben
-sollte. In den engen Wegen des Gebirges fiel der Wagen um, und der Arzt
-ward am Fuße beschädigt; zwar nicht bedeutend, aber doch so, daß er
-einen Ruhepunkt zu erreichen wünschen mußte. Dies verdroß ihn um so
-mehr, da er in einer Waldschenke einen Mann gesprochen hatte, der ihm
-eine so seltsame Schilderung von einem jungen Wildfang gemacht hatte,
-welcher sich seit einiger Zeit in den dortigen Gegenden aufhalten
-sollte, daß er kaum daran zweifeln durfte, es sei der junge, ihm
-entsprungene Graf Birken. Der Rath erbot sich, den kurzen Umweg zu
-machen, indessen ihn der Arzt bei jenem Landprediger erwarten sollte,
-bei welchem man den jungen Raimund anzutreffen hoffte.
-
-Der Arzt ließ sich bei dem Pfarrer melden, den er in einer Laube seines
-Gartens antraf. Nach den gewöhnlichen Begrüßungen leitete der Fremde die
-Unterredung auf den jungen Mann, welcher der Obhut des Geistlichen
-anvertraut sei; der Pfarrer schien aber kein großes Interesse an diesem
-Gespräche zu nehmen und sagte endlich: ja, seit einem Jahre etwa hält
-sich ein etwas confuser Mann bei mir auf, dessen ^ingenium^ und ^mens^
-nicht zum Besten bestellt sind, und um den ich mich auch wenig kümmere,
-außer daß er uns bei Tische oft seine ^joci^ vormacht. Ich erhalte von
-dessen alten Domestiken eine anständige Pension, und so lasse ich ihn
-gewähren; denn es ist nicht meines Thuns, mich viel mit Narren
-einzulassen, oder sie gar curiren zu wollen. Der alte ^servus^ führt
-eigentlich ganz die Aufsicht über den Verwirrten, und mit wem sich
-dieser am meisten einläßt, ist unser gnädiger Junker, der freilich auch
-mit aller Macht zur ^dementia^ inclinirt. Diese beiden Thoren, wenn sie
-einmal bei Sonntagslaune sind, machen mir zuweilen mein kleines Haus zu
-enge.
-
-Wissen Sie aber nichts Näheres von den Schicksalen des jungen Mannes?
-fragte der Arzt.
-
-Urtheilen Sie selbst, verehrter Herr, erwiederte der Geistliche, ob eine
-solche Creatur, der es am Besten gebricht, wohl absonderliche Schicksale
-haben könne. Diese Personen sind ja recht eigentlich ^fruges consumere
-nati^. Wir nennen ihn nur kurzweg immer den Werther.
-
-Werther? fragte der Arzt sehr lebhaft.
-
-Ja, mein Herr, fuhr jener fort, dieses ist ein Spitzname, der aus einem
-gewissen Buche entlehnt seyn soll, welches unsre junge Baronesse einmal
-gelesen hat. Derselbe trieb sich auch immer, wie man mir sagte, in Wald
-und Flur herum, statt in vernünftiger Societät ein Wort mitzusprechen,
-eine Pfeife zu rauchen und etwa zu hören, was es in der politischen Welt
-Neues giebt.
-
-Sie scheinen kein Freund der Natur zu seyn, warf der Reisende ein, und
-bewohnen doch selbst eine der reizendsten Gegenden unsers Vaterlandes.
-
-Natur! rief der Pfarrer aus; das Wort ist etwa seit 40 Jahren in die
-Mode gekommen, und so weit ich habe das Verständniß davon erreichen
-können, meint man darunter einen etwanigen Bach oder Fluß, sammt Berg
-und Steingeschichten, oder die Waldsachen und dergleichen. Hat mich nie
-sonderlich interessirt, weil ich mich immer bestrebt habe, ein denkendes
-Wesen vorzustellen. Und unser Werther, wie ihn die jungen Leute heißen,
-oder Theophilus, wie sein eigentlicher Taufname lautet, weiß auch weder,
-ob Frühling oder Herbst ist, ob die Bäume blühen oder dürr sind, ob die
-Bergwand aus Granit oder Marmor besteht, sondern er läuft nur, wie ein
-Uhrwerk, so hin und her.
-
-Der Alte war mit allerhand Papieren und Briefschaften beschäftigt, die
-er in einem Tischkasten zu ordnen suchte, und der Arzt sagte indessen zu
-sich: Der Aermste! Also auch diese Empfindung ist in ihm untergegangen,
-die sonst dem Unglücklichen so oft einen heiligen Trost gewährt! Denn
-der Natur gegenüber verklärt sich jeder Schmerz, der uns unter Menschen,
-in den Mauern der Städte oft zu vernichten droht, und verwandelt sich in
-ein himmlisches Wesen, in eine Erscheinung von oben herab. Wie eine
-Himmelsharfe tönt die Natur Freude und Leid mit, und setzt unsre stummen
-Seufzer, die Worte der Klage in überirdische Musik um.
-
-In diesen Phantasieen, die wohl so schnell in ihm antönten, weil er so
-lange mit dem fast schwärmerischen Rathe gereiset war, wurde er wieder
-vom Pfarrer unterbrochen. Verzeihen Sie mir, sagte dieser, daß ich Sie
-so schlecht unterhalte, jeder macht so seine Studia. Dieselben haben
-sich wohl niemals mit der Astrologia eingelassen?
-
-Nein, antwortete der Arzt.
-
-Sehr Schade, fuhr jener fort, daß diese Wissenschaft seit neueren Zeiten
-so ist vernachlässiget worden. Ich habe sie immer bewährt gefunden. Und
-so sehe ich hier wieder das Horoskop an, welches ich meiner Tochter bei
-ihrer Geburt stellte. Ich prognosticirte damals, daß sie sich in einen
-hohen Stand erheben würde, und sie ist nun auch wirklich glückliche
-Braut eines vornehmen Mannes. Das hat mir auch den Geist so eingenommen,
-daß ich fast nicht capabel bin, eine recht fortgesetzte Conversation zu
-führen. Doch da kommt ja unser Theophilus mit seinem alten
-Gesellschafter. Der junge Mann ist eine Zeit lang in einer andern
-Familie sehr gemißhandelt worden; man darf ihn nicht auf diesen
-Gegenstand bringen: denn er wird zuweilen bitterböse, wenn er sich jener
-Tage erinnert.
-
-Der Arzt stand auf und sah zu seinem Erstaunen einen langen, nicht mehr
-jungen Mann eintreten, der sich gebückt trug, und aus dessen
-regelmäßiger Physiognomie die höchste Beschränktheit und Einfalt hervor
-leuchtete, aber auch zugleich eine so heitre Jovialität, daß er von
-Neuem an dem Rathe und dessen übertriebener Schilderung irre ward. Der
-Einfältige gab dem Pfarrer die Hand, sah den Fremden mit scheuem Blick
-von der Seite an, ging dann auf ihn zu und fragte hastig: sind Sie ein
-Edelmann?
-
-Verzeihung, rief der Pfarrer dazwischen; ich habe noch nicht einmal
-Gelegenheit gehabt, mich nach Ihrem werthen Namen zu erkundigen.
-
-Doctor Anselm, sagte der Arzt.
-
-Ich dachte, Sie wären mein Vetter, rief der Einfältige, weil Sie eine
-solche ästhetische superfeine Nase haben. Zugleich sprang er in die
-Höhe, und schlug wie ein muthwilliges Füllen mit den Beinen hinten aus.
-
-Der Arzt, der sich auf eine ganz andere Stimmung vorbereitet hatte,
-mußte laut lachen, indem der Pfarrer mißbilligend das Haupt schüttelte,
-und sehr ernste Runzeln in sein Gesicht zog.
-
-Sehn Sie nur, sagte Theophil, indem er den Arzt etwas bei Seite führte,
-das Perlmutter-Gesicht von meinem alten Prediger; so debattirt er immer
-mit sich, als ob er an einem Obscuranten-Almanach arbeitete.
-
-Sie drücken sich seltsam aus, sagte der Arzt, aber vergnüglich.
-
-Er weiß nie, was er spricht, unser junger Freund, rief der Prediger;
-weder kennt er die Bedeutung der Worte, die er braucht, noch will er
-überhaupt etwas damit ausdrücken. Es ist wie Wiederhall von Felsen, oder
-Waldesbrausen. Mein ehrwürdiges Alter ist einmal immer das Stichblatt
-seines falschen Witzbestrebens.
-
-Der Herr Prediger, sagte der Simple, hat eine rechte Hosiannah-Stimme
-und sitzt so mächtig auf seiner Bank da, als wenn er Habakuk und alle
-zwölf kleine Propheten zu künftige Pfingsten confirmiren wollte. --
-Pankraz! rief er dem alten Diener zu, du mußt mir wieder Taschengeld
-geben!
-
-Haben Sie denn schon Alles ausgegeben? fragte dieser.
-
-Dummer Teufel! rief Theophilus; freilich! Denken Sie nur selbst, mein
-fremder Herr Vetter, draußen vor dem Dorfe begegnen mir die Mädchen, die
-drüben in der Stadt allerhand auf dem Jahrmarkt eingekauft hatten,
-Tücher, Schürzen, Mieder, Hauben, Spielzeug für die kleinen Geschwister.
-Sie hatten noch eine volle halbe Meile, und ließen mich nun die Sachen
-herüber tragen. Wie ich sie ihnen wieder abgab, mußte ich ihnen doch
-wohl ein Trinkgeld geben, daß sie mir Alles so hübsch anvertraut hatten?
-Aber Pankraz ist faul; der trug nichts, und drum hat er auch sein Geld
-in der Tasche behalten.
-
-Das ist ein schöner Zug von Ihnen, sagte der Arzt; sind Sie aber immer
-so vergnügt?
-
-Wie's kommt, antwortete jener lachend; nur wenn die Leute dumm sind,
-kann ich mich sehr ärgern, wenn sie nicht capiren. Sehn Sie, es ist sehr
-traurig, wenn man allein klug seyn soll. In Gesellschaft habe ich noch
-einmal so gern Verstand.
-
-Sie denken trefflich, sagte Anselm.
-
-Was sagen Sie aber vollends dazu, schwatzte jener weiter, daß wenn ich
-einmal so recht superklug bin, die Leute mir beweisen wollen, ich wäre
-dumm? Nicht wahr, die Welt liegt im Argen; wie unser Herr Pastor Kilian
-letzt einmal in der Kirche sagte.
-
-Ich werde sorgen, daß Sie niemals mehr hinein gelassen werden, rief der
-alte Mann.
-
-Ich bin ja aber doch ein getaufter Christ, sagte Theophil mit der
-größten Ernsthaftigkeit und ging traurig zum Prediger hin.
-
-Lassen Sie sich dienen, Herr Doctor, fuhr der Alte fort, daß es nicht
-angeht, weil er sich laut mit seinem Bedienten während des
-Gottesdienstes zankt. Was thut er aber neulich? Indem ich in der Predigt
-aufsehe, hat er unsern Hund in meinen Sitz gebracht, läßt den Pudel
-aufrecht stehn, der nun über das Chor gucken und ein Gesangbuch zwischen
-den Pfoten halten muß. Heißt das nicht die Gemeine stören?
-
-Ich bin ja aber doch ein getaufter Christ! sagte der Angeklagte mit
-weinerlicher Stimme. Der Arzt, der eine ernsthafte Wendung des
-Gespräches fürchtete, fragte den Klagenden, was das neulich gewesen sei,
-wo er so allein klug, und die Andern dumm gewesen wären. Ja so! sagte
-Theophil plötzlich laut lachend; das war eine lustige Geschichte! Die
-Mamsell Kilian hatte mir ganz neue Schnupftücher gekauft. Nun sollte ich
-den andern Tag mit dem Junker auf den Fischfang gehn, da nahm ich mir
-vor, den Pankraz zu erinnern, daß er mich erinnern sollte, damit ich es
-nicht vergessen möchte. Um aber auch gewiß daran zu denken, daß ich ihn
-zu rechter Zeit erinnern möchte, damit er mich ja erinnern könnte,
-machte ich einen Knoten in mein Schnupftuch. Sie wissen ja, das ist ein
-altes Herkommen, wenn man etwas nicht vergessen will.
-
-Ja wohl.
-
-Nun gut; ich wache den Morgen auf, da finde ich den Knoten. Da besinne
-ich mich auch gleich, daß ich den Pankraz erinnern muß. Pankraz, du
-sollst mich an was erinnern! Ganz recht, gnädiger Herr, Sie wollen mit
-dem Junker auf den Fischfang gehn. Ich geh' auf den Fischfang und denke
-nichts Böses. Den andern Tag aber ist der Knoten noch im Tuche. Das
-ängstete mich, denn es gab nun nichts mehr zu erinnern, und wenn ich den
-Knoten anfaßte, wollte ich mich immer auf etwas besinnen. Den Knoten
-hatte ich aber so fest gezogen, daß ich ihn gar nicht wieder aufkriegen
-konnte. So nehm' ich im Verdruß eine Scheere, und schneide bloß den
-Knoten, verstehn Sie, bloß den Knoten ab, und werfe ihn aus dem Fenster.
-Wie nun das Tuch wieder gewaschen ist, sagt die Mamsell sammt allen
-Menschen im Hause, ich hätte es entzwei geschnitten; es fehlte auch
-wirklich ein großes Stück davon. Nun sagen Sie selbst, ob ich etwas
-dabei versehn habe, und wer Recht hat!
-
-Der Knoten, sagte der Arzt, war aber doch natürlich vorher ein Stück des
-Tuches, folglich mußte dieses nachher fehlen.
-
-Sie begreifen nicht! sagte Theophil im großen Zorn, und faßte die Hand
-des Arztes heftig und stark; ich schnitt ja nicht das Tuch ab, sondern
-nur den Knoten, den ich erst hinein gemacht hatte, der vorher nicht drin
-war.
-
-Wir wollen nicht streiten, sagte Anselm, Sie können wohl Recht haben;
-ich habe bisher dieses Experiment noch nicht gemacht, und Vieles
-begreift man gewiß erst durch die Erfahrung.
-
-Hat man Ihnen wohl schon einmal Gesellschaft geleistet? fragte der junge
-Mann mit listiger Miene.
-
-O ja, sagte der Arzt, mehr als einmal; und Sie leisten mir jetzt eben
-auch Gesellschaft.
-
-Sie würden sich dafür bedanken, fuhr jener fort, wenn ichs in der Manier
-thun wollte, wie mein Gesellschafter Walz da drüben in der kleinen Stadt
-mir die Zeit vertrieb. Da sagten sie, ich müßte einen Gesellschafter
-haben. Da kam Herr Walz, der dazu bestellt war. Das gab ein
-Gesellschaftsleisten, daß mir des Abends alle Rippen weh thaten.
-
-Wie so?
-
-Er schlug immer um sich, und wir konnten uns gar nicht vertragen; aber
-ich durfte ihn niemals wieder prügeln. Ja, wie gern möcht' ich ihm auch
-einmal so recht Gesellschaft geleistet haben! Wenn ich verdrießlich war,
-schlug er; war ich nicht aufgeräumt, ließ er mir zur Ader; ein paar Mal
-ließ er mir auch Zähne ausziehn, -- die beiden hier: weil er sagte, ich
-wäre zu böse, die Zähne wären schon nichts nütz und thäten mir nur jetzt
-oder in Zukunft einmal weh. Den andern habe ich einmal beim Essen
-verloren.
-
-Aber diesen Augenzahn hier? fragte der Arzt.
-
-Der fehlte mir schon, antwortete jener ganz ruhig, vor meiner Zeit.
-
-Vor Ihrer Zeit? Wie verstehn Sie das?
-
-Lieber Himmel, Sie sind recht schwer von Begriffen! Vor meiner Zeit --
-ach! lassen Sie mich zufrieden und haben Sie mich nicht zum Narren!
-sagte er ganz böse.
-
-Verzeihen Sie, fiel der Arzt ein, ich verstehe Sie jetzt schon; ich
-begreife nur langsam, wie Sie ganz richtig bemerkten.
-
-Haben Sie die Naturwissenschaft studirt? fragte der junge Mann wieder
-ganz heiter.
-
-O ja, sie ist mein Hauptstudium.
-
-Nun, dann gratulire ich, sagte jener laut lachend. Sind Sie auch brav
-darin herumgewalzt worden?
-
-Herumgewalzt?
-
-Sie capiren schon wieder nicht! Brav abgewammst, tüchtig gedroschen! Sie
-verstehn nun schon, so wie es mir dabei mit meinem Gesellschafter Walz
-ergangen ist.
-
-Er nahm also die Sache so ernsthaft?
-
-Ja freilich. Er sagte, er müsse mir die Botanik beibringen. Es war aber
-eigentlich die _Batonik_, weil er den lieben Baton so sehr dabei
-brauchte. Da krochen wir herum und suchten Petersilie und Wurstkraut,
-Rüben und Knoblauch, und das sollte ich immer alles behalten. Ein ander
-Mal fing er einen Maikäfer. Seht, das ist ein Maikäfer. Ja, sagt' ich,
-das ist ein Maikäfer. -- Zu welchem Geschlecht gehört er? -- Doch wohl
-zum Geschlecht der Maikäfer. -- Sehn Sie, da brach er gleich einen
-Haselzweig ab, und demonstrirte mir die Sache auf meinem Rücken. Der
-wurde überhaupt dazumal so magnetisirt, daß er fast so hellsehend
-geworden wäre, daß die Sonne durch ihn hätte hindurch scheinen können.
-Sagen Sie mir überhaupt nur, wenn einer im Kopfe nicht zu Hause ist,
-warum man dann immer auf dem Rücken, oder noch tiefer anklopft. Sollte
-denn der Geist da allenthalben lieber als in der höhern Etage wohnen? --
-Nun gut; dann gingen wir in den Wald. Da unten liegt, schrie er, der
-berühmte Linné, oder auch Pistillen, oder dergleichen alberne
-Gelehrtennamen. Wenn ichs nicht behielt, von der Buche ein Zweig
-gebrochen, und damit wieder Privatstunde gehalten. Ich war nur froh,
-wenn das Botanisiren im Freien geschah, da war doch etwa nur ein
-Gesträuch zur Hand.
-
-Sie haben also, sagte Anselm, in dieser Wissenschaft auf dem Wege nichts
-profitiren können?
-
-Doch, antwortete jener; aber Alles, worauf es mir auch nur abgesehn
-schien, mit dem _Rücken_; denn der kriegte durch vieles Repetiren der
-Studien eine so feste Memorie, daß ich noch jetzt bei jedem Stocke
-unterscheiden will, auf welchem Baume er gewachsen ist. Sie glauben
-nicht, wie anziehend die frischen Haselgerten sind! Weiden schmiegen
-sich mehr, sind aber weniger eindringlich. Die Eiche klingt mächtig, als
-Baum der deutschen Freiheit; es läßt sich aber nicht viel damit
-ausrichten; der Walz konnte auch immer nur die dürren Zweige abbrechen,
-die fast gar nichts zu sagen haben. So ist es auch mit der Tanne und
-Fichte nicht viel. Die Buche ist körnig; die Birke, besonders im
-Frühjahr, empfindlich; auch wächst das Zeug, wo kein andrer Baum
-fortkommt, steht also fast immer zur Hand. Von allen diesen Stauden und
-Gewächsen brach er seine Wünschelruthen, und alle schlugen immer auf
-meinen Rücken an, so daß in meinem Innern große Schätze verwahrt liegen
-müssen. Er schonte auch die mitleidige Trauerweide, die vornehme
-Weihmuthskiefer nicht; ja selbst der Tulpenbaum mußte ein paar Mal das
-Instrument zu meiner Weihe reichen; und so kann ich gewiß, da gar kein
-Tergiversiren etwas fruchtete, auf eine recht pragmatische und
-polyhistorische Bildung Anspruch machen. -- Als ich mich genug
-durchstudirt, und er alle Naturreiche durchgeprügelt hatte, wurde ich
-hieher zu dem friedfertigen Herrn Kilian gethan; und hier ruhe ich auf
-meinen Lorbeern aus, die ich noch manchmal in Rippen und Seiten fühle.
-
-Es freut mich, daß Sie so fröhlich sind, sagte der Arzt; haben Sie
-Appetit, schlafen Sie gut?
-
-Ich danke, sagte jener; bald so, bald so; aber ich träume oft schwer und
-fürchterlich, und tobe dann und lärme in der Nacht. So hatte ich auch
-diese Nacht einen ängstlichen Traum.
-
-Was war das für ein Traum?
-
-Pankraz! rief Theophil dem Diener zu: was träumte mir diese Nacht?
-
-Der Alte trat näher und sagte verdrießlich: das kann ich nicht wissen.
-
-Sehn Sie den eigensinnigen Menschen, rief Theophil aus, ich lasse ihn
-bloß deßwegen in meiner Stube schlafen, daß er alles wissen soll, was
-ich denke und träume; aber er ist so träge, daß er sich fast nie darum
-bekümmert. Wenn Du es nicht weißt, wer soll es denn wissen? Dazu sollst
-Du die Aufsicht über mich haben!
-
-Es ist aber nicht möglich, ereiferte sich Pankraz. So wollen Sie auch
-immer von mir wissen, was Sie denken, oder gedacht haben; wie soll ich
-das anfangen?
-
-Durch Liebe, einfältiger Mensch! rief jener aus. Du sollst mit mir so
-eins werden, daß wir unsre Seelen gemeinsam haben, dann wird es mir
-weniger sauer werden, über Vieles nachzusinnen; denn dann denk' ich in
-Dir, und Du hast bloß die Mühe davon.
-
-Dann müßte ich aber auch für uns Beide essen; sagte Pankraz mit Lächeln.
-
-Nein, erwiederte Theophil; das würd' ich gern übernehmen, und zwar in
-Deinem Namen mit; ich die Wurzel und der Stamm, Du die Blume und Frucht.
-
-Bei dieser Stimmung schien es dem Arzte möglich, den Kranken über den
-Gegenstand zu prüfen, den zu berühren er außerdem ängstlich würde
-vermieden haben. Er ging also näher und fragte ihn leise: haben Sie
-lange keine Nachrichten von Blanka erhalten?
-
-Blanka? rief Theophil aus; das ist ja wohl ein weißes Windspiel, das ich
-vor langer Zeit hatte?
-
-Blanka? nahm der alte Diener das Wort, indem er den Arzt prüfend
-betrachtete: wissen Sie von der etwas?
-
-Anselm begegnete dreist dem stechenden Blicke des Alten, und meinte nun
-fast nichts mehr schonen zu dürfen. Er sagte daher: ich wünsche bloß
-etwas Näheres von Blanka und Raimund zu erfahren, deren trauriges
-Schicksal mich sehr interessirt hat.
-
-Pankraz schlug die Augen nieder und sagte: ich weiß nichts von ihnen;
-aber Theophil fiel plötzlich in eine tolle Laune, hüpfte auf einem Beine
-herum, schwenkte den Hut und schrie halb singend: Da hinter des
-Priesters Garten, da ist ein Wiesenplan, da stehn rings Weiden und
-Birken, ein Wasser rauscht fließend daran; da schreien Kuckuck und
-Staare, da schaut wohl der Hirsch aus dem Busch; es ist ein liebes
-Plätzchen, voll Einsamkeit und Schatten genug. Da kommen in
-Herbstestagen, wenn welkes Laub schon rauscht, die liebe Fräulein
-Blanka, der Monsieur Raimund zusamm. Sie sehn sich mit weinenden Augen,
-sie drücken sich zärtlich die Hand; da giebt es herzig Umarmen, da
-finden sie wieder Verstand! -- Er schrie und sang immer lauter, so daß
-der alte Pfarrer aufstand und rief: um des Himmels willen, junger Herr,
-in welcher Spinnstube haben Sie die alte Ballade wieder aufgehascht?
-
-Das hab' ich selbst gedichtet, jetzt eben, schrie Theophil erfreut.
-Pankraz, behalt' es ja, wir wollen es nachher dem Junker vorsingen.
-
-Ich weiß kein Wort davon, sagte Pankraz, vom Kuckuck war was in der Ode,
-und daß Sie gern Verstand haben möchten. Da kommt der Junker!
-
-Ohne den Eingang zu suchen, sprang in diesem Augenblick ein junger
-Bursche über den Zaun, mit rothem Gesicht, ohne Hut mit Papierwickeln in
-den Haaren. Da sind wir wieder, schrie er ungezogen, guten Tag, Tissel,
-ach! Herr Pastor, wären Sie doch mit uns gewesen; da hätten Sie
-disputiren können!
-
-Wo wart Ihr, lieber Görge, fragte Theophil.
-
-Ach! liebster Freund, fuhr dieser jubelnd fort, unsre ganze Familie hat
-seitdem an den Narren dort den Narren gefressen; nur die Mama will
-nichts davon wissen, und ist auf uns alle, vornehmlich auf den Papa
-böse, daß er uns so ein schlechtes Beispiel giebt.
-
-Mein lieber Junker, sagte der Pfarrer sehr ehrbar, mit Narren würde ich
-niemals disputirt haben; denn sie haben keine Logik.
-
-Es waren auch nicht so eigentliche Narren, sagte Görge, sondern eine Art
-Künstler. Ich sage Ihnen, der Papa war ganz eingenommen, und sie hatten
-da oben einen Mann, der den Leuten das Reden beibringen konnte.
-
-Heisa! Heisa! Dort kommt erst der rechte Windbeutel, rief Theophil laut
-jubelnd; der und ich, wir sind die beiden größten Narren im Römischen
-Reich; das Kloster da oben, wo unser Herr Kilian disputiren soll, in
-allen Ehren gehalten.
-
-Reden Sie mit Verstand, sagte der Geistliche, und respectiren Sie in dem
-verehrten Herrn Grafen den Bräutigam meiner Tochter.
-
-Auf einem kleinen Schimmel sprengte ein junger Mensch heran, hüpfte aus
-dem Sattel, und eilte in die Umarmung des Pfarrers, indeß schon aus dem
-Hause, mit der Küchenschürze angethan, ein rothhaariges Mädchen herbei
-stürzte, und Vater und Geliebten zugleich umschloß. Die Gruppe fuhr aus
-einander, als sich jetzt der Arzt, so schnell es sein verwundeter Fuß
-erlaubte, ihnen näherte. Ist es möglich, Graf Birken, daß wir uns hier
-wieder treffen? Auf Sie hatte ich heute nicht gerechnet. Der junge
-Mensch sah sich schnell um, stieß seinen Schwiegervater so hastig vor
-den Bauch, daß dieser wieder in die Laube zurück taumelte, warf mit
-demselben Ungestüm die kleine dicke Braut von seinem Halse, ergriff den
-Schimmel, und ehe die Umstehenden sich noch recht besinnen konnten, war
-er im gestreckten Galopp schon aus dem Dorfe hinaus.
-
-Ein Pferd! rief der Arzt. Setzt ihm nach!
-
-Was haben Sie für Ansprüche an meinen Schwiegersohn? fragte der Pfarrer,
-der sich wieder gesammelt hatte.
-
-Der Windbeutel reitet einmal! schrie Theophil jauchzend.
-
-Um des Himmels willen ein Pferd! rief der Arzt; kommt er uns aus den
-Augen, so haben wir ihn Alle für immer verloren.
-
-Verloren! schrie die Braut und rang die Hände.
-
-Sei still, mein Kind, rief der Geistliche; morgen ist die Trauung, und
-kein fremder Mensch, mag er sich auch Doctor nennen, hat das Recht, Dir
-Deinen Bräutigam zu entreißen.
-
-Der Mensch ist ein Narr! rief der Arzt heftig aus, und nun er mich hier
-gesehen hat, kommt er gewiß nicht wieder.
-
-Lästern Sie unsre Familie nicht! rief der Pfarrer noch heftiger, Sie
-fremder, unbekannter, hergelaufener Herr; und wenn mein Schwiegersohn
-Ihretwegen nicht wieder kommt, so gebe ich Ihnen meinen Fluch, Sie
-Gottloser!
-
-Theophil und Görge waren von diesem Gezänk auf das Höchste erbaut; denn
-sie kannten keinen größern Genuß, als den alten Pfarrer im Zorn zu
-sehen. Die Tochter hatte verzweiflungsvoll den Garten verlassen. Ein
-Wagen fuhr in den Hof, und der Rath Walther, in gespannter Eile, ohne
-die Andern zu begrüßen, kam herbei gelaufen, und rief schon von Weitem
-dem Arzte zu: wo ist er? -- »Wieder ein neuer Windbeutel! Heute haben
-wir die Hülle und Fülle!« jubelte Theophil. -- Der Arzt ging ihm
-entgegen, indem er sagte: dort steht ja Ihr Liebling. -- Dieser da?
-fragte der Rath, indem er den Einfältigen nur flüchtig betrachtete. Ach!
-Pankraz! rief er dann höchlich überrascht; Du hier? Sage mir, wo ist
-Raimund?
-
-Der Diener war verwirrt und erschrocken, und konnte erst keine Antwort
-finden; endlich stotterte er: Sie wissen es ja wohl, Herr Rath, daß ich,
-als ich damals plötzlich aus den Diensten des Herrn Raimund mußte. --
-
-Recht, sagte der Arzt; der Baron Eberhard gab Dir den Abschied wegen des
-unglücklichen Einfalls, daß Du dem kranken Jüngling die falsche
-Nachricht vom Tode seiner Geliebten überbrachtest.
-
-Nun also, sagte Pankraz; seitdem habe ich von dem jungen Herrn nichts
-wieder gesehn und gehört. Es ist mir seitdem schlimm genug gegangen.
-
-Aber wie kommst Du hieher?
-
-Es ist mein Pankraz, rief Theophil, mein Gesellschafter; aber nicht in
-der Walzmanier.
-
-Wie heißen Sie? fragte der Rath.
-
-Du, Pankraz, rief Theophil, wie heiß' ich doch? Ich kriege alle
-Augenblicke einen andern Namen.
-
-Sie sind, sagte der Diener, der Herr Theophil von Leitmark.
-
-So, sagte der Thor, ich dachte Ebermann, Hardeber, oder sonst. Nun, mir
-kann's gleich gelten.
-
-Der Arzt hatte sich wieder gesammelt, nahm Abschied vom Pfarrer, bat der
-Störung wegen um Verzeihung, und zog dann halb gewaltsam den Rath zum
-Wagen. Lassen Sie mich nur noch ein Wort mit Pankraz sprechen, sagte
-dieser. Doch Pankraz und Theophil waren eiligst verschwunden, und der
-Pfarrer erzählte, daß Beide oft Wochen lang in der Gegend, nahe und
-fern, auf ihren Pferden umher streiften, und man alsdann nur selten
-erführe, wo sie auf ihren thörichten Irrfahrten verweilten. Der Arzt hob
-seinen Freund selbst in den Wagen und sagte dann laut: Lassen Sie uns
-doch nun unser Ziel verfolgen, den Grafen Birken suchen, nach Raimund
-spähen; fahre Herr Theophil und sein Pankraz wohl, und sei unser lieber
-Herr Pfarrer Kilian auf immer dem Himmel befohlen; denn hieher werden
-wir auf keinen Fall wieder kommen! Niemals, denn wir haben noch eine
-weite Reise vor uns!
-
-Der Rath sah ihn verwundert an, und wollte fragen; aber das Rollen des
-Wagens hinderte jetzt noch das Gespräch, und sie hatten in kurzer Zeit
-das Dorf und die Gegend verlassen.
-
- * * * * *
-
-Baron Wolfsberg hatte unterdessen fleißig arbeiten müssen. Um sich nicht
-zu verrathen, durfte er am Tage nicht so lange schlafen, als es ihm wohl
-gut und heilsam gewesen wäre. Der kleine Friedrich führte eine strenge
-Aufsicht über ihn und ermunterte ihn kräftig, wenn er einmal ermatten
-wollte. Als das Geschäft des Eingrabens schon weit gediehen war, zeigte
-sich die größte Schwierigkeit darin, die aufgehäufte Erde, welche bei
-der zunehmenden Arbeit immer hinderlicher wurde, fortzuschaffen. Doch
-Friedrich wußte auch dafür ein Mittel. Es gelang ihm, aus dem Garten
-einen Schiebkarren unbemerkt zu entfernen, und in die unterirdischen
-Gewölbe zu befördern. Da er aber selbst für die Arbeit viel zu
-schwächlich war, so mußte der junge Baron auch das Geschäft übernehmen,
-Sand und Erde herauf zu führen, und in die weit verbreiteten Räume der
-Keller zu verfahren und auszustreuen. Gewöhnlich holte Friedrich den
-nächtlichen Arbeiter schon vor eilf Uhr ab, und ließ ihn erst gegen vier
-Morgens zurück kehren, so daß auch Wolfsberg durch den wenigen Schlaf,
-da überdieß die Kost nicht die nahrhafteste war, sich nach wenigen
-Wochen ziemlich abgemattet fühlte. Er wurde mager, still und
-melancholisch, und sah dem jungen frischen Manne und dem übermüthigen
-Weiberliebling kaum mehr ähnlich, in dessen Gestalt er zuerst das Haus
-betreten hatte. Der Director schaute ihn oft prüfend an, untersuchte
-seinen Puls, und erkundigte sich theilnehmend, ob ihn ein besonderer
-Gram quäle. Wolfsberg aber, der sich schmeichelte, bald das Ziel seiner
-Anstrengungen erreicht zu haben, wich allen prüfenden Fragen sorgfältig
-aus.
-
-Zu einer Mittagsstunde ward der junge Mann dadurch überrascht, daß ihn
-sein getreuer Friedrich an den Tisch des Directors zum Essen einlud. Er
-fand dort nur eine kleine Gesellschaft, und außer dem Wirthe nur einen
-schmächtigen, ziemlich alten Prediger aus der benachbarten Stadt, der
-zuweilen in einer Capelle des großen Hauses den Verwirrten predigte und
-sie zu ermahnen und bekehren suchte, meist aber durch possierliche
-Störungen gehemmt und unterbrochen wurde. Außer Wolfsberg war nur noch
-Herr Kranich gewürdigt worden, an diesem kleinen vertraulichen Tische
-Platz zu nehmen; Friedrich war mit zur Aufwartung zugegen. Sie sehn,
-meine Herren, fing der Director mit einer heitern Miene an, die man
-nicht an ihm gewohnt war, ich behandle Sie heute als Männer, die sich
-selbst in der Gewalt haben. Der Herr Pastor und ich hoffen von Ihrer
-Unterhaltung Vergnügen und Aufheiterung; denn sich in diesem großen
-Hause immer so einsam zu fühlen, ist wahrlich nicht erfreulich.
-
-Wohl, sagte der Pfarrer schmunzelnd; und es will mir oft vorkommen, als
-wenn unsre Freunde nur etwas mehr kräftigen Willen haben dürften, um so
-wie wir Andern zu seyn; aber ich versichre Sie, Herr Director, und Ihre
-eigene Beobachtung wird es Ihnen auch bestätigt haben, daß die leidige
-Eitelkeit, der Stolz auf irgend eine Grille, die man nicht ablegen will,
-sehr viel, ja bei manchen unsrer Patienten wohl das Allermeiste thut.
-
-Friedrich mußte dem Baron, so wie dem Herrn Kranich Wein einschenken,
-damit sich beide, vorzüglich der junge Graf, wie ihn der Director
-nannte, stärken möchten. Freilich haben Sie Recht, Herr Pastor, setzte
-dieser das Gespräch fort; denn wer von uns fühlt wohl nicht, daß er sich
-nur nachgeben und verweichlichen dürfte, um diese oder jene Seltsamkeit
-auf die wunderlichste Art auszubilden, und dadurch bei stärkern Menschen
-Anstoß oder Lachen zu erregen?
-
-Mein Herr Director, antwortete der Geistliche, es ist überdieß im
-Thörichten (Verzeihung, meine Herren, daß wir so offen über diesen
-Gegenstand sprechen) etwas so Anlockendes, fast Liebliches, daß man
-zuweilen recht im ganzen Wesen den unwiderstehlichen Reiz spürt, mit
-beiden Beinen frisch und wohlgemuth hinein zu springen. Soll ich? Soll
-ich nicht? so fragt man sich selbst. Warum nicht? sagt eine curiose
-Stimme, aus dem fernsten und buntesten Winkel unsers Geistes; tausend!
-ruft es, was kannst du da erfahren, und dich genießen, ja erst recht
-verstehen, wenn du der Altklugheit ein Schnippchen schlägst. Aber zum
-Glück kommt dann wieder eine ehrbare, aschgraue Moral, die mit ernster
-Miene sagt: widerstehe dem Verführer und seiner Lockung, laß dich nicht
-in die Kellergewölbe des Wahns führen, wo trotz aller Versprechungen
-keine Schätze liegen!
-
-Kellergewölbe? fragte Wolfsberg und wurde roth; wie kommen Sie nur auf
-dieses Gleichniß, das mir hier gar nicht passend scheint!
-
-Der Director sah ihn schon wieder mit dem prüfenden Blicke an, und
-Friedrich machte ihm gegenüber eine so seltsam bittende Miene, seine
-beiden Wangen zitterten und zuckten, die Lippen schmiegten und krümmten
-sich wie ein Wurm, und die Augen zwinkelten so bedeutend, daß Wolfsberg
-in das lauteste Gelächter ausbrechen mußte.
-
-Gebe der Himmel, sagte der Director, daß unsre Mahlzeit mit der
-Heiterkeit schließe, mit welcher sie anzufangen scheint. Gewiß, fiel der
-Prediger ein, ist zu wünschen, daß wir so fröhlich bleiben mögen: aber
-um fortzufahren, so kommt es mir noch immer nicht so ganz ausgemacht
-vor, ob die Mania (wir wollen dies Wort brauchen, um keinen Anstoß zu
-erregen) in uns Allen liegt, und nur wie bei den Lastern durch
-Nachgiebigkeit befördert und gereift wird, so daß der gewöhnliche
-Verstand nur in gewissen Graden von ihr entfernt seyn möchte: oder ob
-sie eine radicale Verschwiegenheit, ein wahrhaft kranker Zustand, ein
-andres und schiefgerichtetes Verhältniß der Seele ist.
-
-Das Letzte und auch zugleich das Erste, meinte der Director, und darum
-sei auch die Cur leicht und schwer zugleich: leicht, weil man sich den
-Verirrten nur hingeben müsse, sie zu verstehn suchen, da immer noch
-Verständniß, oft eine Art System zum Grunde liege, sie achten, ihnen zur
-passenden Zeit nachgeben, ein ander Mal Strenge üben; und von dieser
-Seite sei wohl keiner ganz unheilbar zu nennen: schwer sei die Cur aber,
-weil man die Symptome oft mit dem Grunde der Krankheit verwechsle, den
-Verirrten dann nur störe und kränker mache, -- für ein schwaches Gemüth
-aber, wie er selbst, sei sie dadurch am schwersten, daß man, um diese
-Menschen zu verstehn, mit dramatischem Geiste zu tief in sie eingehe,
-leicht in eine Art Täuschung gerathe, und wenn man sich dann plötzlich
-prüfe, sich selbst beinahe auf dem nämlichen Wege finde.
-
-O mir aus der Seele gesprochen! schmunzelte der Geistliche; ach, Herr
-Medicinalrath, was sind Sie für ein Menschenkenner! Da liegt freilich
-recht eigentlich der Hund begraben, daß man, wie man im Trauerspiel
-weint, indem man sich in die Confusion hinein denkt, selbst confus wird.
-^Dis moi qui tu hantes etc.^ Ja wohl, ja wohl, ein wahres
-Sprichwörtchen! Ich habe schon zuweilen die Meinung fassen wollen, daß,
-um als Seelsorger auf die guten Leutchen zu wirken, einer gefunden
-werden müßte, der, wenn auch nicht ganz in die Irre, doch ein wenig
-jenseit der Schnur gerathen wäre, und doch noch genug kräftige Religion
-übrig behalten hätte, um die Seelen zu ergreifen. Denn das, bester Herr
-Director, ist das Schlimme, daß, wenn man nicht selbst in ihren Orden
-eingeweiht ist, man fast niemals die rechte Perspective trifft. Sie
-wissen, wie ich in meinen Predigten gesucht habe, in Ton, Geberde und
-Beispiel mich den armen Drehschaafen zu nähern, aber manchmal zu wenig,
-oft aber viel zu viel that; Sie selber machten einige Male die
-Bemerkung, ich hätte wie ein wahrer Narr gesprochen. Ich mußte Ihre
-eigne Seele freilich ganz aus dem Spiele lassen; denn ich wußte ja, wie
-firm und kräftig Sie in Moral, Tugend und allen Glaubenslehren sind.
-
-Sie gaben einige Male ein schlechtes Beispiel, sagte der Director; denn
-Sie lachten auf der Kanzel selbst aus vollem Halse.
-
-Der ernsthafteste Mann hätte es nicht unterlassen können, sagte der
-Prediger, von Neuem laut lachend. Denken Sie, Herr Graf, wir hatten hier
-in unserm Hause einen jungen Mann, der ein Baukünstler gewesen war; er
-hatte aber eine so heftige Liebesleidenschaft zur Tochter eines
-Perückenmachers gefaßt, daß er darüber sein Studium verließ, und das
-Handwerk des Meisters ergriff; da ihm aber das Mädchen untreu wurde, mit
-Erlaubniß von Ihnen, so zu sagen, überschnappte. Nun bestand seine
-Grille darin, sich und alle Menschen, die er dazu bewegen konnte, auf
-die sonderbarste Weise zu frisiren. An jedem Tage hatte er eine neue
-wunderliche Kopfverzierung ersonnen, und ich glaube, daß ihn bei diesen
-mannigfaltigen Erfindungen sein ehemaliges Studium der Baukunst sehr
-unterstützte. Ich predige hier an einem Pfingsttage, und sehe die liebe
-Gemeinde unter mir. Der Verwilderte hatte sich furchtbar ^à la Herisson^
-frisirt, so daß ihm die Haare wie Borsten vom Kopfe weit weg abstanden;
-sieben oder acht seiner Freunde standen und saßen neben ihm mit
-hochaufgewirbelten Papillotten, ein Anblick, der schon sonderbar genug
-war, weil viele Papierbündel wirklich wie aufgerichtete Krämerdüten auf
-den Köpfen leuchteten. Nun nahm aber er einen nach dem andern von seinen
-Anhängern zwischen die Knie, und frisirte ihn während meiner Predigt
-eben so fantastisch, wie er selbst sich trug, so daß gegen das Ende der
-Rede ein Theil meiner Andächtigen wie eben so viele wilde Teufel
-aussahen, und ich des Lachens wegen, das mich befiel, früher schließen
-mußte, als ich mir vorgesetzt hatte.
-
-Friedrich wollte sich ausschütten vor Lachen, und der Director
-erwiederte: so wie der Verstand, so hat die Narrheit des Menschen keine
-Gränzen. Jetzt ist ein Mann bei uns, der sich immer mit einem Maaßstabe
-herumtreibt und ihn unablässig betrachtet und rechnet. Dieser Mensch ist
-ziemlich wohlhabend und besitzt in der Stadt drüben ein mittelmäßiges
-Haus. Es verdroß ihn aber, daß, wenn er so manche größere Häuser des
-Ortes betrachtete, ihm sein ererbter Wohnsitz nur winzig und unbedeutend
-erscheinen mußte. Mit diesem Verdrusse schleppte er sich Tag und Nacht,
-und wußte doch kein Mittel, dem Uebelstande abzuhelfen. Endlich, weil er
-vor Hochmuth weder mehr schlafen noch essen konnte, faßte er einen
-seiner Thorheit würdigen Entschluß. An einem schönen Sommertage geht er
-aus, miethet auf dem Markte vier der stärksten Tagelöhner, und nimmt sie
-mit in seine Wohnung. Hier führt er sie in sein größtes Zimmer; jeder
-von ihnen muß sich gegen eine Wand stemmen und mit allen Kräften dagegen
-drücken, bis er ihnen Halt zuruft. Sie empfangen ihren Lohn, ohne zu
-begreifen, was sie gearbeitet haben. Am folgenden Tage wird derselbe
-Versuch wiederholt; sie müssen streben und drängen, daß ihnen der
-Schweiß herab fließt, genau auf sein Commandowort achten, und in
-demselben Augenblick alle zugleich zu drücken aufhören, wie sie in
-demselben begonnen haben. So treibt er es den ganzen Sommer; er
-erweitert nach und nach alle Zimmer seines Hauses, die Gänge, die
-Treppen, den Hof; und nachdem er so eine bedeutende Summe ausgegeben
-hat, ist er fest überzeugt, sein Haus sei das größeste in der ganzen
-Stadt. Er spaziert Stunden lang mit hoher Verehrung vor demselben auf
-und nieder, er zeigt erstaunten Fremden seine unermeßlichen Säle, er
-fängt an, sich selbst den Grafentitel beizulegen, hängt ein gemaltes
-Wappen über seine Hausthür, und ist auf einige Zeit unser Gast geworden,
-um sich wieder auf die Wahrheit besinnen zu lernen. Sehn Sie, lieber
-junger Herr Graf, so sonderbare Verirrungen fallen vor, daß dieser Mann
-sogar den sichtlichen Raum seines Hauses nicht mehr hat wahrnehmen
-können.
-
-Sie beweisen mir heute ein so schönes Vertrauen, erwiederte Wolfsberg,
-daß ich es wohl wagen darf, noch einmal das Wort zu wiederholen, mit
-welchem ich Ihr Haus zuerst betrat, daß ich nämlich durchaus nicht der
-bin, für welchen Sie mich halten, und daß Sie, wenn Sie mich nur einer
-ruhigen Prüfung würdigen wollen, mich eben so wenig des Verstandes
-beraubt finden werden, als den Herrn Prediger, oder als Sie es selber
-sind.
-
-Der Director winkte mit dem allerfinstersten Blicke, und Friedrich,
-welcher jede seiner Mienen verstand, nahm schnell den Wein vor Wolfsberg
-weg, und stellte ihm ein großes Wasserglas hin. Es geht nicht, rief der
-Director, so mit Ihnen zu leben, wie ich wünsche. Da Sie jetzt so
-abgefallen und fast miserabel aussehen, da Ihr Blick so demüthig ist; so
-glaubte ich wirklich, Sie hätten in sich geschlagen, und ich dürfte Sie
-durch bessere Speise und Wein erquicken. Aber an Ihnen ist Hopfen und
-Malz verloren. Wie, Sie wollen wirklich streiten, daß Sie der Graf
-Birken, einer der confusesten jungen Männer sind? daß Sie schon tausend
-Händel angezettelt, und dafür drei oder vier Mal ansehnliche Schläge
-empfangen haben? daß Sie es zu guter Letzt gewagt, sich mehrmals in das
-Haus des Barons von Halden einzuschleichen, und das Unglück seiner
-sinnverwirrten Tochter durch Liebesbriefe und mündliche Betheuerungen
-erhöht, ja sie endlich beredet haben, sich von Ihnen entführen zu
-lassen? Hier ist die Klage des Barons, hier sind Ihre kläglichen Briefe,
-hier ist die Ordre vom Minister, Sie gefangen zu halten. Wollen Sie aber
-dieser Graf Birken nicht seyn, so zeigen Sie uns Pässe, oder Schriften,
-durch welche Sie sich ausweisen können; stellen Sie angesehene Bürgen!
-Aber man hat Sie dort im Hause nur zu gut erkannt, und Sie zu oft aus-
-und einschleichen sehn, Sie auch zuletzt im Zimmer der Tochter selber
-ergriffen. Und nun kein Wort mehr über die Abgeschmacktheit, wenn Sie
-nicht bei Wasser und Brod in Ihrem Zimmer wollen eingesperrt seyn.
-
-Wolfsberg las die Papiere mit Aufmerksamkeit durch, und wagte es nicht,
-noch ein einziges Wort zu seiner Rechtfertigung zu erwiedern. Friedrich
-sah ihn tröstend an und warf heimlich höhnische Blicke auf den Director;
-der aufmerksame Herr Kranich aber war schnell mit der kleinen Peitsche
-bei der Hand, um die bösen Geister von Wolfsbergs Schultern zu verjagen.
-Der Director wurde noch zorniger und rief: stecken Sie die verdammte
-Peitsche ein! Ich glaubte, Sie würden doch wenigstens mein Vertrauen und
-mein Zimmer so weit ehren, das Zeichen Ihres Aberwitzes in Ihrer Klause
-zu lassen.
-
-Der Rothrock steckte zwar die Peitsche wieder ein, machte aber ein
-zorniges Gesicht, sah den Director mit großen Augen unverwandt an und
-sprach dann laut: Aberwitz, mein Herr? Dieses Worts sollen Sie sich
-jetzt und Ihre Lebenszeit hindurch schämen! Ich kam an Ihren Tisch in
-dem festen Vertrauen, daß Sie doch so viel Vernunft haben würden, mich
-nicht mit den mancherlei Gecken, von denen heut Mittag die Rede gewesen
-ist, in eine Classe zu werfen, und mich nicht mit dem Gezücht
-vergleichen zu wollen, was da unten im Saale sein Gaukelwesen treibt.
-Ich brauche, dem Himmel sei Dank, nicht curirt zu werden; auch will ich
-niemals curirt seyn; denn meine Vernunft, Herr, ist probefest, und auf
-die Dauer gearbeitet, und ich bin noch niemals, wie Sie von sich vorher
-zugestanden haben, in Gefahr gerathen, mit Närrischen närrisch zu
-werden. Wer wären Sie denn, wenn ich nicht das Geschmeiß der Pygmäen
-immer wieder aus Ihrem Hause vertriebe? Ich will diese liebe Peitsche
-nur kurze Zeit ruhen lassen, und Sie werden es an sich erfahren, daß Sie
-ein ruinirter Mann sind, daß Sie überschnappen, daß Sie zum Kinderspott
-werden. Wie? Was? Es gäbe wohl am Ende gar keine Pygmäen? Haben sie
-nicht schon die alten Griechen erkannt, aber nach ihrer dummen Weise
-darüber gefabelt. Sogar von mir und meinem großen Einfluß auf sie hat
-man in uralten Zeiten dunkle Legenden und Ahndungen gehabt; aber man
-dichtete, daß die Pygmäen ein wirkliches Volk seien, so klein, daß die
-Kraniche Krieg mit ihnen führten. So erbärmlich hat man die Sache und
-meinen Kampf mit ihnen entstellt. Heut zu Tage nennen sie's das böse
-Princip. Nicht wahr, da ist mehr Verstand drin! Nein, da lobe ich mir
-meine süße, liebe Peitsche; und wo ich bin, muß diese auch seyn. ^Dixi.^
-
-Der Geistliche sagte: nicht so übel! aber der Director fuhr auf: wenn
-Sie so großen Geschmack an Narren finden, ehrwürdiger Herr, so mögen Sie
-es haben. Er verließ das Zimmer; die Uebrigen folgten ihm nach.
-
- * * * * *
-
-Was machen Sie nur? fragte der Rath den Arzt, als der sandigere Weg
-wieder ein Gespräch erlaubte. Wir sollten lieber hier noch verweilen,
-vorzüglich Ihretwegen, da Sie doch nun Ihren theuern Grafen gefunden
-haben; und Sie selbst ziehen mich wie mit Gewalt in den Wagen, und
-erklären, Sie wollten niemals wieder hieher zurück kommen.
-
-O mein bester Rath, sagte der Arzt halb lachend; für einen
-Rechtsgelehrten sind Sie mir doch etwas zu treuherzig und für einen
-Inquisitor und Nachspürer gar zu arglos. Der Birken ist entlaufen, Vater
-und Tochter sind mir entgegen. Vermuthen diese, ich komme wieder, so
-finde ich meinen Entsprungenen niemals und es geschieht, was ich
-verhindern will; kann ich sie aber sicher machen, daß ich nicht zurück
-kehre, so überrasche ich den vollständigen Familienkreis wohl in Kurzem.
-Mit Ihrem lieben Pankraz ist es derselbe Fall; er hat sich unsichtbar
-gemacht, und zeigt sich nur, wenn er uns entfernt weiß.
-
-Was hat der ehrliche alte Mensch mit dieser Sache, ja mit irgend einer
-zu thun? antwortete der Rath. Er hat damals genug gelitten, als seine
-Unvorsichtigkeit dem armen Raimund so theuer zu stehen kam; der Mensch
-mußte sogleich den Dienst verlassen und dem Zorn des alten Barons
-entfliehn.
-
-Der Arzt lachte laut auf. Wenn meine Menschenkenntniß mich nicht ganz
-trügt, sagte er endlich, so ist dieser gute alte Pankraz ein
-durchtriebener Schurke, und jener braun- und blauäugige Baron nichts
-Geringeres.
-
-Sie schwärmen, lieber Freund.
-
-Und Sie schlagen selbst etwas in die Farben, in denen Sie mir Ihren
-Raimund gezeichnet haben. Haben Sie denn nicht bemerkt, wie verlegen das
-Pankraziengesicht wurde, als es Sie erblickte? Schon vorher wurde er
-blaß, als ich ihn nach Blanka fragte. Er weiß uns Raimunds Aufenthalt
-gewiß zu entdecken. Können Sie sich in der Stadt durch Freunde oder
-Autorität eine Vollmacht verschaffen, um den Schurken, wenn Sie ihn
-wieder ansichtig werden, zu verhaften, ihn zu erschrecken; so erfahren
-wir gewiß Alles, und der Zweck Ihrer Reise ist erfüllt.
-
-Wenn Sie Recht hätten! sagte der Rath. -- Er befahl dem Kutscher nach
-der Stadt zu fahren.
-
- * * * * *
-
-Bei der Gesellschaft im Saale waren einige Veränderungen vorgegangen.
-Die beiden Redner hatten sich immer noch nicht versöhnt und jeder
-vermied den andern; die Schachspielenden schienen auch weniger einig,
-als sonst, und der Mann mit dem Maaßstabe war unruhiger, und lief hastig
-hin und wieder. Wolfsberg gesellte sich zu diesem, und fragte, was ihm
-fehle. Ach, mein Herr, sagte dieser heftig bewegt, Sie haben gewiß auch
-von meinem großen Hause gehört, welches ich durch meine Geschicklichkeit
-so ansehnlich gemacht hatte. Das konnte mir der Neid nie vergeben, daß
-ich durch Wissenschaft Besitzer eines der größten Paläste in der Stadt
-seyn sollte. Bald hieß es, durch die übermäßige Ausdehnung habe der Bau
-eine so zarte Constitution erhalten, daß er bei der nächsten
-Veranlassung, wenn etwa Truppen marschirten und die Trommel gerührt
-würde, erschreckend, wie in einem Nervenfieber zusammen stürzen müsse.
-Andre meinten gar, ich hätte die Stadt dadurch verengt, und die
-nahestehenden Häuser und Gassen litten darunter: als wenn der unendliche
-Raum etwas so Beschränktes wäre, daß man die Welt so leicht verderben
-könnte. Ich erbot mich, die ganze Stadt durch Beobachtung des Tactes
-auszudehnen, und sie, wenn wir Geld und Zeit genug hätten, größer als
-London oder Nanking zu machen. Aber die Bosheit hörte auf nichts; ich
-mußte mich hieher in die Einsamkeit zurück ziehn. Und was ist nun im
-Werke? Sollten Sie's glauben, daß die Verderbtheit der Menschen so weit
-gehen könne! Eine ganze Schiffsladung von Gummi elasticum läßt man mit
-Erlaubniß des Parlaments von England kommen. Fünfhundert Menschen zerren
-das Zeug aus einander; man practizirt es so, nach allen Seiten
-ausgedehnt, unter meinen Palast, und auf ein Zeichen von dem
-nahestehenden Kirchthurm (denn auch die Religion wird dazu gemißbraucht)
-lassen alle fünfhundert Bösewichter in einem und demselben Augenblicke
-die Gummifetzen los; das unglückselige Zeug schnappt zusammen, und nimmt
-unwiderstehlich Breite und Länge meines Palastes mit sich, der durch
-dieses höllische Kunststück wieder zu einem gewöhnlichen Hause
-zusammenschrumpft. Denn das giebt die Vernunft, daß, da das elastische
-Unwesen sich nun in der Grundlage an das Gebäude anklemmt, keine
-menschliche Kraft, keine Wissenschaft, kein noch so gut observirter Tact
-dazu hinreicht, es aus den Gummi-Klauen zu retten und wieder aus
-einander zu dehnen.
-
-Wolfsberg mußte dem Klagenden Recht geben; doch wurde jetzt seine
-Aufmerksamkeit auf einen jungen Menschen gerichtet, der zum Saale herein
-schlich, und den er bisher noch niemals gesehen hatte. Methusalem kommt
-einmal wieder! riefen Einige, und über die blassen Wangen des kranken
-Jünglings lief ein leichtes Roth. Wie nennen Sie ihn? fragte der Baron.
-O er heißt nur so, antwortete Sokrates, der eben vorüber ging, weil das
-Gespenst schon so außerordentlich bei Jahren ist, daß, gegen ihn
-gerechnet, Methusalem selbst noch in den Kinderschuhen steckt.
-
-Die Gestalt und das Wesen des Jünglings waren so wunderbar und von
-Allem, was sich in diesem Hause zeigte, so verschieden, daß sich
-Wolfsberg wie gezwungen fühlte, sich ihm langsam und mit Blödigkeit zu
-nähern. Der Jüngling war schlank und mager, seine Geberde ruhig und
-edel, sein Gesicht schön, aber blaß und abgefallen; die Augen glänzten
-so überirdisch, daß man vor ihnen erschrecken konnte, wenn nicht eine
-süße Schwermuth ihr Feuer wieder gemildert hätte. Der junge Mensch
-schritt dem Baron entgegen, vielleicht, weil ihm auch dessen Gestalt und
-Wesen, als ein milderes, auffiel. Wolfsberg war um Worte verlegen, mit
-welchen er das Gespräch eröffnen könne; aber der Kranke kam ihm zuvor,
-nahm ihn bei der Hand und sagte mit der lieblichsten Stimme: was fehlt
-Ihnen?
-
-Meine Vergehungen, sagte der Baron in einem fast zerknirschten Tone,
-haben mich hieher geführt. Aber woran leiden Sie?
-
-Ach! klagte der Jüngling, daß ich so gar übermäßig alt bin; die große
-Menge der Jahre drückt mich zu Boden. Wie alt schätzen Sie mich?
-
-Höchstens drei und zwanzig Jahre, sagte der Baron.
-
-Des Jünglings Gesicht ward noch wehmüthiger und zwei große Thränen
-fielen aus den Augen. Sie sehn, sagte er mit seiner lieblichen Stimme,
-wie ich lachen muß. Nun bin ich gerade sechstausend dreihundert und vier
-und neunzig Jahre alt. Gestern Nachmittag hatte ich nur sechstausend und
-vier und neunzig: und denken Sie, in der kurzen Zeit bin ich schon
-wieder um die dreihundert Jahre älter geworden.
-
-Sie setzen mich in Erstaunen, sagte Wolfsberg.
-
-Wissen Sie denn, was die Zeit ist? klagte jener weiter. O Lieber,
-mancher Achtzigjährige geht zu Grabe, und hat vielleicht nicht zwanzig
-Jahre, nicht zehn gelebt. Vielleicht giebt es Menschen, die von der
-Geburt an bis zum Greisenalter nicht zur Zeit erwachen, und erst jenseit
-die erste Stunde müssen kennen lernen. In der Gleichgültigkeit ist kein
-Strom; weder Vergangenheit, noch Zukunft, auch keine Gegenwart. Freude,
-Jubel und Glück sind rasende Kinder, die tobend umher springen und das
-zarte Stundenglas zerbrechen; hinter ihnen steht Tod und Nichtsein, --
-der Himmel gab uns dafür keine Sinne. Aber im Schmerz, im Schmerz! Wie
-durch diesen Wunderbalsam die Secunde, die das Auge kaum unterscheidet,
-aufschwillt und mit der Ewigkeit schwanger wird! Ja, mein junger
-Zeitgenosse, ich habe Tage erlebt, in denen Jahrhunderte eingewickelt
-waren; sie lösten sie aus ihren Schleiern und legten sich mir um die
-Seele. Dann kam eine Stunde, eigentlich nur ein Augenblick; da sprang
-die ganze aufschwellende Knospe entzwei, in der mir die Zeit in
-duftenden Blättern aus einander blühen sollte, und ein Alles und Nichts,
-ein großer ewiger Tod, in dessen finsterm Herzen kindisch das süßeste
-Leben lächelte, brach mit Gewitternacht über mich ein. Da waren die
-Jahrtausende verlebt, dieselben, an denen das Menschengeschlecht, ohne
-sie nur zu kosten, vorüber kriecht. Schmerz, Herz, Scherz: nicht wahr,
-im Schmerz ist Alles, was die Andern nur einzeln aussprechen? Leben Sie
-wohl, und hüten Sie sich, so alt zu werden! Ich gehe wieder auf mein
-Zimmer, denn wenn diese großen Minuten mich besuchen wollen, müssen sie
-mich wach finden. Adieu, junger Mann, vielleicht bin ich schon acht oder
-zehntausend Jahre, wenn wir uns wiedersehn. Er wankte hinaus, und keiner
-von den Gegenwärtigen achtete auf ihn.
-
-Die Uebrigen umringten Wolfsberg, und Sokrates, der den Sprecher im
-Namen Aller zu machen schien, sagte: junger Herr, wir Alle sind es nun
-endlich überdrüssig, Sie noch länger diese triviale Rolle spielen zu
-sehn, mit der Sie uns Allen herzliche Langeweile machen. Nicht der
-Unbedeutendste hier, der nicht sein Pfund wuchern ließe; und Sie wollen
-immer noch als leutseliger Beobachter sich herum treiben? Fordert die
-Menschheit nicht auch Ihre Kraft und Ihren Entschluß? Sie sollen nicht
-länger der Niemand seyn, mit dem Keiner von uns etwas anzufangen weiß.
-
-Meine Herren, sagte Wolfsberg in einer sonderbaren Stimmung, die aus
-Schmerz und toller Laune gemischt war: da Sie mich Alle mit einem so
-gütigen Zuruf und schmeichelnden Zutrauen beehren, und da ich sehe, daß
-uns hier eine so glückliche Republik umfaßt, in der uns weder Gesetze
-der Zeit noch des Raumes tyrannisiren, und eine so freie Verfassung
-unsre Kräfte erhebt, daß auch selbst das Unmögliche möglich wird: so
-will ich denn auch nicht länger hinter dem Berge halten, mich Ihnen
-entdecken und Ihren herrlichen Bestrebungen anschließen. Wissen Sie
-also, daß ich das Eigne an mir habe, daß ich schon öfters gelebt habe,
-vielerlei Zustände erfahren, und mein dermaliges Leben nur als die
-hundertste Wiederholung in einer etwas veränderten Modification
-aufführe.
-
-Wie meinen Sie das, Trivialer? fragte der Leser.
-
-Dieselben geruhen, antwortete Wolfsberg, mit Ihrer unvergleichlichen
-Stupidität nicht zu capiren. Ich war mit Einem Wort, genau nach der
-Lehre des Pythagoras, schon in vielfachen Gestalten im Leben. Ich war
-König, Kaiser, Bettler, Vater, Sohn, lasterhaft, zur Tugend geneigt,
-glücklich und elend.
-
-O, sagte der Indianische Schachspieler, Sie fangen an interessant zu
-werden, Männchen; fahren Sie nur so fort, so können Sie noch was
-leisten.
-
-Können Sie uns nicht etwas Bestimmteres von Ihren frühern Verhältnissen
-mittheilen? fragte Sokrates.
-
-Gern, erwiederte der Baron mit geläufiger Zunge, ich war z. B. zugegen,
-als Cäsar ermordet wurde.
-
-Trefflich! rief der Leser; wer waren Sie denn dazumal?
-
-Wer anders, als der berühmte Cassius, antwortete Wolfsberg.
-
-Halt! schrie der aufgedunsene Redner, der noch immer mit der
-Zinnschnalle paradirte, halt! rief seine krächzende Stimme; das ist nur
-Windbeutelei! Denn wenn ich damals hätte leben können, so würde ich
-Cassius gewesen seyn: also ist es pur unmöglich, daß du selbiger
-gewesen!
-
-Dieser leere Wunsch, und die etwanige Möglichkeit, sagte Wolfsberg
-spitzfindig, schließt doch wohl meine wirklich erlebte Wirklichkeit
-nicht aus?
-
-Leerer Wunsch? schrie der aufgebrachte Dichter, in meinem ganzen großen
-Leibe und noch größerem Geiste ist kein einziger Wunsch, den man als
-leer verlästern dürfte! Leer! Ei, den ausgelernten Lehrer! Mit diesen
-Worten schlug er auf den jungen Baron ein. Sokrates wollte seinen
-ehemaligen Schüler zurechtweisen: da dieser aber, noch ergrollt, ihn
-ebenfalls nicht schonte, so verließ auch diesen die sokratische Ruhe.
-Doch, wie es auch wohl bei Vernünftigern zu geschehen pflegt, vergaß er
-den Beginn des Zanks, und sein thätiger Unwille wandte sich nach wenigen
-Augenblicken gegen Wolfsberg. Die Schachspieler, Melchior, der
-Baukünstler, ja Alle im Saale schienen plötzlich von der Ueberzeugung
-begeistert, daß es nothwendig sei, denjenigen, der schon als Cassius und
-in andern Zuständen Vieles gelitten, auch in diesem Momente mit
-empfindlichen Leiden zu überhäufen. Am grausamsten aber wüthete die
-Peitsche des Pygmäen-Bezwingers, dessen Seherkraft auf Rücken und
-Schultern des Armen Myriaden seiner kleinen Gegner erblicken mußte, weil
-er, unbarmherzig gegen sich und den Geschlagenen, in die Geister mit der
-Anstrengung aller Kräfte hinein arbeitete. Entsetzt stürzte Friedrich,
-der seinen fleißigen Arbeiter und Schatzheber unterliegen sah, mit
-fürchterlichem Geschrei zum Director, dessen Autorität und starkes Wort
-den armen, erschöpften Baron auch wirklich frei machte, der sich
-verdrießlich und zerschlagen nach seinem Zimmer begab, und den der
-Trost, welchen ihm Friedrich noch in der Thür zuraunte, daß die nun
-kommende Nacht die letzte und entscheidende sei, in diesem Augenblick
-nicht sonderlich erheben konnte.
-
- * * * * *
-
-Als Friedrich seinen nächtlichen Schatzgräber abrief, fand er ihn sehr
-übel gelaunt. Die Arbeit wird mir zu schwer, sagte er verdrießlich;
-meine Kräfte nehmen ab, und ich muß fürchten, daß diese ganze ungeheure
-Anstrengung vergeblich gewesen ist; denn nach so manchen Wochen, nach so
-vieler herausgegrabenen Erde, da wir doch schon tief genug gekommen
-sind, zeigte sich noch immer nichts. Es wird auch fast unmöglich, die
-Erde aus der Tiefe noch höher herauf zu schaffen, da ich Alles allein
-verrichten muß.
-
-Nur heut noch, flüsterte Friedrich; ich gebe Ihnen mein Wort, heut ist
-die letzte und entscheidende Nacht! Wir müssen nur Anstalt treffen, das
-viele Gold aufzubewahren, ohne daß man es bei uns bemerkt. Und noch
-Eins, verehrter Freund, in der letzten Nacht zeigt sich gewiß etwas
-Sonderbares oder Gespenstisches. Lassen Sie sich nicht überraschen;
-erschrecken Sie nicht, wenn Sie Stimmen hören, ein wunderliches
-Gepolter, Geschrei; wenn Lichter und Geister kommen, und uns das so
-sauer Errungene wieder zu entreißen streben. Denn das ist ihre Art, den
-Glücklichen noch zuletzt zu ängstigen, damit sie ihm seine Beute wieder
-entziehen. Darum hüten Sie sich heute besonders vor jedem Zweifel oder
-gottlosen Wort und Fluch; denn sonst versinkt unser Schatz gleich wieder
-so viele Klaftern tiefer, daß alsdann unsre Arbeit von Neuem und viel
-beschwerlicher anfangen müßte. Heut müssen wir besonders still seyn, und
-uns eine feierliche Manns- und Heldenstimmung geben.
-
-Sie gingen langsam hinunter. Sie flüsterten unterwegs, was sie mit den
-Schätzen beginnen, welche Unternehmungen sie ausführen wollten, wie die
-Welt vor den ungeheuren Dingen erstaunen sollte, die alsdann auftreten
-würden. Wolfsberg sprach davon, wie er sich sein eignes Theater in
-seinem großen Palaste anlegen wolle, und nur den vorzüglichsten
-Künstlern gestatten, bei ihm aufzutreten; Friedrich dachte mehr darauf,
-den Director zu kränken, seinem Hause gegenüber ein anderes, noch
-größeres aufzuführen, und alle Menschen dort kostbar zu bewirthen die
-sein Gebieter nicht leiden könne.
-
-Als sie unten waren, stellte Wolfsberg die Laterne wieder neben sich,
-und fing an seufzend zu graben, da ihm Arme und Rücken, ermüdet, wie sie
-waren, fast den Dienst versagten. Friedrich stand oben auf der lockern
-Erde, und konnte kaum seine heisern anordnenden Worte hinab gelangen
-lassen, so tief hatte sich Wolfsberg schon unter die Fundamente
-eingegraben. Eine schauerliche Stille umgab sie; ganz dumpf und fern
-hörten sie jetzt die große Uhr zwölf schlagen. Wolfsberg dachte nicht
-ohne Grausen daran, daß sich nach seines kleinen Freundes Voraussagung
-nun wohl etwas zeigen könne, und suchte seine Angst durch emsigere
-Arbeit zu betäuben. Friedrich stand hoch über ihm und zitterte an allen
-Gliedern; er wagte es nicht mehr hinab zu sehn; die Erdschollen, wie sie
-von unten aufgeworfen wurden, erklangen ihm fürchterlich, weil er in
-jedem Wurf Schritt und Tritt eines Geistes zu hören glaubte. In der
-größeren Anstrengung warf Wolfsberg die Laterne um, die nur ein
-dämmerndes Licht in der ausgegrabenen Kluft schimmern ließ; Friedrich
-stieß einen leisen Ausruf des Entsetzens aus, und als sich jetzt ein
-seltsames Gepolter vernehmen ließ, ein dumpfes, brausendes Murren, von
-dem man nicht unterscheiden konnte, woher es komme, setzte sich
-Wolfsberg in höchster Angst nieder, ein Geisterheer und furchtbare
-Erscheinungen erwartend. Sein Haar sträubte sich, als das Getöse zunahm;
-und jetzt fiel plötzlich mit schwerem Fall ein Wesen um seinen Hals,
-schlang sich zitternd und weinend an ihn fest und schien ihn erdrücken
-zu wollen. Als Wolfsberg sich etwas besann, erkannte er Friedrich, der
-von oben zu ihm herab gekugelt war, vom Schreck hinunter geworfen. Was
-wird aus uns werden? schluchzte dieser. Aber nur Muth, Muth, mein
-Leidensgefährte! Jetzt vernahm man etwas Bestimmteres, wie Reden,
-Schreien durch einander. Es kam näher; aber nicht aus dem Boden, sondern
-von dem Eingange des Kellers her; Lichtschimmer fingen an sich zu
-verbreiten. Aber da muß das heilige Donnerwetter drein schlagen! brüllte
-jetzt eine Stimme, und der Kleine ließ jetzt den Baron fahren, richtete
-sich auf, und sagte: Gott Lob! es ist nichts, es ist nur unser Herr
-Director.
-
-Mordelement! schrie dieser von oben, wie sieht das hier in den
-Kellergeschossen aus, da müssen wenigstens zwanzig verrückte Spitzbuben
-dran gearbeitet haben. Gewiß ist der Schuft, der Friedrich, wieder auf
-seine alten Tollheiten verfallen, und hat ein Rudel Dummköpfe zu
-Gehülfen genommen. An dir aber will ich ein Exempel statuiren!
-
-Herr Director, Barmherzigkeit! winselte der Kleine von unten hinauf.
-
-Leuchtet! schrie der zornige Mann. Die Diener kamen mit den Lichtern
-näher, stiegen auf die Erdhügel, und man sah jetzt beim Schein die armen
-Sünder, bleich und aufgelöst in Angst, unten stehn.
-
-Wie? schrie der Director, der verrückte Graf ist da unten bei dir?
-Herauf ihr verdammten Kerle!
-
-Langsam und mit Mühe krochen die Verbrecher aus ihrer Grube. Wißt ihr
-wohl, Patrone, eiferte der wüthende Medicinalrath, daß durch eure
-sauberen Bemühungen das Fundament hier gesunken ist, daß die äußere
-Mauer nach Westen einen Riß bekommen hat? daß ich das Recht habe, euch
-in Ketten zu schlagen und an die Wand zu schmieden? Ich erschrecke, wie
-ich heut Nachmittag den Sprung in der Mauer wahrnehme; aber das laß ich
-mir doch nicht träumen, daß der dumme Schatzgräber, der doch seine
-ehemalige Strafe nicht sollte vergessen haben, seine Streiche von Neuem
-angefangen hat. Sprich, wo sind die übrigen Verschwornen?
-
-Der Graf, wie Sie ihn nennen, antwortete der zitternde Friedrich, hat
-Alles ganz allein gemacht.
-
-Was? rief der Director erstaunt; das Kerlchen ganz allein? Allen diesen
-Schutt aufgeworfen? sich wohl vier Klaftern tief eingegraben? die Erde
-in die Gewölbe herauf gefahren und dort abgeladen? Das ist kaum
-menschenmöglich! Und wie lange treibt ihr die Teufeleien?
-
-Seit vier oder fünf Wochen, klagte Friedrich.
-
-Kein Wunder denn, sagte der Director, daß der Unkluge so verfiel und zum
-Jammerbilde wurde. Aber wie konnten Sie nur, Graf, ein solcher Dummkopf
-seyn, und sich von diesem armseligen Schaafe verführen lassen? Merkten
-Sie es denn gar nicht, da Sie doch manchmal Funken von Vernunft zeigen,
-daß er auch zu den Tollen gehört?
-
-Also ist unser Herr Friedrich auch unklug? fragte Wolfsberg.
-
-Was anders? erwiederte der Director: nur weil er anstelliger ist, als
-die Andern, wird er zum Aufwärter, ja Aufseher gebraucht. Nun hat sich
-das Ding freilich geändert. Hätten die Satans nicht uns Narren
-insgesammt den alten Kasten auf die Köpfe schmeißen können!
-
-Mir fiel es oft ein, sagte Wolfsberg kleinlaut, daß hier keine Schätze
-liegen möchten, daß Friedrich vielleicht nicht gesunde Einsichten habe;
-aber weil ich doch einmal die tolle Arbeit angefangen hatte, weil er
-mich so zu lieben, auch ganz zu kennen schien, mehr als Alle, so -- --
-
-Ja, winselte Friedrich, ich mußte dem Narren gleich gut seyn, so wie ich
-ihn ankommen sah; denn betrachten Sie ihn nur, wie er dem berühmten
-Herzog Marlbrough ähnlich sieht, der vor einem halben Jahre bei uns saß,
-und mit dem ich damals auch die große Freundschaft errichtete. Aber da
-er nun doch ein recht verrätherischer Narr ist, will ich Ihnen auch
-sagen, wer er eigentlich ist; denn Sie kennen ihn Alle nicht.
-
-Nun? sagte der Director.
-
-Er ist, fuhr Friedrich trotzig fort, der durch die ganze Welt
-berüchtigte Cartouche, das können Sie mir auf mein Wort glauben.
-
-Scheert Euch beide auf Eure Stuben, rief der Director, und nehmt da auf
-vier Wochen mit Wasser und Brod vorlieb, das ist Eure gelindeste Strafe!
-Die Maurer werden hier wohl eben so lange zu thun finden, ehe das Haus
-wieder fest steht und Alles in Ordnung ist.
-
-Sie gingen Alle hinauf, und die beiden armen Sünder mußten sich seufzend
-in ihre Strafe fügen, die noch härter hätte ausfallen können.
-
- * * * * *
-
-Vor der Stadt lustwandelten die beiden Freunde Walther und Anselm. Sie
-billigen es also, sprach der Letztere, daß ich dem alten Grafen Birken
-Alles, was seinen wilden Sohn betrifft, geschrieben habe, und daß er
-nun, wenn es ihm wichtig genug dünkt, selber kommen und ihn aufsuchen
-mag; denn ich kann meine Zeit nicht länger mit diesen Nachforschungen
-verlieren. Sie wissen, daß mit jedem Posttag die vortheilhafteste
-Anstellung ankommen kann, die ich nicht zurück weisen darf.
-
-Ich bin in allen Dingen Ihrer Meinung, erwiederte Walther, nur darin
-nicht, daß Sie nicht zum Hause des Predigers Kilian zurück kehren
-wollen, wo, wie ich immer noch glaube, wir Alle antreffen würden. Was
-nützt mir nun die Vollmacht, die ich bei mir trage, wenn wir den guten
-Pankraz niemals wieder zu Gesichte bekommen?
-
-Ein Auflauf störte die Unterredung, denn ein Rudel von Jugend war hinter
-der seltsamsten Erscheinung her, die ihnen zu entlaufen suchte. Eine
-lange Gestalt im rothen Tressenrocke, kleinem goldbesetzten Hut und
-großem Haarbeutel, einem feinen Degen mit Porzellan-Griff an der Seite,
-in aufgewickelten seidenen Strümpfen und Corduan-Schuhen mit rothen
-Absätzen, stolperte ihnen unbehülflich entgegen, und bat mit kläglicher
-Stimme um Hülfe gegen die ausgelassene Jugend. Sie halfen dem alten
-Manne in ihren Gasthof, vor dem sie eben standen, und als sie im Zimmer
-dem Geschrei und Lärmen des nachfolgenden Haufens entgangen waren,
-erkannten die Freunde zu ihrem Erstaunen an dem hochauffrisirten und
-gepuderten Kopf das Gesicht des verdächtigen Pankraz. Wie bin ich Ihnen
-verbunden, meine werthen Herren, sagte er, den Rath von der Seite
-betrachtend, daß Sie mich gerettet haben!
-
-Der Arzt, welcher fürchten mochte, daß bei der Milde seines Freundes
-vielleicht die Sache nicht die rechte Wendung nehmen könnte, bemächtigte
-sich gleich des Gespräches, indem er mit barschem Tone sagte: wir kennen
-Euch recht gut, alter Narr Pankraz; wie seid Ihr in diesen Habit
-gekommen, und was hat die Posse zu bedeuten?
-
-Ach, mein Herr, sagte der Diener, wir sind schon einige Zeit von unserm
-Prediger entfernt --
-
-Das wissen wir, unterbrach ihn der Arzt, und auch den saubern Grund,
-weil der gute Pankraz uns nicht gern dort treffen wollte. Doch das wird
-sich Alles finden!
-
-Nun kann ich meinen Herrn, fuhr der Diener fort, nachdem er den Arzt ein
-Weilchen mißtrauisch angesehn hatte, so ziemlich regieren; er folgt mir
-in wichtigen Sachen immer, wenn er auch murrt, und hat mehr Respect und
-Furcht vor mir, als vor dem Herrn Prediger selbst; aber an einem
-einzigen Tage im Jahr ist er durchaus nicht zu bezwingen; an seinem
-Geburtstage nämlich; da muß ich ihm in allen Dingen seinen Willen thun,
-wenn ich ihn nicht wüthig machen soll. Heut ist der Unglückstag, und da
-faßte er schon vorige Woche den Gedanken, ich müßte heut als Herr
-angeputzt seyn, und er wollte meinen Bedienten vorstellen. Ich bat und
-flehte; aber umsonst. Ich wollte wenigstens den Spaß auf dem Lande
-treiben; half nichts. Er staffirt mich also aus, und lehnt das Zeug dazu
-von Juden und Christen zusammen; er selber tritt in einer engen
-hechtblauen Livree hinter mir her, und da sich die Jungen versammeln,
-fängt der böse Mensch zuerst an, mich auszulachen, und schreit hinter
-mir drein, ich sei der ewige Jude. So bin ich durch die halbe Stadt
-verfolgt worden, und hoffe nun durch Sie den Habit los zu werden, und
-sicher nach unserm Wirthshause zu kommen.
-
-Das wird alles nicht nöthig seyn, sagte der Arzt kaltblütig, der gute
-Pankraz wird wohl anderswo ein Unterkommen finden. Seht, der Herr Rath
-Walther hat sich zu Eurem Besten vom Gerichtspräsidenten hier in der
-Stadt, der sein naher Verwandter ist, diese Vollmacht geben lassen, Euch
-zu greifen, wo Ihr Euch betreffen ließet, und den Gerichten zu
-überliefern; wo Euch dann das Zuchthaus wenigstens gewiß ist, wenn Euch
-nicht, wie ich glaube, Kette und Karren auf dem Vestungsbau erwartet.
-
-Mein Himmel, sagte der Alte zitternd, indem er einen schnellen Blick in
-das große Blatt warf, wodurch denn -- dieser Verdacht -- ach! Herr Rath
--- ich weiß nicht --
-
-Freilich, fuhr der Arzt kalt und bestimmt fort, könnt Ihr Eurem
-Schicksal selbst eine bessere Wendung geben, wenn Ihr in unsrer und
-einiger Zeugen Gegenwart ganz aufrichtig seid.
-
-Ich weiß ja nicht, winselte Pankraz, was ich gestehen soll.
-
-Die Sache ist übrigens schon klar, sagte der Arzt, und kann auch ohne
-Euch ausgemittelt werden; nur bewegt uns das Mitleid mit Eurem Alter
-dazu, Euch das harte Schicksal zu ersparen, das Euch nothwendig treffen
-muß. Vertraut Ihr Euch uns gutwillig an, so haben wir den alten Baron
-Eberhard so in der Hand, daß er künftig für Euch sorgen muß, und noch
-besser, als er bisher gethan hat. Wir wollen als Eure Freunde für Euch
-handeln, wenn Ihr aufrichtig seid, und Euch als Feinde verfolgen, wenn
-Ihr läugnet.
-
-Lieber Himmel, stotterte der Alte, wenn ich doch nur gleich recht viel
-wüßte, um Ihnen durch meine Bereitwilligkeit meinen Diensteifer und
-meine Liebe zu beweisen.
-
-Wir verlangen nur Weniges von Euch, sprach Anselm.
-
-Ach! das ist ja recht Schade, seufzte Pankraz; wollte der Himmel, ich
-hätte Ihnen recht Vieles zu erzählen!
-
-Daß Ihr sonst den jungen Raimund bedientet, fuhr der Arzt fort, daß Ihr
-einen Spion bei ihm abgabt, daß Ihr es nicht ehrlich mit ihm meintet,
-sondern Alles dem alten Herrn Baron zutrugt, wissen wir schon längst. Es
-ist uns auch bekannt, daß sich der alte Herr Baron über die
-Schwächlichkeit seines Neffen freute, weil er ihn zu beerben hoffte; daß
-ihm deßhalb die Verbindung mit Fräulein Blanka sehr zuwider war, die er
-auch nur unter den einfältigsten Vorwänden zu hindern suchte; daß er
-darum ihre tödtliche Krankheit so gern sah, und Euch alten Spitzbuben
-mit der Nachricht ihres Todes zu dem zerstörten jungen Manne schickte,
-als ob Ihr Euch einen rührenden und dummen Spaß mit ihm machtet. Als
-dieser Todesschlag die Sinne des Unglücklichen verwirrte, jagte der alte
-Unmensch Euch zum Scheine aus dem Dienst, wie es schon vorher unter Euch
-abgekartet war, und hat Euch seitdem eine gute Versorgung gegeben, und
-für die Zukunft eine noch bessere versprochen. Nicht wahr, so hat sich
-Alles begeben? Jetzt sagt nur noch, wo habt Ihr den armen Jüngling
-hingeschafft? Gesteht es lieber uns, als dort vor Gericht, wo keine
-Gnade mehr für Euch zu hoffen ist; auch thut Ihr so Eurem alten
-Beschützer den besten Dienst, der nur auf diesem Wege einem
-schimpflichen Prozesse entgeht.
-
-Ach! meine Herren, heulte Pankraz, meinen Sie es denn auch ehrlich mit
-mir? Wenn ich mich doch nur Ihrem edlen Herzen so recht gutmüthig
-vertrauen könnte! Wenn Sie es doch einzurichten wüßten, daß ich nichts
-mehr mit dem Herrn Theophil zu thun hätte, sondern das, was ich von dem
-Baron fordern kann, in ungestörter Ruhe genösse.
-
-Das soll geschehen, sagte der Arzt. Nur schnell! wo ist Raimund?
-
-Sehn Sie, fuhr der Diener fort, wie soll ein armer bedrängter Domestik
-ehrlich bleiben, wenn es die vornehmen Herrschaften bei allem ihrem
-Ueberflusse nicht einmal sind? Der alte Herr glaubte immer, er würde das
-Vermögen besser brauchen können, als sein junger Neffe, der niemals so
-ganz seinen Verstand hatte; darum dachte er auch, das feine Wesen sollte
-mit Tode abgehn, weil die Leute immer sagen, solche Kinder und junge
-Leute wären zu gut für diese Welt. Wie er nun doch schon confus war, so
-meinte der Baron, der Tod des Fräulein Blanka, die auch besser für den
-Himmel paßte, würde den jungen Herrn auch dahin verhelfen; darum sollte
-ich ihn erschrecken, daß er nur recht schnell und ohne lange Leiden
-hinüber führe; und das alles wußte mir der Herr Baron ganz christlich
-vorzuschwatzen. Aber der junge Mensch hatte doch noch mehr Courage und
-Kraft, als wir ihm zugetraut hatten; er wurde freilich ein bissel
-lamentabel, und sein Verstand verfiel noch mehr, aber er blieb frisch
-weg am Leben. Da gab ihm der alte Herr einen andern Namen, schrieb
-Certificate, eine ganze lange Geschichte, die ich mir auch merken mußte;
-und das arme kranke Lamm ließ sich auch Alles gefallen; ob er so hieß,
-oder so, war ihm ganz gleich. Er wurde mir heimlich übergeben und ich
-brachte ihn ganz in der Stille auf das Haus da drüben über den Fluß, wo
-sie ihn gut verpflegen, und er sich, seit Fräulein Blanka für ihn todt
-ist, um nichts mehr kümmert. Ich bezahle vierteljährig seine Pension,
-die ich von einem Banquier erhebe, und so ist Alles in Ordnung.
-
-Was ist das für ein Haus? fragte Walther.
-
-Das berühmte Narrenhaus da drüben, antwortete Pankraz.
-
-Entsetzlich! rief der Rath; Du wirst uns nun Deine Papiere ausliefern,
-Dein Geständniß noch ein Mal wiederholen, und es unterschreiben, und so
-lange, bis Alles entschieden ist, im leichten Arrest bleiben. Doch noch
-eins: wer ist denn dieser Theophil?
-
-Der, sagte Pankraz, ist ein natürlicher Sohn unsers alten frommen
-Barons. Er schämt sich seiner, weil er ein Narr ist, und hat ihn bisher
-bald da, bald dort untergebracht.
-
-Man hörte den Theophil draußen lärmen. Er trat als Bedienter gekleidet
-in das Zimmer. Ich will meinen Pankraz haben, rief er aus.
-
-Ach, jammerte der Diener, ich bin zum armen Sünder geworden, und
-gegenwärtig im Arrest.
-
-O das ist herrlich! jubelte Theophil; schöner konnte ich meinen
-Geburtstag gar nicht feiern, als dadurch, daß sie den alten Kater zum
-armen Sünder gemacht haben! Das muß ich gleich draußen dem Herrn Kilian
-und Görge erzählen. Das wird ein Jubel im ganzen Lande seyn. Pankraz im
-Arrest! der weise Salomon, der schnurrende altfränkische Solon mit
-seiner Cato-Physiognomie und dem herrlichen Haarbeutel im Nacken ein
-armer Sünder! -- Er stürmte fort und hörte nicht auf die Einreden der
-beiden Freunde, oder die kläglichen Bitten seines alten Dieners.
-
- * * * * *
-
-Kaum war der Stubenarrest und die sehr dürftige Kost dem armen Wolfsberg
-noch nöthig, um ganz sein Inneres zu erkennen, und alle seine Thorheiten
-und die Verderbniß seines Lebens einzusehn. In demüthiger Unterwerfung
-ergab er sich seinem Schicksal, und war kaum erfreut, als man ihm
-ankündigte, daß seine wohlverdiente Strafe ihm früher erlassen sei.
-Jetzt durfte er wieder den Saal betreten, und der Director, den er bis
-dahin so wenig wie Friedrich, seinen Verführer, gesehn hatte, ließ ihn
-sogar dahin einladen.
-
-Wolfsberg fand alle Thoren dort versammelt, und den Director mit dem Hut
-auf dem Kopfe sitzend. Dieser hielt ein Papier in den Händen, und seine
-Miene schien sehr verändert; doch konnte man nicht sagen, daß er
-heiterer, als gewöhnlich, aussah. Meine Freunde, fing er im Rednerton,
-aber mit einer weichen Stimme an, wir haben lange mit einander gelebt,
-viel mit einander ertragen; aber heut ist der Tag, an welchem wir von
-einander scheiden sollen. Man hat endlich meinen vielfältigen Gesuchen,
-mich in Ruhestand zu versetzen, nachgegeben, und der Mann, der nun als
-Vorsteher meine Anstalt übernehmen wird, soll noch heut Mittag
-eintreffen. Möge sein Verstand erleuchteter, als der meinige, und sein
-Sinn nicht unfreundlicher seyn!
-
-Die Thür ging auf, und Görge trat mit großer Dreistigkeit herein. Was
-giebt's, Bursche? fuhr der Director auf ihn los.
-
-Ich kann's nicht mehr zu Hause aushalten, sagte Görge ganz unbefangen.
-Sehn Sie, Herr Director, seit ich neulich 'mal hier war, bin ich wie ein
-verwandelter Mensch; mein Verstand ist aufgeklärter, und ich kann nun
-meinen lieben Aeltern nicht mehr so in Allem folgen, wie ehedem. Wenn
-ich das nicht recht mache, und jenes versehe, 'mal so spreche oder
-morgen anders denke, wie es zu Hause bei mir Mode ist; so wird die Mama
-immer sehr böse, und droht mir, mich in das Narrenhaus hier einsperren
-zu lassen. Gestern nun habe ich unserm Herrn Kilian wohl zwanzig
-Fledermäuse in die Stube geworfen: da hat er mich verklagt, und sie hat
-mir wieder gedroht, mich hieher zu schicken; da bin ich nun heute früh
-lieber gleich von selbst herüber gelaufen, und bitte, daß Sie mich eine
-Weile hier behalten; so könnte ich auch bei dem rothnasigen Herrn dort
-noch etwas lernen und mich ausbilden.
-
-Sokrates machte sich sogleich herbei, und faßte die Hand des
-lehrbegierigen Jünglings. Der Director lächelte und sagte mit
-sonderbarer Miene: wenn Strafe selber zum Lohn wird, so ist der Mensch
-gewiß am glücklichsten. -- Ich bin in meiner Abschiedsrede von Euch,
-meine Freunde, unterbrochen worden, fuhr er hierauf in verändertem Tone
-fort. Ich habe dies Haus nun sechszehn Jahre bewacht; viele Gäste
-empfangen, viele gebessert entlassen. Ihr seid die letzten; und da ich
-Eure Besserung durch Pflege und Aufsicht nicht lange genug habe abwarten
-können, so will ich sie hiermit durch ein Machtwort veranstalten, und
-erkläre Euch nun hiermit für frei, hergestellt und gesund. Wie? Diese
-Gewalt wenigstens sollte mir nicht einmal geblieben seyn? Thut der
-Staat, der Fürst, die Universität denn etwas anders, wenn sie
-Doctorhüte, Titel und Würden austheilen? Da sehn wir ja täglich, wie
-Menschen plötzlich Verdienste und Tugenden haben und glänzen lassen, die
-kurz vorher nur wenig taugten, oder kaum über Vier hinaus zählen
-konnten. Alle Thore, meine theuern, so lange gehegten und gepflegten
-Freunde, sind offen; die Thürhüter haben den Befehl, Niemanden am
-Ausgehen zu verhindern. Diese letzte Wohlthat ist es, wozu ich noch
-heute meine Macht gebrauchen will. Ich kann meinem Amte nicht länger
-vorstehn; denn, wie mancher der Märtyrer oder Wunderthäter jener frühern
-Jahrhunderte die Sünden ihrer Mitbrüder, so habe ich mit Liebe und
-Mitleid alle Eure Gebrechen in meine Seele aufgenommen: und Viele sind
-dadurch geheilt, die Bösartigkeit Andrer ist dadurch gemildert worden.
-Aber Ihr könnt wohl selbst ermessen, dankbare Freunde, daß das keine
-Kleinigkeit für einen sterblichen Mann ist, in seinem engen Busen so
-hundert Narrheiten zu tragen und zu hegen, an deren _einer_ schon jeder
-von Euch genug zu schleppen hat. Freilich war ich auch dadurch nur
-Monarch und Herrscher, in welchem sich alle Kräfte und Vorzüge
-centralisiren. Nicht wahr, ihr guten, lieben Unterthanen und
-Einfaltspinsel? Geht nun zurück in die Welt, und gewöhnt Euch doch
-endlich als gesetzte Männer die kindische Aufrichtigkeit ab, mit der Ihr
-Euch vor jedem Narren Eure Narrheit habt merken lassen. Schaut um Euch!
-Von Allen, die hier vorbei fahren und gehen, die auf dem Flusse
-schiffen, die in der Stadt dort wandeln und auf ihren Zimmern sitzen,
-gehören, wenn man die Strenge brauchen wollte, wenigstens zwei Drittheil
-hieher. Warum wollt Ihr nun so weichherzig seyn, jedem Eure Brust zu
-öffnen, und in die curiose Structur Eures Innern hinein schauen zu
-lassen? Ist es denn so etwas Schweres, die gewöhnlichen Redensarten der
-Vernünftigen zu gebrauchen, ihre Geschäfte zu treiben, trivialen Spaß zu
-machen, und ihnen ihre ganze Ehrwürdigkeit abzusehn und nachzuspielen?
-Kinder, glaubt mir doch, es gehört weit mehr Genie dazu, ein Narr zu
-seyn! Daher mag es auch Mangel an Muth seyn, wodurch sich die Meisten
-abhalten lassen, zu uns überzugehn. Denn ein trivialer Narr ist wirklich
-etwas recht Triviales. Wann nun der neue Herr Director ankommt, seht,
-Kinder, so wird er hier das leere Nest finden. Das glaube ich, wenn der
-sich so recht in die Fülle, wie in eine vollständige Haushaltung hinein
-setzen könnte, das wäre ein Jubel für ihn; Alles eingemacht,
-vollgesackt, geschlachtet und gepökelt für Herbst und Winter; die ganze
-Ernte, die ich so mühselig seit manchem Jahre habe sammeln müssen! Nein,
-er mag auch säen und pflanzen, die junge Zucht auffüttern, die alten
-Gänse nudeln und stopfen. Zehre er von seiner eignen Arbeit! -- Lebt nun
-wohl und reicht mir Eure Hand, ehrwürdiger Sokrates! Geht und nehmt den
-jungen Alcibiades, den lieben Görge, mit Euch; bildet ihn, daß er
-Galimathias sprechen lerne, aber mit Maaßen, damit er nicht verkannt
-werde, wenn er das, was auf einen Monat ausreichen sollte, in einem Tage
-an den Mann bringt. Fahrt wohl, Ihr beiden Redner; übt Euch dort vor dem
-Volke, und rührt und erbaut die Welt durch Liebe und erhabene Gesinnung!
-Indianer, großgesinnte Menschen mit edeln Inspirations-Gaben versehn,
-errichtet dort eine Akademie, um die trockne Welt geheimnißvoller zu
-machen und sie mit tiefer Mystik zu nähren! Begleitet diese Edeln, Ihr
-Lesender; und wenn Ihr unserm Jahrhundert Alles rücklings lesen und
-stellen könnt, so werdet Ihr Euch vielen Dank verdienen: ja der bloße
-Versuch wird Euch schon glänzend belohnt werden. Ihr Baukünstler,
-bezieht wieder Euer Haus, das Ihr als aufgeblühte Schönheit verließet,
-und das nun zu einem alten Mütterchen zusammen geschrumpft ist!
-Pygmäenfeind, geht und vertreibt die bösen Geister! Ihr, Graf Birken,
-macht Euch davon, und laßt nun Weiber und Mädchen in Ruhe! Herr von
-Linden, oder Methusalem, wie sie Euch hier nennen, verschwindet in Eil:
-denn Ihr macht hier nur theure Zeit, da Ihr sie so entsetzlich
-consumirt. Wie? wenn ich Euch nun die Zehrungskosten nebst Zinsen für
-die hundert tausend Jahre abfordern wollte, die Ihr hier, Eurem eignen
-Geständnisse nach, zugebracht habt? Meilen weit hier herum kann das Kind
-im Mutterleibe keine Zeit zum Wachsen finden, da Ihr Alles in Euch
-schlingt. -- Friedrich, lebt wohl, und grabt keine Schätze mehr, sonst
-grabt Ihr Euch selber die Grube, in die Ihr hinein fallt!
-
-Jeder mußte ihm, indem er vorüber ging, die Hand reichen. Alle verließen
-das Haus; nur Friedrich erklärte, daß er niemals weichen wolle. Sieh,
-rief der Director, am Fenster stehend, wie sie sich verbreiten und dahin
-ziehen, die lieben Pilgersleute! Sie werden es doch vielleicht nicht
-wieder so gut finden, als hier. Mancher wird sich zurück sehnen!
-
-Ein Wagen fuhr in den Hof, und der Mann, welcher herausstieg, war sehr
-verwundert, alle Thore offen zu finden. Noch mehr erstaunte er aber, als
-er sich dem zeitherigen Director näherte, und erkannte, daß dieser
-plötzlich ein Kranker seiner eignen Anstalt geworden sei. Er gab sich
-ihm als Doctor Anselm zu erkennen, welchem die Regierung diesen Posten
-anvertraut habe: doch jener antwortete bloß: ja, bester Mann, Sie finden
-mich ganz allein hier, als Stock und Stamm, der wohl wieder Früchte
-tragen mag, doch aber jetzt abgelaubt ist. Für etwas, wenn auch nicht
-für viel, kann mein Friedrich gelten.
-
-Anselm ließ sogleich einige Diener zu Pferde ausreiten, um, wo möglich,
-noch einige der Flüchtlinge einzuholen.
-
- * * * * *
-
-Görge ging mit seinem neu erworbenen Sokrates seiner Heimath zu. Sie
-müssen sich nur nicht Sokrates nennen, machte er ihm begreiflich; denn
-das klingt so heidnisch: so können Sie gewiß in unserm Hause bleiben,
-und mir Unterricht geben. Der Papa suchte schon seit lange einen Lehrer:
-er hilft Ihnen gewiß durch, und thut, als wenn er Sie dort oben nicht
-gesehn hätte; meine Schwester darf nichts ausplaudern, sonst verrathe
-ich ihre schwärmerische Liebe zu dem Windbeutel Theophil; bloß die Mama
-müssen wir betrügen, und Sie müssen sich nur hübsch klug und weise
-stellen.
-
-Ich brauche mich nicht so zu stellen, antwortete Sokrates; das ist meine
-wahre Natur.
-
-In einiger Entfernung hinter diesen schlich Wolfsberg; er ging nur
-langsam, und sehnte sich nach einer Erquickung. In dem großen Dorfe, wo
-der Junker ihm mit seinem Mentor aus den Augen verschwand, ließ er sich
-in dem Gasthofe ein Zimmer geben, und bestellte sich Essen und Wein. Er
-legte sich indessen auf das Bett, um etwas zu schlafen; aber kein
-Schlummer befiel sein Auge, denn tausend gute Vorsätze, Lebensplane und
-Erinnerungen besuchten ihn jetzt, da er sich nun endlich der Freiheit
-zurück gegeben sah, die er sich seit so mancher Woche vergeblich
-gewünscht hatte. Die heitre frische Herbstluft zog durch das offne
-Fenster, und stärkte seine Sinne. Wie ist mir wohl! sagte er zu sich
-selbst: warum habe ich denn so manches Jahr diese Empfindungen
-verschmäht, die mich jetzt besuchen, und die doch das theuerste Leben
-meines Lebens sind?
-
-Ein sonderbares Gezänk, das draußen vorfiel, erregte erst seine
-Aufmerksamkeit und zog ihn dann ans Fenster. Ein alter Mann stritt mit
-einem jungen, und sagte jetzt eben: nein, Sie müssen mit uns gehen, und
-daß ich Ihnen Ihre Baarschaft oder Ihre Wechsel jemals wieder geben
-sollte, darauf machen Sie nur sich keine Rechnung; denn wenn ich nicht
-als ein kluger Mann Ihre Capitalien in Verwahrung genommen hätte, so
-hätte es wohl so kommen können, wie uns der fremde Herr wahrsagte, daß
-mein altes Auge Sie nie wieder sah, und meine arme Tochter sich der
-Verzweiflung ergeben mußte.
-
-Wolfsberg sah sich hier wieder einen Spiegel vorgehalten, der ihm die
-Scene noch weit interessanter machte. Aber, Herr Kilian, es ist doch
-mein Geld, sagte der junge Mensch.
-
-Was, Kilian? schrie der Alte; Herr _Schwiegervater_ müssen Sie zu mir
-sagen, so wie ich Sie auch lieber hochgeborner Herr Schwiegersohn, als
-Graf von Birken tituliren werde.
-
-Wie? sagte Wolfsberg zu sich selbst, dies also ist der junge verkehrte
-Mensch, für den ich so lange habe leiden müssen? -- Seine Aufmerksamkeit
-hatte den höchsten Grad erreicht, und weil er dem Gespräche so eifrig
-zuhörte, bemerkte er nicht, daß zwei fremde Menschen durch den
-Baumgarten herbei kamen. Kommen Sie, ohne Umstände, rief der Pfarrer
-jetzt von Neuem, oder ich lasse Sie aus meiner Machtvollkommenheit als
-Mädchenverführer und Jungfrauenräuber arretiren.
-
-Einen solchen suchen wir eben, sagte der eine Fremde, einen jungen
-Grafen Birken, der ein Verbrecher und Narr zugleich seyn soll. Alle
-Thörichten haben sich heut aus dem Narrenhause befreit, und das ganze
-Land ist nun im Aufruhr, sie wieder einzufangen.
-
-Wolfsberg erschrak; er wollte schnell den Kopf zurück ziehn, aber man
-hatte ihn schon bemerkt. Er sammelte sich und rief von oben herab: Sie
-suchen den Grafen Birken? Der dort ist es, der mit dem alten Manne
-spricht.
-
-Der Graf erschrak, der Geistliche sammelte sich aber bald. Schwiegersohn
-oder Arrestant? fragte er den jungen Mann schnell und leise. »Ach!
-Schwiegersohn!« wimmerte dieser kläglich, und der Geistliche sagte mit
-fester Stimme: meine Herren, ich bin der Pastor dieses Orts; dieser mein
-Herr Schwiegersohn wohnt schon seit vierzehn Tagen in meinem Hause; aber
-dem Menschen da oben sieht ja der Vagabunde und der Narr obenein aus den
-Augen heraus. Ich gebe Ihnen mein Wort, er ist der entsprungene Graf
-Birken!
-
-Er nahm seinen Schwiegersohn unter den Arm und führte ihn mit starker
-Hand davon. Die Fremden bemächtigten sich des unglücklichen Wolfsberg,
-erlaubten ihm kaum, sein bestelltes Mittagsessen zu genießen, und
-schleppten ihn wieder in seine alte Haft zurück.
-
- * * * * *
-
-Der Rath Walther war im Begriff, in schnellster Eile nach der Stadt zu
-fahren. Nur auf eine halbe Stunde wollte er in dem Dorfe beim Pfarrer
-Kilian einsprechen, und scheute deßhalb den Umweg nicht, weil er doch
-vielleicht irgend eine Nachricht durch ihn erhalten könnte. Als er nach
-dem Dorfe einbeugte, sah er seitwärts neben den Bergen auf einer grünen
-Wiese den Fluß entlang eine Gestalt gedankenvoll wandeln, die sein
-entzücktes Auge bald als seinen geliebten Raimund zu erkennen glaubte.
-Er ließ halten und wollte über die kleine Brücke dem Wasser zueilen, als
-er Schalmeien, Clarinetten und Waldhörner vernahm, und einen langen Zug
-geputzter Bauern und Bäuerinnen sich entgegen kommen sah. Alles jubelte,
-und in der Mitte gingen neben dem Pfarrer zwei wunderlich geschmückte
-Gestalten, die er für Graf Birken und die Tochter des Pfarrers erkannte,
-deren grüner Kranz in den brandrothen Haaren sie deutlich als Braut
-ankündigte.
-
-Da der Rath wußte, wie wichtig es seinem Freunde, dem Arzte seyn mußte,
-daß die Trauung nicht vor sich ginge, so begab er sich, statt nach jener
-Wiese, in die Mitte des Brautzuges. Er wollte sprechen; aber die
-lärmende Musik ließ ihn nicht zu Worte kommen; besonders da der Pfarrer
-die Musikanten zum Blasen und das junge Volk zum Schreien ermunterte, um
-nur den lästigen Besuch zu übertäuben und zu verscheuchen. Des Rathes
-Anstrengungen wären auch für jetzt vergeblich gewesen, wenn nicht einige
-Reiter herbei gesprengt wären, die dem Zuge Halt geboten. Die Musik
-verstummte, und diesen Augenblick der Ruhe benutzte Walther, um seinen
-Einspruch gegen die Feierlichkeit vorzutragen und zu erklären, daß der
-junge Graf noch nicht mündig, außerdem auch thöricht im Haupte sei. Des
-Pfarrers bemeisterte sich ein erhabener Zorn. Ich weiß nicht, rief er
-aus, warum sich alle Welt in Bosheit gegen meinen verehrten
-Schwiegersohn und meine geliebte Tochter verschworen hat! Er thöricht im
-Haupte? Wissen Sie, unbekannter Freund, was das sagen will?
-
-Die Reiter begehrten ebenfalls angehört zu werden. Sind Ihnen sonst
-keine Narren begegnet, fragte der erste sehr eifrig: das ganze
-Narrenhaus hat sich frei gemacht, wir sind alle in den Dörfern
-aufgeboten, sie wieder einzufangen. Jeder Reisende ist jetzt verdächtig;
-man prüft alle Welt sehr scharf, und selbst der Vernünftigste muß sich
-in Acht nehmen, nicht aufgegriffen zu werden; denn Narren müssen sie nun
-doch einmal dort oben wieder haben.
-
-Sind Ihnen Verdächtige vorgekommen, Herr Pastor? fragte der zweite.
-
-Ich untersage hiermit diese Hochzeit! rief der Rath im höchsten
-Unwillen.
-
-Der Pfarrer, welcher das Grafthum seiner kleinen Tochter von Neuem in
-Gefahr sah, dessen Vaterliebe Alles daran setzte, sich diesen
-Schwiegersohn zu sichern, und dem mit Wolfsberg schon der kühne Streich
-gelungen war, rief jetzt laut: hier, meine Herren, sehn Sie einen
-solchen Wüthigen vor sich, der sogar die heilige Ceremonie durch seine
-Raserei stören will!
-
-Was? rief Walther aus; ich ein Rasender?
-
-Sehn Sie nur, sagte der Pfarrer gesetzt, wie ihm die Augen wie zwei
-Feuerräder im Kopfe herum gehn! Er ist toll; wir erkennen ihn Alle dafür
-an.
-
-Ja, schrieen die Musikanten, und am lautesten der Graf: es ist der tolle
-Mensch, der schon seit acht Tagen hier herum läuft.
-
-Geben Sie Acht, was Sie thun, sagte der Rath etwas besänftigt; ich
-wollte eben nach der Stadt; ich bekleide dort jetzt die Stelle des
-Gerichtspräsidenten.
-
-Vor Hochmuth ist er übergeschnappt, rief der Pfarrer; allons! fort mit
-ihm! -- Fort mit ihm, schrie der ganze Haufe. Die Reiter hatten schon
-ein drittes, lediges Pferd herbei geschafft; Walther ward hinauf
-gepackt, und ehe er noch sagen konnte, daß sein Wagen vor dem Dorfe
-halte, trabten seine Begleiter mit ihm fort: denn das Singen und
-Schreien der Menge, die betäubende Musik, und die Glocken, welche die
-Ceremonie einläuteten, machten für jetzt jede Erörterung unmöglich.
-Walther mußte gezwungen den Weg zur neuen Behausung seines Freundes
-antreten; der Pfarrer aber schleppte als Sieger seinen mühsam errungenen
-Schwiegersohn in die Kirche, mit dem Vorsatz, sich späterhin lieber
-jeder Verantwortung zu unterziehn, als das Horoskop Lügen zu strafen!
-
- * * * * *
-
-Der neue Director Anselm hatte sich indessen um seinen kranken Collegen
-bemüht, und es war ihm auch gelungen, den alten Mann wieder ziemlich zu
-beruhigen. Dieser sah seinen Zustand ein, und fühlte sich beschämt, daß
-er so leicht jenem Gelüste nachgegeben, welches ihm noch kürzlich der
-Prediger als so gefährlich geschildert hatte. Er besaß in der Nähe ein
-Landhaus, auf welches er sich verfügte, und Anselm sah ihn gern
-abreisen, weil er überzeugt war, daß die schnell erzeugte Unpäßlichkeit
-in einigen Tagen auf immer verschwinden müßte.
-
-Jetzt ward eine Gesellschaft von Reisenden gemeldet, die das Haus besehn
-wollten. Anselm ging ihnen entgegen, sie zu bewillkommen, und zugleich
-zu entschuldigen, daß ihre Neugier sich diesmal mit einem einzigen
-Vernünftigen begnügen müsse. Voran in den Saal trat ein langer alter
-Herr, dem die Uebrigen große Verehrung bezeigten; er führte an seinem
-Arm ein phantastisch geschmücktes Frauenzimmer, die dem Arzte bekannt
-schien, obwohl er sich ihrer nicht gleich erinnern konnte. Ein
-breitschultriger junger Mann folgte, und als letzte Begleiterin schlich
-ein blasses, krankes Mädchen nach, die Strickkorb und Tuch ihrer
-lachenden und übermüthigen Gebieterin demüthig trug.
-
-Wir kommen, sagte der angesehene Mann, Ihre Anstalt zu betrachten; meine
-junge Gemahlin hat dergleichen noch niemals gesehn, und der Bruder
-meiner Frau hat noch andere philosophische und künstlerische Absichten
-bei dieser Reise.
-
-Sind die Narren aber auch nicht fürchterlich? fragte die junge Dame; ist
-man nicht auch in Gefahr angesteckt zu werden?
-
-Anselm erzählte ihnen die unglückliche und doch lächerliche Begebenheit,
-worauf der alte Herr sehr betreten und erblaßt zurück fuhr und ausrief:
-wie? Alle entlaufen? Schrecklich! Und auch ein gewisser Baron Linden
-unter den Geflüchteten?
-
-Ja wohl; leider, sagte der Arzt, indem er den Sprechenden näher ins Auge
-faßte.
-
-Das ist ein Jammer, rief der robuste junge Mensch aus; so bin ich denn
-vergebens hieher gereiset? Mir fallen jetzt bei unserm Theater die
-wichtigen Rollen des Macbeth und Lear zu, und für diese möchte ich so
-gern hier meine Studien machen; denn seit unser Großprahler, der
-Adlerfels, so ganz verschollen ist, und man nirgend von ihm hört (Schade
-um den übrigens guten Künstler!), so muß ich doch nothwendig die Lücke
-ausfüllen, die mit seinem Verlust bei uns entstanden ist.
-
-Du solltest ihn nicht nennen, ^mon frère^, sagte die Dame: sieh nur, wie
-Fanny wieder von Erinnerung ergriffen wird.
-
-Auf den großen Mann, sagte der Bruder, hätte sich das Köpfchen ja doch
-niemals Rechnung machen dürfen.
-
-Friedrich, der auch zugegen war, sagte: es ist außer mir Niemand im
-Hause, als der berüchtigte Graf Birken; den haben sie vor Kurzem mit
-Gewalt wieder zurück geschleppt.
-
-Graf Birken? rief der Arzt höchst erfreut aus; o diesen führe sogleich
-zu mir, guter Mann. Zugleich winkte er den Baron in ein Fenster, um im
-Geheimen mit ihm zu sprechen: ich habe die Ehre, fing er an, den Herrn
-Baron Eberhard vor mir zu sehn. Jener verbeugte sich. Wenn Ihr Neffe,
-fuhr der Arzt fort, jetzt sich wieder fände, würden Sie gewiß seiner
-Verbindung mit Fräulein Blanka nichts mehr in den Weg legen. -- Wenn er
-noch lebte, der liebe Jüngling, sagte jener süßlich, und sie den
-Verstand wieder gefunden hätte, -- doch scheinen das unmögliche Dinge zu
-seyn! -- »Doch nicht viel unmöglicher, sagte Anselm, als daß dieser
-nämliche Neffe lange als Baron Linden hier im Hause gelebt hat.« --
-»»Ei! was Sie mir sagen!«« -- »Sie mußten es doch wohl wissen, da Sie
-sich gleich so angelegentlich nach dem jungen Linden erkundigten.« --
-»»Ich? Ja, sehn Sie einmal, -- daß ich nicht wüßte,«« -- stotterte
-jener.
-
-Sie sind ein so berühmter Christ, fuhr Anselm fort, Ihre Frömmigkeit und
-Menschenliebe sind so exemplarisch, daß Sie ganz gewiß in alle meine
-Bitten und Vorschläge willigen werden, da ich es gleich gut mit Ihnen,
-wie mit Ihrem Neffen meine.
-
-Je, du mein Himmel, ächzte der Baron, wir sind ja alle gute Menschen.
-Wann ich nur erst wüßte, wodurch ich die Ehre habe, von Ihnen gekannt zu
-seyn.
-
-Die arge Welt könnte glauben, fuhr Anselm leise im sanftmüthigsten Tone
-fort, Sie hätten es auf das Vermögen Ihres lieben Neffen angesehn,
-besonders weil ein alter Schuft sich nicht entblödet, auszusagen, ein
-gewisser Pankraz --
-
-O der Galgenschwengel! rief der Baron: was sagt er aus? der soll mir
-Alles bezahlen!
-
-Sehn Sie einmal, indem Anselm die Bogen aus einander faltete, diese
-weitläuftige Anklage, vor Zeugen ausgesagt und unterschrieben. Es ist
-entsetzlich! Was gewinnt aber ein frommes Herz, wie das Ihrige, dabei,
-einen solchen Menschen zu bestrafen? Nein; sammeln Sie feurige Kohlen
-auf sein Haupt; belohnen Sie ihn großmüthig und übermäßig, daß er in
-sich geht, und an Ihrem Edelmuth hinauf staunend, an Tugend glauben
-lernt. Sie könnten ihm wohl ein Häuschen, ein kleines Capital, eine
-mäßige Wiese und einige Aecker schenken, wie ihm ein sonderbarer Mann,
-der seit gestern Gerichtspräsident hier drüben in der Stadt ist, etwas
-voreilig in Ihrem Namen schon versprochen hat: ein gewisser Walther, er
-hat auch die Ehre, mit Ihnen verwandt zu seyn, und denkt Ihnen auch die
-Mühe abzunehmen, künftig noch des Vermögens wegen, das Ihrem Neffen
-zusteht, Sorge zu tragen.
-
-Je du mein Gott, ja, -- Alles herzlich gern! seufzte der Alte kaum
-hörbar.
-
-Wie wäre es denn nun noch zuletzt, theuerster Mann, den ich immer mehr
-verehren muß, wenn Sie auch Ihren armen Sohn, den Theophil,
-legitimirten, und ihm ein anständiges Auskommen gewährten. Würde Ihr
-Herz darüber nicht eine unbeschreibliche Freude empfinden?
-
-Ach ja, sagte jener, eine unbeschreibliche Freude, und da Sie es
-wünschen -- und Sie eine gewisse Art zu bitten, -- und zum Herzen zu
-sprechen haben, -- o Himmel! die Thränen stehn mir in den Augen, daß ich
-eine solche Bekanntschaft gemacht habe.
-
-Ich bin im Innersten gerührt, erwiederte Anselm. Sie umarmten sich
-herzlich, und der Baron wischte sich die Tropfen des kalten
-Angstschweißes von der Stirn; lange bin ich nicht so bewegt gewesen,
-seufzte er, und blickte zum Himmel. Und ich, erwiederte Anselm, habe
-auch, so lange ich lebe, an keinem so großen Herzen gelegen.
-
-Der Baron trat zur schäkernden Gattin. Sie werden, sagte er fromm, in
-diesen Tagen einen Sohn von mir kennen lernen: auch ist mein Neffe
-wieder gefunden, und ein alter Diener Pankraz wird das kleine Gütchen
-Liebendorf erhalten, welches Sie dem Pachter verkaufen wollten.
-
-Das ist ja viel in einer kleinen Viertelstunde, sagte sie, und maaß den
-Director mit großen Augen.
-
-Es geht fast zu, wie im Lustspiel, sagte dieser.
-
-Ja, sagte der Baron, der Herr Director haben mir Eröffnungen gemacht,
-und auf eine Art --
-
-Hier kommt Graf Birken, schrie Friedrich; er wollte sich erst gar nicht
-dazu bequemen.
-
-Wolfsberg trat herein; der Arzt ging ihm entgegen, aber beide fuhren in
-demselben Augenblicke vor einander zurück. Sie, Herr von Wolfsberg hier?
-unter diesem Namen? Und so verwandelt? so abgefallen? So drückte mit
-wiederholten Ausrufungen der Arzt sein Erstaunen aus. Die Uebrigen im
-Saale waren nicht ruhiger. Fanny lag in Ohnmacht, und Wolfsberg, der
-jetzt erst die Gruppe sah, machte sich aus den Armen des umhalsenden
-jungen Mannes, der einmal über das andre: mein Adlerfels! rief, los und
-eilte der Niedergesunkenen zu Hülfe. Er kniete zu ihr nieder, er legte
-ihr Köpfchen auf seinen Schooß: o meine geliebte, meine theuerste, meine
-einzige Franziska! rief er in den zärtlichsten Tönen; entziehe Dich mir
-jetzt nicht wegen meiner Missethat, entfliehe mir nicht, denn ich bin
-kein Herzloser mehr: ich kehre zu Dir zurück, wenn Du mich noch
-würdigest, mich Dein zu nennen! Ich bin ja aus meinem tiefen Elende zu
-mir selber erwacht; o so erwache denn auch Du zu diesem Leben wieder!
-
-Franziska schlug die ermatteten, aber schönen Augen auf. Sie konnte an
-ihr Glück nicht glauben, daß sie in dessen Armen lag, der sie mit so
-grausamem Hochmuthe von sich gestoßen hatte. Du mein? stammelte sie;
-gewiß?
-
-Ja, mein süßes Herz, erwiederte Wolfsberg, der sich nun als Adlerfels
-ausgewiesen hatte; ja ich kehre mit Dir zurück, Du wirst meine Gattin,
-und alle Schmerzen, allen Hohn, den Du um meinetwillen ertragen hast,
-will ich Dir vergüten, wenn ich es vermag. Und unser Kind, das arme
-Würmchen, lebt es denn noch?
-
-Die liebe Bertha, sagte die Entzückte, ist zu Hause, bei meiner
-Schwester. Gott! wie wird sich Alles freuen!
-
-Ich gratulire, Fanny, sagte die gnädige Frau: nun gieb mir nur
-Strickkorb und Shawl her, daß ich es selber trage.
-
-Bruder, rief der andre Schauspieler, wie wird das Publikum sich freuen,
-Dich in Deinen Effect-Rollen wieder auftreten zu sehn.
-
-So eben, rief Friedrich herein springend, haben sie noch einen ganz
-neuen Narren eingefangen. Das geht scharf her.
-
-Walther trat lachend ein und man verständigte sich sogleich. Anselm
-stellte ihn dem Baron vor und sagte ihm kurz, daß das edle Herz des
-frommen alten Herrn in Alles gewilligt habe, was er nur irgend als
-Mensch oder Rechtsgelehrter von ihm fordern könne. So laßt uns denn,
-rief Walther, nach dem Dorfe zurück kehren, von dem ich eben herkomme,
-denn wenn meine Augen nicht ganz zu Lügnern geworden sind, so haben sie
-dort meinen geliebten Raimund erblickt.
-
-Wirklich war es Raimund gewesen, den Walther erst erspäht hatte. Stumm
-und in sich gekehrt hatte der Jüngling das Haus verlassen. Er begriff
-nicht, was ihm geschah; er wußte auch nicht, wo er hin wollte. So ging
-er dem Fußsteige nach, der ihn bald in den Wald führte. Er sann seinem
-verschwundenen Leben nach, und ihm ward fromm und heilig zu Sinne. War
-es doch, als fielen verhüllende Schleier von seinem Gemüthe und Herzen
-herunter. Er kam an einen grünen runden Platz im Walde, wo er sich
-unendlich bewegt fühlte. Er sah sich um, um sich zu erkennen, und eine
-alte Birke, in welcher noch die Namenszüge, die er einst eingegraben,
-fast unkenntlich verwachsen waren, erinnerte ihn an Alles. Er war noch
-ein Kind gewesen, als er hier einmal von seiner theuren Mutter Abschied
-genommen hatte; bis hieher hatte er sie begleiten dürfen, und von dieser
-Stelle kehrte er mit seinem Vater wieder nach dem Schlosse zurück. Er
-ahndete damals nicht, daß er nach einem Jahre schon beide Aeltern
-beweinen sollte. Das Gut wurde nachher vom Oheime vortheilhaft verkauft,
-und Raimund hatte seit seiner Kindheit diese Gegend nicht wieder gesehn.
-So wie er jetzt zu diesen Erinnerungen immer deutlicher erwachte, wie
-die Sehnsucht nach den Scenen seiner Kindheit, nach dem Kirchhofe, wo
-seine Aeltern ruhten, in ihm wuchs; so empfand er es, wie jene dumpfe
-Angst immer mehr verschwand, die bis dahin seinen Geist wie in einem
-finstern Kerker eingefangen hielt. Er verließ den Wald, da lag der
-kleine Fluß vor ihm, der vom Wohnsitze seiner Kindheit herströmte. Alle
-Wogen schienen ihn zu grüßen, jede Blume am Ufer ihm einen kindlichen
-Gruß zuzunicken. Da fand er schon die Mühle im engen Thal, die ihm als
-Knaben mit ihren rauschenden Rädern so wunderbar erschienen war. Sie ist
-ja jetzt nicht weniger wundervoll, sagte er zu sich, wenn ich gleich
-weiß, was und wozu sie da ist. Er ging vorüber, und wollüstige
-erleichternde Thränen strömten aus seinen Augen. Da war der Bergschacht,
-der ihm so entsetzlich vorgekommen war; er ging dicht hinan, und
-erinnerte sich der grauenvollen Sagen, die von ihm im Lande umgingen.
-Nun sah er schon den wohlbekannten Berg seines Geburtsortes, die rothe
-hohe Felswand und die von oben herabhangenden Bäume. Da schimmerte auch
-schon das Dach des Schlosses herüber. Es schmerzte ihn, daß er nicht in
-das Thor vertraut eintreten dürfe, daß fremde Menschen, die er nur wenig
-kannte, in den Zimmern wohnten, wo seine Wiege gestanden, wo sein Vater
-ihm vorgelesen, wo seine Mutter ihn in einer Krankheit auf ihrem Schooße
-eingesungen hatte. Auf dem Kirchhofe kniete er mit Andacht an der Gruft.
-Er nahm sich nun fest vor, seine Freunde wieder aufzusuchen, und
-nachzuforschen, wer ihm das Schicksal bereitet haben könne, das ihm erst
-jetzt seltsam erschien. Doch mußte er, ehe er weiter ging, die einsame
-Wiese hinter des Pfarrers Garten besuchen, den Spielplatz seiner
-Kindheit, wo er unter der hohen Linde so manchmal im grünen Grase halb
-eingeschlummert war, auf das Säuseln der Blätter, das Summen der Bienen,
-und das Plätschern des nahen Baches horchend, wo Alles wie süßer
-Geistergesang ihn anredete, und er noch lieblicher aus seinen Träumen
-Antwort gab. Nun stand er wieder unter dem Baume, und eine himmlische
-Müdigkeit ergriff ihn, wie damals; er tauchte die brennenden,
-thränennassen, jetzt so bleichen Wangen in das kühle grüne Gras, und die
-Bienen schwärmten im Baum, die Blätter schwatzten mit ihnen, das
-Flüßchen erzählte sich selbst eine alte Geschichte, und er entschlief
-wieder, wie in der Kindheit. -- --
-
-Ein Wagen hielt am Dorfe. »Willst du ruhen, mein Kind?« -- fragte die
-Mutter. -- »»Ja, aber im Freien.«« -- »Bist du auch wohl genug?« -- »»O
-Sie sorgsame, treue, mütterliche Pflegerin, antwortete die Tochter, Sie
-sehn ja, wie es mit meiner Gesundheit mit jedem Tage besser wird.
-Vertrauen Sie mir nur mehr, damit ich mir auch selber wieder vertraue.
-Nein, Geliebteste, jene trübe Zeit wird niemals wieder kehren; aber ich
-fühle es, durch diesen fürchterlichen Zustand mußte sich meine Krankheit
-arbeiten, damit ich wieder genesen konnte.«« -- Bist du dessen so gewiß,
-meine Tochter? Dann möchte ich Gott mit Thränen für die Verzweiflung
-danken, durch welche er mich damals geprüft hat.
-
-Gewiß, liebe Mutter, sagte die reizende Tochter. Kenne ich doch nun mein
-ganzes Unglück; es ist mir kein düstres Geheimniß mehr. Wenn ich an die
-Ewigkeit der Liebe glaube, warum sollte ich denn jemals verzweifeln?
-Hier ist er geboren! O hätte ich ihn doch als Kind gekannt! Eine Welt
-voll Glück wäre mehr in meinem Besitz! Hier ist er auch wohl gewandelt;
-alle diese Gegenstände hat sein frisches Auge, wie oft, begrüßt. Nur
-über die Wiese will ich gehn, ein Viertelstündchen am Bache ruhn, so
-recht an ihn denken; dann komm' ich zurück und wir reisen weiter. Aber
-allein müssen Sie mich lassen! -- Sie umarmte die Mutter, und schritt
-über die kleine hölzerne Brücke. -- --
-
-Raimund träumte indessen einen seltsamen Traum. Der Wahnsinn war die
-Wahrheit, und was die Menschen Vernunft nannten, nur ein dämmernder
-Schimmer. Auch kein Raum war da, und keine Zeit. So wie auf den alten
-Stammbäumen es abgebildet ist, sah er sich aus dem Herzen eine hohe
-Blume wachsen; sie wurde von seinem Herzblut getränkt, und ihr rother
-Glanz ward immer mehr zum goldnen Purpur. Da sang es im wiegenden Kelch,
-er that sich süßflötend auf, und Blanka schaukelte sich drin hin und
-wieder, wie in einem durchsichtigen Kahn. Da blickte er über sich, und
-ihr blaues Auge ging in das seine; da zitterte sein Herz und mit ihm die
-Blume. Warte, rief sie, jetzt stirbt mein Blumenhaus ab, ich komme
-draußen in der Wirklichkeit zu dir! Sie schlüpfte auf den Rasen und
-stellte sich unter die Linde. -- Gott im Himmel, hörte er sagen, das ist
-Raimund! Er schlug die Augen auf, und Blanka's blaues Auge ging in das
-seine. Er kannte sie gleich. Sie umschlossen sich, als wenn die Arme
-sich nie wieder los lassen wollten. Auf den lauten Freudenschrei eilte
-die Mutter herbei, und fand das unvermuthete Glück, das sie noch nicht
-begriff. Auch Walther und Anselm kamen. Walther war so entzückt und
-berauscht, als wenn er selbst der Bräutigam wäre.
-
- * * * * *
-
-Im Hause des Pfarrers tobte indessen ein lautes Getümmel. Die
-Hochzeitgäste waren so lustig, daß es die Glücklichen endlich auch auf
-der Wiese hörten. Der alte Baron hatte indessen schon seinen Sohn
-Theophilus heraus gesucht und ihm unter Umarmungen seine Vaterschaft
-erklärt. Ich habe nun auch einen Vater! rief Theophilus im Hause lärmend
-umher, und schlug laut lachend mit den Beinen aus, als der Pfarrer ihm
-dazu vernünftig Glück wünschen wollte. Wolfsberg machte es mit dem
-Pfarrer ab, daß er ihn in den nächsten Tagen mit seiner überglücklichen
-Franziska verbinden sollte. Der Gerichtspräsident Walther konnte in der
-Leidenschaft des Glücks nicht so mit dem Geistlichen sprechen, wie
-dieser es wohl verdient hätte; auch wurden alle Unterhandlungen durch
-ein laut schmetterndes Posthorn unterbrochen. Eine glänzende Equipage
-hielt, viele zierlich gekleidete Diener beeiferten sich, einen
-ansehnlichen Mann, der auf dem Rocke einen großen Stern trug, aus dem
-Wagen zu heben. Die Dorfleute befiel ein stilles Grauen, und als Anselm
-ausrief: der alte Graf Birken! so fing der Pfarrer an zu zittern.
