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| author | nfenwick <nfenwick@pglaf.org> | 2025-02-05 04:33:54 -0800 |
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If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Schriften 17: Novellen 1 - Die Gemälde / Die Verlobung / Die Reisenden / Musikalische - Leiden und Freuden - -Author: Ludwig Tieck - -Release Date: December 17, 2015 [EBook #50707] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 17: NOVELLEN 1 *** - - - - -Produced by Delphine Lettau, David Jones, Jens Sadowski, -and the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - - - - - - - Novellen - von - Ludwig Tieck. - - Erster Band. - - Die Gemälde. - Die Verlobung. - Die Reisenden. - Musikalische Leiden und Freuden. - - Berlin, - Druck und Verlag von G. Reimer. - 1844. - - Ludwig Tieck's - Schriften. - - Siebzehnter Band. - - - - - Novellen. - - - Berlin, - Druck und Verlag von G. Reimer. - 1844. - - - - - Die Gemälde. - Novelle. - - -Treten Sie nur indeß hier in den Bildersaal, sagte der Diener, indem er -den jungen Eduard herein ließ; der alte Herr wird gleich zu Ihnen -kommen. - -Mit schwerem Herzen ging der junge Mann durch die Thüre. Mit wie so -andern Gefühlen, dachte er bei sich selbst, schritt ich sonst mit meinem -würdigen Vater durch diese Zimmer! Das ist das erste Mal, daß ich mich -zu dergleichen hergebe, und es soll auch das letzte seyn. Wahrlich das -soll es! Und es ist Zeit, daß ich von mir und der Welt anders denke. - -Er trat weiter im Saale vor, indem er ein eingehülltes Gemälde an die -Wand stellte. Wie man nur so unter leblosen Bildern ausdauern kann, und -einzig in ihnen und für sie da seyn! so setzte er seine stummen -Betrachtungen fort. Ist es nicht, als wenn diese Enthusiasten in einem -verzauberten Reiche untergehen? Für sie ist nur die Kunst das Fenster, -durch welches sie die Natur und die Welt erblicken; sie können beide nur -erkennen, indem sie sie mit den Nachahmungen derselben vergleichen. Und -so verträumte doch auch mein Vater seine Jahre; was nicht Bezug auf -seine Sammlung hatte, war für ihn nicht bedeutender, als wenn es unter -dem Pole vorfiele. Seltsam, wie jede Begeisterung so leicht dahin führt, -unser Dasein und alle unsere Gefühle zu beschränken. - -Indem erhob er sein Auge, und war fast geblendet oder erschrocken vor -einem Gemälde, welches in der obern Region des hohen Saales ohne den -Schmuck eines Rahmens hing. Ein blonder Mädchenkopf mit zierlich -verwirrten Locken und muthwilligem Lächeln guckte herab, im leichten -Nachtkleide, die eine Schulter etwas entblößt, die voll und glänzend -schien; in langen zierlichen Fingern hielt sie eine eben aufgeblühte -Rose, die sie den glühend rothen Lippen näherte. Nun wahrlich! rief -Eduard laut, wenn dies Bild von Rubens ist, wie es seyn muß, so hat der -herrliche Mann in dergleichen Gegenständen alle andern Meister -übertroffen! Das lebt, das athmet! Wie die frische Rose den noch -frischeren Lippen entgegen blüht! Wie sanft und zart die Röthe beider in -einander leuchtet und doch so sicher getrennt ist. Und dieser Glanz der -vollen Schulter, darüber die Flachshaare in Unordnung gestreut! Wie kann -der alte Walther sein bestes Stück so hoch hinauf hängen und ohne Rahmen -lassen, da all das andre Zeug in den kostbarsten Zierden glänzt? - -Er erhob wieder den Blick und fing an zu begreifen, welche gewaltige -Kunst die der Malerei sei, denn das Bild wurde immer lebendiger. Nein, -diese Augen! sprach er wieder zu sich selbst, ganz im Anschauen -verloren; wie konnten Pinsel und Farbe dergleichen hervorbringen? Sieht -man nicht den Busen athmen? die Finger und den runden Arm sich bewegen? - -Und so war es auch in der That: denn in diesem Augenblick erhob sich das -reizende Bild, und warf mit dem Ausdruck schelmischen Muthwillens die -Rose herab, die dem jungen Mann in's Gesicht flog, trat dann zurück und -verschloß klirrend das kleine Fenster. - -Erschrocken und beschämt nahm Eduard die Rose vom Boden auf. Er -erinnerte sich nun deutlich des schmalen Ganges, welcher oben neben dem -Saale weglief und zu den höhern Zimmern des Hauses führte; die übrigen -kleinen Fenster waren mit Bildern verhangen, nur dieses hatte man, um -Licht zu gewinnen, in seinem Zustande gelassen, und der Hausherr selbst -pflegte von dort oft die Gäste zu mustern, die seine Gallerie besuchen -wollten. Ist es möglich, sagte Eduard, nachdem er sich aller dieser -Umstände erinnert hatte, daß die kleine Sophie in einem Zeitraume von -vier Jahren zu einer solchen Schönheit hat erwachsen können? -- Er -drückte unbewußt und in sonderbarer Zerstreuung die Rose an den Mund, -stellte sich dann, starr auf den Boden sehend, an die Mauer, und -bemerkte nicht, daß der alte Walther schon seit einigen Sekunden neben -ihm stand, bis dieser ihn mit einem freundlichen Schlage auf die -Schulter aus seiner Träumerei erweckte. Wo waren Sie? junger Mann, sagte -er scherzend; Sie sind wie einer, der eine Erscheinung gehabt hat. - -So ist es mir selbst, sagte Eduard; vergeben Sie, daß ich Ihnen mit -meinem Besuche lästig falle. - -Wir sollten uns nicht so fremd seyn, junger Freund, sagte der Alte -herzlich; es ist nun schon länger als vier Jahre, daß Sie mein Haus -nicht betreten haben. Ist es recht, den Freund Ihres Vaters, Ihren -ehemaligen Vormund, der es gewiß immer gut mit Ihnen meinte, wenn wir -gleich damals einige Differenzen mit einander hatten, so ganz zu -vergessen? - -Eduard ward roth und wußte nicht gleich, was er antworten sollte. Ich -glaubte nicht, daß Sie mich vermissen würden, stotterte er endlich. Es -könnte Vieles, Alles anders gewesen seyn; allein die Irrthümer der -Jugend -- - -Lassen wir das, rief der Alte im frohen Muth; was hindert uns, unsre -ehemalige Bekanntschaft und Freundschaft zu erneuern? Was führt Sie -jetzt zu mir? - -Eduard sah nieder, dann warf er einen eiligen, schnell abgleitenden -Blick auf den alten Freund, zauderte noch, und ging nun mit zögerndem -Schritt nach dem Pfeiler, wo das Gemälde stand, das er aus seiner -Verhüllung nahm. Sehen Sie hier, sagte er, was ich noch unvermuthet in -der Verlassenschaft meines seligen Vaters gefunden habe, ein Bild, das -in einem Bücherschranke aufbewahrt war, den ich seit Jahren nicht -eröffnet hatte; Kenner wollen mir sagen, daß es ein trefflicher Salvator -Rosa sei. - -So ist es, rief der alte Walther mit begeisterten Blicken. Ei, das ist -ein herrlicher Fund! Ein Glück, daß Sie es so unvermuthet entdeckt -haben. Ja, mein verstorbener lieber Freund hatte Schätze in seinem -Hause, und er wußte selber nicht, was er alles besaß. - -Er stellte das Bild in das rechte Licht, prüfte es mit leuchtenden -Augen, ging näher und wieder zurück, begleitete aus der Ferne die Linien -der Figuren mit einem Kennerfinger und sagte dann: wollen Sie mir es -ablassen? Nennen Sie mir den Preis, und das Bild ist mein, wenn es nicht -zu theuer ist. - -Indem hatte sich ein Fremder herbei gemacht, der in einer andern Wendung -des Saales nach einem Julio Romano zeichnete. Ein Salvator? fragte er -mit etwas schneidendem Tone, den Sie wirklich als einen alten Besitz in -einer Verlassenschaft gefunden haben? - -Allerdings, sagte Eduard, den Fremden mit einem stolzen Blicke musternd, -dessen schlichter Oberrock und einfaches Wesen etwa einen reisenden -Künstler vermuthen ließen. - -So sind Sie selbst hintergangen, antwortete der Fremde mit einem -stolzen, rauhen Tone, im Fall Sie nicht hintergehen wollen; denn dieses -Bild ist augenscheinlich ein ziemlich modernes, vielleicht ist es ganz -neu, wenigstens gewiß nicht über zehn Jahre alt, eine Nachahmung der -Manier des Meisters, gut genug, um auf einen Augenblick zu täuschen, das -sich aber bei näherer Prüfung dem Kenner bald in seiner Blöße zeigt. - -Ich muß mich sehr über diese Anmaßung verwundern, rief Eduard aus, ganz -aus aller Fassung gesetzt. Im Nachlasse meines Vaters befanden sich -lauter gute Bilder und Originale, denn er und der Herr Walther galten -immer für die besten Kenner in der Stadt. Und was wollen Sie? Bei unserm -berühmten Kunsthändler Erich hängt der Pendant zu diesem Salvator, für -welchen vor einigen Tagen ein Reisender eine sehr große Summe geboten -hat. Man halte beide zusammen und man wird sehen, daß sie von einem -Meister sind und zusammen gehören. - -So? sagte der Fremde mit lang gedehntem Tone. Sie kennen also oder -wissen um jenen Salvator auch? Freilich ist er von derselben Hand, wie -dieser hier, das leidet keinen Zweifel. In dieser Stadt sind die -Originale dieses Meisters selten, und Herr Erich und Walther besitzen -keines von ihm; aber ich bin mit dem Pinsel dieses großen Meisters -vertraut, und gebe Ihnen mein Wort, daß er diese Bilder nicht berührte, -sondern daß sie von einem Neueren herrühren, der Liebhaber mit ihnen -hintergehen will. - -Ihr Wort? rief Eduard in glühender Röthe; Ihr Wort! Ich sollte denken, -daß das Meinige hier eben so viel, und noch mehr gölte! - -Gewiß nicht, sagte der Unbekannte, und außerdem muß ich noch bedauern, -daß Sie sich so von Ihrer Hitze übereilen und verrathen lassen. Sie -wissen also um die Fabrikation dieses Machwerks, und kennen den nicht -ungeschickten Nachahmer? - -Nein! rief Eduard noch heftiger; Sie sollen mir diese Beschimpfung -beweisen, mein Herr! Diese Anmaßungen, diese Unwahrheiten, die Sie so -dreist herausstoßen, kündigen einen mehr als gehässigen Charakter an. - -Der Geheimerath Walther war in der größten Verlegenheit, daß diese Scene -in seinem Hause vorfallen mußte. Er stand prüfend vor dem Bilde, und -hatte sich schon überzeugt, daß es eine moderne, aber treffliche -Nachahmung des berühmten Meisters sei, die wohl auch ein erfahrenes Auge -hintergehen konnte. Ihn schmerzte es innig, daß der junge Eduard in -diesen bösen Handel verwickelt war; die beiden Streitenden aber waren so -heftig erzürnt, daß jede Vermittlung unmöglich wurde. - -Was Sie da sprechen, mein Herr! rief der Fremde jetzt auch in erhöhtem -Tone, Sie sind unter meinem Zorn, und ich bin erfreut, daß ein Zufall -mich in diese Gallerie geführt hat, um zu verhüten, daß ein würdiger -Mann und Sammler hintergangen wurde. - -Eduard schäumte vor Wuth. So ist es nicht gemeint gewesen, sagte -begütigend der Alte. - -Wohl war das die Meinung, fuhr der Fremde fort; es ist ein altes -wiederholtes Spiel, bei dem man es nicht einmal der Mühe werth gefunden -hat, eine neue Erfindung anzubringen. Ich sah in der Kunsthandlung jenen -sogenannten Salvator Rosa; der Eigenthümer hielt ihn für ächt, und wurde -noch mehr darin bestärkt, als ein Reisender, der, der Kleidung nach, ein -sehr vornehmer Mann seyn konnte, einen hohen Preis für das Bildchen bot; -er wollte bei der Rückkehr wieder zusprechen, und bat sich vom -Kunsthändler aus, daß dieser das Gemälde wenigstens vier Wochen nicht -aus den Händen geben sollte. -- Und wer war dieser vornehme Herr? der -weggejagte Kammerdiener des Grafen Alten aus Wien. So ist es klar, daß -das Spiel, von wem es auch herrühre, auf Sie, Herr Walther, und Ihren -Freund Erich abgekartet war. - -Eduard hatte indessen mit zitternden Händen sein Bild schon wieder -eingewickelt; er knirschte mit den Zähnen, stampfte mit dem Fuße und -schrie: der Teufel soll mir diesen Streich bezahlen! So stürzte er zur -Thüre hinaus, und bemerkte nicht, daß das Mädchen wieder von oben in den -Saal herabschaute, die durch das Geschrei der Streiter herbei gezogen -worden war. - -Mein werther Herr, so wandte sich jetzt der Alte zu dem Unbekannten, Sie -haben mir weh gethan; Sie sind zu rasch mit dem jungen Manne verfahren; -er ist leichtsinnig und ausschweifend, aber ich habe bis jetzt noch -keinen schlechten Streich von ihm gehört. - -Einer muß immer der erste seyn, sagte der Fremde mit kalter Bitterkeit; -er hat wenigstens heute Lehrgeld gegeben, und kehrt entweder um, oder -lernt so viel, daß man seine Sachen klüger anfangen, und auf keinen Fall -die Fassung verlieren muß. - -Er ist gewiß selbst hintergangen, sagte der alte Walther, oder er hat -wirklich das Bild, wie er sagt, gefunden, und sein Vater, der ein großer -Kenner war, hat es schon deswegen, weil es nicht ächt ist, bei Seite -geschafft. - -Sie wollen es zum Besten kehren, alter Herr, sagte der Fremde; aber in -diesem Falle wäre der junge Mensch nicht so unanständig heftig geworden. -Wer ist er denn eigentlich? - -Sein Vater, erzählte der Alte, war ein reicher Mann, der ein großes -Vermögen hinterließ; er hatte eine so starke Leidenschaft für die Kunst, -wie gewiß nur wenige Menschen ihrer fähig sind. Auf diese verwandte er -einen großen Theil seines Vermögens, und seine Sammlung war -unvergleichlich zu nennen. Darüber aber versäumte er wohl etwas zu sehr -die Erziehung dieses seines einzigen Sohnes; so wie daher der Alte -starb, war der junge Mensch nur darauf bedacht, Geld auszugeben, mit -Schmarotzern und schlechtem Volke Umgang zu haben, sich Mädchen und -Equipagen zu halten. Als er majorenn wurde, waren ungeheure Schulden bei -Wucherern und Wechsel zu bezahlen, aber er setzte seinen Stolz darein, -nun noch mehr zu verschwenden; die Kunstwerke wurden verkauft, da er -keinen Sinn für diese hat; ich nahm sie für billige Preise. Jetzt hat er -wohl, außer dem schönen Hause, so ziemlich Alles durchgebracht, und auch -auf diesem mögen Schulden lasten; Kenntnisse hat er sich schwerlich -erworben, Beschäftigung ist ihm unleidlich, und so muß man mit Bedauern -sehen, wie er seinem Untergange entgegen geht. - -Die alltägliche Geschichte von so Vielen, bemerkte der Unbekannte, und -der gewöhnliche Weg unwürdiger Eitelkeit, der die Menschen lustig in die -Arme der Verachtung führt. - -Wie haben Sie sich nur dieses sichre Auge erwerben können? fragte der -Rath; auch erstaune ich über die Art, mit der Sie dem Julio -nachzeichnen, da Sie doch kein Künstler sind, wie Sie sagen. - -Aber ich studire seit lange die Kunst, antwortete der Fremde; ich habe -die wichtigsten Gallerieen in Europa fleißig und nicht ohne Nutzen -gesehen, mein Blick ist von Natur scharf und richtig, und noch durch -Uebung gebildet und sicher gemacht, so daß ich mir schmeicheln darf, -wohl nicht so leicht, am wenigsten über meine Lieblinge zu irren. - -Der Fremde empfahl sich jetzt, nachdem er dem Sammler hatte versprechen -müssen, am folgenden Mittage bei ihm zu essen, denn der Alte hatte vor -den Kenntnissen des Reisenden große Achtung gewonnen. - - * * * * * - -Mit unbeschreiblichem Zorne ging Eduard nach Hause. Er trat wüthend ein, -warf alle Thüren heftig hinter sich zu, und eilte durch die großen -Gemächer nach einem kleinen Hinterstübchen, wo in der Dämmerung der alte -Eulenböck bei einem Glase starken Weines seiner wartete. Hier! schrie -Eduard, du alter, schiefnasiger, weinverbrannter Halunke, ist Deine -Schmiererei wieder; verkauf sie an den Seifensieder drüben, der sie in -die Lichte gießen kann, wenn ihm die Malerei nicht ansteht. - -Wäre Schade, sagte der alte Maler, um das gute Bildchen, indem er sich -mit der größten Kaltblütigkeit ein neues Glas einschenkte. Hast Dich -erhitzt, Freundchen; und der Alte hat von dem Kauf nichts wissen wollen? - -Schelm! schrie Eduard, indem er das Bild heftig hinwarf; und um -Deinetwillen bin ich auch zum Schelm geworden! Beschimpft, gekränkt! O -und wie beschämt vor mir selber, glühend Kopf und Hals hinunter, daß ich -mir aus Liebe zu Dir solche Lüge erlaubte. - -Ist keine Lüge, liebes Männchen, sagte der Maler, indem er das Bild -auswickelte, ist ein so veritabler Salvator Rosa, wie ich nur noch je -einen gemalt habe. Hast mich ja nicht daran arbeiten sehen, und kannst -also nicht wissen, von wem das Bild herrührt. Du hast kein Geschick, -mein Hänschen; ich hätte Dir die Sache nicht anvertrauen sollen. - -Ich will ehrlich seyn, rief Eduard, und schlug mit der Faust auf den -Tisch; ich will ein ordentlicher Mensch werden, daß Andre und ich selber -wieder Achtung vor mir haben! Ganz anders will ich werden, einen neuen -Lebenswandel will ich anfangen! - -Warum Dich erboßen? sagte der Alte und trank. Ich will Dich nicht -hindern; mich wird's freuen, wenn ich das erlebe. Ich habe ja immer an -Dir ermahnt und Dir vorgepredigt; ich habe Dich auch an Beschäftigung zu -gewöhnen gesucht, ich habe Dir das Restauriren lehren wollen, Firnisse -bereiten, Farben reiben, in Summa, ich habe es an nichts bei Dir fehlen -lassen. - -Hund von Kerl! rief Eduard, Dein Junge, Dein Farbenreiber sollt' ich -werden? Aber freilich, ich bin ja heute noch tiefer gesunken, da ich -mich zum Spitzbuben eines Spitzbuben habe gebrauchen lassen. - -Was das Kind für ehrenrührige Ausdrücke braucht, sagte der Maler und -schmunzelte in sein Glas hinein; wenn ich mir so was zu Herzen nähme, so -hätten wir die Schlägerei oder bittre Feindschaft hier zur Stelle. Er -meint es aber gut in seinem Eifer; der Junge hat was Nobles in seinem -ganzen Wesen, allein zum Bilderhändler taugt er freilich nicht. - -Eduard legte sich mit dem Kopf auf den Tisch, und der Maler wischte -schnell einen Weinfleck ab, damit der Jüngling nicht mit dem Aermel -hineinfahre. Der gute liebe Salvator, sagte er dann bedächtig, soll auch -nicht das beste Leben geführt haben; sie geben ihm gar Schuld, er sei -Bandit gewesen. Als Rembrandt sich bei lebendigem Leibe für todt ausgab, -um den Preis seiner Werke zu erhöhen, war er auch nicht ganz der -Wahrheit treu geblieben, ob er gleich wirklich einige Jahre später -starb, und sich also nur in der Jahreszahl etwas verrechnet hatte. So, -wenn ich nun solch Bildchen in aller Liebe und Demuth male, mich in den -alten Meister und alle seine lieben Eigenheiten recht sanftselig und -saumthunlich hineindenke, daß mir immer ist, als führte des Verstorbnen -Seelchen mir Hand und Pinsel; und das Ding ist dann fertig, und nickt -mir mit rechter Herzlichkeit seinen Dank zu, daß ich auch was vom alten -Virtuosen geliefert habe, der doch nicht Alles hat machen und nicht ewig -hat leben können, und ich mich nun, vollends nach einem Glase Wein, -indem ich es mit tieferer Prüfung beschaue, rechtgläubig überzeuge, daß -es vom alten Herrn wirklich herrührt, und ich übergebe es so einem -andern Liebhaber des Seligen, und verlange nur ein Billiges für die -Mühe, daß ich mir die Hand habe führen, mein eignes Ingenium derzeit -unterdrücken lassen, an der Verringerung meines eignen Künstlernamens zu -arbeiten, -- ist denn das so himmelschreiende Sünde, Freundchen, wenn -ich mich selbst auf solche kindliche Weise aufopfre? - -Er hob den Kopf des Liegenden auf, verwandelte aber seine grinsende -Freundlichkeit in eben so verzerrten Ernst, als er die Wangen des -Jünglings voll Thränen sah, die in einem heißen Strome unaufhaltsam aus -den Augen stürzten. O meine verlorne Jugend! schluchzte Eduard: o ihr -goldnen Tage, ihr Wochen und Jahre! wie seid ihr doch so sündlich -verschleudert worden, als läge nicht in euern Stunden der Keim der -Tugend, der Ehre und des Glücks; als sei dieser köstlichste Schatz der -Zeit jemals wieder zu gewinnen. Wie ein Glas abgestandenes Wasser hab' -ich mein Leben und den Inhalt meines Herzens ausgegossen. Ach! welch -Dasein hätte mir aufgehen können, welch Glück mir und Andern, wenn ein -böser Geist nicht meine Augen verblendete. Segensbäume wuchsen und -schatteten um mich und über mir, in denen der Freund, die Gattin und die -Bedrängten Hülfe, Trost, Heimath und Frieden fanden; und ich habe die -Axt im schwindelnden Uebermuth an diesen Hain gelegt, und muß nun Frost, -Sturm und Hitze dulden! - -Eulenböck wußte nicht, welch Gesicht er machen, noch weniger, was er -sagen sollte, denn in dieser Stimmung, mit solchen Gesinnungen hatte er -seinen jungen Freund noch niemals gesehen; er war endlich nur froh und -beruhigt, daß dieser ihn nicht bemerkte, so daß er in behaglicher -Heimlichkeit seinen Wein ausleerte. - -Tugendhaft also willst Du werden, mein Sohn? fing er endlich an. Auch -gut. Wahrlich! wenige Menschen sind für die Tugend so portirt, als ich -selber, denn es gehört schon ein scharfer Blick dazu, um nur zu wissen, -was Tugend ist. Knausern, den Leuten abzwacken, sich und unserm Herrgott -etwas vorlügen, ist gewiß keine. Wer aber das rechte Talent dazu hat, -der findet's auch. Wenn ich einem verständigen Mann zu einem guten -Salvator oder Julio Romano von meiner Hand verhelfe, und er freut sich -dann, so habe ich immer noch besser gehandelt, als wenn ich einem Pinsel -einen ächten Rafael verkaufe, den der Gimpel nicht zu schätzen weiß, so -daß ihm im Grunde seines Herzens ein geschniegelter Van der Werft mehr -Freude machen würde. Meinen großen Julio Romano muß ich nun wohl in -eigner Person verkaufen, da Du zu dergleichen weder Gaben noch Glück -hast. - -Diese armseligen Sophistereien, sagte Eduard, können auf mich nicht mehr -wirken; diese Zeit ist vorüber, und Du magst Dich nur in Acht nehmen, -daß sie Dich nicht ertappen; denn mit Laien mag es Dir wohl gelingen, -aber nicht mit Kennern, wie der alte Walther einer ist. - -Laß gut seyn, mein Kindchen, sagte der alte Maler, die Kenner sind -gerade am besten zu betrügen, und mit einem Unerfahrnen möcht' ich gar -nicht einmal anfangen. O dieser gute, alte, liebe Walther, dies feine -Männchen! Hast Du nicht den schönen Höllenbreughel gesehen, der am -dritten Pfeiler zwischen der Skizze von Rubens und dem Portrait von Van -Dyk hängt? Der ist von mir. Ich kam zu dem Männchen mit dem Gemälde: -Wollen Sie nicht etwas Schönes kaufen? »Was! rief er; solche Fratzen, -Tollheiten? Das ist nicht meine Sache; zeigen Sie doch. Nun, ich nehme -sonst dergleichen Unsinn bei mir nicht auf, indessen weil in diesem -Bilde doch etwas mehr Anmuth und Zeichnung ist, als man sonst bei diesen -Phantasien trifft, so will ich mit ihm einmal eine Ausnahme machen.« In -Summa, er hat's behalten, und zeigt's den Leuten, um seinen vielseitigen -Geschmack zu beurkunden. - -Eduard sagte: aber willst Du denn nicht auch noch ein rechtlicher Mann -werden? Es ist doch die höchste Zeit. - -Mein junger Bekehrer, rief der Alte, ich bin es längst; Du verstehst das -Ding nicht, auch bist Du mit Deinem heißen Anlauf noch nicht durch. -Stehst Du am Ziel, und bist glücklich allen Klippen, Halseisen, -Leuchtpfählen vorüber, dann winke mir nur dreist, und ich steure Dir -vielleicht nach. Bis dahin laß mich ungeschoren. - -So trennt sich also unsre Laufbahn, sagte Eduard, indem er ihn wieder -freundlich anblickte; ich habe viel versäumt, aber doch noch nicht -Alles, mir bleibt noch etwas von meinem Vermögen, mein Haus. Hier will -ich mich einfach einrichten, und beim Prinzen, der binnen Kurzem hier -ankommen wird, eine Stelle als Secretair oder Bibliothekar suchen, -vielleicht reise ich mit ihm; vielleicht, daß anderswo ein Glück -- -oder, wenn das nicht, so beschränke ich mich hier, und suche Arbeit und -Beschäftigung in meiner Vaterstadt. - -Und wann soll das Tugendleben losgehen? fragte der Alte mit grinsendem -Lachen. - -Gleich, sagte der Jüngling, morgen, heut, diese Stunde! - -Narrenspossen! sagte der Maler und schüttelte den greisen Kopf; zu allen -guten Dingen muß man sich Zeit lassen, sich vorbereiten, einen Anlauf -nehmen, die alte Periode mit einer Feierlichkeit beschließen und die -neue eben so beginnen. Das war eine herrliche Sitte, daß in manchen -Gegenden unsere Vorfahren das Carneval mit rechter ächter -Ausgelassenheit zu Grabe trugen, daß sie zuletzt noch einmal recht toll -aufjubelten und sich in der Lust übernahmen, um nachher ungestört und -ganz ohne Gewissensskrupel fromm seyn zu können. Laß uns der -verehrlichen Sitte nachfolgen; Brüderchen, sieh, ich bin Dir so gut, -gieb uns und Deinen Launen noch einmal so einen rechten ausgesuchten -Weinschmaus, so einen hohen Valet- und Abschied-Hymnus, daß wir, -besonders ich, Deiner gedenken; laß uns beim besten Wein bis in die -tiefe Nacht hinein jubeln, dann gehst Du rechts ab zur Tugend und -Mäßigkeit, und wir andern bleiben links, wo wir sind. - -Schlemmer! sagte Eduard lächelnd: wenn Du nur einen Vorwand findest, -Dich zu betrinken, so ist Dir Alles recht. Es sei also am heiligen -Dreikönigs-Abend. - -Da ist ja noch vier Tage hin, seufzte der Alte, indem er den letzten -Rest ausschlürfte, und sich dann schweigend entfernte. - - * * * * * - -Wir werden heut eine kleine Tischgesellschaft haben, sagte der Rath -Walther zu seiner Tochter. - -So? fragte Sophie. Und wird der junge Eduard auch herkommen? - -Nein, antwortete der Vater. Wie fällst Du auf diesen? - -Ich dachte nur, sagte Sophie, daß Sie ihm vielleicht durch eine -Einladung die unangenehme Scene etwas vergüten wollten, die er ohne -Ihren Willen in Ihrem Hause hat erleiden müssen. - -Heute würde es am wenigsten passen, erwiederte der Alte, da gerade der -Mann mit uns speisen wird, von dem der junge Mensch beleidigt ward. - -So? der? sagte das Mädchen mit gedehntem Tone. - -Es scheint, der fremde Mann ist Dir unangenehm. - -Recht sehr, rief Sophie; denn erstlich, kann ich es von Niemand leiden, -wenn man nicht genau weiß, wer er ist; solch Incognito ist in der Fremde -allerliebst, um für etwas Besonderes zu gelten, wenn hinter dem Menschen -gerade gar nichts steckt, und so ist es gewiß mit diesem Unbekannten, -der ganz das Wesen eines vacirenden Hofmeisters oder Secretairs hat, der -sich gestern in Ihrer Gallerie ein Ansehen gab, als wenn er der oberste -Direktor aller Heiden-Bekehrungsanstalten wäre. - -Du sagtest: erstens! fragte der Vater lächelnd: nun also zweitens? - -Zweitens ist er fatal, sagte sie lachend, und drittens ist er -unausstehlich, und viertens hasse ich ihn wahrhaft. - -Das ist freilich erstens und letztens bei euch, sagte der Alte. -Uebrigens erscheint noch mein Freund Erich und der junge Maler Dietrich, -so wie der wunderliche Eulenböck. - -Da haben wir ja alle Zeitalter beisammen, rief Sophie aus, alle Arten -von Geschmack und Gesinnung! Kommt nicht etwa auch noch der junge Herr -von Eisenschlicht, um mir das Leben recht sauer zu machen? - -Der Vater hob den Finger drohend auf, sie ließ sich aber nicht irren, -sondern fuhr schnell und unwillig fort: es ist ja wahr, daß ich in -dieser Gesellschaft meines Lebens niemals froh werde; das schwatzt, und -guckt, und ist artig, und lügt, und wird unausstehlich durch einander, -daß ich statt solcher Mahlzeiten lieber drei Tage hungern möchte. Solche -verliebte Leute sind mir so zuwider, wie unreife Johannisbeeren! jedes -Wort von ihnen schmeckt mir noch sauer nach acht Tagen, und verdirbt mir -auch die Zunge für alle bessere Früchte. Der alte krummnasige, kupfrige -Sünder ist mir noch von allen der liebste, denn er denkt doch nicht -daran, mich wie ein Möbel in seine Stuben hinzustellen. - -Diese Art und Weise, sagte der Vater, ist mir an Dir selbst leid, ja -recht verdrüßlich, weil ich bei Deinem starren Eigensinn noch gar nicht -absehen kann, wie Du Dich je ändern möchtest. Du weißt nun, wie ich über -die Ehe und die sogenannte Liebe denke, wie sehr Du mich glücklich -machen würdest, wenn Du Deinen Willen brechen wolltest -- - -Ich muß nach der Küche sehen, rief sie plötzlich: ich muß Ihnen heute -Ehre machen; vergessen Sie nur nicht die guten Weine, damit der -röthliche Eulenböck nicht Ihren Keller in schlechten Ruf bringt. So lief -sie hinaus, ohne eine Antwort abzuwarten. - -Der Alte ging an seine Geschäfte, indessen die Tochter Küche und Tisch -besorgte. Sie hatte jenes Gespräch so plötzlich abgebrochen, weil es der -Wunsch des Vaters, den sie nur gar zu gut kannte, war, sie mit seinem -Freunde Erich zu verheirathen, der zwar nicht mehr jung, indessen auch -noch nicht so sehr in Jahren vorgerückt war, daß ein solcher Plan -lächerlich gewesen wäre. Erich hatte bei seinem Handel ein ansehnliches -Vermögen erworben; in diesem Augenblicke besaß er eine Sammlung ganz -vorzüglicher Bilder aus den italienischen Schulen, und Walther hatte den -Gedanken, daß, falls seine Tochter sich noch zu dieser Heirath bereden -ließe, Erich alsdann seinen Handel einstellen, und diese vorzüglichen -Gemälde seiner Gallerie einverleiben solle, damit der Schwiegersohn -diese dann nach seinem Tode als eine recht ausgezeichnete besäße und -erhielte. Denn es war ihm fürchterlich, sich diese treffliche Sammlung -einst wieder zerstreut zu denken, vielleicht gar unter dem Preise -verkauft und an Menschen vergeudet, bei denen die Bilder durch -Unverstand zu Grunde gehen könnten. Seine Leidenschaft für Malerei war -so groß, daß er auf jeden Fall seines Freundes Bilder für eine sehr -große Summe gekauft haben würde, wenn ihn nicht der Erwerb eines -ansehnlichen Gutes und großen Gartens, die er seiner Tochter zurück -lassen wollte, gehindert und ihm jetzt jede Auslage, vorzüglich aber -eine so bedeutende, unmöglich gemacht hätten. Indem er seine Briefe -schrieb, zerstreuten ihn diese Gedanken unaufhörlich. Er gedachte dann -des jungen Malers Dietrich, eines hübschen blonden Jünglings; und ob ihm -gleich dessen Art, die Kunst auszuüben, so wenig wie die, sich zu -kleiden, recht war, so hätte er doch auch diesen gern als Schwiegersohn -umarmt, weil er überzeugt seyn konnte, daß der junge Mensch für sein -Kunstvermächtniß die höchste Ehrerbietung hegen würde. Der alte Maler -Eulenböck konnte ihm für seine Plane nie in die Gedanken kommen; aber -seit gestern hatte er den fremden Kunstkenner mit väterlichem Auge -gemustert, und die schnippische Antwort der Tochter, mit der sie sich -über diesen geäußert hatte, war ihm daher um so empfindlicher. Er mochte -es sich nicht gestehen, aber er dachte, wenn er in die Zukunft schaute, -weit mehr an das Heil seiner Sammlung, als an das Glück seines Kindes. -Selbst der junge Herr von Eisenschlicht, der Sohn eines Wucherers, wäre -ihm zum Eidam erwünscht gewesen, weil der junge Mensch auf Reisen sich -ziemlich gebildet hatte; und da dieser zugleich die Neigungen seines -Vaters besaß, so ließ sich wohl erwarten, daß er aus jeder Rücksicht -eine so kostbare Sammlung in Ehren halten würde. - -So war der Vormittag verstrichen, und die Gäste fanden sich nach und -nach ein. Zuerst der jüngste, Dietrich, im sogenannten altdeutschen -Rocke, die weißlichen Haare auf den Schultern hängend, und mit einem -blonden Bärtchen, der sein rosenrothes durchsichtiges Antlitz nicht -entstellte. Er erkundigte sich sogleich angelegentlich nach der Tochter, -und diese erschien, geschmückt, in einem grünseidenen Kleide, das den -Glanz ihres Gesichts und Nackens wunderbar erhob. Der Jüngling begann -sogleich eben so verlegen als zudringlich ein Gespräch mit Sophien, das -um so trockner wurde, um so mehr er es überschwenglich zu machen suchte. -Gestört und getröstet wurden beide durch das Erscheinen des alten -Eulenböck, der mit seinem braunrothen Gesicht wunderlich aus einer -hellgrünen Weste und weißlichem Frack heraus schien, da er es, wie viele -ausgemacht häßliche Menschen, liebte, sich in auffallende Farben zu -kleiden. Die jungen Leute konnten kaum das Lachen unterdrücken, als sie -ihn sich linkisch hereindrehen, grimassirend grüßen und mit falscher -Artigkeit stolpern sahen, wobei sich sein schiefes Gesicht, die kleinen -grellen Augen und die seitwärts gedrehte Nase noch wunderlicher -ausnahmen. Der Fremde ließ lange auf sich warten, und Sophie spöttelte -wieder über die Anmaßung, den vornehmen Mann zu spielen, bis er endlich, -schlicht gekleidet, erschien und es der Gesellschaft möglich machte, -sich in das Speisezimmer zu begeben, in welchem sie Erich schon fanden, -der dort ein Gemälde befestigt hatte, welches der Fremde und die Maler -in Augenschein nehmen sollten. - -Sophie saß zwischen Erich und dem Unbekannten, obgleich Dietrich einen -vergeblichen Versuch gemacht hatte, sich an ihre Seite einzuschieben. -Eulenböck, der alles bemerkte, und der am liebsten seine Bosheit in das -Gewand der Gutmüthigkeit hüllte, drückte dem jungen Menschen die Hand -und dankte ihm wie gerührt, daß er so lange herum gekreuzt sei, um nur -neben einem alten Manne zu sitzen, der zwar auch die Kunst liebe und -ausübe, indessen freilich mit seinen abnehmenden Kräften dem Fluge der -neuern Schule nicht mehr nachstreben könne, an deren Enthusiasmus er -aber doch sein altes Feuer wieder anzünde und seine schon kalten -Lebensgeister erwärme. Dietrich, der noch jung genug war, um alles dies -für Ernst zu halten, wußte nicht Dankbarkeit genug auszudrücken, noch -hinlängliche Bescheidenheit aufzutreiben, um diese Demuth aufzuwägen. -Der alte Schelm freute sich, daß ihm seine Verstellung gelang, und -machte den gutmüthigen Jüngling immer treuherziger, der in diesem alten -Knaben schon einen Schüler von sich zu sehen wähnte, und dabei im -Stillen berechnete, wie er dessen practische Kenntnisse zu höhern -Zwecken brauchen wolle, ohne daß der Alte merken müsse, wie der neue -Lehrer wieder zugleich sein Schüler sei. - -Indessen diese beiden sich so zu täuschen suchten, war das Gespräch des -Fremden und des Wirthes zum Theil zufällig, und von der andern Seite -klug gelenkt, auf die Ehe gefallen; denn der alte Walther ließ nicht -leicht eine Gelegenheit vorübergehen, seine Gedanken über diesen -Gegenstand auszusprechen. Ich habe niemals, sagte er, mit den Ansichten -übereinstimmen können, die nun etwa seit funfzig Jahren zur allgemeinen -Mode geworden sind. Ich nenne sie Mode, weil ich mich nie, obgleich ich -auch jung gewesen bin, habe überzeugen können, daß sie in der Natur -gegründet sind. Kann man läugnen, daß einzelne Menschen zu gewissen -Zeiten leidenschaftlichen Stimmungen und Verirrungen ausgesetzt gewesen? -Nur zu häufig haben wir die bösen Folgen des Zornes, der Trunkenheit, -der Eifersucht und Wuth wahrnehmen müssen. Eben so ist auch nicht zu -läugnen, daß vielfaches Unheil und seltsame Begebenheiten aus jenen -gesteigerten Empfindungen, die man Liebe nennt, hervorgegangen sind. Es -ist nur die Rede von jener Verkehrtheit, daß der Mensch zwar alle andere -Verwirrungen vermeidet, und sich der Ueberraschung der Leidenschaften zu -entwöhnen sucht, Alle aber sich seit einer gewissen Zeit damit brüsten, -ja es für nothwendig zum Leben halten, die Liebe und ihre wilden -Zustände und leidenschaftlichen Verwirrungen erlebt zu haben. - -Der Unbekannte sah den Wirth ernsthaft an und nickte ihm zu, worauf der -Alte mit erhöhter Stimme fortfuhr: - -Möchte man am Ende auch einer gewissen Billigkeit nachgeben, und diese -Zustände der sogenannten Liebenden, in denen, wie sie uns erzählen, die -ganze Welt ihnen im schönern Lichte erscheint, und in welchen sie sich -aller ihrer Seelenkräfte erhöht und vielfacher bewußt werden (obgleich -sie in jenem Schlummerwachen in der Regel träge, und zu keiner Arbeit zu -bringen sind), natürlich finden: was thut, frag' ich nun, alles dies, -auch noch so glücklich sich wendend, um eine vernünftige und gute Ehe zu -schließen? Ich würde nie meine Einwilligung geben, wenn ich das Unglück -hätte, an meiner Tochter einmal diese Verstandesverwirrung zu bemerken. - -Sophie lächelte; der junge Dietrich sah sie erröthend an, und Eulenböck -trank mit großem Wohlbehagen, indeß der Fremde den Alten mit Ernst -anhörte, der, seiner Sache gewiß, um so eifriger fortfuhr: Nein, wohl -dem Manne, der, mit dieser verkehrenden Leidenschaft völlig unbekannt, -den vernünftigen Entschluß faßt, sich in den Stand der Ehe zu begeben, -und Heil dem Mädchen, das züchtig den Gemahl findet, ohne jene Scenen -des Wahnsinns je mit ihm gespielt zu haben, denn alsdann findet sich -jene Zufriedenheit, jene Ruhe und jener Segen, der unsern Vorfahren -nicht unbekannt war, und den die heutige Welt nicht mehr achten will. In -diesen Ehen, welche nach vernünftiger Ueberlegung, in