-
-Wo ist mein ungerathener Sohn? schrie der alte Graf, als er in das mit
-Menschen überfüllte Zimmer trat. Die Braut heulte laut, und die
-anwesenden Weiber aus dem Dorfe stimmten in denselben Ton ein. Wo ist
-Caspar Birken? schrie der Alte noch einmal. Hier, winselte der junge
-Graf, der sich hinter einen großen eichenen Tisch verschanzt hatte. --
-Und wo ist der unverschämte Pfaff, der es gewagt hat, den dummen Laffen
-mit seiner Tochter zu verkuppeln? -- Hier! rief der Pfarrer, der sich
-indessen wieder gesammelt hatte; aber keine Verkuppelung, sondern eine
-ächte christliche Ehe, wie unsre Kirche sie vorschreibt. -- »Die wird
-wieder geschieden!« -- »»Die wird nicht geschieden!«« -- »Sie ist nicht
-gültig, so gewiß da oben auf den Ebreschenbäumen keine Aprikosen
-wachsen.« -- »»Sie bleibt so lange gültig, bis da oben die rothe
-Felsenwand ein Mensch hinauf klettern kann, und von den nämlichen
-Ebreschenbäumen sein Veto in das Thal zu uns herunter schreit.«« -- »Und
-wenn ich Blut und Leben, wenn ich mein Vermögen lassen muß, und wenn ich
-der Mörder meines eigenen Sohnes werden sollte, so gebe ich zu dem
-Unsinn nie meine Einwilligung.« -- »»Und wenn ich, schrie der Pfarrer
-entgegen, prozessiren müßte, bis ich keinen Groschen mehr hätte, und
-wenn ich zur Fortsetzung des Prozesses von dem Junker Görge, oder einem
-noch Einfältigern, das Geld betteln müßte, so lasse ich die Sache nicht
-ruhn. Mein Kind muß glücklich und Gemahlin des Grafen, Ihres Sohnes,
-bleiben. Wissen Sie, was ein Horoskop ist?«« -- »Nein.« »»Nun, dann
-können Sie auch gar nicht mit sprechen. Sehn Sie dies Papier; in der
-Geburtsstunde meiner Tochter habe ich alle ihre Sterne beobachtet, und
-schon damals mit Gewißheit prophezeiht, daß sie eine Gräfin werden
-müsse. Was können Sie gegen alle Sterne ausrichten? He?««
-
-Der Graf sah das Papier eine Weile mit staunenden Blicken an. He!
-Caspar! schrie er von Neuem. Heraus aus Deinem Winkel, Du Satansbrut!
-Komm her, Spitzbube, ich will Dir ja meinen väterlichen Segen geben,
-weil es denn also doch einmal nicht anders seyn kann.
-
-Der junge Birken hüpfte herbei, er legte die Hand des Sohnes in die
-seiner Braut und küßte das kleine dicke Mädchen dann recht herzlich auf
-den Mund. Nun, Spaß bei Seite, sagte hierauf der alte Herr bedächtlich,
-im Grunde ist es mir ganz lieb, daß die Sache so gekommen ist, denn der
-Junge hätte einmal noch ärger anlaufen können; er kommt somit in eine
-ziemlich reputirliche Familie; der Mosje Caspar muß nun aber seine
-dummen Teufeleien lassen, die ihm einmal den Hals hätten kosten mögen;
-der Schwiegerpapa ist ein resoluter Kerl, der wird ihm wohl den Daumen
-aufs Auge halten. Aber nun kriegt Dein jüngerer Bruder die großen Güter,
-und Du, Hasenfuß, trittst in seine Rechte, wie es auch eigentlich viel
-vernünftiger ist.
-
-Alles war zufrieden und glücklich. Walther und Raimund waren indeß mit
-der geliebten Blanka zum Hause des Edelmanns gewallfahrtet. Es war
-vorläufig davon die Rede gewesen, den Jugendwohnsitz Raimunds wieder zu
-kaufen; auch zeigte sich die Möglichkeit einer Verbindung zwischen der
-empfindsamen Baronesse und Theophilus, da dieser jetzt von seinem Vater
-anerkannt wurde.
-
-Alle gingen selig, in Gefühlen und Hoffnungen schwelgend, sprechend und
-scherzend die grüne Wiese hinunter. Kilian unterhielt sich mit Sokrates.
-Gnädige Frau, sagte er nachher zu Görges Mutter; der Mann kann Ihrem
-Sohne auf die Beine helfen; ich habe ihm auf den Zahn gefühlt, ich habe
-mit ihm disputirt, einen solchen Gelehrten bekommen Sie niemals wieder.
-Indem man noch sprach, hörte man von oben, die Felswand herunter ein
-lautes Veto! rufen. Alle sahen hinauf und schwindelten, denn von der
-steilsten Höhe hing der alte Graf Birken reitend auf einem
-Ebreschenbaum. Veto! rief er noch einmal; aber nun kommt schnell zu
-Hülfe, oder ich breche den Hals! Widerrufen Sie erst Ihr Veto! schrie
-der Pfarrer hinauf. Ich widerrufe, tönte es herab, aber ich werde doch
-den Hals brechen. Die Bedienten liefen: die Leute aus dem Dorfe holten
-Stangen, Leitern und Stricke. Plötzlich brach der Baum, und der Graf
-stürzte herab; er kam aber noch ziemlich glücklich auf dem Boden, zur
-Freude Aller, an. -- Wie ist er nur auf die steile Wand gekommen? rief
-der Pfarrer. Ja, Schwiegervater, antwortete der junge Graf Birken, Sie
-sehen, mein Papa ist noch toller, als ich!
-
-Die Sonne sank und beschloß den seligsten Tag, den Walther, Blanka und
-Raimund noch erlebt hatten. Franziska schloß sich diesen an, und im
-gebesserten Herzen fühlte sich Adlerfels als den glücklichsten Menschen.
-
-
-
-
- Musikalische Leiden und Freuden.
- Novelle.
-
-
-Zwei Freunde stiegen vor der Stadt vom Wagen, um zu Fuß durch die Gassen
-zu wandeln und den Fragen am Thor auszuweichen. Es war noch ganz früh am
-Morgen und ein Herbstnebel verdeckte die Landschaft. Etwas entfernt vom
-Wege bemerkten sie ein kleines Häuschen, aus welchem schon früh vor Tage
-eine herrliche Frauenstimme erklang. Sie gingen näher, erstaunt über den
-unvergleichlichen Diskant, wie über die ungewöhnliche Stunde. Einige
-Träger brachten Lauten und viele Notenbücher, die kleine Thüre öffnete
-sich, und neugierig gemacht, fragte der ältere Reisende einen von den
-Tagelöhnern: hier, mein Freund! wohnt wohl ein Musikus und eine
-Sängerin? Der Teufel und seine Großmutter wohnt hier! erscholl eine
-krächzende Stimme von oben aus dem offnen Fenster, und zugleich fiel ein
-Lauten-Futteral dem Fragenden auf den Kopf. In diesem Augenblick hörte
-der Gesang auf, und der Frager sah im Fenster ein kleines greises
-Männchen stehn, welches die zornigsten Geberden machte, und dessen
-funkelnde schwarze Augen aus tausend Runzeln hervor grimmige Blicke
-herunter schossen. Der Reisende wußte nicht, ob er lachen oder schelten
-sollte, doch sprach ihm aus dem greisen Kopfe etwas so Wunderliches an,
-daß er in Verlegenheit den Hut zog, und sich mit einer höflichen
-Verbeugung stumm entfernte.
-
-Was war das, Herr Kapellmeister? sagte der jüngere Reisende, als sie das
-kleine Häuschen schon im Rücken hatten. Ich weiß nicht, erwiederte
-jener, vielleicht ein wahnsinniger alter Mann, vielleicht gar dort in
-der Einsamkeit, in der Nähe des Tannenwäldchens, eine Spukgestalt.
-
-Sie scherzen, sagte der Sänger; ich begreife jetzt selber nicht, wie wir
-so gelassen seyn konnten, dem Alten auf seine Grobheit nichts zu
-erwiedern.
-
-Lassen wir es gut seyn, sagte der Kapellmeister, indem sie schon die
-noch ruhige Straße der Residenz hinunter gingen: in dem Ton der Sängerin
-war etwas so Wunderbares, daß es mich tief ergriffen hat; ich war wie im
-Traum, und darum konnte mir auch der alte Thor keinen Zorn abgewinnen.
-
-Wieder die alte Schwärmerei und Güte! rief der Sänger lachend aus; denn
-erstens haben wir so gut wie nichts gehört, und zweitens war in dem
-Wenigen noch weniger Besonderes zu vernehmen, es war weder Methode noch
-Schule in dem traurigen Gesange.
-
-Als sie jetzt um die Ecke nach dem Gasthofe zu bogen, hörten sie aus
-einem obern Stock ein Lied pfeifen; ein rundes, junges Gesicht kuckte
-mit der Schlafmütze aus dem Fenster, und so wie er die Fußgänger gewahr
-wurde, schrie er: Haltet, Freunde! einen Augenblick! ich bin gleich
-unten! Gott im Himmel! das ist eine Erscheinung! Er zog den Kopf so
-schnell zurück, daß er ihn heftig an das niedere Fenster stieß und die
-Bekleidung des Hauptes langsam schwebend zu den Füßen des Kapellmeisters
-nieder sank.
-
-Wunderbar! rief dieser, indem er die Zipfelmütze aufhob; sagen diese
-sonderbaren Vorbedeutungen uns etwas Gutes oder Schlimmes voraus?
-
-Es ist unser Enthusiast Kellermann, erwiederte der Sänger: hören Sie, er
-rasselt schon mit dem Hausschlüssel.
-
-In diesem Augenblick stürzte der Bewunderer im Schlafrock heraus und
-umarmte die beiden Künstler mit theatralischer Herzlichkeit; er wurde es
-nicht müde, jedem wieder von Neuem an die Brust zu stürzen, ihn zu
-drücken und dann die Arme verwundernd in die Höhe zu strecken, bis der
-Sänger endlich sagte: Laßt es nun gut seyn, Hasenfuß! Ihr habt das Ding
-jetzt hinlänglich getrieben. Ein Glück, daß noch kein Mensch auf der
-Straße ist, sonst würden Eure Bockssprünge in dem saffrangelben
-Schlafrock alle Gassenjungen aufregen.
-
-Also Ihr seid nun wirklich da, Ihr goldnen Menschenkinder? rief der
-Enthusiast aus; was würde es mich kümmern, wenn der vollständige
-Magistratus an meinem Entzücken Aergerniß oder Theil nehmen wollte? Habe
-ich doch seit drei Monaten nicht begreifen können, wozu diese Gasse
-eigentlich gebaut sei, noch weniger, warum sie so viele Fenster zum Auf-
-und Zuschieben habe, bis nun endlich ihre Bestimmung erfüllt ist; Ihr
-kommt durch dieselbe hergegangen, und ich kucke da oben mit meiner
-verlornen Mütze heraus, um Euch im Namen der Nachwelt zu begrüßen. Also
-nun wird Eure Oper doch gegeben werden, ausbündigster Mann?
-
-Sind denn Sänger und Sängerinnen auch noch alle gesund? fragte der
-lebhafte Kapellmeister.
-
-So, so, erwiederte jener, wie es die Laune mit sich bringt; genau
-genommen, existirt das Volk gar nicht, sondern lebt nur wie im Traum;
-die Zugabe, die an die Kehle mit Arm und Bein gewachsen ist, macht es
-oft schwer, sie nur zu ertragen, der unnatürliche Geschwulst aber oben,
-den sie Kopf tituliren, ist wie ein Dampfkolben, um in diesem
-Recipienten die unbegreiflichsten Verrücktheiten aufzunehmen. In so weit
-sind sie alle gesund, als es ihnen bis jetzt so gefällt, ist aber die
-und jene Arie ihnen nicht recht, hat der eine zu viel, die andre zu
-wenig zu singen, geht die Arie aus As moll, wenn sie Gis seyn sollte, so
-fallen sie vielleicht binnen drei Tagen wie die Fliegen hin.
-
-Zieht Euch an, sagte der Sänger, und kommt zu uns in den Gasthof hier
-drüben, so können wir mehr sprechen, auch sollt Ihr uns auf den Besuchen
-begleiten.
-
-Ohne Antwort sprang Kellermann in sein Haus, und die Reisenden begaben
-sich in das Hotel, wo sie ihren Wagen schon fanden.
-
- * * * * *
-
-Im Hause des Barons Fernow war am Abend große Gesellschaft versammelt.
-Der Ruf, daß der beliebte Kapellmeister und sein erster Tenorist endlich
-angekommen seien, hatte in die Wohnung des Musikfreundes alles
-getrieben, was sich für die neue Oper interessirte. Man hoffte, einige
-der vorzüglichsten Partien vorgetragen zu hören, und viele drängten sich
-hinzu, um wenigstens nachher in andern Gesellschaften darüber sprechen
-zu können.
-
-In diesem Getümmel, welches der Hausherr, seine Frau und eine Tochter
-mit Klugheit beherrschten, schwamm der behende Enthusiast wie in einem
-Strome herum, um Jedem von der Herrlichkeit der neuen Composition
-begeisterte Worte, über die große Manier, die lieblichen Melodieen und
-den vortrefflichen Ausdruck in das Ohr zu raunen, obgleich er selbst
-noch keine Note davon gehört hatte. Sein rundes geröthetes Gesicht schob
-sich wie eine Kugel von einem zuhörenden Kopf zum andern, und die
-meisten Gesichter zogen jene nichtssagende Miene, die in Gesellschaften
-geistreiche Aufmerksamkeit bedeuten muß. Jetzt wurde ein Theil der
-Versammlung auf einen andern Gegenstand hingerichtet, denn in einfacher,
-höchstsauberer Kleidung trat ein junges Mädchen herein, von so
-glänzender Schönheit, daß man ihren unbedeutenden Anzug über den edlen
-und ausdrucksvollen Kopf, über die vornehme Geberde, den feinen Anstand
-gänzlich vergaß, und die Nahestehenden sie mit Ehrfurcht begrüßten. Die
-Tochter des Hauses eilte auf sie zu, indem sie ausrief: o meine
-theuerste Julie! wie glücklich machen Sie mich, daß Sie meinen Bitten
-doch noch nachgegeben haben! Aber Ihr Vater? -- Sie wissen ja,
-erwiederte die Schöne, wie menschenscheu er ist, wie wenig er mit seiner
-Melancholie und Kränklichkeit in die Gesellschaft paßt; und ich gestehe,
-ich würde auch nicht gekommen seyn, wenn ich einen so großen Cirkel
-hätte vermuthen können.
-
-Die Umgebung sprach über die außerordentliche Schönheit dieses Wesens,
-und man erfuhr, daß sie die Tochter eines armen Musikers sei, die aus
-einer entfernten Stadt dem Fräulein des Hauses einen Brief einer
-Freundin überbracht hatte. Immer noch hatte der Kapellmeister mit seinen
-Sängern keines der Stücke vorgetragen, weil der Wirth noch einen jungen
-Grafen erwartete, der einer der größten Enthusiasten für Musik seyn
-sollte. Denken Sie sich, sagte der Baron zum Kapellmeister, den
-sonderbarsten, unruhigsten aller Menschen, nichts interessirt ihn als
-Musik, er läuft von einem Concert in's andre, er reis't von einer Stadt
-zur andern, um Sänger und Compositionen zu hören, er vermeidet allen
-andern Umgang, er spricht und denkt nur über diese Kunst, und selten ist
-er doch ruhig genug, ein Musikstück ganz und mit völliger Aufmerksamkeit
-anzuhören, denn er ist eben so zerstreut als überspannt. Dazu scheint er
-den eigensinnigsten und eingeschränktesten Geschmack zu haben, so daß
-ihm selten ein Kunstwerk zusagt, eben so wenig ist er mit dem Vortrag
-zufrieden, und dennoch bleibt er Enthusiast. Er ist von großer Familie
-und reich, war eine Zeit lang in diplomatischen Geschäften an einem
-angesehenen Hofe, hat aber Alles der Musik wegen, die er doch oft nach
-seinen Reden zu verabscheuen scheint, aufgegeben.
-
-Die nähern Freunde des Barons waren nach dieser Schilderung sehr
-begierig, einen Mann zu sehen, der wie von bösen und guten Geistern
-geplagt und verfolgt wurde. Als daher Graf Alten eintrat, sahen ihm alle
-mit großer Neugier entgegen. Er begrüßte die Gesellschaft hastig und
-sein dunkles Auge durchlief sie eilig; dann senkte er den Blick und
-setzte sein Gespräch mit einem alten, hagern und eingeschrumpften
-Italiener fort, welcher mit ihm gekommen war. Doch plötzlich brach er ab
-und rief halb vernehmlich: Himmel! was ist das? Er stand unmittelbar
-hinter Julien. Jetzt sang der Tenorist eine Arie der neuen Oper, und
-Alles schien begeistert, der Graf war in tiefen Gedanken. Nun,
-Eccellenza, fragte der Italiener am Schlusse, sein Sie contentirt? Ich
-habe keinen Ton gehört, antwortete der Graf, indem er den Kopf erhob und
-die schwarzen Locken aus der denkenden melancholischen Stirne strich.
-
-Er benutzte die Pause, in welcher sich Alles lobend und bewundernd um
-den Kapellmeister drängte, vorzutreten und sich neben Julien zu setzen.
-Er wollte sie anreden, aber indem sie höflich das Antlitz zu ihm wandte,
-fuhr er wie erschreckt zurück. Nein, wahrlich, dergleichen hatte ich
-nicht erwartet! sagte er für sich. Das junge Mädchen war erstaunt und
-verlegen. Verzeihen Sie, redete der Graf sie heiterer an, Sie werden
-mich sonderbar finden; als ich vorher hinter Ihnen stand, mußte ich
-glauben, eine ehemalige Bekanntschaft zu erneuen, und jetzt bin ich von
-Ihrer mehr als wunderbaren Schönheit so geblendet worden, daß ich Zeit
-haben muß, um mich zu fassen. Die wahre ächte Schönheit kann wohl
-erschrecken, denn etwas Uebermenschliches kündigt sich unsern Sinnen und
-dem Gemüthe an. Himmel! wie müssen Sie singen!
-
-Ich singe gar nicht, Herr Graf, und habe weder Stimme noch Kenntniß der
-Musik, erwiederte sie mit angenehmem Ton.
-
-Der Graf sah sie prüfend an, schüttelte dann zweifelnd den Kopf und
-murrete unverständliche Worte verdrossen vor sich hin. Jetzt wurde ein
-Duett vorgetragen, und Alles war aufmerksam, nur der Graf betrachtete
-unverwandt seine Nachbarin. Das Duett war schwierig und die erste
-Sängerin äußerte ihren Verdruß, der Kapellmeister wurde empfindlich,
-wies zurecht, half nach, Alles vergebens; man mußte abbrechen, indem die
-Virtuosin behauptete, die Passage müsse geändert werden, weil sie ihrer
-Stimme ganz entgegen sei; der Componist meinte, er dürfe Ausdruck und
-Kraft nicht dem Eigenwillen aufopfern, denn die vortreffliche Künstlerin
-könne dies und noch schwierigere Sachen leisten, wenn sie sich nur
-bemühen wolle. Darüber aber wurde der Gesang völlig unterbrochen, und
-indem der Kapellmeister ein anderes Musikstück anordnen wollte, sagte
-der Graf zu Julien: ich wette, Sie können diese schwierige Stelle ohne
-Anstoß vom Blatte singen, wenn Sie nur wollen. Als Julie zu leugnen
-fortfuhr, sagte jener: Ihre Röthe, Ihr Auge widerspricht! Wie? dieser
-gewölbte Mund sollte in der Mitte der Lippen diese sanfte, seelenvolle
-Erhöhung von selbst haben, und nicht von den reinen vollen Tönen, die so
-oft über diesen Hügel schwebten? Denn nur der Ton, wenn er stark und
-lieblich die rothe Straße befährt, darüber klingend weht, bildet diese
-ausdrucksvolle Erhebung; ganz im Gegensatz jener gefurchten Mundwinkel,
-die jene berühmte Sängerin dort hat, die mit breitgedrückten und in die
-Länge gequetschten Lippen den armen kreischenden Ton hervor preßt. Sie
-versündigen sich, meine Schöne, daß Sie Ihr großes Talent verleugnen
-wollen.
-
-Sie sind zu scharfsichtig, erwiederte Julie; um so trauriger, daß Sie
-dennoch irren.
-
-Sie sprechen auch ganz wie eine Sängerin, fuhr jener fort, es ist ein
-lieblicher aber unterdrückter Ton in der Rede, der seine Fittige nicht
-auszufalten wagt. Wenn Sie doch nur wenigstens einen einzigen Ton
-anschlagen wollten! das Glück meines Lebens hängt davon ab, daß Sie
-singen können.
-
-Sie quälen mich, Herr Graf, antwortete die Verlegne empfindlich; ich
-versichere Sie auf das Theuerste, ich werde nicht singen, weil mir diese
-herrliche Gabe von der Natur versagt wurde.
-
-Gnaden, sagte der braune kleine Italiener, sollen Alles zu Virtuosen
-haben: kann aber nicht Alles singen, was hübsch und feinen Mund hat.
-Conträr! haben oft göttliche Prima Donna vor pur himmlisch Gesang und
-forzirt Schreien eine Schnautz wie Signor Cerberus, der die Talent hat,
-dreistimmige Sach solo durchzuführen.
-
-Der frohe leichte Geist der Musiker war gestört, der Kapellmeister
-verstimmt, und die erste Sängerin mehr als verdrießlich. Der Enthusiast
-war in der Klemme, weil er es mit keinem verderben und doch keinen
-stummen gleichgültigen Zuschauer abgeben wollte. Da man sah, daß für
-diesen Abend nichts Bedeutendes mehr geschehen würde, so entfernten sich
-nach und nach die Fremden, auch die Musiker gingen, und nur der
-Kapellmeister blieb, dem sich der Enthusiast, ohne eine nähere Einladung
-abzuwarten, anschloß; der gedankenvolle Graf und sein Italiener
-verweilten ebenfalls, um mit der Familie des Barons beim Glase Wein und
-einem leichten Abendessen sich zu erheitern.
-
-So ist es nun wieder wie fast immer ergangen, fing der Kapellmeister an,
-als sie um den runden Tisch saßen; man arbeitet sich ab, man studirt,
-man quält, und endlich freut man sich auch, wenn das Werk vollendet ist
-und gelungen scheint, und dann muß es diesen elenden, verdorbenen
-Handwerkern übergeben werden, die nichts gelernt haben, und mit dem
-Wenigen, was sie wissen, noch wie mit Wunderwerken hinter dem Berge
-halten wollen. Kann es einen traurigern Beruf, als den eines
-musikalischen Componisten geben? Denn endlich nun, wenn auch dieser
-Jammer durch Bitten, Drohen, Scherzen, Vergötterung, Lüge und
-Falschheit, durch kleine Aenderungen, Zusätze und Wegnahme überwunden
-ist, wird das gemarterte Werk der Laune des Publikums, und dem blinden
-Zufall, seinem allmächtigen Beherrscher übergeben. Nun muß es aber weder
-zu heiß, noch zu kalt, das Haus muß weder zu voll noch zu leer seyn,
-keine große politische Neuigkeit darf sich eben haben hören, ja keine
-Seiltänzer und Springer anmelden lassen, um das so nothwendige Klatschen
-und mit diesem armen Beifall einigen Enthusiasmus zu erregen. Und doch
-kann man es nicht lassen, sich wieder in der Vorstellung zu erhitzen, um
-eine neue undankbare Arbeit zu beginnen.
-
-Wo ist die Dame geblieben? fuhr der Graf plötzlich auf.
-
-Neben der Sie lange saßen? fragte die Tochter. Diese ist längst fort und
-von einer Magd abgeholt worden, denn sie wohnt entlegen, in einer
-fernen, unbekannten Gasse.
-
-Die sollte ihre treffliche Arbeit singen, sagte der Graf, da würden wir
-etwas anders hören.
-
-Sie irren, berichtigte die Tochter, ich weiß, daß das junge Frauenzimmer
-durchaus nicht musikalisch ist. Sie ist aber sonst in weiblichen
-Arbeiten sehr geschickt, auch hat ihr Vater, ein alter, verarmter
-Musikus, sie etwas zeichnen lernen lassen.
-
-O du alter Sünder! rief der junge Graf im höchsten Verdruß: und keinen
-Gesang diesen Lippen, keinen Ton diesem schwellenden Munde! Ist es
-nicht, als wenn man der Rose den Duft rauben wollte, den die Natur ihr
-gleich im Erblühen mitgegeben hat?
-
-Die Tochter war etwas empfindlich, denn sie glaubte auch eine Sängerin
-zu seyn, da aber der Kapellmeister in seiner Klage fortfuhr, so blieb
-ihre gespitzte Antwort unbeantwortet. Abgesehn aber, fuhr der
-Kapellmeister fort, von diesen armseligen Zufälligkeiten, so verkündigen
-sich auch erst am Kunstwerke selbst bei der öffentlichen Darstellung
-Mängel, welche sich der Componist vorher auf seinem Zimmer nicht hat
-träumen lassen. Denn mögen wir ein Werk noch so oft durchsingen, genau
-kennen, von allen Seiten prüfen, das Urtheil aller Freunde und Kenner
-vernehmen, so bleibt Manches, und oft das Beste, zurück und das
-Schlimmste zeigt sich bei der Aufführung erst. Und überhaupt -- die
-Bestimmung des Künstlers! Ist sie nicht eine traurige? Ich setze mich zu
-keinem neuen Werke nieder, ohne innig überzeugt zu seyn, daß ich nun
-etwas ganz und durchaus Treffliches, Vollendetes erschaffen werde, das
-meine großen Vorgänger erreicht, und sie selbst hie und da übertreffen
-möchte. Diese himmlische Ruhe und Sicherheit verschwindet aber bald
-während der Arbeit; mein Entzücken an meiner Hervorbringung wechselt mit
-den bittersten Zweifeln. Dann fühl' ich oft recht innig, daß ganz, ganz
-nahe an dem, was ich schreibe, das Wahre und Himmlische liegt, daß meine
-Noten anklopfen und den Wandnachbar, den unbekannten, begrüßen: mir ist,
-ich dürfte nur den Kopf so oder so wenden, so müßte mir der Genius
-sichtbarlich entgegen treten, -- und immer, immer wieder erscheint er
-nicht! Mein Geist quält sich, um außen, weit ab, die Bahn anzutreffen --
-und so im Jammer, im Resigniren, arbeite ich weiter. Es gemuthet mir wie
-der Affe mit seiner traurigen Unruhe und dem fatalen Gesichterschneiden:
-vielleicht hat er jeden Moment dunkler oder deutlicher eine Ahndung von
-der Vernunft, will sie nun, die nah Erreichbare, und nun wieder haschen
-und sich dann besinnen, und findet sich immer wieder in seinem
-widerwärtigen Zustand eingeriegelt.
-
-Jetzt trat noch ein Mann reifen Alters zur Gesellschaft, ein Gelehrter
-und Hausfreund des Barons, der sich fast täglich einfand, aber gern die
-größeren Versammlungen vermied. Sie haben wieder, redete ihn der Wirth
-an, unser Concert, wie Sie es gewöhnlich machen, nicht mit anhören
-wollen. Ich bin zu sehr Laie, erwiederte der Freund, und darum mag ich
-mich nicht unter die Kenner drängen; soll der Unmusikalische den
-Gebildeten durch seine trockne Gegenwart ihren Genuß verkümmern?
-
-Wir kennen diesen Schalk schon, rief ihm der Kapellmeister zu, indem er
-den alten Bekannten begrüßte. Sie haben recht gethan, denn unsre
-Sängerinnen haben wieder den alten Spuk getrieben, schlecht gesungen,
-sich zu vornehm gedünkt, die Musik kritisirt, und endlich damit
-beschlossen, alle Musik in Verstimmung und Eigensinn zu beerdigen.
-
-Sie sind also wirklich unmusikalisch? fragte der Enthusiast; und Sie
-machen auch kein Hehl daraus?
-
-Warum sollte ich es? antwortete der Laie; kein Mensch kann alle Talente
-in sich vereinigen, oder alle seine schlummernden Anlagen erwecken und
-ausbilden.
-
-Viel Charakter, es so dreist zu bekennen, erwiederte der junge Mann, der
-durch vieles Schwatzen während der Musik und dem hastigen Genuß des
-starken Weines in eine Laune erhitzt gerathen war, deren Sonderbarkeit
-er selber nicht zu bemerken schien: sehn Sie, fuhr er fort, daraus ist
-schon viel Unheil für mich entstanden, daß ich mich zu solchem Muthe
-nicht habe entschließen können. Ich war anfangs (und wie es schien, von
-Natur so geschaffen) gar kein Musikfreund, ich hatte kein Ohr, ich
-konnte keine Melodie behalten; darum vermied ich auch Concerte und
-Opern, und in Gesellschaften, wenn Lieder gesungen, wenn Cantaten
-aufgeführt wurden, sprach ich entweder, oder suchte eines Buches habhaft
-zu werden. Denn gewiß, nichts verschließt unser Ohr so sicher vor all
-den herein und durch einander fahrenden Tönen, als ein tüchtiges und
-vorhaltendes Gespräch über Stadtneuigkeiten oder einige interessante
-Verleumdungen. Sehe man nur den Stock! ertönte es nun von allen Seiten:
-hat die dicke Figur wohl eine menschliche Seele in seinen weitläufigen
-Fleischanlagen sitzen? Von der Musik, der göttlichsten aller Künste,
-nichts zu verstehn! Ist wohl ein Block, ein Stein, der nicht
-gewissermaßen von der himmlischen Harmonie gerührt werden müßte? -- Nun
-gefiel mir dazumal auf mehr als gewöhnliche Weise ein gewisses
-Frauenzimmer: diese pflegte, so wie gesungen wurde, vor übermäßiger
-Empfindung herzlich zu weinen. Dieser nun war ich mit meinem kalten
-Herzen gradezu ein Abscheu. Wie? sagte sie, lieben wollen Sie, der Sie
-nicht einmal eine Ahndung jener Wonne haben, die aus dem Himmel stammt,
-und mit der Liebe so nah verwandt ist? -- Da, Freunde! faßte ich nun den
-großen Entschluß, umzusatteln, und von der Musik gehörig begeistert zu
-werden. Alle meine Freunde und Bekannten erstaunten, als ihnen meine
-neugeprägte blanke Entzückung in die Augen strahlte. Da war nun auch gar
-kein Halten mehr, ich übertraf Alles in der Begeisterung, was ich nur je
-in den Gesellschaften hatte beobachten können; Alles zappelte an mir vor
-Freude, so wie nur das Clavier angeschlagen wurde, die Beine trommelten,
-die Arme schlenkerten, die Augen wackelten, ja ich nahm die Zunge zu
-Hülfe, und leckte mir zuweilen die vor Erstaunen weitgeöffneten Lippen.
-Dann mußten die Hände klatschen, die Augen, wenn es irgend möglich zu
-machen war, weinen, die ausgestreckten Arme Bekannt und Unbekannt an
-dies stürmische Herz schließen, das mit mächtigen Schlägen im wildesten
-Enthusiasmus klopfte. Ja, wenn ich nachher in mein einsames Zimmer trat,
-war ich so müde und matt, so mürbe und zerschlagen, daß ich zuweilen
-Kunst und Künstler, Liebe und Harmonie, so wie alle die bezaubernden
-Gefühle zum Satan wünschte.
-
-Aber empfanden Sie nun wirklich recht viel? fragte der Laie lachend.
-
-Das ist eine bedenkliche Frage, erwiederte der Enthusiast; was der
-Mensch so stürmisch will, davon muß wohl etwas auch wirklich in sein
-Wesen übergehn; es wäre unbegreiflich, wenn durch das vorsätzliche
-Nachspielen nicht hie und da ein Gefühl in unsrer Brust wiederklingen
-sollte. Aber um doch ganz aufrichtig zu seyn, so war mir bei all diesem
-Bewundrungsbemühen oft unerträglich nüchtern zu Muthe, so recht, was der
-Haufe langweilig nennt, und wenn ich nicht so stark mit Händen und Füßen
-gearbeitet hätte, so wäre mir wohl oft ein herzliches Gähnen angekommen.
-Das Schlimmste aber ist, ich habe doch nichts dabei gewonnen; denn meine
-boshaften Freunde meinten, ich hätte den Ansatz zu hoch genommen, und
-sei von der andern Seite vom Pferde wieder hinunter gefallen. Sei ich
-erst wie ein verstocktes dumpfes Thier gewesen, so erscheine ich jetzt
-wie ein verwilderter Hasenfuß, mein Enthusiasmus träte als ein
-verzerrender Krampf auf, man müsse fast glauben, mein Arzt habe mir
-diese übertriebene Motion nur empfohlen, um sie gegen mein Fettwerden zu
-gebrauchen. Ach! und die Musiker! Von denen habe ich das Meiste
-gelitten. Vor acht Monaten war es, als hier im Saal die beiden berühmten
-Compositeurs ihre Sachen aufführten. Wie der erste geendigt hatte,
-konnte ich ihm richtig mit fließenden Thränen an seinen Hals fallen, und
-der Mann klopfte mir selber über mein Entzücken gerührt mit aller
-Freundschaft auf den Rücken, wir drückten uns recht herzlich zusammen,
-und er sagte ganz laut, er habe noch keinen so gründlichen Kenner in
-allen Reichen der musikalischen Welt angetroffen. Nun brannte der andere
-Mann aber auch sein Kunststück los. Thränen hatte ich nicht mehr, es
-meldete sich aber ein großartiges Schluchzen, was noch höher lag als die
-Thräne, -- und ein ganz stummer Druck, ein Vergehen, Aufgelöstseyn, fast
-sterbend in die Arme des zweiten Hinfallen, ja ein reelles Abstehn mußte
-diesen großen Meister belohnen. Der grobe Schelm ließ mich aber geradezu
-auf das Parket hinschlagen, ohne mir seine dankbare Brust
-unterzustemmen, und sagte, wie ich in der Kunstohnmacht lag, höhnisch zu
-mir: bleiben Sie in des Himmels Namen liegen, denn wer über die
-Stümperei jenes Menschen dort weinen kann, verdient gar nicht, einen Ton
-von mir mit seinen Ohren aufzufassen. So erhob ich mich, um Trost bei
-meinem großen Freunde zu suchen, dessen allergrößter Kenner ich war. Er
-sprang aber auch vor meinem Ausruf weg, so daß ich mit der Nase fast an
-die Wand stieß, unter dem nichtigen Vorwande, daß wer so wenig ächtes
-Gefühl besitze, daß er das Armselige wie das Edle so übermäßig bewundern
-könne, für die Kunst ein mißgeschaffenes Ungeheuer sei. Wie ich nun bei
-meiner Geliebten Hülfe suchen wollte, war sie ebenfalls gegen mich
-empört, denn ich hatte bei ganz unrechten Stellen geweint und da am
-lebhaftesten empfunden, wo grade die wenigste Empfindung hingehörte. O
-Theuerste, Verehrteste, möchte man nicht fast veranlaßt seyn, den Schwur
-zu thun, daß man bei Arioso und Cavatine, Finale und Ouvertüre, Adagio
-und Presto nur mit ruhig gekretschten Beinen dasitzen und höchstens
-zuweilen den Tact schlagen wolle; denn wenn all dies Hämmern und Puffen,
-dies Abarbeiten unsers irdischen entzückten Herzens, diese weissagende
-rinnende Thräne, die den Wiederschein der Unsichtbarkeit abspiegelt;
-wenn alles dies nichts fruchtet, sag' ich noch einmal, und statt
-paradiesischer Sympathie nur die infernalische Antipathie erregt, so
-wünschte man ja lieber Balgentreter oder Schmiedegesell, als ächter
-Enthusiast zu werden. Darum wundert Euch nicht, wenn ich der undankbaren
-Kunst wieder einmal den Rücken wende.
-
-Als man über diese Geständnisse lachte, sagte der Laie im frohen Muth:
-in meinem Leben gehören die Leiden der Musik auch zu den
-empfindlichsten. Nicht der zu starke Enthusiasmus hat mir geschadet,
-wohl aber sind meine Kinder- und frühen Jugendjahre mir durch Musik
-verbittert worden. Lächerlichkeiten, an die ich noch jetzt mit einigem
-Schrecken denken muß.
-
-Sprechen Sie, alter Freund, rief der Kapellmeister, habe ich doch auch
-schon erst mein Leiden geklagt, was Sie freilich nicht mit angehört
-haben.
-
-Ich mochte zwölf Jahr alt seyn, fing der Laie an, es ging mir gut, in
-der Schule rückte ich schnell hinauf, meine Lehrer so wie meine Aeltern
-waren mit mir zufrieden, als ein böser Geist, dieser Behaglichkeit und
-Harmonie zürnend, sein Unkraut unter den aufwachsenden Waizen säete.
-Mein Vater, ein strenger, aber heiterer Mann, ließ mir frei, meine
-Bestimmung zu wählen, er war ein Freund der Musik, aber ohne alles
-Talent. An einem Nachmittag fragt er mich, ob ich vielleicht Lust hätte,
-ein Instrument zu spielen. Mir war der Gedanke noch niemals gekommen;
-ich solle es mir überlegen, er verlange es nicht, aber wenn ich mich
-entschließe, müsse ich auch Ernst machen. Darauf kannte ich ihn, ich
-wußte, daß er sich nicht wundern würde, im Fall ich keine Musik triebe,
-aber einmal angefangen, durfte ich die Sache niemals wieder fallen
-lassen. Mir war, weil mein Ohr noch schlief, bis dahin alle Musik höchst
-gleichgültig und langweilig vorgekommen. Die Opern haßte ich geradezu,
-weil bei den Arien und Duetten, von denen ich nichts vernahm, die
-Handlung, die mich einzig interessirte, stehen blieb. Nie war in unserm
-Hausbedarf von Musik etwas vorgekommen, außer in den Stunden bei dem
-Tanzmeister, zu dessen vorzüglichsten Scholaren ich gehörte, der es mir
-aber nie hatte deutlich machen können, daß die Musik seiner Geige mit
-zum Tanz gehöre. Traf ich daher gleich anfangs den Tact, so tanzte ich
-meine Menuet, Cosak, oder was es war, trefflich hindurch. Fehlte es mir
-aber, so half kein Aufkratzen, Anhalten, Beschleunigen, mich wieder in
-den verlornen Tact zu werfen. Ich hielt es auch geradezu für
-Aberglauben, daß man herkömmlich zum Tanzen aufspiele. Konnte mich schon
-hier die Musik ängstigen, so brachte sie mich in der Kirche, die mir
-schon nicht erfreulich war, fast zur Verzweiflung. Meine Nerven waren
-schwach, und die losbrausende Orgel mit ihren schmetternden Tremulanten
-verwirrte mein Gehirn und unerträglich fiel mir der unisone kreischende
-Gesang der Gemeine. Mit beiden habe ich mich auch noch nicht vertragen
-lernen: die Orgel, sei sie eine erhabene Erfindung, erschreckt und
-ängstigt sie mich in der Nähe, und dieser Choralgesang, der sich so
-demüthig, wie gefesselte reuige Verbrecher, auf dem Boden hinschleppt,
-nimmt mir, so oft ich ihn auch gut vorgetragen höre, allen Muth, alle
-Poesie und Musik erlischt bis auf das letzte Fünkchen in meinem Gemüth,
-und ein nüchterner Lebensüberdruß bemächtigt sich meines Geistes.
-
-Darüber ließe sich viel sagen, meinte der Kapellmeister, doch komme auch
-wohl eine seltne Eigenthümlichkeit des Laien hinzu.
-
-So fern, begann dieser wieder, war ich aller Musik, und keine Spur eines
-Talents hatte sich gezeigt, als der böse Geist es mir in den Kopf
-setzte, in mir sei vielleicht ein großer Violinspieler verborgen. Die
-Geige wurde angeschafft, ein Lehrer angenommen. Es hatten sich aber nun
-der seltsamste Scholar und der wunderlichste Meister zusammen gefunden,
-denn dieser unterrichtete mich eigentlich so, als wenn ich schon seit
-Jahren ein nicht unwissender Violinspieler gewesen wäre. In der ersten
-Stunde ließ er mich nur die Geige anstreichen, was mir bei meinen zarten
-Nerven keine Freude verursachte. Zur folgenden hatte er mir schon ein
-Buch gemacht, und einige leichte Lieder hinein geschrieben. Dies Stück,
-sagte er, geht aus ^D dur^; es war: Blühe, liebes Veilchen. Ich
-bekümmerte mich nicht weiter darum, was die beiden Kreuze oder ^D dur^
-zu bedeuten hatten, ob es eine oder mehrere Tonarten gäbe, was die
-Tactabtheilung, oder die Striche an den Noten bedeuteten, sondern wir
-spielten nun wohlgemuth das Lied durch, und ich ihm nach, Fingersetzung
-und Alles aus dem Gedächtniß. So ging es beim zweiten und dritten Liede,
-welches aus ^C dur^ ging. Ich sah wohl, daß nun die Kreuze fehlten, und
-er nannte jedesmal die Tonart, wenn ich falsch griff, fand es aber gar
-nicht nothwendig, weitere Erklärung hierüber, oder über die Dauer der
-Noten hinzu zu fügen. Es klingt märchenhaft, aber eben so wahr ist es,
-daß ich in dieser Manier sechs bis sieben Jahr die Geige gestrichen
-habe, ohne daß der Trieb in mir erwachte, der Sache näher auf den Grund
-zu kommen, oder daß er es nothwendig geachtet hätte, unsrer practischen
-Kunst einige Theorie anzuhängen. Uebrigens kann man sich vorstellen, wie
-es lautete. Da ich Länge und Kürze der Töne, ihre Abweichung in Moll und
-Alles, was die Musik ausmacht, ohne jedes Verständniß, nur aus dem
-Gedächtniß spielte, (denn ich kannte nur die Note an sich selbst, so wie
-sie auf der Linie stand, und nichts weiter) da ich überdieß gar kein
-Gehör hatte, den Bogen schlecht führte, und in der Fingersetzung häufig
-irrte, so begreift sich's, was ich für ein Charivari hervor brachte.
-Mein Meister, der wirklich geschickt im Spiel war, klagte in jeder
-Stunde über seine Ohren. Ich selbst litt, so oft ich die Violine unters
-Kinn nahm, wahre Höllenpein. Dies Schnarren, Pfeifen, Mauzen und Girren
-war mir unerträglich: selbst der beste Geiger hat, wenn man ihn zu nahe
-hört, einen Nebenton, die stark angestrichene Saite, besonders in der
-Applicatur, überschreit sich zuweilen, aber bei mir thaten sich fast nur
-die abscheulichsten Mißtöne hervor. Da meine Nerven so stark afficirt
-wurden, so zeigte sich mein Widerwille gegen das Geheul und Schnarzen,
-welches meine Finger so dicht vor meiner Nase erregten, auch deutlich in
-meinen Gesichtsmuskeln, der Mund und die Wangen begleiteten mit
-widerlichen Verzerrungen die hohen und tiefen Töne, die Augen klemmten
-sich zu und rissen sich auf, und ich fühlte deutlich, daß manche neue
-Falten und Lineamente sich formirten, die ursprünglich nicht für ein
-gewöhnliches Menschengesicht berechnet waren. Mein tiefsinniger Meister
-schüttelte oft sein Haupt, und meinte, so wenig Talent als ich habe
-keiner seiner Scholaren. Mir begegneten aber auch in der That mehr
-Unglücksfälle, als ich sonst bei ausübenden Künstlern wahrgenommen
-hatte. Kamen wir so recht in Eifer und lieferten, nachdem ich schon
-länger studirt hatte, die raschen muthigen Passagen: so rutschte im
-Allegro mein Bogen über den Steg, und im Entsetzen ließ mein Lehrer die
-Geige sinken, denn welcher Ton alsdann im heftigen Streichen aufquikt,
-weiß nur der, dem dieses Abenteuer begegnet ist. Mehr wie einmal fiel
-der Steg selber um, wie aus Mitgefühl, und ein heftiger Knall endigte
-mit Macht ein schmachtendes Largho mitten in der Note. Einmal sogar, und
-ich dachte der Tod ergriffe mich, brach der Knopf ab, der unten das
-Saitenbrett festhält, und sprang unbarmherzig gegen meine Nase. Für
-diese Stunde war denn unsre Harmonie zu Ende, und das Instrument mußte
-erst wieder hergestellt werden. Nach einem Zeitraum war denn auch mein
-Vater so neugierig zu hören, wie ich mich applicire. Ich trug ihm einige
-der Lieder vor, die ich am besten inne zu haben glaubte. Er erschrak
-über das, was er hörte, und erstaunte noch mehr über das, was er sah. Er
-meinte nämlich, in der Kunst, Gesichter zu schneiden, sei ich
-unbegreiflich weit vorgeschritten, und meine Musik könne doch von Nutzen
-seyn, Ratten und Mäuse zu vertreiben; er warnte mich nur zum Beschluß,
-den Ausdruck meiner musikalischen Physiognomie doch etwas zu
-beschränken, weil ich außerdem auf dem graden Wege zum Affen sei. Das
-war mein Lohn dafür, daß ich das damals populäre rührende Lied: Hier
-schlummern meine Kinder &c. ihm nicht ganz ohne Glück vorgetragen hatte,
-denn dies war gradezu meine Lieblings-Arie, in der ich firm zu seyn
-glaubte, die auch in den Mitteltönen mit melancholischer Gesetztheit
-verweilte, und nicht in den Discant oder gar in die Applicatur hinauf
-stieg, die ich ein- für allemal verabscheute.
-
-Hatten Sie denn aber gar keinen Ersatz für diese mannigfaltigen Leiden?
-fragte der Kapellmeister launig.
-
-Wenig, erwiederte der Laie: als mein Lehrer es nöthig fand, wegen des
-Ausdrucks für mich ein Sordin zu kaufen, den ich mit Freuden aufsteckte,
-weil es doch einmal einen andern Ton gab, die Dämpfung auch wie ein
-spanischer Reiter es dem reißenden Bogen unmöglich machte, wieder
-jenseit dem Steg zu springen. Auch machte es mir innige Freude, als wir
-erst weiter vorgerückt waren, in den Ouvertüren die Vierundsechszigtel
-als eine und dieselbe Note dreißigmal abzuspielen, welche meistentheils
-gegen Ende des Stücks, kurz vor dem Aufzug der Gardine, vorkommen. Diese
-wiederholte ich gern in der Einsamkeit, weil in diesen Passagen keine
-große Schwierigkeit ist, mir auch der so oft wiederholte Ton die
-Empfindung gab, als wenn ich in meinem geliebten Theater säße.
-
-Aber damals, fragte der Kapellmeister, hatten Sie doch wohl einige klare
-Begriffe von der Musik?
-
-So wenige, antwortete der Laie, wie in der allerersten Stunde; Tact,
-Vorzeichnung, Tonart, nichts von alle dem begriff ich, sondern spielte
-Sonaten und Symphonieen so pur aus dem Gedächtniß hin, wie ich es von
-meinem Lehrer hörte! auch vernahm ich keine Melodie, keinen
-musikalischen Gedanken; hie und da führten mir wohl ein paar Tacte eine
-Art von Verständniß herbei, das ich aber nie weiter verfolgen konnte. So
-fern war ich allem Begreifen, daß ich mir einmal einbildete, weil ^g^,
-^h^, ^a^ und ^b^ vorkommen, daß das ganze Alphabet wohl in den Noten
-enthalten sei, und daß man bei der Composition eines Liedes nichts zu
-thun habe, als die Noten zu nehmen, die die Buchstaben eines Wortes
-bezeichneten, und sie dann schneller oder langsamer abzuspielen. Wie ich
-nun meinen Lehrer fragte, wo denn das ^m^, ^r^ oder ^p^ stecke, wurde
-ich zwar von diesem sehr verlacht, aber doch nicht besser belehrt, denn
-er erstaunte nur immer von Neuem über meine ungeheure Einfalt, daß ich
-das alles nicht wisse, was sich doch von selbst verstehe. Eben da mir
-alle Musik nur wie ein Charivari vorkam, so ließ ich mir beigehn, auch
-selbst einmal zu componiren. Der Tact schien mir gleich ein Vorurtheil,
-eine Tonart brauchte ich noch weniger, und nie werde ich die Freude
-vergessen, die ich meinem Meister machte, als ich meine wild zusammen
-gewürfelten Noten ihm als meinen ersten dichtenden Versuch überbrachte.
-Er wollte sich ausschütten vor Lachen, und konnte nicht müde werden,
-sich unter Lust und Freude meine Phantasie vorzuspielen. Mir klang sie
-wie jede andere Musik.
-
-Der braune alte Italiener erfreute sich sehr über diese Erzählung, und
-selbst der finstere Graf lächelte. Es ist unbegreiflich, sagte der
-Baron, daß Sie so lange ausgehalten haben. Ich mußte wohl, erwiederte
-der Erzähler, meines strengen Vaters wegen, da ich das Ungethüm einmal
-begonnen hatte. Sonst bekümmerte er sich nicht weiter um meine Kunst,
-weil er einigemal, da ich ihm Sonntags Nachmittags einen Zeitvertreib
-machen sollte, von meinem Spiel, wie er behauptete, Zahnschmerzen
-bekommen hatte. Einmal widerfuhr mir als ausübenden Künstler eine
-ausgezeichnete Demüthigung. Die Besitzerin des Hauses, in welchem wir
-wohnten, hatte zum Geburtstage ihrer erwachsenen Tochter eine große
-Anzahl hübscher Mädchen gebeten. Um das Fest unerwartet fröhlich zu
-machen, hatte die gute Dame mit meiner Mutter die Abrede getroffen, ich
-sollte heimlich mit meiner Geige hinauf kommen, im Nebenzimmer plötzlich
-stimmen, und den überraschten schönen Kindern dann einige englische
-Tänze aufspielen, damit sie einmal im Saale recht wohlgemuth
-herumspringen könnten. Ich wurde in das Nebenzimmer mit allem Geheimniß
-geführt: ich sah durch den Vorhang in die allerliebste Versammlung
-hinein, -- aber nun, -- die Geige _stimmen_! Wie gemein! Ich hatte es
-auch in meinem Leben nie versucht, weil mein Meister das besorgte, ich
-hörte auch niemals einen Unterschied, wenn sie nach seiner Meinung im
-Stande war, und wenn sie nicht jetzt schon richtig stimmte, so konnte
-ich auf jeden Fall nur Uebel ärger machen. Es schien mir edler sowohl
-wie vorsichtiger, mit meiner Lieblings-Arie mich anzukündigen, und so
-ließ ich dann plötzlich das: »Hier schlummern meine Kinder« anmuthig
-ertönen. Die Freude dieser Nicht-Schlummernden war unbeschreiblich, mit
-Jubel ward ich in den Saal gezogen, wo ich wie geblendet stand, da ich
-noch niemals so viele reizende Wesen beisammen gesehen hatte. Das war
-ein Fragen und ein Bestellen; ich zeigte ihnen die englischen Tänze, die
-mir mein guter Meister in mein Notenbuch geschrieben hatte, ich spielte
-einen auf, aber er wollte nicht passen. Sie fragten nach der Anzahl der
-Touren und dergleichen, was mir alles unverständlich war. Ich sollte
-ihnen den Tanz und die Musik dazu arrangiren. Ich versuchte noch eine
-Anglaise und eben so die dritte, nun war meine Kunst zu Ende, und da
-auch diese nicht paßten und wir uns gar nicht verständigen konnten, so
-mußte ich, den sie im Triumph eingeholt hatten, mit der größten
-Beschämung wieder abziehen, und sie endigten ihren Nachmittag in
-Verdruß, der ihnen ohne die plötzliche unerwartete Freude heiter
-verflossen wäre. Meiner Mutter, die mich ausfragte, erzählte ich, die
-Mädchen hätten eigentlich gar nicht tanzen können; und so kam es mir
-auch vor, da sie sich aus meinem Spiel nicht zu vernehmen wußten. --
-Mein Meister wurde endlich zu einer auswärtigen Kapelle verschrieben,
-und nun glaubte ich, meiner Qual los zu seyn: mein consequenter Vater
-aber hatte schon wieder einen neuen Lehrmeister bei der Hand, der, als
-ich ihm meine Künste vorgespielt hatte, die Sache gründlich wieder von
-vorne anfing. Ich, der ich schon Symphonieen und die schwierigsten
-Sachen vorgetragen hatte, mußte jetzt jene mir verhaßten Choräle und
-Kirchenmelodieen einlernen, lauter Noten aus halben oder ganzen Tacten,
-weil mein neuer Meister behauptete, ich hätte weder Strich noch
-Fingersetzung. Dieser hatte ein so delikates Ohr, daß er bei meinen
-Mißtönen fast ärgere Gesichter schnitt, als ich selber, er lachte auch
-niemals über meine Ungeschicklichkeit und Mangel an Talent, wie der
-erste, sondern nahm sich die Sache sehr empfindsam zu Herzen, und war
-manchmal fast dem Weinen nahe. Zum Glück dauerte diese neue Schererei
-etwa nur ein halbes Jahr, worauf ich zur Universität abging, und seitdem
-kein Instrument wieder angerührt habe. Diese Bekenntnisse, meine Herren,
-schildern nur kurz den geringsten Theil meiner musikalischen Leiden,
-denn wenn ich sie ganz hätte darstellen wollen, würde mir Zeit und Ihnen
-die Geduld ermangeln.
-
-Jetzt ist die Reihe an Ihnen, sagte der Baron Fernow, indem er sich zum
-alten Italiener wandte, Sie haben bei diesen Erzählungen eine besondere
-Freude gezeigt, und es ist wohl billig, daß Sie uns auch einige Ihrer
-Leiden mittheilen, die Ihnen wohl, als einem alten Virtuosen, nicht
-gefehlt haben können.
-
-Ach! meine Herren, sagte der Alte mit einem sonderbaren Gesicht, meine
-Leiden seyn zu tragisch, um Plaisir zu machen, auch kann meine welsche
-Zunge nicht in die Landstraße von der deutsch Idiom recht fortkommen,
-muß daher um Nachsicht anfleh, wenn meine Confession etwas mit Confusion
-verschwägert seyn sollte. Ich war von Jugend auf geübt im Sang, fertig
-im Clavierspiel und guter Tenor, frisch auf Theatern mit Glück in Napoli
-gesungen, und brav beklatscht und ^e viva!^ mich zugerufen. Ging nach
-Rom, gefiel nicht so ausnehmend, denn die Herren ^Romani^ seyn
-kritischer Natur, bilden sich ein, die feinste Ohreinrichtung in den
-ganzen Italia zu haben. Ach! aber hier sah ich im Carneval eine junge
-Demoiselle, die Stunde bei mich nahm, um nachher in Firenza zu singen,
-auch auf das Theater. Ach! welcher Ton! welche Talente! welche Augen!
-Nun das war ein ^cara mia^, ^amor^ und ^mio cour^, bis wir, eh' wir uns
-das Ding versahn, mitsammen davon gelaufen waren, und singen nun in
-Firenza auf Theater aus Leibesmacht als Mann und Frau. Hatten viel
-Zärtlichkeit in der Eh, aber auch manchen Verdruß, denn ^cara mia^ war
-der Jalousie ergeben, und meine Wenigkeit war dazumal ein gar hübscher
-^Giovine^ und die Frauenzimmer rührten leicht mein Herz. Doch Alles ging
-gut, bis wir in eine deutsche Residenz engagirt wurden. Da lebte ein
-Compositeur, ein Maestro, so recht ein Theoretiko, voll Prätension, aber
-gescheidt, dabei ein hübsch wohlgewachsen Männel. Der Hortensio gefiel
-meiner Cara, und sie wollte nun seine Schülerin vorstellen, in edel
-große Manier singen, mit Seele, wie Hortensio sagte, nicht mehr aus Hals
-und Kehle, sondern so wie die Deutsche meinen, aus das Gemüth heraus.
-Gemüth! eine extra deutsche Erfindung, die alle andern Natione gar nicht
-kennen. Bis dahin hatte die Gute ihren schönen Ton gehabt, grausame Höhe
-hell wie Glas, spitz, laut, mochte Compositeur componiren wie er wollte,
-brachte er seinen hohen Ton, flugs hatten wir ihn weg, richtig mußte er
-in seine Passage und Cadenz hinein, hinaufgeschroben, höher und immer
-höher, da oben dann umgeschwenkt, und wieder hinab gegurgelt, und
-^brava! brava! bravissima!^ aus den Logen heraus geschrieen, mit Fächern
-und Händchen geklopft, ^mia cara^ sich verneigt, Arme kreuzweis vor der
-Brust, und keinem Menschen wars eingefallen, daß ^monsieur Compositeur^
-da hatte Gedanken, aparte Fühlungen hinein drechseln wollen. Aber
-Hortensio! Hortensio! ^bestia maladetta!^ denk' ich, der Schlag soll
-mich rühren, wie ich zum ersten Mal die seelische Manier in mein Ohr
-hinein hör! Keine Passage, keine Uebergänge, keine Triller, singt daher
-wie ein Kalb, das geschlacht werden soll, pur ohne Manier und Methode.
-Ich war der ^primo nomo^, konnte aber nicht lassen, meine ^prima donna^
-im Liebesduett rechtschaffen in den runden Arm zu zwicken. Schreit sie
-auf gefährlich: meinen die Leut, das soll auch große neue Manier seyn,
-und fangen an zu lachen. Von dem Tage Zwietracht unter uns, kein Beifall
-vom Publikum mehr. Hortensio war großer Theoretiker und Enthusiast,
-wollte aber keinen Amanten abgeben, war verheirathet an eine gute Frau,
-die nach deutscher Manier ganz Seele war. Nun steigt in meiner zarten
-Isabelle die Bosheit immer höher. Sie will retour in alte brillante
-Manier, verflucht Seele und Gemüth, aber war nicht anders, als wenn die
-Töne wie Besessene durch einander schrieen, kochte und zwirbelte oft in
-der Gurgel, murrte und pfiff, als wenn Satansbrut in dem kleinen Hals
-mit einander auf Gabel und Besenstiel wie zum Schornstein hinaus auf die
-liebe Blocksberg fahren und rutschen wollten. So war das Elend komplett,
-fehlte nur noch, daß sie mir alle Schuld gab, und das that sie denn auch
-redlich: ich sänge so schlecht, wäre rückwärts gegangen: ^enfin^, wir
-kriegten beide unsern Abschied mit kleine Pension. Zogen durch alle
-Provinz, den wohlfeilsten Ort anzutreffen und fanden immer die
-allertheuersten, gaben Concert, ich Privatstund im Singen. Die ^cara^
-Isabella konnte aber Musik nicht aufgeben, und je ärger es wurde, je
-lieber sie sang, als kein Mensch mehr zuhören wollte, trieben wir das
-Spektakel ^privatissime^ auf unserer Stube. Ja, da mußte ich ganzer Mann
-seyn, um mit meine Heroismus das Schlachtgeschrei auszuhalten, und
-oftmals dachte ich, es müßte gesterben werden. Wir hatten großen
-mächtigen Kater, der lag immer auf das Clavier: sehn Sie, das Kerl
-fürchtete sich weder vor Ratz noch Maus, lief vor keine noch so große
-Hund, und hatte sich mal mit einem allmächtigen Bullenbeißer gekratzt:
-aber so wie meine Gemalin nur den Deckel aufmachte, um die Harmonie
-loszulassen, so lief das Katz was es konnte bis auf den allerobersten
-Boden. Wir tobten so gewaltig, daß uns kein Wirth mehr zum Miethsmann
-einnehmen wollte. Natürlich mochte nun kein Mensch mehr unser Concert
-hören, denn die menschliche Ohr seyn meistentheils etwas zart construirt
-und sehr viel Menschen haben fast natürlichen Widerwillen gegen
-Detoniren und widerwärtigen Gesang.
-
-An einem Tage sagte mir die Gattin, ich solle meine beste Kleid anziehn,
-es sei große reputirliche Gesellschaft von Zuhörer gebeten. Wir sangen
-und tobten, es war aber kein Mensch da. Wie ich in der Nacht darüber mit
-ihr redte, sagte sie, die gewöhnliche Menschheit sei zu platt und grob
-organisirt, ihre Kunst zu fassen, darum habe sie Ueberirdische invitirt,
-die klagten niemals über Dissonanz, ich aber sei ein Gesell, zu plump,
-um die feinen Creaturen mit meine dumme Augen zu sehn. Nun gings immer
-so fort mit die Engelssocietäten, und sie erzählte mich viel von dem
-großen Beifall, den ihr Vortrag bei die Kenner fände. Am andern Abend,
-als wieder große Geisterassamblée bei uns war, und wir beide gnug
-schrieen, sagte sie zu mir plötzlich, ich sänge entsetzlich falsch, es
-sei nicht auszuhalten, und König David, der gewiß ein Kenner in Musiken
-sei, wolle gar nicht wieder kommen, wenn ich nicht richtiger und mit
-mehr Respect sänge. Ich sollte gleich hin, und ^Majesté^ um Verzeihung
-bitten. Wo sitzt er denn? Da, nahe am Ofen, denn der alte Herr hätte
-etwas kalt. Ich trug meine submisse Devotion in höfliche Redensart vor
-und wurde pardonirt.
-
-Armer Mensch! sagte der Kapellmeister gerührt, und wie lange lebte die
-Wahnsinnige noch?
-
-Bitte sehr um Verzeihung, erwiederte der Italiener, meine selige Gattin
-nicht zu lästern, war nichts weniger wie etwa toll im Kopf, dachte es
-auch erst, sah aber bald meinen Irrthum. Denn als es noch kälter wurde,
-die Tage immer kürzer, die Selige mich auch tüchtig tribulirt hatte und
-ich mir fast den Hals entzwei gesungen, weil diesmal alle Maccabäer uns
-die Ehre erzeigten, da sah ich, wie ich Licht hereinbrachte, die ganze
-Stube voll unsichtbarer Menschen, will sagen, verstorbene Geister.
-Seitdem mir nun die Binde von meine Augen herunter gefallen war, habe
-ich manche interessante Bekanntschaft unter die Abgeschiedenen gemacht,
-und hatte nun gar nicht mehr nöthig, viel mit die sterbliche Menschen
-umzugehn.
-
-Das glaub' ich, sagte der Baron, indem er den Erzählenden mit einem
-prüfenden Blicke anstarrte; die Tochter rückte etwas weiter von ihm weg,
-der Enthusiast war erstaunt, der Laie lachte, und nur der Graf, welcher
-ihn schon kannte, blieb ruhig. Wir sahen ein, fuhr der Alte fort, daß
-die zu weit ausgebreitete Bekanntschaft mit die ganzen Vorzeit etwas
-lästig werden könnte, und beschränkten uns nachher fast nur auf die
-berühmte Musiker. Ja, meine Herren, da habe ich nachher erst Dinge über
-Contrapunct, Wirkung, Ausbeugung und über Charakter von die Tonarten
-erfahren, die in keinem Buche stehen. Aber meine liebe Frau starb bald,
-und seitdem habe ich den Umgang auch nicht fortsetzen können, denn alle
-die Herren haben sich mich allein, da ^Cara mia^ nicht zugegen, seitdem
-mir nicht wieder gezeigt.
-
-Der Baron fragte den Grafen nach einer Pause, ob er nicht auch
-vielleicht einige musikalische Leiden vorzutragen habe, und dieser, der
-bis jetzt geschwiegen hatte, fing so an: Ihre Klagen, meine Herren,
-waren zum Theil darüber, daß sie mit der Musik in Verbindung kamen, ohne
-eigentliche Lust oder scharfen Sinn für diese Kunst zu besitzen. Mein
-Elend kommt von der entgegengesetzten Seite. Von frühester Jugend war
-meine Freude an Musik, mein Trieb zu ihr überreizt zu nennen, auch
-machte er meinen Eltern und Erziehern gnug zu schaffen. Ich wollte
-nichts anders lernen, und verwünschte oft meinen Stand, der mich
-hinderte, ein ausübender Künstler zu werden. Wo nur ein Ton erklang, wo
-nur Gesang sich hören ließ, da war ich gleich mit ganzer Seele, und
-vergaß alle meine Geschäfte. Mein Vater, ein ernster, heftiger Mann,
-zürnte über meinen Enthusiasmus, der allen seinen Absichten feindlich zu
-werden drohte. Da ich auch zu leidenschaftlich war, und im jugendlichen
-Eifer wähnte, ich könnte meine Kunst nicht fanatisch gnug vertheidigen,
-so verletzte und kränkte ich oft meinen Vater auf ungeziemende Weise,
-und dieser Kampf, diese Reue und Zerknirschung über meine Hitze,
-Verstimmung gegen die Welt und mich, dies traurige, zerrissene Wesen
-verdarb mir völlig die Heiterkeit meiner Jugend, denn der gewaltsam
-errungene Genuß meiner Kunst war doch nicht im Stande, mir alles das zu
-ersetzen, was ich einbüßen mußte. Ja, sei es nun, daß meine Erwartungen
-zu hoch gespannt waren, daß meine Ahndung für das Höchste zu sehr meine
-Forderungen stimmte, genug, es wurden mir auch die Werke der Kunst
-selbst, so gut wie ihr Vortrag, oft allzusehr verkümmert. Denn ich
-glaubte nicht selten wahrzunehmen, daß man so vieles in die Musik
-aufgenommen habe, was dieser Kunst ganz fremd bleiben müsse, daß sie
-meistentheils zu sehr zum Zeitvertreibe herab gesunken sei, daß sie um
-Effecte buhle, die ihrer unwürdig sind, und daß die wenigsten Sänger nur
-wissen, was Vortrag und Gefühl zu bedeuten habe. Eine tiefe Schwermuth
-konnte sich meiner bemeistern, daß fast nirgend in der Welt die Stimmung
-angetroffen werde, die ich für nothwendig hielt, wenn diese hohe Kunst
-ihr Element finden sollte. Ich mußte denn endlich meinem Vater doch
-nachgeben und an den Geschäften Theil nehmen. Die Arbeit wurde mir
-leichter als ich mir vorgestellt hatte, und mein Vater, der mich wegen
-meiner Kunstliebe für fast blödsinnig gehalten, war so mit mir
-zufrieden, daß seine ehemalige Zärtlichkeit gegen mich erwachte. Nach
-einigen Jahren ward ich in diplomatischen bedeutenden Geschäften an
-einen großen Hof gesendet. Seit lange hatte ich die neuen Sänger und
-Sängerinnen beobachtet, und war fast mit allen unzufrieden. Wenn die
-Stimme das Gefühl, den Enthusiasmus der Leidenschaft ausdrücken soll, so
-muß sie sich großartig erheben, mächtig anschwellen, und die Höhe nur
-deswegen suchen, um die stärkste Lichtregion und Kraft zu gewinnen. In
-dieser Gegend ist es, wo Componist und Sängerin das Uebermenschliche der
-Liebe, der Klage, der Andacht und jeder Regung der Seele ausdrücken
-können: und doch fand ich fast immer, daß der Wohllaut, die Wollust
-dieser Klänge nur gebraucht wurden, um eine kleine Künstlichkeit, eine
-Art Springerei anzubringen, eine Virtuosität, die wohl ganz nahe an die
-Seiltänzer grenzt, und von der ächten Kunst ganz ausgeschlossen seyn
-sollte. Noch schlimmer fast erschienen mir diejenigen, die nach einer
-ziemlich verbreiteten neuen Manier den Ausdruck anbringen wollten. Kein
-^Crescendo^, kein Portament der Stimme, sondern ein plötzlicher
-Aufschrei, wie ein Angst- oder Hülferuf, dann ein eben so plötzliches
-Verhauchen, ein unmotivirtes Sinkenlassen des Gesanges, ein dumpfer
-Seufzer statt des Tons, und so fort in diesem schroffen eckigen Wechsel,
-so daß ich jetzt nichts hörte, und jetzt wieder von grellen Tönen
-erschreckt wurde, ein Unfug, den oft ein ganzes Publikum bewunderte, und
-der mir noch jenseit dem Anfange der Schule zu liegen schien, oder mir
-vielmehr wie der rohe unmusikalische Gegensatz alles Gesanges vorkam.
-Von dem neuesten Geschmack der Opern will ich schweigen, denn hier fände
-ich meinen Klageliedern kein Ende.
-
-Als ich dem fremden Hofe mich vorgestellt hatte, empfing ich bald darauf
-den Bescheid, daß ich mit einem wichtigen Auftrage schnell in mein
-Vaterland zurück müsse. Am Abend war beim Bruder des regierenden Fürsten
-Concert, und eine fremde Sängerin wollte sich zum ersten Mal hören
-lassen. Ich begab mich in den Concertsaal. Nur der Sängerin Nacken,
-dessen blendende Weiße von einem wunderlich gekräuselten braunen
-Löckchen erhöht wurde, konnte ich wahrnehmen, so wie einen Theil des
-feingerundeten Ohres, so dicht war das Gedränge. Aber jetzt erhob das
-Mädchen den Ton, und ging in einen zweiten über, und strahlte den
-dritten aus, so mächtig, edel, rein, voll und lieblich zugleich, daß ich
-wie bezaubert stand, denn das war es, wie ich es mir immer gedacht, ja
-es war mehr, wie ich gewünscht hatte. Dieser reine, himmlische Discant
-war Liebe, Hoheit, zarte Kraft und Fülle der edelsten, der überirdischen
-Empfindung. Da hörte ich nicht den spitzen, blendenden Glaston, der noch
-die Harmonika überschleift, nicht die Betäubung in der letzten,
-schwindelnden Höhe, die wie mit Spitzen das Ohr verletzt und durchbohrt,
-nicht die Ohnmacht an der Grenze der Stimme, die erst ein Mitleidsgefühl
-in uns erregt, und von diesem dann Hülfe und Beifall bettelt: nein, es
-war die Sicherheit selbst, die Wahrheit, die Liebe. Nun begriff ich
-erst, wie Hasse hatte wagen können, zuweilen in seinen Arien durch viele
-Tacte den Sopran auf ein und zwei Sylben trillern, sich senken und
-wieder steigen zu lassen. Ich war so entzückt, daß ich mich und Alles
-vergaß, ich legte in diesem höchsten Augenblick meines Lebens das
-sonderbare Gelübde mir selber heimlich ab, daß nur dieses Wesen mit
-dieser Wunderstimme, oder keins, meine Gattin werden sollte. Der Rath
-und der Laufer des Fürsten hatten mich schon zwei-, dreimal erinnert.
-Ich ging zum regierenden Herrn in das Schloß hinüber. Es ward mir
-schwer, meine Lebensgeister zu dem sehr bedeutenden Gespräche zu
-sammeln. Nach der Audienz mußte ich mich in stürmischer Nacht in den
-Wagen werfen. Kein Diener, am wenigsten der alte Rath, mein Begleiter,
-wußten mir von der Sängerin etwas zu sagen. In meinem Vaterlande
-angekommen, erwarteten meiner dringende Arbeiten, die mich selbst in den
-Nächten beschäftigten, ich konnte meinen Vater, der auf dem Krankenbette
-lag, nur wenig sehn. Als ich fertig war und meinem leidenden Vater jetzt
-meinen Trost und Dienst widmen wollte, konnte ich ihm nur noch die Augen
-zudrücken. Jetzt wußte ich erst, wie theuer mir der edle Mann gewesen
-war, doch war es mir jetzt erlaubt, meiner Neigung zu folgen; ich entzog
-mich den Staatsdiensten. Sobald es meine geordneten Geschäfte zuließen,
-reisete ich nach jener Residenz zurück, -- aber -- und wie ist dies zu
-begreifen? Kein Mensch, kein Musiker, Niemand am Hofe wollte von jener
-Sängerin, oder jenem Abend, den ich beschrieb, etwas wissen, als sei
-diese einzige, himmlische Stimme eine der gewöhnlichsten Erscheinungen,
-die man kaum bemerkt und dann vergißt, oder als sei ich in Wahnsinn und
-Bezauberung, daß ich mir Alles nur eingebildet habe.
-
-Als jede Nachforschung vergeblich war, suchte ich auf Reisen jenes
-Wunder wieder anzutreffen. Darum versäumte ich kein Concert und keine
-Oper, suchte jede musikalische Versammlung auf, und immer vergebens.
-Seit zwei Jahren führe ich dies unruhige traurige Leben, und heut Abend
-dacht' ich thöricht zu werden, denn in der fremden Dame glaubte ich
-meine Unbekannte gefunden zu haben, dieselbe Locke im Nacken, derselbe
-feine Contour des Ohrs; und Mund und Physiognomie schienen mir ganz wie
-die einer Sängerin.
-
-Die Tochter des Hauses versicherte noch einmal, daß der Graf sich
-durchaus irre, und daß seine Bemerkungen über Gesang fast eben so
-einseitig als fein zu nennen wären. Denken Sie denn Ihr sonderbares
-Gelübde zu halten? fragte hierauf der Baron.
-
-Ich muß wohl, erwiederte der Graf, denn mögen Sie auch lächeln und es
-unbegreiflich finden, jener wunderbare süße Ton hat mir Liebe, wahre
-Liebe eingeflößt. Warum soll denn unser Auge der einzige Sinn seyn, der
-uns dies Gefühl, diesen enthusiastischen Taumel zuführt? Ich träume von
-dieser Engelsstimme, immer vernehme ich sie, Alles erinnert mich an
-diesen Ton: o Himmel! wenn er verschwunden, wenn sie gestorben seyn
-sollte! Ich mag mir die Unermeßlichkeit dieses Elends gar nicht
-vorstellen.
-
-Die Uebrigen, den Laien abgerechnet, schienen diese Leidenschaft nicht
-begreifen zu können, oder an sie glauben zu wollen. Da es spät war,
-trennte man sich, und der Italiener begleitete den Grafen, in dessen
-Hause er wohnte.
-
-Eccellenza, fing er in einer einsamen Straße an, thut mir die
-Gefälligkeit, mich übermorgen vor das Thor da in den Tannenwald zu
-begleiten, da will ich mir umbringen.
-
-Narr! sagte der Graf, was fällt Euch einmal wieder ein? Habe ich nicht
-versprochen, für Euren Lebensunterhalt zu sorgen?
-
-Alles recht schön, sagte jener, danke auch für die Großmuth; aber ich
-bin mein Leben völlig satt, so sehne ich mir nach meiner abgeschiedenen
-Hälfte.
-
-Damit Ihr auch jenseit, fragte der Graf, Euer Katzenkonzert wieder
-fortsetzen könnt?
-
-Nicht blos deswegen, erwiederte der Alte, bin aber mit Isabellen so
-gewohnt gewesen, mit Palestrina, Durante, Bach und alle große Leute, den
-königlichen Kapellmeister David mit eingerechnet, zu leben, daß ich es
-mit so ordinären Menschen nicht mehr aushalten kann. Wie rathen mich,
-Eccellenza, daß ich mir umbringen soll, hängen, schießen oder ersaufen?
-
-Ich werde den Narren einsperren lassen, sagte der Graf.
-
-Hat jedes etwas für sich, fuhr der Italiener fort, ohne sich stören zu
-lassen: Luft, Feuer, Wasser; jedes ein ganz gutes Element. Ein einziges
-Ding könnte mich mein Leben versüßen, so daß ich wieder in die
-Lebenslust einbisse.
-
-Nun, und was?
-
-Daß ich den Herrn Hortensio nochmal anträfe.
-
-Und weshalb?
-
-Daß ich ihn so recht abwamsen, durchdreschen könnte, daß er dazumal
-meiner ^Cara^ die Gesangmethode so verdorben hat.
-
-Phantast! sagte der Graf, indem sie durch die Thür schritten. -- Und was
-ist Eccellenza? murmelte der Alte, indem die Diener ihnen entgegen
-kamen.
-
- * * * * *
-
-Der Kapellmeister war in Verzweiflung. Es war ganz so gekommen, wie er
-gefürchtet hatte. Die erste Sängerin zeigte sich mehr als empfindlich,
-sie fühlte sich beleidiget, und sogleich war auf einen Wink von ihr eine
-recht schwere Krankheit da, die ihr es unmöglich machte, einen Ton zu
-singen, ja nur ihr Zimmer zu verlassen. Der Enthusiast wandelte und
-rannte hin und her, aber seine Vermittlung machte die Sache eher ärger
-als besser, denn da er treuherzig wieder erzählte, was jede der Parteien
-geäußert hatte, so wurde der Kapellmeister immer mehr erbittert, und die
-Sängerin ging am Ende so weit, daß sie verlangte, statt der beiden
-Haupt-Arien sollten zwei ganz neue gesetzt werden, und das Duo im
-letzten Acte müsse in den ersten und zwar gleich in den Anfang verlegt
-seyn, auch forderte sie noch für sich die große Arie der zweiten
-Sängerin, ohne welche Bewilligungen an keinen Friedensschluß zu denken
-sei. Ueber diese ungeheure Forderungen gerieth der Kapellmeister so
-außer sich, daß er schwur, sie solle nun in seiner Oper gar nicht
-singen, ob er gleich noch nicht wußte, wie er seiner Verlegenheit
-abhelfen sollte. Wenn nur meine Cara noch lebte! rief der alte Italiener
-aus, der an den Berathschlagungen Theil nahm, und jetzt die Verzweiflung
-des Kapellmeisters sah; ach! wie brillant könnte die Selige zum Theater
-wieder auferstehn! Die Rolle ist ganz und gar für sie geschrieben.
-
-Könnt Ihr sie nicht vielleicht selbst übernehmen? fragte der
-Kapellmeister in tragischer Bosheit.
-
-^Signor si!^ rief der Alte, wenn Ihr kein ander Subject findet, ich kann
-zum Entsetzen einen hohen Sopran durch die Fistel singen.
-
-Es kommt wirklich fast auf eins hinaus, rief der Componist in seiner
-Verzweiflung, ob man so oder so parodirt wird; wenigstens würde doch
-kein Liebhaber bei einer unpassenden Gelegenheit klatschen, und kein
-Eifersüchtiger oder der Bewunderer der zweiten Dame aus Neid pochen und
-zischen. Unternehmt Ihr, Alter, aber auch liebenswürdig zu erscheinen?
-
-Was der Mensch leisten kann, antwortete jener, der es für Ernst hielt:
-vor dreißig Jahren war ich zum Malen hübsch, und wenn ich mal auf
-Carneval in Weibskleidern ging, lief mir alles junge Mannsvolk nach.
-
-Die Prima Donna hätten wir also, sagte der Enthusiast, und wenn die Oper
-nur Nacht und Verfinsterung des Theaters erforderte, und kein Mensch die
-Sache erführe, so käme es wohl auf den Versuch an, welche Wirkung der
-alte Freund machen würde.
-
-Wenn ich nicht vor der Aufführung todt bin, warf der Italiener ein, so
-wie das andere Subject krank ist, so möchte ich wohl in das Sterben
-gerathen.
-
-Ich sehe schon, beschloß der Kapellmeister, ich bin vergeblich
-hergereist, ich habe umsonst alle Anstalten getroffen. So lange es
-unmöglich bleibt, von Obrigkeits wegen einen solchen Eigensinn zu
-bestrafen und zu hindern, so lange das Publikum selbst nicht eine solche
-Frechheit und Verachtung seiner so ahndet, daß kein zweiter dieselbe
-Vergehung wieder wagt, so lange bleiben wir das Opfer dieser Caprice von
-unwissenden Menschen, die für ihr mäßiges Talent viel zu sehr belohnt
-und von den Directionen und allen Zuhörern verzogen werden. Ich werde
-wieder einpacken.
-
-Der Enthusiast weinte vor Schmerz, der Italiener aber sagte: Ihr habt
-ganz recht; nicht wahr, das Leben mit all den Mühseligkeiten ist nicht
-die Rede werth?
-
-Ich bin es wenigstens völlig satt, antwortete der Componist.
-
-Nun, so kommt mit mich, leistet mir Gesellschaft, sagte der Alte sehr
-freundlich, indem er sich an ihn schmiegte.
-
-Wohin?
-
-Nach jenseit, nach dem weiten großen Raum, wo man Ellenbogen-Freiheit
-nach Herzenslust hat. Sagt, Mann, wollen wir uns lieber ins Wasser
-schmeißen, oder frisch den Kopf abschießen, wie dem Vogel von der
-Stange?
-
-Geht, rief der Musiker, Ihr seid schon am frühen Morgen trunken.
-
-Nein, sagte jener, ich habe einmal einen heiligen Schwur gethan, mir aus
-dieser Welt hier fortzuschaffen, wenn ich nicht etwa den lieben Signor
-Hortensio wieder antreffen thäte: das würde natürlich die ganze Sache
-verändern. Aber wenn mir die Freude nicht arrivirt, sagt nur selbst, was
-ist denn das für ein lumpiges Leben hier unten? Da sitzt Ihr immer,
-närrischer Maestro, und klimpert auf das Clavier, und schreibt Eure
-Eingebungen auf, und ängstigt Euch um Invention, Charakter, Melodie,
-Styl, Originalität, und wie man Kunstwesen alles nennt: und wer dankt es
-Euch? Wer merkt es nur ein bissel? Laßt uns doch mal als vernünftige
-Männer in Tag hinein reden: ist es denn nicht spaßhafter, sich aus dem
-Staub zu machen? Ja, Ruhm, Nachwelt! Wollen der lieben Nachwelt ein
-bissel entgegen gehn, und mal hinter den Vorhang gucken, ob es solches
-Gethier überhaupt nur giebt. Uebermorgen, Freundchen, seid von der
-Parthie, ich bring' auch Pistol mit: Ihr müßtet denn lieber baumeln
-wollen; ist aber jetzt windiges und garstiges Wetter.
-
-Laßt die Narrenspossen, sagte der Musikus sehr ernst, es wird noch dahin
-kommen, alter Thor, daß Ihr nach dem Tollhause wandert.
-
-Und wohnen da nicht auch Leute? sagte der Italiener grinsend; Ihr habt
-Vernunft noch nicht viel gebraucht, junger Mann, da ist sie noch ein
-bissel frisch! wer sie aber so wie ich strapazirt hat, da ist sie mürbe
-und matt; mir kommt's gar nicht so sehr auf Ambition an, daß mich Eures
-gleichen für vernünftig, oder Weisen aus Griechenland hält. Ich habe
-wohl andern Umgang gehabt, als Ihr, Ihr armer, gegenwärtiger,
-kurzsichtiger Mensch! und wenn Nestor, oder Phidias und Praxiteles, mit
-die ich so oft konversirt habe, mich so etwas gesagt hätten, so hätte
-ich jeden einen Schlag an die Gegend von das Ohr gegeben.
-
-Er lief wüthend fort, und der Kapellmeister setzte sich melancholisch
-nieder; auch der geschwätzige Enthusiast mußte ihn verlassen, damit er
-seinem Kummer recht ungestört nachhängen könne.
-
- * * * * *
-
-Nein, sagte am Abend der Laie zum Baron Fernow, ich habe dazumal einen
-Schwur gethan, niemals eine Geige wieder anzurühren, und darum
-verschonen Sie mich. Der Vater und die Tochter wünschten nämlich, er
-möchte ihnen nur etwas, das kleinste Liedchen vorspielen, um zu sehen,
-wie er sich in der Jugend mit seinem Instrumente ausgenommen habe.
-
-Man sollte wohl nichts verschwören, sagte der Baron, am wenigsten die
-Ausübung einer so edeln Kunst.
-
-Der Kapellmeister trat herein, und erzählte eine sonderbare Anmuthung,
-die ihm vom Grafen geschehen sei. Dieser habe ihn nehmlich besucht und
-gebeten, am heutigen Abend mit ihm und dem alten Italiener in den Wald
-vor die Stadt zu gehn, wo sich der Sänger erschießen wolle; der Graf
-wünsche wenigstens einen rechtlichen Mann zum Zeugen, der es nachher
-bewähren könne, daß der alte Thor sich selber umgebracht habe. Der Baron
-war der Meinung, man müsse den alten Verrückten sogleich fest nehmen und
-einstecken; die Uebrigen fielen bei, nur der Laie äußerte den Zweifel,
-ob nicht Jedem das Recht zustehen müsse, über sein Leben zu entscheiden,
-wie es ihm am besten dünkte. Hierüber entspann sich ein Streit, ob es
-dem Staate, oder den übrigen Menschen erlaubt sei, über irgend wen eine
-solche beschränkende Aufsicht zu führen, welches der Baron
-uneingeschränkt behauptete, da ein solcher durchaus, der einen so
-unklugen Vorsatz fasse, als ein Wahnsinniger zu betrachten sei.
-
-So muß man erst ermitteln, was Wahnsinn ist, warf der Laie ein; denn wir
-sehn es in der Geschichte, wie die Gesetze und ihre Vollstrecker nach
-den Umständen und herrschenden Gesinnungen bald dieses bald jenes zum
-todeswürdigen Verbrechen gestempelt haben, welches andere Zeitalter zu
-Tugenden erhoben, oder gleichgültig ansahen, ja selbst verlachten. Frei
-zu denken, von gewissen Meinungen abzuweichen, hat ehemals Manchen auf
-den Scheiterhaufen geführt; wegen Zauberei, wegen angeschuldigter Künste
-ist Manchem der Stab gebrochen worden, und jetzt, wo wir in diesen
-Punkten Freiheit gestatten, und es doch dulden müssen, wie Viele durch
-Uebermaaß und Ausschweifung sich vorsätzlich und sichtlich zu Grunde
-richten, begreife ich nicht, wie man es den Elenden und Verstörten mit
-Recht verwehren kann, das Leben wegzuwerfen, wenn sie diesen Entschluß
-wirklich ergreifen.
-
-Sie sind paradox, rief der Baron; ich bin nicht Philosoph gnug, um Sie
-widerlegen zu können, allein aus den Ueberzeugungen der Religion müssen
-Sie es selber schon wissen, daß Sie eine böse Sache vertheidigen.
-
-Ich habe versprochen, mit auszuwandern, sagte der Kapellmeister, denn
-ich kann mir nimmermehr vorstellen, daß der alte Thor Ernst machen wird.
-Uebrigens wäre es wahrlich nicht zu verwundern, wenn ein armer geplagter
-Kapellmeister diese Gelegenheit benutzte, und ihm Gesellschaft leistete.
-
-Der Graf trat wie verstört und tiefsinnig herein. Man fragte ihn, ob
-etwas Neues begegnet sei; er äußerte aber, die Erinnerung an jene
-Stimme, die ihm durch die neuliche Erzählung wieder mit frischer
-Lebhaftigkeit in das Gedächtniß gekommen sei, sein rastloses Suchen, die
-Qual dieser Spannung und die Unruhe, die es seinem ganzen Wesen
-mittheile, mache ihn völlig elend, und er habe beschlossen, wenn sich
-der Italiener erst erschossen habe, weiter zu reisen.
-
-So halten Sie es denn für Ernst? fragte der Baron erstaunt.
-
-Wenn er nicht wirklich dazu thut, antwortete der Graf, so nehme ich den
-Narren wieder auf die Reise mit.
-
-Der Italiener trat herein und schien aufgeräumter, als man ihn noch je
-gesehen hatte. Alle betrachteten ihn mit einer gewissen Scheu, er aber
-nahm keine Notiz von diesem veränderten Betragen, und als jetzt der
-Enthusiast und der Sänger die Gesellschaft vermehrten, wurden Alle in
-heitern Gesprächen von einer vergnüglichen Laune beherrscht, den Grafen
-ausgenommen, der seine trübe Miene nicht veränderte. Lassen Sie uns,
-sagte der Kapellmeister endlich, Einiges von unsern neulichen
-Erzählungen aufnehmen. Wie ist es möglich, (indem er sich zum Laien
-wandte) daß Sie nach ihren neuerlichen komischen Bekenntnissen ein so
-großer Freund der Musik haben werden können? Vielleicht dadurch um so
-mehr, erwiederte dieser, weil das Gefühl, als es reif in mir war, durch
-sich selbst und stark erwachte, daß ich nichts Angelerntes,
-Nachgesprochenes in meine Liebhaberei hinüber nahm. Ich hatte es endlich
-dahin gebracht, daß ich kleine einfache Lieder begriff, die mir auch
-wohl im Gedächtniß hängen blieben, die trefflichen von Schulz, zum
-Beispiel, in denen uns, ohne daß sie uns eben poetisch aufregen, so
-behaglich und wohl wird, die uns so klar blauen Himmel, grüne
-Landschaften, leichte Figuren und anmuthige Empfindungen hinmalen, waren
-mir oft gegenwärtig und verständlich. Nur die größeren Compositionen, am
-meisten aber die dramatische Musik, waren mir zuwider, wenn ich auch in
-der letztern manchmal mit Wohlgefallen eine kleine Arie hörte, die sich
-dem Ohr einschmeichelte. Auch der Harthörigste lernt am Ende die kleinen
-melodischen Sachen fühlen, wenn ihm auch der Zusammenhang großer
-musikalischer Dichtungen unverständlich bleibt. Als das erste Mal Don
-Juan von Mozart gegeben wurde, ließ ich mich bereden, das Theater zu
-besuchen. Es war unlängst componirt, und des großen Mannes Ruhm noch in
-Deutschland nicht so begründet, wie bald nachher, welches ich besonders
-an einem hochgeachteten Musiker wahrnahm, der während und nach der
-Aufführung nicht gnug über den falschen Geschmack des Werkes reden
-konnte. Mir aber war, als fiele mir schon während der Ouvertüre eine
-Binde von allen Sinnen. Ich kann die Empfindung nicht beschreiben, die
-mich zum ersten Mal überraschte, daß ich wahre Musik hörte und verstand.
-Mit dem Verlauf des Werkes steigerte sich mein Entzücken, die Absichten
-des Componisten wurden mir klar, und der große Geist, der unendliche
-Wohllaut, der Zauber des Wundervollen, die Mannigfaltigkeit der
-widersprechendsten Töne, die sich doch zu einem schöngeordneten Ganzen
-verbinden, der tiefe Ausdruck des Gefühls, das Bizarre und Grauenhafte,
-Freche und Liebevolle, Heitere und Tragische, alles dieses, was dieses
-Werk zu dem einzigen seiner Art macht, ging mir durch das Ohr in meiner
-Seele auf. Daß es so plötzlich geschah, vermehrte meine Begeisterung,
-und ich konnte nun kaum den Belmont desselben Meisters erwarten, dessen
-Leidenschaftlichkeit mich nicht weniger entzückte. Auch andere
-Componisten suchte ich zu begreifen, und Glucks großen Styl, seine edle
-Rhetorik, sein tiefes Gemüth rissen mich hin, ich erfreute mich an
-Paisiello und Martini, Cimarosa's heller Geist leuchtete mir ein, und
-ich bestrebte mich, die Verschiedenheiten des musikalischen Styls, so
-wie verschiedenartige Dichter zu erfassen und mir anzueignen. Während
-meiner Universitäts-Jahre verlor ich diese Kunst wieder aus dem
-Gesichte, doch zurück gekehrt war mein Eifer für sie um so brennender,
-vorzüglich da einige vertraute Freunde mein Urtheil und Gefühl
-läuterten. Jetzt wurde ich mit dem wundervollen Genius des großen
-Sebastian Bach bekannt, in dem vielleicht schon alle Folgezeit der
-entwickelten Musik ruhte, der Alles kannte und Alles vermochte, und
-dessen Werke ich etwa nur mit den altdeutschen tiefsinnigen Münstern
-vergleichen möchte, wo Zier, Liebe und Ernst, das Mannigfaltige und
-Reizende in der höchsten Nothwendigkeit sich vereinigt, und in der
-Erhabenheit uns am faßlichsten das Bild ewiger und unerschöpflicher
-Kräfte vergegenwärtiget.
-
-Der Componist sagte: gewiß, es könnte Schwindel erregen, wenn man
-überschaut, was Alles vorangehen mußte, bevor Bach seine Werke schreiben
-konnte; aber es gehört auch wahrlich viel dazu, einer solchen Fuge oder
-einem vielstimmigen Satz auf die rechte Weise zu folgen, und ihn zu
-verstehn, es ist gleichsam eine Allgegenwart des Geistes, die ich einem
-solchen Laien am wenigsten zugetraut hätte.
-
-Nach mehreren Jahren, fing der Laie wieder an, wurde mir es so gut, in
-eine edle Familie eingeführt zu werden, deren Mitglieder, vorzüglich die
-weiblichen, auf eine entzückende Art die Musik ausübten. Die älteste
-Tochter sang einen Sopran, so voll und lieblich, so himmlisch klar, daß
-ich bei Ihrer neulichen Beschreibung des Gesangs Ihrer Unbekannten,
-werther Graf, an diese unvergleichliche Stimme denken mußte. Hier
-vernahm ich nun neben manchem Weltlichen vorzüglich die großen und
-ewigen Gedichte des erhabenen Palestrina, die herrlichen Compositionen
-eines Leo und Durante, die Zaubermelodieen des Pergolese, den ich mit
-den Lichtspielen des Correggio vergleichen mußte, die trefflichen Psalme
-Marcello's, die großartige Heiterkeit unsers Hasse, und das dramatische
-Requiem Jomelli's: Manches von Feo, die Miserere von Bai und Allegri
-ungerechnet. So rein, ungeziert, im großen einfachen Styl, ohne alle
-Manier vorgetragen wird man schwerlich je wieder die Meisterwerke hören.
-Diese glückliche Zeit versetzte meinen Geist in eine so erhöhte
-Stimmung, daß sie eine Epoche in meinem Leben macht. Nur in wenigen
-schwachen Gedichten habe ich versucht, meine Dankbarkeit auszusprechen.
-Meine Seele war so ganz in diesen göttlichen Tönen aufgegangen, daß ich
-dazumal nichts von weltlicher Musik wissen wollte, es schien mir eine
-Entadlung der Göttlichen, daß sie sich zu den menschlichen
-Leidenschaften erniedrigen sollte. Ich glaubte, es sei nur ihre wahre
-Bestimmung, sich zum Himmel aufzuschwingen, das Göttliche und den
-Glauben an ihn zu verkündigen.
-
-Ein Beweis, sagte der Kapellmeister, daß Ihr ganzes Herz damals von der
-Glorie dieser Erscheinung durchdrungen war. Man thut auch Unrecht,
-dergleichen wahre Begeisterung Einseitigkeit zu schelten, denn unsre
-Seele, wenn sie wirklich auf so große Art ergriffen und erschüttert
-wird, fühlt dann in diesem ihr neuen Element die ganze Kraft und
-Ewigkeit ihres Wesens: sie findet dann die Schönheit, von der sie früher
-gerührt wurde, erhöht und vollendet in der neuen Erscheinung, und sieht
-mit Recht auf ihre frühern Zustände als auf etwas Geringeres hinab. In
-wessen Herz eine solche Vision nicht steigen und es ganz ausfüllen kann,
-der weiß überhaupt nicht, was ächte Begeisterung ist. Und gewiß ist die
-Kirchenmusik, welche freilich die Neueren meist auch so tief herab
-gezogen haben, die erhabenste und schönste Aufgabe unsrer Kunst. Ich bin
-aber überzeugt, daß Sie späterhin von selbst eben aus Ihrem Enthusiasmus
-wieder den Weg zu Ihrem geliebten Mozart und andern gefunden haben.
-
-Natürlich, fuhr der Laie fort, denn die Liebe kann sich ja doch niemals
-in Haß umwandeln. Ich habe immer die Menschen gefürchtet, die mit ihren
-Gefühlen in den Extremen schwärmen, und heut übertrieben verehren, was
-sie in einiger Zeit mit Füßen treten. Unsre Bildung kann und soll nur
-eine Modification einer und derselben Kraft, einer und derselben
-Wahrheit seyn, kein unruhiger Austausch und Wechsel, und kein hungerndes
-Verlangen nach Neuem und Unerhörtem, welches doch niemals befriedigend
-gesättiget werden kann. Als es mir nachher so gut ward, in Rom von der
-päbstlichen Kapelle viele derselben Sachen vortragen zu hören, so fühlte
-ich wohl, daß hier ein eigener traditioneller Vortrag des alten ^Canto
-fermo^ Manches anders und noch einfacher gestalte, aber weder dort noch
-in den Theatern habe ich je diesen unbeschreiblichen Discant wieder
-vernommen, und Pergolese oder andere neuere Kirchenmusik ist mir auch
-niemals in dieser Vollendung wieder vorgetragen worden.
-
-Aus Ihren Beschreibungen, fing der Sänger an, muß ich wohl abnehmen, daß
-Sie mit der neuen Sängermanier wohl selten zufrieden seyn mögen. Ich
-gestehe Ihnen aber, daß ich hierin nicht ganz Ihrer Meinung seyn kann:
-zu große, zu schlichte Einfalt würde mich zurück stoßen, ich will den
-Virtuosen vernehmen, der die Musik und seine Stimme beherrscht. Wie der
-Deklamator nicht blos ruhig ablesen soll, sondern durch Erhöhung und
-Senkung der Stimme, durch kleine Pausen, durch rollende Töne erst zum
-Schauspieler wird, und das zur Kunst erhöht, was der ganz gute Vorleser
-doch in der niedrigen Region stehen lassen muß.
-
-Sie haben gewiß Recht, erwiederte der Laie, vorausgesetzt, daß es
-wirklich das sei, was ich Deklamation im Schauspiel, oder Vortrag des
-Gesanges nennen kann. Was uns der Graf aber neulich als falschen und
-schlechten Ausdruck schilderte, muß ich freilich auch als meine Meinung
-unterschreiben. Und ist es denn in unsern Schauspielen anders? Wie denn
-überhaupt wohl nie Gebrechen und Vorzüge eines Zeitalters einzeln stehn
-können, sondern jede Kunst wird eine Abspiegelung der andern seyn, und
-selbst Staat und Geschichte müssen ebenfalls alle Gesundheits- oder
-Krankheitsstoffe wieder in ihrem großen verschlungenen Gewebe
-nachweisen. Eben so wie der Sänger schreit und seufzt, und selten das
-Gefühl im Ganzen ausspricht, welches die Arie oder das Duo von ihm
-fordert, so auch der Schauspieler; dieser hilft sich auch durch einzelne
-übertriebene Accente, herausgehobene Worte, stark unterstrichene
-Stellen, und muß darüber den Sinn des Ganzen fallen lassen, wodurch die
-Scene wie die einzelnen Stellen für den Kenner nüchtern und trivial
-werden. Denn wo gibt es jetzt wohl noch Schauspieler, an deren
-Leidenschaft man glaubt, die uns täuschen und in ihrem hohlen
-abgepufften Ton nur irgend Wahrheit sprechen? Ja unser Freund Wolf, so
-wie seine Gattin machen hievon eine ehrenvolle Ausnahme, so sehr, daß
-sie fast schon einzeln in Deutschland da stehn, wenn auch hie und da ein
-Talent sich zeigt, das aber immer nur zu Zeiten jener Manier widersteht,
-die unser Theater beinah schon völlig zerstört hat. Nicht, daß sich
-nicht viele Schauspieler bemühten, aber es ist hier eben so wohl wie im
-Gesange eine falsche Schule entstanden, die Ausdruck, Empfindung durch
-Einzelheiten, die nicht in der Sache selbst liegen, erregen will, und
-darüber das Ganze verdunkelt, und wenn wir uns strenge ausdrücken
-wollen, die Absicht der Kunst, ja diese selber vernichtet.
-
-Sie haben vollkommen Recht, rief der Kapellmeister: aber machen es denn
-meine Handwerksgenossen, die Componisten selbst, anders? Kaum ein Lied
-wissen sie mehr zu setzen, wo sie nicht jede Strophe neu componiren,
-gewaltsam accentuiren, innehalten, abbrechen und in gesuchte und
-fernliegende Tonarten übergehn, um nur, wo sie die Empfindung
-wahrnehmen, so starke Schlagschatten hinzumalen, daß man diese Stellen
-nun zwar nicht übersieht, aber auch gewissermaßen mehr Schwärze als
-Farbe gewahr wird. Als wenn es dem Sänger nicht müßte überlassen
-bleiben, auch im wiederkehrend Einfachen eine leise Variation
-anzubringen, oder als wenn das nicht eben das musikalische Gefühl in
-unserer Natur wäre, in diesen sich wiederholenden Klängen ohne Weiteres
-vermöge unsrer Liebe zu ihnen das Mannigfaltige zu empfinden.
-
-Sehr wahr, fügte der Laie hinzu, aus demselben Unglauben fürchtet auch
-mancher geniale Musiker, wie der herrliche Beethoven, nicht neue
-Gedanken genug anbringen zu können, deshalb läßt er so selten einen zu
-unsrer Freude ruhig auswachsen, sondern reißt uns, ehe wir kaum den
-ersten vernommen, schon zum zweiten und dritten hin, und zerstört so,
-wie oft, selbst seine schönsten Wirkungen. Sehn wir sogar auf die
-Götheschen Lieder, die er gesetzt hat: welche Unruhe, welche scharfe
-Deklamation, welches Ueberspringen. Ich möchte diesem trefflichen Manne,
-so wie manchem Andern nicht gerne Unrecht thun, aber die Reichardschen
-Melodieen zu den meisten dieser herrlichen Gesänge haben sich mir so
-eingewohnt, daß ich mir diese Gedichte, vorzüglich die frühern, nicht
-anders denken und singen kann.
-
-Wenn Sie so gesinnt, nahm die Tochter das Wort, und die übertriebene
-falsche Gelehrsamkeit verwerfen, den Ausdruck schelten, der sich
-vordrängt, und darüber Melodie und eigentlichen Gesang verdunkelt, so
-hätten Sie ja nun selbst meinen geliebten Rossini gerechtfertiget.
-
-^O divino maestro! o piu che divino Rossini!^ rief begeistert und mit
-verzerrtem Gesicht der alte Italiener. ^Eccolo il vero!^ den
-ausgemachten Wunderdoktor des Jahrhunderts, der uns verirrte Schaafe
-wieder auf die rechte Straße bringt, der alle die falsche deutsche
-Bestrebunge maustodt schlagt, der mit himmlische unerschöpfliche Genie
-Oper über Oper, Kunstwerk auf Kunstwerk häuft, und sich Pyramid oder
-Mausoleum erbaut, worunter nachher alle die ausdrucksvolle,
-gedankenreiche und seelenmäßige Klimperlinge auf ewig begraben liegen.
-
-O wie wahr! rief der Enthusiast, ich habe mir schon oft vorgenommen,
-keinen andern Componisten mehr anzuhören, so entzückt hat mich jedes
-seiner Werke, es kam mir nur unbillig vor, da ich doch selber ein
-Deutscher bin, mich so feindlich meinen Landsleuten gegenüber zu
-stellen.
-
-Was hat die Landsmannschaft damit zu thun? sagte der Laie: manche
-Italiener, die gern eine Partei formiren möchten, haben es freilich
-bequem, wenn sie den Mozart oder gar Gluck zu den ihrigen rechnen, und
-so gegen Bestrebungen zu Felde ziehn wollen, die ihnen im Wege stehn.
-Giebt es aber eine wahrhaft deutsche Oper, eine Musik, die wir uns als
-national durchaus aneignen müssen, so ist es eben die Mozartsche, und es
-ist sehr gleichgültig, daß der Don Juan ursprünglich für italienische
-Sänger geschrieben wurde. Italien hat auch deutlich gnug bewiesen, daß
-es diesen großen und reichen Geist nicht fassen und lieben konnte.
-Mozart, Gluck, Bach, Händel und Haydn sind ächte Deutsche, die wir uns
-niemals dürfen abdisputiren lassen, und ihre Compositionen sind, recht
-im Gegensatz gegen die Italienischen, wahrhaft deutsche zu nennen.
-
-Und dann, fügte der Kapellmeister hinzu, kann man gern dem Rossini
-Talent und Melodie zugestehen, wenn der Lobpreisende auch uns zugiebt,
-daß ihm in seiner Eile alles das abgehe, was den Componisten erst zu
-einem dramatischen macht. Regellos, willkührlich ist er durchaus, und
-achtet weder Zusammenhang noch Charakter, ja ich fürchte, in diesem
-leichten und wilden Spiel bestehe sein Talent, so wie das mancher
-dramatischen Schriftsteller, und ihn zwingen wollen, consequent zu seyn,
-dem Charakter und Inhalt gemäß zu componiren, hieße nur, ihm das
-Componiren selbst untersagen.
-
-Sein schneller Ruhm, sagte der Laie, ist wohl nur entstanden, weil eben
-der ächte Sinn für Musik unterzugehen droht. Denn wie kann man sich doch
-nur mit diesem völligen Mangel an Styl vertragen, der allen seinen
-Melodieen einen so niedrigen, geringen Charakter aufdrückt? Seine
-Sangstücke sind großentheils sangbar, ja recht bequem für unsere
-jetzigen Sänger geschrieben, aber sehr häufig setzt er auch nur, so
-vielen Andern ähnlich, wie für Instrumente, und wenn sein Beifall noch
-lange währt, so wird er auch noch dazu beitragen, die Sänger völlig zu
-verderben, ja auch wohl den guten und edlen Vortrag der Instrumente,
-weil er Alles so kleinlich und geringe behandelt. Der Sinn für Musik
-erwachte bei uns auf eine schöne Weise, er kräftigte sich und es war uns
-vergönnt, Gluck zu verstehn und uns völlig anzueignen, eine so große
-Erscheinung, wie Mozart, entstand und vollendete sich vor unsern Augen,
-Haydns tiefsinniger Humor in seinen Instrumental-Compositionen ergriff
-alle Freunde der Kunst, des großen Händels Werke wurden wieder studirt,
-und selbst die Dilettanten fühlten sich von seiner Kunst entzückt, die
-das Mächtige, Gewaltige erstrebt, jeden kleinlichen Reiz verschmähend;
-wir sahen Anstalten gedeihen, die auch die alte Kirchenmusik, die
-herrlichen Werke der verstorbenen großen Meister wieder ertönen ließen,
-es schien, daß auf immer der Geschmack am Großen und Edeln gerettet sei.
-Nur hatte sich indessen die Menge auch mit der Musik scheinbar vertraut
-gemacht, und diese kann, wenn sie sich eine edle Sache aneignet, immer
-nur bis auf eine gewisse Weite mitgehn, dann wird sie nothwendig das
-Ergriffene in etwas Geringeres verwandeln, das ihr zusagt. Ehemals
-hatten wir nur Kenner und oberflächliche Liebhaber in Deutschland, jetzt
-aber entstand eine Halbkennerschaft statt der Freunde, die sich
-unschuldig ergötzten. Diese anmaßlichen Kenner haben mit lauter
-schreienden Stimmen nach und nach das Wort der wahren Musikfreunde
-verdrängt, ja diese gelten den neuern Enthusiasten wohl gar für
-eigensinnige, oder gefühllose Kritiker, die aus Neid und Mißlaune die
-glänzenden Erscheinungen der neuesten Zeit nicht anerkennen wollen.
-Darum hat auch in meiner Vaterstadt, in Berlin, Rossini am meisten
-Widerspruch gefunden, weil durch des unvergeßlichen Fasch herrlichen
-Eifer dort die treffliche Musik-Akademie gegründet wurde, die unser
-Freund, der wackre Zelter, nach dessen Tode in demselben Sinne
-fortgeführt hat. Durch die Vergegenwärtigung der alten Meisterwerke,
-durch den einfachen, edlen Gesang, der dort bekannter ist, als anderswo,
-sind die zahlreichen Mitglieder zum Bessern verwöhnt, und können sich
-unmöglich dem zierlich Nüchternen hingeben.
-
-Sie werden es mit meiner Tochter völlig verderben, sagte der Baron
-lachend, denn sie meint, wo nur Effect sei, da wäre es lächerlich zu
-fragen, ob die Wirkung auch statt finden dürfe.
-
-Sie hat vollkommen Recht, antwortete der Laie, ich aber auch, wenn ich
-behaupte, die Wirkung müsse gar nicht eintreten. Um diesen Punkt dreht
-sich ja die Kritik in allen Künsten.
-
-Darum ist es ein Glück zu nennen, antwortete der Baron, ja gewissermaßen
-eine weise Lenkung des Kunstgenius, daß ein großer Componist sich diesem
-kleinlichen Unwesen so mächtig gegenüber stellt, und das so
-ausgezeichnet besitzt, Styl nehmlich, was jenem ganz abgeht. Ich spreche
-von dem nicht genug zu lobenden Spontini. Es läßt sich hoffen, daß von
-dieser Seite durch mächtige Wirkungen der Sinn der Deutschen wird
-gehoben, und ihr Wohlgefallen an diesem Melodieenkitzel beseitigt
-werden.
-
-Der Laie schien so in Eifer gerathen zu seyn, daß er allein das Wort
-führen wollte. Gewiß, sagte er lebhaft, wäre es lächerlich, wenn man
-diesem Manne ein ausgezeichnetes Talent absprechen wollte, und über die
-Verdienste seiner Vestalin läßt sich Vieles sagen und streiten. Aber daß
-er im Cortez und nachher noch gewaltiger ein Brausen und Lärmen der
-Instrumente, ein Ueberschreien der Stimmen, ein Aufkreischen, ein wildes
-Getümmel uns hat für Musik geben wollen, scheint mir ebenfalls
-ausgemacht. Man kann schwerlich im voraus bestimmen, wie viel oder wenig
-unser Ohr von Instrumental-Musik vertragen soll, denn Mozart hat die
-meisten seiner Vorgänger überboten, und es gab früherhin auch
-Kunstfreunde, die bei ihm über zu große Fülle klagten; und schon lange
-vor diesem hat der große Händel außerordentlich viele Instrumente in
-Anspruch genommen, um seine erhabenen Gedanken auszusprechen. Aber bei
-diesen war die Fülle der Töne doch Musik, ein Anschwellen, ein
-Heranbrausen, ein Abdämpfen und Zurücksinken in eine gewisse Stille und
-Ruhe, aber nicht dieses ununterbrochene, nie rastende Wüthen aller
-Kräfte ohne Vorbereitung, Inhalt und Bedeutung, welches nur betäuben
-kann, und dessen Macht und Gewaltsamkeit mehr erschreckt und ermüdet,
-als erhebt und erschüttert. Geht der berühmte neuere Componist hiebei
-nur gar zu oft auf leeren Effect und Schreckschuß aus, so wie manche
-Schauspieler und Schauspieldichter, wirkt er nur einzig und allein durch
-große Massen, so ist er zwar wohl nicht der Wandnachbar Rossini's, aber
-sie reichen sich denn doch aus einer gewissen Entfernung befreundet die
-Hände und stehn sich nicht als feindliche Kräfte einander gegenüber.
-Wohl uns, daß unser hochgeehrter Maria Weber uns zu den schönsten
-Erwartungen berechtigt, der in dem, was er schon trefflich geleistet
-hat, so glänzend zeigt, wie viel er in Zukunft noch vermag.
-
-Nun erhob sich die Tochter mit allen Tönen, und der Vater stand ihr bei,
-um den Laien in die Enge zu treiben, der ihre Lieblinge so keck
-angegriffen hatte, ohne doch vom Metier zu seyn, da er sein ehemaliges
-Violinspielen selber nicht in Anschlag zu bringen wage. Unter lautem
-Lachen wurde disputirt und behauptet, der Teufel sei ein- für allemal
-unmusikalisch, die Kugelgießerei und der Lärmen dabei schlimmer als was
-je auf dem Theater getobt, und der Musik, die ganz Deutschland wie
-verwirrt gemacht, fehle die Mannigfaltigkeit, ein heiteres Element, ja
-auch jene Ironie, wodurch Mozart erst seine ungeheure Dichtung des Don
-Juan zu diesem einzigen Werke gebildet habe, so daß bei diesem durch
-Gegensätze sich Inhalt und Behandlung rechtfertigen, was dort ganz aus
-der Acht gelassen sei.
-
-Der Kapellmeister nahm sich des armen Laien, der hierauf wenig zu
-erwiedern wußte, oder den man vielmehr nicht zu Worte kommen ließ,
-freundlichst an, und meinte, eine Vergleichung auf diese Weise
-anzustellen, sei unbillig, weil das neue Kunstwerk gar nicht die Absicht
-habe, sich neben jenes ungeheure zu stellen. Ueberschreitet auch die
-angefochtene Scene, fuhr er fort, welche gerade die Menge herbei gelockt
-hat, die Gränzen der Musik, so ist doch übrigens des Vortrefflichen, des
-ächten Gesanges, des Neuen und Genialischen, vorzüglich aber des
-wahrhaft Deutschen, im besten Sinne, so viel, daß ich vollkommen in das
-Lob unsers unmusikalischen violinspielenden Laien einstimmen muß, der
-Manches wohl eben deswegen bestimmter empfindet und kecker ausspricht,
-weil er niemals vom Handwerk gewesen ist, und selbst nicht als Dilettant
-hinein gepfuscht hat, da er sich doch bescheidet, in die eigentlich
-grammatische Kritik einzugehn. Sollte keiner als nur Musiker mitsprechen
-dürfen, so würde ja auch für diese nur componirt, und das werden wir uns
-doch wohl, so wie alle Künstler, verbitten, nur für die Zunftgenossen zu
-arbeiten, um von ihnen empfunden und verstanden zu werden.
-
-Könnte ich nur, fing der Laie wieder an, den sanften Genuß wieder haben,
-den mir ehemals die Lila des Martini gewährte. Diese idyllische, reine
-und heitere Musik wäre nach so manchem Ungethüm unsrer Theater eine
-wahre Erquickung. Wie würde ich mich freuen, Paisiello's Barbier von
-Sevilla wieder zu vernehmen, und es kränkt mich innig, daß man eine
-solche Composition nicht als eine klassische verehrt, die nun einmal für
-allemal fertig ist, und an die sich keiner von Neuem wagen dürfte. Denn
-ist bei Rossini auch hier und da vielleicht ein Moment brillanter, so
-ist doch der dramatische Sinn des Ganzen, die Bedeutung untergegangen,
-und nichts gegeben, was sich dem Humor in der Rolle des Alten nur irgend
-vergleichen dürfte. Die Verwöhnung der gehäuften Instrumente läßt aber
-befürchten, daß man, wenn man auch einmal diese trefflichen alten Sachen
-geben möchte, Zusätze zur Begleitung macht, oder diese wenigstens
-verstärkt. Hier und da habe ich schon murmeln hören, daß Gluck
-dergleichen bedürfe. Mozarts Figaro ist schon in Violinen und andern
-Instrumenten doppelt so stark besetzt worden, als es der Componist
-vorgeschrieben hat, bei dieser heitern Musik um so unpassender, weil
-dadurch der Witz, das wundersam Leichte und Heitere des Gesanges gestört
-wird. Es ist, als wollte man treffliche Brillanten aus ihrer leichten
-Fassung nehmen, und sie, um sie zu ehren, in schweres Gold schmieden.
-Oder, als riefe man sich witzige und launige Einfälle durch ein
-Sprachrohr zu.
-
-Man sang zum Beschluß noch Einiges, und die Gesellschaft trennte sich.
-Beim Abschiede sagte der Baron zum alten Italiener: auf Wiedersehn! Doch
-dieser schüttelte den Kopf, und wies mit dem Finger nach oben. Der Laie
-ging nach seinem Hause, weil es schon spät war, und er in der kalten
-Nacht an einem Abenteuer, an welches er nicht glauben mochte, nicht
-Theil nehmen wollte. Der Kapellmeister und der Graf wandelten aber mit
-dem wunderlichen Alten durch die ruhige Stadt, ließen sich das Thor
-öffnen, und begaben sich nun nach dem Tannenwalde, wo der
-Lebensüberdrüssige seine Laufbahn eigenmächtig zu vollenden drohte. Als
-sie unter den finstern Bäumen standen, sagte der Graf: nun, Alter, seid
-Ihr wieder gescheidt geworden, wollt Ihr nun nicht lieber zu Bette gehn?
-
-In die Ewigkeit thu ich mich hinein legen, sagte der Italiener, und das
-liebe Vergessen, Ruhe, tiefer, tiefer Schlaf, werden wie Flaumen eines
-Daunenbetts um mich zusammen schlagen. Adieu, Eccellenza! lebt wohl,
-thörichter Kapellmeister, der Ihr die schöne Gelegenheit nicht benutzt,
-allen Euren Jammer, Partituren, Noten, Pausen, Tonarten, Sänger und
-Sängerinnen los zu werden. Nun laßt mir ein bissel noch über meinen
-Zustand nachdenken, und dann rufe ich Euch wieder; Kapellmeister
-kommandirt Eins, Zwei, Drei, und beim Worte Drei, deutlich
-ausgesprochen, langsam, feierlich, laut, daß liebe Echo auch etwas davon
-abkriegt und mitspricht, schieß ich mich die ganze Pistole in meinen
-dummen Kopf hinein.
-
-Ihr werdet doch nicht, sagte der Kapellmeister, so abgeschmackt wie der
-Hanswurst in der Kreuzerkomödie sterben wollen?
-
-Gerade so muß es geschehen, sagte der Alte, und legte sich in einen
-Sandgraben nieder. Die beiden Begleiter gingen tiefer in den Wald, die
-Nacht war still, kein Wind wehte, ein ganz leiser Hauch rührte zuweilen
-die Zweige an, so daß die Nadeln der Tannen in sanften Tönen lispelten,
-das Flüstern fortlief, und indem sich dann der Wald in allen Stämmen
-bewegte, wie ferner Orgelton verhallte. Feierlich genug ist die Stunde,
-sagte der Musiker. Eine wundersame Empfindung, erwiederte leise der
-Graf, hat den ganzen Abend in mir fort geklungen: vielleicht bin ich dem
-Tode näher, als jener alte Wahnsinnige, denn noch nie war mir mein
-Dasein so abgestanden und leer, so jedes Reizes entkleidet. Ich glaube
-nun auch, daß jenes himmlische Wesen, welches ich schon lange suche,
-gestorben ist. -- Still! rief jener: hörten Sie nicht Musik? --
-Vielleicht die fernen Glocken.
-
-Nein, sagte der Kapellmeister gehend: ich höre es deutlicher: und nun
-erinnere ich mich, hier wohnt der unkluge Alte nicht fern, in dessen
-Häuschen ich bei meiner Ankunft schon Morgens um fünf Uhr einen
-herrlichen Discant vernahm.
-
-Der Graf war tief bewegt. Jetzt kommt! kommt! schrie der Italiener, mein
-Ermorden soll ein bischen seinen Anfang nehmen! Schießt Euch todt, oder
-hängt Euch! rief der Graf zurück, wir haben jetzt etwas Besseres zu
-thun, als Eure Possen anzuhören.
-
-Sie gingen weiter, drängten sich durch Baum und Strauch, und der
-neugierige Italiener hatte sich zu ihnen gesellt. Jetzt tönte ihnen
-schon bestimmter der Gesang entgegen, und der Graf zerriß sich Hände und
-Gesicht, um nur aus den Gesträuchen zu kommen, in denen er sich aus
-Eifer immer tiefer verwickelte. Er drängte endlich hindurch und stand in
-der Nähe des Häuschens, dessen kleine Fenster erleuchtet waren. Der
-treffliche Psalm Marcello's »^Qual anhelante^« tönte ihnen voll und rein
-entgegen, so einfach, so edel vorgetragen, daß der Kapellmeister
-erstaunt und hingerissen kaum athmete. Sie ist es! sie ist es! meine
-Einzige! rief der Graf in der größten Erschütterung aus, und wollte sich
-dem Hause nähern, aber der Kapellmeister hielt ihn fest, klemmte sich an
-ihn, und warf sich dann zu seinen Füßen nieder, die er umarmte, und
-rief: o bester, glücklichster Graf! Heirathen Sie sie also, wie Sie
-gelobt haben; aber gönnen Sie mir vorher das einzige Glück, daß sie erst
-die Geliebte in meiner ruinirten Oper singt; dann will ich gern sterben,
-denn eine solche Stimme giebt es auf Erden nicht mehr.
-
-Der Graf strebte zum Hause hin, und der Kapellmeister ließ endlich sein
-ungeduldiges Bein los. So wie er auf die Wohnung losstürzte und an die
-kleine Thür klopfte, verstummte der Gesang. Macht nicht so viel
-Umstände, sagte der Italiener, der Sing-Sang ist nicht der Mühe werth,
-man sieht wohl, daß ihr meine Selige nicht gekannt habt. Der
-Kapellmeister, der jetzt eben so außer sich war, wie der Graf selbst,
-klopfte mit diesem wetteifernd an die Thür, und da sich beide in den
-Kräften überboten und das Tempo immer schneller nahmen, so entstand
-dadurch ein sonderbares Concert in der ruhigen Nacht. Im Hause war Alles
-still, endlich aber schien man drinnen doch die Geduld verloren zu
-haben, denn ein Fenster öffnete sich und eine leise, heisere Stimme
-sagte: was giebt's da? Seid ihr betrunken? Laßt uns ein! rief der Graf:
-hinein müssen wir! schrie der Kapellmeister: wo ist die Sängerin? der
-Graf: ich habe sie schon am Morgen neulich gehört, der Kapellmeister,
-als Ihr mir sagtet, es sei des Teufels Großmutter: aber hinein müssen
-wir! vereinigten sich nun beide. Seid ihr rasend? rief die erhöhte
-Stimme des Alten, und in diesem Augenblick schrie der Italiener lauter
-als Alle: Hortensio! Hortensio! haben wir Euch endlich erwischt? Nun
-bleib' ich am Leben! Mag sich umbringen, wer Lust hat, ich halte mich an
-Euch, altes Fell!
-
-Ich bin der Graf Alten, schrie der Liebhaber; ich der Kapellmeister!
-rief sein Begleiter, laßt uns nur hinein, daß wir die Sängerin sehn:
-kommt herab! rief der Italiener, daß wir beide unsre Bekanntschaft
-erneuern können.
-
-Mein Himmel! ächzte der Greis, so nach tiefer Mitternacht? Meine guten
-Herren, wenn Sie bei mir was zu suchen haben, so kommen Sie doch morgen,
-wenn der Tag scheint.
-
-Gut, sagte der Graf beruhigter, morgen früh! der Kapellmeister fand sich
-auch in den Vorschlag, und als sie friedlich wieder fortgingen, sagte
-der Italiener: ich bleibe die Nacht hier draußen und passe ihm auf.
-Morgen früh machen wir Alle unsern Besuch. --
-
-Wie erstaunten, erschraken am folgenden Tage der Graf und der Musiker,
-als sie das Haus verlassen und öde fanden; noch vor Tage, sagte die alte
-Aufwärterin, seien die beiden Bewohner ausgezogen und haben in größter
-Eil alle Sachen fortschaffen lassen. Auch der Italiener zeigte sich
-nirgend.
-
- * * * * *
-
-Ein schöner, heiterer Herbsttag war aufgegangen, die Sonne schien in
-dieser späten Jahreszeit noch so warm, wie im Sommer, und dies bestimmte
-den Laien mit seiner Tochter in das naheliegende Bergthal zu fahren. Auf
-einem kleinen Miethpferde sahen sie in der Entfernung den Enthusiasten
-auch mit nachflatterndem Kleide auf dieselbe Gegend zusprengen. Der
-Himmel verhüte nur, bemerkte der Laie zu seiner Tochter, daß der
-Schwätzer nicht ebenfalls in jenem Thale verweilt, weil er uns sonst mit
-seinen heftigen Reden und Schilderungen den Tag verderben würde.
-
-Wir müssen uns schon darauf gefaßt machen, erwiederte die Tochter, denn
-er sagte mir neulich, daß er diese Gegend vorzüglich liebe und sie oft
-besuche.
-
-Wie sind diese Menschen doch so lästig, fuhr der Laie fort, die eben,
-weil sie gar nichts empfinden, über Alles in Hitze gerathen können. Aber
-mehr noch, als bei Kunstwerken, stören sie mich in der Natur, die am
-meisten ein stilles Sinnen, ein liebliches Träumen erregt, in der ein
-vorüber schwebender Enthusiasmus und Behaglichkeit sich ablösen, und sie
-unsern Geist fast immer in eine beschauliche Ruhe versenken, in welcher
-Passivität und schaffende Thätigkeit eines und dasselbe werden: dazu der
-Anhauch einer großartigen Wehmuth in der Freude, so daß ich in der
-schönen Landschaft gegen diese beschreibenden Schwätzer oft schon recht
-intolerant gewesen bin.
-
-Sie stören fast eben so sehr, wie die unerträgliche Musik, antwortete
-das Mädchen, da man so oft in der Nähe der Gebäude Tänze oder
-kreischende Arien vernehmen muß.
-
-Als sie angekommen waren, sprang ihnen der berührige Enthusiast schon
-aus dem Hause entgegen. O wie schön, rief er aus, daß Sie diesen
-herrlichen Tag auch benutzen, der wahrscheinlich der letzte helle dieses
-Jahres ist. Lassen Sie uns nur gleich an den murmelnden Bach gehn, und
-dann von der Höhe des Berges das Thal überschauen. Es ist eine Wonne,
-die Schwingungen der Hügel, den kleinen Fluß, das herrliche Grün und
-dann die Beleuchtung zu sehn und zu fühlen. Giebt es wohl ein Entzücken,
-das diesem gleich oder nur nahe kommen kann?
-
-Ich will mit Ihnen gehen, erwiederte der Laie, aber nur unter der
-Bedingung, daß Sie mich mit allen Schilderungen und begeisterten
-Redensarten verschonen. Wie können Sie überhaupt nur immer so vielen
-Enthusiasmus verbrauchen? Es ist nicht möglich, wie Sie auch neulich
-gestanden haben, daß Sie so viel empfinden.
-
-Bei der Kunst, sagte der Enthusiast, setzt man freilich wohl hie und da,
-dem Künstler zu gefallen, etwas zu, aber in der himmlischen Natur --
-nein! da kann doch keine Zunge Worte genug finden, um nur einigermaßen
-das wiederzugeben, was im Herzen aufgeht. Ich habe es aber schon seit
-lange bemerkt, daß Sie kein großer Freund der Natur sind, denn wie
-konnten Sie nur sonst, wie ich schon so oft gesehen habe, daß Sie thun,
-beim schönsten Frühlingswetter in das dumpfe Theater kriechen, um eine
-Oper zu hören, oder sogar ein mittelmäßiges Schauspiel zu sehn, über
-welches Sie nachher selber Klage führen?
-
-Weil es mir an solchem Tage, antwortete jener, darum zu thun ist, ein
-Schauspiel zu sehn, und ich dies mit dem Genusse der Natur dann nicht
-vereinigen kann und mag. Auch gestehe ich Ihnen, daß ich oft in der
-schönsten Natur bin, ohne sie mit den geschärften Jäger-Augen in mein
-Bewußtsein aufzunehmen, wenn mich ein heiteres Gespräch beschäftigt,
-oder ich auf einsamem Spaziergang etwas sinne, oder ein Buch meine
-Aufmerksamkeit fesselt. Glauben Sie nur, unbewußt, und oft um so
-erfreulicher, spielt und schimmert die romantische Umgebung doch in die
-Seele hinein. Wenn wir uns überhaupt immer so sehr von Allem
-Rechenschaft geben sollen, so verwandelt sich unser Leben in ein
-trübseliges Abzählen, und die feinsten und geistigsten Genüsse
-entschwinden.
-
-Hm! Sie mögen nicht ganz Unrecht haben, sagte der Enthusiast
-nachsinnend: wenn ich nur nicht einmal den Charakter der Heftigkeit
-angenommen hätte und bei allen meinen Bekannten als ein Eiferer gölte,
-so wollte ich mir das Wesen wieder abzugewöhnen suchen. Es ist aber denn
-doch auch fatal, wenn man, so wie Sie, für einen Phlegmatiker gilt. Da
-Sie also nichts von Naturbegeisterung hören wollen, so will ich Ihnen
-lieber erzählen, daß ich schon vorhin, ehe Sie kamen, eine sonderbare
-Erscheinung hier bemerkt habe. Ein junges, wunderschönes Mädchen stand
-dort oben auf dem Hügel, sah immerdar auf den Weg hin, der zur Stadt
-führt, und weinte dann heftig. Sie erregte mein lebhaftestes Mitgefühl,
-ich ging zu ihr, aber so sehr ich auch in sie drang, so konnte ich sie
-doch nicht bewegen, mir eine vernünftige Antwort zu geben, oder mir zu
-erzählen, was sie hier mache, wie sie hergekommen sei und wen sie hier
-erwarte. Und ich war doch so ganz außerordentlich neugierig, vorzüglich,
-weil ich dies junge, außerordentlich reizende Frauenzimmer neulich schon
-bei unserm Baron in der Gesellschaft gesehen habe, wo sich der verwirrte
-melancholische Graf viel mit ihr zu schaffen machte. -- Sehn Sie, sie
-steigt schon wieder den Hügel hinan, um ihre Beobachtungen anzustellen.
-
-Mit Zierlichkeit und Grazie schwebte die Gestalt die grüne Anhöhe
-hinauf, und ihre vollen, braunen Locken, ihr leuchtendes Auge, das
-einfache Gewand und die Geberde wirkten mit unbeschreiblichem Zauber in
-der anmuthigen Landschaft. Die Tochter fühlte sich bewegt, als sie das
-schöne Wesen wieder weinen sah, die Thränen stiegen ihr selbst in die
-Augen, als die Unbekannte jetzt im Ausdruck des höchsten Schmerzes die
-Hände rang, und sich jammernd auf den Rasen niedersetzte. Lassen Sie uns
-hinauf steigen, sagte der Laie, das arme Wesen bedarf unsers Trostes und
-Beistandes, meine Tochter soll sie anreden, wir aber, Herr Kellermann,
-wollen uns fürs erste schweigend verhalten, und die Betrübte am
-wenigsten mit zudringlichen Fragen ängstigen. Die Tochter ging zu ihr,
-und die Fremde bekannte, daß sie ihren alten Vater aus der Stadt
-erwarte, und nicht begreife, wie er so lange zögern könne, da er ihr
-diesen Ort angewiesen habe, wo sie zusammen treffen wollten, um weiter
-zu reisen.
-
-Sie wollen also unsre Gegend verlassen, fragte der Laie, da Sie doch, so
-viel ich weiß, nur kürzlich angekommen sind?
-
-Ach! mein Herr, antwortete die schöne Fremde klagend, mein lieber Vater
-leidet schon seit lange an einer schweren Melancholie, an
-Menschenfeindschaft und tiefem Lebensüberdruß, so zieht er seit einigen
-Jahren von Ort zu Ort, verarmt immer mehr, wird immer kränker, versagt
-sich selbst alle Hülfe, und will auch mir das Glück nicht gönnen, ihm
-beizustehn, da ohne diesen starren Willen meine Talente sein Leben wohl
-unterstützen könnten. Denn mein Gesang und die Musik überhaupt machen
-das Unglück meines Lebens.
-
-Sie singen also doch? fragte der Laie sehr lebhaft.