Demuth und stiller -Ergebenheit geschlossen wurden, fanden die Menschen damals im wachsenden -Vertrauen, in zunehmender Zärtlichkeit und im gegenseitigen Ertragen der -Schwächen ein Glück, welches dem jetzigen hochfahrenden Geschlechte zu -geringe erscheint, und das auch darum nur Elend und Noth, -Unzufriedenheit und Mißverständniß, Zwietracht und Verachtung im Garten -seines Lebens baut. Früh schon an den Rausch der Leidenschaft gewöhnt, -suchen sie auch diesen in der Ehe, und verachten die Nothwendigkeit des -alltäglichen Lebens, erneuern dann rechts und links in mannigfaltigen -und immer geringeren Abwechselungen die Kunststücke ihres -Liebeshandwerks, und gehen so in Schlechtigkeit und Selbstbetrug unter. - -Sehr bitter, aber wahr, sagte der Unbekannte mit nachdenklicher Miene. - -Es ist wie mit allen Bitterkeiten, flüsterte Sophie ihrem Nachbar zu, -sie fallen zu schwer auf die Zunge; man kann nicht recht unterscheiden, -ob es schmeckt, oder nur allen Geschmack betäubt; dergleichen ist -natürlich für den wahr, der Liebhaber davon ist. - -Eulenböck, der diesen Ausspruch auch gehört hatte, lachte, und der -Vater, der die Sache nur halb verstanden, wandte sich mit Heiterkeit zu -seinem fremden Gaste: wir sind also darüber einig, daß nur die -sogenannten Conventionsheirathen glücklich seyn können; ich werde auch -niemals Anstand nehmen, meine einzige und nicht unbegabte oder arme -Tochter einem Manne zu geben, sei er, von welchem Stande er wolle, -dessen Charakter mir werth ist, und dessen Kenntnisse ich, vorzüglich in -der Kunst, achten muß, damit auch meine Enkel noch die Früchte meines -Fleißes ärnten, und nicht in alle Winde und in die Häuser der -Unwissenden das verstreut werde, was Liebe, Aufopferung, Studium und -unermüdeter Fleiß in dieser Wohnung versammelt haben. - -Er sah den Fremden mit gefälligem Lächeln an; doch dieser, der bis jetzt -ihm freundlich erwiedert hatte, machte eine fast finstere Miene und -sagte nach einer kleinen Pause: die Sammlungen von Privatpersonen können -niemals lange bestehen; wer die Kunst liebt, sollte, falls er gesammelt -hat, seine Schätze um ein Billiges Fürsten verkaufen, oder sie größern -Gallerieen durch Testament einverleiben. Darum kann ich auch den Plan -mit Ihrer Tochter nicht billigen, wenn ich auch mit Ihren Ansichten von -der Ehe einverstanden bin. Und überhaupt ist es in Ansehung jeder -Heirath eine mißliche Sache. Wenn ich nicht versprochen wäre und tausend -dringende Ursachen mich zwängen, mein Wort nicht zu brechen, so würde -ich meiner Neigung nach immer unverheirathet bleiben. - -Der Alte wurde roth und sah vor sich nieder, dann fing er mit seinem -Nachbar, nicht ohne Verlegenheit, ein anderes Gespräch an. Die neuliche -Auction der Kupferstiche, sagte der Gemäldehändler, ist bei weitem nicht -so ergiebig ausgefallen, als es der Eigenthümer sich versprochen hatte. -Das ist häufig mit Auctionen der Fall, warf die Tochter mit -schnippischem Tone dazwischen: darum sollte sich kein Mensch damit -einlassen, den nicht die äußerste Noth dazu treibt. - -Dietrich war noch zu unerfahren, um den Zusammenhang dieser Gespräche -einzusehen; er redete treuherzig und eifrig über die Barbarei der -Auctionen, in denen oft die kostbarsten Seltenheiten übersehen, viele -Kunstwerke durch die Gaffer und Handlanger beschädigt, und der Ruhm -großer Meister, so wie das Gefühl ächter Bewunderer, schmerzlich -verletzt würden. Dadurch gewann er die gute Meinung des Vaters, der die -getrübte Miene erheiterte und ihm mit Freundlichkeit Recht gab. Sophie, -welche fürchten mochte, daß ein neuer Antrag im verdeckten Wege des -Kunstenthusiasmus vorgeschoben werden sollte, fragte schnell den jungen -Maler, ob er mit seinem Marienbilde bald fertig sei, oder ob er vorher -die Abnahme vom Kreuz vollenden wolle? - -Sie malen also auch dergleichen rührende Gegenstände? fragte der -Unbekannte, indem er mit einem fast schielenden Blicke zum jungen Manne -herüber blinzelte. Mich wundert es immer von Neuem, daß Menschen in -ihren besten und heitersten Jahren mit dergleichen Gegenständen ihre -Zeit und Imagination verderben können. Der heiligen Familien haben wir -wohl, dächte ich, in der Kunst genug; da ist nichts Neues anzubringen -und zu erfinden, und jene Leichname und Verzerrungen des Schmerzes -widerstreben so völlig allem Reiz und dem Genuß der Sinne, daß ich mein -Auge immer davon abwenden muß. Die Kunst soll unser Leben erhöhen und -erheitern, alle Dürftigkeiten desselben und aller Jammer der Welt soll -uns in ihrer Nähe verschwinden; nicht aber darf unsre Phantasie durch -ihre Hervorbringungen geängstigt und gefoltert werden. Im heitern, -frischen Licht soll die Sinnenwelt spielen, und in freundlichem Reiz uns -schmeicheln und auf diese Weise erheben. Schönheit ist Freude, Leben, -Kraft. Der hat sich noch wenig verstanden, der Nacht und düstre Gefühle -sucht. Oder gehören Sie auch etwa zu denen, die sich vor dergleichen -Bildern mit erzwungener Gläubigkeit entzücken, und verlangen, daß in uns -eine Art von Andacht sich entzünden soll, um den Gegenstand zu verstehen -und christlich zu würdigen? - -Und wäre denn das, rief Dietrich mit einer gewissen Eil und Heftigkeit, -etwas so Unerhörtes, oder nur Besonderes? Im Schönen, wenn es erscheint, -wird der Reiz der Sinnenwelt zum Göttlichen erhöht, und so wird die -stumme Ehrfurcht, die hülflose Rührung unbegeisterter Gemüther durch die -Kunst zur himmlischen Andacht erhoben. Es ist, wenn auch verzeihlich, -doch abgeschmackt, wenn bloß des frommen Gegenstandes wegen ein elendes -Bild den gläubigen Beschauer entzückt, aber es ist mir völlig -unbegreiflich, wenn sich ein fühlendes Herz vor der Sixtinischen Maria -zu Dresden des Glaubens und der Andacht erwehren kann. Ich weiß es wohl, -daß die neuen Bestrebungen jüngerer Künstler, zu denen ich mich auch -bekennen muß, bei vielen trefflichen Leuten großes Aergerniß erregt -haben, aber man sollte sich doch endlich ohne Leidenschaft überzeugen, -daß das alte, ganz ausgefahrene Geleise kein Weg mehr ist. Was haben -diejenigen, die diese neue Lehre zuerst wieder aufbrachten, denn anders -gewollt, als das Gemüth wieder erwecken, welches seit langer Zeit bei -allen Kunstproductionen als ganz überflüssig angesehen worden war? Und -hat denn diese neue Schule nicht schon vieles Achtungwürdige -hervorgebracht? Ein Geist offenbart sich, das ist nicht abzuläugnen, der -sich kräftigen wird und ausbilden, ein neuer Weg ist gefunden, auf -welchem freilich, wie bei jeder Begeisterung, mancher Unberufene auch -das Uebertriebene, Widerwärtige und ganz Tadelswürdige hervorbringen -wird. Ist denn aber das Schlechte dieser Zeit wirklich schlechter, als -was weiland ein gefeierter _Casanova_ erschuf, oder das Leere leerer, -als jenes kalte Abschreiben der mißverstandnen Antike, das jene ganze -frühere Zeit als einen großen Lückenbüßer in der Kunstgeschichte -darstellt? Waren denn nicht bizarre Manieristen auch damals die -tröstenden Erscheinungen? Und hat denn der Hülfverein für die Kunst, von -verehrten Männern gestiftet, etwas Tüchtiges hervorbringen können? - -Junger Mann, sagte der Unbekannte mit der schneidendsten Kälte: ich -müßte zehn Jahre jünger, oder Sie einige älter seyn, wenn ich über so -wichtigen Gegenstand mit Ihnen streiten sollte. Dieser neue -phantastische Traum hat sich der Zeit bemächtigt, das ist freilich nicht -zu läugnen, und muß nun bis zum Erwachen fortgeschlummert werden. Waren -jene, die Sie tadeln wollen, vielleicht zu nüchtern, so sind dafür die -jetzt Gepriesenen in einem kränklichen Rausch befangen, indem ihnen ein -wenig schwaches Getränk zu Kopfe gestiegen ist. - -Sie wollten nicht streiten, rief der junge Maler, und thun mehr, Sie -sind bitter. In der Leidenschaft ist man wenigstens keines freien -Urtheils fähig. Ob die Parthei, für die Sie mit solchen Waffen kämpfen, -dadurch gewinnen kann, muß die Zukunft entscheiden. - -Sophie sah den Jüngling ermuthigend mit einem schadenfrohen Blicke an, -Walther war schon besorgt; doch nahm der Bilderhändler Erich das -Gespräch beruhigend auf und sagte: sobald sich ein heftiger Widerstreit -in der Zeit regt, so ist es ein Zeichen, daß etwas Wirkliches in der -Mitte liegt, das den Streit wohl verdient, und welches der Mitlebende -nicht ganz ignoriren darf, wenn er nicht unbillig seyn will. Seit lange -war die Kunst aus dem Leben getreten, und nur ein Artikel des Luxus -geworden; darüber vergaß man, daß sie jemals mit Kirche und Welt, mit -Andacht und Begeisterung zusammengehangen hatte, und kalte Kennerschaft, -Vorliebe für das Kleine und gemeine Natürlichkeit, so wie ein -erkünstelter Enthusiasmus mußten sie erzeugen. Weiß ich doch die Zeit -noch, wo man in den Gallerieen die schönsten Werke eines Leonardo nur -als merkwürdige und sonderbare Alterthümer vorwies, selbst Rafael wurde -nur mit einschränkender Kritik bewundert, und über noch ältere große -Meister zuckte man die Achseln, und betrachtete die Malereien der -früheren Deutschen oder Niederländer niemals ohne Lachen. Diese Barbarei -der Unwissenheit ist doch jetzt vorüber. - -Wenn nur keine neue und schlimmere darüber entstände! rief Eulenböck, -vom Weine hochroth erglühend, indem er dem Unbekannten einen feurigen -Blick zuwarf. Mir thut es immer weh, daß in unsern Tagen das Wort des -ächten Kenners fast nie mehr gehört wird; der Enthusiasmus übertönt die -Einsicht, und doch ist für den Künstler nichts so lehrreich, als ein -Gespräch mit einem ächten Kunstfreunde, das ihn belehre und erhebe, da -es ihm oft in Jahren nicht so gut wird, dergleichen zu genießen. - -Der Fremde, welcher schon verstimmt und heftig zu werden schien, ward -nach diesen Worten wieder heiter und freundlich. Künstler und Freunde -der Kunst, erwiederte er, sollten sich immer aufsuchen, um beständig von -einander zu lernen. So war es in voriger Zeit, und auch dies war eine -der Ursachen, daß die Malerei gedieh. Die Phantasie eines jeden -Schaffenden ist beschränkt und ermattet, wenn sie nicht von außen -angefrischt und bereichert wird, und dies kann nur durch verständige, -freundliche Mittheilungen geschehen; ohne zu erwähnen, was Correktheit, -Anmuth der Behandlung und Auswahl der Gegenstände gewinnen. - -Sie haben sich, antwortete der alte Maler, einen Künstler vorzüglich -ausersehen, den ich auch gewissermaßen mehr als alle liebe. - -Ich gestehe, sagte der Fremde, daß ich ihm mein Herz vielleicht etwas zu -ausschließlich zugewendet habe. Es war mir früh vergönnt, einige -ausgezeichnete Werke des Julio Romano kennen zu lernen und zu verstehen; -in Mantua fand ich auf meinen Reisen Gelegenheit, ihn zu studiren, und -seitdem glaube ich, meine Vorliebe auch rechtfertigen zu können. - -Gewiß, erwiederte der Alte, wird Ihr Aufenthalt dort zu den schönsten -Epochen Ihres Lebens gehören. Habe ich doch zu meinem innerlichen -Verdruß in neueren Zeiten auch manchen Tadel dieses großen Geistes hören -müssen, vorzüglich, daß er die geistlichen Gegenstände nicht mit der -gehörigen Innigkeit behandle. Einem Jeden ist nicht _alles_ gegeben. -Aber die Verklärung des frischen sinnlichen Lebens, die Herrlichkeit des -freien Muthwillens, das Spiel der lebendigsten Phantasie waren ihm -vorbehalten. Und ist dem jungen Wallfahrer sein Herz noch für den -Reichthum dieses glänzenden Geistes verschlossen, so wandre er nur nach -Mantua, um dort in dem Pallast ^T^ kennen zu lernen, was Erd' und -Himmel, möcht' ich fast sagen, Herrliches in sich fassen; wie in den -Schrecken des Riesensturzes noch Lust und Scherz gaukelnd, und in dem -Saale des Amor und Psyche in der Trunkenheit des Entzückens die -himmlische Erscheinung der vollendeten Schönheit sich verklären. - -Der junge Dietrich sah seinen abtrünnigen Anhänger schon seit lange mit -großen Augen an; er konnte diesen Abfall nicht begreifen und nahm sich -vor, mit dem Alten in einer vertrauten Stunde darüber zu sprechen; denn -wenn er auch die Bewunderung des Julius gelten ließ, so schien ihm doch -die erste Hälfte des Gesprächs geradezu im Widerspruch mit der früheren -Aeußerung Eulenböcks zu stehen, der sich aber um dergleichen Nebendinge -nicht kümmerte, sondern sich mit dem fremden Kunstfreunde in so -lebhaften Enthusiasmus hineinschwatzte, daß beide auf lange Zeit weder -die übrigen hörten, noch sie zu Worte kommen ließen. - -Erich wollte eine Aehnlichkeit des Fremden mit einem Verwandten Walthers -bemerken; darüber kam man in das Kapitel der Aehnlichkeiten, und wie -sonderbar sich in den Familien, oft in der fernsten Verzweigung am -deutlichsten, gewisse Formen wiederholen. Sonderbar ist es auch, sagte -der Wirth, daß die Natur oft ganz wie die Kunst verfährt. Wenn ein -Niederländer und ein Italiener aus der vorigen Zeit ein und dasselbe -Bildniß malen sollten, so würden beide die Aehnlichkeit auffassen, aber -jeder ein ganz verschiedenes Portrait und eine ganz andere Aehnlichkeit -hervorbringen. So kannte ich in meiner Jugend eine Familie, die aus -vielen Kindern bestand, an denen allen die Physiognomie der Aeltern und -nur eine Hauptform, aber unter verschiedenen Bedingungen ausgeprägt war, -so klar und sicher, als wenn die Kinder Bildnisse von demselben -Gegenstande, von verschiedenen großen Malern gezeichnet, wären. Die -älteste Tochter war wie von Correggio gemalt mit feinem Teint und -zierlicher Form; die zweite war dasselbe Gesicht, aber größer, voller, -wie aus der florentinischen Schule; die dritte hatte das Ansehen, als -habe Rubens das nehmliche Portrait auf seine Art gemalt; die vierte wie -ein Bild von Dürer; die nächste wie aus der französischen Schule, -glänzend, voll, aber unbestimmt, und die jüngste wie ein flüssig -gemaltes Werk von Leonard. Es war eine Freude, diese Gesichter unter -sich zu vergleichen, die mit denselben Formen, in Ausdruck, Farbe und -Lineamenten wieder so verschieden waren. - -Erinnern Sie sich des wunderbaren Portraits, fragte Erich, welches Ihr -alter Freund in seiner Sammlung besaß, und welches sich mit so vielen -andern Sachen auf eine unerklärliche Weise verloren hat? - -Ja wohl! rief der alte Walther aus, wenn es nicht von Rafaels Händen -war, wie einige behaupten wollen, so war es wenigstens von einem -vorzüglichen Meister, der nach diesem Muster die Kunst mit Glück studirt -hatte. Wenn einige Neuere von der Kunst des Portraitirens als von einer -geringen Sache sprechen wollten, oder die gar den Maler erniedrige, so -durfte man sie nur vor dieses wunderwürdige Bildniß führen, um sie zu -beschämen. - -Wie, sagen Sie, so wandte sich der Fremde lebhaft zum alten Rath, es -sind außer diesem trefflichen Stück noch andere merkwürdige Gemälde -verloren gegangen? Auf welche Weise? - -Ob verloren, sagte Walther, kann man so eigentlich nicht sagen; aber sie -sind unsichtbar geworden, und vielleicht in's ferne Ausland verkauft. -Mein Freund, der Herr von Essen, der Vater des jungen Menschen, den Sie -neulich in meinem Saale trafen, wurde mit zunehmendem Alter launenhaft -und wunderlich. Die Liebe zur Kunst hatte uns befreundet, und ich kann -sagen, daß ich sein ganzes Vertrauen besaß. Wir ergötzten uns an unsern -Sammlungen, und die seinige übertraf damals bei weitem die meinige, die -ich erst durch die Nachläßigkeit seines Sohnes so ansehnlich habe -vermehren können. Wenn wir uns einmal ein rechtes Fest geben wollten, so -setzten wir uns in sein Cabinet, in welchem die ausgesuchtesten seiner -Werke versammelt waren. Diese hatte er mit vorzüglich prächtigen Rahmen -einfassen lassen, und sie sinnreich bei einer sehr vortheilhaften -Erleuchtung geordnet. Außer jenem Portrait sah man dort eine so -unvergleichliche Landschaft von _Nicolas Poussin_, wie mir noch nie eine -vorgekommen ist. Im sanften Abendlicht fuhr Christus mit seinen Jüngern -auf dem Wasser. Die Lieblichkeit des Wiederscheins der Häuser und Bäume, -die klare Luft, die Durchsichtigkeit der Wellen, der edle Charakter des -Erlösers und die himmlische Ruhe, die über dem Ganzen schwebte und unser -Gemüth wie in Wehmuth und friedlicher Sehnsucht auflöste, ist nicht zu -beschreiben. Daneben hing ein Christus mit der Dornenkrone von _Guido -Reni_, von einem Ausdrucke, wie ich ihn seitdem auch nicht wieder -gesehen habe. Der alte Freund wollte sonst in seinem Eigensinne den -trefflichen _Guido_ vielleicht zu wenig gelten lassen; aber vor diesem -Bilde war er immer entzückt, und es ist wahr, man sah es, so oft man es -sah, jedesmal von Neuem; die vertraute Bekanntschaft mit ihm erhöhte nur -den Genuß, und ließ immer neue, noch geistigere Schönheiten entdecken. -Dieser Ausdruck der Milde, des ergebenen Duldens, der himmlischen Güte -und des Verzeihens mußten auch das starrste Herz durchdringen. Es war -nicht jene gesteigerte Leidenschaftlichkeit, wie man wohl in andern -ähnlichen Bildern des Guido wahrnimmt, und die uns bei trefflicher -Behandlung des Gegenstandes doch eher zurück stößt, als anzieht, sondern -es war das süßeste, wie das schmerzlichste Gemälde. Durch die zarten -Fleischpartien unter Wange, Kinn und Auge sah und fühlte man den ganzen -Schädel, und dieser Ausdruck des Leidens erhöhte nur die Schönheit. -Gegenüber war eine Lukretia von demselben Meister, die sich mit starkem -vollen Arm den Dolch in den schönen Busen stieß. In diesem Bilde war der -Ausdruck groß und kräftig, die Farbe unvergleichlich. Eine Mutter, die -dem schlafenden Kinde das Tuch vom nackten Körper nimmt, und Joseph und -Johannes den Schläfer betrachtend, die Figuren lebensgroß, waren von -einem alten römischen Meister so herrlich und graziös dargestellt, daß -jede Beschreibung nur unzulänglich ist. Aber wohl möchte ich Worte -suchen, um auch nur eine schwache Vorstellung von dem einzigen _Van -Eyck_ zu geben, einer Verkündigung, welche doch vielleicht die Krone der -Sammlung war. Hat sich die Farbe je als eine Tochter des Himmels -verherrlicht, ist mit Licht und Schatten jemals gespielt, und im Spiel -die edelste Rührung der Seele erweckt worden, haben Lust, Begeisterung, -Poesie und Wahrheit und Adel sich je in Figuren und Färbung auf eine -Tafel gelegt, so war es in diesem Bilde geschehen, welches mehr als -Malerei und Zauber war. Ich muß abbrechen, um mich nicht selbst zu -vergessen. Diese Bilder waren die vorzüglichsten; aber ein _Hemling_, -ein herrlicher _Annibal Carracci_, ein kleines Bild, Christus zwischen -den Kriegsknechten, eine Venus, vielleicht von Titian, wären wohl noch -der Erwähnung werth, und kein Bild war in diesem Cabinet, das nicht -jeden Freund der Kunst beglückt hätte. Und, denken Sie, fassen Sie die -Sonderbarkeit des Alten, kurz vor seinem Tode sind alle diese Stücke -verschwunden, ohne Spur verschwunden. Hat er sie verkauft? Er hat nie -diese Frage beantwortet, und seine Bücher hätten es nach seinem Tode -ausweisen müssen, die aber nichts davon sagten. Hat er sie verschenkt? -Aber wem? Man muß fürchten, und der Gedanke ist herzzerreißend, er hat -sie in einer Art von wahnsinniger Schwermuth, weil er sie wohl keinem -andern Menschen auf Erden gönnen mochte, kurz vor seinem Tode -vernichtet. Vernichtet! Fassen Sie es, begreift ein Mensch diese -furchtbare Abwesenheit, wenn mein Verdacht gegründet ist? - -Der Alte war so erschüttert, daß er seine Thränen nicht zurück halten -konnte, und Eulenböck zog ein ungeheures gelbseidenes Tuch aus der -Tasche, um in auffallender Rührung sein dunkelrothes Gesicht -abzutrocknen. Erinnern Sie sich wohl noch, hub er schluchzend an, des -sonderbaren Bildes von _Quintin Messys_, auf dem ein junger Schäfer und -ein Mädchen in seltsamer Tracht abgebildet waren, beide herrlich -ausgearbeitet, und wovon er behauptete, die Figuren sähen seinem Sohne -und Ihrer Tochter ähnlich. - -Die Aehnlichkeit war damals auffallend, erwiederte Erich. Sie haben aber -noch den Johannes zu nennen vergessen, der wenigstens mit dem _Guido_ -wetteifern konnte. Dies Bild war vielleicht von _Domenichino_, -wenigstens war es jenem berühmten äußerst ähnlich. Dieser Blick des -Jünglings nach dem Himmel, die Begeisterung, die Sehnsucht, zugleich die -Wehmuth, daß er schon das Göttliche auf Erden gesehen, als Freund umarmt -und als Lehrer verstanden hatte, dieser Wiederschein einer entschwundnen -Vergangenheit im Spiegel des edeln Antlitzes war rührend und erhebend. --- O, wenige von diesen Bildern könnten den jungen Mann retten und -wieder wohlhabend machen. - -Wäre doch Alles an ihm verloren, rief Eulenböck aus. Er würde es doch -nur wieder vergeuden. Was habe ich nicht an ihm ermahnt! Aber er hört -auf den ältern Freund und die Stimme der Erfahrung nicht. Nun endlich, -da ihm das Wasser doch wohl mag an die Seele gehen, ist er in sich -geschlagen; er sah, daß ich über sein Unglück bis zu Thränen gerührt -war, da hat er mir in meine Hand versprochen, sich von Stund an zu -bessern, zu arbeiten und ein ordentlicher Mensch zu werden. Wie ich ihn -hierauf gerührt umarme, reißt er sich lachend los und ruft: aber erst -vom heiligen Dreikönigs-Abend an soll dieser Vorsatz gelten, bis dahin -will ich noch lustig seyn und in der alten Bahn fortlaufen! Was ich auch -sagen mochte, Alles war umsonst; er drohte, wenn ich ihm nicht seinen -Willen ließe, die ganze Besserung wieder aufzugeben. -- Ei nun, das Fest -ist in einigen Tagen, die Frist ist nur kurz; Sie können aber wenigstens -daraus sehen, wie wenig auf seine guten Vorsätze zu bauen ist. - -Von jeher, sagte Sophie, ist er zu sehr mit frommen Leuten umgeben -gewesen; aus Widerspruch hat er sich auf die andre Seite gewandt, und so -hat freilich sein Eigensinn verhindert, daß der Umgang mit den -Tugendhaften ihm hat nützlich werden können. - -Sie haben gewissermaßen Recht, rief der alte Maler. Hat er sich nicht -von dem Pietisten, dem langweiligen alten Musikdirektor Henne seit -einiger Zeit wie belagern lassen? Aber ich versichere Sie, dessen -trockne Predigten können unmöglich an ihm haften; auch wird der Alte -beim dritten Glase betrunken, und so kommt er aus dem Text. - -Er hat es zu arg getrieben, bemerkte der Wirth: dergleichen Menschen, -wenn Unordnung und Verschwendung erst ihre Lebensweise geworden sind, -können sich niemals wieder zurecht finden. Das rechtliche, wahre Leben -erscheint ihnen gering und bedeutungslos; sie sind verloren. - -Sehr wahr, sagte Eulenböck: und um Ihnen nur ein auffallendes Beispiel -seiner Raserei zu geben, so hören Sie, wie er es mit seiner Bibliothek -anfing. Er erbte eine unvergleichliche Büchersammlung von seinem -würdigen Vater; die herrlichsten Ausgaben der Classiker, die größten -Seltenheiten der italienischen Literatur, die ersten Ausgaben des Dante -und Petrarca, nach denen man auch wohl in berühmten Städten umsonst -fragt. Nun fällt es ihm ein, er müsse einen Secretär haben, der zugleich -diese Bibliothek in Ordnung halten solle, die neu angekauften Werke in -das Verzeichniß eintragen, die Werke systematisch aufstellen und -dergleichen mehr. Ein junger wüster Mensch meldet sich zu diesem -wichtigen Amte, und wird auch gleich angenommen, weil er zu schwatzen -weiß. Zu schreiben ist nicht viel, aber trinken muß er lernen, und der -Unterricht schlägt bei dem lockern Vogel an. Das wilde Leben nimmt -gleich seinen Anfang; alle Tage toll und voll, Bälle, Maskeraden, -Schlittenfahrten, die halbe Stadt frei gehalten. So fehlt es denn nun -schon nach einem halben Jahre, als der junge Gelehrte sich seinen Gehalt -ausbittet, an baarem Gelde. Man fällt auf den Ausweg, daß er für den -Gehalt des ersten Jahres an Büchern nach einer billigen Taxe nehmen -dürfe. Herr und Diener kennen aber den Werth der Sachen nicht, die auch -nur für den Kenner kostbar sind, und deren finden sich nicht auf allen -Gassen. Die theuersten Werke werden ihm also lächerlich wohlfeil -überlassen, und da man die Auskunft einmal gefunden hat, so wiederholt -sich das Spiel immer wieder, und um so öfter, da der neue Günstling -zuweilen Gelegenheit hat, für seinen Patron baare Auslagen zu machen, -die ihm in Büchern wieder erstattet werden. So fürchte ich, sind von der -Büchersammlung vielleicht nur noch die Schränke übrig geblieben. - -Ich weiß am besten, sagte der Rath, wie unverantwortlich man mit den -Büchern umgegangen ist. - -Das sind ja alles erschreckliche Geschichten, sagte Sophie: wer möchte -sie nur von seinem Feinde so wieder erzählen? - -Das Schlimmste aber, fuhr Eulenböck fort, war denn doch seine -Leidenschaft für die berüchtigte schöne Betty; denn diese that das im -Großen, was alle seine übrigen Thorheiten an seinem Wohlstand nur im -Kleinen vernichten konnten. Sie hat auch seinen Charakter zu Grunde -gerichtet, der sich ursprünglich zum Guten neigte. Er ist gutherzig, -aber schwach, so daß Jeder, welcher sich seiner bemächtigt, aus ihm -machen kann, was er will. Meine gutgemeinten Worte verschollen nur in -den Wind. Bis in die tiefe Mitternacht hinein habe ich zuweilen auf die -eindringlichste Art gesprochen, aber es war nur Schade um alle meine -Ermahnungen. Sie hatte ihn so in Stricken, daß er selbst seine -redlichsten und ältesten Freunde um ihrerwillen mißhandeln konnte. - -Indem erhob man sich von der Tafel, und während der gegenseitigen -Begrüßungen nahm Sophie die Gelegenheit wahr, indem sie dem alten Maler -die Hand reichte, der sie ihr zierlich küßte, ihm deutlich zuzuflüstern: -o Sie abscheulichster von allen abscheulichen Sündern, Sie undankbarer -Heuchler! Wie kann es Ihr verkehrtes Herz über sich gewinnen, den -öffentlich zu lästern, von dessen Wohlthaten Sie sich bereichert haben, -dessen Leichtsinn Sie benutzen, um ihn mit andern Gehülfen elend zu -machen? Bisher habe ich Sie nur für abgeschmackt, aber gutmüthig -gehalten; ich sehe aber, daß Sie nicht ohne Ursache eine wahre -Teufels-Physiognomie tragen! Ich verabscheue Sie! -- Sie stieß ihn mit -Bewegung zurück, und eilte dann aus dem Zimmer. - -Die Gesellschaft ging in den Bildersaal, wo der Kaffee herum gereicht -wurde. Was war denn meiner Tochter? fragte der Rath den Maler: sie -schien so eilig und hatte Thränen im Auge. - -Ein gutes, liebes Kind, schmunzelte Eulenböck. Sie sind recht glücklich, -Herr Geheimer Rath, bei diesem empfindsamen Herzen Ihrer Tochter. Sie -war so liebevoll um meine Gesundheit besorgt; sie findet meine Augen -entzündet, und meinte gar, ich könnte erblinden: darüber ist sie denn so -gerührt worden. - -Ein treffliches Kind! rief der Vater aus: wenn ich sie nur erst gut -versorgt sähe, daß ich in Frieden sterben könnte. Der Fremde war noch -zurück geblieben, um das neue Gemälde in Augenschein zu nehmen, welches -Erich ihm im Speisezimmer zeigte; jetzt kam er mit diesem zur -Gesellschaft und Dietrich folgte. Sie waren Alle im lebhaften Gespräch -begriffen; der Fremde tadelte den Gegenstand, welchen Dietrich -vertheidigen wollte. Wenn _Teniers_ und ähnliche Niederländer, sagte der -letztere, die Versuchung des heiligen Antonius komisch und fratzenhaft -dargestellt haben, so ist diese Laune ihrer Stimmung zu vergeben, so wie -ihrem Talent nachzusehen, da sie das Würdige nicht zu erschaffen wußten. -Der Gegenstand aber fordert eine ernste Behandlung, und dem alten -deutschen Meister dort ist sie ohne Zweifel gelungen; wenn der Beschauer -nur unpartheiisch seyn kann, so wird er sich von seinem Bilde angezogen -und befriedigt fühlen. - -Dieser Gegenstand, nahm der Fremde das Wort, ist keiner für die bildende -Kunst. Die ängstigenden Träume eines wahnsinnigen Alten, die Gespenster, -die er in seiner Einsamkeit sieht, und die ihn durch falschen Reiz oder -Entsetzen von seiner melancholischen Beschaulichkeit abziehen wollen, -können nur in das Gebiet fratzenhafter Phantome fallen, und auch nur -phantastisch dargestellt werden, wenn es überhaupt erlaubt seyn soll. -Dagegen dort die weibliche Gestalt, welche sich edel zeigen will und -zugleich reizend, eine enthüllte Schönheit in der Fülle der Jugend, und -die doch nur ein verkleidetes Gespenst ist; die wilden Gestalten umher, -die durch den grellen Contrast sie noch mehr hervorheben, das Entsetzen -des Alten, der sich im Vertrauen wieder zu finden sucht, diese -Vermischung der widersprechendsten Gefühle ist durchaus widersinnig, und -Schade um Talent und Kunst, die sich an dergleichen abarbeitend -verschwenden und vernichten. - -Ihr Zorn, sagte Dietrich, enthält das schönste Lob des Bildes. Ist denn -nicht Alles, was den Menschen versucht, nur Gespenst, in die lockende -Gestalt der Schönheit verhüllt, oder sich scheinbar mit nichtigem -Entsetzen verpanzernd? Sollte eine Darstellung, wie jene, nicht gerade -in unsern neuesten Tagen eine doppelte Bedeutung erhalten? Allen kommt -diese Versuchung, die sich noch ihres Herzens nicht ganz bewußt sind; -aber in jenem Heiligen sehen wir den festen und reinen Blick, der über -die Furcht erhaben ist, und längst die wahre unsichtbare Schönheit -kennt, um Grauen und geringe Lüsternheit von sich zu weisen. Das wahre -Schöne führt uns in keine Versuchung; das, was wir wirklich fürchten -dürfen, erscheint nicht in Larve und Unform. Das Bestreben jenes alten -Meisters läßt sich daher vor dem gebildeten Sinne rechtfertigen; nicht -so Teniers und seines Gleichen. - -Das Tolle, das Alberne und Abgeschmackte ist ein Unendliches, rief der -Unbekannte: es ist es eben dadurch, daß es sich in keine Gränze fassen -läßt, denn durch die Schranke wird alles Vernünftige: das Schöne, Edle, -Freie, Kunst und Enthusiasmus. Weil sich aber etwas Ueberirdisches, -Unaussprechliches beimischt, so meinen die Thoren, es sei das -Unbedingte, und sündigen im angemaßten Mystizismus in Natur und -Phantasie hinein. Sehn Sie diesen tollen _Höllenbreughel_ hier am -Pfeiler? Weil sein Auge gar keinen Blick mehr hatte für Wahrheit und -Sinn, weil er sich ganz von der Natur lossagte, und Aberwitz und Unsinn -ihm als Begeisterung und Verständniß galten, so ist er mir vom ganzen -Heere der Fratzenmaler geradezu der liebste, da er ohne Weiteres die -Thüre zuschlug und den Verstand draußen ließ. Sehn Sie den Riesensaal -von _Julio Romano_ in Mantua, seine wunderlichen Aufzüge mit Thieren und -Centauren und allen Wundern der Fabel, seine Bacchanalien, seine kühne -Vermischung des Menschlichen, Schönen, Thierischen und Frechen; -vertiefen Sie sich in diese Studien, dann werden Sie erst wissen, was -ein wirklicher Poet aus diesen sonderbaren und unverstandenen Stimmungen -unsers Gemüthes machen kann und darf, und wie er im Stande ist, auch in -diesem, aus Träumen geflochtenen Netz, die Schönheit zu fangen. - -Auf solchem Wege, sagte Dietrich, sind wir mit allen Dingen sehr bald -fertig, wenn wir nur eine Norm und Regel annehmen, in leidenschaftlicher -Verblendung alles Göttliche auf Einen Namen übertragen, und von dem -einseitigen Erkennen seiner dann abweisen, was er nicht geleistet hat, -oder nicht leisten konnte, der doch auch nur ein Einzelner und ein -Sterblicher war, dessen Blick nicht in alle Tiefen drang, und dem -wenigstens der Tod die Palette aus der Hand nahm, wäre er selbst fähig -gewesen, alle Erscheinungen aus seinen Fingern quellen zu lassen. -Schranke muß seyn; wer bezweifelt das? Aber so manche Altklugheit, die -sich im Halten der Regel so groß dünkt, erinnert mich immer wieder an -die sonderbare Eigenschaft des Hahns, der, wie unbändig und kriegerisch -er auch thut, wenn er auf die Seite gelegt wird, und man von seinem -Schnabel aus einen Kreidestrich auf den Boden hinzieht, unbeweglich und -andächtig liegen bleibt, weil er sich, wer weiß von welcher -Naturnothwendigkeit, philosophischer Regel oder unerlaßlichen -Kunstschranke gefesselt glaubt. - -Sie werden unbescheiden, mein junger altdeutscher Herr, sagte der Fremde -in etwas hohem Tone. Die gute Erziehung wird freilich bald zu den -verlorenen Künsten gerechnet werden müssen. - -Dafür ist aber wohl gesorgt, versetzte Dietrich, daß Uebermuth nicht -ausstirbt, und Dünkel bei frischen Kräften bleibt. Er verbeugte sich -schnell gegen den Hausherrn und verließ die Gesellschaft. - -Ich weiß nicht wie ich dazu komme, so behandelt zu werden, sagte der -Fremde. Scheint doch über diesem Saal ein Unheil zu walten, daß ich hier -immer auf Riesen treffe, die mich in den Staub legen wollen. - -Der alte Walther war sehr mißmuthig, daß in seinem Hause solche Scenen -vorfielen. So wie er den Fremden schon bei Tische hatte aufgeben müssen, -so gab er nun auch den Gedanken auf, jemals den jungen Maler zum -Schwiegersohn in Vorschlag zu bringen. Begütigend wendete er sich zu dem -Fremden, der in seinem Zorn dem Höllenbreughel eine größere -Aufmerksamkeit schenkte, als außerdem geschehen seyn würde. Nicht wahr, -fing er an, ein in seiner Art treffliches Gemälde? - -Das schönste von diesem Meister, das ich bisher gesehen, erwiederte der -verstimmte junge Mann. Er nahm sein Glas zu Hülfe, um es genauer zu -prüfen. Was ist das? rief er plötzlich: sehen Sie, wo die Beine der -beiden Teufel zusammen kommen, und der feurige Schweif des Dritten, wird -ein Gesicht, ein recht wunderlich ausdrucksvolles Profil gebildet, und, -ich irre mich nicht, es gleicht auffallend hier Ihrem ältern Freunde, -dem braven Künstler. - -Alle drängten sich hinzu, keiner hatte diesen sonderbaren Einfall noch -bemerkt. Eulenböck, der Schalk, spielte am meisten den Erstaunten. Daß -mein Andenken, sagte er, sich in diesem seltsamen Stammbuche finden -sollte, hätte ich mir nicht träumen lassen; sollte der boshafte Maler -aber mein Profil schon in der Vorzeit geahndet haben, so ist es doch zu -ruchlos, daß dieser Feuerschweif gerade meine etwas rothe Nase formiren -muß. - -Das Ding, sagte Erich, ist so sonderbar angebracht, daß man wirklich -nicht ergründen kann, ob es Vorsatz, oder bloßer Zufall ist. Walther -betrachtete das Profil im Bilde, dann musterte er die Physiognomie -seines Freundes, schüttelte den Kopf, ward nachdenkend und nahm -zerstreut Abschied, als der Fremde sich mit Eulenböck beurlaubte, der -sich dessen Begleitung erbeten hatte, um ihm seine Kunstwerke zu zeigen. - -Was ist Dir? fragte Erich, der mit dem Alten allein im Saale zurück -geblieben war. Du scheinst über den sonderbaren Scherz des Zufalls -verdrüßlich, der uns alle zum Lachen gezwungen hat; ist doch der Säufer -hinlänglich dadurch bestraft, daß diese Teufelscompagnie so artig sein -Portrait zusammen setzen muß. - -Hältst Du es denn wirklich auch für Zufall? rief Walther erzürnt aus: -siehst Du denn nicht ein, daß der alte Schelm mir dies Bild betrügerisch -aufgeheftet hat, daß es von ihm herrührt? Schau nur hieher, ich habe ihn -vor den Andern nicht beschämen wollen; aber nicht genug an dieser -Abschattung von sich selbst, hat er auch noch dem großen Teufel da oben, -der die Seelen in einer Handmühle mahlt, in seinem ungeheuren -Schnauzbart fein den Namen Eulenböck eingeschrieben. Ich entdeckte die -Kritzelei schon unlängst einmal; ich glaubte aber, da es nicht ganz -deutlich war, es habe der Maler, oder ein Anderer, Höllenbreughel -hineinschreiben wollen; so erklärte es mir der alte Schuft auch selbst, -der mir, wie ich es ihm zeigte, Ellenbröeg herauslas, und hinzufügte, -die Künstler hätten sich nie um die Orthographie viel gekümmert. Nun -geht mir erst ein Licht auf, daß der verruchte Säufer auch nur den -jungen Mann verführt hat, mir den Salvator zu verkaufen, daß Du einen -solchen von ihm ebenfalls erhalten hast; und dabei müssen wir noch -fürchten, unsre Gesichter einmal, wer weiß, unter welchen abscheulichen -Gegenständen, irgendwo unanständig auf pasquillantische Weise angebracht -zu sehen. - -Er war so zornig, daß er die Faust aufhob, um das Bild zu zerstören. -Aber Erich hielt ihn zurück und sagte: Vernichte nicht im Unmuth ein -merkwürdiges Produkt eines Virtuosen, das Dich in Zukunft wieder -ergötzen wird. Rührt es von unserm _Eulenböck_ her, wie ich jetzt selber -glauben muß, und sind gar noch die beiden _Salvators_ von ihm, so muß -ich die Geschicklichkeit des Mannes bewundern. Toll ist die Art, wie er -sich selbst gezeichnet hat; indessen kann dieser Uebermuth nur ihm -selber schädlich werden, da ich und Du uns nun wohl hüten werden, von -ihm zu kaufen, von denen er außerdem wohl noch manchen Thaler gelöst -hätte. Aber Dich wurmt noch etwas Anderes, ich sehe es Dir wohl an. Kann -ich Dir rathen? Ist es vielleicht die alte Besorgniß um Deine Tochter? - -Ja, mein Freund, sagte der Vater: und wie ist es mit Dir? Hast Du selbst -meinen Worten nachgedacht? - -Viel und oft, erwiederte Erich: aber, lieber Grillenfänger, wenn es auch -glückliche Ehen ohne Leidenschaft geben kann, so muß doch eine Art von -Neigung da seyn; die finde ich aber nicht, und ich kann es Deiner -Tochter nicht verdenken, -- wir sind uns zu ungleich. Schade wär' es -auch, wenn das liebe Wesen mit seinen lebhaften Empfindungen nicht -glücklich werden sollte. - -Durch wen? rief der Vater, es findet sich ja Niemand, den sie mag, und -der sich für sie paßt; Du trittst völlig zurück, der fremde hochmüthige -Gast hat mich heut mit seiner vornehmen Art recht empfindlich geärgert; -aus dem jungen Herrn Dietrich würde nie ein gescheidter Ehemann werden, -da er sich gar nicht in die Welt zu schicken weiß, wie ich gesehen habe, -und vom jungen Eisenschlicht darf ich ihr gar nicht einmal sprechen. -Dazu ist mir auf's Neue der Verlust der herrlichen Bilder auf das Herz -gefallen. Wo der Satan sie nur hingeführt hat! Sieh, meinem ärgsten -Feinde möchte ich sie gönnen, wenn sie nur da wären! -- Und dann -- hab' -ich nicht auch noch eine Verschuldung gegen Eduard? Du weißt, zu welchen -billigen Preisen ich nach und nach von ihm kaufte, was er noch im -Nachlasse seines Vaters fand. Er kannte, er achtete die Sachen nicht; -ich habe ihm nie abgedrungen, ich habe ihn nie angelockt, -- aber doch --- wenn der junge Mensch ordentlich werden wollte, wenn er den bessern -Weg einschlüge, -- wüßte ich nur, daß es ihn nicht wieder schlecht -machte, daß er es nicht vergeudete, ich wollte ihm noch einen -beträchtlichen Nachschuß gerne zahlen. - -Brav! rief Erich und gab ihm die Hand. Ich habe den jungen Menschen -nicht aus den Augen gelassen; er ist nicht ganz so schlimm, als die -Stadt von ihm spricht, er kann noch einmal ein rechter Mann werden. Wenn -wir Besserung sehen und Du Dich ihm gewogen fühlst, vielleicht daß Deine -Tochter einmal auch gut von ihm dächte, kann seyn, daß sie ihm gefiele; --- wie wär's alsdann, wenn Du durch Dein Vermögen Beiden ein glückliches -Schicksal bereitetest, Enkel auf Deinen Knieen schaukeltest, ihnen die -ersten Begriffe der Kunstgeschichte beibrächtest, daß sie hier in Deinem -Saale die berühmten Namen stammelten. - -Nimmermehr! rief der Alte und stampfte mit dem Fuße. Wie? einem solchen -verderbten Taugenichts mein einziges Kind? Ihm diese Sammlung hier, daß -er sie verprassen und für ein Spottgeld verkaufen könnte? Das räth mir -kein Freund. - -Doch, sagte Erich: sei nur gelassen, überdenke den Vorschlag ohne -Leidenschaft, und suche Deine Tochter zu prüfen. - -Nein, nein! wiederholte Walther laut, es kann, es darf nicht seyn! Ja, -könnte er noch ein einziges von jenen kostbaren, unvergleichlichen -Bildern aufweisen, die aber nun auf ewig verloren sind, so ließe sich -noch eher darüber sprechen. Aber so verschone mich in alle Zukunft mit -dergleichen Vorschlägen. -- Und der verdammte Breughel hier! Da -oben, hoch, wo ich ihn nie wieder sehe, will ich ihn mit der -Galgen-Physiognomie des alten Sünders und allen seinen Teufeln hinauf -hängen! - -Er sah empor, und wieder schaute aus dem offnen Fenster Sophie, -lauschend auf ihr Gespräch, herab. Sie erröthete, entfloh, ohne das -Fenster zu schließen, und der Alte rief: das fehlte noch! Nun hat die -eigensinnige Dirne Alles mit angehört, und setzt sich wohl gar -dergleichen in den kleinen trotzigen Kopf! - -Die alten Freunde trennten sich, Walther mit sich und aller Welt -unzufrieden. - - * * * * * - -Tief in der Nacht saß Eduard in seinem einsamen Zimmer, mit vielfachen -Gedanken beschäftigt. Um ihn lagen unbezahlte Rechnungen, und er häufte -die Summen daneben auf, um sie am folgenden Morgen zu tilgen. Es war ihm -gelungen, unter billigen Bedingungen ein Capital auf sein Haus -aufzunehmen, und so arm er sich erschien, so war er doch schon in dem -Gefühl zufrieden, welches ihm sein fester Vorsatz gab, künftig auf andre -Weise zu leben. Er sah sich in Gedanken schon thätig, er machte Plane, -wie er von einem kleinen Amte zu einem wichtigern emporsteigen, und sich -in diesem zu einem noch ansehnlichern vorbereiten wolle. Die Gewohnheit, -sagte er, wird ja zu unserer Natur, so im Guten, wie im Schlimmen, und -wie mir Müssiggang bisher nothwendig gewesen ist, um mich wohl zu -befinden, so wird es in Zukunft die Arbeit nicht weniger seyn. -- Aber -wann, wann wird denn dies erwünschte goldne Zeitalter meines edlern -Bewußtseins wirklich und wahrhaft in mir seyn, daß ich mit Befriedigung -und Wohlbehagen die Gegenstände vor mir und mich selbst werde betrachten -können? Jetzt sind es doch nur noch Vorsätze und liebliche Hoffnungen, -die blühen und locken; und, ach! werde ich nicht auf halbem Wege, -vielleicht schon auf dem Anfange meiner Bahn ermatten? - -Er sah die Rose zärtlich an, die im Wasserglase ihm glühend entgegen -lachte. Er nahm sie und drückte mit zarter Berührung einen leisen Kuß in -ihre Blätter, und hauchte einen Seufzer in den Kelch. Dann stellte er -sie behutsam in das nährende Element zurück. Er hatte sie neulich, schon -verwelkt, in seinem Busen wieder gefunden; seit der Stunde, daß sie im -Fluge sein Gesicht berührt hatte, war er ein andrer Mensch geworden, -ohne daß er es sich selber gestehen wollte. Man ist nie so abergläubisch -und merkt so gern auf Vorbedeutungen, als wenn das Herz recht -erschüttert ist, und aus dem Sturm der Gefühle ein neues Leben sich -erzeugen will. Eduard merkte selbst nicht, wie sehr ihm die kleine Blume -Sophien selbst gegenwärtig machte, und da er Alles und sich selbst -beinah verloren hatte, so sollte die welke Pflanze sein Orakel seyn, ob -sie sich wieder erfrische und auch ihm ein neues Glück verkündigen -wolle. Da sie aber nach einigen Stunden sich im Wasser nicht entfaltete, -so half er ihr und der weissagenden Kraft durch die gewöhnliche Kunst, -den Stengel zu beschneiden, diesen dann einige Augenblicke in die Flamme -des Lichtes zu halten und die Blume nachher in das kalte Element zurück -zu setzen. Fast sichtlich erfrischte sie sich nach dieser gewaltsamen -Nachhülfe, und blühte so schnell und mächtig auf, daß Eduard fürchten -mußte, sie würde binnen Kurzem alle ihre Blätter verstreuen. Doch war er -seitdem getröstet, und traute seinen Sternen wieder. - -Er blätterte in alten Papieren seines Vaters, schlug Briefe auseinander, -und fand so manche Erinnerungen aus seiner Kindheit, so wie aus der -Jugend des Erzeugers. Er hatte den Inhalt eines Schrankes vor sich -ausgepackt, der Rechnungen, Nachweisungen, Prozeß-Acten und Vieles -ähnlicher Art enthielt. Indem rollte sich ein Blatt auf, welches das -Verzeichniß der ehemaligen Gallerie enthielt, die Geschichte der Bilder, -ihre Preise, und was dem Besitzer bei jedem Stücke merkwürdig gewesen -war. Eduard, der von einer Reise zurück kam, als sein Vater auf dem -Sterbebette lag, hatte nach dem Begräbnisse vielfach nach jenen -verlorenen Bildern gesucht, und manche vergebliche Nachforschung -angestellt. Er konnte mit Recht erwarten, daß auch von jenen vermißten -sich hier ein Wort finden möchte, und wirklich erschien ihm in einem -andern Packet, zwischen Papieren versteckt, ein Blatt, welches genau -jene Stücke nannte, die Namen der Meister, so wie die vorigen -Eigenthümer. Die Schrift war augenscheinlich aus den letzten Tagen -seines Vaters, und unten fanden sich die Worte: diese Stücke sind jetzt --- --, weiter hatte die Hand nicht geschrieben, und selbst diese Zeile -war wieder ausgestrichen worden. - -Nun suchte Eduard noch eifriger, aber keine Spur. Das Licht war -niedergebrannt, sein Blut war erhitzt; er warf die Bogen eilig im Zimmer -umher, aber es zeigte sich nichts. Als er ein altes vergelbtes Papier -auseinander schlug, sah er zu seinem Erstaunen einen Schein, der vor -vielen Jahren ausgestellt war, in welchem sich sein Vater als den -Schuldner Walthers mit einer namhaften Summe bekannte. Er war nicht -quittirt, aber doch nicht in den Händen des Gläubigers. Wie war dieser -Umstand zu erklären? -- - -Er steckte ihn zu sich und rechnete aus, daß, wenn das Blatt gültig -wäre, er von seinem Hause kaum noch etwas übrig behalten würde. Er -betrachtete einen Beutel, den er in eine Ecke gestellt, und der dazu -bestimmt war, ein für allemal noch den Familien, die er bisher im -Stillen unterstützt hatte, eine ansehnliche Hülfe zu geben. -- Denn wie -er im Verschwenden leichtsinnig war, so war er es auch in seinen -Wohlthaten; man hätte sie auch, wenn man strenge seyn wollte, -Verschwendung nennen können. -- Wenn ich nur diese Summe nicht anrühren -darf, damit die Elenden sich noch einmal freuen, so ist es nachher auch -eben so gut, ganz von vorn anzufangen und nur meinen Kräften zu -vertrauen. Dies war vor dem Einschlafen sein letzter Gedanke. - - * * * * * - -Eduard war vom Geheimenrath Walther eingeladen worden; es war lange -nicht geschehen, und ob der Jüngling gleich nicht begriff, wie der alte -Freund zu diesem erneuten Wohlwollen komme, so ging er doch mit frischem -Muthe hin, hauptsächlich in der frohen Erwartung, mit Sophien die -ehemalige Bekanntschaft wieder anzuknüpfen. Er nahm das aufgefundene -Papier mit. - -Es war ihm sehr verdrüßlich, dort den alten und den jungen Herrn von -Eisenschlicht zu finden; indessen, da er bei Tische Sophien gegenüber -saß, so richtete er das Gespräch hauptsächlich an diese, und bestrebte -sich, heiter zu erscheinen, obgleich sein Gemüth auf vielfache Weise -gereizt war; denn es entging ihm nicht, wie der alte Walther dem jungen -Eisenschlicht mit aller Artigkeit entgegen kam, und ihn beinahe -vernachläßigte; auch war es in der Stadt bekannt, daß sich der Rath den -jungen reichen Mann zum Schwiegersohne wünsche. Dieser ließ sich die -Freundlichkeit des Wirthes gefallen mit einer Art, als wenn es nicht -anders seyn könne, und Erich, der es gut mit dem jungen Eduard meinte, -suchte nur zu verhindern, daß der gereizte Jüngling nicht in Heftigkeit -ausbräche. Sophie war die Munterkeit selbst; sie hatte sich mehr -geschmückt als gewöhnlich, und der Vater mußte sie oft prüfend -betrachten, denn ihr Anzug wich in einigen Stücken von dem -gebräuchlichen ab, und erinnerte ihn heute lebhafter als je an jenes -verlorene Bild von _Messys_, welches die beiden jungen Leute in einer -gewissen Aehnlichkeit als Schäfer darstellte. - -Man versammelte sich nach Tische im Bildersaal, und Erich mußte lächeln, -als er bemerkte, daß sein Freund wirklich den falschen Höllenbreughel -hoch in einen Winkel hinauf gehangen hatte, wo man ihn kaum noch -bemerken konnte. Der junge Eisenschlicht setzte sich neben Sophien, und -schien sehr angelegentlich mit ihr zu sprechen. Eduard ging unruhig hin -und her, und betrachtete die Bilder; Erich unterhielt sich mit dem Vater -des jungen Freiwerbers, und Walther hatte ein prüfendes Auge auf Alle -gerichtet. - -Warum aber, sagte Erich zu seinem Nachbar, ist Ihnen hier das Meiste aus -der niederländischen Schule zuwider? - -Weil sie so viel Lumpenvolk und Bettler darstellt, antwortete der reiche -Mann. Mein Widerwille trifft auch nicht diese Niederländer allein, -sondern vorzüglich ist mir deshalb der Spanier _Murillo_ verhaßt, und -auch so manche Italiener. Es ist schon traurig genug, daß man sich auf -Markt und Straße, ja in den Häusern selbst, nicht vor diesem Geschmeiße -zu retten weiß; wenn aber ein Künstler verlangt, ich soll mich gar noch -auf bunter Leinwand an dem lästigen Volke ergötzen, so heißt das, meiner -Geduld etwas zu viel anmuthen. - -Da würde Ihnen vielleicht, sagte Eduard, der _Quintin Messys_ recht -seyn, der so häufig Wechsler an ihrem Tische, mit Münzen und -Rechnungsbüchern so treu und kräftig vor uns hinstellt. - -Auch nicht, junger Herr, sagte der alte Mann: das können wir leicht und -ohne Anstrengung in der Wirklichkeit sehn. Soll ich mich einmal an -Malerei erfreuen, so verlange ich große königliche Aufzüge, viele -schwere Seidenzeuge, Kronen und Purpurmäntel, Pagen und Mohren; das, -vereinigt mit einem Anblick auf Paläste, große Plätze und in weite -gerade Straßen hinein, erhebt die Seele, das macht mich oft auf lange -munter, und ich werde nicht müde, es immer wieder von Neuem zu -beschauen. - -Gewiß, sagte Erich, hat _Paul Veronese_ und manche andere Italiener auch -darin viel Vorzügliches geleistet. - -Was sagen Sie denn zu einer Hochzeit von Cana in dieser Manier? fragte -Eduard. - -Alles Essen, erwiederte der alte Herr, wird auf Bildern langweilig, weil -es doch nie von der Stelle rückt, und die gebratenen Pfauen und hoch -aufgehobenen Pasteten, so wie die halb umgedrehten Mundschenken, sind -auf allen solchen Darstellungen lästige Creaturen. Aber ein Anderes ist -es, wenn sie den kleinen Moses aus dem Wasser ziehn, und dabei steht die -Prinzeß in ihrem reichsten Schmuck, und umher die geputzten Damen, die -auch für Fürstinnen gelten könnten, Männer mit Hellebarden und -Rüstungen, selbst Zwerge und Hunde; ich kann nicht sagen, wie es mich -erfreut, wenn ich eine solche Geschichte, die ich in meiner frühen -Jugend oft unter Beklemmungen in einer dunkeln Schulstube lesen mußte, -so herrlich ausgeschmückt wieder antreffe. Von dergleichen Sachen aber, -lieber Herr Walther, haben Sie zu wenig. Ihre meisten Bilder sind für -die Empfindung, und ich will niemals, am wenigsten von Kunstwerken, -gerührt seyn. Ich werde es auch nicht, sondern ich ärgre mich nur. - -Noch schlimmer, fing der junge Eisenschlicht an, ist es aber in unsern -Comödien. Wenn wir aus einer angenehmen Gesellschaft und von einem -glänzenden Diner in den erleuchteten Saal treten: wie kann man nur -verlangen, daß wir uns für das mannigfaltige Elend und den kümmerlichen -Mangel interessiren sollen, der uns hier aufgetischt wird? Könnte man -nicht dieselbe polizeiliche Einrichtung treffen, die schon in den -meisten Städten löblicherweise angeordnet ist, daß ich ein für allemal -für die Armuth etwas einlege, und mich dann nicht weiter von den -einzelnen Zerlumpten und Hungernden incommodiren lasse? - -Bequem wäre es ohne Zweifel, sagte Eduard: ob aber durchaus zu loben, -sei es als Polizei- oder Kunsteinrichtung, weiß ich noch nicht zu sagen. -Ich kann mich wenigstens des Mitleids gegen den Einzelnen nicht -erwehren, und mag es auch nicht, wenn man freilich oft zur Unzeit -gestört, unverschämt bedrängt, und zuweilen auch wohl arg betrogen wird. - -Ich bin Ihrer Meinung, rief Sophie aus: ich kann die stummen, blinden -Bücher nicht leiden, in die man sich einschreiben soll, um sich ruhig -auf eine unsichtbare Verwaltung verlassen zu können, die dem Elende, so -viel als möglich, abhelfen werde. In manchen Gegenden verlangt man -sogar, man soll sich verpflichten, dem Einzelnen nichts zu geben. Aber -wie kann man nur dem Jammer widerstehn? Wenn ich dem gebe, der mir seine -Noth klagt, so sehe ich doch wenigstens seine augenblickliche Freude, -und kann hoffen, ihn getröstet zu haben. - -Das ist es eben, sagte der alte Kaufmann, was in allen Ländern den -Bettelstand erhält, daß wir uns nicht von dem kleinlichen Gefühl einer -weichlichen Eitelkeit und eines süßlichen Wohlthuns frei machen können -und wollen. Dies ist es zugleich, was die besseren Maßregeln der Staaten -vereitelt und unmöglich macht. - -Sie denken anders, als jene Schweizer, sagte Eduard. Es war in einer -katholischen Gegend, wo ein alter Bettler seit lange sein Almosen an -gewissen Tagen einkassirte, und in jedem Hause fast, da die ländliche -Einsamkeit nicht viel Gewerbe und Umtrieb gestattete, mit zur Familie -gerechnet wurde. Indessen traf es sich doch, daß man ihn in einer Hütte, -als er zusprach, da man gerade mit einer Wöchnerin sehr beschäftigt war, -in der Verwirrung und Besorgniß für die Kranke abwies. Als er wirklich -nach wiederholter Forderung nichts erhielt, wandte er sich zornig und -rief im Scheiden: Nun, wahrlich, ihr sollt sehn, daß ich gar nicht -wiederkomme, und so mögt ihr dann sehen, wo ihr wieder einen Bettler -herkriegt! - -Alle lachten, nur Sophie nicht, welche diesen Ausspruch ganz vernünftig -finden wollte, und mit diesen Worten schloß: gewiß, wenn es uns -unmöglich gemacht werden könnte, Wohlthaten zu erzeigen, so möchte unser -Leben selber arm genug werden. Könnte der Trieb des Mitleids in uns -ersterben, so möchte es auch wohl um Lust und Freude traurig aussehen. -Derjenige, der glücklich genug ist, mittheilen zu können, empfängt mehr, -als der arme Nehmende. Ach! das ist ja noch das Einzige, fügte sie mit -großer Bewegung hinzu, was das starre Eigenthum, die Grausamkeit des -Besitzes etwas entschuldigen und mildern kann, daß auf die Schmachtenden -unten etwas von dem unbillig Aufgehäuften herabgeschüttet wird, damit es -nicht ganz in Vergessenheit komme, daß wir alle Brüder sind. - -Der Vater sah sie mißbilligend an, und wollte eben etwas sagen, als -Eduard heftig einfiel, indem er seine feurigen Augen auf die feuchten -des Mädchens heftete: dächte die Mehrzahl der Menschen so, so lebten wir -in einer andern und bessern Welt. Wir entsetzen uns, wenn wir von dem -Drangsal lesen, das in Wüsten und Einöden fremder Himmelsstriche dem -harmlosen Wanderer auflauert, oder von jenen Schrecknissen, die auf der -unwirthbaren See das Schiffsvolk fürchterlich verzehren, wenn im -höchsten Mangel kein Fahrzeug oder keine Küste sich auf der -unermeßlichen Fläche zeigen will; wir entsetzen uns, wenn Ungeheuer der -Tiefe den Verunglückten zerfleischen, -- und doch -- leben wir nicht in -den großen Städten, wie auf einem Vorgebirge, wo unmittelbar zu unsern -Füßen aller dieser Jammer, dasselbe gräuliche Schauspiel sich -entwickelt, nur langsamer und desto grausamer? Aber wir sehen aus unsern -Concerten und Festen, und aus dem sichern Gewahrsam des Wohlstandes -nicht in diesen Abgrund hinein, wo die Gestalten des Elends sich in -tausend fürchterlichen Gruppen, wie in Dante's Gebilden, zermartern und -verzehren, und gar nicht einmal mehr zu uns empor zu schauen wagen, weil -sie schon wissen, welchem kalten Blick sie begegnen, wenn ihr Geschrei -uns zu Zeiten aus den Betäubungen unsrer kalten Ruhe weckt. - -Diese Uebertreibungen, sagte der alte Eisenschlicht, sind jugendlich. -Ich behaupte immer noch, der wirklich gute Bürger, der echte Patriot -soll sich von augenblicklicher Rührung nicht hinreißen lassen, die -Bettelei zu unterstützen. Er theile jenen wohlthätigen Anstalten mit, so -viel er mit Bequemlichkeit entbehren kann; aber vergeude nicht seine -geringen Mittel, die auch hierin der Aufsicht des Staates zu Gute kommen -sollen. Denn was thut er im entgegengesetzten Fall? Er befördert durch -seine Weichlichkeit, ja ich möchte es fast wollüstigen Kitzel des -Herzens nennen, Betrug, Faulheit, Unverschämtheit, und entzieht das -Wenige der wahren Armuth, die er doch nicht immer antreffen oder -erkennen kann. Wenn wir aber auch jene übertriebene Schilderung des -Elendes als richtig anerkennen wollten, was kann der Einzelne auch -selbst in diesem Falle Gutes stiften? Ist er denn im Stande, die Lage -des Verzweifelnden zu verbessern? Was hilft es, doch immer nur wieder -einen Tag oder eine Stunde zu erleichtern? Der Unglückliche wird seine -Schmach nur um so tiefer empfinden, wenn er nicht seinen Zustand in -einen glücklichen verwandeln kann; er wird noch unzufriedener, noch -elender werden, und ich schade ihm, anstatt ihm zu nützen. - -O, sagen Sie das nicht, rief Eduard aus, wenn ich Sie nicht verkennen -soll; denn es erscheint mir wie Lästerung! Was der Arme in einem solchen -Augenblick des Sonnenscheins gewinnt? O mein Herr! er, der schon daran -gewöhnt ist, von der Gesellschaft der Menschen ausgestoßen zu seyn; er, -für den es kein Fest, keinen Markt, keine Gesellschaft, und kaum eine -Kirche giebt; für den Ceremonie, Höflichkeit und alle die Rücksichten -ausgestorben sind, die sonst jeder Mensch dem andern leistet; dieser -Elende, dem auf Spaziergängen und in der Frühlingsnatur nur Verachtung -grünt und blüht, er wendet oft das dürre Auge nach Himmel und Sternen -über sich, und sieht auch dort nur Leere und Zweifel; aber in solcher -Stunde, die ihm unverhofft eine reichlichere Gabe spendet, daß er mit -mehr als augenblicklichem Trost zu den verschmachteten Seinigen in die -dunkle Hütte kehren kann, geht ihm plötzlich im Herzen wieder der Glaube -an Gott, an seinen Vater auf; er wird wieder Mensch, er fühlt wieder die -Nähe eines Bruders, und darf diesen und sich wieder lieben. -- Wohl dem -Reichen, der diesen Glauben fördern, der mit der sichtbaren Gabe das -Unsichtbare schenken kann; und wehe dem Verschwender, der sich durch -frevelnden Leichtsinn dieser Mittel beraubt, ein Mensch unter den -Menschen zu seyn; denn das Gefühl wird ihn am härtesten strafen, daß er -als herzloser Barbar in Strömen das Labsal in die Wüste geschüttet hat, -wovon ein jeder Tropfen seine Brüder, unter der Last des mühseligen -Lebens erliegend, erquicken könnte. - -Er konnte das Letzte nur mit Thränen sagen, er verhüllte sein Angesicht -und bemerkte nicht, daß die Fremden, auch Erich, vom Wirthe Abschied -nahmen. Auch Sophie weinte; doch ermunterte sie sich zur Heiterkeit, als -der Vater zurück kam. - -Als sich in andern Gesprächen die Gefühle wieder beruhigt hatten, zog -Eduard das Papier aus der Tasche, und trug dem Rathe die zweifelhafte -Sache vor, und wie sehr er besorge, noch mit einer ansehnlichen Summe -sein Schuldner zu seyn, die er ihm durch ein Capital abzutragen denke, -welches er auf sein Haus zu bekommen suchen wolle. - -Der Alte sah abwechselnd ihn und das vergelbte Papier mit großen Augen -an, endlich faßte er die Hand des Jünglings und sagte mit gerührter -Stimme: mein junger Freund, Sie sind viel besser, als ich und auch die -Welt von Ihnen gedacht haben; Ihr Gefühl entzückt mich, und wenn Sie -auch mit dem Herrn von Eisenschlicht nicht so heftig hätten sprechen -sollen, so war ich doch bewegt; denn, wahrlich! ich denke wie Sie über -diesen Punkt. Was dies Papier betrifft, so kann ich Ihnen darüber -schwerlich eine entscheidende Antwort geben, ob es gültig sei oder -nicht. Es rührt aus einer frühen Zeit her, in der ich mit Ihrem wackern -Vater mancherlei, und zuweilen verwickelte Geldgeschäfte hatte; wir -halfen einander bei unsern Speculationen und Reisen aus, und der alte -Herr war dazumal in früher Jugend freilich zuweilen etwas locker und -wild. Er bekennt hier, mir eine ansehnliche Summe schuldig zu seyn; das -Blatt muß sich unter seinen Papieren verloren haben; ich weiß nichts -mehr davon, weil wir sehr viel mit einander zu berechnen hatten, und ich -war denn damals auch nicht so ordentlich, wie jetzt. Indeß -- (und mit -diesen Worten zerriß er das Blatt) sei diese anscheinende Forderung -zernichtet; denn auf keinen Fall, auch wenn die Schuld klar wäre, könnte -ich von Dir, mein Sohn, diese Summe annehmen; wenigstens sollte ich Dir -so viel nachzahlen für jene Gemälde, die Du mir viel zu wohlfeil -verkauft hast. Kann ich Dir überhaupt helfen, mein gutes Kind, so rechne -auf mich, und Alles kann vielleicht noch gut werden. - -Eduard beugte sich über seine Hand und rief: ja sei'n Sie mir Vater, -ersetzen Sie mir den, den ich zu früh verloren habe! Ich verspreche es -Ihnen, es ist mein fester Vorsatz, ich will ein andrer Mensch werden, -ich will meine versäumte Zeit wieder einbringen; ich hoffe, der -menschlichen Gesellschaft noch einmal nützlich zu werden. Aber -väterlicher Rath, wohlwollende Aufmunterung muß mich leiten, damit ich -wieder Vertrauen zu mir fasse. - -So gut, sagte der Alte, hätte es uns schon seit manchem Jahre werden -können, aber Du hast es dazumal verschmäht. Worin ich Dir nur irgend -helfen kann, darfst Du sicher auf mich rechnen. Jetzt aber will ich -doch, Neugierde halber, noch einmal meine Papiere ansehen, ob ich denn -doch von dieser Schuld gar keine Nachricht finden sollte. - -Er ließ die beiden jungen Leute allein, die sich erst eine Weile -stillschweigend ansahen, und sich dann in die Arme flogen. Sie hielten -sich lange umschlossen, dann machte sich Sophie gelinde los, entfernte -den Jüngling und sagte, indem sie ihm mit Munterkeit in's Auge sah: wie -widerfährt mir denn das? Eduard, was soll uns denn das bedeuten? - -Liebe, rief Eduard, Glück und ewige Treue! Sieh, liebstes Kind, ich -fühle mich, wie von einem schweren Traum erwacht. Das Glück, das mir so -nahe vor den Füßen lag, das mir mein redlicher Vater schon an Deiner -Wiege zugedacht hatte, stieß ich wie ein ungezogener Knabe von mir, um -mich der Welt und mir selbst verächtlich zu machen. Hast Du mir denn -vergeben, holdseliges Wesen? Kannst Du mich denn lieben? - -Ich bin Dir recht von Herzen gut, Du mein alter Spielkamerad, sagte -Sophie: aber glücklich sind wir darum noch nicht. - -Was kann uns noch im Wege seyn! rief Eduard aus. O wie tief beschämt es -mich, daß ich Deinen edeln Vater so sehr habe verkennen mögen! Wie gütig -er mir entgegen kommt! Wie herzlich er mich als Sohn an seine Brust -drückt! - -Ja, Du wunderlicher Kauz, lachte Sophie auf, das ist ja aber nicht _so_ -gemeint. Aber der bleibt zeitlebens unbesonnen, und hat gleich die -Rechnung ohne den Wirth gemacht! Davon wird der Papa, so gut er auch -seyn mag, nicht eine Sylbe hören wollen. Auch müssen wir beide uns ja -erst näher kennen lernen. Freund, das sind Sachen, die sich noch in die -Jahre hinaus verziehen können. Und während der Zeit sattelst Du auch -vielleicht wieder um, und lachst dann in Deiner lustigen Gesellschaft -über meinen Gram und meine Thränen. - -Nein! rief Eduard und warf sich vor ihr nieder: verkenne mich nicht, sei -so gut und lieb, wie Dein Auge verspricht! Und ich fühle es, Dein Vater -wird sich unsers Glückes freuen, er wird unsern Bund segnen! Er umfaßte -sie heftig, ohne zu bemerken, daß der Vater schon wieder hinter ihm -stand. Was ist das, junger Herr? rief der Alte erzürnt aus: den Bund -segnen? Nein, vertreiben, aus seinem Hause verbannen wird er den lockern -Zeisig, der so sein Vertrauen und seine Neigung zu ihm mißbrauchen will. - -Eduard war aufgestanden und sah ihm ernst in's Auge. Sie sind nicht -gesonnen, mir Ihre Tochter zur Frau zu geben? fragte er mit ruhigem -Tone. - -Was! rief der Alte mit der größten Ungeduld, seid Ihr rasend, Patron? -Einem Menschen, der den Nachlaß seines Vaters, die kostbarsten Bilder -verkauft und verschleudert hat? Und wenn Ihr ein Millionär wäret, ein so -gefühlloser Mensch erhielte sie niemals! Ei, da würde es nach meinem -Tode, vielleicht schon während meinen letzten Tagen, an ein herrliches -Ausbieten meiner Schätze gehen, da würden die Bilder in alle vier Ecken -der Welt fliegen, daß ich keine Ruhe in meinem Grabe hätte. Klug ist er -aber, der saubre Herr. Macht mich erst recht treuherzig, bringt mir mit -herrlicher Großmuth ein altes Schuldblatt seines Vaters, das er mir noch -bezahlen will, kirrt mich in die Rührung hinein, damit ich nur noch -großmüthiger, noch edler und heroischer werden, und ihm meine Tochter an -den Hals werfen soll. Nein nein, mein junger Herr, so leicht hat er das -Spiel bei mir nicht gewonnen. Die Schuld ist kassirt, ich finde keine -Spur davon in meinen Büchern, und selbst, wie ich schon sagte, wenn es -wäre. Auch will ich Ihm helfen, wie ich versprach, mit Rath und That, -mit Freundschaft und Geld, so viel Er nur billigerweise verlangen kann. -Aber mein Kind laß Er mir aus dem Spiele, und darum verbitt' ich mir in -Zukunft Seine Gegenwart in meinem Hause. Auch mag sie Ihn gar nicht, so -wie ich sie kenne. Sprich, Sophie, wärst Du wohl im Stande, Dich mit -einem solchen Thunichtgut einzulassen? - -Ich mag gar noch nicht heirathen, sagte Sophie, und diesen wohl am -wenigsten, der zu allen Dingen in der Welt besser, als zu einem Ehemann -paßt. Halb schmerzhaft und doch lächelnd warf sie dem Jüngling einen -scheidenden Blick zu und verließ den Saal. Sophie! rief Eduard aus und -wollte ihr nacheilen: wie kannst Du diese Worte sprechen? Der Alte hielt -ihn am Kleide fest und machte Miene, ihm noch eine lange Ermahnung zu -halten; doch Eduard, der nun die Geduld völlig verloren hatte, nahm -seinen Hut, stellte sich vor den Vater und sagte mit einer Stimme, die -von Zorn und Schluchzen unterdrückt war: ich gehe, alter Herr, und komme -nicht, merken Sie sich das! in Ihr Haus zurück, bis Sie mich rufen -lassen! bis Sie mich selber wieder hieher zurück rufen! Ja, bis Sie mich -inständig bitten, Ihre Wohnung nicht zu verschmähen! Es kann mir nicht -fehlen; Talente, gute Aufführung, Kenntnisse, sie bahnen mir den Weg zu -den höchsten Ehrenstellen. Dem Prinzen bin ich schon empfohlen. Das ist -aber nur die erste und kleinste Staffel meines Glücks! Ganz andre Wege -müssen sich mir eröffnen. Und wenn dann die Stadt es sich zur Ehre -rechnet, mich geboren zu haben, wenn ich diese jetzige Stunde ganz -vergessen habe, dann sende ich irgend einen Vertrauten von Ansehn zu -Ihnen, und lasse unter der Hand anfragen, wie es um Ihre Tochter steht: -dann fallen Sie aus den Wolken, daß ich noch an Sie denke, Sie falten -andächtig die Hände, daß sich Ihnen die Möglichkeit zeigt, einen solchen -Schwiegersohn zu erhalten, -- und so, gerade so wird es kommen, und auf -diese Weise werde ich Sie zwingen, mir Ihre Tochter zu geben. - -Er stürzte fort, und der Vater sah ihm mit zweifelndem Blicke nach und -murmelte: nun ist er gar verrückt geworden. - - * * * * * - -Im Freien, als dem jungen Manne ein heftiges Schneegestöber -entgegenschlug, verkühlte sich seine sonderbare Hitze; er mußte über -seine Heftigkeit und jene unsinnigen Reden erst lächeln, dann laut -lachen, und als er sich in seiner Wohnung befand, kam er beim Umkleiden -völlig zur Besinnung. Dieser Tag war für ihn von der höchsten -Wichtigkeit, denn die Stunde war jetzt da, in welcher er sich dem -Prinzen, der unterdessen, wie man ihm gesagt hatte, angelangt war, -vorstellen sollte. Die Kleider, welche er jetzt anlegte, hatte er lange -nicht getragen, mit solcher Aufmerksamkeit hatte er sich noch nie im -Spiegel betrachtet. Er musterte seine Gestalt, und konnte sich nicht -verhehlen, daß er gut gewachsen, daß sein Auge feurig, sein Gesicht -anmuthig und die Stirne edel sei. Mein erster Anblick, sagte er zu sich -selbst, wird ihm wenigstens nicht mißfallen. Alle Menschen, selbst -diejenigen, die mich nicht leiden können, loben mein gewandtes und -feines Betragen; ich habe manche Talente und Kenntnisse, und was mir -mangelt, kann ich bei meiner Jugend, bei meinem trefflichen Gedächtnisse -leicht nachholen. Er wird mich lieb gewinnen, und bald werde ich ihm -unentbehrlich seyn. Der Umgang mit der großen Welt wird nach und nach -alles das wegschleifen, was mir noch von schlechten Gesellschaften -anhängen mag. Reise ich nun auch mit ihm, und muß mich etwa ein Jahr, -oder selbst noch länger, von hiesiger Gegend entfernen, so dient dies -auch in fremden Ländern nur um so mehr dazu, mich in seiner Gunst recht -fest zu setzen. Wir kommen dann zurück; meiner Bildung, meinen -Ansprüchen kommen durch seine Protection die ansehnlichsten Stellen -hier, oder auch im Auslande entgegen, und ich werde gewiß alsdann nicht -vergessen haben, daß es doch Sophie eigentlich war, die mein besseres -Selbst zuerst aus seinem Schlaf erweckte. - -Er war nun angekleidet und so trunken von seinen Hoffnungen, daß er es -nicht merkte, wie er wieder die nämlichen Worte vor sich selber -aussprach, über welche er sich vorhin verlacht hatte. Er nahm die ganz -erblühte Monatsrose aus dem Glase, und drückte sie, um sich zu seinem -Gange zu stärken, an den Mund, aber zugleich fielen ihm alle ihre -Blätter vor die Füße. Eine üble Vorbedeutung! seufzte er und ging aus -dem Hause, um in den Wagen zu steigen. - -Als er im Palast angelangt war, gab er dem Bedienten den Brief, welcher -ihn dem Prinzen empfehlen sollte. Indem er den Spiegelwänden vorüber -spazierte, kam zu seiner Verwunderung der junge Dietrich aus einem -Seitenzimmer in verstörter Eile, und bemerkte anfangs seinen -Befreundeten nicht. Wie kommen Sie hieher? fragte Eduard hastig. Kennen -Sie den Prinzen? -- Ja, -- nein, -- stotterte Dietrich, -- es ist eine -sonderbare Sache, die wohl, -- ich will es Ihnen erzählen, aber freilich -wird hier keine Zeit dazu seyn. - -Dies war in der That der Fall, denn eine geschmückte, in Juwelen -prangende Dame schritt mit vornehmem Anstande herein, und vertrieb den -jungen Maler, der sich mit ungeschickten Verbeugungen entfernte. Eduard -stand still, als die glänzende Erscheinung ihm näher kam; er wollte sich -verneigen, aber sein Erstaunen lähmte seine Bewegung, als er in ihr jene -Schöne plötzlich erkannte, die zum Nachtheil seines Rufes so lange in -seinem Hause gewohnt, und mehr als alle seine Verirrungen sein Vermögen -verringert hatte. Wie! rief er aus, -- Du selbst -- Sie, hier in diesen -Zimmern? - -Und warum nicht? sagte sie lachend. Es wohnt sich gut hier. Du merkst -doch wohl, mein Freund, daß ich, wie einst Deine Freundin, so jetzt die -Freundin des Fürsten bin, und wenn Du etwas bei ihm suchst, so kann ich -Dir Ungetreuem vielleicht beförderlich seyn, denn er hat mehr Gemüth, -als Du, und auf seine fortdauernde Gunst kann ich sicherer zählen, als -es mir mit Deinem Flattersinn gelingen wollte. - -Eduard mochte die freundliche Schöne in dieser Stunde nicht daran -erinnern, daß sie sich zuerst von ihm entfernt hatte, als sie gesehen, -daß sein Vermögen verschwendet war; er entdeckte ihr seine Lage und -seine Hoffnungen, und sie versprach, sich mit dem besten Eifer für ihn -zu verwenden. Sei nur ruhig, mein Freund, so beschloß sie ihre -Versicherungen, es kann und soll Dir nicht fehlen, und dann wird es sich -ja zeigen, ob Du noch ein Fünkchen Liebe in Deinem kalten Herzen für -mich aufbewahrt hast. Nur mußt Du vorsichtig seyn und in seiner -Gegenwart fremd gegen mich thun, damit er nie erfährt oder merkt, daß -wir uns schon sonst gekannt haben. - -Mit einem flüchtigen Kuß, wobei die geschminkte Wange ihm einen -lebhaften Widerwillen erregte, verließ sie ihn, und Eduard ging mit dem -größten Mißbehagen im Saale auf und ab, da sich Alles so ganz anders -gestaltete, als er es sich vorgebildet hatte. Dieses Wesen, welches er -hassen mußte, in seiner neuen Umgebung zu finden, schlug alle seine -Hoffnungen nieder, und er nahm sich fest vor, ihren Netzen und Lockungen -zu entgehen, und wenn diese seine Tugend ihm auch die größten Nachtheile -bringen sollte. - -Indem öffnete sich die Thüre, und jener ihm so widerwärtige Unbekannte -trat mit seinem hoffärtigen Gange und stolzer Geberde herein. - -Eduard ging ihm entgegen und sagte: vielleicht gehören Sie zum Gefolge -Seiner Durchlaucht, und können mir melden, ob ich jetzt die Ehre haben -kann, ihm meine Aufwartung zu machen. - -Der Fremde stand still, sah ihn an, und nach einer Pause antwortete er -in kaltem Tone: das kann ich Ihnen freilich sagen; keiner besser als -ich. -- Eduard erschrack, da er den Empfehlungsbrief in seinen Händen -bemerkte. Will mich der Prinz