-
-Meine Trauer, mein tiefer Schmerz, erwiederte die schöne Klagende, sind
-Schuld, daß ich mein Gelübde gebrochen habe. Ich habe meinem Vater
-geloben müssen, niemals zu gestehen, daß ich singe, auch niemals, außer
-wenn er zugegen ist, und es mir erlaubt, einen Ton anzuschlagen. Wir
-wohnten deshalb von der Stadt entfernt, wir vermieden allen Umgang, nur
-neulich war ich zufällig im Hause des Baron Fernow, wo ein Fremder, ein
-feiner, anständiger Mann mich über die Gebühr mit Fragen und
-Aufforderungen zum Singen ängstigte. In der letzten Nacht, als ich, wie
-ich glaube, in der höchsten Einsamkeit einen Psalm Marcello's einübe,
-entsteht vor dem Hause ein Getümmel, wir halten die Leute für Räuber
-oder Trunkene, der Graf nennt sich endlich, und will eingelassen seyn,
-noch einige Andere toben eben so laut, und mein Vater kann sie endlich
-nur beruhigen, indem er ihnen verspricht, am Morgen ihren Besuch
-anzunehmen. Kaum sind sie fort, so muß Alles in der größten Eile
-eingepackt werden, noch in der Nacht werden Fuhrleute gemiethet, unsre
-wenigen Sachen hieher zu fahren, am Morgen muß ich nachreisen, und er
-verspricht, in wenigen Stunden ebenfalls hier zu seyn, weil er in der
-Stadt noch unsere Reisepässe besorgen müsse. Hier erwarte ich ihn nun
-schon manche Stunde, gewiß ist er krank, ein Unglück ist ihm zugestoßen,
-und ich weiß in meiner Angst nicht Rath noch Hülfe; wo soll ich ihn
-wieder finden?
-
-Der Laie suchte sie zu beruhigen. Er schlug vor, im Gasthause bis nach
-Tische den Alten zu erwarten, dann solle sie mit ihm und seiner Tochter
-zurück fahren, da nur ein Weg zur Stadt führe, so müßten sie dem Vater
-begegnen, wäre dies nicht der Fall, so solle die Fremde in seinem Hause
-absteigen, indessen er selbst Erkundigungen einzöge. Auf sein
-eindringliches Zureden und der Tochter schmeichelnde Liebkosungen wurde
-sie ruhiger und ging mit ihnen in den Gasthof. Bei Tische wurde man
-sogar guter Laune, nur verweigerte die Fremde auf die unbescheidene
-Bitte des Enthusiasten, zu singen, weil dies gegen ihr heiliges
-Versprechen laufe. Man sprach dann viel über die neulichen Musikstücke,
-die der Kapellmeister im Hause des Barons habe probiren lassen, sie
-lobte die Composition als großartig, tadelte aber die Manier der Sänger.
-Es kann seyn, beschloß sie ihre Kritik, daß ich hierüber völlig im
-Irrthum bin, aber nach den Grundsätzen meines Vaters, und nach der
-Gesangsweise, die ich nach seinem Unterricht ausüben muß, ist jene
-Manier eben so klein als willkührlich. Ja, dürfte ich einmal (aber dazu
-ist mein Vater auf keine Weise zu bewegen) eine Opern-Rolle, wie diese
-des Kapellmeisters singen, so schmeichle ich mir, daß ich eine große
-Wirkung hervor bringen würde, und vielleicht um so größer, weil diese
-Art jetzt ganz vergessen ist und die Neuheit um so mehr erschüttern
-möchte.
-
-Wenn Sie diejenige sind, erwiederte der Laie, für welche ich Sie jetzt
-halten muß, so können Sie einen gewissen enthusiastischen Mann, wenn es
-übrigens Ihre Gesinnung erlaubte, unbeschreiblich glücklich machen.
-
-Die Schöne wurde roth, und der Enthusiast Kellermann, so wie er das Wort
-enthusiastisch nennen hörte, sprang eilig herbei und rief: ja gewiß,
-Verehrte! wie könnte mein Herz wohl so vielfach vereinigtem Zauber
-widerstehn?
-
-Gebt Euch keine unnütze Mühe, rief der Laie laut lachend, ich meine
-jenen sonderbaren Grafen, den wir Alle kennen. Ich hoffe einen
-beglückenden Ausgang weissagen zu dürfen.
-
-Die Schöne wollte sich auf keine nähern Erörterungen einlassen; lobte
-aber nachher im Verlauf des Gespräches den jungen Grafen als einen
-schönen und verständigen Mann, der sie auch in der Gesellschaft am
-meisten interessirt habe.
-
-Auf der Rückfahrt unterhielt man sich mit heitern Gesprächen. Der
-Enthusiast sprengte wieder auf seinem kleinen Pferde voran, und war
-bemüht, seine Geschicklichkeit im Reiten zu zeigen. Als sie in die Stadt
-hinein gefahren waren, sahen sie in der Hauptstraße einen großen
-Volksauflauf, Getümmel, Geschrei, ein Vor- und Zurückdrängen, der Wagen
-mußte halten, die Wache machte Platz und der Laie erstaunte, als er den
-alten Italiener zwischen den Soldaten bemerkte, die ihn als Gefangenen
-fortführten. Was giebt es? fragte er einen Vorübergehenden. -- Je, der
-braune Schelm, antwortete dieser, hat einen alten Mann so eben todt
-geschlagen.
-
-Als sich die Menge verlaufen hatte und sie weiter fahren konnten,
-stürzte ihnen aus einem großen Hause der Graf entgegen, er rief, daß man
-anhalten solle, und mit einem Ausdrucke übermenschlichen Entzückens half
-er Julien aussteigen. Der Laie und die Tochter folgten, um zu sehen, wie
-sich die Scene entwickeln würde.
-
- * * * * *
-
-Im Saale fand Julie den alten Mann im Lehnstuhl sitzen, blaß und
-erschüttert, aber wohl und unverletzt. Man erfuhr, daß er den ganzen Tag
-durch Hin- und Herschicken, indem er seine Pässe berichtigen und
-auslösen mußte, von der Polizei war aufgehalten worden. Als er endlich
-fertig zu seyn glaubte, und eben einen Wagen suchte, um seiner Tochter
-nachzureisen, begegnete er dem thörichten Italiener, der ihn sogleich
-auf offener Straße angriff, um ihn zu mißhandeln, als er aber um Hülfe
-rief, nahmen sich die Vorübergehenden des Greises an, und der Verwirrte
-wurde der Wache übergeben. Julie liebkosete den Alten, und suchte ihn
-durch ihre Zärtlichkeit zu beruhigen. Der Enthusiast, so wie der
-Kapellmeister waren ebenfalls Zeugen dieses Auftrittes.
-
-Vielen Dank, sagte endlich der Alte, bin ich Ihnen, mein Herr Graf,
-schuldig, daß Sie sich meiner so freundlich angenommen haben, jetzt aber
-lassen Sie uns abreisen, damit wir recht bald den Ort unsrer neuen
-Bestimmung erreichen.
-
-Er stand auf und wollte gehn, Julie blieb zaudernd, und blickte verlegen
-auf die Gegenwärtigen, der Graf aber trat vor den Greis hin und sagte
-mit zitterndem Tone: können Sie mir das Glück meines Lebens entreißen
-wollen, dem ich so lange nacheilte, jetzt, nachdem ich es endlich so
-unverhofft und so wunderbar gefunden habe?
-
-Was meinen Sie? fragte der Alte.
-
-Selig würde ich seyn, antwortete der Graf, wenn Ihre Tochter sich
-entschließen könnte, mir ihre Hand zu schenken. Ich bin reich, völlig
-unabhängig, lassen Sie uns in Liebe, Freundschaft und Musik verbunden
-ein Glück begründen und genießen, wie es nur immer auf Erden möglich
-ist.
-
-Der Alte taumelte wie erschrocken zurück, er mußte sich vor Zittern
-wieder niedersetzen. Wie! rief er im heftigen Weinen aus: das könnte Ihr
-Ernst seyn, mein Herr Graf?
-
-Ich nehme, rief dieser, alle diese Freunde zu Zeugen: doch, Julie
-selbst?
-
-Nun, meine Tochter, sagte der Alte bewegt, könntest Du Deinen greisen
-Vater so glücklich machen? Jetzt liegt es in Deiner Hand, mir allen Gram
-meines Lebens zu vergüten und meine letzten Tage zu verherrlichen. Aber
-ist es denn kein Traum? Wie kommt dies Alles? Kannst Du Dich
-entschließen, mein Kind?
-
-Die Tochter war heftig erschüttert. O Himmel! rief der Graf: nein,
-Gewalt sollen Sie sich nicht anthun: lieber entsage ich allen meinen
-Hoffnungen.
-
-Können Sie mich so mißverstehn? antwortete Julie, kaum hörbar: hätten
-Sie wirklich nicht gefühlt, wie sehr ich mich zu Ihnen gezogen fühlte?
-Habe ich doch seitdem immer Ihr Bild vor Augen gehabt. Aber auch den
-allerfernsten Schimmer eines solchen Glücks wies ich als einen
-wahnsinnigen Traum zurück.
-
-Der Graf kniete vor ihr nieder, der Alte legte gerührt ihre Hände in
-einander, dann sank sie an die Brust ihres Geliebten.
-
-Doch jetzt, rief der Graf aufspringend, nur Einen Ton, Einen Tact, ich
-weiß es zwar gewiß, daß Du es bist, aber um mich völlig zu überzeugen.
-
-Sie sah fragend ihren Vater an, doch dieser sagte lächelnd: ich löse
-Dich jetzt gänzlich von dem Gelübde, welches Du mir gethan hast, jetzt
-darfst und mußt Du Alles thun, was Dein Bräutigam von Dir fordert.
-
-Da sang sie ohne alle Begleitung den Anfang des ^stabat mater^ von
-Palestrina, so stark und voll, so anschwellend die Töne, so gehalten und
-lieblich, daß Alle, vorzüglich aber der Graf und der Kapellmeister in
-ihrem Entzücken keine Worte finden konnten.
-
-Ja, sagte der Vater, als man wieder ruhiger war, es ist mein Stolz und
-mein Glück, diese Stimme gebildet zu haben, ich darf es ohne väterliche
-Verblendung behaupten, sie ist einzig in ihrer Art, und diesen Vortrag
-wird man jetzt nirgends hören.
-
-Aber wie kamen Sie nur dazu, fragte der Laie, von Ihrer Tochter sich
-geloben zu lassen, niemals in Gesellschaft zu singen, ja sogar dieses
-himmlische Talent zu verläugnen?
-
-O, mein Herr, sagte der Alte, wenn Sie meine Geschichte kennten, mein
-jahrelanges Elend, wie ich verkannt und gemißhandelt wurde, so würden
-Sie dies und noch weit mehr begreifen. Von frühster Jugend war mein Sinn
-und Streben auf Musik gerichtet, aber meine Eltern waren so arm, daß sie
-für meine Ausbildung nur wenig thun konnten. Mit Chorsingen fristete ich
-mich durch, späterhin mit Stundengeben. Ich mußte mir Alles selber
-erringen und auf den mühseligsten Wegen. Als ich den Contrapunct
-gründlich studirt hatte und Alles versucht und durchgearbeitet, was zu
-einem musikalischen Componisten nothwendig ist, als ich nun fertig zu
-seyn glaubte, und schon manche Kirchenmusik geschrieben, die mir
-gelungen schien, fand ich nirgends Unterstützung, kein Mensch wollte von
-mir etwas wissen, mein Aeußeres war nicht empfehlend, ich besaß keine
-feine Lebensart, mir fehlten die einschmeichelnden Manieren. Nach
-Italien strebte mein Sinn, doch die matten Augen meiner hülflosen Eltern
-sahen mich so flehend an, daß ich recht im Herzen fühlte, wie es meine
-Pflicht sei, für sie zu sorgen. So mußte ich denn wieder für ein
-geringes Geld fast auf allen Instrumenten Unterricht geben, und diese
-Pein, mit einem ungeschickten gefühllosen Schüler die Geige zu kratzen,
-immer dieselben Mißtöne zu hören, ist über alle Beschreibung. Nur ein
-solcher Musiklehrer erfährt, welche Dummköpfe es in der Welt giebt. So
-bot man mir einen an, der schon sechs Jahre Violine gespielt hatte. Ei!
-dachte ich dazumal, das ist doch ein Trost, da kann ich einmal
-musikalisch zu Werke schreiten und vielleicht einen ächten Scholaren
-erziehn. Er hatte schon Sonaten, Quartetts, Symphonieen und die
-schwierigsten Sachen durchgearbeitet. Und, denken Sie, als ich ihn nun
-ins Examen nehme, ist dieser Virtuose nicht im Stande, seine Geige zu
-stimmen, er kennt keine Tonart, schabt Alles aus dem Gedächtniß daher,
-hat keinen Tact, und verwundert sich in seiner blanken Unschuld, daß
-alles das Zusammenhang habe und Wissenschaft sei. Wie das Meerwunder,
-das schon fast ein erwachsener Jüngling war, seinen Pleyel zusammen
-rasselte, alle Töne falsch, ohne Bindung und Sinn, kreischend und
-quitschend, Gesichter schneidend und Pausbacken machend, davon haben Sie
-Alle keine Vorstellung. Denken Sie, ich mußte mit ihm wieder einen
-Choral zu spielen anfangen, und nach sechs oder sieben Jahren, die er
-schon bei einem andern Lehrer verarbeitet hatte, konnte er das nicht
-einmal leisten.
-
-Die Uebrigen hatten den Laien schon während dieser Erzählung lächelnd
-angesehn, als dieser ausrief: ist es möglich, daß ich so unvermuthet
-meinen verehrlichen Musiklehrer wieder finden muß? Ja, alter Herr,
-damals haben wir uns beide das Leben rechtschaffen sauer gemacht.
-
-Sie sind der junge Mensch von damals? sagte der alte Mann in
-Verlegenheit; bitte tausendmal um Verzeihung: aber es war mir doch so
-merkwürdig, daß ich diesen Umstand niemals wieder vergessen habe. -- Auf
-diese Weise ging dann meine Jugend hin. Meine Eltern starben, ich war
-aber indeß alt geworden. Nach und nach gab man in kleinen Orten von
-meinen Compositionen. Hier und da versuchte auch ein Theater meine Opern
-darzustellen, aber sie machten kein Glück. Als ich meine Gattin, eine
-herrliche Sängerin, kennen lernte, und sie ihr Schicksal mit dem
-meinigen vereinigte, schien mir nichts mehr zu wünschen übrig. Aber nach
-der Geburt meiner Tochter war ihre Stimme schwächer geworden. Ach was
-ist es doch für ein unermeßlicher Verlust, wenn eine wahrhaft schöne
-Stimme verloren geht. Es ist ja noch weit mehr, als wenn uns ein
-geliebter Freund abstirbt. Und doch muß sich der Mensch auch darein
-finden. Meine Frau wollte es aber nicht, sie sang immer schwächer, immer
-stärker griff sie sich an, und sang sich zu Tode. Nun war mein ganzer
-Himmel diese meine Tochter. Eine kleine Pension, die mir das Theater
-zukommen ließ, das ich eine Zeit lang dirigirt hatte, schützte mich vor
-der äußersten Dürftigkeit. Von jetzt vertiefte ich mich erst recht in
-die großen Kirchenmusiken der alten Meister. Immer armseliger erschien
-mir die Gegenwart. Alle die Manieren, die Liebhabereien, die überhand
-nahmen, waren mir verhaßt. Am abscheulichsten aber erschien mir die neue
-Singmethode, welche immer mehr einriß. Der rechte Ton muß wie die Sonne
-aufgehn, klar, majestätisch, hell und immer heller, man muß die
-Unendlichkeit in ihm fühlen, und der Sänger muß ja nicht verrathen, daß
-er die letzte Kraft ausspielt. Eine Musik, recht vorgetragen, wiegt sich
-wie ein Stück des Himmels, und sieht aus dem reinen Aether in unser
-Herz, und zieht es hinauf. Und was ich einzig und allein im Ton hören
-will, ist die Begeisterung. Einen tragischen oder göttlichen
-Enthusiasmus giebt es, der heraus klingend jeden Zuhörer von seiner
-menschlichen Beschränktheit erlöst. Ist die Sängerin dieser Vision
-fähig, so fühlt sie sich vom Sinn des Componisten, aber auch zugleich
-vom Sinn der ganzen Kunst durchdrungen, daß sie Schöpferin, Dichterin
-wird, und wehe dem armen Kapellmeister, der dann noch Tact schlagen, und
-das Tempo zu starr fest halten will, denn die Eingeweihte darf über die
-gewöhnlichen und nothwendigen Schranken hinaus steigen, und sich wie ein
-Engel schwebend aus dem Grabe des Zeitlichen erheben, und triumphirend
-in lichter Glorie dem Unsterblichen zufliegen.
-
-Das ist es, sagte der Laie, was ich neulich habe aussprechen wollen.
-
-Die meisten Künstler, fuhr der Alte fort, sind nur höchstens von ihrer
-eigenen Virtuosität trunken, selten, selten, daß einer nur wagt, den
-Componisten zu verstehn, geschweige über ihn hinaus zu schreiten. So wie
-im letzten Fall der Componist verherrlicht wird, so wird er im ersten
-fast immer vernichtet, doch ist diese Begeisterung nicht ganz zu
-verwerfen, weil alsdann, wenn auch auf eitle Weise, Seele in den Gesang
-kommt, in so fern nämlich der Sänger ein wirklicher ist. Mein Kind
-erwuchs, und ward ganz, wie ich es mir gewünscht. Sie faßte meinen Sinn,
-sie bekam eine Stimme, wie ich sie noch niemals gehört hatte. Ich
-glaubte, ein unschätzbares Kleinod in ihr zu besitzen. In dieser
-Ueberzeugung schrieb ich von ihr einem großen Hof, wo man sie zur
-Kammersängerin berief. Nun glaubte ich, in Ruhe und ohne Armuth meine
-Tage beschließen zu können. Die vornehme Welt ist versammelt und sie
-singt ein altes Musikstück, so, daß mir die Thränen in den Augen stehn;
-ich selbst hatte sie nie so singen hören, denn sie hat Stolz, die
-Umgebung befeuerte sie. Und wie sie endigt, keine Hand, kein Wort, kein
-Blick. Der alte Kapellmeister kommt dann zu mir und flüstert, der Fürst
-und die Damen hätten geäußert, und er selber müsse die Meinung
-unterschreiben, meine Tochter möchte noch erst Unterricht von einem
-guten Sänger haben, um Schule zu bekommen.
-
-Das ist es eben, rief jetzt der Graf aus, was sie wollen, Schule,
-Methode, wie sie es nennen, statt des Gesanges. Ja, das war jener Abend,
-als ich, Julie, in Wonne aufgelöst hinter Deinem Rücken stand, und Dein
-Angesicht nicht sehen konnte. Methode! gerade als wenn ein Solimene oder
-Trevisano den Raphael bedauern wollte, daß er nicht mehr Schule in
-seinen Werken zeige.
-
-Julie sagte: glauben Sie mir, mein Vater, ich kann besser singen, als
-ich jenen Abend sang. Ja, vor Freunden, die uns verstehn, die unserm
-Sinn entgegen kommen, wird die Stimme noch einmal so mächtig und die
-Sicherheit unendlich. Aber man fühlt es auch vorher durch geistigen
-Instinkt, wenn wir vor Unverständigen uns hören lassen sollen. Wird bei
-jenen der Gesang wie Gold in Gluth der Liebe geschmolzen, so versagt bei
-diesen Stimme und Muth, ja der Ton wird oft, trotz aller Anstrengung,
-kümmerlich. An jenem, mir fürchterlichen Abende sah ich mich
-geflissentlich nicht um, und doch steckten mir alle die Augen der
-gelangweilten Hofdamen und die verwunderten Blicke der neugierigen
-Cavaliere in der Kehle.
-
-Das Unglück, dieser Unsinn, nahm der Alte wieder das Wort, verwirrten
-mir auch den Kopf. Ohne es nur anzuzeigen, reisete ich noch in derselben
-kalten Nacht mit meiner Tochter wieder ab. Sie mußte mir feierlich
-geloben, nie anders, als nur in meiner Gegenwart, und wenn ich es ihr
-erlaubte, zu singen. Kam sie unter Menschen, die jetzt fast alle gern
-kreischen und zwitschern, so mußte sie fest verläugnen, daß sie nur
-irgend was von Musik wisse. Wir lebten sehr einsam, kamen wenig oder gar
-nicht unter die Leute. Mein Gemüth verfinsterte sich immer mehr, und
-hätte mich nicht meine Tochter getröstet, so wäre ich wohl längst
-gestorben, oder Wahnsinn hätte mich ergriffen. Ist mir doch fast, als
-wäre ich in manchen Stunden diesem Elende nicht allzufern gewesen.
-Oefter wechselte ich den Wohnsitz und kam nun hieher, um draußen, in der
-Nähe finsterer Tannen recht einsam zu leben, und ungestört mit meinem
-Kinde Gesang und Musik zu üben, da sah mich neulich der Herr (indem er
-auf den Kapellmeister wies) draußen, und gestern wollten sie beide in
-der Nacht mein Haus bestürmen, was ich freilich ganz anders auslegte,
-als es sich nun zu meinem unerwarteten Glücke ausgewiesen hat.
-
-Man setzte fest, daß noch heut Abend die Verlobung seyn sollte, zu
-welcher auch der Baron und seine Familie gebeten wurde.
-
-Aber halt! rief der Kapellmeister, Ihr Gelübde, Herr Graf, welches Sie
-in dieser Nacht gethan haben, daß Ihre schöne Braut noch vor der
-Vermählung die Hauptparthie in meiner Oper singen soll!
-
-Es sei, sagte der Graf, wenn es meiner Julie nicht unangenehm ist. Man
-sah es ihr aber, auch ohne ihre Versicherung wohl an, daß es ihr Freude
-mache, auf eine so glänzende Art ihr großes Talent zu entwickeln.
-
- * * * * *
-
-Ehe der Graf in das Schauspiel ging, nahm er noch einmal den alten
-Italiener einsam vor und sagte: Ihr hättet neulich fast Unglück
-gestiftet, alter Thor, reiset nun, wozu ich Euch ausgestattet habe, in
-Eure Heimath zurück, lebt dort ruhig, und Ihr werdet richtig Eure
-Pension ausgezahlt erhalten, die Euer Alter froh und sorgenlos machen
-kann.
-
-Eccellenza, antwortete der Verwirrte, seyn die Großmuth selbst: bitte
-auch auf Knieen um Pardon, daß den Schwiegervater habe prügeln wollen,
-den alten boshaften Hortensio, der alle Musik ruinirt. Ich hatte lange
-draußen gelauert, und war im Wald vor Müdigkeit und Chagrin
-eingeschlafen, unterdessen er auf und davon. Untersuche alle Dörfer
-dort, komme müde und matt zurück, da rennt er über die Straße: Herr
-Graf, da zog es mich so allgewaltig, ich mußte losprügeln, und wenn's
-mein leiblicher Vater gewesen wäre.
-
-Als Julie sich in der schöngesetzten Parthie zeigte, und in vollen Tönen
-so sicher ausstrahlte, war das Entzücken des Publikums allgemein. Die
-Zeichen des Mißfallens, die einige Freunde der eigensinnigen Sängerin
-wollten hören lassen, mußten beschämt verstummen. Als die große Arie
-gesungen war, entstand ein so lautes Beifallrufen, ein solches Jauchzen
-und Geräusch, daß Musik und Stück inne hielt. Als es ruhiger war, hörte
-man eine laut heisere Stimme, die vom Parterre herauf rief: taugt nix!
-gar nix! miserable Pfuscherei, kein Vortrag: ist nur Aberwitz und
-deutsche Seelenmanier des verrückten Herrn Hortensio! Es war der alte
-Italiener, der sich noch einmal vernehmen ließ, aber genöthigt wurde,
-das Theater zu verlassen.
-
-Noch niemals hatte in dieser Stadt eine Oper so großes Glück gemacht,
-der Kapellmeister war beseligt, der Vater glücklich, der Graf entzückt,
-der Laie in frühere Jahre versetzt, und der Enthusiast, was die Uebrigen
-freute, ohne Worte.
-
-Bald darauf war die Vermählung der Glücklichen. Dann zog der Graf auf
-seine großen Güter; alte Musik, die Compositionen Hortensio's, Opern
-wurden in seinen Sälen gegeben, und die abwesenden Freunde hörten in
-Briefen nur von der ungetrübten Freude dieser auf so wunderliche Art
-Vereinigten.
-
-
-
-
-Anmerkungen zur Transkription
-
-
-Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im
-Original g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_
-gekennzeichnet. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind,
-wurden ^so^ markiert.
-
-Die variierende Schreibweise des Originales wurde weitgehend
-beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert,
-teilweise unter Verwendung weiterer Ausgaben, wie hier aufgeführt
-(vorher/nachher):
-
- [S. 9]:
- ... von oben in den Saal herabschaute, die durch das Ge- ...
- ... von oben in den Saal herabschaute, die durch das Geschrei ...
-
- [S. 23]:
- ... häufig haben wir die bösen Folgen der Zornes, der
- Trunkenheit, ...
- ... häufig haben wir die bösen Folgen des Zornes, der
- Trunkenheit, ...
-
- [S. 57]:
- ... Gabe des Unsichtbare schenken kann; und wehe dem
- Verschwender, ...
- ... Gabe das Unsichtbare schenken kann; und wehe dem
- Verschwender, ...
-
- [S. 84]:
- ... und seine Gabe wird so verkannt, so wenig gewürdiget, ...
- ... und keine Gabe wird so verkannt, so wenig gewürdiget, ...
-
- [S. 90]:
- ... und klingt in unserm Giste zusammen! ...
- ... und klingt in unserm Geiste zusammen! ...
-
- [S. 246]:
- ... Schachspieler, Melchior, der Baukünstler, ja Alle mi ...
- ... Schachspieler, Melchior, der Baukünstler, ja Alle im ...
-
- [S. 266]:
- ... thöricht im Haupte? Wissen Sie, unbekanter Freund, was ...
- ... thöricht im Haupte? Wissen Sie, unbekannter Freund, was ...
-
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Schriften 17: Novellen 1, by Ludwig Tieck
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 17: NOVELLEN 1 ***
-
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-<title>The Project Gutenberg eBook of Schriften 17: Novellen 1, by Ludwig Tieck</title>
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-<body>
-
-
-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Schriften 17: Novellen 1, by Ludwig Tieck
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
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-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
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-
-Title: Schriften 17: Novellen 1
- Die Gemälde / Die Verlobung / Die Reisenden / Musikalische
- Leiden und Freuden
-
-Author: Ludwig Tieck
-
-Release Date: December 17, 2015 [EBook #50707]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 17: NOVELLEN 1 ***
-
-
-
-
-Produced by Delphine Lettau, David Jones, Jens Sadowski,
-and the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-
-<div class="titlematter">
-<p class="ser2">
-<span class="line1">Novellen</span><br />
-<span class="line2">von</span><br />
-<span class="line3">Ludwig Tieck.</span>
-</p>
-
-<p class="vol">
-Erster Band.
-</p>
-
-<p class="toc">
-<span class="line1"><a href="#part-1">Die Gemälde.</a></span><br />
-<span class="line2"><a href="#part-2">Die Verlobung.</a></span><br />
-<span class="line3"><a href="#part-3">Die Reisenden.</a></span><br />
-<span class="line4"><a href="#part-4">Musikalische Leiden und Freuden.</a></span>
-</p>
-
-<p class="pub">
-Berlin,<br />
-Druck und Verlag von G. Reimer.<br />
-1844.
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="titlematter">
-<p class="ser">
-<span class="line1">Ludwig Tieck&rsquo;s</span><br />
-<span class="line2">Schriften.</span>
-</p>
-
-<p class="vol">
-Siebzehnter Band.
-</p>
-
-<h1 class="title">
-Novellen.
-</h1>
-
-<p class="pub">
-Berlin,<br />
-Druck und Verlag von G. Reimer.<br />
-1844.
-</p>
-
-</div>
-
-<h2 class="part" id="part-1">
-<a id="page-1" class="pagenum" title="1"></a>
-<span class="line1">Die Gemälde.</span><br />
-<span class="line2">Novelle.</span>
-</h2>
-
-<p class="first">
-<a id="page-3" class="pagenum" title="3"></a>
-<span class="firstchar">T</span>reten Sie nur indeß hier in den Bildersaal, sagte der
-Diener, indem er den jungen Eduard herein ließ; der
-alte Herr wird gleich zu Ihnen kommen.
-</p>
-
-<p>
-Mit schwerem Herzen ging der junge Mann durch
-die Thüre. Mit wie so andern Gefühlen, dachte er bei
-sich selbst, schritt ich sonst mit meinem würdigen Vater
-durch diese Zimmer! Das ist das erste Mal, daß ich mich
-zu dergleichen hergebe, und es soll auch das letzte seyn.
-Wahrlich das soll es! Und es ist Zeit, daß ich von mir
-und der Welt anders denke.
-</p>
-
-<p>
-Er trat weiter im Saale vor, indem er ein eingehülltes
-Gemälde an die Wand stellte. Wie man nur so
-unter leblosen Bildern ausdauern kann, und einzig in
-ihnen und für sie da seyn! so setzte er seine stummen
-Betrachtungen fort. Ist es nicht, als wenn diese Enthusiasten
-in einem verzauberten Reiche untergehen? Für sie
-ist nur die Kunst das Fenster, durch welches sie die Natur
-und die Welt erblicken; sie können beide nur erkennen,
-indem sie sie mit den Nachahmungen derselben vergleichen.
-Und so verträumte doch auch mein Vater seine
-Jahre; was nicht Bezug auf seine Sammlung hatte, war
-für ihn nicht bedeutender, als wenn es unter dem Pole
-<a id="page-4" class="pagenum" title="4"></a>
-vorfiele. Seltsam, wie jede Begeisterung so leicht dahin
-führt, unser Dasein und alle unsere Gefühle zu beschränken.
-</p>
-
-<p>
-Indem erhob er sein Auge, und war fast geblendet
-oder erschrocken vor einem Gemälde, welches in der obern
-Region des hohen Saales ohne den Schmuck eines Rahmens
-hing. Ein blonder Mädchenkopf mit zierlich verwirrten
-Locken und muthwilligem Lächeln guckte herab,
-im leichten Nachtkleide, die eine Schulter etwas entblößt,
-die voll und glänzend schien; in langen zierlichen Fingern
-hielt sie eine eben aufgeblühte Rose, die sie den glühend
-rothen Lippen näherte. Nun wahrlich! rief Eduard laut,
-wenn dies Bild von Rubens ist, wie es seyn muß, so
-hat der herrliche Mann in dergleichen Gegenständen alle
-andern Meister übertroffen! Das lebt, das athmet! Wie
-die frische Rose den noch frischeren Lippen entgegen blüht!
-Wie sanft und zart die Röthe beider in einander leuchtet
-und doch so sicher getrennt ist. Und dieser Glanz der
-vollen Schulter, darüber die Flachshaare in Unordnung
-gestreut! Wie kann der alte Walther sein bestes Stück
-so hoch hinauf hängen und ohne Rahmen lassen, da all
-das andre Zeug in den kostbarsten Zierden glänzt?
-</p>
-
-<p>
-Er erhob wieder den Blick und fing an zu begreifen,
-welche gewaltige Kunst die der Malerei sei, denn
-das Bild wurde immer lebendiger. Nein, diese Augen!
-sprach er wieder zu sich selbst, ganz im Anschauen verloren;
-wie konnten Pinsel und Farbe dergleichen hervorbringen?
-Sieht man nicht den Busen athmen? die Finger
-und den runden Arm sich bewegen?
-</p>
-
-<p>
-Und so war es auch in der That: denn in diesem
-Augenblick erhob sich das reizende Bild, und warf mit
-dem Ausdruck schelmischen Muthwillens die Rose herab,
-<a id="page-5" class="pagenum" title="5"></a>
-die dem jungen Mann in&rsquo;s Gesicht flog, trat dann zurück
-und verschloß klirrend das kleine Fenster.
-</p>
-
-<p>
-Erschrocken und beschämt nahm Eduard die Rose vom
-Boden auf. Er erinnerte sich nun deutlich des schmalen
-Ganges, welcher oben neben dem Saale weglief und zu
-den höhern Zimmern des Hauses führte; die übrigen
-kleinen Fenster waren mit Bildern verhangen, nur dieses
-hatte man, um Licht zu gewinnen, in seinem Zustande
-gelassen, und der Hausherr selbst pflegte von dort oft die
-Gäste zu mustern, die seine Gallerie besuchen wollten.
-Ist es möglich, sagte Eduard, nachdem er sich aller dieser
-Umstände erinnert hatte, daß die kleine Sophie in
-einem Zeitraume von vier Jahren zu einer solchen Schönheit
-hat erwachsen können? &mdash; Er drückte unbewußt und
-in sonderbarer Zerstreuung die Rose an den Mund, stellte
-sich dann, starr auf den Boden sehend, an die Mauer,
-und bemerkte nicht, daß der alte Walther schon seit einigen
-Sekunden neben ihm stand, bis dieser ihn mit einem
-freundlichen Schlage auf die Schulter aus seiner Träumerei
-erweckte. Wo waren Sie? junger Mann, sagte er
-scherzend; Sie sind wie einer, der eine Erscheinung gehabt
-hat.
-</p>
-
-<p>
-So ist es mir selbst, sagte Eduard; vergeben Sie,
-daß ich Ihnen mit meinem Besuche lästig falle.
-</p>
-
-<p>
-Wir sollten uns nicht so fremd seyn, junger Freund,
-sagte der Alte herzlich; es ist nun schon länger als vier
-Jahre, daß Sie mein Haus nicht betreten haben. Ist es
-recht, den Freund Ihres Vaters, Ihren ehemaligen Vormund,
-der es gewiß immer gut mit Ihnen meinte, wenn
-wir gleich damals einige Differenzen mit einander hatten,
-so ganz zu vergessen?
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-6" class="pagenum" title="6"></a>
-Eduard ward roth und wußte nicht gleich, was er
-antworten sollte. Ich glaubte nicht, daß Sie mich vermissen
-würden, stotterte er endlich. Es könnte Vieles,
-Alles anders gewesen seyn; allein die Irrthümer der
-Jugend &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Lassen wir das, rief der Alte im frohen Muth; was
-hindert uns, unsre ehemalige Bekanntschaft und Freundschaft
-zu erneuern? Was führt Sie jetzt zu mir?
-</p>
-
-<p>
-Eduard sah nieder, dann warf er einen eiligen,
-schnell abgleitenden Blick auf den alten Freund, zauderte
-noch, und ging nun mit zögerndem Schritt nach dem
-Pfeiler, wo das Gemälde stand, das er aus seiner Verhüllung
-nahm. Sehen Sie hier, sagte er, was ich noch
-unvermuthet in der Verlassenschaft meines seligen Vaters
-gefunden habe, ein Bild, das in einem Bücherschranke
-aufbewahrt war, den ich seit Jahren nicht eröffnet hatte;
-Kenner wollen mir sagen, daß es ein trefflicher Salvator
-Rosa sei.
-</p>
-
-<p>
-So ist es, rief der alte Walther mit begeisterten
-Blicken. Ei, das ist ein herrlicher Fund! Ein Glück,
-daß Sie es so unvermuthet entdeckt haben. Ja, mein
-verstorbener lieber Freund hatte Schätze in seinem Hause,
-und er wußte selber nicht, was er alles besaß.
-</p>
-
-<p>
-Er stellte das Bild in das rechte Licht, prüfte es
-mit leuchtenden Augen, ging näher und wieder zurück,
-begleitete aus der Ferne die Linien der Figuren mit einem
-Kennerfinger und sagte dann: wollen Sie mir es ablassen?
-Nennen Sie mir den Preis, und das Bild ist
-mein, wenn es nicht zu theuer ist.
-</p>
-
-<p>
-Indem hatte sich ein Fremder herbei gemacht, der in
-einer andern Wendung des Saales nach einem Julio
-Romano zeichnete. Ein Salvator? fragte er mit etwas
-<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a>
-schneidendem Tone, den Sie wirklich als einen alten Besitz
-in einer Verlassenschaft gefunden haben?
-</p>
-
-<p>
-Allerdings, sagte Eduard, den Fremden mit einem
-stolzen Blicke musternd, dessen schlichter Oberrock und einfaches
-Wesen etwa einen reisenden Künstler vermuthen
-ließen.
-</p>
-
-<p>
-So sind Sie selbst hintergangen, antwortete der
-Fremde mit einem stolzen, rauhen Tone, im Fall Sie
-nicht hintergehen wollen; denn dieses Bild ist augenscheinlich
-ein ziemlich modernes, vielleicht ist es ganz neu,
-wenigstens gewiß nicht über zehn Jahre alt, eine Nachahmung
-der Manier des Meisters, gut genug, um auf
-einen Augenblick zu täuschen, das sich aber bei näherer
-Prüfung dem Kenner bald in seiner Blöße zeigt.
-</p>
-
-<p>
-Ich muß mich sehr über diese Anmaßung verwundern,
-rief Eduard aus, ganz aus aller Fassung gesetzt.
-Im Nachlasse meines Vaters befanden sich lauter gute
-Bilder und Originale, denn er und der Herr Walther
-galten immer für die besten Kenner in der Stadt. Und
-was wollen Sie? Bei unserm berühmten Kunsthändler
-Erich hängt der Pendant zu diesem Salvator, für welchen
-vor einigen Tagen ein Reisender eine sehr große
-Summe geboten hat. Man halte beide zusammen und
-man wird sehen, daß sie von einem Meister sind und zusammen
-gehören.
-</p>
-
-<p>
-So? sagte der Fremde mit lang gedehntem Tone.
-Sie kennen also oder wissen um jenen Salvator auch?
-Freilich ist er von derselben Hand, wie dieser hier, das
-leidet keinen Zweifel. In dieser Stadt sind die Originale
-dieses Meisters selten, und Herr Erich und Walther besitzen
-keines von ihm; aber ich bin mit dem Pinsel dieses
-großen Meisters vertraut, und gebe Ihnen mein Wort,
-<a id="page-8" class="pagenum" title="8"></a>
-daß er diese Bilder nicht berührte, sondern daß sie von
-einem Neueren herrühren, der Liebhaber mit ihnen hintergehen
-will.
-</p>
-
-<p>
-Ihr Wort? rief Eduard in glühender Röthe; Ihr
-Wort! Ich sollte denken, daß das Meinige hier eben so
-viel, und noch mehr gölte!
-</p>
-
-<p>
-Gewiß nicht, sagte der Unbekannte, und außerdem
-muß ich noch bedauern, daß Sie sich so von Ihrer Hitze
-übereilen und verrathen lassen. Sie wissen also um die
-Fabrikation dieses Machwerks, und kennen den nicht ungeschickten
-Nachahmer?
-</p>
-
-<p>
-Nein! rief Eduard noch heftiger; Sie sollen mir
-diese Beschimpfung beweisen, mein Herr! Diese Anmaßungen,
-diese Unwahrheiten, die Sie so dreist herausstoßen,
-kündigen einen mehr als gehässigen Charakter an.
-</p>
-
-<p>
-Der Geheimerath Walther war in der größten Verlegenheit,
-daß diese Scene in seinem Hause vorfallen
-mußte. Er stand prüfend vor dem Bilde, und hatte sich
-schon überzeugt, daß es eine moderne, aber treffliche
-Nachahmung des berühmten Meisters sei, die wohl auch
-ein erfahrenes Auge hintergehen konnte. Ihn schmerzte
-es innig, daß der junge Eduard in diesen bösen Handel
-verwickelt war; die beiden Streitenden aber waren so heftig
-erzürnt, daß jede Vermittlung unmöglich wurde.
-</p>
-
-<p>
-Was Sie da sprechen, mein Herr! rief der Fremde
-jetzt auch in erhöhtem Tone, Sie sind unter meinem Zorn,
-und ich bin erfreut, daß ein Zufall mich in diese Gallerie
-geführt hat, um zu verhüten, daß ein würdiger Mann
-und Sammler hintergangen wurde.
-</p>
-
-<p>
-Eduard schäumte vor Wuth. So ist es nicht gemeint
-gewesen, sagte begütigend der Alte.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a>
-Wohl war das die Meinung, fuhr der Fremde fort;
-es ist ein altes wiederholtes Spiel, bei dem man es nicht
-einmal der Mühe werth gefunden hat, eine neue Erfindung
-anzubringen. Ich sah in der Kunsthandlung jenen
-sogenannten Salvator Rosa; der Eigenthümer hielt ihn
-für ächt, und wurde noch mehr darin bestärkt, als ein
-Reisender, der, der Kleidung nach, ein sehr vornehmer
-Mann seyn konnte, einen hohen Preis für das Bildchen
-bot; er wollte bei der Rückkehr wieder zusprechen, und
-bat sich vom Kunsthändler aus, daß dieser das Gemälde
-wenigstens vier Wochen nicht aus den Händen geben
-sollte. &mdash; Und wer war dieser vornehme Herr? der weggejagte
-Kammerdiener des Grafen Alten aus Wien. So
-ist es klar, daß das Spiel, von wem es auch herrühre,
-auf Sie, Herr Walther, und Ihren Freund Erich abgekartet
-war.
-</p>
-
-<p>
-Eduard hatte indessen mit zitternden Händen sein
-Bild schon wieder eingewickelt; er knirschte mit den Zähnen,
-stampfte mit dem Fuße und schrie: der Teufel soll
-mir diesen Streich bezahlen! So stürzte er zur Thüre
-hinaus, und bemerkte nicht, daß das Mädchen wieder
-von oben in den Saal herabschaute, die durch das <a id="corr-0"></a>Geschrei
-der Streiter herbei gezogen worden war.
-</p>
-
-<p>
-Mein werther Herr, so wandte sich jetzt der Alte zu
-dem Unbekannten, Sie haben mir weh gethan; Sie sind
-zu rasch mit dem jungen Manne verfahren; er ist leichtsinnig
-und ausschweifend, aber ich habe bis jetzt noch
-keinen schlechten Streich von ihm gehört.
-</p>
-
-<p>
-Einer muß immer der erste seyn, sagte der Fremde
-mit kalter Bitterkeit; er hat wenigstens heute Lehrgeld
-gegeben, und kehrt entweder um, oder lernt so viel, daß
-<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a>
-man seine Sachen klüger anfangen, und auf keinen Fall
-die Fassung verlieren muß.
-</p>
-
-<p>
-Er ist gewiß selbst hintergangen, sagte der alte Walther,
-oder er hat wirklich das Bild, wie er sagt, gefunden,
-und sein Vater, der ein großer Kenner war, hat es
-schon deswegen, weil es nicht ächt ist, bei Seite geschafft.
-</p>
-
-<p>
-Sie wollen es zum Besten kehren, alter Herr, sagte
-der Fremde; aber in diesem Falle wäre der junge Mensch
-nicht so unanständig heftig geworden. Wer ist er denn
-eigentlich?
-</p>
-
-<p>
-Sein Vater, erzählte der Alte, war ein reicher Mann,
-der ein großes Vermögen hinterließ; er hatte eine so
-starke Leidenschaft für die Kunst, wie gewiß nur wenige
-Menschen ihrer fähig sind. Auf diese verwandte er einen
-großen Theil seines Vermögens, und seine Sammlung
-war unvergleichlich zu nennen. Darüber aber versäumte
-er wohl etwas zu sehr die Erziehung dieses seines einzigen
-Sohnes; so wie daher der Alte starb, war der junge
-Mensch nur darauf bedacht, Geld auszugeben, mit Schmarotzern
-und schlechtem Volke Umgang zu haben, sich
-Mädchen und Equipagen zu halten. Als er majorenn
-wurde, waren ungeheure Schulden bei Wucherern und
-Wechsel zu bezahlen, aber er setzte seinen Stolz darein,
-nun noch mehr zu verschwenden; die Kunstwerke wurden
-verkauft, da er keinen Sinn für diese hat; ich nahm sie
-für billige Preise. Jetzt hat er wohl, außer dem schönen
-Hause, so ziemlich Alles durchgebracht, und auch auf
-diesem mögen Schulden lasten; Kenntnisse hat er sich
-schwerlich erworben, Beschäftigung ist ihm unleidlich, und
-so muß man mit Bedauern sehen, wie er seinem Untergange
-entgegen geht.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a>
-Die alltägliche Geschichte von so Vielen, bemerkte
-der Unbekannte, und der gewöhnliche Weg unwürdiger
-Eitelkeit, der die Menschen lustig in die Arme der Verachtung
-führt.
-</p>
-
-<p>
-Wie haben Sie sich nur dieses sichre Auge erwerben
-können? fragte der Rath; auch erstaune ich über die Art,
-mit der Sie dem Julio nachzeichnen, da Sie doch kein
-Künstler sind, wie Sie sagen.
-</p>
-
-<p>
-Aber ich studire seit lange die Kunst, antwortete der
-Fremde; ich habe die wichtigsten Gallerieen in Europa
-fleißig und nicht ohne Nutzen gesehen, mein Blick ist von
-Natur scharf und richtig, und noch durch Uebung gebildet
-und sicher gemacht, so daß ich mir schmeicheln darf,
-wohl nicht so leicht, am wenigsten über meine Lieblinge
-zu irren.
-</p>
-
-<p>
-Der Fremde empfahl sich jetzt, nachdem er dem
-Sammler hatte versprechen müssen, am folgenden Mittage
-bei ihm zu essen, denn der Alte hatte vor den Kenntnissen
-des Reisenden große Achtung gewonnen.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Mit unbeschreiblichem Zorne ging Eduard nach Hause.
-Er trat wüthend ein, warf alle Thüren heftig hinter sich
-zu, und eilte durch die großen Gemächer nach einem kleinen
-Hinterstübchen, wo in der Dämmerung der alte Eulenböck
-bei einem Glase starken Weines seiner wartete.
-Hier! schrie Eduard, du alter, schiefnasiger, weinverbrannter
-Halunke, ist Deine Schmiererei wieder; verkauf
-sie an den Seifensieder drüben, der sie in die Lichte gießen
-kann, wenn ihm die Malerei nicht ansteht.
-</p>
-
-<p>
-Wäre Schade, sagte der alte Maler, um das gute
-Bildchen, indem er sich mit der größten Kaltblütigkeit
-<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a>
-ein neues Glas einschenkte. Hast Dich erhitzt, Freundchen;
-und der Alte hat von dem Kauf nichts wissen
-wollen?
-</p>
-
-<p>
-Schelm! schrie Eduard, indem er das Bild heftig
-hinwarf; und um Deinetwillen bin ich auch zum Schelm
-geworden! Beschimpft, gekränkt! O und wie beschämt
-vor mir selber, glühend Kopf und Hals hinunter, daß
-ich mir aus Liebe zu Dir solche Lüge erlaubte.
-</p>
-
-<p>
-Ist keine Lüge, liebes Männchen, sagte der Maler,
-indem er das Bild auswickelte, ist ein so veritabler Salvator
-Rosa, wie ich nur noch je einen gemalt habe. Hast
-mich ja nicht daran arbeiten sehen, und kannst also nicht
-wissen, von wem das Bild herrührt. Du hast kein Geschick,
-mein Hänschen; ich hätte Dir die Sache nicht anvertrauen
-sollen.
-</p>
-
-<p>
-Ich will ehrlich seyn, rief Eduard, und schlug mit
-der Faust auf den Tisch; ich will ein ordentlicher Mensch
-werden, daß Andre und ich selber wieder Achtung vor
-mir haben! Ganz anders will ich werden, einen neuen
-Lebenswandel will ich anfangen!
-</p>
-
-<p>
-Warum Dich erboßen? sagte der Alte und trank.
-Ich will Dich nicht hindern; mich wird&rsquo;s freuen, wenn
-ich das erlebe. Ich habe ja immer an Dir ermahnt und
-Dir vorgepredigt; ich habe Dich auch an Beschäftigung
-zu gewöhnen gesucht, ich habe Dir das Restauriren lehren
-wollen, Firnisse bereiten, Farben reiben, in Summa,
-ich habe es an nichts bei Dir fehlen lassen.
-</p>
-
-<p>
-Hund von Kerl! rief Eduard, Dein Junge, Dein
-Farbenreiber sollt&rsquo; ich werden? Aber freilich, ich bin ja
-heute noch tiefer gesunken, da ich mich zum Spitzbuben
-eines Spitzbuben habe gebrauchen lassen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a>
-Was das Kind für ehrenrührige Ausdrücke braucht,
-sagte der Maler und schmunzelte in sein Glas hinein;
-wenn ich mir so was zu Herzen nähme, so hätten wir
-die Schlägerei oder bittre Feindschaft hier zur Stelle. Er
-meint es aber gut in seinem Eifer; der Junge hat was
-Nobles in seinem ganzen Wesen, allein zum Bilderhändler
-taugt er freilich nicht.
-</p>
-
-<p>
-Eduard legte sich mit dem Kopf auf den Tisch, und
-der Maler wischte schnell einen Weinfleck ab, damit der
-Jüngling nicht mit dem Aermel hineinfahre. Der gute
-liebe Salvator, sagte er dann bedächtig, soll auch nicht
-das beste Leben geführt haben; sie geben ihm gar Schuld,
-er sei Bandit gewesen. Als Rembrandt sich bei lebendigem
-Leibe für todt ausgab, um den Preis seiner Werke
-zu erhöhen, war er auch nicht ganz der Wahrheit treu
-geblieben, ob er gleich wirklich einige Jahre später starb,
-und sich also nur in der Jahreszahl etwas verrechnet
-hatte. So, wenn ich nun solch Bildchen in aller Liebe
-und Demuth male, mich in den alten Meister und alle
-seine lieben Eigenheiten recht sanftselig und saumthunlich
-hineindenke, daß mir immer ist, als führte des Verstorbnen
-Seelchen mir Hand und Pinsel; und das Ding ist
-dann fertig, und nickt mir mit rechter Herzlichkeit seinen
-Dank zu, daß ich auch was vom alten Virtuosen geliefert
-habe, der doch nicht Alles hat machen und nicht
-ewig hat leben können, und ich mich nun, vollends nach
-einem Glase Wein, indem ich es mit tieferer Prüfung
-beschaue, rechtgläubig überzeuge, daß es vom alten Herrn
-wirklich herrührt, und ich übergebe es so einem andern
-Liebhaber des Seligen, und verlange nur ein Billiges
-für die Mühe, daß ich mir die Hand habe führen, mein
-eignes Ingenium derzeit unterdrücken lassen, an der Verringerung
-<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a>
-meines eignen Künstlernamens zu arbeiten, &mdash;
-ist denn das so himmelschreiende Sünde, Freundchen,
-wenn ich mich selbst auf solche kindliche Weise aufopfre?
-</p>
-
-<p>
-Er hob den Kopf des Liegenden auf, verwandelte
-aber seine grinsende Freundlichkeit in eben so verzerrten
-Ernst, als er die Wangen des Jünglings voll Thränen
-sah, die in einem heißen Strome unaufhaltsam aus den
-Augen stürzten. O meine verlorne Jugend! schluchzte
-Eduard: o ihr goldnen Tage, ihr Wochen und Jahre!
-wie seid ihr doch so sündlich verschleudert worden, als
-läge nicht in euern Stunden der Keim der Tugend,
-der Ehre und des Glücks; als sei dieser köstlichste Schatz
-der Zeit jemals wieder zu gewinnen. Wie ein Glas abgestandenes
-Wasser hab&rsquo; ich mein Leben und den Inhalt
-meines Herzens ausgegossen. Ach! welch Dasein hätte
-mir aufgehen können, welch Glück mir und Andern,
-wenn ein böser Geist nicht meine Augen verblendete. Segensbäume
-wuchsen und schatteten um mich und über
-mir, in denen der Freund, die Gattin und die Bedrängten
-Hülfe, Trost, Heimath und Frieden fanden; und ich
-habe die Axt im schwindelnden Uebermuth an diesen Hain
-gelegt, und muß nun Frost, Sturm und Hitze dulden!
-</p>
-
-<p>
-Eulenböck wußte nicht, welch Gesicht er machen,
-noch weniger, was er sagen sollte, denn in dieser Stimmung,
-mit solchen Gesinnungen hatte er seinen jungen
-Freund noch niemals gesehen; er war endlich nur froh
-und beruhigt, daß dieser ihn nicht bemerkte, so daß er in
-behaglicher Heimlichkeit seinen Wein ausleerte.
-</p>
-
-<p>
-Tugendhaft also willst Du werden, mein Sohn? fing
-er endlich an. Auch gut. Wahrlich! wenige Menschen
-sind für die Tugend so portirt, als ich selber, denn es
-gehört schon ein scharfer Blick dazu, um nur zu wissen,
-<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a>
-was Tugend ist. Knausern, den Leuten abzwacken, sich
-und unserm Herrgott etwas vorlügen, ist gewiß keine.
-Wer aber das rechte Talent dazu hat, der findet&rsquo;s auch.
-Wenn ich einem verständigen Mann zu einem guten Salvator
-oder Julio Romano von meiner Hand verhelfe,
-und er freut sich dann, so habe ich immer noch besser
-gehandelt, als wenn ich einem Pinsel einen ächten Rafael
-verkaufe, den der Gimpel nicht zu schätzen weiß, so
-daß ihm im Grunde seines Herzens ein geschniegelter
-Van der Werft mehr Freude machen würde. Meinen
-großen Julio Romano muß ich nun wohl in eigner Person
-verkaufen, da Du zu dergleichen weder Gaben noch
-Glück hast.
-</p>
-
-<p>
-Diese armseligen Sophistereien, sagte Eduard, können
-auf mich nicht mehr wirken; diese Zeit ist vorüber,
-und Du magst Dich nur in Acht nehmen, daß sie Dich
-nicht ertappen; denn mit Laien mag es Dir wohl gelingen,
-aber nicht mit Kennern, wie der alte Walther
-einer ist.
-</p>
-
-<p>
-Laß gut seyn, mein Kindchen, sagte der alte Maler,
-die Kenner sind gerade am besten zu betrügen, und mit
-einem Unerfahrnen möcht&rsquo; ich gar nicht einmal anfangen.
-O dieser gute, alte, liebe Walther, dies feine Männchen!
-Hast Du nicht den schönen Höllenbreughel gesehen, der
-am dritten Pfeiler zwischen der Skizze von Rubens und
-dem Portrait von Van Dyk hängt? Der ist von mir.
-Ich kam zu dem Männchen mit dem Gemälde: Wollen
-Sie nicht etwas Schönes kaufen? &bdquo;Was! rief er; solche
-Fratzen, Tollheiten? Das ist nicht meine Sache; zeigen
-Sie doch. Nun, ich nehme sonst dergleichen Unsinn bei
-mir nicht auf, indessen weil in diesem Bilde doch etwas
-mehr Anmuth und Zeichnung ist, als man sonst bei diesen
-<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a>
-Phantasien trifft, so will ich mit ihm einmal eine
-Ausnahme machen.&ldquo; In Summa, er hat&rsquo;s behalten,
-und zeigt&rsquo;s den Leuten, um seinen vielseitigen Geschmack
-zu beurkunden.
-</p>
-
-<p>
-Eduard sagte: aber willst Du denn nicht auch noch
-ein rechtlicher Mann werden? Es ist doch die höchste
-Zeit.
-</p>
-
-<p>
-Mein junger Bekehrer, rief der Alte, ich bin es
-längst; Du verstehst das Ding nicht, auch bist Du mit
-Deinem heißen Anlauf noch nicht durch. Stehst Du am
-Ziel, und bist glücklich allen Klippen, Halseisen, Leuchtpfählen
-vorüber, dann winke mir nur dreist, und ich steure
-Dir vielleicht nach. Bis dahin laß mich ungeschoren.
-</p>
-
-<p>
-So trennt sich also unsre Laufbahn, sagte Eduard,
-indem er ihn wieder freundlich anblickte; ich habe viel
-versäumt, aber doch noch nicht Alles, mir bleibt noch
-etwas von meinem Vermögen, mein Haus. Hier will
-ich mich einfach einrichten, und beim Prinzen, der binnen
-Kurzem hier ankommen wird, eine Stelle als Secretair
-oder Bibliothekar suchen, vielleicht reise ich mit ihm;
-vielleicht, daß anderswo ein Glück &mdash; oder, wenn das
-nicht, so beschränke ich mich hier, und suche Arbeit und
-Beschäftigung in meiner Vaterstadt.
-</p>
-
-<p>
-Und wann soll das Tugendleben losgehen? fragte
-der Alte mit grinsendem Lachen.
-</p>
-
-<p>
-Gleich, sagte der Jüngling, morgen, heut, diese
-Stunde!
-</p>
-
-<p>
-Narrenspossen! sagte der Maler und schüttelte den
-greisen Kopf; zu allen guten Dingen muß man sich Zeit
-lassen, sich vorbereiten, einen Anlauf nehmen, die alte
-Periode mit einer Feierlichkeit beschließen und die neue
-eben so beginnen. Das war eine herrliche Sitte, daß in
-<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a>
-manchen Gegenden unsere Vorfahren das Carneval mit rechter
-ächter Ausgelassenheit zu Grabe trugen, daß sie zuletzt noch
-einmal recht toll aufjubelten und sich in der Lust übernahmen,
-um nachher ungestört und ganz ohne Gewissensskrupel
-fromm seyn zu können. Laß uns der verehrlichen
-Sitte nachfolgen; Brüderchen, sieh, ich bin Dir so gut,
-gieb uns und Deinen Launen noch einmal so einen rechten
-ausgesuchten Weinschmaus, so einen hohen Valet-
-und Abschied-Hymnus, daß wir, besonders ich, Deiner
-gedenken; laß uns beim besten Wein bis in die tiefe
-Nacht hinein jubeln, dann gehst Du rechts ab zur Tugend
-und Mäßigkeit, und wir andern bleiben links, wo
-wir sind.
-</p>
-
-<p>
-Schlemmer! sagte Eduard lächelnd: wenn Du nur
-einen Vorwand findest, Dich zu betrinken, so ist Dir Alles
-recht. Es sei also am heiligen Dreikönigs-Abend.
-</p>
-
-<p>
-Da ist ja noch vier Tage hin, seufzte der Alte, indem
-er den letzten Rest ausschlürfte, und sich dann
-schweigend entfernte.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Wir werden heut eine kleine Tischgesellschaft haben,
-sagte der Rath Walther zu seiner Tochter.
-</p>
-
-<p>
-So? fragte Sophie. Und wird der junge Eduard
-auch herkommen?
-</p>
-
-<p>
-Nein, antwortete der Vater. Wie fällst Du auf
-diesen?
-</p>
-
-<p>
-Ich dachte nur, sagte Sophie, daß Sie ihm vielleicht
-durch eine Einladung die unangenehme Scene etwas
-vergüten wollten, die er ohne Ihren Willen in Ihrem
-Hause hat erleiden müssen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a>
-Heute würde es am wenigsten passen, erwiederte der
-Alte, da gerade der Mann mit uns speisen wird, von
-dem der junge Mensch beleidigt ward.
-</p>
-
-<p>
-So? der? sagte das Mädchen mit gedehntem Tone.
-</p>
-
-<p>
-Es scheint, der fremde Mann ist Dir unangenehm.
-</p>
-
-<p>
-Recht sehr, rief Sophie; denn erstlich, kann ich es
-von Niemand leiden, wenn man nicht genau weiß, wer
-er ist; solch Incognito ist in der Fremde allerliebst, um
-für etwas Besonderes zu gelten, wenn hinter dem Menschen
-gerade gar nichts steckt, und so ist es gewiß mit
-diesem Unbekannten, der ganz das Wesen eines vacirenden
-Hofmeisters oder Secretairs hat, der sich gestern in
-Ihrer Gallerie ein Ansehen gab, als wenn er der oberste
-Direktor aller Heiden-Bekehrungsanstalten wäre.
-</p>
-
-<p>
-Du sagtest: erstens! fragte der Vater lächelnd: nun
-also zweitens?
-</p>
-
-<p>
-Zweitens ist er fatal, sagte sie lachend, und drittens
-ist er unausstehlich, und viertens hasse ich ihn wahrhaft.
-</p>
-
-<p>
-Das ist freilich erstens und letztens bei euch, sagte
-der Alte. Uebrigens erscheint noch mein Freund Erich
-und der junge Maler Dietrich, so wie der wunderliche
-Eulenböck.
-</p>
-
-<p>
-Da haben wir ja alle Zeitalter beisammen, rief Sophie
-aus, alle Arten von Geschmack und Gesinnung!
-Kommt nicht etwa auch noch der junge Herr von Eisenschlicht,
-um mir das Leben recht sauer zu machen?
-</p>
-
-<p>
-Der Vater hob den Finger drohend auf, sie ließ sich
-aber nicht irren, sondern fuhr schnell und unwillig fort:
-es ist ja wahr, daß ich in dieser Gesellschaft meines Lebens
-niemals froh werde; das schwatzt, und guckt, und
-ist artig, und lügt, und wird unausstehlich durch einander,
-daß ich statt solcher Mahlzeiten lieber drei Tage hungern
-<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a>
-möchte. Solche verliebte Leute sind mir so zuwider,
-wie unreife Johannisbeeren! jedes Wort von ihnen
-schmeckt mir noch sauer nach acht Tagen, und verdirbt mir
-auch die Zunge für alle bessere Früchte. Der alte krummnasige,
-kupfrige Sünder ist mir noch von allen der liebste,
-denn er denkt doch nicht daran, mich wie ein Möbel in
-seine Stuben hinzustellen.
-</p>
-
-<p>
-Diese Art und Weise, sagte der Vater, ist mir an
-Dir selbst leid, ja recht verdrüßlich, weil ich bei Deinem
-starren Eigensinn noch gar nicht absehen kann, wie Du
-Dich je ändern möchtest. Du weißt nun, wie ich über
-die Ehe und die sogenannte Liebe denke, wie sehr Du
-mich glücklich machen würdest, wenn Du Deinen Willen
-brechen wolltest &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Ich muß nach der Küche sehen, rief sie plötzlich: ich
-muß Ihnen heute Ehre machen; vergessen Sie nur nicht
-die guten Weine, damit der röthliche Eulenböck nicht Ihren
-Keller in schlechten Ruf bringt. So lief sie hinaus,
-ohne eine Antwort abzuwarten.
-</p>
-
-<p>
-Der Alte ging an seine Geschäfte, indessen die Tochter
-Küche und Tisch besorgte. Sie hatte jenes Gespräch
-so plötzlich abgebrochen, weil es der Wunsch des Vaters,
-den sie nur gar zu gut kannte, war, sie mit seinem
-Freunde Erich zu verheirathen, der zwar nicht mehr jung,
-indessen auch noch nicht so sehr in Jahren vorgerückt war,
-daß ein solcher Plan lächerlich gewesen wäre. Erich hatte
-bei seinem Handel ein ansehnliches Vermögen erworben;
-in diesem Augenblicke besaß er eine Sammlung ganz vorzüglicher
-Bilder aus den italienischen Schulen, und Walther
-hatte den Gedanken, daß, falls seine Tochter sich
-noch zu dieser Heirath bereden ließe, Erich alsdann seinen
-Handel einstellen, und diese vorzüglichen Gemälde seiner
-<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a>
-Gallerie einverleiben solle, damit der Schwiegersohn diese
-dann nach seinem Tode als eine recht ausgezeichnete besäße
-und erhielte. Denn es war ihm fürchterlich, sich
-diese treffliche Sammlung einst wieder zerstreut zu denken,
-vielleicht gar unter dem Preise verkauft und an Menschen
-vergeudet, bei denen die Bilder durch Unverstand zu
-Grunde gehen könnten. Seine Leidenschaft für Malerei
-war so groß, daß er auf jeden Fall seines Freundes Bilder
-für eine sehr große Summe gekauft haben würde,
-wenn ihn nicht der Erwerb eines ansehnlichen Gutes und
-großen Gartens, die er seiner Tochter zurück lassen wollte,
-gehindert und ihm jetzt jede Auslage, vorzüglich aber
-eine so bedeutende, unmöglich gemacht hätten. Indem er
-seine Briefe schrieb, zerstreuten ihn diese Gedanken unaufhörlich.
-Er gedachte dann des jungen Malers Dietrich,
-eines hübschen blonden Jünglings; und ob ihm gleich
-dessen Art, die Kunst auszuüben, so wenig wie die, sich
-zu kleiden, recht war, so hätte er doch auch diesen gern
-als Schwiegersohn umarmt, weil er überzeugt seyn
-konnte, daß der junge Mensch für sein Kunstvermächtniß
-die höchste Ehrerbietung hegen würde. Der alte Maler
-Eulenböck konnte ihm für seine Plane nie in die Gedanken
-kommen; aber seit gestern hatte er den fremden Kunstkenner
-mit väterlichem Auge gemustert, und die schnippische
-Antwort der Tochter, mit der sie sich über diesen geäußert
-hatte, war ihm daher um so empfindlicher. Er
-mochte es sich nicht gestehen, aber er dachte, wenn er in
-die Zukunft schaute, weit mehr an das Heil seiner Sammlung,
-als an das Glück seines Kindes. Selbst der junge
-Herr von Eisenschlicht, der Sohn eines Wucherers, wäre
-ihm zum Eidam erwünscht gewesen, weil der junge Mensch
-auf Reisen sich ziemlich gebildet hatte; und da dieser zugleich
-<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a>
-die Neigungen seines Vaters besaß, so ließ sich
-wohl erwarten, daß er aus jeder Rücksicht eine so kostbare
-Sammlung in Ehren halten würde.
-</p>
-
-<p>
-So war der Vormittag verstrichen, und die Gäste
-fanden sich nach und nach ein. Zuerst der jüngste, Dietrich,
-im sogenannten altdeutschen Rocke, die weißlichen
-Haare auf den Schultern hängend, und mit einem blonden
-Bärtchen, der sein rosenrothes durchsichtiges Antlitz
-nicht entstellte. Er erkundigte sich sogleich angelegentlich
-nach der Tochter, und diese erschien, geschmückt, in einem
-grünseidenen Kleide, das den Glanz ihres Gesichts und
-Nackens wunderbar erhob. Der Jüngling begann sogleich
-eben so verlegen als zudringlich ein Gespräch mit Sophien,
-das um so trockner wurde, um so mehr er es
-überschwenglich zu machen suchte. Gestört und getröstet
-wurden beide durch das Erscheinen des alten Eulenböck,
-der mit seinem braunrothen Gesicht wunderlich aus einer
-hellgrünen Weste und weißlichem Frack heraus schien, da
-er es, wie viele ausgemacht häßliche Menschen, liebte,
-sich in auffallende Farben zu kleiden. Die jungen Leute
-konnten kaum das Lachen unterdrücken, als sie ihn sich
-linkisch hereindrehen, grimassirend grüßen und mit falscher
-Artigkeit stolpern sahen, wobei sich sein schiefes Gesicht,
-die kleinen grellen Augen und die seitwärts gedrehte Nase
-noch wunderlicher ausnahmen. Der Fremde ließ lange
-auf sich warten, und Sophie spöttelte wieder über die
-Anmaßung, den vornehmen Mann zu spielen, bis er endlich,
-schlicht gekleidet, erschien und es der Gesellschaft
-möglich machte, sich in das Speisezimmer zu begeben, in
-welchem sie Erich schon fanden, der dort ein Gemälde befestigt
-hatte, welches der Fremde und die Maler in Augenschein
-nehmen sollten.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a>
-Sophie saß zwischen Erich und dem Unbekannten,
-obgleich Dietrich einen vergeblichen Versuch gemacht hatte,
-sich an ihre Seite einzuschieben. Eulenböck, der alles bemerkte,
-und der am liebsten seine Bosheit in das Gewand
-der Gutmüthigkeit hüllte, drückte dem jungen Menschen
-die Hand und dankte ihm wie gerührt, daß er so lange
-herum gekreuzt sei, um nur neben einem alten Manne
-zu sitzen, der zwar auch die Kunst liebe und ausübe, indessen
-freilich mit seinen abnehmenden Kräften dem Fluge
-der neuern Schule nicht mehr nachstreben könne, an
-deren Enthusiasmus er aber doch sein altes Feuer
-wieder anzünde und seine schon kalten Lebensgeister
-erwärme. Dietrich, der noch jung genug war, um
-alles dies für Ernst zu halten, wußte nicht Dankbarkeit
-genug auszudrücken, noch hinlängliche Bescheidenheit
-aufzutreiben, um diese Demuth aufzuwägen.
-Der alte Schelm freute sich, daß ihm seine Verstellung
-gelang, und machte den gutmüthigen Jüngling
-immer treuherziger, der in diesem alten Knaben schon
-einen Schüler von sich zu sehen wähnte, und dabei im
-Stillen berechnete, wie er dessen practische Kenntnisse zu
-höhern Zwecken brauchen wolle, ohne daß der Alte merken
-müsse, wie der neue Lehrer wieder zugleich sein Schüler
-sei.
-</p>
-
-<p>
-Indessen diese beiden sich so zu täuschen suchten, war
-das Gespräch des Fremden und des Wirthes zum Theil
-zufällig, und von der andern Seite klug gelenkt, auf die
-Ehe gefallen; denn der alte Walther ließ nicht leicht eine
-Gelegenheit vorübergehen, seine Gedanken über diesen
-Gegenstand auszusprechen. Ich habe niemals, sagte er,
-mit den Ansichten übereinstimmen können, die nun etwa
-seit funfzig Jahren zur allgemeinen Mode geworden sind.
-<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a>
-Ich nenne sie Mode, weil ich mich nie, obgleich ich auch
-jung gewesen bin, habe überzeugen können, daß sie in
-der Natur gegründet sind. Kann man läugnen, daß einzelne
-Menschen zu gewissen Zeiten leidenschaftlichen Stimmungen
-und Verirrungen ausgesetzt gewesen? Nur zu
-häufig haben wir die bösen Folgen <a id="corr-1"></a>des Zornes, der Trunkenheit,
-der Eifersucht und Wuth wahrnehmen müssen.
-Eben so ist auch nicht zu läugnen, daß vielfaches Unheil
-und seltsame Begebenheiten aus jenen gesteigerten Empfindungen,
-die man Liebe nennt, hervorgegangen sind.
-Es ist nur die Rede von jener Verkehrtheit, daß der
-Mensch zwar alle andere Verwirrungen vermeidet, und
-sich der Ueberraschung der Leidenschaften zu entwöhnen
-sucht, Alle aber sich seit einer gewissen Zeit damit brüsten,
-ja es für nothwendig zum Leben halten, die Liebe
-und ihre wilden Zustände und leidenschaftlichen Verwirrungen
-erlebt zu haben.
-</p>
-
-<p>
-Der Unbekannte sah den Wirth ernsthaft an und
-nickte ihm zu, worauf der Alte mit erhöhter Stimme
-fortfuhr:
-</p>
-
-<p>
-Möchte man am Ende auch einer gewissen Billigkeit
-nachgeben, und diese Zustände der sogenannten Liebenden,
-in denen, wie sie uns erzählen, die ganze Welt ihnen im
-schönern Lichte erscheint, und in welchen sie sich aller ihrer
-Seelenkräfte erhöht und vielfacher bewußt werden
-(obgleich sie in jenem Schlummerwachen in der Regel
-träge, und zu keiner Arbeit zu bringen sind), natürlich
-finden: was thut, frag&rsquo; ich nun, alles dies, auch noch
-so glücklich sich wendend, um eine vernünftige und gute
-Ehe zu schließen? Ich würde nie meine Einwilligung
-geben, wenn ich das Unglück hätte, an meiner Tochter
-einmal diese Verstandesverwirrung zu bemerken.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a>
-Sophie lächelte; der junge Dietrich sah sie erröthend
-an, und Eulenböck trank mit großem Wohlbehagen, indeß
-der Fremde den Alten mit Ernst anhörte, der, seiner
-Sache gewiß, um so eifriger fortfuhr: Nein, wohl dem
-Manne, der, mit dieser verkehrenden Leidenschaft völlig
-unbekannt, den vernünftigen Entschluß faßt, sich in den
-Stand der Ehe zu begeben, und Heil dem Mädchen, das
-züchtig den Gemahl findet, ohne jene Scenen des Wahnsinns
-je mit ihm gespielt zu haben, denn alsdann findet
-sich jene Zufriedenheit, jene Ruhe und jener Segen, der
-unsern Vorfahren nicht unbekannt war, und den die heutige
-Welt nicht mehr achten will. In diesen Ehen, welche
-nach vernünftiger Ueberlegung, in Demuth und stiller
-Ergebenheit geschlossen wurden, fanden die Menschen damals
-im wachsenden Vertrauen, in zunehmender Zärtlichkeit
-und im gegenseitigen Ertragen der Schwächen ein
-Glück, welches dem jetzigen hochfahrenden Geschlechte zu
-geringe erscheint, und das auch darum nur Elend und
-Noth, Unzufriedenheit und Mißverständniß, Zwietracht
-und Verachtung im Garten seines Lebens baut. Früh
-schon an den Rausch der Leidenschaft gewöhnt, suchen sie
-auch diesen in der Ehe, und verachten die Nothwendigkeit
-des alltäglichen Lebens, erneuern dann rechts und
-links in mannigfaltigen und immer geringeren Abwechselungen
-die Kunststücke ihres Liebeshandwerks, und gehen
-so in Schlechtigkeit und Selbstbetrug unter.
-</p>
-
-<p>
-Sehr bitter, aber wahr, sagte der Unbekannte mit
-nachdenklicher Miene.
-</p>
-
-<p>
-Es ist wie mit allen Bitterkeiten, flüsterte Sophie
-ihrem Nachbar zu, sie fallen zu schwer auf die Zunge;
-man kann nicht recht unterscheiden, ob es schmeckt, oder
-<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a>
-nur allen Geschmack betäubt; dergleichen ist natürlich für
-den wahr, der Liebhaber davon ist.
-</p>
-
-<p>
-Eulenböck, der diesen Ausspruch auch gehört hatte,
-lachte, und der Vater, der die Sache nur halb verstanden,
-wandte sich mit Heiterkeit zu seinem fremden Gaste:
-wir sind also darüber einig, daß nur die sogenannten
-Conventionsheirathen glücklich seyn können; ich werde
-auch niemals Anstand nehmen, meine einzige und nicht
-unbegabte oder arme Tochter einem Manne zu geben,
-sei er, von welchem Stande er wolle, dessen Charakter
-mir werth ist, und dessen Kenntnisse ich, vorzüglich in
-der Kunst, achten muß, damit auch meine Enkel noch die
-Früchte meines Fleißes ärnten, und nicht in alle Winde
-und in die Häuser der Unwissenden das verstreut werde,
-was Liebe, Aufopferung, Studium und unermüdeter
-Fleiß in dieser Wohnung versammelt haben.
-</p>
-
-<p>
-Er sah den Fremden mit gefälligem Lächeln an;
-doch dieser, der bis jetzt ihm freundlich erwiedert hatte,
-machte eine fast finstere Miene und sagte nach einer kleinen
-Pause: die Sammlungen von Privatpersonen können
-niemals lange bestehen; wer die Kunst liebt, sollte, falls
-er gesammelt hat, seine Schätze um ein Billiges Fürsten
-verkaufen, oder sie größern Gallerieen durch Testament
-einverleiben. Darum kann ich auch den Plan mit Ihrer
-Tochter nicht billigen, wenn ich auch mit Ihren Ansichten
-von der Ehe einverstanden bin. Und überhaupt ist
-es in Ansehung jeder Heirath eine mißliche Sache. Wenn
-ich nicht versprochen wäre und tausend dringende Ursachen
-mich zwängen, mein Wort nicht zu brechen, so würde
-ich meiner Neigung nach immer unverheirathet bleiben.
-</p>
-
-<p>
-Der Alte wurde roth und sah vor sich nieder, dann
-fing er mit seinem Nachbar, nicht ohne Verlegenheit, ein
-<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a>
-anderes Gespräch an. Die neuliche Auction der Kupferstiche,
-sagte der Gemäldehändler, ist bei weitem nicht so
-ergiebig ausgefallen, als es der Eigenthümer sich versprochen
-hatte. Das ist häufig mit Auctionen der Fall,
-warf die Tochter mit schnippischem Tone dazwischen: darum
-sollte sich kein Mensch damit einlassen, den nicht die
-äußerste Noth dazu treibt.
-</p>
-
-<p>
-Dietrich war noch zu unerfahren, um den Zusammenhang
-dieser Gespräche einzusehen; er redete treuherzig
-und eifrig über die Barbarei der Auctionen, in denen oft
-die kostbarsten Seltenheiten übersehen, viele Kunstwerke
-durch die Gaffer und Handlanger beschädigt, und der
-Ruhm großer Meister, so wie das Gefühl ächter Bewunderer,
-schmerzlich verletzt würden. Dadurch gewann er
-die gute Meinung des Vaters, der die getrübte Miene
-erheiterte und ihm mit Freundlichkeit Recht gab. Sophie,
-welche fürchten mochte, daß ein neuer Antrag im verdeckten
-Wege des Kunstenthusiasmus vorgeschoben werden
-sollte, fragte schnell den jungen Maler, ob er mit seinem
-Marienbilde bald fertig sei, oder ob er vorher die Abnahme
-vom Kreuz vollenden wolle?
-</p>
-
-<p>
-Sie malen also auch dergleichen rührende Gegenstände?
-fragte der Unbekannte, indem er mit einem fast
-schielenden Blicke zum jungen Manne herüber blinzelte.
-Mich wundert es immer von Neuem, daß Menschen in
-ihren besten und heitersten Jahren mit dergleichen Gegenständen
-ihre Zeit und Imagination verderben können.
-Der heiligen Familien haben wir wohl, dächte ich, in
-der Kunst genug; da ist nichts Neues anzubringen und
-zu erfinden, und jene Leichname und Verzerrungen des
-Schmerzes widerstreben so völlig allem Reiz und dem
-Genuß der Sinne, daß ich mein Auge immer davon abwenden
-<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a>
-muß. Die Kunst soll unser Leben erhöhen und
-erheitern, alle Dürftigkeiten desselben und aller Jammer
-der Welt soll uns in ihrer Nähe verschwinden; nicht aber
-darf unsre Phantasie durch ihre Hervorbringungen geängstigt
-und gefoltert werden. Im heitern, frischen Licht soll
-die Sinnenwelt spielen, und in freundlichem Reiz uns
-schmeicheln und auf diese Weise erheben. Schönheit ist
-Freude, Leben, Kraft. Der hat sich noch wenig verstanden,
-der Nacht und düstre Gefühle sucht. Oder gehören
-Sie auch etwa zu denen, die sich vor dergleichen Bildern
-mit erzwungener Gläubigkeit entzücken, und verlangen,
-daß in uns eine Art von Andacht sich entzünden soll,
-um den Gegenstand zu verstehen und christlich zu würdigen?
-</p>
-
-<p>
-Und wäre denn das, rief Dietrich mit einer gewissen
-Eil und Heftigkeit, etwas so Unerhörtes, oder nur Besonderes?
-Im Schönen, wenn es erscheint, wird der Reiz
-der Sinnenwelt zum Göttlichen erhöht, und so wird die
-stumme Ehrfurcht, die hülflose Rührung unbegeisterter
-Gemüther durch die Kunst zur himmlischen Andacht erhoben.
-Es ist, wenn auch verzeihlich, doch abgeschmackt,
-wenn bloß des frommen Gegenstandes wegen ein elendes
-Bild den gläubigen Beschauer entzückt, aber es ist mir
-völlig unbegreiflich, wenn sich ein fühlendes Herz vor
-der Sixtinischen Maria zu Dresden des Glaubens und
-der Andacht erwehren kann. Ich weiß es wohl, daß die
-neuen Bestrebungen jüngerer Künstler, zu denen ich mich
-auch bekennen muß, bei vielen trefflichen Leuten großes
-Aergerniß erregt haben, aber man sollte sich doch endlich
-ohne Leidenschaft überzeugen, daß das alte, ganz ausgefahrene
-Geleise kein Weg mehr ist. Was haben diejenigen,
-die diese neue Lehre zuerst wieder aufbrachten, denn
-<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a>
-anders gewollt, als das Gemüth wieder erwecken, welches
-seit langer Zeit bei allen Kunstproductionen als
-ganz überflüssig angesehen worden war? Und hat denn
-diese neue Schule nicht schon vieles Achtungwürdige hervorgebracht?
-Ein Geist offenbart sich, das ist nicht abzuläugnen,
-der sich kräftigen wird und ausbilden, ein
-neuer Weg ist gefunden, auf welchem freilich, wie bei
-jeder Begeisterung, mancher Unberufene auch das Uebertriebene,
-Widerwärtige und ganz Tadelswürdige hervorbringen
-wird. Ist denn aber das Schlechte dieser Zeit
-wirklich schlechter, als was weiland ein gefeierter <em>Casanova</em>
-erschuf, oder das Leere leerer, als jenes kalte Abschreiben
-der mißverstandnen Antike, das jene ganze frühere
-Zeit als einen großen Lückenbüßer in der Kunstgeschichte
-darstellt? Waren denn nicht bizarre Manieristen
-auch damals die tröstenden Erscheinungen? Und hat
-denn der Hülfverein für die Kunst, von verehrten Männern
-gestiftet, etwas Tüchtiges hervorbringen können?
-</p>
-
-<p>
-Junger Mann, sagte der Unbekannte mit der schneidendsten
-Kälte: ich müßte zehn Jahre jünger, oder Sie
-einige älter seyn, wenn ich über so wichtigen Gegenstand
-mit Ihnen streiten sollte. Dieser neue phantastische Traum
-hat sich der Zeit bemächtigt, das ist freilich nicht zu
-läugnen, und muß nun bis zum Erwachen fortgeschlummert
-werden. Waren jene, die Sie tadeln wollen, vielleicht
-zu nüchtern, so sind dafür die jetzt Gepriesenen in
-einem kränklichen Rausch befangen, indem ihnen ein wenig
-schwaches Getränk zu Kopfe gestiegen ist.
-</p>
-
-<p>
-Sie wollten nicht streiten, rief der junge Maler, und
-thun mehr, Sie sind bitter. In der Leidenschaft ist man
-wenigstens keines freien Urtheils fähig. Ob die Parthei,
-<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a>
-für die Sie mit solchen Waffen kämpfen, dadurch gewinnen
-kann, muß die Zukunft entscheiden.
-</p>
-
-<p>
-Sophie sah den Jüngling ermuthigend mit einem
-schadenfrohen Blicke an, Walther war schon besorgt; doch
-nahm der Bilderhändler Erich das Gespräch beruhigend
-auf und sagte: sobald sich ein heftiger Widerstreit in der
-Zeit regt, so ist es ein Zeichen, daß etwas Wirkliches in
-der Mitte liegt, das den Streit wohl verdient, und welches
-der Mitlebende nicht ganz ignoriren darf, wenn er
-nicht unbillig seyn will. Seit lange war die Kunst aus
-dem Leben getreten, und nur ein Artikel des Luxus geworden;
-darüber vergaß man, daß sie jemals mit Kirche
-und Welt, mit Andacht und Begeisterung zusammengehangen
-hatte, und kalte Kennerschaft, Vorliebe für das
-Kleine und gemeine Natürlichkeit, so wie ein erkünstelter
-Enthusiasmus mußten sie erzeugen. Weiß ich doch die
-Zeit noch, wo man in den Gallerieen die schönsten Werke
-eines Leonardo nur als merkwürdige und sonderbare Alterthümer
-vorwies, selbst Rafael wurde nur mit einschränkender
-Kritik bewundert, und über noch ältere große
-Meister zuckte man die Achseln, und betrachtete die Malereien
-der früheren Deutschen oder Niederländer niemals
-ohne Lachen. Diese Barbarei der Unwissenheit ist doch
-jetzt vorüber.
-</p>
-
-<p>
-Wenn nur keine neue und schlimmere darüber entstände!
-rief Eulenböck, vom Weine hochroth erglühend,
-indem er dem Unbekannten einen feurigen Blick zuwarf.
-Mir thut es immer weh, daß in unsern Tagen das Wort
-des ächten Kenners fast nie mehr gehört wird; der Enthusiasmus
-übertönt die Einsicht, und doch ist für den
-Künstler nichts so lehrreich, als ein Gespräch mit einem
-ächten Kunstfreunde, das ihn belehre und erhebe, da
-<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a>
-es ihm oft in Jahren nicht so gut wird, dergleichen zu
-genießen.
-</p>
-
-<p>
-Der Fremde, welcher schon verstimmt und heftig zu
-werden schien, ward nach diesen Worten wieder heiter
-und freundlich. Künstler und Freunde der Kunst, erwiederte
-er, sollten sich immer aufsuchen, um beständig von
-einander zu lernen. So war es in voriger Zeit, und
-auch dies war eine der Ursachen, daß die Malerei gedieh.
-Die Phantasie eines jeden Schaffenden ist beschränkt und
-ermattet, wenn sie nicht von außen angefrischt und bereichert
-wird, und dies kann nur durch verständige, freundliche
-Mittheilungen geschehen; ohne zu erwähnen, was
-Correktheit, Anmuth der Behandlung und Auswahl der
-Gegenstände gewinnen.
-</p>
-
-<p>
-Sie haben sich, antwortete der alte Maler, einen
-Künstler vorzüglich ausersehen, den ich auch gewissermaßen
-mehr als alle liebe.
-</p>
-
-<p>
-Ich gestehe, sagte der Fremde, daß ich ihm mein
-Herz vielleicht etwas zu ausschließlich zugewendet habe.
-Es war mir früh vergönnt, einige ausgezeichnete Werke
-des Julio Romano kennen zu lernen und zu verstehen;
-in Mantua fand ich auf meinen Reisen Gelegenheit, ihn
-zu studiren, und seitdem glaube ich, meine Vorliebe auch
-rechtfertigen zu können.
-</p>
-
-<p>
-Gewiß, erwiederte der Alte, wird Ihr Aufenthalt dort
-zu den schönsten Epochen Ihres Lebens gehören. Habe
-ich doch zu meinem innerlichen Verdruß in neueren Zeiten
-auch manchen Tadel dieses großen Geistes hören müssen,
-vorzüglich, daß er die geistlichen Gegenstände nicht
-mit der gehörigen Innigkeit behandle. Einem Jeden ist
-nicht <em>alles</em> gegeben. Aber die Verklärung des frischen
-sinnlichen Lebens, die Herrlichkeit des freien Muthwillens,
-<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a>
-das Spiel der lebendigsten Phantasie waren ihm vorbehalten.
-Und ist dem jungen Wallfahrer sein Herz noch
-für den Reichthum dieses glänzenden Geistes verschlossen,
-so wandre er nur nach Mantua, um dort in dem Pallast
-<span class="antiqua">T</span> kennen zu lernen, was Erd&rsquo; und Himmel, möcht&rsquo; ich
-fast sagen, Herrliches in sich fassen; wie in den Schrecken
-des Riesensturzes noch Lust und Scherz gaukelnd, und in
-dem Saale des Amor und Psyche in der Trunkenheit des
-Entzückens die himmlische Erscheinung der vollendeten
-Schönheit sich verklären.
-</p>
-
-<p>
-Der junge Dietrich sah seinen abtrünnigen Anhänger
-schon seit lange mit großen Augen an; er konnte diesen
-Abfall nicht begreifen und nahm sich vor, mit dem
-Alten in einer vertrauten Stunde darüber zu sprechen;
-denn wenn er auch die Bewunderung des Julius gelten
-ließ, so schien ihm doch die erste Hälfte des Gesprächs
-geradezu im Widerspruch mit der früheren Aeußerung
-Eulenböcks zu stehen, der sich aber um dergleichen Nebendinge
-nicht kümmerte, sondern sich mit dem fremden
-Kunstfreunde in so lebhaften Enthusiasmus hineinschwatzte,
-daß beide auf lange Zeit weder die übrigen hörten, noch
-sie zu Worte kommen ließen.
-</p>
-
-<p>
-Erich wollte eine Aehnlichkeit des Fremden mit einem
-Verwandten Walthers bemerken; darüber kam man in
-das Kapitel der Aehnlichkeiten, und wie sonderbar sich in
-den Familien, oft in der fernsten Verzweigung am deutlichsten,
-gewisse Formen wiederholen. Sonderbar ist es
-auch, sagte der Wirth, daß die Natur oft ganz wie die
-Kunst verfährt. Wenn ein Niederländer und ein Italiener
-aus der vorigen Zeit ein und dasselbe Bildniß malen
-sollten, so würden beide die Aehnlichkeit auffassen, aber
-jeder ein ganz verschiedenes Portrait und eine ganz andere
-<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a>
-Aehnlichkeit hervorbringen. So kannte ich in meiner
-Jugend eine Familie, die aus vielen Kindern bestand, an
-denen allen die Physiognomie der Aeltern und nur eine
-Hauptform, aber unter verschiedenen Bedingungen ausgeprägt
-war, so klar und sicher, als wenn die Kinder Bildnisse
-von demselben Gegenstande, von verschiedenen großen
-Malern gezeichnet, wären. Die älteste Tochter war wie
-von Correggio gemalt mit feinem Teint und zierlicher
-Form; die zweite war dasselbe Gesicht, aber größer, voller,
-wie aus der florentinischen Schule; die dritte hatte
-das Ansehen, als habe Rubens das nehmliche Portrait
-auf seine Art gemalt; die vierte wie ein Bild von Dürer;
-die nächste wie aus der französischen Schule, glänzend,
-voll, aber unbestimmt, und die jüngste wie ein
-flüssig gemaltes Werk von Leonard. Es war eine Freude,
-diese Gesichter unter sich zu vergleichen, die mit denselben
-Formen, in Ausdruck, Farbe und Lineamenten wieder so
-verschieden waren.
-</p>
-
-<p>
-Erinnern Sie sich des wunderbaren Portraits, fragte
-Erich, welches Ihr alter Freund in seiner Sammlung besaß,
-und welches sich mit so vielen andern Sachen auf
-eine unerklärliche Weise verloren hat?
-</p>
-
-<p>
-Ja wohl! rief der alte Walther aus, wenn es nicht
-von Rafaels Händen war, wie einige behaupten wollen,
-so war es wenigstens von einem vorzüglichen Meister, der
-nach diesem Muster die Kunst mit Glück studirt hatte.
-Wenn einige Neuere von der Kunst des Portraitirens als
-von einer geringen Sache sprechen wollten, oder die gar
-den Maler erniedrige, so durfte man sie nur vor dieses
-wunderwürdige Bildniß führen, um sie zu beschämen.
-</p>
-
-<p>
-Wie, sagen Sie, so wandte sich der Fremde lebhaft
-zum alten Rath, es sind außer diesem trefflichen Stück
-<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a>
-noch andere merkwürdige Gemälde verloren gegangen?
-Auf welche Weise?
-</p>
-
-<p>
-Ob verloren, sagte Walther, kann man so eigentlich
-nicht sagen; aber sie sind unsichtbar geworden, und vielleicht
-in&rsquo;s ferne Ausland verkauft. Mein Freund, der
-Herr von Essen, der Vater des jungen Menschen, den
-Sie neulich in meinem Saale trafen, wurde mit zunehmendem
-Alter launenhaft und wunderlich. Die Liebe zur
-Kunst hatte uns befreundet, und ich kann sagen, daß ich
-sein ganzes Vertrauen besaß. Wir ergötzten uns an unsern
-Sammlungen, und die seinige übertraf damals bei
-weitem die meinige, die ich erst durch die Nachläßigkeit
-seines Sohnes so ansehnlich habe vermehren können. Wenn
-wir uns einmal ein rechtes Fest geben wollten, so setzten
-wir uns in sein Cabinet, in welchem die ausgesuchtesten
-seiner Werke versammelt waren. Diese hatte er mit vorzüglich
-prächtigen Rahmen einfassen lassen, und sie sinnreich
-bei einer sehr vortheilhaften Erleuchtung geordnet.
-Außer jenem Portrait sah man dort eine so unvergleichliche
-Landschaft von <em>Nicolas Poussin</em>, wie mir noch
-nie eine vorgekommen ist. Im sanften Abendlicht fuhr
-Christus mit seinen Jüngern auf dem Wasser. Die Lieblichkeit
-des Wiederscheins der Häuser und Bäume, die
-klare Luft, die Durchsichtigkeit der Wellen, der edle Charakter
-des Erlösers und die himmlische Ruhe, die über
-dem Ganzen schwebte und unser Gemüth wie in Wehmuth
-und friedlicher Sehnsucht auflöste, ist nicht zu beschreiben.
-Daneben hing ein Christus mit der Dornenkrone
-von <em>Guido Reni</em>, von einem Ausdrucke, wie ich ihn
-seitdem auch nicht wieder gesehen habe. Der alte Freund
-wollte sonst in seinem Eigensinne den trefflichen <em>Guido</em>
-vielleicht zu wenig gelten lassen; aber vor diesem Bilde
-<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a>
-war er immer entzückt, und es ist wahr, man sah es, so
-oft man es sah, jedesmal von Neuem; die vertraute Bekanntschaft
-mit ihm erhöhte nur den Genuß, und ließ
-immer neue, noch geistigere Schönheiten entdecken. Dieser
-Ausdruck der Milde, des ergebenen Duldens, der
-himmlischen Güte und des Verzeihens mußten auch das
-starrste Herz durchdringen. Es war nicht jene gesteigerte
-Leidenschaftlichkeit, wie man wohl in andern ähnlichen
-Bildern des Guido wahrnimmt, und die uns bei trefflicher
-Behandlung des Gegenstandes doch eher zurück stößt,
-als anzieht, sondern es war das süßeste, wie das schmerzlichste
-Gemälde. Durch die zarten Fleischpartien unter
-Wange, Kinn und Auge sah und fühlte man den ganzen
-Schädel, und dieser Ausdruck des Leidens erhöhte nur die
-Schönheit. Gegenüber war eine Lukretia von demselben
-Meister, die sich mit starkem vollen Arm den Dolch in
-den schönen Busen stieß. In diesem Bilde war der Ausdruck
-groß und kräftig, die Farbe unvergleichlich. Eine
-Mutter, die dem schlafenden Kinde das Tuch vom nackten
-Körper nimmt, und Joseph und Johannes den Schläfer
-betrachtend, die Figuren lebensgroß, waren von einem
-alten römischen Meister so herrlich und graziös dargestellt,
-daß jede Beschreibung nur unzulänglich ist. Aber
-wohl möchte ich Worte suchen, um auch nur eine schwache
-Vorstellung von dem einzigen <em>Van Eyck</em> zu geben, einer
-Verkündigung, welche doch vielleicht die Krone der Sammlung
-war. Hat sich die Farbe je als eine Tochter des
-Himmels verherrlicht, ist mit Licht und Schatten jemals
-gespielt, und im Spiel die edelste Rührung der Seele erweckt
-worden, haben Lust, Begeisterung, Poesie und
-Wahrheit und Adel sich je in Figuren und Färbung auf
-eine Tafel gelegt, so war es in diesem Bilde geschehen,
-<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a>
-welches mehr als Malerei und Zauber war. Ich muß
-abbrechen, um mich nicht selbst zu vergessen. Diese Bilder
-waren die vorzüglichsten; aber ein <em>Hemling</em>, ein
-herrlicher <em>Annibal Carracci</em>, ein kleines Bild, Christus
-zwischen den Kriegsknechten, eine Venus, vielleicht
-von Titian, wären wohl noch der Erwähnung werth, und
-kein Bild war in diesem Cabinet, das nicht jeden Freund
-der Kunst beglückt hätte. Und, denken Sie, fassen Sie
-die Sonderbarkeit des Alten, kurz vor seinem Tode sind
-alle diese Stücke verschwunden, ohne Spur verschwunden.
-Hat er sie verkauft? Er hat nie diese Frage beantwortet,
-und seine Bücher hätten es nach seinem Tode ausweisen
-müssen, die aber nichts davon sagten. Hat er
-sie verschenkt? Aber wem? Man muß fürchten, und
-der Gedanke ist herzzerreißend, er hat sie in einer Art
-von wahnsinniger Schwermuth, weil er sie wohl keinem
-andern Menschen auf Erden gönnen mochte, kurz vor seinem
-Tode vernichtet. Vernichtet! Fassen Sie es, begreift
-ein Mensch diese furchtbare Abwesenheit, wenn mein Verdacht
-gegründet ist?
-</p>
-
-<p>
-Der Alte war so erschüttert, daß er seine Thränen
-nicht zurück halten konnte, und Eulenböck zog ein ungeheures
-gelbseidenes Tuch aus der Tasche, um in auffallender
-Rührung sein dunkelrothes Gesicht abzutrocknen.
-Erinnern Sie sich wohl noch, hub er schluchzend an, des
-sonderbaren Bildes von <em>Quintin Messys</em>, auf dem ein
-junger Schäfer und ein Mädchen in seltsamer Tracht abgebildet
-waren, beide herrlich ausgearbeitet, und wovon
-er behauptete, die Figuren sähen seinem Sohne und Ihrer
-Tochter ähnlich.
-</p>
-
-<p>
-Die Aehnlichkeit war damals auffallend, erwiederte
-Erich. Sie haben aber noch den Johannes zu nennen
-<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a>
-vergessen, der wenigstens mit dem <em>Guido</em> wetteifern
-konnte. Dies Bild war vielleicht von <em>Domenichino</em>,
-wenigstens war es jenem berühmten äußerst ähnlich. Dieser
-Blick des Jünglings nach dem Himmel, die Begeisterung,
-die Sehnsucht, zugleich die Wehmuth, daß er schon
-das Göttliche auf Erden gesehen, als Freund umarmt
-und als Lehrer verstanden hatte, dieser Wiederschein einer
-entschwundnen Vergangenheit im Spiegel des edeln Antlitzes
-war rührend und erhebend. &mdash; O, wenige von diesen
-Bildern könnten den jungen Mann retten und wieder
-wohlhabend machen.
-</p>
-
-<p>
-Wäre doch Alles an ihm verloren, rief Eulenböck
-aus. Er würde es doch nur wieder vergeuden. Was
-habe ich nicht an ihm ermahnt! Aber er hört auf den
-ältern Freund und die Stimme der Erfahrung nicht. Nun
-endlich, da ihm das Wasser doch wohl mag an die Seele
-gehen, ist er in sich geschlagen; er sah, daß ich über sein
-Unglück bis zu Thränen gerührt war, da hat er mir in
-meine Hand versprochen, sich von Stund an zu bessern,
-zu arbeiten und ein ordentlicher Mensch zu werden. Wie
-ich ihn hierauf gerührt umarme, reißt er sich lachend los
-und ruft: aber erst vom heiligen Dreikönigs-Abend an
-soll dieser Vorsatz gelten, bis dahin will ich noch lustig
-seyn und in der alten Bahn fortlaufen! Was ich auch
-sagen mochte, Alles war umsonst; er drohte, wenn ich
-ihm nicht seinen Willen ließe, die ganze Besserung wieder
-aufzugeben. &mdash; Ei nun, das Fest ist in einigen Tagen,
-die Frist ist nur kurz; Sie können aber wenigstens
-daraus sehen, wie wenig auf seine guten Vorsätze zu
-bauen ist.
-</p>
-
-<p>
-Von jeher, sagte Sophie, ist er zu sehr mit frommen
-Leuten umgeben gewesen; aus Widerspruch hat er sich
-<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a>
-auf die andre Seite gewandt, und so hat freilich sein
-Eigensinn verhindert, daß der Umgang mit den Tugendhaften
-ihm hat nützlich werden können.
-</p>
-
-<p>
-Sie haben gewissermaßen Recht, rief der alte Maler.
-Hat er sich nicht von dem Pietisten, dem langweiligen alten
-Musikdirektor Henne seit einiger Zeit wie belagern
-lassen? Aber ich versichere Sie, dessen trockne Predigten
-können unmöglich an ihm haften; auch wird der Alte beim
-dritten Glase betrunken, und so kommt er aus dem Text.
-</p>
-
-<p>
-Er hat es zu arg getrieben, bemerkte der Wirth:
-dergleichen Menschen, wenn Unordnung und Verschwendung
-erst ihre Lebensweise geworden sind, können sich niemals
-wieder zurecht finden. Das rechtliche, wahre Leben
-erscheint ihnen gering und bedeutungslos; sie sind verloren.
-</p>
-
-<p>
-Sehr wahr, sagte Eulenböck: und um Ihnen nur
-ein auffallendes Beispiel seiner Raserei zu geben, so hören
-Sie, wie er es mit seiner Bibliothek anfing. Er
-erbte eine unvergleichliche Büchersammlung von seinem
-würdigen Vater; die herrlichsten Ausgaben der Classiker,
-die größten Seltenheiten der italienischen Literatur, die
-ersten Ausgaben des Dante und Petrarca, nach denen
-man auch wohl in berühmten Städten umsonst fragt.
-Nun fällt es ihm ein, er müsse einen Secretär haben, der
-zugleich diese Bibliothek in Ordnung halten solle, die neu
-angekauften Werke in das Verzeichniß eintragen, die
-Werke systematisch aufstellen und dergleichen mehr. Ein
-junger wüster Mensch meldet sich zu diesem wichtigen
-Amte, und wird auch gleich angenommen, weil er zu
-schwatzen weiß. Zu schreiben ist nicht viel, aber trinken
-muß er lernen, und der Unterricht schlägt bei dem lockern
-Vogel an. Das wilde Leben nimmt gleich seinen Anfang;
-alle Tage toll und voll, Bälle, Maskeraden, Schlittenfahrten,
-<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a>
-die halbe Stadt frei gehalten. So fehlt es
-denn nun schon nach einem halben Jahre, als der junge
-Gelehrte sich seinen Gehalt ausbittet, an baarem Gelde.
-Man fällt auf den Ausweg, daß er für den Gehalt des
-ersten Jahres an Büchern nach einer billigen Taxe nehmen
-dürfe. Herr und Diener kennen aber den Werth der
-Sachen nicht, die auch nur für den Kenner kostbar sind,
-und deren finden sich nicht auf allen Gassen. Die theuersten
-Werke werden ihm also lächerlich wohlfeil überlassen,
-und da man die Auskunft einmal gefunden hat, so wiederholt
-sich das Spiel immer wieder, und um so öfter,
-da der neue Günstling zuweilen Gelegenheit hat, für seinen
-Patron baare Auslagen zu machen, die ihm in Büchern
-wieder erstattet werden. So fürchte ich, sind von
-der Büchersammlung vielleicht nur noch die Schränke
-übrig geblieben.
-</p>
-
-<p>
-Ich weiß am besten, sagte der Rath, wie unverantwortlich
-man mit den Büchern umgegangen ist.
-</p>
-
-<p>
-Das sind ja alles erschreckliche Geschichten, sagte
-Sophie: wer möchte sie nur von seinem Feinde so wieder
-erzählen?
-</p>
-
-<p>
-Das Schlimmste aber, fuhr Eulenböck fort, war denn
-doch seine Leidenschaft für die berüchtigte schöne Betty;
-denn diese that das im Großen, was alle seine übrigen
-Thorheiten an seinem Wohlstand nur im Kleinen vernichten
-konnten. Sie hat auch seinen Charakter zu Grunde
-gerichtet, der sich ursprünglich zum Guten neigte. Er ist
-gutherzig, aber schwach, so daß Jeder, welcher sich seiner
-bemächtigt, aus ihm machen kann, was er will. Meine
-gutgemeinten Worte verschollen nur in den Wind. Bis
-in die tiefe Mitternacht hinein habe ich zuweilen auf die
-eindringlichste Art gesprochen, aber es war nur Schade
-<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a>
-um alle meine Ermahnungen. Sie hatte ihn so in Stricken,
-daß er selbst seine redlichsten und ältesten Freunde
-um ihrerwillen mißhandeln konnte.
-</p>
-
-<p>
-Indem erhob man sich von der Tafel, und während
-der gegenseitigen Begrüßungen nahm Sophie die Gelegenheit
-wahr, indem sie dem alten Maler die Hand reichte,
-der sie ihr zierlich küßte, ihm deutlich zuzuflüstern: o Sie
-abscheulichster von allen abscheulichen Sündern, Sie undankbarer
-Heuchler! Wie kann es Ihr verkehrtes Herz
-über sich gewinnen, den öffentlich zu lästern, von dessen
-Wohlthaten Sie sich bereichert haben, dessen Leichtsinn
-Sie benutzen, um ihn mit andern Gehülfen elend zu machen?
-Bisher habe ich Sie nur für abgeschmackt, aber
-gutmüthig gehalten; ich sehe aber, daß Sie nicht ohne
-Ursache eine wahre Teufels-Physiognomie tragen! Ich
-verabscheue Sie! &mdash; Sie stieß ihn mit Bewegung zurück,
-und eilte dann aus dem Zimmer.
-</p>
-
-<p>
-Die Gesellschaft ging in den Bildersaal, wo der Kaffee
-herum gereicht wurde. Was war denn meiner Tochter?
-fragte der Rath den Maler: sie schien so eilig und
-hatte Thränen im Auge.
-</p>
-
-<p>
-Ein gutes, liebes Kind, schmunzelte Eulenböck. Sie
-sind recht glücklich, Herr Geheimer Rath, bei diesem
-empfindsamen Herzen Ihrer Tochter. Sie war so liebevoll
-um meine Gesundheit besorgt; sie findet meine Augen
-entzündet, und meinte gar, ich könnte erblinden: darüber
-ist sie denn so gerührt worden.
-</p>
-
-<p>
-Ein treffliches Kind! rief der Vater aus: wenn ich
-sie nur erst gut versorgt sähe, daß ich in Frieden sterben
-könnte. Der Fremde war noch zurück geblieben, um das
-neue Gemälde in Augenschein zu nehmen, welches Erich
-ihm im Speisezimmer zeigte; jetzt kam er mit diesem zur
-<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a>
-Gesellschaft und Dietrich folgte. Sie waren Alle im lebhaften
-Gespräch begriffen; der Fremde tadelte den Gegenstand,
-welchen Dietrich vertheidigen wollte. Wenn <em>Teniers</em>
-und ähnliche Niederländer, sagte der letztere, die
-Versuchung des heiligen Antonius komisch und fratzenhaft
-dargestellt haben, so ist diese Laune ihrer Stimmung zu
-vergeben, so wie ihrem Talent nachzusehen, da sie das
-Würdige nicht zu erschaffen wußten. Der Gegenstand aber
-fordert eine ernste Behandlung, und dem alten deutschen
-Meister dort ist sie ohne Zweifel gelungen; wenn der Beschauer
-nur unpartheiisch seyn kann, so wird er sich von
-seinem Bilde angezogen und befriedigt fühlen.
-</p>
-
-<p>
-Dieser Gegenstand, nahm der Fremde das Wort, ist
-keiner für die bildende Kunst. Die ängstigenden Träume
-eines wahnsinnigen Alten, die Gespenster, die er in seiner
-Einsamkeit sieht, und die ihn durch falschen Reiz oder
-Entsetzen von seiner melancholischen Beschaulichkeit abziehen
-wollen, können nur in das Gebiet fratzenhafter Phantome
-fallen, und auch nur phantastisch dargestellt werden,
-wenn es überhaupt erlaubt seyn soll. Dagegen dort die
-weibliche Gestalt, welche sich edel zeigen will und zugleich
-reizend, eine enthüllte Schönheit in der Fülle der Jugend,
-und die doch nur ein verkleidetes Gespenst ist; die wilden
-Gestalten umher, die durch den grellen Contrast sie noch
-mehr hervorheben, das Entsetzen des Alten, der sich im
-Vertrauen wieder zu finden sucht, diese Vermischung der
-widersprechendsten Gefühle ist durchaus widersinnig, und
-Schade um Talent und Kunst, die sich an dergleichen abarbeitend
-verschwenden und vernichten.
-</p>
-
-<p>
-Ihr Zorn, sagte Dietrich, enthält das schönste Lob
-des Bildes. Ist denn nicht Alles, was den Menschen
-versucht, nur Gespenst, in die lockende Gestalt der Schönheit
-<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a>
-verhüllt, oder sich scheinbar mit nichtigem Entsetzen
-verpanzernd? Sollte eine Darstellung, wie jene, nicht
-gerade in unsern neuesten Tagen eine doppelte Bedeutung
-erhalten? Allen kommt diese Versuchung, die sich noch
-ihres Herzens nicht ganz bewußt sind; aber in jenem Heiligen
-sehen wir den festen und reinen Blick, der über die
-Furcht erhaben ist, und längst die wahre unsichtbare
-Schönheit kennt, um Grauen und geringe Lüsternheit von
-sich zu weisen. Das wahre Schöne führt uns in keine
-Versuchung; das, was wir wirklich fürchten dürfen, erscheint
-nicht in Larve und Unform. Das Bestreben jenes
-alten Meisters läßt sich daher vor dem gebildeten Sinne
-rechtfertigen; nicht so Teniers und seines Gleichen.
-</p>
-
-<p>
-Das Tolle, das Alberne und Abgeschmackte ist ein
-Unendliches, rief der Unbekannte: es ist es eben dadurch,
-daß es sich in keine Gränze fassen läßt, denn durch die
-Schranke wird alles Vernünftige: das Schöne, Edle,
-Freie, Kunst und Enthusiasmus. Weil sich aber etwas
-Ueberirdisches, Unaussprechliches beimischt, so meinen die
-Thoren, es sei das Unbedingte, und sündigen im angemaßten
-Mystizismus in Natur und Phantasie hinein.
-Sehn Sie diesen tollen <em>Höllenbreughel</em> hier am Pfeiler?
-Weil sein Auge gar keinen Blick mehr hatte für
-Wahrheit und Sinn, weil er sich ganz von der Natur
-lossagte, und Aberwitz und Unsinn ihm als Begeisterung
-und Verständniß galten, so ist er mir vom ganzen Heere
-der Fratzenmaler geradezu der liebste, da er ohne Weiteres
-die Thüre zuschlug und den Verstand draußen ließ.
-Sehn Sie den Riesensaal von <em>Julio Romano</em> in Mantua,
-seine wunderlichen Aufzüge mit Thieren und Centauren
-und allen Wundern der Fabel, seine Bacchanalien,
-seine kühne Vermischung des Menschlichen, Schönen,
-<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a>
-Thierischen und Frechen; vertiefen Sie sich in diese Studien,
-dann werden Sie erst wissen, was ein wirklicher
-Poet aus diesen sonderbaren und unverstandenen Stimmungen
-unsers Gemüthes machen kann und darf, und
-wie er im Stande ist, auch in diesem, aus Träumen geflochtenen
-Netz, die Schönheit zu fangen.
-</p>
-
-<p>
-Auf solchem Wege, sagte Dietrich, sind wir mit allen
-Dingen sehr bald fertig, wenn wir nur eine Norm
-und Regel annehmen, in leidenschaftlicher Verblendung
-alles Göttliche auf Einen Namen übertragen, und von
-dem einseitigen Erkennen seiner dann abweisen, was er
-nicht geleistet hat, oder nicht leisten konnte, der doch auch
-nur ein Einzelner und ein Sterblicher war, dessen Blick
-nicht in alle Tiefen drang, und dem wenigstens der Tod
-die Palette aus der Hand nahm, wäre er selbst fähig gewesen,
-alle Erscheinungen aus seinen Fingern quellen zu
-lassen. Schranke muß seyn; wer bezweifelt das? Aber
-so manche Altklugheit, die sich im Halten der Regel so
-groß dünkt, erinnert mich immer wieder an die sonderbare
-Eigenschaft des Hahns, der, wie unbändig und kriegerisch
-er auch thut, wenn er auf die Seite gelegt wird,
-und man von seinem Schnabel aus einen Kreidestrich auf
-den Boden hinzieht, unbeweglich und andächtig liegen
-bleibt, weil er sich, wer weiß von welcher Naturnothwendigkeit,
-philosophischer Regel oder unerlaßlichen Kunstschranke
-gefesselt glaubt.
-</p>
-
-<p>
-Sie werden unbescheiden, mein junger altdeutscher
-Herr, sagte der Fremde in etwas hohem Tone. Die gute
-Erziehung wird freilich bald zu den verlorenen Künsten
-gerechnet werden müssen.
-</p>
-
-<p>
-Dafür ist aber wohl gesorgt, versetzte Dietrich, daß
-Uebermuth nicht ausstirbt, und Dünkel bei frischen Kräften
-<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a>
-bleibt. Er verbeugte sich schnell gegen den Hausherrn
-und verließ die Gesellschaft.
-</p>
-
-<p>
-Ich weiß nicht wie ich dazu komme, so behandelt zu
-werden, sagte der Fremde. Scheint doch über diesem Saal
-ein Unheil zu walten, daß ich hier immer auf Riesen
-treffe, die mich in den Staub legen wollen.
-</p>
-
-<p>
-Der alte Walther war sehr mißmuthig, daß in seinem
-Hause solche Scenen vorfielen. So wie er den Fremden
-schon bei Tische hatte aufgeben müssen, so gab er
-nun auch den Gedanken auf, jemals den jungen Maler
-zum Schwiegersohn in Vorschlag zu bringen. Begütigend
-wendete er sich zu dem Fremden, der in seinem Zorn dem
-Höllenbreughel eine größere Aufmerksamkeit schenkte, als
-außerdem geschehen seyn würde. Nicht wahr, fing er an,
-ein in seiner Art treffliches Gemälde?
-</p>
-
-<p>
-Das schönste von diesem Meister, das ich bisher gesehen,
-erwiederte der verstimmte junge Mann. Er nahm
-sein Glas zu Hülfe, um es genauer zu prüfen. Was ist
-das? rief er plötzlich: sehen Sie, wo die Beine der beiden
-Teufel zusammen kommen, und der feurige Schweif
-des Dritten, wird ein Gesicht, ein recht wunderlich ausdrucksvolles
-Profil gebildet, und, ich irre mich nicht, es
-gleicht auffallend hier Ihrem ältern Freunde, dem braven
-Künstler.
-</p>
-
-<p>
-Alle drängten sich hinzu, keiner hatte diesen sonderbaren
-Einfall noch bemerkt. Eulenböck, der Schalk,
-spielte am meisten den Erstaunten. Daß mein Andenken,
-sagte er, sich in diesem seltsamen Stammbuche finden
-sollte, hätte ich mir nicht träumen lassen; sollte der boshafte
-Maler aber mein Profil schon in der Vorzeit geahndet
-haben, so ist es doch zu ruchlos, daß dieser Feuerschweif
-gerade meine etwas rothe Nase formiren muß.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a>
-Das Ding, sagte Erich, ist so sonderbar angebracht,
-daß man wirklich nicht ergründen kann, ob es Vorsatz,
-oder bloßer Zufall ist. Walther betrachtete das Profil im
-Bilde, dann musterte er die Physiognomie seines Freundes,
-schüttelte den Kopf, ward nachdenkend und nahm
-zerstreut Abschied, als der Fremde sich mit Eulenböck beurlaubte,
-der sich dessen Begleitung erbeten hatte, um ihm
-seine Kunstwerke zu zeigen.
-</p>
-
-<p>
-Was ist Dir? fragte Erich, der mit dem Alten allein
-im Saale zurück geblieben war. Du scheinst über
-den sonderbaren Scherz des Zufalls verdrüßlich, der uns
-alle zum Lachen gezwungen hat; ist doch der Säufer hinlänglich
-dadurch bestraft, daß diese Teufelscompagnie so
-artig sein Portrait zusammen setzen muß.
-</p>
-
-<p>
-Hältst Du es denn wirklich auch für Zufall? rief
-Walther erzürnt aus: siehst Du denn nicht ein, daß der
-alte Schelm mir dies Bild betrügerisch aufgeheftet hat,
-daß es von ihm herrührt? Schau nur hieher, ich habe
-ihn vor den Andern nicht beschämen wollen; aber nicht
-genug an dieser Abschattung von sich selbst, hat er auch
-noch dem großen Teufel da oben, der die Seelen in einer
-Handmühle mahlt, in seinem ungeheuren Schnauzbart
-fein den Namen Eulenböck eingeschrieben. Ich entdeckte
-die Kritzelei schon unlängst einmal; ich glaubte aber, da
-es nicht ganz deutlich war, es habe der Maler, oder ein
-Anderer, Höllenbreughel hineinschreiben wollen; so erklärte
-es mir der alte Schuft auch selbst, der mir, wie
-ich es ihm zeigte, Ellenbröeg herauslas, und hinzufügte,
-die Künstler hätten sich nie um die Orthographie viel gekümmert.
-Nun geht mir erst ein Licht auf, daß der verruchte
-Säufer auch nur den jungen Mann verführt hat,
-mir den Salvator zu verkaufen, daß Du einen solchen von
-<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a>
-ihm ebenfalls erhalten hast; und dabei müssen wir noch
-fürchten, unsre Gesichter einmal, wer weiß, unter welchen
-abscheulichen Gegenständen, irgendwo unanständig auf
-pasquillantische Weise angebracht zu sehen.
-</p>
-
-<p>
-Er war so zornig, daß er die Faust aufhob, um das
-Bild zu zerstören. Aber Erich hielt ihn zurück und sagte:
-Vernichte nicht im Unmuth ein merkwürdiges Produkt
-eines Virtuosen, das Dich in Zukunft wieder ergötzen wird.
-Rührt es von unserm <em>Eulenböck</em> her, wie ich jetzt selber
-glauben muß, und sind gar noch die beiden <em>Salvators</em>
-von ihm, so muß ich die Geschicklichkeit des Mannes bewundern.
-Toll ist die Art, wie er sich selbst gezeichnet
-hat; indessen kann dieser Uebermuth nur ihm selber schädlich
-werden, da ich und Du uns nun wohl hüten werden,
-von ihm zu kaufen, von denen er außerdem wohl
-noch manchen Thaler gelöst hätte. Aber Dich wurmt
-noch etwas Anderes, ich sehe es Dir wohl an. Kann
-ich Dir rathen? Ist es vielleicht die alte Besorgniß um
-Deine Tochter?
-</p>
-
-<p>
-Ja, mein Freund, sagte der Vater: und wie ist es
-mit Dir? Hast Du selbst meinen Worten nachgedacht?
-</p>
-
-<p>
-Viel und oft, erwiederte Erich: aber, lieber Grillenfänger,
-wenn es auch glückliche Ehen ohne Leidenschaft
-geben kann, so muß doch eine Art von Neigung da seyn;
-die finde ich aber nicht, und ich kann es Deiner Tochter
-nicht verdenken, &mdash; wir sind uns zu ungleich. Schade
-wär&rsquo; es auch, wenn das liebe Wesen mit seinen lebhaften
-Empfindungen nicht glücklich werden sollte.
-</p>
-
-<p>
-Durch wen? rief der Vater, es findet sich ja Niemand,
-den sie mag, und der sich für sie paßt; Du trittst
-völlig zurück, der fremde hochmüthige Gast hat mich heut
-mit seiner vornehmen Art recht empfindlich geärgert; aus
-<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a>
-dem jungen Herrn Dietrich würde nie ein gescheidter Ehemann
-werden, da er sich gar nicht in die Welt zu schicken
-weiß, wie ich gesehen habe, und vom jungen Eisenschlicht
-darf ich ihr gar nicht einmal sprechen. Dazu ist mir
-auf&rsquo;s Neue der Verlust der herrlichen Bilder auf das Herz
-gefallen. Wo der Satan sie nur hingeführt hat! Sieh,
-meinem ärgsten Feinde möchte ich sie gönnen, wenn sie
-nur da wären! &mdash; Und dann &mdash; hab&rsquo; ich nicht auch noch
-eine Verschuldung gegen Eduard? Du weißt, zu welchen
-billigen Preisen ich nach und nach von ihm kaufte, was
-er noch im Nachlasse seines Vaters fand. Er kannte, er
-achtete die Sachen nicht; ich habe ihm nie abgedrungen,
-ich habe ihn nie angelockt, &mdash; aber doch &mdash; wenn der
-junge Mensch ordentlich werden wollte, wenn er den bessern
-Weg einschlüge, &mdash; wüßte ich nur, daß es ihn nicht
-wieder schlecht machte, daß er es nicht vergeudete, ich
-wollte ihm noch einen beträchtlichen Nachschuß gerne
-zahlen.
-</p>
-
-<p>
-Brav! rief Erich und gab ihm die Hand. Ich habe
-den jungen Menschen nicht aus den Augen gelassen; er
-ist nicht ganz so schlimm, als die Stadt von ihm spricht,
-er kann noch einmal ein rechter Mann werden. Wenn
-wir Besserung sehen und Du Dich ihm gewogen fühlst,
-vielleicht daß Deine Tochter einmal auch gut von ihm
-dächte, kann seyn, daß sie ihm gefiele; &mdash; wie wär&rsquo;s alsdann,
-wenn Du durch Dein Vermögen Beiden ein glückliches
-Schicksal bereitetest, Enkel auf Deinen Knieen schaukeltest,
-ihnen die ersten Begriffe der Kunstgeschichte beibrächtest,
-daß sie hier in Deinem Saale die berühmten
-Namen stammelten.
-</p>
-
-<p>
-Nimmermehr! rief der Alte und stampfte mit dem
-Fuße. Wie? einem solchen verderbten Taugenichts mein
-<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a>
-einziges Kind? Ihm diese Sammlung hier, daß er sie
-verprassen und für ein Spottgeld verkaufen könnte? Das
-räth mir kein Freund.
-</p>
-
-<p>
-Doch, sagte Erich: sei nur gelassen, überdenke den
-Vorschlag ohne Leidenschaft, und suche Deine Tochter zu
-prüfen.
-</p>
-
-<p>
-Nein, nein! wiederholte Walther laut, es kann, es
-darf nicht seyn! Ja, könnte er noch ein einziges von jenen
-kostbaren, unvergleichlichen Bildern aufweisen, die
-aber nun auf ewig verloren sind, so ließe sich noch eher
-darüber sprechen. Aber so verschone mich in alle Zukunft
-mit dergleichen Vorschlägen. &mdash; Und der verdammte
-Breughel hier! Da oben, hoch, wo ich ihn nie wieder
-sehe, will ich ihn mit der Galgen-Physiognomie des alten
-Sünders und allen seinen Teufeln hinauf hängen!
-</p>
-
-<p>
-Er sah empor, und wieder schaute aus dem offnen
-Fenster Sophie, lauschend auf ihr Gespräch, herab. Sie
-erröthete, entfloh, ohne das Fenster zu schließen, und der
-Alte rief: das fehlte noch! Nun hat die eigensinnige
-Dirne Alles mit angehört, und setzt sich wohl gar dergleichen
-in den kleinen trotzigen Kopf!
-</p>
-
-<p>
-Die alten Freunde trennten sich, Walther mit sich
-und aller Welt unzufrieden.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Tief in der Nacht saß Eduard in seinem einsamen
-Zimmer, mit vielfachen Gedanken beschäftigt. Um ihn
-lagen unbezahlte Rechnungen, und er häufte die Summen
-daneben auf, um sie am folgenden Morgen zu tilgen.
-Es war ihm gelungen, unter billigen Bedingungen ein
-Capital auf sein Haus aufzunehmen, und so arm er sich
-<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a>
-erschien, so war er doch schon in dem Gefühl zufrieden,
-welches ihm sein fester Vorsatz gab, künftig auf andre
-Weise zu leben. Er sah sich in Gedanken schon thätig,
-er machte Plane, wie er von einem kleinen Amte zu
-einem wichtigern emporsteigen, und sich in diesem zu einem
-noch ansehnlichern vorbereiten wolle. Die Gewohnheit,
-sagte er, wird ja zu unserer Natur, so im Guten, wie
-im Schlimmen, und wie mir Müssiggang bisher nothwendig
-gewesen ist, um mich wohl zu befinden, so wird
-es in Zukunft die Arbeit nicht weniger seyn. &mdash; Aber
-wann, wann wird denn dies erwünschte goldne Zeitalter
-meines edlern Bewußtseins wirklich und wahrhaft in mir
-seyn, daß ich mit Befriedigung und Wohlbehagen die
-Gegenstände vor mir und mich selbst werde betrachten
-können? Jetzt sind es doch nur noch Vorsätze und liebliche
-Hoffnungen, die blühen und locken; und, ach! werde ich
-nicht auf halbem Wege, vielleicht schon auf dem Anfange
-meiner Bahn ermatten?
-</p>
-
-<p>
-Er sah die Rose zärtlich an, die im Wasserglase ihm
-glühend entgegen lachte. Er nahm sie und drückte mit
-zarter Berührung einen leisen Kuß in ihre Blätter, und
-hauchte einen Seufzer in den Kelch. Dann stellte er sie
-behutsam in das nährende Element zurück. Er hatte sie
-neulich, schon verwelkt, in seinem Busen wieder gefunden;
-seit der Stunde, daß sie im Fluge sein Gesicht
-berührt hatte, war er ein andrer Mensch geworden,
-ohne daß er es sich selber gestehen wollte. Man ist nie
-so abergläubisch und merkt so gern auf Vorbedeutungen,
-als wenn das Herz recht erschüttert ist, und aus dem
-Sturm der Gefühle ein neues Leben sich erzeugen will.
-Eduard merkte selbst nicht, wie sehr ihm die kleine Blume
-Sophien selbst gegenwärtig machte, und da er Alles und
-<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a>
-sich selbst beinah verloren hatte, so sollte die welke Pflanze
-sein Orakel seyn, ob sie sich wieder erfrische und auch ihm
-ein neues Glück verkündigen wolle. Da sie aber nach
-einigen Stunden sich im Wasser nicht entfaltete, so half
-er ihr und der weissagenden Kraft durch die gewöhnliche
-Kunst, den Stengel zu beschneiden, diesen dann einige
-Augenblicke in die Flamme des Lichtes zu halten und die
-Blume nachher in das kalte Element zurück zu setzen.
-Fast sichtlich erfrischte sie sich nach dieser gewaltsamen
-Nachhülfe, und blühte so schnell und mächtig auf, daß
-Eduard fürchten mußte, sie würde binnen Kurzem alle
-ihre Blätter verstreuen. Doch war er seitdem getröstet,
-und traute seinen Sternen wieder.
-</p>
-
-<p>
-Er blätterte in alten Papieren seines Vaters, schlug
-Briefe auseinander, und fand so manche Erinnerungen
-aus seiner Kindheit, so wie aus der Jugend des Erzeugers.
-Er hatte den Inhalt eines Schrankes vor sich ausgepackt,
-der Rechnungen, Nachweisungen, Prozeß-Acten
-und Vieles ähnlicher Art enthielt. Indem rollte sich ein
-Blatt auf, welches das Verzeichniß der ehemaligen Gallerie
-enthielt, die Geschichte der Bilder, ihre Preise, und
-was dem Besitzer bei jedem Stücke merkwürdig gewesen
-war. Eduard, der von einer Reise zurück kam, als sein
-Vater auf dem Sterbebette lag, hatte nach dem Begräbnisse
-vielfach nach jenen verlorenen Bildern gesucht, und
-manche vergebliche Nachforschung angestellt. Er konnte
-mit Recht erwarten, daß auch von jenen vermißten sich
-hier ein Wort finden möchte, und wirklich erschien ihm
-in einem andern Packet, zwischen Papieren versteckt, ein
-Blatt, welches genau jene Stücke nannte, die Namen der
-Meister, so wie die vorigen Eigenthümer. Die Schrift
-war augenscheinlich aus den letzten Tagen seines Vaters,
-<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a>
-und unten fanden sich die Worte: diese Stücke sind
-jetzt &mdash; &mdash;, weiter hatte die Hand nicht geschrieben, und
-selbst diese Zeile war wieder ausgestrichen worden.
-</p>
-
-<p>
-Nun suchte Eduard noch eifriger, aber keine Spur.
-Das Licht war niedergebrannt, sein Blut war erhitzt; er
-warf die Bogen eilig im Zimmer umher, aber es zeigte
-sich nichts. Als er ein altes vergelbtes Papier auseinander
-schlug, sah er zu seinem Erstaunen einen Schein, der
-vor vielen Jahren ausgestellt war, in welchem sich sein
-Vater als den Schuldner Walthers mit einer namhaften
-Summe bekannte. Er war nicht quittirt, aber doch nicht
-in den Händen des Gläubigers. Wie war dieser Umstand
-zu erklären? &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Er steckte ihn zu sich und rechnete aus, daß, wenn
-das Blatt gültig wäre, er von seinem Hause kaum noch
-etwas übrig behalten würde. Er betrachtete einen Beutel,
-den er in eine Ecke gestellt, und der dazu bestimmt
-war, ein für allemal noch den Familien, die er bisher
-im Stillen unterstützt hatte, eine ansehnliche Hülfe zu
-geben. &mdash; Denn wie er im Verschwenden leichtsinnig
-war, so war er es auch in seinen Wohlthaten; man hätte
-sie auch, wenn man strenge seyn wollte, Verschwendung
-nennen können. &mdash; Wenn ich nur diese Summe nicht anrühren
-darf, damit die Elenden sich noch einmal freuen,
-so ist es nachher auch eben so gut, ganz von vorn anzufangen
-und nur meinen Kräften zu vertrauen. Dies war
-vor dem Einschlafen sein letzter Gedanke.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Eduard war vom Geheimenrath Walther eingeladen
-worden; es war lange nicht geschehen, und ob der Jüngling
-<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a>
-gleich nicht begriff, wie der alte Freund zu diesem
-erneuten Wohlwollen komme, so ging er doch mit frischem
-Muthe hin, hauptsächlich in der frohen Erwartung, mit
-Sophien die ehemalige Bekanntschaft wieder anzuknüpfen.
-Er nahm das aufgefundene Papier mit.
-</p>
-
-<p>
-Es war ihm sehr verdrüßlich, dort den alten und
-den jungen Herrn von Eisenschlicht zu finden; indessen,
-da er bei Tische Sophien gegenüber saß, so richtete er
-das Gespräch hauptsächlich an diese, und bestrebte sich,
-heiter zu erscheinen, obgleich sein Gemüth auf vielfache
-Weise gereizt war; denn es entging ihm nicht, wie der
-alte Walther dem jungen Eisenschlicht mit aller Artigkeit
-entgegen kam, und ihn beinahe vernachläßigte; auch war
-es in der Stadt bekannt, daß sich der Rath den jungen
-reichen Mann zum Schwiegersohne wünsche. Dieser ließ
-sich die Freundlichkeit des Wirthes gefallen mit einer Art,
-als wenn es nicht anders seyn könne, und Erich, der es
-gut mit dem jungen Eduard meinte, suchte nur zu verhindern,
-daß der gereizte Jüngling nicht in Heftigkeit
-ausbräche. Sophie war die Munterkeit selbst; sie hatte
-sich mehr geschmückt als gewöhnlich, und der Vater mußte
-sie oft prüfend betrachten, denn ihr Anzug wich in einigen
-Stücken von dem gebräuchlichen ab, und erinnerte ihn
-heute lebhafter als je an jenes verlorene Bild von
-<em>Messys</em>, welches die beiden jungen Leute in einer gewissen
-Aehnlichkeit als Schäfer darstellte.
-</p>
-
-<p>
-Man versammelte sich nach Tische im Bildersaal,
-und Erich mußte lächeln, als er bemerkte, daß sein Freund
-wirklich den falschen Höllenbreughel hoch in einen Winkel
-hinauf gehangen hatte, wo man ihn kaum noch bemerken
-konnte. Der junge Eisenschlicht setzte sich neben Sophien,
-und schien sehr angelegentlich mit ihr zu sprechen. Eduard
-<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a>
-ging unruhig hin und her, und betrachtete die Bilder;
-Erich unterhielt sich mit dem Vater des jungen Freiwerbers,
-und Walther hatte ein prüfendes Auge auf Alle
-gerichtet.
-</p>
-
-<p>
-Warum aber, sagte Erich zu seinem Nachbar, ist
-Ihnen hier das Meiste aus der niederländischen Schule
-zuwider?
-</p>
-
-<p>
-Weil sie so viel Lumpenvolk und Bettler darstellt,
-antwortete der reiche Mann. Mein Widerwille trifft auch
-nicht diese Niederländer allein, sondern vorzüglich ist mir
-deshalb der Spanier <em>Murillo</em> verhaßt, und auch so
-manche Italiener. Es ist schon traurig genug, daß man
-sich auf Markt und Straße, ja in den Häusern selbst,
-nicht vor diesem Geschmeiße zu retten weiß; wenn aber
-ein Künstler verlangt, ich soll mich gar noch auf bunter
-Leinwand an dem lästigen Volke ergötzen, so heißt das,
-meiner Geduld etwas zu viel anmuthen.
-</p>
-
-<p>
-Da würde Ihnen vielleicht, sagte Eduard, der <em>Quintin
-Messys</em> recht seyn, der so häufig Wechsler an ihrem
-Tische, mit Münzen und Rechnungsbüchern so treu
-und kräftig vor uns hinstellt.
-</p>
-
-<p>
-Auch nicht, junger Herr, sagte der alte Mann: das
-können wir leicht und ohne Anstrengung in der Wirklichkeit
-sehn. Soll ich mich einmal an Malerei erfreuen, so
-verlange ich große königliche Aufzüge, viele schwere Seidenzeuge,
-Kronen und Purpurmäntel, Pagen und Mohren;
-das, vereinigt mit einem Anblick auf Paläste, große
-Plätze und in weite gerade Straßen hinein, erhebt die
-Seele, das macht mich oft auf lange munter, und ich
-werde nicht müde, es immer wieder von Neuem zu beschauen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a>
-Gewiß, sagte Erich, hat <em>Paul Veronese</em> und
-manche andere Italiener auch darin viel Vorzügliches
-geleistet.
-</p>
-
-<p>
-Was sagen Sie denn zu einer Hochzeit von Cana
-in dieser Manier? fragte Eduard.
-</p>
-
-<p>
-Alles Essen, erwiederte der alte Herr, wird auf Bildern
-langweilig, weil es doch nie von der Stelle rückt,
-und die gebratenen Pfauen und hoch aufgehobenen Pasteten,
-so wie die halb umgedrehten Mundschenken, sind auf
-allen solchen Darstellungen lästige Creaturen. Aber ein
-Anderes ist es, wenn sie den kleinen Moses aus dem
-Wasser ziehn, und dabei steht die Prinzeß in ihrem reichsten
-Schmuck, und umher die geputzten Damen, die auch
-für Fürstinnen gelten könnten, Männer mit Hellebarden
-und Rüstungen, selbst Zwerge und Hunde; ich kann nicht
-sagen, wie es mich erfreut, wenn ich eine solche Geschichte,
-die ich in meiner frühen Jugend oft unter Beklemmungen
-in einer dunkeln Schulstube lesen mußte, so
-herrlich ausgeschmückt wieder antreffe. Von dergleichen
-Sachen aber, lieber Herr Walther, haben Sie zu wenig.
-Ihre meisten Bilder sind für die Empfindung, und ich
-will niemals, am wenigsten von Kunstwerken, gerührt
-seyn. Ich werde es auch nicht, sondern ich ärgre
-mich nur.
-</p>
-
-<p>
-Noch schlimmer, fing der junge Eisenschlicht an, ist
-es aber in unsern Comödien. Wenn wir aus einer angenehmen
-Gesellschaft und von einem glänzenden Diner
-in den erleuchteten Saal treten: wie kann man nur verlangen,
-daß wir uns für das mannigfaltige Elend und
-den kümmerlichen Mangel interessiren sollen, der uns hier
-aufgetischt wird? Könnte man nicht dieselbe polizeiliche
-Einrichtung treffen, die schon in den meisten Städten
-<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a>
-löblicherweise angeordnet ist, daß ich ein für allemal für
-die Armuth etwas einlege, und mich dann nicht weiter
-von den einzelnen Zerlumpten und Hungernden incommodiren
-lasse?
-</p>
-
-<p>
-Bequem wäre es ohne Zweifel, sagte Eduard: ob
-aber durchaus zu loben, sei es als Polizei- oder Kunsteinrichtung,
-weiß ich noch nicht zu sagen. Ich kann mich
-wenigstens des Mitleids gegen den Einzelnen nicht erwehren,
-und mag es auch nicht, wenn man freilich oft
-zur Unzeit gestört, unverschämt bedrängt, und zuweilen
-auch wohl arg betrogen wird.
-</p>
-
-<p>
-Ich bin Ihrer Meinung, rief Sophie aus: ich kann
-die stummen, blinden Bücher nicht leiden, in die man
-sich einschreiben soll, um sich ruhig auf eine unsichtbare
-Verwaltung verlassen zu können, die dem Elende, so viel
-als möglich, abhelfen werde. In manchen Gegenden verlangt
-man sogar, man soll sich verpflichten, dem Einzelnen
-nichts zu geben. Aber wie kann man nur dem Jammer
-widerstehn? Wenn ich dem gebe, der mir seine Noth
-klagt, so sehe ich doch wenigstens seine augenblickliche
-Freude, und kann hoffen, ihn getröstet zu haben.
-</p>
-
-<p>
-Das ist es eben, sagte der alte Kaufmann, was in
-allen Ländern den Bettelstand erhält, daß wir uns nicht
-von dem kleinlichen Gefühl einer weichlichen Eitelkeit und
-eines süßlichen Wohlthuns frei machen können und wollen.
-Dies ist es zugleich, was die besseren Maßregeln
-der Staaten vereitelt und unmöglich macht.
-</p>
-
-<p>
-Sie denken anders, als jene Schweizer, sagte Eduard.
-Es war in einer katholischen Gegend, wo ein alter Bettler
-seit lange sein Almosen an gewissen Tagen einkassirte,
-und in jedem Hause fast, da die ländliche Einsamkeit nicht
-viel Gewerbe und Umtrieb gestattete, mit zur Familie gerechnet
-<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a>
-wurde. Indessen traf es sich doch, daß man ihn
-in einer Hütte, als er zusprach, da man gerade mit einer
-Wöchnerin sehr beschäftigt war, in der Verwirrung und
-Besorgniß für die Kranke abwies. Als er wirklich nach
-wiederholter Forderung nichts erhielt, wandte er sich zornig
-und rief im Scheiden: Nun, wahrlich, ihr sollt sehn,
-daß ich gar nicht wiederkomme, und so mögt ihr dann
-sehen, wo ihr wieder einen Bettler herkriegt!
-</p>
-
-<p>
-Alle lachten, nur Sophie nicht, welche diesen Ausspruch
-ganz vernünftig finden wollte, und mit diesen
-Worten schloß: gewiß, wenn es uns unmöglich gemacht
-werden könnte, Wohlthaten zu erzeigen, so möchte unser
-Leben selber arm genug werden. Könnte der Trieb des
-Mitleids in uns ersterben, so möchte es auch wohl um
-Lust und Freude traurig aussehen. Derjenige, der glücklich
-genug ist, mittheilen zu können, empfängt mehr, als
-der arme Nehmende. Ach! das ist ja noch das Einzige,
-fügte sie mit großer Bewegung hinzu, was das starre
-Eigenthum, die Grausamkeit des Besitzes etwas entschuldigen
-und mildern kann, daß auf die Schmachtenden unten
-etwas von dem unbillig Aufgehäuften herabgeschüttet
-wird, damit es nicht ganz in Vergessenheit komme, daß
-wir alle Brüder sind.
-</p>
-
-<p>
-Der Vater sah sie mißbilligend an, und wollte eben
-etwas sagen, als Eduard heftig einfiel, indem er seine
-feurigen Augen auf die feuchten des Mädchens heftete:
-dächte die Mehrzahl der Menschen so, so lebten wir in
-einer andern und bessern Welt. Wir entsetzen uns, wenn
-wir von dem Drangsal lesen, das in Wüsten und Einöden
-fremder Himmelsstriche dem harmlosen Wanderer
-auflauert, oder von jenen Schrecknissen, die auf der unwirthbaren
-See das Schiffsvolk fürchterlich verzehren, wenn
-<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a>
-im höchsten Mangel kein Fahrzeug oder keine Küste sich
-auf der unermeßlichen Fläche zeigen will; wir entsetzen
-uns, wenn Ungeheuer der Tiefe den Verunglückten zerfleischen,
-&mdash; und doch &mdash; leben wir nicht in den großen
-Städten, wie auf einem Vorgebirge, wo unmittelbar zu
-unsern Füßen aller dieser Jammer, dasselbe gräuliche Schauspiel
-sich entwickelt, nur langsamer und desto grausamer?
-Aber wir sehen aus unsern Concerten und Festen, und
-aus dem sichern Gewahrsam des Wohlstandes nicht in
-diesen Abgrund hinein, wo die Gestalten des Elends sich
-in tausend fürchterlichen Gruppen, wie in Dante&rsquo;s Gebilden,
-zermartern und verzehren, und gar nicht einmal
-mehr zu uns empor zu schauen wagen, weil sie schon
-wissen, welchem kalten Blick sie begegnen, wenn ihr
-Geschrei uns zu Zeiten aus den Betäubungen unsrer kalten
-Ruhe weckt.
-</p>
-
-<p>
-Diese Uebertreibungen, sagte der alte Eisenschlicht,
-sind jugendlich. Ich behaupte immer noch, der wirklich
-gute Bürger, der echte Patriot soll sich von augenblicklicher
-Rührung nicht hinreißen lassen, die Bettelei zu unterstützen.
-Er theile jenen wohlthätigen Anstalten mit, so
-viel er mit Bequemlichkeit entbehren kann; aber vergeude
-nicht seine geringen Mittel, die auch hierin der Aufsicht
-des Staates zu Gute kommen sollen. Denn was thut er
-im entgegengesetzten Fall? Er befördert durch seine Weichlichkeit,
-ja ich möchte es fast wollüstigen Kitzel des Herzens
-nennen, Betrug, Faulheit, Unverschämtheit, und
-entzieht das Wenige der wahren Armuth, die er doch
-nicht immer antreffen oder erkennen kann. Wenn wir
-aber auch jene übertriebene Schilderung des Elendes als
-richtig anerkennen wollten, was kann der Einzelne auch
-selbst in diesem Falle Gutes stiften? Ist er denn im
-<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a>
-Stande, die Lage des Verzweifelnden zu verbessern? Was
-hilft es, doch immer nur wieder einen Tag oder eine
-Stunde zu erleichtern? Der Unglückliche wird seine
-Schmach nur um so tiefer empfinden, wenn er nicht seinen
-Zustand in einen glücklichen verwandeln kann; er
-wird noch unzufriedener, noch elender werden, und ich
-schade ihm, anstatt ihm zu nützen.
-</p>
-
-<p>
-O, sagen Sie das nicht, rief Eduard aus, wenn ich
-Sie nicht verkennen soll; denn es erscheint mir wie Lästerung!
-Was der Arme in einem solchen Augenblick des
-Sonnenscheins gewinnt? O mein Herr! er, der schon
-daran gewöhnt ist, von der Gesellschaft der Menschen
-ausgestoßen zu seyn; er, für den es kein Fest, keinen
-Markt, keine Gesellschaft, und kaum eine Kirche giebt;
-für den Ceremonie, Höflichkeit und alle die Rücksichten
-ausgestorben sind, die sonst jeder Mensch dem andern leistet;
-dieser Elende, dem auf Spaziergängen und in der
-Frühlingsnatur nur Verachtung grünt und blüht, er
-wendet oft das dürre Auge nach Himmel und Sternen
-über sich, und sieht auch dort nur Leere und Zweifel;
-aber in solcher Stunde, die ihm unverhofft eine reichlichere
-Gabe spendet, daß er mit mehr als augenblicklichem
-Trost zu den verschmachteten Seinigen in die dunkle Hütte
-kehren kann, geht ihm plötzlich im Herzen wieder der
-Glaube an Gott, an seinen Vater auf; er wird wieder
-Mensch, er fühlt wieder die Nähe eines Bruders, und
-darf diesen und sich wieder lieben. &mdash; Wohl dem Reichen,
-der diesen Glauben fördern, der mit der sichtbaren
-Gabe <a id="corr-3"></a>das Unsichtbare schenken kann; und wehe dem Verschwender,
-der sich durch frevelnden Leichtsinn dieser Mittel
-beraubt, ein Mensch unter den Menschen zu seyn;
-denn das Gefühl wird ihn am härtesten strafen, daß er
-<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a>
-als herzloser Barbar in Strömen das Labsal in die Wüste
-geschüttet hat, wovon ein jeder Tropfen seine Brüder,
-unter der Last des mühseligen Lebens erliegend, erquicken
-könnte.
-</p>
-
-<p>
-Er konnte das Letzte nur mit Thränen sagen, er
-verhüllte sein Angesicht und bemerkte nicht, daß die Fremden,
-auch Erich, vom Wirthe Abschied nahmen. Auch
-Sophie weinte; doch ermunterte sie sich zur Heiterkeit,
-als der Vater zurück kam.
-</p>
-
-<p>
-Als sich in andern Gesprächen die Gefühle wieder
-beruhigt hatten, zog Eduard das Papier aus der Tasche,
-und trug dem Rathe die zweifelhafte Sache vor, und wie
-sehr er besorge, noch mit einer ansehnlichen Summe sein
-Schuldner zu seyn, die er ihm durch ein Capital abzutragen
-denke, welches er auf sein Haus zu bekommen
-suchen wolle.
-</p>
-
-<p>
-Der Alte sah abwechselnd ihn und das vergelbte Papier
-mit großen Augen an, endlich faßte er die Hand
-des Jünglings und sagte mit gerührter Stimme: mein
-junger Freund, Sie sind viel besser, als ich und auch die
-Welt von Ihnen gedacht haben; Ihr Gefühl entzückt
-mich, und wenn Sie auch mit dem Herrn von Eisenschlicht
-nicht so heftig hätten sprechen sollen, so war ich
-doch bewegt; denn, wahrlich! ich denke wie Sie über
-diesen Punkt. Was dies Papier betrifft, so kann ich Ihnen
-darüber schwerlich eine entscheidende Antwort geben,
-ob es gültig sei oder nicht. Es rührt aus einer frühen
-Zeit her, in der ich mit Ihrem wackern Vater mancherlei,
-und zuweilen verwickelte Geldgeschäfte hatte; wir halfen
-einander bei unsern Speculationen und Reisen aus,
-und der alte Herr war dazumal in früher Jugend freilich
-zuweilen etwas locker und wild. Er bekennt hier, mir
-<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a>
-eine ansehnliche Summe schuldig zu seyn; das Blatt muß
-sich unter seinen Papieren verloren haben; ich weiß nichts
-mehr davon, weil wir sehr viel mit einander zu berechnen
-hatten, und ich war denn damals auch nicht so ordentlich,
-wie jetzt. Indeß &mdash; (und mit diesen Worten
-zerriß er das Blatt) sei diese anscheinende Forderung zernichtet;
-denn auf keinen Fall, auch wenn die Schuld klar
-wäre, könnte ich von Dir, mein Sohn, diese Summe
-annehmen; wenigstens sollte ich Dir so viel nachzahlen
-für jene Gemälde, die Du mir viel zu wohlfeil verkauft
-hast. Kann ich Dir überhaupt helfen, mein gutes Kind,
-so rechne auf mich, und Alles kann vielleicht noch gut
-werden.
-</p>
-
-<p>
-Eduard beugte sich über seine Hand und rief: ja
-sei&rsquo;n Sie mir Vater, ersetzen Sie mir den, den ich zu
-früh verloren habe! Ich verspreche es Ihnen, es ist mein
-fester Vorsatz, ich will ein andrer Mensch werden, ich will
-meine versäumte Zeit wieder einbringen; ich hoffe, der
-menschlichen Gesellschaft noch einmal nützlich zu werden.
-Aber väterlicher Rath, wohlwollende Aufmunterung muß
-mich leiten, damit ich wieder Vertrauen zu mir fasse.
-</p>
-
-<p>
-So gut, sagte der Alte, hätte es uns schon seit
-manchem Jahre werden können, aber Du hast es dazumal
-verschmäht. Worin ich Dir nur irgend helfen kann, darfst
-Du sicher auf mich rechnen. Jetzt aber will ich doch,
-Neugierde halber, noch einmal meine Papiere ansehen,
-ob ich denn doch von dieser Schuld gar keine Nachricht
-finden sollte.
-</p>
-
-<p>
-Er ließ die beiden jungen Leute allein, die sich erst
-eine Weile stillschweigend ansahen, und sich dann in die
-Arme flogen. Sie hielten sich lange umschlossen, dann
-machte sich Sophie gelinde los, entfernte den Jüngling
-<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a>
-und sagte, indem sie ihm mit Munterkeit in&rsquo;s Auge sah:
-wie widerfährt mir denn das? Eduard, was soll uns
-denn das bedeuten?
-</p>
-
-<p>
-Liebe, rief Eduard, Glück und ewige Treue! Sieh,
-liebstes Kind, ich fühle mich, wie von einem schweren
-Traum erwacht. Das Glück, das mir so nahe vor den
-Füßen lag, das mir mein redlicher Vater schon an Deiner
-Wiege zugedacht hatte, stieß ich wie ein ungezogener
-Knabe von mir, um mich der Welt und mir selbst verächtlich
-zu machen. Hast Du mir denn vergeben, holdseliges
-Wesen? Kannst Du mich denn lieben?
-</p>
-
-<p>
-Ich bin Dir recht von Herzen gut, Du mein alter
-Spielkamerad, sagte Sophie: aber glücklich sind wir darum
-noch nicht.
-</p>
-
-<p>
-Was kann uns noch im Wege seyn! rief Eduard
-aus. O wie tief beschämt es mich, daß ich Deinen edeln
-Vater so sehr habe verkennen mögen! Wie gütig er mir
-entgegen kommt! Wie herzlich er mich als Sohn an
-seine Brust drückt!
-</p>
-
-<p>
-Ja, Du wunderlicher Kauz, lachte Sophie auf, das
-ist ja aber nicht <em>so</em> gemeint. Aber der bleibt zeitlebens
-unbesonnen, und hat gleich die Rechnung ohne den Wirth
-gemacht! Davon wird der Papa, so gut er auch seyn
-mag, nicht eine Sylbe hören wollen. Auch müssen wir
-beide uns ja erst näher kennen lernen. Freund, das sind
-Sachen, die sich noch in die Jahre hinaus verziehen können.
-Und während der Zeit sattelst Du auch vielleicht
-wieder um, und lachst dann in Deiner lustigen Gesellschaft
-über meinen Gram und meine Thränen.
-</p>
-
-<p>
-Nein! rief Eduard und warf sich vor ihr nieder:
-verkenne mich nicht, sei so gut und lieb, wie Dein Auge
-verspricht! Und ich fühle es, Dein Vater wird sich unsers
-<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a>
-Glückes freuen, er wird unsern Bund segnen! Er
-umfaßte sie heftig, ohne zu bemerken, daß der Vater
-schon wieder hinter ihm stand. Was ist das, junger
-Herr? rief der Alte erzürnt aus: den Bund segnen?
-Nein, vertreiben, aus seinem Hause verbannen wird er
-den lockern Zeisig, der so sein Vertrauen und seine Neigung
-zu ihm mißbrauchen will.
-</p>
-
-<p>
-Eduard war aufgestanden und sah ihm ernst in&rsquo;s
-Auge. Sie sind nicht gesonnen, mir Ihre Tochter zur
-Frau zu geben? fragte er mit ruhigem Tone.
-</p>
-
-<p>
-Was! rief der Alte mit der größten Ungeduld, seid
-Ihr rasend, Patron? Einem Menschen, der den Nachlaß
-seines Vaters, die kostbarsten Bilder verkauft und verschleudert
-hat? Und wenn Ihr ein Millionär wäret, ein
-so gefühlloser Mensch erhielte sie niemals! Ei, da würde
-es nach meinem Tode, vielleicht schon während meinen
-letzten Tagen, an ein herrliches Ausbieten meiner Schätze
-gehen, da würden die Bilder in alle vier Ecken der Welt
-fliegen, daß ich keine Ruhe in meinem Grabe hätte. Klug
-ist er aber, der saubre Herr. Macht mich erst recht treuherzig,
-bringt mir mit herrlicher Großmuth ein altes
-Schuldblatt seines Vaters, das er mir noch bezahlen will,
-kirrt mich in die Rührung hinein, damit ich nur noch
-großmüthiger, noch edler und heroischer werden, und ihm
-meine Tochter an den Hals werfen soll. Nein nein, mein
-junger Herr, so leicht hat er das Spiel bei mir nicht
-gewonnen. Die Schuld ist kassirt, ich finde keine Spur
-davon in meinen Büchern, und selbst, wie ich schon sagte,
-wenn es wäre. Auch will ich Ihm helfen, wie ich versprach,
-mit Rath und That, mit Freundschaft und Geld,
-so viel Er nur billigerweise verlangen kann. Aber mein
-Kind laß Er mir aus dem Spiele, und darum verbitt&rsquo; ich
-<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a>
-mir in Zukunft Seine Gegenwart in meinem Hause. Auch
-mag sie Ihn gar nicht, so wie ich sie kenne. Sprich,
-Sophie, wärst Du wohl im Stande, Dich mit einem solchen
-Thunichtgut einzulassen?
-</p>
-
-<p>
-Ich mag gar noch nicht heirathen, sagte Sophie,
-und diesen wohl am wenigsten, der zu allen Dingen in
-der Welt besser, als zu einem Ehemann paßt. Halb
-schmerzhaft und doch lächelnd warf sie dem Jüngling einen
-scheidenden Blick zu und verließ den Saal. Sophie! rief
-Eduard aus und wollte ihr nacheilen: wie kannst Du
-diese Worte sprechen? Der Alte hielt ihn am Kleide
-fest und machte Miene, ihm noch eine lange Ermahnung
-zu halten; doch Eduard, der nun die Geduld völlig verloren
-hatte, nahm seinen Hut, stellte sich vor den Vater
-und sagte mit einer Stimme, die von Zorn und Schluchzen
-unterdrückt war: ich gehe, alter Herr, und komme
-nicht, merken Sie sich das! in Ihr Haus zurück, bis Sie
-mich rufen lassen! bis Sie mich selber wieder hieher zurück
-rufen! Ja, bis Sie mich inständig bitten, Ihre
-Wohnung nicht zu verschmähen! Es kann mir nicht fehlen;
-Talente, gute Aufführung, Kenntnisse, sie bahnen
-mir den Weg zu den höchsten Ehrenstellen. Dem Prinzen
-bin ich schon empfohlen. Das ist aber nur die erste
-und kleinste Staffel meines Glücks! Ganz andre Wege
-müssen sich mir eröffnen. Und wenn dann die Stadt es
-sich zur Ehre rechnet, mich geboren zu haben, wenn ich
-diese jetzige Stunde ganz vergessen habe, dann sende ich
-irgend einen Vertrauten von Ansehn zu Ihnen, und lasse
-unter der Hand anfragen, wie es um Ihre Tochter steht:
-dann fallen Sie aus den Wolken, daß ich noch an Sie
-denke, Sie falten andächtig die Hände, daß sich Ihnen
-die Möglichkeit zeigt, einen solchen Schwiegersohn zu erhalten,
-<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a>
-&mdash; und so, gerade so wird es kommen, und auf
-diese Weise werde ich Sie zwingen, mir Ihre Tochter
-zu geben.
-</p>
-
-<p>
-Er stürzte fort, und der Vater sah ihm mit zweifelndem
-Blicke nach und murmelte: nun ist er gar verrückt
-geworden.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Im Freien, als dem jungen Manne ein heftiges
-Schneegestöber entgegenschlug, verkühlte sich seine sonderbare
-Hitze; er mußte über seine Heftigkeit und jene unsinnigen
-Reden erst lächeln, dann laut lachen, und als er
-sich in seiner Wohnung befand, kam er beim Umkleiden
-völlig zur Besinnung. Dieser Tag war für ihn von der
-höchsten Wichtigkeit, denn die Stunde war jetzt da, in
-welcher er sich dem Prinzen, der unterdessen, wie man
-ihm gesagt hatte, angelangt war, vorstellen sollte. Die
-Kleider, welche er jetzt anlegte, hatte er lange nicht getragen,
-mit solcher Aufmerksamkeit hatte er sich noch nie
-im Spiegel betrachtet. Er musterte seine Gestalt, und
-konnte sich nicht verhehlen, daß er gut gewachsen, daß
-sein Auge feurig, sein Gesicht anmuthig und die Stirne
-edel sei. Mein erster Anblick, sagte er zu sich selbst, wird
-ihm wenigstens nicht mißfallen. Alle Menschen, selbst
-diejenigen, die mich nicht leiden können, loben mein gewandtes
-und feines Betragen; ich habe manche Talente
-und Kenntnisse, und was mir mangelt, kann ich bei meiner
-Jugend, bei meinem trefflichen Gedächtnisse leicht
-nachholen. Er wird mich lieb gewinnen, und bald werde
-ich ihm unentbehrlich seyn. Der Umgang mit der großen
-Welt wird nach und nach alles das wegschleifen, was
-mir noch von schlechten Gesellschaften anhängen mag.
-<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a>
-Reise ich nun auch mit ihm, und muß mich etwa ein
-Jahr, oder selbst noch länger, von hiesiger Gegend entfernen,
-so dient dies auch in fremden Ländern nur um
-so mehr dazu, mich in seiner Gunst recht fest zu setzen.
-Wir kommen dann zurück; meiner Bildung, meinen Ansprüchen
-kommen durch seine Protection die ansehnlichsten
-Stellen hier, oder auch im Auslande entgegen, und ich
-werde gewiß alsdann nicht vergessen haben, daß es doch
-Sophie eigentlich war, die mein besseres Selbst zuerst aus
-seinem Schlaf erweckte.
-</p>
-
-<p>
-Er war nun angekleidet und so trunken von seinen
-Hoffnungen, daß er es nicht merkte, wie er wieder die
-nämlichen Worte vor sich selber aussprach, über welche
-er sich vorhin verlacht hatte. Er nahm die ganz erblühte
-Monatsrose aus dem Glase, und drückte sie, um sich zu
-seinem Gange zu stärken, an den Mund, aber zugleich
-fielen ihm alle ihre Blätter vor die Füße. Eine üble
-Vorbedeutung! seufzte er und ging aus dem Hause, um
-in den Wagen zu steigen.
-</p>
-
-<p>
-Als er im Palast angelangt war, gab er dem Bedienten
-den Brief, welcher ihn dem Prinzen empfehlen
-sollte. Indem er den Spiegelwänden vorüber spazierte,
-kam zu seiner Verwunderung der junge Dietrich aus
-einem Seitenzimmer in verstörter Eile, und bemerkte anfangs
-seinen Befreundeten nicht. Wie kommen Sie hieher?
-fragte Eduard hastig. Kennen Sie den Prinzen? &mdash;
-Ja, &mdash; nein, &mdash; stotterte Dietrich, &mdash; es ist eine sonderbare
-Sache, die wohl, &mdash; ich will es Ihnen erzählen,
-aber freilich wird hier keine Zeit dazu seyn.
-</p>
-
-<p>
-Dies war in der That der Fall, denn eine geschmückte,
-in Juwelen prangende Dame schritt mit vornehmem Anstande
-herein, und vertrieb den jungen Maler, der sich
-<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a>
-mit ungeschickten Verbeugungen entfernte. Eduard stand
-still, als die glänzende Erscheinung ihm näher kam; er
-wollte sich verneigen, aber sein Erstaunen lähmte seine
-Bewegung, als er in ihr jene Schöne plötzlich erkannte,
-die zum Nachtheil seines Rufes so lange in seinem Hause
-gewohnt, und mehr als alle seine Verirrungen sein Vermögen
-verringert hatte. Wie! rief er aus, &mdash; Du selbst
-&mdash; Sie, hier in diesen Zimmern?
-</p>
-
-<p>
-Und warum nicht? sagte sie lachend. Es wohnt
-sich gut hier. Du merkst doch wohl, mein Freund, daß
-ich, wie einst Deine Freundin, so jetzt die Freundin des
-Fürsten bin, und wenn Du etwas bei ihm suchst, so kann
-ich Dir Ungetreuem vielleicht beförderlich seyn, denn er
-hat mehr Gemüth, als Du, und auf seine fortdauernde
-Gunst kann ich sicherer zählen, als es mir mit Deinem
-Flattersinn gelingen wollte.
-</p>
-
-<p>
-Eduard mochte die freundliche Schöne in dieser
-Stunde nicht daran erinnern, daß sie sich zuerst von ihm
-entfernt hatte, als sie gesehen, daß sein Vermögen verschwendet
-war; er entdeckte ihr seine Lage und seine Hoffnungen,
-und sie versprach, sich mit dem besten Eifer für
-ihn zu verwenden. Sei nur ruhig, mein Freund, so beschloß
-sie ihre Versicherungen, es kann und soll Dir nicht
-fehlen, und dann wird es sich ja zeigen, ob Du noch ein
-Fünkchen Liebe in Deinem kalten Herzen für mich aufbewahrt
-hast. Nur mußt Du vorsichtig seyn und in seiner
-Gegenwart fremd gegen mich thun, damit er nie erfährt
-oder merkt, daß wir uns schon sonst gekannt haben.
-</p>
-
-<p>
-Mit einem flüchtigen Kuß, wobei die geschminkte
-Wange ihm einen lebhaften Widerwillen erregte, verließ
-sie ihn, und Eduard ging mit dem größten Mißbehagen
-im Saale auf und ab, da sich Alles so ganz anders gestaltete,
-<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a>
-als er es sich vorgebildet hatte. Dieses Wesen,
-welches er hassen mußte, in seiner neuen Umgebung zu
-finden, schlug alle seine Hoffnungen nieder, und er nahm
-sich fest vor, ihren Netzen und Lockungen zu entgehen,
-und wenn diese seine Tugend ihm auch die größten Nachtheile
-bringen sollte.
-</p>
-
-<p>
-Indem öffnete sich die Thüre, und jener ihm so widerwärtige
-Unbekannte trat mit seinem hoffärtigen Gange
-und stolzer Geberde herein.
-</p>
-
-<p>
-Eduard ging ihm entgegen und sagte: vielleicht gehören
-Sie zum Gefolge Seiner Durchlaucht, und können
-mir melden, ob ich jetzt die Ehre haben kann, ihm meine
-Aufwartung zu machen.
-</p>
-
-<p>
-Der Fremde stand still, sah ihn an, und nach einer
-Pause antwortete er in kaltem Tone: das kann ich Ihnen
-freilich sagen; keiner besser als ich. &mdash; Eduard erschrack,
-da er den Empfehlungsbrief in seinen Händen bemerkte.
-Will mich der Prinz nicht sprechen? fragte er bestürzt.
-Er spricht mit Ihnen, antwortete jener, und mit so höhnendem
-und wegwerfendem Tone, daß der junge Mann
-alle Fassung verlor. Ich halte mich schon seit einiger
-Zeit in dieser Stadt auf, fuhr der vornehme Fremde fort,
-und habe Gelegenheit gefunden, Menschen und Verhältnisse
-durch mein Incognito kennen zu lernen. Wir sind
-uns auf eine etwas sonderbare Art nahe gekommen, und
-wenn ich auch jenen Schritt, von dem Sie wohl selbst
-wissen, daß er kein ganz unschuldiger war, entschuldigen
-könnte, so hat er mir doch ein gerechtes Mißtrauen gegen
-Ihren Charakter eingeflößt, so daß ich unmöglich Ihnen
-eine Stelle einräumen kann, die uns in eine vertrauliche
-Nähe rücken würde. Ich gebe Ihnen also diesen Brief
-zurück, den ich, trotz seiner warmen Empfehlung, und
-<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a>
-obwohl er aus höchst achtungswürdigen Händen kommt,
-nicht berücksichtigen kann. Insofern Sie mich persönlich
-beleidigt haben, ist Ihnen, da Sie mich nicht kannten,
-völlig vergeben, und Ihre jetzige Beschämung und Verwirrung
-ist mehr als hinlängliche Strafe. Ein junger
-Mann verließ mich eben, von dem ich ein ziemlich wohlgerathenes
-Bild gekauft habe, und welchem ich auch einige
-Warnungen und gute Lehren für seine Zukunft mitgegeben
-habe. &mdash; Ich sehe, daß unser Zusammentreffen Sie
-etwas zu sehr erschüttert, und da Sie vielleicht auf jene
-Stelle schon mit zu großer Sicherheit gerechnet hatten,
-und wohl in augenblicklicher dringender Verlegenheit sind,
-so empfangen Sie diesen Ring zu meinem Andenken und
-zum Zeichen, daß ich ohne allen Groll von Ihnen
-scheide.
-</p>
-
-<p>
-Eduard, welcher indeß Zeit gehabt hatte, sich wieder
-zu sammeln, trat mit Bescheidenheit einen Schritt zurück,
-indem er sagte: rechnen Sie es mir, Durchlauchtiger
-Prinz, nicht als Stolz und Uebermuth an, wenn ich dieses
-Geschenk, welches mir unter andern Umständen höchst
-ehrenvoll seyn würde, in dieser Stunde ausschlage. Ich
-kann Ihre Art nicht mißbilligen, und Sie erlauben mir
-gewiß, ebenfalls meinem Gefühle zu folgen.
-</p>
-
-<p>
-Junger Mann, sagte der Prinz, ich will Sie nicht
-verletzen, und da Sie mir Achtung abzwingen, so muß
-ich Ihnen auch noch sagen, daß wir uns, ungeachtet der
-sonderbaren Art, unsre Bekanntschaft zu machen, vereinigt
-hätten, wenn nicht eine Person, die ich achten und
-der ich glauben muß, und welche Sie vorhin in diesem
-Saale traf, mir so viel Nachtheiliges von Ihnen gesagt,
-und mich dringend ersucht hätte, auf den Brief keine
-Rücksicht zu nehmen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a>
-Ich werde, sagte Eduard wieder ganz heiter, dem
-Beispiele dieser Dame nicht folgen, und sie wieder anklagen,
-noch mich über sie beklagen, da sie gewiß nur
-ihrer Ueberzeugung gemäß gesprochen hat. Wenn mir
-aber Ihre Durchlaucht die Gnade erzeigen wollen, das
-Bild des jungen Dietrich, so wie einige Ihrer andern
-Gemälde zu zeigen, so werde ich mit der größten Dankbarkeit
-von Ihnen scheiden.
-</p>
-
-<p>
-Es freut mich, antwortete der Prinz, wenn Sie Interesse
-an der Kunst nehmen; ich habe zwar nur Weniges
-hier, aber ein Bild, das ich vor einigen Tagen so glücklich
-war, zu dem meinigen zu machen, wiegt allein eine
-gewöhnliche Sammlung auf.
-</p>
-
-<p>
-Sie traten in ein reich verziertes Kabinet, wo an
-den Wänden und auf einigen Staffeleien ältere und neuere
-Bilder sich zeigten. Hier ist der Versuch des jungen
-Mannes, sagte der Prinz, welcher allerdings etwas verspricht,
-und ob ich gleich dem Gegenstande keinen Geschmack
-abgewinnen kann, so ist doch die Behandlung
-desselben zu loben. Die Färbung ist gut, wenn auch etwas
-grell, die Zeichnung ist sicher und der Ausdruck
-rührend. Nur sollte man die Marien mit dem Kinde
-endlich zu malen aufhören.
-</p>
-
-<p>
-Der Prinz zog einen Vorhang auf, stellte Eduard
-in das rechte Licht und rief: sehn Sie aber hier dies gelungene,
-herrliche Werk meines Lieblings, des <em>Julio
-Romano</em>, und erstaunen Sie, und entzücken Sie sich!
-</p>
-
-<p>
-Mit einem lauten Ausrufe, und mit einem höchst
-freudigen, ja lachenden Gesicht mußte Eduard in der That
-dieß große Bild begrüßen; denn es war das wohlbekannte
-Machwerk seines alten Freundes, an welchem dieser
-schon seit einem Jahre gearbeitet hatte. Es war
-<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a>
-Psyche und der schlafende Amor. Der Prinz stellte sich
-zu ihm und rief: daß ich diesen Fund gethan habe, bezahlt
-mir allein schon die Reise hieher! Und bei jenem
-alten, unscheinbaren Manne habe ich dieses Kleinod angetroffen!
-Ein Mann, welcher selbst als Künstler keine
-unbedeutende Rolle spielt, aber doch bei weitem nicht so
-erkannt wird, wie er sollte. Er besaß das Gemälde schon
-lange und wußte, daß es vom <em>Julio</em> sei; indessen da
-er nicht Alles gesehen hat, so waren ihm immer noch
-einige Zweifel geblieben, und er war erfreut, von mir so
-viele nähere Umstände von diesem Meister und seinen
-Werken zu erfahren. Denn freilich hat er Sinn, der Alte,
-und weiß wohl ein solches Juwel zu würdigen; aber er
-ist nicht in alle Trefflichkeiten des Malers eingedrungen.
-Ich würde mich geschämt haben, seine Unkenntniß zu benutzen,
-denn er foderte für diese herrliche Arbeit, zu der
-er auf sonderbare Weise gekommen ist, einen zu mäßigen
-Preis; ich habe diesen erhöht, um die Zierde meiner Gallerie
-auch auf eine würdige Art bezahlt zu haben.
-</p>
-
-<p>
-Er ist glücklich, sagte Eduard, der verkannte alte
-Mann, einen solchen Kenner und edlen Beschützer zum
-Freunde gewonnen zu haben; vielleicht ist er im Stande,
-die Gallerie Eurer Durchlaucht noch mit einigen Seltenheiten
-zu vermehren, denn er besitzt in seiner dunkeln
-Wohnung Manches, was er selbst nicht kennt oder würdigt,
-und ist eigensinnig genug, seine eignen Arbeiten oft
-allen ältern vorzuziehn.
-</p>
-
-<p>
-Eduard empfahl sich, ging aber nicht sogleich nach
-Hause, sondern eilte, so leicht bekleidet er auch war, nach
-dem Park, rannte lustig durch die abgelegenen, mit Schnee
-bedeckten Gänge, lachte laut und rief: o Welt! Welt!
-Lauter Fratzen und Albernheiten! O Thorheit, du buntes,
-<a id="page-70" class="pagenum" title="70"></a>
-wunderliches Kind, wie führst du deine Lieblinge so
-zierlich an deinem glänzenden Gängelbande! Lange lebe
-der große Eulenböck, er, der trefflicher, als Julio Romano
-oder Rafael ist! Habe ich doch nun auch einmal einen
-Kenner kennen gelernt.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Eduard hatte nun Anstalten zu dem lustigen Abend
-gemacht, welchen er mit Eulenböck verabredet hatte. Vor
-Kurzem war ihm dieser Tag als ein lästiger erschienen,
-den er nur bald hinter sich zu haben wünschte; jetzt aber
-war seine Stimmung so, daß er sich auf diese Stunden
-der Betäubung freute, weil er meinte, daß sie für lange
-Zeit seine letzten vergnügten seyn würden. Gegen Abend
-erschien der Alte, und schleppte mit einem Diener zwei
-Körbe mit Wein herbei. Was soll das? fragte Eduard:
-ist es denn nicht ausgemacht, daß ich Euch bewirthen
-soll? Das sollst Du auch, sagte der Alte, nur bringe
-ich einigen Vorrath zum Succurs, weil Du die Sache
-doch eigentlich nicht verstehst, und weil ich auch an diesem
-Abend recht ausgelassen seyn will.
-</p>
-
-<p>
-Ein trauriger Vorsatz, erwiederte Eduard, lustig seyn
-zu wollen, und dennoch habe ich ihn auch gefaßt, mir
-und meinem Schicksal zum Trotz.
-</p>
-
-<p>
-Sieh da, sagte Eulenböck lachend, hast Du auch ein
-Schicksal? Das hab&rsquo; ich gar nicht einmal gewußt, junger
-Bursche; mir schien das Wesen sich immer höchstens
-zum Verhängniß hin zu neigen. Aber vornehmer ist das
-andere ohne Zweifel, und vielleicht wird es noch zum
-Geschick, wenn Du erst etwas klüger geworden bist. Ja,
-ja, Freund, Geschick, das ist es, was den meisten Menschen
-fehlt, Verstand, Umstände zu nutzen, oder sie hervor
-<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a>
-zu bringen, und darüber gerathen sie in&rsquo;s Schicksal,
-oder gar in das noch fatalere Verhängniß, wo sich dann
-nicht immer eine christliche Hand findet, sie wieder los
-zu schneiden.
-</p>
-
-<p>
-Du bist unverschämt, rief Eduard aus, und glaubst
-witzig zu seyn; oder Du hast Dir gar schon einen Rausch
-getrunken.
-</p>
-
-<p>
-Kann seyn, mein Kind, schmunzelte jener, und wir
-wollen bald die Anstalten treffen, mich wieder nüchtern
-zu machen. Unser gutes Prinzchen hat mich in eine Art
-von Wohlstand versetzt, der, wenn ich Vernunft habe, ein
-dauernder seyn kann; denn er protegirt mich trefflich,
-wird mir noch mehr abkaufen, und auch Sachen von
-meinem eignen Pinsel malen lassen. Er meint, ich wäre
-hier in dieser Stadt nicht an meiner Stelle, man erkenne
-mich nicht genug an, und es mangle mir an Aufmunterung.
-Vielleicht nimmt er mich mit, und bildet mich
-noch zum ächten Künstler aus, denn er hat den besten
-Willen dazu, und ich gerade Sinn und Talent genug, um
-ihn zu verstehn und mir von ihm rathen zu lassen.
-</p>
-
-<p>
-Schelm der Du bist! sagte sein junger Freund: ich
-habe lachen müssen, daß Du Deinen Julio Romano so
-vortheilhaft verkauft hast; aber ich möchte denn doch nicht
-an Deiner Stelle seyn.
-</p>
-
-<p>
-Der Alte ging auf ihn zu, sah ihn starr an und
-sagte: Und warum nicht, Kleiner? Wenn Du nur die
-Gabe dazu hättest! Jeder Mensch malt und pinselt an sich
-herum, um sich für besser auszugeben, als er in der That
-ist, und für ein wunderbares köstliches Original zu gelten,
-da die meisten doch nur geschmierte Copieen von Copieen
-sind. Hättest Du meinen Gönner das Bild nur
-analysiren hören, da hättest Du etwas lernen können!
-<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a>
-Nun verstehe ich erst alle die Kunst-Absichten des Julio
-Romano; Du glaubst nicht, wie viel Treffliches ich an
-dem Bilde übersehen hatte, wie viele Stellen seines markigen
-Pinsels. Ja, es ist eine Freude, einen solchen
-Künstler so recht zu durchdringen, und wenn man ihn
-ganz und in allen seinen Theilen zugleich faßt, so überschleicht
-uns im vollständigen Gefühl seines hohen Werthes
-eine wohlthätige Empfindung, als hätten wir auch
-an seiner Herrlichkeit einigen Antheil; denn ein Kunstwerk
-ganz verstehen, heißt, es gewissermaßen erschaffen.
-Wie großen Dank bin ich meinem erlauchten Gönner und
-Kenner schuldig, daß er mir auch außer dem Gelde noch
-eine solche Fülle von Künstlerweihe zufließen läßt.
-</p>
-
-<p>
-Wenn ich ihn nicht an der Tafel hätte malen sehen,
-rief Eduard lächelnd aus, so könnte er mich glauben machen,
-das Bild sei ein ächtes!
-</p>
-
-<p>
-Was hast Du gesehen? antwortete im Eifer der
-Alte: was verstehst Du von der Magie der Kunst und
-jenen unsichtbaren Geistern, die sich durch die Farbe und
-Zeichnung herbei ziehn und verkörpern lassen? Das sind
-eben Geheimnisse für den Laien. Glaubst Du denn, man
-malt nur, um zu malen, und daß es mit Pallette, Pinsel
-und dem guten Vorsatze genug sei? O theurer Gelbschnabel,
-da müssen noch gar wunderbare Conjuncturen,
-astralische Einflüsse und Wohlwollen mannigfaltiger Geister
-zusammen treffen, um etwas Rechtschaffenes zu
-Stande zu bringen! Hast Du es noch niemals erlebt,
-daß ein feinsinniger, tiefdenkender Künstler sein Tuch und
-Netz ausspannt, und seine Pinsel in die besten Farben
-taucht, um das schönste Ideal in sein Netz zu locken und
-hinein zu kitzeln? Er hat sich redlich vorgenommen,
-einen Apollo zu malen, er streicht und tuscht, und wischt
-<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a>
-und bürstet, und lächelt verliebt und mit süßester Freundlichkeit
-die Creatur an, die aus dem Nichts und Nebel
-hervor gehen soll; und wenn es nun fertig ist, siehe da,
-so hat sich in alle die künstlichen Netze ein wahrer Lümmel
-eingefangen, der aus der arkadischen Landschaft uns
-zähnefletschend entgegen grinzt! Nun kommen die Unverständigen
-und schreien und toben: der Malerkerl hat
-kein Talent, er hat die Antike nicht gehörig verstanden,
-er hat statt eines Ideals ein Schmierial hervorgebracht!
-und was dergleichen unverdaute Urtheile mehr ausgestoßen
-werden. So wird alsdann das gerührte Herz des
-Künstlers verkannt, dem sich ein wahrer Teufel, eine
-Höllenbrut statt eines Himmelsengels in seiner künstlichen
-Krebsreuse gefangen hat. Denn auch diese Geister streifen
-herum, und lauern nur darauf, wo sie sich verkörpern
-können. Bildwerke, die etwa untergehn, treiben sich
-oft lange geängstigt im leeren Raume um, bis ein freundlicher
-und der Sache gewachsener Mann ihnen wieder
-Gelegenheit verschafft, sichtlich herab zu steigen. Es hat
-mich Mühe genug gekostet, dieses Gedichts des trefflichen
-römischen Malers wieder habhaft zu werden; es erfodert
-mehr Studium, als Du daran wandtest, wenn Du in
-der Jugend dem Nachbar seine Tauben wegfingst. Wenn
-Du der Meinung bist, daß der Mensch, um eine heilige
-Geschichte zu malen, nicht seine ganze Andacht dem Gegenstande
-entgegen bringen muß, so bist Du sehr im Irrthum,
-aus dem Dich unser junger Freund, der talentvolle
-Dietrich, am ersten reißen könnte.
-</p>
-
-<p>
-Dietrich, welcher eingetreten war und nur die letzte
-Aeußerung gehört hatte, nahm sogleich Gelegenheit, diesen
-letzten Satz weitläufiger auszuführen. Indessen ließ
-Eulenböck decken, und stellte die Weine in die Ordnung,
-<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a>
-nach welcher sie genossen werden sollten; nachher wandte
-er sich mit der Frage an Eduard: und was denkst Du
-nun in Zukunft anzufangen?
-</p>
-
-<p>
-Für&rsquo;s Erste nicht viel, antwortete dieser: indessen
-will ich meine vernachlässigten Studien wieder anknüpfen
-und fortsetzen, und mich vorzüglich mit Geschichte und
-den neuern Sprachen beschäftigen. Ich schränke mich ein,
-vermiethe die übrigen Theile meines Hauses, welches mir
-doch ohne Nutzen leer steht, und behalte nur diesen kleinen
-Saal und die angränzenden Zimmer. So hoffe ich,
-ohne Sorgen, bei einer vernünftigen Lebensart, über die
-ersten Jahre hinüber zu kommen, und mich indeß zu irgend
-einem Amte tauglich gemacht zu haben.
-</p>
-
-<p>
-Hier also wird Dein Museum seyn? sagte Eulenböck,
-indem er mit dem Kopfe schüttelte. Diese Einrichtung
-will mir gar nicht gefallen, denn ich glaube nicht, daß
-diese Wände dazu geeignet sind, um hier gehörig studiren
-zu lassen, denn sie haben nicht die gehörige Resonnanz,
-das Zimmer selbst hat nicht die wahre Quadratur,
-die Gedanken schlagen zu heftig zurück und verschwirren,
-und wenn Du einmal eine rechte Fuge denken willst, so
-klappert gewiß Alles durch einander. Dein seliger Papa
-war auch darin wunderlich, noch in seinen letzten Jahren
-diesen schönen Saal durch seinen Eigensinn so zu verderben.
-Sonst sah man die Straße auf der einen Seite,
-und hier auf der andern über den Garten und den Park
-hinweg in die Hügel und fernen Berge hinein. Diese
-schöne Aussicht hat er nicht nur zumauern lassen, sondern
-auch noch die Fensteröffnungen mit Bohlen und
-Täfelung weit herein verbaut, und so das Ebenmaaß des
-Zimmers gestört. An Deiner Stelle riss&rsquo; ich das Wesen,
-Tapeten und Vertäfelung wieder auf, und ließe, wenn
-<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a>
-doch einmal Fenster fehlen sollen, jene nach der Straße
-vermauern.
-</p>
-
-<p>
-Es war kein Eigensinn, sagte Eduard, es geschah, da
-er hier am liebsten wohnte, seiner Gesundheit wegen; der
-Morgenwind von hier schadete ihm, und erregte ihm Gichtschmerzen.
-Konnte er doch in den andern Zimmern die
-grüne Aussicht genießen.
-</p>
-
-<p>
-Wäre nur der alte Walther kein Narr, fuhr Eulenböck
-fort, so wäre Dir leicht geholfen. Er könnte Dir
-das Mädchen geben, die ja doch versorgt werden muß,
-und Alles wäre wieder in Ordnung!
-</p>
-
-<p>
-Schweig! rief Eduard mit der größten Heftigkeit
-aus: nur heute laß mich vergessen, was ich hoffte und
-träumte. Ich mag nicht mehr an sie denken, seit ich zu
-meinem Entsetzen fühlte, daß ich sie liebe. Ich will es
-mir nicht wiederholen, wie albern und thöricht ich mich
-gegen den Vater betrug; nichts soll mir heut einfallen,
-auch ihre unbegreifliche Aufführung nicht. Nein, es gab
-ein herrliches Glück für mich, ich habe es zu spät erkannt;
-das ist die Strafe meines Leichtsinns, daß ich auf
-ewig darauf verzichten muß! Wie ich aber ohne sie leben
-soll, muß ich erst von der Zukunft lernen.
-</p>
-
-<p>
-Indem trat der junge Mensch herein, der bis jetzt
-Eduards Bibliothekar vorgestellt hatte. Hier ist der Catalog,
-welchen Sie befohlen hatten, sagte er, indem er
-dem beschämten Jünglinge einige Blätter überreichte.
-Wie? rief dieser aus, nicht mehr als nur etwa sechshundert
-Bände sind noch von der schönen Sammlung übrig?
-Und unter diesen nur die gewöhnlichsten Werke? Der Bibliothekar
-zuckte mit den Achseln. Da Sie mir gleich
-vom Anbeginn, erwiederte er, meinen Gehalt in Büchern
-ausgezahlt haben, so mußte ich diejenigen nehmen, die
-<a id="page-76" class="pagenum" title="76"></a>
-am ersten Käufer fanden; auch bin ich nicht genug Kenner
-von Seltenheiten, und habe diese wohl nicht genug
-gewürdiget; außerdem haben Bücher, vorzüglich Raritäten,
-zu verschiedenen Zeiten einen ungleichen Werth, und
-ist der Verkäufer gedrängt, um eine Summe zu erhalten,
-so muß er fast nehmen, was ihm geboten wird.
-</p>
-
-<p>
-So hätt&rsquo; ich also, sagte Eduard halb in Wehmuth,
-halb mit Lachen, gewiß besser gethan, gar keinen Bibliothekar
-anzunehmen, oder die Sammlung gleich anfangs
-zu verkaufen, dann hätte ich Geld dafür gehabt, oder die
-Bücher behalten. Und welche Sammlung! Mit welcher
-Liebe hat sie mein Vater gehegt! Welche Freude war es
-ihm, als er den seltnen Petrark, die erste Ausgabe des
-Dante und Boccaz erhielt! Wie konnt&rsquo; ich es vergessen,
-daß sich in den meisten Büchern Nachweisungen von seiner
-Hand finden! Wie wollt&rsquo; ich diese Werke ehren, wenn
-ich sie noch besäße! Uebrigens, da ich keine Bibliothek
-mehr habe, werden Sie ermessen, wie ich Ihnen auch
-schon neulich meldete, daß ich keines Bibliothekars mehr
-bedarf. Indessen wollen wir heut noch mit einander
-fröhlich seyn.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt trat auch der Mann herein, der oft an den
-wilden Gelagen Theil genommen hatte, und den sie wegen
-seiner Gesinnungen immer nur den Pietisten nannten.
-Sie hatten ihm diesen Namen beigelegt, weil er nie
-in die heitern Scherze oder ausgelassene Fröhlichkeit der
-Andern stimmte, sondern unter Murren und moralischen
-Betrachtungen seinen Antheil am Mahle verzehrte. Nun
-fehlt nur noch das Krokodill, rief Eulenböck aus, so sind
-wir beisammen. Dies war ein kleiner hypochondrischer
-Buchhalter, blaß und eingeschrumpft, aber einer der größten
-Trinker. Den sonderbaren Namen hatten sie ihm
-<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a>
-beigelegt, weil er alsbald, so wie ihn der kleinste Rausch
-anwandelte, in Thränen ausbrach, und diese um so reichlicher
-vergoß, je länger das Gelag dauerte, und je ausgelassener
-die Uebrigen waren. Die Thüre öffnete sich,
-und die Jammergestalt machte den wunderlichen Kreis der
-Gäste vollständig.
-</p>
-
-<p>
-Die Tafel war mit Trüffelpasteten, Austern und andern
-Leckerbissen bedeckt; man setzte sich, und Eulenböck,
-dessen purpurrothes Gesicht zwischen den Kerzen einen
-ehrwürdigen Schein von sich gab, begann auf feierliche
-Weise also: Meine versammelten Freunde! Ein Unwissender,
-der plötzlich in diesen Saal träte, könnte von diesen
-Anstalten, die den Schein eines Festes haben, verleitet
-werden, im Fall er die Mitglieder dieser Gesellschaft
-nicht näher kennen sollte, die Meinung zu fassen, es sei
-hier auf Schwelgerei, Trinken, Tumult und ausgelassene
-Lustigkeit, die nur der rohen Menge ziemt, angelegt worden.
-Selbst ein junger Künstler, Dietrich mit Namen,
-der zum ersten Mal unter uns an diesem Tische sitzt, läßt
-verwundernde Blicke auf die Menge dieser Flaschen und
-Gerichte, auf diese Gansleberpastete, auf diese Austern
-und Muscheln, und auf den ganzen Apparat einer Feierlichkeit
-schießen, der ihm hier einen übertriebenen sinnlichen
-Genuß zu versprechen scheint, und auch er wird sich
-wundern, wenn er erfährt, wie alles dies so ganz anders
-und im entgegengesetzten Sinne gemeint sei. Meine Herren,
-ich bitte, Acht zu geben, und meine Worte nicht zu
-leicht in das Ohr fallen zu lassen. Wenn Länder die
-Geburt eines Prinzen feierlich begehn, wenn in Arabien
-ein ganzer Stamm sich festlich freut, indem sich ein Dichter
-in ihm gezeigt und hervor gethan hat, wenn die Installation
-des Lord-Mayor mit einem Schmause verherrlicht
-<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a>
-wird, ja wenn man die Geburtsstunde der Pferde
-von echter Race nicht unbillig auf nachdenkliche Weise
-auszeichnet: so liegt es uns ja wohl noch näher (um
-nicht mit einem Antiklimax zu schließen) aufzuschauen,
-gerührt zu seyn und etwa mit Gläsern anzustoßen, wenn
-das Unsterbliche sich uns zeigt, wenn die Tugend uns
-würdigt, körperlich vor uns zu erscheinen. Ja, meine
-Freunde, gerührten Herzens spreche ich es aus, ein junger
-angehender Tugendhafter ist unter uns, der noch heut
-Abend sich als eingepuppter Schmetterling durchbeißen,
-und seine Schwingen im neuen Leben entfalten wird. Es
-ist Niemand anders, als unser edler Wirth, der uns so
-manchen Schmaus gegönnt, so manches Glas eingeschenkt
-hat. Aber ein feuriger Vorsatz, abgerechnet, daß er selbst
-auf dem Trocknen sitzt, jener Impetus der Begeisterung,
-von dem schon die Alten sangen, reißt ihn nun von uns
-in lichte Höhen hinauf, und wir, von diesem Tisch und
-Flaschen und Schüsseln, seiner irdischen Grabesstätte,
-schauen ihm schwindelnd nach, staunend, welchen fremden
-Regionen er nun zusteuern wird. Ich sage Euch,
-Theuerste, er wälzt unendlich viele und treffliche Entschlüsse
-in seinem Busen: und was kann der Mensch,
-selbst der schwächste und unansehnlichste, nicht entschließen!
-Habt Ihr es wohl je schon erwogen (aber in Euerm
-Leichtsinn denkt Ihr nicht an dergleichen), daß in einer
-unscheinbaren Mappe, wenn sie nur etwa hundert gezeichnete
-Landschaften enthält, sich eine Strecke von tausend
-Meilen verbergen kann, und daß sie selbst doch nicht
-mehr Raum einnimmt, als ein mäßiger Foliant? Denn
-Perspektive liegt dort neben Perspektive, und Berg und
-Thal und Fluß und weite, unendliche Aussichten. So
-mit den Vorsätzen! so schwächlich unser Pietist, oder
-<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a>
-Herr Dietrich aussieht, so können sie doch gewiß an guten
-Entschlüssen mehr als zehn Elephanten, oder zwanzig
-Kameele tragen. Wie schwach ich selbst in dieser Tugend
-bin, weiß ich am besten, und daher meine Verehrung
-vor denen, an welchen ich diese Kräfte wahrnehme.
-</p>
-
-<p>
-Da wir nun nicht alle der Begeisterung fähig sind,
-so sitzen wir hier an diesem Tische, wie an einem Kreuzwege,
-an welchem sich viele Straßen in mannigfaltigen
-und entgegengesetzten Richtungen scheiden. Auf dergleichen
-Hauptstationen pflegen auf pyramidalischer Säule die
-Entfernungen der Städte nach allen vier Weltgegenden
-verzeichnet zu stehn. So mag es auch hier, in einem
-nicht unerfreulichen Bilde, gelten. Diese Austern führen,
-übermäßig genossen, zur Krankheit, dieser Burgunder
-nach einigen Stationen zu rothen Nasen, diese Trüffeln
-und was ihnen anhängt, zu Wassersucht, Magenkrampf
-und ähnlichen Uebeln. Unser Eduard aber, alles dies
-verschmähend, wandelt zur Tugend. So fahre denn wohl
-auf Deinem einsamen Pfade, und wir, die wir entzündete
-Gesichter, dicke Bäuche und kurzen Athem nicht so
-sehr scheuen, gehn unsre Straße fort. Aber auch ich
-werde Euch bald verlassen, Theuerste; ein edler Unbekannter,
-den ich Euch noch nicht nennen darf, wird mein
-Kunstgenie zu den höchsten Leistungen begeistern, er wird
-mich in fernen Regionen einer idealischen Weihe empfänglich
-machen, und so zu sagen, vergeistigen. Unser frommer,
-gemüthlicher Dietrich, den wir kaum kennen lernten,
-wandelt den Kunstdom entlang, und schmückt die
-vaterländischen Altäre. Was soll ich von Dir sagen,
-Bibliothekar, der Du vor den leeren Bücherschränken stehst,
-und die Werke nicht blos gelesen, sondern buchstäblich
-verschlungen hast? O Du verlesener Mensch, Du von der
-<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a>
-Secte des muselmännischen Omar, Kienraupe der Bibliotheken,
-Verwüster der Schriften, der Du eine neue alexandrinische
-Sammlung blos durch die treffliche neue Erfindung,
-Dein Salar nicht geistig, sondern wirklich aus den
-Schriften zu ziehn, vernichten könntest. Alle Buchhändler
-des römischen Reiches sollten Dich umher senden, um
-mit Deiner zerstörenden Kraft die Sammlungen zu zerstieben
-und neue Werke nothwendig zu machen. Du,
-mehr als Recensent und schlimmer als Saturnus, der
-doch nur verzehrte, was er selbst erzeugt: Wo sind sie,
-Deine Untergebenen, Deine Mündel, die mit goldnem
-Rücken und Schnitt Dich so freundlich anlachten? Versilbert
-hast Du sie alle, und schon nach wenigen Jahren
-Deine silberne Hochzeit mit ihnen gefeiert. Lebe denn
-wohl, auch Du, Pietist, redlichster unter den Sterblichen,
-Du Hasser aller Poesie und Lüge! Reich mir die Hand
-zum Abschied, armes Krokodill, das schon in Thränen
-schwimmt; im Sumpf einer Taverne mußt Du künftig
-heulen. In einem bessern Leben sehn wir uns alle wieder.
-</p>
-
-<p>
-Da Eduard nachdenkend war, und Dietrich in der
-Gesellschaft noch fremd, der Bibliothekar und Pietist keine
-Miene verzogen, so herrschte während und nach der Rede
-ein tiefes Stillschweigen, welches dadurch noch feierlicher
-wurde, daß der Buchhalter, der schon manches Glas geleert
-hatte, schluchzte und jammerte.
-</p>
-
-<p>
-Heut ist der Abend der heiligen Drei-Könige, sagte
-Eduard, und wie es noch in manchen Gegenden Sitte
-ist, sich an diesem Tage zu beschenken, so wünsche ich,
-daß meine bisherigen Genossen und Freunde auch diese
-Nacht in froher Geselligkeit mit mir verbringen.
-</p>
-
-<p>
-An diesem Abend, fuhr Eulenböck fort, ist es nicht
-unschicklich, einmal anders, als gewöhnlich zu leben;
-<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a>
-daher waren sonst Glücksspiele gebräuchlich, wenn sie auch
-übrigens verboten waren. Und wie gut wäre es für
-Dich, Freund Eduard, wenn heute auch Dein Glücksstern
-von Neuem erwachte, daß dem verarmten Verschwender
-ein neues Vermögen bescheert würde. Man hat wunderliche
-Erzählungen, wie verzweifelte Jünglinge sich in der
-Armuth haben in ihrem väterlichen Hause erhängen wollen,
-und siehe da, der Nagel fällt mit dem Balken der
-Decke herab, und mit beidem zugleich viele tausend Goldstücke,
-die der vorsorgende Vater dorthin versteckt hatte.
-Beim Lichte besehen, eine dumme Geschichte. Konnte der
-Vater denn wissen, daß der Sohn für das Hängen eine
-besondere Vorliebe haben würde? Konnte er wohl berechnen,
-daß der Körper des Desperaten noch schwer genug
-bleibe, den verborgenen Schatz durch sein Gewicht
-aufzudecken und herab zu ziehn? Konnte der verlorene
-Sohn nicht schon früher einen Kronenleuchter dort anbringen
-wollen, und das Geld finden? Kurz, tausend
-gegründete Einwürfe kann die vernünftige Kritik diesem
-schlecht erfundenen Mährchen machen.
-</p>
-
-<p>
-Ohne daß Du immer wieder auf diesen Vorwurf
-zurück kommst, sagte Eduard empfindlich, schilt mein eignes
-Gewissen, meinen Leichtsinn und thörichte Verschwendung.
-Wären die Leidenschaften nicht unbändig, die ihren
-Stolz darein setzen, die Vernunft zu verhöhnen, so
-hätten die Moralprediger nur leichte Arbeit. Es ist ganz
-begreiflich, wenn die armen Menschen glauben, von bösen
-Geistern besessen zu seyn. Denn wie soll man es erklären,
-daß man dem Schlimmen folgt, indem man das
-Bessere einsieht, ja daß wir oft zum Letztern selbst in unsern
-wildesten Stunden mehr Trieb, als zum Unrecht
-empfinden, und dennoch, uns selbst zum Trotz, jeder Einsicht
-<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a>
-den Rücken kehren, und schon vor der begangenen
-That von unserm Gewissen gequält werden? Es muß
-eine tiefgewurzelte Verderbniß in der menschlichen Natur
-seyn, die sich auch nie ganz zum Edeln erziehn, oder durch
-Pfropfreiser der Tugend umwandeln läßt.
-</p>
-
-<p>
-So ist es, sagte der Pietist: der Mensch an sich
-taugt nichts, er ist gleich in der Schöpfung mißrathen.
-Er kann nur geflickt werden, und die Lappen bleiben immer
-auf dem alten schäbigen Tuche sichtbar.
-</p>
-
-<p>
-Ja wohl, seufzte das Krokodill, es ist zu bejammern,
-und immer wieder zu bejammern. Die Thränen
-flossen ihm dicht aus den weinglühenden Augen.
-</p>
-
-<p>
-Als Du mich zum ersten Mal in jene Weinschenke
-führtest, fuhr Eduard zum alten Maler gewendet fort,
-machte es mir denn Freude, mich in dem Kreise dieser
-rohen und langweiligen Menschen zu sehn? Ich war beschämt,
-als der Herr der Schenke mir mit einer Ehrfurcht
-entgegen kam, als sei ich einer der Götter, vom
-Olymp herabgestiegen. Dergleichen Ehre war seinem
-Hause noch niemals widerfahren. Bald gewöhnte man
-sich an die Gegenwart meiner Herrlichkeit, und immer
-zog es mich wider meinen Willen in den Weinduft des
-Zimmers, in das schreiende Gespräch und an meine Wand
-hin, wie ein Zauber, der auch nicht riß, als die Gesichter
-des Wirthes und seiner Leute kälter, ja verdrossen
-wurden, als man mein Wort nicht mehr beachtete, und
-geringere Gäste anständiger behandelte; denn durch meine
-Nachlässigkeit war ich schon in eine bedeutende Schuld
-gerathen, um welche man mich mit grober Zudringlichkeit
-mahnte. Noch schlimmer ging es einem armen Lumpen,
-einem täglichen Gast, auf den man fast nie hörte, der
-oft verdorbenen Essig erhielt, und sich doch nicht beschweren
-<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a>
-durfte; er war die Zielscheibe des witzigen Gesindes,
-der Gegenstand des Hohns und Mitleids der übrigen
-Fremden, so wie seiner eignen furchtsamen Verachtung.
-Und so schlecht man ihn behandelte, mußte er doch
-theurer als Alle bezahlen, und ward betrogen, ohne klagen
-zu dürfen, indeß sein Gewerbe versäumt ward, und
-Frau und Kinder zu Hause schmachteten. In diesem Spiegel
-sah ich nun mein eignes Elend, und als einmal ein
-redlicher Handwerker von unbescholtenem Wandel dort zufällig
-einkehrte, und von Allen als eine seltene Erscheinung
-mit Hochachtung begrüßt wurde, erwachte ich endlich
-aus dem Schlummer meiner Ohnmacht, bezahlte,
-was nur meine Trägheit versäumt hatte, und suchte auch
-jenen Elenden zu retten, daß er nicht ganz versank. Aber
-so ist es, daß selbst diejenigen, die sich vom Leichtsinnigen
-und Taugenichts bereichern, diesen verachten, und
-dem Würdigen, der ihnen aus dem Wege geht, ihre Ehrfurcht
-nicht versagen können. So habe ich meine Zeit
-und mein Vermögen unwürdig verschleudert, um Verachtung
-einzukaufen.
-</p>
-
-<p>
-Sei still, Sohn, rief Eulenböck, Du hast auch mancher
-armen Familie Gutes gethan.
-</p>
-
-<p>
-Laß uns davon schweigen, antwortete Eduard in
-Unmuth: auch das geschah ohne Sinn, so wie ich ohne
-Sinn Aufwand machte, ohne Sinn reisete, spielte und
-Wein trank, und weder mir noch Andern eine gute
-Stunde zuzubereiten verstand.
-</p>
-
-<p>
-Das ist freilich schlimm, sagte der Alte, und was
-den lieblichen Wein betrifft, eine Sünde. Aber seid munter
-und trinkt, ihr wackern Gehülfen, damit auch der
-Wirth in die Stimmung komme, die ihm geziemt.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a>
-Es bedurfte aber dieser Aufmunterung nicht, denn
-die Tischgesellschaft war unermüdet. Selbst der junge
-Dietrich trank fleißig, und Eulenböck ordnete an, wie die
-Weine auf einander folgen sollten. Heute gilt es! rief
-er aus, die Schlacht muß gewonnen werden, und der Sieger
-erzeigt den Besiegten keine Gnade. Seht in mein
-kriegerisches Antlitz, Ihr jüngern Helden, hier hab&rsquo; ich
-die rothe Blutfahne dräuend ausgehängt, zum Zeichen,
-daß kein Erbarmen statt finden soll! Nichts in der Welt
-wird so mißverstanden, Freunde, als der scheinbar einfache
-Actus, den die Menschen so obenhin trinken nennen,
-und <a id="corr-5"></a>keine Gabe wird so verkannt, so wenig gewürdiget,
-als der Wein. Könnt&rsquo; ich wünschen, der Welt einmal
-nützlich zu werden, so möcht&rsquo; ich eine aufgeklärte Regierung
-dahin bewegen, einen eignen Lehrstuhl zu errichten,
-von wo herab ich die unwissende Menschheit über die
-trefflichen Eigenschaften des Weines unterrichtete. Wer
-trinkt nicht gern? Es giebt nur wenige Unglückselige,
-die das mit Wahrheit von sich versichern können. Aber
-es ist ein Erbarmen, anzusehn, wie sie trinken, ohne alle
-Application, ohne Styl, Schatten und Licht, so daß sich
-kaum die Spur einer Schule findet; höchstens Colorit,
-was die Uebermüthigen dann auch gleich sich und der Welt
-auf die Nase binden und zur Schau aushängen.
-</p>
-
-<p>
-Und wie muß man es eigentlich anfangen? fragte
-Dietrich.
-</p>
-
-<p>
-Anfangs, erwiederte der Alte, muß man durch stille
-Demuth und einfachen Glauben, wie in allen Künsten, den
-Grund legen. Nur ja keine vorzeitige Kritik, kein spürendes,
-naseweises Schnüffeln, sondern ein edles, vertrauenvolles
-Dahingeben. Kommt der Schüler weiter, nun so
-mag er auch unterscheiden; und trifft der Wein nur Lehrbegier
-<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a>
-und Sitteneinfalt, so unterrichtet auch sein Geist
-von innen heraus, und weckt mit dem Enthusiasmus zugleich
-das Verständniß. Nur nicht die Uebung, als das
-Hauptsächlichste, hintangesetzt, keine leere Schwärmerei;
-denn nur die That macht den Meister.
-</p>
-
-<p>
-O wie wahr! seufzte der Buchhalter, indem er seinen
-Thränen keinen Einhalt that. Worte, sagte der Pietist,
-die der gemeine Haufe goldne nennen würde.
-</p>
-
-<p>
-Wäre das Trinken, fuhr Eulenböck fort, keine Kunst
-und Wissenschaft, so dürfte es auch nur einerlei Getränk
-auf Erden geben, so wie das unschuldige Wasser schon
-diese Rolle spielt. Aber der Geist der Natur versenkt sich
-auf lieblich anmuthige Weise wechselnd und spielend hier
-und dort in die Rebe, und läßt sich im wundersamen
-Ringen keltern und verklären, um über den magischen
-Weg der Zunge in unser Inneres zu steigen, und dort
-aus altem Chaos alle glänzende Kräfte aus Betäubung
-und Schlummer aufzuwecken. Seht, da geht der Säufer!
-O meine Freunde, so schalten und spotteten auch
-diejenigen, die die Eleusinische Weihe nicht empfangen
-hatten. Mit dieser goldnen und purpurnen Fluth ergießt
-sich und breitet sich in uns ein Meer von Wohllaut aus,
-und dem aufgehenden Morgenroth erklingt das alte Memnons-Bild,
-das bis dahin stumm in dunkler Nacht gestanden
-hatte. Durch Blut und Gehirn rinnt und eilt
-frohlockend der holde Ruf: der Frühling ist da! Da fühlen
-alle die Geisterchen die süßen Wogen, und kriechen
-mit lachenden Augen aus ihren finstern Winkeln hervor;
-sie dehnen die feinen kristallnen Gliederchen, und stürzen
-sich zum Bade in die Weinfluth, und plätschern und ringen,
-und steigen schwebend wieder heraus, und schütteln
-die bunten Geisterschwingen, daß mit Gesäusel die klaren
-<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a>
-Tropfen von den Federchen fallen. Sie rennen umher und
-begegnen einander, und küssen frohes Leben einer von des
-andern Lippe. Immer dichter, immer leuchtender wird
-die Schaar, immer wohllautender ihr Gestammel: da führen
-sie gekränzt und hoch triumphirend den Genius herbei,
-der kaum mit den dunkeln Augen aus vollen Blumengewinden
-hervor schauen kann. Nun fühlt der Mensch
-die Unendlichkeit, die Unsterblichkeit; er sieht und fühlt
-die Millionen von Geistern in sich, und ergötzt sich an
-ihren Spielen. Was soll man dann von den gemeinen
-Seelen sagen, die einem nachrufen: seht! der Kerl ist besoffen.
-Was meinst Du, redliches Krokodill?
-</p>
-
-<p>
-Der blasse Weinende reichte ihm die Hand und sagte:
-ach! Lieber, die Leute haben Recht, und Ihr habt Recht,
-und die ganze Welt hat Recht. Was Ihr so prophetisch
-daher gekugelt habt, geht über mein Verständniß, aber
-ich bin selig in meiner tiefen Rührung. Wenn Leute in
-die Komödie gehn, um für ihr Geld zu weinen, so kommt
-mir das ganz abgeschmackt vor; mag es Andern vergönnt
-seyn, sich an hohen Gesinnungen und Thaten zu erheben
-und darüber Thränen zu vergießen, aber ich verstehe
-es nicht; doch, wenn solch guter Wein in mich hinein
-geht, so wirkt er wundersam, daß mir dann Alles, Alles,
-mag man sprechen was man will, mag man schweigen
-oder lachen, in der schönsten Rührung aufgeht. Seht,
-mein Herz möchte vor Wonne brechen, ich könnte Alles,
-und wär&rsquo; es Euer lahmer Pudel, in die Arme schließen.
-Aber meine Augen leiden darunter, und der Doctor hat
-mir deshalb das Trinken ganz verbieten wollen. Aber dieser
-Gedanke ist mir eben die rührendste von allen Vorstellungen,
-darüber könnte ich Tage lang weinen, und deshalb hat er
-auch diese Verordnung wieder zurück nehmen müssen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-87" class="pagenum" title="87"></a>
-Je mehr ich trinke, sagte der Pietist, je mehr hasse
-ich das, was Ihr, Eulenböck, da schwadronirt habt,
-je unvernünftiger kommt es mir vor. Lug und Trug!
-Es ist beinah eben so dumm, als beim Trinken die Lieder
-zu singen, die dazu gemacht sind. Jedes Wort darin
-ist gelogen. Wenn der Mensch nur einen Gegenstand mit
-dem andern vergleicht, so lügt er schon. &bdquo;Das Morgenroth
-streut Rosen.&ldquo; Giebt es etwas Dümmeres? &bdquo;Die
-Sonne taucht sich in das Meer.&ldquo; Fratzen! &bdquo;Der Wein
-glüht purpurn.&ldquo; Narrenspossen! &bdquo;Der Morgen erwacht.&ldquo;
-Es giebt keinen Morgen; wie kann er schlafen?
-Es ist ja nichts, als die Stunde, wenn die Sonne aufgeht.
-Verflucht! Die Sonne geht ja nicht auf; auch das
-ist ja schon Unsinn und Poesie. O dürft&rsquo; ich nur einmal
-über die Sprache her, und sie so recht säubern und ausfegen!
-O verdammt! Ausfegen! Man kann in dieser
-lügenden Welt es nicht lassen, Unsinn zu sprechen!
-</p>
-
-<p>
-Laßt&rsquo;s Euch nicht irren, ehrlicher Mann, sagte Eulenböck,
-Eure Tugend meint es gut, und wenn Ihr die
-Sache anders anseht, als ich, so trinkt Ihr wenigstens
-denselben Wein, und fast eben so viel, als ich selber.
-Die That vereinigt uns, wenn uns das System aus einander
-führt. Wer versteht sich heut zu Tage? Davon
-ist auch gar nicht die Rede mehr. Ich wollte nur noch
-bemerken, wenn es auch mit dem Vorigen gar nicht zusammen
-hängt, daß mir die Art, wie Menschen und
-Aerzte den Nahrungsprozeß und die sogenannte Assimilation
-ansehen, höchst einfältig vorkommt. Der Eichenbaum
-wird aus seinem Saamenkorne eine Eiche, und die
-Feige bringt den Feigenbaum hervor, und wenn sie auch
-Luft, Wasser und Erde bedürfen, so sind es doch diese
-Elemente nicht eigentlich, aus denen sie erwachsen. So
-<a id="page-88" class="pagenum" title="88"></a>
-erweckt die Nahrung in uns nur die Kräfte und den
-Wachsthum, bringt sie aber nicht hervor; sie giebt die
-Möglichkeit, aber nicht die Sache, und aus sich selbst
-quillt der Mensch wie eine Pflanze hervor. Es ist eine
-platte Ansicht, zu glauben, daß der Wein unmittelbar,
-an sich selbst, alle die Wirkungen hervor bringt, die wir
-ihm zuschreiben; nein, wie ich sagte, sein Duft und Hauch
-<em>erweckt</em> nur die Qualitäten, die in uns ruhn. Nun
-stürzen sich die Kräfte, Gefühle und Entzückungen hervor,
-wenn sie von diesen Wellen getränkt werden. Meint
-man denn, daß es in aller Kunst und Wissenschaft anders
-sei? Ich brauche doch wohl die alte Platonische
-Idee nicht von Neuem vorzutragen. Rafael und Correggio
-und Titian regen nur mein eignes Selbst an, das in
-Vergessenheit schlummert, und das größte Genie, der tiefste
-Kunstsinn können sich die Gebilde mit aller Imagination
-nicht erfinden, die ihnen von den großen Meistern vorgehalten
-werden; und doch wecken diese Werke selbst nur
-die alten Erinnerungen auf. Daher auch die Sucht
-nach neuen geistigen Genüssen, die sonst nicht löblich seyn
-würden; daher der Wunsch, Unbekanntes aufzufinden,
-Originelles hervor zu bringen, der außerdem nur Unsinn
-wäre. Denn wir ahnen die Unendlichkeit der Erkenntniß
-in uns, diesen weissagenden Spiegel der Ewigkeit, und
-was diese uns werden kann, ein unaufhörlich neues Erkennen,
-das sich im Mittelpunkt einer himmlischen Ruhe
-sammelt, und von hier aus weiter nach neuen Regionen
-ausbreitet. Und darum eben, meine lieben Saufbrüder,
-muß es auch viele und mancherlei Weine geben.
-</p>
-
-<p>
-Und welchen ziehen Sie vor? fragte Dietrich. Giebt
-es hier nicht auch das Classische und Vollendete, das
-Moderne und Triviale, das Manierirte und Gesuchte, das
-<a id="page-89" class="pagenum" title="89"></a>
-Lieblich-Alte und Fromm-Schlichte, das Gemüthliche
-und leer Renommirende?
-</p>
-
-<p>
-Jüngling, sagte der Alte, diese Frage ist zu verwickelt,
-setzt unendliche Erfahrung, historischen Ueberblick,
-abgelegtes Vorurtheil, und einen nach allen Richtungen
-ausgebildeten Geschmack voraus, den nur viele Jahre, fortgesetzte
-Arbeit und unermüdliches Studium, so wie die
-Mittel dazu, die nicht in Jedermanns Händen sind, fassen
-und lösen können. Einiges Encyklopädische wird Dir
-hinreichen. Fast jeder Wein hat sein Gutes, fast alle
-verdienen gekannt zu werden. Ist in unserm Vaterlande
-der Neckar fast nur, den Durst zu löschen, da, so erhebt
-sich der Würzburger schon zum Edeln, und die vielfachen
-hohen Sorten des Rheinweins lassen sich nicht in der Eile
-charakterisiren. Ihr habt sie hier vor Euch stehn gehabt
-und genossen. Diese trefflichen Wogen, vom leichten Laubenheimer
-bis zum starken Nierensteiner, gewaltigen Rüdesheimer
-und tiefsinnigen Hochheimer, mit allen ihren
-verwandten Fluthen gehörig zu preisen, dazu gehört mehr
-als die Zunge eines Redi, der in seinem toskanischen Dithyrambus
-doch nur mittelmäßig gefaselt hat. Diese
-Geister gehn rein und klar, kühlend und den Sinn erläuternd
-den Gaumen hinunter. Soll ich es vergleichen, so
-ist es die ruhige Gediegenheit trefflicher Schriftsteller, Gemüth
-und Fülle ohne Phantasterei oder schwärmerische
-Allegorie. Was ist nun der heißere Burgunder demjenigen,
-der ihn vertragen kann! Wie die unmittelbare Begeisterung
-fällt er in uns hinab, schwer, blutig, heftig
-erweckt er unsre Geister. Die Rebe von Bourdeaux dagegen
-ist heiter, geschwätzig, ermuntert, aber begeistert
-nicht. Doch schon voller und wunderlicher dichtet die
-Provence und das poetische Languedoc. Dann das heiße
-<a id="page-90" class="pagenum" title="90"></a>
-Spanien im Xerez und ächten Malaga, und den glühenden
-Weinen von Valencia. Hier verwandelt sich der
-Weinstrom, indem wir ihn genießen, schon an unserm
-Gaumen in Kugelgestalt, die sich weit und weiter ausbreitet,
-und uns im Tokayer und St. Georgen-Ausbruch
-noch weit inniger und sinniger so erscheint. Wie erfüllt
-Mund und Gaumen und den ganzen Sinn des Gefälls
-nur ein Tropfen des edelsten Cap-Weins. Diese Weine
-muß der Kenner nippen und züngeln, und nicht mehr
-trinken wie unsern braven Rhein. Was sag&rsquo; ich von euch,
-ihr lieblichsten Gewächse Italiens, und namentlich Toskana&rsquo;s,
-du geistreichster Monte-Fiascone, du wahrhaft
-rührender Monte-Pulciano? Nun so kostet denn, Freunde,
-und versteht mich! Aber nicht konnt&rsquo; ich dich aufsetzen,
-dich König aller Weine, dich rosenröthlicher Aleatico,
-Blume und Ausbund alles Weingeistes, Milch und Wein,
-Blume und Süße, Feuer und Milde zugleich! Diesen
-Wundergesellen trinkt, kostet, nippt und züngelt man
-nicht; sondern dem Beseligten erschließt sich ein neues Organ,
-das sich dem Unkundigen und Nüchternen nicht beschreiben
-läßt. &mdash; Hier brach er gerührt ab, und trocknete
-die Augen.
-</p>
-
-<p>
-So hatte meine Ahnung ja doch Recht, rief Dietrich
-begeistert aus: dieser ist denn im Weinreich, was der
-alte Eyck oder Hemling, vielleicht auch der Bruder Johann
-von Fiesole unter den Malern sind. So schmeckt
-ja auch diese lieblich rührende und tiefe Farbe, die ohne
-Schatten doch so wahr, ohne Weiße so blendend und
-überzeugend ist. So sättigt und berauscht der Purpur
-des Gewandes, und so mildert und sänftigt das Feuer
-das milde Blau, das schwärmende Violett. Alles ist Eins,
-und klingt in unserm <a id="corr-6"></a>Geiste zusammen!
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-91" class="pagenum" title="91"></a>
-Ausgenommen Eulenböcks Nase, rief der ganz trunkene
-Bibliothekar aus: die hat keinen Scharlach mehr,
-keine Uebergänge in den Tönen, um sie mit dem Gesicht
-in Verbindung zu setzen, sondern jenes violette Dunkelroth
-bratet in ihrer Zauberküche, wie unterirdisch in den Reichen
-der feuchten Nacht die rothe Rübe gerinnt, aller
-Sonne abgewandt. Soll dies Gewächs wohl dem Leben
-angehören? Soll der Weingott es so aufgefüttert haben?
-Nimmermehr! Es ist ein ungeschlachtes Gehäuse, ein
-widerwärtiges Etui für Bosheit und Lüge.
-</p>
-
-<p>
-Leerer Schwulst, rief der Buchhalter, morscher Glanz,
-hinfällige Sterblichkeit! Und krumm, baufällig steht sie
-auch noch in dem unterminirten Gesicht, so daß sie mit
-ihrer Wucht bald den ganzen Mann in Trümmer drücken
-kann. Kerl! wo hast Du die unverschämt schiefe
-Nase her?
-</p>
-
-<p>
-Ruhig, Krokodill! schrie Eulenböck, indem er heftig
-auf den Tisch schlug: will das Geziefer die Welt reformiren?
-Jede Nase hat ihre Geschichte, ihr Naseweise.
-Meint das dumme Volk denn, daß nicht auch das Kleinste
-sich als Ring an die Nothwendigkeit ewiger Gesetze fügt?
-Meine Nase, wie sie da ist, habe ich meinem Barbier
-zu verdanken.
-</p>
-
-<p>
-Erzähle, Alter! riefen die jungen Leute.
-</p>
-
-<p>
-Geduld! sprach der Maler. Die Physiognomik wird
-immer eine trügliche Wissenschaft bleiben, eben weil sie
-auf Barbiere, Weinschenken und sonstige historische Umstände
-zu wenig Rücksicht nimmt. Freilich ist das Gesicht
-der Ausdruck des Geistes; aber es leidet unter der
-Art, wie man damit handthiert, auffallend. Die Stirn
-hat es ihrer Festigkeit nach am besten, wenn sich der
-Mensch nicht gewöhnt, alle kleine Leidenschaften, Verdruß
-<a id="page-92" class="pagenum" title="92"></a>
-und Mißbehagen durch Faltenziehen darauf zu malen.
-Seht, wie edel ist die unsers Eduard, und wie viel schöner
-würde sie noch seyn, wenn der junge Bursche mehr
-gedacht und sich beschäftigt hätte! Die Augen, ihrer Beweglichkeit
-nach, hin und her rennend, conserviren sich in
-ihrem Spiel auch noch leidlich, man müßte sie denn ausweinen,
-wie unser krokodilischer Freund dort. Schlimmer
-ist es schon mit dem Munde; der schleift sich bald durch
-Schwatzen und fades Lächeln ab, wie bei unserm werthen
-Bibliothekar; wischt Einer nun gar nach Essen und Trinken
-übermäßig daran, so wird er bald unkenntlich, besonders,
-wenn man aus falscher Schaam etwa die Lippen
-immer nach innen kneipt, wie unser trefflicher Pietist, der
-die Röthe derselben wohl für Lüge und unnützen Schwulst,
-erklärt. Aber die Nase, die arme, die von allen Theilen
-am meisten sich hervor arbeitet, uns Unglückliche von allen
-Thieren unterscheidet, bei denen Maul und Schnauze
-so freundlich eins werden, und die beim Menschen als
-Höcker und Blocksberg der Tummelplatz aller Hexen und
-bösen Geister wird: wird sie nicht schon der kalten Luft
-und des Schnupfens wegen bei den meisten Menschen zum
-Sausewind und zur klingenden Trompete und Schlachtposaune
-ausgereckt, gezogen, gedehnt und gehudelt? Wird
-ihre Nachgiebigkeit, ihre Entwickelungs-Fähigkeit nicht
-gemißbraucht, um fast Elephantenrüssel und Truthahnsschnäbel
-heraus zu arbeiten? Frommere Seelen drücken
-sie wieder nieder und plätschen den Hochmuth in jammervolle
-Unformen zusammen. Alles dieses sah ich früh,
-schonte meine Nase, und konnte meinem Schicksal doch
-nicht entgehn. Ich bin mit meinem Barbier, einem meiner
-innigsten Freunde, aufgewachsen und alt geworden.
-Dieser Künstler, indem er sich von einer Seite meines
-<a id="page-93" class="pagenum" title="93"></a>
-Antlitzes zur andern wandte, pflegte bei diesem Wechsel,
-um einen Stützpunkt zu haben, mir die Schneide des
-Messers unten an die Kehle zu setzen, und darauf drückend
-und sich lehnend schnell die andre Seite zu gewinnen.
-Dies schien mir bedenklich. Er durfte ausgleiten, sich stoßen,
-so schnitt er höchst wahrscheinlich mit dem Gestützten
-in das Stützende, und mein Angesicht lag unrasirt zu
-seinen Füßen. Dem mußte abgeholfen werden. Er dachte
-nach, und als wahres Genie war es ihm nicht so gar schwer,
-sein System und seine Manier zu ändern. Er packte nämlich
-mit seinen Fingern meine Nase, was ihm den Vortheil
-gewährte, sich stützen und viel länger auf sie lehnen
-zu können, und zog sie gewaltsam in die Höhe, vorzüglich,
-indem er die Oberlippe barbirte, und so beschauten
-wir uns Auge in Auge, ein Herz dem andern nahe, und
-das Scheermesser arbeitete in besonnener und sicherer Thätigkeit.
-Es traf sich aber, daß mein Freund von je her
-eins der auffallendsten Gesichter an sich trug, die der gemeine
-Haufe abscheulich, verzerrt und garstig zu nennen
-pflegt; dabei hatte er die Gewohnheit, zu grimmassiren,
-und liebäugelte mir so herzlich entgegen, daß ich es in
-jeder Sitzung ihm erwiedern, und in dieser Nähe auch seine
-übrigen Fratzen unwillkührlich nachahmen mußte. Riß er
-die Nase unbillig hinauf, so zerrte er dafür, um mit seiner
-Kunst in die Mundwinkel zu gelangen, die Lippen und
-den Mund zu gewaltsam in die Breite. Hatte er auf diese
-mechanische Weise in meinem Antlitz ein scheinbares Lächeln
-erzwungen, so kam mir sein Lachen so liebreich, freundlich,
-herzinnig und rührend entgegen, daß mir oft aus schmerzlicher
-Theilnahme, und um nur ein boshaftes Lachen zu
-verbeißen, die Thränen in die Augen traten. Mensch!
-barbirender Freund! rief ich aus: stelle Dein menschenfreundliches
-<a id="page-94" class="pagenum" title="94"></a>
-Anlachen ein, ich lächle ja gar nicht, Du ziehst
-mir ja nur die Mundwinkel wie einen Schwamm aus einander.
-Thut nichts, antwortete die redliche Seele, Dein
-Liebreiz in diesem Lächeln zwingt mich zur Erwiederung.
-Seht, so grinsten wir uns denn wie die Affen minutenlang
-an. Ich bemerkte nach zwölf Wochen etwa eine auffallende
-Veränderung in meiner Physiognomie. Die Nase stieg und
-bäumte sich so auffallend nach oben, als wenn sie den
-Augen und der Stirn den Krieg ankündigen wollte, die
-wirklich häßlichen Verzerrungen der Wangen und Lippen
-ungerechnet, die ich aber schon nicht mehr lassen konnte,
-weil ich sie wie ein Andenken von meinem Freunde empfangen
-hatte. Ich drückte die aufstrebende Nase wieder nieder
-und trug dem Edeln meine Wünsche noch einmal vor. Nun
-schien aber guter Rath theuer, und eine Auskunft kaum
-möglich. Doch entschloß er sich, ein zweiter Rafael, eine
-dritte, untadelige Manier anzunehmen, und nach einigen
-Kämpfen gelang es ihm, indem er vorher bedächtig auskundschaftete,
-nach welcher Seite es am vortheilhaftesten sei,
-mir die Nase beim Auflehnen hin zu drehen: und dabei
-sind wir denn auch stehen geblieben, und diese Nothwendigkeit
-hat sie mir gebogen; das wahre Gesicht, nach dem ich
-mich instinktartig bilden mußte, hat mir diese Falten eingegraben,
-und tiefes Forschen und Denken, flammende Begeisterung
-und glühende Liebe zum Guten und Besten haben
-endlich diesen rothen Teppich über das Ganze gewoben.
-</p>
-
-<p>
-Lautes Lachen hatte diese Erzählung begleitet; jetzt
-forderte der Bibliothekar ungestüm Champagner, und der
-Buchhalter schrie nach Punsch. Eulenböck aber rief: o ihr
-gemeinen Seelen! Nach dieser Himmelsleiter, die ich Euch
-habe hinauf klettern lassen, um in das Paradies zu schauen,
-kann auch ein so unedler, manierirter, moderner und witzloser
-<a id="page-95" class="pagenum" title="95"></a>
-Geist, wie dieser sogenannte Punsch, auch nur in den fernsten
-Winkel Eures Gedächtnisses kommen? Dies elende Gebräu
-aus heißem Wasser, schlechtem Branntwein und Zitronensäure?
-Und was soll dieses diplomatische, nüchterne Getränk,
-der Champagner, in unserm Kreise? Der nicht Herz
-und Geist aufschließt, und nach dem halben Rausche höchstens
-dazu dienen kann, wieder nüchtern zu machen? O
-Ihr Profanen!
-</p>
-
-<p>
-Er schlug auf den Tisch; aber die Uebrigen, Eduard
-ausgenommen, erwiederten diese Geberde so heftig, daß von
-der Erschütterung die Flaschen tanzten, und mehrere Gläser
-zerschmetternd auf den Boden stürzten. Hierüber ward Gelächter
-und Tumult noch lauter, man sprang auf, andere
-Gläser zu holen, und Dietrich rief: es ist so kalt, eiskalt
-hier geworden, und dagegen würde der Punsch helfen.
-</p>
-
-<p>
-Es war tief in der Nacht, die Diener hatten sich entfernt,
-man wußte nicht, wie man den Ofen wieder heizen
-sollte; auch gestand Eduard, daß sein Holzvorrath völlig zu
-Ende sei, und er morgen mit der Frühe erst neuen wieder herbei
-fahren lasse. Was meint Ihr? rief der ganz berauschte
-Dietrich, unser Wirth hat doch beschlossen, dies Zimmer auf
-neue Art einzurichten: wenn wir diese unnütze Vertäfelung,
-diese Bretter, welche die Fenster bedecken, heraus brächen, und
-in dem großen altfränkischen Camin hier ein herrliches deutsches
-Feuer anzündeten? Dieser tolle Vorschlag fand bei den
-verwilderten Gästen sogleich Gehör und lauten Beifall, und
-Eduard, der den ganzen Abend in einer Art von Betäubung
-gewesen war, widersetzte sich nicht. Man hob den Schirm
-vom Camin hinweg, und lief dann mit Kerzen nach der Küche,
-um Beile, Stangen und andere Instrumente herbei zu holen.
-Im Vorsaal fand Eulenböck ein altes verdorbenes Waldhorn,
-und darauf blasend, marschirten sie wie Soldaten unter
-<a id="page-96" class="pagenum" title="96"></a>
-Schreien und abscheulicher Musik in den Saal zurück. Der
-Tisch, welcher im Wege stand, ward umgeworfen, und sogleich
-begann ein Hauen, Brechen und Hämmern gegen die
-hohle Wand. Jeder suchte den Andern in Aemsigkeit zu
-übertreffen; um die Arbeitenden zu ermuntern, stimmte der
-Maler den Schlachtruf auf dem Horne wieder an, und beim
-Gepolter riefen Alle wie besessen: Holz! Holz! Feuer! Feuer!
-so daß dies Geschrei, die Musik, das Schlagen der Aexte,
-das Krachen der brechenden und ausspringenden Bretter den
-Wirth des Hauses in eine so dumpfe Betäubung warf, daß
-er sich stumm in eine Ecke des Zimmers zurück zog.
-</p>
-
-<p>
-Plötzlich wurde die Gesellschaft noch auf eine eben so unerwartete
-als unangenehme Art vermehrt. Die Nachbarschaft
-war unruhig geworden, und die Wache, welche ebenfalls das
-ungeheure Getümmel vernommen hatte, trat jetzt, einen Offizier
-an ihrer Spitze, herein, da sie das Haus unverschlossen
-gefunden hatten. Sie forschten nach der Ursache des
-Getöses, und weshalb man Feuer geschrieen habe. Eduard,
-der ziemlich nüchtern geblieben war, suchte ihnen Alles zu erklären,
-um seine Freunde zu entschuldigen. Diese aber, aufgeregt
-und keines vernünftigen Gedankens mehr fähig, behandelten
-diesen Besuch als einen gewaltsamen Einbruch in
-ihre unveräußerlichsten Rechte; jeder schrie auf den Offizier
-ein, Eulenböck drohte, der Buchhalter fluchte und weinte,
-der Bibliothekar holte mit der Brechstange aus, und Dietrich,
-welcher am meisten begeistert war, wollte sich mit dem
-Beile über den Lieutenant hermachen. Dieser, ebenfalls ein
-junger hitziger Mann, nahm es von der ernsthaften Seite
-und fand seine Ehre verletzt, und so war das Ende der Scene,
-daß Jene unter Geschrei und Lärmen, Drohungen und Freiheits-Declamationen
-nach der Hauptwache abgeführt wurden.
-So endigte das Fest, und Eduard, der allein im Saal
-<a id="page-97" class="pagenum" title="97"></a>
-zurück geblieben war, ging völlig verstimmt auf und nieder,
-und betrachtete die Verwüstung, welche seine begeisterten
-Freunde angerichtet hatten. Unter dem umgeworfenen Tische
-lagen zertrümmerte Flaschen, Gläser, Teller und Schüsseln,
-nebst Allem, was von den Leckerbissen übrig geblieben war;
-der kostbarste Wein floß über den Boden; die Leuchter waren
-zerschlagen; von denen, welche stehen geblieben waren, waren
-alle Lichter, bis auf eine Wachskerze, nieder gebrannt
-und ausgelöscht. Er nahm das Licht und betrachtete die
-Wand, von der die Tapete abgerissen, und einige starke Bretter
-heraus gebrochen waren; ein Balken stand davor, der den
-Zutritt in die Nische hemmte. Ein sonderbares Gelüst befiel
-den Jüngling, noch in der Nacht das angefangene Werk seiner
-wilden Gesellen fortzusetzen; um aber kein übermäßiges Geräusch
-zu erregen, und doch noch vielleicht ihr Schicksal zu
-theilen, nahm er eine feine Säge, und durchschnitt oben vorsichtig
-den Balken; er wiederholte dies unten, und nahm dann
-den Kloben heraus. Hierauf war es nicht so gar schwer,
-noch eine innere leichte Vertäfelung wegzubrechen; das dünne
-Bret fiel nieder, und Eduard leuchtete in die Nische hinein.
-Er konnte aber kaum den breiten Raum übersehen, und etwas,
-das ihm wie Gold entgegen glänzte, wahrnehmen, als Alles
-plötzlich verschwand; denn er hatte mit dem Lichte oben angestoßen
-und es ausgelöscht. Erschreckt und in der größten
-Bewegung tappte er durch den finstern Saal, aus der Thüre,
-über einen langen Gang, dann über den Hof nach einem kleinen
-Hintergebäude. Wie zürnte er über sich selbst, daß er
-keine Anstalt in der Nähe habe, Feuer zu machen. Aus festem
-Schlafe ermunterte er den eisgrauen Thürhüter, der sich
-lange nicht besinnen konnte, ließ sich von ihm, nach vielen
-vergeblichen Versuchen, sein Licht wieder anzünden, und
-kehrte dann mit behutsam vorgehaltner Hand, an allen Gliedern
-<a id="page-98" class="pagenum" title="98"></a>
-zitternd und mit klopfendem Herzen über die Gänge nach
-dem Zimmer zurück. Er wußte nicht, was er gesehen hatte,
-er wollte noch nicht glauben, was er ahndete. Im Saale
-setzte er sich erst in den Lehnstuhl, um sich zu sammeln, dann
-zündete er noch einige Kerzen an, und begab sich nun gebückt
-in die Nische. Der weite Raum der Fenster erglänzte von
-oben bis unten wie in goldnem Brand; denn Rahmen drängte
-sich an Rahmen, einer kostbarer als der andere, und in ihnen
-alle jene verloren gewähnten Gemälde seines Vaters, um die
-der alte Walther und Erich so oft gejammert hatten. Der
-Erlöser <em>Guido&rsquo;s</em>, der Johannes von Domenichino, sie
-alle schauten ihn an, und er fühlte sich selbst gerührt, andächtig,
-erstaunt, wie in einer bezauberten Welt. Als er sich
-besann, flossen seine Thränen, und er blieb dort, die Kälte
-nicht achtend, unter seinen neugefundenen Schätzen sitzen,
-bis der Morgen herauf dämmerte.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Walther war eben vom Tisch aufgestanden, als Erich
-eilig zu ihm in den Gemäldesaal trat. Was ist Dir, mein
-Freund? rief der Rath aus: hast Du Geister gesehn? Wie
-Du es nimmst, erwiederte Erich: mache Dich auf eine außerordentliche
-Nachricht gefaßt. &mdash; Nun? &mdash; Was gäbest Du
-wohl, was thätest Du wohl dafür, wenn alle die verlorenen
-Malereien Deines seligen Freundes, jene unschätzbaren Kostbarkeiten
-wieder da wären und Dein werden könnten?
-</p>
-
-<p>
-Himmel! rief der Rath aus und verfärbte sich: ich habe
-keinen Athem. Was sagst Du? &mdash; Sie sind da, rief jener,
-und können Dein Eigenthum werden. &mdash; Ich habe kein Vermögen,
-sie zu kaufen, sagte der Rath: aber Alles, Alles
-würde ich geben, sie zu erhalten, meine Gallerie und Vermögen,
-aber ich bin zu arm dazu. &mdash; Wenn man sie Dir
-nun überlassen wollte, sagte Erich, und der Eigenthümer
-<a id="page-99" class="pagenum" title="99"></a>
-forderte bloß die Gunst dafür, Dein Schwiegersohn zu
-werden?
-</p>
-
-<p>
-Ohne Antwort rannte der Alte hinaus und zur Tochter
-hinüber. Im Streit mit dieser kam er zurück. Du mußt
-mein Glück machen, geliebtes Kind, rief er aus, indem er
-mit ihr herein trat: von Dir hängt nun die Seligkeit meines
-Lebens ab. Die erschrockene Tochter wollte immer noch widersprechen,
-aber auf einen heimlichen Wink Erichs, den sie
-zu verstehen glaubte, schien sie endlich nachzugeben. Sie ging
-fort, sich umzukleiden; denn bei Erich warteten, wie dieser
-erklärte, die Bilder und der Freiwerber auf sie. Unter welchen
-sonderbaren Gedanken und Erwartungen suchte sie ihren
-besten Schmuck hervor; konnte sie sich in Erich nicht irren?
-Hatte er denn auch sie verstanden? hatte sie ihn richtig gedeutet?
-Walther war ungeduldig und zählte die Augenblicke;
-endlich kam Sophie zurück.
-</p>
-
-<p>
-In Erichs Hause waren alle jene Gemälde im besten
-Lichte aufgehangen, und es wäre vergeblich, des Vaters Erstaunen,
-Freude und Entzücken beschreiben zu wollen. Die
-Bilder waren, so behauptete er, bei weitem schöner, als er
-sie in seiner Erinnerung gesehen hatte. Du sagst, der Liebhaber
-meiner Tochter sei jung, wohlerzogen, von gutem
-Stande, Du giebst mir Dein Wort darauf, daß er ein ordentlicher
-Mann seyn wird, und niemals nach meinem Tode
-diese Bilder wieder veräußern? Wenn dies alles so ist, so
-braucht er kein anderes Vermögen zu besitzen, als diese Bilder,
-denn er ist überreich. Aber wo ist er?
-</p>
-
-<p>
-Eine Seitenthüre öffnete sich, und Eduard trat ungefähr
-so gekleidet herein, wie der ihm ähnliche Schäfer auf dem
-alten Gemälde von Quintin Messys stand. &mdash; Dieser? schrie
-Walther: woher haben Sie die Gemälde? Als ihm Eduard
-den sonderbaren Vorfall erzählt hatte, nahm der Alte die
-<a id="page-100" class="pagenum" title="100"></a>
-Hand der Tochter und legte sie in die des Jünglings, indem
-er sagte: Sophie wagt viel, aber sie thut es aus Liebe zu ihrem
-Vater; ich denke, mein Sohn, Du wirst nun klug und
-gut geworden seyn. Doch, eine Bedingung: Ihr wohnt bei
-mir, und Eulenböck kommt nie über meine Schwelle, auch
-siehst Du ihn mit keinem Auge wieder. Gewiß nicht, antwortete
-Eduard: überdies reiset er mit dem fremden Prinzen
-von hier fort.
-</p>
-
-<p>
-Man ging nach dem Hause des Vaters. Dieser führte
-den Jüngling in seine Bibliothek: hier, junger Mensch, sagte
-er, findest Du auch Deine Seltenheiten wieder, die Dein luftiger
-Bibliothekar mir für ein Spottgeld verkauft hat. Du
-wirst diese Schätze Deines Vaters künftig heiliger halten.
-</p>
-
-<p>
-Die Liebenden waren glücklich. Als sie allein waren,
-schloß Sophie den Jüngling herzlich in die Arme. Ich liebe
-Dich innigst, mein Freund, flüsterte sie ihm zu, aber ich
-mußte neulich dem Eigensinne meines Vaters nachgeben, und
-mich damals und heute stellen, als gehorchte ich ihm unbedingt,
-um erst nicht alle Hoffnung aufzugeben, und heute
-ohne Widerspruch Dein zu seyn; denn hätte er meine Liebe
-gemerkt, so hätte er nimmermehr so schnell eingewilligt.
-</p>
-
-<p>
-Nach wenigen Wochen waren sie vermählt. Es ward
-dem Jünglinge nun nicht schwer, ein ordentlicher und glücklicher
-Mann zu werden; an seine wilde Jugend dachte er im
-Arme seiner Frau und im Kreise seiner Kinder nur wie an
-einen schweren Traum zurück. Eulenböck hatte mit dem Prinzen
-die Stadt verlassen, und mit ihm zugleich der sogenannte
-Bibliothekar, der jene Stelle als Secretär beim Prinzen erhielt,
-um welche Eduard sich bemüht hatte, und nach einigen
-Jahren die lockre Schöne heirathete, die unserm jungen
-Freunde einen so übeln Ruf in seiner Vaterstadt verursachte,
-und fast die Veranlassung seines Unglücks geworden war.
-</p>
-
-<h2 class="part" id="part-2">
-<a id="page-101" class="pagenum" title="101"></a>
-<span class="line1">Die Verlobung.</span><br />
-<span class="line2">Novelle.</span>
-</h2>
-
-<p class="first">
-<a id="page-103" class="pagenum" title="103"></a>
-<span class="firstchar"><span class="prefirstchar">&bdquo;</span>I</span>ch habe lange auf Dich gewartet,&ldquo; rief der junge
-Ferdinand seinem Freunde entgegen.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Du weißt ja,&ldquo; erwiederte jener, &bdquo;daß es unmöglich
-ist, sich schnell von dem wohlbeleibten Barone loszureißen,
-wenn er Fragmente aus seiner Lebensgeschichte
-vorträgt.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wärst Du Offizier, wie ich,&ldquo; antwortete Ferdinand,
-&bdquo;so würdest Du es dennoch möglich gefunden haben,
-pünktlich zu seyn; dies wenigstens lernt man im Dienst.
-Sie sind alle schon auf dem Spaziergange dort versammelt,
-laß uns eilen, daß ich Dich der verehrten Familie
-vorstellen kann.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Die jungen Freunde bogen um die Felsenecke, und
-erfreuten sich des klaren Anblickes am rauschenden Strome,
-der Wäldern und Bergen leuchtend vorüber zog. Der
-Frühling war in diesem Jahre vorzüglich üppig erschienen.
-&bdquo;Wie wohl wird es dem Arbeiter,&ldquo; sagte Alfred,
-&bdquo;an einem solchen Tage die Stadt und die geistlosen Geschäfte
-hinter sich zu haben, um nach langer Anstrengung
-und Entbehrung diesen Segen der Natur zu fühlen und
-ihre heilige Stimme zu vernehmen! Und wie dankbar
-bin ich Dir, mein theurer Freund, daß Du mich in den
-Kreis der besten, der edelsten Menschen einführen willst.
-<a id="page-104" class="pagenum" title="104"></a>
-Denn wie wir uns auch zu bilden streben, wie ernsthaft
-wir studiren, einsammeln, und unser Herz und Gemüth
-erweitern wollen, so ist es doch der Umgang mit echten
-Menschen, der alles dies todte Wirken und unbeholfene
-Kämpfen erst belebt, und den Besitz in ein wahrhaftes
-Gut verwandelt. Den zarten Frauen ist es aber vorbehalten,
-dem Manne die Bildung zu geben, deren er nach
-seinen Kräften und Gaben fähig ist.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Der junge Offizier sah seinen Freund kopfschüttelnd
-an, stand einen Augenblick still, und sagte dann, indem
-sie weiter schritten: &bdquo;O wie kann ich in diese Phrasen,
-die man schon tausendmal hat hören müssen, so gar nicht
-einstimmen! Somit wäre es ja die große Welt, oder die
-sogenannte gute Gesellschaft, die man aufsuchen müßte,
-um in schlechtem Witz, Coquetterie, Lügen und Geschwätz
-die Reife zu erlangen, die uns die Einsamkeit nicht gewähren
-könnte. Bin ich auch in den meisten Dingen Deiner
-Meinung, so muß ich Dir doch hierin geradezu Unrecht
-geben. Die Weiber! sie sind es ja eben, die recht
-eigentlich von einem boshaften Schicksal dazu hingestellt
-zu seyn scheinen, sich des Mannes, wenn er schwach genug
-ist, zu bemächtigen, alles Menschliche, Edle, Kraftvolle
-und Wahre von ihm abzustreifen, und ihn, so viel
-es nur möglich ist, in sein Gegentheil zu verwandeln,
-damit er ihnen nur zu einem unwürdigen Spielzeuge gut
-genug sei. Das, was Du eben äußertest, ist auch schon
-mehr die Denkweise einer jetzt fast verschwundenen Zeit,
-einer Zeit, die der Wahrheit, vorzüglich aber aller religiösen
-Gesinnung, feindlich gegenüber stand. Auch muß
-ich Dir sagen, daß Du jenes Wesen, wodurch sich vormals
-unsre jungen Herren zu bilden glaubten, in der
-Gesellschaft dieser Frauen nicht finden wirst, weil bei
-<a id="page-105" class="pagenum" title="105"></a>
-ihnen alles heilige Wahrheit, Unschuld und echte Frömmigkeit
-ist.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Der Freund suchte seine Meinung und sich selbst zu
-rechtfertigen, indem sie unter lebhaften Gesprächen ihren
-Weg eilig fortgesetzt hatten. Sie sahen jetzt schon den
-Garten vor sich liegen, in dessen kühlen Gängen die Baronin
-mit ihrer Familie und einigen auserwählten Freunden
-die Ankommenden erwartete. Alle fühlten sich in der
-grünen Umgebung wohl und behaglich.
-</p>
-
-<p>
-Nur dem jungen Rathe Alfred ward es Anfangs
-schwer, sich in die Stimmung und Unterhaltung zu fügen.
-Wie es wohl zu geschehen pflegt, war er zu gespannt,
-um sich dem Gespräche leicht hinzugeben; auch
-hatte er zu Vieles auf dem Herzen, was er mit einer gewissen
-Bangigkeit an den Mann zu bringen strebte, wodurch
-er oft an sich und den Andern irre werden mußte;
-denn wenn er Gedanken zu einer Rede verarbeitet hatte,
-so war indessen der schickliche Moment verschwunden, um
-diese einzufügen, und unter den neuen Gegenständen der
-Unterhaltung kam wieder so Manches vor, das ihm unverständlich
-schien, und worüber er sich nähere Belehrung
-auszubitten doch zu verschämt war. Dazu kam, daß er
-von dem Reiz der Frauengestalten wie geblendet war; die
-vermählte Tochter Kunigunde war eine glänzende Schönheit;
-noch üppiger strahlte die jüngere Clementine, gegen
-welche die blonde kindliche Physiognomie der jüngsten,
-Fräulein Clara, rührend kontrastirte; selbst die Mutter
-durfte noch Ansprüche auf Anmuth machen, und man sah,
-daß sie in ihrer Jugend eine schöne Frau gewesen war.
-Dorothea, das älteste Fräulein, fiel in dieser Umgebung
-am wenigsten auf, so schön auch ihr Auge, so fein ihr
-Wuchs war; auch zog sie sich zurück und blieb still und
-<a id="page-106" class="pagenum" title="106"></a>
-blöde; sie schien selbst an der lebhaften Unterhaltung der
-Geschwister nur geringen Antheil zu nehmen, und es fiel
-auf, daß keine Rede oder Frage an sie gerichtet wurde,
-so sehr die anwesenden Männer sich auch mit Lebhaftigkeit
-um die übrigen Töchter oder die Mutter bemühten.
-</p>
-
-<p>
-Unter den Männern zeichnete sich ein ältlicher aus,
-der am meisten das Wort führte, der Alle belehrte und
-alle streitigen oder zweifelhaften Fälle entschied. Auch der
-Offizier behandelte ihn mit ergebener Demuth, und dieser
-Familienfreund wandte sich mit Güte und Herablassung
-an Alle, sie fragend, zurecht weisend, aufmunternd und
-sich auf seine Weise bestrebend, Jeden zu ermuthigen oder
-aufzuklären. Ihm gelang es auch endlich, den verlegenen
-Alfred in das Gespräch zu ziehen, und dessen Dankbarkeit
-äußerte sich in einer feurigen Rede, die er jetzt anzubringen
-Gelegenheit fand, und in welcher er seinen Wunsch
-nach Bildung, seine Verehrung des Familienglücks, seine
-Hoffnung, daß die echte religiöse Stimmung und wahre
-Frömmigkeit sich durch ganz Deutschland ausbreiten würden,
-mit allgemeinem Beifall und zu seiner eignen Zufriedenheit
-entwickelte.
-</p>
-
-<p>
-Mehr noch als die Uebrigen war die schöne Kunigunde
-aufmerksam gewesen, und sie war es auch jetzt, die
-am lautesten ihren Beifall aussprach. &bdquo;Wie glücklich sind
-wir,&ldquo; beschloß sie endlich, &bdquo;daß in unserm theuern Kreise
-sich immer mehr Gemüther versammeln, die das Gute
-und Edle wollen, die das Ueberirdische erkennen, und denen
-die Welt mit allen ihren anlockenden Schätzen nur
-nichtig erscheint. Aber das ist die Eigenschaft der Wahrheit
-und Güte, daß sie das Bessere sich näher zieht, daß
-sie das Schwache in etwas Höheres verwandelt. Wirkt
-der gesellige Umgang so glücklich in einem weitern Umfang,
-<a id="page-107" class="pagenum" title="107"></a>
-so ist es im beschränkten Hause der Segen der Ehe,
-der noch inniger die Vermählten anregt, sich für das Göttliche
-zu begeistern, der hier noch kräftiger das schwächere
-Gemüth zur Liebe des Unendlichen erhebt.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ja wohl,&ldquo; sagte ein junger Mann, der neben dem
-ältern saß, &bdquo;dies ist es, was ich mit jedem Tage inniger
-und dankbarer empfinde.&ldquo; Er seufzte und sah an die
-Wolken, und der Rath erfuhr auf seine Erkundigung,
-daß dieser der Gemahl der schönen und frommen Kunigunde
-sei.
-</p>
-
-<p>
-Die Mutter nahm das Wort und sagte nicht ohne
-Bewegung: &bdquo;Wie beglückt muß ich mich fühlen, daß ich
-so im Kreise meiner Kinder das Höchste gefunden und es
-ihnen selbst möglich gemacht habe, den edelsten Besitz dieser
-Erde zu erreichen. Wie kann ich doch so gar nicht
-an den Bestrebungen der meisten Menschen Antheil nehmen,
-ja wie erregt mir ihr mannigfaltiger Enthusiasmus
-eher Mitleid, als daß ich in ihren vielfachen Anstrengungen,
-ein sogenanntes Gut zu ergreifen, etwas finden
-könnte, das unsere Achtung aufruft. So rennen sie nach
-Kunst, oder Philosophie, meinen, im Wissen oder in Farben
-und Ton solle ihnen das ewige Licht aufgehen, quälen
-sich in Geschichte und den verworrenen Händeln des
-Lebens ab, und versäumen darüber das Eine, das Noth
-ist, und welches Alles ergänzt und ersetzt. Seit ich diesen
-Quell gefunden habe, der jeden Durst der Seele so lieblich
-stillt, ist jenes bunte Mannigfaltige für mich gar
-nicht mehr da, dem ich in der Jugend auch wohl manchen
-sehnsüchtigen Blick zuwendete.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wie muß ich Sie bewundern!&ldquo; rief der Rath aus:
-&bdquo;mit welcher Sehnsucht habe ich das Leben gesucht, und
-immer nur leere Schatten gehascht! und wie leicht ist es
-<a id="page-108" class="pagenum" title="108"></a>
-doch, die Wahrheit zu finden, die uns niemals täuscht,
-die nie entschlüpft, die dem Herzen Alles gewährt, in der
-wir nur leben und seyn können.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich verstehe Sie,&ldquo; antwortete die Baronesse, &bdquo;Sie
-gehören zu unserm Kreise; es ist ein seliges Gefühl, daß
-sich die Gemeinschaft frommer und begeisterter Gemüther
-immerdar vermehrt.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Den herrlichsten Zeiten gehen wir entgegen!&ldquo; rief
-der junge Offizier in Begeisterung aus. &bdquo;Und wie selig
-müssen wir uns fühlen, da Dasjenige, was uns über
-das nüchterne Leben erhebt, die ewige Wahrheit selber ist,
-da diese uns beherrscht, und wir, von ihr regiert, nicht
-fehlen, niemals irren können; denn wir geben uns der
-Liebe hin, daß sie in uns wirke und ihre Geheimnisse
-unserm Herzen offenbare.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nicht anders,&ldquo; beschloß der ältere würdige Mann;
-&bdquo;dies ist es, was uns die Sicherheit geben muß, die uns
-von gewöhnlichen Enthusiasten oder Schwärmern unterscheidet.
-Sie haben ein großes Wort gesprochen, theurer
-Ferdinand, und darum sind Sie mir so werth, weil Keiner,
-so wie Sie, auf dem kürzesten Wege das Rechte
-findet, weil Niemand es alsdann so klar und einfach auszusprechen
-weiß.&ldquo; Er umarmte den Jüngling, sah gen
-Himmel, und eine große Thräne glänzte ihm im schönen
-dunkeln Auge. Die Baronesse erhob sich und schloß sich
-an die Gruppe; alle waren bewegt, nur Fräulein Dorothea
-wandte sich ab, und schien im Busche etwas Verlornes
-zu suchen.
-</p>
-
-<p>
-Dem aufmerksamen Alfred entging es nicht, daß die
-Mutter mit einem Ausdrucke des Schmerzes zu ihrem ältesten
-Kinde hinsah, das auf seltsame Weise von diesem
-Kreise der Rührung und Liebe ausgeschlossen schien. Der
-<a id="page-109" class="pagenum" title="109"></a>
-Baron Wallen, so hieß der ältere Hausfreund, näherte
-sich mit dem Ausdruck einer rührenden Milde dem Fräulein,
-die scheu vor sich nieder sah, und in diesem Augenblick
-hochroth erglühte. Er sprach heimlich und mit vieler
-Bewegung zu ihr, sie schien aber in ihrer Verlegenheit
-auf seine Worte nicht sonderlich zu achten; denn als
-jetzt eine Dame in der Allee zur Gesellschaft herschritt,
-ging sie dieser in großer Eile entgegen, und schloß sie mit
-der größten Herzlichkeit und Freude in die Arme.
-</p>
-
-<p>
-Die Mutter schüttelte fast unmerklich mit dem Kopfe,
-und sah den Baron Wallen mit prüfendem Auge an;
-dieser lächelte, und die Unterredung der Gesellschaft gerieth
-nun auf ganz andere und gleichgültige Gegenstände;
-denn die Frau von Halden, welche jetzt lautschwatzend,
-lachend und Neuigkeiten erzählend, herzu trat, machte jeden
-Aufschwung, jede innigere Mittheilung völlig unmöglich,
-so daß auch alle, bis auf Fräulein Dorothea, etwas verstimmt
-wurden, die wie erquickt und getröstet mit ihren
-Blicken am Munde der Redenden hing, und jetzt an der
-übrigen Gesellschaft noch weniger Antheil nahm.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wer ist denn diese Neuigkeits-Krämerin?&ldquo; fragte
-Alfred unwillig, &bdquo;die wie ein wilder Vogel in unsern
-stillen Kreis herein fliegt, und alle zarteren Gefühle verschüchtert?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Eine Nachbarin unserer verehrlichen Baronesse,&ldquo;
-antwortete der Herr von Wallen: &bdquo;sie hat sich auf eine
-unbegreifliche Weise des Gemüthes der Fräulein Dorothea
-bemeistert, was wir alle nur beklagen können. Schon
-in der Jugend hat es die treffliche Erzieherin, die Fräulein
-von Erhard, eine Verwandte der Familie, verhindern
-wollen, daß dieser Umgang nicht die bessern Fähigkeiten
-<a id="page-110" class="pagenum" title="110"></a>
-des schönen Mädchens unterdrücke; aber von jeher sind
-alle ihre Bemühungen vergeblich gewesen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Diese Erzieherin, welche bisher wenig bemerkt worden
-war, näherte sich jetzt, da sie sah, daß von ihr die
-Rede sei, und mischte sich in das Gespräch. Sie erzählte,
-daß in dieser so liebenden und hochgestimmten Familie
-Dorothea von früher Jugend ein abgesondertes Leben geführt
-habe, und unter so vielen Geschwistern gewissermaßen
-ganz einsam gewesen sei. Fräulein Charlotte von
-Erhard erzählte dies mit einer rauhen und heisern Stimme,
-wurde aber so bewegt, daß sie sich der Thränen nicht
-enthalten konnte. Alfred, der schon gerührt war, fand in
-seiner erhobenen Stimmung die geälterte und fast häßliche
-Dame liebenswürdig und schön, und ein herzlicher Unwille,
-eine lebhafte Geringschätzung wandte sich gegen die
-arme Dorothea, die jetzt von der redseligen Freundin Abschied
-nahm und zur übrigen Gesellschaft zurück kehrte. Sie
-war sichtlich erheitert, aber man sah, welche Ueberwindung
-es ihr koste, wieder an den ernsteren Gesprächen
-Theil zu nehmen. Sie erzählte, wie die Frau von Halden
-in Unterhandlungen stehe, und wahrscheinlich ihr Gut
-verkaufen werde.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Verkaufen?&ldquo; fragte die Mutter erstaunt, &bdquo;und sie
-konnte dennoch so heiter, ja ausgelassen seyn?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie meint,&ldquo; erwiederte Dorothea, &bdquo;einen so vortheilhaften
-Kauf ihrer noch unmündigen Kinder wegen
-nicht abweisen zu dürfen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Giebt es einen Vortheil,&ldquo; sagte die Mutter, &bdquo;welcher
-den Kindern das Glück der Heimath aufwiegen kann?
-Und sie selbst, Deine Freundin, die hier auf ihrem Gute
-aufgewachsen ist, die hier mit Eltern und Geschwistern,
-nachher mit einem geliebten Manne lebte, wie kann sie
-<a id="page-111" class="pagenum" title="111"></a>
-sich selber so verstoßen und diesen Bäumen den Rücken
-wenden, sich von den Zimmern verbannen, die sie als Kind
-geliebt und gekannt hat? Immer wieder muß es mir
-auffallen, wie ich das Leben und Treiben der allermeisten
-Menschen so gar nicht verstehe. &mdash; Und wer ist denn der
-Käufer?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Die Sache ist wunderlich genug,&ldquo; erwiederte Dorothea,
-&bdquo;der Käufer will noch gar nicht genannt seyn;
-aber ein gewisser Graf Brandenstein führt die Unterhandlung.
-Meine Freundin ist eilig und bestimmt, denn der
-Fremde aus Amerika kauft noch manches andere Gut, so
-daß sie es für eine Gunst hält, da er nicht ängstlich auf
-den Preis sieht, wenn sie das ihrige dem Unbekannten
-zuwenden kann.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Bei dem Namen &bdquo;Brandenstein&ldquo; wurde die Mutter
-blaß. Sie suchte sich aber schnell zu fassen, und sagte
-nach einer kleinen Pause: &bdquo;Ja, der Name war es, der
-mir schon seit einer Woche schwer auf dem Herzen lag.
-Ich weiß es schon, daß dieser Mann hier ist, der nun
-auf eine Zeitlang unsre stille Freude verderben, und die
-Harmonie unsers Kreises stören wird. Und ich kann es nicht
-vermeiden, ihn zu sehn, denn er ist ein alter Bekannter
-unsers Hauses, und die Sitte der Welt zwingt uns ja,
-selbst mit denjenigen freundlich umzugehen, die uns im
-innersten Herzen zuwider sind, ja, die wir, wenn wir
-noch so billig denken, für schlechte und ruchlose Menschen
-anerkennen müssen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Dorothea meinte, wo eine so bestimmte Empfindung
-vorherrsche, solle sich der Mensch keinen Zwang anthun;
-und besonders auf dem Lande, wo sie lebten, wäre es
-noch leichter, als in der Stadt, so widrigen Erscheinungen
-auszuweichen. Die Mutter aber sagte: &bdquo;Du verstehst
-<a id="page-112" class="pagenum" title="112"></a>
-dies nicht, mein Kind; könnte ein gewissenloser Mensch
-ohne Grundsätze uns nicht auf die empfindlichste Art schaden
-oder kränken, hätte er es durch Witz und Frivolität
-nicht in seiner Gewalt, unser ganzes Leben zu verderben,
-so würde ich ihn kalt abweisen, und mit meiner Wahrheitsliebe
-ihm ohne Umschweif sagen, daß ich mit ihm
-nicht umgehen wolle; da aber dies nicht möglich ist, so
-muß ich ihm höflich entgegen kommen, mit Feinheit und
-Wohlwollen den bösen Geist in ihm zu beschwichtigen suchen,
-und mich späterhin so unmerklich, als es seyn kann,
-von seinem verderblichen Kreise zurück ziehn.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Die übrigen Töchter drängten sich um die Mutter,
-und umarmten sie wie tröstend. &bdquo;Wenn ich Euch nicht
-hätte!&ldquo; seufzte die Baronesse: &bdquo;wenn ich nicht auf die
-Hülfe unsers edlen Hausfreundes rechnen dürfte, so würde
-mich der Besuch dieses gottlosen Menschen noch mehr
-ängstigen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wer ist er eigentlich?&ldquo; fragte der Baron.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ein Mann,&ldquo; antwortete die Mutter, &bdquo;der sich schon
-früh in der Welt und ihren Verstrickungen herum getrieben
-hat, der, von seinem eignen Herzen belehrt,
-alles, was Liebe, Demuth, Frömmigkeit heißt, arg verspottet
-und verfolgt, ein grober Egoist, der Niemand lieben
-kann, und den das Heilige, Ueberirdische, wo er es
-wahrnimmt, wo er es nur ahndet, in einen widrigen
-Zorn versetzt, der ihn dann zu jenem frivolen Witze begeistert,
-den wir Alle so tief verachten. Es war das
-Unglück meines Lebens, daß er die Bekanntschaft meines
-guten seligen Mannes machte, daß dieser ihn lieb gewann,
-und sich in manchen trüben Stunden seiner Gesellschaft
-und traurigen Philosophie hingab.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-113" class="pagenum" title="113"></a>
-&bdquo;Sie schildern, verehrte Frau,&ldquo; sagte der Offizier,
-&bdquo;einen von jenen Charakteren, die, dem Himmel sei Dank!
-jetzt schon seltener geworden sind.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Eine Verruchtheit,&ldquo; sagte der Baron, &bdquo;die das Unsichtbare
-lästert, weil sie auf Selbstverachtung gegründet
-ist. Sie sind aber, wie wir Alle, über diesem Jammer
-erhaben.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sein mittelmäßiges Vermögen,&ldquo; fuhr die Mutter
-fort, &bdquo;war bald ausgegeben; nun verließ er Europa, trieb
-sich, wer weiß, unter welchen wilden Völkern um, und
-ist nun zurück gekehrt, wie ich höre, als Geschäftsträger
-eines unermeßlich reichen Amerikaners, der ihm in Jahresfrist
-nachfolgen will, und der die Grille gefaßt hat, in
-unserer Nachbarschaft viele Güter zu einer großen Herrschaft
-zusammen zu kaufen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Fräulein Dorothea blieb dabei, daß man einem so
-bösen Menschen ausweichen könne und müsse, und daß sie
-ihm schon das Haus zu betreten unmöglich machen wolle,
-wenn die Mutter ihr dazu die gehörige Vollmacht gebe;
-doch diese ward unwillig, und gebot, für heute den Namen
-des Störenfried nicht mehr zu nennen. Jetzt sah man
-die Wagen vorfahren, weil mit der Abendkühle die Familie
-sich wieder auf ihr nahes Landgut begeben wollte, als
-sich in diesem Augenblick eine sonderbare Scene entwickelte.
-Der alte Baron hatte sich schon einigemal Dorotheen genähert;
-sie war ihm aber ausgewichen, doch benutzte er den
-Moment, als er ihr in den Wagen half, ihr einige
-freundliche Worte zuzuraunen; sie sprang zurück, indem
-sie hastig der Kutsche enteilte und in den Baumgang lief.
-Der Baron konnte sie nicht einholen, so sehr er sich bestrebte;
-als er schon tief im Garten war, kam sie athemlos
-zurück, warf den Schleier über das erhitzte Angesicht,
-<a id="page-114" class="pagenum" title="114"></a>
-und weinte heftig, indem sie dem fragenden und strafenden
-Blicke der mehr als erstaunten Mutter ängstlich auswich.
-Der Wagen fuhr rasch davon, und der Baron,
-nachdem er verwirrt und beschämt von den jüngern
-Freunden Abschied genommen hatte, bestieg den seinigen,
-schwer gekränkt, wie man ihm anmerken konnte, so sehr
-er auch seiner Fassung Gewalt zu thun suchte.