nicht sprechen? fragte er bestürzt. Er -spricht mit Ihnen, antwortete jener, und mit so höhnendem und -wegwerfendem Tone, daß der junge Mann alle Fassung verlor. Ich halte -mich schon seit einiger Zeit in dieser Stadt auf, fuhr der vornehme -Fremde fort, und habe Gelegenheit gefunden, Menschen und Verhältnisse -durch mein Incognito kennen zu lernen. Wir sind uns auf eine etwas -sonderbare Art nahe gekommen, und wenn ich auch jenen Schritt, von dem -Sie wohl selbst wissen, daß er kein ganz unschuldiger war, entschuldigen -könnte, so hat er mir doch ein gerechtes Mißtrauen gegen Ihren Charakter -eingeflößt, so daß ich unmöglich Ihnen eine Stelle einräumen kann, die -uns in eine vertrauliche Nähe rücken würde. Ich gebe Ihnen also diesen -Brief zurück, den ich, trotz seiner warmen Empfehlung, und obwohl er aus -höchst achtungswürdigen Händen kommt, nicht berücksichtigen kann. -Insofern Sie mich persönlich beleidigt haben, ist Ihnen, da Sie mich -nicht kannten, völlig vergeben, und Ihre jetzige Beschämung und -Verwirrung ist mehr als hinlängliche Strafe. Ein junger Mann verließ -mich eben, von dem ich ein ziemlich wohlgerathenes Bild gekauft habe, -und welchem ich auch einige Warnungen und gute Lehren für seine Zukunft -mitgegeben habe. -- Ich sehe, daß unser Zusammentreffen Sie etwas zu -sehr erschüttert, und da Sie vielleicht auf jene Stelle schon mit zu -großer Sicherheit gerechnet hatten, und wohl in augenblicklicher -dringender Verlegenheit sind, so empfangen Sie diesen Ring zu meinem -Andenken und zum Zeichen, daß ich ohne allen Groll von Ihnen scheide. - -Eduard, welcher indeß Zeit gehabt hatte, sich wieder zu sammeln, trat -mit Bescheidenheit einen Schritt zurück, indem er sagte: rechnen Sie es -mir, Durchlauchtiger Prinz, nicht als Stolz und Uebermuth an, wenn ich -dieses Geschenk, welches mir unter andern Umständen höchst ehrenvoll -seyn würde, in dieser Stunde ausschlage. Ich kann Ihre Art nicht -mißbilligen, und Sie erlauben mir gewiß, ebenfalls meinem Gefühle zu -folgen. - -Junger Mann, sagte der Prinz, ich will Sie nicht verletzen, und da Sie -mir Achtung abzwingen, so muß ich Ihnen auch noch sagen, daß wir uns, -ungeachtet der sonderbaren Art, unsre Bekanntschaft zu machen, vereinigt -hätten, wenn nicht eine Person, die ich achten und der ich glauben muß, -und welche Sie vorhin in diesem Saale traf, mir so viel Nachtheiliges -von Ihnen gesagt, und mich dringend ersucht hätte, auf den Brief keine -Rücksicht zu nehmen. - -Ich werde, sagte Eduard wieder ganz heiter, dem Beispiele dieser Dame -nicht folgen, und sie wieder anklagen, noch mich über sie beklagen, da -sie gewiß nur ihrer Ueberzeugung gemäß gesprochen hat. Wenn mir aber -Ihre Durchlaucht die Gnade erzeigen wollen, das Bild des jungen -Dietrich, so wie einige Ihrer andern Gemälde zu zeigen, so werde ich mit -der größten Dankbarkeit von Ihnen scheiden. - -Es freut mich, antwortete der Prinz, wenn Sie Interesse an der Kunst -nehmen; ich habe zwar nur Weniges hier, aber ein Bild, das ich vor -einigen Tagen so glücklich war, zu dem meinigen zu machen, wiegt allein -eine gewöhnliche Sammlung auf. - -Sie traten in ein reich verziertes Kabinet, wo an den Wänden und auf -einigen Staffeleien ältere und neuere Bilder sich zeigten. Hier ist der -Versuch des jungen Mannes, sagte der Prinz, welcher allerdings etwas -verspricht, und ob ich gleich dem Gegenstande keinen Geschmack -abgewinnen kann, so ist doch die Behandlung desselben zu loben. Die -Färbung ist gut, wenn auch etwas grell, die Zeichnung ist sicher und der -Ausdruck rührend. Nur sollte man die Marien mit dem Kinde endlich zu -malen aufhören. - -Der Prinz zog einen Vorhang auf, stellte Eduard in das rechte Licht und -rief: sehn Sie aber hier dies gelungene, herrliche Werk meines -Lieblings, des _Julio Romano_, und erstaunen Sie, und entzücken Sie -sich! - -Mit einem lauten Ausrufe, und mit einem höchst freudigen, ja lachenden -Gesicht mußte Eduard in der That dieß große Bild begrüßen; denn es war -das wohlbekannte Machwerk seines alten Freundes, an welchem dieser schon -seit einem Jahre gearbeitet hatte. Es war Psyche und der schlafende -Amor. Der Prinz stellte sich zu ihm und rief: daß ich diesen Fund gethan -habe, bezahlt mir allein schon die Reise hieher! Und bei jenem alten, -unscheinbaren Manne habe ich dieses Kleinod angetroffen! Ein Mann, -welcher selbst als Künstler keine unbedeutende Rolle spielt, aber doch -bei weitem nicht so erkannt wird, wie er sollte. Er besaß das Gemälde -schon lange und wußte, daß es vom _Julio_ sei; indessen da er nicht -Alles gesehen hat, so waren ihm immer noch einige Zweifel geblieben, und -er war erfreut, von mir so viele nähere Umstände von diesem Meister und -seinen Werken zu erfahren. Denn freilich hat er Sinn, der Alte, und weiß -wohl ein solches Juwel zu würdigen; aber er ist nicht in alle -Trefflichkeiten des Malers eingedrungen. Ich würde mich geschämt haben, -seine Unkenntniß zu benutzen, denn er foderte für diese herrliche -Arbeit, zu der er auf sonderbare Weise gekommen ist, einen zu mäßigen -Preis; ich habe diesen erhöht, um die Zierde meiner Gallerie auch auf -eine würdige Art bezahlt zu haben. - -Er ist glücklich, sagte Eduard, der verkannte alte Mann, einen solchen -Kenner und edlen Beschützer zum Freunde gewonnen zu haben; vielleicht -ist er im Stande, die Gallerie Eurer Durchlaucht noch mit einigen -Seltenheiten zu vermehren, denn er besitzt in seiner dunkeln Wohnung -Manches, was er selbst nicht kennt oder würdigt, und ist eigensinnig -genug, seine eignen Arbeiten oft allen ältern vorzuziehn. - -Eduard empfahl sich, ging aber nicht sogleich nach Hause, sondern eilte, -so leicht bekleidet er auch war, nach dem Park, rannte lustig durch die -abgelegenen, mit Schnee bedeckten Gänge, lachte laut und rief: o Welt! -Welt! Lauter Fratzen und Albernheiten! O Thorheit, du buntes, -wunderliches Kind, wie führst du deine Lieblinge so zierlich an deinem -glänzenden Gängelbande! Lange lebe der große Eulenböck, er, der -trefflicher, als Julio Romano oder Rafael ist! Habe ich doch nun auch -einmal einen Kenner kennen gelernt. - - * * * * * - -Eduard hatte nun Anstalten zu dem lustigen Abend gemacht, welchen er mit -Eulenböck verabredet hatte. Vor Kurzem war ihm dieser Tag als ein -lästiger erschienen, den er nur bald hinter sich zu haben wünschte; -jetzt aber war seine Stimmung so, daß er sich auf diese Stunden der -Betäubung freute, weil er meinte, daß sie für lange Zeit seine letzten -vergnügten seyn würden. Gegen Abend erschien der Alte, und schleppte mit -einem Diener zwei Körbe mit Wein herbei. Was soll das? fragte Eduard: -ist es denn nicht ausgemacht, daß ich Euch bewirthen soll? Das sollst Du -auch, sagte der Alte, nur bringe ich einigen Vorrath zum Succurs, weil -Du die Sache doch eigentlich nicht verstehst, und weil ich auch an -diesem Abend recht ausgelassen seyn will. - -Ein trauriger Vorsatz, erwiederte Eduard, lustig seyn zu wollen, und -dennoch habe ich ihn auch gefaßt, mir und meinem Schicksal zum Trotz. - -Sieh da, sagte Eulenböck lachend, hast Du auch ein Schicksal? Das hab' -ich gar nicht einmal gewußt, junger Bursche; mir schien das Wesen sich -immer höchstens zum Verhängniß hin zu neigen. Aber vornehmer ist das -andere ohne Zweifel, und vielleicht wird es noch zum Geschick, wenn Du -erst etwas klüger geworden bist. Ja, ja, Freund, Geschick, das ist es, -was den meisten Menschen fehlt, Verstand, Umstände zu nutzen, oder sie -hervor zu bringen, und darüber gerathen sie in's Schicksal, oder gar in -das noch fatalere Verhängniß, wo sich dann nicht immer eine christliche -Hand findet, sie wieder los zu schneiden. - -Du bist unverschämt, rief Eduard aus, und glaubst witzig zu seyn; oder -Du hast Dir gar schon einen Rausch getrunken. - -Kann seyn, mein Kind, schmunzelte jener, und wir wollen bald die -Anstalten treffen, mich wieder nüchtern zu machen. Unser gutes Prinzchen -hat mich in eine Art von Wohlstand versetzt, der, wenn ich Vernunft -habe, ein dauernder seyn kann; denn er protegirt mich trefflich, wird -mir noch mehr abkaufen, und auch Sachen von meinem eignen Pinsel malen -lassen. Er meint, ich wäre hier in dieser Stadt nicht an meiner Stelle, -man erkenne mich nicht genug an, und es mangle mir an Aufmunterung. -Vielleicht nimmt er mich mit, und bildet mich noch zum ächten Künstler -aus, denn er hat den besten Willen dazu, und ich gerade Sinn und Talent -genug, um ihn zu verstehn und mir von ihm rathen zu lassen. - -Schelm der Du bist! sagte sein junger Freund: ich habe lachen müssen, -daß Du Deinen Julio Romano so vortheilhaft verkauft hast; aber ich -möchte denn doch nicht an Deiner Stelle seyn. - -Der Alte ging auf ihn zu, sah ihn starr an und sagte: Und warum nicht, -Kleiner? Wenn Du nur die Gabe dazu hättest! Jeder Mensch malt und -pinselt an sich herum, um sich für besser auszugeben, als er in der That -ist, und für ein wunderbares köstliches Original zu gelten, da die -meisten doch nur geschmierte Copieen von Copieen sind. Hättest Du meinen -Gönner das Bild nur analysiren hören, da hättest Du etwas lernen können! -Nun verstehe ich erst alle die Kunst-Absichten des Julio Romano; Du -glaubst nicht, wie viel Treffliches ich an dem Bilde übersehen hatte, -wie viele Stellen seines markigen Pinsels. Ja, es ist eine Freude, einen -solchen Künstler so recht zu durchdringen, und wenn man ihn ganz und in -allen seinen Theilen zugleich faßt, so überschleicht uns im -vollständigen Gefühl seines hohen Werthes eine wohlthätige Empfindung, -als hätten wir auch an seiner Herrlichkeit einigen Antheil; denn ein -Kunstwerk ganz verstehen, heißt, es gewissermaßen erschaffen. Wie großen -Dank bin ich meinem erlauchten Gönner und Kenner schuldig, daß er mir -auch außer dem Gelde noch eine solche Fülle von Künstlerweihe zufließen -läßt. - -Wenn ich ihn nicht an der Tafel hätte malen sehen, rief Eduard lächelnd -aus, so könnte er mich glauben machen, das Bild sei ein ächtes! - -Was hast Du gesehen? antwortete im Eifer der Alte: was verstehst Du von -der Magie der Kunst und jenen unsichtbaren Geistern, die sich durch die -Farbe und Zeichnung herbei ziehn und verkörpern lassen? Das sind eben -Geheimnisse für den Laien. Glaubst Du denn, man malt nur, um zu malen, -und daß es mit Pallette, Pinsel und dem guten Vorsatze genug sei? O -theurer Gelbschnabel, da müssen noch gar wunderbare Conjuncturen, -astralische Einflüsse und Wohlwollen mannigfaltiger Geister zusammen -treffen, um etwas Rechtschaffenes zu Stande zu bringen! Hast Du es noch -niemals erlebt, daß ein feinsinniger, tiefdenkender Künstler sein Tuch -und Netz ausspannt, und seine Pinsel in die besten Farben taucht, um das -schönste Ideal in sein Netz zu locken und hinein zu kitzeln? Er hat sich -redlich vorgenommen, einen Apollo zu malen, er streicht und tuscht, und -wischt und bürstet, und lächelt verliebt und mit süßester Freundlichkeit -die Creatur an, die aus dem Nichts und Nebel hervor gehen soll; und wenn -es nun fertig ist, siehe da, so hat sich in alle die künstlichen Netze -ein wahrer Lümmel eingefangen, der aus der arkadischen Landschaft uns -zähnefletschend entgegen grinzt! Nun kommen die Unverständigen und -schreien und toben: der Malerkerl hat kein Talent, er hat die Antike -nicht gehörig verstanden, er hat statt eines Ideals ein Schmierial -hervorgebracht! und was dergleichen unverdaute Urtheile mehr ausgestoßen -werden. So wird alsdann das gerührte Herz des Künstlers verkannt, dem -sich ein wahrer Teufel, eine Höllenbrut statt eines Himmelsengels in -seiner künstlichen Krebsreuse gefangen hat. Denn auch diese Geister -streifen herum, und lauern nur darauf, wo sie sich verkörpern können. -Bildwerke, die etwa untergehn, treiben sich oft lange geängstigt im -leeren Raume um, bis ein freundlicher und der Sache gewachsener Mann -ihnen wieder Gelegenheit verschafft, sichtlich herab zu steigen. Es hat -mich Mühe genug gekostet, dieses Gedichts des trefflichen römischen -Malers wieder habhaft zu werden; es erfodert mehr Studium, als Du daran -wandtest, wenn Du in der Jugend dem Nachbar seine Tauben wegfingst. Wenn -Du der Meinung bist, daß der Mensch, um eine heilige Geschichte zu -malen, nicht seine ganze Andacht dem Gegenstande entgegen bringen muß, -so bist Du sehr im Irrthum, aus dem Dich unser junger Freund, der -talentvolle Dietrich, am ersten reißen könnte. - -Dietrich, welcher eingetreten war und nur die letzte Aeußerung gehört -hatte, nahm sogleich Gelegenheit, diesen letzten Satz weitläufiger -auszuführen. Indessen ließ Eulenböck decken, und stellte die Weine in -die Ordnung, nach welcher sie genossen werden sollten; nachher wandte er -sich mit der Frage an Eduard: und was denkst Du nun in Zukunft -anzufangen? - -Für's Erste nicht viel, antwortete dieser: indessen will ich meine -vernachlässigten Studien wieder anknüpfen und fortsetzen, und mich -vorzüglich mit Geschichte und den neuern Sprachen beschäftigen. Ich -schränke mich ein, vermiethe die übrigen Theile meines Hauses, welches -mir doch ohne Nutzen leer steht, und behalte nur diesen kleinen Saal und -die angränzenden Zimmer. So hoffe ich, ohne Sorgen, bei einer -vernünftigen Lebensart, über die ersten Jahre hinüber zu kommen, und -mich indeß zu irgend einem Amte tauglich gemacht zu haben. - -Hier also wird Dein Museum seyn? sagte Eulenböck, indem er mit dem Kopfe -schüttelte. Diese Einrichtung will mir gar nicht gefallen, denn ich -glaube nicht, daß diese Wände dazu geeignet sind, um hier gehörig -studiren zu lassen, denn sie haben nicht die gehörige Resonnanz, das -Zimmer selbst hat nicht die wahre Quadratur, die Gedanken schlagen zu -heftig zurück und verschwirren, und wenn Du einmal eine rechte Fuge -denken willst, so klappert gewiß Alles durch einander. Dein seliger Papa -war auch darin wunderlich, noch in seinen letzten Jahren diesen schönen -Saal durch seinen Eigensinn so zu verderben. Sonst sah man die Straße -auf der einen Seite, und hier auf der andern über den Garten und den -Park hinweg in die Hügel und fernen Berge hinein. Diese schöne Aussicht -hat er nicht nur zumauern lassen, sondern auch noch die Fensteröffnungen -mit Bohlen und Täfelung weit herein verbaut, und so das Ebenmaaß des -Zimmers gestört. An Deiner Stelle riss' ich das Wesen, Tapeten und -Vertäfelung wieder auf, und ließe, wenn doch einmal Fenster fehlen -sollen, jene nach der Straße vermauern. - -Es war kein Eigensinn, sagte Eduard, es geschah, da er hier am liebsten -wohnte, seiner Gesundheit wegen; der Morgenwind von hier schadete ihm, -und erregte ihm Gichtschmerzen. Konnte er doch in den andern Zimmern die -grüne Aussicht genießen. - -Wäre nur der alte Walther kein Narr, fuhr Eulenböck fort, so wäre Dir -leicht geholfen. Er könnte Dir das Mädchen geben, die ja doch versorgt -werden muß, und Alles wäre wieder in Ordnung! - -Schweig! rief Eduard mit der größten Heftigkeit aus: nur heute laß mich -vergessen, was ich hoffte und träumte. Ich mag nicht mehr an sie denken, -seit ich zu meinem Entsetzen fühlte, daß ich sie liebe. Ich will es mir -nicht wiederholen, wie albern und thöricht ich mich gegen den Vater -betrug; nichts soll mir heut einfallen, auch ihre unbegreifliche -Aufführung nicht. Nein, es gab ein herrliches Glück für mich, ich habe -es zu spät erkannt; das ist die Strafe meines Leichtsinns, daß ich auf -ewig darauf verzichten muß! Wie ich aber ohne sie leben soll, muß ich -erst von der Zukunft lernen. - -Indem trat der junge Mensch herein, der bis jetzt Eduards Bibliothekar -vorgestellt hatte. Hier ist der Catalog, welchen Sie befohlen hatten, -sagte er, indem er dem beschämten Jünglinge einige Blätter überreichte. -Wie? rief dieser aus, nicht mehr als nur etwa sechshundert Bände sind -noch von der schönen Sammlung übrig? Und unter diesen nur die -gewöhnlichsten Werke? Der Bibliothekar zuckte mit den Achseln. Da Sie -mir gleich vom Anbeginn, erwiederte er, meinen Gehalt in Büchern -ausgezahlt haben, so mußte ich diejenigen nehmen, die am ersten Käufer -fanden; auch bin ich nicht genug Kenner von Seltenheiten, und habe diese -wohl nicht genug gewürdiget; außerdem haben Bücher, vorzüglich -Raritäten, zu verschiedenen Zeiten einen ungleichen Werth, und ist der -Verkäufer gedrängt, um eine Summe zu erhalten, so muß er fast nehmen, -was ihm geboten wird. - -So hätt' ich also, sagte Eduard halb in Wehmuth, halb mit Lachen, gewiß -besser gethan, gar keinen Bibliothekar anzunehmen, oder die Sammlung -gleich anfangs zu verkaufen, dann hätte ich Geld dafür gehabt, oder die -Bücher behalten. Und welche Sammlung! Mit welcher Liebe hat sie mein -Vater gehegt! Welche Freude war es ihm, als er den seltnen Petrark, die -erste Ausgabe des Dante und Boccaz erhielt! Wie konnt' ich es vergessen, -daß sich in den meisten Büchern Nachweisungen von seiner Hand finden! -Wie wollt' ich diese Werke ehren, wenn ich sie noch besäße! Uebrigens, -da ich keine Bibliothek mehr habe, werden Sie ermessen, wie ich Ihnen -auch schon neulich meldete, daß ich keines Bibliothekars mehr bedarf. -Indessen wollen wir heut noch mit einander fröhlich seyn. - -Jetzt trat auch der Mann herein, der oft an den wilden Gelagen Theil -genommen hatte, und den sie wegen seiner Gesinnungen immer nur den -Pietisten nannten. Sie hatten ihm diesen Namen beigelegt, weil er nie in -die heitern Scherze oder ausgelassene Fröhlichkeit der Andern stimmte, -sondern unter Murren und moralischen Betrachtungen seinen Antheil am -Mahle verzehrte. Nun fehlt nur noch das Krokodill, rief Eulenböck aus, -so sind wir beisammen. Dies war ein kleiner hypochondrischer Buchhalter, -blaß und eingeschrumpft, aber einer der größten Trinker. Den sonderbaren -Namen hatten sie ihm beigelegt, weil er alsbald, so wie ihn der kleinste -Rausch anwandelte, in Thränen ausbrach, und diese um so reichlicher -vergoß, je länger das Gelag dauerte, und je ausgelassener die Uebrigen -waren. Die Thüre öffnete sich, und die Jammergestalt machte den -wunderlichen Kreis der Gäste vollständig. - -Die Tafel war mit Trüffelpasteten, Austern und andern Leckerbissen -bedeckt; man setzte sich, und Eulenböck, dessen purpurrothes Gesicht -zwischen den Kerzen einen ehrwürdigen Schein von sich gab, begann auf -feierliche Weise also: Meine versammelten Freunde! Ein Unwissender, der -plötzlich in diesen Saal träte, könnte von diesen Anstalten, die den -Schein eines Festes haben, verleitet werden, im Fall er die Mitglieder -dieser Gesellschaft nicht näher kennen sollte, die Meinung zu fassen, es -sei hier auf Schwelgerei, Trinken, Tumult und ausgelassene Lustigkeit, -die nur der rohen Menge ziemt, angelegt worden. Selbst ein junger -Künstler, Dietrich mit Namen, der zum ersten Mal unter uns an diesem -Tische sitzt, läßt verwundernde Blicke auf die Menge dieser Flaschen und -Gerichte, auf diese Gansleberpastete, auf diese Austern und Muscheln, -und auf den ganzen Apparat einer Feierlichkeit schießen, der ihm hier -einen übertriebenen sinnlichen Genuß zu versprechen scheint, und auch er -wird sich wundern, wenn er erfährt, wie alles dies so ganz anders und im -entgegengesetzten Sinne gemeint sei. Meine Herren, ich bitte, Acht zu -geben, und meine Worte nicht zu leicht in das Ohr fallen zu lassen. Wenn -Länder die Geburt eines Prinzen feierlich begehn, wenn in Arabien ein -ganzer Stamm sich festlich freut, indem sich ein Dichter in ihm gezeigt -und hervor gethan hat, wenn die Installation des Lord-Mayor mit einem -Schmause verherrlicht wird, ja wenn man die Geburtsstunde der Pferde von -echter Race nicht unbillig auf nachdenkliche Weise auszeichnet: so liegt -es uns ja wohl noch näher (um nicht mit einem Antiklimax zu schließen) -aufzuschauen, gerührt zu seyn und etwa mit Gläsern anzustoßen, wenn das -Unsterbliche sich uns zeigt, wenn die Tugend uns würdigt, körperlich vor -uns zu erscheinen. Ja, meine Freunde, gerührten Herzens spreche ich es -aus, ein junger angehender Tugendhafter ist unter uns, der noch heut -Abend sich als eingepuppter Schmetterling durchbeißen, und seine -Schwingen im neuen Leben entfalten wird. Es ist Niemand anders, als -unser edler Wirth, der uns so manchen Schmaus gegönnt, so manches Glas -eingeschenkt hat. Aber ein feuriger Vorsatz, abgerechnet, daß er selbst -auf dem Trocknen sitzt, jener Impetus der Begeisterung, von dem schon -die Alten sangen, reißt ihn nun von uns in lichte Höhen hinauf, und wir, -von diesem Tisch und Flaschen und Schüsseln, seiner irdischen -Grabesstätte, schauen ihm schwindelnd nach, staunend, welchen fremden -Regionen er nun zusteuern wird. Ich sage Euch, Theuerste, er wälzt -unendlich viele und treffliche Entschlüsse in seinem Busen: und was kann -der Mensch, selbst der schwächste und unansehnlichste, nicht -entschließen! Habt Ihr es wohl je schon erwogen (aber in Euerm -Leichtsinn denkt Ihr nicht an dergleichen), daß in einer unscheinbaren -Mappe, wenn sie nur etwa hundert gezeichnete Landschaften enthält, sich -eine Strecke von tausend Meilen verbergen kann, und daß sie selbst doch -nicht mehr Raum einnimmt, als ein mäßiger Foliant? Denn Perspektive -liegt dort neben Perspektive, und Berg und Thal und Fluß und weite, -unendliche Aussichten. So mit den Vorsätzen! so schwächlich unser -Pietist, oder Herr Dietrich aussieht, so können sie doch gewiß an guten -Entschlüssen mehr als zehn Elephanten, oder zwanzig Kameele tragen. Wie -schwach ich selbst in dieser Tugend bin, weiß ich am besten, und daher -meine Verehrung vor denen, an welchen ich diese Kräfte wahrnehme. - -Da wir nun nicht alle der Begeisterung fähig sind, so sitzen wir hier an -diesem Tische, wie an einem Kreuzwege, an welchem sich viele Straßen in -mannigfaltigen und entgegengesetzten Richtungen scheiden. Auf -dergleichen Hauptstationen pflegen auf pyramidalischer Säule die -Entfernungen der Städte nach allen vier Weltgegenden verzeichnet zu -stehn. So mag es auch hier, in einem nicht unerfreulichen Bilde, gelten. -Diese Austern führen, übermäßig genossen, zur Krankheit, dieser -Burgunder nach einigen Stationen zu rothen Nasen, diese Trüffeln und was -ihnen anhängt, zu Wassersucht, Magenkrampf und ähnlichen Uebeln. Unser -Eduard aber, alles dies verschmähend, wandelt zur Tugend. So fahre denn -wohl auf Deinem einsamen Pfade, und wir, die wir entzündete Gesichter, -dicke Bäuche und kurzen Athem nicht so sehr scheuen, gehn unsre Straße -fort. Aber auch ich werde Euch bald verlassen, Theuerste; ein edler -Unbekannter, den ich Euch noch nicht nennen darf, wird mein Kunstgenie -zu den höchsten Leistungen begeistern, er wird mich in fernen Regionen -einer idealischen Weihe empfänglich machen, und so zu sagen, -vergeistigen. Unser frommer, gemüthlicher Dietrich, den wir kaum kennen -lernten, wandelt den Kunstdom entlang, und schmückt die vaterländischen -Altäre. Was soll ich von Dir sagen, Bibliothekar, der Du vor den leeren -Bücherschränken stehst, und die Werke nicht blos gelesen, sondern -buchstäblich verschlungen hast? O Du verlesener Mensch, Du von der Secte -des muselmännischen Omar, Kienraupe der Bibliotheken, Verwüster der -Schriften, der Du eine neue alexandrinische Sammlung blos durch die -treffliche neue Erfindung, Dein Salar nicht geistig, sondern wirklich -aus den Schriften zu ziehn, vernichten könntest. Alle Buchhändler des -römischen Reiches sollten Dich umher senden, um mit Deiner zerstörenden -Kraft die Sammlungen zu zerstieben und neue Werke nothwendig zu machen. -Du, mehr als Recensent und schlimmer als Saturnus, der doch nur -verzehrte, was er selbst erzeugt: Wo sind sie, Deine Untergebenen, Deine -Mündel, die mit goldnem Rücken und Schnitt Dich so freundlich anlachten? -Versilbert hast Du sie alle, und schon nach wenigen Jahren Deine -silberne Hochzeit mit ihnen gefeiert. Lebe denn wohl, auch Du, Pietist, -redlichster unter den Sterblichen, Du Hasser aller Poesie und Lüge! -Reich mir die Hand zum Abschied, armes Krokodill, das schon in Thränen -schwimmt; im Sumpf einer Taverne mußt Du künftig heulen. In einem -bessern Leben sehn wir uns alle wieder. - -Da Eduard nachdenkend war, und Dietrich in der Gesellschaft noch fremd, -der Bibliothekar und Pietist keine Miene verzogen, so herrschte während -und nach der Rede ein tiefes Stillschweigen, welches dadurch noch -feierlicher wurde, daß der Buchhalter, der schon manches Glas geleert -hatte, schluchzte und jammerte. - -Heut ist der Abend der heiligen Drei-Könige, sagte Eduard, und wie es -noch in manchen Gegenden Sitte ist, sich an diesem Tage zu beschenken, -so wünsche ich, daß meine bisherigen Genossen und Freunde auch diese -Nacht in froher Geselligkeit mit mir verbringen. - -An diesem Abend, fuhr Eulenböck fort, ist es nicht unschicklich, einmal -anders, als gewöhnlich zu leben; daher waren sonst Glücksspiele -gebräuchlich, wenn sie auch übrigens verboten waren. Und wie gut wäre es -für Dich, Freund Eduard, wenn heute auch Dein Glücksstern von Neuem -erwachte, daß dem verarmten Verschwender ein neues Vermögen bescheert -würde. Man hat wunderliche Erzählungen, wie verzweifelte Jünglinge sich -in der Armuth haben in ihrem väterlichen Hause erhängen wollen, und -siehe da, der Nagel fällt mit dem Balken der Decke herab, und mit beidem -zugleich viele tausend Goldstücke, die der vorsorgende Vater dorthin -versteckt hatte. Beim Lichte besehen, eine dumme Geschichte. Konnte der -Vater denn wissen, daß der Sohn für das Hängen eine besondere Vorliebe -haben würde? Konnte er wohl berechnen, daß der Körper des Desperaten -noch schwer genug bleibe, den verborgenen Schatz durch sein Gewicht -aufzudecken und herab zu ziehn? Konnte der verlorene Sohn nicht schon -früher einen Kronenleuchter dort anbringen wollen, und das Geld finden? -Kurz, tausend gegründete Einwürfe kann die vernünftige Kritik diesem -schlecht erfundenen Mährchen machen. - -Ohne daß Du immer wieder auf diesen Vorwurf zurück kommst, sagte Eduard -empfindlich, schilt mein eignes Gewissen, meinen Leichtsinn und -thörichte Verschwendung. Wären die Leidenschaften nicht unbändig, die -ihren Stolz darein setzen, die Vernunft zu verhöhnen, so hätten die -Moralprediger nur leichte Arbeit. Es ist ganz begreiflich, wenn die -armen Menschen glauben, von bösen Geistern besessen zu seyn. Denn wie -soll man es erklären, daß man dem Schlimmen folgt, indem man das Bessere -einsieht, ja daß wir oft zum Letztern selbst in unsern wildesten Stunden -mehr Trieb, als zum Unrecht empfinden, und dennoch, uns selbst zum -Trotz, jeder Einsicht den Rücken kehren, und schon vor der begangenen -That von unserm Gewissen gequält werden? Es muß eine tiefgewurzelte -Verderbniß in der menschlichen Natur seyn, die sich auch nie ganz zum -Edeln erziehn, oder durch Pfropfreiser der Tugend umwandeln läßt. - -So ist es, sagte der Pietist: der Mensch an sich taugt nichts, er ist -gleich in der Schöpfung mißrathen. Er kann nur geflickt werden, und die -Lappen bleiben immer auf dem alten schäbigen Tuche sichtbar. - -Ja wohl, seufzte das Krokodill, es ist zu bejammern, und immer wieder zu -bejammern. Die Thränen flossen ihm dicht aus den weinglühenden Augen. - -Als Du mich zum ersten Mal in jene Weinschenke führtest, fuhr Eduard zum -alten Maler gewendet fort, machte es mir denn Freude, mich in dem Kreise -dieser rohen und langweiligen Menschen zu sehn? Ich war beschämt, als -der Herr der Schenke mir mit einer Ehrfurcht entgegen kam, als sei ich -einer der Götter, vom Olymp herabgestiegen. Dergleichen Ehre war seinem -Hause noch niemals widerfahren. Bald gewöhnte man sich an die Gegenwart -meiner Herrlichkeit, und immer zog es mich wider meinen Willen in den -Weinduft des Zimmers, in das schreiende Gespräch und an meine Wand hin, -wie ein Zauber, der auch nicht riß, als die Gesichter des Wirthes und -seiner Leute kälter, ja verdrossen wurden, als man mein Wort nicht mehr -beachtete, und geringere Gäste anständiger behandelte; denn durch meine -Nachlässigkeit war ich schon in eine bedeutende Schuld gerathen, um -welche man mich mit grober Zudringlichkeit mahnte. Noch schlimmer ging -es einem armen Lumpen, einem täglichen Gast, auf den man fast nie hörte, -der oft verdorbenen Essig erhielt, und sich doch nicht beschweren -durfte; er war die Zielscheibe des witzigen Gesindes, der Gegenstand des -Hohns und Mitleids der übrigen Fremden, so wie seiner eignen furchtsamen -Verachtung. Und so schlecht man ihn behandelte, mußte er doch theurer -als Alle bezahlen, und ward betrogen, ohne klagen zu dürfen, indeß sein -Gewerbe versäumt ward, und Frau und Kinder zu Hause schmachteten. In -diesem Spiegel sah ich nun mein eignes Elend, und als einmal ein -redlicher Handwerker von unbescholtenem Wandel dort zufällig einkehrte, -und von Allen als eine seltene Erscheinung mit Hochachtung begrüßt -wurde, erwachte ich endlich aus dem Schlummer meiner Ohnmacht, bezahlte, -was nur meine Trägheit versäumt hatte, und suchte auch jenen Elenden zu -retten, daß er nicht ganz versank. Aber so ist es, daß selbst -diejenigen, die sich vom Leichtsinnigen und Taugenichts bereichern, -diesen verachten, und dem Würdigen, der ihnen aus dem Wege geht, ihre -Ehrfurcht nicht versagen können. So habe ich meine Zeit und mein -Vermögen unwürdig verschleudert, um Verachtung einzukaufen. - -Sei still, Sohn, rief Eulenböck, Du hast auch mancher armen Familie -Gutes gethan. - -Laß uns davon schweigen, antwortete Eduard in Unmuth: auch das geschah -ohne Sinn, so wie ich ohne Sinn Aufwand machte, ohne Sinn reisete, -spielte und Wein trank, und weder mir noch Andern eine gute Stunde -zuzubereiten verstand. - -Das ist freilich schlimm, sagte der Alte, und was den lieblichen Wein -betrifft, eine Sünde. Aber seid munter und trinkt, ihr wackern Gehülfen, -damit auch der Wirth in die Stimmung komme, die ihm geziemt. - -Es bedurfte aber dieser Aufmunterung nicht, denn die Tischgesellschaft -war unermüdet. Selbst der junge Dietrich trank fleißig, und Eulenböck -ordnete an, wie die Weine auf einander folgen sollten. Heute gilt es! -rief er aus, die Schlacht muß gewonnen werden, und der Sieger erzeigt -den Besiegten keine Gnade. Seht in mein kriegerisches Antlitz, Ihr -jüngern Helden, hier hab' ich die rothe Blutfahne dräuend ausgehängt, -zum Zeichen, daß kein Erbarmen statt finden soll! Nichts in der Welt -wird so mißverstanden, Freunde, als der scheinbar einfache Actus, den -die Menschen so obenhin trinken nennen, und keine Gabe wird so verkannt, -so wenig gewürdiget, als der Wein. Könnt' ich wünschen, der Welt einmal -nützlich zu werden, so möcht' ich eine aufgeklärte Regierung dahin -bewegen, einen eignen Lehrstuhl zu errichten, von wo herab ich die -unwissende Menschheit über die trefflichen Eigenschaften des Weines -unterrichtete. Wer trinkt nicht gern? Es giebt nur wenige Unglückselige, -die das mit Wahrheit von sich versichern können. Aber es ist ein -Erbarmen, anzusehn, wie sie trinken, ohne alle Application, ohne Styl, -Schatten und Licht, so daß sich kaum die Spur einer Schule findet; -höchstens Colorit, was die Uebermüthigen dann auch gleich sich und der -Welt auf die Nase binden und zur Schau aushängen. - -Und wie muß man es eigentlich anfangen? fragte Dietrich. - -Anfangs, erwiederte der Alte, muß man durch stille Demuth und einfachen -Glauben, wie in allen Künsten, den Grund legen. Nur ja keine vorzeitige -Kritik, kein spürendes, naseweises Schnüffeln, sondern ein edles, -vertrauenvolles Dahingeben. Kommt der Schüler weiter, nun so mag er auch -unterscheiden; und trifft der Wein nur Lehrbegier und Sitteneinfalt, so -unterrichtet auch sein Geist von innen heraus, und weckt mit dem -Enthusiasmus zugleich das Verständniß. Nur nicht die Uebung, als das -Hauptsächlichste, hintangesetzt, keine leere Schwärmerei; denn nur die -That macht den Meister. - -O wie wahr! seufzte der Buchhalter, indem er seinen Thränen keinen -Einhalt that. Worte, sagte der Pietist, die der gemeine Haufe goldne -nennen würde. - -Wäre das Trinken, fuhr Eulenböck fort, keine Kunst und Wissenschaft, so -dürfte es auch nur einerlei Getränk auf Erden geben, so wie das -unschuldige Wasser schon diese Rolle spielt. Aber der Geist der Natur -versenkt sich auf lieblich anmuthige Weise wechselnd und spielend hier -und dort in die Rebe, und läßt sich im wundersamen Ringen keltern und -verklären, um über den magischen Weg der Zunge in unser Inneres zu -steigen, und dort aus altem Chaos alle glänzende Kräfte aus Betäubung -und Schlummer aufzuwecken. Seht, da geht der Säufer! O meine Freunde, so -schalten und spotteten auch diejenigen, die die Eleusinische Weihe nicht -empfangen hatten. Mit dieser goldnen und purpurnen Fluth ergießt sich -und breitet sich in uns ein Meer von Wohllaut aus, und dem aufgehenden -Morgenroth erklingt das alte Memnons-Bild, das bis dahin stumm in -dunkler Nacht gestanden hatte. Durch Blut und Gehirn rinnt und eilt -frohlockend der holde Ruf: der Frühling ist da! Da fühlen alle die -Geisterchen die süßen Wogen, und kriechen mit lachenden Augen aus ihren -finstern Winkeln hervor; sie dehnen die feinen kristallnen Gliederchen, -und stürzen sich zum Bade in die Weinfluth, und plätschern und ringen, -und steigen schwebend wieder heraus, und schütteln die bunten -Geisterschwingen, daß mit Gesäusel die klaren Tropfen von den Federchen -fallen. Sie rennen umher und begegnen einander, und küssen frohes Leben -einer von des andern Lippe. Immer dichter, immer leuchtender wird die -Schaar, immer wohllautender ihr Gestammel: da führen sie gekränzt und -hoch triumphirend den Genius herbei, der kaum mit den dunkeln Augen aus -vollen Blumengewinden hervor schauen kann. Nun fühlt der Mensch die -Unendlichkeit, die Unsterblichkeit; er sieht und fühlt die Millionen von -Geistern in sich, und ergötzt sich an ihren Spielen. Was soll man dann -von den gemeinen Seelen sagen, die einem nachrufen: seht! der Kerl ist -besoffen. Was meinst Du, redliches Krokodill? - -Der blasse Weinende reichte ihm die Hand und sagte: ach! Lieber, die -Leute haben Recht, und Ihr habt Recht, und die ganze Welt hat Recht. Was -Ihr so prophetisch daher gekugelt habt, geht über mein Verständniß, aber -ich bin selig in meiner tiefen Rührung. Wenn Leute in die Komödie gehn, -um für ihr Geld zu weinen, so kommt mir das ganz abgeschmackt vor; mag -es Andern vergönnt seyn, sich an hohen Gesinnungen und Thaten zu erheben -und darüber Thränen zu vergießen, aber ich verstehe es nicht; doch, wenn -solch guter Wein in mich hinein geht, so wirkt er wundersam, daß mir -dann Alles, Alles, mag man sprechen was man will, mag man schweigen oder -lachen, in der schönsten Rührung aufgeht. Seht, mein Herz möchte vor -Wonne brechen, ich könnte Alles, und wär' es Euer lahmer Pudel, in die -Arme schließen. Aber meine Augen leiden darunter, und der Doctor hat mir -deshalb das Trinken ganz verbieten wollen. Aber dieser Gedanke ist mir -eben die rührendste von allen Vorstellungen, darüber könnte ich Tage -lang weinen, und deshalb hat er auch diese Verordnung wieder zurück -nehmen müssen. - -Je mehr ich trinke, sagte der Pietist, je mehr hasse ich das, was Ihr, -Eulenböck, da schwadronirt habt, je unvernünftiger kommt es mir vor. Lug -und Trug! Es ist beinah eben so dumm, als beim Trinken die Lieder zu -singen, die dazu gemacht sind. Jedes Wort darin ist gelogen. Wenn der -Mensch nur einen Gegenstand mit dem andern vergleicht, so lügt er schon. -»Das Morgenroth streut Rosen.« Giebt es etwas Dümmeres? »Die Sonne -taucht sich in das Meer.« Fratzen! »Der Wein glüht purpurn.« -Narrenspossen! »Der Morgen erwacht.