-</p>
-
-<p>
-Als der junge Rath und der Offizier ihren Rückweg
-zur Stadt antraten, sagte der erste nach einer Pause:
-&bdquo;Was war das? Immer noch kann ich nicht von meiner
-Verwunderung zurück kommen, daß unter so gebildeten
-und feinen Menschen eine solche unschickliche Scene hat
-vorfallen können! Ueberhaupt, wie kommt dieses Fräulein,
-dieser sonderbare, ja widerwärtige Charakter in eine
-Familie, die ich fast eine geheiligte nennen möchte? Irgend
-eine tiefe Verschuldung muß sie drücken, da sie sich
-immer scheu zurück zieht, niemals an der Unterhaltung
-Theil nimmt, und auch von allen Uebrigen mit einem
-herablassenden, fast geringschätzenden Mitleide behandelt
-wird, das einem Fremden sehr auffallen muß. Man
-kommt auf ärgerliche Vermuthungen, wenn man auch
-eben nicht zum Argwohn geneigt ist.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Du würdest aber irren,&ldquo; sagte der militärische
-Freund, &bdquo;denn keine Schuld, kein Vergehn drückt dieses
-Wesen nieder. Unter so hochgestimmten Menschen, wie
-alle diese sind, würde sich dergleichen vielleicht ohne große
-Kämpfe wieder herstellen, wenn diese Schwester nur sonst
-in einer geistigen Harmonie mit den übrigen stände.
-Schlimmer aber als alles ist, daß sie schon mit einem
-niedrigern, unedlern Geiste geboren wurde, daß sie das
-Bestreben aller Uebrigen nicht versteht, und sich doch sagen
-muß, es sei ein Hohes und Edles, nur für sie Unerreichbares.
-<a id="page-115" class="pagenum" title="115"></a>
-Dies Gefühl der Unwürdigkeit drückt sie
-mehr nieder, als das Bewußtsein einer Schuld es
-thun könnte. Sie fühlt sich fremd unter den Nächsten,
-unheimisch in ihrem Hause; sie erquickt sich an den unwürdigen
-Bekanntschaften, wie mit jener dicken und geschwätzigen
-Nachbarin, und entflieht besonders dem Baron,
-den wir Alle so hoch verehren, und der sich zu sehr,
-fast mit Leidenschaft herabläßt, ihren Sinn für ein höheres
-Leben aufzuschließen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Sie bogen jetzt um die Felsenecke, und sahen die
-Stadt schon vor sich liegen. Aber zu ihrem Entsetzen
-bemerkten sie auch zugleich jenen wohlbeleibten Baron von
-Wilden, von dem sich Nachmittags der junge Rath nur
-schwer hatte losmachen können. &bdquo;Nun,&ldquo; rief dieser ihnen
-entgegen, &bdquo;kommt Ihr schon aus dem Himmel zurück?
-Hat&rsquo;s brav viel ambrosische Redensarten abgesetzt?
-Sind die nektarischen Gesinnungen gut eingeschlagen?
-Hoffentlich war doch kein Mißwachs an überirdischen
-Gefühlen?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Die Freunde, die in der schönen Natur und dem
-lieblichen Abende gern noch ihre Gefühle hätten harmonisch
-nachklingen lassen, suchten sich von ihm loszuwickeln;
-da sie aber denselben Weg zur Stadt zurück gingen,
-war dies unmöglich. &bdquo;Nichts da!&ldquo; rief er mit herrschender
-Stimme aus: &bdquo;wir bleiben treu beisammen, und
-dort unten beim Brunnen treffen wir noch einen armen
-Sünder, der auf mich wartet.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Die beiden jungen Leute sahen sich gezwungen, aus
-der Noth eine Tugend zu machen, besonders weil der unempfindliche
-Baron mit kreischendem Tone fortfuhr: &bdquo;Ich
-merke wohl, Ihr wäret hier in der Gegend gern noch
-empfindsam, besonders weil der Mond bald hervor kommen
-<a id="page-116" class="pagenum" title="116"></a>
-wird; aber dergleichen Unfug wird in meiner prosaischen
-Gesellschaft nicht geduldet. Glaubt mir doch,
-junge Menschen, all&rsquo; das Aetherisiren und Frommsüßlichen
-dort geschieht ja doch nur, daß Ihr an diesem lockenden
-Hamen als Eheleute anbeißen sollt, wenn Ihr nämlich
-selbst Amt und Vermögen besitzt. Es sind so viele Töchter
-dort, und nur die älteste, verwilderte, ist so toll, alle
-Partieen abzuweisen. Ja die liebe, gute, so hocherwünschte
-Ehe, das Freiwerben, wonach mit allen Fernröhren hinaus
-geschaut wird, wenn so herrliche edle Töchter in dem
-Familiensaal dasitzen, rund und fett, roth und weiß, züchtig
-und tüchtig, auferwachsen und vollständig! Und in
-der Mitte die verständige Mutter, achtsam, lauernd und
-spekulirend, die Augen nach allen Seiten, jeden anfühlend,
-der nur eintritt, ob der feine Rock auch bezahlt ist, ob
-derselbe, wenn er von Reisen und Bällen erzählt, auch
-wohl im Stande sei, ein Ehefrauchen standesmäßig zu ernähren.
-Da gehn der guten Matrone dann so fromme,
-weiche und gar unbefangene Redensarten aus dem zarten
-Munde, die Blicke leuchten zum Himmel und rechts und
-links, und alle Worte und alle Blicke schwimmen wie
-hundert Angeln im Strom der faden Unterhaltung, und
-die jungen Bursche schießen bald nach dieser, bald nach
-jener Schnur wedelnd und spielend hin, bis denn, wenn
-auch nach Wochen, einer und der andere fest sitzt. So
-haben sie für die Kunigunde den zarten Weißfisch erschnappt,
-und ihm gleich darauf eingebildet, das runde
-Mädchen sei für ihn viel zu gut, so daß er wie ein reuiger
-Sünder am Wagen des Ehestandes zieht, und sich
-geehrt fühlen muß, daß die Hohe sich zu ihm erniedrigt
-hat; nun müssen Clara, Clementine und die irdische Dorothea
-noch versorgt werden, ja ich stehe nicht dafür,
-<a id="page-117" class="pagenum" title="117"></a>
-daß die bejahrte Bekehrerin nicht selbst noch einmal aus
-einem frommen Knaben einen Bräutigam für sich drechselt,
-und ihm statt des Katechismus einen Ehekontrakt
-in die Hände schiebt. Ja wohl Ehestand, Wehestand!
-Wie rennt nur alles so blind und taub in das traurige
-Joch, und opfert Freiheit und Laune dem bösen Geiste,
-der den Mann fast immer unter den Sklaven erniedrigt.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie sind ein arger Frevler,&ldquo; sagte der Offizier:
-&bdquo;aus launenhafter Verruchtheit hassen Sie die Ehe,
-und verlangen nun, alle Menschen sollen als sündliche
-freigeisternde Hagestolze leben, und weil Ihr Sinn nicht
-in jene Umgebung paßt, so lästern Sie diese Menschen,
-die jeder Verläumdung zu erhaben sind.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ganz martialisch!&ldquo; rief der Baron aus. &bdquo;Und
-doch werde ich Recht behalten, und vielleicht seufzen Sie
-selbst einmal, wenn Sie an der Kette wie ein Eichhorn
-immer wieder dieselben rechtgläubigen Sprünge machen
-müssen, um die Nüsse zu knappern, die die Gemahlin
-Ihnen zukommen läßt: ach! wenn ich doch dem resoluten
-Wilden hätte glauben wollen!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nein, mein Herr,&ldquo; sagte der Rath sich ereifernd,
-&bdquo;Ihre Ansicht geht nur aus der Verzweiflung hervor, ja,
-Sie glauben sich selber nicht.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Meinethalben,&ldquo; rief jener aus, &bdquo;kann seyn, daß
-eine ganz andere Kreatur, als ich selber, aus mir heraus
-redet; denn das ist im Leben oft der Fall, und bei jenen
-Apostolischen guckt auch oft was, wie ein Affe, aus den
-verbrämten und aufgesteiften Gewändern hervor. Nicht
-wahr, besonders aus dem ältlichen, zu wenig weltlichen
-Fräulein Erhard, der unvergleichlichen Erziehungskünstlerin?
-Diese hat das Haubenmuster der inwendigen Gesinnung
-für die ganze Familie zurecht gesteckt, sich selbst
-<a id="page-118" class="pagenum" title="118"></a>
-aber die krauseste Religions-Frisur zurecht gezimmert.
-Ihr meint, wenn diese ihr Orakel kräht und die kleinen
-Augen verdreht, so müssen wir Ungläubige gleich unterducken.
-Ihr bin ich am meisten aufsässig, denn sie ist es
-eigentlich, die die ganze Familie in Grund und Boden
-verdorben hat.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Jetzt standen sie am Brunnen. Die Sonne war
-längst untergegangen, und aus der Finsterniß drehte sich
-ein Mensch hinter dem Weidenbusche hervor. &bdquo;Ach! der
-Michel!&ldquo; rief der Baron: &bdquo;können Sie, meine Herren,
-einen ehrlichen Bedienten brauchen?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Warum,&ldquo; fragte der Offizier, &bdquo;habt Ihr die
-Dienste der trefflichen Baronesse verlassen, die so mütterlich
-für ihre Leute sorgt?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ach! gnädiger Herr,&ldquo; sagte der Diener, &bdquo;weil ich
-neulich so ein bischen unschuldig gelogen habe, bin ich
-gleich fortgeschickt worden.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Das ist recht!&ldquo; rief der Offizier, &bdquo;daran erkenn&rsquo;
-ich die edle Frau.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Alles ist nur ein Anstiften,&ldquo; fuhr Michel fort, von
-dem neidischen Fräulein Erhard: &bdquo;die kann&rsquo;s nicht leiden,
-wenn Mann und Weibsen sich gut sind, weil keiner sie
-aus dem ledigen Stande erlösen will, und seit sie vor
-vier Wochen sah, wie ich dem Hausmädchen einen Kuß
-gab, hat sie mir&rsquo;s nachgetragen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wie gemein!&ldquo; rief Alfred aus.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ja, mein gnädiger Herr,&ldquo; sagte der Diener, &bdquo;sie
-ist nicht vornehm, aber hübsch, und Kuß bleibt Kuß.
-Nun hatt&rsquo; ich eines Tags, auch wegen des Mädchens,
-ein neues Buch von der Stadt zu holen vergessen, es
-sollte so ein recht superkluges, andächtiges seyn, da sagt&rsquo;
-ich in der Angst, das Buch sei schon verliehen, das kam
-<a id="page-119" class="pagenum" title="119"></a>
-heraus, daß ich gar nicht weggegangen war, und da
-wurde ich nun um das bischen Lügen gleich aus dem
-Dienst geschickt.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Können Sie ihn brauchen?&ldquo; fragte der Baron die
-beiden jungen Leute; diese versicherten aber: sie würden
-sich nie mit einem Menschen zu thun machen, der in der
-edelsten und nachsichtigsten Familie nicht einmal hätte geduldet
-werden können. &bdquo;Nun so bleib indessen bei mir,&ldquo;
-schloß der Baron, &bdquo;aber lüge so wenig als möglich.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Gewiß, gnädigster Baron,&ldquo; rief der Mensch aus,
-&bdquo;vorsätzlich niemals; es kommt einem manchmal in der
-Angst eine sogenannte Nothlüge in den Hals, die, meinte
-selbst mein alter Priester da hinten in meinem Dorfe, sei
-wohl noch zu vergeben; aber meine gnäd&rsquo;ge Herrschaft legt
-alles auf die Goldwage, und in einem Hause, wo dann so
-die allerausgesuchteste Frömmigkeit und aufgeputzteste Tugend
-herrscht, da kommt ein armer, ordinärer Domestik durchaus
-gar nicht fort; wir sind zu irdisch, beste Herren,
-die vornehmen Leute haben es leichter, das schleift und
-schleift immer am Herzen und der Seele, dazu haben wir
-nicht Zeit vor Messerputzen und andern Verrichtungen.
-Fräulein Dorchen wollte mich auch entschuldigen und sagen,
-es wäre nicht so wichtig, die kam aber übel an, auf
-die schrieen sie alle zusammen noch mehr los, als auf
-mich. Die verachten sie alle, und sie ist doch die beste
-im Hause, weil sie nicht so hoch hinaus will, denn der
-Mensch ist doch einmal aus einem Erdenklos formirt, und
-da rührt sich von Zeit zu Zeit der alte Lehm und Thon
-in ihm.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie passen gut zusammen, Sie und Michel,&ldquo; sagte
-lachend der Offizier.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-120" class="pagenum" title="120"></a>
-&bdquo;Aber halt!&ldquo; rief der Baron, &bdquo;ich habe Dich nun
-in meine Dienste genommen, und ganz vergessen, daß
-morgen die Fräulein Ehrhard auf einige Zeit in mein
-Haus kommt. Ja, meine Freunde, ich kann diese Person
-gar nicht leiden, aber da ich mit meiner jungen Schwester
-lebe, die nun ganz aufgewachsen ist, mancher Mensch
-bei mir aus- und eingeht, ich auch oft außer dem Hause
-bin, so muß sie doch, da ich nicht zu heirathen Willens
-bin, eine Gesellschaft und Aufsicht haben. Da hat sich
-das verdrehte Weibsen entschlossen, es bei mir zu versuchen,
-denn sie weiß wohl, daß es bei mir gut hergeht,
-nicht so arm, wie dort in der Familie; ich sehe auch oft
-Gesellschaft, vielleicht denkt sie leichter einen Herzenskumpan
-bei mir zu finden, als dort in der Einsamkeit. So
-versuchen wir es denn auf einen Monat, oder so mit
-einander.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Alles recht fein gemein konstruirt!&ldquo; sagte der Rath:
-&bdquo;wenn Sie nur geringe Motive finden, so begreifen Sie
-die Sachen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Kann nicht anders,&ldquo; sagte der Baron. Sie schieden,
-da sie schon das Stadtthor erreicht hatten.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Am andern Morgen war im Hause der Baronesse
-schon früh viel Unruhe. Im großen Saale, der unmittelbar
-in den Garten führte, war die ganze Familie mit
-Sonnenaufgang versammelt. Man zog Blumenkränze an
-den Wänden auf, ein geschmückter Tisch stand unter einer
-Thüre, mit Kleidern, Büchern und mannigfaltigen Angedenken
-bedeckt, und man erwartete nun die älteste Tochter
-Dorothea, die täglich den Garten am frühesten Morgen
-zu besuchen pflegte, um sie mit diesen Geschenken und
-<a id="page-121" class="pagenum" title="121"></a>
-dieser Festlichkeit erfreulich zu überraschen. Es war
-ihr Geburtstag, und Mutter und Töchter hatten alles
-anordnen können, ohne daß sie es bemerkte, weil sie sich
-niemals um den Kalender sonderlich bekümmerte. Jetzt
-kam sie den Garten herunter, und sah schon aus der
-Ferne die versammelten Geschwister. Als sie erstaunt in
-den Saal trat, und Alle sie freundlich umringten, die
-verschiedenen Gaben darboten, und Schwestern und Mutter
-sich so ungewöhnlich liebevoll bezeigten, war sie tief
-gerührt und um so heftiger erschüttert, je weniger sie diese
-Feier der Liebe erwartet hatte.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wie neu ist mir dies!&ldquo; rief sie aus: &bdquo;ach! wie
-wenig habe ich das um Euch verdienen können! Liebt
-Ihr mich denn wirklich so? Alle diese Geschenke, dieser
-Glanz, diese freundliche Aufmerksamkeit, wie kann ich es
-Euch vergelten? Ich bin so überrascht, daß Ihr alle so
-an mich Arme denken mochtet, daß ich Euch noch gar
-nicht einmal danken kann.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Liebe uns nur recht innig,&ldquo; sagte die Mutter, sie
-herzlich umarmend, &bdquo;sondere Dich nicht so ab, komm uns
-allen mehr entgegen; erkenne, wie wir es meinen, und
-bemühe Dich, in unsere Gefühle und Ansichten einzugehen;
-denn wir suchen ja nur das Gute, wir wollen ja
-nur das Rechte. Diese Deine Launen, mein geliebtes
-Kind, Dein störriger Sinn, der Dich den Freunden und
-Geschwistern entfremdet, der Dich geringeren Menschen
-entgegen führt, ist eine Unart und Verwöhnung Deines
-Geistes. Du wirst und kannst die Wahrheit erkennen, sobald
-es nur Dein ernstlicher Wille ist.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich will besser werden,&ldquo; sagte die weinende Tochter,
-&bdquo;ich verspreche es Ihnen in dieser Stunde, die mich
-so unendlich bewegt.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-122" class="pagenum" title="122"></a>
-Alle herzten und küßten sie, und Dorothea, die schon
-seit lange als ein Fremdling in ihrer Familie stand,
-fühlte sich wie in einem neuen Leben. Sie sah Alle
-prüfend an, sie liebkoste Jeden, sie ließ sich die Geschenke
-zeigen und erklären; es war, als wäre sie von einer langen
-und weiten Reise zurück gekommen, und begrüße jetzt
-die Ihrigen nach schmerzlicher Trennung. &bdquo;Wenn ich nur
-auch für Euch alle etwas thun könnte!&ldquo; rief sie aus.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wenn Du es ernstlich willst,&ldquo; antwortete die Mutter,
-&bdquo;so kannst Du uns heut Alle, vor allen aber mich,
-unbeschreiblich glücklich machen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nennen Sie,&ldquo; rief Dorothea, &bdquo;sagen Sie, was ich
-thun soll.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wenn Du heut an diesem feierlichen Tage,&ldquo; fuhr
-die Baronesse fort, &bdquo;endlich Deine so lange verweigerte
-Einwilligung geben, wenn Du unsern Freund Wallen
-heut mit Deinem Worte beglücken wolltest, den Du gestern
-so unziemlich gekränkt hast.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Dorothea wurde blaß und trat erschreckend zurück.
-&bdquo;Dies fordern Sie?&ldquo; sagte sie stotternd: &bdquo;ich dachte, ich
-hätte darüber ein für allemal meine Erklärung gegeben.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Deine Leidenschaftlichkeit,&ldquo; sagte die Mutter, &bdquo;kann
-für keinen vernünftigen Entschluß gelten. Du liebst keinen
-Mann, wie Du oft gesagt hast, Du kennst kaum
-einen, den Du achten möchtest; dieser edle Freund ist Dir
-mit der schönsten Herzlichkeit ergeben, er bietet Dir ein
-Glück an, das Dir so schön nicht wieder entgegen kommt,
-wenn Du es jetzt von Dir weisest; Du kennst die Lage
-Deiner Familie, wie mißlich es mit unserm Vermögen
-steht; Du kannst die Wohlthäterin Deiner Mutter, die
-Versorgerin Deiner Schwestern werden. Hast Du wohl
-schon bedacht, mein liebes Kind, wie trostlos Deine eigne
-<a id="page-123" class="pagenum" title="123"></a>
-Zukunft seyn muß, wenn Du auf Deinem Eigensinn beharrst?
-Von Männern und Frauen verlassen, den Deinigen
-empört und gehässig, einsam und ganz verloren in
-einer kalten, höhnenden Welt, arm und ohne Hülfe!
-Wirst Du Dich alsdann nicht in Deine Jugend zurück
-sehnen, und in bitterm Schmerz bereuen, daß Du jetzt
-alles Glück für Dich und die Deinigen so muthwillig, so
-unbedacht von Dir gestoßen hast? Fordert dieser edle
-Mann denn Liebe und Leidenschaft von Dir, wie sie wohl
-in unsern verkehrten Büchern geschildert werden? Will
-er mehr als Freundschaft und Achtung? Und kannst Du
-ihm diese versagen? Er ist zu allen Aufopferungen bereit,
-die unsere drückende Lage fordert, und die sein großer
-Reichthum möglich macht; aber wenn Du ihn so
-spröde verhöhnst, und er tritt beleidigt und beschimpft zurück
-&mdash; wer weiß, wo Deine Geschwister oder Deine
-Mutter und Du selbst noch einmal im Alter ein schnödes
-Almosen erbetteln müssen, wo ich noch krank und hülflos
-liege, und Dein weinendes Auge dann umsonst in diese
-Tage sehnsüchtig zurück blickt, die dann auf ewig verschwunden
-sind.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Hören Sie auf, meine geliebteste Mutter!&ldquo; rief
-Dorothea im größten Schmerze aus. &bdquo;O leider, leider
-ist das Recht ganz auf Ihrer, und das Unrecht durchaus
-auf meiner Seite. Nein, ich habe noch nie geliebt, und
-werde es nie, mein Herz ist für dieses Gefühl verschlossen;
-die Männer, die ich gekannt habe, flößen mir alle
-ein Gefühl des Widerwillens ein, viele des Mitleids, um
-nicht Verachtung zu sagen; ich sehe ja ein, daß eine
-Ehe, die auf Vernunft sich gründet, die uns in Wohlstand
-und Sorglosigkeit versetzt, etwas Wünschenswerthes
-seyn muß; daß ich durch ein einziges Wort Sie und uns
-<a id="page-124" class="pagenum" title="124"></a>
-alle beglücken kann, daß es wohl edel ist, wenn ich es
-ausspreche, daß es die Nothwendigkeit vielleicht von mir
-erzwingt, und Kindespflicht und die edelsten Rücksichten &mdash;
-und doch &mdash; warum schaudert mein Gefühl davor zurück?
-&mdash; Ach, liebe Mutter, wenn nur eins nicht wäre,
-&mdash; darf ich es sagen? werden Sie mich nicht ganz mißverstehn?
-O gewiß! denn ich verstehe mich ja selber
-nicht.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sprich, mein geliebtes Kind,&ldquo; sagte die Mutter
-im freundlichsten Tone, &bdquo;ich werde Dein Herz fühlen,
-wenn ich auch nicht ganz Deine Worte fasse.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Dorothea zögerte, sah sie bittend an, und sagte endlich
-verlegen und mit bittender Stimme: &bdquo;Oft habe ich
-mir selbst die Frage vorgelegt, ich habe mich in einsamen
-Stunden ernst geprüft, und mir schien dann wohl, als
-könnte ich meine Hand in die des würdigen Mannes fügen,
-den Sie alle, den die ganze Welt verehrt, wenn er
-nur nicht &mdash;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nun?&ldquo; rief die Mutter.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wenn er nur nicht fromm wäre,&ldquo; sagte die Tochter
-hastig.
-</p>
-
-<p>
-Eine lange Pause der Verlegenheit entstand. Dorothea
-war glühend roth geworden, die Schwestern traten
-scheu zurück, die Mutter schlug den Blick nieder, und
-wandte ihn dann um so schärfer prüfend auf die Arme,
-die Allen und sich selbst fast eine Entartete schien. Endlich
-sagte die Mutter: &bdquo;Nun, wahrlich, das muß mich
-überraschen, und wenn ich dies in Dir verstehe, so möchte
-es mich auch mit Schauder erfüllen. Also Du bekennst
-nun öffentlich Deinen Abfall von Gott? Du bist also
-darüber mit Dir einig, daß das Heilige Dir ein Anstoß
-und Greuel ist? Du kannst das nicht lieben, was die
-<a id="page-125" class="pagenum" title="125"></a>
-Liebe selber ist? So geh denn und verläugne das Göttliche,
-lebe ruchlos und stirb vom Himmel verlassen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie verstehn mich nicht,&ldquo; rief Dorothea mit einem
-hohen Unwillen: &bdquo;das ist ja das Unglück meines Lebens,
-daß Alles an mir mißdeutet wird, wenn ich es noch so
-gut meine. Vielleicht würde mir Herr von Wallen ganz
-recht seyn, wenn ich nur nicht wüßte, daß er so fromm
-ist, ja vielleicht würde ich ihn alsdann für fromm halten.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Trefflich!&ldquo; sagte die Mutter in schmerzlicher Entrüstung:
-&bdquo;wenn wir selber verderbt sind, so ist es freilich
-am bequemsten, an den Würdigen ihre Tugend zu
-bezweifeln. Damit sprichst Du auch zugleich aus, wie
-Du von mir denkst, und was ich überhaupt von Deiner
-Kindesliebe zu erwarten habe.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie sollen, Sie werden sich irren!&ldquo; rief Dorothea
-fast im Zorne aus: &bdquo;ich will mehr thun aus Liebe für
-Sie, als ich vor mir selbst verantworten kann, ich will
-mich heute Abend, darauf gebe ich Ihnen jetzt mein Wort,
-mit dem Herrn von Wallen verloben.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Ein allgemeiner Ausruf der Freude, Thränen, Umarmungen,
-Schluchzen unterbrachen und ersetzten jedes Gespräch.
-Der Wortwechsel verwandelte sich in das lauteste
-und fröhlichste Getümmel, Alle hatten die Fassung verloren,
-und drückten Liebe und Entzücken heftig und übertrieben
-aus. Nur Dorothea war nach ihren letzten Worten
-plötzlich wieder ganz kalt geworden, und gab sich ohne
-alle Erwiederung still den Liebkosungen hin.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;O Du mein geliebtes Kind!&ldquo; sagte die Mutter endlich
-wieder gefaßt, &bdquo;ja, ich habe Dich mißverstanden, und
-Du wirst mir verzeihen; macht ja diese unerwartete freiwillige
-Erklärung Alles wieder gut. Und jetzt darf ich
-Dir auch noch das schönste und kostbarste Geschenk zu
-<a id="page-126" class="pagenum" title="126"></a>
-jenen Gaben der Liebe hinzufügen, diesen Schmuck, den
-Dir der Baron sendet; ich habe ihn zurück gehalten, weil
-ich wirklich an Deinem schönen Gefühle zweifelte.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Die Tochter sah die Mutter mit großen Augen an,
-dann warf sie einen kalten Blick auf die kostbaren Steine,
-und legte sie ruhig zu den Blumen auf den Tisch. Das
-Frühstück ward gebracht, und man war nach der lauten
-Scene um so ruhiger, kein Gespräch wollte in den Gang
-kommen. Es läutete zur Kirche, die Bedienten brachten
-Mäntel und Bücher. Dorothea legte ihr Andachtsbuch
-aus der Hand und sagte: &bdquo;Sie verzeihen wohl, liebe
-Mutter, wenn ich Sie heut nicht zur Kirche begleite, ich
-bin zu gespannt, ich will mich hier in der Einsamkeit indeß
-zu sammeln suchen und auf unsere Mittagsgesellschaft
-vorbereiten, noch mehr auf den Abend.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wie Du willst, mein holdes Kind,&ldquo; antwortete
-die Baronesse: &bdquo;zwar wäre die Kirche und die Rede unsers
-frommen Seelsorgers wohl der natürlichste Ort und
-Anlaß, Deine Gedanken zu sammeln, indessen hast Du
-einmal Deine Art und Weise, sie bleibe Dir ganz unbekrittelt.
-Es ist augenscheinlich der Himmel selbst, der
-Dich, Geliebte, die Du es am meisten bedarfst, unserm
-geliebten Wallen zuführt; an seinem Arm wirst Du anders
-denken lernen, und vielleicht erlebe ich es noch, daß
-Du uns alle beschämst und in höherem Glanze voran
-leuchtest.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Als sich Dorothea allein sah, musterte sie, fast gedankenlos,
-die Geschenke. Die schimmernden, kostbar gebundenen
-Bücher waren von jenen neuen religiösen, denen
-sie nie ein Interesse hatte abgewinnen können. Was macht
-es? sagte sie zu sich: ist denn die Erde selbst, das ganze
-Leben so sehr der Rede werth? Warum will ich mit so
-<a id="page-127" class="pagenum" title="127"></a>
-großem Widerwillen die Rolle durchführen, die mir einmal
-aufgegeben ist? Was ich mir früher dachte und
-vorsetzte, ist ja doch nur Traum und leere Einbildung!
-Ich sehe ja, wie alle, alle Menschen nur spielen und Erhebung
-heucheln, dann gern und beruhigt in die Gemeinheit
-sinken. Ist es das allgemeine Schicksal, warum
-will ich mich so heftig dagegen sträuben? Entsetzlich ist
-es! aber endlich, früh oder spät, löst ja doch der Tod
-das verwickelte Netz dieses Lebens, und jenseits wird es
-ja doch wohl Freiheit geben.
-</p>
-
-<p>
-Mit ihrer Stimmung wurde auch der Himmel finsterer.
-Dunkle schwere Wolken zogen näher, und schienen
-ein Gewitter herbei zu führen. Ein schlanker Mann
-kam den Garten herauf und näherte sich dem Saal. Als
-er eintreten wollte, ging sie dem Fremden, der ein Mann
-von Stande zu seyn schien, entgegen. Sie begrüßten sich,
-und der Unbekannte bat um die Erlaubniß, verweilen zu
-dürfen, er habe in der Lindenallee sein Pferd dem Diener
-übergeben, und sei dann in den offenen Garten gerathen;
-er bedauerte, die übrige Familie nicht zu finden, worauf
-ihn Dorothea einlud, im Saale das Gewitter abzuwarten
-und zu verweilen, bis Mutter und Schwestern aus der
-Kirche zurück kehren würden.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie scheinen beim Gewitter nicht ängstlich zu seyn,&ldquo;
-bemerkte der Fremde.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Doch,&ldquo; erwiederte Dorothea, &bdquo;wenn es allzunahe
-kommt, und Feuer und Schlag eins und dasselbe werden;
-ich glaube auch, daß sich alsdann wohl alle
-Menschen mehr oder minder fürchten; denn wo es keinen
-Widerstand giebt, wo ein plötzlicher unversehener Augenblick
-mich wegraffen dürfte, da ängstet es mich gerade,
-daß ich nicht auf meiner Hut seyn kann. In diesen
-<a id="page-128" class="pagenum" title="128"></a>
-Augenblicken beruhigt nur der Glaube an ein nothwendiges
-Fatum und die Betrachtung, daß ich nichts Besseres
-bin, als die Tausende meiner Mitmenschen, die demselben
-Schrecken ausgesetzt sind.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Diese Gesinnung,&ldquo; sagte der Unbekannte, &bdquo;muß
-ich eine tapfere nennen, im Gegensatz jener schwachen, die
-bei den Damen gar nicht selten ist, wenn sie beinahe in
-Furcht vergehn, alle Fassung verlieren und in Thränen
-jammern, indem nur noch das fernste Wetterleuchten herüber
-schimmert.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wohl,&ldquo; sagte Dorothea, &bdquo;und ich sorge schon um
-Mutter und Schwestern, die nur gar zu reizbar sind.
-Ich mag es nicht tadeln, weil es wohl, wie so viele
-krampfhafte Furcht, Krankheit des Körpers seyn mag.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Es ist nicht so leicht zu entscheiden,&ldquo; bemerkte der
-fremde Mann, &bdquo;weil wir erst ernsthaft versuchen müßten,
-was der starke Wille denn wohl vermag, und ob,
-wenn die Seele sich zwingt, nicht auch der Körper wenigstens
-einige Schritte mitgeht, und von selbst da Gesundheit
-entsteht, wo die eigenwillige Stimmung die Kränklichkeit
-erzeugt hat.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Das führt auf die Frage,&ldquo; sagte Dorothea, &bdquo;in
-wie fern wir frei sind, und was wir im Geist und Körper
-durch Vorsatz vermögen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Gewiß,&ldquo; erwiederte jener, &bdquo;und nicht blos diese,
-alle ernsten Betrachtungen führen zu der großen Frage.
-Ohne diese uns beantwortet zu haben, können wir auch
-für nichts Interesse fassen, und weder an uns, noch an
-andere glauben.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Freiheit!&ldquo; seufzte Dorothea, wie vor sich hin phantasirend:
-&bdquo;Sie glauben also daran? Ich auch ehemals,
-als ich jünger war.&ldquo; &mdash;
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-129" class="pagenum" title="129"></a>
-&bdquo;Jünger, mein Fräulein? das klingt von Ihren schönen
-Lippen sonderbar. Ich zweifelte als Jüngling, und
-habe erst später diese Ueberzeugung fassen lernen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Vergeben Sie,&ldquo; rief Dorothea beschämt, &bdquo;daß ich
-mich mit Ihnen in dergleichen Worte verliere, da ich&ldquo; &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Der Fremde unterbrach sie: &bdquo;Behandeln Sie mich
-nicht wie einen unbekannten jungen Menschen, der nur
-da seyn darf, um Ihnen etwas Verbindliches zu sagen.
-Sie sind mir mit einem schönen und ernsten Vertrauen
-entgegen gekommen, und ich weiß, daß ich dessen nicht
-unwerth bin.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Und wirklich schien es, als spräche Dorothea mit
-einem alten Bekannten oder Bruder, so wenig war dieser
-Mann &mdash; nach dessen Namen sie selbst zu fragen vergaß
-&mdash; ihr fremd. Seit lange hatte sie nicht dieses Gefühl gehabt,
-ihre Gedanken, ohne Furcht, mißverstanden zu werden,
-aussprechen zu dürfen; dies gab ihr eine Behaglichkeit,
-daß sie auf das heranrückende Gewitter nur wenig
-achtete, und selbst den Abend vergaß, an welchen sie so
-eben noch nur mit Entsetzen hatte denken können. Im
-Verlauf des Gesprächs erzählte der Fremde von seinen
-Reisen, Manches von seinen Schicksalen; er erinnerte sich
-seiner Jugend, und bekannte endlich, daß er dies Haus,
-und vorzüglich den vor Jahren verstorbenen Vater des
-Fräuleins oft gesehn habe. &bdquo;Sie sehen Ihrem Vater
-wunderbar ähnlich,&ldquo; beschloß er, &bdquo;und ich habe gleich
-Anfangs diese freundlichen Lineamente nicht ohne Rührung
-betrachten können.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Dorothea war überrascht, als sie die Familie schon
-aus der Kirche zurück kommen sah. Man begrüßte den
-Fremden, die Mutter trat fast erschrocken zurück, und Dorothea
-erblaßte, als sie ihn Graf Brandenstein nennen
-<a id="page-130" class="pagenum" title="130"></a>
-hörte. Er ward höflich zu Tische geladen, und der alte
-Baron Wallen erschien ebenfalls, so wie der Rath Alfred
-und der junge Offizier; beide waren aus der Stadt herüber
-geritten. Die Familie kleidete sich um, und Dorothea
-war in ihrem einsamen Zimmer in tiefen Gedanken
-verloren. Die Welt lag sonderbarer als je vor ihrem
-Geiste da, sie konnte sich kaum zurecht finden, um ihren
-bescheidenen Putz zu ordnen, und als sie nachher wie träumend
-zur Gesellschaft zurückkehrte, erschienen ihr alle Gesichter
-wie hart und gespannt, ja, als fremd, besonders
-aber die weiche, gesalbte Miene des Barons wie zum Erschrecken
-verzerrt, und ein Gefühl, als wenn sie lachen
-solle, bemeisterte sich wie ein Frost ihres ganzen Wesens,
-indem sie sich erinnerte, daß sie diesen Mann noch heut
-Abend für ihren Bräutigam erklären müsse. Wie widrig
-ihr der junge Offizier und Rath auffielen, so bekannt,
-vertrauensvoll und milde leuchteten ihr die Blicke des
-Grafen entgegen, den sie als einen bösen und gefährlichen
-Menschen noch gestern hatte schildern hören.
-</p>
-
-<p>
-Er schien allein unbefangen am Tische. Mit Behaglichkeit
-erzählte er von seinen Geschäften, die er für seinen
-amerikanischen Freund betrieb; er nannte die Güter, die
-er schon gekauft hatte, oder um welche er noch in Unterhandlungen
-stand, und man verwunderte sich über den
-Reichthum des unbekannten Mannes, der die schönsten
-Besitzungen zu einer großen Herrschaft vereinigen konnte.
-Durch die Gewandtheit des Grafen ward die Unterhaltung
-bald freier, und der Baron, welcher dem Gefühle, das
-ihn bedrängte, wie mit Gewalt widerstand, suchte das
-Gespräch an sich zu reißen und zu beherrschen, vorzüglich
-wohl, damit die Jugend und die Frau des Hauses nicht in
-der gewohnten Verehrung nachlassen möchten.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-131" class="pagenum" title="131"></a>
-Wie es aber zu geschehen pflegt, daß ein Gespräch,
-wenn es nicht mit leichter Unbefangenheit und feinem Sinne
-geführt wird, wohl in Anmaßung und Spannung eine
-polemische Natur annimmt, so war es auch hier; denn
-die Reden und Aeußerungen des Barons waren alle verhüllte
-Angriffe gegen den Grafen und dessen Meinungen,
-wie er sich diese nach der Schilderung desselben dachte.
-Der Graf achtete diese Demonstrationen Anfangs wenig;
-er unterhielt sich hauptsächlich mit Dorotheen, die neben
-ihm saß, sprach von seinen Geschäften, und sagte endlich
-auch, wie im Scherz, er habe zugleich von seinem amerikanischen
-Freunde den Auftrag erhalten, ihm eine Gemahlin
-zu suchen.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Das kann wohl von Ihnen beiden nicht ernsthaft
-gemeint seyn,&ldquo; sagte die Baronesse.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Und warum nicht?&ldquo; erwiederte der Graf in heitrer
-Laune, &bdquo;mein Freund ahmt ja hierin nur den regierenden
-Fürsten nach, durch Anwalde und nach politischen Rücksichten
-zu unterhandeln. Er ist nicht mehr jung und
-kann nicht erwarten, Leidenschaft zu erregen; er hat in
-der Jugend traurige Erfahrungen gemacht, und an seinem
-eignen Unglück, so wie an manchem Freunde erlebt, daß
-dasjenige, was die Menschen Liebe nennen, nur weichliche
-Sehnsucht, oft Eitelkeit, zuweilen sogar Verblendung sei,
-und die meisten Ehen, die in scheinbarer Leidenschaft geschlossen
-werden, nur ein dürftiges, ganz kümmerliches
-Leben, oft Elend herbei führen. Ich bin sein ganz vertrauter
-Freund, und er rechnet auf meine Menschenkenntniß,
-daß ich ihm ein Loos ziehen werde, welches ihm geziemt.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Der Baron erwiederte, daß ihm ein solches Unternehmen
-immer noch mißlich scheine, und daß der Unbekannte
-<a id="page-132" class="pagenum" title="132"></a>
-dabei doch das Glück seines Lebens auf das
-Spiel setze.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Glück?&ldquo; nahm der Graf das Wort auf: &bdquo;gewiß,
-wenn er sich jenes Unbedingte, Unendliche und Unaussprechliche
-dabei dächte, was die Jugend gewöhnlich mit
-diesem Worte verbindet. Wo finden wir dies? Wer sich
-nicht zu beschränken versteht, wird nichts erlangen, am
-wenigsten, was jenseit aller Schranken liegt. Die Resignation
-mag Anfangs bitter scheinen, aber ohne sie ist kein
-Zustand des Lebens zu ertragen; denn wenn wir mit uns
-nur wahr umgehen, so müssen ja doch auch alle Entzückungen
-unmittelbar der Wehmuth Platz machen, ja sie
-sind eins mit dieser, und Schönheit, Kunst, Begeisterung,
-Alles ist für uns irdische, vergängliche Menschen nur da,
-indem es vergänglich ist, obgleich die Wurzel alles Göttlichen
-in der Ewigkeit ruht.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sonderbar!&ldquo; sagte der Baron: &bdquo;somit wäre auch
-die Andacht und die Frömmigkeit, das Erkennen des
-Himmlischen diesem Wandel unterworfen?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich glaube,&ldquo; sagte der Graf, &bdquo;wer nicht irdisch
-seyn mag, kann auch nicht überirdisch seyn; Nacht und
-Tag, Schlaf und Wachen, Erhebung und Gleichgültigkeit
-müssen sich ablösen. Wir beklagen mit Recht, daß es so
-ist und seyn muß, aber es kann nicht anders; wer aber
-die Erleuchtungen der Andacht, die Entzückungen einer
-himmlischen Liebe zu einem stehenden Artikel in seinem
-Herzen machen wollte, der dürfte sich wohl auf dem allergefährlichsten
-Standpunkte befinden, auf den der Mensch
-sich nur wagen kann.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie sind einmal als Freigeist bekannt,&ldquo; antwortete
-die Mutter, &bdquo;und es wird Ihnen bei uns nicht gelingen,
-unsere klare Ueberzeugung zu trüben.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-133" class="pagenum" title="133"></a>
-Kunigunde sagte mit einem schmelzenden Tone: &bdquo;Sie
-meinen also, es sei gefährlich, den Herrn zu lieben?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Brandenstein mußte lächeln: &bdquo;Gefährlich, wie alle
-Liebe, schöne Frau,&ldquo; erwiederte er leicht, &bdquo;besonders, wenn
-man den Gegenstand, den man zu lieben unternimmt, nicht
-kennt, oder sich eine ganz unrichtige Vorstellung von ihm
-macht; noch schlimmer, wenn wir ein Phantom aus ihm
-bilden, das alle unsre Vorurtheile bestärken, uns in unsern
-Schwächen Recht geben, unsere Fehler und Irrthümer
-autorisiren soll. Da dürften wir unser thörichtes Herz
-leicht an ein Gespenst verschenken, wie einige alte Mährchen
-etwas Aehnliches erzählen, und uns entsetzen, wenn
-uns die wahre Gestalt des Göttlichen einmal in einer erleuchteten
-Minute erschiene.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Dorothea hörte aufmerksam zu, und der Baron sagte
-nicht ohne Verdruß: &bdquo;Die Liebe kann nicht irren. Wo
-sonst einen Wegweiser auf unserm Pfade suchen?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wenn sie die wahre ist, nicht,&ldquo; erwiederte der Graf:
-&bdquo;aber über diese täuschen wir uns selber nur gar zu
-leicht; denn wenn unsere Leidenschaften nicht Sophisten
-wären, so wären sie eben auch keine Leidenschaften.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;So ist denn der Zweifel,&ldquo; sagte der Baron zürnend,
-&bdquo;das Einzige, was wir gewinnen können.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Er sei unser Diener,&ldquo; antwortete der Graf, &bdquo;der
-die Wege untersucht, unser Thor, der mit nüchternem
-Spaß uns vor dem Allzuviel oder vor Uebereilung warne.
-Kinder und Narren reden aber, wie das Volkssprichwort
-sagt, die Wahrheit: zuweilen wenigstens, wenn nicht oft
-und immer.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Eine Mutter,&ldquo; sagte die Baronesse, &bdquo;weiß, was
-Liebe ist; der Mann behält vielleicht immer eine dunkle,
-zweifelnde Vorstellung von dieser Kraft. Auch ist die
-<a id="page-134" class="pagenum" title="134"></a>
-That immer mehr als das Wort, und so habe ich meine
-Kinder erzogen und mit ihnen gelebt, ganz in Liebe, keinen
-blinden Gehorsam, nie etwas Unvernünftiges von
-ihnen fordernd, immer habe ich mich ihnen geopfert; aber
-sie haben schon lallend meine Liebe erkannt und erwiedert,
-auch sie haben nur ihren Herzen folgen dürfen, und
-Strenge, Furcht und dergleichen ist ihnen völlig unbekannt
-geblieben.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Die Töchter sahen die Mutter zärtlich an, die Mutter
-hatte Thränen im Auge, nur Dorothea blickte scheu
-vor sich nieder, und der Baron sagte begeistert: &bdquo;Man
-kennt und verehrt diese musterhafte Erziehung, und wer
-an Liebe zweifelt, komme und sehe diesen Familienkreis.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Fern sei es von mir,&ldquo; sagte Brandenstein, zu Dorotheen
-gewendet, &bdquo;mit rohem Gefühl diese zarte Liebe
-nicht anerkennen zu wollen; nur meine ich, wenn ich mich
-meiner glücklichen Kindheit erinnere, daß die Liebe zu den
-Aeltern, und eine gewisse religiöse und edle Furcht vor
-ihnen ein und dasselbe seyn müßte; denn durch die letztere
-scheint mir meine Kindesliebe erst ihre wahre Kraft und
-Innigkeit erlangt zu haben, auch soll ja diese heilige Scheu
-vor etwas Unbegreiflichem in den Aeltern jenen blinden,
-unbedingten Gehorsam erzeugen, in welchem sich das Kind
-eben so glücklich fühlt; denn ohne diesen Gehorsam findet,
-scheint es mir, weder Erziehung noch Liebe statt.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Die Mutter sah die älteste Tochter, welche derselben
-Meinung zu seyn schien, bedenklich an, und sagte dann
-mit etwas gespitztem Tone: &bdquo;Ich habe es vorgezogen,
-meine Kinder früh zu überzeugen, und wo das nicht
-möglich war, stimmte ich sie so, daß sie aus Liebe zu mir
-das thaten, was sie nicht einsehen konnten.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich verehre Ihre Erziehung,&ldquo; sagte der Graf, &bdquo;denn
-<a id="page-135" class="pagenum" title="135"></a>
-wer möchte in dieser schönen Umgebung dagegen streiten?
-Doch dürften diese Auswege vielleicht etwas zu kostspielige
-Surrogate für den einfachen und wohlfeilen Gehorsam
-seyn.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Der Baron wandte sich verstimmt an den Rath Alfred,
-und das Gespräch nahm eine andere Wendung. Der
-junge Offizier erzählte mit Selbstgenügsamkeit, daß er
-neulich die Gesellschaft, zu der ihn eine Dame eingeladen
-hatte, ohne alle Entschuldigung vermieden habe, da es
-ihm sündlich scheine, eine Unpäßlichkeit oder ein Geschäft
-vorzuschützen. Man lobte diesen Wahrheitstrieb und
-meinte, diese Art und Weise müßte in der Gesellschaft
-die allgemeine werden, wenn sie sich vor der leeren Affectation,
-Heuchelei und fortwährenden kleinen Lüge retten
-wolle. Auch die Mutter stimmte zögernd in diese Behauptungen
-ein, ob sie gleich befürchtete, daß dergleichen
-nur schwer möglich zu machen sei, ohne zugleich die feinen
-Bande der Geselligkeit völlig zu lösen; doch sei eben
-darum die Tugend des Einzelnen, der den Muth habe, sich
-über diese Rücksichten hinweg zu setzen, um so mehr zu
-preisen. &bdquo;Nichts,&ldquo; fuhr sie fort, &bdquo;habe ich bei meinen
-Kindern so sehr zu erwecken und zu beleben gesucht, als
-den heiligen Wahrheitstrieb; ich habe sie bewacht, daß
-sie sich nie auch nur die kleinste Unwahrheit, ja selbst im
-Scherze nicht, erlauben durften. Immer auch habe ich mich
-bestrebt, alle Fragen wahr zu beantworten, aus dem Unterricht
-alles zu entfernen, was nicht klar und deutlich
-gemacht werden konnte; am meisten aber vermied ich jene
-unsinnigen Mährchen und lügenhaften Geschichten, die
-Furcht und Aberglauben nähren, und das Gemüth der Kinder
-wohl am allermeisten der Wahrheit entfremden.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Der Baron führte diese Sätze noch mehr aus, und
-<a id="page-136" class="pagenum" title="136"></a>
-alle Uebrigen stimmten ein, außer dem Grafen, welcher
-äußerte, daß es eine der schwierigsten Antworten seyn
-möchte, zu sagen, was denn Wahrheit, die eigentliche
-Wahrheit sei. &bdquo;Die Menschen,&ldquo; meinte er, &bdquo;suchen sie
-in allen Richtungen schon seit Jahrtausenden, und auch
-hier muß, wie fast immer, der gute Wille, wahr seyn zu
-wollen, nur zu oft die Sache selbst vertreten. Will ich
-gegen Kinder oder Schwache immerdar auf alle Fragen
-die Wahrheit sagen, so komme ich in die Gefahr, gar
-nicht mehr wahrhaft seyn zu können; denn das Letzte
-beruht ja doch auf einem Geheimniß, das ich eben so
-wenig läugnen darf, als ich es erklären kann. Und zu
-diesem Unsichtbaren hin drängen uns Phantasie und Gefühl
-schon sehr früh, und der Lehrer, der die junge Ungeduld
-hiervon entfernen will, muß nur wieder zu einer
-andern Lüge seine Zuflucht nehmen, die vielleicht in falscher
-Aufklärung eben so schlimm, als die des Abergläubigen
-ist. So scheint es mir auch nicht gut gethan, die
-Phantasie der Kinder nicht bilden zu wollen, auch in der
-sonderbaren Kraft, die das Grauen sucht, und blinde,
-wilde Schrecknisse ersinnt. Dieser Trieb ist in uns, er
-regt sich früh; und soll er unterdrückt werden, strebt man
-ihn zu vernichten, was nicht möglich ist, so wächst er in
-der finstern Tiefe fort und gewinnt an Macht, was er
-an Gestaltung verliert. Ich habe weibliche Wesen gekannt,
-die man aus übertriebener Aufklärung selbst vor dem
-unschuldigsten Mährchen bewahrte, und die in reifen Jahren
-es nicht über sich vermochten, am Abend auch nur
-durch das benachbarte Zimmer zu gehen, so bezwang sie
-ein namenloses, ganz kindisches Grauen, so daß sie vor
-jedem Laut, vor jedem Schatten ohnmächtig erzitterten.
-Wird dagegen in der Kinder-Phantasie auch das Seltsam-Aengstigende
-<a id="page-137" class="pagenum" title="137"></a>
-in Gestalt gebracht, wird es in Mährchen
-und Erzählungen gesänftiget, so vermischt sich diese Schattenwelt
-sogar mit Laune und Scherz, und sie selbst, die
-verworrenste unsers Geistes, kann ein Wunderspiegel der
-Wahrheit werden. Durch diese Krystallseherei können wir
-weitentfernte und doch befreundete Geister wahrnehmen,
-die uns in sichtlicher Nähe nur höchst selten vorüber
-schweben.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Daß Sie ein solcher Freund des Aberglaubens
-sind,&ldquo; erwiederte die Baronesse, &bdquo;muß ich erst jetzt von
-Ihnen erfahren.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Dorothea schien kein Wort dieser sonderbaren Unterredung
-zu verlieren; sie sah Kunigunden an, auf welche
-jene Schilderung einer unvernünftigen Angst, die sie oft
-sogar am Tage befiel, buchstäblich paßte; auch waren die
-andern Schwestern zuweilen kindisch genug, und scheuten
-am Abend jeden Gang. Kunigunde war empfindlich, sie
-glaubte, der fremde Gast kenne diese ihre Schwäche, und
-habe sie nur schildern wollen. Die Mutter konnte ihre
-Verlegenheit nicht ganz verbergen.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Der Gesellschaft,&ldquo; fuhr Brandenstein fort, &bdquo;kann ich
-mich nicht immer mit der nackten Wahrheit nahen, denn sie
-fordert und erwartet sie nicht von mir. Ich darf die Tugenden
-der Einsamkeit nicht in sie werfen, wenn ich nicht
-den Zauber, durch welchen sie für den gebildeten Menschen
-so reizend wird, zerstören will. Man findet allenthalben
-schlechte Gesellschaft, die ich wahrlich nicht preisen will;
-aber daß man das feine Leben, die zarteren Bande der
-gebildetern Welt, das anmuthige Verhältniß der Geschlechter,
-die Formen, welche Witz und Lebensart erfanden, so
-oft schmähend mit den Gesetzen und Bedingnissen eines
-sinnreichen Kartenspiels verglichen hat, ist mir zwar nicht
-<a id="page-138" class="pagenum" title="138"></a>
-unpassend, aber sonderbar vorgekommen, und unbegreiflich,
-daß man nicht die Mannigfaltigkeit des Lebens und dessen
-nothwendige Figuren hat anerkennen wollen. Man muß
-nur eine Zeitlang mit bäuerischen Menschen gelebt haben,
-die ihre rohe Zutäppigkeit für biedere Tugend so oft verkaufen
-wollen, die alles verletzen, die kein Geheimniß, kein
-zartes Verhältniß anerkennen, sondern alles Geistigere
-Affectation und Heuchelei taufen; man muß Wochen
-lang diesem rohen Betasten und Anpacken, und der drückenden
-Langeweile ausgesetzt gewesen seyn, um den Adel
-eines feinen, geistreichen Umgangs wieder schätzen zu lernen.
-Hier gilt denn freilich nicht immer das blanke Ja
-und Nein; und mit der sogenannten Wahrheit die gegebenen
-Formen, durch welche diese Erscheinung sich nur
-darstellen läßt, umstoßen wollen, ist eben so unbillig, als
-wenn ich die Gesetze eines künstlichen Schachspiels Lüge
-nenne, mit meinen Bauern gleich in das letzte Feld des
-Gegners rücke und mein Spiel für gewonnen erkläre.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie sind ein ziemlicher Sophist,&ldquo; sagte der Baron.
-&bdquo;Es fehlte noch, daß die Verläumdung, Klatscherei, Neid
-und Verfolgung der großen Gesellschaften einen Lobredner
-fanden; es bleibt dann nur noch übrig, die stille Tugend,
-die schöne Bürgerlichkeit, die kindliche Unschuld und edle
-Einfalt der nichtvornehmen Welt zu schmähen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie können mich unmöglich so mißverstanden haben,&ldquo;
-sagte der Graf: &bdquo;ich meine nur, man soll Bedingnisse,
-die jedes Spiel und Kunstwerk nothwendig macht
-(und die gute und feine Gesellschaft sollte wohl von beidem
-etwas haben), nicht mit Unwahrheiten verwechseln;
-denn auch im Tanz ist keine Wahrheit, wenn anders der
-gerade eilige Geschäftsschritt so zu nennen ist, und es
-dürften sich von dieser Ansicht her selbst gegen den Spaziergang
-<a id="page-139" class="pagenum" title="139"></a>
-nicht unerhebliche tugendhafte Zweifel aufwerfen
-lassen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Immer ärger!&ldquo; rief der Baron: &bdquo;zum Glück, mein
-scharfsinniger Graf, sprechen Sie alles dies in einer Gesellschaft,
-auf die es nicht schädlich einwirken kann.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie haben mich einmal hinein gezogen,&ldquo; erwiederte
-Brandenstein, &bdquo;und so mögen Sie denn auch mein ganzes
-Glaubensbekenntniß hören. Ich denke, es hat noch keinen
-Menschen gegeben (und keiner wird kommen), der nicht
-irgend einmal in seinem Leben mit Bewußtsein gelogen
-hätte. Sei es nun Nothlüge oder Schwäche, Furcht,
-Eigennutz oder Eitelkeit, und wie sie alle heißen mögen,
-diese Flecken unsrer Natur; vielleicht auch, um nur einmal
-diesem Geiste zu folgen, der uns doch gar zu reizend verlockt.
-Und dürfen wir doch nur auf die erhabenen Apostel
-sehen, um zu lernen, daß sie ihrem Vorbilde, der ewigen
-göttlichen Wahrheit, nicht immer getreu zu seyn stark
-genug waren. Vieles dieser Art möchte ich die unschuldigen
-Lügen nennen, denen der bessere Mensch, eben weil
-sie so resolut sind, bald aus dem Wege gehn kann. Aber
-wie steht es denn mit jener gleissenden Eigenliebe, mit jenem
-prunkenden Egoismus, mit der ausgebildeten Heuchelei,
-die aus dem ganzen langen Leben mancher Menschen
-nur eine einzige Lüge bilden? Ich habe wenigstens
-einige gekannt, die so im Lügengeiste untergesunken waren,
-daß es für sie gar keine Wahrheit mehr gab. Und
-diese Menschen galten für tugendhaft, sie hielten sich selbst
-für Auserlesene, es war ihnen möglich, selbst auf dem
-Sterbebette die Rolle der Heuchelei fortzuspielen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Dergleichen ist nicht möglich!&ldquo; rief der Baron, und
-Alle stimmten ihm bei; nur Alfred äußerte, es könne
-doch wohl dergleichen Verkehrtheit geben, worauf ihn Dorothea
-<a id="page-140" class="pagenum" title="140"></a>
-verwundert mit großen Augen ansah. &bdquo;Sie sprechen
-überhaupt,&ldquo; fuhr der Baron fort, &bdquo;von einer vorigen
-Welt; seit Ihrer Abwesenheit hat sich bei uns Alles
-so geändert, daß Sie, wenn Sie unser Vaterland erst
-wieder kennen lernen, kaum mehr eine Spur vom vorigen
-finden werden. Die alte Irreligiosität, jene leere Freigeisterei,
-die sich Aufklärung nannte, ist, dem Himmel sei
-Dank! ziemlich verschwunden; immer schöner entwickeln
-sich die Keime einer ächten Religiosität, man schämt sich
-nicht mehr, Christ zu seyn, an den Herrn zu glauben und
-sich im brünstigen Gebet zu ihm zu erheben. Die Kirchen
-sind wieder gefüllt, die höhern Stände verschmähen
-nicht mehr die Gemeinschaft ihres Nebenchristen, andächtige
-Bücher haben die frivolen von den Tischen unserer
-Weiber und Mädchen verdrängt, geläuterte Seelen unterhalten
-sich, statt mit Theatergeschwätz, über die Bibel, ermuntern
-sich zur Buße und Andacht, theilen sich die Erfahrungen
-mit, die sie an ihrem Herzen machen, stärken
-sich gegenseitig, und immer deutlicher spricht aus diesen
-erhobenen Gemüthern der Geist des Herrn. Alles dies,
-mein zweifelnder Freund, werden Sie wenigstens gelten
-und stehn lassen müssen, denn hier ist Wahrheit und
-Liebe, hier ist kein Irren möglich.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Er hatte alles dieses mit großer Salbung gesprochen.
-Der Graf schwieg einen Augenblick, ehe er sagte: &bdquo;Unser
-Tischgespräch hat eine so ernsthafte Wendung und einen
-so feierlichen Inhalt gefunden, daß es wohl passender
-wäre, abzubrechen, entweder auf eine stillere Stunde diese
-Eröffnungen zu versparen, oder ganz zu schweigen, weil
-man sich über diese wichtigen Gegenstände am leichtesten
-mißversteht.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Weil Sie sich jetzt völlig geschlagen fühlen,&ldquo; sagte
-<a id="page-141" class="pagenum" title="141"></a>
-der Baron, &bdquo;so wollen Sie sich wenigstens einen sichern
-Rückzug vorbehalten. Ich dächte, es wäre jetzt Ihre
-Pflicht, offen zu gestehen, daß Sie über diesen Punkt nichts
-zu sagen wissen, wenn Sie nicht unverholen bekennen
-wollen, daß Ihnen jene fast vergessene Freigeisterei lieber
-als unsere heilige Religion sei.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;O sprechen Sie!&ldquo; rief Dorothea, sich selbst vergessend.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie sehen, wie dringend Sie aufgefordert werden,&ldquo;
-sagte die Mutter, indem sie einen langen und drohenden
-Blick zu Dorotheen hinüber warf; auch Alfred bat, daß
-der Graf sich erklären möchte, in wiefern er in diesem
-Punkt mit dem Zeitalter einverstanden sei.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Da ich es nicht ganz umgehen kann,&ldquo; sagte dieser:
-&bdquo;so will ich kurz andeuten, was ich habe beobachten können;
-denn da ich schon seit einem Jahre wieder in Deutschland
-bin, so ist mir nicht alles so fremd, wie Sie glauben,
-ob ich gleich erst seit kurzer Zeit meine Geburtsgegend
-hier wieder besucht habe. Könnte ich Ihnen allen
-nur das Vorurtheil benehmen, daß Sie mich, wie ich
-merke, für einen gottlosen Unchristen halten. Nein, ein
-solcher bin ich wahrlich nicht, aber ich muß mir nur das
-unbestreitbare Recht vorbehalten, auf meine Weise ein
-Christ seyn zu dürfen. Daß es jetzt, wie zu allen Zeiten,
-wahrhaft fromme und erleuchtete Gemüther giebt, und
-daß man diese verehren solle, wer möchte daran zweifeln?
-Das Bedürfniß des Glaubens hat sich wieder gemeldet,
-der Geist hat fast an alle Herzen geklopft, und Anmahnungen
-mancher Art und aus allen Gegenden haben sich
-vernehmen lassen. Ein klarer frischer Strom hat sich
-wieder durch die lechzende Ebene von den ewigen Gebirgen
-her ergossen, und der Kraft seiner Wogen folgen die
-<a id="page-142" class="pagenum" title="142"></a>
-Dinge und Wesen, welche er ergreift; unwiderstehlich
-fühlt sich Alles fortgezogen, und Groß und Klein, Stark
-und Schwach muß nothgedrungen mit hinunter fließen.
-Wie ächte Begeisterung dies veranlaßt hat, so ist es denn
-doch auch hier, wie in allen geschichtlichen Ereignissen,
-ergangen, die Menge, die Eitelkeit, die menschliche Schwäche
-trübt auch diese Erscheinung, und als es einmal Mode
-war, frei zu denken und den starken Geist zu spielen,
-wenn Viele auch schwach und abergläubig waren, so ist
-es jetzt Sitte geworden, religiös zu scheinen, wenn es
-Manchem auch frivol und unerleuchtet genug zu Muthe
-seyn mag.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;<span class="antiqua">Desinit in atrum piscem,</span>&ldquo; sagte der Baron ereifert,
-&bdquo;der Anfang Ihrer Rede ließ etwas Besseres vermuthen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wie Viele,&ldquo; fuhr Brandenstein ruhig fort: &bdquo;sind
-mir aufgestoßen, die mir fast beim Begrüßen entgegen
-warfen, daß sie außerordentliche Christen seien. Andere
-sprechen beim dritten Worte und bei den gleichgültigsten
-Gegenständen vom Heiland; bei jeder Veranlassung, sei sie
-noch so geringe, beten sie, und erzählen uns dies; ja ich
-habe Romane gelesen, in denen der Verfasser in der Vorrede
-sagte, er schreibe niemals, ohne vorher zu beten, und
-alles Gute, was im Buche stehe, sei unmittelbare Eingebung;
-das kürzeste Mittel, jede Kritik zurück zu schlagen,
-und die Romanze dicht an die geoffenbarte Schrift zu
-schieben. In Gesellschaften ergreift man jede Veranlassung,
-von Reue, Buße, Andacht und Erlösung zu sprechen, und
-entweiht, nach meinem Gefühl, das Heilige, vergißt, daß
-es eine Aehnlichkeit mit der Liebe hat, deren Gefühle und
-Geständnisse der wahre Liebende auch nicht jedem fremden
-Ohre Preis geben wird.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-143" class="pagenum" title="143"></a>
-&bdquo;Was schadet es aber,&ldquo; sagte der Baron, &bdquo;wenn
-die frommen Gemüther vielleicht auch zu oft von dem
-Gegenstande ihrer Liebe sprechen?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Es kann nicht die Liebe seyn,&ldquo; erwiederte Brandenstein:
-&bdquo;es ist Eitelkeit, Hochmuth, der besser seyn will,
-als andere Menschen. Gerade wie zu der Zeit der Empfindsamkeit
-oder der Aufklärung, ist es ein krankes Bedürfniß,
-das allenthalben Nahrung sucht, das sich schmeichelt
-und zu immer tieferer Krankheit verzieht, das unduldsam
-und verachtend auf Nebenmenschen, die oft besser
-und frömmer sind, hinblickt, weil diese nicht gerade in
-den angegebenen Ton auch einstimmen wollen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie schildern die Ausartung,&ldquo; stammelte die Baronesse
-in einer Art von Angst.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nichts anderes, verehrte Frau,&ldquo; antwortete der Graf:
-&bdquo;nur daß mir diese häufig in die Augen gefallen ist.
-Auch habe ich Erbauungsbücher gesehn, die sehr in
-der Mode zu seyn scheinen, Altes und Neues, die wahrlich
-nur dazu dienen können, mittelmäßige Menschen, die schon
-von der Eitelkeit ergriffen sind, ganz zu verwirren, in denen
-der Schöpfer, die reine Liebe, gleich einem launigen
-wunderlichen Alten dasteht, der sich aus Langeweile gelüsten
-läßt, die krausesten Schicksale zu flechten, und Diesen
-und Jenen, wenn auch Viele dabei untergehn, auf
-feine und seltsame Art aus seinem Elende wieder heraus
-zu führen. Andere verwandeln Religion in Magie und
-Zauberei; oder verhärten die Herzen der Weiber, daß sie sich
-unendlich über ihre Männer erhaben fühlen, diese, wenn sie
-nicht ganz auf ihre Weise frömmeln, in einem Zustande
-der Zerknirschung erhalten, und in dem Gefühl, wie tief
-sie sich herablassen, die geheiligten Gattinnen so ordinärer
-Sünder zu seyn. Ich kannte ein armes, mittelmäßiges
-<a id="page-144" class="pagenum" title="144"></a>
-Mädchen, die sich glücklich schätzte, an einen jungen wohlhabenden
-Mann verheirathet zu werden, die aber nach
-einem halben Jahre auch zur Heiligen wurde, und sich
-nun vorlügt, ihre christliche Tugend bestehe darin, den
-Mann zu dulden; übermenschlich erscheint sie sich, wenn
-sie ihn nicht ganz verachtet, aber doch sagt sie sich dies
-täglich und ihren religiösen Gespielinnen, die sie auch in
-dieser Frömmigkeit bestärken. Ist nun dies nicht Sünde?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ja wohl!&ldquo; seufzte plötzlich Kunigundens Gatte
-auf, und die Mutter, welche den Halt ihrer Familie fast
-sichtlich zusammenbrechen sah, bereuete es, dies Gespräch
-begonnen zu haben, und zürnte ihrem würdigen Hausfreunde,
-dem Baron, daß es durch ihn so angefeuert wurde.
-Brandenstein aber, der nun einmal im Zuge war, konnte
-ebenfalls in seinem geistlichen Eifer nicht ruhen, bis er
-seine ganze Catilinarische Rede an den Mann gebracht
-hatte. &bdquo;Wie erhebend kann es seyn,&ldquo; fuhr er lauter fort:
-&bdquo;wenn wir fromme Männer, um sich ganz dem Heiligen
-zu ergeben, der Welt und allen ihren Schätzen den Rücken
-kehren sehen, um in stiller Abgeschiedenheit nur Einem
-großen Gefühle zu leben. Ich will einzelne Brüderschaften
-nicht tadeln, wenn sie sich in einem ähnlichen Sinne
-verschließen, und von Kunst und Geschichte, Philosophie
-und Welt nichts wissen wollen. Aber wenn diese einseitigen
-Frommen, die in der Welt stehen bleiben, die Erziehung
-der Uebrigen genossen haben und sich selbst für
-gebildet ausgeben, uns immer und immer wieder zurufen,
-nur Eins sei, was Noth thue, Malerei, Musik und Dichtkunst
-seien nicht nur überflüssig, sondern sogar sündhaft,
-und nur Gebet, Erleuchtung, Buße sei alles, was den
-Menschen in Anspruch nehmen solle, &mdash; so möchte ich
-doch wohl Diese fragen: von welchem engen Gefühle ihre
-<a id="page-145" class="pagenum" title="145"></a>
-sogenannte Religion sei, daß sie Liebe, Wahrheit, Vernunft
-und die lieblichen Erscheinungen der Phantasie gar
-nicht zulassen könne und dürfe? Also wäre den Reinen
-heut nicht mehr alles rein? Der Mensch ist schon als
-todt zu betrachten, dem in der Natur und Geschichte nicht
-Gott mehr erscheint; der ist verloren, der in der Kraft
-der Vernunft seine hohe Gegenwart nicht mehr sieht.
-Auch der ist fromm, dem aus dem Gemälde eine Entzückung
-anstrahlt, und der sich, so lange er Shakspeares
-Sommernacht liest, selig und im Himmel fühlt. Denn
-auch Scherz, Lust und Witz sind göttlicher Abkunft, und
-wir werden um so reiner und geläuterter, je mehr wir
-den göttlichen Strahl in diesen zarten Spielen erkennen
-lernen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ja wohl,&ldquo; sagte der Baron, welcher das auffallende
-Mißvergnügen der Baronesse bemerkt hatte, &bdquo;können wir
-heut dies interessante Gespräch nicht zu Ende führen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Unmöglich,&ldquo; antwortete der Graf, welcher selber
-über seinen Eifer zu erstaunen schien, &bdquo;denn sonst möchte
-ich wohl noch darüber belehrt seyn, warum diese frommen
-Gemüther sich nicht mit mehr Demuth der Kirche anschließen?
-Warum sie verlangen, daß alle Menschen auf
-ihre Weise die Dinge sehen sollen? Warum nicht Zweifel
-auch sie anwandeln und es ihnen begreiflich machen,
-daß sie doch auch wohl irren könnten? Ob es nicht
-christlicher sei, mehr nach dem Evangelium bei verschlossenen
-Thüren zu beten, als pharisäisch ihr vieles Beten
-weltkundig zu machen? Ich könnte denn wohl noch bemerken,
-daß dieser geistliche Schwindel sich auffallend genug
-mit einem politischen verbindet, und daß diese kranke
-Stimmung, die sich über ganz Deutschland verbreitet, es
-einem überaus verwirrten und schwachen Buche möglich
-<a id="page-146" class="pagenum" title="146"></a>
-gemacht hat, den Beifallsruf einer Menge zu erwerben,
-die nun erst beurkundet, wie wenig sie je unsern großen
-Dichter faßte, als sie ihm zujauchzte. Es kann als ein
-Frevel gegen diesen großen Mann erscheinen, wenn
-man es nicht lieber lächerlich finden will, daß man ihm
-so schulmeisternd mit Glaubensfragen nahe rückt, daß
-man Immoralität und Mangel an Idee seinen Werken
-vorwirft, weil er sich nie zu den armen Bedürfnissen dieses
-Wortführers herabgelassen hat. Daß alles dies möglich
-gewesen ist, hat mir gezeigt, wie wenig wahre Bildung
-bei uns noch Wurzel gefaßt hat, und wie leicht es
-daher Schwindlern wird, mit halbwahren Begriffen die
-schreiende Menge zu verwirren.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie meinen <em>Göthe</em>,&ldquo; sagte der Baron, &bdquo;und die
-sogenannten unächten Wanderjahre. Nun, da sind wir
-ja schon so ziemlich weit von unserm ersten Diskurse abgekommen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Es trat eine Pause ein, Alle schienen verstimmt,
-Dorothea war tief bewegt. Indem der Bediente jetzt den
-Braten brachte, rief die Baronesse: &bdquo;Ach! wie konnte ich
-nur die arme kranke Wittwe vergessen? Johann, tragt
-dies Gericht sogleich zu der Unglücklichen, mit meinen
-herzlichen Wünschen. Sie leidet, wie ich heut gehört
-habe, unglaublich, dabei ist sie arm, und ihre Kinder
-können ihr nur wenige Hülfe geben.&ldquo; &bdquo;Ja, die Armuth,
-die Krankheit!&ldquo; seufzte der Baron. &bdquo;O Himmel, was
-würde aus der finstern Erde werden, wenn nicht immer
-noch weiche, edle Gemüther das ungeheure Elend zu mildern
-trachteten.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Die bedauernswürdige Frau,&ldquo; fügte Kunigunde
-hinzu: &bdquo;soll auch mit ihrem verstorbenen Manne gar
-nicht glücklich gewesen seyn, er war hart und rauh, und
-<a id="page-147" class="pagenum" title="147"></a>
-behandelte sie oft übermüthig.&ldquo; Sie warf dabei ihrem
-Gatten, der am andern Ende des Tisches saß, einen sonderbaren
-Blick zu, der gar Vieles bedeuten konnte. Der
-junge Mann, vom Tischgespräch aufgeregt, war so unerhört
-dreist, zu erwiedern, daß es auch oft der Weiber
-eigne Schuld sei, wenn sie in der Ehe nicht glücklich wären.
-Der Graf, um nähere Erörterung zu verhindern,
-bemerkte, daß es vielleicht, da man die Krankheit der
-Frau nicht genau kenne, schädliche Wirkung thun möchte,
-wenn sie von der Fleischspeise unvorsichtig genösse. Der
-Baron aber, der einen neuen kriegerischen Angriff vermuthete,
-sprach gerührt über die große Wohlthätigkeit der
-Baronesse, wie sie den Armen eine Mutter sei, und begriff
-nicht, wie es noch so harte Menschen geben könne,
-die von dem Elende ihrer Nebengeschöpfe so ungerührt
-blieben.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt kam Johann mit dem Braten zurück und meldete,
-daß die Wittwe sich gehorsamst bedanke; es sei ihr
-aber vom Arzte im Fieber Fleischspeise bis jetzt noch untersagt,
-auch empfange sie seit drei Wochen alles vom
-Schlosse, was sie gebrauche, worüber sie ihre Rührung
-nicht genug ausdrücken könne. &bdquo;Ein Arzt?&ldquo; sagte die
-Baronesse, &bdquo;sie bekömmt schon? und wie?&ldquo; &mdash; &bdquo;Ach,
-gnädige Frau,&ldquo; sagte der alte Diener verlegen und mit
-Bewegung: &bdquo;Fräulein Dorothea sendet ihr schon seit
-lange Alles, sie hat auch den Doktor kommen lassen, und
-besucht die Kranke selbst alle Morgen und Abende.&ldquo; &mdash;
-&bdquo;So?&ldquo; sagte die Baronesse mit einem gedehnten, zitternden
-Tone, und ein durchdringender Blick fiel auf die Tochter,
-die in der Beschämung nichts erwiedern konnte; &bdquo;und
-warum, mein Kind, geschieht denn diese Ausübung der
-Wohlthätigkeit, diese Tugend, die mir an Dir neu ist, so
-<a id="page-148" class="pagenum" title="148"></a>
-heimlich? Warum gönnst Du Deiner Mutter denn nicht
-auch einen Antheil an dem Verdienste, da sich Dein Herz
-nun endlich auf dergleichen christliche Liebesdienste hinlenkt?
-Mein Rath würde die Wohlthat erst zu einer
-ächten machen können. Aber so sieht es aus, als wenn
-eher Eigensinn, als Mitleid, Deine Handlungen lenke.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Liebe Mutter,&ldquo; flehte Dorothea, &bdquo;schonen Sie mich.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Es ist zu beklagen,&ldquo; fuhr diese fort, &bdquo;wenn selbst
-das, was an sich Tugend ist, durch die Art, wie man es
-ausübt, sich zum tadelnswürdigen Fehler umgestaltet.
-Vorzüglich sehe ich Stolz und Anmaßung in dieser Art
-zu handeln, daß Du es übernimmst, ohne mich klug und
-weise seyn zu wollen, da Du doch nicht wissen kannst, ob
-Du nicht dadurch mehr Schaden als Nutzen stiftest.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Es ist zu viel!&ldquo; rief Dorothea laut weinend aus,
-stand schnell auf und verließ mit verhülltem Angesicht das
-Zimmer.
-</p>
-
-<p>
-Alle sahen auf, der Graf aber schien am meisten
-überrascht, er sagte mit bewegter Stimme: &bdquo;Geschieht
-aber dem Fräulein auch nicht zu viel? Sie hat es wahrscheinlich
-gut gemeint; und mir scheint es auch nicht
-strafbar, daß sie ihre Wohlthaten heimlich erzeigt, daß sie
-vielleicht etwas zu verschwiegen ist, um sich nicht dem
-Schein des Prunkens auszusetzen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Gewiß, gnädigste Frau,&ldquo; sagte der greise Diener,
-&bdquo;das Fräulein ist ein Engel, alle Leute im Dorfe sehn
-sie auch so an; was sie nur von ihrem Taschengelde sich
-absparen kann, was sie an Kleidern irgend entbehrlich
-findet, wendet sie auf die Armuth, aber das Schönste dabei
-ist die freundliche, stille Art, und wie sie die Leute
-beruhigt, und die Kranken tröstet, und die Kinder zum
-Gehorsam gegen die Aeltern ermahnt, die oft unwirsch
-<a id="page-149" class="pagenum" title="149"></a>
-sind: &mdash; ja, wir sollen schweigen, denn das hat sie uns
-strenge befohlen, wir haben es auch Jahre lang gethan,
-aber einmal verschnappt man sich denn doch. Verzeihung,
-gnädige Frau.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Diese Reden fielen vor, indem man aufstand; die
-Baronesse zitterte; der Baron suchte mit feierlichem Gesicht
-und Anstand, indem er der Mutter die Hand küßte,
-die Sache gut zu machen; der Graf empfahl sich mit
-wenigen Worten, und Alfred begleitete ihn; die übrige
-Gesellschaft ging in den Gartensaal.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Es thut nicht gut,&ldquo; sagte die Mutter, &bdquo;wenn böse
-Menschen über unsere Schwelle treten.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ihnen folgt kein Segen des Himmels,&ldquo; fügte der
-Baron hinzu.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Welch ein Mittag!&ldquo; rief die Baronesse, &bdquo;ich werde
-ihn lange nicht vergessen! Solche Menschen fehlen uns
-noch in unsrer Nähe, um mein armes abtrünniges Kind
-ganz unglücklich zu machen. Aber auch Sie, Herr Sohn,
-nahmen an dem gottlosen Menschen mehr Antheil, als ich
-oder die fromme Kunigunde wünschen können.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Mich dünkt aber,&ldquo; sagte Kunigundens Gatte, &bdquo;daß
-er manches ganz Vernünftige sprach; ich glaube auch,
-daß die Frömmigkeit zu weit gehe, und daß manche
-Frauen sich zu viel einbilden können.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Da sah ihn der Baron mit einem langen strafenden
-Blicke an, den der Arme nicht aushalten konnte, und als
-jetzt Kunigunde laut zu weinen anfing, die Mutter ebenfalls
-weinend diese in die Arme nahm, um sie zu trösten,
-konnte er gerührt die bereuenden Thränen nicht länger
-zurück halten; er stürzte sich auch an den Busen seiner
-Gattin, schluchzend und um Verzeihung bittend. &bdquo;Sein
-Sie alle beruhigt,&ldquo; tröstete feierlich der Baron, indem er
-<a id="page-150" class="pagenum" title="150"></a>
-den Blick zum Himmel erhob: &bdquo;der Herr wird Alles gut
-machen, denn heut Abend, wie Sie mir gesagt haben,
-verlobt sich mir jenes verhärtete, uns dennoch theure
-Herz, durch meine schwache Hülfe wird der Geist sie dann
-erleuchten, und wir alle werden Ein Herz und Eine
-Liebe seyn.&ldquo;
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Weinend hatte sich Dorothea in ihr Zimmer geschlossen.
-So zerstört, unzufrieden mit sich und der Welt, so
-ganz verloren und elend hatte sie sich noch nie gefühlt.
-Sie war tief beschämt, daß die einfache Art, sich der Armen
-anzunehmen, die ihr die natürlichste dünkte, plötzlich
-durch die Einfalt des Dieners war bekannt worden; aber
-es schien ihr auch zu hart, wie die eigne Mutter sie deshalb
-vor allen Gästen behandelt hatte, am schmerzhaftesten
-aber war es ihr, daß es in Gegenwart des Mannes geschah,
-den sie verehren mußte, der ihr Vertrauen gewonnen
-hatte, und dessen Achtung sie sich ebenfalls wünschte.
-</p>
-
-<p>
-Es war finster geworden, ohne daß sie es bemerkte,
-als der Diener klopfte, und sie zur Mutter und der Gesellschaft
-herab zu kommen bat. &bdquo;Mutter!&ldquo; sagte sie vor
-sich hin: &bdquo;Mutter! welch schönes Wort! Warum habe
-ich keine kennen gelernt?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Sie ging hinab, im Saale saß die Familie versammelt,
-auch der junge Offizier war gegenwärtig. Indem
-Dorothea herein trat, fiel ihr erst wieder ein, weswegen sie
-gerufen werde. Ein Fieberfrost überfiel sie. Alle begrüßten
-sie als die Braut des Barons, die Mutter sagte freundlich,
-sie wolle ihr jetzt das Betragen des heutigen Tages
-verzeihn, die Schwestern wünschten der Betrübten Glück,
-und der Baron bedeckte ihre zitternde Hand mit zärtlichen
-<a id="page-151" class="pagenum" title="151"></a>
-Küssen. &bdquo;Sein Sie ruhig, sein Sie glücklich,&ldquo; sagte er
-mit sanftem Tone, &bdquo;von heut an werden Sie, Geliebte,
-ganz zu uns gehören, und dieser Mensch wird das Haus
-nicht mehr betreten; wohl hatten Sie Recht, und der
-Himmel sprach aus Ihnen, daß ein solcher Elender nicht
-wandeln darf, wo wir unsre Schritte setzen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Elender?&ldquo; rief Dorothea, und riß ihre Hand so
-gewaltsam weg, daß der Baron zurück taumelte. &bdquo;Sie
-sind ein frecher Mensch, daß Sie einen solchen Mann so
-zu lästern wagen!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Himmel!&ldquo; schrie die Mutter, &bdquo;sie hat den Verstand
-verloren! Ein böser Geist spricht aus ihr.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Dorothea besann sich wieder, sie sah das Erstaunen
-der Umgebenden und suchte sich zu sammeln. &bdquo;Ich bin
-so erschüttert,&ldquo; fing sie an, &bdquo;ich fühle mich so bewegt,
-vielleicht daß eine Krankheit &mdash; nur einen Augenblick
-will ich mich im Freien abkühlen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;In diesem Wetter?&ldquo; sagte die Mutter, &bdquo;in diesem
-Sturm und Regen, so ohne Tuch, in Deiner dünnen
-Bekleidung?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Es muß seyn! es muß!&ldquo; rief sie aus, und hatte
-schon, ohne auf die Uebrigen zu hören, die Saalthüre
-geöffnet, und stand im finstern kalten Garten. Da der
-Regen ihr entgegen schlug, so wandte sie sich in den bedeckten,
-dicht verflochtenen Gang, und ging hastig auf und
-nieder. &bdquo;Ihm, dem Widerwärtigen,&ldquo; sagte sie zu sich
-selbst, &bdquo;auf immer verbunden? So tief, so tief herabgewürdigt?
-Und für wen? Für Jene, die es mir niemals
-danken werden, die dann wieder thun, als sei mir
-dadurch die größte Wohlthat erwiesen worden? Meine
-Seele retten? Verloren geht sie hier, vernichtet wird sie!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Ein dunkler Schatten kam auf sie zu, und an der
-<a id="page-152" class="pagenum" title="152"></a>
-lispelnden, sanften Stimme erkannte sie sogleich den Baron.
-&bdquo;Meine Gute,&ldquo; fing er an, &bdquo;Ihre liebe Mutter
-und wir alle erwarten Sie drinnen mit banger Besorgniß;
-mein Herz fließt in Zärtlichkeit über, da ich Sie schon
-als meine Gattin, und die Mutter meiner frommen Kinder
-betrachte.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Himmel!&ldquo; rief sie aus, &bdquo;das bedachte ich nicht
-einmal, daß mein Elend sich auch so weit erstrecken kann,
-Heuchler und böse Egoisten aus meinem Blute entsprießen
-zu sehen. Aber wenn mir auch dies Unglück nicht
-würde, so kann ich doch nie die Ihrige werden.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wie?&ldquo; rief der Baron, &bdquo;und das feierliche Versprechen,
-welches Sie heut Morgen in die Hände Ihrer
-Mutter legten?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Und wenn ich es einem Engel vom Himmel gethan
-hätte,&ldquo; sagte Dorothea, &bdquo;so kann ich es nicht halten! Ja,
-wenn schon die Trauung geschehen wäre, so müßte man
-uns doch wieder trennen!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Seltsam, mein Fräulein! Bedenken Sie auch die
-Folgen?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Welche können es seyn? Alles ist zu tragen gegen
-das unabsehbare Elend, das meiner wartet.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wissen Sie auch, daß es Ihre Mutter fordern kann?
-Wissen Sie, daß diese mir verpflichtet ist, was ich bis
-jetzt mit der Geduld der Liebe trug und verschwieg, in
-der Hoffnung, Ihrer Familie anzugehören? Fragen Sie
-sich, ob Sie unter diesen Umständen die Verpflichtungen
-Ihrer Mutter nicht lösen müssen, wenn Sie für eine gute
-Tochter gelten wollen?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nein!&ldquo; rief das Mädchen in der allergrößten Anstrengung,
-&bdquo;lieber mit ihr darben, für sie arbeiten, ja,
-für sie sterben!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-153" class="pagenum" title="153"></a>
-&bdquo;Es giebt aber doch noch Mittel,&ldquo; sagte der Baron
-halb lachend, &bdquo;solchen Starrsinn zu beugen; die Rechte
-der Aeltern sind groß, und offenbar sind Sie jetzt Ihrer
-Sinne nicht ganz mächtig; etwas Bitte, etwas Gewalt
-wird schon den kindischen Willen brechen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Er hatte heftig ihren Arm gefaßt, und war bestrebt,
-sie nach dem Hause zu ziehen; aber das starke Mädchen
-riß sich behende los, und floh durch den Gang, der Baron
-ihr nach, sie aber, die leichter war und die Verschlingungen
-des Gartens besser kannte, war ihm bald weit
-voraus; jetzt war sie an der offenen Grenze des Parks,
-sie überschritt auch diese, und rannte nun über das Blachfeld
-wie ein gejagtes Reh, indem abwechselnd Regen sie
-durchnäßte, und Sturm ihre zarten Glieder erstarren
-machte.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Die Frau von Halden saß behaglich in ihrem Stübchen,
-indem die Bäume draußen der Sturm schüttelte, und
-der Regen rasselnd gegen die Fenster schlug. Sie war
-recht von Herzen zufrieden; denn für einen unerwartet
-hohen Preis hatte sie ihr Gut verkauft, Alles war abgeschlossen,
-und Graf Brandenstein hatte mit dem Rathe
-Alfred noch diesen Abend Alles in Richtigkeit gebracht.
-Beide schliefen schon in den obern Zimmern des Hauses,
-denn es war nahe an Mitternacht, und sie wollte sich
-auch eben in ihr Schlafzimmer begeben, als ein heftiges,
-lautes Pochen an das Hausthor, und eine klägliche, bittende
-Stimme sie erschreckten. Sie klingelte, der Diener
-ward gesandt, um zu öffnen, und mit triefenden Kleidern,
-zitternd und todtenblaß stürzte Dorothea herein, warf sich
-<a id="page-154" class="pagenum" title="154"></a>
-ihr sogleich stürmisch an die Brust und rief mit heiserer
-Stimme: &bdquo;Rette mich! rette mich!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Um Gotteswillen!&ldquo; sagte die Freundin im höchsten
-Schreck, &bdquo;Du bist es, geliebtes Kind? und so, in diesem
-Zustande? Ich traue meinen Augen noch nicht.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-So sehr sie erschrocken war, so schaffte sie doch sogleich
-mit der größten Freundlichkeit Wäsche und Kleider
-herbei, half der Erkälteten beim Umziehen, tröstete sie
-lachend und freundlich, und nöthigte sie dann, Glühwein
-zu genießen, den sie eiligst besorgt hatte, um den bösen
-Folgen der Erkältung vorzubeugen. Dabei umarmte sie
-sie so herzlich, trocknete ihr die Thränen vom Auge, küßte
-die Wangen, die sich schon wieder rötheten, daß Dorothea
-sich fast so glücklich wie in den Armen einer Mutter
-fühlte. Nach vielen tröstenden und scherzenden Worten
-sagte die Frau von Halden endlich: &bdquo;Nun erzähle mir
-kurz, wie Du zu diesem tollen Entschluß gekommen bist,
-und dann geh zu Bett und verschlafe Alles.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Du mußt mich schützen,&ldquo; sagte Dorothea: &bdquo;Du
-mußt mir ein Obdach nicht versagen, sonst muß ich verzweifelnd
-in die weite Welt rennen, oder die Raserei stürzt
-mich in die Wogen eines Mühlteichs.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Beruhige Dich, mein Kind,&ldquo; tröstete jene, &bdquo;Du
-mußt ja doch wieder nach Hause. Aber erzähle: was ist
-Dir denn so plötzlich gekommen?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nur lache nicht,&ldquo; rief Dorothea, &bdquo;bleibe ernsthaft,
-meine gute liebe Freundin, denn ich bin in Verzweiflung.
-Heut Morgen ließ ich mich bereden, aus Schwäche, aus
-Rührung, man hatte so unerwartet meinen Geburtstag
-gefeiert, daß ich versprach, mich heute Abend mit dem
-Baron von Wallen zu verloben. Das sollte nun geschehen,
-und darum bin ich weggerannt, weil ich ihn verabscheue,
-<a id="page-155" class="pagenum" title="155"></a>
-weil ich in meinem väterlichen Hause mit meinen
-Geschwistern, mit meiner Mutter nicht mehr leben kann.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich weiß wohl,&ldquo; erwiederte die Freundin, &bdquo;daß Du
-den Baron nie lieben kannst, daß Dir in der Familie
-oftmals Unrecht geschah; aber dieser Ausdruck des Entsetzens
-in Dir, da Du Alles so gewohnt schienst, bleibt
-mir doch unbegreiflich.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Immer noch fasse ich es selbst nicht,&ldquo; antwortete
-Dorothea: &bdquo;ich weiß nicht, wie ich es Dir erzählen soll.
-Daß ich nicht glücklich war, mußt Du wohl gesehn haben,
-wenn ich Dir auch niemals ein Wort darüber sagte.
-Ach, das schreibt sich ja schon seit dem Tode meines geliebten
-Vaters her. Du weißt, ich war kaum dreizehn
-Jahre, als er starb. O Himmel, welch ein Mann! ich
-konnte damals seinen Werth nicht ermessen; aber je älter
-ich wurde, je mehr blühte er in meiner Erinnerung zum
-verklärten Gegenstande meiner Liebe auf. Dieser milde,
-freundliche Sinn, diese Heiterkeit, Menschenliebe, stille
-Frömmigkeit, diese Freude an Natur und Kunst, dieser
-rege, herrliche Geist &mdash; ach! und er war auch nicht glücklich!
-Ich sah, ich bemerkte es wohl, als ich etwas zu
-Verstande kam, er war in der Ehe nicht glücklich, er und
-meine Mutter waren sich zu ungleich, sie stritten oft mit
-einander. Dann war er zu Zeiten recht tiefbetrübt, aus
-seinen schönen braunen Augen konnte ein unendlicher
-Kummer sprechen, wenn er sie so still vor sich nieder
-senkte. Dann war ich seine Freude, ich fühle es, wie ich
-ihn trösten konnte. Und nun war er plötzlich dahin gegangen!
-Er muß es jenseits erfahren und gefühlt haben,
-wie meine Herzensliebe ihm gefolgt ist. O meine Freundin,
-es giebt Momente des Schmerzes, wo nur die kalte,
-taube Dumpfheit, in die endlich unser Wesen versinkt,
-<a id="page-156" class="pagenum" title="156"></a>
-uns von Wahnsinn und Raserei errettet. So war ich
-nun in Schmerz und Sehnsucht erwachsen, die Keiner
-theilte, Keiner verstand. Und wie veränderte sich das
-Leben unsers Hauses! Statt der heitern Mittheilungen,
-statt der frohen Gesellschaften ein ernstes, feierliches Prunken.
-Meine jüngern Geschwister wurden in einem ganz
-entgegengesetzten Sinne erzogen, als es mein Vater gewünscht
-hatte. Betstunden, Andachtbücher, religiöse Gespräche
-füllten die Zeiten des Tages; und mein Herz
-wurde immer leerer, ich konnte die Andacht nicht mitfühlen,
-ja, nicht einmal an ihr Dasein glauben. Alle meine
-Bücher, noch Geschenke meines Vaters, durfte ich nicht
-mehr zeigen, Alles war weltlich, anstößig; ich erschrak
-über die Deutungen, die man den Stellen gab, die
-mir die liebsten waren, die ich auswendig wußte. Göthe&rsquo;s
-himmlische Natur selbst, seine edle Hoheit war Verführung,
-Sinnenlust, und eine raffinirte Prüderie, die
-mir höchst anstößig schien, mußte Tugend heißen. Meine
-Geschwister, so wie sie zur Besinnung kamen, betrachteten
-mich als eine Ausgeartete, die für&rsquo;s Gute nicht empfänglich
-sei; sie hörten das ja in allen Stunden, sie mußten
-es wohl glauben. Zwischen ihnen und der Mutter entspann
-sich ein Verhältniß, welches mich gleich sehr von
-beiden entfernte, und um welches ich sie doch nicht beneiden
-konnte. Eine übertriebene Liebe, eine zarte Weichheit,
-ein Schonen und Liebkosen, das mir oft durch&rsquo;s Herz
-schnitt; ja die Mutter ging so weit, diese jüngern Töchter
-zu vergöttern, sie anzubeten und es ihnen zu sagen, daß
-sie es thue. Die Schwestern behandelten die Mutter, wie
-man etwa mit einer abgeschiedenen Heiligen umgehen
-würde, wenn sie zu uns zurück kehrte; doch könnte ich es
-auch wohl nur einen Tag so treiben, und müßte dann
-<a id="page-157" class="pagenum" title="157"></a>
-heiterer mit ihr bekannt werden, oder sie wieder ganz vermeiden.
-Ich erinnerte mich noch wohl, wie oft mein Vater
-gesagt hatte, in früher Jugend müßten die Kinder
-blind gehorchen lernen, damit sie, erwachsen, der Freiheit
-fähig wären. Diese Freiheit des Geistes und des Gemüthes,
-die den Menschen erst zum bestehenden Wesen, die die
-Liebe, ein freies Hingeben, erst möglich macht, fand aber
-unter diesen so eng Verbundenen doch nicht statt, ja sie wurde,
-wenn sie sich einmal zeigen wollte, als die ärgste Sünde
-behandelt. Die kleinste Schwäche, das geringste Vorurtheil
-der Mutter durfte nicht berührt werden, auch in
-Kleinigkeiten, über ein gleichgültiges Buch, über einen
-Menschen, ja über die Farbe eines Bandes, durfte keins
-eine andere Meinung hegen, als sie. War nur von einem
-Spaziergange die Rede, nur zum nächsten Gut, ja,
-durch den Garten, so verbot sie diesen, wenn sie nicht
-daran Theil nehmen konnte oder wollte, nicht geradezu,
-sondern sie sagte: &bdquo;Geht, wenn Ihr ohne mich seyn könnt;
-ich kann zwar ohne Euch nicht leben, aber könnt Ihr es,
-so will ich Euch nicht stören; bin ich doch daran gewöhnt,
-Euch alle Opfer zu bringen.&ldquo; Natürlich geschah nichts,
-und die Schwestern gaben dann ihrem Verdruß den Anstrich
-der Andacht, und ich, die ich zum Bündniß nicht
-gehörte, mußte ihre Launen entgelten. Mein Muth entwich.
-Ich ertrug es, auch von der jüngsten Schwester
-gehofmeistert zu werden. O meine Freundin! wenn ich
-dies alles so, was mir verkehrt und unrecht schien, bemerkte,
-so ging ich dann wohl in den einsamsten Theil
-des Gartens, und ließ meinen heißen Thränen ihren Lauf,
-weil ich mir schlecht und gottlos erschien, daß ich mir alles
-dies gestand, und meinen Wahrheitssinn, der von meinem
-Vater erweckt und gebildet worden war, doch nicht
-<a id="page-158" class="pagenum" title="158"></a>
-unterdrücken konnte. Oft war ich so unaussprechlich elend,
-daß ich Gott um meinen Tod bat. Es kamen dann auch
-Zeiten, da ich doch sehn mußte, wie alle Menschen, die in
-unser Haus kamen, meine Schwestern verehrten, ihnen
-huldigten und mich vermieden, in denen ich mir selbst
-schlecht und verächtlich schien. Wenn ich aber rang, so
-wie die Andern zu seyn, so brachen mir alle Kräfte zusammen,
-und die Arme fielen mir gelähmt am Leibe nieder.
-&mdash; Aber, hörtest Du nicht Geräusch im Nebenzimmer?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nein, mein gutes Kind,&ldquo; sagte Frau von Halden:
-&bdquo;Alles schläft, es kann höchstens eine Katze seyn.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Kunigunde heirathete,&ldquo; fuhr Dorothea fort: &bdquo;die
-Männer, die sich um mich bewarben, ängstigten mich nur
-durch ihr läppisches Wesen, andere stießen mich durch ihre
-Rohheit zurück. Ich konnte nicht fassen, daß mich einer
-lieben könne, ohne daß ich ihn auch innigst liebte, und
-darum erschienen mir ihre affectirten, übertriebenen Redensarten
-so nüchtern, und es war mir unmöglich, an ihre
-Leidenschaft zu glauben. Alles aber war noch erträglich,
-bis der Baron Wallen in unser Haus kam; er bemächtigte
-sich bald des Gemüthes meiner Mutter, die Sclaverei
-wurde nun ganz unleidlich. Nun wurde erst recht
-im Großen mit der Liebe geprunkt, die meine Geschwister
-zu einander und zur Mutter trugen; in der ganzen Provinz
-sprach man davon; wenn Fremde kamen, war es wie
-ein Schauspiel, in dem sich alle Tugenden entwickelten.
-O vergieb mir, Du und die einsame Nacht werden meine
-Reden nicht weiter tragen; auch hast Du ja selbst die
-Art oft gesehen, und der Himmel mag meine Empfindungen
-ändern, oder sie verzeihn. Recht ängstlich aber war
-es, daß in diesem gleißenden Baron ein wahrer Faun
-<a id="page-159" class="pagenum" title="159"></a>
-unter der priesterlichen Decke wandelt. Clara gefiel ihm,
-auch Clementine; aber die Kinder, so sehr sie ihn auch
-verehren mußten, erschraken doch vor dem Gedanken, ihn
-als Ehemann anbeten zu müssen. Sie wurden aber bald
-befreit; denn die Bestimmung, für die sie sich zu gut
-fühlten, wurde mir unvermerkt und künstlich zugeschoben.
-Nun hörte ich immerdar, wie edel, ja wie nothwendig es
-sei, sich zu opfern, wie armselig die eigentliche Leidenschaft
-der Liebe erscheine, wie eine vernünftige Ehe jedes
-andere Glück der Erde übertreffe. Glaube mir, ich hätte
-mich fallen lassen, mein Leben war völlig abgeblüht, ich
-wäre das Opfer und ganz elend geworden, wenn &mdash; &mdash;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Dorothea zögerte. &bdquo;Nun, mein Kind?&ldquo; fragte die
-Freundin gespannt.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wenn nicht heut,&ldquo; fuhr jene im melodischen Tone
-fort, &bdquo;heut an diesem Tage, an dem ich geboren ward,
-und an welchem ich auch wieder zu leben anfing, ein
-Mann erschienen wäre, der unserer Familie ein Abscheu
-war, und auf den ich, nach den Beschreibungen, heftig
-zürnte, ein Mann, der mein ganzes Herz umgewendet, ja
-neu geschaffen hat, und dessen bloßer Anblick, wenn er
-auch nicht gesprochen hätte, es mir unmöglich macht, den
-Baron, ja irgend einen Mann zu heirathen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wunderbar!&ldquo; rief die Frau von Halden.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nenn&rsquo; es so,&ldquo; sagte das Mädchen: &bdquo;es ist auch so,
-ach, und doch wieder so natürlich, so nothwendig. In
-ihm, in seinem milden Blick, der Vertrauen einflößt
-(glaube mir, ich hatte wirklich ganz vergessen, daß es
-noch Augen giebt), in seiner verständigen Rede, in jeder
-seiner Geberden erschien mir die Wahrheit wieder, die
-mir schon zur Fabel geworden war, meine Jugendzeit,
-der Segen meines Vaters. Nie habe ich begreifen können,
-<a id="page-160" class="pagenum" title="160"></a>
-was die Menschen Liebe nennen, in den Dichtern
-habe ich es wohl geahndet; ich glaubte aber immer, dies
-himmlische Gefühl sei für mich armes, verstoßenes Wesen
-nicht geschaffen; aber jetzt weiß ich, daß es das seyn
-müsse, was ich für diesen trefflichen Mann empfinde, denn
-ich konnte mir nicht einbilden, daß auf Erden wirklich
-eine solche Erscheinung wandle.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Armes Kind!&ldquo; sagte die Freundin: &bdquo;er ist ein ruinirter
-Mann, ohne Vermögen, und wer weiß auch, ob er
-so für Dich empfände, denn er ist nicht mehr jung. Jetzt
-geh nur zu Bett, morgen früh wollen wir mit Verstand
-darüber nachdenken, wie der Baron zu besänftigen sei,
-und daß der Baron Dir Ruhe läßt.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nie gehe ich zurück!&ldquo; rief Dorothea mit erneuter
-Heftigkeit: &bdquo;ich will lieber in einem fernen Lande als
-Magd dienen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Jetzt hörte man deutlicher im Nebenzimmer Geräusch,
-die Frauen stutzten, die Thüre öffnete sich, ein Lichtstrahl
-drang heraus und Graf Brandenstein trat ihnen entgegen.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;O mein Gott!&ldquo; rief Dorothea: &bdquo;der Graf selbst!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich war nicht schlafen gegangen,&ldquo; antwortete dieser:
-&bdquo;sondern arbeitete noch, als dieser unerwartete
-Besuch &mdash;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;O Sie Heimtückischer!&ldquo; rief die Frau von Halden:
-&bdquo;und so haben Sie auch gewiß alles gehört, was meine
-Freundin erzählt hat?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich kann es nicht leugnen,&ldquo; sagte der Graf: &bdquo;die
-Wand und Thüre sind so dünn, daß mir kein Wort verloren
-ging. (Dorothea zitterte heftig.) Sie würden
-mich also, mein schönes, edles und mir unbeschreiblich
-theures Fräulein, nicht verschmähen, wenn ich ein Vermögen
-zu Ihren Füßen legen könnte?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-161" class="pagenum" title="161"></a>
-&bdquo;O wie beschämen Sie mich!&ldquo; sagte das Fräulein
-&mdash;: &bdquo;soll ich noch mehr sagen?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nehmen Sie dieses Blatt,&ldquo; fuhr der Graf fort:
-&bdquo;diese wenigen Zeilen werden Ihnen in Ihrem Hause
-vollkommene Sicherheit gewähren.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Er sah Dorotheen durchdringend an, und entfernte
-sich zögernd. Sie war so bewegt und erschüttert, daß ein
-unruhiger Schlummer sie nur wenig erquicken konnte.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Im Hause des Baron Wilden waren einige Freunde
-zu einem kleinen Balle versammelt. Auch Alfred und der
-Offizier waren zugegen, und die junge Schwester, ein liebenswürdiges
-Kind, schien äußerst vergnügt; auch zeigte sich
-das Fräulein Ehrhard sehr munter, und Michel, der Zuschauer
-war, begriff kaum, wie sie sich so schnell im schottischen
-Tanze bewegen konnte. Jetzt war der Tanz geendigt,
-und der korpulente Wirth taumelte erschöpft auf ein
-Sopha nieder. &bdquo;Wird man nicht ordentlich wieder jung,&ldquo;
-rief er aus: &bdquo;so sauer es einem auch ankommt. Daß
-dich, mein werthes Fräulein Erhard, was Sie springen
-können! Niemals hätte ich mir bei Ihrer Gottesfurcht
-so viele Elasticität vermuthet. So gefällt&rsquo;s mir, wenn
-man das überirdische Wesen mit dem weltlichen vereinigen
-kann, denn wahrhaftig, das Herz stirbt in der Demuth
-und dem weichen Wesen ab, wenn es nicht wieder
-einmal in Lust und Freude recht aufzappeln kann. Wie
-ein ganz neues Geschöpf, Fräulein Erhard, kommen Sie
-mir in meinem Hause hier vor, ich hätte Sie gar nicht
-wieder erkannt, wenn ich es nicht sonst wüßte, daß Sie
-es wären.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Das muntere Fräulein setzte sich zu ihm, und beide
-betrachteten die tanzenden Paare. Der Rath Alfred bemühte
-<a id="page-162" class="pagenum" title="162"></a>
-sich sehr um Sophien, die Schwester des Barons,
-welches dieser nicht ohne Wohlgefallen bemerkte. Die
-Schenktische waren reichlich mit Erfrischungen versehen,
-und Diener in reichen Livreen servirten auf silbernem
-Geschirr. &bdquo;Nicht wahr,&ldquo; schmunzelte Herr von Wilden,
-der die wohlgefälligen Blicke des Fräuleins wahrnahm:
-&bdquo;hier geht es nicht so zu wie drüben, wo sie meistentheils
-alle beisammen sitzen, wie Adam und Eva vor
-dem Sündenfalle? Hochherzige Redensarten, apokalyptische
-Seufzer und eine Wundertinktur von ambrosianischer
-Wehmuth. Tugend und Andacht zum Zeuche, frommes
-Gemüth zum Unterfutter, und dann noch mit Reue und
-Buße aufgeschlagen. Nein, man muß ein bischen sündigen,
-um sich dann wieder bekehren zu können; nicht
-wahr, mein hochgeschätztes Fräulein? Die Beine thun
-Ihnen doch nicht weh? Sie zwinkeln so mit dem Munde.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nein,&ldquo; sagte diese, &bdquo;ich wollte mir nur das Lachen
-über Ihre sonderbaren Ausdrücke verhalten, denn Sie sind
-in der That ein arger Sünder; indessen, hoffe ich, werden
-Sie noch Buße thun.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Kommt Zeit, kommt Rath,&ldquo; sagte der Baron:
-&bdquo;sehn Sie, ich habe mich klug eingerichtet, ich habe in
-meiner Jugend eine Menge Sünden im voraus begangen,
-damit ich in meinem Alter hübsch was zu bereuen hätte,
-um mir nicht, wie mancher Pietist, die Verbrechen aus
-den Fingern zu saugen, und um nichts und wider nichts
-Gewissensscrupel zu machen. O, davon kann ich Ihnen
-noch einmal in manchem Nachmittagsstündchen erzählen,
-daß Sie Ihr blaues Wunder daran haben sollen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Aber auch dergleichen Reden sind wieder Sünde,&ldquo;
-antwortete das Fräulein.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nein,&ldquo; rief Herr von Wilden, &bdquo;durch das Mikroskop
-<a id="page-163" class="pagenum" title="163"></a>
-müssen Sie meine Tugend nicht betrachten, sonst
-werden wir nicht mit einander fertig; denn bei mir geht
-Alles etwas ins Große, verfeinert sind meine Verdienste
-so wenig, wie meine Laster. Aber sehn Sie, wie unter
-allen meinen Gästen der Herr von Böhmer so einsam am
-Ofen steht, und mitten in der Musik seine Kalender
-macht! Herr Lieutenant, kommen Sie doch, und tanzen
-Sie einmal mit einer von diesen Damen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich tanze niemals,&ldquo; sagte der junge Offizier, indem
-er näher trat: &bdquo;auch würde ich nicht hergekommen
-seyn, wenn mich nicht Fräulein Erhard eingeladen hätte,
-von der es mir wohl nicht einfallen konnte, daß sie es
-auf einen tobenden Ball abgesehen hatte.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sollte dem Reinen nicht alles rein seyn?&ldquo; fragte
-das Fräulein mit vieler Salbung.
-</p>
-
-<p>
-Alfred, der hinzu getreten war, antwortete: &bdquo;Gewiß
-ist dies die richtige Ansicht, und es wäre lustig genug,
-wenn Herr von Wilden durch das Fräulein, und dieses
-durch unsern fröhlichen Baron bekehrt würde. Aber Du,
-Ferdinand (indem er sich an den Offizier wandte), trägst
-auch nicht eine einzige festliche Miene auf Deinem finstern
-Angesicht.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich gehe von hier,&ldquo; antwortete dieser, &bdquo;zur Baronesse
-hinüber, wirst Du mich begleiten?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nein, mein Freund,&ldquo; antwortete dieser, &bdquo;und ich
-gedenke auch, diesem Kreise nie mehr zur Last zu fallen;
-denn diese prunkende Gleißnerei ist mir neulich deutlich
-genug geworden. Wie danke ich es dem wackern Manne,
-der mir diese Binde vom Auge schüttelte.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Du meinst den Graf Brandenstein?&ldquo; sagte jener:
-&bdquo;Du nimmst also die Partei des Bösen gegen den Frommen,
-der Sünde gegen die Tugend?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-164" class="pagenum" title="164"></a>
-&bdquo;Lassen wir jetzt diese Reden,&ldquo; antwortete Alfred,
-&bdquo;ich fühle mich, seit ich diesen Mann kennen gelernt habe,
-mündiger.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wissen Sie denn,&ldquo; fiel der Baron ein: &bdquo;etwas
-von der Geschichte? Der Wilde, der Amerikaner, soll ja
-nun angekommen seyn, ein gefleckter, kupfriger Mensch,
-mit Haaren wie Schuppen oder Stacheln. Auch sagen
-die Leute, dies unbändige Thier würde die störrige Dorothea
-heirathen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Man weiß nichts Gewisses,&ldquo; sagte Alfred: &bdquo;der
-Amerikaner wird übrigens wohl ein Mensch wie alle seyn,
-und folglich ist sie mit ihm wohl glücklicher, als mit dem
-Baron Wallen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Den Du nicht zu schätzen verstehst,&ldquo; rief der Offizier,
-indem er sich nach einer kleinen Verbeugung entfernte.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie meinen,&ldquo; fuhr der Baron fort: &bdquo;ein wohlerzogenes
-Mädchen könnte mit einem solchen See-Ungeheuer
-glücklich leben? Aber freilich müssen im Leben
-wohl vielerlei Arten von Glück verbraucht werden, damit
-Jeder etwas bekommt, was für ihn paßt; und wie ich
-höre, ist ja die hübsche Dorothea so gottlos, daß vielleicht
-der gottloseste Menschenfresser für sie nicht zu schlimm ist.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie sind unrecht berichtet,&ldquo; antwortete Alfred, und
-wollte eine Erzählung anfangen, als die freundliche Sophie
-herbei hüpfte, um ihn zu erinnern, daß er mit ihr
-zur Quadrille versprochen sei. Der Baron trank indessen,
-und versprach dem Fräulein Erhard die nächste Polonaise,
-auf jeden Fall aber den fröhlichen Kehraus mit ihr zu tanzen.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Als man in jener Nacht Dorotheen vermißte, und
-der Baron die Geschichte seiner unglücklichen Werbung
-mitgetheilt, gerieth das ganze Haus in die größte Verwirrung.
-<a id="page-165" class="pagenum" title="165"></a>
-Man sendete Boten mit Lichtern aus, aber
-alle kamen in der stürmischen Nacht ohne Nachricht wieder.
-Die Mutter war sehr unruhig, und schien sich Vorwürfe
-zu machen, daß sie ein heftiges Gemüth, das sie
-an ihrer ältern Tochter kannte, zu weit getrieben habe.
-Sie schlief nicht, sondern irrte im Hause umher, und die
-beiden jüngern Töchter suchten sie zu trösten. Am Morgen
-erschien ein Bote von der Frau von Halden, der der
-Baronesse ein Billet übergab, und bald darauf fuhr eine
-Kutsche vor, aus welcher Dorothea stieg, welche die Mutter
-mit gezwungener Fassung aufnahm. Man sprach
-nur wenig, aber kein Wort des Vorwurfes ließ sich vernehmen,
-eben so wenig konnte die Tochter eine Entschuldigung
-vorbringen.
-</p>
-
-<p>
-Der Baron, welcher Alles ängstlich und verwirrt beobachtet
-hatte, sagte endlich, als er sich mit der Baronesse
-allein sah: &bdquo;Dies Blatt hat ja Wunder gethan! Von
-allem, was Sie sich gegen das ungerathene Kind vornahmen,
-ist nicht das Mindeste geschehen, Sie sind im
-Gegentheil gütiger als jemals gegen sie. Darf ich nicht
-wissen, von wem es kommt, und was es enthält?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Die Baronesse erröthete. &bdquo;Es kommt von dem Brandenstein,&ldquo;
-sagte sie mit ungewisser Stimme: &bdquo;doch enthält
-der Schluß die gröbste Verläumdung.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Der Baron las: &bdquo;Im Fall Sie, wie ich gewiß
-hoffe, Ihre edle, trauernde Tochter freundlich aufnehmen,
-sie unter keinem Vorwande quälen, an die Ehe mit dem
-Baron Wallen nicht mehr denken, so verspreche ich Ihnen
-das Capital, welches der Baron an Sie zu fordern hat,
-und außerdem ein bedeutendes Darlehn, beide ohne Zinsen,
-auf unbestimmte Zeit. Zwingen Sie mich nicht, gegen
-Sie aufzutreten, es möchte sonst manches bekannt
-<a id="page-166" class="pagenum" title="166"></a>
-werden, was sich nicht zu dem Tugendbilde eignet, das
-die Welt in Ihnen bewundert. Gewiß darf ich mich
-unterschreiben
-</p>
-
-<p class="sign">
-Ihren Freund<br />
-<em>G. Brandenstein</em>.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Dieser Zettel besagt,&ldquo; schmunzelte der Baron: &bdquo;daß
-unser heroischer Graf über ansehnliche Summen zu disponiren
-hat, und daß sein amerikanischer Freund oder Schützling,
-dessen Hofmeister und Verwalter er spielt, so ziemlich
-blödsinnig seyn mag, ganz so, wie ich mir vom Anfange
-die Sache gedacht habe. Der edle Mann wird nach Umständen
-seine Hand tief in den Beutel des fremden Wunderthieres
-tauchen, und so verschwindet denn bei näherer
-Prüfung bei jedem aufgedunsenen Cato die falsche Vergoldung,
-und setzt sich in Kupfer um.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Die Sache bekam aber doch einen andern Schein,
-als am folgenden Tage ein Brief des Grafen anlangte,
-in welchem er für seinen reichen Amerikaner um die
-Hand Dorotheens anhielt. Er hätte sich überzeugt, so
-schrieb er, daß sein Freund, da er ihn genau kenne, nur
-mit diesem Wesen glücklich seyn könne.
-</p>
-
-<p>
-Dorothea, die ganz in ihren Gedanken und Empfindungen
-verloren war, erschrak über diesen Antrag; sie
-lehnte ihn heftig ab, ihr Herz verzweifelte, daß der Graf,
-der ihre ganze Seele gesehn hatte, diesen Vorschlag thun
-konnte. Also kein Gefühl, seufzte sie im Stillen, nicht
-das kleinste für mich, die ich ihn nur denke und träume.
-</p>
-
-<p>
-Auf die abschlägige Antwort der Mutter erfolgte
-ein noch freundlicherer Brief des Grafen, er bat für seinen
-Unbekannten, der binnen Kurzem erscheinen würde,
-nur um die Erlaubniß, sich zeigen zu dürfen, daß Fräulein
-<a id="page-167" class="pagenum" title="167"></a>
-Dorothea ihn so viel würdigen möge, ihn und seine
-Gesinnungen kennen zu lernen.
-</p>
-
-<p>
-Auf diesen Antrag hatte Dorothea nichts erwiedert.
-Im stummen Schmerz beachtete sie die Zeit nicht, und
-ihre Angehörigen mußten ihr anzeigen, es sei nun Tag
-und Stunde da, in welcher der sonderbare Freiwerber
-auftreten würde. Frau von Halden war als Freundin
-zugegen. Ein Postzug englischer Pferde sprang vor, ein
-kostbarer Wagen und Domestiken erschienen. Dorothea
-war im Gartensaal einer Ohnmacht nahe. Brandenstein
-trat hochzeitlich geschmückt in der Schönheit des Mannes
-herein. &bdquo;Und ihr Freund?&ldquo; fragte die Mutter. &bdquo;Nur
-die theure, geliebte Dorothea ist es,&ldquo; antwortete er, auf
-diese zueilend: &bdquo;von welcher mein Scherz Verzeihung erflehen
-muß, ich bin der Amerikaner selbst, jene Herrschaft
-ist nun endlich mein, und meinem Glücke fehlt nur noch
-ein Wort von diesem holdseligen Munde.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Dorothea blühte auf, sah ihn mit einer Thräne im
-glänzenden Auge an und reichte ihm ihre Hand. &bdquo;Wir
-fahren sogleich, meine Theuern,&ldquo; indem er Alle begrüßte:
-&bdquo;auf das nächste Gut, welches bisher der Frau von
-Halden zugehörte: ich habe die Erlaubniß zur Trauung,
-das Haus ist geschmückt, der Geistliche wartet.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Nur der Brautkranz ward dem Mädchen in das
-Haar geheftet, dann stiegen Alle in den Wagen. Der
-Graf umarmte seine Braut, und drückte den ersten Kuß
-auf ihre Lippen. &bdquo;Durfte ich diese Seligkeit hoffen?&ldquo;
-sagte er mit Thränen: &bdquo;mußte mir die Liebe dieser reinen
-Seele begegnen? Dasselbe Kind wird die Freude
-meines Lebens, welches ich vor Jahren, neben Deinem
-theuren Vater sitzend, auf den Knieen wiegte? Sieh,
-hier bist Du in jener Sturmnacht verzweifelnd gewandelt.
-<a id="page-168" class="pagenum" title="168"></a>
-In demselben Zimmer erwartet uns der Geistliche, in
-welchem Du damals der Freundin das Bekenntniß ablegtest,
-das mich wie Blitze durchdrang.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Dorothea war so glücklich, so vom Schmerz zur
-Wonne erwacht, daß sie nur wenig sprechen konnte. &mdash;
-Die ganze Provinz ertönte von dem Reichthum des Grafen,
-von dem wunderbaren Glück des Fräuleins, und alle
-Nachbarn waren Zeugen dieser glücklichen Ehe.
-</p>
-
-<p>
-Als Alfred sich mit Sophien verlobte, meldete auch
-der Baron Wilden seine Verbindung mit dem Fräulein
-Erhard. Den Freunden, die sich darüber wunderten,
-antwortete er: &bdquo;Seht, besten Leute, Einsamkeit und
-Langeweile machen viele Dinge möglich; dazu hat meine
-Braut viele gute Eigenschaften, und ist viel lustiger geworden,
-als sie ehemals war. Auch bemüht sie sich außerordentlich
-um meine Bekehrung, und das ist nichts
-Leichtes, da in meinem fetten Körper meine Seele so viel
-tiefer liegt, als bei andern Menschen. Ich bin nun auch
-bald auf meine Weise fromm, sorgt nur dafür, daß die
-Sache hübsch in der Mode bleibt, damit ich nicht wieder
-einmal, wie ein Krebs, rückwärts gehn muß.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Nach einiger Zeit fanden der Baron Wallen und die
-Baronesse es auch besser, sich durch die Ehe zu verbinden,
-da er keine der Töchter erhalten konnte, und ihm der Umgang
-dieser Familie doch unentbehrlich geworden war.
-</p>
-
-<p>
-Alfred lebte nachher viel im Hause des Grafen, dessen
-Geschäftsträger er war, und noch oft erinnerte sich
-Brandenstein mit Entzücken, daß das Schicksal es ihm
-gegönnt habe, in seiner Gattin die edle Perle zu finden,
-die von ihrer ganzen Umgebung und von den nächsten
-Blutsverwandten so gänzlich verkannt wurde.
-</p>
-
-<h2 class="part" id="part-3">
-<a id="page-169" class="pagenum" title="169"></a>
-<span class="line1">Die Reisenden.</span><br />
-<span class="line2">Novelle.</span>
-</h2>
-
-<p class="first">
-<a id="page-171" class="pagenum" title="171"></a>
-<span class="firstchar">E</span>s war an einem schönen Sommernachmittage, als drei
-junge Männer in lebhaften Gesprächen im schattigen Lindengange
-auf- und niederwandelten. Keiner kannte den
-Andern genau; noch weniger waren sie Freunde: und daher
-betraf ihre Unterhaltung auch nur unbedeutende Gegenstände.
-Doch wurde laut und sogar heftig gesprochen,
-weil der jüngste der Redenden es seinem Charakter
-und ausgezeichnetem Verstande angemessen hielt, seine
-Gedanken und Meinungen nicht ruhig, sondern in einem
-gewissen zänkischen und anmaßenden Tone vorzutragen,
-durch welchen er vielleicht seine Gegner eher zum Schweigen
-zu bringen, wenn auch nicht zu überzeugen glaubte.
-Sie sind, wie Sie mir gesagt haben, Arzt (so rief er
-eben jetzt aus), und als ein solcher haben Sie sich seit
-Jahren gewöhnt, das ganze Menschengeschlecht aus dem
-Gesichtspunkte der Kränklichkeit anzusehen. Wir Gesunden
-aber werden uns gewiß nicht so leicht, Ihrem Metier
-zu Gefallen, unsre feste Ueberzeugung nehmen lassen.
-</p>
-
-<p>
-Mein Herr von Wolfsberg, erwiederte der Arzt, von
-meinem Metier, wie Sie es zu nennen belieben, kann hier
-gar nicht die Rede seyn.
-</p>
-
-<p>
-Ja wohl, sagte der dritte Sprechende, welcher der
-Ruhigste schien. Wie kommen wir denn überhaupt dazu,
-<a id="page-172" class="pagenum" title="172"></a>
-zu streiten? Wir reden ja nur über allgemeine Gegenstände,
-die unmöglich einen von uns persönlich aufreizen
-können.
-</p>
-
-<p>
-Warum nicht, mein ruhiger Herr Justizrath? rief
-der Baron noch lebhafter aus; denn gewiß können wir
-über die Leidenschaften nur dann etwas Bedeutendes aussprechen,
-wenn wir sie im eignen Herzen erfahren haben,
-und es scheint wohl, daß Sie alle Ihre klügelnden Beobachtungen
-nur aus mittelmäßigen Büchern schöpften.
-</p>
-
-<p>
-Wenn Sie die Sache schon vorher abgemacht haben,
-antwortete der ruhige Mann, so thäten wir wohl besser,
-das ganze Gespräch zu schließen.
-</p>
-
-<p>
-Es wandelt sich in der anmuthigen Kühle gut, sagte
-der Arzt; ereifern wir uns nicht, gönnen aber dem Herrn
-<em>Baron</em> diese Motion, die ihm nach dem Mittagsmahle
-wohl zuträglich seyn mag, da lebhaftere Geister und
-Temperamente auch im Verlauf des Tages mehr Lebenskraft
-verbrauchen, als wir übrigen.
-</p>
-
-<p>
-So ist es, erwiederte der Baron mit vieler Selbstgenügsamkeit.
-Und ist es denn wohl anders mit der
-Liebe, über welche sich unser Streit anhob? Will ich es
-denn den sanften, stillen Gemüthern zum Vorwurf machen,
-wenn sie meinen und behaupten, ein einziger Gegenstand
-könne ihre Seele für die ganze Lebenszeit ausfüllen?
-Giebt es doch auch Menschen, die nur wenige
-Gedanken brauchen, noch weniger Bücher; die einen Monat
-lang sich an einer Flasche Wein vergnügen; die bei
-einem Schmause anderthalb Austern verzehren, und wenn
-sie in jedem Frühling einen Spaziergang mit der ganzen
-auferbauten Familie gemacht haben, die Natur dann wieder,
-wie eine Bude, bis zum künftigen Jahre verschließen.
-Lassen wir diese genügsamen Lämmerseelen in ihrer stillen
-<a id="page-173" class="pagenum" title="173"></a>
-Friedfertigkeit; nur stelle man sie uns nicht als Muster
-hin, wenn sie sich in grünen Tagen in eine verblaßte
-Amarillis vergaffen, und nachher mit erkaltetem Herzen
-in alberner Treue ihr Leben verwinseln, stolz sind auf
-diese felsenfeste Tugend, und auf feurige Gemüther, auf
-Herzen, die der Fülle und des jugendlichen Wechsels bedürfen,
-mit moralischer Verachtung hinab blicken wollen.
-</p>
-
-<p>
-Nach einigen Erwiederungen ließ man dies Gespräch
-fallen, weil es deutlich wurde, daß der Edelmann
-nur sich selbst und seinen Leidenschaften das Wort reden
-wollte. Wohin gedenken Sie von hier zu reisen? fragte
-endlich der Arzt.
-</p>
-
-<p>
-Ich weiß es selbst noch so eigentlich nicht, antwortete
-der Baron: und wenn ich es auch wüßte, so würde
-ich es Ihnen nicht sagen.
-</p>
-
-<p>
-Warum das?
-</p>
-
-<p>
-Weil das eben, fuhr jener fort, auch zu meinen Eigenthümlichkeiten
-gehört, weßhalb mich so viele bürgerliche
-Menschen mit dem Namen Genie verlästern wollen.
-Wenn ich so recht eigentlich zur Lust reise, so halte ich
-mir die ganze Welt mit ihren erfreulichen Zufällen offen;
-ohne Paß, ohne Briefe, ohne Bedienten oder Kutscher,
-ohne alle die Zugaben, die unser Leben nur belästigen,
-tauche ich, wie die Schwalbe in die blaue Luft, in
-die Schönheit der Natur hinein, und hinter mir muß jede
-Spur, so wie die der Welle im Strome, verschwinden.
-An einige Häuser ist schon im voraus geschrieben, wo
-ich Gelder finde, wenn ich sie brauche, doch führe ich so
-viel mit mir, als ich nöthig zu haben glaube. Dient es
-mir, so wechsle ich auch mit meinem Namen; und so
-wissen Sie von mir nur so viel, als ich für gut befunden
-habe, Ihnen mitzutheilen, und können nicht darauf wetten,
-<a id="page-174" class="pagenum" title="174"></a>
-daß der Name, den ich Ihnen genannt habe, mein wirklicher
-sei.
-</p>
-
-<p>
-Sie können, sagte der Justizrath, auf diese Weise
-aber neben manchen angenehmen Zufällen auch auf sehr
-widerwärtige stoßen.
-</p>
-
-<p>
-Jede Verwicklung wird sich doch nur lustig lösen,
-und wer die Menschen will kennen lernen, sollte durchaus
-nur in meiner Manier reisen.
-</p>
-
-<p>
-Der Arzt konnte sich nicht entbrechen, die Frage zu
-thun: Was nennen Sie Menschenkenntniß? Da Sie die
-meisten Menschen schon vor der Untersuchung für <em>Narren</em>
-halten, so lohnt es sich schwerlich der Mühe, sie noch
-zu beobachten.
-</p>
-
-<p>
-Zugegeben, rief jener, Sie thäten mir nicht so ganz
-Unrecht; ist denn nicht noch immer an den verschiedenen
-Modificationen eines und desselben Stoffes zu lernen?
-Ist es denn nicht auch erhebend und beruhigend, sich selbst
-an diesem und jenem zu messen? Das scheint mir eben
-die ächte Humanität, keinen zu verschmähen, und aufzumerken,
-welche Thorheit wir schon abgelegt haben, welche
-wohl noch unentwickelt in uns ruht, zu welcher wir keine
-Anlage spüren, warum <em>wir</em> uns für besser als andere
-halten dürfen, um so in uns hochfahrenden Stolz und
-kleinmüthige Bescheidenheit in das gehörige Gleichgewicht
-zu setzen.
-</p>
-
-<p>
-Dann thäten Sie aber vielleicht besser, erwiederte
-der Arzt mit übertriebener Höflichkeit, sich gleich an die
-wahre Quelle zu begeben, und sich die mühseligen Umwege
-zu ersparen.
-</p>
-
-<p>
-Und wo flösse diese?
-</p>
-
-<p>
-Wie die Engländer, fuhr der Arzt fort, sich in
-Deutschland gern in Pension geben, um unsere Sprache
-<a id="page-175" class="pagenum" title="175"></a>
-zu lernen, so sollte ein Kosmopolit, der sich so für das,
-was man Narrheit nennt, begeistern kann, geradezu vor
-die rechte Schmiede gehn, und sich ein Jahr lang in einem
-gut versehenen Narrenhause als Kostgänger verpflegen
-lassen.
-</p>
-
-<p>
-Sie sind ein Arzt! rief der Baron in der größten
-Erbitterung: man sagt mir, Ihre Reise sei auf diese Anstalten
-gerichtet, vielleicht um die zu finden, die Ihnen
-am meisten behagt, und sich dort niederzulassen. &mdash; Er
-warf noch einen grimmigen Blick, dann eilte er schnell
-den Lindengang hinunter.
-</p>
-
-<p>
-Sie haben unsern edeln Unbekannten überrascht, sagte
-der Justizrath: wir werden seine theuere Gesellschaft darüber
-verlieren.
-</p>
-
-<p>
-Er ist unerträglich, rief der Arzt aus. Sie haben
-es selber gehört, welche Geschichten er von sich an der
-Wirthstafel erzählt, wie alle Weiber ihm entgegen kommen,
-mit welcher Leichtigkeit er Liebschaften anknüpft und
-wieder löst. Gestern vertraute er mir, daß er seine Heimath
-plötzlich verlassen habe, weil ein unglückliches Mädchen
-gegründete Ansprüche an ihn mache. Die Arme
-wird nun vielleicht mit einem Kinde ihres Jammers nach
-ihm aussehn, indessen er sich mit seiner feigen Gewissenlosigkeit
-wie mit einer Tugend brüstet, und nach neuen
-Schlachtopfern seines verderbten Herzens sucht.
-</p>
-
-<p>
-Der Justizrath meinte, er sei vielleicht nicht ganz so
-schlimm, sondern möge wohl zu jener armseligsten Gattung
-von Prahlern gehören, die sich mit einer Verworfenheit
-brüsten, zu der ihnen doch der Muth ermangle.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-<a id="page-176" class="pagenum" title="176"></a>
-Der junge Baron war indessen zornig ins Feld gelaufen.
-Er mußte sich seine Verdienste in den glänzendsten
-Farben dicht vor das Auge rücken, um seinen Verdruß
-zu überwinden. Indessen stellte sich bald seine gute
-Laune wieder ein, besonders durch Aussicht auf ein
-nahes und freundliches Abenteuer, das seiner Eitelkeit
-schon im voraus schmeichelte. Auf dem Walle, welchen
-große Linden schmückten, hatte er hinter einem Gitterfenster
-ein schönes blondes Köpfchen, einen blendenden Hals
-und Nacken bemerkt; schöne Augen hatten ihm nachgesehn,
-ein freundlicher Mund hatte ihn angelächelt, und
-ein dreister Gruß war ihm endlich bei seinem dritten Vorüberwandeln
-entgegen gekommen. Er hatte die Schöne
-auch in der Ferne nicht ganz aus dem Gesichte verloren:
-er wollte nur die zunehmende Dämmerung und die größere
-Einsamkeit der Gegend abwarten, um sich ihr zu
-nähern, Bekanntschaft zu machen, und sie, wenn die Umstände
-sich günstig erwiesen, zu besuchen. Er betrachtete
-sich selber wohlgefällig und ging mit Behaglichkeit
-die Scenen seines bunten Lebens durch, indem er sich
-vornahm, daß diese phantastische Reise ihm noch angenehmere
-Abenteuer zuführen solle.
-</p>
-
-<p>
-Wieder schaute das Lockenköpfchen durch das Gitter,
-lächelte, winkte und zeigte sich sehr erfreut, als es den
-geputzten, schlanken Spaziergänger von Neuem vorbei
-gaukeln sah. Der Abend nahte schon, die Sonne ging
-unter. Er benutzte die Einsamkeit, um zu grüßen, stehn
-zu bleiben, und mit fragender Geberde auf die Thür zu
-deuten. Sie nickte und entfernte sich schnell. Er öffnete
-die Thür und stieg die Treppe hinauf. Sie empfing ihn
-oben; &bdquo;nur leise, leise!&ldquo; flüsterte sie, indem sie ihn in ihr
-Zimmer führte. So viel er in der Dunkelheit unterscheiden
-<a id="page-177" class="pagenum" title="177"></a>
-konnte, fand er das Gemach zierlich ausgeschmückt;
-er bemerkte, daß seine Führerin in Atlas gekleidet war.
-&bdquo;Liebchen!&ldquo; sagte sie mit leiser Stimme, &bdquo;gedulde dich
-hier einen Augenblick, ich bin gleich wieder bei dir; ich
-will mich nur putzen und Licht bringen. Aber rühre dich
-nicht, daß meine Feinde dich nicht gewahr werden!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Mit diesen Worten ging sie in ein Nebenzimmer.
-Dem Abenteurer fing an, unheimlich zu Muthe zu werden.
-Da schlich man leise die Treppe herauf. Er besorgte
-einen Ueberfall und wußte nicht, welchen Entschluß
-er fassen sollte; doch trat Niemand ein, aber er wurde zu
-seinem Erstaunen gewahr, daß man von außen die Thür
-verschloß. Als er jetzt von unten eine männliche Stimme
-zu einem andern sagen hörte: er ist drinnen; er kann uns
-nicht entwischen! so sträubten sich ihm die Haare vor
-Entsetzen. Sein Schauder wurde aber noch vermehrt,
-als jetzt die Schöne mit einer brennenden Wachskerze
-wieder in das Zimmer trat. Hals und Busen waren
-fast ganz entblößt und schimmerten wie Marmor; ihr
-Auge strahlte in seltsamem Glanze, ein Diadem von
-Goldpapier stand auf dem Haupte, große Glasperlen hingen
-auf den weißen Schultern, Stroh und Blumen rankten
-sich um den Leib. So schritt sie mit Lachen und
-wilder Geberde auf den Geängsteten zu, der seine Gedanken
-noch nicht ordnen konnte, als die andere Thür wieder
-aufgeschlossen wurde, die räthselhafte Schöne mit
-einem lauten Schrei das Licht fallen ließ, und zwei starke
-Männer den Verwirrten in der Dunkelheit faßten, ihn
-die Treppe mehr hinunter trugen als führten, und ihn
-unten schnell in einen offen stehenden Wagen warfen.
-Ehe er noch fragen, sprechen, sich besinnen konnte, war
-die Thür des Wagens zugeschlagen, und im schnellsten
-<a id="page-178" class="pagenum" title="178"></a>
-Trabe fuhr dieser mit ihm durch die finstre Nacht über
-das Feld davon.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Am andern Morgen kam der Arzt in Eile und großer
-Bewegung zum Rathe. Was ist Ihnen? fragte dieser:
-es muß etwas Außerordentliches begegnet seyn.
-Theuerster Walther, rief der Arzt aus, unser Beisammensein,
-mein Aufenthalt wird plötzlich auf die unangenehmste
-Weise gestört und unmöglich gemacht. Sie haben ja zuweilen
-einen jungen Menschen in meiner Gesellschaft gesehen,
-der uns oft genug lästig fiel. Dieses Original,
-schon einfältig, stumpf und zugleich leidenschaftlich von
-Natur, durch eine verwahrlosete Erziehung aber völlig
-zum Thoren gemacht, ist mir von seinem Vater, einem
-reichen Grafen in Schwaben, in der Hoffnung anvertraut
-worden, daß eine Reise unter meiner Aufsicht ihn vielleicht
-bessern und von seinem verwirrten Zustande befreien
-könnte. Ich nahm damals diesen mißlichen Auftrag
-sehr ungern über mich, und würde mich gar nicht darauf
-eingelassen haben, hätte ich die unzähligen Verdrießlichkeiten
-vorher sehn können, die mit demselben verknüpft
-sind. Das hätte ich aber niemals vermuthet, daß dieses
-drückende Verhältniß mich von Ihnen trennen und meine
-Freiheit völlig aufheben würde.
-</p>
-
-<p>
-Aber wie ist dies möglich geworden? fragte der Rath.
-</p>
-
-<p>
-Sie sollen es gleich hören, war die Antwort. Nachdem
-dieser junge Mensch schon tausend Händel angezettelt,
-die ich wieder habe schlichten müssen, oft durch Geld, zuweilen
-mit guten Worten, immer aber auf Unkosten meiner
-Zeit und guten Laune, hat er es seit gestern Abend
-für gut gefunden, sich unsichtbar zu machen. Ich habe
-<a id="page-179" class="pagenum" title="179"></a>
-schon zu allen Bekannten geschickt, auf der Post Erkundigung
-eingezogen, in allen Wirthshäusern nachgefragt:
-aber man will nirgend von ihm wissen. Es würde mir
-keine große Sorge machen, wenn er nicht Mittel gefunden
-hätte, Schrank und Schatulle zu öffnen, und hundert
-Goldstücke, so wie bedeutende Wechsel mitzunehmen; dies
-überzeugt mich, daß er gesonnen ist, seine Bekanntschaft
-mit mir nicht zu erneuern, so lange diese Summen vorhalten.
-Ich darf den Thörichten nicht seinem Schicksal
-überlassen, sondern muß ihn wieder zu finden suchen; dies
-ändert mein Reiseprojekt. Ungern nur würde ich ihn in
-öffentlichen Blättern auffordern und kenntlich machen.
-</p>
-
-<p>
-Und Sie glauben nicht, fragte der Freund, daß er
-mit diesem Gelde in seine Heimath zurückgekehrt sei?
-</p>
-
-<p>
-Auf keinen Fall, erwiederte der Arzt; es liegt ihm
-zu viel daran, frei und ungehindert in der Welt umher
-zu schwärmen. Seine Leidenschaft ist, allenthalben Händel
-anzufangen und in gemeinen Trinkstuben Zank zu erregen;
-er freut sich dann, einige Stunden auf der Wache
-zu sitzen, um nachher als Graf Birken ausgelöst zu werden.
-Am schlimmsten aber ist es, daß er mit Kammermädchen
-und Aufwärterinnen Liebeshändel anspinnt und
-ihnen die Ehe verspricht; und ich muß am meisten fürchten,
-ihn auf diese Weise verheirathet wieder zu finden.
-</p>
-
-<p>
-Und was denken Sie nun zu thun?
-</p>
-
-<p>
-Ich muß ihn aufsuchen, und wenn ich ihn in einigen
-Wochen nicht wieder antreffen sollte, die ganze Sache seinem
-Vater melden.
-</p>
-
-<p>
-Ein Diener trat eilig herein, gab dem Rathe einen
-Brief und entfernte sich wieder. Walther las und wurde
-nachdenkend. Verweilen Sie noch zwei Tage hier, sagte
-er endlich, und ich reise vielleicht mit Ihnen. Ich suche
-<a id="page-180" class="pagenum" title="180"></a>
-ebenfalls einen Verlornen, der mir und seinen Freunden
-schon seit Jahr und Tag aus dem Gesichte gekommen
-ist, einen jungen Mann, der Ihrem Entflohenen freilich
-auch nicht auf das Entfernteste gleicht. Ich glaube jetzt
-auf seiner Spur zu seyn, und wenn Sie unterdessen den
-Entsprungenen nicht wieder kommen sehen, oder keine bestimmte
-Nachricht über seinen Aufenthalt empfangen, so
-könnten wir die Reise, die wir uns vorgesetzt hatten, immer
-noch in Gesellschaft unternehmen.
-</p>
-
-<p>
-Der Arzt war derselben Meinung, und man versprach
-sich, am andern Tage eine nähere Abrede zu treffen.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Der verschlossene Wagen fuhr mit dem jungen Baron
-die ganze Nacht hindurch fort. Allenthalben waren
-schon Pferde in Bereitschaft, und da der Mond sehr hell
-schien, konnte man so schnell, wie bei Tage reisen. In
-den dicht verhängten Wagen fielen nur wenige Strahlen
-hinein; doch bemerkte der Entführte, daß ein Mann an
-seiner Seite, und ein anderer ihm gegenüber saß. Als er
-sich von seinem ersten Erstaunen erholt hatte, wollte er
-seinen Gesellschaftern Rede abgewinnen; aber sie beantworteten
-keine seiner Fragen oder Bemerkungen. Wohin führt
-man mich? rief er endlich in der größten Ungeduld. Ruhe!
-antwortete der starke Mann, Alles wird sich aufklären. &mdash;
-&bdquo;Man verkennt mich, man verwechselt mich mit jemand
-anderm!&ldquo; &mdash; &bdquo;&bdquo;Nichts weniger.&ldquo;&ldquo; &mdash; &bdquo;Was hat man
-mit mir vor?&ldquo; &mdash; &bdquo;&bdquo;Morgen am Ort Ihrer Bestimmung
-werden Sie Alles erfahren.&ldquo;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Als der Gefangene Miene machte, den Wagen zu
-öffnen, ergriffen ihn die Unbekannten gewaltig, und der
-eine rief drohend: keine Umstände! Finden Sie sich nicht
-<a id="page-181" class="pagenum" title="181"></a>
-gutwillig, so haben wir das Recht, Sie zu binden und
-zu knebeln; das geschieht auch bei dem ersten Versuche
-zu entfliehen, oder wenn Sie jemand Fremdes anreden
-wollten. Auch kann es Ihnen nichts nutzen; denn wir
-haben die gemessenste Ordre, die wir vorzeigen können,
-und auf welche uns in jeder Stadt Beistand geleistet
-werden muß.
-</p>
-
-<p>
-So fügte sich denn der Entführte und sann stillschweigend
-nach, für welche Begebenheit seines frühern
-Lebens ihn etwa dieses Unheil treffen möchte. So in seinen
-Busen und dessen Geheimnisse eingehend, fand er
-mehr auf der Rechnung stehen, als er in seinen heitern
-und zerstreuten Stunden vermuthet hatte. Je länger er
-in der stillen Nacht fuhr, je größer wuchs in seiner Erinnerung
-sein Sündenregister an, und er zitterte vor der
-Entwicklung seines Schicksals; denn Vestung, lebenslängliche
-Einkerkerung, ja selbst das Aergste standen vor seiner
-erregten Phantasie. Er wandte sich von diesen Bildern
-des Schreckens ab, und suchte sich wieder zu überreden,
-Alles, was man ihm vorwerfen könne, sei doch nur Jugendthorheit
-und Leichtsinn. Mit Wehmuth mußte er an
-die hochmüthigen Reden gedenken, die er vor Kurzem noch
-gegen den Arzt geführt, und alle seine Zweifel kamen wenigstens
-darin überein, daß jene Handlungen, mit denen
-er als eben so viel Tugenden und Kraftäußerungen geprahlt
-hatte, doch wohl Sünden, oder gelindestens Verirrungen
-zu nennen wären. So blätterte er in dem dunkeln
-Buche seines Gewissens hin und her, und nahm sich
-vor, wenn ihn ein günstigeres Schicksal aus dieser Bedrängniß
-erlösen sollte, seinen Lebenslauf mit viel mehr
-Anstand und etwas mehr Weisheit zu führen.
-</p>
-
-<p>
-Man fuhr die ganze Nacht und auch den folgenden
-<a id="page-182" class="pagenum" title="182"></a>
-Tag. Der Gefangene hatte sich fast schon an seinen Zustand
-gewöhnt, und die Furcht, daß seine Lage noch viel
-schlimmer werden könnte, machte, daß er die gegenwärtige
-mit Geduld ertrug. Hätte er sich ganz frei und ohne
-Schuld gewußt, so würde er in seinem Bewußtsein Waffen
-gefunden haben, sich dieser Gewalt zu widersetzen;
-aber der Zagende bettelte jetzt von jeder Stunde seines
-Daseins noch eine dürftige Erquickung, im Aufschub und
-in der Verzögerung fand er eine Art von Glück, und
-vergaß sogar in manchen Augenblicken, daß sich sein
-Schicksal doch endlich, und wohl bald, entwickeln würde.
-</p>
-
-<p>
-Am Abende, als es schon wieder finster ward, kam
-man an. Durch ein Thor, das sogleich wieder verschlossen
-wurde, fuhr der Wagen. Man brachte Licht. Ein
-Schreiben ward von einem der Begleiter hinaus gereicht.
-&bdquo;Immer neue Gäste, immer mehr Geschäfte!&ldquo; murrte
-eine dumpfe, verdrießliche Stimme draußen. Man fuhr
-in den Hof. Indem man ausstieg, ging einer der Männer
-jenem nach, der erst geschmollt hatte, und sagte: Ja,
-werther Herr Direktor, endlich haben wir ihn Gott Lob!
-erwischt; fünf Tage hatten wir ihm vergeblich aufgepaßt.
-&mdash; War er ruhig? fragte jener. &mdash; &bdquo;Ja, er hat sich so
-leidlich vernünftig aufgeführt. Ein paar Mal wollte er
-närrisch thun. Je nun, wir sind ja alle Menschen!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Das Letzte hörte der Entführte nur noch aus der
-Ferne. Er befand sich schon auf einer großen Treppe,
-zu welcher ihm zwei Menschen hinauf leuchteten. Ist
-Numero 18. aufgeschlossen? fragte der eine. Ja! scholl
-es von oben herab, und zugleich ward der Fremde in ein
-kleines, behagliches Zimmer hinein geschoben, in welchem
-Stühle, Tische, ein Bett und Sopha sich befanden. Lichter
-wurden hingestellt, und ein freundlicher Mann trug eine
-<a id="page-183" class="pagenum" title="183"></a>
-Abendmahlzeit auf. &bdquo;Herr Friedrich, sagte der eine Diener,
-Sie haben doch nichts vergessen?&ldquo; &mdash; Gewiß nicht,
-antwortete der kleine Mann; Alles ist schon mit dem Direktor
-abgemacht.
-</p>
-
-<p>
-Man ließ den Fremden allein. Da er hungrig war,
-aß er mit großem Behagen; nur vermißte er ungern den
-Wein, doch ließ ihn der Durst das Wasser schmackhafter
-finden, als er es unter andern Umständen für möglich gehalten
-hätte. Er öffnete das Fenster. Eisenstäbe verwahrten
-es; doch blickte er im Mondlicht über eine reiche und
-mannigfaltige Landschaft hin. Die Thür fand er verschlossen.
-</p>
-
-<p>
-Als man den Tisch wieder abgeräumt hatte, legte er
-sich nieder, und schlief auf die Anstrengung des Körpers
-und Geistes ruhig und lange. Nach dem Frühstück
-wurde die Thür mit einigen Ceremonien geöffnet, und ein
-starker, untersetzter Mann mit finsterer Miene und braunem
-Gesicht trat herein, dessen grollende Stimme er sogleich
-für diejenige erkannte, die er schon gestern Abend
-gehört hatte.
-</p>
-
-<p>
-Der finstere Mann warf einen durchdringenden, festen
-Blick auf ihn, und der Baron, der sich am Morgen eine
-lange, wohlgesetzte Rede ausgesonnen hatte, um seine Unschuld
-und das Mißverständniß, das über ihm schweben
-müsse, aus einander zu setzen, wurde so verwirrt und beängstigt,
-daß er jedes Wort vergaß und nur wünschte,
-diesen Besuch erst wieder los zu seyn.
-</p>
-
-<p>
-Haben Sie gut geschlafen? fragte der verdrießliche
-Mann.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Besser, als ich denken konnte, da ich so plötzlich&ldquo; &mdash;
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-184" class="pagenum" title="184"></a>
-&bdquo;&bdquo;Lassen wir das! Haben Sie mit Appetit gefrühstückt?&ldquo;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;O ja &mdash; nur wünschte ich das Mißverständniß, den
-Irrthum schnell aufzuklären; da man mich gewiß für einen
-andern hält.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;&bdquo;Wir kennen Sie, junger Herr, besser, als Sie
-vielleicht glauben.&ldquo;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Besser? sagte der junge Mann, und wurde roth
-und von Neuem verwirrt. Man hat mich um meinen
-Namen hier noch nicht gefragt!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;&bdquo;Ist auch gar nicht nöthig. Wir wollen keine Rollen
-mit einander spielen.&ldquo;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Rollen? Wie meinen Sie das?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;&bdquo;Wie man so was meint. Sie sollen sich nicht
-verstellen, Sie sollen nicht hoffen, daß Sie mich hintergehen
-können.&ldquo;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wenn ich Ihnen aber so ganz bekannt bin &mdash; so
-sagen Sie mir wenigstens, &mdash; wo befinde ich mich? Ich
-bin vielleicht zwanzig Meilen gereist, ohne zu wissen
-wohin.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;&bdquo;Lassen wir das noch jetzt, dergleichen muß Ihnen
-fürs Erste noch ganz gleichgültig seyn.&ldquo;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Die Forderung ist mehr als sonderbar.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;&bdquo;Bester junger Mann, sagte der Alte, um alle diese
-äußerlichen Zufälligkeiten müssen Sie sich jetzt gar nicht
-ängstigen. Es wird eine Zeit kommen, in der Ihnen Alles
-klar aufgeht.&ldquo;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Und welch Schicksal erwartet mich?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;&bdquo;Das wird ganz von Ihrem Betragen abhängen!
-Sind Sie sanft und ruhig, so wird Ihnen kein Mensch
-etwas in den Weg legen; können Sie es über sich gewinnen,
-vernünftig zu seyn, wenn es Ihnen auch im Anfange
-<a id="page-185" class="pagenum" title="185"></a>
-etwas schwer ankommen sollte, so wird man Ihnen
-alle Achtung bezeigen, die Sie erwarten können, und es
-liegt in Ihrer Hand, wie früh oder spät Sie Ihre Freiheit
-wieder erhalten werden.&ldquo;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;In meiner Hand? fragte der Gefangene, indem er
-seine Hände betrachtete.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;&bdquo;Dummheit und kein Ende! fuhr der Alte ungeduldig
-heraus, ich dachte es wohl, daß der Diskurs nicht
-lange auf der geraden Straße bleiben würde. Figürlich
-gesprochen, junger Herr! Wie Sie sich benehmen, so
-wird man sich wieder gegen Sie benehmen; vielleicht sind
-Sie in Jahr und Tag wieder auf freien Füßen: das
-heißt, Jüngling, (damit Sie nicht wieder querfeldein fragen)
-wenn Ihre Beine wieder frei sind, wird hoffentlich
-das übrige Zubehör, sogar der Kopf wieder mitlaufen
-dürfen.&ldquo;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Und was befiehlt man, fragte der Baron, das ich
-vorstellen soll? Wie soll mein Name heißen? Denn es
-scheint, daß hier ein strenges Regiment obwaltet, dem
-man sich fügen muß.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;&bdquo;Nur keine Quängeleien! rief der alte Mann; machen
-Sie nicht, daß ich härter seyn muß, als ich von
-Natur bin; denn das ist mein Elend, daß der Teufel mir
-so ein breiweiches Herz eingesetzt hat, daß ich eigentlich
-ein altes Weib hätte werden müssen. Nun, lieber Herr
-Graf, wir werden uns schon noch verstehen lernen.&ldquo;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Graf? rief der Baron; also doch wenigstens eine
-Standeserhöhung.&ldquo; &mdash; Er war nach diesem Worte plötzlich
-viel heitrer geworden; die Beklemmung, die ihn drückte,
-schien ziemlich verschwunden.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;&bdquo;Ja, Graf, nicht anders, fuhr der Alte fort; ja,
-<a id="page-186" class="pagenum" title="186"></a>
-mein junger Herr, man weiß hier mehr von Ihnen, als
-Sie begreifen können.&ldquo;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nur noch eine Frage, dann will ich schweigen, sagte
-der Baron. &mdash; Bin ich etwa hier, wegen des Verhältnisses,
-das vor zwei Jahren die Baronesse&ldquo; &mdash;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;&bdquo;Still! rief zornig der Alte; das ist es ja eben; an
-Liebe müssen Sie hier gar nicht denken, so wie Sie auf
-diese Passion gerathen, müssen gleich Anstalten getroffen
-werden; weder Baronesse, noch Gräfin, noch Fräulein,
-selbst das Wort Frauenzimmer muß nicht von Ihren Lippen
-gehört werden! Nun geben Sie mir die Hand, daß
-ich Sie noch einmal bewillkomme. Ich hoffe also, Sie
-werden uns keine Schande machen.&ldquo;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Er hielt die Hand des Barons lange in der seinigen
-eingeschlossen, drückte sie, schob seine Finger hinauf, fast
-als wenn er den Puls fühlen wollte, sah dem jungen
-Mann noch einmal scharf in die Augen, und entfernte sich
-dann schnell nach dieser sonderbaren Begrüßung.
-</p>
-
-<p>
-Nach einiger Zeit erschien der kleine freundliche Mann,
-den man den Herrn Friedrich nannte. Nun, sagte dieser,
-es ist ja gut abgelaufen; unser melancholischer Gebieter
-ist ja mit Ihnen zufrieden, er meint, es würde schon
-werden.
-</p>
-
-<p>
-Aber, wo bin ich nur? fragte der Baron.
-</p>
-
-<p>
-Der Kleine legte mit einer sehr listigen Miene den
-Finger auf den Mund, kräuselte die Lippen, zog die schmalen
-Schultern bis zu den Ohren, und sagte dann ganz
-leise: so lange Sie noch bloß auf Ihr Zimmer eingeschränkt
-sind, darf ich nichts Bestimmtes mit Ihnen sprechen; aber
-wenn Sie erst einmal herunter gekommen sind, dann wird
-Ihnen nichts mehr Geheimniß bleiben.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-187" class="pagenum" title="187"></a>
-Wer sind Sie, fragte der Baron eifrig, und wer ist
-der Mann, der mich heute besuchte?
-</p>
-
-<p>
-Nichts! nichts! rief der Kleine; sehn Sie, Verehrter,
-wir sind Alle ohne Ausnahme nur das, was unser gestrenger
-Herr uns befiehlt zu seyn. Hat er doch nun die Macht
-einmal; woher er sie hat, das weiß der Himmel wohl am
-besten, der sie ihm verlieh. Sehn Sie, er ist sehr hypochondrisch,
-und fast niemals vergnügt, und darum verlangt
-er, Alles im Hause solle auch ehrbar und fromm zugehn.
-Eine unbillige Forderung. Ich gelte aber doch viel bei
-ihm, und er meint, ich hätte Gaben. Nun haben Sie
-gleich beim Eintritt durch Ihr feines vornehmes Wesen
-mein ganzes Herz gewonnen, &mdash; Sie sehn einem großen
-Feldherrn so ähnlich, den ich einmal gekannt habe; aber
-ich bin doch zu schwach, Ihnen zu helfen.
-</p>
-
-<p>
-Wie so, zu schwach?
-</p>
-
-<p>
-Betrachten Sie nur selbst meine Schultern, wie schmal,
-flüsterte der kleine Mann. Ja, wenn ich mehr heben und
-arbeiten könnte; wenn ich mich nicht immer so schonen
-müßte; wenn ich mir mehr bieten dürfte, so wäre mein
-Schicksal wohl ein ganz anderes, als hier im Hause herum
-zu kriechen.
-</p>
-
-<p>
-Er entfernte sich, um dem Fremden das Mittagsessen
-zu holen, verschloß aber sorgfältig indessen die Thür.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Der Rath Walther hatte den Arzt wieder aufgesucht,
-um über den Plan ihrer gemeinschaftlichen Reise zu sprechen.
-Der Doctor hatte von seinem entlaufenen Zögling
-noch keine Nachrichten; er war jetzt neugierig, was sein
-Freund, dem er sich immer enger anschloß, ihm würde zu
-eröffnen haben.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-188" class="pagenum" title="188"></a>
-Vielleicht, fing dieser an, sehe ich schon in einigen
-Tagen einen Jüngling wieder, dem ich seit vielen Jahren
-schon, seit ich ihn als Knaben kennen lernte und aufwachsen
-sah, meine Freundschaft, ja mein ganzes Herz
-schenken mußte. Alle unsere Bücher sind voll von Schilderungen
-der sogenannten Liebe; genau sind alle ihre
-Kennzeichen beschrieben, die Steigerungen, so wie die Verirrungen
-dieser Leidenschaft nachgewiesen, und von der
-<em>Freundschaft</em>, die eben so wundersam, zuweilen noch seltsamer
-erscheinen kann, wird kaum gesprochen, oder man setzt
-sie voraus, und meint, sie zu schildern, sei ohne Interesse.
-Wenn Alle zu <em>lieben</em> glauben, ist es vielleicht nur Wenigen
-gegeben, im wahren Sinne <em>Freund</em> zu seyn. Ich
-habe mich früh und ohne Leidenschaft verheirathet, und
-bin glücklich in meiner Familie. Aber von frühster Jugend
-habe ich das Talent in mir ausgebildet, Freund
-seyn zu können, mich dem geliebten Gegenstande hinzugeben,
-seine Eigenheiten, Schwächen und Vortrefflichkeiten
-zu erkennen, mich zu überzeugen, wie bei den verdienstvollen
-Menschen die einen nicht ohne die andern seyn
-können, und alle Liebe ohne gegenseitiges Ertragen nicht
-möglich ist. Doch, um nicht zu weitläuftig zu werden, sage
-ich nur, daß es mir gelang, viele und sehr verschiedene
-Freunde zu erwerben; doch hatte ich noch nie das seltsame
-Gefühl kennen lernen, das mich zu einem Knaben hinzog,
-der in unsrer Familie aufwuchs und ein entfernter Verwandter
-von mir war. Er hatte nichts mit andern Kindern
-seines Alters gemein; er nahm an ihren Spielen nicht
-Theil; er sonderte sich ab, und lebte, seine Lehrstunden
-abgerechnet, ganz einer träumenden Einsamkeit hingegeben.
-Da der junge Mensch schon früh seine Aeltern verloren
-hatte, so war sein Vormund, ein liebevoller Oheim, sehr
-<a id="page-189" class="pagenum" title="189"></a>
-um ihn besorgt. Fragte man Raimund, so hieß der Knabe,
-was ihm fehle, so antwortete er immer, ihm sei in der
-Einsamkeit unendlich wohl; ihn störe das Geräusch der
-Welt, er sinne sich und seinen Empfindungen nach. Hauptsächlich
-schien ihn eine Wehmuth über das Elend der
-Welt, über ihre Armuth und Krankheit zu durchdringen,
-vorzüglich über die Feindschaft und den Haß, den er so
-oft wahrnehmen mußte. Der Vormund wünschte, ihn
-zum Geschäftsmann heranzubilden, oder ihm doch die Fähigkeit
-zu verschaffen, das große Vermögen, das er für
-ihn bewahrte, künftig selbst verwalten zu können. Die
-Bemühungen aber, den Weichgestimmten mit den Verhältnissen
-der Welt bekannt zu machen, schienen immer vergeblich;
-denn so leichte Fassungsgabe sein feiner Geist
-sonst verrieth; wie er in Poesie, Musik und Natur Alles
-begriff, und sich das Schwierigste aneignen konnte; so
-schien ihm doch der Sinn für gesetzliche Verhältnisse, für
-alles das, was Besitz und Eigenthum sichert, für juristische
-Verwickelungen, Berechnungen und dergleichen, gänzlich
-verschlossen. Begriff er doch gar nicht einmal, wie
-es möglich sei, daß seine Capitalien Zinsen trügen. Er
-hielt dies, als er selbst schon erwachsen war, für ein Ergebniß,
-welches nur auf Betrug gegründet seyn könne.
-Als Jüngling war er die lieblichste Erscheinung. Wir
-verhärten uns gewöhnlich, und wohl mit Recht, gegen die
-Sentimentalität; weil dasjenige, was die Menge so
-nennt und schwache Gemüther interessirt, nur eine Mischung
-von Heuchelei und falscher Süßigkeit ist, eine
-egoistische Zartheit, die gerade da verletzt und roh tyrannisirt,
-wo sie Liebe und Weichheit zeigen sollte. Aber in
-Raimund offenbarte sich etwas Himmlisches verkörpert,
-und die naivste Wahrheit, die edelste Treue und Einfalt
-<a id="page-190" class="pagenum" title="190"></a>
-bildeten sein Wesen. Ich konnte oft in Gedanken beklagen,
-daß er späterhin doch zum Manne reifen und diese
-Wunderblume sich in Frucht verwandeln müsse. Er blieb
-immer menschenscheu; am meisten aber ängsteten ihn die
-schwatzenden und lachenden Mädchengesellschaften. Die
-meisten Menschen verspotteten ihn; ich allein verstand sein
-liebendes Gemüth; doch zitterte ich auch für ihn, wenn
-ich voraus dachte, wie ihm wohl einmal ein gleich gestimmtes
-weibliches Wesen begegnen könne. Dies geschah,
-und die Folgen waren erschreckender, als ich vermuthen
-konnte. Die schöngebildete Tochter eines reichen
-Hauses, schwärmerisch und scheu, lernte ihn kennen. Als
-wären die beiden Wesen nur für einander geschaffen, so
-schnell verstanden und vereinigten sie sich. Was ihr
-Glück störte, war der Oheim, obgleich er seinen Neffen so
-innig liebte. Er schien der Ueberzeugung, daß diese Leidenschaft
-nur zu Beider Unglück ausschlagen könne; er
-verweigerte durchaus seine Einwilligung zu ihrer Verbindung,
-bis Raimund großjährig geworden sei. Dieser
-härmte sich und sann und träumte nur Unglück. Blanka
-weinte; ihr Gram zog ihr ein Nervenfieber zu. Nun
-schien auch Raimund verloren. Er irrte in den Nächten
-im Felde umher, er verschmähte fast alle Nahrung, er
-wollte nur seinem Schmerze leben und sterben. Als sie
-die gefährliche Krise überstanden hatte, erlaubte sich ein
-Bedienter den grausamen Scherz, um ihn desto freudiger
-zu überraschen, ihm zu sagen, Blanka sei gestorben. Der
-Widerruf kam zu spät; sein ganzes Leben schien aus allen
-Fugen gerissen. Es währte nicht lange, so war er verschwunden;
-jede Nachfrage, jede Nachforschung umsonst.
-Sein Oheim, der Freiherr Eberhard ist außer sich; nun
-erst zeigt er, wie sehr er seinen Neffen geliebt; er macht
-<a id="page-191" class="pagenum" title="191"></a>
-sich die bittersten Vorwürfe, daß er jene Verbindung gehindert;
-er zögert noch immer, als der nächste Erbe, das
-Vermögen des Unglücklichen als das seinige zu betrachten;
-er hofft noch immer auf seine Rückkehr, und beweint ihn
-doch schon als einen Verlornen. Blanka war seitdem in
-einem fürchterlichen Zustande, ich habe sie nicht wieder
-gesehn; ihre Aeltern verließen die Stadt, und ein ungewisses
-Gerücht wollte sagen, sie habe den Verstand verloren.
-Denken Sie nun die Freude, die mir der Brief machen
-mußte, der mir eine wahrscheinliche Spur meines
-jungen Freundes entdeckt. Wie werde ich den Oheim
-überraschen, wenn ich ihm etwas Gewisses melden
-kann!
-</p>
-
-<p>
-Der Arzt war nachdenkend. Eberhard, &mdash; sagte er
-sinnend, &mdash; ein Mann bei Jahren, zwei ungleiche Augenbraunen,
-und eben so ein braunes und ein blaues Auge?
-Auch schwebt mir dunkel vor, als habe ich aus seinem
-Munde selbst die Geschichte, die Sie mir jetzt mittheilen,
-gehört; nur erzählte er die Umstände anders.
-</p>
-
-<p>
-Ihre Beschreibung paßt auf ihn, sagte der Rath; er
-ist von der Natur so sonderbar gezeichnet, daß man ihn
-nicht leicht verkennen kann.
-</p>
-
-<p>
-Wie seltsam, fuhr der Arzt fort; wenn es dieser seyn
-sollte! &mdash; Er spielte in meiner Vaterstadt eine wunderliche
-Rolle, und bewarb sich noch ganz kürzlich um eine Schauspielerin,
-die nicht den besten Ruf hatte.
-</p>
-
-<p>
-Dann ist es dieser doch nicht, sagte der Rath; er
-lebt einsam, eingezogen, ja neigt eher zu einer übertriebenen
-Frömmigkeit hin.
-</p>
-
-<p>
-Man kam dahin überein, am folgenden Tage abzureisen;
-denn im Dorfe eines einsamen Gebirges sollte der
-<a id="page-192" class="pagenum" title="192"></a>
-Jüngling, von dem der Rath Nachricht erhalten hatte,
-im Hause eines Predigers leben.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Es war einige Zeit verflossen, in der sich der junge
-Wolfsberg an seinen Aufenthalt und seine Lage gewöhnt
-hatte, und da er sich immer ruhig betragen, so trat eines
-Tages sein Freund, der kleine Friedrich, in sein Gemach,
-that einen kurzen Sprung, zuckte die Schultern, verzog
-sein blasses Gesicht zum Grinsen und sagte: jetzt werden
-Sie einer von den unsern; der Alte schickt mich, Sie
-möchten in den Gesellschaftssaal hinunter kommen.
-</p>
-
-<p>
-Sind viele Leute dort? fragte der Baron.
-</p>
-
-<p>
-Je nun, eine hübsche Gesellschaft; bald mehr, bald
-weniger; mancher reiset dann auch wieder ab, und so habe
-ich vorige Woche einen meiner besten Freunde auf der
-Welt verloren.
-</p>
-
-<p>
-Sie traten in den untern großen Saal, und Wolfsberg,
-der so lange in der Einsamkeit und im kleinen
-Zimmer gelebt hatte, war so vom Licht, von der Gesellschaft
-und dem weiten Blicke über die Ebne und das
-Waldgebirge hin geblendet, daß er sich nur schwer fassen
-konnte, und einige Zeit brauchte, um sich mit allen diesen
-Gegenständen, vorzüglich aber mit den Menschen in dem
-großen Gemache bekannt zu machen. Der Direktor ging
-mit großen Schritten auf und nieder, noch finstrer, als er
-gewöhnlich war; er schien nur seinen Gedanken nachzuhängen,
-und sich um die Gesellschaft nicht zu kümmern.
-Er bemerkte auch den Eintretenden nicht, und erwiederte
-nichts auf dessen Gruß. Zwei Männer spielten mit großer
-Anstrengung und gespannten Mienen Schach; in einer
-Ecke las ein Andrer in einem Buche, lächelte zuweilen,
-<a id="page-193" class="pagenum" title="193"></a>
-oder schüttelte den Kopf, machte auch zuweilen Geberden
-der Billigung, so daß er völlig mit seinem Autor beschäftigt
-schien. Auf einem Lehnstuhle war ein Mann eingeschlafen,
-der durch sein rothes Kleid auffiel; noch mehr
-dadurch, daß sein Kopf von einem großen dreieckigen Hute
-bedeckt war. Starr nach dem Himmel und dessen Wolken
-war der Blick eines Andern gerichtet, der einen Maaßstab
-in der Hand hielt, dessen Zolle er dann immer wieder
-von Neuem überzählte. Drei seltsame Gesichter standen
-abseits, und stritten lebhaft. Der eine von diesen Männern
-war sehr beleibt; sein Kopf aufgedunsen, die Augen
-waren fast verschwollen, er krächzte mehr, als er sprach,
-und stach um so mehr gegen seinen schmalen langen Nachbar
-ab, dessen Gesicht so dürr und bleich erschien, daß man
-kaum noch Lippen darauf wahrnahm, indem die großen
-blauen Augen aber desto auffallender hervor leuchteten.
-Der dritte Redner lachte beständig mit seinem großen,
-aufgeworfenen Munde, und zerrte die wundersamsten Linien
-in seine kupfrigen Wangen hinein. Wolfsberg sah
-sich um, von seinem getreuen Friedrich Einiges über diese
-sonderbare Versammlung zu erfahren; dieser aber war
-verschwunden, und er mußte also selbst Bekanntschaft zu
-machen suchen. Er näherte sich den Schachspielern, und
-sah beim ersten Blick, daß beide Könige im Schach standen,
-ohne daß es die Streitenden trotz ihrer angestrengten
-Aufmerksamkeit bemerkten; aber seine Verwunderung stieg
-noch mehr, als man den weißen Thurm nahm, ihn schräg
-über das Brett zog, mit ihm einen Läufer schlug, und
-ihn darauf neben den König stellte. Der braune König
-retirirte nun behende als Springer, und ein weißer Springer
-nahm mit einem Satz im Zickzack drei Bauern zugleich
-weg. Wie, meine Herren, rief Wolfsberg aus, Sie
-<a id="page-194" class="pagenum" title="194"></a>
-spielen ja ganz gegen die ersten Regeln! Was? rief der
-eine tiefsinnig vom Brett aufsehend; sehn Sie einmal,
-durchlauchtiger Kriegsgefährte, der Neuling will uns wohl
-Schach spielen lehren? &mdash; Nehmen Sie es dem Grünling
-nicht übel, erhabener Mann, antwortete die andere Figur:
-er ist augenscheinlich nicht in die Geheimnisse des Cosroes
-und die alte orientalische Spielweise eingeweiht; er
-weiß es ja nicht, daß Sie einer der Urindianer sind, großer
-Geist, und will nun seine Fibelweisheit hier scheinen
-lassen. Wissen Sie, junger Abendländer, Vandal, oder
-Gothe, vielleicht Slave, &mdash; man spielt hier nicht mit
-Brett und Schritt und Sprung, wie in den Westländern;
-unser freier Geist erkennt weder die conventionelle Würde
-des Königs, noch den niedern Rang der Bauern, sondern
-wir spielen nach Sympathie, in jenem Geist, der alle
-Welten nach unsichtbaren Gesetzen zusammenhält! In jeder
-Nacht hat mein Freund eine neue Inspiration, am
-folgenden Tage bin <em>ich</em> inspirirt; dann erräth der andre
-durch hochgetriebenen Instinkt, welch neues System sein
-Mitspieler ersonnen hat und geht in seine Mysterien ein.
-Das ist gar eine andre Vielseitigkeit, als das moderne
-Hin- und Herrutschen der Figuren.
-</p>
-
-<p>
-Das ist freilich eine andre Sache, sagte Wolfsberg,
-indem er sich zurück zog. Er näherte sich dem Lesenden,
-sah aber zu seinem Erstaunen, daß dieser das Buch verkehrt
-hielt, und rückwärts die Blätter umschlug. Wie,
-mein Herr, sagte er höflich, sind Sie so zerstreut, daß Sie
-nicht bemerken, wie man auf diese Art nicht lesen kann?
-Oder sind Sie der Kunst etwa gar nicht mächtig? &mdash;
-Der Lesende stand schnell auf, machte ihm eine sehr tiefe
-Verbeugung, sah ihn an, beugte sich noch tiefer, und
-sprach dann mit einer lispelnden Stimme und mit überhöflichem
-<a id="page-195" class="pagenum" title="195"></a>
-Tone: &bdquo;geruhen dieselben gütigst zu bemerken,
-mein verehrter Herr Unbekannter, daß es denenselben gefällt,
-sich wie ein wahrer Einfaltspinsel auszudrücken.
-Nicht etwa, daß ich in Ihre eben so tiefen, als ausdrücklichen
-Einsichten einen Zweifel setzen wollte (fern sei von
-mir ein solcher Frevel!), so scheint es mir doch einleuchtend
-(möchte ich Sie auch übrigens anbeten), daß Sie mit der
-crassesten Ignoranz über eine Wissenschaft sich äußern, die
-freilich Ihrem elenden, kurzen, stümperhaften Horizonte
-weit entwachsen ist. Was? Weil ich etwa nicht von
-vorn lese, oder das Buch verkehrt halte, darum könnte ich
-nicht lesen? Ja, und wenn ich nun selber keinen Buchstaben
-wüßte, armer Hergelaufener, und ich nähme das
-Buch nur mit Glauben und Andacht in die Hand, könnte
-es nicht auch in mich übergehen? Habt Ihr denn wohl
-schon oft lesend gelesen, und verstehend verstanden? Ja,
-Druckerschwärze und die krausen Figuren sind Euch in die
-Augen, Geruch von Leim und Papier in die Nase gekräuselt,
-und dazu habt Ihr eine Physiognomie geschnitten,
-wie Schafe beim Gewitter, und meint alsdann, Ihr habt
-Weisheit in Euch geschlürft, oder seid Eurem berühmten
-Autor gar noch über den Kopf gewachsen! Bester Nichtdenker,
-verehrter Strohkopf, ich war seit Jahren Recensent,
-thätig und einsichtsvoll, gewöhnte mich ans Blättern und
-hatte immer um so mehr Urtheil, um so weniger ich las;
-ich brachte es zu der Höhe, daß ich kaum den Titel anzusehn
-brauchte, nur, wo verlegt, so hatt&rsquo; ich das ganze
-Buch weg. Ist das etwa keine Kunst? Seit ich mich in
-diese Einsamkeit zurück gezogen, habe ich, weil ich ein demüthiger
-Charakter bin, wieder zu lesen angefangen; aber
-warum denn von vorn? Das <em>Ende</em> ist mein Anfang,
-und da ich mich längst geübt habe, die Schrift umgekehrt
-<a id="page-196" class="pagenum" title="196"></a>
-zu erkennen, so wäre es mir nun gar nicht mehr möglich,
-auf Eure dumme, hirnlose, völlig altfränkische Art die
-Sache zu treiben. Und wo ist denn der Anfang, der anfinge,
-Ihr Gimpel? Setzt nicht das erste Verslein im
-Mose schon einen andern Anfang voraus? Und wenn wir
-den fänden, wiese er dann nicht wieder auf ein Voriges?
-O Ihr Bettelmann der Gegenwart und Dürftigkeit! ein
-Ende giebt es; ja in Eurem Verstande; mit dem seid Ihr
-längst zu Ende! &mdash; Er verbeugte sich hierauf wieder sehr
-tief und beschloß: Verzeihung, Verehrtester und Einsichtsvollster
-aller Trefflichen, wenn ich, so tief ich auch unter Ihnen
-stehe, nur durch ein geringes Scherflein habe andeuten
-wollen, wie sehr ich mich bestrebe, Ihre Meinung zu fassen,
-und gewiß nicht wagen werde, Ihnen irgend in
-Hauptansichten zu widersprechen, sondern nur submissest
-einige kleine Zweifel, welche die Bitte um Belehrung enthalten,
-entgegen zu schütten, und dadurch nur Veranlassung
-gebe, noch tiefer Ihr tiefes Ingenium und noch klarer
-Ihren klaren Geist, noch glänzender die Glanz-Atmosphäre
-Ihres Wissens, Denkens, zu entwickeln, &mdash; und <span class="antiqua">enfin</span>, excellenter
-Mann, ich verstumme.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Heiliger Himmel! rief Wolfsberg mit Entsetzen aus,
-denn er erkannte nun erst, indem er noch einen hastigen
-Blick auf alle Gruppen warf, wo er sich befinde, &mdash; ich
-bin in einem <em>Narrenhaus</em>! Wer hat die Unverschämtheit
-gehabt, mich hieher zu versetzen?
-</p>
-
-<p>
-Bei diesem lauten Ausruf und dem Worte &bdquo;Narrenhaus&ldquo;
-wurden plötzlich alle Thoren aus ihren stillen
-Gesprächen und Speculationen aufgeschreckt. Der Beobachter
-ließ seinen Maaßstab fallen und rannte herbei; der
-Aufgedunsene, der Bleiche, so wie der Kupferfarbene liefen
-schreiend herzu; die Schachspieler sprangen auf; der Lesende
-<a id="page-197" class="pagenum" title="197"></a>
-machte ein grimmiges Gesicht, und der schlafende Rothrock
-erwachte, indem er zugleich eine kleine Peitsche aus
-dem Busen zog. Was? Wie? schrieen Alle und tobten
-durch einander &mdash; ein Narrenhaus? Herr! Wissen Sie,
-was Sie sprechen? Er wird auch nicht für die Langeweile
-hier seyn, sagte der große kräftige Mann im rothen
-Rock, und er darf mir nicht viel gute Worte geben, so
-lasse ich ihn hier, so wie meine Pygmäen, tanzen, bis die
-bösen Geister aus ihm gefahren sind.
-</p>
-
-<p>
-Und wo sollten Sie denn sonst seyn, lieber Mann,
-schrie der Direktor zornig, der den verwirrten Haufen
-theilte und jeden zur Ruhe verwies; wenn Sie sich aber
-so aufführen und sich in Gesellschaft nicht zu nehmen
-wissen, so werden wir Sie wieder auf Ihr kleines Stübchen
-einquartiren müssen. Dies Wort zu nennen, was
-Sie gebrauchen, schickt sich in diesem Hause gar nicht,
-und schon aus Achtung vor mir müssen Sie es vermeiden!
-Und wer Sie hieher gesandt hat? Männer, denen
-Sie nicht verweigern werden, Gehorsam und Ehrfurcht zu
-bezeigen!
-</p>
-
-<p>
-Wolfsberg war still und nachdenkend geworden, und
-der Rothgekleidete rief: hab&rsquo; ichs nicht gesagt? indem er
-zugleich die kleine Peitsche nahm und eifrig gegen alle
-Wände des Saales schlug, bis er außer Athem und ganz
-kraftlos war. Der Director wandte sich unwillig ab, und
-als der Ermüdete sich wieder in seinen Sessel geworfen
-hatte, trat Wolfsberg zu diesem und fragte: was machten
-Sie eben, und was hat diese Anstrengung zu bedeuten?
-</p>
-
-<p>
-Was? rief Herr Kranich aus (denn so nannten ihn
-die Uebrigen), Herr, wenn ich nicht wäre und die Augen
-immer offen hätte, so wären Sie und alle Uebrigen hier
-<a id="page-198" class="pagenum" title="198"></a>
-verloren; ja, ich möchte wohl wissen, was von der Welt
-sonderlich übrig bleiben würde. Sie sehn es nicht, wie
-diese verdammten Pygmäen, kleine böse Geister, mich allenthalben
-verfolgen, Gesichter schneiden, und alles Uebel
-auf Erden anrichten. Von diesen rührt auch Ihre Verstockung
-her, daß Sie nicht einsehn wollen, was an Ihnen
-ist; von diesen kleinen Creaturen entspringt alles Unglück,
-und ich muß sie unaufhörlich bewachen, um nur zu verhüten,
-daß sie nicht das Aergste ausüben.
-</p>
-
-<p>
-So war Alles wieder beruhigt, als man einen Landedelmann
-mit seiner Familie anmeldete, die sich das Haus
-betrachten wollten. Ein ältlicher Mann trat lächelnd herein
-und sah sich selbstgenügsam um; ihm folgte eine erwachsene
-Tochter, blöde und einfältig, und ein ebenfalls
-erwachsener Sohn, der sich gleich das Ansehn gab, als
-wenn er hier zu Hause gehöre. Der Director fuhr sogleich
-barsch auf sie zu, und fragte heftig, was zu ihrem
-Befehle sei. Gott bewahre! stammelte der Edelmann, indem
-er scheu zurück trat; ist denn hier kein andrer ruhiger
-Mann, der uns herumführen, und die Merkwürdigkeiten
-zeigen kann? Der Director sammelte sich wieder und
-sagte in sanftem Tone, daß er selbst der Vorsteher dieser
-Anstalt sei, und daß er sich ihm und dem kleinen Friedrich,
-der sich unterdessen wieder herbei gemacht hatte, getrost
-anvertrauen könne. Sie gingen hierauf friedlich durch den
-Saal, ergötzten sich an der Aussicht und betrachteten die
-Gesellschaft aus der Ferne, als sich der Kupferfarbene
-herbei machte und um die Erlaubniß bat, etwas vorzutragen.
-</p>
-
-<p>
-Meine beiden trefflichen Schüler, fing er an, möchten
-heute einen poetischen Wettstreit halten, wie er bei den
-alten Griechen wohl üblich war, und es trifft sich gut,
-<a id="page-199" class="pagenum" title="199"></a>
-daß einige Fremde, als ganz unbefangene Zuhörer zugegen
-seyn können, um über die Verdienste meiner begeisterten
-Scholaren nach reifer Prüfung ein Urtheil zu fällen.
-</p>
-
-<p>
-Er winkte, und der lange Blasse, so wie der Beleibte
-mit dem verschwollenen Gesichte näherten sich. Die Uebrigen
-schlossen einen Kreis; der Lesende drängte sich am
-nächsten, und der Pygmäenbekämpfer sah kritisch umher,
-ob auch keine bösen Geister die poetische Unterhaltung
-stören möchten.
-</p>
-
-<p>
-Der Mann mit der Kupfernase wandte sich hierauf
-an den Edelmann, den er freundlich bei der Hand nahm
-und ihm die Tressen seines grünen Kleides streichelte.
-Englischer Mann, sagte er zärtlich, verstehen Sie wohl
-Galimathias zu sprechen?
-</p>
-
-<p>
-Nein, sagte jener; was ist das für eine Sprache?
-</p>
-
-<p>
-Schade, fuhr jener fort; da werden Sie es nur halb
-genießen können, denn etwas wenigstens sollten sich wohl
-alle Menschen damit befassen. Es ist zu verwundern,
-wie wenig wir immer noch auf unsre eigentliche Ausbildung
-wenden. Tretet zuerst vor, mein theurer Freund
-und Schüler, würdiger Troubadour und Meistersänger!
-</p>
-
-<p>
-Der Aufgeschwollene räusperte sich, athmete tief
-auf und sprach dann schnell, aber mit einer krähenden
-Stimme: &bdquo;Sind wir nicht alle innigst von dem Gefühle
-durchdrungen, daß, wenn eine Krebsmoral erst an der
-tiefsten Wurzel der Menschenschicksale nagt, kein einziges
-Schaalthier mehr auf den Höhen der Gebirge wird gefunden
-werden? Gewiß, meine Theuersten, schlägt jeder mit
-erneuertem Mannsgefühl auf seine Brust, wenn er bedenkt,
-daß bei dem siderischen Einfluß, den jede Theemaschine
-auf die Verflechtung innerer Organe und Inspirationen
-unbedenklich ausströmt, die alten Germanen nimmermehr
-<a id="page-200" class="pagenum" title="200"></a>
-ihren Wodansdienst ohne Hülfsleistung abnormer Zustände
-und tief empfundener mikroskopischer Ansichten
-würden haben durchsetzen können. Denn hier kommt es
-ja nicht auf ein oberflächliches, leichtgewagtes Entdecken
-vulkanischer Revolutionen an; sondern die Menschheit
-selbst ruft das in uns auf, was schon im Anbeginn der
-Zeiten reif und heterodox, aber im galvanischen Mittelpunkt
-unendlicher Verschlossenheit, tief und geheimnißvoll
-gebrütet hat. War es denn nicht auch damals dieselbe
-große Schicksalskatastrophe und Weltumschwungsaxiomatische
-Wunderbegebenheit, als dasjenige, was man bis
-dahin nur für orkanische Centripetalkraft abgewogen hatte,
-sich plötzlich als das ungeheure Ixionsrad schwärmerischer
-Antidiluvianer manifestirte? So merken wir, ist unsre
-Seele anders nicht völlig aphoristisch gebildet, und im
-Mausoleum hyrkanischer Waldgötter anticipirt worden,
-daß umgekehrte Verhältnisse sich immer wieder zu Kegelausschnitten
-gestalten, wenn die Galaxie der Planeten sich
-in ekliptische Rodomantaden verwandeln möchte. Aber
-festhalten müssen wir einen Gedanken, daß die Hieroglyphen
-immer nur wieder Apostrophen ausgebären können,
-wenn wir nicht mit den conglomerirten Gnostikern annehmen
-wollen, daß die Hypotenuse der Polarvölker immer
-wieder in die materiellste Abstraction der eleusinischen Pyrrichien
-verfallen müßte, an welchem Irrthum auch schon
-der berühmte Johann Ballhorn in seinem großen granitgebundenen
-Werke vom Phlogiston der Polypenkrater verstorben
-ist, da er ein Apostem der großen alchemistischen
-Tinktur mit den rauschenden Katarakten der Amathontischen
-Apodiktik mehr als ihm billig zugegeben werden
-konnte, verwechselt hat. So hoffe ich denn bewiesen zu
-haben, daß immer und ewig das große Geheimniß der
-<a id="page-201" class="pagenum" title="201"></a>
-peloponnesischen Antithese klar und verständlich ist ausgesprochen
-worden.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Gewiß! sagte der Edelmann.
-</p>
-
-<p>
-Sublim! rief der Leser aus.
-</p>
-
-<p>
-Ein Beifallsmurmeln ertönte aus der dichtgedrängten
-Umgebung.
-</p>
-
-<p>
-Nun, Görge, was meinst du? fragte der Edelmann,
-indem er sich an seinen Sohn wandte, der mit starren
-Augen und offnem Munde zugehört hatte.
-</p>
-
-<p>
-Ich wollte nur, antwortete Görge, unser Herr Pastor
-wäre hier, der den Mann vielleicht widerlegen könnte;
-denn seine Reden klingen fast eben so.
-</p>
-
-<p>
-Nun höre man aber auch, rief der Kupferne, meinen
-zweiten Zögling, den edeln, sanften Musenliebling.
-</p>
-
-<p>
-Die lange, hagre Gestalt trat hervor und klagte in
-einem weinenden, schnell singenden Tone also: Ist nicht
-die Liebe und immer nur wieder die Liebe das hoch erhabne
-athletische Bildwerk der ächten attischen Hybla-akademischen,
-süßflötenden Nachtigallen-Atmosphäre? Wer
-möchte sich der Thränen enthalten, wenn flutende Herzenslustren
-im Umschwung der zartesten Cicaden-Gesinnung
-nicht endlich einmal zur Vollendung einer umarmenden
-Schicksals-Apotheose hinstreben sollen? Denn das Bildwerk
-liebender Gestirne ist ja doch nur ein Abglanz häuslicher
-und mattherzig rührender Sarkophag-Mumien-Attribute;
-vorausgesetzt, das fromme kindliche Gemüth hat
-sich schon in eine Phaläne von träumerischen Allegorieen
-verwandelt, und ist die ganze sublunarische Etymologie
-der peripatetischen, eben so großartigen, als herzergreifenden
-Sylbenstechereien uralter Religionsentzündungen durchgegangen.
-Fragt sich einzig nur: hat ein kryptogamisches
-Pfeifergericht von enggetriebenen Bildwerken nicht immerdar
-<a id="page-202" class="pagenum" title="202"></a>
-den Blumenstaub somnambulistischer Zustände auf
-hydraulische Weise mit Prophetenencyklopädieen vorher
-verkündigt? worauf die mathematische Antwort lautet: so
-gewiß der Umkreis der Welt einzig in den Umfang sanfter
-Cirkelschwingungen gebannt ist, so gewiß hat auch
-jede Periode und bacchische Begeisterung im Lichtscheine
-der erotischen Neufundländer Sitz und Stimme gefunden.
-Denn, was ist es denn, was das Echo unsrer Brust ewig
-beweint? Nicht wahr, daß noch kein Sterblicher in das
-Universal-Paradoxon der Himmelskräfte hat einschlüpfen
-können? Aber dennoch sagen uns begeisterte Seher, daß
-das Berlappenmehl dazu diene, den Blitz der Götter, so
-wie alle diagonale hochgefeierte Perioden des Immateriellen
-zu erschöpfen, wenn wir nicht vergessen, daß Phidias
-darum der Große genannt wird, weil er zuerst die petrarkische
-Elegie in der neuen Ausgabe der Homilien hat mit
-Vignetten in einen großen Salat von Vergißmeinnicht bei
-den Olympischen Spielen verzehren lassen, was eben die
-Ursache war, daß Romeo und Julia sterben mußten, so
-sehr sie auch vorher auf Pardon vom Könige von Abyssinien
-rechnen durften. Aber das ist das Große und Erschütternde
-eben in den edelsten Lebensverhältnissen, daß
-die Liebe des Herzens immer wieder auf die reine und
-unreine Mathematik angewendet werden soll, was doch
-kaum dem Platonischen John Bull möglich gewesen ist,
-mit Hülfe seines Freundes, des großen Eklektikers Pope,
-vermöge seiner Stanzen und der noch berühmtern Parlamentsreform
-einzuführen. Daher bleibt unserm Leben
-diese ewige Trauer, daß jede Sonnenblume in Oel kann
-verwandelt werden, wenn wir umgekehrt niemals einen
-Tropfen Oel in Blumen, ja kaum in Sonnen umschmelzen
-können; daher ist die Thräne an unsrer Wimper ein
-<a id="page-203" class="pagenum" title="203"></a>
-zartes Herzenssiegel, welches tropfend beurkundet, daß wir
-alle nur Blindschleichen und arme Würmer sind. Dies
-herzzerreißende Gefühl mitzutheilen, habe ich mich nicht
-enthalten können.
-</p>
-
-<p>
-Die Tochter des Edelmanns weinte und sagte: ja
-wohl, ist unser Leben nur ein zerbrechliches Geschirr! Der
-Lehrer aber sah triumphirend umher und fragte: nun,
-meine Freunde, welchem würden Sie den Preis zuerkennen?
-</p>
-
-<p>
-Das zweite, sagte das junge Mädchen, war mehr für
-das Herz, das erste mehr für den Geist.
-</p>
-
-<p>
-So ist es, sagte Herr Kranich; der lange Herr Melchior
-hat die beste Rede gehalten: wir sind Alle gerührt;
-dazu hat er eine Stimme wie eine Nachteule oder Unke:
-die Thränen laufen einem über die Nase, man weiß
-nicht wie.
-</p>
-
-<p>
-Ja, meine theuern Freunde und Sie, verehrte fremde
-Zuhörer, sagte der beleibte Lehrer, ich bin stolz darauf,
-daß ich in diesen beiden Männern diese großen Talente
-habe wecken und zur Reife führen können. Diese sokratische
-Hebammenkunst ist es, in welche ich meinen Stolz
-setze, da ich selber nichts dergleichen hervor bringen kann.
-Aber meine Schüler werden mich unsterblich machen. Doch
-soll der liebende, herzliche Melchior seines Kranzes nicht
-entbehren.
-</p>
-
-<p>
-Er heftete diesem einen Stern von Blech an die Brust,
-mit welchem der lange blasse Mann sich brüstend durch
-den Saal schritt. Der Aufgedunsene ging verdrießlich in
-eine Ecke und murmelte: Abgeschmackter Kerl! Er hat
-doch durchaus keinen Begriff vom Aechten! Ich von ihm
-gelernt! Ja, freilich, wenn ich solche Alfanzereien spräche,
-wie die aschgraue Hopfenstange!
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-204" class="pagenum" title="204"></a>
-Ruhig, großer Mann, sagte der Lesende, der ihm
-nachgegangen war; das Erhabene wird nie verstanden, so
-ist es vom Anfang der Schöpfung gewesen: der größere
-Sophokles wurde eben so vom süßlichen Euripides verdunkelt;
-Terenz mußte Seiltänzern weichen; Phidias ward
-verkannt; Dante aus seinem Vaterlande vertrieben. Lassen
-Sie den Narren mit dem alten Stückchen Blech laufen;
-Ihr Herz sei Ihr Elysium, und morgen werde ich Ihnen
-eine zinnerne Schnalle bringen; heften Sie diese an Ihre
-erhabene Brust und verachten Sie den Gegner.
-</p>
-
-<p>
-Der Edelmann hatte sich indessen wieder mit dem Sokrates
-ins Gespräch eingelassen, und bewunderte am meisten,
-daß die beiden Proberedenden diese Fülle von Gedanken
-und gelehrten Materien so aus dem Stegereif hätten
-hersagen können. Begeistrung, rief der Sokratiker, ist
-Alles: sie haben ihr Gemüth gesammelt, und dann aus
-dem Mittelpunkt ihres Wesens den rauschenden Springquell
-der Suada hingeströmt.
-</p>
-
-<p>
-Ich kann niemals, äußerte der Edelmann, gegen meinen
-Pfarrer zu Worte kommen; wären Sie nun capabel,
-mir auch die Zunge zu lösen, daß ich so wie ein Advokat
-oder Prokurator zu reden wüßte?
-</p>
-
-<p>
-Der Director zupfte kopfschüttelnd den Edelmann am
-Rocke; dieser sah sich verdrießlich um, indem der finstre
-Mann zu ihm sagte: lieber Mann, Sie verweilen offenbar
-zu lange in dieser Gesellschaft; dieser Umgang kann Ihnen
-unmöglich gut bekommen.
-</p>
-
-<p>
-Indem erhob sich ein lautes Getümmel am andern
-Ende des Saales. Lassen Sie mich ungeschoren; rief der
-junge Wolfsberg laut, ich müßte ja selbst unsinnig seyn,
-wenn ich dergleichen Unsinn bewundern, oder mir auseinandersetzen
-<a id="page-205" class="pagenum" title="205"></a>
-wollte, welche von den beiden abgeschmackten
-Reden die bessere sei.
-</p>
-
-<p>
-Die erste ist aber die bessere, rief der Lesende, und
-wenn Sie keine Kritik mehr respectiren wollen, so ist es
-mit Ihrem eigenen Verstande nur schwach bestellt. Und
-was nennen Sie denn Unsinn, Bester? O mein verehrter
-Widerwärtiger, hundert Meilen wollte ich reisen, wenn ich
-dergleichen doch nur einmal in Wahrheit anzutreffen
-wüßte. Das ist ja mein Jammer, daß ich mich schon
-seit länger als zehn Jahren damit abquäle, einmal den
-Unsinn zu finden. Aber rutschen Sie durch zehn Schauspielhäuser,
-und wenn Sie in jedem flüchtig auch nur ein
-paar Secunden verweilen, so hören Sie leider allenthalben
-etwas leidlich Vernünftiges; ja was noch schlimmer ist,
-die zehn kurzen Fragmente aus dem Trauer- und Lustspiel,
-aus dem Familiengemälde und der Posse, aus der
-Oper und dem Nachspiel, werden zusammen noch einen
-passabeln Satz formiren, über den sich sprechen läßt. Ein
-Blättchen, das Sie finden, ein Wort, das Sie aus dem
-Fenster hören, ein Gespräch aus einer vorüberrollenden
-Kutsche, Alles, Alles will leider noch etwas Verständiges
-aussprechen. Habe ich es nicht damals, als ich diese
-Liebhaberei zuerst bekam, an mich gewandt, die brillantesten
-Romane und Schauspiele, die verrufensten Broschüren
-anzukaufen und zu lesen, weil ich von allen Seiten hörte,
-daß Unsinn darin vorkäme. Nichts da! Eine alberne
-dumme Vernünftigkeit fand ich allenthalben, daß die Sachen
-mich auch gleich anekelten, eine miserable Lust, hie
-und da über die Schnur zu hauen, und gleich zum alltäglichen
-Verstande, wie Kinder im Finstern zur Mutter
-zurück gelaufen. Ja, mein Herzensfreund, in allem dem
-Geschwätz über Liberalismus und Monarchismus, in diesen
-<a id="page-206" class="pagenum" title="206"></a>
-Schilderungen von Riesen, Rittern und Pferden, in
-den Elementargeistern und Gespenster-Katzbalgereien, in
-dieser frömmelnden, liebesiechen Inspirationssucht ist immer
-noch kein rechter Aufschwung; allenthalben die kalte
-Vernunft; die Philisterei der Philisterei; und so sehr ich
-unsern Demosthenes oder Aeschylus hier in seiner ersten
-Rede verehre, so möchte ich sie doch nicht so übertrieben loben,
-daß ich sie unsinnig zu nennen wagte, denn jeden einzelnen
-Satz würde ich zu beweisen unternehmen und auch
-zeigen können, wie innig alle unter einander zusammenhangen.
-Von der zweiten Rede kann gar nicht die Rede
-seyn, denn sie war ganz trivial.
-</p>
-
-<p>
-Der verschmähte Redner hatte sich indessen die Zinnschnalle
-aus dem Zimmer des Lesenden geholt, und stolzirte
-mit diesem Schmucke schon im Saale auf und ab.
-Der Blasse wollte ihm die Auszeichnung nicht gönnen,
-weil sie seinen eignen Ruf zu beeinträchtigen schien. Er
-ging daher auf den Usurpator zu, und suchte ihm das
-glänzende Zeichen zu entreißen; dieser aber wehrte sich
-und wurde vom Recensenten vertheidigt. Die Schachspieler
-nahmen dieselbe Partei, indessen der Denker mit
-dem Maaßstabe den sanften Melchior zu beschützen strebte.
-Der Edelmann und Wolfsberg standen in der Mitte,
-und da sich bald aus dem Gezänk ein Stoßen und Schlagen
-entwickelte, so zog der Pygmäen-Bekämpfer seine
-kleine Peitsche hervor, und schlug ohne Unterschied unter
-beide Parteien hinein, indem er behauptete, daß er allenthalben
-auf Rücken und Schultern jene bösen Geister wahrnehme,
-welche nur aus Bosheit diesen Zank und Streit
-unter Menschen erregt, die bisher immer als befreundete
-Wesen mit einander hätten leben können. Der Director
-fuhr ebenfalls tobend dazwischen, und durch seine drohenden
-<a id="page-207" class="pagenum" title="207"></a>
-und ernstlichen Worte ward der Friede endlich
-wieder hergestellt, obgleich Wolfsberg und der Edelmann,
-beide als unschuldige Zuhörer, manchen Streich davon
-getragen hatten, weil es die boshaften Pygmäen-Geister
-nicht unter ihrer Würde gehalten hatten, diese neutralen
-Leiber während des Krieges besetzt zu halten. Der Edelmann
-verließ die Anstalt sehr verdrießlich, und sein Sohn
-Görge begriff nicht, wie eine so lehrreiche Unterhaltung
-ohne alle Veranlassung eine so kriegerische Wendung hatte
-nehmen können.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Friedrich hatte, seiner sanftmüthigen Gemüthsart
-nach, den letzten Krieg nur ungern entstehn sehn. Er zog
-sich früh zurück und beklagte aus der Ferne seinen jungen
-Freund, zu dem er sich tröstend gesellte, als der Friede wieder
-hergestellt war. Sie gingen in den beschränkten Blumengarten.
-Da Sie nun, Theuerster, im Grunde ein
-freier Mann sind, so fing der Kleine an, so will ich Ihnen
-heute in der Nacht etwas mittheilen, was für uns
-beide von dem größten Nutzen seyn kann. Wolfsberg
-war überzeugt, daß es nichts Geringeres, als die Mittel,
-sich frei zu machen, betreffen könne. Er ging zur Gesellschaft
-zurück und erwartete mit bangem Gefühl die
-Dunkelheit.
-</p>
-
-<p>
-Gegen Mitternacht ward sein Zimmer eröffnet, der
-Kleine trat mit einer Laterne herein, und winkte seinem
-Freunde mit stummer Geberde. Wolfsberg folgte schnell,
-und schweigend stiegen sie die große Treppe hinunter.
-Das Hausthor war verschlossen, und als Wolfsberg die
-Klinke ergriff, schüttelte der Kleine sehr unwillig mit dem
-Kopfe und zeigte heftig nach einem Winkel hin. Der
-<a id="page-208" class="pagenum" title="208"></a>
-junge Mann folgte seinem Führer; sie stiegen eine andre
-Treppe hinab, und befanden sich jetzt in einem weitläuftigen
-Gewölbe. Nun fand der ängstliche Freund endlich
-seine Sprache wieder. Hier sind wir sicher, nicht
-behorcht zu werden, sagte er flüsternd: dies sind die Kellergewölbe
-des großen Hauses. &mdash; Ich dachte, Sie wollten
-mir den Weg zur Freiheit zeigen, sagte der Baron. &mdash;
-&bdquo;Nicht daran zu denken, bester einziger Freund; das Thor
-ist doppelt verschlossen, dann müßten wir noch über den
-Hof und die äußere große Thür aufmachen, die der fatale
-Portier bewacht, mein größter Feind in der Welt, der
-niemals Vernunft annimmt, und sich von allen Menschen
-für den Klügsten hält.&ldquo; &mdash; &bdquo;&bdquo;Was machen wir aber
-hier?&ldquo;&ldquo; &mdash; &bdquo;Wenn es uns gelingt, liegt hier mehr, als
-Ihre Freiheit.&ldquo; &mdash; &bdquo;&bdquo;Wie meinen Sie das?&ldquo;&ldquo; &mdash; &bdquo;Nur
-still, unten sollen Sie Alles erfahren!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Sie stiegen noch tiefer hinab. Im fernsten Winkel
-setzte sich nun Friedrich nieder, stellte die Laterne neben
-sich, und Wolfsberg sah zu seinem Erstaunen Hacke und
-Spaten auf dem Boden liegen. Die Erde war dort schon
-aufgewühlt, und als der Baron seinen Führer fragend
-und erstaunt betrachtete, lächelte dieser mit dem Ausdrucke
-der größten Verschmitztheit, zog den Andern neben sich
-nieder, und nachdem er ihn feurig umarmt hatte, sagte er
-endlich: liebster Baron, Ihnen vor allen Menschen gönne
-ich das Glück, dessen Sie hier theilhaftig werden können;
-hieher folgt uns kein Neid und keine Beobachtung, diese
-Gegend der Gewölbe wird niemals besucht; hier können
-wir mit geringer Anstrengung und in kurzer Zeit einen
-Schatz entdecken, der uns über alle Sorgen der Zukunft
-hebt, ja uns zu den angesehensten Männern der ganzen
-Provinz macht. Ich habe niemand da oben etwas von
-<a id="page-209" class="pagenum" title="209"></a>
-dieser Entdeckung sagen mögen; denn alle jene Menschen
-sind mehr oder minder gemeine Naturen, wozu noch
-kommt, daß sie alle einen Stich von Narrheit haben, der
-sie mir höchst widerwärtig macht. Dem Director mag
-ich von meinem Funde gar nichts mittheilen; er würde
-in seiner hochfahrenden Superklugheit thun, als wenn er
-mir nicht glaubte, und hernach stillschweigend für sich arbeiten
-lassen: denn er ist ein sehr mißgünstiger Mann
-und beim Lichte besehn ohne Verstand; er stellt sich viel
-klüger an, als er wirklich ist, und da er das Regiment
-im Hause hat, so darf ihm Keiner viel widersprechen.
-Nun, lieber, hochgeehrter Freund, hier nehmen Sie den
-Spaten und arbeiten Sie!
-</p>
-
-<p>
-Aber, sagte Wolfsberg, wie kommen Sie nur zu dem
-Glauben, oder der Einbildung &mdash; &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Still! still! rief der Kleine im größten Eifer, nur
-ums Himmels willen keine Zweifel in dieser feierlichen
-Stunde ausgesprochen, sonst ist Alles verloren. Kennen
-Sie die Wünschelruthe und ihre Wirkungen?
-</p>
-
-<p>
-Nein, sagte Wolfsberg verwirrt und schüchtern.
-</p>
-
-<p>
-Haben Sie wohl Wirkungen des Magnetismus gesehen,
-und glauben Sie an die Wunder dieser Wissenschaft?
-</p>
-
-<p>
-Ich habe mich nur wenig um dergleichen Gegenstände
-bekümmert, antwortete jener, und kann also auch nicht
-einmal sagen, ob ich an die Seltsamkeiten, die man davon
-erzählt, glaube oder nicht.
-</p>
-
-<p>
-O Sie unverständiger Mann, rief der Kleine im
-größten Eifer aus, so muß ich ja also dem Blinden von
-der Farbe predigen! Indessen, was thuts? Glaube und
-Ueberzeugung werden Ihnen schon, wie zahme Hündchen,
-in die Hände laufen. Sehn Sie, ich bin schon eine Anzahl
-<a id="page-210" class="pagenum" title="210"></a>
-von Jahren Unteraufseher in diesem Hause. Ich sage
-nicht etwa deßwegen Unteraufseher, weil wir jetzt hier im
-untern Theile des Hauses eine gewisse Aufsicht führen;
-sondern Sie verstehn mich schon: ich meine, ich bin so
-fast nach dem Director der wichtigste Mann hier, wie
-Sie auch wohl werden bemerkt haben; nur der verdammte
-Thürhüter will keinen Respect vor mir haben. Nach einer
-Nervenkrankheit, wie es die trivialen Aerzte nennen,
-fand ich mich schon vor vielen Jahren als einen verwandelten
-Menschen wieder. Freund, da war mir ganz so
-zu Muthe, als wenn einer meinem inwendigen Geiste Hosen
-und Weste aus-, ja noch die Haut dazu abgezogen hätte,
-so daß er nun niemals mehr zerstreut, oder dumm, oder
-langweilig war. Sie werden mich nicht ganz verstehn,
-thut aber auch nichts zur Sache. Es ist nämlich so: ich
-konnte von dem Augenblicke an überirdische Dinge begreifen
-und fassen, nicht mit meiner alltäglichen Vernunft;
-sondern in meinem inwendigsten Geiste hatte sich noch ein
-eignes kleines und feines Verständchen angesetzt, das dergleichen
-begriff, und da der Geist nun nicht mehr bekleidet
-war, und auch keine dumme Haut mehr über sich
-hatte, so konnte Ich, der Lebendige, der hier draußen steht
-und mit Ihnen spricht, so frischweg in jene meine unsichtbare
-Creatur hinein sehn und Alles capiren. Capiren
-Sie mich?
-</p>
-
-<p>
-So halb und halb, sagte Wolfsberg, Sie drücken sich
-etwas figürlich aus!
-</p>
-
-<p>
-Außerdem aber, fuhr Friedrich fort, wurde ich gewahr,
-daß ich in fremde Leute hinein sehn konnte. Schaut&rsquo;s!
-jetzt laufen Ihnen die Gedanken wie Ameisen durch Ihren
-Kopf, und einige schleppen sich dummerweise mit
-kleinen Steinen, Holz, albernen Zweifeln. Da rennt eben
-<a id="page-211" class="pagenum" title="211"></a>
-eine großmäulige Ideenassociation in der inwendigen Gegend
-des Ohres, und schreit, daß Alles, was ich Ihnen
-vortrage, aberwitziges Zeug sei; und nun fliegt eine kluge
-Gedankentaube mit dem Oelzweig hintennach und meint,
-man könne es denn doch noch nicht wissen. Husch! rennen
-die übrigen Gedanken in den Winkel und sitzen gluckend
-wie die brütenden Hühner da. Ja, ja, Herr Baron, ich
-weiß wohl, wer Sie sind.
-</p>
-
-<p>
-So? fragte Wolfsberg in der größten Spannung.
-</p>
-
-<p>
-Ja wohl, sagte der Kleine ganz ruhig, kein Graf,
-wie unser mürrischer Director meint, &mdash; he he he! Sie
-sind auch kein Baron, Sie Vocativus, Sie!
-</p>
-
-<p>
-Ich dächte doch, sagte Wolfsberg verwirrt.
-</p>
-
-<p>
-Mir können Sie nichts weißmachen, fuhr der Wahrsagende
-fort, denn ich weiß ja Alles: ja, ja, alle Ihre
-Streiche und Kniffe könnte ich Ihnen an den Fingern
-hersagen; aber still! wir sind ja alle Menschen, und Sie
-bleiben bei allem dem immer ein großer Mann. Ein sehr
-großer Mann, und ein berühmter Mann sind Sie, einer
-von denen, die die Nachwelt noch nennen wird! Haben
-Sie erst, was Sie brauchen, so werden Sie auch weiser
-werden, und das kann ich Ihnen schaffen, und vertraue
-dabei Ihrer Großmuth, daß Sie nicht allzu ungleich mit
-mir theilen werden.
-</p>
-
-<p>
-Also zur Sache, rief Wolfsberg entschlossen, worauf
-kommt es an?
-</p>
-
-<p>
-Wie ich in Menschen und Seelen hinein sehn kann,
-fuhr der Kleine fort, so kann ich es auch zu Zeiten in
-leblose Gegenstände. Lange schon habe ich gesehn, daß
-gerade hier, etwa vier Klaftern tief, ein ungeheurer Schatz
-liegt, fast ganz in Golde, nur wenige Edelsteine darunter.
-Es sind zwei große eiserne Kasten, auf dem einen
-<a id="page-212" class="pagenum" title="212"></a>
-ist eine Inschrift, aber so verrostet, daß ich die Buchstaben
-nicht recht zusammenbringen kann. Aber im zweiten
-Kasten befindet sich ein geschriebenes Blatt, welches Alles
-erklärt.
-</p>
-
-<p>
-Wie sind aber diese Schätze hieher gekommen? fragte
-Wolfsberg; und weßwegen hier verscharrt?
-</p>
-
-<p>
-Schwer zu sagen ist es, sagte Friedrich, denn Sie
-begreifen doch so viel, daß ich in die Vergangenheit, in
-ein Nichts, das weder Körper noch Geist hat, nicht so
-hinein sehn kann, wie in einen Menschen, oder in ein
-Kellergewölbe. Doch, Spaß apart, wollen Sie mir helfen
-oder nicht? Glauben Sie mir, oder nicht? Wenn
-Sie nicht dran wollen, suche ich einen andern Gehülfen,
-oder verschweige die Sache noch Jahre lang, wie ich denn
-bisher ein Geheimniß daraus gemacht habe.
-</p>
-
-<p>
-Und was soll ich also thun, wenn ich Ihnen glaube?
-</p>
-
-<p>
-O Fragen und kein Ende, rief Friedrich in der größten
-Ungeduld, ich habe Ihnen ja schon neulich meine
-Schultern gezeigt, wie schwach, meine Arme, wie dünn
-sie sind. Ich habe es schon oft versucht; aber ich kann
-nicht graben, ich bekomme auch gleich den Husten, wenn
-ich stark arbeite. Hier, ungläubiger Thomas, ist das
-Grabscheit! Machen Sie sich dran und grübeln Sie
-nicht weiter; in acht Tagen sind wir die reichsten Männer
-im Lande, und dann können wir den Director und
-alle Narren da oben auslachen.
-</p>
-
-<p>
-Wolfsberg bequemte sich und arbeitete mit der größten
-Anstrengung einige Stunden. Als er es kaum mehr
-vermochte, rief Friedrich: für heute genug! Schlafen
-Sie nun gesund, denn man muß uns nicht vermissen. In
-der nächsten Nacht werde ich Sie wieder zur Arbeit
-abrufen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-213" class="pagenum" title="213"></a>
-Müde und ermattet, wie am ganzen Leibe zerschlagen
-ging der junge Mann, der an dergleichen Anstrengungen
-nicht gewöhnt war, auf sein Zimmer, und legte
-sich nieder.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Der Rath Walther hatte sich indessen mit dem Arzte
-auf die Reise begeben. Ihr Weg führte sie durch anmuthige
-Gegenden, und Walther wurde nicht müde, seinen
-Begleiter von der Trefflichkeit des jungen Raimund
-zu unterhalten. Der Arzt war sehr darauf gespannt, einer
-so wunderbaren Erscheinung im Leben zu begegnen;
-nur fürchtete er, ihre feine Harmonie jetzt durch Schmerz
-und Wahnsinn zerrissen zu finden. Manchmal stieß mir
-wohl ein Zweifel auf, ob die Schilderungen des Rathes,
-der in allen andern Dingen, außer dieser Verherrlichung
-seines jungen Freundes, ein ruhiger und kalter Mann
-war, nicht übertrieben poetisch seyn möchten. Sie näherten
-sich jetzt dem Dorfe, in welchem der junge Mensch
-leben sollte. In den engen Wegen des Gebirges fiel der
-Wagen um, und der Arzt ward am Fuße beschädigt;
-zwar nicht bedeutend, aber doch so, daß er einen Ruhepunkt
-zu erreichen wünschen mußte. Dies verdroß ihn
-um so mehr, da er in einer Waldschenke einen Mann
-gesprochen hatte, der ihm eine so seltsame Schilderung
-von einem jungen Wildfang gemacht hatte, welcher sich
-seit einiger Zeit in den dortigen Gegenden aufhalten
-sollte, daß er kaum daran zweifeln durfte, es sei der junge,
-ihm entsprungene Graf Birken. Der Rath erbot sich, den
-kurzen Umweg zu machen, indessen ihn der Arzt bei jenem
-Landprediger erwarten sollte, bei welchem man den
-jungen Raimund anzutreffen hoffte.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-214" class="pagenum" title="214"></a>
-Der Arzt ließ sich bei dem Pfarrer melden, den er
-in einer Laube seines Gartens antraf. Nach den gewöhnlichen
-Begrüßungen leitete der Fremde die Unterredung
-auf den jungen Mann, welcher der Obhut des Geistlichen
-anvertraut sei; der Pfarrer schien aber kein großes Interesse
-an diesem Gespräche zu nehmen und sagte endlich:
-ja, seit einem Jahre etwa hält sich ein etwas confuser
-Mann bei mir auf, dessen <span class="antiqua">ingenium</span> und <span class="antiqua">mens</span> nicht
-zum Besten bestellt sind, und um den ich mich auch wenig
-kümmere, außer daß er uns bei Tische oft seine <span class="antiqua">joci</span>
-vormacht. Ich erhalte von dessen alten Domestiken eine
-anständige Pension, und so lasse ich ihn gewähren; denn
-es ist nicht meines Thuns, mich viel mit Narren einzulassen,
-oder sie gar curiren zu wollen. Der alte <span class="antiqua">servus</span>
-führt eigentlich ganz die Aufsicht über den Verwirrten,
-und mit wem sich dieser am meisten einläßt, ist unser
-gnädiger Junker, der freilich auch mit aller Macht zur
-<span class="antiqua">dementia</span> inclinirt. Diese beiden Thoren, wenn sie einmal
-bei Sonntagslaune sind, machen mir zuweilen mein
-kleines Haus zu enge.
-</p>
-
-<p>
-Wissen Sie aber nichts Näheres von den Schicksalen
-des jungen Mannes? fragte der Arzt.
-</p>
-
-<p>
-Urtheilen Sie selbst, verehrter Herr, erwiederte der
-Geistliche, ob eine solche Creatur, der es am Besten gebricht,
-wohl absonderliche Schicksale haben könne. Diese
-Personen sind ja recht eigentlich <span class="antiqua">fruges consumere nati</span>.
-Wir nennen ihn nur kurzweg immer den Werther.
-</p>
-
-<p>
-Werther? fragte der Arzt sehr lebhaft.
-</p>
-
-<p>
-Ja, mein Herr, fuhr jener fort, dieses ist ein Spitzname,
-der aus einem gewissen Buche entlehnt seyn soll,
-welches unsre junge Baronesse einmal gelesen hat. Derselbe
-trieb sich auch immer, wie man mir sagte, in Wald
-<a id="page-215" class="pagenum" title="215"></a>
-und Flur herum, statt in vernünftiger Societät ein Wort
-mitzusprechen, eine Pfeife zu rauchen und etwa zu hören,
-was es in der politischen Welt Neues giebt.
-</p>
-
-<p>
-Sie scheinen kein Freund der Natur zu seyn, warf
-der Reisende ein, und bewohnen doch selbst eine der reizendsten
-Gegenden unsers Vaterlandes.
-</p>
-
-<p>
-Natur! rief der Pfarrer aus; das Wort ist etwa seit
-40 Jahren in die Mode gekommen, und so weit ich habe
-das Verständniß davon erreichen können, meint man
-darunter einen etwanigen Bach oder Fluß, sammt Berg
-und Steingeschichten, oder die Waldsachen und dergleichen.
-Hat mich nie sonderlich interessirt, weil ich mich immer
-bestrebt habe, ein denkendes Wesen vorzustellen. Und unser
-Werther, wie ihn die jungen Leute heißen, oder Theophilus,
-wie sein eigentlicher Taufname lautet, weiß auch
-weder, ob Frühling oder Herbst ist, ob die Bäume blühen
-oder dürr sind, ob die Bergwand aus Granit oder
-Marmor besteht, sondern er läuft nur, wie ein Uhrwerk,
-so hin und her.
-</p>
-
-<p>
-Der Alte war mit allerhand Papieren und Briefschaften
-beschäftigt, die er in einem Tischkasten zu ordnen
-suchte, und der Arzt sagte indessen zu sich: Der Aermste!
-Also auch diese Empfindung ist in ihm untergegangen,
-die sonst dem Unglücklichen so oft einen heiligen Trost
-gewährt! Denn der Natur gegenüber verklärt sich jeder
-Schmerz, der uns unter Menschen, in den Mauern der
-Städte oft zu vernichten droht, und verwandelt sich in
-ein himmlisches Wesen, in eine Erscheinung von oben
-herab. Wie eine Himmelsharfe tönt die Natur Freude
-und Leid mit, und setzt unsre stummen Seufzer, die
-Worte der Klage in überirdische Musik um.
-</p>
-
-<p>
-In diesen Phantasieen, die wohl so schnell in ihm
-<a id="page-216" class="pagenum" title="216"></a>
-antönten, weil er so lange mit dem fast schwärmerischen
-Rathe gereiset war, wurde er wieder vom Pfarrer unterbrochen.
-Verzeihen Sie mir, sagte dieser, daß ich Sie so
-schlecht unterhalte, jeder macht so seine Studia. Dieselben
-haben sich wohl niemals mit der Astrologia eingelassen?
-</p>
-
-<p>
-Nein, antwortete der Arzt.
-</p>
-
-<p>
-Sehr Schade, fuhr jener fort, daß diese Wissenschaft
-seit neueren Zeiten so ist vernachlässiget worden. Ich habe
-sie immer bewährt gefunden. Und so sehe ich hier wieder
-das Horoskop an, welches ich meiner Tochter bei ihrer
-Geburt stellte. Ich prognosticirte damals, daß sie
-sich in einen hohen Stand erheben würde, und sie ist
-nun auch wirklich glückliche Braut eines vornehmen Mannes.
-Das hat mir auch den Geist so eingenommen, daß
-ich fast nicht capabel bin, eine recht fortgesetzte Conversation
-zu führen. Doch da kommt ja unser Theophilus
-mit seinem alten Gesellschafter. Der junge Mann ist eine
-Zeit lang in einer andern Familie sehr gemißhandelt
-worden; man darf ihn nicht auf diesen Gegenstand bringen:
-denn er wird zuweilen bitterböse, wenn er sich jener
-Tage erinnert.
-</p>
-
-<p>
-Der Arzt stand auf und sah zu seinem Erstaunen
-einen langen, nicht mehr jungen Mann eintreten, der sich
-gebückt trug, und aus dessen regelmäßiger Physiognomie
-die höchste Beschränktheit und Einfalt hervor leuchtete,
-aber auch zugleich eine so heitre Jovialität, daß er von
-Neuem an dem Rathe und dessen übertriebener Schilderung
-irre ward. Der Einfältige gab dem Pfarrer die
-Hand, sah den Fremden mit scheuem Blick von der Seite
-an, ging dann auf ihn zu und fragte hastig: sind Sie
-ein Edelmann?
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-217" class="pagenum" title="217"></a>
-Verzeihung, rief der Pfarrer dazwischen; ich habe
-noch nicht einmal Gelegenheit gehabt, mich nach Ihrem
-werthen Namen zu erkundigen.
-</p>
-
-<p>
-Doctor Anselm, sagte der Arzt.
-</p>
-
-<p>
-Ich dachte, Sie wären mein Vetter, rief der Einfältige,
-weil Sie eine solche ästhetische superfeine Nase haben.
-Zugleich sprang er in die Höhe, und schlug wie
-ein muthwilliges Füllen mit den Beinen hinten aus.
-</p>
-
-<p>
-Der Arzt, der sich auf eine ganz andere Stimmung
-vorbereitet hatte, mußte laut lachen, indem der Pfarrer
-mißbilligend das Haupt schüttelte, und sehr ernste Runzeln
-in sein Gesicht zog.
-</p>
-
-<p>
-Sehn Sie nur, sagte Theophil, indem er den Arzt
-etwas bei Seite führte, das Perlmutter-Gesicht von meinem
-alten Prediger; so debattirt er immer mit sich, als
-ob er an einem Obscuranten-Almanach arbeitete.
-</p>
-
-<p>
-Sie drücken sich seltsam aus, sagte der Arzt, aber
-vergnüglich.
-</p>
-
-<p>
-Er weiß nie, was er spricht, unser junger Freund,
-rief der Prediger; weder kennt er die Bedeutung der
-Worte, die er braucht, noch will er überhaupt etwas damit
-ausdrücken. Es ist wie Wiederhall von Felsen, oder
-Waldesbrausen. Mein ehrwürdiges Alter ist einmal immer
-das Stichblatt seines falschen Witzbestrebens.
-</p>
-
-<p>
-Der Herr Prediger, sagte der Simple, hat eine rechte
-Hosiannah-Stimme und sitzt so mächtig auf seiner Bank
-da, als wenn er Habakuk und alle zwölf kleine Propheten
-zu künftige Pfingsten confirmiren wollte. &mdash; Pankraz!
-rief er dem alten Diener zu, du mußt mir wieder
-Taschengeld geben!
-</p>
-
-<p>
-Haben Sie denn schon Alles ausgegeben? fragte dieser.
-</p>
-
-<p>
-Dummer Teufel! rief Theophilus; freilich! Denken
-<a id="page-218" class="pagenum" title="218"></a>
-Sie nur selbst, mein fremder Herr Vetter, draußen vor
-dem Dorfe begegnen mir die Mädchen, die drüben in der
-Stadt allerhand auf dem Jahrmarkt eingekauft hatten,
-Tücher, Schürzen, Mieder, Hauben, Spielzeug für die kleinen
-Geschwister. Sie hatten noch eine volle halbe Meile,
-und ließen mich nun die Sachen herüber tragen. Wie
-ich sie ihnen wieder abgab, mußte ich ihnen doch wohl
-ein Trinkgeld geben, daß sie mir Alles so hübsch anvertraut
-hatten? Aber Pankraz ist faul; der trug nichts,
-und drum hat er auch sein Geld in der Tasche behalten.
-</p>
-
-<p>
-Das ist ein schöner Zug von Ihnen, sagte der Arzt;
-sind Sie aber immer so vergnügt?
-</p>
-
-<p>
-Wie&rsquo;s kommt, antwortete jener lachend; nur wenn
-die Leute dumm sind, kann ich mich sehr ärgern, wenn
-sie nicht capiren. Sehn Sie, es ist sehr traurig, wenn
-man allein klug seyn soll. In Gesellschaft habe ich noch
-einmal so gern Verstand.
-</p>
-
-<p>
-Sie denken trefflich, sagte Anselm.
-</p>
-
-<p>
-Was sagen Sie aber vollends dazu, schwatzte jener
-weiter, daß wenn ich einmal so recht superklug bin, die
-Leute mir beweisen wollen, ich wäre dumm? Nicht wahr,
-die Welt liegt im Argen; wie unser Herr Pastor Kilian
-letzt einmal in der Kirche sagte.
-</p>
-
-<p>
-Ich werde sorgen, daß Sie niemals mehr hinein gelassen
-werden, rief der alte Mann.
-</p>
-
-<p>
-Ich bin ja aber doch ein getaufter Christ, sagte
-Theophil mit der größten Ernsthaftigkeit und ging traurig
-zum Prediger hin.
-</p>
-
-<p>
-Lassen Sie sich dienen, Herr Doctor, fuhr der Alte
-fort, daß es nicht angeht, weil er sich laut mit seinem
-Bedienten während des Gottesdienstes zankt. Was thut
-er aber neulich? Indem ich in der Predigt aufsehe, hat
-<a id="page-219" class="pagenum" title="219"></a>
-er unsern Hund in meinen Sitz gebracht, läßt den Pudel
-aufrecht stehn, der nun über das Chor gucken und ein
-Gesangbuch zwischen den Pfoten halten muß. Heißt das
-nicht die Gemeine stören?
-</p>
-
-<p>
-Ich bin ja aber doch ein getaufter Christ! sagte der
-Angeklagte mit weinerlicher Stimme. Der Arzt, der eine
-ernsthafte Wendung des Gespräches fürchtete, fragte den
-Klagenden, was das neulich gewesen sei, wo er so allein
-klug, und die Andern dumm gewesen wären. Ja so!
-sagte Theophil plötzlich laut lachend; das war eine lustige
-Geschichte! Die Mamsell Kilian hatte mir ganz
-neue Schnupftücher gekauft. Nun sollte ich den andern
-Tag mit dem Junker auf den Fischfang gehn, da nahm
-ich mir vor, den Pankraz zu erinnern, daß er mich erinnern
-sollte, damit ich es nicht vergessen möchte. Um
-aber auch gewiß daran zu denken, daß ich ihn zu rechter
-Zeit erinnern möchte, damit er mich ja erinnern könnte,
-machte ich einen Knoten in mein Schnupftuch. Sie wissen
-ja, das ist ein altes Herkommen, wenn man etwas
-nicht vergessen will.
-</p>
-
-<p>
-Ja wohl.
-</p>
-
-<p>
-Nun gut; ich wache den Morgen auf, da finde ich
-den Knoten. Da besinne ich mich auch gleich, daß ich
-den Pankraz erinnern muß. Pankraz, du sollst mich an
-was erinnern! Ganz recht, gnädiger Herr, Sie wollen
-mit dem Junker auf den Fischfang gehn. Ich geh&rsquo; auf
-den Fischfang und denke nichts Böses. Den andern Tag
-aber ist der Knoten noch im Tuche. Das ängstete mich,
-denn es gab nun nichts mehr zu erinnern, und wenn ich
-den Knoten anfaßte, wollte ich mich immer auf etwas
-besinnen. Den Knoten hatte ich aber so fest gezogen,
-daß ich ihn gar nicht wieder aufkriegen konnte. So
-<a id="page-220" class="pagenum" title="220"></a>
-nehm&rsquo; ich im Verdruß eine Scheere, und schneide bloß
-den Knoten, verstehn Sie, bloß den Knoten ab, und werfe
-ihn aus dem Fenster. Wie nun das Tuch wieder gewaschen
-ist, sagt die Mamsell sammt allen Menschen im
-Hause, ich hätte es entzwei geschnitten; es fehlte auch
-wirklich ein großes Stück davon. Nun sagen Sie selbst,
-ob ich etwas dabei versehn habe, und wer Recht hat!
-</p>
-
-<p>
-Der Knoten, sagte der Arzt, war aber doch natürlich
-vorher ein Stück des Tuches, folglich mußte dieses nachher
-fehlen.
-</p>
-
-<p>
-Sie begreifen nicht! sagte Theophil im großen Zorn,
-und faßte die Hand des Arztes heftig und stark; ich
-schnitt ja nicht das Tuch ab, sondern nur den Knoten,
-den ich erst hinein gemacht hatte, der vorher nicht drin war.
-</p>
-
-<p>
-Wir wollen nicht streiten, sagte Anselm, Sie können
-wohl Recht haben; ich habe bisher dieses Experiment
-noch nicht gemacht, und Vieles begreift man gewiß erst
-durch die Erfahrung.
-</p>
-
-<p>
-Hat man Ihnen wohl schon einmal Gesellschaft geleistet?
-fragte der junge Mann mit listiger Miene.
-</p>
-
-<p>
-O ja, sagte der Arzt, mehr als einmal; und Sie
-leisten mir jetzt eben auch Gesellschaft.
-</p>
-
-<p>
-Sie würden sich dafür bedanken, fuhr jener fort,
-wenn ichs in der Manier thun wollte, wie mein Gesellschafter
-Walz da drüben in der kleinen Stadt mir die
-Zeit vertrieb. Da sagten sie, ich müßte einen Gesellschafter
-haben. Da kam Herr Walz, der dazu bestellt
-war. Das gab ein Gesellschaftsleisten, daß mir des Abends
-alle Rippen weh thaten.
-</p>
-
-<p>
-Wie so?
-</p>
-
-<p>
-Er schlug immer um sich, und wir konnten uns gar
-nicht vertragen; aber ich durfte ihn niemals wieder prügeln.
-<a id="page-221" class="pagenum" title="221"></a>
-Ja, wie gern möcht&rsquo; ich ihm auch einmal so recht
-Gesellschaft geleistet haben! Wenn ich verdrießlich war,
-schlug er; war ich nicht aufgeräumt, ließ er mir zur Ader;
-ein paar Mal ließ er mir auch Zähne ausziehn, &mdash; die
-beiden hier: weil er sagte, ich wäre zu böse, die Zähne
-wären schon nichts nütz und thäten mir nur jetzt oder in
-Zukunft einmal weh. Den andern habe ich einmal beim
-Essen verloren.
-</p>
-
-<p>
-Aber diesen Augenzahn hier? fragte der Arzt.
-</p>
-
-<p>
-Der fehlte mir schon, antwortete jener ganz ruhig,
-vor meiner Zeit.
-</p>
-
-<p>
-Vor Ihrer Zeit? Wie verstehn Sie das?
-</p>
-
-<p>
-Lieber Himmel, Sie sind recht schwer von Begriffen!
-Vor meiner Zeit &mdash; ach! lassen Sie mich zufrieden und
-haben Sie mich nicht zum Narren! sagte er ganz böse.
-</p>
-
-<p>
-Verzeihen Sie, fiel der Arzt ein, ich verstehe Sie
-jetzt schon; ich begreife nur langsam, wie Sie ganz richtig
-bemerkten.
-</p>
-
-<p>
-Haben Sie die Naturwissenschaft studirt? fragte der
-junge Mann wieder ganz heiter.
-</p>
-
-<p>
-O ja, sie ist mein Hauptstudium.
-</p>
-
-<p>
-Nun, dann gratulire ich, sagte jener laut lachend.
-Sind Sie auch brav darin herumgewalzt worden?
-</p>
-
-<p>
-Herumgewalzt?
-</p>
-
-<p>
-Sie capiren schon wieder nicht! Brav abgewammst,
-tüchtig gedroschen! Sie verstehn nun schon, so wie es
-mir dabei mit meinem Gesellschafter Walz ergangen ist.
-</p>
-
-<p>
-Er nahm also die Sache so ernsthaft?
-</p>
-
-<p>
-Ja freilich. Er sagte, er müsse mir die Botanik beibringen.
-Es war aber eigentlich die <em>Batonik</em>, weil er
-den lieben Baton so sehr dabei brauchte. Da krochen wir
-herum und suchten Petersilie und Wurstkraut, Rüben und
-<a id="page-222" class="pagenum" title="222"></a>
-Knoblauch, und das sollte ich immer alles behalten. Ein
-ander Mal fing er einen Maikäfer. Seht, das ist ein
-Maikäfer. Ja, sagt&rsquo; ich, das ist ein Maikäfer. &mdash; Zu
-welchem Geschlecht gehört er? &mdash; Doch wohl zum Geschlecht
-der Maikäfer. &mdash; Sehn Sie, da brach er gleich
-einen Haselzweig ab, und demonstrirte mir die Sache auf
-meinem Rücken. Der wurde überhaupt dazumal so magnetisirt,
-daß er fast so hellsehend geworden wäre, daß die
-Sonne durch ihn hätte hindurch scheinen können. Sagen
-Sie mir überhaupt nur, wenn einer im Kopfe nicht zu
-Hause ist, warum man dann immer auf dem Rücken,
-oder noch tiefer anklopft. Sollte denn der Geist da allenthalben
-lieber als in der höhern Etage wohnen? &mdash;
-Nun gut; dann gingen wir in den Wald. Da unten
-liegt, schrie er, der berühmte Linné, oder auch Pistillen,
-oder dergleichen alberne Gelehrtennamen. Wenn ichs nicht
-behielt, von der Buche ein Zweig gebrochen, und damit
-wieder Privatstunde gehalten. Ich war nur froh, wenn
-das Botanisiren im Freien geschah, da war doch etwa nur
-ein Gesträuch zur Hand.
-</p>
-
-<p>
-Sie haben also, sagte Anselm, in dieser Wissenschaft
-auf dem Wege nichts profitiren können?
-</p>
-
-<p>
-Doch, antwortete jener; aber Alles, worauf es mir
-auch nur abgesehn schien, mit dem <em>Rücken</em>; denn der
-kriegte durch vieles Repetiren der Studien eine so feste
-Memorie, daß ich noch jetzt bei jedem Stocke unterscheiden
-will, auf welchem Baume er gewachsen ist. Sie glauben
-nicht, wie anziehend die frischen Haselgerten sind!
-Weiden schmiegen sich mehr, sind aber weniger eindringlich.
-Die Eiche klingt mächtig, als Baum der deutschen
-Freiheit; es läßt sich aber nicht viel damit ausrichten;
-der Walz konnte auch immer nur die dürren Zweige
-<a id="page-223" class="pagenum" title="223"></a>
-abbrechen, die fast gar nichts zu sagen haben. So ist es
-auch mit der Tanne und Fichte nicht viel. Die Buche
-ist körnig; die Birke, besonders im Frühjahr, empfindlich;
-auch wächst das Zeug, wo kein andrer Baum fortkommt,
-steht also fast immer zur Hand. Von allen diesen Stauden
-und Gewächsen brach er seine Wünschelruthen, und
-alle schlugen immer auf meinen Rücken an, so daß in
-meinem Innern große Schätze verwahrt liegen müssen.
-Er schonte auch die mitleidige Trauerweide, die vornehme
-Weihmuthskiefer nicht; ja selbst der Tulpenbaum mußte
-ein paar Mal das Instrument zu meiner Weihe reichen;
-und so kann ich gewiß, da gar kein Tergiversiren etwas
-fruchtete, auf eine recht pragmatische und polyhistorische
-Bildung Anspruch machen. &mdash; Als ich mich genug durchstudirt,
-und er alle Naturreiche durchgeprügelt hatte,
-wurde ich hieher zu dem friedfertigen Herrn Kilian gethan;
-und hier ruhe ich auf meinen Lorbeern aus, die ich
-noch manchmal in Rippen und Seiten fühle.
-</p>
-
-<p>
-Es freut mich, daß Sie so fröhlich sind, sagte der
-Arzt; haben Sie Appetit, schlafen Sie gut?
-</p>
-
-<p>
-Ich danke, sagte jener; bald so, bald so; aber ich
-träume oft schwer und fürchterlich, und tobe dann und
-lärme in der Nacht. So hatte ich auch diese Nacht einen
-ängstlichen Traum.
-</p>
-
-<p>
-Was war das für ein Traum?
-</p>
-
-<p>
-Pankraz! rief Theophil dem Diener zu: was träumte
-mir diese Nacht?
-</p>
-
-<p>
-Der Alte trat näher und sagte verdrießlich: das kann
-ich nicht wissen.
-</p>
-
-<p>
-Sehn Sie den eigensinnigen Menschen, rief Theophil
-aus, ich lasse ihn bloß deßwegen in meiner Stube schlafen,
-daß er alles wissen soll, was ich denke und träume;
-<a id="page-224" class="pagenum" title="224"></a>
-aber er ist so träge, daß er sich fast nie darum bekümmert.
-Wenn Du es nicht weißt, wer soll es denn wissen? Dazu
-sollst Du die Aufsicht über mich haben!
-</p>
-
-<p>
-Es ist aber nicht möglich, ereiferte sich Pankraz. So
-wollen Sie auch immer von mir wissen, was Sie denken,
-oder gedacht haben; wie soll ich das anfangen?
-</p>
-
-<p>
-Durch Liebe, einfältiger Mensch! rief jener aus. Du
-sollst mit mir so eins werden, daß wir unsre Seelen gemeinsam
-haben, dann wird es mir weniger sauer werden,
-über Vieles nachzusinnen; denn dann denk&rsquo; ich in Dir,
-und Du hast bloß die Mühe davon.
-</p>
-
-<p>
-Dann müßte ich aber auch für uns Beide essen;
-sagte Pankraz mit Lächeln.
-</p>
-
-<p>
-Nein, erwiederte Theophil; das würd&rsquo; ich gern übernehmen,
-und zwar in Deinem Namen mit; ich die Wurzel
-und der Stamm, Du die Blume und Frucht.
-</p>
-
-<p>
-Bei dieser Stimmung schien es dem Arzte möglich,
-den Kranken über den Gegenstand zu prüfen, den zu berühren
-er außerdem ängstlich würde vermieden haben. Er
-ging also näher und fragte ihn leise: haben Sie lange
-keine Nachrichten von Blanka erhalten?
-</p>
-
-<p>
-Blanka? rief Theophil aus; das ist ja wohl ein weißes
-Windspiel, das ich vor langer Zeit hatte?
-</p>
-
-<p>
-Blanka? nahm der alte Diener das Wort, indem
-er den Arzt prüfend betrachtete: wissen Sie von der
-etwas?
-</p>
-
-<p>
-Anselm begegnete dreist dem stechenden Blicke des Alten,
-und meinte nun fast nichts mehr schonen zu dürfen.
-Er sagte daher: ich wünsche bloß etwas Näheres von
-Blanka und Raimund zu erfahren, deren trauriges Schicksal
-mich sehr interessirt hat.
-</p>
-
-<p>
-Pankraz schlug die Augen nieder und sagte: ich weiß
-<a id="page-225" class="pagenum" title="225"></a>
-nichts von ihnen; aber Theophil fiel plötzlich in eine tolle
-Laune, hüpfte auf einem Beine herum, schwenkte den Hut
-und schrie halb singend: Da hinter des Priesters Garten,
-da ist ein Wiesenplan, da stehn rings Weiden und Birken,
-ein Wasser rauscht fließend daran; da schreien Kuckuck und
-Staare, da schaut wohl der Hirsch aus dem Busch; es ist
-ein liebes Plätzchen, voll Einsamkeit und Schatten genug.
-Da kommen in Herbstestagen, wenn welkes Laub schon
-rauscht, die liebe Fräulein Blanka, der Monsieur Raimund
-zusamm. Sie sehn sich mit weinenden Augen, sie drücken
-sich zärtlich die Hand; da giebt es herzig Umarmen,
-da finden sie wieder Verstand! &mdash; Er schrie und sang
-immer lauter, so daß der alte Pfarrer aufstand und rief:
-um des Himmels willen, junger Herr, in welcher Spinnstube
-haben Sie die alte Ballade wieder aufgehascht?
-</p>
-
-<p>
-Das hab&rsquo; ich selbst gedichtet, jetzt eben, schrie Theophil
-erfreut. Pankraz, behalt&rsquo; es ja, wir wollen es nachher
-dem Junker vorsingen.
-</p>
-
-<p>
-Ich weiß kein Wort davon, sagte Pankraz, vom Kuckuck
-war was in der Ode, und daß Sie gern Verstand
-haben möchten. Da kommt der Junker!
-</p>
-
-<p>
-Ohne den Eingang zu suchen, sprang in diesem Augenblick
-ein junger Bursche über den Zaun, mit rothem Gesicht,
-ohne Hut mit Papierwickeln in den Haaren. Da
-sind wir wieder, schrie er ungezogen, guten Tag, Tissel,
-ach! Herr Pastor, wären Sie doch mit uns gewesen; da
-hätten Sie disputiren können!
-</p>
-
-<p>
-Wo wart Ihr, lieber Görge, fragte Theophil.
-</p>
-
-<p>
-Ach! liebster Freund, fuhr dieser jubelnd fort, unsre
-ganze Familie hat seitdem an den Narren dort den Narren
-gefressen; nur die Mama will nichts davon wissen,
-<a id="page-226" class="pagenum" title="226"></a>
-und ist auf uns alle, vornehmlich auf den Papa böse, daß
-er uns so ein schlechtes Beispiel giebt.
-</p>
-
-<p>
-Mein lieber Junker, sagte der Pfarrer sehr ehrbar,
-mit Narren würde ich niemals disputirt haben; denn sie
-haben keine Logik.
-</p>
-
-<p>
-Es waren auch nicht so eigentliche Narren, sagte
-Görge, sondern eine Art Künstler. Ich sage Ihnen, der
-Papa war ganz eingenommen, und sie hatten da oben
-einen Mann, der den Leuten das Reden beibringen
-konnte.
-</p>
-
-<p>
-Heisa! Heisa! Dort kommt erst der rechte Windbeutel,
-rief Theophil laut jubelnd; der und ich, wir sind die
-beiden größten Narren im Römischen Reich; das Kloster
-da oben, wo unser Herr Kilian disputiren soll, in allen
-Ehren gehalten.
-</p>
-
-<p>
-Reden Sie mit Verstand, sagte der Geistliche, und
-respectiren Sie in dem verehrten Herrn Grafen den Bräutigam
-meiner Tochter.
-</p>
-
-<p>
-Auf einem kleinen Schimmel sprengte ein junger
-Mensch heran, hüpfte aus dem Sattel, und eilte in die
-Umarmung des Pfarrers, indeß schon aus dem Hause,
-mit der Küchenschürze angethan, ein rothhaariges Mädchen
-herbei stürzte, und Vater und Geliebten zugleich umschloß.
-Die Gruppe fuhr aus einander, als sich jetzt der
-Arzt, so schnell es sein verwundeter Fuß erlaubte, ihnen
-näherte. Ist es möglich, Graf Birken, daß wir uns hier
-wieder treffen? Auf Sie hatte ich heute nicht gerechnet.
-Der junge Mensch sah sich schnell um, stieß seinen Schwiegervater
-so hastig vor den Bauch, daß dieser wieder in
-die Laube zurück taumelte, warf mit demselben Ungestüm
-die kleine dicke Braut von seinem Halse, ergriff den
-Schimmel, und ehe die Umstehenden sich noch recht besinnen
-<a id="page-227" class="pagenum" title="227"></a>
-konnten, war er im gestreckten Galopp schon aus dem
-Dorfe hinaus.
-</p>
-
-<p>
-Ein Pferd! rief der Arzt. Setzt ihm nach!
-</p>
-
-<p>
-Was haben Sie für Ansprüche an meinen Schwiegersohn?
-fragte der Pfarrer, der sich wieder gesammelt
-hatte.
-</p>
-
-<p>
-Der Windbeutel reitet einmal! schrie Theophil
-jauchzend.
-</p>
-
-<p>
-Um des Himmels willen ein Pferd! rief der Arzt;
-kommt er uns aus den Augen, so haben wir ihn Alle
-für immer verloren.
-</p>
-
-<p>
-Verloren! schrie die Braut und rang die Hände.
-</p>
-
-<p>
-Sei still, mein Kind, rief der Geistliche; morgen ist
-die Trauung, und kein fremder Mensch, mag er sich auch
-Doctor nennen, hat das Recht, Dir Deinen Bräutigam zu
-entreißen.
-</p>
-
-<p>
-Der Mensch ist ein Narr! rief der Arzt heftig aus,
-und nun er mich hier gesehen hat, kommt er gewiß nicht
-wieder.
-</p>
-
-<p>
-Lästern Sie unsre Familie nicht! rief der Pfarrer noch
-heftiger, Sie fremder, unbekannter, hergelaufener Herr;
-und wenn mein Schwiegersohn Ihretwegen nicht wieder
-kommt, so gebe ich Ihnen meinen Fluch, Sie Gottloser!
-</p>
-
-<p>
-Theophil und Görge waren von diesem Gezänk auf
-das Höchste erbaut; denn sie kannten keinen größern Genuß,
-als den alten Pfarrer im Zorn zu sehen. Die
-Tochter hatte verzweiflungsvoll den Garten verlassen. Ein
-Wagen fuhr in den Hof, und der Rath Walther, in gespannter
-Eile, ohne die Andern zu begrüßen, kam herbei
-gelaufen, und rief schon von Weitem dem Arzte zu: wo
-ist er? &mdash; &bdquo;Wieder ein neuer Windbeutel! Heute haben
-wir die Hülle und Fülle!&ldquo; jubelte Theophil. &mdash; Der Arzt
-<a id="page-228" class="pagenum" title="228"></a>
-ging ihm entgegen, indem er sagte: dort steht ja Ihr Liebling.
-&mdash; Dieser da? fragte der Rath, indem er den Einfältigen
-nur flüchtig betrachtete. Ach! Pankraz! rief er
-dann höchlich überrascht; Du hier? Sage mir, wo ist
-Raimund?
-</p>
-
-<p>
-Der Diener war verwirrt und erschrocken, und konnte
-erst keine Antwort finden; endlich stotterte er: Sie wissen
-es ja wohl, Herr Rath, daß ich, als ich damals plötzlich
-aus den Diensten des Herrn Raimund mußte. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Recht, sagte der Arzt; der Baron Eberhard gab Dir
-den Abschied wegen des unglücklichen Einfalls, daß Du
-dem kranken Jüngling die falsche Nachricht vom Tode seiner
-Geliebten überbrachtest.
-</p>
-
-<p>
-Nun also, sagte Pankraz; seitdem habe ich von dem
-jungen Herrn nichts wieder gesehn und gehört. Es ist
-mir seitdem schlimm genug gegangen.
-</p>
-
-<p>
-Aber wie kommst Du hieher?
-</p>
-
-<p>
-Es ist mein Pankraz, rief Theophil, mein Gesellschafter;
-aber nicht in der Walzmanier.
-</p>
-
-<p>
-Wie heißen Sie? fragte der Rath.
-</p>
-
-<p>
-Du, Pankraz, rief Theophil, wie heiß&rsquo; ich doch? Ich
-kriege alle Augenblicke einen andern Namen.
-</p>
-
-<p>
-Sie sind, sagte der Diener, der Herr Theophil von
-Leitmark.
-</p>
-
-<p>
-So, sagte der Thor, ich dachte Ebermann, Hardeber,
-oder sonst. Nun, mir kann&rsquo;s gleich gelten.
-</p>
-
-<p>
-Der Arzt hatte sich wieder gesammelt, nahm Abschied
-vom Pfarrer, bat der Störung wegen um Verzeihung,
-und zog dann halb gewaltsam den Rath zum Wagen.
-Lassen Sie mich nur noch ein Wort mit Pankraz
-sprechen, sagte dieser. Doch Pankraz und Theophil waren
-eiligst verschwunden, und der Pfarrer erzählte, daß Beide
-<a id="page-229" class="pagenum" title="229"></a>
-oft Wochen lang in der Gegend, nahe und fern, auf ihren
-Pferden umher streiften, und man alsdann nur selten erführe,
-wo sie auf ihren thörichten Irrfahrten verweilten.
-Der Arzt hob seinen Freund selbst in den Wagen und
-sagte dann laut: Lassen Sie uns doch nun unser Ziel verfolgen,
-den Grafen Birken suchen, nach Raimund spähen;
-fahre Herr Theophil und sein Pankraz wohl, und sei unser
-lieber Herr Pfarrer Kilian auf immer dem Himmel
-befohlen; denn hieher werden wir auf keinen Fall wieder
-kommen! Niemals, denn wir haben noch eine weite Reise
-vor uns!
-</p>
-
-<p>
-Der Rath sah ihn verwundert an, und wollte fragen;
-aber das Rollen des Wagens hinderte jetzt noch das
-Gespräch, und sie hatten in kurzer Zeit das Dorf und die
-Gegend verlassen.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Baron Wolfsberg hatte unterdessen fleißig arbeiten
-müssen. Um sich nicht zu verrathen, durfte er am Tage
-nicht so lange schlafen, als es ihm wohl gut und heilsam
-gewesen wäre. Der kleine Friedrich führte eine strenge
-Aufsicht über ihn und ermunterte ihn kräftig, wenn er
-einmal ermatten wollte. Als das Geschäft des Eingrabens
-schon weit gediehen war, zeigte sich die größte
-Schwierigkeit darin, die aufgehäufte Erde, welche bei der
-zunehmenden Arbeit immer hinderlicher wurde, fortzuschaffen.
-Doch Friedrich wußte auch dafür ein Mittel. Es
-gelang ihm, aus dem Garten einen Schiebkarren unbemerkt
-zu entfernen, und in die unterirdischen Gewölbe zu befördern.
-Da er aber selbst für die Arbeit viel zu schwächlich
-war, so mußte der junge Baron auch das Geschäft übernehmen,
-Sand und Erde herauf zu führen, und in die
-<a id="page-230" class="pagenum" title="230"></a>
-weit verbreiteten Räume der Keller zu verfahren und auszustreuen.
-Gewöhnlich holte Friedrich den nächtlichen Arbeiter
-schon vor eilf Uhr ab, und ließ ihn erst gegen vier
-Morgens zurück kehren, so daß auch Wolfsberg durch den
-wenigen Schlaf, da überdieß die Kost nicht die nahrhafteste
-war, sich nach wenigen Wochen ziemlich abgemattet fühlte.
-Er wurde mager, still und melancholisch, und sah dem
-jungen frischen Manne und dem übermüthigen Weiberliebling
-kaum mehr ähnlich, in dessen Gestalt er zuerst
-das Haus betreten hatte. Der Director schaute ihn oft
-prüfend an, untersuchte seinen Puls, und erkundigte sich
-theilnehmend, ob ihn ein besonderer Gram quäle. Wolfsberg
-aber, der sich schmeichelte, bald das Ziel seiner Anstrengungen
-erreicht zu haben, wich allen prüfenden Fragen
-sorgfältig aus.
-</p>
-
-<p>
-Zu einer Mittagsstunde ward der junge Mann dadurch
-überrascht, daß ihn sein getreuer Friedrich an den
-Tisch des Directors zum Essen einlud. Er fand dort nur
-eine kleine Gesellschaft, und außer dem Wirthe nur einen
-schmächtigen, ziemlich alten Prediger aus der benachbarten
-Stadt, der zuweilen in einer Capelle des großen Hauses
-den Verwirrten predigte und sie zu ermahnen und bekehren
-suchte, meist aber durch possierliche Störungen gehemmt
-und unterbrochen wurde. Außer Wolfsberg war nur noch
-Herr Kranich gewürdigt worden, an diesem kleinen vertraulichen
-Tische Platz zu nehmen; Friedrich war mit zur
-Aufwartung zugegen. Sie sehn, meine Herren, fing der
-Director mit einer heitern Miene an, die man nicht an
-ihm gewohnt war, ich behandle Sie heute als Männer,
-die sich selbst in der Gewalt haben. Der Herr Pastor und
-ich hoffen von Ihrer Unterhaltung Vergnügen und Aufheiterung;
-<a id="page-231" class="pagenum" title="231"></a>
-denn sich in diesem großen Hause immer so
-einsam zu fühlen, ist wahrlich nicht erfreulich.
-</p>
-
-<p>
-Wohl, sagte der Pfarrer schmunzelnd; und es will
-mir oft vorkommen, als wenn unsre Freunde nur etwas
-mehr kräftigen Willen haben dürften, um so wie wir Andern
-zu seyn; aber ich versichre Sie, Herr Director, und
-Ihre eigene Beobachtung wird es Ihnen auch bestätigt
-haben, daß die leidige Eitelkeit, der Stolz auf irgend eine
-Grille, die man nicht ablegen will, sehr viel, ja bei manchen
-unsrer Patienten wohl das Allermeiste thut.
-</p>
-
-<p>
-Friedrich mußte dem Baron, so wie dem Herrn Kranich
-Wein einschenken, damit sich beide, vorzüglich der
-junge Graf, wie ihn der Director nannte, stärken möchten.
-Freilich haben Sie Recht, Herr Pastor, setzte dieser das
-Gespräch fort; denn wer von uns fühlt wohl nicht, daß
-er sich nur nachgeben und verweichlichen dürfte, um diese
-oder jene Seltsamkeit auf die wunderlichste Art auszubilden,
-und dadurch bei stärkern Menschen Anstoß oder Lachen
-zu erregen?
-</p>
-
-<p>
-Mein Herr Director, antwortete der Geistliche, es ist
-überdieß im Thörichten (Verzeihung, meine Herren, daß
-wir so offen über diesen Gegenstand sprechen) etwas so
-Anlockendes, fast Liebliches, daß man zuweilen recht im
-ganzen Wesen den unwiderstehlichen Reiz spürt, mit beiden
-Beinen frisch und wohlgemuth hinein zu springen.
-Soll ich? Soll ich nicht? so fragt man sich selbst. Warum
-nicht? sagt eine curiose Stimme, aus dem fernsten
-und buntesten Winkel unsers Geistes; tausend! ruft es,
-was kannst du da erfahren, und dich genießen, ja erst
-recht verstehen, wenn du der Altklugheit ein Schnippchen
-schlägst. Aber zum Glück kommt dann wieder eine ehrbare,
-aschgraue Moral, die mit ernster Miene sagt: widerstehe
-<a id="page-232" class="pagenum" title="232"></a>
-dem Verführer und seiner Lockung, laß dich nicht
-in die Kellergewölbe des Wahns führen, wo trotz aller
-Versprechungen keine Schätze liegen!
-</p>
-
-<p>
-Kellergewölbe? fragte Wolfsberg und wurde roth;
-wie kommen Sie nur auf dieses Gleichniß, das mir hier
-gar nicht passend scheint!
-</p>
-
-<p>
-Der Director sah ihn schon wieder mit dem prüfenden
-Blicke an, und Friedrich machte ihm gegenüber eine
-so seltsam bittende Miene, seine beiden Wangen zitterten
-und zuckten, die Lippen schmiegten und krümmten sich
-wie ein Wurm, und die Augen zwinkelten so bedeutend,
-daß Wolfsberg in das lauteste Gelächter ausbrechen
-mußte.
-</p>
-
-<p>
-Gebe der Himmel, sagte der Director, daß unsre
-Mahlzeit mit der Heiterkeit schließe, mit welcher sie anzufangen
-scheint. Gewiß, fiel der Prediger ein, ist zu
-wünschen, daß wir so fröhlich bleiben mögen: aber um
-fortzufahren, so kommt es mir noch immer nicht so ganz
-ausgemacht vor, ob die Mania (wir wollen dies Wort
-brauchen, um keinen Anstoß zu erregen) in uns Allen
-liegt, und nur wie bei den Lastern durch Nachgiebigkeit
-befördert und gereift wird, so daß der gewöhnliche Verstand
-nur in gewissen Graden von ihr entfernt seyn möchte: oder
-ob sie eine radicale Verschwiegenheit, ein wahrhaft kranker
-Zustand, ein andres und schiefgerichtetes Verhältniß
-der Seele ist.
-</p>
-
-<p>
-Das Letzte und auch zugleich das Erste, meinte der
-Director, und darum sei auch die Cur leicht und schwer
-zugleich: leicht, weil man sich den Verirrten nur hingeben
-müsse, sie zu verstehn suchen, da immer noch Verständniß,
-oft eine Art System zum Grunde liege, sie achten, ihnen
-zur passenden Zeit nachgeben, ein ander Mal Strenge üben;
-<a id="page-233" class="pagenum" title="233"></a>
-und von dieser Seite sei wohl keiner ganz unheilbar zu
-nennen: schwer sei die Cur aber, weil man die Symptome
-oft mit dem Grunde der Krankheit verwechsle, den
-Verirrten dann nur störe und kränker mache, &mdash; für ein
-schwaches Gemüth aber, wie er selbst, sei sie dadurch am
-schwersten, daß man, um diese Menschen zu verstehn, mit
-dramatischem Geiste zu tief in sie eingehe, leicht in eine
-Art Täuschung gerathe, und wenn man sich dann plötzlich
-prüfe, sich selbst beinahe auf dem nämlichen Wege finde.
-</p>
-
-<p>
-O mir aus der Seele gesprochen! schmunzelte der
-Geistliche; ach, Herr Medicinalrath, was sind Sie für
-ein Menschenkenner! Da liegt freilich recht eigentlich der
-Hund begraben, daß man, wie man im Trauerspiel weint,
-indem man sich in die Confusion hinein denkt, selbst confus
-wird. <span class="antiqua">Dis moi qui tu hantes etc.</span> Ja wohl, ja
-wohl, ein wahres Sprichwörtchen! Ich habe schon zuweilen
-die Meinung fassen wollen, daß, um als Seelsorger
-auf die guten Leutchen zu wirken, einer gefunden werden
-müßte, der, wenn auch nicht ganz in die Irre, doch
-ein wenig jenseit der Schnur gerathen wäre, und doch noch
-genug kräftige Religion übrig behalten hätte, um die
-Seelen zu ergreifen. Denn das, bester Herr Director, ist
-das Schlimme, daß, wenn man nicht selbst in ihren Orden
-eingeweiht ist, man fast niemals die rechte Perspective
-trifft. Sie wissen, wie ich in meinen Predigten gesucht
-habe, in Ton, Geberde und Beispiel mich den armen
-Drehschaafen zu nähern, aber manchmal zu wenig, oft
-aber viel zu viel that; Sie selber machten einige Male
-die Bemerkung, ich hätte wie ein wahrer Narr gesprochen.
-Ich mußte Ihre eigne Seele freilich ganz aus dem Spiele
-lassen; denn ich wußte ja, wie firm und kräftig Sie in
-Moral, Tugend und allen Glaubenslehren sind.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-234" class="pagenum" title="234"></a>
-Sie gaben einige Male ein schlechtes Beispiel, sagte
-der Director; denn Sie lachten auf der Kanzel selbst aus
-vollem Halse.
-</p>
-
-<p>
-Der ernsthafteste Mann hätte es nicht unterlassen
-können, sagte der Prediger, von Neuem laut lachend.
-Denken Sie, Herr Graf, wir hatten hier in unserm Hause
-einen jungen Mann, der ein Baukünstler gewesen war;
-er hatte aber eine so heftige Liebesleidenschaft zur Tochter
-eines Perückenmachers gefaßt, daß er darüber sein Studium
-verließ, und das Handwerk des Meisters ergriff;
-da ihm aber das Mädchen untreu wurde, mit Erlaubniß
-von Ihnen, so zu sagen, überschnappte. Nun bestand
-seine Grille darin, sich und alle Menschen, die er dazu
-bewegen konnte, auf die sonderbarste Weise zu frisiren.
-An jedem Tage hatte er eine neue wunderliche Kopfverzierung
-ersonnen, und ich glaube, daß ihn bei diesen mannigfaltigen
-Erfindungen sein ehemaliges Studium der
-Baukunst sehr unterstützte. Ich predige hier an einem
-Pfingsttage, und sehe die liebe Gemeinde unter mir. Der
-Verwilderte hatte sich furchtbar <span class="antiqua">à la Herisson</span> frisirt, so
-daß ihm die Haare wie Borsten vom Kopfe weit weg
-abstanden; sieben oder acht seiner Freunde standen und
-saßen neben ihm mit hochaufgewirbelten Papillotten, ein
-Anblick, der schon sonderbar genug war, weil viele Papierbündel
-wirklich wie aufgerichtete Krämerdüten auf den
-Köpfen leuchteten. Nun nahm aber er einen nach dem
-andern von seinen Anhängern zwischen die Knie, und frisirte
-ihn während meiner Predigt eben so fantastisch, wie
-er selbst sich trug, so daß gegen das Ende der Rede ein
-Theil meiner Andächtigen wie eben so viele wilde Teufel
-aussahen, und ich des Lachens wegen, das mich befiel,
-früher schließen mußte, als ich mir vorgesetzt hatte.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-235" class="pagenum" title="235"></a>
-Friedrich wollte sich ausschütten vor Lachen, und der
-Director erwiederte: so wie der Verstand, so hat die Narrheit
-des Menschen keine Gränzen. Jetzt ist ein Mann
-bei uns, der sich immer mit einem Maaßstabe herumtreibt
-und ihn unablässig betrachtet und rechnet. Dieser Mensch
-ist ziemlich wohlhabend und besitzt in der Stadt drüben
-ein mittelmäßiges Haus. Es verdroß ihn aber, daß, wenn
-er so manche größere Häuser des Ortes betrachtete, ihm
-sein ererbter Wohnsitz nur winzig und unbedeutend erscheinen
-mußte. Mit diesem Verdrusse schleppte er sich
-Tag und Nacht, und wußte doch kein Mittel, dem Uebelstande
-abzuhelfen. Endlich, weil er vor Hochmuth weder
-mehr schlafen noch essen konnte, faßte er einen seiner Thorheit
-würdigen Entschluß. An einem schönen Sommertage
-geht er aus, miethet auf dem Markte vier der stärksten
-Tagelöhner, und nimmt sie mit in seine Wohnung. Hier
-führt er sie in sein größtes Zimmer; jeder von ihnen
-muß sich gegen eine Wand stemmen und mit allen Kräften
-dagegen drücken, bis er ihnen Halt zuruft. Sie empfangen
-ihren Lohn, ohne zu begreifen, was sie gearbeitet
-haben. Am folgenden Tage wird derselbe Versuch wiederholt;
-sie müssen streben und drängen, daß ihnen der
-Schweiß herab fließt, genau auf sein Commandowort achten,
-und in demselben Augenblick alle zugleich zu drücken
-aufhören, wie sie in demselben begonnen haben. So treibt
-er es den ganzen Sommer; er erweitert nach und nach
-alle Zimmer seines Hauses, die Gänge, die Treppen, den
-Hof; und nachdem er so eine bedeutende Summe ausgegeben
-hat, ist er fest überzeugt, sein Haus sei das größeste
-in der ganzen Stadt. Er spaziert Stunden lang mit
-hoher Verehrung vor demselben auf und nieder, er zeigt
-erstaunten Fremden seine unermeßlichen Säle, er fängt an,
-<a id="page-236" class="pagenum" title="236"></a>
-sich selbst den Grafentitel beizulegen, hängt ein gemaltes
-Wappen über seine Hausthür, und ist auf einige Zeit
-unser Gast geworden, um sich wieder auf die Wahrheit
-besinnen zu lernen. Sehn Sie, lieber junger Herr Graf,
-so sonderbare Verirrungen fallen vor, daß dieser Mann
-sogar den sichtlichen Raum seines Hauses nicht mehr hat
-wahrnehmen können.
-</p>
-
-<p>
-Sie beweisen mir heute ein so schönes Vertrauen, erwiederte
-Wolfsberg, daß ich es wohl wagen darf, noch
-einmal das Wort zu wiederholen, mit welchem ich Ihr Haus
-zuerst betrat, daß ich nämlich durchaus nicht der bin, für
-welchen Sie mich halten, und daß Sie, wenn Sie mich
-nur einer ruhigen Prüfung würdigen wollen, mich eben
-so wenig des Verstandes beraubt finden werden, als den
-Herrn Prediger, oder als Sie es selber sind.