« Es giebt keinen Morgen; wie kann er -schlafen? Es ist ja nichts, als die Stunde, wenn die Sonne aufgeht. -Verflucht! Die Sonne geht ja nicht auf; auch das ist ja schon Unsinn und -Poesie. O dürft' ich nur einmal über die Sprache her, und sie so recht -säubern und ausfegen! O verdammt! Ausfegen! Man kann in dieser lügenden -Welt es nicht lassen, Unsinn zu sprechen! - -Laßt's Euch nicht irren, ehrlicher Mann, sagte Eulenböck, Eure Tugend -meint es gut, und wenn Ihr die Sache anders anseht, als ich, so trinkt -Ihr wenigstens denselben Wein, und fast eben so viel, als ich selber. -Die That vereinigt uns, wenn uns das System aus einander führt. Wer -versteht sich heut zu Tage? Davon ist auch gar nicht die Rede mehr. Ich -wollte nur noch bemerken, wenn es auch mit dem Vorigen gar nicht -zusammen hängt, daß mir die Art, wie Menschen und Aerzte den -Nahrungsprozeß und die sogenannte Assimilation ansehen, höchst einfältig -vorkommt. Der Eichenbaum wird aus seinem Saamenkorne eine Eiche, und die -Feige bringt den Feigenbaum hervor, und wenn sie auch Luft, Wasser und -Erde bedürfen, so sind es doch diese Elemente nicht eigentlich, aus -denen sie erwachsen. So erweckt die Nahrung in uns nur die Kräfte und -den Wachsthum, bringt sie aber nicht hervor; sie giebt die Möglichkeit, -aber nicht die Sache, und aus sich selbst quillt der Mensch wie eine -Pflanze hervor. Es ist eine platte Ansicht, zu glauben, daß der Wein -unmittelbar, an sich selbst, alle die Wirkungen hervor bringt, die wir -ihm zuschreiben; nein, wie ich sagte, sein Duft und Hauch _erweckt_ nur -die Qualitäten, die in uns ruhn. Nun stürzen sich die Kräfte, Gefühle -und Entzückungen hervor, wenn sie von diesen Wellen getränkt werden. -Meint man denn, daß es in aller Kunst und Wissenschaft anders sei? Ich -brauche doch wohl die alte Platonische Idee nicht von Neuem vorzutragen. -Rafael und Correggio und Titian regen nur mein eignes Selbst an, das in -Vergessenheit schlummert, und das größte Genie, der tiefste Kunstsinn -können sich die Gebilde mit aller Imagination nicht erfinden, die ihnen -von den großen Meistern vorgehalten werden; und doch wecken diese Werke -selbst nur die alten Erinnerungen auf. Daher auch die Sucht nach neuen -geistigen Genüssen, die sonst nicht löblich seyn würden; daher der -Wunsch, Unbekanntes aufzufinden, Originelles hervor zu bringen, der -außerdem nur Unsinn wäre. Denn wir ahnen die Unendlichkeit der -Erkenntniß in uns, diesen weissagenden Spiegel der Ewigkeit, und was -diese uns werden kann, ein unaufhörlich neues Erkennen, das sich im -Mittelpunkt einer himmlischen Ruhe sammelt, und von hier aus weiter nach -neuen Regionen ausbreitet. Und darum eben, meine lieben Saufbrüder, muß -es auch viele und mancherlei Weine geben. - -Und welchen ziehen Sie vor? fragte Dietrich. Giebt es hier nicht auch -das Classische und Vollendete, das Moderne und Triviale, das Manierirte -und Gesuchte, das Lieblich-Alte und Fromm-Schlichte, das Gemüthliche und -leer Renommirende? - -Jüngling, sagte der Alte, diese Frage ist zu verwickelt, setzt -unendliche Erfahrung, historischen Ueberblick, abgelegtes Vorurtheil, -und einen nach allen Richtungen ausgebildeten Geschmack voraus, den nur -viele Jahre, fortgesetzte Arbeit und unermüdliches Studium, so wie die -Mittel dazu, die nicht in Jedermanns Händen sind, fassen und lösen -können. Einiges Encyklopädische wird Dir hinreichen. Fast jeder Wein hat -sein Gutes, fast alle verdienen gekannt zu werden. Ist in unserm -Vaterlande der Neckar fast nur, den Durst zu löschen, da, so erhebt sich -der Würzburger schon zum Edeln, und die vielfachen hohen Sorten des -Rheinweins lassen sich nicht in der Eile charakterisiren. Ihr habt sie -hier vor Euch stehn gehabt und genossen. Diese trefflichen Wogen, vom -leichten Laubenheimer bis zum starken Nierensteiner, gewaltigen -Rüdesheimer und tiefsinnigen Hochheimer, mit allen ihren verwandten -Fluthen gehörig zu preisen, dazu gehört mehr als die Zunge eines Redi, -der in seinem toskanischen Dithyrambus doch nur mittelmäßig gefaselt -hat. Diese Geister gehn rein und klar, kühlend und den Sinn erläuternd -den Gaumen hinunter. Soll ich es vergleichen, so ist es die ruhige -Gediegenheit trefflicher Schriftsteller, Gemüth und Fülle ohne -Phantasterei oder schwärmerische Allegorie. Was ist nun der heißere -Burgunder demjenigen, der ihn vertragen kann! Wie die unmittelbare -Begeisterung fällt er in uns hinab, schwer, blutig, heftig erweckt er -unsre Geister. Die Rebe von Bourdeaux dagegen ist heiter, geschwätzig, -ermuntert, aber begeistert nicht. Doch schon voller und wunderlicher -dichtet die Provence und das poetische Languedoc. Dann das heiße Spanien -im Xerez und ächten Malaga, und den glühenden Weinen von Valencia. Hier -verwandelt sich der Weinstrom, indem wir ihn genießen, schon an unserm -Gaumen in Kugelgestalt, die sich weit und weiter ausbreitet, und uns im -Tokayer und St. Georgen-Ausbruch noch weit inniger und sinniger so -erscheint. Wie erfüllt Mund und Gaumen und den ganzen Sinn des Gefälls -nur ein Tropfen des edelsten Cap-Weins. Diese Weine muß der Kenner -nippen und züngeln, und nicht mehr trinken wie unsern braven Rhein. Was -sag' ich von euch, ihr lieblichsten Gewächse Italiens, und namentlich -Toskana's, du geistreichster Monte-Fiascone, du wahrhaft rührender -Monte-Pulciano? Nun so kostet denn, Freunde, und versteht mich! Aber -nicht konnt' ich dich aufsetzen, dich König aller Weine, dich -rosenröthlicher Aleatico, Blume und Ausbund alles Weingeistes, Milch und -Wein, Blume und Süße, Feuer und Milde zugleich! Diesen Wundergesellen -trinkt, kostet, nippt und züngelt man nicht; sondern dem Beseligten -erschließt sich ein neues Organ, das sich dem Unkundigen und Nüchternen -nicht beschreiben läßt. -- Hier brach er gerührt ab, und trocknete die -Augen. - -So hatte meine Ahnung ja doch Recht, rief Dietrich begeistert aus: -dieser ist denn im Weinreich, was der alte Eyck oder Hemling, vielleicht -auch der Bruder Johann von Fiesole unter den Malern sind. So schmeckt ja -auch diese lieblich rührende und tiefe Farbe, die ohne Schatten doch so -wahr, ohne Weiße so blendend und überzeugend ist. So sättigt und -berauscht der Purpur des Gewandes, und so mildert und sänftigt das Feuer -das milde Blau, das schwärmende Violett. Alles ist Eins, und klingt in -unserm Geiste zusammen! - -Ausgenommen Eulenböcks Nase, rief der ganz trunkene Bibliothekar aus: -die hat keinen Scharlach mehr, keine Uebergänge in den Tönen, um sie mit -dem Gesicht in Verbindung zu setzen, sondern jenes violette Dunkelroth -bratet in ihrer Zauberküche, wie unterirdisch in den Reichen der -feuchten Nacht die rothe Rübe gerinnt, aller Sonne abgewandt. Soll dies -Gewächs wohl dem Leben angehören? Soll der Weingott es so aufgefüttert -haben? Nimmermehr! Es ist ein ungeschlachtes Gehäuse, ein widerwärtiges -Etui für Bosheit und Lüge. - -Leerer Schwulst, rief der Buchhalter, morscher Glanz, hinfällige -Sterblichkeit! Und krumm, baufällig steht sie auch noch in dem -unterminirten Gesicht, so daß sie mit ihrer Wucht bald den ganzen Mann -in Trümmer drücken kann. Kerl! wo hast Du die unverschämt schiefe Nase -her? - -Ruhig, Krokodill! schrie Eulenböck, indem er heftig auf den Tisch -schlug: will das Geziefer die Welt reformiren? Jede Nase hat ihre -Geschichte, ihr Naseweise. Meint das dumme Volk denn, daß nicht auch das -Kleinste sich als Ring an die Nothwendigkeit ewiger Gesetze fügt? Meine -Nase, wie sie da ist, habe ich meinem Barbier zu verdanken. - -Erzähle, Alter! riefen die jungen Leute. - -Geduld! sprach der Maler. Die Physiognomik wird immer eine trügliche -Wissenschaft bleiben, eben weil sie auf Barbiere, Weinschenken und -sonstige historische Umstände zu wenig Rücksicht nimmt. Freilich ist das -Gesicht der Ausdruck des Geistes; aber es leidet unter der Art, wie man -damit handthiert, auffallend. Die Stirn hat es ihrer Festigkeit nach am -besten, wenn sich der Mensch nicht gewöhnt, alle kleine Leidenschaften, -Verdruß und Mißbehagen durch Faltenziehen darauf zu malen. Seht, wie -edel ist die unsers Eduard, und wie viel schöner würde sie noch seyn, -wenn der junge Bursche mehr gedacht und sich beschäftigt hätte! Die -Augen, ihrer Beweglichkeit nach, hin und her rennend, conserviren sich -in ihrem Spiel auch noch leidlich, man müßte sie denn ausweinen, wie -unser krokodilischer Freund dort. Schlimmer ist es schon mit dem Munde; -der schleift sich bald durch Schwatzen und fades Lächeln ab, wie bei -unserm werthen Bibliothekar; wischt Einer nun gar nach Essen und Trinken -übermäßig daran, so wird er bald unkenntlich, besonders, wenn man aus -falscher Schaam etwa die Lippen immer nach innen kneipt, wie unser -trefflicher Pietist, der die Röthe derselben wohl für Lüge und unnützen -Schwulst, erklärt. Aber die Nase, die arme, die von allen Theilen am -meisten sich hervor arbeitet, uns Unglückliche von allen Thieren -unterscheidet, bei denen Maul und Schnauze so freundlich eins werden, -und die beim Menschen als Höcker und Blocksberg der Tummelplatz aller -Hexen und bösen Geister wird: wird sie nicht schon der kalten Luft und -des Schnupfens wegen bei den meisten Menschen zum Sausewind und zur -klingenden Trompete und Schlachtposaune ausgereckt, gezogen, gedehnt und -gehudelt? Wird ihre Nachgiebigkeit, ihre Entwickelungs-Fähigkeit nicht -gemißbraucht, um fast Elephantenrüssel und Truthahnsschnäbel heraus zu -arbeiten? Frommere Seelen drücken sie wieder nieder und plätschen den -Hochmuth in jammervolle Unformen zusammen. Alles dieses sah ich früh, -schonte meine Nase, und konnte meinem Schicksal doch nicht entgehn. Ich -bin mit meinem Barbier, einem meiner innigsten Freunde, aufgewachsen und -alt geworden. Dieser Künstler, indem er sich von einer Seite meines -Antlitzes zur andern wandte, pflegte bei diesem Wechsel, um einen -Stützpunkt zu haben, mir die Schneide des Messers unten an die Kehle zu -setzen, und darauf drückend und sich lehnend schnell die andre Seite zu -gewinnen. Dies schien mir bedenklich. Er durfte ausgleiten, sich stoßen, -so schnitt er höchst wahrscheinlich mit dem Gestützten in das Stützende, -und mein Angesicht lag unrasirt zu seinen Füßen. Dem mußte abgeholfen -werden. Er dachte nach, und als wahres Genie war es ihm nicht so gar -schwer, sein System und seine Manier zu ändern. Er packte nämlich mit -seinen Fingern meine Nase, was ihm den Vortheil gewährte, sich stützen -und viel länger auf sie lehnen zu können, und zog sie gewaltsam in die -Höhe, vorzüglich, indem er die Oberlippe barbirte, und so beschauten wir -uns Auge in Auge, ein Herz dem andern nahe, und das Scheermesser -arbeitete in besonnener und sicherer Thätigkeit. Es traf sich aber, daß -mein Freund von je her eins der auffallendsten Gesichter an sich trug, -die der gemeine Haufe abscheulich, verzerrt und garstig zu nennen -pflegt; dabei hatte er die Gewohnheit, zu grimmassiren, und liebäugelte -mir so herzlich entgegen, daß ich es in jeder Sitzung ihm erwiedern, und -in dieser Nähe auch seine übrigen Fratzen unwillkührlich nachahmen -mußte. Riß er die Nase unbillig hinauf, so zerrte er dafür, um mit -seiner Kunst in die Mundwinkel zu gelangen, die Lippen und den Mund zu -gewaltsam in die Breite. Hatte er auf diese mechanische Weise in meinem -Antlitz ein scheinbares Lächeln erzwungen, so kam mir sein Lachen so -liebreich, freundlich, herzinnig und rührend entgegen, daß mir oft aus -schmerzlicher Theilnahme, und um nur ein boshaftes Lachen zu verbeißen, -die Thränen in die Augen traten. Mensch! barbirender Freund! rief ich -aus: stelle Dein menschenfreundliches Anlachen ein, ich lächle ja gar -nicht, Du ziehst mir ja nur die Mundwinkel wie einen Schwamm aus -einander. Thut nichts, antwortete die redliche Seele, Dein Liebreiz in -diesem Lächeln zwingt mich zur Erwiederung. Seht, so grinsten wir uns -denn wie die Affen minutenlang an. Ich bemerkte nach zwölf Wochen etwa -eine auffallende Veränderung in meiner Physiognomie. Die Nase stieg und -bäumte sich so auffallend nach oben, als wenn sie den Augen und der -Stirn den Krieg ankündigen wollte, die wirklich häßlichen Verzerrungen -der Wangen und Lippen ungerechnet, die ich aber schon nicht mehr lassen -konnte, weil ich sie wie ein Andenken von meinem Freunde empfangen -hatte. Ich drückte die aufstrebende Nase wieder nieder und trug dem -Edeln meine Wünsche noch einmal vor. Nun schien aber guter Rath theuer, -und eine Auskunft kaum möglich. Doch entschloß er sich, ein zweiter -Rafael, eine dritte, untadelige Manier anzunehmen, und nach einigen -Kämpfen gelang es ihm, indem er vorher bedächtig auskundschaftete, nach -welcher Seite es am vortheilhaftesten sei, mir die Nase beim Auflehnen -hin zu drehen: und dabei sind wir denn auch stehen geblieben, und diese -Nothwendigkeit hat sie mir gebogen; das wahre Gesicht, nach dem ich mich -instinktartig bilden mußte, hat mir diese Falten eingegraben, und tiefes -Forschen und Denken, flammende Begeisterung und glühende Liebe zum Guten -und Besten haben endlich diesen rothen Teppich über das Ganze gewoben. - -Lautes Lachen hatte diese Erzählung begleitet; jetzt forderte der -Bibliothekar ungestüm Champagner, und der Buchhalter schrie nach Punsch. -Eulenböck aber rief: o ihr gemeinen Seelen! Nach dieser Himmelsleiter, -die ich Euch habe hinauf klettern lassen, um in das Paradies zu schauen, -kann auch ein so unedler, manierirter, moderner und witzloser Geist, wie -dieser sogenannte Punsch, auch nur in den fernsten Winkel Eures -Gedächtnisses kommen? Dies elende Gebräu aus heißem Wasser, schlechtem -Branntwein und Zitronensäure? Und was soll dieses diplomatische, -nüchterne Getränk, der Champagner, in unserm Kreise? Der nicht Herz und -Geist aufschließt, und nach dem halben Rausche höchstens dazu dienen -kann, wieder nüchtern zu machen? O Ihr Profanen! - -Er schlug auf den Tisch; aber die Uebrigen, Eduard ausgenommen, -erwiederten diese Geberde so heftig, daß von der Erschütterung die -Flaschen tanzten, und mehrere Gläser zerschmetternd auf den Boden -stürzten. Hierüber ward Gelächter und Tumult noch lauter, man sprang -auf, andere Gläser zu holen, und Dietrich rief: es ist so kalt, eiskalt -hier geworden, und dagegen würde der Punsch helfen. - -Es war tief in der Nacht, die Diener hatten sich entfernt, man wußte -nicht, wie man den Ofen wieder heizen sollte; auch gestand Eduard, daß -sein Holzvorrath völlig zu Ende sei, und er morgen mit der Frühe erst -neuen wieder herbei fahren lasse. Was meint Ihr? rief der ganz -berauschte Dietrich, unser Wirth hat doch beschlossen, dies Zimmer auf -neue Art einzurichten: wenn wir diese unnütze Vertäfelung, diese -Bretter, welche die Fenster bedecken, heraus brächen, und in dem großen -altfränkischen Camin hier ein herrliches deutsches Feuer anzündeten? -Dieser tolle Vorschlag fand bei den verwilderten Gästen sogleich Gehör -und lauten Beifall, und Eduard, der den ganzen Abend in einer Art von -Betäubung gewesen war, widersetzte sich nicht. Man hob den Schirm vom -Camin hinweg, und lief dann mit Kerzen nach der Küche, um Beile, Stangen -und andere Instrumente herbei zu holen. Im Vorsaal fand Eulenböck ein -altes verdorbenes Waldhorn, und darauf blasend, marschirten sie wie -Soldaten unter Schreien und abscheulicher Musik in den Saal zurück. Der -Tisch, welcher im Wege stand, ward umgeworfen, und sogleich begann ein -Hauen, Brechen und Hämmern gegen die hohle Wand. Jeder suchte den Andern -in Aemsigkeit zu übertreffen; um die Arbeitenden zu ermuntern, stimmte -der Maler den Schlachtruf auf dem Horne wieder an, und beim Gepolter -riefen Alle wie besessen: Holz! Holz! Feuer! Feuer! so daß dies -Geschrei, die Musik, das Schlagen der Aexte, das Krachen der brechenden -und ausspringenden Bretter den Wirth des Hauses in eine so dumpfe -Betäubung warf, daß er sich stumm in eine Ecke des Zimmers zurück zog. - -Plötzlich wurde die Gesellschaft noch auf eine eben so unerwartete als -unangenehme Art vermehrt. Die Nachbarschaft war unruhig geworden, und -die Wache, welche ebenfalls das ungeheure Getümmel vernommen hatte, trat -jetzt, einen Offizier an ihrer Spitze, herein, da sie das Haus -unverschlossen gefunden hatten. Sie forschten nach der Ursache des -Getöses, und weshalb man Feuer geschrieen habe. Eduard, der ziemlich -nüchtern geblieben war, suchte ihnen Alles zu erklären, um seine Freunde -zu entschuldigen. Diese aber, aufgeregt und keines vernünftigen -Gedankens mehr fähig, behandelten diesen Besuch als einen gewaltsamen -Einbruch in ihre unveräußerlichsten Rechte; jeder schrie auf den -Offizier ein, Eulenböck drohte, der Buchhalter fluchte und weinte, der -Bibliothekar holte mit der Brechstange aus, und Dietrich, welcher am -meisten begeistert war, wollte sich mit dem Beile über den Lieutenant -hermachen. Dieser, ebenfalls ein junger hitziger Mann, nahm es von der -ernsthaften Seite und fand seine Ehre verletzt, und so war das Ende der -Scene, daß Jene unter Geschrei und Lärmen, Drohungen und -Freiheits-Declamationen nach der Hauptwache abgeführt wurden. So endigte -das Fest, und Eduard, der allein im Saal zurück geblieben war, ging -völlig verstimmt auf und nieder, und betrachtete die Verwüstung, welche -seine begeisterten Freunde angerichtet hatten. Unter dem umgeworfenen -Tische lagen zertrümmerte Flaschen, Gläser, Teller und Schüsseln, nebst -Allem, was von den Leckerbissen übrig geblieben war; der kostbarste Wein -floß über den Boden; die Leuchter waren zerschlagen; von denen, welche -stehen geblieben waren, waren alle Lichter, bis auf eine Wachskerze, -nieder gebrannt und ausgelöscht. Er nahm das Licht und betrachtete die -Wand, von der die Tapete abgerissen, und einige starke Bretter heraus -gebrochen waren; ein Balken stand davor, der den Zutritt in die Nische -hemmte. Ein sonderbares Gelüst befiel den Jüngling, noch in der Nacht -das angefangene Werk seiner wilden Gesellen fortzusetzen; um aber kein -übermäßiges Geräusch zu erregen, und doch noch vielleicht ihr Schicksal -zu theilen, nahm er eine feine Säge, und durchschnitt oben vorsichtig -den Balken; er wiederholte dies unten, und nahm dann den Kloben heraus. -Hierauf war es nicht so gar schwer, noch eine innere leichte Vertäfelung -wegzubrechen; das dünne Bret fiel nieder, und Eduard leuchtete in die -Nische hinein. Er konnte aber kaum den breiten Raum übersehen, und -etwas, das ihm wie Gold entgegen glänzte, wahrnehmen, als Alles -plötzlich verschwand; denn er hatte mit dem Lichte oben angestoßen und -es ausgelöscht. Erschreckt und in der größten Bewegung tappte er durch -den finstern Saal, aus der Thüre, über einen langen Gang, dann über den -Hof nach einem kleinen Hintergebäude. Wie zürnte er über sich selbst, -daß er keine Anstalt in der Nähe habe, Feuer zu machen. Aus festem -Schlafe ermunterte er den eisgrauen Thürhüter, der sich lange nicht -besinnen konnte, ließ sich von ihm, nach vielen vergeblichen Versuchen, -sein Licht wieder anzünden, und kehrte dann mit behutsam vorgehaltner -Hand, an allen Gliedern zitternd und mit klopfendem Herzen über die -Gänge nach dem Zimmer zurück. Er wußte nicht, was er gesehen hatte, er -wollte noch nicht glauben, was er ahndete. Im Saale setzte er sich erst -in den Lehnstuhl, um sich zu sammeln, dann zündete er noch einige Kerzen -an, und begab sich nun gebückt in die Nische. Der weite Raum der Fenster -erglänzte von oben bis unten wie in goldnem Brand; denn Rahmen drängte -sich an Rahmen, einer kostbarer als der andere, und in ihnen alle jene -verloren gewähnten Gemälde seines Vaters, um die der alte Walther und -Erich so oft gejammert hatten. Der Erlöser _Guido's_, der Johannes von -Domenichino, sie alle schauten ihn an, und er fühlte sich selbst -gerührt, andächtig, erstaunt, wie in einer bezauberten Welt. Als er sich -besann, flossen seine Thränen, und er blieb dort, die Kälte nicht -achtend, unter seinen neugefundenen Schätzen sitzen, bis der Morgen -herauf dämmerte. - - * * * * * - -Walther war eben vom Tisch aufgestanden, als Erich eilig zu ihm in den -Gemäldesaal trat. Was ist Dir, mein Freund? rief der Rath aus: hast Du -Geister gesehn? Wie Du es nimmst, erwiederte Erich: mache Dich auf eine -außerordentliche Nachricht gefaßt. -- Nun? -- Was gäbest Du wohl, was -thätest Du wohl dafür, wenn alle die verlorenen Malereien Deines seligen -Freundes, jene unschätzbaren Kostbarkeiten wieder da wären und Dein -werden könnten? - -Himmel! rief der Rath aus und verfärbte sich: ich habe keinen Athem. Was -sagst Du? -- Sie sind da, rief jener, und können Dein Eigenthum werden. --- Ich habe kein Vermögen, sie zu kaufen, sagte der Rath: aber Alles, -Alles würde ich geben, sie zu erhalten, meine Gallerie und Vermögen, -aber ich bin zu arm dazu. -- Wenn man sie Dir nun überlassen wollte, -sagte Erich, und der Eigenthümer forderte bloß die Gunst dafür, Dein -Schwiegersohn zu werden? - -Ohne Antwort rannte der Alte hinaus und zur Tochter hinüber. Im Streit -mit dieser kam er zurück. Du mußt mein Glück machen, geliebtes Kind, -rief er aus, indem er mit ihr herein trat: von Dir hängt nun die -Seligkeit meines Lebens ab. Die erschrockene Tochter wollte immer noch -widersprechen, aber auf einen heimlichen Wink Erichs, den sie zu -verstehen glaubte, schien sie endlich nachzugeben. Sie ging fort, sich -umzukleiden; denn bei Erich warteten, wie dieser erklärte, die Bilder -und der Freiwerber auf sie. Unter welchen sonderbaren Gedanken und -Erwartungen suchte sie ihren besten Schmuck hervor; konnte sie sich in -Erich nicht irren? Hatte er denn auch sie verstanden? hatte sie ihn -richtig gedeutet? Walther war ungeduldig und zählte die Augenblicke; -endlich kam Sophie zurück. - -In Erichs Hause waren alle jene Gemälde im besten Lichte aufgehangen, -und es wäre vergeblich, des Vaters Erstaunen, Freude und Entzücken -beschreiben zu wollen. Die Bilder waren, so behauptete er, bei weitem -schöner, als er sie in seiner Erinnerung gesehen hatte. Du sagst, der -Liebhaber meiner Tochter sei jung, wohlerzogen, von gutem Stande, Du -giebst mir Dein Wort darauf, daß er ein ordentlicher Mann seyn wird, und -niemals nach meinem Tode diese Bilder wieder veräußern? Wenn dies alles -so ist, so braucht er kein anderes Vermögen zu besitzen, als diese -Bilder, denn er ist überreich. Aber wo ist er? - -Eine Seitenthüre öffnete sich, und Eduard trat ungefähr so gekleidet -herein, wie der ihm ähnliche Schäfer auf dem alten Gemälde von Quintin -Messys stand. -- Dieser? schrie Walther: woher haben Sie die Gemälde? -Als ihm Eduard den sonderbaren Vorfall erzählt hatte, nahm der Alte die -Hand der Tochter und legte sie in die des Jünglings, indem er sagte: -Sophie wagt viel, aber sie thut es aus Liebe zu ihrem Vater; ich denke, -mein Sohn, Du wirst nun klug und gut geworden seyn. Doch, eine -Bedingung: Ihr wohnt bei mir, und Eulenböck kommt nie über meine -Schwelle, auch siehst Du ihn mit keinem Auge wieder. Gewiß nicht, -antwortete Eduard: überdies reiset er mit dem fremden Prinzen von hier -fort. - -Man ging nach dem Hause des Vaters. Dieser führte den Jüngling in seine -Bibliothek: hier, junger Mensch, sagte er, findest Du auch Deine -Seltenheiten wieder, die Dein luftiger Bibliothekar mir für ein -Spottgeld verkauft hat. Du wirst diese Schätze Deines Vaters künftig -heiliger halten. - -Die Liebenden waren glücklich. Als sie allein waren, schloß Sophie den -Jüngling herzlich in die Arme. Ich liebe Dich innigst, mein Freund, -flüsterte sie ihm zu, aber ich mußte neulich dem Eigensinne meines -Vaters nachgeben, und mich damals und heute stellen, als gehorchte ich -ihm unbedingt, um erst nicht alle Hoffnung aufzugeben, und heute ohne -Widerspruch Dein zu seyn; denn hätte er meine Liebe gemerkt, so hätte er -nimmermehr so schnell eingewilligt. - -Nach wenigen Wochen waren sie vermählt. Es ward dem Jünglinge nun nicht -schwer, ein ordentlicher und glücklicher Mann zu werden; an seine wilde -Jugend dachte er im Arme seiner Frau und im Kreise seiner Kinder nur wie -an einen schweren Traum zurück. Eulenböck hatte mit dem Prinzen die -Stadt verlassen, und mit ihm zugleich der sogenannte Bibliothekar, der -jene Stelle als Secretär beim Prinzen erhielt, um welche Eduard sich -bemüht hatte, und nach einigen Jahren die lockre Schöne heirathete, die -unserm jungen Freunde einen so übeln Ruf in seiner Vaterstadt -verursachte, und fast die Veranlassung seines Unglücks geworden war. - - - - - Die Verlobung. - Novelle. - - -»Ich habe lange auf Dich gewartet,« rief der junge Ferdinand seinem -Freunde entgegen. - -»Du weißt ja,« erwiederte jener, »daß es unmöglich ist, sich schnell von -dem wohlbeleibten Barone loszureißen, wenn er Fragmente aus seiner -Lebensgeschichte vorträgt.« - -»Wärst Du Offizier, wie ich,« antwortete Ferdinand, »so würdest Du es -dennoch möglich gefunden haben, pünktlich zu seyn; dies wenigstens lernt -man im Dienst. Sie sind alle schon auf dem Spaziergange dort versammelt, -laß uns eilen, daß ich Dich der verehrten Familie vorstellen kann.« - -Die jungen Freunde bogen um die Felsenecke, und erfreuten sich des -klaren Anblickes am rauschenden Strome, der Wäldern und Bergen leuchtend -vorüber zog. Der Frühling war in diesem Jahre vorzüglich üppig -erschienen. »Wie wohl wird es dem Arbeiter,« sagte Alfred, »an einem -solchen Tage die Stadt und die geistlosen Geschäfte hinter sich zu -haben, um nach langer Anstrengung und Entbehrung diesen Segen der Natur -zu fühlen und ihre heilige Stimme zu vernehmen! Und wie dankbar bin ich -Dir, mein theurer Freund, daß Du mich in den Kreis der besten, der -edelsten Menschen einführen willst. Denn wie wir uns auch zu bilden -streben, wie ernsthaft wir studiren, einsammeln, und unser Herz und -Gemüth erweitern wollen, so ist es doch der Umgang mit echten Menschen, -der alles dies todte Wirken und unbeholfene Kämpfen erst belebt, und den -Besitz in ein wahrhaftes Gut verwandelt. Den zarten Frauen ist es aber -vorbehalten, dem Manne die Bildung zu geben, deren er nach seinen -Kräften und Gaben fähig ist.« - -Der junge Offizier sah seinen Freund kopfschüttelnd an, stand einen -Augenblick still, und sagte dann, indem sie weiter schritten: »O wie -kann ich in diese Phrasen, die man schon tausendmal hat hören müssen, so -gar nicht einstimmen! Somit wäre es ja die große Welt, oder die -sogenannte gute Gesellschaft, die man aufsuchen müßte, um in schlechtem -Witz, Coquetterie, Lügen und Geschwätz die Reife zu erlangen, die uns -die Einsamkeit nicht gewähren könnte. Bin ich auch in den meisten Dingen -Deiner Meinung, so muß ich Dir doch hierin geradezu Unrecht geben. Die -Weiber! sie sind es ja eben, die recht eigentlich von einem boshaften -Schicksal dazu hingestellt zu seyn scheinen, sich des Mannes, wenn er -schwach genug ist, zu bemächtigen, alles Menschliche, Edle, Kraftvolle -und Wahre von ihm abzustreifen, und ihn, so viel es nur möglich ist, in -sein Gegentheil zu verwandeln, damit er ihnen nur zu einem unwürdigen -Spielzeuge gut genug sei. Das, was Du eben äußertest, ist auch schon -mehr die Denkweise einer jetzt fast verschwundenen Zeit, einer Zeit, die -der Wahrheit, vorzüglich aber aller religiösen Gesinnung, feindlich -gegenüber stand. Auch muß ich Dir sagen, daß Du jenes Wesen, wodurch -sich vormals unsre jungen Herren zu bilden glaubten, in der Gesellschaft -dieser Frauen nicht finden wirst, weil bei ihnen alles heilige Wahrheit, -Unschuld und echte Frömmigkeit ist.« - -Der Freund suchte seine Meinung und sich selbst zu rechtfertigen, indem -sie unter lebhaften Gesprächen ihren Weg eilig fortgesetzt hatten. Sie -sahen jetzt schon den Garten vor sich liegen, in dessen kühlen Gängen -die Baronin mit ihrer Familie und einigen auserwählten Freunden die -Ankommenden erwartete. Alle fühlten sich in der grünen Umgebung wohl und -behaglich. - -Nur dem jungen Rathe Alfred ward es Anfangs schwer, sich in die Stimmung -und Unterhaltung zu fügen. Wie es wohl zu geschehen pflegt, war er zu -gespannt, um sich dem Gespräche leicht hinzugeben; auch hatte er zu -Vieles auf dem Herzen, was er mit einer gewissen Bangigkeit an den Mann -zu bringen strebte, wodurch er oft an sich und den Andern irre werden -mußte; denn wenn er Gedanken zu einer Rede verarbeitet hatte, so war -indessen der schickliche Moment verschwunden, um diese einzufügen, und -unter den neuen Gegenständen der Unterhaltung kam wieder so Manches vor, -das ihm unverständlich schien, und worüber er sich nähere Belehrung -auszubitten doch zu verschämt war. Dazu kam, daß er von dem Reiz der -Frauengestalten wie geblendet war; die vermählte Tochter Kunigunde war -eine glänzende Schönheit; noch üppiger strahlte die jüngere Clementine, -gegen welche die blonde kindliche Physiognomie der jüngsten, Fräulein -Clara, rührend kontrastirte; selbst die Mutter durfte noch Ansprüche auf -Anmuth machen, und man sah, daß sie in ihrer Jugend eine schöne Frau -gewesen war. Dorothea, das älteste Fräulein, fiel in dieser Umgebung am -wenigsten auf, so schön auch ihr Auge, so fein ihr Wuchs war; auch zog -sie sich zurück und blieb still und blöde; sie schien selbst an der -lebhaften Unterhaltung der Geschwister nur geringen Antheil zu nehmen, -und es fiel auf, daß keine Rede oder Frage an sie gerichtet wurde, so -sehr die anwesenden Männer sich auch mit Lebhaftigkeit um die übrigen -Töchter oder die Mutter bemühten. - -Unter den Männern zeichnete sich ein ältlicher aus, der am meisten das -Wort führte, der Alle belehrte und alle streitigen oder zweifelhaften -Fälle entschied. Auch der Offizier behandelte ihn mit ergebener Demuth, -und dieser Familienfreund wandte sich mit Güte und Herablassung an Alle, -sie fragend, zurecht weisend, aufmunternd und sich auf seine Weise -bestrebend, Jeden zu ermuthigen oder aufzuklären. Ihm gelang es auch -endlich, den verlegenen Alfred in das Gespräch zu ziehen, und dessen -Dankbarkeit äußerte sich in einer feurigen Rede, die er jetzt -anzubringen Gelegenheit fand, und in welcher er seinen Wunsch nach -Bildung, seine Verehrung des Familienglücks, seine Hoffnung, daß die -echte religiöse Stimmung und wahre Frömmigkeit sich durch ganz -Deutschland ausbreiten würden, mit allgemeinem Beifall und zu seiner -eignen Zufriedenheit entwickelte. - -Mehr noch als die Uebrigen war die schöne Kunigunde aufmerksam gewesen, -und sie war es auch jetzt, die am lautesten ihren Beifall aussprach. -»Wie glücklich sind wir,« beschloß sie endlich, »daß in unserm theuern -Kreise sich immer mehr Gemüther versammeln, die das Gute und Edle -wollen, die das Ueberirdische erkennen, und denen die Welt mit allen -ihren anlockenden Schätzen nur nichtig erscheint. Aber das ist die -Eigenschaft der Wahrheit und Güte, daß sie das Bessere sich näher zieht, -daß sie das Schwache in etwas Höheres verwandelt. Wirkt der gesellige -Umgang so glücklich in einem weitern Umfang, so ist es im beschränkten -Hause der Segen der Ehe, der noch inniger die Vermählten anregt, sich -für das Göttliche zu begeistern, der hier noch kräftiger das schwächere -Gemüth zur Liebe des Unendlichen erhebt.« - -»Ja wohl,« sagte ein junger Mann, der neben dem ältern saß, »dies ist -es, was ich mit jedem Tage inniger und dankbarer empfinde.« Er seufzte -und sah an die Wolken, und der Rath erfuhr auf seine Erkundigung, daß -dieser der Gemahl der schönen und frommen Kunigunde sei. - -Die Mutter nahm das Wort und sagte nicht ohne Bewegung: »Wie beglückt -muß ich mich fühlen, daß ich so im Kreise meiner Kinder das Höchste -gefunden und es ihnen selbst möglich gemacht habe, den edelsten Besitz -dieser Erde zu erreichen. Wie kann ich doch so gar nicht an den -Bestrebungen der meisten Menschen Antheil nehmen, ja wie erregt mir ihr -mannigfaltiger Enthusiasmus eher Mitleid, als daß ich in ihren -vielfachen Anstrengungen, ein sogenanntes Gut zu ergreifen, etwas finden -könnte, das unsere Achtung aufruft. So rennen sie nach Kunst, oder -Philosophie, meinen, im Wissen oder in Farben und Ton solle ihnen das -ewige Licht aufgehen, quälen sich in Geschichte und den verworrenen -Händeln des Lebens ab, und versäumen darüber das Eine, das Noth ist, und -welches Alles ergänzt und ersetzt. Seit ich diesen Quell gefunden habe, -der jeden Durst der Seele so lieblich stillt, ist jenes bunte -Mannigfaltige für mich gar nicht mehr da, dem ich in der Jugend auch -wohl manchen sehnsüchtigen Blick zuwendete.« - -»Wie muß ich Sie bewundern!« rief der Rath aus: »mit welcher Sehnsucht -habe ich das Leben gesucht, und immer nur leere Schatten gehascht! und -wie leicht ist es doch, die Wahrheit zu finden, die uns niemals täuscht, -die nie entschlüpft, die dem Herzen Alles gewährt, in der wir nur leben -und seyn können.« - -»Ich verstehe Sie,« antwortete die Baronesse, »Sie gehören zu unserm -Kreise; es ist ein seliges Gefühl, daß sich die Gemeinschaft frommer und -begeisterter Gemüther immerdar vermehrt.« - -»Den herrlichsten Zeiten gehen wir entgegen!« rief der junge Offizier in -Begeisterung aus. »Und wie selig müssen wir uns fühlen, da Dasjenige, -was uns über das nüchterne Leben erhebt, die ewige Wahrheit selber ist, -da diese uns beherrscht, und wir, von ihr regiert, nicht fehlen, niemals -irren können; denn wir geben uns der Liebe hin, daß sie in uns wirke und -ihre Geheimnisse unserm Herzen offenbare.« - -»Nicht anders,« beschloß der ältere würdige Mann; »dies ist es, was uns -die Sicherheit geben muß, die uns von gewöhnlichen Enthusiasten oder -Schwärmern unterscheidet. Sie haben ein großes Wort gesprochen, theurer -Ferdinand, und darum sind Sie mir so werth, weil Keiner, so wie Sie, auf -dem kürzesten Wege das Rechte findet, weil Niemand es alsdann so klar -und einfach auszusprechen weiß.« Er umarmte den Jüngling, sah gen -Himmel, und eine große Thräne glänzte ihm im schönen dunkeln Auge. Die -Baronesse erhob sich und schloß sich an die Gruppe; alle waren bewegt, -nur Fräulein Dorothea wandte sich ab, und schien im Busche etwas -Verlornes zu suchen. - -Dem aufmerksamen Alfred entging es nicht, daß die Mutter mit einem -Ausdrucke des Schmerzes zu ihrem ältesten Kinde hinsah, das auf seltsame -Weise von diesem Kreise der Rührung und Liebe ausgeschlossen schien. Der -Baron Wallen, so hieß der ältere Hausfreund, näherte sich mit dem -Ausdruck einer rührenden Milde dem Fräulein, die scheu vor sich nieder -sah, und in diesem Augenblick hochroth erglühte. Er sprach heimlich und -mit vieler Bewegung zu ihr, sie schien aber in ihrer Verlegenheit auf -seine Worte nicht sonderlich zu achten; denn als jetzt eine Dame in der -Allee zur Gesellschaft herschritt, ging sie dieser in großer Eile -entgegen, und schloß sie mit der größten Herzlichkeit und Freude in die -Arme. - -Die Mutter schüttelte fast unmerklich mit dem Kopfe, und sah den Baron -Wallen mit prüfendem Auge an; dieser lächelte, und die Unterredung der -Gesellschaft gerieth nun auf ganz andere und gleichgültige Gegenstände; -denn die Frau von Halden, welche jetzt lautschwatzend, lachend und -Neuigkeiten erzählend, herzu trat, machte jeden Aufschwung, jede -innigere Mittheilung völlig unmöglich, so daß auch alle, bis auf -Fräulein Dorothea, etwas verstimmt wurden, die wie erquickt und -getröstet mit ihren Blicken am Munde der Redenden hing, und jetzt an der -übrigen Gesellschaft noch weniger Antheil nahm. - -»Wer ist denn diese Neuigkeits-Krämerin?« fragte Alfred unwillig, »die -wie ein wilder Vogel in unsern stillen Kreis herein fliegt, und alle -zarteren Gefühle verschüchtert?« - -»Eine Nachbarin unserer verehrlichen Baronesse,« antwortete der Herr von -Wallen: »sie hat sich auf eine unbegreifliche Weise des Gemüthes der -Fräulein Dorothea bemeistert, was wir alle nur beklagen können. Schon in -der Jugend hat es die treffliche Erzieherin, die Fräulein von Erhard, -eine Verwandte der Familie, verhindern wollen, daß dieser Umgang nicht -die bessern Fähigkeiten des schönen Mädchens unterdrücke; aber von jeher -sind alle ihre Bemühungen vergeblich gewesen.