-</p>
-
-<p>
-Der Director winkte mit dem allerfinstersten Blicke, und
-Friedrich, welcher jede seiner Mienen verstand, nahm schnell
-den Wein vor Wolfsberg weg, und stellte ihm ein großes
-Wasserglas hin. Es geht nicht, rief der Director, so mit
-Ihnen zu leben, wie ich wünsche. Da Sie jetzt so abgefallen
-und fast miserabel aussehen, da Ihr Blick so demüthig
-ist; so glaubte ich wirklich, Sie hätten in sich
-geschlagen, und ich dürfte Sie durch bessere Speise und
-Wein erquicken. Aber an Ihnen ist Hopfen und Malz
-verloren. Wie, Sie wollen wirklich streiten, daß Sie der
-Graf Birken, einer der confusesten jungen Männer sind?
-daß Sie schon tausend Händel angezettelt, und dafür drei
-oder vier Mal ansehnliche Schläge empfangen haben?
-daß Sie es zu guter Letzt gewagt, sich mehrmals in das
-Haus des Barons von Halden einzuschleichen, und das
-Unglück seiner sinnverwirrten Tochter durch Liebesbriefe
-und mündliche Betheuerungen erhöht, ja sie endlich beredet
-<a id="page-237" class="pagenum" title="237"></a>
-haben, sich von Ihnen entführen zu lassen? Hier ist
-die Klage des Barons, hier sind Ihre kläglichen Briefe,
-hier ist die Ordre vom Minister, Sie gefangen zu halten.
-Wollen Sie aber dieser Graf Birken nicht seyn, so zeigen
-Sie uns Pässe, oder Schriften, durch welche Sie sich ausweisen
-können; stellen Sie angesehene Bürgen! Aber
-man hat Sie dort im Hause nur zu gut erkannt, und Sie
-zu oft aus- und einschleichen sehn, Sie auch zuletzt im
-Zimmer der Tochter selber ergriffen. Und nun kein
-Wort mehr über die Abgeschmacktheit, wenn Sie nicht
-bei Wasser und Brod in Ihrem Zimmer wollen eingesperrt
-seyn.
-</p>
-
-<p>
-Wolfsberg las die Papiere mit Aufmerksamkeit durch,
-und wagte es nicht, noch ein einziges Wort zu seiner
-Rechtfertigung zu erwiedern. Friedrich sah ihn tröstend
-an und warf heimlich höhnische Blicke auf den Director;
-der aufmerksame Herr Kranich aber war schnell mit der
-kleinen Peitsche bei der Hand, um die bösen Geister von
-Wolfsbergs Schultern zu verjagen. Der Director wurde
-noch zorniger und rief: stecken Sie die verdammte Peitsche
-ein! Ich glaubte, Sie würden doch wenigstens mein
-Vertrauen und mein Zimmer so weit ehren, das Zeichen Ihres
-Aberwitzes in Ihrer Klause zu lassen.
-</p>
-
-<p>
-Der Rothrock steckte zwar die Peitsche wieder ein,
-machte aber ein zorniges Gesicht, sah den Director mit
-großen Augen unverwandt an und sprach dann laut:
-Aberwitz, mein Herr? Dieses Worts sollen Sie sich jetzt
-und Ihre Lebenszeit hindurch schämen! Ich kam an Ihren
-Tisch in dem festen Vertrauen, daß Sie doch so viel Vernunft
-haben würden, mich nicht mit den mancherlei Gecken,
-von denen heut Mittag die Rede gewesen ist, in eine
-Classe zu werfen, und mich nicht mit dem Gezücht vergleichen
-<a id="page-238" class="pagenum" title="238"></a>
-zu wollen, was da unten im Saale sein Gaukelwesen
-treibt. Ich brauche, dem Himmel sei Dank, nicht
-curirt zu werden; auch will ich niemals curirt seyn; denn
-meine Vernunft, Herr, ist probefest, und auf die Dauer
-gearbeitet, und ich bin noch niemals, wie Sie von sich
-vorher zugestanden haben, in Gefahr gerathen, mit Närrischen
-närrisch zu werden. Wer wären Sie denn, wenn
-ich nicht das Geschmeiß der Pygmäen immer wieder aus
-Ihrem Hause vertriebe? Ich will diese liebe Peitsche nur
-kurze Zeit ruhen lassen, und Sie werden es an sich erfahren,
-daß Sie ein ruinirter Mann sind, daß Sie überschnappen,
-daß Sie zum Kinderspott werden. Wie?
-Was? Es gäbe wohl am Ende gar keine Pygmäen?
-Haben sie nicht schon die alten Griechen erkannt, aber
-nach ihrer dummen Weise darüber gefabelt. Sogar von
-mir und meinem großen Einfluß auf sie hat man in uralten
-Zeiten dunkle Legenden und Ahndungen gehabt;
-aber man dichtete, daß die Pygmäen ein wirkliches Volk
-seien, so klein, daß die Kraniche Krieg mit ihnen führten.
-So erbärmlich hat man die Sache und meinen Kampf
-mit ihnen entstellt. Heut zu Tage nennen sie&rsquo;s das böse
-Princip. Nicht wahr, da ist mehr Verstand drin! Nein,
-da lobe ich mir meine süße, liebe Peitsche; und wo ich
-bin, muß diese auch seyn. <span class="antiqua">Dixi.</span>
-</p>
-
-<p>
-Der Geistliche sagte: nicht so übel! aber der Director
-fuhr auf: wenn Sie so großen Geschmack an Narren finden,
-ehrwürdiger Herr, so mögen Sie es haben. Er verließ
-das Zimmer; die Uebrigen folgten ihm nach.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-<a id="page-239" class="pagenum" title="239"></a>
-Was machen Sie nur? fragte der Rath den Arzt,
-als der sandigere Weg wieder ein Gespräch erlaubte. Wir
-sollten lieber hier noch verweilen, vorzüglich Ihretwegen,
-da Sie doch nun Ihren theuern Grafen gefunden haben;
-und Sie selbst ziehen mich wie mit Gewalt in den Wagen,
-und erklären, Sie wollten niemals wieder hieher zurück
-kommen.
-</p>
-
-<p>
-O mein bester Rath, sagte der Arzt halb lachend;
-für einen Rechtsgelehrten sind Sie mir doch etwas zu
-treuherzig und für einen Inquisitor und Nachspürer gar
-zu arglos. Der Birken ist entlaufen, Vater und Tochter
-sind mir entgegen. Vermuthen diese, ich komme wieder,
-so finde ich meinen Entsprungenen niemals und es geschieht,
-was ich verhindern will; kann ich sie aber sicher
-machen, daß ich nicht zurück kehre, so überrasche ich den
-vollständigen Familienkreis wohl in Kurzem. Mit Ihrem
-lieben Pankraz ist es derselbe Fall; er hat sich unsichtbar
-gemacht, und zeigt sich nur, wenn er uns entfernt weiß.
-</p>
-
-<p>
-Was hat der ehrliche alte Mensch mit dieser Sache,
-ja mit irgend einer zu thun? antwortete der Rath. Er
-hat damals genug gelitten, als seine Unvorsichtigkeit dem
-armen Raimund so theuer zu stehen kam; der Mensch
-mußte sogleich den Dienst verlassen und dem Zorn des
-alten Barons entfliehn.
-</p>
-
-<p>
-Der Arzt lachte laut auf. Wenn meine Menschenkenntniß
-mich nicht ganz trügt, sagte er endlich, so ist
-dieser gute alte Pankraz ein durchtriebener Schurke, und
-jener braun- und blauäugige Baron nichts Geringeres.
-</p>
-
-<p>
-Sie schwärmen, lieber Freund.
-</p>
-
-<p>
-Und Sie schlagen selbst etwas in die Farben, in denen
-Sie mir Ihren Raimund gezeichnet haben. Haben
-Sie denn nicht bemerkt, wie verlegen das Pankraziengesicht
-<a id="page-240" class="pagenum" title="240"></a>
-wurde, als es Sie erblickte? Schon vorher wurde er
-blaß, als ich ihn nach Blanka fragte. Er weiß uns
-Raimunds Aufenthalt gewiß zu entdecken. Können Sie
-sich in der Stadt durch Freunde oder Autorität eine Vollmacht
-verschaffen, um den Schurken, wenn Sie ihn wieder
-ansichtig werden, zu verhaften, ihn zu erschrecken; so
-erfahren wir gewiß Alles, und der Zweck Ihrer Reise
-ist erfüllt.
-</p>
-
-<p>
-Wenn Sie Recht hätten! sagte der Rath. &mdash; Er befahl
-dem Kutscher nach der Stadt zu fahren.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Bei der Gesellschaft im Saale waren einige Veränderungen
-vorgegangen. Die beiden Redner hatten sich immer
-noch nicht versöhnt und jeder vermied den andern;
-die Schachspielenden schienen auch weniger einig, als sonst,
-und der Mann mit dem Maaßstabe war unruhiger, und
-lief hastig hin und wieder. Wolfsberg gesellte sich zu
-diesem, und fragte, was ihm fehle. Ach, mein Herr, sagte
-dieser heftig bewegt, Sie haben gewiß auch von meinem
-großen Hause gehört, welches ich durch meine Geschicklichkeit
-so ansehnlich gemacht hatte. Das konnte mir der
-Neid nie vergeben, daß ich durch Wissenschaft Besitzer
-eines der größten Paläste in der Stadt seyn sollte.
-Bald hieß es, durch die übermäßige Ausdehnung habe
-der Bau eine so zarte Constitution erhalten, daß er bei
-der nächsten Veranlassung, wenn etwa Truppen marschirten
-und die Trommel gerührt würde, erschreckend, wie in
-einem Nervenfieber zusammen stürzen müsse. Andre
-meinten gar, ich hätte die Stadt dadurch verengt, und die
-nahestehenden Häuser und Gassen litten darunter: als
-wenn der unendliche Raum etwas so Beschränktes wäre,
-<a id="page-241" class="pagenum" title="241"></a>
-daß man die Welt so leicht verderben könnte. Ich erbot
-mich, die ganze Stadt durch Beobachtung des Tactes
-auszudehnen, und sie, wenn wir Geld und Zeit genug
-hätten, größer als London oder Nanking zu machen. Aber
-die Bosheit hörte auf nichts; ich mußte mich hieher in
-die Einsamkeit zurück ziehn. Und was ist nun im Werke?
-Sollten Sie&rsquo;s glauben, daß die Verderbtheit der Menschen
-so weit gehen könne! Eine ganze Schiffsladung
-von Gummi elasticum läßt man mit Erlaubniß des Parlaments
-von England kommen. Fünfhundert Menschen
-zerren das Zeug aus einander; man practizirt es so, nach
-allen Seiten ausgedehnt, unter meinen Palast, und auf
-ein Zeichen von dem nahestehenden Kirchthurm (denn
-auch die Religion wird dazu gemißbraucht) lassen alle
-fünfhundert Bösewichter in einem und demselben Augenblicke
-die Gummifetzen los; das unglückselige Zeug schnappt
-zusammen, und nimmt unwiderstehlich Breite und Länge
-meines Palastes mit sich, der durch dieses höllische Kunststück
-wieder zu einem gewöhnlichen Hause zusammenschrumpft.
-Denn das giebt die Vernunft, daß, da das
-elastische Unwesen sich nun in der Grundlage an das
-Gebäude anklemmt, keine menschliche Kraft, keine Wissenschaft,
-kein noch so gut observirter Tact dazu hinreicht,
-es aus den Gummi-Klauen zu retten und wieder aus
-einander zu dehnen.
-</p>
-
-<p>
-Wolfsberg mußte dem Klagenden Recht geben; doch
-wurde jetzt seine Aufmerksamkeit auf einen jungen Menschen
-gerichtet, der zum Saale herein schlich, und den er
-bisher noch niemals gesehen hatte. Methusalem kommt
-einmal wieder! riefen Einige, und über die blassen Wangen
-des kranken Jünglings lief ein leichtes Roth. Wie
-nennen Sie ihn? fragte der Baron. O er heißt nur so,
-<a id="page-242" class="pagenum" title="242"></a>
-antwortete Sokrates, der eben vorüber ging, weil das Gespenst
-schon so außerordentlich bei Jahren ist, daß, gegen ihn
-gerechnet, Methusalem selbst noch in den Kinderschuhen
-steckt.
-</p>
-
-<p>
-Die Gestalt und das Wesen des Jünglings waren
-so wunderbar und von Allem, was sich in diesem Hause
-zeigte, so verschieden, daß sich Wolfsberg wie gezwungen
-fühlte, sich ihm langsam und mit Blödigkeit zu nähern.
-Der Jüngling war schlank und mager, seine Geberde ruhig
-und edel, sein Gesicht schön, aber blaß und abgefallen;
-die Augen glänzten so überirdisch, daß man vor ihnen
-erschrecken konnte, wenn nicht eine süße Schwermuth
-ihr Feuer wieder gemildert hätte. Der junge Mensch
-schritt dem Baron entgegen, vielleicht, weil ihm auch dessen
-Gestalt und Wesen, als ein milderes, auffiel. Wolfsberg
-war um Worte verlegen, mit welchen er das Gespräch
-eröffnen könne; aber der Kranke kam ihm zuvor,
-nahm ihn bei der Hand und sagte mit der lieblichsten
-Stimme: was fehlt Ihnen?
-</p>
-
-<p>
-Meine Vergehungen, sagte der Baron in einem fast
-zerknirschten Tone, haben mich hieher geführt. Aber
-woran leiden Sie?
-</p>
-
-<p>
-Ach! klagte der Jüngling, daß ich so gar übermäßig
-alt bin; die große Menge der Jahre drückt mich zu Boden.
-Wie alt schätzen Sie mich?
-</p>
-
-<p>
-Höchstens drei und zwanzig Jahre, sagte der Baron.
-</p>
-
-<p>
-Des Jünglings Gesicht ward noch wehmüthiger und
-zwei große Thränen fielen aus den Augen. Sie sehn,
-sagte er mit seiner lieblichen Stimme, wie ich lachen muß.
-Nun bin ich gerade sechstausend dreihundert und vier und
-neunzig Jahre alt. Gestern Nachmittag hatte ich nur
-sechstausend und vier und neunzig: und denken Sie, in
-<a id="page-243" class="pagenum" title="243"></a>
-der kurzen Zeit bin ich schon wieder um die dreihundert
-Jahre älter geworden.
-</p>
-
-<p>
-Sie setzen mich in Erstaunen, sagte Wolfsberg.
-</p>
-
-<p>
-Wissen Sie denn, was die Zeit ist? klagte jener
-weiter. O Lieber, mancher Achtzigjährige geht zu Grabe,
-und hat vielleicht nicht zwanzig Jahre, nicht zehn gelebt.
-Vielleicht giebt es Menschen, die von der Geburt an bis
-zum Greisenalter nicht zur Zeit erwachen, und erst jenseit
-die erste Stunde müssen kennen lernen. In der Gleichgültigkeit
-ist kein Strom; weder Vergangenheit, noch Zukunft,
-auch keine Gegenwart. Freude, Jubel und Glück
-sind rasende Kinder, die tobend umher springen und das
-zarte Stundenglas zerbrechen; hinter ihnen steht Tod und
-Nichtsein, &mdash; der Himmel gab uns dafür keine Sinne.
-Aber im Schmerz, im Schmerz! Wie durch diesen Wunderbalsam
-die Secunde, die das Auge kaum unterscheidet,
-aufschwillt und mit der Ewigkeit schwanger wird! Ja,
-mein junger Zeitgenosse, ich habe Tage erlebt, in denen
-Jahrhunderte eingewickelt waren; sie lösten sie aus ihren
-Schleiern und legten sich mir um die Seele. Dann kam
-eine Stunde, eigentlich nur ein Augenblick; da sprang
-die ganze aufschwellende Knospe entzwei, in der mir die
-Zeit in duftenden Blättern aus einander blühen sollte,
-und ein Alles und Nichts, ein großer ewiger Tod, in
-dessen finsterm Herzen kindisch das süßeste Leben lächelte,
-brach mit Gewitternacht über mich ein. Da waren die
-Jahrtausende verlebt, dieselben, an denen das Menschengeschlecht,
-ohne sie nur zu kosten, vorüber kriecht. Schmerz,
-Herz, Scherz: nicht wahr, im Schmerz ist Alles, was die
-Andern nur einzeln aussprechen? Leben Sie wohl, und
-hüten Sie sich, so alt zu werden! Ich gehe wieder auf
-mein Zimmer, denn wenn diese großen Minuten mich besuchen
-<a id="page-244" class="pagenum" title="244"></a>
-wollen, müssen sie mich wach finden. Adieu, junger
-Mann, vielleicht bin ich schon acht oder zehntausend
-Jahre, wenn wir uns wiedersehn. Er wankte hinaus,
-und keiner von den Gegenwärtigen achtete auf ihn.
-</p>
-
-<p>
-Die Uebrigen umringten Wolfsberg, und Sokrates,
-der den Sprecher im Namen Aller zu machen schien,
-sagte: junger Herr, wir Alle sind es nun endlich überdrüssig,
-Sie noch länger diese triviale Rolle spielen zu
-sehn, mit der Sie uns Allen herzliche Langeweile machen.
-Nicht der Unbedeutendste hier, der nicht sein Pfund wuchern
-ließe; und Sie wollen immer noch als leutseliger Beobachter
-sich herum treiben? Fordert die Menschheit nicht
-auch Ihre Kraft und Ihren Entschluß? Sie sollen nicht
-länger der Niemand seyn, mit dem Keiner von uns etwas
-anzufangen weiß.
-</p>
-
-<p>
-Meine Herren, sagte Wolfsberg in einer sonderbaren
-Stimmung, die aus Schmerz und toller Laune gemischt
-war: da Sie mich Alle mit einem so gütigen Zuruf und
-schmeichelnden Zutrauen beehren, und da ich sehe, daß
-uns hier eine so glückliche Republik umfaßt, in der uns
-weder Gesetze der Zeit noch des Raumes tyrannisiren,
-und eine so freie Verfassung unsre Kräfte erhebt, daß auch
-selbst das Unmögliche möglich wird: so will ich denn
-auch nicht länger hinter dem Berge halten, mich Ihnen
-entdecken und Ihren herrlichen Bestrebungen anschließen.
-Wissen Sie also, daß ich das Eigne an mir habe, daß
-ich schon öfters gelebt habe, vielerlei Zustände erfahren,
-und mein dermaliges Leben nur als die hundertste
-Wiederholung in einer etwas veränderten Modification
-aufführe.
-</p>
-
-<p>
-Wie meinen Sie das, Trivialer? fragte der Leser.
-</p>
-
-<p>
-Dieselben geruhen, antwortete Wolfsberg, mit Ihrer
-<a id="page-245" class="pagenum" title="245"></a>
-unvergleichlichen Stupidität nicht zu capiren. Ich war
-mit Einem Wort, genau nach der Lehre des Pythagoras,
-schon in vielfachen Gestalten im Leben. Ich war König,
-Kaiser, Bettler, Vater, Sohn, lasterhaft, zur Tugend geneigt,
-glücklich und elend.
-</p>
-
-<p>
-O, sagte der Indianische Schachspieler, Sie fangen an
-interessant zu werden, Männchen; fahren Sie nur so fort,
-so können Sie noch was leisten.
-</p>
-
-<p>
-Können Sie uns nicht etwas Bestimmteres von Ihren
-frühern Verhältnissen mittheilen? fragte Sokrates.
-</p>
-
-<p>
-Gern, erwiederte der Baron mit geläufiger Zunge,
-ich war z. B. zugegen, als Cäsar ermordet wurde.
-</p>
-
-<p>
-Trefflich! rief der Leser; wer waren Sie denn dazumal?
-</p>
-
-<p>
-Wer anders, als der berühmte Cassius, antwortete
-Wolfsberg.
-</p>
-
-<p>
-Halt! schrie der aufgedunsene Redner, der noch immer
-mit der Zinnschnalle paradirte, halt! rief seine krächzende
-Stimme; das ist nur Windbeutelei! Denn wenn
-ich damals hätte leben können, so würde ich Cassius gewesen
-seyn: also ist es pur unmöglich, daß du selbiger
-gewesen!
-</p>
-
-<p>
-Dieser leere Wunsch, und die etwanige Möglichkeit,
-sagte Wolfsberg spitzfindig, schließt doch wohl meine wirklich
-erlebte Wirklichkeit nicht aus?
-</p>
-
-<p>
-Leerer Wunsch? schrie der aufgebrachte Dichter, in
-meinem ganzen großen Leibe und noch größerem Geiste
-ist kein einziger Wunsch, den man als leer verlästern
-dürfte! Leer! Ei, den ausgelernten Lehrer! Mit diesen
-Worten schlug er auf den jungen Baron ein. Sokrates
-wollte seinen ehemaligen Schüler zurechtweisen: da dieser
-aber, noch ergrollt, ihn ebenfalls nicht schonte, so verließ
-auch diesen die sokratische Ruhe. Doch, wie es auch
-<a id="page-246" class="pagenum" title="246"></a>
-wohl bei Vernünftigern zu geschehen pflegt, vergaß er
-den Beginn des Zanks, und sein thätiger Unwille wandte
-sich nach wenigen Augenblicken gegen Wolfsberg. Die
-Schachspieler, Melchior, der Baukünstler, ja Alle <a id="corr-13"></a>im
-Saale schienen plötzlich von der Ueberzeugung begeistert,
-daß es nothwendig sei, denjenigen, der schon als Cassius
-und in andern Zuständen Vieles gelitten, auch in diesem
-Momente mit empfindlichen Leiden zu überhäufen. Am
-grausamsten aber wüthete die Peitsche des Pygmäen-Bezwingers,
-dessen Seherkraft auf Rücken und Schultern
-des Armen Myriaden seiner kleinen Gegner erblicken
-mußte, weil er, unbarmherzig gegen sich und den
-Geschlagenen, in die Geister mit der Anstrengung aller
-Kräfte hinein arbeitete. Entsetzt stürzte Friedrich, der
-seinen fleißigen Arbeiter und Schatzheber unterliegen sah,
-mit fürchterlichem Geschrei zum Director, dessen Autorität
-und starkes Wort den armen, erschöpften Baron auch
-wirklich frei machte, der sich verdrießlich und zerschlagen
-nach seinem Zimmer begab, und den der Trost, welchen
-ihm Friedrich noch in der Thür zuraunte, daß die nun
-kommende Nacht die letzte und entscheidende sei, in diesem
-Augenblick nicht sonderlich erheben konnte.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Als Friedrich seinen nächtlichen Schatzgräber abrief,
-fand er ihn sehr übel gelaunt. Die Arbeit wird mir zu
-schwer, sagte er verdrießlich; meine Kräfte nehmen ab,
-und ich muß fürchten, daß diese ganze ungeheure Anstrengung
-vergeblich gewesen ist; denn nach so manchen
-Wochen, nach so vieler herausgegrabenen Erde, da wir
-doch schon tief genug gekommen sind, zeigte sich noch immer
-nichts. Es wird auch fast unmöglich, die Erde aus
-<a id="page-247" class="pagenum" title="247"></a>
-der Tiefe noch höher herauf zu schaffen, da ich Alles
-allein verrichten muß.
-</p>
-
-<p>
-Nur heut noch, flüsterte Friedrich; ich gebe Ihnen
-mein Wort, heut ist die letzte und entscheidende Nacht!
-Wir müssen nur Anstalt treffen, das viele Gold aufzubewahren,
-ohne daß man es bei uns bemerkt. Und noch
-Eins, verehrter Freund, in der letzten Nacht zeigt sich
-gewiß etwas Sonderbares oder Gespenstisches. Lassen Sie
-sich nicht überraschen; erschrecken Sie nicht, wenn Sie
-Stimmen hören, ein wunderliches Gepolter, Geschrei;
-wenn Lichter und Geister kommen, und uns das so sauer
-Errungene wieder zu entreißen streben. Denn das ist
-ihre Art, den Glücklichen noch zuletzt zu ängstigen, damit
-sie ihm seine Beute wieder entziehen. Darum hüten
-Sie sich heute besonders vor jedem Zweifel oder gottlosen
-Wort und Fluch; denn sonst versinkt unser Schatz gleich
-wieder so viele Klaftern tiefer, daß alsdann unsre Arbeit
-von Neuem und viel beschwerlicher anfangen müßte. Heut
-müssen wir besonders still seyn, und uns eine feierliche
-Manns- und Heldenstimmung geben.
-</p>
-
-<p>
-Sie gingen langsam hinunter. Sie flüsterten unterwegs,
-was sie mit den Schätzen beginnen, welche Unternehmungen
-sie ausführen wollten, wie die Welt vor den
-ungeheuren Dingen erstaunen sollte, die alsdann auftreten
-würden. Wolfsberg sprach davon, wie er sich sein
-eignes Theater in seinem großen Palaste anlegen wolle,
-und nur den vorzüglichsten Künstlern gestatten, bei ihm
-aufzutreten; Friedrich dachte mehr darauf, den Director
-zu kränken, seinem Hause gegenüber ein anderes, noch
-größeres aufzuführen, und alle Menschen dort kostbar zu
-bewirthen die sein Gebieter nicht leiden könne.
-</p>
-
-<p>
-Als sie unten waren, stellte Wolfsberg die Laterne
-<a id="page-248" class="pagenum" title="248"></a>
-wieder neben sich, und fing an seufzend zu graben, da
-ihm Arme und Rücken, ermüdet, wie sie waren, fast den
-Dienst versagten. Friedrich stand oben auf der lockern
-Erde, und konnte kaum seine heisern anordnenden Worte
-hinab gelangen lassen, so tief hatte sich Wolfsberg schon
-unter die Fundamente eingegraben. Eine schauerliche
-Stille umgab sie; ganz dumpf und fern hörten sie jetzt
-die große Uhr zwölf schlagen. Wolfsberg dachte nicht
-ohne Grausen daran, daß sich nach seines kleinen Freundes
-Voraussagung nun wohl etwas zeigen könne, und
-suchte seine Angst durch emsigere Arbeit zu betäuben.
-Friedrich stand hoch über ihm und zitterte an allen Gliedern;
-er wagte es nicht mehr hinab zu sehn; die Erdschollen,
-wie sie von unten aufgeworfen wurden, erklangen
-ihm fürchterlich, weil er in jedem Wurf Schritt und
-Tritt eines Geistes zu hören glaubte. In der größeren
-Anstrengung warf Wolfsberg die Laterne um, die nur
-ein dämmerndes Licht in der ausgegrabenen Kluft schimmern
-ließ; Friedrich stieß einen leisen Ausruf des Entsetzens
-aus, und als sich jetzt ein seltsames Gepolter vernehmen
-ließ, ein dumpfes, brausendes Murren, von dem
-man nicht unterscheiden konnte, woher es komme, setzte
-sich Wolfsberg in höchster Angst nieder, ein Geisterheer
-und furchtbare Erscheinungen erwartend. Sein Haar
-sträubte sich, als das Getöse zunahm; und jetzt fiel plötzlich
-mit schwerem Fall ein Wesen um seinen Hals, schlang
-sich zitternd und weinend an ihn fest und schien ihn erdrücken
-zu wollen. Als Wolfsberg sich etwas besann,
-erkannte er Friedrich, der von oben zu ihm herab gekugelt
-war, vom Schreck hinunter geworfen. Was wird aus
-uns werden? schluchzte dieser. Aber nur Muth, Muth,
-mein Leidensgefährte! Jetzt vernahm man etwas Bestimmteres,
-<a id="page-249" class="pagenum" title="249"></a>
-wie Reden, Schreien durch einander. Es kam
-näher; aber nicht aus dem Boden, sondern von dem Eingange
-des Kellers her; Lichtschimmer fingen an sich zu
-verbreiten. Aber da muß das heilige Donnerwetter drein
-schlagen! brüllte jetzt eine Stimme, und der Kleine ließ
-jetzt den Baron fahren, richtete sich auf, und sagte: Gott
-Lob! es ist nichts, es ist nur unser Herr Director.
-</p>
-
-<p>
-Mordelement! schrie dieser von oben, wie sieht das
-hier in den Kellergeschossen aus, da müssen wenigstens
-zwanzig verrückte Spitzbuben dran gearbeitet haben. Gewiß
-ist der Schuft, der Friedrich, wieder auf seine alten
-Tollheiten verfallen, und hat ein Rudel Dummköpfe zu
-Gehülfen genommen. An dir aber will ich ein Exempel
-statuiren!
-</p>
-
-<p>
-Herr Director, Barmherzigkeit! winselte der Kleine
-von unten hinauf.
-</p>
-
-<p>
-Leuchtet! schrie der zornige Mann. Die Diener kamen
-mit den Lichtern näher, stiegen auf die Erdhügel,
-und man sah jetzt beim Schein die armen Sünder, bleich
-und aufgelöst in Angst, unten stehn.
-</p>
-
-<p>
-Wie? schrie der Director, der verrückte Graf ist da
-unten bei dir? Herauf ihr verdammten Kerle!
-</p>
-
-<p>
-Langsam und mit Mühe krochen die Verbrecher aus
-ihrer Grube. Wißt ihr wohl, Patrone, eiferte der wüthende
-Medicinalrath, daß durch eure sauberen Bemühungen
-das Fundament hier gesunken ist, daß die äußere
-Mauer nach Westen einen Riß bekommen hat? daß ich
-das Recht habe, euch in Ketten zu schlagen und an die
-Wand zu schmieden? Ich erschrecke, wie ich heut Nachmittag
-den Sprung in der Mauer wahrnehme; aber das
-laß ich mir doch nicht träumen, daß der dumme Schatzgräber,
-der doch seine ehemalige Strafe nicht sollte vergessen
-<a id="page-250" class="pagenum" title="250"></a>
-haben, seine Streiche von Neuem angefangen hat.
-Sprich, wo sind die übrigen Verschwornen?
-</p>
-
-<p>
-Der Graf, wie Sie ihn nennen, antwortete der zitternde
-Friedrich, hat Alles ganz allein gemacht.
-</p>
-
-<p>
-Was? rief der Director erstaunt; das Kerlchen ganz
-allein? Allen diesen Schutt aufgeworfen? sich wohl vier
-Klaftern tief eingegraben? die Erde in die Gewölbe herauf
-gefahren und dort abgeladen? Das ist kaum menschenmöglich!
-Und wie lange treibt ihr die Teufeleien?
-</p>
-
-<p>
-Seit vier oder fünf Wochen, klagte Friedrich.
-</p>
-
-<p>
-Kein Wunder denn, sagte der Director, daß der Unkluge
-so verfiel und zum Jammerbilde wurde. Aber wie
-konnten Sie nur, Graf, ein solcher Dummkopf seyn, und
-sich von diesem armseligen Schaafe verführen lassen?
-Merkten Sie es denn gar nicht, da Sie doch manchmal
-Funken von Vernunft zeigen, daß er auch zu den Tollen
-gehört?
-</p>
-
-<p>
-Also ist unser Herr Friedrich auch unklug? fragte
-Wolfsberg.
-</p>
-
-<p>
-Was anders? erwiederte der Director: nur weil er
-anstelliger ist, als die Andern, wird er zum Aufwärter,
-ja Aufseher gebraucht. Nun hat sich das Ding freilich
-geändert. Hätten die Satans nicht uns Narren insgesammt
-den alten Kasten auf die Köpfe schmeißen können!
-</p>
-
-<p>
-Mir fiel es oft ein, sagte Wolfsberg kleinlaut, daß
-hier keine Schätze liegen möchten, daß Friedrich vielleicht
-nicht gesunde Einsichten habe; aber weil ich doch einmal
-die tolle Arbeit angefangen hatte, weil er mich so zu lieben,
-auch ganz zu kennen schien, mehr als Alle, so &mdash; &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Ja, winselte Friedrich, ich mußte dem Narren gleich
-gut seyn, so wie ich ihn ankommen sah; denn betrachten
-Sie ihn nur, wie er dem berühmten Herzog Marlbrough
-<a id="page-251" class="pagenum" title="251"></a>
-ähnlich sieht, der vor einem halben Jahre bei uns saß,
-und mit dem ich damals auch die große Freundschaft
-errichtete. Aber da er nun doch ein recht verrätherischer
-Narr ist, will ich Ihnen auch sagen, wer er eigentlich
-ist; denn Sie kennen ihn Alle nicht.
-</p>
-
-<p>
-Nun? sagte der Director.
-</p>
-
-<p>
-Er ist, fuhr Friedrich trotzig fort, der durch die ganze
-Welt berüchtigte Cartouche, das können Sie mir auf
-mein Wort glauben.
-</p>
-
-<p>
-Scheert Euch beide auf Eure Stuben, rief der Director,
-und nehmt da auf vier Wochen mit Wasser und
-Brod vorlieb, das ist Eure gelindeste Strafe! Die Maurer
-werden hier wohl eben so lange zu thun finden, ehe
-das Haus wieder fest steht und Alles in Ordnung ist.
-</p>
-
-<p>
-Sie gingen Alle hinauf, und die beiden armen Sünder
-mußten sich seufzend in ihre Strafe fügen, die noch
-härter hätte ausfallen können.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Vor der Stadt lustwandelten die beiden Freunde
-Walther und Anselm. Sie billigen es also, sprach der
-Letztere, daß ich dem alten Grafen Birken Alles, was seinen
-wilden Sohn betrifft, geschrieben habe, und daß er
-nun, wenn es ihm wichtig genug dünkt, selber kommen
-und ihn aufsuchen mag; denn ich kann meine Zeit nicht
-länger mit diesen Nachforschungen verlieren. Sie wissen,
-daß mit jedem Posttag die vortheilhafteste Anstellung ankommen
-kann, die ich nicht zurück weisen darf.
-</p>
-
-<p>
-Ich bin in allen Dingen Ihrer Meinung, erwiederte
-Walther, nur darin nicht, daß Sie nicht zum Hause des
-Predigers Kilian zurück kehren wollen, wo, wie ich immer
-noch glaube, wir Alle antreffen würden. Was nützt mir
-<a id="page-252" class="pagenum" title="252"></a>
-nun die Vollmacht, die ich bei mir trage, wenn wir den
-guten Pankraz niemals wieder zu Gesichte bekommen?
-</p>
-
-<p>
-Ein Auflauf störte die Unterredung, denn ein Rudel
-von Jugend war hinter der seltsamsten Erscheinung her,
-die ihnen zu entlaufen suchte. Eine lange Gestalt im rothen
-Tressenrocke, kleinem goldbesetzten Hut und großem
-Haarbeutel, einem feinen Degen mit Porzellan-Griff an
-der Seite, in aufgewickelten seidenen Strümpfen und Corduan-Schuhen
-mit rothen Absätzen, stolperte ihnen unbehülflich
-entgegen, und bat mit kläglicher Stimme um
-Hülfe gegen die ausgelassene Jugend. Sie halfen dem
-alten Manne in ihren Gasthof, vor dem sie eben standen,
-und als sie im Zimmer dem Geschrei und Lärmen des
-nachfolgenden Haufens entgangen waren, erkannten die
-Freunde zu ihrem Erstaunen an dem hochauffrisirten und
-gepuderten Kopf das Gesicht des verdächtigen Pankraz.
-Wie bin ich Ihnen verbunden, meine werthen Herren,
-sagte er, den Rath von der Seite betrachtend, daß Sie
-mich gerettet haben!
-</p>
-
-<p>
-Der Arzt, welcher fürchten mochte, daß bei der Milde
-seines Freundes vielleicht die Sache nicht die rechte Wendung
-nehmen könnte, bemächtigte sich gleich des Gespräches,
-indem er mit barschem Tone sagte: wir kennen Euch
-recht gut, alter Narr Pankraz; wie seid Ihr in diesen
-Habit gekommen, und was hat die Posse zu bedeuten?
-</p>
-
-<p>
-Ach, mein Herr, sagte der Diener, wir sind schon
-einige Zeit von unserm Prediger entfernt &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Das wissen wir, unterbrach ihn der Arzt, und auch
-den saubern Grund, weil der gute Pankraz uns nicht
-gern dort treffen wollte. Doch das wird sich Alles
-finden!
-</p>
-
-<p>
-Nun kann ich meinen Herrn, fuhr der Diener fort,
-<a id="page-253" class="pagenum" title="253"></a>
-nachdem er den Arzt ein Weilchen mißtrauisch angesehn
-hatte, so ziemlich regieren; er folgt mir in wichtigen
-Sachen immer, wenn er auch murrt, und hat mehr Respect
-und Furcht vor mir, als vor dem Herrn Prediger
-selbst; aber an einem einzigen Tage im Jahr ist er durchaus
-nicht zu bezwingen; an seinem Geburtstage nämlich;
-da muß ich ihm in allen Dingen seinen Willen thun,
-wenn ich ihn nicht wüthig machen soll. Heut ist der
-Unglückstag, und da faßte er schon vorige Woche den
-Gedanken, ich müßte heut als Herr angeputzt seyn, und
-er wollte meinen Bedienten vorstellen. Ich bat und flehte;
-aber umsonst. Ich wollte wenigstens den Spaß auf dem
-Lande treiben; half nichts. Er staffirt mich also aus,
-und lehnt das Zeug dazu von Juden und Christen zusammen;
-er selber tritt in einer engen hechtblauen Livree
-hinter mir her, und da sich die Jungen versammeln,
-fängt der böse Mensch zuerst an, mich auszulachen, und
-schreit hinter mir drein, ich sei der ewige Jude. So bin
-ich durch die halbe Stadt verfolgt worden, und hoffe nun
-durch Sie den Habit los zu werden, und sicher nach unserm
-Wirthshause zu kommen.
-</p>
-
-<p>
-Das wird alles nicht nöthig seyn, sagte der Arzt
-kaltblütig, der gute Pankraz wird wohl anderswo ein
-Unterkommen finden. Seht, der Herr Rath Walther hat
-sich zu Eurem Besten vom Gerichtspräsidenten hier in
-der Stadt, der sein naher Verwandter ist, diese Vollmacht
-geben lassen, Euch zu greifen, wo Ihr Euch betreffen
-ließet, und den Gerichten zu überliefern; wo Euch dann
-das Zuchthaus wenigstens gewiß ist, wenn Euch nicht,
-wie ich glaube, Kette und Karren auf dem Vestungsbau
-erwartet.
-</p>
-
-<p>
-Mein Himmel, sagte der Alte zitternd, indem er einen
-<a id="page-254" class="pagenum" title="254"></a>
-schnellen Blick in das große Blatt warf, wodurch
-denn &mdash; dieser Verdacht &mdash; ach! Herr Rath &mdash; ich weiß
-nicht &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Freilich, fuhr der Arzt kalt und bestimmt fort, könnt
-Ihr Eurem Schicksal selbst eine bessere Wendung geben,
-wenn Ihr in unsrer und einiger Zeugen Gegenwart ganz
-aufrichtig seid.
-</p>
-
-<p>
-Ich weiß ja nicht, winselte Pankraz, was ich gestehen
-soll.
-</p>
-
-<p>
-Die Sache ist übrigens schon klar, sagte der Arzt, und
-kann auch ohne Euch ausgemittelt werden; nur bewegt
-uns das Mitleid mit Eurem Alter dazu, Euch das harte
-Schicksal zu ersparen, das Euch nothwendig treffen muß.
-Vertraut Ihr Euch uns gutwillig an, so haben wir den
-alten Baron Eberhard so in der Hand, daß er künftig
-für Euch sorgen muß, und noch besser, als er bisher gethan
-hat. Wir wollen als Eure Freunde für Euch handeln,
-wenn Ihr aufrichtig seid, und Euch als Feinde verfolgen,
-wenn Ihr läugnet.
-</p>
-
-<p>
-Lieber Himmel, stotterte der Alte, wenn ich doch nur
-gleich recht viel wüßte, um Ihnen durch meine Bereitwilligkeit
-meinen Diensteifer und meine Liebe zu beweisen.
-</p>
-
-<p>
-Wir verlangen nur Weniges von Euch, sprach Anselm.
-</p>
-
-<p>
-Ach! das ist ja recht Schade, seufzte Pankraz; wollte
-der Himmel, ich hätte Ihnen recht Vieles zu erzählen!
-</p>
-
-<p>
-Daß Ihr sonst den jungen Raimund bedientet, fuhr
-der Arzt fort, daß Ihr einen Spion bei ihm abgabt, daß
-Ihr es nicht ehrlich mit ihm meintet, sondern Alles dem
-alten Herrn Baron zutrugt, wissen wir schon längst. Es
-ist uns auch bekannt, daß sich der alte Herr Baron über
-die Schwächlichkeit seines Neffen freute, weil er ihn zu
-beerben hoffte; daß ihm deßhalb die Verbindung mit
-<a id="page-255" class="pagenum" title="255"></a>
-Fräulein Blanka sehr zuwider war, die er auch nur
-unter den einfältigsten Vorwänden zu hindern suchte; daß
-er darum ihre tödtliche Krankheit so gern sah, und Euch
-alten Spitzbuben mit der Nachricht ihres Todes zu dem
-zerstörten jungen Manne schickte, als ob Ihr Euch einen
-rührenden und dummen Spaß mit ihm machtet. Als
-dieser Todesschlag die Sinne des Unglücklichen verwirrte,
-jagte der alte Unmensch Euch zum Scheine aus dem
-Dienst, wie es schon vorher unter Euch abgekartet war,
-und hat Euch seitdem eine gute Versorgung gegeben, und
-für die Zukunft eine noch bessere versprochen. Nicht wahr,
-so hat sich Alles begeben? Jetzt sagt nur noch, wo habt
-Ihr den armen Jüngling hingeschafft? Gesteht es lieber
-uns, als dort vor Gericht, wo keine Gnade mehr für
-Euch zu hoffen ist; auch thut Ihr so Eurem alten Beschützer
-den besten Dienst, der nur auf diesem Wege einem
-schimpflichen Prozesse entgeht.
-</p>
-
-<p>
-Ach! meine Herren, heulte Pankraz, meinen Sie es
-denn auch ehrlich mit mir? Wenn ich mich doch nur
-Ihrem edlen Herzen so recht gutmüthig vertrauen könnte!
-Wenn Sie es doch einzurichten wüßten, daß ich nichts
-mehr mit dem Herrn Theophil zu thun hätte, sondern
-das, was ich von dem Baron fordern kann, in ungestörter
-Ruhe genösse.
-</p>
-
-<p>
-Das soll geschehen, sagte der Arzt. Nur schnell! wo
-ist Raimund?
-</p>
-
-<p>
-Sehn Sie, fuhr der Diener fort, wie soll ein armer
-bedrängter Domestik ehrlich bleiben, wenn es die vornehmen
-Herrschaften bei allem ihrem Ueberflusse nicht einmal
-sind? Der alte Herr glaubte immer, er würde das Vermögen
-besser brauchen können, als sein junger Neffe, der
-niemals so ganz seinen Verstand hatte; darum dachte er
-<a id="page-256" class="pagenum" title="256"></a>
-auch, das feine Wesen sollte mit Tode abgehn, weil die
-Leute immer sagen, solche Kinder und junge Leute wären
-zu gut für diese Welt. Wie er nun doch schon confus war,
-so meinte der Baron, der Tod des Fräulein Blanka, die
-auch besser für den Himmel paßte, würde den jungen
-Herrn auch dahin verhelfen; darum sollte ich ihn erschrecken,
-daß er nur recht schnell und ohne lange Leiden
-hinüber führe; und das alles wußte mir der Herr Baron
-ganz christlich vorzuschwatzen. Aber der junge Mensch
-hatte doch noch mehr Courage und Kraft, als wir ihm
-zugetraut hatten; er wurde freilich ein bissel lamentabel,
-und sein Verstand verfiel noch mehr, aber er blieb frisch
-weg am Leben. Da gab ihm der alte Herr einen andern
-Namen, schrieb Certificate, eine ganze lange Geschichte,
-die ich mir auch merken mußte; und das arme
-kranke Lamm ließ sich auch Alles gefallen; ob er so hieß,
-oder so, war ihm ganz gleich. Er wurde mir heimlich
-übergeben und ich brachte ihn ganz in der Stille auf das
-Haus da drüben über den Fluß, wo sie ihn gut verpflegen,
-und er sich, seit Fräulein Blanka für ihn todt
-ist, um nichts mehr kümmert. Ich bezahle vierteljährig
-seine Pension, die ich von einem Banquier erhebe, und
-so ist Alles in Ordnung.
-</p>
-
-<p>
-Was ist das für ein Haus? fragte Walther.
-</p>
-
-<p>
-Das berühmte Narrenhaus da drüben, antwortete
-Pankraz.
-</p>
-
-<p>
-Entsetzlich! rief der Rath; Du wirst uns nun Deine
-Papiere ausliefern, Dein Geständniß noch ein Mal wiederholen,
-und es unterschreiben, und so lange, bis Alles
-entschieden ist, im leichten Arrest bleiben. Doch noch eins:
-wer ist denn dieser Theophil?
-</p>
-
-<p>
-Der, sagte Pankraz, ist ein natürlicher Sohn unsers
-<a id="page-257" class="pagenum" title="257"></a>
-alten frommen Barons. Er schämt sich seiner, weil er
-ein Narr ist, und hat ihn bisher bald da, bald dort untergebracht.
-</p>
-
-<p>
-Man hörte den Theophil draußen lärmen. Er trat
-als Bedienter gekleidet in das Zimmer. Ich will meinen
-Pankraz haben, rief er aus.
-</p>
-
-<p>
-Ach, jammerte der Diener, ich bin zum armen Sünder
-geworden, und gegenwärtig im Arrest.
-</p>
-
-<p>
-O das ist herrlich! jubelte Theophil; schöner konnte
-ich meinen Geburtstag gar nicht feiern, als dadurch, daß
-sie den alten Kater zum armen Sünder gemacht haben!
-Das muß ich gleich draußen dem Herrn Kilian und Görge
-erzählen. Das wird ein Jubel im ganzen Lande seyn.
-Pankraz im Arrest! der weise Salomon, der schnurrende
-altfränkische Solon mit seiner Cato-Physiognomie und
-dem herrlichen Haarbeutel im Nacken ein armer Sünder!
-&mdash; Er stürmte fort und hörte nicht auf die Einreden
-der beiden Freunde, oder die kläglichen Bitten seines
-alten Dieners.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Kaum war der Stubenarrest und die sehr dürftige
-Kost dem armen Wolfsberg noch nöthig, um ganz sein
-Inneres zu erkennen, und alle seine Thorheiten und die
-Verderbniß seines Lebens einzusehn. In demüthiger Unterwerfung
-ergab er sich seinem Schicksal, und war kaum
-erfreut, als man ihm ankündigte, daß seine wohlverdiente
-Strafe ihm früher erlassen sei. Jetzt durfte er wieder
-den Saal betreten, und der Director, den er bis dahin
-so wenig wie Friedrich, seinen Verführer, gesehn hatte,
-ließ ihn sogar dahin einladen.
-</p>
-
-<p>
-Wolfsberg fand alle Thoren dort versammelt, und
-<a id="page-258" class="pagenum" title="258"></a>
-den Director mit dem Hut auf dem Kopfe sitzend. Dieser
-hielt ein Papier in den Händen, und seine Miene schien
-sehr verändert; doch konnte man nicht sagen, daß er heiterer,
-als gewöhnlich, aussah. Meine Freunde, fing er
-im Rednerton, aber mit einer weichen Stimme an, wir
-haben lange mit einander gelebt, viel mit einander ertragen;
-aber heut ist der Tag, an welchem wir von einander
-scheiden sollen. Man hat endlich meinen vielfältigen
-Gesuchen, mich in Ruhestand zu versetzen, nachgegeben,
-und der Mann, der nun als Vorsteher meine Anstalt
-übernehmen wird, soll noch heut Mittag eintreffen. Möge
-sein Verstand erleuchteter, als der meinige, und sein Sinn
-nicht unfreundlicher seyn!
-</p>
-
-<p>
-Die Thür ging auf, und Görge trat mit großer
-Dreistigkeit herein. Was giebt&rsquo;s, Bursche? fuhr der Director
-auf ihn los.
-</p>
-
-<p>
-Ich kann&rsquo;s nicht mehr zu Hause aushalten, sagte
-Görge ganz unbefangen. Sehn Sie, Herr Director, seit
-ich neulich &rsquo;mal hier war, bin ich wie ein verwandelter
-Mensch; mein Verstand ist aufgeklärter, und ich kann
-nun meinen lieben Aeltern nicht mehr so in Allem folgen,
-wie ehedem. Wenn ich das nicht recht mache, und jenes
-versehe, &rsquo;mal so spreche oder morgen anders denke, wie
-es zu Hause bei mir Mode ist; so wird die Mama immer
-sehr böse, und droht mir, mich in das Narrenhaus
-hier einsperren zu lassen. Gestern nun habe ich unserm
-Herrn Kilian wohl zwanzig Fledermäuse in die Stube
-geworfen: da hat er mich verklagt, und sie hat mir wieder
-gedroht, mich hieher zu schicken; da bin ich nun heute
-früh lieber gleich von selbst herüber gelaufen, und bitte,
-daß Sie mich eine Weile hier behalten; so könnte ich auch
-<a id="page-259" class="pagenum" title="259"></a>
-bei dem rothnasigen Herrn dort noch etwas lernen und
-mich ausbilden.
-</p>
-
-<p>
-Sokrates machte sich sogleich herbei, und faßte die
-Hand des lehrbegierigen Jünglings. Der Director lächelte
-und sagte mit sonderbarer Miene: wenn Strafe selber
-zum Lohn wird, so ist der Mensch gewiß am glücklichsten. &mdash;
-Ich bin in meiner Abschiedsrede von Euch, meine Freunde,
-unterbrochen worden, fuhr er hierauf in verändertem Tone
-fort. Ich habe dies Haus nun sechszehn Jahre bewacht;
-viele Gäste empfangen, viele gebessert entlassen. Ihr seid die
-letzten; und da ich Eure Besserung durch Pflege und Aufsicht
-nicht lange genug habe abwarten können, so will ich sie
-hiermit durch ein Machtwort veranstalten, und erkläre
-Euch nun hiermit für frei, hergestellt und gesund. Wie?
-Diese Gewalt wenigstens sollte mir nicht einmal geblieben
-seyn? Thut der Staat, der Fürst, die Universität
-denn etwas anders, wenn sie Doctorhüte, Titel und Würden
-austheilen? Da sehn wir ja täglich, wie Menschen
-plötzlich Verdienste und Tugenden haben und glänzen lassen,
-die kurz vorher nur wenig taugten, oder kaum über
-Vier hinaus zählen konnten. Alle Thore, meine theuern,
-so lange gehegten und gepflegten Freunde, sind offen; die
-Thürhüter haben den Befehl, Niemanden am Ausgehen
-zu verhindern. Diese letzte Wohlthat ist es, wozu ich
-noch heute meine Macht gebrauchen will. Ich kann meinem
-Amte nicht länger vorstehn; denn, wie mancher der
-Märtyrer oder Wunderthäter jener frühern Jahrhunderte
-die Sünden ihrer Mitbrüder, so habe ich mit Liebe und
-Mitleid alle Eure Gebrechen in meine Seele aufgenommen:
-und Viele sind dadurch geheilt, die Bösartigkeit
-Andrer ist dadurch gemildert worden. Aber Ihr könnt
-wohl selbst ermessen, dankbare Freunde, daß das keine
-<a id="page-260" class="pagenum" title="260"></a>
-Kleinigkeit für einen sterblichen Mann ist, in seinem engen
-Busen so hundert Narrheiten zu tragen und zu hegen,
-an deren <em>einer</em> schon jeder von Euch genug zu
-schleppen hat. Freilich war ich auch dadurch nur Monarch
-und Herrscher, in welchem sich alle Kräfte und
-Vorzüge centralisiren. Nicht wahr, ihr guten, lieben Unterthanen
-und Einfaltspinsel? Geht nun zurück in die
-Welt, und gewöhnt Euch doch endlich als gesetzte Männer
-die kindische Aufrichtigkeit ab, mit der Ihr Euch vor
-jedem Narren Eure Narrheit habt merken lassen. Schaut
-um Euch! Von Allen, die hier vorbei fahren und gehen,
-die auf dem Flusse schiffen, die in der Stadt dort wandeln
-und auf ihren Zimmern sitzen, gehören, wenn man
-die Strenge brauchen wollte, wenigstens zwei Drittheil
-hieher. Warum wollt Ihr nun so weichherzig seyn, jedem
-Eure Brust zu öffnen, und in die curiose Structur
-Eures Innern hinein schauen zu lassen? Ist es denn so etwas
-Schweres, die gewöhnlichen Redensarten der Vernünftigen
-zu gebrauchen, ihre Geschäfte zu treiben, trivialen
-Spaß zu machen, und ihnen ihre ganze Ehrwürdigkeit
-abzusehn und nachzuspielen? Kinder, glaubt mir
-doch, es gehört weit mehr Genie dazu, ein Narr zu seyn!
-Daher mag es auch Mangel an Muth seyn, wodurch sich
-die Meisten abhalten lassen, zu uns überzugehn. Denn
-ein trivialer Narr ist wirklich etwas recht Triviales.
-Wann nun der neue Herr Director ankommt, seht, Kinder,
-so wird er hier das leere Nest finden. Das glaube
-ich, wenn der sich so recht in die Fülle, wie in eine vollständige
-Haushaltung hinein setzen könnte, das wäre ein
-Jubel für ihn; Alles eingemacht, vollgesackt, geschlachtet
-und gepökelt für Herbst und Winter; die ganze Ernte,
-die ich so mühselig seit manchem Jahre habe sammeln
-<a id="page-261" class="pagenum" title="261"></a>
-müssen! Nein, er mag auch säen und pflanzen, die junge
-Zucht auffüttern, die alten Gänse nudeln und stopfen.
-Zehre er von seiner eignen Arbeit! &mdash; Lebt nun wohl
-und reicht mir Eure Hand, ehrwürdiger Sokrates! Geht
-und nehmt den jungen Alcibiades, den lieben Görge, mit
-Euch; bildet ihn, daß er Galimathias sprechen lerne, aber
-mit Maaßen, damit er nicht verkannt werde, wenn er
-das, was auf einen Monat ausreichen sollte, in einem
-Tage an den Mann bringt. Fahrt wohl, Ihr beiden
-Redner; übt Euch dort vor dem Volke, und rührt und
-erbaut die Welt durch Liebe und erhabene Gesinnung!
-Indianer, großgesinnte Menschen mit edeln Inspirations-Gaben
-versehn, errichtet dort eine Akademie, um die trockne
-Welt geheimnißvoller zu machen und sie mit tiefer Mystik
-zu nähren! Begleitet diese Edeln, Ihr Lesender; und
-wenn Ihr unserm Jahrhundert Alles rücklings lesen und
-stellen könnt, so werdet Ihr Euch vielen Dank verdienen:
-ja der bloße Versuch wird Euch schon glänzend belohnt werden.
-Ihr Baukünstler, bezieht wieder Euer Haus, das Ihr als
-aufgeblühte Schönheit verließet, und das nun zu einem
-alten Mütterchen zusammen geschrumpft ist! Pygmäenfeind,
-geht und vertreibt die bösen Geister! Ihr, Graf
-Birken, macht Euch davon, und laßt nun Weiber und
-Mädchen in Ruhe! Herr von Linden, oder Methusalem,
-wie sie Euch hier nennen, verschwindet in Eil: denn Ihr
-macht hier nur theure Zeit, da Ihr sie so entsetzlich consumirt.
-Wie? wenn ich Euch nun die Zehrungskosten
-nebst Zinsen für die hundert tausend Jahre abfordern wollte,
-die Ihr hier, Eurem eignen Geständnisse nach, zugebracht
-habt? Meilen weit hier herum kann das Kind im Mutterleibe
-keine Zeit zum Wachsen finden, da Ihr Alles in
-Euch schlingt. &mdash; Friedrich, lebt wohl, und grabt keine
-<a id="page-262" class="pagenum" title="262"></a>
-Schätze mehr, sonst grabt Ihr Euch selber die Grube, in
-die Ihr hinein fallt!
-</p>
-
-<p>
-Jeder mußte ihm, indem er vorüber ging, die Hand
-reichen. Alle verließen das Haus; nur Friedrich erklärte,
-daß er niemals weichen wolle. Sieh, rief der Director,
-am Fenster stehend, wie sie sich verbreiten und dahin ziehen,
-die lieben Pilgersleute! Sie werden es doch vielleicht
-nicht wieder so gut finden, als hier. Mancher wird
-sich zurück sehnen!
-</p>
-
-<p>
-Ein Wagen fuhr in den Hof, und der Mann, welcher
-herausstieg, war sehr verwundert, alle Thore offen
-zu finden. Noch mehr erstaunte er aber, als er sich dem
-zeitherigen Director näherte, und erkannte, daß dieser
-plötzlich ein Kranker seiner eignen Anstalt geworden sei.
-Er gab sich ihm als Doctor Anselm zu erkennen, welchem
-die Regierung diesen Posten anvertraut habe: doch jener
-antwortete bloß: ja, bester Mann, Sie finden mich ganz
-allein hier, als Stock und Stamm, der wohl wieder
-Früchte tragen mag, doch aber jetzt abgelaubt ist. Für
-etwas, wenn auch nicht für viel, kann mein Friedrich
-gelten.
-</p>
-
-<p>
-Anselm ließ sogleich einige Diener zu Pferde ausreiten,
-um, wo möglich, noch einige der Flüchtlinge einzuholen.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Görge ging mit seinem neu erworbenen Sokrates
-seiner Heimath zu. Sie müssen sich nur nicht Sokrates
-nennen, machte er ihm begreiflich; denn das klingt so
-heidnisch: so können Sie gewiß in unserm Hause bleiben,
-und mir Unterricht geben. Der Papa suchte schon seit
-lange einen Lehrer: er hilft Ihnen gewiß durch, und thut,
-<a id="page-263" class="pagenum" title="263"></a>
-als wenn er Sie dort oben nicht gesehn hätte; meine
-Schwester darf nichts ausplaudern, sonst verrathe ich ihre
-schwärmerische Liebe zu dem Windbeutel Theophil; bloß
-die Mama müssen wir betrügen, und Sie müssen sich nur
-hübsch klug und weise stellen.
-</p>
-
-<p>
-Ich brauche mich nicht so zu stellen, antwortete Sokrates;
-das ist meine wahre Natur.
-</p>
-
-<p>
-In einiger Entfernung hinter diesen schlich Wolfsberg;
-er ging nur langsam, und sehnte sich nach einer Erquickung.
-In dem großen Dorfe, wo der Junker ihm mit
-seinem Mentor aus den Augen verschwand, ließ er sich in
-dem Gasthofe ein Zimmer geben, und bestellte sich Essen
-und Wein. Er legte sich indessen auf das Bett, um etwas
-zu schlafen; aber kein Schlummer befiel sein Auge,
-denn tausend gute Vorsätze, Lebensplane und Erinnerungen
-besuchten ihn jetzt, da er sich nun endlich der Freiheit
-zurück gegeben sah, die er sich seit so mancher Woche vergeblich
-gewünscht hatte. Die heitre frische Herbstluft zog
-durch das offne Fenster, und stärkte seine Sinne. Wie
-ist mir wohl! sagte er zu sich selbst: warum habe ich denn
-so manches Jahr diese Empfindungen verschmäht, die mich
-jetzt besuchen, und die doch das theuerste Leben meines Lebens
-sind?
-</p>
-
-<p>
-Ein sonderbares Gezänk, das draußen vorfiel, erregte
-erst seine Aufmerksamkeit und zog ihn dann ans Fenster.
-Ein alter Mann stritt mit einem jungen, und sagte jetzt
-eben: nein, Sie müssen mit uns gehen, und daß ich Ihnen
-Ihre Baarschaft oder Ihre Wechsel jemals wieder geben
-sollte, darauf machen Sie nur sich keine Rechnung; denn
-wenn ich nicht als ein kluger Mann Ihre Capitalien in
-Verwahrung genommen hätte, so hätte es wohl so kommen
-können, wie uns der fremde Herr wahrsagte, daß
-<a id="page-264" class="pagenum" title="264"></a>
-mein altes Auge Sie nie wieder sah, und meine arme
-Tochter sich der Verzweiflung ergeben mußte.
-</p>
-
-<p>
-Wolfsberg sah sich hier wieder einen Spiegel vorgehalten,
-der ihm die Scene noch weit interessanter machte.
-Aber, Herr Kilian, es ist doch mein Geld, sagte der
-junge Mensch.
-</p>
-
-<p>
-Was, Kilian? schrie der Alte; Herr <em>Schwiegervater</em>
-müssen Sie zu mir sagen, so wie ich Sie auch lieber
-hochgeborner Herr Schwiegersohn, als Graf von Birken
-tituliren werde.
-</p>
-
-<p>
-Wie? sagte Wolfsberg zu sich selbst, dies also ist der
-junge verkehrte Mensch, für den ich so lange habe leiden
-müssen? &mdash; Seine Aufmerksamkeit hatte den höchsten
-Grad erreicht, und weil er dem Gespräche so eifrig zuhörte,
-bemerkte er nicht, daß zwei fremde Menschen durch
-den Baumgarten herbei kamen. Kommen Sie, ohne Umstände,
-rief der Pfarrer jetzt von Neuem, oder ich lasse
-Sie aus meiner Machtvollkommenheit als Mädchenverführer
-und Jungfrauenräuber arretiren.
-</p>
-
-<p>
-Einen solchen suchen wir eben, sagte der eine Fremde,
-einen jungen Grafen Birken, der ein Verbrecher und Narr
-zugleich seyn soll. Alle Thörichten haben sich heut aus
-dem Narrenhause befreit, und das ganze Land ist nun im
-Aufruhr, sie wieder einzufangen.
-</p>
-
-<p>
-Wolfsberg erschrak; er wollte schnell den Kopf zurück
-ziehn, aber man hatte ihn schon bemerkt. Er sammelte
-sich und rief von oben herab: Sie suchen den Grafen
-Birken? Der dort ist es, der mit dem alten Manne
-spricht.
-</p>
-
-<p>
-Der Graf erschrak, der Geistliche sammelte sich aber
-bald. Schwiegersohn oder Arrestant? fragte er den jungen
-Mann schnell und leise. &bdquo;Ach! Schwiegersohn!&ldquo;
-<a id="page-265" class="pagenum" title="265"></a>
-wimmerte dieser kläglich, und der Geistliche sagte mit fester
-Stimme: meine Herren, ich bin der Pastor dieses
-Orts; dieser mein Herr Schwiegersohn wohnt schon seit
-vierzehn Tagen in meinem Hause; aber dem Menschen
-da oben sieht ja der Vagabunde und der Narr obenein
-aus den Augen heraus. Ich gebe Ihnen mein Wort, er
-ist der entsprungene Graf Birken!
-</p>
-
-<p>
-Er nahm seinen Schwiegersohn unter den Arm und
-führte ihn mit starker Hand davon. Die Fremden bemächtigten
-sich des unglücklichen Wolfsberg, erlaubten
-ihm kaum, sein bestelltes Mittagsessen zu genießen, und
-schleppten ihn wieder in seine alte Haft zurück.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Der Rath Walther war im Begriff, in schnellster
-Eile nach der Stadt zu fahren. Nur auf eine halbe
-Stunde wollte er in dem Dorfe beim Pfarrer Kilian
-einsprechen, und scheute deßhalb den Umweg nicht, weil er
-doch vielleicht irgend eine Nachricht durch ihn erhalten
-könnte. Als er nach dem Dorfe einbeugte, sah er seitwärts
-neben den Bergen auf einer grünen Wiese den
-Fluß entlang eine Gestalt gedankenvoll wandeln, die sein
-entzücktes Auge bald als seinen geliebten Raimund zu erkennen
-glaubte. Er ließ halten und wollte über die kleine
-Brücke dem Wasser zueilen, als er Schalmeien, Clarinetten
-und Waldhörner vernahm, und einen langen Zug
-geputzter Bauern und Bäuerinnen sich entgegen kommen
-sah. Alles jubelte, und in der Mitte gingen neben dem
-Pfarrer zwei wunderlich geschmückte Gestalten, die er für
-Graf Birken und die Tochter des Pfarrers erkannte, deren
-grüner Kranz in den brandrothen Haaren sie deutlich als
-Braut ankündigte.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-266" class="pagenum" title="266"></a>
-Da der Rath wußte, wie wichtig es seinem Freunde,
-dem Arzte seyn mußte, daß die Trauung nicht vor sich
-ginge, so begab er sich, statt nach jener Wiese, in die
-Mitte des Brautzuges. Er wollte sprechen; aber die lärmende
-Musik ließ ihn nicht zu Worte kommen; besonders
-da der Pfarrer die Musikanten zum Blasen und das junge
-Volk zum Schreien ermunterte, um nur den lästigen Besuch
-zu übertäuben und zu verscheuchen. Des Rathes
-Anstrengungen wären auch für jetzt vergeblich gewesen,
-wenn nicht einige Reiter herbei gesprengt wären, die dem
-Zuge Halt geboten. Die Musik verstummte, und diesen
-Augenblick der Ruhe benutzte Walther, um seinen Einspruch
-gegen die Feierlichkeit vorzutragen und zu erklären,
-daß der junge Graf noch nicht mündig, außerdem auch
-thöricht im Haupte sei. Des Pfarrers bemeisterte sich ein
-erhabener Zorn. Ich weiß nicht, rief er aus, warum sich
-alle Welt in Bosheit gegen meinen verehrten Schwiegersohn
-und meine geliebte Tochter verschworen hat! Er
-thöricht im Haupte? Wissen Sie, <a id="corr-14"></a>unbekannter Freund, was
-das sagen will?
-</p>
-
-<p>
-Die Reiter begehrten ebenfalls angehört zu werden.
-Sind Ihnen sonst keine Narren begegnet, fragte der erste
-sehr eifrig: das ganze Narrenhaus hat sich frei gemacht,
-wir sind alle in den Dörfern aufgeboten, sie wieder einzufangen.
-Jeder Reisende ist jetzt verdächtig; man prüft
-alle Welt sehr scharf, und selbst der Vernünftigste muß
-sich in Acht nehmen, nicht aufgegriffen zu werden; denn
-Narren müssen sie nun doch einmal dort oben wieder haben.
-</p>
-
-<p>
-Sind Ihnen Verdächtige vorgekommen, Herr Pastor?
-fragte der zweite.
-</p>
-
-<p>
-Ich untersage hiermit diese Hochzeit! rief der Rath
-im höchsten Unwillen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-267" class="pagenum" title="267"></a>
-Der Pfarrer, welcher das Grafthum seiner kleinen
-Tochter von Neuem in Gefahr sah, dessen Vaterliebe Alles
-daran setzte, sich diesen Schwiegersohn zu sichern, und
-dem mit Wolfsberg schon der kühne Streich gelungen war,
-rief jetzt laut: hier, meine Herren, sehn Sie einen solchen
-Wüthigen vor sich, der sogar die heilige Ceremonie durch
-seine Raserei stören will!
-</p>
-
-<p>
-Was? rief Walther aus; ich ein Rasender?
-</p>
-
-<p>
-Sehn Sie nur, sagte der Pfarrer gesetzt, wie ihm die
-Augen wie zwei Feuerräder im Kopfe herum gehn! Er
-ist toll; wir erkennen ihn Alle dafür an.
-</p>
-
-<p>
-Ja, schrieen die Musikanten, und am lautesten der
-Graf: es ist der tolle Mensch, der schon seit acht Tagen
-hier herum läuft.
-</p>
-
-<p>
-Geben Sie Acht, was Sie thun, sagte der Rath etwas
-besänftigt; ich wollte eben nach der Stadt; ich bekleide
-dort jetzt die Stelle des Gerichtspräsidenten.
-</p>
-
-<p>
-Vor Hochmuth ist er übergeschnappt, rief der Pfarrer;
-allons! fort mit ihm! &mdash; Fort mit ihm, schrie der
-ganze Haufe. Die Reiter hatten schon ein drittes, lediges
-Pferd herbei geschafft; Walther ward hinauf gepackt,
-und ehe er noch sagen konnte, daß sein Wagen vor dem
-Dorfe halte, trabten seine Begleiter mit ihm fort: denn
-das Singen und Schreien der Menge, die betäubende Musik,
-und die Glocken, welche die Ceremonie einläuteten,
-machten für jetzt jede Erörterung unmöglich. Walther
-mußte gezwungen den Weg zur neuen Behausung seines
-Freundes antreten; der Pfarrer aber schleppte als Sieger
-seinen mühsam errungenen Schwiegersohn in die Kirche,
-mit dem Vorsatz, sich späterhin lieber jeder Verantwortung
-zu unterziehn, als das Horoskop Lügen zu strafen!
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-<a id="page-268" class="pagenum" title="268"></a>
-Der neue Director Anselm hatte sich indessen um seinen
-kranken Collegen bemüht, und es war ihm auch gelungen,
-den alten Mann wieder ziemlich zu beruhigen.
-Dieser sah seinen Zustand ein, und fühlte sich beschämt,
-daß er so leicht jenem Gelüste nachgegeben, welches ihm
-noch kürzlich der Prediger als so gefährlich geschildert hatte.
-Er besaß in der Nähe ein Landhaus, auf welches er sich
-verfügte, und Anselm sah ihn gern abreisen, weil er überzeugt
-war, daß die schnell erzeugte Unpäßlichkeit in einigen
-Tagen auf immer verschwinden müßte.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt ward eine Gesellschaft von Reisenden gemeldet,
-die das Haus besehn wollten. Anselm ging ihnen entgegen,
-sie zu bewillkommen, und zugleich zu entschuldigen,
-daß ihre Neugier sich diesmal mit einem einzigen Vernünftigen
-begnügen müsse. Voran in den Saal trat ein
-langer alter Herr, dem die Uebrigen große Verehrung bezeigten;
-er führte an seinem Arm ein phantastisch geschmücktes
-Frauenzimmer, die dem Arzte bekannt schien,
-obwohl er sich ihrer nicht gleich erinnern konnte. Ein
-breitschultriger junger Mann folgte, und als letzte Begleiterin
-schlich ein blasses, krankes Mädchen nach, die Strickkorb
-und Tuch ihrer lachenden und übermüthigen Gebieterin
-demüthig trug.
-</p>
-
-<p>
-Wir kommen, sagte der angesehene Mann, Ihre Anstalt
-zu betrachten; meine junge Gemahlin hat dergleichen
-noch niemals gesehn, und der Bruder meiner Frau hat
-noch andere philosophische und künstlerische Absichten bei
-dieser Reise.
-</p>
-
-<p>
-Sind die Narren aber auch nicht fürchterlich? fragte
-die junge Dame; ist man nicht auch in Gefahr angesteckt
-zu werden?
-</p>
-
-<p>
-Anselm erzählte ihnen die unglückliche und doch lächerliche
-<a id="page-269" class="pagenum" title="269"></a>
-Begebenheit, worauf der alte Herr sehr betreten
-und erblaßt zurück fuhr und ausrief: wie? Alle entlaufen?
-Schrecklich! Und auch ein gewisser Baron Linden
-unter den Geflüchteten?
-</p>
-
-<p>
-Ja wohl; leider, sagte der Arzt, indem er den Sprechenden
-näher ins Auge faßte.
-</p>
-
-<p>
-Das ist ein Jammer, rief der robuste junge Mensch
-aus; so bin ich denn vergebens hieher gereiset? Mir
-fallen jetzt bei unserm Theater die wichtigen Rollen des
-Macbeth und Lear zu, und für diese möchte ich so gern
-hier meine Studien machen; denn seit unser Großprahler,
-der Adlerfels, so ganz verschollen ist, und man nirgend
-von ihm hört (Schade um den übrigens guten Künstler!),
-so muß ich doch nothwendig die Lücke ausfüllen, die mit
-seinem Verlust bei uns entstanden ist.
-</p>
-
-<p>
-Du solltest ihn nicht nennen, <span class="antiqua">mon frère</span>, sagte die
-Dame: sieh nur, wie Fanny wieder von Erinnerung ergriffen
-wird.
-</p>
-
-<p>
-Auf den großen Mann, sagte der Bruder, hätte sich
-das Köpfchen ja doch niemals Rechnung machen dürfen.
-</p>
-
-<p>
-Friedrich, der auch zugegen war, sagte: es ist außer
-mir Niemand im Hause, als der berüchtigte Graf Birken;
-den haben sie vor Kurzem mit Gewalt wieder zurück
-geschleppt.
-</p>
-
-<p>
-Graf Birken? rief der Arzt höchst erfreut aus; o
-diesen führe sogleich zu mir, guter Mann. Zugleich
-winkte er den Baron in ein Fenster, um im Geheimen
-mit ihm zu sprechen: ich habe die Ehre, fing er an, den
-Herrn Baron Eberhard vor mir zu sehn. Jener verbeugte
-sich. Wenn Ihr Neffe, fuhr der Arzt fort, jetzt sich wieder
-fände, würden Sie gewiß seiner Verbindung mit Fräulein
-Blanka nichts mehr in den Weg legen. &mdash; Wenn er
-<a id="page-270" class="pagenum" title="270"></a>
-noch lebte, der liebe Jüngling, sagte jener süßlich, und sie
-den Verstand wieder gefunden hätte, &mdash; doch scheinen das
-unmögliche Dinge zu seyn! &mdash; &bdquo;Doch nicht viel unmöglicher,
-sagte Anselm, als daß dieser nämliche Neffe lange
-als Baron Linden hier im Hause gelebt hat.&ldquo; &mdash; &bdquo;&bdquo;Ei!
-was Sie mir sagen!&ldquo;&ldquo; &mdash; &bdquo;Sie mußten es doch wohl
-wissen, da Sie sich gleich so angelegentlich nach dem jungen
-Linden erkundigten.&ldquo; &mdash; &bdquo;&bdquo;Ich? Ja, sehn Sie
-einmal, &mdash; daß ich nicht wüßte,&ldquo;&ldquo; &mdash; stotterte jener.
-</p>
-
-<p>
-Sie sind ein so berühmter Christ, fuhr Anselm fort,
-Ihre Frömmigkeit und Menschenliebe sind so exemplarisch,
-daß Sie ganz gewiß in alle meine Bitten und Vorschläge
-willigen werden, da ich es gleich gut mit Ihnen, wie mit
-Ihrem Neffen meine.
-</p>
-
-<p>
-Je, du mein Himmel, ächzte der Baron, wir sind ja
-alle gute Menschen. Wann ich nur erst wüßte, wodurch
-ich die Ehre habe, von Ihnen gekannt zu seyn.
-</p>
-
-<p>
-Die arge Welt könnte glauben, fuhr Anselm leise im
-sanftmüthigsten Tone fort, Sie hätten es auf das Vermögen
-Ihres lieben Neffen angesehn, besonders weil ein alter
-Schuft sich nicht entblödet, auszusagen, ein gewisser Pankraz &mdash;
-</p>
-
-<p>
-O der Galgenschwengel! rief der Baron: was sagt
-er aus? der soll mir Alles bezahlen!
-</p>
-
-<p>
-Sehn Sie einmal, indem Anselm die Bogen aus einander
-faltete, diese weitläuftige Anklage, vor Zeugen ausgesagt
-und unterschrieben. Es ist entsetzlich! Was gewinnt
-aber ein frommes Herz, wie das Ihrige, dabei,
-einen solchen Menschen zu bestrafen? Nein; sammeln
-Sie feurige Kohlen auf sein Haupt; belohnen Sie ihn
-großmüthig und übermäßig, daß er in sich geht, und an
-Ihrem Edelmuth hinauf staunend, an Tugend glauben lernt.
-<a id="page-271" class="pagenum" title="271"></a>
-Sie könnten ihm wohl ein Häuschen, ein kleines Capital,
-eine mäßige Wiese und einige Aecker schenken, wie ihm ein
-sonderbarer Mann, der seit gestern Gerichtspräsident hier
-drüben in der Stadt ist, etwas voreilig in Ihrem Namen
-schon versprochen hat: ein gewisser Walther, er hat auch
-die Ehre, mit Ihnen verwandt zu seyn, und denkt Ihnen
-auch die Mühe abzunehmen, künftig noch des Vermögens
-wegen, das Ihrem Neffen zusteht, Sorge zu tragen.
-</p>
-
-<p>
-Je du mein Gott, ja, &mdash; Alles herzlich gern! seufzte
-der Alte kaum hörbar.
-</p>
-
-<p>
-Wie wäre es denn nun noch zuletzt, theuerster Mann,
-den ich immer mehr verehren muß, wenn Sie auch Ihren
-armen Sohn, den Theophil, legitimirten, und ihm ein anständiges
-Auskommen gewährten. Würde Ihr Herz darüber
-nicht eine unbeschreibliche Freude empfinden?
-</p>
-
-<p>
-Ach ja, sagte jener, eine unbeschreibliche Freude, und
-da Sie es wünschen &mdash; und Sie eine gewisse Art zu bitten,
-&mdash; und zum Herzen zu sprechen haben, &mdash; o Himmel!
-die Thränen stehn mir in den Augen, daß ich eine solche
-Bekanntschaft gemacht habe.
-</p>
-
-<p>
-Ich bin im Innersten gerührt, erwiederte Anselm.
-Sie umarmten sich herzlich, und der Baron wischte sich
-die Tropfen des kalten Angstschweißes von der Stirn;
-lange bin ich nicht so bewegt gewesen, seufzte er, und
-blickte zum Himmel. Und ich, erwiederte Anselm, habe
-auch, so lange ich lebe, an keinem so großen Herzen
-gelegen.
-</p>
-
-<p>
-Der Baron trat zur schäkernden Gattin. Sie werden,
-sagte er fromm, in diesen Tagen einen Sohn von
-mir kennen lernen: auch ist mein Neffe wieder gefunden,
-und ein alter Diener Pankraz wird das kleine Gütchen
-<a id="page-272" class="pagenum" title="272"></a>
-Liebendorf erhalten, welches Sie dem Pachter verkaufen
-wollten.
-</p>
-
-<p>
-Das ist ja viel in einer kleinen Viertelstunde, sagte
-sie, und maaß den Director mit großen Augen.
-</p>
-
-<p>
-Es geht fast zu, wie im Lustspiel, sagte dieser.
-</p>
-
-<p>
-Ja, sagte der Baron, der Herr Director haben mir
-Eröffnungen gemacht, und auf eine Art &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Hier kommt Graf Birken, schrie Friedrich; er wollte
-sich erst gar nicht dazu bequemen.
-</p>
-
-<p>
-Wolfsberg trat herein; der Arzt ging ihm entgegen,
-aber beide fuhren in demselben Augenblicke vor einander
-zurück. Sie, Herr von Wolfsberg hier? unter diesem Namen?
-Und so verwandelt? so abgefallen? So drückte
-mit wiederholten Ausrufungen der Arzt sein Erstaunen
-aus. Die Uebrigen im Saale waren nicht ruhiger. Fanny
-lag in Ohnmacht, und Wolfsberg, der jetzt erst die Gruppe
-sah, machte sich aus den Armen des umhalsenden jungen
-Mannes, der einmal über das andre: mein Adlerfels! rief,
-los und eilte der Niedergesunkenen zu Hülfe. Er kniete
-zu ihr nieder, er legte ihr Köpfchen auf seinen Schooß:
-o meine geliebte, meine theuerste, meine einzige Franziska!
-rief er in den zärtlichsten Tönen; entziehe Dich mir jetzt
-nicht wegen meiner Missethat, entfliehe mir nicht, denn ich
-bin kein Herzloser mehr: ich kehre zu Dir zurück, wenn
-Du mich noch würdigest, mich Dein zu nennen! Ich bin
-ja aus meinem tiefen Elende zu mir selber erwacht; o so
-erwache denn auch Du zu diesem Leben wieder!
-</p>
-
-<p>
-Franziska schlug die ermatteten, aber schönen Augen
-auf. Sie konnte an ihr Glück nicht glauben, daß sie in
-dessen Armen lag, der sie mit so grausamem Hochmuthe
-von sich gestoßen hatte. Du mein? stammelte sie;
-gewiß?
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-273" class="pagenum" title="273"></a>
-Ja, mein süßes Herz, erwiederte Wolfsberg, der sich
-nun als Adlerfels ausgewiesen hatte; ja ich kehre mit
-Dir zurück, Du wirst meine Gattin, und alle Schmerzen,
-allen Hohn, den Du um meinetwillen ertragen hast, will
-ich Dir vergüten, wenn ich es vermag. Und unser Kind,
-das arme Würmchen, lebt es denn noch?
-</p>
-
-<p>
-Die liebe Bertha, sagte die Entzückte, ist zu Hause,
-bei meiner Schwester. Gott! wie wird sich Alles freuen!
-</p>
-
-<p>
-Ich gratulire, Fanny, sagte die gnädige Frau: nun
-gieb mir nur Strickkorb und Shawl her, daß ich es selber
-trage.
-</p>
-
-<p>
-Bruder, rief der andre Schauspieler, wie wird das
-Publikum sich freuen, Dich in Deinen Effect-Rollen wieder
-auftreten zu sehn.
-</p>
-
-<p>
-So eben, rief Friedrich herein springend, haben sie
-noch einen ganz neuen Narren eingefangen. Das geht
-scharf her.
-</p>
-
-<p>
-Walther trat lachend ein und man verständigte sich
-sogleich. Anselm stellte ihn dem Baron vor und sagte
-ihm kurz, daß das edle Herz des frommen alten Herrn in
-Alles gewilligt habe, was er nur irgend als Mensch oder
-Rechtsgelehrter von ihm fordern könne. So laßt uns
-denn, rief Walther, nach dem Dorfe zurück kehren, von
-dem ich eben herkomme, denn wenn meine Augen nicht
-ganz zu Lügnern geworden sind, so haben sie dort meinen
-geliebten Raimund erblickt.
-</p>
-
-<p>
-Wirklich war es Raimund gewesen, den Walther erst
-erspäht hatte. Stumm und in sich gekehrt hatte der
-Jüngling das Haus verlassen. Er begriff nicht, was ihm
-geschah; er wußte auch nicht, wo er hin wollte. So ging
-er dem Fußsteige nach, der ihn bald in den Wald führte.
-Er sann seinem verschwundenen Leben nach, und ihm
-<a id="page-274" class="pagenum" title="274"></a>
-ward fromm und heilig zu Sinne. War es doch, als fielen
-verhüllende Schleier von seinem Gemüthe und Herzen
-herunter. Er kam an einen grünen runden Platz im
-Walde, wo er sich unendlich bewegt fühlte. Er sah sich
-um, um sich zu erkennen, und eine alte Birke, in welcher
-noch die Namenszüge, die er einst eingegraben, fast unkenntlich
-verwachsen waren, erinnerte ihn an Alles. Er
-war noch ein Kind gewesen, als er hier einmal von seiner
-theuren Mutter Abschied genommen hatte; bis hieher
-hatte er sie begleiten dürfen, und von dieser Stelle kehrte
-er mit seinem Vater wieder nach dem Schlosse zurück. Er
-ahndete damals nicht, daß er nach einem Jahre schon beide
-Aeltern beweinen sollte. Das Gut wurde nachher vom
-Oheime vortheilhaft verkauft, und Raimund hatte seit seiner
-Kindheit diese Gegend nicht wieder gesehn. So wie
-er jetzt zu diesen Erinnerungen immer deutlicher erwachte,
-wie die Sehnsucht nach den Scenen seiner Kindheit, nach
-dem Kirchhofe, wo seine Aeltern ruhten, in ihm wuchs; so
-empfand er es, wie jene dumpfe Angst immer mehr verschwand,
-die bis dahin seinen Geist wie in einem finstern
-Kerker eingefangen hielt. Er verließ den Wald, da lag
-der kleine Fluß vor ihm, der vom Wohnsitze seiner Kindheit
-herströmte. Alle Wogen schienen ihn zu grüßen, jede
-Blume am Ufer ihm einen kindlichen Gruß zuzunicken.
-Da fand er schon die Mühle im engen Thal, die ihm als
-Knaben mit ihren rauschenden Rädern so wunderbar erschienen
-war. Sie ist ja jetzt nicht weniger wundervoll,
-sagte er zu sich, wenn ich gleich weiß, was und wozu sie
-da ist. Er ging vorüber, und wollüstige erleichternde
-Thränen strömten aus seinen Augen. Da war der Bergschacht,
-der ihm so entsetzlich vorgekommen war; er ging
-dicht hinan, und erinnerte sich der grauenvollen Sagen,
-<a id="page-275" class="pagenum" title="275"></a>
-die von ihm im Lande umgingen. Nun sah er schon den
-wohlbekannten Berg seines Geburtsortes, die rothe hohe
-Felswand und die von oben herabhangenden Bäume. Da
-schimmerte auch schon das Dach des Schlosses herüber.
-Es schmerzte ihn, daß er nicht in das Thor vertraut eintreten
-dürfe, daß fremde Menschen, die er nur wenig
-kannte, in den Zimmern wohnten, wo seine Wiege gestanden,
-wo sein Vater ihm vorgelesen, wo seine Mutter ihn
-in einer Krankheit auf ihrem Schooße eingesungen hatte.
-Auf dem Kirchhofe kniete er mit Andacht an der Gruft.
-Er nahm sich nun fest vor, seine Freunde wieder aufzusuchen,
-und nachzuforschen, wer ihm das Schicksal bereitet
-haben könne, das ihm erst jetzt seltsam erschien. Doch
-mußte er, ehe er weiter ging, die einsame Wiese hinter
-des Pfarrers Garten besuchen, den Spielplatz seiner Kindheit,
-wo er unter der hohen Linde so manchmal im grünen
-Grase halb eingeschlummert war, auf das Säuseln der
-Blätter, das Summen der Bienen, und das Plätschern des
-nahen Baches horchend, wo Alles wie süßer Geistergesang
-ihn anredete, und er noch lieblicher aus seinen Träumen
-Antwort gab. Nun stand er wieder unter dem Baume,
-und eine himmlische Müdigkeit ergriff ihn, wie damals;
-er tauchte die brennenden, thränennassen, jetzt so bleichen
-Wangen in das kühle grüne Gras, und die Bienen
-schwärmten im Baum, die Blätter schwatzten mit ihnen,
-das Flüßchen erzählte sich selbst eine alte Geschichte, und
-er entschlief wieder, wie in der Kindheit. &mdash; &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Ein Wagen hielt am Dorfe. &bdquo;Willst du ruhen,
-mein Kind?&ldquo; &mdash; fragte die Mutter. &mdash; &bdquo;&bdquo;Ja, aber im
-Freien.&ldquo;&ldquo; &mdash; &bdquo;Bist du auch wohl genug?&ldquo; &mdash; &bdquo;&bdquo;O Sie
-sorgsame, treue, mütterliche Pflegerin, antwortete die Tochter,
-Sie sehn ja, wie es mit meiner Gesundheit mit jedem
-<a id="page-276" class="pagenum" title="276"></a>
-Tage besser wird. Vertrauen Sie mir nur mehr, damit
-ich mir auch selber wieder vertraue. Nein, Geliebteste,
-jene trübe Zeit wird niemals wieder kehren; aber ich fühle
-es, durch diesen fürchterlichen Zustand mußte sich meine
-Krankheit arbeiten, damit ich wieder genesen konnte.&ldquo;&ldquo; &mdash;
-Bist du dessen so gewiß, meine Tochter? Dann möchte
-ich Gott mit Thränen für die Verzweiflung danken, durch
-welche er mich damals geprüft hat.
-</p>
-
-<p>
-Gewiß, liebe Mutter, sagte die reizende Tochter.
-Kenne ich doch nun mein ganzes Unglück; es ist mir kein
-düstres Geheimniß mehr. Wenn ich an die Ewigkeit der
-Liebe glaube, warum sollte ich denn jemals verzweifeln?
-Hier ist er geboren! O hätte ich ihn doch als Kind gekannt!
-Eine Welt voll Glück wäre mehr in meinem Besitz!
-Hier ist er auch wohl gewandelt; alle diese Gegenstände
-hat sein frisches Auge, wie oft, begrüßt. Nur
-über die Wiese will ich gehn, ein Viertelstündchen am
-Bache ruhn, so recht an ihn denken; dann komm&rsquo; ich zurück
-und wir reisen weiter. Aber allein müssen Sie mich
-lassen! &mdash; Sie umarmte die Mutter, und schritt über die
-kleine hölzerne Brücke. &mdash; &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Raimund träumte indessen einen seltsamen Traum.
-Der Wahnsinn war die Wahrheit, und was die Menschen
-Vernunft nannten, nur ein dämmernder Schimmer. Auch
-kein Raum war da, und keine Zeit. So wie auf den alten
-Stammbäumen es abgebildet ist, sah er sich aus dem
-Herzen eine hohe Blume wachsen; sie wurde von seinem
-Herzblut getränkt, und ihr rother Glanz ward immer mehr
-zum goldnen Purpur. Da sang es im wiegenden Kelch,
-er that sich süßflötend auf, und Blanka schaukelte sich drin
-hin und wieder, wie in einem durchsichtigen Kahn. Da
-blickte er über sich, und ihr blaues Auge ging in das seine;
-<a id="page-277" class="pagenum" title="277"></a>
-da zitterte sein Herz und mit ihm die Blume. Warte, rief
-sie, jetzt stirbt mein Blumenhaus ab, ich komme draußen
-in der Wirklichkeit zu dir! Sie schlüpfte auf den Rasen
-und stellte sich unter die Linde. &mdash; Gott im Himmel,
-hörte er sagen, das ist Raimund! Er schlug die Augen
-auf, und Blanka&rsquo;s blaues Auge ging in das seine. Er
-kannte sie gleich. Sie umschlossen sich, als wenn die Arme
-sich nie wieder los lassen wollten. Auf den lauten Freudenschrei
-eilte die Mutter herbei, und fand das unvermuthete
-Glück, das sie noch nicht begriff. Auch Walther und
-Anselm kamen. Walther war so entzückt und berauscht,
-als wenn er selbst der Bräutigam wäre.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Im Hause des Pfarrers tobte indessen ein lautes Getümmel.
-Die Hochzeitgäste waren so lustig, daß es die
-Glücklichen endlich auch auf der Wiese hörten. Der alte
-Baron hatte indessen schon seinen Sohn Theophilus heraus
-gesucht und ihm unter Umarmungen seine Vaterschaft
-erklärt. Ich habe nun auch einen Vater! rief Theophilus
-im Hause lärmend umher, und schlug laut lachend
-mit den Beinen aus, als der Pfarrer ihm dazu vernünftig
-Glück wünschen wollte. Wolfsberg machte es mit
-dem Pfarrer ab, daß er ihn in den nächsten Tagen mit
-seiner überglücklichen Franziska verbinden sollte. Der
-Gerichtspräsident Walther konnte in der Leidenschaft des
-Glücks nicht so mit dem Geistlichen sprechen, wie dieser es
-wohl verdient hätte; auch wurden alle Unterhandlungen
-durch ein laut schmetterndes Posthorn unterbrochen. Eine
-glänzende Equipage hielt, viele zierlich gekleidete Diener
-beeiferten sich, einen ansehnlichen Mann, der auf dem
-<a id="page-278" class="pagenum" title="278"></a>
-Rocke einen großen Stern trug, aus dem Wagen zu heben.
-Die Dorfleute befiel ein stilles Grauen, und als
-Anselm ausrief: der alte Graf Birken! so fing der Pfarrer
-an zu zittern.
-</p>
-
-<p>
-Wo ist mein ungerathener Sohn? schrie der alte
-Graf, als er in das mit Menschen überfüllte Zimmer trat.
-Die Braut heulte laut, und die anwesenden Weiber aus
-dem Dorfe stimmten in denselben Ton ein. Wo ist Caspar
-Birken? schrie der Alte noch einmal. Hier, winselte
-der junge Graf, der sich hinter einen großen eichenen Tisch
-verschanzt hatte. &mdash; Und wo ist der unverschämte Pfaff,
-der es gewagt hat, den dummen Laffen mit seiner Tochter
-zu verkuppeln? &mdash; Hier! rief der Pfarrer, der sich indessen
-wieder gesammelt hatte; aber keine Verkuppelung, sondern
-eine ächte christliche Ehe, wie unsre Kirche sie vorschreibt.
-&mdash; &bdquo;Die wird wieder geschieden!&ldquo; &mdash; &bdquo;&bdquo;Die wird nicht
-geschieden!&ldquo;&ldquo; &mdash; &bdquo;Sie ist nicht gültig, so gewiß da oben
-auf den Ebreschenbäumen keine Aprikosen wachsen.&ldquo; &mdash;
-&bdquo;&bdquo;Sie bleibt so lange gültig, bis da oben die rothe Felsenwand
-ein Mensch hinauf klettern kann, und von den
-nämlichen Ebreschenbäumen sein Veto in das Thal zu uns
-herunter schreit.&ldquo;&ldquo; &mdash; &bdquo;Und wenn ich Blut und Leben,
-wenn ich mein Vermögen lassen muß, und wenn ich der
-Mörder meines eigenen Sohnes werden sollte, so gebe ich
-zu dem Unsinn nie meine Einwilligung.&ldquo; &mdash; &bdquo;&bdquo;Und
-wenn ich, schrie der Pfarrer entgegen, prozessiren müßte,
-bis ich keinen Groschen mehr hätte, und wenn ich zur
-Fortsetzung des Prozesses von dem Junker Görge, oder
-einem noch Einfältigern, das Geld betteln müßte, so lasse
-ich die Sache nicht ruhn. Mein Kind muß glücklich und
-Gemahlin des Grafen, Ihres Sohnes, bleiben. Wissen
-Sie, was ein Horoskop ist?&ldquo;&ldquo; &mdash; &bdquo;Nein.&ldquo; &bdquo;&bdquo;Nun, dann
-<a id="page-279" class="pagenum" title="279"></a>
-können Sie auch gar nicht mit sprechen. Sehn Sie dies
-Papier; in der Geburtsstunde meiner Tochter habe ich alle
-ihre Sterne beobachtet, und schon damals mit Gewißheit
-prophezeiht, daß sie eine Gräfin werden müsse. Was können
-Sie gegen alle Sterne ausrichten? He?&ldquo;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Der Graf sah das Papier eine Weile mit staunenden
-Blicken an. He! Caspar! schrie er von Neuem. Heraus
-aus Deinem Winkel, Du Satansbrut! Komm her, Spitzbube,
-ich will Dir ja meinen väterlichen Segen geben,
-weil es denn also doch einmal nicht anders seyn kann.
-</p>
-
-<p>
-Der junge Birken hüpfte herbei, er legte die Hand
-des Sohnes in die seiner Braut und küßte das kleine dicke
-Mädchen dann recht herzlich auf den Mund. Nun, Spaß
-bei Seite, sagte hierauf der alte Herr bedächtlich, im
-Grunde ist es mir ganz lieb, daß die Sache so gekommen
-ist, denn der Junge hätte einmal noch ärger anlaufen können;
-er kommt somit in eine ziemlich reputirliche Familie;
-der Mosje Caspar muß nun aber seine dummen Teufeleien
-lassen, die ihm einmal den Hals hätten kosten mögen; der
-Schwiegerpapa ist ein resoluter Kerl, der wird ihm wohl
-den Daumen aufs Auge halten. Aber nun kriegt Dein
-jüngerer Bruder die großen Güter, und Du, Hasenfuß,
-trittst in seine Rechte, wie es auch eigentlich viel vernünftiger
-ist.
-</p>
-
-<p>
-Alles war zufrieden und glücklich. Walther und
-Raimund waren indeß mit der geliebten Blanka zum
-Hause des Edelmanns gewallfahrtet. Es war vorläufig
-davon die Rede gewesen, den Jugendwohnsitz Raimunds
-wieder zu kaufen; auch zeigte sich die Möglichkeit einer
-Verbindung zwischen der empfindsamen Baronesse und
-Theophilus, da dieser jetzt von seinem Vater anerkannt
-wurde.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-280" class="pagenum" title="280"></a>
-Alle gingen selig, in Gefühlen und Hoffnungen schwelgend,
-sprechend und scherzend die grüne Wiese hinunter.
-Kilian unterhielt sich mit Sokrates. Gnädige Frau, sagte
-er nachher zu Görges Mutter; der Mann kann Ihrem
-Sohne auf die Beine helfen; ich habe ihm auf den Zahn
-gefühlt, ich habe mit ihm disputirt, einen solchen Gelehrten
-bekommen Sie niemals wieder. Indem man noch
-sprach, hörte man von oben, die Felswand herunter ein
-lautes Veto! rufen. Alle sahen hinauf und schwindelten,
-denn von der steilsten Höhe hing der alte Graf Birken
-reitend auf einem Ebreschenbaum. Veto! rief er noch einmal;
-aber nun kommt schnell zu Hülfe, oder ich breche
-den Hals! Widerrufen Sie erst Ihr Veto! schrie der
-Pfarrer hinauf. Ich widerrufe, tönte es herab, aber ich
-werde doch den Hals brechen. Die Bedienten liefen: die
-Leute aus dem Dorfe holten Stangen, Leitern und Stricke.
-Plötzlich brach der Baum, und der Graf stürzte herab; er
-kam aber noch ziemlich glücklich auf dem Boden, zur
-Freude Aller, an. &mdash; Wie ist er nur auf die steile Wand
-gekommen? rief der Pfarrer. Ja, Schwiegervater, antwortete
-der junge Graf Birken, Sie sehen, mein Papa ist
-noch toller, als ich!
-</p>
-
-<p>
-Die Sonne sank und beschloß den seligsten Tag, den
-Walther, Blanka und Raimund noch erlebt hatten. Franziska
-schloß sich diesen an, und im gebesserten Herzen
-fühlte sich Adlerfels als den glücklichsten Menschen.
-</p>
-
-<h2 class="part" id="part-4">
-<a id="page-281" class="pagenum" title="281"></a>
-<span class="line1">Musikalische Leiden und Freuden.</span><br />
-<span class="line2">Novelle.</span>
-</h2>
-
-<p class="first">
-<a id="page-283" class="pagenum" title="283"></a>
-<span class="firstchar">Z</span>wei Freunde stiegen vor der Stadt vom Wagen, um zu
-Fuß durch die Gassen zu wandeln und den Fragen am
-Thor auszuweichen. Es war noch ganz früh am Morgen
-und ein Herbstnebel verdeckte die Landschaft. Etwas entfernt
-vom Wege bemerkten sie ein kleines Häuschen, aus
-welchem schon früh vor Tage eine herrliche Frauenstimme
-erklang. Sie gingen näher, erstaunt über den unvergleichlichen
-Diskant, wie über die ungewöhnliche Stunde. Einige
-Träger brachten Lauten und viele Notenbücher, die kleine
-Thüre öffnete sich, und neugierig gemacht, fragte der ältere
-Reisende einen von den Tagelöhnern: hier, mein
-Freund! wohnt wohl ein Musikus und eine Sängerin?
-Der Teufel und seine Großmutter wohnt hier! erscholl
-eine krächzende Stimme von oben aus dem offnen Fenster,
-und zugleich fiel ein Lauten-Futteral dem Fragenden
-auf den Kopf. In diesem Augenblick hörte der Gesang
-auf, und der Frager sah im Fenster ein kleines greises
-Männchen stehn, welches die zornigsten Geberden machte,
-und dessen funkelnde schwarze Augen aus tausend Runzeln
-hervor grimmige Blicke herunter schossen. Der Reisende
-wußte nicht, ob er lachen oder schelten sollte, doch
-sprach ihm aus dem greisen Kopfe etwas so Wunderliches
-<a id="page-284" class="pagenum" title="284"></a>
-an, daß er in Verlegenheit den Hut zog, und sich mit einer
-höflichen Verbeugung stumm entfernte.
-</p>
-
-<p>
-Was war das, Herr Kapellmeister? sagte der jüngere
-Reisende, als sie das kleine Häuschen schon im Rücken
-hatten. Ich weiß nicht, erwiederte jener, vielleicht ein
-wahnsinniger alter Mann, vielleicht gar dort in der Einsamkeit,
-in der Nähe des Tannenwäldchens, eine Spukgestalt.
-</p>
-
-<p>
-Sie scherzen, sagte der Sänger; ich begreife jetzt selber
-nicht, wie wir so gelassen seyn konnten, dem Alten
-auf seine Grobheit nichts zu erwiedern.
-</p>
-
-<p>
-Lassen wir es gut seyn, sagte der Kapellmeister, indem
-sie schon die noch ruhige Straße der Residenz hinunter
-gingen: in dem Ton der Sängerin war etwas so
-Wunderbares, daß es mich tief ergriffen hat; ich war wie
-im Traum, und darum konnte mir auch der alte Thor keinen
-Zorn abgewinnen.
-</p>
-
-<p>
-Wieder die alte Schwärmerei und Güte! rief der Sänger
-lachend aus; denn erstens haben wir so gut wie nichts
-gehört, und zweitens war in dem Wenigen noch weniger
-Besonderes zu vernehmen, es war weder Methode noch
-Schule in dem traurigen Gesange.
-</p>
-
-<p>
-Als sie jetzt um die Ecke nach dem Gasthofe zu bogen,
-hörten sie aus einem obern Stock ein Lied pfeifen;
-ein rundes, junges Gesicht kuckte mit der Schlafmütze
-aus dem Fenster, und so wie er die Fußgänger gewahr
-wurde, schrie er: Haltet, Freunde! einen Augenblick! ich
-bin gleich unten! Gott im Himmel! das ist eine Erscheinung!
-Er zog den Kopf so schnell zurück, daß er ihn
-heftig an das niedere Fenster stieß und die Bekleidung des
-Hauptes langsam schwebend zu den Füßen des Kapellmeisters
-nieder sank.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-285" class="pagenum" title="285"></a>
-Wunderbar! rief dieser, indem er die Zipfelmütze aufhob;
-sagen diese sonderbaren Vorbedeutungen uns etwas
-Gutes oder Schlimmes voraus?
-</p>
-
-<p>
-Es ist unser Enthusiast Kellermann, erwiederte der
-Sänger: hören Sie, er rasselt schon mit dem Hausschlüssel.
-</p>
-
-<p>
-In diesem Augenblick stürzte der Bewunderer im
-Schlafrock heraus und umarmte die beiden Künstler mit
-theatralischer Herzlichkeit; er wurde es nicht müde, jedem
-wieder von Neuem an die Brust zu stürzen, ihn zu drücken
-und dann die Arme verwundernd in die Höhe zu strecken,
-bis der Sänger endlich sagte: Laßt es nun gut seyn, Hasenfuß!
-Ihr habt das Ding jetzt hinlänglich getrieben.
-Ein Glück, daß noch kein Mensch auf der Straße ist, sonst
-würden Eure Bockssprünge in dem saffrangelben Schlafrock
-alle Gassenjungen aufregen.
-</p>
-
-<p>
-Also Ihr seid nun wirklich da, Ihr goldnen Menschenkinder?
-rief der Enthusiast aus; was würde es mich
-kümmern, wenn der vollständige Magistratus an meinem
-Entzücken Aergerniß oder Theil nehmen wollte? Habe
-ich doch seit drei Monaten nicht begreifen können, wozu
-diese Gasse eigentlich gebaut sei, noch weniger, warum sie
-so viele Fenster zum Auf- und Zuschieben habe, bis nun
-endlich ihre Bestimmung erfüllt ist; Ihr kommt durch dieselbe
-hergegangen, und ich kucke da oben mit meiner verlornen
-Mütze heraus, um Euch im Namen der Nachwelt
-zu begrüßen. Also nun wird Eure Oper doch gegeben
-werden, ausbündigster Mann?
-</p>
-
-<p>
-Sind denn Sänger und Sängerinnen auch noch alle
-gesund? fragte der lebhafte Kapellmeister.
-</p>
-
-<p>
-So, so, erwiederte jener, wie es die Laune mit sich
-bringt; genau genommen, existirt das Volk gar nicht, sondern
-<a id="page-286" class="pagenum" title="286"></a>
-lebt nur wie im Traum; die Zugabe, die an die
-Kehle mit Arm und Bein gewachsen ist, macht es oft
-schwer, sie nur zu ertragen, der unnatürliche Geschwulst
-aber oben, den sie Kopf tituliren, ist wie ein Dampfkolben,
-um in diesem Recipienten die unbegreiflichsten Verrücktheiten
-aufzunehmen. In so weit sind sie alle gesund,
-als es ihnen bis jetzt so gefällt, ist aber die und jene
-Arie ihnen nicht recht, hat der eine zu viel, die andre zu
-wenig zu singen, geht die Arie aus As moll, wenn sie
-Gis seyn sollte, so fallen sie vielleicht binnen drei Tagen
-wie die Fliegen hin.
-</p>
-
-<p>
-Zieht Euch an, sagte der Sänger, und kommt zu uns
-in den Gasthof hier drüben, so können wir mehr sprechen,
-auch sollt Ihr uns auf den Besuchen begleiten.
-</p>
-
-<p>
-Ohne Antwort sprang Kellermann in sein Haus, und
-die Reisenden begaben sich in das Hotel, wo sie ihren Wagen
-schon fanden.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Im Hause des Barons Fernow war am Abend große
-Gesellschaft versammelt. Der Ruf, daß der beliebte Kapellmeister
-und sein erster Tenorist endlich angekommen
-seien, hatte in die Wohnung des Musikfreundes alles getrieben,
-was sich für die neue Oper interessirte. Man
-hoffte, einige der vorzüglichsten Partien vorgetragen zu
-hören, und viele drängten sich hinzu, um wenigstens
-nachher in andern Gesellschaften darüber sprechen zu
-können.
-</p>
-
-<p>
-In diesem Getümmel, welches der Hausherr, seine
-Frau und eine Tochter mit Klugheit beherrschten, schwamm
-der behende Enthusiast wie in einem Strome herum, um
-Jedem von der Herrlichkeit der neuen Composition begeisterte
-<a id="page-287" class="pagenum" title="287"></a>
-Worte, über die große Manier, die lieblichen Melodieen
-und den vortrefflichen Ausdruck in das Ohr zu raunen,
-obgleich er selbst noch keine Note davon gehört hatte.
-Sein rundes geröthetes Gesicht schob sich wie eine Kugel
-von einem zuhörenden Kopf zum andern, und die meisten
-Gesichter zogen jene nichtssagende Miene, die in Gesellschaften
-geistreiche Aufmerksamkeit bedeuten muß. Jetzt
-wurde ein Theil der Versammlung auf einen andern Gegenstand
-hingerichtet, denn in einfacher, höchstsauberer
-Kleidung trat ein junges Mädchen herein, von so glänzender
-Schönheit, daß man ihren unbedeutenden Anzug
-über den edlen und ausdrucksvollen Kopf, über die vornehme
-Geberde, den feinen Anstand gänzlich vergaß, und
-die Nahestehenden sie mit Ehrfurcht begrüßten. Die Tochter
-des Hauses eilte auf sie zu, indem sie ausrief: o meine
-theuerste Julie! wie glücklich machen Sie mich, daß Sie
-meinen Bitten doch noch nachgegeben haben! Aber Ihr
-Vater? &mdash; Sie wissen ja, erwiederte die Schöne, wie menschenscheu
-er ist, wie wenig er mit seiner Melancholie und
-Kränklichkeit in die Gesellschaft paßt; und ich gestehe, ich
-würde auch nicht gekommen seyn, wenn ich einen so großen
-Cirkel hätte vermuthen können.
-</p>
-
-<p>
-Die Umgebung sprach über die außerordentliche Schönheit
-dieses Wesens, und man erfuhr, daß sie die Tochter
-eines armen Musikers sei, die aus einer entfernten Stadt
-dem Fräulein des Hauses einen Brief einer Freundin überbracht
-hatte. Immer noch hatte der Kapellmeister mit
-seinen Sängern keines der Stücke vorgetragen, weil der
-Wirth noch einen jungen Grafen erwartete, der einer der
-größten Enthusiasten für Musik seyn sollte. Denken Sie
-sich, sagte der Baron zum Kapellmeister, den sonderbarsten,
-unruhigsten aller Menschen, nichts interessirt ihn als Musik,
-<a id="page-288" class="pagenum" title="288"></a>
-er läuft von einem Concert in&rsquo;s andre, er reis&rsquo;t von
-einer Stadt zur andern, um Sänger und Compositionen
-zu hören, er vermeidet allen andern Umgang, er spricht
-und denkt nur über diese Kunst, und selten ist er doch ruhig
-genug, ein Musikstück ganz und mit völliger Aufmerksamkeit
-anzuhören, denn er ist eben so zerstreut als
-überspannt. Dazu scheint er den eigensinnigsten und eingeschränktesten
-Geschmack zu haben, so daß ihm selten ein
-Kunstwerk zusagt, eben so wenig ist er mit dem Vortrag
-zufrieden, und dennoch bleibt er Enthusiast. Er ist von
-großer Familie und reich, war eine Zeit lang in diplomatischen
-Geschäften an einem angesehenen Hofe, hat aber
-Alles der Musik wegen, die er doch oft nach seinen Reden
-zu verabscheuen scheint, aufgegeben.
-</p>
-
-<p>
-Die nähern Freunde des Barons waren nach dieser
-Schilderung sehr begierig, einen Mann zu sehen, der wie
-von bösen und guten Geistern geplagt und verfolgt wurde.
-Als daher Graf Alten eintrat, sahen ihm alle mit großer
-Neugier entgegen. Er begrüßte die Gesellschaft hastig und
-sein dunkles Auge durchlief sie eilig; dann senkte er den
-Blick und setzte sein Gespräch mit einem alten, hagern und
-eingeschrumpften Italiener fort, welcher mit ihm gekommen
-war. Doch plötzlich brach er ab und rief halb vernehmlich:
-Himmel! was ist das? Er stand unmittelbar
-hinter Julien. Jetzt sang der Tenorist eine Arie der
-neuen Oper, und Alles schien begeistert, der Graf war in
-tiefen Gedanken. Nun, Eccellenza, fragte der Italiener
-am Schlusse, sein Sie contentirt? Ich habe keinen Ton
-gehört, antwortete der Graf, indem er den Kopf erhob
-und die schwarzen Locken aus der denkenden melancholischen
-Stirne strich.
-</p>
-
-<p>
-Er benutzte die Pause, in welcher sich Alles lobend
-<a id="page-289" class="pagenum" title="289"></a>
-und bewundernd um den Kapellmeister drängte, vorzutreten
-und sich neben Julien zu setzen. Er wollte sie anreden,
-aber indem sie höflich das Antlitz zu ihm wandte, fuhr er
-wie erschreckt zurück. Nein, wahrlich, dergleichen hatte ich
-nicht erwartet! sagte er für sich. Das junge Mädchen
-war erstaunt und verlegen. Verzeihen Sie, redete der Graf
-sie heiterer an, Sie werden mich sonderbar finden; als ich
-vorher hinter Ihnen stand, mußte ich glauben, eine ehemalige
-Bekanntschaft zu erneuen, und jetzt bin ich von
-Ihrer mehr als wunderbaren Schönheit so geblendet worden,
-daß ich Zeit haben muß, um mich zu fassen. Die
-wahre ächte Schönheit kann wohl erschrecken, denn etwas
-Uebermenschliches kündigt sich unsern Sinnen und dem
-Gemüthe an. Himmel! wie müssen Sie singen!
-</p>
-
-<p>
-Ich singe gar nicht, Herr Graf, und habe weder
-Stimme noch Kenntniß der Musik, erwiederte sie mit angenehmem
-Ton.
-</p>
-
-<p>
-Der Graf sah sie prüfend an, schüttelte dann zweifelnd
-den Kopf und murrete unverständliche Worte verdrossen
-vor sich hin. Jetzt wurde ein Duett vorgetragen,
-und Alles war aufmerksam, nur der Graf betrachtete unverwandt
-seine Nachbarin. Das Duett war schwierig und
-die erste Sängerin äußerte ihren Verdruß, der Kapellmeister
-wurde empfindlich, wies zurecht, half nach, Alles vergebens;
-man mußte abbrechen, indem die Virtuosin behauptete,
-die Passage müsse geändert werden, weil sie ihrer
-Stimme ganz entgegen sei; der Componist meinte, er
-dürfe Ausdruck und Kraft nicht dem Eigenwillen aufopfern,
-denn die vortreffliche Künstlerin könne dies und noch
-schwierigere Sachen leisten, wenn sie sich nur bemühen
-wolle. Darüber aber wurde der Gesang völlig unterbrochen,
-und indem der Kapellmeister ein anderes Musikstück
-<a id="page-290" class="pagenum" title="290"></a>
-anordnen wollte, sagte der Graf zu Julien: ich wette, Sie
-können diese schwierige Stelle ohne Anstoß vom Blatte
-singen, wenn Sie nur wollen. Als Julie zu leugnen fortfuhr,
-sagte jener: Ihre Röthe, Ihr Auge widerspricht!
-Wie? dieser gewölbte Mund sollte in der Mitte der Lippen
-diese sanfte, seelenvolle Erhöhung von selbst haben,
-und nicht von den reinen vollen Tönen, die so oft über
-diesen Hügel schwebten? Denn nur der Ton, wenn er
-stark und lieblich die rothe Straße befährt, darüber klingend
-weht, bildet diese ausdrucksvolle Erhebung; ganz im
-Gegensatz jener gefurchten Mundwinkel, die jene berühmte
-Sängerin dort hat, die mit breitgedrückten und in die
-Länge gequetschten Lippen den armen kreischenden Ton
-hervor preßt. Sie versündigen sich, meine Schöne, daß Sie
-Ihr großes Talent verleugnen wollen.
-</p>
-
-<p>
-Sie sind zu scharfsichtig, erwiederte Julie; um so
-trauriger, daß Sie dennoch irren.
-</p>
-
-<p>
-Sie sprechen auch ganz wie eine Sängerin, fuhr jener
-fort, es ist ein lieblicher aber unterdrückter Ton in der
-Rede, der seine Fittige nicht auszufalten wagt. Wenn
-Sie doch nur wenigstens einen einzigen Ton anschlagen
-wollten! das Glück meines Lebens hängt davon ab, daß
-Sie singen können.
-</p>
-
-<p>
-Sie quälen mich, Herr Graf, antwortete die Verlegne
-empfindlich; ich versichere Sie auf das Theuerste, ich
-werde nicht singen, weil mir diese herrliche Gabe von der
-Natur versagt wurde.
-</p>
-
-<p>
-Gnaden, sagte der braune kleine Italiener, sollen Alles
-zu Virtuosen haben: kann aber nicht Alles singen, was
-hübsch und feinen Mund hat. Conträr! haben oft göttliche
-Prima Donna vor pur himmlisch Gesang und forzirt
-<a id="page-291" class="pagenum" title="291"></a>
-Schreien eine Schnautz wie Signor Cerberus, der
-die Talent hat, dreistimmige Sach solo durchzuführen.
-</p>
-
-<p>
-Der frohe leichte Geist der Musiker war gestört, der
-Kapellmeister verstimmt, und die erste Sängerin mehr als
-verdrießlich. Der Enthusiast war in der Klemme, weil
-er es mit keinem verderben und doch keinen stummen
-gleichgültigen Zuschauer abgeben wollte. Da man sah,
-daß für diesen Abend nichts Bedeutendes mehr geschehen
-würde, so entfernten sich nach und nach die Fremden,
-auch die Musiker gingen, und nur der Kapellmeister
-blieb, dem sich der Enthusiast, ohne eine nähere Einladung
-abzuwarten, anschloß; der gedankenvolle Graf und
-sein Italiener verweilten ebenfalls, um mit der Familie
-des Barons beim Glase Wein und einem leichten Abendessen
-sich zu erheitern.
-</p>
-
-<p>
-So ist es nun wieder wie fast immer ergangen, fing
-der Kapellmeister an, als sie um den runden Tisch saßen;
-man arbeitet sich ab, man studirt, man quält, und endlich
-freut man sich auch, wenn das Werk vollendet ist
-und gelungen scheint, und dann muß es diesen elenden,
-verdorbenen Handwerkern übergeben werden, die nichts
-gelernt haben, und mit dem Wenigen, was sie wissen,
-noch wie mit Wunderwerken hinter dem Berge halten
-wollen. Kann es einen traurigern Beruf, als den eines
-musikalischen Componisten geben? Denn endlich nun,
-wenn auch dieser Jammer durch Bitten, Drohen, Scherzen,
-Vergötterung, Lüge und Falschheit, durch kleine Aenderungen,
-Zusätze und Wegnahme überwunden ist, wird
-das gemarterte Werk der Laune des Publikums, und dem
-blinden Zufall, seinem allmächtigen Beherrscher übergeben.
-Nun muß es aber weder zu heiß, noch zu kalt, das Haus
-muß weder zu voll noch zu leer seyn, keine große politische
-<a id="page-292" class="pagenum" title="292"></a>
-Neuigkeit darf sich eben haben hören, ja keine Seiltänzer
-und Springer anmelden lassen, um das so nothwendige
-Klatschen und mit diesem armen Beifall einigen
-Enthusiasmus zu erregen. Und doch kann man es nicht
-lassen, sich wieder in der Vorstellung zu erhitzen, um eine
-neue undankbare Arbeit zu beginnen.
-</p>
-
-<p>
-Wo ist die Dame geblieben? fuhr der Graf plötzlich
-auf.
-</p>
-
-<p>
-Neben der Sie lange saßen? fragte die Tochter. Diese
-ist längst fort und von einer Magd abgeholt worden,
-denn sie wohnt entlegen, in einer fernen, unbekannten
-Gasse.
-</p>
-
-<p>
-Die sollte ihre treffliche Arbeit singen, sagte der
-Graf, da würden wir etwas anders hören.
-</p>
-
-<p>
-Sie irren, berichtigte die Tochter, ich weiß, daß das
-junge Frauenzimmer durchaus nicht musikalisch ist. Sie
-ist aber sonst in weiblichen Arbeiten sehr geschickt, auch
-hat ihr Vater, ein alter, verarmter Musikus, sie etwas
-zeichnen lernen lassen.
-</p>
-
-<p>
-O du alter Sünder! rief der junge Graf im höchsten
-Verdruß: und keinen Gesang diesen Lippen, keinen
-Ton diesem schwellenden Munde! Ist es nicht, als wenn
-man der Rose den Duft rauben wollte, den die Natur
-ihr gleich im Erblühen mitgegeben hat?
-</p>
-
-<p>
-Die Tochter war etwas empfindlich, denn sie glaubte
-auch eine Sängerin zu seyn, da aber der Kapellmeister
-in seiner Klage fortfuhr, so blieb ihre gespitzte Antwort
-unbeantwortet. Abgesehn aber, fuhr der Kapellmeister
-fort, von diesen armseligen Zufälligkeiten, so verkündigen
-sich auch erst am Kunstwerke selbst bei der öffentlichen
-Darstellung Mängel, welche sich der Componist vorher
-auf seinem Zimmer nicht hat träumen lassen. Denn mögen
-<a id="page-293" class="pagenum" title="293"></a>
-wir ein Werk noch so oft durchsingen, genau kennen,
-von allen Seiten prüfen, das Urtheil aller Freunde und
-Kenner vernehmen, so bleibt Manches, und oft das Beste,
-zurück und das Schlimmste zeigt sich bei der Aufführung
-erst. Und überhaupt &mdash; die Bestimmung des Künstlers!
-Ist sie nicht eine traurige? Ich setze mich zu keinem
-neuen Werke nieder, ohne innig überzeugt zu seyn, daß
-ich nun etwas ganz und durchaus Treffliches, Vollendetes
-erschaffen werde, das meine großen Vorgänger erreicht,
-und sie selbst hie und da übertreffen möchte. Diese
-himmlische Ruhe und Sicherheit verschwindet aber bald
-während der Arbeit; mein Entzücken an meiner Hervorbringung
-wechselt mit den bittersten Zweifeln. Dann
-fühl&rsquo; ich oft recht innig, daß ganz, ganz nahe an dem,
-was ich schreibe, das Wahre und Himmlische liegt, daß
-meine Noten anklopfen und den Wandnachbar, den unbekannten,
-begrüßen: mir ist, ich dürfte nur den Kopf so
-oder so wenden, so müßte mir der Genius sichtbarlich
-entgegen treten, &mdash; und immer, immer wieder erscheint
-er nicht! Mein Geist quält sich, um außen, weit ab,
-die Bahn anzutreffen &mdash; und so im Jammer, im Resigniren,
-arbeite ich weiter. Es gemuthet mir wie der
-Affe mit seiner traurigen Unruhe und dem fatalen Gesichterschneiden:
-vielleicht hat er jeden Moment dunkler
-oder deutlicher eine Ahndung von der Vernunft, will sie
-nun, die nah Erreichbare, und nun wieder haschen und
-sich dann besinnen, und findet sich immer wieder in seinem
-widerwärtigen Zustand eingeriegelt.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt trat noch ein Mann reifen Alters zur Gesellschaft,
-ein Gelehrter und Hausfreund des Barons, der
-sich fast täglich einfand, aber gern die größeren Versammlungen
-vermied. Sie haben wieder, redete ihn der Wirth
-<a id="page-294" class="pagenum" title="294"></a>
-an, unser Concert, wie Sie es gewöhnlich machen, nicht
-mit anhören wollen. Ich bin zu sehr Laie, erwiederte
-der Freund, und darum mag ich mich nicht unter die
-Kenner drängen; soll der Unmusikalische den Gebildeten
-durch seine trockne Gegenwart ihren Genuß verkümmern?
-</p>
-
-<p>
-Wir kennen diesen Schalk schon, rief ihm der Kapellmeister
-zu, indem er den alten Bekannten begrüßte.
-Sie haben recht gethan, denn unsre Sängerinnen haben
-wieder den alten Spuk getrieben, schlecht gesungen, sich
-zu vornehm gedünkt, die Musik kritisirt, und endlich damit
-beschlossen, alle Musik in Verstimmung und Eigensinn
-zu beerdigen.
-</p>
-
-<p>
-Sie sind also wirklich unmusikalisch? fragte der Enthusiast;
-und Sie machen auch kein Hehl daraus?
-</p>
-
-<p>
-Warum sollte ich es? antwortete der Laie; kein
-Mensch kann alle Talente in sich vereinigen, oder alle
-seine schlummernden Anlagen erwecken und ausbilden.
-</p>
-
-<p>
-Viel Charakter, es so dreist zu bekennen, erwiederte
-der junge Mann, der durch vieles Schwatzen während der
-Musik und dem hastigen Genuß des starken Weines in
-eine Laune erhitzt gerathen war, deren Sonderbarkeit er
-selber nicht zu bemerken schien: sehn Sie, fuhr er fort,
-daraus ist schon viel Unheil für mich entstanden, daß ich
-mich zu solchem Muthe nicht habe entschließen können.
-Ich war anfangs (und wie es schien, von Natur so geschaffen)
-gar kein Musikfreund, ich hatte kein Ohr, ich
-konnte keine Melodie behalten; darum vermied ich auch
-Concerte und Opern, und in Gesellschaften, wenn Lieder
-gesungen, wenn Cantaten aufgeführt wurden, sprach ich
-entweder, oder suchte eines Buches habhaft zu werden.
-Denn gewiß, nichts verschließt unser Ohr so sicher vor
-all den herein und durch einander fahrenden Tönen, als
-<a id="page-295" class="pagenum" title="295"></a>
-ein tüchtiges und vorhaltendes Gespräch über Stadtneuigkeiten
-oder einige interessante Verleumdungen. Sehe
-man nur den Stock! ertönte es nun von allen Seiten:
-hat die dicke Figur wohl eine menschliche Seele in seinen
-weitläufigen Fleischanlagen sitzen? Von der Musik, der
-göttlichsten aller Künste, nichts zu verstehn! Ist wohl
-ein Block, ein Stein, der nicht gewissermaßen von der
-himmlischen Harmonie gerührt werden müßte? &mdash; Nun
-gefiel mir dazumal auf mehr als gewöhnliche Weise ein
-gewisses Frauenzimmer: diese pflegte, so wie gesungen
-wurde, vor übermäßiger Empfindung herzlich zu weinen.
-Dieser nun war ich mit meinem kalten Herzen gradezu
-ein Abscheu. Wie? sagte sie, lieben wollen Sie, der Sie
-nicht einmal eine Ahndung jener Wonne haben, die aus
-dem Himmel stammt, und mit der Liebe so nah verwandt
-ist? &mdash; Da, Freunde! faßte ich nun den großen
-Entschluß, umzusatteln, und von der Musik gehörig begeistert
-zu werden. Alle meine Freunde und Bekannten
-erstaunten, als ihnen meine neugeprägte blanke Entzückung
-in die Augen strahlte. Da war nun auch gar kein Halten
-mehr, ich übertraf Alles in der Begeisterung, was ich
-nur je in den Gesellschaften hatte beobachten können;
-Alles zappelte an mir vor Freude, so wie nur das Clavier
-angeschlagen wurde, die Beine trommelten, die Arme
-schlenkerten, die Augen wackelten, ja ich nahm die Zunge
-zu Hülfe, und leckte mir zuweilen die vor Erstaunen weitgeöffneten
-Lippen. Dann mußten die Hände klatschen,
-die Augen, wenn es irgend möglich zu machen war, weinen,
-die ausgestreckten Arme Bekannt und Unbekannt
-an dies stürmische Herz schließen, das mit mächtigen
-Schlägen im wildesten Enthusiasmus klopfte. Ja, wenn
-ich nachher in mein einsames Zimmer trat, war ich so
-<a id="page-296" class="pagenum" title="296"></a>
-müde und matt, so mürbe und zerschlagen, daß ich zuweilen
-Kunst und Künstler, Liebe und Harmonie, so wie alle
-die bezaubernden Gefühle zum Satan wünschte.
-</p>
-
-<p>
-Aber empfanden Sie nun wirklich recht viel? fragte
-der Laie lachend.
-</p>
-
-<p>
-Das ist eine bedenkliche Frage, erwiederte der Enthusiast;
-was der Mensch so stürmisch will, davon muß
-wohl etwas auch wirklich in sein Wesen übergehn; es
-wäre unbegreiflich, wenn durch das vorsätzliche Nachspielen
-nicht hie und da ein Gefühl in unsrer Brust wiederklingen
-sollte. Aber um doch ganz aufrichtig zu seyn,
-so war mir bei all diesem Bewundrungsbemühen oft unerträglich
-nüchtern zu Muthe, so recht, was der Haufe
-langweilig nennt, und wenn ich nicht so stark mit Händen
-und Füßen gearbeitet hätte, so wäre mir wohl oft
-ein herzliches Gähnen angekommen. Das Schlimmste
-aber ist, ich habe doch nichts dabei gewonnen; denn meine
-boshaften Freunde meinten, ich hätte den Ansatz zu hoch
-genommen, und sei von der andern Seite vom Pferde
-wieder hinunter gefallen. Sei ich erst wie ein verstocktes
-dumpfes Thier gewesen, so erscheine ich jetzt wie ein verwilderter
-Hasenfuß, mein Enthusiasmus träte als ein
-verzerrender Krampf auf, man müsse fast glauben, mein
-Arzt habe mir diese übertriebene Motion nur empfohlen,
-um sie gegen mein Fettwerden zu gebrauchen. Ach! und
-die Musiker! Von denen habe ich das Meiste gelitten.
-Vor acht Monaten war es, als hier im Saal die beiden
-berühmten Compositeurs ihre Sachen aufführten. Wie
-der erste geendigt hatte, konnte ich ihm richtig mit fließenden
-Thränen an seinen Hals fallen, und der Mann
-klopfte mir selber über mein Entzücken gerührt mit aller
-Freundschaft auf den Rücken, wir drückten uns recht
-<a id="page-297" class="pagenum" title="297"></a>
-herzlich zusammen, und er sagte ganz laut, er habe noch
-keinen so gründlichen Kenner in allen Reichen der musikalischen
-Welt angetroffen. Nun brannte der andere
-Mann aber auch sein Kunststück los. Thränen hatte ich
-nicht mehr, es meldete sich aber ein großartiges Schluchzen,
-was noch höher lag als die Thräne, &mdash; und ein
-ganz stummer Druck, ein Vergehen, Aufgelöstseyn, fast
-sterbend in die Arme des zweiten Hinfallen, ja ein reelles
-Abstehn mußte diesen großen Meister belohnen. Der
-grobe Schelm ließ mich aber geradezu auf das Parket
-hinschlagen, ohne mir seine dankbare Brust unterzustemmen,
-und sagte, wie ich in der Kunstohnmacht lag, höhnisch
-zu mir: bleiben Sie in des Himmels Namen liegen,
-denn wer über die Stümperei jenes Menschen dort weinen
-kann, verdient gar nicht, einen Ton von mir mit seinen
-Ohren aufzufassen. So erhob ich mich, um Trost
-bei meinem großen Freunde zu suchen, dessen allergrößter
-Kenner ich war. Er sprang aber auch vor meinem Ausruf
-weg, so daß ich mit der Nase fast an die Wand stieß,
-unter dem nichtigen Vorwande, daß wer so wenig ächtes
-Gefühl besitze, daß er das Armselige wie das Edle so
-übermäßig bewundern könne, für die Kunst ein mißgeschaffenes
-Ungeheuer sei. Wie ich nun bei meiner Geliebten
-Hülfe suchen wollte, war sie ebenfalls gegen mich
-empört, denn ich hatte bei ganz unrechten Stellen geweint
-und da am lebhaftesten empfunden, wo grade die wenigste
-Empfindung hingehörte. O Theuerste, Verehrteste, möchte
-man nicht fast veranlaßt seyn, den Schwur zu thun, daß
-man bei Arioso und Cavatine, Finale und Ouvertüre,
-Adagio und Presto nur mit ruhig gekretschten Beinen
-dasitzen und höchstens zuweilen den Tact schlagen wolle;
-denn wenn all dies Hämmern und Puffen, dies Abarbeiten
-<a id="page-298" class="pagenum" title="298"></a>
-unsers irdischen entzückten Herzens, diese weissagende
-rinnende Thräne, die den Wiederschein der Unsichtbarkeit
-abspiegelt; wenn alles dies nichts fruchtet, sag&rsquo; ich noch
-einmal, und statt paradiesischer Sympathie nur die infernalische
-Antipathie erregt, so wünschte man ja lieber
-Balgentreter oder Schmiedegesell, als ächter Enthusiast
-zu werden. Darum wundert Euch nicht, wenn ich der
-undankbaren Kunst wieder einmal den Rücken wende.
-</p>
-
-<p>
-Als man über diese Geständnisse lachte, sagte der
-Laie im frohen Muth: in meinem Leben gehören die
-Leiden der Musik auch zu den empfindlichsten. Nicht der
-zu starke Enthusiasmus hat mir geschadet, wohl aber
-sind meine Kinder- und frühen Jugendjahre mir durch
-Musik verbittert worden. Lächerlichkeiten, an die ich noch
-jetzt mit einigem Schrecken denken muß.
-</p>
-
-<p>
-Sprechen Sie, alter Freund, rief der Kapellmeister,
-habe ich doch auch schon erst mein Leiden geklagt, was
-Sie freilich nicht mit angehört haben.