« - -Diese Erzieherin, welche bisher wenig bemerkt worden war, näherte sich -jetzt, da sie sah, daß von ihr die Rede sei, und mischte sich in das -Gespräch. Sie erzählte, daß in dieser so liebenden und hochgestimmten -Familie Dorothea von früher Jugend ein abgesondertes Leben geführt habe, -und unter so vielen Geschwistern gewissermaßen ganz einsam gewesen sei. -Fräulein Charlotte von Erhard erzählte dies mit einer rauhen und heisern -Stimme, wurde aber so bewegt, daß sie sich der Thränen nicht enthalten -konnte. Alfred, der schon gerührt war, fand in seiner erhobenen Stimmung -die geälterte und fast häßliche Dame liebenswürdig und schön, und ein -herzlicher Unwille, eine lebhafte Geringschätzung wandte sich gegen die -arme Dorothea, die jetzt von der redseligen Freundin Abschied nahm und -zur übrigen Gesellschaft zurück kehrte. Sie war sichtlich erheitert, -aber man sah, welche Ueberwindung es ihr koste, wieder an den ernsteren -Gesprächen Theil zu nehmen. Sie erzählte, wie die Frau von Halden in -Unterhandlungen stehe, und wahrscheinlich ihr Gut verkaufen werde. - -»Verkaufen?« fragte die Mutter erstaunt, »und sie konnte dennoch so -heiter, ja ausgelassen seyn?« - -»Sie meint,« erwiederte Dorothea, »einen so vortheilhaften Kauf ihrer -noch unmündigen Kinder wegen nicht abweisen zu dürfen.« - -»Giebt es einen Vortheil,« sagte die Mutter, »welcher den Kindern das -Glück der Heimath aufwiegen kann? Und sie selbst, Deine Freundin, die -hier auf ihrem Gute aufgewachsen ist, die hier mit Eltern und -Geschwistern, nachher mit einem geliebten Manne lebte, wie kann sie sich -selber so verstoßen und diesen Bäumen den Rücken wenden, sich von den -Zimmern verbannen, die sie als Kind geliebt und gekannt hat? Immer -wieder muß es mir auffallen, wie ich das Leben und Treiben der -allermeisten Menschen so gar nicht verstehe. -- Und wer ist denn der -Käufer?« - -»Die Sache ist wunderlich genug,« erwiederte Dorothea, »der Käufer will -noch gar nicht genannt seyn; aber ein gewisser Graf Brandenstein führt -die Unterhandlung. Meine Freundin ist eilig und bestimmt, denn der -Fremde aus Amerika kauft noch manches andere Gut, so daß sie es für eine -Gunst hält, da er nicht ängstlich auf den Preis sieht, wenn sie das -ihrige dem Unbekannten zuwenden kann.« - -Bei dem Namen »Brandenstein« wurde die Mutter blaß. Sie suchte sich aber -schnell zu fassen, und sagte nach einer kleinen Pause: »Ja, der Name war -es, der mir schon seit einer Woche schwer auf dem Herzen lag. Ich weiß -es schon, daß dieser Mann hier ist, der nun auf eine Zeitlang unsre -stille Freude verderben, und die Harmonie unsers Kreises stören wird. -Und ich kann es nicht vermeiden, ihn zu sehn, denn er ist ein alter -Bekannter unsers Hauses, und die Sitte der Welt zwingt uns ja, selbst -mit denjenigen freundlich umzugehen, die uns im innersten Herzen zuwider -sind, ja, die wir, wenn wir noch so billig denken, für schlechte und -ruchlose Menschen anerkennen müssen.« - -Dorothea meinte, wo eine so bestimmte Empfindung vorherrsche, solle sich -der Mensch keinen Zwang anthun; und besonders auf dem Lande, wo sie -lebten, wäre es noch leichter, als in der Stadt, so widrigen -Erscheinungen auszuweichen. Die Mutter aber sagte: »Du verstehst dies -nicht, mein Kind; könnte ein gewissenloser Mensch ohne Grundsätze uns -nicht auf die empfindlichste Art schaden oder kränken, hätte er es durch -Witz und Frivolität nicht in seiner Gewalt, unser ganzes Leben zu -verderben, so würde ich ihn kalt abweisen, und mit meiner Wahrheitsliebe -ihm ohne Umschweif sagen, daß ich mit ihm nicht umgehen wolle; da aber -dies nicht möglich ist, so muß ich ihm höflich entgegen kommen, mit -Feinheit und Wohlwollen den bösen Geist in ihm zu beschwichtigen suchen, -und mich späterhin so unmerklich, als es seyn kann, von seinem -verderblichen Kreise zurück ziehn.« - -Die übrigen Töchter drängten sich um die Mutter, und umarmten sie wie -tröstend. »Wenn ich Euch nicht hätte!« seufzte die Baronesse: »wenn ich -nicht auf die Hülfe unsers edlen Hausfreundes rechnen dürfte, so würde -mich der Besuch dieses gottlosen Menschen noch mehr ängstigen.« - -»Wer ist er eigentlich?« fragte der Baron. - -»Ein Mann,« antwortete die Mutter, »der sich schon früh in der Welt und -ihren Verstrickungen herum getrieben hat, der, von seinem eignen Herzen -belehrt, alles, was Liebe, Demuth, Frömmigkeit heißt, arg verspottet und -verfolgt, ein grober Egoist, der Niemand lieben kann, und den das -Heilige, Ueberirdische, wo er es wahrnimmt, wo er es nur ahndet, in -einen widrigen Zorn versetzt, der ihn dann zu jenem frivolen Witze -begeistert, den wir Alle so tief verachten. Es war das Unglück meines -Lebens, daß er die Bekanntschaft meines guten seligen Mannes machte, daß -dieser ihn lieb gewann, und sich in manchen trüben Stunden seiner -Gesellschaft und traurigen Philosophie hingab.« - -»Sie schildern, verehrte Frau,« sagte der Offizier, »einen von jenen -Charakteren, die, dem Himmel sei Dank! jetzt schon seltener geworden -sind.« - -»Eine Verruchtheit,« sagte der Baron, »die das Unsichtbare lästert, weil -sie auf Selbstverachtung gegründet ist. Sie sind aber, wie wir Alle, -über diesem Jammer erhaben.« - -»Sein mittelmäßiges Vermögen,« fuhr die Mutter fort, »war bald -ausgegeben; nun verließ er Europa, trieb sich, wer weiß, unter welchen -wilden Völkern um, und ist nun zurück gekehrt, wie ich höre, als -Geschäftsträger eines unermeßlich reichen Amerikaners, der ihm in -Jahresfrist nachfolgen will, und der die Grille gefaßt hat, in unserer -Nachbarschaft viele Güter zu einer großen Herrschaft zusammen zu -kaufen.« - -Fräulein Dorothea blieb dabei, daß man einem so bösen Menschen -ausweichen könne und müsse, und daß sie ihm schon das Haus zu betreten -unmöglich machen wolle, wenn die Mutter ihr dazu die gehörige Vollmacht -gebe; doch diese ward unwillig, und gebot, für heute den Namen des -Störenfried nicht mehr zu nennen. Jetzt sah man die Wagen vorfahren, -weil mit der Abendkühle die Familie sich wieder auf ihr nahes Landgut -begeben wollte, als sich in diesem Augenblick eine sonderbare Scene -entwickelte. Der alte Baron hatte sich schon einigemal Dorotheen -genähert; sie war ihm aber ausgewichen, doch benutzte er den Moment, als -er ihr in den Wagen half, ihr einige freundliche Worte zuzuraunen; sie -sprang zurück, indem sie hastig der Kutsche enteilte und in den Baumgang -lief. Der Baron konnte sie nicht einholen, so sehr er sich bestrebte; -als er schon tief im Garten war, kam sie athemlos zurück, warf den -Schleier über das erhitzte Angesicht, und weinte heftig, indem sie dem -fragenden und strafenden Blicke der mehr als erstaunten Mutter ängstlich -auswich. Der Wagen fuhr rasch davon, und der Baron, nachdem er verwirrt -und beschämt von den jüngern Freunden Abschied genommen hatte, bestieg -den seinigen, schwer gekränkt, wie man ihm anmerken konnte, so sehr er -auch seiner Fassung Gewalt zu thun suchte. - -Als der junge Rath und der Offizier ihren Rückweg zur Stadt antraten, -sagte der erste nach einer Pause: »Was war das? Immer noch kann ich -nicht von meiner Verwunderung zurück kommen, daß unter so gebildeten und -feinen Menschen eine solche unschickliche Scene hat vorfallen können! -Ueberhaupt, wie kommt dieses Fräulein, dieser sonderbare, ja -widerwärtige Charakter in eine Familie, die ich fast eine geheiligte -nennen möchte? Irgend eine tiefe Verschuldung muß sie drücken, da sie -sich immer scheu zurück zieht, niemals an der Unterhaltung Theil nimmt, -und auch von allen Uebrigen mit einem herablassenden, fast -geringschätzenden Mitleide behandelt wird, das einem Fremden sehr -auffallen muß. Man kommt auf ärgerliche Vermuthungen, wenn man auch eben -nicht zum Argwohn geneigt ist.« - -»Du würdest aber irren,« sagte der militärische Freund, »denn keine -Schuld, kein Vergehn drückt dieses Wesen nieder. Unter so hochgestimmten -Menschen, wie alle diese sind, würde sich dergleichen vielleicht ohne -große Kämpfe wieder herstellen, wenn diese Schwester nur sonst in einer -geistigen Harmonie mit den übrigen stände. Schlimmer aber als alles ist, -daß sie schon mit einem niedrigern, unedlern Geiste geboren wurde, daß -sie das Bestreben aller Uebrigen nicht versteht, und sich doch sagen -muß, es sei ein Hohes und Edles, nur für sie Unerreichbares. Dies Gefühl -der Unwürdigkeit drückt sie mehr nieder, als das Bewußtsein einer Schuld -es thun könnte. Sie fühlt sich fremd unter den Nächsten, unheimisch in -ihrem Hause; sie erquickt sich an den unwürdigen Bekanntschaften, wie -mit jener dicken und geschwätzigen Nachbarin, und entflieht besonders -dem Baron, den wir Alle so hoch verehren, und der sich zu sehr, fast mit -Leidenschaft herabläßt, ihren Sinn für ein höheres Leben -aufzuschließen.« - -Sie bogen jetzt um die Felsenecke, und sahen die Stadt schon vor sich -liegen. Aber zu ihrem Entsetzen bemerkten sie auch zugleich jenen -wohlbeleibten Baron von Wilden, von dem sich Nachmittags der junge Rath -nur schwer hatte losmachen können. »Nun,« rief dieser ihnen entgegen, -»kommt Ihr schon aus dem Himmel zurück? Hat's brav viel ambrosische -Redensarten abgesetzt? Sind die nektarischen Gesinnungen gut -eingeschlagen? Hoffentlich war doch kein Mißwachs an überirdischen -Gefühlen?« - -Die Freunde, die in der schönen Natur und dem lieblichen Abende gern -noch ihre Gefühle hätten harmonisch nachklingen lassen, suchten sich von -ihm loszuwickeln; da sie aber denselben Weg zur Stadt zurück gingen, war -dies unmöglich. »Nichts da!« rief er mit herrschender Stimme aus: »wir -bleiben treu beisammen, und dort unten beim Brunnen treffen wir noch -einen armen Sünder, der auf mich wartet.« - -Die beiden jungen Leute sahen sich gezwungen, aus der Noth eine Tugend -zu machen, besonders weil der unempfindliche Baron mit kreischendem Tone -fortfuhr: »Ich merke wohl, Ihr wäret hier in der Gegend gern noch -empfindsam, besonders weil der Mond bald hervor kommen wird; aber -dergleichen Unfug wird in meiner prosaischen Gesellschaft nicht -geduldet. Glaubt mir doch, junge Menschen, all' das Aetherisiren und -Frommsüßlichen dort geschieht ja doch nur, daß Ihr an diesem lockenden -Hamen als Eheleute anbeißen sollt, wenn Ihr nämlich selbst Amt und -Vermögen besitzt. Es sind so viele Töchter dort, und nur die älteste, -verwilderte, ist so toll, alle Partieen abzuweisen. Ja die liebe, gute, -so hocherwünschte Ehe, das Freiwerben, wonach mit allen Fernröhren -hinaus geschaut wird, wenn so herrliche edle Töchter in dem Familiensaal -dasitzen, rund und fett, roth und weiß, züchtig und tüchtig, -auferwachsen und vollständig! Und in der Mitte die verständige Mutter, -achtsam, lauernd und spekulirend, die Augen nach allen Seiten, jeden -anfühlend, der nur eintritt, ob der feine Rock auch bezahlt ist, ob -derselbe, wenn er von Reisen und Bällen erzählt, auch wohl im Stande -sei, ein Ehefrauchen standesmäßig zu ernähren. Da gehn der guten Matrone -dann so fromme, weiche und gar unbefangene Redensarten aus dem zarten -Munde, die Blicke leuchten zum Himmel und rechts und links, und alle -Worte und alle Blicke schwimmen wie hundert Angeln im Strom der faden -Unterhaltung, und die jungen Bursche schießen bald nach dieser, bald -nach jener Schnur wedelnd und spielend hin, bis denn, wenn auch nach -Wochen, einer und der andere fest sitzt. So haben sie für die Kunigunde -den zarten Weißfisch erschnappt, und ihm gleich darauf eingebildet, das -runde Mädchen sei für ihn viel zu gut, so daß er wie ein reuiger Sünder -am Wagen des Ehestandes zieht, und sich geehrt fühlen muß, daß die Hohe -sich zu ihm erniedrigt hat; nun müssen Clara, Clementine und die -irdische Dorothea noch versorgt werden, ja ich stehe nicht dafür, daß -die bejahrte Bekehrerin nicht selbst noch einmal aus einem frommen -Knaben einen Bräutigam für sich drechselt, und ihm statt des Katechismus -einen Ehekontrakt in die Hände schiebt. Ja wohl Ehestand, Wehestand! Wie -rennt nur alles so blind und taub in das traurige Joch, und opfert -Freiheit und Laune dem bösen Geiste, der den Mann fast immer unter den -Sklaven erniedrigt.« - -»Sie sind ein arger Frevler,« sagte der Offizier: »aus launenhafter -Verruchtheit hassen Sie die Ehe, und verlangen nun, alle Menschen sollen -als sündliche freigeisternde Hagestolze leben, und weil Ihr Sinn nicht -in jene Umgebung paßt, so lästern Sie diese Menschen, die jeder -Verläumdung zu erhaben sind.« - -»Ganz martialisch!« rief der Baron aus. »Und doch werde ich Recht -behalten, und vielleicht seufzen Sie selbst einmal, wenn Sie an der -Kette wie ein Eichhorn immer wieder dieselben rechtgläubigen Sprünge -machen müssen, um die Nüsse zu knappern, die die Gemahlin Ihnen zukommen -läßt: ach! wenn ich doch dem resoluten Wilden hätte glauben wollen!« - -»Nein, mein Herr,« sagte der Rath sich ereifernd, »Ihre Ansicht geht nur -aus der Verzweiflung hervor, ja, Sie glauben sich selber nicht.« - -»Meinethalben,« rief jener aus, »kann seyn, daß eine ganz andere -Kreatur, als ich selber, aus mir heraus redet; denn das ist im Leben oft -der Fall, und bei jenen Apostolischen guckt auch oft was, wie ein Affe, -aus den verbrämten und aufgesteiften Gewändern hervor. Nicht wahr, -besonders aus dem ältlichen, zu wenig weltlichen Fräulein Erhard, der -unvergleichlichen Erziehungskünstlerin? Diese hat das Haubenmuster der -inwendigen Gesinnung für die ganze Familie zurecht gesteckt, sich selbst -aber die krauseste Religions-Frisur zurecht gezimmert. Ihr meint, wenn -diese ihr Orakel kräht und die kleinen Augen verdreht, so müssen wir -Ungläubige gleich unterducken. Ihr bin ich am meisten aufsässig, denn -sie ist es eigentlich, die die ganze Familie in Grund und Boden -verdorben hat.« - -Jetzt standen sie am Brunnen. Die Sonne war längst untergegangen, und -aus der Finsterniß drehte sich ein Mensch hinter dem Weidenbusche -hervor. »Ach! der Michel!« rief der Baron: »können Sie, meine Herren, -einen ehrlichen Bedienten brauchen?« - -»Warum,« fragte der Offizier, »habt Ihr die Dienste der trefflichen -Baronesse verlassen, die so mütterlich für ihre Leute sorgt?« - -»Ach! gnädiger Herr,« sagte der Diener, »weil ich neulich so ein bischen -unschuldig gelogen habe, bin ich gleich fortgeschickt worden.« - -»Das ist recht!« rief der Offizier, »daran erkenn' ich die edle Frau.« - -»Alles ist nur ein Anstiften,« fuhr Michel fort, von dem neidischen -Fräulein Erhard: »die kann's nicht leiden, wenn Mann und Weibsen sich -gut sind, weil keiner sie aus dem ledigen Stande erlösen will, und seit -sie vor vier Wochen sah, wie ich dem Hausmädchen einen Kuß gab, hat sie -mir's nachgetragen.« - -»Wie gemein!« rief Alfred aus. - -»Ja, mein gnädiger Herr,« sagte der Diener, »sie ist nicht vornehm, aber -hübsch, und Kuß bleibt Kuß. Nun hatt' ich eines Tags, auch wegen des -Mädchens, ein neues Buch von der Stadt zu holen vergessen, es sollte so -ein recht superkluges, andächtiges seyn, da sagt' ich in der Angst, das -Buch sei schon verliehen, das kam heraus, daß ich gar nicht weggegangen -war, und da wurde ich nun um das bischen Lügen gleich aus dem Dienst -geschickt.« - -»Können Sie ihn brauchen?« fragte der Baron die beiden jungen Leute; -diese versicherten aber: sie würden sich nie mit einem Menschen zu thun -machen, der in der edelsten und nachsichtigsten Familie nicht einmal -hätte geduldet werden können. »Nun so bleib indessen bei mir,« schloß -der Baron, »aber lüge so wenig als möglich.« - -»Gewiß, gnädigster Baron,« rief der Mensch aus, »vorsätzlich niemals; es -kommt einem manchmal in der Angst eine sogenannte Nothlüge in den Hals, -die, meinte selbst mein alter Priester da hinten in meinem Dorfe, sei -wohl noch zu vergeben; aber meine gnäd'ge Herrschaft legt alles auf die -Goldwage, und in einem Hause, wo dann so die allerausgesuchteste -Frömmigkeit und aufgeputzteste Tugend herrscht, da kommt ein armer, -ordinärer Domestik durchaus gar nicht fort; wir sind zu irdisch, beste -Herren, die vornehmen Leute haben es leichter, das schleift und schleift -immer am Herzen und der Seele, dazu haben wir nicht Zeit vor -Messerputzen und andern Verrichtungen. Fräulein Dorchen wollte mich auch -entschuldigen und sagen, es wäre nicht so wichtig, die kam aber übel an, -auf die schrieen sie alle zusammen noch mehr los, als auf mich. Die -verachten sie alle, und sie ist doch die beste im Hause, weil sie nicht -so hoch hinaus will, denn der Mensch ist doch einmal aus einem Erdenklos -formirt, und da rührt sich von Zeit zu Zeit der alte Lehm und Thon in -ihm.« - -»Sie passen gut zusammen, Sie und Michel,« sagte lachend der Offizier. - -»Aber halt!« rief der Baron, »ich habe Dich nun in meine Dienste -genommen, und ganz vergessen, daß morgen die Fräulein Ehrhard auf einige -Zeit in mein Haus kommt. Ja, meine Freunde, ich kann diese Person gar -nicht leiden, aber da ich mit meiner jungen Schwester lebe, die nun ganz -aufgewachsen ist, mancher Mensch bei mir aus- und eingeht, ich auch oft -außer dem Hause bin, so muß sie doch, da ich nicht zu heirathen Willens -bin, eine Gesellschaft und Aufsicht haben. Da hat sich das verdrehte -Weibsen entschlossen, es bei mir zu versuchen, denn sie weiß wohl, daß -es bei mir gut hergeht, nicht so arm, wie dort in der Familie; ich sehe -auch oft Gesellschaft, vielleicht denkt sie leichter einen Herzenskumpan -bei mir zu finden, als dort in der Einsamkeit. So versuchen wir es denn -auf einen Monat, oder so mit einander.« - -»Alles recht fein gemein konstruirt!« sagte der Rath: »wenn Sie nur -geringe Motive finden, so begreifen Sie die Sachen.« - -»Kann nicht anders,« sagte der Baron. Sie schieden, da sie schon das -Stadtthor erreicht hatten. - - * * * * * - -Am andern Morgen war im Hause der Baronesse schon früh viel Unruhe. Im -großen Saale, der unmittelbar in den Garten führte, war die ganze -Familie mit Sonnenaufgang versammelt. Man zog Blumenkränze an den Wänden -auf, ein geschmückter Tisch stand unter einer Thüre, mit Kleidern, -Büchern und mannigfaltigen Angedenken bedeckt, und man erwartete nun die -älteste Tochter Dorothea, die täglich den Garten am frühesten Morgen zu -besuchen pflegte, um sie mit diesen Geschenken und dieser Festlichkeit -erfreulich zu überraschen. Es war ihr Geburtstag, und Mutter und Töchter -hatten alles anordnen können, ohne daß sie es bemerkte, weil sie sich -niemals um den Kalender sonderlich bekümmerte. Jetzt kam sie den Garten -herunter, und sah schon aus der Ferne die versammelten Geschwister. Als -sie erstaunt in den Saal trat, und Alle sie freundlich umringten, die -verschiedenen Gaben darboten, und Schwestern und Mutter sich so -ungewöhnlich liebevoll bezeigten, war sie tief gerührt und um so -heftiger erschüttert, je weniger sie diese Feier der Liebe erwartet -hatte. - -»Wie neu ist mir dies!« rief sie aus: »ach! wie wenig habe ich das um -Euch verdienen können! Liebt Ihr mich denn wirklich so? Alle diese -Geschenke, dieser Glanz, diese freundliche Aufmerksamkeit, wie kann ich -es Euch vergelten? Ich bin so überrascht, daß Ihr alle so an mich Arme -denken mochtet, daß ich Euch noch gar nicht einmal danken kann.« - -»Liebe uns nur recht innig,« sagte die Mutter, sie herzlich umarmend, -»sondere Dich nicht so ab, komm uns allen mehr entgegen; erkenne, wie -wir es meinen, und bemühe Dich, in unsere Gefühle und Ansichten -einzugehen; denn wir suchen ja nur das Gute, wir wollen ja nur das -Rechte. Diese Deine Launen, mein geliebtes Kind, Dein störriger Sinn, -der Dich den Freunden und Geschwistern entfremdet, der Dich geringeren -Menschen entgegen führt, ist eine Unart und Verwöhnung Deines Geistes. -Du wirst und kannst die Wahrheit erkennen, sobald es nur Dein -ernstlicher Wille ist.« - -»Ich will besser werden,« sagte die weinende Tochter, »ich verspreche es -Ihnen in dieser Stunde, die mich so unendlich bewegt.« - -Alle herzten und küßten sie, und Dorothea, die schon seit lange als ein -Fremdling in ihrer Familie stand, fühlte sich wie in einem neuen Leben. -Sie sah Alle prüfend an, sie liebkoste Jeden, sie ließ sich die -Geschenke zeigen und erklären; es war, als wäre sie von einer langen und -weiten Reise zurück gekommen, und begrüße jetzt die Ihrigen nach -schmerzlicher Trennung. »Wenn ich nur auch für Euch alle etwas thun -könnte!« rief sie aus. - -»Wenn Du es ernstlich willst,« antwortete die Mutter, »so kannst Du uns -heut Alle, vor allen aber mich, unbeschreiblich glücklich machen.« - -»Nennen Sie,« rief Dorothea, »sagen Sie, was ich thun soll.« - -»Wenn Du heut an diesem feierlichen Tage,« fuhr die Baronesse fort, -»endlich Deine so lange verweigerte Einwilligung geben, wenn Du unsern -Freund Wallen heut mit Deinem Worte beglücken wolltest, den Du gestern -so unziemlich gekränkt hast.« - -Dorothea wurde blaß und trat erschreckend zurück. »Dies fordern Sie?« -sagte sie stotternd: »ich dachte, ich hätte darüber ein für allemal -meine Erklärung gegeben.« - -»Deine Leidenschaftlichkeit,« sagte die Mutter, »kann für keinen -vernünftigen Entschluß gelten. Du liebst keinen Mann, wie Du oft gesagt -hast, Du kennst kaum einen, den Du achten möchtest; dieser edle Freund -ist Dir mit der schönsten Herzlichkeit ergeben, er bietet Dir ein Glück -an, das Dir so schön nicht wieder entgegen kommt, wenn Du es jetzt von -Dir weisest; Du kennst die Lage Deiner Familie, wie mißlich es mit -unserm Vermögen steht; Du kannst die Wohlthäterin Deiner Mutter, die -Versorgerin Deiner Schwestern werden. Hast Du wohl schon bedacht, mein -liebes Kind, wie trostlos Deine eigne Zukunft seyn muß, wenn Du auf -Deinem Eigensinn beharrst? Von Männern und Frauen verlassen, den -Deinigen empört und gehässig, einsam und ganz verloren in einer kalten, -höhnenden Welt, arm und ohne Hülfe! Wirst Du Dich alsdann nicht in Deine -Jugend zurück sehnen, und in bitterm Schmerz bereuen, daß Du jetzt alles -Glück für Dich und die Deinigen so muthwillig, so unbedacht von Dir -gestoßen hast? Fordert dieser edle Mann denn Liebe und Leidenschaft von -Dir, wie sie wohl in unsern verkehrten Büchern geschildert werden? Will -er mehr als Freundschaft und Achtung? Und kannst Du ihm diese versagen? -Er ist zu allen Aufopferungen bereit, die unsere drückende Lage fordert, -und die sein großer Reichthum möglich macht; aber wenn Du ihn so spröde -verhöhnst, und er tritt beleidigt und beschimpft zurück -- wer weiß, wo -Deine Geschwister oder Deine Mutter und Du selbst noch einmal im Alter -ein schnödes Almosen erbetteln müssen, wo ich noch krank und hülflos -liege, und Dein weinendes Auge dann umsonst in diese Tage sehnsüchtig -zurück blickt, die dann auf ewig verschwunden sind.« - -»Hören Sie auf, meine geliebteste Mutter!« rief Dorothea im größten -Schmerze aus. »O leider, leider ist das Recht ganz auf Ihrer, und das -Unrecht durchaus auf meiner Seite. Nein, ich habe noch nie geliebt, und -werde es nie, mein Herz ist für dieses Gefühl verschlossen; die Männer, -die ich gekannt habe, flößen mir alle ein Gefühl des Widerwillens ein, -viele des Mitleids, um nicht Verachtung zu sagen; ich sehe ja ein, daß -eine Ehe, die auf Vernunft sich gründet, die uns in Wohlstand und -Sorglosigkeit versetzt, etwas Wünschenswerthes seyn muß; daß ich durch -ein einziges Wort Sie und uns alle beglücken kann, daß es wohl edel ist, -wenn ich es ausspreche, daß es die Nothwendigkeit vielleicht von mir -erzwingt, und Kindespflicht und die edelsten Rücksichten -- und doch -- -warum schaudert mein Gefühl davor zurück? -- Ach, liebe Mutter, wenn nur -eins nicht wäre, -- darf ich es sagen? werden Sie mich nicht ganz -mißverstehn? O gewiß! denn ich verstehe mich ja selber nicht.« - -»Sprich, mein geliebtes Kind,« sagte die Mutter im freundlichsten Tone, -»ich werde Dein Herz fühlen, wenn ich auch nicht ganz Deine Worte -fasse.« - -Dorothea zögerte, sah sie bittend an, und sagte endlich verlegen und mit -bittender Stimme: »Oft habe ich mir selbst die Frage vorgelegt, ich habe -mich in einsamen Stunden ernst geprüft, und mir schien dann wohl, als -könnte ich meine Hand in die des würdigen Mannes fügen, den Sie alle, -den die ganze Welt verehrt, wenn er nur nicht --« - -»Nun?« rief die Mutter. - -»Wenn er nur nicht fromm wäre,« sagte die Tochter hastig. - -Eine lange Pause der Verlegenheit entstand. Dorothea war glühend roth -geworden, die Schwestern traten scheu zurück, die Mutter schlug den -Blick nieder, und wandte ihn dann um so schärfer prüfend auf die Arme, -die Allen und sich selbst fast eine Entartete schien. Endlich sagte die -Mutter: »Nun, wahrlich, das muß mich überraschen, und wenn ich dies in -Dir verstehe, so möchte es mich auch mit Schauder erfüllen. Also Du -bekennst nun öffentlich Deinen Abfall von Gott? Du bist also darüber mit -Dir einig, daß das Heilige Dir ein Anstoß und Greuel ist? Du kannst das -nicht lieben, was die Liebe selber ist? So geh denn und verläugne das -Göttliche, lebe ruchlos und stirb vom Himmel verlassen.« - -»Sie verstehn mich nicht,« rief Dorothea mit einem hohen Unwillen: »das -ist ja das Unglück meines Lebens, daß Alles an mir mißdeutet wird, wenn -ich es noch so gut meine. Vielleicht würde mir Herr von Wallen ganz -recht seyn, wenn ich nur nicht wüßte, daß er so fromm ist, ja vielleicht -würde ich ihn alsdann für fromm halten.« - -»Trefflich!« sagte die Mutter in schmerzlicher Entrüstung: »wenn wir -selber verderbt sind, so ist es freilich am bequemsten, an den Würdigen -ihre Tugend zu bezweifeln. Damit sprichst Du auch zugleich aus, wie Du -von mir denkst, und was ich überhaupt von Deiner Kindesliebe zu erwarten -habe.« - -»Sie sollen, Sie werden sich irren!« rief Dorothea fast im Zorne aus: -»ich will mehr thun aus Liebe für Sie, als ich vor mir selbst -verantworten kann, ich will mich heute Abend, darauf gebe ich Ihnen -jetzt mein Wort, mit dem Herrn von Wallen verloben.« - -Ein allgemeiner Ausruf der Freude, Thränen, Umarmungen, Schluchzen -unterbrachen und ersetzten jedes Gespräch. Der Wortwechsel verwandelte -sich in das lauteste und fröhlichste Getümmel, Alle hatten die Fassung -verloren, und drückten Liebe und Entzücken heftig und übertrieben aus. -Nur Dorothea war nach ihren letzten Worten plötzlich wieder ganz kalt -geworden, und gab sich ohne alle Erwiederung still den Liebkosungen hin. - -»O Du mein geliebtes Kind!« sagte die Mutter endlich wieder gefaßt, »ja, -ich habe Dich mißverstanden, und Du wirst mir verzeihen; macht ja diese -unerwartete freiwillige Erklärung Alles wieder gut. Und jetzt darf ich -Dir auch noch das schönste und kostbarste Geschenk zu jenen Gaben der -Liebe hinzufügen, diesen Schmuck, den Dir der Baron sendet; ich habe ihn -zurück gehalten, weil ich wirklich an Deinem schönen Gefühle zweifelte.« - -Die Tochter sah die Mutter mit großen Augen an, dann warf sie einen -kalten Blick auf die kostbaren Steine, und legte sie ruhig zu den Blumen -auf den Tisch. Das Frühstück ward gebracht, und man war nach der lauten -Scene um so ruhiger, kein Gespräch wollte in den Gang kommen. Es läutete -zur Kirche, die Bedienten brachten Mäntel und Bücher. Dorothea legte ihr -Andachtsbuch aus der Hand und sagte: »Sie verzeihen wohl, liebe Mutter, -wenn ich Sie heut nicht zur Kirche begleite, ich bin zu gespannt, ich -will mich hier in der Einsamkeit indeß zu sammeln suchen und auf unsere -Mittagsgesellschaft vorbereiten, noch mehr auf den Abend.« - -»Wie Du willst, mein holdes Kind,« antwortete die Baronesse: »zwar wäre -die Kirche und die Rede unsers frommen Seelsorgers wohl der natürlichste -Ort und Anlaß, Deine Gedanken zu sammeln, indessen hast Du einmal Deine -Art und Weise, sie bleibe Dir ganz unbekrittelt. Es ist augenscheinlich -der Himmel selbst, der Dich, Geliebte, die Du es am meisten bedarfst, -unserm geliebten Wallen zuführt; an seinem Arm wirst Du anders denken -lernen, und vielleicht erlebe ich es noch, daß Du uns alle beschämst und -in höherem Glanze voran leuchtest.« - -Als sich Dorothea allein sah, musterte sie, fast gedankenlos, die -Geschenke. Die schimmernden, kostbar gebundenen Bücher waren von jenen -neuen religiösen, denen sie nie ein Interesse hatte abgewinnen können. -Was macht es? sagte sie zu sich: ist denn die Erde selbst, das ganze -Leben so sehr der Rede werth? Warum will ich mit so großem Widerwillen -die Rolle durchführen, die mir einmal aufgegeben ist? Was ich mir früher -dachte und vorsetzte, ist ja doch nur Traum und leere Einbildung! Ich -sehe ja, wie alle, alle Menschen nur spielen und Erhebung heucheln, dann -gern und beruhigt in die Gemeinheit sinken. Ist es das allgemeine -Schicksal, warum will ich mich so heftig dagegen sträuben? Entsetzlich -ist es! aber endlich, früh oder spät, löst ja doch der Tod das -verwickelte Netz dieses Lebens, und jenseits wird es ja doch wohl -Freiheit geben. - -Mit ihrer Stimmung wurde auch der Himmel finsterer. Dunkle schwere -Wolken zogen näher, und schienen ein Gewitter herbei zu führen. Ein -schlanker Mann kam den Garten herauf und näherte sich dem Saal. Als er -eintreten wollte, ging sie dem Fremden, der ein Mann von Stande zu seyn -schien, entgegen. Sie begrüßten sich, und der Unbekannte bat um die -Erlaubniß, verweilen zu dürfen, er habe in der Lindenallee sein Pferd -dem Diener übergeben, und sei dann in den offenen Garten gerathen; er -bedauerte, die übrige Familie nicht zu finden, worauf ihn Dorothea -einlud, im Saale das Gewitter abzuwarten und zu verweilen, bis Mutter -und Schwestern aus der Kirche zurück kehren würden. - -»Sie scheinen beim Gewitter nicht ängstlich zu seyn,« bemerkte der -Fremde. - -»Doch,« erwiederte Dorothea, »wenn es allzunahe kommt, und Feuer und -Schlag eins und dasselbe werden; ich glaube auch, daß sich alsdann wohl -alle Menschen mehr oder minder fürchten; denn wo es keinen Widerstand -giebt, wo ein plötzlicher unversehener Augenblick mich wegraffen dürfte, -da ängstet es mich gerade, daß ich nicht auf meiner Hut seyn kann. In -diesen Augenblicken beruhigt nur der Glaube an ein nothwendiges Fatum -und die Betrachtung, daß ich nichts Besseres bin, als die Tausende -meiner Mitmenschen, die demselben Schrecken ausgesetzt sind.« - -»Diese Gesinnung,« sagte der Unbekannte, »muß ich eine tapfere nennen, -im Gegensatz jener schwachen, die bei den Damen gar nicht selten ist, -wenn sie beinahe in Furcht vergehn, alle Fassung verlieren und in -Thränen jammern, indem nur noch das fernste Wetterleuchten herüber -schimmert.« - -»Wohl,« sagte Dorothea, »und ich sorge schon um Mutter und Schwestern, -die nur gar zu reizbar sind. Ich mag es nicht tadeln, weil es wohl, wie -so viele krampfhafte Furcht, Krankheit des Körpers seyn mag.« - -»Es ist nicht so leicht zu entscheiden,« bemerkte der fremde Mann, »weil -wir erst ernsthaft versuchen müßten, was der starke Wille denn wohl -vermag, und ob, wenn die Seele sich zwingt, nicht auch der Körper -wenigstens einige Schritte mitgeht, und von selbst da Gesundheit -entsteht, wo die eigenwillige Stimmung die Kränklichkeit erzeugt hat.« - -»Das führt auf die Frage,« sagte Dorothea, »in wie fern wir frei sind, -und was wir im Geist und Körper durch Vorsatz vermögen.« - -»Gewiß,« erwiederte jener, »und nicht blos diese, alle ernsten -Betrachtungen führen zu der großen Frage. Ohne diese uns beantwortet zu -haben, können wir auch für nichts Interesse fassen, und weder an uns, -noch an andere glauben.« - -»Freiheit!« seufzte Dorothea, wie vor sich hin phantasirend: »Sie -glauben also daran? Ich auch ehemals, als ich jünger war.« -- - -»Jünger, mein Fräulein? das klingt von Ihren schönen Lippen sonderbar. -Ich zweifelte als Jüngling, und habe erst später diese Ueberzeugung -fassen lernen.« - -»Vergeben Sie,« rief Dorothea beschämt, »daß ich mich mit Ihnen in -dergleichen Worte verliere, da ich« -- - -Der Fremde unterbrach sie: »Behandeln Sie mich nicht wie einen -unbekannten jungen Menschen, der nur da seyn darf, um Ihnen etwas -Verbindliches zu sagen. Sie sind mir mit einem schönen und ernsten -Vertrauen entgegen gekommen, und ich weiß, daß ich dessen nicht unwerth -bin.« - -Und wirklich schien es, als spräche Dorothea mit einem alten Bekannten -oder Bruder, so wenig war dieser Mann -- nach dessen Namen sie selbst zu -fragen vergaß -- ihr fremd. Seit lange hatte sie nicht dieses Gefühl -gehabt, ihre Gedanken, ohne Furcht, mißverstanden zu werden, aussprechen -zu dürfen; dies gab ihr eine Behaglichkeit, daß sie auf das -heranrückende Gewitter nur wenig achtete, und selbst den Abend vergaß, -an welchen sie so eben noch nur mit Entsetzen hatte denken können. Im -Verlauf des Gesprächs erzählte der Fremde von seinen Reisen, Manches von -seinen Schicksalen; er erinnerte sich seiner Jugend, und bekannte -endlich, daß er dies Haus, und vorzüglich den vor Jahren verstorbenen -Vater des Fräuleins oft gesehn habe. »Sie sehen Ihrem Vater wunderbar -ähnlich,« beschloß er, »und ich habe gleich Anfangs diese freundlichen -Lineamente nicht ohne Rührung betrachten können.« - -Dorothea war überrascht, als sie die Familie schon aus der Kirche zurück -kommen sah. Man begrüßte den Fremden, die Mutter trat fast erschrocken -zurück, und Dorothea erblaßte, als sie ihn Graf Brandenstein nennen -hörte. Er ward höflich zu Tische geladen, und der alte Baron Wallen -erschien ebenfalls, so wie der Rath Alfred und der junge Offizier; beide -waren aus der Stadt herüber geritten. Die Familie kleidete sich um, und -Dorothea war in ihrem einsamen Zimmer in tiefen Gedanken verloren. Die -Welt lag sonderbarer als je vor ihrem Geiste da, sie konnte sich kaum -zurecht finden, um ihren bescheidenen Putz zu ordnen, und als sie -nachher wie träumend zur Gesellschaft zurückkehrte, erschienen ihr alle -Gesichter wie hart und gespannt, ja, als fremd, besonders aber die -weiche, gesalbte Miene des Barons wie zum Erschrecken verzerrt, und ein -Gefühl, als wenn sie lachen solle, bemeisterte sich wie ein Frost ihres -ganzen Wesens, indem sie sich erinnerte, daß sie diesen Mann noch heut -Abend für ihren Bräutigam erklären müsse. Wie widrig ihr der junge -Offizier und Rath auffielen, so bekannt, vertrauensvoll und milde -leuchteten ihr die Blicke des Grafen entgegen, den sie als einen bösen -und gefährlichen Menschen noch gestern hatte schildern hören. - -Er schien allein unbefangen am Tische. Mit Behaglichkeit erzählte er von -seinen Geschäften, die er für seinen amerikanischen Freund betrieb; er -nannte die Güter, die er schon gekauft hatte, oder um welche er noch in -Unterhandlungen stand, und man verwunderte sich über den Reichthum des -unbekannten Mannes, der die schönsten Besitzungen zu einer großen -Herrschaft vereinigen konnte. Durch die Gewandtheit des Grafen ward die -Unterhaltung bald freier, und der Baron, welcher dem Gefühle, das ihn -bedrängte, wie mit Gewalt widerstand, suchte das Gespräch an sich zu -reißen und zu beherrschen, vorzüglich wohl, damit die Jugend und die -Frau des Hauses nicht in der gewohnten Verehrung nachlassen möchten. - -Wie es aber zu geschehen pflegt, daß ein Gespräch, wenn es nicht mit -leichter Unbefangenheit und feinem Sinne geführt wird, wohl in Anmaßung -und Spannung eine polemische Natur annimmt, so war es auch hier; denn -die Reden und Aeußerungen des Barons waren alle verhüllte Angriffe gegen -den Grafen und dessen Meinungen, wie er sich diese nach der Schilderung -desselben dachte. Der Graf achtete diese Demonstrationen Anfangs wenig; -er unterhielt sich hauptsächlich mit Dorotheen, die neben ihm saß, -sprach von seinen Geschäften, und sagte endlich auch, wie im Scherz, er -habe zugleich von seinem amerikanischen Freunde den Auftrag erhalten, -ihm eine Gemahlin zu suchen. - -»Das kann wohl von Ihnen beiden nicht ernsthaft gemeint seyn,« sagte die -Baronesse. - -»Und warum nicht?