-</p>
-
-<p>
-Ich mochte zwölf Jahr alt seyn, fing der Laie an,
-es ging mir gut, in der Schule rückte ich schnell hinauf,
-meine Lehrer so wie meine Aeltern waren mit mir zufrieden,
-als ein böser Geist, dieser Behaglichkeit und Harmonie
-zürnend, sein Unkraut unter den aufwachsenden
-Waizen säete. Mein Vater, ein strenger, aber heiterer
-Mann, ließ mir frei, meine Bestimmung zu wählen, er
-war ein Freund der Musik, aber ohne alles Talent. An
-einem Nachmittag fragt er mich, ob ich vielleicht Lust
-hätte, ein Instrument zu spielen. Mir war der Gedanke
-noch niemals gekommen; ich solle es mir überlegen, er
-verlange es nicht, aber wenn ich mich entschließe, müsse
-ich auch Ernst machen. Darauf kannte ich ihn, ich wußte,
-daß er sich nicht wundern würde, im Fall ich keine Musik
-<a id="page-299" class="pagenum" title="299"></a>
-triebe, aber einmal angefangen, durfte ich die Sache
-niemals wieder fallen lassen. Mir war, weil mein Ohr
-noch schlief, bis dahin alle Musik höchst gleichgültig und
-langweilig vorgekommen. Die Opern haßte ich geradezu,
-weil bei den Arien und Duetten, von denen ich nichts
-vernahm, die Handlung, die mich einzig interessirte, stehen
-blieb. Nie war in unserm Hausbedarf von Musik
-etwas vorgekommen, außer in den Stunden bei dem
-Tanzmeister, zu dessen vorzüglichsten Scholaren ich gehörte,
-der es mir aber nie hatte deutlich machen können, daß die
-Musik seiner Geige mit zum Tanz gehöre. Traf ich daher
-gleich anfangs den Tact, so tanzte ich meine Menuet,
-Cosak, oder was es war, trefflich hindurch. Fehlte es
-mir aber, so half kein Aufkratzen, Anhalten, Beschleunigen,
-mich wieder in den verlornen Tact zu werfen. Ich
-hielt es auch geradezu für Aberglauben, daß man herkömmlich
-zum Tanzen aufspiele. Konnte mich schon hier
-die Musik ängstigen, so brachte sie mich in der Kirche,
-die mir schon nicht erfreulich war, fast zur Verzweiflung.
-Meine Nerven waren schwach, und die losbrausende Orgel
-mit ihren schmetternden Tremulanten verwirrte mein
-Gehirn und unerträglich fiel mir der unisone kreischende Gesang
-der Gemeine. Mit beiden habe ich mich auch noch nicht
-vertragen lernen: die Orgel, sei sie eine erhabene Erfindung,
-erschreckt und ängstigt sie mich in der Nähe, und dieser
-Choralgesang, der sich so demüthig, wie gefesselte reuige
-Verbrecher, auf dem Boden hinschleppt, nimmt mir, so
-oft ich ihn auch gut vorgetragen höre, allen Muth, alle
-Poesie und Musik erlischt bis auf das letzte Fünkchen
-in meinem Gemüth, und ein nüchterner Lebensüberdruß
-bemächtigt sich meines Geistes.
-</p>
-
-<p>
-Darüber ließe sich viel sagen, meinte der Kapellmeister,
-<a id="page-300" class="pagenum" title="300"></a>
-doch komme auch wohl eine seltne Eigenthümlichkeit
-des Laien hinzu.
-</p>
-
-<p>
-So fern, begann dieser wieder, war ich aller Musik,
-und keine Spur eines Talents hatte sich gezeigt, als der
-böse Geist es mir in den Kopf setzte, in mir sei vielleicht
-ein großer Violinspieler verborgen. Die Geige wurde
-angeschafft, ein Lehrer angenommen. Es hatten sich aber
-nun der seltsamste Scholar und der wunderlichste Meister
-zusammen gefunden, denn dieser unterrichtete mich eigentlich
-so, als wenn ich schon seit Jahren ein nicht unwissender
-Violinspieler gewesen wäre. In der ersten Stunde
-ließ er mich nur die Geige anstreichen, was mir bei meinen
-zarten Nerven keine Freude verursachte. Zur folgenden
-hatte er mir schon ein Buch gemacht, und einige
-leichte Lieder hinein geschrieben. Dies Stück, sagte er,
-geht aus <span class="antiqua">D dur</span>; es war: Blühe, liebes Veilchen. Ich
-bekümmerte mich nicht weiter darum, was die beiden
-Kreuze oder <span class="antiqua">D dur</span> zu bedeuten hatten, ob es eine oder
-mehrere Tonarten gäbe, was die Tactabtheilung, oder die
-Striche an den Noten bedeuteten, sondern wir spielten
-nun wohlgemuth das Lied durch, und ich ihm nach, Fingersetzung
-und Alles aus dem Gedächtniß. So ging es
-beim zweiten und dritten Liede, welches aus <span class="antiqua">C dur</span> ging.
-Ich sah wohl, daß nun die Kreuze fehlten, und er nannte
-jedesmal die Tonart, wenn ich falsch griff, fand es aber
-gar nicht nothwendig, weitere Erklärung hierüber, oder
-über die Dauer der Noten hinzu zu fügen. Es klingt
-märchenhaft, aber eben so wahr ist es, daß ich in dieser
-Manier sechs bis sieben Jahr die Geige gestrichen habe,
-ohne daß der Trieb in mir erwachte, der Sache näher auf
-den Grund zu kommen, oder daß er es nothwendig geachtet
-hätte, unsrer practischen Kunst einige Theorie anzuhängen.
-<a id="page-301" class="pagenum" title="301"></a>
-Uebrigens kann man sich vorstellen, wie es
-lautete. Da ich Länge und Kürze der Töne, ihre Abweichung
-in Moll und Alles, was die Musik ausmacht,
-ohne jedes Verständniß, nur aus dem Gedächtniß spielte,
-(denn ich kannte nur die Note an sich selbst, so wie sie
-auf der Linie stand, und nichts weiter) da ich überdieß
-gar kein Gehör hatte, den Bogen schlecht führte, und in
-der Fingersetzung häufig irrte, so begreift sich&rsquo;s, was ich
-für ein Charivari hervor brachte. Mein Meister, der wirklich
-geschickt im Spiel war, klagte in jeder Stunde über
-seine Ohren. Ich selbst litt, so oft ich die Violine unters
-Kinn nahm, wahre Höllenpein. Dies Schnarren,
-Pfeifen, Mauzen und Girren war mir unerträglich: selbst
-der beste Geiger hat, wenn man ihn zu nahe hört, einen
-Nebenton, die stark angestrichene Saite, besonders in der
-Applicatur, überschreit sich zuweilen, aber bei mir thaten
-sich fast nur die abscheulichsten Mißtöne hervor. Da
-meine Nerven so stark afficirt wurden, so zeigte sich mein
-Widerwille gegen das Geheul und Schnarzen, welches
-meine Finger so dicht vor meiner Nase erregten, auch
-deutlich in meinen Gesichtsmuskeln, der Mund und die
-Wangen begleiteten mit widerlichen Verzerrungen die hohen
-und tiefen Töne, die Augen klemmten sich zu und
-rissen sich auf, und ich fühlte deutlich, daß manche neue
-Falten und Lineamente sich formirten, die ursprünglich
-nicht für ein gewöhnliches Menschengesicht berechnet waren.
-Mein tiefsinniger Meister schüttelte oft sein Haupt,
-und meinte, so wenig Talent als ich habe keiner seiner
-Scholaren. Mir begegneten aber auch in der That mehr
-Unglücksfälle, als ich sonst bei ausübenden Künstlern
-wahrgenommen hatte. Kamen wir so recht in Eifer und
-lieferten, nachdem ich schon länger studirt hatte, die raschen
-<a id="page-302" class="pagenum" title="302"></a>
-muthigen Passagen: so rutschte im Allegro mein
-Bogen über den Steg, und im Entsetzen ließ mein Lehrer
-die Geige sinken, denn welcher Ton alsdann im heftigen
-Streichen aufquikt, weiß nur der, dem dieses Abenteuer
-begegnet ist. Mehr wie einmal fiel der Steg
-selber um, wie aus Mitgefühl, und ein heftiger Knall
-endigte mit Macht ein schmachtendes Largho mitten in
-der Note. Einmal sogar, und ich dachte der Tod ergriffe
-mich, brach der Knopf ab, der unten das Saitenbrett
-festhält, und sprang unbarmherzig gegen meine Nase.
-Für diese Stunde war denn unsre Harmonie zu Ende,
-und das Instrument mußte erst wieder hergestellt werden.
-Nach einem Zeitraum war denn auch mein Vater so neugierig
-zu hören, wie ich mich applicire. Ich trug ihm einige
-der Lieder vor, die ich am besten inne zu haben glaubte.
-Er erschrak über das, was er hörte, und erstaunte noch
-mehr über das, was er sah. Er meinte nämlich, in der
-Kunst, Gesichter zu schneiden, sei ich unbegreiflich weit
-vorgeschritten, und meine Musik könne doch von Nutzen
-seyn, Ratten und Mäuse zu vertreiben; er warnte mich
-nur zum Beschluß, den Ausdruck meiner musikalischen
-Physiognomie doch etwas zu beschränken, weil ich außerdem
-auf dem graden Wege zum Affen sei. Das war
-mein Lohn dafür, daß ich das damals populäre rührende
-Lied: Hier schlummern meine Kinder &amp;c. ihm nicht ganz
-ohne Glück vorgetragen hatte, denn dies war gradezu meine
-Lieblings-Arie, in der ich firm zu seyn glaubte, die auch
-in den Mitteltönen mit melancholischer Gesetztheit verweilte,
-und nicht in den Discant oder gar in die Applicatur
-hinauf stieg, die ich ein- für allemal verabscheute.
-</p>
-
-<p>
-Hatten Sie denn aber gar keinen Ersatz für diese
-mannigfaltigen Leiden? fragte der Kapellmeister launig.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-303" class="pagenum" title="303"></a>
-Wenig, erwiederte der Laie: als mein Lehrer es nöthig
-fand, wegen des Ausdrucks für mich ein Sordin zu
-kaufen, den ich mit Freuden aufsteckte, weil es doch einmal
-einen andern Ton gab, die Dämpfung auch wie ein
-spanischer Reiter es dem reißenden Bogen unmöglich
-machte, wieder jenseit dem Steg zu springen. Auch
-machte es mir innige Freude, als wir erst weiter vorgerückt
-waren, in den Ouvertüren die Vierundsechszigtel
-als eine und dieselbe Note dreißigmal abzuspielen, welche
-meistentheils gegen Ende des Stücks, kurz vor dem Aufzug
-der Gardine, vorkommen. Diese wiederholte ich gern
-in der Einsamkeit, weil in diesen Passagen keine große
-Schwierigkeit ist, mir auch der so oft wiederholte Ton
-die Empfindung gab, als wenn ich in meinem geliebten
-Theater säße.
-</p>
-
-<p>
-Aber damals, fragte der Kapellmeister, hatten Sie
-doch wohl einige klare Begriffe von der Musik?
-</p>
-
-<p>
-So wenige, antwortete der Laie, wie in der allerersten
-Stunde; Tact, Vorzeichnung, Tonart, nichts von
-alle dem begriff ich, sondern spielte Sonaten und Symphonieen
-so pur aus dem Gedächtniß hin, wie ich es
-von meinem Lehrer hörte! auch vernahm ich keine Melodie,
-keinen musikalischen Gedanken; hie und da führten
-mir wohl ein paar Tacte eine Art von Verständniß herbei,
-das ich aber nie weiter verfolgen konnte. So fern
-war ich allem Begreifen, daß ich mir einmal einbildete,
-weil <span class="antiqua">g</span>, <span class="antiqua">h</span>, <span class="antiqua">a</span> und <span class="antiqua">b</span> vorkommen, daß das ganze Alphabet
-wohl in den Noten enthalten sei, und daß man bei der
-Composition eines Liedes nichts zu thun habe, als die
-Noten zu nehmen, die die Buchstaben eines Wortes bezeichneten,
-und sie dann schneller oder langsamer abzuspielen.
-Wie ich nun meinen Lehrer fragte, wo denn das
-<a id="page-304" class="pagenum" title="304"></a>
-<span class="antiqua">m</span>, <span class="antiqua">r</span> oder <span class="antiqua">p</span> stecke, wurde ich zwar von diesem sehr verlacht,
-aber doch nicht besser belehrt, denn er erstaunte nur
-immer von Neuem über meine ungeheure Einfalt, daß ich
-das alles nicht wisse, was sich doch von selbst verstehe.
-Eben da mir alle Musik nur wie ein Charivari vorkam,
-so ließ ich mir beigehn, auch selbst einmal zu componiren.
-Der Tact schien mir gleich ein Vorurtheil, eine
-Tonart brauchte ich noch weniger, und nie werde ich die
-Freude vergessen, die ich meinem Meister machte, als ich
-meine wild zusammen gewürfelten Noten ihm als meinen
-ersten dichtenden Versuch überbrachte. Er wollte sich
-ausschütten vor Lachen, und konnte nicht müde werden,
-sich unter Lust und Freude meine Phantasie vorzuspielen.
-Mir klang sie wie jede andere Musik.
-</p>
-
-<p>
-Der braune alte Italiener erfreute sich sehr über
-diese Erzählung, und selbst der finstere Graf lächelte. Es
-ist unbegreiflich, sagte der Baron, daß Sie so lange ausgehalten
-haben. Ich mußte wohl, erwiederte der Erzähler,
-meines strengen Vaters wegen, da ich das Ungethüm
-einmal begonnen hatte. Sonst bekümmerte er sich nicht
-weiter um meine Kunst, weil er einigemal, da ich ihm
-Sonntags Nachmittags einen Zeitvertreib machen sollte,
-von meinem Spiel, wie er behauptete, Zahnschmerzen bekommen
-hatte. Einmal widerfuhr mir als ausübenden
-Künstler eine ausgezeichnete Demüthigung. Die Besitzerin
-des Hauses, in welchem wir wohnten, hatte zum Geburtstage
-ihrer erwachsenen Tochter eine große Anzahl
-hübscher Mädchen gebeten. Um das Fest unerwartet
-fröhlich zu machen, hatte die gute Dame mit meiner
-Mutter die Abrede getroffen, ich sollte heimlich mit meiner
-Geige hinauf kommen, im Nebenzimmer plötzlich stimmen,
-und den überraschten schönen Kindern dann einige
-<a id="page-305" class="pagenum" title="305"></a>
-englische Tänze aufspielen, damit sie einmal im Saale
-recht wohlgemuth herumspringen könnten. Ich wurde in
-das Nebenzimmer mit allem Geheimniß geführt: ich sah
-durch den Vorhang in die allerliebste Versammlung hinein,
-&mdash; aber nun, &mdash; die Geige <em>stimmen</em>! Wie gemein!
-Ich hatte es auch in meinem Leben nie versucht,
-weil mein Meister das besorgte, ich hörte auch niemals
-einen Unterschied, wenn sie nach seiner Meinung im Stande
-war, und wenn sie nicht jetzt schon richtig stimmte, so
-konnte ich auf jeden Fall nur Uebel ärger machen. Es
-schien mir edler sowohl wie vorsichtiger, mit meiner Lieblings-Arie
-mich anzukündigen, und so ließ ich dann plötzlich
-das: &bdquo;Hier schlummern meine Kinder&ldquo; anmuthig
-ertönen. Die Freude dieser Nicht-Schlummernden war
-unbeschreiblich, mit Jubel ward ich in den Saal gezogen,
-wo ich wie geblendet stand, da ich noch niemals so viele
-reizende Wesen beisammen gesehen hatte. Das war ein
-Fragen und ein Bestellen; ich zeigte ihnen die englischen
-Tänze, die mir mein guter Meister in mein Notenbuch
-geschrieben hatte, ich spielte einen auf, aber er wollte nicht
-passen. Sie fragten nach der Anzahl der Touren und
-dergleichen, was mir alles unverständlich war. Ich sollte
-ihnen den Tanz und die Musik dazu arrangiren. Ich versuchte
-noch eine Anglaise und eben so die dritte, nun war
-meine Kunst zu Ende, und da auch diese nicht paßten
-und wir uns gar nicht verständigen konnten, so mußte
-ich, den sie im Triumph eingeholt hatten, mit der größten
-Beschämung wieder abziehen, und sie endigten ihren
-Nachmittag in Verdruß, der ihnen ohne die plötzliche unerwartete
-Freude heiter verflossen wäre. Meiner Mutter,
-die mich ausfragte, erzählte ich, die Mädchen hätten eigentlich
-gar nicht tanzen können; und so kam es mir
-<a id="page-306" class="pagenum" title="306"></a>
-auch vor, da sie sich aus meinem Spiel nicht zu vernehmen
-wußten. &mdash; Mein Meister wurde endlich zu einer
-auswärtigen Kapelle verschrieben, und nun glaubte ich,
-meiner Qual los zu seyn: mein consequenter Vater aber
-hatte schon wieder einen neuen Lehrmeister bei der Hand,
-der, als ich ihm meine Künste vorgespielt hatte, die Sache
-gründlich wieder von vorne anfing. Ich, der ich schon
-Symphonieen und die schwierigsten Sachen vorgetragen
-hatte, mußte jetzt jene mir verhaßten Choräle und Kirchenmelodieen
-einlernen, lauter Noten aus halben oder
-ganzen Tacten, weil mein neuer Meister behauptete, ich
-hätte weder Strich noch Fingersetzung. Dieser hatte ein
-so delikates Ohr, daß er bei meinen Mißtönen fast ärgere
-Gesichter schnitt, als ich selber, er lachte auch niemals
-über meine Ungeschicklichkeit und Mangel an Talent, wie
-der erste, sondern nahm sich die Sache sehr empfindsam
-zu Herzen, und war manchmal fast dem Weinen nahe.
-Zum Glück dauerte diese neue Schererei etwa nur ein
-halbes Jahr, worauf ich zur Universität abging, und seitdem
-kein Instrument wieder angerührt habe. Diese Bekenntnisse,
-meine Herren, schildern nur kurz den geringsten
-Theil meiner musikalischen Leiden, denn wenn ich sie
-ganz hätte darstellen wollen, würde mir Zeit und Ihnen
-die Geduld ermangeln.
-</p>
-
-<p>
-Jetzt ist die Reihe an Ihnen, sagte der Baron Fernow,
-indem er sich zum alten Italiener wandte, Sie haben
-bei diesen Erzählungen eine besondere Freude gezeigt,
-und es ist wohl billig, daß Sie uns auch einige Ihrer
-Leiden mittheilen, die Ihnen wohl, als einem alten Virtuosen,
-nicht gefehlt haben können.
-</p>
-
-<p>
-Ach! meine Herren, sagte der Alte mit einem sonderbaren
-Gesicht, meine Leiden seyn zu tragisch, um Plaisir
-<a id="page-307" class="pagenum" title="307"></a>
-zu machen, auch kann meine welsche Zunge nicht in
-die Landstraße von der deutsch Idiom recht fortkommen,
-muß daher um Nachsicht anfleh, wenn meine Confession
-etwas mit Confusion verschwägert seyn sollte. Ich war
-von Jugend auf geübt im Sang, fertig im Clavierspiel
-und guter Tenor, frisch auf Theatern mit Glück in Napoli
-gesungen, und brav beklatscht und <span class="antiqua">e viva!</span> mich zugerufen.
-Ging nach Rom, gefiel nicht so ausnehmend,
-denn die Herren <span class="antiqua">Romani</span> seyn kritischer Natur, bilden
-sich ein, die feinste Ohreinrichtung in den ganzen Italia
-zu haben. Ach! aber hier sah ich im Carneval eine junge
-Demoiselle, die Stunde bei mich nahm, um nachher in
-Firenza zu singen, auch auf das Theater. Ach! welcher
-Ton! welche Talente! welche Augen! Nun das war ein
-<span class="antiqua">cara mia</span>, <span class="antiqua">amor</span> und <span class="antiqua">mio cour</span>, bis wir, eh&rsquo; wir uns
-das Ding versahn, mitsammen davon gelaufen waren,
-und singen nun in Firenza auf Theater aus Leibesmacht
-als Mann und Frau. Hatten viel Zärtlichkeit in der
-Eh, aber auch manchen Verdruß, denn <span class="antiqua">cara mia</span> war der
-Jalousie ergeben, und meine Wenigkeit war dazumal ein
-gar hübscher <span class="antiqua">Giovine</span> und die Frauenzimmer rührten leicht
-mein Herz. Doch Alles ging gut, bis wir in eine deutsche
-Residenz engagirt wurden. Da lebte ein Compositeur,
-ein Maestro, so recht ein Theoretiko, voll Prätension,
-aber gescheidt, dabei ein hübsch wohlgewachsen Männel.
-Der Hortensio gefiel meiner Cara, und sie wollte nun
-seine Schülerin vorstellen, in edel große Manier singen,
-mit Seele, wie Hortensio sagte, nicht mehr aus Hals
-und Kehle, sondern so wie die Deutsche meinen, aus das
-Gemüth heraus. Gemüth! eine extra deutsche Erfindung,
-die alle andern Natione gar nicht kennen. Bis dahin
-hatte die Gute ihren schönen Ton gehabt, grausame Höhe
-<a id="page-308" class="pagenum" title="308"></a>
-hell wie Glas, spitz, laut, mochte Compositeur componiren
-wie er wollte, brachte er seinen hohen Ton, flugs
-hatten wir ihn weg, richtig mußte er in seine Passage
-und Cadenz hinein, hinaufgeschroben, höher und immer
-höher, da oben dann umgeschwenkt, und wieder hinab
-gegurgelt, und <span class="antiqua">brava! brava! bravissima!</span> aus den Logen
-heraus geschrieen, mit Fächern und Händchen geklopft,
-<span class="antiqua">mia cara</span> sich verneigt, Arme kreuzweis vor der Brust,
-und keinem Menschen wars eingefallen, daß <span class="antiqua">monsieur
-Compositeur</span> da hatte Gedanken, aparte Fühlungen hinein
-drechseln wollen. Aber Hortensio! Hortensio! <span class="antiqua">bestia
-maladetta!</span> denk&rsquo; ich, der Schlag soll mich rühren, wie
-ich zum ersten Mal die seelische Manier in mein Ohr
-hinein hör! Keine Passage, keine Uebergänge, keine Triller,
-singt daher wie ein Kalb, das geschlacht werden soll,
-pur ohne Manier und Methode. Ich war der <span class="antiqua">primo
-nomo</span>, konnte aber nicht lassen, meine <span class="antiqua">prima donna</span> im
-Liebesduett rechtschaffen in den runden Arm zu zwicken.
-Schreit sie auf gefährlich: meinen die Leut, das soll auch
-große neue Manier seyn, und fangen an zu lachen. Von
-dem Tage Zwietracht unter uns, kein Beifall vom Publikum
-mehr. Hortensio war großer Theoretiker und Enthusiast,
-wollte aber keinen Amanten abgeben, war verheirathet
-an eine gute Frau, die nach deutscher Manier
-ganz Seele war. Nun steigt in meiner zarten Isabelle
-die Bosheit immer höher. Sie will retour in alte brillante
-Manier, verflucht Seele und Gemüth, aber war nicht
-anders, als wenn die Töne wie Besessene durch einander
-schrieen, kochte und zwirbelte oft in der Gurgel, murrte
-und pfiff, als wenn Satansbrut in dem kleinen Hals mit
-einander auf Gabel und Besenstiel wie zum Schornstein
-hinaus auf die liebe Blocksberg fahren und rutschen wollten.
-<a id="page-309" class="pagenum" title="309"></a>
-So war das Elend komplett, fehlte nur noch, daß
-sie mir alle Schuld gab, und das that sie denn auch redlich:
-ich sänge so schlecht, wäre rückwärts gegangen: <span class="antiqua">enfin</span>,
-wir kriegten beide unsern Abschied mit kleine Pension.
-Zogen durch alle Provinz, den wohlfeilsten Ort anzutreffen
-und fanden immer die allertheuersten, gaben Concert,
-ich Privatstund im Singen. Die <span class="antiqua">cara</span> Isabella konnte
-aber Musik nicht aufgeben, und je ärger es wurde, je
-lieber sie sang, als kein Mensch mehr zuhören wollte,
-trieben wir das Spektakel <span class="antiqua">privatissime</span> auf unserer Stube.
-Ja, da mußte ich ganzer Mann seyn, um mit meine
-Heroismus das Schlachtgeschrei auszuhalten, und oftmals
-dachte ich, es müßte gesterben werden. Wir hatten großen
-mächtigen Kater, der lag immer auf das Clavier:
-sehn Sie, das Kerl fürchtete sich weder vor Ratz noch
-Maus, lief vor keine noch so große Hund, und hatte sich
-mal mit einem allmächtigen Bullenbeißer gekratzt: aber
-so wie meine Gemalin nur den Deckel aufmachte, um die
-Harmonie loszulassen, so lief das Katz was es konnte
-bis auf den allerobersten Boden. Wir tobten so gewaltig,
-daß uns kein Wirth mehr zum Miethsmann einnehmen
-wollte. Natürlich mochte nun kein Mensch mehr
-unser Concert hören, denn die menschliche Ohr seyn
-meistentheils etwas zart construirt und sehr viel Menschen
-haben fast natürlichen Widerwillen gegen Detoniren und
-widerwärtigen Gesang.
-</p>
-
-<p>
-An einem Tage sagte mir die Gattin, ich solle meine
-beste Kleid anziehn, es sei große reputirliche Gesellschaft
-von Zuhörer gebeten. Wir sangen und tobten, es war
-aber kein Mensch da. Wie ich in der Nacht darüber mit
-ihr redte, sagte sie, die gewöhnliche Menschheit sei zu
-platt und grob organisirt, ihre Kunst zu fassen, darum
-<a id="page-310" class="pagenum" title="310"></a>
-habe sie Ueberirdische invitirt, die klagten niemals über
-Dissonanz, ich aber sei ein Gesell, zu plump, um die feinen
-Creaturen mit meine dumme Augen zu sehn. Nun
-gings immer so fort mit die Engelssocietäten, und sie erzählte
-mich viel von dem großen Beifall, den ihr Vortrag
-bei die Kenner fände. Am andern Abend, als wieder
-große Geisterassamblée bei uns war, und wir beide gnug
-schrieen, sagte sie zu mir plötzlich, ich sänge entsetzlich
-falsch, es sei nicht auszuhalten, und König David, der
-gewiß ein Kenner in Musiken sei, wolle gar nicht wieder
-kommen, wenn ich nicht richtiger und mit mehr Respect
-sänge. Ich sollte gleich hin, und <span class="antiqua">Majesté</span> um Verzeihung
-bitten. Wo sitzt er denn? Da, nahe am Ofen, denn
-der alte Herr hätte etwas kalt. Ich trug meine submisse
-Devotion in höfliche Redensart vor und wurde pardonirt.
-</p>
-
-<p>
-Armer Mensch! sagte der Kapellmeister gerührt, und
-wie lange lebte die Wahnsinnige noch?
-</p>
-
-<p>
-Bitte sehr um Verzeihung, erwiederte der Italiener,
-meine selige Gattin nicht zu lästern, war nichts weniger
-wie etwa toll im Kopf, dachte es auch erst, sah aber bald
-meinen Irrthum. Denn als es noch kälter wurde, die
-Tage immer kürzer, die Selige mich auch tüchtig tribulirt
-hatte und ich mir fast den Hals entzwei gesungen, weil
-diesmal alle Maccabäer uns die Ehre erzeigten, da sah
-ich, wie ich Licht hereinbrachte, die ganze Stube voll unsichtbarer
-Menschen, will sagen, verstorbene Geister. Seitdem
-mir nun die Binde von meine Augen herunter gefallen
-war, habe ich manche interessante Bekanntschaft
-unter die Abgeschiedenen gemacht, und hatte nun gar
-nicht mehr nöthig, viel mit die sterbliche Menschen umzugehn.
-</p>
-
-<p>
-Das glaub&rsquo; ich, sagte der Baron, indem er den Erzählenden
-<a id="page-311" class="pagenum" title="311"></a>
-mit einem prüfenden Blicke anstarrte; die Tochter
-rückte etwas weiter von ihm weg, der Enthusiast war
-erstaunt, der Laie lachte, und nur der Graf, welcher ihn
-schon kannte, blieb ruhig. Wir sahen ein, fuhr der Alte
-fort, daß die zu weit ausgebreitete Bekanntschaft mit die
-ganzen Vorzeit etwas lästig werden könnte, und beschränkten
-uns nachher fast nur auf die berühmte Musiker. Ja,
-meine Herren, da habe ich nachher erst Dinge über Contrapunct,
-Wirkung, Ausbeugung und über Charakter von
-die Tonarten erfahren, die in keinem Buche stehen. Aber
-meine liebe Frau starb bald, und seitdem habe ich den
-Umgang auch nicht fortsetzen können, denn alle die Herren
-haben sich mich allein, da <span class="antiqua">Cara mia</span> nicht zugegen,
-seitdem mir nicht wieder gezeigt.
-</p>
-
-<p>
-Der Baron fragte den Grafen nach einer Pause, ob
-er nicht auch vielleicht einige musikalische Leiden vorzutragen
-habe, und dieser, der bis jetzt geschwiegen hatte,
-fing so an: Ihre Klagen, meine Herren, waren zum Theil
-darüber, daß sie mit der Musik in Verbindung kamen,
-ohne eigentliche Lust oder scharfen Sinn für diese Kunst
-zu besitzen. Mein Elend kommt von der entgegengesetzten
-Seite. Von frühester Jugend war meine Freude an Musik,
-mein Trieb zu ihr überreizt zu nennen, auch machte er
-meinen Eltern und Erziehern gnug zu schaffen. Ich wollte
-nichts anders lernen, und verwünschte oft meinen Stand,
-der mich hinderte, ein ausübender Künstler zu werden.
-Wo nur ein Ton erklang, wo nur Gesang sich hören ließ,
-da war ich gleich mit ganzer Seele, und vergaß alle meine
-Geschäfte. Mein Vater, ein ernster, heftiger Mann, zürnte
-über meinen Enthusiasmus, der allen seinen Absichten
-feindlich zu werden drohte. Da ich auch zu leidenschaftlich
-war, und im jugendlichen Eifer wähnte, ich könnte
-<a id="page-312" class="pagenum" title="312"></a>
-meine Kunst nicht fanatisch gnug vertheidigen, so verletzte
-und kränkte ich oft meinen Vater auf ungeziemende Weise,
-und dieser Kampf, diese Reue und Zerknirschung über
-meine Hitze, Verstimmung gegen die Welt und mich, dies
-traurige, zerrissene Wesen verdarb mir völlig die Heiterkeit
-meiner Jugend, denn der gewaltsam errungene Genuß
-meiner Kunst war doch nicht im Stande, mir alles das
-zu ersetzen, was ich einbüßen mußte. Ja, sei es nun,
-daß meine Erwartungen zu hoch gespannt waren, daß
-meine Ahndung für das Höchste zu sehr meine Forderungen
-stimmte, genug, es wurden mir auch die Werke der
-Kunst selbst, so gut wie ihr Vortrag, oft allzusehr verkümmert.
-Denn ich glaubte nicht selten wahrzunehmen,
-daß man so vieles in die Musik aufgenommen habe, was
-dieser Kunst ganz fremd bleiben müsse, daß sie meistentheils
-zu sehr zum Zeitvertreibe herab gesunken sei, daß
-sie um Effecte buhle, die ihrer unwürdig sind, und daß
-die wenigsten Sänger nur wissen, was Vortrag und Gefühl
-zu bedeuten habe. Eine tiefe Schwermuth konnte
-sich meiner bemeistern, daß fast nirgend in der Welt die
-Stimmung angetroffen werde, die ich für nothwendig
-hielt, wenn diese hohe Kunst ihr Element finden sollte.
-Ich mußte denn endlich meinem Vater doch nachgeben
-und an den Geschäften Theil nehmen. Die Arbeit wurde
-mir leichter als ich mir vorgestellt hatte, und mein Vater,
-der mich wegen meiner Kunstliebe für fast blödsinnig
-gehalten, war so mit mir zufrieden, daß seine ehemalige
-Zärtlichkeit gegen mich erwachte. Nach einigen Jahren
-ward ich in diplomatischen bedeutenden Geschäften an einen
-großen Hof gesendet. Seit lange hatte ich die neuen
-Sänger und Sängerinnen beobachtet, und war fast mit
-allen unzufrieden. Wenn die Stimme das Gefühl, den
-<a id="page-313" class="pagenum" title="313"></a>
-Enthusiasmus der Leidenschaft ausdrücken soll, so muß
-sie sich großartig erheben, mächtig anschwellen, und die
-Höhe nur deswegen suchen, um die stärkste Lichtregion
-und Kraft zu gewinnen. In dieser Gegend ist es, wo
-Componist und Sängerin das Uebermenschliche der
-Liebe, der Klage, der Andacht und jeder Regung der
-Seele ausdrücken können: und doch fand ich fast immer,
-daß der Wohllaut, die Wollust dieser Klänge nur
-gebraucht wurden, um eine kleine Künstlichkeit, eine Art
-Springerei anzubringen, eine Virtuosität, die wohl ganz
-nahe an die Seiltänzer grenzt, und von der ächten Kunst
-ganz ausgeschlossen seyn sollte. Noch schlimmer fast erschienen
-mir diejenigen, die nach einer ziemlich verbreiteten
-neuen Manier den Ausdruck anbringen wollten. Kein
-<span class="antiqua">Crescendo</span>, kein Portament der Stimme, sondern ein
-plötzlicher Aufschrei, wie ein Angst- oder Hülferuf, dann
-ein eben so plötzliches Verhauchen, ein unmotivirtes Sinkenlassen
-des Gesanges, ein dumpfer Seufzer statt des
-Tons, und so fort in diesem schroffen eckigen Wechsel, so
-daß ich jetzt nichts hörte, und jetzt wieder von grellen
-Tönen erschreckt wurde, ein Unfug, den oft ein ganzes
-Publikum bewunderte, und der mir noch jenseit dem Anfange
-der Schule zu liegen schien, oder mir vielmehr
-wie der rohe unmusikalische Gegensatz alles Gesanges
-vorkam. Von dem neuesten Geschmack der Opern will
-ich schweigen, denn hier fände ich meinen Klageliedern
-kein Ende.
-</p>
-
-<p>
-Als ich dem fremden Hofe mich vorgestellt hatte,
-empfing ich bald darauf den Bescheid, daß ich mit einem
-wichtigen Auftrage schnell in mein Vaterland zurück
-müsse. Am Abend war beim Bruder des regierenden
-Fürsten Concert, und eine fremde Sängerin wollte sich
-<a id="page-314" class="pagenum" title="314"></a>
-zum ersten Mal hören lassen. Ich begab mich in den
-Concertsaal. Nur der Sängerin Nacken, dessen blendende
-Weiße von einem wunderlich gekräuselten braunen Löckchen
-erhöht wurde, konnte ich wahrnehmen, so wie einen Theil
-des feingerundeten Ohres, so dicht war das Gedränge.
-Aber jetzt erhob das Mädchen den Ton, und ging in einen
-zweiten über, und strahlte den dritten aus, so mächtig,
-edel, rein, voll und lieblich zugleich, daß ich wie bezaubert
-stand, denn das war es, wie ich es mir immer
-gedacht, ja es war mehr, wie ich gewünscht hatte. Dieser
-reine, himmlische Discant war Liebe, Hoheit, zarte Kraft
-und Fülle der edelsten, der überirdischen Empfindung. Da
-hörte ich nicht den spitzen, blendenden Glaston, der noch
-die Harmonika überschleift, nicht die Betäubung in der
-letzten, schwindelnden Höhe, die wie mit Spitzen das Ohr
-verletzt und durchbohrt, nicht die Ohnmacht an der Grenze
-der Stimme, die erst ein Mitleidsgefühl in uns erregt,
-und von diesem dann Hülfe und Beifall bettelt: nein, es
-war die Sicherheit selbst, die Wahrheit, die Liebe. Nun
-begriff ich erst, wie Hasse hatte wagen können, zuweilen
-in seinen Arien durch viele Tacte den Sopran auf ein
-und zwei Sylben trillern, sich senken und wieder steigen
-zu lassen. Ich war so entzückt, daß ich mich und Alles
-vergaß, ich legte in diesem höchsten Augenblick meines
-Lebens das sonderbare Gelübde mir selber heimlich ab,
-daß nur dieses Wesen mit dieser Wunderstimme, oder
-keins, meine Gattin werden sollte. Der Rath und der
-Laufer des Fürsten hatten mich schon zwei-, dreimal erinnert.
-Ich ging zum regierenden Herrn in das Schloß
-hinüber. Es ward mir schwer, meine Lebensgeister zu
-dem sehr bedeutenden Gespräche zu sammeln. Nach der
-Audienz mußte ich mich in stürmischer Nacht in den Wagen
-<a id="page-315" class="pagenum" title="315"></a>
-werfen. Kein Diener, am wenigsten der alte Rath,
-mein Begleiter, wußten mir von der Sängerin etwas zu
-sagen. In meinem Vaterlande angekommen, erwarteten
-meiner dringende Arbeiten, die mich selbst in den Nächten
-beschäftigten, ich konnte meinen Vater, der auf dem Krankenbette
-lag, nur wenig sehn. Als ich fertig war und
-meinem leidenden Vater jetzt meinen Trost und Dienst
-widmen wollte, konnte ich ihm nur noch die Augen zudrücken.
-Jetzt wußte ich erst, wie theuer mir der edle
-Mann gewesen war, doch war es mir jetzt erlaubt, meiner
-Neigung zu folgen; ich entzog mich den Staatsdiensten.
-Sobald es meine geordneten Geschäfte zuließen, reisete
-ich nach jener Residenz zurück, &mdash; aber &mdash; und wie
-ist dies zu begreifen? Kein Mensch, kein Musiker, Niemand
-am Hofe wollte von jener Sängerin, oder jenem
-Abend, den ich beschrieb, etwas wissen, als sei diese einzige,
-himmlische Stimme eine der gewöhnlichsten Erscheinungen,
-die man kaum bemerkt und dann vergißt, oder
-als sei ich in Wahnsinn und Bezauberung, daß ich mir
-Alles nur eingebildet habe.
-</p>
-
-<p>
-Als jede Nachforschung vergeblich war, suchte ich auf
-Reisen jenes Wunder wieder anzutreffen. Darum versäumte
-ich kein Concert und keine Oper, suchte jede musikalische
-Versammlung auf, und immer vergebens. Seit
-zwei Jahren führe ich dies unruhige traurige Leben, und
-heut Abend dacht&rsquo; ich thöricht zu werden, denn in der
-fremden Dame glaubte ich meine Unbekannte gefunden zu
-haben, dieselbe Locke im Nacken, derselbe feine Contour
-des Ohrs; und Mund und Physiognomie schienen mir
-ganz wie die einer Sängerin.
-</p>
-
-<p>
-Die Tochter des Hauses versicherte noch einmal,
-daß der Graf sich durchaus irre, und daß seine Bemerkungen
-<a id="page-316" class="pagenum" title="316"></a>
-über Gesang fast eben so einseitig als fein zu
-nennen wären. Denken Sie denn Ihr sonderbares Gelübde
-zu halten? fragte hierauf der Baron.
-</p>
-
-<p>
-Ich muß wohl, erwiederte der Graf, denn mögen Sie
-auch lächeln und es unbegreiflich finden, jener wunderbare
-süße Ton hat mir Liebe, wahre Liebe eingeflößt.
-Warum soll denn unser Auge der einzige Sinn seyn, der
-uns dies Gefühl, diesen enthusiastischen Taumel zuführt?
-Ich träume von dieser Engelsstimme, immer vernehme ich sie,
-Alles erinnert mich an diesen Ton: o Himmel! wenn er verschwunden,
-wenn sie gestorben seyn sollte! Ich mag mir
-die Unermeßlichkeit dieses Elends gar nicht vorstellen.
-</p>
-
-<p>
-Die Uebrigen, den Laien abgerechnet, schienen diese
-Leidenschaft nicht begreifen zu können, oder an sie glauben
-zu wollen. Da es spät war, trennte man sich, und
-der Italiener begleitete den Grafen, in dessen Hause er
-wohnte.
-</p>
-
-<p>
-Eccellenza, fing er in einer einsamen Straße an, thut
-mir die Gefälligkeit, mich übermorgen vor das Thor da
-in den Tannenwald zu begleiten, da will ich mir umbringen.
-</p>
-
-<p>
-Narr! sagte der Graf, was fällt Euch einmal wieder
-ein? Habe ich nicht versprochen, für Euren Lebensunterhalt
-zu sorgen?
-</p>
-
-<p>
-Alles recht schön, sagte jener, danke auch für die
-Großmuth; aber ich bin mein Leben völlig satt, so sehne
-ich mir nach meiner abgeschiedenen Hälfte.
-</p>
-
-<p>
-Damit Ihr auch jenseit, fragte der Graf, Euer Katzenkonzert
-wieder fortsetzen könnt?
-</p>
-
-<p>
-Nicht blos deswegen, erwiederte der Alte, bin aber
-mit Isabellen so gewohnt gewesen, mit Palestrina, Durante,
-Bach und alle große Leute, den königlichen Kapellmeister
-<a id="page-317" class="pagenum" title="317"></a>
-David mit eingerechnet, zu leben, daß ich es mit
-so ordinären Menschen nicht mehr aushalten kann. Wie
-rathen mich, Eccellenza, daß ich mir umbringen soll, hängen,
-schießen oder ersaufen?
-</p>
-
-<p>
-Ich werde den Narren einsperren lassen, sagte
-der Graf.
-</p>
-
-<p>
-Hat jedes etwas für sich, fuhr der Italiener fort,
-ohne sich stören zu lassen: Luft, Feuer, Wasser; jedes ein
-ganz gutes Element. Ein einziges Ding könnte mich
-mein Leben versüßen, so daß ich wieder in die Lebenslust
-einbisse.
-</p>
-
-<p>
-Nun, und was?
-</p>
-
-<p>
-Daß ich den Herrn Hortensio nochmal anträfe.
-</p>
-
-<p>
-Und weshalb?
-</p>
-
-<p>
-Daß ich ihn so recht abwamsen, durchdreschen könnte,
-daß er dazumal meiner <span class="antiqua">Cara</span> die Gesangmethode so verdorben
-hat.
-</p>
-
-<p>
-Phantast! sagte der Graf, indem sie durch die Thür
-schritten. &mdash; Und was ist Eccellenza? murmelte der Alte,
-indem die Diener ihnen entgegen kamen.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Der Kapellmeister war in Verzweiflung. Es war
-ganz so gekommen, wie er gefürchtet hatte. Die erste
-Sängerin zeigte sich mehr als empfindlich, sie fühlte sich
-beleidiget, und sogleich war auf einen Wink von ihr eine
-recht schwere Krankheit da, die ihr es unmöglich machte,
-einen Ton zu singen, ja nur ihr Zimmer zu verlassen.
-Der Enthusiast wandelte und rannte hin und her, aber
-seine Vermittlung machte die Sache eher ärger als besser,
-denn da er treuherzig wieder erzählte, was jede der Parteien
-geäußert hatte, so wurde der Kapellmeister immer
-<a id="page-318" class="pagenum" title="318"></a>
-mehr erbittert, und die Sängerin ging am Ende so weit,
-daß sie verlangte, statt der beiden Haupt-Arien sollten
-zwei ganz neue gesetzt werden, und das Duo im letzten
-Acte müsse in den ersten und zwar gleich in den Anfang
-verlegt seyn, auch forderte sie noch für sich die große Arie
-der zweiten Sängerin, ohne welche Bewilligungen an keinen
-Friedensschluß zu denken sei. Ueber diese ungeheure
-Forderungen gerieth der Kapellmeister so außer sich, daß
-er schwur, sie solle nun in seiner Oper gar nicht singen,
-ob er gleich noch nicht wußte, wie er seiner Verlegenheit
-abhelfen sollte. Wenn nur meine Cara noch lebte! rief
-der alte Italiener aus, der an den Berathschlagungen
-Theil nahm, und jetzt die Verzweiflung des Kapellmeisters
-sah; ach! wie brillant könnte die Selige zum Theater
-wieder auferstehn! Die Rolle ist ganz und gar für sie
-geschrieben.
-</p>
-
-<p>
-Könnt Ihr sie nicht vielleicht selbst übernehmen?
-fragte der Kapellmeister in tragischer Bosheit.
-</p>
-
-<p>
-<span class="antiqua">Signor si!</span> rief der Alte, wenn Ihr kein ander Subject
-findet, ich kann zum Entsetzen einen hohen Sopran
-durch die Fistel singen.
-</p>
-
-<p>
-Es kommt wirklich fast auf eins hinaus, rief der
-Componist in seiner Verzweiflung, ob man so oder so parodirt
-wird; wenigstens würde doch kein Liebhaber bei
-einer unpassenden Gelegenheit klatschen, und kein Eifersüchtiger
-oder der Bewunderer der zweiten Dame aus
-Neid pochen und zischen. Unternehmt Ihr, Alter, aber
-auch liebenswürdig zu erscheinen?
-</p>
-
-<p>
-Was der Mensch leisten kann, antwortete jener, der
-es für Ernst hielt: vor dreißig Jahren war ich zum Malen
-hübsch, und wenn ich mal auf Carneval in Weibskleidern
-ging, lief mir alles junge Mannsvolk nach.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-319" class="pagenum" title="319"></a>
-Die Prima Donna hätten wir also, sagte der Enthusiast,
-und wenn die Oper nur Nacht und Verfinsterung
-des Theaters erforderte, und kein Mensch die Sache erführe,
-so käme es wohl auf den Versuch an, welche Wirkung
-der alte Freund machen würde.
-</p>
-
-<p>
-Wenn ich nicht vor der Aufführung todt bin, warf
-der Italiener ein, so wie das andere Subject krank ist,
-so möchte ich wohl in das Sterben gerathen.
-</p>
-
-<p>
-Ich sehe schon, beschloß der Kapellmeister, ich bin
-vergeblich hergereist, ich habe umsonst alle Anstalten getroffen.
-So lange es unmöglich bleibt, von Obrigkeits
-wegen einen solchen Eigensinn zu bestrafen und zu hindern,
-so lange das Publikum selbst nicht eine solche Frechheit
-und Verachtung seiner so ahndet, daß kein zweiter
-dieselbe Vergehung wieder wagt, so lange bleiben wir das
-Opfer dieser Caprice von unwissenden Menschen, die für ihr
-mäßiges Talent viel zu sehr belohnt und von den Directionen
-und allen Zuhörern verzogen werden. Ich werde
-wieder einpacken.
-</p>
-
-<p>
-Der Enthusiast weinte vor Schmerz, der Italiener
-aber sagte: Ihr habt ganz recht; nicht wahr, das Leben
-mit all den Mühseligkeiten ist nicht die Rede werth?
-</p>
-
-<p>
-Ich bin es wenigstens völlig satt, antwortete der
-Componist.
-</p>
-
-<p>
-Nun, so kommt mit mich, leistet mir Gesellschaft,
-sagte der Alte sehr freundlich, indem er sich an ihn
-schmiegte.
-</p>
-
-<p>
-Wohin?
-</p>
-
-<p>
-Nach jenseit, nach dem weiten großen Raum, wo
-man Ellenbogen-Freiheit nach Herzenslust hat. Sagt,
-Mann, wollen wir uns lieber ins Wasser schmeißen,
-<a id="page-320" class="pagenum" title="320"></a>
-oder frisch den Kopf abschießen, wie dem Vogel von der
-Stange?
-</p>
-
-<p>
-Geht, rief der Musiker, Ihr seid schon am frühen
-Morgen trunken.
-</p>
-
-<p>
-Nein, sagte jener, ich habe einmal einen heiligen
-Schwur gethan, mir aus dieser Welt hier fortzuschaffen,
-wenn ich nicht etwa den lieben Signor Hortensio wieder
-antreffen thäte: das würde natürlich die ganze Sache verändern.
-Aber wenn mir die Freude nicht arrivirt, sagt
-nur selbst, was ist denn das für ein lumpiges Leben hier
-unten? Da sitzt Ihr immer, närrischer Maestro, und
-klimpert auf das Clavier, und schreibt Eure Eingebungen
-auf, und ängstigt Euch um Invention, Charakter, Melodie,
-Styl, Originalität, und wie man Kunstwesen alles
-nennt: und wer dankt es Euch? Wer merkt es nur ein
-bissel? Laßt uns doch mal als vernünftige Männer in
-Tag hinein reden: ist es denn nicht spaßhafter, sich aus
-dem Staub zu machen? Ja, Ruhm, Nachwelt! Wollen
-der lieben Nachwelt ein bissel entgegen gehn, und mal
-hinter den Vorhang gucken, ob es solches Gethier überhaupt
-nur giebt. Uebermorgen, Freundchen, seid von der
-Parthie, ich bring&rsquo; auch Pistol mit: Ihr müßtet denn lieber
-baumeln wollen; ist aber jetzt windiges und garstiges
-Wetter.
-</p>
-
-<p>
-Laßt die Narrenspossen, sagte der Musikus sehr ernst,
-es wird noch dahin kommen, alter Thor, daß Ihr nach
-dem Tollhause wandert.
-</p>
-
-<p>
-Und wohnen da nicht auch Leute? sagte der Italiener
-grinsend; Ihr habt Vernunft noch nicht viel gebraucht,
-junger Mann, da ist sie noch ein bissel frisch! wer sie
-aber so wie ich strapazirt hat, da ist sie mürbe und matt;
-mir kommt&rsquo;s gar nicht so sehr auf Ambition an, daß
-<a id="page-321" class="pagenum" title="321"></a>
-mich Eures gleichen für vernünftig, oder Weisen aus
-Griechenland hält. Ich habe wohl andern Umgang gehabt,
-als Ihr, Ihr armer, gegenwärtiger, kurzsichtiger
-Mensch! und wenn Nestor, oder Phidias und Praxiteles,
-mit die ich so oft konversirt habe, mich so etwas gesagt
-hätten, so hätte ich jeden einen Schlag an die Gegend
-von das Ohr gegeben.
-</p>
-
-<p>
-Er lief wüthend fort, und der Kapellmeister setzte sich
-melancholisch nieder; auch der geschwätzige Enthusiast
-mußte ihn verlassen, damit er seinem Kummer recht ungestört
-nachhängen könne.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Nein, sagte am Abend der Laie zum Baron Fernow,
-ich habe dazumal einen Schwur gethan, niemals eine
-Geige wieder anzurühren, und darum verschonen Sie mich.
-Der Vater und die Tochter wünschten nämlich, er möchte
-ihnen nur etwas, das kleinste Liedchen vorspielen, um zu
-sehen, wie er sich in der Jugend mit seinem Instrumente
-ausgenommen habe.
-</p>
-
-<p>
-Man sollte wohl nichts verschwören, sagte der Baron,
-am wenigsten die Ausübung einer so edeln Kunst.
-</p>
-
-<p>
-Der Kapellmeister trat herein, und erzählte eine sonderbare
-Anmuthung, die ihm vom Grafen geschehen sei.
-Dieser habe ihn nehmlich besucht und gebeten, am heutigen
-Abend mit ihm und dem alten Italiener in den
-Wald vor die Stadt zu gehn, wo sich der Sänger erschießen
-wolle; der Graf wünsche wenigstens einen rechtlichen
-Mann zum Zeugen, der es nachher bewähren könne, daß
-der alte Thor sich selber umgebracht habe. Der Baron
-war der Meinung, man müsse den alten Verrückten sogleich
-fest nehmen und einstecken; die Uebrigen fielen bei,
-<a id="page-322" class="pagenum" title="322"></a>
-nur der Laie äußerte den Zweifel, ob nicht Jedem das
-Recht zustehen müsse, über sein Leben zu entscheiden, wie
-es ihm am besten dünkte. Hierüber entspann sich ein
-Streit, ob es dem Staate, oder den übrigen Menschen erlaubt
-sei, über irgend wen eine solche beschränkende Aufsicht
-zu führen, welches der Baron uneingeschränkt behauptete,
-da ein solcher durchaus, der einen so unklugen
-Vorsatz fasse, als ein Wahnsinniger zu betrachten sei.
-</p>
-
-<p>
-So muß man erst ermitteln, was Wahnsinn ist,
-warf der Laie ein; denn wir sehn es in der Geschichte,
-wie die Gesetze und ihre Vollstrecker nach den Umständen
-und herrschenden Gesinnungen bald dieses bald jenes zum
-todeswürdigen Verbrechen gestempelt haben, welches andere
-Zeitalter zu Tugenden erhoben, oder gleichgültig ansahen,
-ja selbst verlachten. Frei zu denken, von gewissen
-Meinungen abzuweichen, hat ehemals Manchen auf den
-Scheiterhaufen geführt; wegen Zauberei, wegen angeschuldigter
-Künste ist Manchem der Stab gebrochen worden,
-und jetzt, wo wir in diesen Punkten Freiheit gestatten, und
-es doch dulden müssen, wie Viele durch Uebermaaß und
-Ausschweifung sich vorsätzlich und sichtlich zu Grunde
-richten, begreife ich nicht, wie man es den Elenden und
-Verstörten mit Recht verwehren kann, das Leben wegzuwerfen,
-wenn sie diesen Entschluß wirklich ergreifen.
-</p>
-
-<p>
-Sie sind paradox, rief der Baron; ich bin nicht Philosoph
-gnug, um Sie widerlegen zu können, allein aus
-den Ueberzeugungen der Religion müssen Sie es selber
-schon wissen, daß Sie eine böse Sache vertheidigen.
-</p>
-
-<p>
-Ich habe versprochen, mit auszuwandern, sagte der
-Kapellmeister, denn ich kann mir nimmermehr vorstellen,
-daß der alte Thor Ernst machen wird. Uebrigens wäre
-es wahrlich nicht zu verwundern, wenn ein armer geplagter
-<a id="page-323" class="pagenum" title="323"></a>
-Kapellmeister diese Gelegenheit benutzte, und ihm Gesellschaft
-leistete.
-</p>
-
-<p>
-Der Graf trat wie verstört und tiefsinnig herein.
-Man fragte ihn, ob etwas Neues begegnet sei; er äußerte
-aber, die Erinnerung an jene Stimme, die ihm durch die
-neuliche Erzählung wieder mit frischer Lebhaftigkeit in
-das Gedächtniß gekommen sei, sein rastloses Suchen, die
-Qual dieser Spannung und die Unruhe, die es seinem
-ganzen Wesen mittheile, mache ihn völlig elend, und er
-habe beschlossen, wenn sich der Italiener erst erschossen
-habe, weiter zu reisen.
-</p>
-
-<p>
-So halten Sie es denn für Ernst? fragte der Baron
-erstaunt.
-</p>
-
-<p>
-Wenn er nicht wirklich dazu thut, antwortete der
-Graf, so nehme ich den Narren wieder auf die Reise mit.
-</p>
-
-<p>
-Der Italiener trat herein und schien aufgeräumter,
-als man ihn noch je gesehen hatte. Alle betrachteten ihn
-mit einer gewissen Scheu, er aber nahm keine Notiz von
-diesem veränderten Betragen, und als jetzt der Enthusiast
-und der Sänger die Gesellschaft vermehrten, wurden Alle
-in heitern Gesprächen von einer vergnüglichen Laune beherrscht,
-den Grafen ausgenommen, der seine trübe Miene
-nicht veränderte. Lassen Sie uns, sagte der Kapellmeister
-endlich, Einiges von unsern neulichen Erzählungen aufnehmen.
-Wie ist es möglich, (indem er sich zum Laien
-wandte) daß Sie nach ihren neuerlichen komischen Bekenntnissen
-ein so großer Freund der Musik haben werden können?
-Vielleicht dadurch um so mehr, erwiederte dieser,
-weil das Gefühl, als es reif in mir war, durch sich selbst
-und stark erwachte, daß ich nichts Angelerntes, Nachgesprochenes
-in meine Liebhaberei hinüber nahm. Ich hatte
-es endlich dahin gebracht, daß ich kleine einfache Lieder
-<a id="page-324" class="pagenum" title="324"></a>
-begriff, die mir auch wohl im Gedächtniß hängen blieben,
-die trefflichen von Schulz, zum Beispiel, in denen uns,
-ohne daß sie uns eben poetisch aufregen, so behaglich
-und wohl wird, die uns so klar blauen Himmel, grüne
-Landschaften, leichte Figuren und anmuthige Empfindungen
-hinmalen, waren mir oft gegenwärtig und verständlich.
-Nur die größeren Compositionen, am meisten aber
-die dramatische Musik, waren mir zuwider, wenn ich auch
-in der letztern manchmal mit Wohlgefallen eine kleine
-Arie hörte, die sich dem Ohr einschmeichelte. Auch der
-Harthörigste lernt am Ende die kleinen melodischen Sachen
-fühlen, wenn ihm auch der Zusammenhang großer
-musikalischer Dichtungen unverständlich bleibt. Als das
-erste Mal Don Juan von Mozart gegeben wurde, ließ ich
-mich bereden, das Theater zu besuchen. Es war unlängst
-componirt, und des großen Mannes Ruhm noch in
-Deutschland nicht so begründet, wie bald nachher, welches
-ich besonders an einem hochgeachteten Musiker wahrnahm,
-der während und nach der Aufführung nicht gnug über
-den falschen Geschmack des Werkes reden konnte. Mir
-aber war, als fiele mir schon während der Ouvertüre eine
-Binde von allen Sinnen. Ich kann die Empfindung nicht
-beschreiben, die mich zum ersten Mal überraschte, daß ich
-wahre Musik hörte und verstand. Mit dem Verlauf des
-Werkes steigerte sich mein Entzücken, die Absichten des
-Componisten wurden mir klar, und der große Geist, der
-unendliche Wohllaut, der Zauber des Wundervollen, die
-Mannigfaltigkeit der widersprechendsten Töne, die sich doch
-zu einem schöngeordneten Ganzen verbinden, der tiefe Ausdruck
-des Gefühls, das Bizarre und Grauenhafte, Freche
-und Liebevolle, Heitere und Tragische, alles dieses, was
-dieses Werk zu dem einzigen seiner Art macht, ging mir
-<a id="page-325" class="pagenum" title="325"></a>
-durch das Ohr in meiner Seele auf. Daß es so plötzlich
-geschah, vermehrte meine Begeisterung, und ich konnte nun
-kaum den Belmont desselben Meisters erwarten, dessen
-Leidenschaftlichkeit mich nicht weniger entzückte. Auch andere
-Componisten suchte ich zu begreifen, und Glucks großen
-Styl, seine edle Rhetorik, sein tiefes Gemüth rissen
-mich hin, ich erfreute mich an Paisiello und Martini,
-Cimarosa&rsquo;s heller Geist leuchtete mir ein, und ich bestrebte
-mich, die Verschiedenheiten des musikalischen Styls, so wie
-verschiedenartige Dichter zu erfassen und mir anzueignen.
-Während meiner Universitäts-Jahre verlor ich diese Kunst
-wieder aus dem Gesichte, doch zurück gekehrt war mein
-Eifer für sie um so brennender, vorzüglich da einige vertraute
-Freunde mein Urtheil und Gefühl läuterten. Jetzt
-wurde ich mit dem wundervollen Genius des großen Sebastian
-Bach bekannt, in dem vielleicht schon alle Folgezeit
-der entwickelten Musik ruhte, der Alles kannte und
-Alles vermochte, und dessen Werke ich etwa nur mit den
-altdeutschen tiefsinnigen Münstern vergleichen möchte, wo
-Zier, Liebe und Ernst, das Mannigfaltige und Reizende
-in der höchsten Nothwendigkeit sich vereinigt, und in der
-Erhabenheit uns am faßlichsten das Bild ewiger und unerschöpflicher
-Kräfte vergegenwärtiget.
-</p>
-
-<p>
-Der Componist sagte: gewiß, es könnte Schwindel
-erregen, wenn man überschaut, was Alles vorangehen
-mußte, bevor Bach seine Werke schreiben konnte; aber es
-gehört auch wahrlich viel dazu, einer solchen Fuge oder
-einem vielstimmigen Satz auf die rechte Weise zu folgen,
-und ihn zu verstehn, es ist gleichsam eine Allgegenwart
-des Geistes, die ich einem solchen Laien am wenigsten zugetraut
-hätte.
-</p>
-
-<p>
-Nach mehreren Jahren, fing der Laie wieder an,
-<a id="page-326" class="pagenum" title="326"></a>
-wurde mir es so gut, in eine edle Familie eingeführt zu
-werden, deren Mitglieder, vorzüglich die weiblichen, auf
-eine entzückende Art die Musik ausübten. Die älteste
-Tochter sang einen Sopran, so voll und lieblich, so himmlisch
-klar, daß ich bei Ihrer neulichen Beschreibung des
-Gesangs Ihrer Unbekannten, werther Graf, an diese unvergleichliche
-Stimme denken mußte. Hier vernahm ich
-nun neben manchem Weltlichen vorzüglich die großen
-und ewigen Gedichte des erhabenen Palestrina, die herrlichen
-Compositionen eines Leo und Durante, die Zaubermelodieen
-des Pergolese, den ich mit den Lichtspielen des
-Correggio vergleichen mußte, die trefflichen Psalme Marcello&rsquo;s,
-die großartige Heiterkeit unsers Hasse, und das
-dramatische Requiem Jomelli&rsquo;s: Manches von Feo, die Miserere
-von Bai und Allegri ungerechnet. So rein, ungeziert,
-im großen einfachen Styl, ohne alle Manier vorgetragen
-wird man schwerlich je wieder die Meisterwerke
-hören. Diese glückliche Zeit versetzte meinen Geist in eine
-so erhöhte Stimmung, daß sie eine Epoche in meinem Leben
-macht. Nur in wenigen schwachen Gedichten habe
-ich versucht, meine Dankbarkeit auszusprechen. Meine
-Seele war so ganz in diesen göttlichen Tönen aufgegangen,
-daß ich dazumal nichts von weltlicher Musik wissen
-wollte, es schien mir eine Entadlung der Göttlichen, daß
-sie sich zu den menschlichen Leidenschaften erniedrigen sollte.
-Ich glaubte, es sei nur ihre wahre Bestimmung, sich zum
-Himmel aufzuschwingen, das Göttliche und den Glauben
-an ihn zu verkündigen.
-</p>
-
-<p>
-Ein Beweis, sagte der Kapellmeister, daß Ihr ganzes
-Herz damals von der Glorie dieser Erscheinung durchdrungen
-war. Man thut auch Unrecht, dergleichen wahre Begeisterung
-Einseitigkeit zu schelten, denn unsre Seele, wenn
-<a id="page-327" class="pagenum" title="327"></a>
-sie wirklich auf so große Art ergriffen und erschüttert
-wird, fühlt dann in diesem ihr neuen Element die ganze
-Kraft und Ewigkeit ihres Wesens: sie findet dann die
-Schönheit, von der sie früher gerührt wurde, erhöht und
-vollendet in der neuen Erscheinung, und sieht mit Recht
-auf ihre frühern Zustände als auf etwas Geringeres hinab.
-In wessen Herz eine solche Vision nicht steigen und
-es ganz ausfüllen kann, der weiß überhaupt nicht, was
-ächte Begeisterung ist. Und gewiß ist die Kirchenmusik,
-welche freilich die Neueren meist auch so tief herab gezogen
-haben, die erhabenste und schönste Aufgabe unsrer Kunst.
-Ich bin aber überzeugt, daß Sie späterhin von selbst eben
-aus Ihrem Enthusiasmus wieder den Weg zu Ihrem geliebten
-Mozart und andern gefunden haben.
-</p>
-
-<p>
-Natürlich, fuhr der Laie fort, denn die Liebe kann
-sich ja doch niemals in Haß umwandeln. Ich habe immer
-die Menschen gefürchtet, die mit ihren Gefühlen in
-den Extremen schwärmen, und heut übertrieben verehren,
-was sie in einiger Zeit mit Füßen treten. Unsre Bildung
-kann und soll nur eine Modification einer und derselben
-Kraft, einer und derselben Wahrheit seyn, kein unruhiger
-Austausch und Wechsel, und kein hungerndes Verlangen
-nach Neuem und Unerhörtem, welches doch niemals befriedigend
-gesättiget werden kann. Als es mir nachher so
-gut ward, in Rom von der päbstlichen Kapelle viele derselben
-Sachen vortragen zu hören, so fühlte ich wohl, daß
-hier ein eigener traditioneller Vortrag des alten <span class="antiqua">Canto
-fermo</span> Manches anders und noch einfacher gestalte, aber
-weder dort noch in den Theatern habe ich je diesen unbeschreiblichen
-Discant wieder vernommen, und Pergolese
-oder andere neuere Kirchenmusik ist mir auch niemals in
-dieser Vollendung wieder vorgetragen worden.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-328" class="pagenum" title="328"></a>
-Aus Ihren Beschreibungen, fing der Sänger an,
-muß ich wohl abnehmen, daß Sie mit der neuen Sängermanier
-wohl selten zufrieden seyn mögen. Ich gestehe
-Ihnen aber, daß ich hierin nicht ganz Ihrer Meinung seyn
-kann: zu große, zu schlichte Einfalt würde mich zurück stoßen,
-ich will den Virtuosen vernehmen, der die Musik und
-seine Stimme beherrscht. Wie der Deklamator nicht blos
-ruhig ablesen soll, sondern durch Erhöhung und Senkung
-der Stimme, durch kleine Pausen, durch rollende Töne erst
-zum Schauspieler wird, und das zur Kunst erhöht, was
-der ganz gute Vorleser doch in der niedrigen Region stehen
-lassen muß.
-</p>
-
-<p>
-Sie haben gewiß Recht, erwiederte der Laie, vorausgesetzt,
-daß es wirklich das sei, was ich Deklamation im
-Schauspiel, oder Vortrag des Gesanges nennen kann.
-Was uns der Graf aber neulich als falschen und schlechten
-Ausdruck schilderte, muß ich freilich auch als meine
-Meinung unterschreiben. Und ist es denn in unsern Schauspielen
-anders? Wie denn überhaupt wohl nie Gebrechen
-und Vorzüge eines Zeitalters einzeln stehn können, sondern
-jede Kunst wird eine Abspiegelung der andern seyn, und
-selbst Staat und Geschichte müssen ebenfalls alle Gesundheits-
-oder Krankheitsstoffe wieder in ihrem großen verschlungenen
-Gewebe nachweisen. Eben so wie der Sänger
-schreit und seufzt, und selten das Gefühl im Ganzen
-ausspricht, welches die Arie oder das Duo von ihm fordert,
-so auch der Schauspieler; dieser hilft sich auch durch
-einzelne übertriebene Accente, herausgehobene Worte, stark
-unterstrichene Stellen, und muß darüber den Sinn des
-Ganzen fallen lassen, wodurch die Scene wie die einzelnen
-Stellen für den Kenner nüchtern und trivial werden. Denn
-wo gibt es jetzt wohl noch Schauspieler, an deren Leidenschaft
-<a id="page-329" class="pagenum" title="329"></a>
-man glaubt, die uns täuschen und in ihrem hohlen abgepufften
-Ton nur irgend Wahrheit sprechen? Ja unser
-Freund Wolf, so wie seine Gattin machen hievon eine ehrenvolle
-Ausnahme, so sehr, daß sie fast schon einzeln in
-Deutschland da stehn, wenn auch hie und da ein Talent
-sich zeigt, das aber immer nur zu Zeiten jener Manier
-widersteht, die unser Theater beinah schon völlig zerstört
-hat. Nicht, daß sich nicht viele Schauspieler bemühten,
-aber es ist hier eben so wohl wie im Gesange eine falsche
-Schule entstanden, die Ausdruck, Empfindung durch Einzelheiten,
-die nicht in der Sache selbst liegen, erregen will,
-und darüber das Ganze verdunkelt, und wenn wir uns
-strenge ausdrücken wollen, die Absicht der Kunst, ja diese
-selber vernichtet.
-</p>
-
-<p>
-Sie haben vollkommen Recht, rief der Kapellmeister:
-aber machen es denn meine Handwerksgenossen, die Componisten
-selbst, anders? Kaum ein Lied wissen sie mehr
-zu setzen, wo sie nicht jede Strophe neu componiren, gewaltsam
-accentuiren, innehalten, abbrechen und in gesuchte
-und fernliegende Tonarten übergehn, um nur, wo sie die
-Empfindung wahrnehmen, so starke Schlagschatten hinzumalen,
-daß man diese Stellen nun zwar nicht übersieht,
-aber auch gewissermaßen mehr Schwärze als Farbe gewahr
-wird. Als wenn es dem Sänger nicht müßte überlassen
-bleiben, auch im wiederkehrend Einfachen eine leise
-Variation anzubringen, oder als wenn das nicht eben das
-musikalische Gefühl in unserer Natur wäre, in diesen sich
-wiederholenden Klängen ohne Weiteres vermöge unsrer
-Liebe zu ihnen das Mannigfaltige zu empfinden.
-</p>
-
-<p>
-Sehr wahr, fügte der Laie hinzu, aus demselben
-Unglauben fürchtet auch mancher geniale Musiker, wie
-der herrliche Beethoven, nicht neue Gedanken genug anbringen
-<a id="page-330" class="pagenum" title="330"></a>
-zu können, deshalb läßt er so selten einen zu unsrer
-Freude ruhig auswachsen, sondern reißt uns, ehe wir
-kaum den ersten vernommen, schon zum zweiten und dritten
-hin, und zerstört so, wie oft, selbst seine schönsten
-Wirkungen. Sehn wir sogar auf die Götheschen Lieder,
-die er gesetzt hat: welche Unruhe, welche scharfe Deklamation,
-welches Ueberspringen. Ich möchte diesem trefflichen
-Manne, so wie manchem Andern nicht gerne Unrecht thun,
-aber die Reichardschen Melodieen zu den meisten dieser
-herrlichen Gesänge haben sich mir so eingewohnt, daß ich
-mir diese Gedichte, vorzüglich die frühern, nicht anders
-denken und singen kann.
-</p>
-
-<p>
-Wenn Sie so gesinnt, nahm die Tochter das Wort,
-und die übertriebene falsche Gelehrsamkeit verwerfen, den
-Ausdruck schelten, der sich vordrängt, und darüber Melodie
-und eigentlichen Gesang verdunkelt, so hätten Sie ja
-nun selbst meinen geliebten Rossini gerechtfertiget.
-</p>
-
-<p>
-<span class="antiqua">O divino maestro! o piu che divino Rossini!</span> rief
-begeistert und mit verzerrtem Gesicht der alte Italiener.
-<span class="antiqua">Eccolo il vero!</span> den ausgemachten Wunderdoktor des
-Jahrhunderts, der uns verirrte Schaafe wieder auf die
-rechte Straße bringt, der alle die falsche deutsche Bestrebunge
-maustodt schlagt, der mit himmlische unerschöpfliche
-Genie Oper über Oper, Kunstwerk auf Kunstwerk häuft,
-und sich Pyramid oder Mausoleum erbaut, worunter
-nachher alle die ausdrucksvolle, gedankenreiche und seelenmäßige
-Klimperlinge auf ewig begraben liegen.
-</p>
-
-<p>
-O wie wahr! rief der Enthusiast, ich habe mir schon
-oft vorgenommen, keinen andern Componisten mehr anzuhören,
-so entzückt hat mich jedes seiner Werke, es kam
-mir nur unbillig vor, da ich doch selber ein Deutscher
-<a id="page-331" class="pagenum" title="331"></a>
-bin, mich so feindlich meinen Landsleuten gegenüber zu
-stellen.
-</p>
-
-<p>
-Was hat die Landsmannschaft damit zu thun? sagte
-der Laie: manche Italiener, die gern eine Partei formiren
-möchten, haben es freilich bequem, wenn sie den Mozart
-oder gar Gluck zu den ihrigen rechnen, und so gegen Bestrebungen
-zu Felde ziehn wollen, die ihnen im Wege
-stehn. Giebt es aber eine wahrhaft deutsche Oper, eine
-Musik, die wir uns als national durchaus aneignen müssen,
-so ist es eben die Mozartsche, und es ist sehr gleichgültig,
-daß der Don Juan ursprünglich für italienische
-Sänger geschrieben wurde. Italien hat auch deutlich gnug
-bewiesen, daß es diesen großen und reichen Geist nicht
-fassen und lieben konnte. Mozart, Gluck, Bach, Händel
-und Haydn sind ächte Deutsche, die wir uns niemals dürfen
-abdisputiren lassen, und ihre Compositionen sind, recht
-im Gegensatz gegen die Italienischen, wahrhaft deutsche zu
-nennen.
-</p>
-
-<p>
-Und dann, fügte der Kapellmeister hinzu, kann man
-gern dem Rossini Talent und Melodie zugestehen, wenn
-der Lobpreisende auch uns zugiebt, daß ihm in seiner Eile
-alles das abgehe, was den Componisten erst zu einem
-dramatischen macht. Regellos, willkührlich ist er durchaus,
-und achtet weder Zusammenhang noch Charakter, ja
-ich fürchte, in diesem leichten und wilden Spiel bestehe
-sein Talent, so wie das mancher dramatischen Schriftsteller,
-und ihn zwingen wollen, consequent zu seyn, dem
-Charakter und Inhalt gemäß zu componiren, hieße nur,
-ihm das Componiren selbst untersagen.
-</p>
-
-<p>
-Sein schneller Ruhm, sagte der Laie, ist wohl nur
-entstanden, weil eben der ächte Sinn für Musik unterzugehen
-droht. Denn wie kann man sich doch nur mit diesem
-<a id="page-332" class="pagenum" title="332"></a>
-völligen Mangel an Styl vertragen, der allen seinen
-Melodieen einen so niedrigen, geringen Charakter aufdrückt?
-Seine Sangstücke sind großentheils sangbar, ja recht bequem
-für unsere jetzigen Sänger geschrieben, aber sehr
-häufig setzt er auch nur, so vielen Andern ähnlich, wie für
-Instrumente, und wenn sein Beifall noch lange währt, so
-wird er auch noch dazu beitragen, die Sänger völlig zu
-verderben, ja auch wohl den guten und edlen Vortrag der
-Instrumente, weil er Alles so kleinlich und geringe behandelt.
-Der Sinn für Musik erwachte bei uns auf eine
-schöne Weise, er kräftigte sich und es war uns vergönnt,
-Gluck zu verstehn und uns völlig anzueignen, eine so
-große Erscheinung, wie Mozart, entstand und vollendete
-sich vor unsern Augen, Haydns tiefsinniger Humor in
-seinen Instrumental-Compositionen ergriff alle Freunde der
-Kunst, des großen Händels Werke wurden wieder studirt,
-und selbst die Dilettanten fühlten sich von seiner Kunst
-entzückt, die das Mächtige, Gewaltige erstrebt, jeden kleinlichen
-Reiz verschmähend; wir sahen Anstalten gedeihen,
-die auch die alte Kirchenmusik, die herrlichen Werke der
-verstorbenen großen Meister wieder ertönen ließen, es schien,
-daß auf immer der Geschmack am Großen und Edeln gerettet
-sei. Nur hatte sich indessen die Menge auch mit
-der Musik scheinbar vertraut gemacht, und diese kann,
-wenn sie sich eine edle Sache aneignet, immer nur bis
-auf eine gewisse Weite mitgehn, dann wird sie nothwendig
-das Ergriffene in etwas Geringeres verwandeln, das
-ihr zusagt. Ehemals hatten wir nur Kenner und oberflächliche
-Liebhaber in Deutschland, jetzt aber entstand eine
-Halbkennerschaft statt der Freunde, die sich unschuldig ergötzten.
-Diese anmaßlichen Kenner haben mit lauter
-schreienden Stimmen nach und nach das Wort der wahren
-<a id="page-333" class="pagenum" title="333"></a>
-Musikfreunde verdrängt, ja diese gelten den neuern
-Enthusiasten wohl gar für eigensinnige, oder gefühllose
-Kritiker, die aus Neid und Mißlaune die glänzenden Erscheinungen
-der neuesten Zeit nicht anerkennen wollen.
-Darum hat auch in meiner Vaterstadt, in Berlin, Rossini
-am meisten Widerspruch gefunden, weil durch des unvergeßlichen
-Fasch herrlichen Eifer dort die treffliche Musik-Akademie
-gegründet wurde, die unser Freund, der wackre
-Zelter, nach dessen Tode in demselben Sinne fortgeführt
-hat. Durch die Vergegenwärtigung der alten Meisterwerke,
-durch den einfachen, edlen Gesang, der dort bekannter
-ist, als anderswo, sind die zahlreichen Mitglieder zum
-Bessern verwöhnt, und können sich unmöglich dem zierlich
-Nüchternen hingeben.
-</p>
-
-<p>
-Sie werden es mit meiner Tochter völlig verderben,
-sagte der Baron lachend, denn sie meint, wo nur Effect
-sei, da wäre es lächerlich zu fragen, ob die Wirkung auch
-statt finden dürfe.
-</p>
-
-<p>
-Sie hat vollkommen Recht, antwortete der Laie, ich
-aber auch, wenn ich behaupte, die Wirkung müsse gar
-nicht eintreten. Um diesen Punkt dreht sich ja die Kritik
-in allen Künsten.
-</p>
-
-<p>
-Darum ist es ein Glück zu nennen, antwortete der
-Baron, ja gewissermaßen eine weise Lenkung des Kunstgenius,
-daß ein großer Componist sich diesem kleinlichen
-Unwesen so mächtig gegenüber stellt, und das so ausgezeichnet
-besitzt, Styl nehmlich, was jenem ganz abgeht.
-Ich spreche von dem nicht genug zu lobenden Spontini.
-Es läßt sich hoffen, daß von dieser Seite durch mächtige
-Wirkungen der Sinn der Deutschen wird gehoben, und
-ihr Wohlgefallen an diesem Melodieenkitzel beseitigt werden.
-</p>
-
-<p>
-Der Laie schien so in Eifer gerathen zu seyn, daß
-<a id="page-334" class="pagenum" title="334"></a>
-er allein das Wort führen wollte. Gewiß, sagte er lebhaft,
-wäre es lächerlich, wenn man diesem Manne ein ausgezeichnetes
-Talent absprechen wollte, und über die Verdienste
-seiner Vestalin läßt sich Vieles sagen und streiten.
-Aber daß er im Cortez und nachher noch gewaltiger ein
-Brausen und Lärmen der Instrumente, ein Ueberschreien
-der Stimmen, ein Aufkreischen, ein wildes Getümmel uns
-hat für Musik geben wollen, scheint mir ebenfalls ausgemacht.
-Man kann schwerlich im voraus bestimmen, wie
-viel oder wenig unser Ohr von Instrumental-Musik vertragen
-soll, denn Mozart hat die meisten seiner Vorgänger
-überboten, und es gab früherhin auch Kunstfreunde,
-die bei ihm über zu große Fülle klagten; und schon lange
-vor diesem hat der große Händel außerordentlich viele Instrumente
-in Anspruch genommen, um seine erhabenen
-Gedanken auszusprechen. Aber bei diesen war die Fülle
-der Töne doch Musik, ein Anschwellen, ein Heranbrausen,
-ein Abdämpfen und Zurücksinken in eine gewisse Stille
-und Ruhe, aber nicht dieses ununterbrochene, nie rastende
-Wüthen aller Kräfte ohne Vorbereitung, Inhalt und Bedeutung,
-welches nur betäuben kann, und dessen Macht
-und Gewaltsamkeit mehr erschreckt und ermüdet, als erhebt
-und erschüttert. Geht der berühmte neuere Componist
-hiebei nur gar zu oft auf leeren Effect und Schreckschuß
-aus, so wie manche Schauspieler und Schauspieldichter,
-wirkt er nur einzig und allein durch große Massen,
-so ist er zwar wohl nicht der Wandnachbar Rossini&rsquo;s, aber
-sie reichen sich denn doch aus einer gewissen Entfernung
-befreundet die Hände und stehn sich nicht als feindliche
-Kräfte einander gegenüber. Wohl uns, daß unser hochgeehrter
-Maria Weber uns zu den schönsten Erwartungen
-<a id="page-335" class="pagenum" title="335"></a>
-berechtigt, der in dem, was er schon trefflich geleistet hat,
-so glänzend zeigt, wie viel er in Zukunft noch vermag.
-</p>
-
-<p>
-Nun erhob sich die Tochter mit allen Tönen, und
-der Vater stand ihr bei, um den Laien in die Enge zu
-treiben, der ihre Lieblinge so keck angegriffen hatte, ohne
-doch vom Metier zu seyn, da er sein ehemaliges Violinspielen
-selber nicht in Anschlag zu bringen wage. Unter
-lautem Lachen wurde disputirt und behauptet, der Teufel
-sei ein- für allemal unmusikalisch, die Kugelgießerei und
-der Lärmen dabei schlimmer als was je auf dem Theater
-getobt, und der Musik, die ganz Deutschland wie verwirrt
-gemacht, fehle die Mannigfaltigkeit, ein heiteres
-Element, ja auch jene Ironie, wodurch Mozart erst seine
-ungeheure Dichtung des Don Juan zu diesem einzigen
-Werke gebildet habe, so daß bei diesem durch Gegensätze
-sich Inhalt und Behandlung rechtfertigen, was dort ganz
-aus der Acht gelassen sei.
-</p>
-
-<p>
-Der Kapellmeister nahm sich des armen Laien, der
-hierauf wenig zu erwiedern wußte, oder den man vielmehr
-nicht zu Worte kommen ließ, freundlichst an, und
-meinte, eine Vergleichung auf diese Weise anzustellen, sei
-unbillig, weil das neue Kunstwerk gar nicht die Absicht
-habe, sich neben jenes ungeheure zu stellen. Ueberschreitet
-auch die angefochtene Scene, fuhr er fort, welche gerade
-die Menge herbei gelockt hat, die Gränzen der Musik,
-so ist doch übrigens des Vortrefflichen, des ächten
-Gesanges, des Neuen und Genialischen, vorzüglich aber
-des wahrhaft Deutschen, im besten Sinne, so viel, daß
-ich vollkommen in das Lob unsers unmusikalischen violinspielenden
-Laien einstimmen muß, der Manches wohl
-eben deswegen bestimmter empfindet und kecker ausspricht,
-weil er niemals vom Handwerk gewesen ist, und selbst
-<a id="page-336" class="pagenum" title="336"></a>
-nicht als Dilettant hinein gepfuscht hat, da er sich doch
-bescheidet, in die eigentlich grammatische Kritik einzugehn.
-Sollte keiner als nur Musiker mitsprechen dürfen, so würde
-ja auch für diese nur componirt, und das werden wir
-uns doch wohl, so wie alle Künstler, verbitten, nur für
-die Zunftgenossen zu arbeiten, um von ihnen empfunden
-und verstanden zu werden.
-</p>
-
-<p>
-Könnte ich nur, fing der Laie wieder an, den sanften
-Genuß wieder haben, den mir ehemals die Lila des
-Martini gewährte. Diese idyllische, reine und heitere
-Musik wäre nach so manchem Ungethüm unsrer Theater
-eine wahre Erquickung. Wie würde ich mich freuen,
-Paisiello&rsquo;s Barbier von Sevilla wieder zu vernehmen, und
-es kränkt mich innig, daß man eine solche Composition
-nicht als eine klassische verehrt, die nun einmal für allemal
-fertig ist, und an die sich keiner von Neuem wagen
-dürfte. Denn ist bei Rossini auch hier und da vielleicht ein
-Moment brillanter, so ist doch der dramatische Sinn des
-Ganzen, die Bedeutung untergegangen, und nichts gegeben,
-was sich dem Humor in der Rolle des Alten nur
-irgend vergleichen dürfte. Die Verwöhnung der gehäuften
-Instrumente läßt aber befürchten, daß man, wenn
-man auch einmal diese trefflichen alten Sachen geben
-möchte, Zusätze zur Begleitung macht, oder diese wenigstens
-verstärkt. Hier und da habe ich schon murmeln
-hören, daß Gluck dergleichen bedürfe. Mozarts Figaro
-ist schon in Violinen und andern Instrumenten doppelt
-so stark besetzt worden, als es der Componist vorgeschrieben
-hat, bei dieser heitern Musik um so unpassender,
-weil dadurch der Witz, das wundersam Leichte und Heitere
-des Gesanges gestört wird. Es ist, als wollte man
-treffliche Brillanten aus ihrer leichten Fassung nehmen,
-<a id="page-337" class="pagenum" title="337"></a>
-und sie, um sie zu ehren, in schweres Gold schmieden.
-Oder, als riefe man sich witzige und launige Einfälle
-durch ein Sprachrohr zu.
-</p>
-
-<p>
-Man sang zum Beschluß noch Einiges, und die Gesellschaft
-trennte sich. Beim Abschiede sagte der Baron
-zum alten Italiener: auf Wiedersehn! Doch dieser schüttelte
-den Kopf, und wies mit dem Finger nach oben.
-Der Laie ging nach seinem Hause, weil es schon spät
-war, und er in der kalten Nacht an einem Abenteuer,
-an welches er nicht glauben mochte, nicht Theil nehmen
-wollte. Der Kapellmeister und der Graf wandelten aber
-mit dem wunderlichen Alten durch die ruhige Stadt, ließen
-sich das Thor öffnen, und begaben sich nun nach
-dem Tannenwalde, wo der Lebensüberdrüssige seine Laufbahn
-eigenmächtig zu vollenden drohte. Als sie unter
-den finstern Bäumen standen, sagte der Graf: nun, Alter,
-seid Ihr wieder gescheidt geworden, wollt Ihr nun nicht
-lieber zu Bette gehn?
-</p>
-
-<p>
-In die Ewigkeit thu ich mich hinein legen, sagte der
-Italiener, und das liebe Vergessen, Ruhe, tiefer, tiefer
-Schlaf, werden wie Flaumen eines Daunenbetts um mich
-zusammen schlagen. Adieu, Eccellenza! lebt wohl, thörichter
-Kapellmeister, der Ihr die schöne Gelegenheit nicht benutzt,
-allen Euren Jammer, Partituren, Noten, Pausen,
-Tonarten, Sänger und Sängerinnen los zu werden. Nun
-laßt mir ein bissel noch über meinen Zustand nachdenken,
-und dann rufe ich Euch wieder; Kapellmeister kommandirt
-Eins, Zwei, Drei, und beim Worte Drei, deutlich
-ausgesprochen, langsam, feierlich, laut, daß liebe Echo
-auch etwas davon abkriegt und mitspricht, schieß ich mich
-die ganze Pistole in meinen dummen Kopf hinein.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-338" class="pagenum" title="338"></a>
-Ihr werdet doch nicht, sagte der Kapellmeister, so
-abgeschmackt wie der Hanswurst in der Kreuzerkomödie
-sterben wollen?
-</p>
-
-<p>
-Gerade so muß es geschehen, sagte der Alte, und
-legte sich in einen Sandgraben nieder. Die beiden Begleiter
-gingen tiefer in den Wald, die Nacht war still,
-kein Wind wehte, ein ganz leiser Hauch rührte zuweilen
-die Zweige an, so daß die Nadeln der Tannen in sanften
-Tönen lispelten, das Flüstern fortlief, und indem sich
-dann der Wald in allen Stämmen bewegte, wie ferner
-Orgelton verhallte. Feierlich genug ist die Stunde, sagte
-der Musiker. Eine wundersame Empfindung, erwiederte
-leise der Graf, hat den ganzen Abend in mir fort geklungen:
-vielleicht bin ich dem Tode näher, als jener alte
-Wahnsinnige, denn noch nie war mir mein Dasein so
-abgestanden und leer, so jedes Reizes entkleidet. Ich
-glaube nun auch, daß jenes himmlische Wesen, welches
-ich schon lange suche, gestorben ist. &mdash; Still! rief jener:
-hörten Sie nicht Musik? &mdash; Vielleicht die fernen Glocken.
-</p>
-
-<p>
-Nein, sagte der Kapellmeister gehend: ich höre es
-deutlicher: und nun erinnere ich mich, hier wohnt der
-unkluge Alte nicht fern, in dessen Häuschen ich bei meiner
-Ankunft schon Morgens um fünf Uhr einen herrlichen
-Discant vernahm.
-</p>
-
-<p>
-Der Graf war tief bewegt. Jetzt kommt! kommt!
-schrie der Italiener, mein Ermorden soll ein bischen seinen
-Anfang nehmen! Schießt Euch todt, oder hängt
-Euch! rief der Graf zurück, wir haben jetzt etwas Besseres
-zu thun, als Eure Possen anzuhören.
-</p>
-
-<p>
-Sie gingen weiter, drängten sich durch Baum und
-Strauch, und der neugierige Italiener hatte sich zu ihnen
-gesellt. Jetzt tönte ihnen schon bestimmter der Gesang
-<a id="page-339" class="pagenum" title="339"></a>
-entgegen, und der Graf zerriß sich Hände und Gesicht,
-um nur aus den Gesträuchen zu kommen, in denen er
-sich aus Eifer immer tiefer verwickelte. Er drängte endlich
-hindurch und stand in der Nähe des Häuschens, dessen
-kleine Fenster erleuchtet waren. Der treffliche Psalm
-Marcello&rsquo;s &bdquo;<span class="antiqua">Qual anhelante</span>&ldquo; tönte ihnen voll und rein
-entgegen, so einfach, so edel vorgetragen, daß der Kapellmeister
-erstaunt und hingerissen kaum athmete. Sie ist
-es! sie ist es! meine Einzige! rief der Graf in der größten
-Erschütterung aus, und wollte sich dem Hause nähern,
-aber der Kapellmeister hielt ihn fest, klemmte sich
-an ihn, und warf sich dann zu seinen Füßen nieder, die
-er umarmte, und rief: o bester, glücklichster Graf! Heirathen
-Sie sie also, wie Sie gelobt haben; aber gönnen
-Sie mir vorher das einzige Glück, daß sie erst die Geliebte
-in meiner ruinirten Oper singt; dann will ich gern
-sterben, denn eine solche Stimme giebt es auf Erden
-nicht mehr.
-</p>
-
-<p>
-Der Graf strebte zum Hause hin, und der Kapellmeister
-ließ endlich sein ungeduldiges Bein los. So wie
-er auf die Wohnung losstürzte und an die kleine Thür
-klopfte, verstummte der Gesang. Macht nicht so viel
-Umstände, sagte der Italiener, der Sing-Sang ist nicht
-der Mühe werth, man sieht wohl, daß ihr meine Selige
-nicht gekannt habt. Der Kapellmeister, der jetzt eben so
-außer sich war, wie der Graf selbst, klopfte mit diesem
-wetteifernd an die Thür, und da sich beide in den Kräften
-überboten und das Tempo immer schneller nahmen,
-so entstand dadurch ein sonderbares Concert in der ruhigen
-Nacht. Im Hause war Alles still, endlich aber schien
-man drinnen doch die Geduld verloren zu haben, denn
-ein Fenster öffnete sich und eine leise, heisere Stimme
-<a id="page-340" class="pagenum" title="340"></a>
-sagte: was giebt&rsquo;s da? Seid ihr betrunken? Laßt uns
-ein! rief der Graf: hinein müssen wir! schrie der Kapellmeister:
-wo ist die Sängerin? der Graf: ich habe sie
-schon am Morgen neulich gehört, der Kapellmeister, als
-Ihr mir sagtet, es sei des Teufels Großmutter: aber
-hinein müssen wir! vereinigten sich nun beide. Seid ihr
-rasend? rief die erhöhte Stimme des Alten, und in diesem
-Augenblick schrie der Italiener lauter als Alle: Hortensio!
-Hortensio! haben wir Euch endlich erwischt? Nun
-bleib&rsquo; ich am Leben! Mag sich umbringen, wer Lust
-hat, ich halte mich an Euch, altes Fell!
-</p>
-
-<p>
-Ich bin der Graf Alten, schrie der Liebhaber; ich der
-Kapellmeister! rief sein Begleiter, laßt uns nur hinein, daß
-wir die Sängerin sehn: kommt herab! rief der Italiener,
-daß wir beide unsre Bekanntschaft erneuern können.
-</p>
-
-<p>
-Mein Himmel! ächzte der Greis, so nach tiefer Mitternacht?
-Meine guten Herren, wenn Sie bei mir was
-zu suchen haben, so kommen Sie doch morgen, wenn der
-Tag scheint.
-</p>
-
-<p>
-Gut, sagte der Graf beruhigter, morgen früh! der
-Kapellmeister fand sich auch in den Vorschlag, und als
-sie friedlich wieder fortgingen, sagte der Italiener: ich
-bleibe die Nacht hier draußen und passe ihm auf. Morgen
-früh machen wir Alle unsern Besuch. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-Wie erstaunten, erschraken am folgenden Tage der
-Graf und der Musiker, als sie das Haus verlassen und
-öde fanden; noch vor Tage, sagte die alte Aufwärterin,
-seien die beiden Bewohner ausgezogen und haben in
-größter Eil alle Sachen fortschaffen lassen. Auch der Italiener
-zeigte sich nirgend.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-<a id="page-341" class="pagenum" title="341"></a>
-Ein schöner, heiterer Herbsttag war aufgegangen,
-die Sonne schien in dieser späten Jahreszeit noch so warm,
-wie im Sommer, und dies bestimmte den Laien mit seiner
-Tochter in das naheliegende Bergthal zu fahren. Auf
-einem kleinen Miethpferde sahen sie in der Entfernung
-den Enthusiasten auch mit nachflatterndem Kleide auf
-dieselbe Gegend zusprengen. Der Himmel verhüte nur,
-bemerkte der Laie zu seiner Tochter, daß der Schwätzer
-nicht ebenfalls in jenem Thale verweilt, weil er uns sonst
-mit seinen heftigen Reden und Schilderungen den Tag
-verderben würde.
-</p>
-
-<p>
-Wir müssen uns schon darauf gefaßt machen, erwiederte
-die Tochter, denn er sagte mir neulich, daß er diese
-Gegend vorzüglich liebe und sie oft besuche.
-</p>
-
-<p>
-Wie sind diese Menschen doch so lästig, fuhr der
-Laie fort, die eben, weil sie gar nichts empfinden, über
-Alles in Hitze gerathen können. Aber mehr noch, als
-bei Kunstwerken, stören sie mich in der Natur, die am
-meisten ein stilles Sinnen, ein liebliches Träumen erregt,
-in der ein vorüber schwebender Enthusiasmus und Behaglichkeit
-sich ablösen, und sie unsern Geist fast immer
-in eine beschauliche Ruhe versenken, in welcher Passivität
-und schaffende Thätigkeit eines und dasselbe werden:
-dazu der Anhauch einer großartigen Wehmuth in der
-Freude, so daß ich in der schönen Landschaft gegen diese
-beschreibenden Schwätzer oft schon recht intolerant gewesen
-bin.
-</p>
-
-<p>
-Sie stören fast eben so sehr, wie die unerträgliche
-Musik, antwortete das Mädchen, da man so oft in der Nähe
-der Gebäude Tänze oder kreischende Arien vernehmen muß.
-</p>
-
-<p>
-Als sie angekommen waren, sprang ihnen der berührige
-Enthusiast schon aus dem Hause entgegen. O wie
-<a id="page-342" class="pagenum" title="342"></a>
-schön, rief er aus, daß Sie diesen herrlichen Tag auch benutzen,
-der wahrscheinlich der letzte helle dieses Jahres ist.
-Lassen Sie uns nur gleich an den murmelnden Bach gehn,
-und dann von der Höhe des Berges das Thal überschauen.
-Es ist eine Wonne, die Schwingungen der Hügel,
-den kleinen Fluß, das herrliche Grün und dann die
-Beleuchtung zu sehn und zu fühlen. Giebt es wohl ein
-Entzücken, das diesem gleich oder nur nahe kommen kann?
-</p>
-
-<p>
-Ich will mit Ihnen gehen, erwiederte der Laie, aber
-nur unter der Bedingung, daß Sie mich mit allen Schilderungen
-und begeisterten Redensarten verschonen. Wie
-können Sie überhaupt nur immer so vielen Enthusiasmus
-verbrauchen? Es ist nicht möglich, wie Sie auch
-neulich gestanden haben, daß Sie so viel empfinden.
-</p>
-
-<p>
-Bei der Kunst, sagte der Enthusiast, setzt man freilich
-wohl hie und da, dem Künstler zu gefallen, etwas
-zu, aber in der himmlischen Natur &mdash; nein! da kann
-doch keine Zunge Worte genug finden, um nur einigermaßen
-das wiederzugeben, was im Herzen aufgeht. Ich
-habe es aber schon seit lange bemerkt, daß Sie kein großer
-Freund der Natur sind, denn wie konnten Sie nur
-sonst, wie ich schon so oft gesehen habe, daß Sie thun,
-beim schönsten Frühlingswetter in das dumpfe Theater
-kriechen, um eine Oper zu hören, oder sogar ein mittelmäßiges
-Schauspiel zu sehn, über welches Sie nachher
-selber Klage führen?
-</p>
-
-<p>
-Weil es mir an solchem Tage, antwortete jener, darum
-zu thun ist, ein Schauspiel zu sehn, und ich dies mit
-dem Genusse der Natur dann nicht vereinigen kann und
-mag. Auch gestehe ich Ihnen, daß ich oft in der schönsten
-Natur bin, ohne sie mit den geschärften Jäger-Augen
-in mein Bewußtsein aufzunehmen, wenn mich ein heiteres
-<a id="page-343" class="pagenum" title="343"></a>
-Gespräch beschäftigt, oder ich auf einsamem Spaziergang
-etwas sinne, oder ein Buch meine Aufmerksamkeit fesselt.
-Glauben Sie nur, unbewußt, und oft um so erfreulicher,
-spielt und schimmert die romantische Umgebung doch in
-die Seele hinein. Wenn wir uns überhaupt immer so
-sehr von Allem Rechenschaft geben sollen, so verwandelt
-sich unser Leben in ein trübseliges Abzählen, und die
-feinsten und geistigsten Genüsse entschwinden.
-</p>
-
-<p>
-Hm! Sie mögen nicht ganz Unrecht haben, sagte der
-Enthusiast nachsinnend: wenn ich nur nicht einmal den
-Charakter der Heftigkeit angenommen hätte und bei allen
-meinen Bekannten als ein Eiferer gölte, so wollte ich
-mir das Wesen wieder abzugewöhnen suchen. Es ist
-aber denn doch auch fatal, wenn man, so wie Sie, für einen
-Phlegmatiker gilt. Da Sie also nichts von Naturbegeisterung
-hören wollen, so will ich Ihnen lieber erzählen,
-daß ich schon vorhin, ehe Sie kamen, eine sonderbare
-Erscheinung hier bemerkt habe. Ein junges, wunderschönes
-Mädchen stand dort oben auf dem Hügel, sah
-immerdar auf den Weg hin, der zur Stadt führt, und
-weinte dann heftig. Sie erregte mein lebhaftestes Mitgefühl,
-ich ging zu ihr, aber so sehr ich auch in sie drang,
-so konnte ich sie doch nicht bewegen, mir eine vernünftige
-Antwort zu geben, oder mir zu erzählen, was sie hier
-mache, wie sie hergekommen sei und wen sie hier erwarte.
-Und ich war doch so ganz außerordentlich neugierig, vorzüglich,
-weil ich dies junge, außerordentlich reizende Frauenzimmer
-neulich schon bei unserm Baron in der Gesellschaft
-gesehen habe, wo sich der verwirrte melancholische Graf
-viel mit ihr zu schaffen machte. &mdash; Sehn Sie, sie steigt
-schon wieder den Hügel hinan, um ihre Beobachtungen
-anzustellen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-344" class="pagenum" title="344"></a>
-Mit Zierlichkeit und Grazie schwebte die Gestalt die
-grüne Anhöhe hinauf, und ihre vollen, braunen Locken,
-ihr leuchtendes Auge, das einfache Gewand und die Geberde
-wirkten mit unbeschreiblichem Zauber in der anmuthigen
-Landschaft. Die Tochter fühlte sich bewegt, als
-sie das schöne Wesen wieder weinen sah, die Thränen stiegen
-ihr selbst in die Augen, als die Unbekannte jetzt im
-Ausdruck des höchsten Schmerzes die Hände rang,
-und sich jammernd auf den Rasen niedersetzte. Lassen
-Sie uns hinauf steigen, sagte der Laie, das arme Wesen
-bedarf unsers Trostes und Beistandes, meine Tochter soll
-sie anreden, wir aber, Herr Kellermann, wollen uns fürs erste
-schweigend verhalten, und die Betrübte am wenigsten mit
-zudringlichen Fragen ängstigen. Die Tochter ging zu ihr,
-und die Fremde bekannte, daß sie ihren alten Vater aus
-der Stadt erwarte, und nicht begreife, wie er so lange
-zögern könne, da er ihr diesen Ort angewiesen habe, wo
-sie zusammen treffen wollten, um weiter zu reisen.
-</p>
-
-<p>
-Sie wollen also unsre Gegend verlassen, fragte der
-Laie, da Sie doch, so viel ich weiß, nur kürzlich angekommen
-sind?
-</p>
-
-<p>
-Ach! mein Herr, antwortete die schöne Fremde klagend,
-mein lieber Vater leidet schon seit lange an einer schweren
-Melancholie, an Menschenfeindschaft und tiefem Lebensüberdruß,
-so zieht er seit einigen Jahren von Ort zu Ort,
-verarmt immer mehr, wird immer kränker, versagt sich
-selbst alle Hülfe, und will auch mir das Glück nicht gönnen,
-ihm beizustehn, da ohne diesen starren Willen meine
-Talente sein Leben wohl unterstützen könnten. Denn
-mein Gesang und die Musik überhaupt machen das Unglück
-meines Lebens.
-</p>
-
-<p>
-Sie singen also doch? fragte der Laie sehr lebhaft.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-345" class="pagenum" title="345"></a>
-Meine Trauer, mein tiefer Schmerz, erwiederte die
-schöne Klagende, sind Schuld, daß ich mein Gelübde gebrochen
-habe. Ich habe meinem Vater geloben müssen,
-niemals zu gestehen, daß ich singe, auch niemals, außer
-wenn er zugegen ist, und es mir erlaubt, einen Ton anzuschlagen.
-Wir wohnten deshalb von der Stadt entfernt,
-wir vermieden allen Umgang, nur neulich war ich
-zufällig im Hause des Baron Fernow, wo ein Fremder,
-ein feiner, anständiger Mann mich über die Gebühr mit
-Fragen und Aufforderungen zum Singen ängstigte. In
-der letzten Nacht, als ich, wie ich glaube, in der höchsten
-Einsamkeit einen Psalm Marcello&rsquo;s einübe, entsteht vor
-dem Hause ein Getümmel, wir halten die Leute für Räuber
-oder Trunkene, der Graf nennt sich endlich, und will
-eingelassen seyn, noch einige Andere toben eben so laut,
-und mein Vater kann sie endlich nur beruhigen, indem
-er ihnen verspricht, am Morgen ihren Besuch anzunehmen.
-Kaum sind sie fort, so muß Alles in der größten
-Eile eingepackt werden, noch in der Nacht werden Fuhrleute
-gemiethet, unsre wenigen Sachen hieher zu fahren,
-am Morgen muß ich nachreisen, und er verspricht, in wenigen
-Stunden ebenfalls hier zu seyn, weil er in der
-Stadt noch unsere Reisepässe besorgen müsse. Hier erwarte
-ich ihn nun schon manche Stunde, gewiß ist er krank,
-ein Unglück ist ihm zugestoßen, und ich weiß in meiner
-Angst nicht Rath noch Hülfe; wo soll ich ihn wieder
-finden?
-</p>
-
-<p>
-Der Laie suchte sie zu beruhigen. Er schlug vor,
-im Gasthause bis nach Tische den Alten zu erwarten,
-dann solle sie mit ihm und seiner Tochter zurück fahren,
-da nur ein Weg zur Stadt führe, so müßten sie dem
-Vater begegnen, wäre dies nicht der Fall, so solle die
-<a id="page-346" class="pagenum" title="346"></a>
-Fremde in seinem Hause absteigen, indessen er selbst Erkundigungen
-einzöge. Auf sein eindringliches Zureden
-und der Tochter schmeichelnde Liebkosungen wurde sie ruhiger
-und ging mit ihnen in den Gasthof. Bei Tische wurde
-man sogar guter Laune, nur verweigerte die Fremde auf die
-unbescheidene Bitte des Enthusiasten, zu singen, weil dies
-gegen ihr heiliges Versprechen laufe. Man sprach dann
-viel über die neulichen Musikstücke, die der Kapellmeister im
-Hause des Barons habe probiren lassen, sie lobte die
-Composition als großartig, tadelte aber die Manier der
-Sänger. Es kann seyn, beschloß sie ihre Kritik, daß
-ich hierüber völlig im Irrthum bin, aber nach den Grundsätzen
-meines Vaters, und nach der Gesangsweise, die ich
-nach seinem Unterricht ausüben muß, ist jene Manier eben
-so klein als willkührlich. Ja, dürfte ich einmal (aber dazu
-ist mein Vater auf keine Weise zu bewegen) eine Opern-Rolle,
-wie diese des Kapellmeisters singen, so schmeichle
-ich mir, daß ich eine große Wirkung hervor bringen
-würde, und vielleicht um so größer, weil diese Art jetzt
-ganz vergessen ist und die Neuheit um so mehr erschüttern
-möchte.
-</p>
-
-<p>
-Wenn Sie diejenige sind, erwiederte der Laie, für
-welche ich Sie jetzt halten muß, so können Sie einen gewissen
-enthusiastischen Mann, wenn es übrigens Ihre
-Gesinnung erlaubte, unbeschreiblich glücklich machen.
-</p>
-
-<p>
-Die Schöne wurde roth, und der Enthusiast Kellermann,
-so wie er das Wort enthusiastisch nennen hörte,
-sprang eilig herbei und rief: ja gewiß, Verehrte! wie
-könnte mein Herz wohl so vielfach vereinigtem Zauber
-widerstehn?
-</p>
-
-<p>
-Gebt Euch keine unnütze Mühe, rief der Laie laut
-lachend, ich meine jenen sonderbaren Grafen, den wir Alle
-<a id="page-347" class="pagenum" title="347"></a>
-kennen. Ich hoffe einen beglückenden Ausgang weissagen
-zu dürfen.
-</p>
-
-<p>
-Die Schöne wollte sich auf keine nähern Erörterungen
-einlassen; lobte aber nachher im Verlauf des Gespräches
-den jungen Grafen als einen schönen und verständigen
-Mann, der sie auch in der Gesellschaft am meisten
-interessirt habe.
-</p>
-
-<p>
-Auf der Rückfahrt unterhielt man sich mit heitern
-Gesprächen. Der Enthusiast sprengte wieder auf seinem
-kleinen Pferde voran, und war bemüht, seine Geschicklichkeit
-im Reiten zu zeigen. Als sie in die Stadt hinein
-gefahren waren, sahen sie in der Hauptstraße einen großen
-Volksauflauf, Getümmel, Geschrei, ein Vor- und Zurückdrängen,
-der Wagen mußte halten, die Wache machte
-Platz und der Laie erstaunte, als er den alten Italiener
-zwischen den Soldaten bemerkte, die ihn als Gefangenen
-fortführten. Was giebt es? fragte er einen Vorübergehenden.
-&mdash; Je, der braune Schelm, antwortete dieser,
-hat einen alten Mann so eben todt geschlagen.
-</p>
-
-<p>
-Als sich die Menge verlaufen hatte und sie weiter
-fahren konnten, stürzte ihnen aus einem großen Hause
-der Graf entgegen, er rief, daß man anhalten solle, und
-mit einem Ausdrucke übermenschlichen Entzückens half er
-Julien aussteigen. Der Laie und die Tochter folgten,
-um zu sehen, wie sich die Scene entwickeln würde.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Im Saale fand Julie den alten Mann im Lehnstuhl
-sitzen, blaß und erschüttert, aber wohl und unverletzt.
-Man erfuhr, daß er den ganzen Tag durch Hin- und
-Herschicken, indem er seine Pässe berichtigen und auslösen
-mußte, von der Polizei war aufgehalten worden. Als er
-<a id="page-348" class="pagenum" title="348"></a>
-endlich fertig zu seyn glaubte, und eben einen Wagen
-suchte, um seiner Tochter nachzureisen, begegnete er dem
-thörichten Italiener, der ihn sogleich auf offener Straße
-angriff, um ihn zu mißhandeln, als er aber um Hülfe
-rief, nahmen sich die Vorübergehenden des Greises an,
-und der Verwirrte wurde der Wache übergeben. Julie
-liebkosete den Alten, und suchte ihn durch ihre Zärtlichkeit
-zu beruhigen. Der Enthusiast, so wie der Kapellmeister
-waren ebenfalls Zeugen dieses Auftrittes.
-</p>
-
-<p>
-Vielen Dank, sagte endlich der Alte, bin ich Ihnen,
-mein Herr Graf, schuldig, daß Sie sich meiner so freundlich
-angenommen haben, jetzt aber lassen Sie uns abreisen,
-damit wir recht bald den Ort unsrer neuen Bestimmung
-erreichen.
-</p>
-
-<p>
-Er stand auf und wollte gehn, Julie blieb zaudernd,
-und blickte verlegen auf die Gegenwärtigen, der Graf
-aber trat vor den Greis hin und sagte mit zitterndem
-Tone: können Sie mir das Glück meines Lebens entreißen
-wollen, dem ich so lange nacheilte, jetzt, nachdem ich
-es endlich so unverhofft und so wunderbar gefunden habe?
-</p>
-
-<p>
-Was meinen Sie? fragte der Alte.
-</p>
-
-<p>
-Selig würde ich seyn, antwortete der Graf, wenn
-Ihre Tochter sich entschließen könnte, mir ihre Hand zu
-schenken. Ich bin reich, völlig unabhängig, lassen Sie
-uns in Liebe, Freundschaft und Musik verbunden ein Glück
-begründen und genießen, wie es nur immer auf Erden
-möglich ist.
-</p>
-
-<p>
-Der Alte taumelte wie erschrocken zurück, er mußte
-sich vor Zittern wieder niedersetzen. Wie! rief er im heftigen
-Weinen aus: das könnte Ihr Ernst seyn, mein
-Herr Graf?
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-349" class="pagenum" title="349"></a>
-Ich nehme, rief dieser, alle diese Freunde zu Zeugen:
-doch, Julie selbst?
-</p>
-
-<p>
-Nun, meine Tochter, sagte der Alte bewegt, könntest
-Du Deinen greisen Vater so glücklich machen? Jetzt liegt
-es in Deiner Hand, mir allen Gram meines Lebens
-zu vergüten und meine letzten Tage zu verherrlichen.
-Aber ist es denn kein Traum? Wie kommt dies Alles?
-Kannst Du Dich entschließen, mein Kind?
-</p>
-
-<p>
-Die Tochter war heftig erschüttert. O Himmel!
-rief der Graf: nein, Gewalt sollen Sie sich nicht anthun:
-lieber entsage ich allen meinen Hoffnungen.
-</p>
-
-<p>
-Können Sie mich so mißverstehn? antwortete Julie,
-kaum hörbar: hätten Sie wirklich nicht gefühlt, wie sehr
-ich mich zu Ihnen gezogen fühlte? Habe ich doch seitdem
-immer Ihr Bild vor Augen gehabt. Aber auch den
-allerfernsten Schimmer eines solchen Glücks wies ich als
-einen wahnsinnigen Traum zurück.
-</p>
-
-<p>
-Der Graf kniete vor ihr nieder, der Alte legte gerührt
-ihre Hände in einander, dann sank sie an die Brust
-ihres Geliebten.
-</p>
-
-<p>
-Doch jetzt, rief der Graf aufspringend, nur Einen
-Ton, Einen Tact, ich weiß es zwar gewiß, daß Du es
-bist, aber um mich völlig zu überzeugen.
-</p>
-
-<p>
-Sie sah fragend ihren Vater an, doch dieser sagte
-lächelnd: ich löse Dich jetzt gänzlich von dem Gelübde,
-welches Du mir gethan hast, jetzt darfst und mußt Du
-Alles thun, was Dein Bräutigam von Dir fordert.
-</p>
-
-<p>
-Da sang sie ohne alle Begleitung den Anfang des
-<span class="antiqua">stabat mater</span> von Palestrina, so stark und voll, so anschwellend
-die Töne, so gehalten und lieblich, daß Alle,
-vorzüglich aber der Graf und der Kapellmeister in ihrem
-Entzücken keine Worte finden konnten.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-350" class="pagenum" title="350"></a>
-Ja, sagte der Vater, als man wieder ruhiger war,
-es ist mein Stolz und mein Glück, diese Stimme gebildet
-zu haben, ich darf es ohne väterliche Verblendung
-behaupten, sie ist einzig in ihrer Art, und diesen Vortrag
-wird man jetzt nirgends hören.
-</p>
-
-<p>
-Aber wie kamen Sie nur dazu, fragte der Laie, von
-Ihrer Tochter sich geloben zu lassen, niemals in Gesellschaft
-zu singen, ja sogar dieses himmlische Talent zu
-verläugnen?
-</p>
-
-<p>
-O, mein Herr, sagte der Alte, wenn Sie meine Geschichte
-kennten, mein jahrelanges Elend, wie ich verkannt
-und gemißhandelt wurde, so würden Sie dies und noch
-weit mehr begreifen. Von frühster Jugend war mein
-Sinn und Streben auf Musik gerichtet, aber meine Eltern
-waren so arm, daß sie für meine Ausbildung nur wenig
-thun konnten. Mit Chorsingen fristete ich mich durch,
-späterhin mit Stundengeben. Ich mußte mir Alles selber
-erringen und auf den mühseligsten Wegen. Als ich den
-Contrapunct gründlich studirt hatte und Alles versucht
-und durchgearbeitet, was zu einem musikalischen Componisten
-nothwendig ist, als ich nun fertig zu seyn glaubte,
-und schon manche Kirchenmusik geschrieben, die mir gelungen
-schien, fand ich nirgends Unterstützung, kein
-Mensch wollte von mir etwas wissen, mein Aeußeres
-war nicht empfehlend, ich besaß keine feine Lebensart, mir
-fehlten die einschmeichelnden Manieren. Nach Italien
-strebte mein Sinn, doch die matten Augen meiner hülflosen
-Eltern sahen mich so flehend an, daß ich recht im
-Herzen fühlte, wie es meine Pflicht sei, für sie zu sorgen.
-So mußte ich denn wieder für ein geringes Geld fast
-auf allen Instrumenten Unterricht geben, und diese Pein,
-mit einem ungeschickten gefühllosen Schüler die Geige
-<a id="page-351" class="pagenum" title="351"></a>
-zu kratzen, immer dieselben Mißtöne zu hören, ist über
-alle Beschreibung. Nur ein solcher Musiklehrer erfährt,
-welche Dummköpfe es in der Welt giebt. So bot man
-mir einen an, der schon sechs Jahre Violine gespielt hatte.
-Ei! dachte ich dazumal, das ist doch ein Trost, da kann
-ich einmal musikalisch zu Werke schreiten und vielleicht
-einen ächten Scholaren erziehn. Er hatte schon Sonaten,
-Quartetts, Symphonieen und die schwierigsten Sachen
-durchgearbeitet. Und, denken Sie, als ich ihn nun ins
-Examen nehme, ist dieser Virtuose nicht im Stande, seine
-Geige zu stimmen, er kennt keine Tonart, schabt Alles
-aus dem Gedächtniß daher, hat keinen Tact, und verwundert
-sich in seiner blanken Unschuld, daß alles das
-Zusammenhang habe und Wissenschaft sei. Wie das
-Meerwunder, das schon fast ein erwachsener Jüngling
-war, seinen Pleyel zusammen rasselte, alle Töne falsch,
-ohne Bindung und Sinn, kreischend und quitschend, Gesichter
-schneidend und Pausbacken machend, davon haben
-Sie Alle keine Vorstellung. Denken Sie, ich mußte mit
-ihm wieder einen Choral zu spielen anfangen, und nach
-sechs oder sieben Jahren, die er schon bei einem andern
-Lehrer verarbeitet hatte, konnte er das nicht einmal leisten.
-</p>
-
-<p>
-Die Uebrigen hatten den Laien schon während dieser
-Erzählung lächelnd angesehn, als dieser ausrief: ist
-es möglich, daß ich so unvermuthet meinen verehrlichen
-Musiklehrer wieder finden muß? Ja, alter Herr, damals
-haben wir uns beide das Leben rechtschaffen sauer gemacht.
-</p>
-
-<p>
-Sie sind der junge Mensch von damals? sagte der
-alte Mann in Verlegenheit; bitte tausendmal um Verzeihung:
-aber es war mir doch so merkwürdig, daß ich
-diesen Umstand niemals wieder vergessen habe. &mdash; Auf
-diese Weise ging dann meine Jugend hin. Meine Eltern
-<a id="page-352" class="pagenum" title="352"></a>
-starben, ich war aber indeß alt geworden. Nach und nach
-gab man in kleinen Orten von meinen Compositionen.
-Hier und da versuchte auch ein Theater meine Opern
-darzustellen, aber sie machten kein Glück. Als ich meine
-Gattin, eine herrliche Sängerin, kennen lernte, und sie
-ihr Schicksal mit dem meinigen vereinigte, schien mir
-nichts mehr zu wünschen übrig. Aber nach der Geburt
-meiner Tochter war ihre Stimme schwächer geworden.
-Ach was ist es doch für ein unermeßlicher Verlust, wenn
-eine wahrhaft schöne Stimme verloren geht. Es ist ja
-noch weit mehr, als wenn uns ein geliebter Freund abstirbt.
-Und doch muß sich der Mensch auch darein finden.
-Meine Frau wollte es aber nicht, sie sang immer
-schwächer, immer stärker griff sie sich an, und sang sich
-zu Tode. Nun war mein ganzer Himmel diese meine
-Tochter. Eine kleine Pension, die mir das Theater zukommen
-ließ, das ich eine Zeit lang dirigirt hatte, schützte
-mich vor der äußersten Dürftigkeit. Von jetzt vertiefte
-ich mich erst recht in die großen Kirchenmusiken der alten
-Meister. Immer armseliger erschien mir die Gegenwart.
-Alle die Manieren, die Liebhabereien, die überhand nahmen,
-waren mir verhaßt. Am abscheulichsten aber erschien
-mir die neue Singmethode, welche immer mehr einriß.
-Der rechte Ton muß wie die Sonne aufgehn, klar,
-majestätisch, hell und immer heller, man muß die Unendlichkeit
-in ihm fühlen, und der Sänger muß ja nicht
-verrathen, daß er die letzte Kraft ausspielt. Eine Musik,
-recht vorgetragen, wiegt sich wie ein Stück des Himmels,
-und sieht aus dem reinen Aether in unser Herz,
-und zieht es hinauf. Und was ich einzig und allein im
-Ton hören will, ist die Begeisterung. Einen tragischen
-oder göttlichen Enthusiasmus giebt es, der heraus klingend
-<a id="page-353" class="pagenum" title="353"></a>
-jeden Zuhörer von seiner menschlichen Beschränktheit erlöst.
-Ist die Sängerin dieser Vision fähig, so fühlt sie
-sich vom Sinn des Componisten, aber auch zugleich vom
-Sinn der ganzen Kunst durchdrungen, daß sie Schöpferin,
-Dichterin wird, und wehe dem armen Kapellmeister,
-der dann noch Tact schlagen, und das Tempo zu starr
-fest halten will, denn die Eingeweihte darf über die gewöhnlichen
-und nothwendigen Schranken hinaus steigen,
-und sich wie ein Engel schwebend aus dem Grabe des
-Zeitlichen erheben, und triumphirend in lichter Glorie dem
-Unsterblichen zufliegen.
-</p>
-
-<p>
-Das ist es, sagte der Laie, was ich neulich habe
-aussprechen wollen.
-</p>
-
-<p>
-Die meisten Künstler, fuhr der Alte fort, sind nur
-höchstens von ihrer eigenen Virtuosität trunken, selten,
-selten, daß einer nur wagt, den Componisten zu verstehn,
-geschweige über ihn hinaus zu schreiten. So wie im letzten
-Fall der Componist verherrlicht wird, so wird er im
-ersten fast immer vernichtet, doch ist diese Begeisterung
-nicht ganz zu verwerfen, weil alsdann, wenn auch auf
-eitle Weise, Seele in den Gesang kommt, in so fern nämlich
-der Sänger ein wirklicher ist. Mein Kind erwuchs,
-und ward ganz, wie ich es mir gewünscht. Sie faßte
-meinen Sinn, sie bekam eine Stimme, wie ich sie noch
-niemals gehört hatte. Ich glaubte, ein unschätzbares
-Kleinod in ihr zu besitzen. In dieser Ueberzeugung
-schrieb ich von ihr einem großen Hof, wo man sie zur
-Kammersängerin berief. Nun glaubte ich, in Ruhe und
-ohne Armuth meine Tage beschließen zu können. Die
-vornehme Welt ist versammelt und sie singt ein altes
-Musikstück, so, daß mir die Thränen in den Augen stehn;
-ich selbst hatte sie nie so singen hören, denn sie hat Stolz,
-<a id="page-354" class="pagenum" title="354"></a>
-die Umgebung befeuerte sie. Und wie sie endigt, keine
-Hand, kein Wort, kein Blick. Der alte Kapellmeister
-kommt dann zu mir und flüstert, der Fürst und die Damen
-hätten geäußert, und er selber müsse die Meinung
-unterschreiben, meine Tochter möchte noch erst Unterricht
-von einem guten Sänger haben, um Schule zu bekommen.
-</p>
-
-<p>
-Das ist es eben, rief jetzt der Graf aus, was sie
-wollen, Schule, Methode, wie sie es nennen, statt des
-Gesanges. Ja, das war jener Abend, als ich, Julie, in
-Wonne aufgelöst hinter Deinem Rücken stand, und Dein
-Angesicht nicht sehen konnte. Methode! gerade als wenn
-ein Solimene oder Trevisano den Raphael bedauern wollte,
-daß er nicht mehr Schule in seinen Werken zeige.
-</p>
-
-<p>
-Julie sagte: glauben Sie mir, mein Vater, ich kann
-besser singen, als ich jenen Abend sang. Ja, vor Freunden,
-die uns verstehn, die unserm Sinn entgegen kommen,
-wird die Stimme noch einmal so mächtig und die Sicherheit
-unendlich. Aber man fühlt es auch vorher durch
-geistigen Instinkt, wenn wir vor Unverständigen uns hören
-lassen sollen. Wird bei jenen der Gesang wie Gold in
-Gluth der Liebe geschmolzen, so versagt bei diesen Stimme
-und Muth, ja der Ton wird oft, trotz aller Anstrengung,
-kümmerlich. An jenem, mir fürchterlichen Abende sah ich
-mich geflissentlich nicht um, und doch steckten mir alle
-die Augen der gelangweilten Hofdamen und die verwunderten
-Blicke der neugierigen Cavaliere in der Kehle.
-</p>
-
-<p>
-Das Unglück, dieser Unsinn, nahm der Alte wieder
-das Wort, verwirrten mir auch den Kopf. Ohne es nur
-anzuzeigen, reisete ich noch in derselben kalten Nacht mit
-meiner Tochter wieder ab. Sie mußte mir feierlich geloben,
-nie anders, als nur in meiner Gegenwart, und
-wenn ich es ihr erlaubte, zu singen. Kam sie unter
-Menschen, die jetzt fast alle gern kreischen und zwitschern,
-<a id="page-355" class="pagenum" title="355"></a>
-so mußte sie fest verläugnen, daß sie nur irgend was von
-Musik wisse. Wir lebten sehr einsam, kamen wenig oder
-gar nicht unter die Leute. Mein Gemüth verfinsterte sich
-immer mehr, und hätte mich nicht meine Tochter getröstet,
-so wäre ich wohl längst gestorben, oder Wahnsinn
-hätte mich ergriffen. Ist mir doch fast, als wäre ich in
-manchen Stunden diesem Elende nicht allzufern gewesen.
-Oefter wechselte ich den Wohnsitz und kam nun hieher,
-um draußen, in der Nähe finsterer Tannen recht einsam
-zu leben, und ungestört mit meinem Kinde Gesang und
-Musik zu üben, da sah mich neulich der Herr (indem er
-auf den Kapellmeister wies) draußen, und gestern wollten
-sie beide in der Nacht mein Haus bestürmen, was ich
-freilich ganz anders auslegte, als es sich nun zu meinem
-unerwarteten Glücke ausgewiesen hat.
-</p>
-
-<p>
-Man setzte fest, daß noch heut Abend die Verlobung
-seyn sollte, zu welcher auch der Baron und seine Familie
-gebeten wurde.
-</p>
-
-<p>
-Aber halt! rief der Kapellmeister, Ihr Gelübde, Herr
-Graf, welches Sie in dieser Nacht gethan haben, daß Ihre
-schöne Braut noch vor der Vermählung die Hauptparthie
-in meiner Oper singen soll!
-</p>
-
-<p>
-Es sei, sagte der Graf, wenn es meiner Julie nicht
-unangenehm ist. Man sah es ihr aber, auch ohne ihre
-Versicherung wohl an, daß es ihr Freude mache, auf eine
-so glänzende Art ihr großes Talent zu entwickeln.
-</p>
-
-<p class="tb">
-&mdash;&mdash;&mdash;
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Ehe der Graf in das Schauspiel ging, nahm er noch
-einmal den alten Italiener einsam vor und sagte: Ihr hättet
-neulich fast Unglück gestiftet, alter Thor, reiset nun,
-wozu ich Euch ausgestattet habe, in Eure Heimath zurück, lebt
-dort ruhig, und Ihr werdet richtig Eure Pension ausgezahlt
-erhalten, die Euer Alter froh und sorgenlos machen kann.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-356" class="pagenum" title="356"></a>
-Eccellenza, antwortete der Verwirrte, seyn die Großmuth
-selbst: bitte auch auf Knieen um Pardon, daß den Schwiegervater
-habe prügeln wollen, den alten boshaften Hortensio,
-der alle Musik ruinirt. Ich hatte lange draußen gelauert, und
-war im Wald vor Müdigkeit und Chagrin eingeschlafen, unterdessen
-er auf und davon. Untersuche alle Dörfer dort, komme
-müde und matt zurück, da rennt er über die Straße: Herr
-Graf, da zog es mich so allgewaltig, ich mußte losprügeln,
-und wenn&rsquo;s mein leiblicher Vater gewesen wäre.
-</p>
-
-<p>
-Als Julie sich in der schöngesetzten Parthie zeigte, und in
-vollen Tönen so sicher ausstrahlte, war das Entzücken des
-Publikums allgemein. Die Zeichen des Mißfallens, die einige
-Freunde der eigensinnigen Sängerin wollten hören lassen, mußten
-beschämt verstummen. Als die große Arie gesungen war,
-entstand ein so lautes Beifallrufen, ein solches Jauchzen und
-Geräusch, daß Musik und Stück inne hielt. Als es ruhiger
-war, hörte man eine laut heisere Stimme, die vom Parterre
-herauf rief: taugt nix! gar nix! miserable Pfuscherei, kein
-Vortrag: ist nur Aberwitz und deutsche Seelenmanier des
-verrückten Herrn Hortensio! Es war der alte Italiener, der
-sich noch einmal vernehmen ließ, aber genöthigt wurde, das
-Theater zu verlassen.
-</p>
-
-<p>
-Noch niemals hatte in dieser Stadt eine Oper so großes
-Glück gemacht, der Kapellmeister war beseligt, der Vater glücklich,
-der Graf entzückt, der Laie in frühere Jahre versetzt, und
-der Enthusiast, was die Uebrigen freute, ohne Worte.
-</p>
-
-<p>
-Bald darauf war die Vermählung der Glücklichen. Dann
-zog der Graf auf seine großen Güter; alte Musik, die Compositionen
-Hortensio&rsquo;s, Opern wurden in seinen Sälen gegeben,
-und die abwesenden Freunde hörten in Briefen nur von der
-ungetrübten Freude dieser auf so wunderliche Art Vereinigten.
-</p>
-
-
-<div class="trnote">
-<p id="trnote" class="part"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
-
-<p>
-Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. <span class="handheld-only">Im Original
-g&nbsp;e&nbsp;s&nbsp;p&nbsp;e&nbsp;r&nbsp;r&nbsp;t
-hervorgehobener Text wurde in einem <em>anderen Schriftstil</em> markiert.</span>
-Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind, wurden in einem
-<span class="antiqua">anderen Schriftstil</span> markiert.
-</p>
-
-<p>
-Die variierende Schreibweise des Originales wurde weitgehend
-beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert,
-teilweise unter Verwendung weiterer Ausgaben, wie hier aufgeführt
-(vorher/nachher):
-</p>
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-<ul>
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-<li>
-... von oben in den Saal herabschaute, die durch das <span class="underline">Ge-</span> ...<br />
-... von oben in den Saal herabschaute, die durch das <a href="#corr-0"><span class="underline">Geschrei</span></a> ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... häufig haben wir die bösen Folgen <span class="underline">der</span> Zornes, der Trunkenheit, ...<br />
-... häufig haben wir die bösen Folgen <a href="#corr-1"><span class="underline">des</span></a> Zornes, der Trunkenheit, ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... Gabe <span class="underline">des</span> Unsichtbare schenken kann; und wehe dem Verschwender, ...<br />
-... Gabe <a href="#corr-3"><span class="underline">das</span></a> Unsichtbare schenken kann; und wehe dem Verschwender, ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... und <span class="underline">seine</span> Gabe wird so verkannt, so wenig gewürdiget, ...<br />
-... und <a href="#corr-5"><span class="underline">keine</span></a> Gabe wird so verkannt, so wenig gewürdiget, ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... und klingt in unserm <span class="underline">Giste</span> zusammen! ...<br />
-... und klingt in unserm <a href="#corr-6"><span class="underline">Geiste</span></a> zusammen! ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... Schachspieler, Melchior, der Baukünstler, ja Alle <span class="underline">mi</span> ...<br />
-... Schachspieler, Melchior, der Baukünstler, ja Alle <a href="#corr-13"><span class="underline">im</span></a> ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... thöricht im Haupte? Wissen Sie, <span class="underline">unbekanter</span> Freund, was ...<br />
-... thöricht im Haupte? Wissen Sie, <a href="#corr-14"><span class="underline">unbekannter</span></a> Freund, was ...<br />
-</li>
-</ul>
-</div>
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Schriften 17: Novellen 1, by Ludwig Tieck
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 17: NOVELLEN 1 ***
-
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-
-
-
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-
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