« erwiederte der Graf in heitrer Laune, »mein Freund -ahmt ja hierin nur den regierenden Fürsten nach, durch Anwalde und nach -politischen Rücksichten zu unterhandeln. Er ist nicht mehr jung und kann -nicht erwarten, Leidenschaft zu erregen; er hat in der Jugend traurige -Erfahrungen gemacht, und an seinem eignen Unglück, so wie an manchem -Freunde erlebt, daß dasjenige, was die Menschen Liebe nennen, nur -weichliche Sehnsucht, oft Eitelkeit, zuweilen sogar Verblendung sei, und -die meisten Ehen, die in scheinbarer Leidenschaft geschlossen werden, -nur ein dürftiges, ganz kümmerliches Leben, oft Elend herbei führen. Ich -bin sein ganz vertrauter Freund, und er rechnet auf meine -Menschenkenntniß, daß ich ihm ein Loos ziehen werde, welches ihm -geziemt.« - -Der Baron erwiederte, daß ihm ein solches Unternehmen immer noch mißlich -scheine, und daß der Unbekannte dabei doch das Glück seines Lebens auf -das Spiel setze. - -»Glück?« nahm der Graf das Wort auf: »gewiß, wenn er sich jenes -Unbedingte, Unendliche und Unaussprechliche dabei dächte, was die Jugend -gewöhnlich mit diesem Worte verbindet. Wo finden wir dies? Wer sich -nicht zu beschränken versteht, wird nichts erlangen, am wenigsten, was -jenseit aller Schranken liegt. Die Resignation mag Anfangs bitter -scheinen, aber ohne sie ist kein Zustand des Lebens zu ertragen; denn -wenn wir mit uns nur wahr umgehen, so müssen ja doch auch alle -Entzückungen unmittelbar der Wehmuth Platz machen, ja sie sind eins mit -dieser, und Schönheit, Kunst, Begeisterung, Alles ist für uns irdische, -vergängliche Menschen nur da, indem es vergänglich ist, obgleich die -Wurzel alles Göttlichen in der Ewigkeit ruht.« - -»Sonderbar!« sagte der Baron: »somit wäre auch die Andacht und die -Frömmigkeit, das Erkennen des Himmlischen diesem Wandel unterworfen?« - -»Ich glaube,« sagte der Graf, »wer nicht irdisch seyn mag, kann auch -nicht überirdisch seyn; Nacht und Tag, Schlaf und Wachen, Erhebung und -Gleichgültigkeit müssen sich ablösen. Wir beklagen mit Recht, daß es so -ist und seyn muß, aber es kann nicht anders; wer aber die Erleuchtungen -der Andacht, die Entzückungen einer himmlischen Liebe zu einem stehenden -Artikel in seinem Herzen machen wollte, der dürfte sich wohl auf dem -allergefährlichsten Standpunkte befinden, auf den der Mensch sich nur -wagen kann.« - -»Sie sind einmal als Freigeist bekannt,« antwortete die Mutter, »und es -wird Ihnen bei uns nicht gelingen, unsere klare Ueberzeugung zu trüben.« - -Kunigunde sagte mit einem schmelzenden Tone: »Sie meinen also, es sei -gefährlich, den Herrn zu lieben?« - -Brandenstein mußte lächeln: »Gefährlich, wie alle Liebe, schöne Frau,« -erwiederte er leicht, »besonders, wenn man den Gegenstand, den man zu -lieben unternimmt, nicht kennt, oder sich eine ganz unrichtige -Vorstellung von ihm macht; noch schlimmer, wenn wir ein Phantom aus ihm -bilden, das alle unsre Vorurtheile bestärken, uns in unsern Schwächen -Recht geben, unsere Fehler und Irrthümer autorisiren soll. Da dürften -wir unser thörichtes Herz leicht an ein Gespenst verschenken, wie einige -alte Mährchen etwas Aehnliches erzählen, und uns entsetzen, wenn uns die -wahre Gestalt des Göttlichen einmal in einer erleuchteten Minute -erschiene.« - -Dorothea hörte aufmerksam zu, und der Baron sagte nicht ohne Verdruß: -»Die Liebe kann nicht irren. Wo sonst einen Wegweiser auf unserm Pfade -suchen?« - -»Wenn sie die wahre ist, nicht,« erwiederte der Graf: »aber über diese -täuschen wir uns selber nur gar zu leicht; denn wenn unsere -Leidenschaften nicht Sophisten wären, so wären sie eben auch keine -Leidenschaften.« - -»So ist denn der Zweifel,« sagte der Baron zürnend, »das Einzige, was -wir gewinnen können.« - -»Er sei unser Diener,« antwortete der Graf, »der die Wege untersucht, -unser Thor, der mit nüchternem Spaß uns vor dem Allzuviel oder vor -Uebereilung warne. Kinder und Narren reden aber, wie das Volkssprichwort -sagt, die Wahrheit: zuweilen wenigstens, wenn nicht oft und immer.« - -»Eine Mutter,« sagte die Baronesse, »weiß, was Liebe ist; der Mann -behält vielleicht immer eine dunkle, zweifelnde Vorstellung von dieser -Kraft. Auch ist die That immer mehr als das Wort, und so habe ich meine -Kinder erzogen und mit ihnen gelebt, ganz in Liebe, keinen blinden -Gehorsam, nie etwas Unvernünftiges von ihnen fordernd, immer habe ich -mich ihnen geopfert; aber sie haben schon lallend meine Liebe erkannt -und erwiedert, auch sie haben nur ihren Herzen folgen dürfen, und -Strenge, Furcht und dergleichen ist ihnen völlig unbekannt geblieben.« - -Die Töchter sahen die Mutter zärtlich an, die Mutter hatte Thränen im -Auge, nur Dorothea blickte scheu vor sich nieder, und der Baron sagte -begeistert: »Man kennt und verehrt diese musterhafte Erziehung, und wer -an Liebe zweifelt, komme und sehe diesen Familienkreis.« - -»Fern sei es von mir,« sagte Brandenstein, zu Dorotheen gewendet, »mit -rohem Gefühl diese zarte Liebe nicht anerkennen zu wollen; nur meine -ich, wenn ich mich meiner glücklichen Kindheit erinnere, daß die Liebe -zu den Aeltern, und eine gewisse religiöse und edle Furcht vor ihnen ein -und dasselbe seyn müßte; denn durch die letztere scheint mir meine -Kindesliebe erst ihre wahre Kraft und Innigkeit erlangt zu haben, auch -soll ja diese heilige Scheu vor etwas Unbegreiflichem in den Aeltern -jenen blinden, unbedingten Gehorsam erzeugen, in welchem sich das Kind -eben so glücklich fühlt; denn ohne diesen Gehorsam findet, scheint es -mir, weder Erziehung noch Liebe statt.« - -Die Mutter sah die älteste Tochter, welche derselben Meinung zu seyn -schien, bedenklich an, und sagte dann mit etwas gespitztem Tone: »Ich -habe es vorgezogen, meine Kinder früh zu überzeugen, und wo das nicht -möglich war, stimmte ich sie so, daß sie aus Liebe zu mir das thaten, -was sie nicht einsehen konnten.« - -»Ich verehre Ihre Erziehung,« sagte der Graf, »denn wer möchte in dieser -schönen Umgebung dagegen streiten? Doch dürften diese Auswege vielleicht -etwas zu kostspielige Surrogate für den einfachen und wohlfeilen -Gehorsam seyn.« - -Der Baron wandte sich verstimmt an den Rath Alfred, und das Gespräch -nahm eine andere Wendung. Der junge Offizier erzählte mit -Selbstgenügsamkeit, daß er neulich die Gesellschaft, zu der ihn eine -Dame eingeladen hatte, ohne alle Entschuldigung vermieden habe, da es -ihm sündlich scheine, eine Unpäßlichkeit oder ein Geschäft -vorzuschützen. Man lobte diesen Wahrheitstrieb und meinte, diese Art und -Weise müßte in der Gesellschaft die allgemeine werden, wenn sie sich vor -der leeren Affectation, Heuchelei und fortwährenden kleinen Lüge retten -wolle. Auch die Mutter stimmte zögernd in diese Behauptungen ein, ob sie -gleich befürchtete, daß dergleichen nur schwer möglich zu machen sei, -ohne zugleich die feinen Bande der Geselligkeit völlig zu lösen; doch -sei eben darum die Tugend des Einzelnen, der den Muth habe, sich über -diese Rücksichten hinweg zu setzen, um so mehr zu preisen. »Nichts,« -fuhr sie fort, »habe ich bei meinen Kindern so sehr zu erwecken und zu -beleben gesucht, als den heiligen Wahrheitstrieb; ich habe sie bewacht, -daß sie sich nie auch nur die kleinste Unwahrheit, ja selbst im Scherze -nicht, erlauben durften. Immer auch habe ich mich bestrebt, alle Fragen -wahr zu beantworten, aus dem Unterricht alles zu entfernen, was nicht -klar und deutlich gemacht werden konnte; am meisten aber vermied ich -jene unsinnigen Mährchen und lügenhaften Geschichten, die Furcht und -Aberglauben nähren, und das Gemüth der Kinder wohl am allermeisten der -Wahrheit entfremden.« - -Der Baron führte diese Sätze noch mehr aus, und alle Uebrigen stimmten -ein, außer dem Grafen, welcher äußerte, daß es eine der schwierigsten -Antworten seyn möchte, zu sagen, was denn Wahrheit, die eigentliche -Wahrheit sei. »Die Menschen,« meinte er, »suchen sie in allen Richtungen -schon seit Jahrtausenden, und auch hier muß, wie fast immer, der gute -Wille, wahr seyn zu wollen, nur zu oft die Sache selbst vertreten. Will -ich gegen Kinder oder Schwache immerdar auf alle Fragen die Wahrheit -sagen, so komme ich in die Gefahr, gar nicht mehr wahrhaft seyn zu -können; denn das Letzte beruht ja doch auf einem Geheimniß, das ich eben -so wenig läugnen darf, als ich es erklären kann. Und zu diesem -Unsichtbaren hin drängen uns Phantasie und Gefühl schon sehr früh, und -der Lehrer, der die junge Ungeduld hiervon entfernen will, muß nur -wieder zu einer andern Lüge seine Zuflucht nehmen, die vielleicht in -falscher Aufklärung eben so schlimm, als die des Abergläubigen ist. So -scheint es mir auch nicht gut gethan, die Phantasie der Kinder nicht -bilden zu wollen, auch in der sonderbaren Kraft, die das Grauen sucht, -und blinde, wilde Schrecknisse ersinnt. Dieser Trieb ist in uns, er regt -sich früh; und soll er unterdrückt werden, strebt man ihn zu vernichten, -was nicht möglich ist, so wächst er in der finstern Tiefe fort und -gewinnt an Macht, was er an Gestaltung verliert. Ich habe weibliche -Wesen gekannt, die man aus übertriebener Aufklärung selbst vor dem -unschuldigsten Mährchen bewahrte, und die in reifen Jahren es nicht über -sich vermochten, am Abend auch nur durch das benachbarte Zimmer zu -gehen, so bezwang sie ein namenloses, ganz kindisches Grauen, so daß sie -vor jedem Laut, vor jedem Schatten ohnmächtig erzitterten. Wird dagegen -in der Kinder-Phantasie auch das Seltsam-Aengstigende in Gestalt -gebracht, wird es in Mährchen und Erzählungen gesänftiget, so vermischt -sich diese Schattenwelt sogar mit Laune und Scherz, und sie selbst, die -verworrenste unsers Geistes, kann ein Wunderspiegel der Wahrheit werden. -Durch diese Krystallseherei können wir weitentfernte und doch -befreundete Geister wahrnehmen, die uns in sichtlicher Nähe nur höchst -selten vorüber schweben.« - -»Daß Sie ein solcher Freund des Aberglaubens sind,« erwiederte die -Baronesse, »muß ich erst jetzt von Ihnen erfahren.« - -Dorothea schien kein Wort dieser sonderbaren Unterredung zu verlieren; -sie sah Kunigunden an, auf welche jene Schilderung einer unvernünftigen -Angst, die sie oft sogar am Tage befiel, buchstäblich paßte; auch waren -die andern Schwestern zuweilen kindisch genug, und scheuten am Abend -jeden Gang. Kunigunde war empfindlich, sie glaubte, der fremde Gast -kenne diese ihre Schwäche, und habe sie nur schildern wollen. Die Mutter -konnte ihre Verlegenheit nicht ganz verbergen. - -»Der Gesellschaft,« fuhr Brandenstein fort, »kann ich mich nicht immer -mit der nackten Wahrheit nahen, denn sie fordert und erwartet sie nicht -von mir. Ich darf die Tugenden der Einsamkeit nicht in sie werfen, wenn -ich nicht den Zauber, durch welchen sie für den gebildeten Menschen so -reizend wird, zerstören will. Man findet allenthalben schlechte -Gesellschaft, die ich wahrlich nicht preisen will; aber daß man das -feine Leben, die zarteren Bande der gebildetern Welt, das anmuthige -Verhältniß der Geschlechter, die Formen, welche Witz und Lebensart -erfanden, so oft schmähend mit den Gesetzen und Bedingnissen eines -sinnreichen Kartenspiels verglichen hat, ist mir zwar nicht unpassend, -aber sonderbar vorgekommen, und unbegreiflich, daß man nicht die -Mannigfaltigkeit des Lebens und dessen nothwendige Figuren hat -anerkennen wollen. Man muß nur eine Zeitlang mit bäuerischen Menschen -gelebt haben, die ihre rohe Zutäppigkeit für biedere Tugend so oft -verkaufen wollen, die alles verletzen, die kein Geheimniß, kein zartes -Verhältniß anerkennen, sondern alles Geistigere Affectation und -Heuchelei taufen; man muß Wochen lang diesem rohen Betasten und -Anpacken, und der drückenden Langeweile ausgesetzt gewesen seyn, um den -Adel eines feinen, geistreichen Umgangs wieder schätzen zu lernen. Hier -gilt denn freilich nicht immer das blanke Ja und Nein; und mit der -sogenannten Wahrheit die gegebenen Formen, durch welche diese -Erscheinung sich nur darstellen läßt, umstoßen wollen, ist eben so -unbillig, als wenn ich die Gesetze eines künstlichen Schachspiels Lüge -nenne, mit meinen Bauern gleich in das letzte Feld des Gegners rücke und -mein Spiel für gewonnen erkläre.« - -»Sie sind ein ziemlicher Sophist,« sagte der Baron. »Es fehlte noch, daß -die Verläumdung, Klatscherei, Neid und Verfolgung der großen -Gesellschaften einen Lobredner fanden; es bleibt dann nur noch übrig, -die stille Tugend, die schöne Bürgerlichkeit, die kindliche Unschuld und -edle Einfalt der nichtvornehmen Welt zu schmähen.« - -»Sie können mich unmöglich so mißverstanden haben,« sagte der Graf: »ich -meine nur, man soll Bedingnisse, die jedes Spiel und Kunstwerk -nothwendig macht (und die gute und feine Gesellschaft sollte wohl von -beidem etwas haben), nicht mit Unwahrheiten verwechseln; denn auch im -Tanz ist keine Wahrheit, wenn anders der gerade eilige Geschäftsschritt -so zu nennen ist, und es dürften sich von dieser Ansicht her selbst -gegen den Spaziergang nicht unerhebliche tugendhafte Zweifel aufwerfen -lassen.« - -»Immer ärger!« rief der Baron: »zum Glück, mein scharfsinniger Graf, -sprechen Sie alles dies in einer Gesellschaft, auf die es nicht -schädlich einwirken kann.« - -»Sie haben mich einmal hinein gezogen,« erwiederte Brandenstein, »und so -mögen Sie denn auch mein ganzes Glaubensbekenntniß hören. Ich denke, es -hat noch keinen Menschen gegeben (und keiner wird kommen), der nicht -irgend einmal in seinem Leben mit Bewußtsein gelogen hätte. Sei es nun -Nothlüge oder Schwäche, Furcht, Eigennutz oder Eitelkeit, und wie sie -alle heißen mögen, diese Flecken unsrer Natur; vielleicht auch, um nur -einmal diesem Geiste zu folgen, der uns doch gar zu reizend verlockt. -Und dürfen wir doch nur auf die erhabenen Apostel sehen, um zu lernen, -daß sie ihrem Vorbilde, der ewigen göttlichen Wahrheit, nicht immer -getreu zu seyn stark genug waren. Vieles dieser Art möchte ich die -unschuldigen Lügen nennen, denen der bessere Mensch, eben weil sie so -resolut sind, bald aus dem Wege gehn kann. Aber wie steht es denn mit -jener gleissenden Eigenliebe, mit jenem prunkenden Egoismus, mit der -ausgebildeten Heuchelei, die aus dem ganzen langen Leben mancher -Menschen nur eine einzige Lüge bilden? Ich habe wenigstens einige -gekannt, die so im Lügengeiste untergesunken waren, daß es für sie gar -keine Wahrheit mehr gab. Und diese Menschen galten für tugendhaft, sie -hielten sich selbst für Auserlesene, es war ihnen möglich, selbst auf -dem Sterbebette die Rolle der Heuchelei fortzuspielen.« - -»Dergleichen ist nicht möglich!« rief der Baron, und Alle stimmten ihm -bei; nur Alfred äußerte, es könne doch wohl dergleichen Verkehrtheit -geben, worauf ihn Dorothea verwundert mit großen Augen ansah. »Sie -sprechen überhaupt,« fuhr der Baron fort, »von einer vorigen Welt; seit -Ihrer Abwesenheit hat sich bei uns Alles so geändert, daß Sie, wenn Sie -unser Vaterland erst wieder kennen lernen, kaum mehr eine Spur vom -vorigen finden werden. Die alte Irreligiosität, jene leere -Freigeisterei, die sich Aufklärung nannte, ist, dem Himmel sei Dank! -ziemlich verschwunden; immer schöner entwickeln sich die Keime einer -ächten Religiosität, man schämt sich nicht mehr, Christ zu seyn, an den -Herrn zu glauben und sich im brünstigen Gebet zu ihm zu erheben. Die -Kirchen sind wieder gefüllt, die höhern Stände verschmähen nicht mehr -die Gemeinschaft ihres Nebenchristen, andächtige Bücher haben die -frivolen von den Tischen unserer Weiber und Mädchen verdrängt, -geläuterte Seelen unterhalten sich, statt mit Theatergeschwätz, über die -Bibel, ermuntern sich zur Buße und Andacht, theilen sich die Erfahrungen -mit, die sie an ihrem Herzen machen, stärken sich gegenseitig, und immer -deutlicher spricht aus diesen erhobenen Gemüthern der Geist des Herrn. -Alles dies, mein zweifelnder Freund, werden Sie wenigstens gelten und -stehn lassen müssen, denn hier ist Wahrheit und Liebe, hier ist kein -Irren möglich.« - -Er hatte alles dieses mit großer Salbung gesprochen. Der Graf schwieg -einen Augenblick, ehe er sagte: »Unser Tischgespräch hat eine so -ernsthafte Wendung und einen so feierlichen Inhalt gefunden, daß es wohl -passender wäre, abzubrechen, entweder auf eine stillere Stunde diese -Eröffnungen zu versparen, oder ganz zu schweigen, weil man sich über -diese wichtigen Gegenstände am leichtesten mißversteht.« - -»Weil Sie sich jetzt völlig geschlagen fühlen,« sagte der Baron, »so -wollen Sie sich wenigstens einen sichern Rückzug vorbehalten. Ich -dächte, es wäre jetzt Ihre Pflicht, offen zu gestehen, daß Sie über -diesen Punkt nichts zu sagen wissen, wenn Sie nicht unverholen bekennen -wollen, daß Ihnen jene fast vergessene Freigeisterei lieber als unsere -heilige Religion sei.« - -»O sprechen Sie!« rief Dorothea, sich selbst vergessend. - -»Sie sehen, wie dringend Sie aufgefordert werden,« sagte die Mutter, -indem sie einen langen und drohenden Blick zu Dorotheen hinüber warf; -auch Alfred bat, daß der Graf sich erklären möchte, in wiefern er in -diesem Punkt mit dem Zeitalter einverstanden sei. - -»Da ich es nicht ganz umgehen kann,« sagte dieser: »so will ich kurz -andeuten, was ich habe beobachten können; denn da ich schon seit einem -Jahre wieder in Deutschland bin, so ist mir nicht alles so fremd, wie -Sie glauben, ob ich gleich erst seit kurzer Zeit meine Geburtsgegend -hier wieder besucht habe. Könnte ich Ihnen allen nur das Vorurtheil -benehmen, daß Sie mich, wie ich merke, für einen gottlosen Unchristen -halten. Nein, ein solcher bin ich wahrlich nicht, aber ich muß mir nur -das unbestreitbare Recht vorbehalten, auf meine Weise ein Christ seyn zu -dürfen. Daß es jetzt, wie zu allen Zeiten, wahrhaft fromme und -erleuchtete Gemüther giebt, und daß man diese verehren solle, wer möchte -daran zweifeln? Das Bedürfniß des Glaubens hat sich wieder gemeldet, der -Geist hat fast an alle Herzen geklopft, und Anmahnungen mancher Art und -aus allen Gegenden haben sich vernehmen lassen. Ein klarer frischer -Strom hat sich wieder durch die lechzende Ebene von den ewigen Gebirgen -her ergossen, und der Kraft seiner Wogen folgen die Dinge und Wesen, -welche er ergreift; unwiderstehlich fühlt sich Alles fortgezogen, und -Groß und Klein, Stark und Schwach muß nothgedrungen mit hinunter -fließen. Wie ächte Begeisterung dies veranlaßt hat, so ist es denn doch -auch hier, wie in allen geschichtlichen Ereignissen, ergangen, die -Menge, die Eitelkeit, die menschliche Schwäche trübt auch diese -Erscheinung, und als es einmal Mode war, frei zu denken und den starken -Geist zu spielen, wenn Viele auch schwach und abergläubig waren, so ist -es jetzt Sitte geworden, religiös zu scheinen, wenn es Manchem auch -frivol und unerleuchtet genug zu Muthe seyn mag.« - -»^Desinit in atrum piscem,^« sagte der Baron ereifert, »der Anfang Ihrer -Rede ließ etwas Besseres vermuthen.« - -»Wie Viele,« fuhr Brandenstein ruhig fort: »sind mir aufgestoßen, die -mir fast beim Begrüßen entgegen warfen, daß sie außerordentliche -Christen seien. Andere sprechen beim dritten Worte und bei den -gleichgültigsten Gegenständen vom Heiland; bei jeder Veranlassung, sei -sie noch so geringe, beten sie, und erzählen uns dies; ja ich habe -Romane gelesen, in denen der Verfasser in der Vorrede sagte, er schreibe -niemals, ohne vorher zu beten, und alles Gute, was im Buche stehe, sei -unmittelbare Eingebung; das kürzeste Mittel, jede Kritik zurück zu -schlagen, und die Romanze dicht an die geoffenbarte Schrift zu schieben. -In Gesellschaften ergreift man jede Veranlassung, von Reue, Buße, -Andacht und Erlösung zu sprechen, und entweiht, nach meinem Gefühl, das -Heilige, vergißt, daß es eine Aehnlichkeit mit der Liebe hat, deren -Gefühle und Geständnisse der wahre Liebende auch nicht jedem fremden -Ohre Preis geben wird.« - -»Was schadet es aber,« sagte der Baron, »wenn die frommen Gemüther -vielleicht auch zu oft von dem Gegenstande ihrer Liebe sprechen?« - -»Es kann nicht die Liebe seyn,« erwiederte Brandenstein: »es ist -Eitelkeit, Hochmuth, der besser seyn will, als andere Menschen. Gerade -wie zu der Zeit der Empfindsamkeit oder der Aufklärung, ist es ein -krankes Bedürfniß, das allenthalben Nahrung sucht, das sich schmeichelt -und zu immer tieferer Krankheit verzieht, das unduldsam und verachtend -auf Nebenmenschen, die oft besser und frömmer sind, hinblickt, weil -diese nicht gerade in den angegebenen Ton auch einstimmen wollen.« - -»Sie schildern die Ausartung,« stammelte die Baronesse in einer Art von -Angst. - -»Nichts anderes, verehrte Frau,« antwortete der Graf: »nur daß mir diese -häufig in die Augen gefallen ist. Auch habe ich Erbauungsbücher gesehn, -die sehr in der Mode zu seyn scheinen, Altes und Neues, die wahrlich nur -dazu dienen können, mittelmäßige Menschen, die schon von der Eitelkeit -ergriffen sind, ganz zu verwirren, in denen der Schöpfer, die reine -Liebe, gleich einem launigen wunderlichen Alten dasteht, der sich aus -Langeweile gelüsten läßt, die krausesten Schicksale zu flechten, und -Diesen und Jenen, wenn auch Viele dabei untergehn, auf feine und -seltsame Art aus seinem Elende wieder heraus zu führen. Andere -verwandeln Religion in Magie und Zauberei; oder verhärten die Herzen der -Weiber, daß sie sich unendlich über ihre Männer erhaben fühlen, diese, -wenn sie nicht ganz auf ihre Weise frömmeln, in einem Zustande der -Zerknirschung erhalten, und in dem Gefühl, wie tief sie sich -herablassen, die geheiligten Gattinnen so ordinärer Sünder zu seyn. Ich -kannte ein armes, mittelmäßiges Mädchen, die sich glücklich schätzte, an -einen jungen wohlhabenden Mann verheirathet zu werden, die aber nach -einem halben Jahre auch zur Heiligen wurde, und sich nun vorlügt, ihre -christliche Tugend bestehe darin, den Mann zu dulden; übermenschlich -erscheint sie sich, wenn sie ihn nicht ganz verachtet, aber doch sagt -sie sich dies täglich und ihren religiösen Gespielinnen, die sie auch in -dieser Frömmigkeit bestärken. Ist nun dies nicht Sünde?« - -»Ja wohl!« seufzte plötzlich Kunigundens Gatte auf, und die Mutter, -welche den Halt ihrer Familie fast sichtlich zusammenbrechen sah, -bereuete es, dies Gespräch begonnen zu haben, und zürnte ihrem würdigen -Hausfreunde, dem Baron, daß es durch ihn so angefeuert wurde. -Brandenstein aber, der nun einmal im Zuge war, konnte ebenfalls in -seinem geistlichen Eifer nicht ruhen, bis er seine ganze Catilinarische -Rede an den Mann gebracht hatte. »Wie erhebend kann es seyn,« fuhr er -lauter fort: »wenn wir fromme Männer, um sich ganz dem Heiligen zu -ergeben, der Welt und allen ihren Schätzen den Rücken kehren sehen, um -in stiller Abgeschiedenheit nur Einem großen Gefühle zu leben. Ich will -einzelne Brüderschaften nicht tadeln, wenn sie sich in einem ähnlichen -Sinne verschließen, und von Kunst und Geschichte, Philosophie und Welt -nichts wissen wollen. Aber wenn diese einseitigen Frommen, die in der -Welt stehen bleiben, die Erziehung der Uebrigen genossen haben und sich -selbst für gebildet ausgeben, uns immer und immer wieder zurufen, nur -Eins sei, was Noth thue, Malerei, Musik und Dichtkunst seien nicht nur -überflüssig, sondern sogar sündhaft, und nur Gebet, Erleuchtung, Buße -sei alles, was den Menschen in Anspruch nehmen solle, -- so möchte ich -doch wohl Diese fragen: von welchem engen Gefühle ihre sogenannte -Religion sei, daß sie Liebe, Wahrheit, Vernunft und die lieblichen -Erscheinungen der Phantasie gar nicht zulassen könne und dürfe? Also -wäre den Reinen heut nicht mehr alles rein? Der Mensch ist schon als -todt zu betrachten, dem in der Natur und Geschichte nicht Gott mehr -erscheint; der ist verloren, der in der Kraft der Vernunft seine hohe -Gegenwart nicht mehr sieht. Auch der ist fromm, dem aus dem Gemälde eine -Entzückung anstrahlt, und der sich, so lange er Shakspeares Sommernacht -liest, selig und im Himmel fühlt. Denn auch Scherz, Lust und Witz sind -göttlicher Abkunft, und wir werden um so reiner und geläuterter, je mehr -wir den göttlichen Strahl in diesen zarten Spielen erkennen lernen.« - -»Ja wohl,« sagte der Baron, welcher das auffallende Mißvergnügen der -Baronesse bemerkt hatte, »können wir heut dies interessante Gespräch -nicht zu Ende führen.« - -»Unmöglich,« antwortete der Graf, welcher selber über seinen Eifer zu -erstaunen schien, »denn sonst möchte ich wohl noch darüber belehrt seyn, -warum diese frommen Gemüther sich nicht mit mehr Demuth der Kirche -anschließen? Warum sie verlangen, daß alle Menschen auf ihre Weise die -Dinge sehen sollen? Warum nicht Zweifel auch sie anwandeln und es ihnen -begreiflich machen, daß sie doch auch wohl irren könnten? Ob es nicht -christlicher sei, mehr nach dem Evangelium bei verschlossenen Thüren zu -beten, als pharisäisch ihr vieles Beten weltkundig zu machen? Ich könnte -denn wohl noch bemerken, daß dieser geistliche Schwindel sich auffallend -genug mit einem politischen verbindet, und daß diese kranke Stimmung, -die sich über ganz Deutschland verbreitet, es einem überaus verwirrten -und schwachen Buche möglich gemacht hat, den Beifallsruf einer Menge zu -erwerben, die nun erst beurkundet, wie wenig sie je unsern großen -Dichter faßte, als sie ihm zujauchzte. Es kann als ein Frevel gegen -diesen großen Mann erscheinen, wenn man es nicht lieber lächerlich -finden will, daß man ihm so schulmeisternd mit Glaubensfragen nahe -rückt, daß man Immoralität und Mangel an Idee seinen Werken vorwirft, -weil er sich nie zu den armen Bedürfnissen dieses Wortführers -herabgelassen hat. Daß alles dies möglich gewesen ist, hat mir gezeigt, -wie wenig wahre Bildung bei uns noch Wurzel gefaßt hat, und wie leicht -es daher Schwindlern wird, mit halbwahren Begriffen die schreiende Menge -zu verwirren.« - -»Sie meinen _Göthe_,« sagte der Baron, »und die sogenannten unächten -Wanderjahre. Nun, da sind wir ja schon so ziemlich weit von unserm -ersten Diskurse abgekommen.« - -Es trat eine Pause ein, Alle schienen verstimmt, Dorothea war tief -bewegt. Indem der Bediente jetzt den Braten brachte, rief die Baronesse: -»Ach! wie konnte ich nur die arme kranke Wittwe vergessen? Johann, tragt -dies Gericht sogleich zu der Unglücklichen, mit meinen herzlichen -Wünschen. Sie leidet, wie ich heut gehört habe, unglaublich, dabei ist -sie arm, und ihre Kinder können ihr nur wenige Hülfe geben.« »Ja, die -Armuth, die Krankheit!« seufzte der Baron. »O Himmel, was würde aus der -finstern Erde werden, wenn nicht immer noch weiche, edle Gemüther das -ungeheure Elend zu mildern trachteten.« - -»Die bedauernswürdige Frau,« fügte Kunigunde hinzu: »soll auch mit ihrem -verstorbenen Manne gar nicht glücklich gewesen seyn, er war hart und -rauh, und behandelte sie oft übermüthig.« Sie warf dabei ihrem Gatten, -der am andern Ende des Tisches saß, einen sonderbaren Blick zu, der gar -Vieles bedeuten konnte. Der junge Mann, vom Tischgespräch aufgeregt, war -so unerhört dreist, zu erwiedern, daß es auch oft der Weiber eigne -Schuld sei, wenn sie in der Ehe nicht glücklich wären. Der Graf, um -nähere Erörterung zu verhindern, bemerkte, daß es vielleicht, da man die -Krankheit der Frau nicht genau kenne, schädliche Wirkung thun möchte, -wenn sie von der Fleischspeise unvorsichtig genösse. Der Baron aber, der -einen neuen kriegerischen Angriff vermuthete, sprach gerührt über die -große Wohlthätigkeit der Baronesse, wie sie den Armen eine Mutter sei, -und begriff nicht, wie es noch so harte Menschen geben könne, die von -dem Elende ihrer Nebengeschöpfe so ungerührt blieben. - -Jetzt kam Johann mit dem Braten zurück und meldete, daß die Wittwe sich -gehorsamst bedanke; es sei ihr aber vom Arzte im Fieber Fleischspeise -bis jetzt noch untersagt, auch empfange sie seit drei Wochen alles vom -Schlosse, was sie gebrauche, worüber sie ihre Rührung nicht genug -ausdrücken könne. »Ein Arzt?« sagte die Baronesse, »sie bekömmt schon? -und wie?« -- »Ach, gnädige Frau,« sagte der alte Diener verlegen und mit -Bewegung: »Fräulein Dorothea sendet ihr schon seit lange Alles, sie hat -auch den Doktor kommen lassen, und besucht die Kranke selbst alle Morgen -und Abende.« -- »So?« sagte die Baronesse mit einem gedehnten, -zitternden Tone, und ein durchdringender Blick fiel auf die Tochter, die -in der Beschämung nichts erwiedern konnte; »und warum, mein Kind, -geschieht denn diese Ausübung der Wohlthätigkeit, diese Tugend, die mir -an Dir neu ist, so heimlich? Warum gönnst Du Deiner Mutter denn nicht -auch einen Antheil an dem Verdienste, da sich Dein Herz nun endlich auf -dergleichen christliche Liebesdienste hinlenkt? Mein Rath würde die -Wohlthat erst zu einer ächten machen können. Aber so sieht es aus, als -wenn eher Eigensinn, als Mitleid, Deine Handlungen lenke.« - -»Liebe Mutter,« flehte Dorothea, »schonen Sie mich.« - -»Es ist zu beklagen,« fuhr diese fort, »wenn selbst das, was an sich -Tugend ist, durch die Art, wie man es ausübt, sich zum tadelnswürdigen -Fehler umgestaltet. Vorzüglich sehe ich Stolz und Anmaßung in dieser Art -zu handeln, daß Du es übernimmst, ohne mich klug und weise seyn zu -wollen, da Du doch nicht wissen kannst, ob Du nicht dadurch mehr Schaden -als Nutzen stiftest.« - -»Es ist zu viel!« rief Dorothea laut weinend aus, stand schnell auf und -verließ mit verhülltem Angesicht das Zimmer. - -Alle sahen auf, der Graf aber schien am meisten überrascht, er sagte mit -bewegter Stimme: »Geschieht aber dem Fräulein auch nicht zu viel? Sie -hat es wahrscheinlich gut gemeint; und mir scheint es auch nicht -strafbar, daß sie ihre Wohlthaten heimlich erzeigt, daß sie vielleicht -etwas zu verschwiegen ist, um sich nicht dem Schein des Prunkens -auszusetzen.« - -»Gewiß, gnädigste Frau,« sagte der greise Diener, »das Fräulein ist ein -Engel, alle Leute im Dorfe sehn sie auch so an; was sie nur von ihrem -Taschengelde sich absparen kann, was sie an Kleidern irgend entbehrlich -findet, wendet sie auf die Armuth, aber das Schönste dabei ist die -freundliche, stille Art, und wie sie die Leute beruhigt, und die Kranken -tröstet, und die Kinder zum Gehorsam gegen die Aeltern ermahnt, die oft -unwirsch sind: -- ja, wir sollen schweigen, denn das hat sie uns strenge -befohlen, wir haben es auch Jahre lang gethan, aber einmal verschnappt -man sich denn doch. Verzeihung, gnädige Frau.« - -Diese Reden fielen vor, indem man aufstand; die Baronesse zitterte; der -Baron suchte mit feierlichem Gesicht und Anstand, indem er der Mutter -die Hand küßte, die Sache gut zu machen; der Graf empfahl sich mit -wenigen Worten, und Alfred begleitete ihn; die übrige Gesellschaft ging -in den Gartensaal. - -»Es thut nicht gut,« sagte die Mutter, »wenn böse Menschen über unsere -Schwelle treten.« - -»Ihnen folgt kein Segen des Himmels,« fügte der Baron hinzu. - -»Welch ein Mittag!« rief die Baronesse, »ich werde ihn lange nicht -vergessen! Solche Menschen fehlen uns noch in unsrer Nähe, um mein armes -abtrünniges Kind ganz unglücklich zu machen. Aber auch Sie, Herr Sohn, -nahmen an dem gottlosen Menschen mehr Antheil, als ich oder die fromme -Kunigunde wünschen können.« - -»Mich dünkt aber,« sagte Kunigundens Gatte, »daß er manches ganz -Vernünftige sprach; ich glaube auch, daß die Frömmigkeit zu weit gehe, -und daß manche Frauen sich zu viel einbilden können.« - -Da sah ihn der Baron mit einem langen strafenden Blicke an, den der Arme -nicht aushalten konnte, und als jetzt Kunigunde laut zu weinen anfing, -die Mutter ebenfalls weinend diese in die Arme nahm, um sie zu trösten, -konnte er gerührt die bereuenden Thränen nicht länger zurück halten; er -stürzte sich auch an den Busen seiner Gattin, schluchzend und um -Verzeihung bittend. »Sein Sie alle beruhigt,« tröstete feierlich der -Baron, indem er den Blick zum Himmel erhob: »der Herr wird Alles gut -machen, denn heut Abend, wie Sie mir gesagt haben, verlobt sich mir -jenes verhärtete, uns dennoch theure Herz, durch meine schwache Hülfe -wird der Geist sie dann erleuchten, und wir alle werden Ein Herz und -Eine Liebe seyn.« - - * * * * * - -Weinend hatte sich Dorothea in ihr Zimmer geschlossen. So zerstört, -unzufrieden mit sich und der Welt, so ganz verloren und elend hatte sie -sich noch nie gefühlt. Sie war tief beschämt, daß die einfache Art, sich -der Armen anzunehmen, die ihr die natürlichste dünkte, plötzlich durch -die Einfalt des Dieners war bekannt worden; aber es schien ihr auch zu -hart, wie die eigne Mutter sie deshalb vor allen Gästen behandelt hatte, -am schmerzhaftesten aber war es ihr, daß es in Gegenwart des Mannes -geschah, den sie verehren mußte, der ihr Vertrauen gewonnen hatte, und -dessen Achtung sie sich ebenfalls wünschte. - -Es war finster geworden, ohne daß sie es bemerkte, als der Diener -klopfte, und sie zur Mutter und der Gesellschaft herab zu kommen bat. -»Mutter!« sagte sie vor sich hin: »Mutter! welch schönes Wort! Warum -habe ich keine kennen gelernt?« - -Sie ging hinab, im Saale saß die Familie versammelt, auch der junge -Offizier war gegenwärtig. Indem Dorothea herein trat, fiel ihr erst -wieder ein, weswegen sie gerufen werde. Ein Fieberfrost überfiel sie. -Alle begrüßten sie als die Braut des Barons, die Mutter sagte -freundlich, sie wolle ihr jetzt das Betragen des heutigen Tages -verzeihn, die Schwestern wünschten der Betrübten Glück, und der Baron -bedeckte ihre zitternde Hand mit zärtlichen Küssen. »Sein Sie ruhig, -sein Sie glücklich,« sagte er mit sanftem Tone, »von heut an werden Sie, -Geliebte, ganz zu uns gehören, und dieser Mensch wird das Haus nicht -mehr betreten; wohl hatten Sie Recht, und der Himmel sprach aus Ihnen, -daß ein solcher Elender nicht wandeln darf, wo wir unsre Schritte -setzen.« - -»Elender?« rief Dorothea, und riß ihre Hand so gewaltsam weg, daß der -Baron zurück taumelte. »Sie sind ein frecher Mensch, daß Sie einen -solchen Mann so zu lästern wagen!« - -»Himmel!« schrie die Mutter, »sie hat den Verstand verloren! Ein böser -Geist spricht aus ihr.« - -Dorothea besann sich wieder, sie sah das Erstaunen der Umgebenden und -suchte sich zu sammeln. »Ich bin so erschüttert,« fing sie an, »ich -fühle mich so bewegt, vielleicht daß eine Krankheit -- nur einen -Augenblick will ich mich im Freien abkühlen.« - -»In diesem Wetter?« sagte die Mutter, »in diesem Sturm und Regen, so -ohne Tuch, in Deiner dünnen Bekleidung?« - -»Es muß seyn! es muß!« rief sie aus, und hatte schon, ohne auf die -Uebrigen zu hören, die Saalthüre geöffnet, und stand im finstern kalten -Garten. Da der Regen ihr entgegen schlug, so wandte sie sich in den -bedeckten, dicht verflochtenen Gang, und ging hastig auf und nieder. -»Ihm, dem Widerwärtigen,« sagte sie zu sich selbst, »auf immer -verbunden? So tief, so tief herabgewürdigt? Und für wen? Für Jene, die -es mir niemals danken werden, die dann wieder thun, als sei mir dadurch -die größte Wohlthat erwiesen worden? Meine Seele retten? Verloren geht -sie hier, vernichtet wird sie!« - -Ein dunkler Schatten kam auf sie zu, und an der lispelnden, sanften -Stimme erkannte sie sogleich den Baron. »Meine Gute,« fing er an, »Ihre -liebe Mutter und wir alle erwarten Sie drinnen mit banger Besorgniß; -mein Herz fließt in Zärtlichkeit über, da ich Sie schon als meine -Gattin, und die Mutter meiner frommen Kinder betrachte.« - -»Himmel!« rief sie aus, »das bedachte ich nicht einmal, daß mein Elend -sich auch so weit erstrecken kann, Heuchler und böse Egoisten aus meinem -Blute entsprießen zu sehen. Aber wenn mir auch dies Unglück nicht würde, -so kann ich doch nie die Ihrige werden.« - -»Wie?« rief der Baron, »und das feierliche Versprechen, welches Sie heut -Morgen in die Hände Ihrer Mutter legten?« - -»Und wenn ich es einem Engel vom Himmel gethan hätte,« sagte Dorothea, -»so kann ich es nicht halten! Ja, wenn schon die Trauung geschehen wäre, -so müßte man uns doch wieder trennen!« - -»Seltsam, mein Fräulein! Bedenken Sie auch die Folgen?« - -»Welche können es seyn? Alles ist zu tragen gegen das unabsehbare Elend, -das meiner wartet.« - -»Wissen Sie auch, daß es Ihre Mutter fordern kann? Wissen Sie, daß diese -mir verpflichtet ist, was ich bis jetzt mit der Geduld der Liebe trug -und verschwieg, in der Hoffnung, Ihrer Familie anzugehören? Fragen Sie -sich, ob Sie unter diesen Umständen die Verpflichtungen Ihrer Mutter -nicht lösen müssen, wenn Sie für eine gute Tochter gelten wollen?« - -»Nein!« rief das Mädchen in der allergrößten Anstrengung, »lieber mit -ihr darben, für sie arbeiten, ja, für sie sterben!« - -»Es giebt aber doch noch Mittel,« sagte der Baron halb lachend, »solchen -Starrsinn zu beugen; die Rechte der Aeltern sind groß, und offenbar sind -Sie jetzt Ihrer Sinne nicht ganz mächtig; etwas Bitte, etwas Gewalt wird -schon den kindischen Willen brechen.« - -Er hatte heftig ihren Arm gefaßt, und war bestrebt, sie nach dem Hause -zu ziehen; aber das starke Mädchen riß sich behende los, und floh durch -den Gang, der Baron ihr nach, sie aber, die leichter war und die -Verschlingungen des Gartens besser kannte, war ihm bald weit voraus; -jetzt war sie an der offenen Grenze des Parks, sie überschritt auch -diese, und rannte nun über das Blachfeld wie ein gejagtes Reh, indem -abwechselnd Regen sie durchnäßte, und Sturm ihre zarten Glieder -erstarren machte. - - * * * * * - -Die Frau von Halden saß behaglich in ihrem Stübchen, indem die Bäume -draußen der Sturm schüttelte, und der Regen rasselnd gegen die Fenster -schlug. Sie war recht von Herzen zufrieden; denn für einen unerwartet -hohen Preis hatte sie ihr Gut verkauft, Alles war abgeschlossen, und -Graf Brandenstein hatte mit dem Rathe Alfred noch diesen Abend Alles in -Richtigkeit gebracht. Beide schliefen schon in den obern Zimmern des -Hauses, denn es war nahe an Mitternacht, und sie wollte sich auch eben -in ihr Schlafzimmer begeben, als ein heftiges, lautes Pochen an das -Hausthor, und eine klägliche, bittende Stimme sie erschreckten. Sie -klingelte, der Diener ward gesandt, um zu öffnen, und mit triefenden -Kleidern, zitternd und todtenblaß stürzte Dorothea herein, warf sich ihr -sogleich stürmisch an die Brust und rief mit heiserer Stimme: »Rette -mich! rette mich!« - -»Um Gotteswillen!« sagte die Freundin im höchsten Schreck, »Du bist es, -geliebtes Kind? und so, in diesem Zustande? Ich traue meinen Augen noch -nicht.« - -So sehr sie erschrocken war, so schaffte sie doch sogleich mit der -größten Freundlichkeit Wäsche und Kleider herbei, half der Erkälteten -beim Umziehen, tröstete sie lachend und freundlich, und nöthigte sie -dann, Glühwein zu genießen, den sie eiligst besorgt hatte, um den bösen -Folgen der Erkältung vorzubeugen. Dabei umarmte sie sie so herzlich, -trocknete ihr die Thränen vom Auge, küßte die Wangen, die sich schon -wieder rötheten, daß Dorothea sich fast so glücklich wie in den Armen -einer Mutter fühlte. Nach vielen tröstenden und scherzenden Worten sagte -die Frau von Halden endlich: »Nun erzähle mir kurz, wie Du zu diesem -tollen Entschluß gekommen bist, und dann geh zu Bett und verschlafe -Alles.« - -»Du mußt mich schützen,« sagte Dorothea: »Du mußt mir ein Obdach nicht -versagen, sonst muß ich verzweifelnd in die weite Welt rennen, oder die -Raserei stürzt mich in die Wogen eines Mühlteichs.« - -»Beruhige Dich, mein Kind,« tröstete jene, »Du mußt ja doch wieder nach -Hause. Aber erzähle: was ist Dir denn so plötzlich gekommen?« - -»Nur lache nicht,« rief Dorothea, »bleibe ernsthaft, meine gute liebe -Freundin, denn ich bin in Verzweiflung. Heut Morgen ließ ich mich -bereden, aus Schwäche, aus Rührung, man hatte so unerwartet meinen -Geburtstag gefeiert, daß ich versprach, mich heute Abend mit dem Baron -von Wallen zu verloben. Das sollte nun geschehen, und darum bin ich -weggerannt, weil ich ihn verabscheue, weil ich in meinem väterlichen -Hause mit meinen Geschwistern, mit meiner Mutter nicht mehr leben kann.« - -»Ich weiß wohl,« erwiederte die Freundin, »daß Du den Baron nie lieben -kannst, daß Dir in der Familie oftmals Unrecht geschah; aber dieser -Ausdruck des Entsetzens in Dir, da Du Alles so gewohnt schienst, bleibt -mir doch unbegreiflich.« - -»Immer noch fasse ich es selbst nicht,« antwortete Dorothea: »ich weiß -nicht, wie ich es Dir erzählen soll. Daß ich nicht glücklich war, mußt -Du wohl gesehn haben, wenn ich Dir auch niemals ein Wort darüber sagte. -Ach, das schreibt sich ja schon seit dem Tode meines geliebten Vaters -her. Du weißt, ich war kaum dreizehn Jahre, als er starb. O Himmel, -welch ein Mann! ich konnte damals seinen Werth nicht ermessen; aber je -älter ich wurde, je mehr blühte er in meiner Erinnerung zum verklärten -Gegenstande meiner Liebe auf. Dieser milde, freundliche Sinn, diese -Heiterkeit, Menschenliebe, stille Frömmigkeit, diese Freude an Natur und -Kunst, dieser rege, herrliche Geist -- ach! und er war auch nicht -glücklich! Ich sah, ich bemerkte es wohl, als ich etwas zu Verstande -kam, er war in der Ehe nicht glücklich, er und meine Mutter waren sich -zu ungleich, sie stritten oft mit einander. Dann war er zu Zeiten recht -tiefbetrübt, aus seinen schönen braunen Augen konnte ein unendlicher -Kummer sprechen, wenn er sie so still vor sich nieder senkte. Dann war -ich seine Freude, ich fühle es, wie ich ihn trösten konnte. Und nun war -er plötzlich dahin gegangen! Er muß es jenseits erfahren und gefühlt -haben, wie meine Herzensliebe ihm gefolgt ist. O meine Freundin, es -giebt Momente des Schmerzes, wo nur die kalte, taube Dumpfheit, in die -endlich unser Wesen versinkt, uns von Wahnsinn und Raserei errettet. So -war ich nun in Schmerz und Sehnsucht erwachsen, die Keiner theilte, -Keiner verstand. Und wie veränderte sich das Leben unsers Hauses! Statt -der heitern Mittheilungen, statt der frohen Gesellschaften ein ernstes, -feierliches Prunken. Meine jüngern Geschwister wurden in einem ganz -entgegengesetzten Sinne erzogen, als es mein Vater gewünscht hatte. -Betstunden, Andachtbücher, religiöse Gespräche füllten die Zeiten des -Tages; und mein Herz wurde immer leerer, ich konnte die Andacht nicht -mitfühlen, ja, nicht einmal an ihr Dasein glauben. Alle meine Bücher, -noch Geschenke meines Vaters, durfte ich nicht mehr zeigen, Alles war -weltlich, anstößig; ich erschrak über die Deutungen, die man den Stellen -gab, die mir die liebsten waren, die ich auswendig wußte. Göthe's -himmlische Natur selbst, seine edle Hoheit war Verführung, Sinnenlust, -und eine raffinirte Prüderie, die mir höchst anstößig schien, mußte -Tugend heißen. Meine Geschwister, so wie sie zur Besinnung kamen, -betrachteten mich als eine Ausgeartete, die für's Gute nicht empfänglich -sei; sie hörten das ja in allen Stunden, sie mußten es wohl glauben. -Zwischen ihnen und der Mutter entspann sich ein Verhältniß, welches mich -gleich sehr von beiden entfernte, und um welches ich sie doch nicht -beneiden konnte. Eine übertriebene Liebe, eine zarte Weichheit, ein -Schonen und Liebkosen, das mir oft durch's Herz schnitt; ja die Mutter -ging so weit, diese jüngern Töchter zu vergöttern, sie anzubeten und es -ihnen zu sagen, daß sie es thue. Die Schwestern behandelten die Mutter, -wie man etwa mit einer abgeschiedenen Heiligen umgehen würde, wenn sie -zu uns zurück kehrte; doch könnte ich es auch wohl nur einen Tag so -treiben, und müßte dann heiterer mit ihr bekannt werden, oder sie wieder -ganz vermeiden. Ich erinnerte mich noch wohl, wie oft mein Vater gesagt -hatte, in früher Jugend müßten die Kinder blind gehorchen lernen, damit -sie, erwachsen, der Freiheit fähig wären. Diese Freiheit des Geistes und -des Gemüthes, die den Menschen erst zum bestehenden Wesen, die die -Liebe, ein freies Hingeben, erst möglich macht, fand aber unter diesen -so eng Verbundenen doch nicht statt, ja sie wurde, wenn sie sich einmal -zeigen wollte, als die ärgste Sünde behandelt. Die kleinste Schwäche, -das geringste Vorurtheil der Mutter durfte nicht berührt werden, auch in -Kleinigkeiten, über ein gleichgültiges Buch, über einen Menschen, ja -über die Farbe eines Bandes, durfte keins eine andere Meinung hegen, als -sie. War nur von einem Spaziergange die Rede, nur zum nächsten Gut, ja, -durch den Garten, so verbot sie diesen, wenn sie nicht daran Theil -nehmen konnte oder wollte, nicht geradezu, sondern sie sagte: »Geht, -wenn Ihr ohne mich seyn könnt; ich kann zwar ohne Euch nicht leben, aber -könnt Ihr es, so will ich Euch nicht stören; bin ich doch daran gewöhnt, -Euch alle Opfer zu bringen.« Natürlich geschah nichts, und die -Schwestern gaben dann ihrem Verdruß den Anstrich der Andacht, und ich, -die ich zum Bündniß nicht gehörte, mußte ihre Launen entgelten. Mein -Muth entwich. Ich ertrug es, auch von der jüngsten Schwester -gehofmeistert zu werden. O meine Freundin! wenn ich dies alles so, was -mir verkehrt und unrecht schien, bemerkte, so ging ich dann wohl in den -einsamsten Theil des Gartens, und ließ meinen heißen Thränen ihren Lauf, -weil ich mir schlecht und gottlos erschien, daß ich mir alles dies -gestand, und meinen Wahrheitssinn, der von meinem Vater erweckt und -gebildet worden war, doch nicht unterdrücken konnte. Oft war ich so -unaussprechlich elend, daß ich Gott um meinen Tod bat. Es kamen dann -auch Zeiten, da ich doch sehn mußte, wie alle Menschen, die in unser -Haus kamen, meine Schwestern verehrten, ihnen huldigten und mich -vermieden, in denen ich mir selbst schlecht und verächtlich schien. Wenn -ich aber rang, so wie die Andern zu seyn, so brachen mir alle Kräfte -zusammen, und die Arme fielen mir gelähmt am Leibe nieder. -- Aber, -hörtest Du nicht Geräusch im Nebenzimmer?« - -»Nein, mein gutes Kind,« sagte Frau von Halden: »Alles schläft, es kann -höchstens eine Katze seyn.« - -»Kunigunde heirathete,« fuhr Dorothea fort: »die Männer, die sich um -mich bewarben, ängstigten mich nur durch ihr läppisches Wesen, andere -stießen mich durch ihre Rohheit zurück. Ich konnte nicht fassen, daß -mich einer lieben könne, ohne daß ich ihn auch innigst liebte, und darum -erschienen mir ihre affectirten, übertriebenen Redensarten so nüchtern, -und es war mir unmöglich, an ihre Leidenschaft zu glauben. Alles aber -war noch erträglich, bis der Baron Wallen in unser Haus kam; er -bemächtigte sich bald des Gemüthes meiner Mutter, die Sclaverei wurde -nun ganz unleidlich. Nun wurde erst recht im Großen mit der Liebe -geprunkt, die meine Geschwister zu einander und zur Mutter trugen; in -der ganzen Provinz sprach man davon; wenn Fremde kamen, war es wie ein -Schauspiel, in dem sich alle Tugenden entwickelten. O vergieb mir, Du -und die einsame Nacht werden meine Reden nicht weiter tragen; auch hast -Du ja selbst die Art oft gesehen, und der Himmel mag meine Empfindungen -ändern, oder sie verzeihn. Recht ängstlich aber war es, daß in diesem -gleißenden Baron ein wahrer Faun unter der priesterlichen Decke wandelt. -Clara gefiel ihm, auch Clementine; aber die Kinder, so sehr sie ihn auch -verehren mußten, erschraken doch vor dem Gedanken, ihn als Ehemann -anbeten zu müssen. Sie wurden aber bald befreit; denn die Bestimmung, -für die sie sich zu gut fühlten, wurde mir unvermerkt und künstlich -zugeschoben. Nun hörte ich immerdar, wie edel, ja wie nothwendig es sei, -sich zu opfern, wie armselig die eigentliche Leidenschaft der Liebe -erscheine, wie eine vernünftige Ehe jedes andere Glück der Erde -übertreffe. Glaube mir, ich hätte mich fallen lassen, mein Leben war -völlig abgeblüht, ich wäre das Opfer und ganz elend geworden, wenn -- ---« - -Dorothea zögerte. »Nun, mein Kind?« fragte die Freundin gespannt. - -»Wenn nicht heut,« fuhr jene im melodischen Tone fort, »heut an diesem -Tage, an dem ich geboren ward, und an welchem ich auch wieder zu leben -anfing, ein Mann erschienen wäre, der unserer Familie ein Abscheu war, -und auf den ich, nach den Beschreibungen, heftig zürnte, ein Mann, der -mein ganzes Herz umgewendet, ja neu geschaffen hat, und dessen bloßer -Anblick, wenn er auch nicht gesprochen hätte, es mir unmöglich macht, -den Baron, ja irgend einen Mann zu heirathen.« - -»Wunderbar!« rief die Frau von Halden. - -»Nenn' es so,« sagte das Mädchen: »es ist auch so, ach, und doch wieder -so natürlich, so nothwendig. In ihm, in seinem milden Blick, der -Vertrauen einflößt (glaube mir, ich hatte wirklich ganz vergessen, daß -es noch Augen giebt), in seiner verständigen Rede, in jeder seiner -Geberden erschien mir die Wahrheit wieder, die mir schon zur Fabel -geworden war, meine Jugendzeit, der Segen meines Vaters. Nie habe ich -begreifen können, was die Menschen Liebe nennen, in den Dichtern habe -ich es wohl geahndet; ich glaubte aber immer, dies himmlische Gefühl sei -für mich armes, verstoßenes Wesen nicht geschaffen; aber jetzt weiß ich, -daß es das seyn müsse, was ich für diesen trefflichen Mann empfinde, -denn ich konnte mir nicht einbilden, daß auf Erden wirklich eine solche -Erscheinung wandle.« - -»Armes Kind!« sagte die Freundin: »er ist ein ruinirter Mann, ohne -Vermögen, und wer weiß auch, ob er so für Dich empfände, denn er ist -nicht mehr jung. Jetzt geh nur zu Bett, morgen früh wollen wir mit -Verstand darüber nachdenken, wie der Baron zu besänftigen sei, und daß -der Baron Dir Ruhe läßt.« - -»Nie gehe ich zurück!« rief Dorothea mit erneuter Heftigkeit: »ich will -lieber in einem fernen Lande als Magd dienen.« - -Jetzt hörte man deutlicher im Nebenzimmer Geräusch, die Frauen stutzten, -die Thüre öffnete sich, ein Lichtstrahl drang heraus und Graf -Brandenstein trat ihnen entgegen. - -»O mein Gott!« rief Dorothea: »der Graf selbst!« - -»Ich war nicht schlafen gegangen,« antwortete dieser: »sondern arbeitete -noch, als dieser unerwartete Besuch --« - -»O Sie Heimtückischer!« rief die Frau von Halden: »und so haben Sie auch -gewiß alles gehört, was meine Freundin erzählt hat?« - -»Ich kann es nicht leugnen,« sagte der Graf: »die Wand und Thüre sind so -dünn, daß mir kein Wort verloren ging. (Dorothea zitterte heftig.) Sie -würden mich also, mein schönes, edles und mir unbeschreiblich theures -Fräulein, nicht verschmähen, wenn ich ein Vermögen zu Ihren Füßen legen -könnte?« - -»O wie beschämen Sie mich!« sagte das Fräulein --: »soll ich noch mehr -sagen?« - -»Nehmen Sie dieses Blatt,« fuhr der Graf fort: »diese wenigen Zeilen -werden Ihnen in Ihrem Hause vollkommene Sicherheit gewähren.« - -Er sah Dorotheen durchdringend an, und entfernte sich zögernd. Sie war -so bewegt und erschüttert, daß ein unruhiger Schlummer sie nur wenig -erquicken konnte. - - * * * * * - -Im Hause des Baron Wilden waren einige Freunde zu einem kleinen Balle -versammelt. Auch Alfred und der Offizier waren zugegen, und die junge -Schwester, ein liebenswürdiges Kind, schien äußerst vergnügt; auch -zeigte sich das Fräulein Ehrhard sehr munter, und Michel, der Zuschauer -war, begriff kaum, wie sie sich so schnell im schottischen Tanze bewegen -konnte. Jetzt war der Tanz geendigt, und der korpulente Wirth taumelte -erschöpft auf ein Sopha nieder. »Wird man nicht ordentlich wieder jung,« -rief er aus: »so sauer es einem auch ankommt. Daß dich, mein werthes -Fräulein Erhard, was Sie springen können! Niemals hätte ich mir bei -Ihrer Gottesfurcht so viele Elasticität vermuthet. So gefällt's mir, -wenn man das überirdische Wesen mit dem weltlichen vereinigen kann, denn -wahrhaftig, das Herz stirbt in der Demuth und dem weichen Wesen ab, wenn -es nicht wieder einmal in Lust und Freude recht aufzappeln kann. Wie ein -ganz neues Geschöpf, Fräulein Erhard, kommen Sie mir in meinem Hause -hier vor, ich hätte Sie gar nicht wieder erkannt, wenn ich es nicht -sonst wüßte, daß Sie es wären.« - -Das muntere Fräulein setzte sich zu ihm, und beide betrachteten die -tanzenden Paare. Der Rath Alfred bemühte sich sehr um Sophien, die -Schwester des Barons, welches dieser nicht ohne Wohlgefallen bemerkte. -Die Schenktische waren reichlich mit Erfrischungen versehen, und Diener -in reichen Livreen servirten auf silbernem Geschirr. »Nicht wahr,« -schmunzelte Herr von Wilden, der die wohlgefälligen Blicke des Fräuleins -wahrnahm: »hier geht es nicht so zu wie drüben, wo sie meistentheils -alle beisammen sitzen, wie Adam und Eva vor dem Sündenfalle? Hochherzige -Redensarten, apokalyptische Seufzer und eine Wundertinktur von -ambrosianischer Wehmuth. Tugend und Andacht zum Zeuche, frommes Gemüth -zum Unterfutter, und dann noch mit Reue und Buße aufgeschlagen. Nein, -man muß ein bischen sündigen, um sich dann wieder bekehren zu können; -nicht wahr, mein hochgeschätztes Fräulein? Die Beine thun Ihnen doch -nicht weh? Sie zwinkeln so mit dem Munde.« - -»Nein,« sagte diese, »ich wollte mir nur das Lachen über Ihre -sonderbaren Ausdrücke verhalten, denn Sie sind in der That ein arger -Sünder; indessen, hoffe ich, werden Sie noch Buße thun.« - -»Kommt Zeit, kommt Rath,« sagte der Baron: »sehn Sie, ich habe mich klug -eingerichtet, ich habe in meiner Jugend eine Menge Sünden im voraus -begangen, damit ich in meinem Alter hübsch was zu bereuen hätte, um mir -nicht, wie mancher Pietist, die Verbrechen aus den Fingern zu saugen, -und um nichts und wider nichts Gewissensscrupel zu machen. O, davon kann -ich Ihnen noch einmal in manchem Nachmittagsstündchen erzählen, daß Sie -Ihr blaues Wunder daran haben sollen.« - -»Aber auch dergleichen Reden sind wieder Sünde,« antwortete das -Fräulein. - -»Nein,« rief Herr von Wilden, »durch das Mikroskop müssen Sie meine -Tugend nicht betrachten, sonst werden wir nicht mit einander fertig; -denn bei mir geht Alles etwas ins Große, verfeinert sind meine -Verdienste so wenig, wie meine Laster. Aber sehn Sie, wie unter allen -meinen Gästen der Herr von Böhmer so einsam am Ofen steht, und mitten in -der Musik seine Kalender macht! Herr Lieutenant, kommen Sie doch, und -tanzen Sie einmal mit einer von diesen Damen.« - -»Ich tanze niemals,« sagte der junge Offizier, indem er näher trat: -»auch würde ich nicht hergekommen seyn, wenn mich nicht Fräulein Erhard -eingeladen hätte, von der es mir wohl nicht einfallen konnte, daß sie es -auf einen tobenden Ball abgesehen hatte.« - -»Sollte dem Reinen nicht alles rein seyn?« fragte das Fräulein mit -vieler Salbung. - -Alfred, der hinzu getreten war, antwortete: »Gewiß ist dies die richtige -Ansicht, und es wäre lustig genug, wenn Herr von Wilden durch das -Fräulein, und dieses durch unsern fröhlichen Baron bekehrt würde. Aber -Du, Ferdinand (indem er sich an den Offizier wandte), trägst auch nicht -eine einzige festliche Miene auf Deinem finstern Angesicht.« - -»Ich gehe von hier,« antwortete dieser, »zur Baronesse hinüber, wirst Du -mich begleiten?« - -»Nein, mein Freund,« antwortete dieser, »und ich gedenke auch, diesem -Kreise nie mehr zur Last zu fallen; denn diese prunkende Gleißnerei ist -mir neulich deutlich genug geworden. Wie danke ich es dem wackern Manne, -der mir diese Binde vom Auge schüttelte.« - -»Du meinst den Graf Brandenstein?« sagte jener: »Du nimmst also die -Partei des Bösen gegen den Frommen, der Sünde gegen die Tugend?« - -»Lassen wir jetzt diese Reden,« antwortete Alfred, »ich fühle mich, seit -ich diesen Mann kennen gelernt habe, mündiger.« - -»Wissen Sie denn,« fiel der Baron ein: »etwas von der Geschichte? Der -Wilde, der Amerikaner, soll ja nun angekommen seyn, ein gefleckter, -kupfriger Mensch, mit Haaren wie Schuppen oder Stacheln. Auch sagen die -Leute, dies unbändige Thier würde die störrige Dorothea heirathen.« - -»Man weiß nichts Gewisses,« sagte Alfred: »der Amerikaner wird übrigens -wohl ein Mensch wie alle seyn, und folglich ist sie mit ihm wohl -glücklicher, als mit dem Baron Wallen.« - -»Den Du nicht zu schätzen verstehst,« rief der Offizier, indem er sich -nach einer kleinen Verbeugung entfernte. - -»Sie meinen,« fuhr der Baron fort: »ein wohlerzogenes Mädchen könnte mit -einem solchen See-Ungeheuer glücklich leben? Aber freilich müssen im -Leben wohl vielerlei Arten von Glück verbraucht werden, damit Jeder -etwas bekommt, was für ihn paßt; und wie ich höre, ist ja die hübsche -Dorothea so gottlos, daß vielleicht der gottloseste Menschenfresser für -sie nicht zu schlimm ist.« - -»Sie sind unrecht berichtet,« antwortete Alfred, und wollte eine -Erzählung anfangen, als die freundliche Sophie herbei hüpfte, um ihn zu -erinnern, daß er mit ihr zur Quadrille versprochen sei. Der Baron trank -indessen, und versprach dem Fräulein Erhard die nächste Polonaise, auf -jeden Fall aber den fröhlichen Kehraus mit ihr zu tanzen. - - * * * * * - -Als man in jener Nacht Dorotheen vermißte, und der Baron die Geschichte -seiner unglücklichen Werbung mitgetheilt, gerieth das ganze Haus in die -größte Verwirrung. Man sendete Boten mit Lichtern aus, aber alle kamen -in der stürmischen Nacht ohne Nachricht wieder. Die Mutter war sehr -unruhig, und schien sich Vorwürfe zu machen, daß sie ein heftiges -Gemüth, das sie an ihrer ältern Tochter kannte, zu weit getrieben habe. -Sie schlief nicht, sondern irrte im Hause umher, und die beiden jüngern -Töchter suchten sie zu trösten. Am Morgen erschien ein Bote von der Frau -von Halden, der der Baronesse ein Billet übergab, und bald darauf fuhr -eine Kutsche vor, aus welcher Dorothea stieg, welche die Mutter mit -gezwungener Fassung aufnahm. Man sprach nur wenig, aber kein Wort des -Vorwurfes ließ sich vernehmen, eben so wenig konnte die Tochter eine -Entschuldigung vorbringen. - -Der Baron, welcher Alles ängstlich und verwirrt beobachtet hatte, sagte -endlich, als er sich mit der Baronesse allein sah: »Dies Blatt hat ja -Wunder gethan! Von allem, was Sie sich gegen das ungerathene Kind -vornahmen, ist nicht das Mindeste geschehen, Sie sind im Gegentheil -gütiger als jemals gegen sie. Darf ich nicht wissen, von wem es kommt, -und was es enthält?« - -Die Baronesse erröthete. »Es kommt von dem Brandenstein,« sagte sie mit -ungewisser Stimme: »doch enthält der Schluß die gröbste Verläumdung.« - -Der Baron las: »Im Fall Sie, wie ich gewiß hoffe, Ihre edle, trauernde -Tochter freundlich aufnehmen, sie unter keinem Vorwande quälen, an die -Ehe mit dem Baron Wallen nicht mehr denken, so verspreche ich Ihnen das -Capital, welches der Baron an Sie zu fordern hat, und außerdem ein -bedeutendes Darlehn, beide ohne Zinsen, auf unbestimmte Zeit. Zwingen -Sie mich nicht, gegen Sie aufzutreten, es möchte sonst manches bekannt -werden, was sich nicht zu dem Tugendbilde eignet, das die Welt in Ihnen -bewundert. Gewiß darf ich mich unterschreiben - - Ihren Freund - _G. Brandenstein_.« - -»Dieser Zettel besagt,« schmunzelte der Baron: »daß unser heroischer -Graf über ansehnliche Summen zu disponiren hat, und daß sein -amerikanischer Freund oder Schützling, dessen Hofmeister und Verwalter -er spielt, so ziemlich blödsinnig seyn mag, ganz so, wie ich mir vom -Anfange die Sache gedacht habe. Der edle Mann wird nach Umständen seine -Hand tief in den Beutel des fremden Wunderthieres tauchen, und so -verschwindet denn bei näherer Prüfung bei jedem aufgedunsenen Cato die -falsche Vergoldung, und setzt sich in Kupfer um.« - -Die Sache bekam aber doch einen andern Schein, als am folgenden Tage ein -Brief des Grafen anlangte, in welchem er für seinen reichen Amerikaner -um die Hand Dorotheens anhielt. Er hätte sich überzeugt, so schrieb er, -daß sein Freund, da er ihn genau kenne, nur mit diesem Wesen glücklich -seyn könne. - -Dorothea, die ganz in ihren Gedanken und Empfindungen verloren war, -erschrak über diesen Antrag; sie lehnte ihn heftig ab, ihr Herz -verzweifelte, daß der Graf, der ihre ganze Seele gesehn hatte, diesen -Vorschlag thun konnte. Also kein Gefühl, seufzte sie im Stillen, nicht -das kleinste für mich, die ich ihn nur denke und träume. - -Auf die abschlägige Antwort der Mutter erfolgte ein noch freundlicherer -Brief des Grafen, er bat für seinen Unbekannten, der binnen Kurzem -erscheinen würde, nur um die Erlaubniß, sich zeigen zu dürfen, daß -Fräulein Dorothea ihn so viel würdigen möge, ihn und seine Gesinnungen -kennen zu lernen. - -Auf diesen Antrag hatte Dorothea nichts erwiedert. Im stummen Schmerz -beachtete sie die Zeit nicht, und ihre Angehörigen mußten ihr anzeigen, -es sei nun Tag und Stunde da, in welcher der sonderbare Freiwerber -auftreten würde. Frau von Halden war als Freundin zugegen. Ein Postzug -englischer Pferde sprang vor, ein kostbarer Wagen und Domestiken -erschienen. Dorothea war im Gartensaal einer Ohnmacht nahe. Brandenstein -trat hochzeitlich geschmückt in der Schönheit des Mannes herein. »Und -ihr Freund?« fragte die Mutter. »Nur die theure, geliebte Dorothea ist -es,« antwortete er, auf diese zueilend: »von welcher mein Scherz -Verzeihung erflehen muß, ich bin der Amerikaner selbst, jene Herrschaft -ist nun endlich mein, und meinem Glücke fehlt nur noch ein Wort von -diesem holdseligen Munde.« - -Dorothea blühte auf, sah ihn mit einer Thräne im glänzenden Auge an und -reichte ihm ihre Hand. »Wir fahren sogleich, meine Theuern,« indem er -Alle begrüßte: »auf das nächste Gut, welches bisher der Frau von Halden -zugehörte: ich habe die Erlaubniß zur Trauung, das Haus ist geschmückt, -der Geistliche wartet.« - -Nur der Brautkranz ward dem Mädchen in das Haar geheftet, dann stiegen -Alle in den Wagen. Der Graf umarmte seine Braut, und drückte den ersten -Kuß auf ihre Lippen. »Durfte ich diese Seligkeit hoffen?« sagte er mit -Thränen: »mußte mir die Liebe dieser reinen Seele begegnen? Dasselbe -Kind wird die Freude meines Lebens, welches ich vor Jahren, neben Deinem -theuren Vater sitzend, auf den Knieen wiegte? Sieh, hier bist Du in -jener Sturmnacht verzweifelnd gewandelt. In demselben Zimmer erwartet -uns der Geistliche, in welchem Du damals der Freundin das Bekenntniß -ablegtest, das mich wie Blitze durchdrang.« - -Dorothea war so glücklich, so vom Schmerz zur Wonne erwacht, daß sie nur -wenig sprechen konnte. -- Die ganze Provinz ertönte von dem Reichthum -des Grafen, von dem wunderbaren Glück des Fräuleins, und alle Nachbarn -waren Zeugen dieser glücklichen Ehe. - -Als Alfred sich mit Sophien verlobte, meldete auch der Baron Wilden -seine Verbindung mit dem Fräulein Erhard. Den Freunden, die sich darüber -wunderten, antwortete er: »Seht, besten Leute, Einsamkeit und Langeweile -machen viele Dinge möglich; dazu hat meine Braut viele gute -Eigenschaften, und ist viel lustiger geworden, als sie ehemals war. Auch -bemüht sie sich außerordentlich um meine Bekehrung, und das ist nichts -Leichtes, da in meinem fetten Körper meine Seele so viel tiefer liegt, -als bei andern Menschen. Ich bin nun auch bald auf meine Weise fromm, -sorgt nur dafür, daß die Sache hübsch in der Mode bleibt, damit ich -nicht wieder einmal, wie ein Krebs, rückwärts gehn muß.« - -Nach einiger Zeit fanden der Baron Wallen und die Baronesse es auch -besser, sich durch die Ehe zu verbinden, da er keine der Töchter -erhalten konnte, und ihm der Umgang dieser Familie doch unentbehrlich -geworden war. - -Alfred lebte nachher viel im Hause des Grafen, dessen Geschäftsträger er -war, und noch oft erinnerte sich Brandenstein mit Entzücken, daß das -Schicksal es ihm gegönnt habe, in seiner Gattin die edle Perle zu -finden, die von ihrer ganzen Umgebung und von den nächsten -Blutsverwandten so gänzlich verkannt wurde. - - - - - Die Reisenden. - Novelle. - - -Es war an einem schönen Sommernachmittage, als drei junge Männer in -lebhaften Gesprächen im schattigen Lindengange auf- und niederwandelten. -Keiner kannte den Andern genau; noch weniger waren sie Freunde: und -daher betraf ihre Unterhaltung auch nur unbedeutende Gegenstände. Doch -wurde laut und sogar heftig gesprochen, weil der jüngste der Redenden es -seinem Charakter und ausgezeichnetem Verstande angemessen hielt, seine -Gedanken und Meinungen nicht ruhig, sondern in einem gewissen zänkischen -und anmaßenden Tone vorzutragen, durch welchen er vielleicht seine -Gegner eher zum Schweigen zu bringen, wenn auch nicht zu überzeugen -glaubte. Sie sind, wie Sie mir gesagt haben, Arzt (so rief er eben jetzt -aus), und als ein solcher haben Sie sich seit Jahren gewöhnt, das ganze -Menschengeschlecht aus dem Gesichtspunkte der Kränklichkeit anzusehen. -Wir Gesunden aber werden uns gewiß nicht so leicht, Ihrem Metier zu -Gefallen, unsre feste Ueberzeugung nehmen lassen. - -Mein Herr von Wolfsberg, erwiederte der Arzt, von meinem Metier, wie Sie -es zu nennen belieben, kann hier gar nicht die Rede seyn. - -Ja wohl, sagte der dritte Sprechende, welcher der Ruhigste schien. Wie -kommen wir denn überhaupt dazu, zu streiten? Wir reden ja nur über -allgemeine Gegenstände, die unmöglich einen von uns persönlich aufreizen -können. - -Warum nicht, mein ruhiger Herr Justizrath? rief der Baron noch lebhafter -aus; denn gewiß können wir über die Leidenschaften nur dann etwas -Bedeutendes aussprechen, wenn wir sie im eignen Herzen erfahren haben, -und es scheint wohl, daß Sie alle Ihre klügelnden Beobachtungen nur aus -mittelmäßigen Büchern schöpften. - -Wenn Sie die Sache schon vorher abgemacht haben, antwortete der ruhige -Mann, so thäten wir wohl besser, das ganze Gespräch zu schließen. - -Es wandelt sich in der anmuthigen Kühle gut, sagte der Arzt; ereifern -wir uns nicht, gönnen aber dem Herrn _Baron_ diese Motion, die ihm nach -dem Mittagsmahle wohl zuträglich seyn mag, da lebhaftere Geister und -Temperamente auch im Verlauf des Tages mehr Lebenskraft verbrauchen, als -wir übrigen. - -So ist es, erwiederte der Baron mit vieler Selbstgenügsamkeit. Und ist -es denn wohl anders mit der Liebe, über welche sich unser Streit anhob? -Will ich es denn den sanften, stillen Gemüthern zum Vorwurf machen, wenn -sie meinen und behaupten, ein einziger Gegenstand könne ihre Seele für -die ganze Lebenszeit ausfüllen? Giebt es doch auch Menschen, die nur -wenige Gedanken brauchen, noch weniger Bücher; die einen Monat lang sich -an einer Flasche Wein vergnügen; die bei einem Schmause anderthalb -Austern verzehren, und wenn sie in jedem Frühling einen Spaziergang mit -der ganzen auferbauten Familie gemacht haben, die Natur dann wieder, wie -eine Bude, bis zum künftigen Jahre verschließen. Lassen wir diese -genügsamen Lämmerseelen in ihrer stillen Friedfertigkeit; nur stelle man -sie uns nicht als Muster hin, wenn sie sich in grünen Tagen in eine -verblaßte Amarillis vergaffen, und nachher mit erkaltetem Herzen in -alberner Treue ihr Leben verwinseln, stolz sind auf diese felsenfeste -Tugend, und auf feurige Gemüther, auf Herzen, die der Fülle und des -jugendlichen Wechsels bedürfen, mit moralischer Verachtung hinab blicken -wollen. - -Nach einigen Erwiederungen ließ man dies Gespräch fallen, weil es -deutlich wurde, daß der Edelmann nur sich selbst und seinen -Leidenschaften das Wort reden wollte. Wohin gedenken Sie von hier zu -reisen? fragte endlich der Arzt. - -Ich weiß es selbst noch so eigentlich nicht, antwortete der Baron: und -wenn ich es auch wüßte, so würde ich es Ihnen nicht sagen. - -Warum das? - -Weil das eben, fuhr jener fort, auch zu meinen Eigenthümlichkeiten -gehört, weßhalb mich so viele bürgerliche Menschen mit dem Namen Genie -verlästern wollen. Wenn ich so recht eigentlich zur Lust reise, so halte -ich mir die ganze Welt mit ihren erfreulichen Zufällen offen; ohne Paß, -ohne Briefe, ohne Bedienten oder Kutscher, ohne alle die Zugaben, die -unser Leben nur belästigen, tauche ich, wie die Schwalbe in die blaue -Luft, in die Schönheit der Natur hinein, und hinter mir muß jede Spur, -so wie die der Welle im Strome, verschwinden. An einige Häuser ist schon -im voraus geschrieben, wo ich Gelder finde, wenn ich sie brauche, doch -führe ich so viel mit mir, als ich nöthig zu haben glaube. Dient es mir, -so wechsle ich auch mit meinem Namen; und so wissen Sie von mir nur so -viel, als ich für gut befunden habe, Ihnen mitzutheilen, und können -nicht darauf wetten, daß der Name, den ich Ihnen genannt habe, mein -wirklicher sei. - -Sie können, sagte der Justizrath, auf diese Weise aber neben manchen -angenehmen Zufällen auch auf sehr widerwärtige stoßen. - -Jede Verwicklung wird sich doch nur lustig lösen, und wer die Menschen -will kennen lernen, sollte durchaus nur in meiner Manier reisen. - -Der Arzt konnte sich nicht entbrechen, die Frage zu thun: Was nennen Sie -Menschenkenntniß? Da Sie die meisten Menschen schon vor der Untersuchung -für _Narren_ halten, so lohnt es sich schwerlich der Mühe, sie noch zu -beobachten. - -Zugegeben, rief jener, Sie thäten mir nicht so ganz Unrecht; ist denn -nicht noch immer an den verschiedenen Modificationen eines und desselben -Stoffes zu lernen? Ist es denn nicht auch erhebend und beruhigend, sich -selbst an diesem und jenem zu messen? Das scheint mir eben die ächte -Humanität, keinen zu verschmähen, und aufzumerken, welche Thorheit wir -schon abgelegt haben, welche wohl noch unentwickelt in uns ruht, zu -welcher wir keine Anlage spüren, warum _wir_ uns für besser als andere -halten dürfen, um so in uns hochfahrenden Stolz und kleinmüthige -Bescheidenheit in das gehörige Gleichgewicht zu setzen. - -Dann thäten Sie aber vielleicht besser, erwiederte der Arzt mit -übertriebener Höflichkeit, sich gleich an die wahre Quelle zu begeben, -und sich die mühseligen Umwege zu ersparen. - -Und wo flösse diese? - -Wie die Engländer, fuhr der Arzt fort, sich in Deutschland gern in -Pension geben, um unsere Sprache zu lernen, so sollte ein Kosmopolit, -der sich so für das, was man Narrheit nennt, begeistern kann, geradezu -vor die rechte Schmiede gehn, und sich ein Jahr lang in einem gut -versehenen Narrenhause als Kostgänger verpflegen lassen. - -Sie sind ein Arzt! rief der Baron in der größten Erbitterung: man sagt -mir, Ihre Reise sei auf diese Anstalten gerichtet, vielleicht um die zu -finden, die Ihnen am meisten behagt, und sich dort niederzulassen. -- Er -warf noch einen grimmigen Blick, dann eilte er schnell den Lindengang -hinunter. - -Sie haben unsern edeln Unbekannten überrascht, sagte der Justizrath: wir -werden seine theuere Gesellschaft darüber verlieren. - -Er ist unerträglich, rief der Arzt aus. Sie haben es selber gehört, -welche Geschichten er von sich an der Wirthstafel erzählt, wie alle -Weiber ihm entgegen kommen, mit welcher Leichtigkeit er Liebschaften -anknüpft und wieder löst. Gestern vertraute er mir, daß er seine Heimath -plötzlich verlassen habe, weil ein unglückliches Mädchen gegründete -Ansprüche an ihn mache. Die Arme wird nun vielleicht mit einem Kinde -ihres Jammers nach ihm aussehn, indessen er sich mit seiner feigen -Gewissenlosigkeit wie mit einer Tugend brüstet, und nach neuen -Schlachtopfern seines verderbten Herzens sucht. - -Der Justizrath meinte, er sei vielleicht nicht ganz so schlimm, sondern -möge wohl zu jener armseligsten Gattung von Prahlern gehören, die sich -mit einer Verworfenheit brüsten, zu der ihnen doch der Muth ermangle. - - * * * * * - -Der junge Baron war indessen zornig ins Feld gelaufen. Er mußte sich -seine Verdienste in den glänzendsten Farben dicht vor das Auge rücken, -um seinen Verdruß zu überwinden. Indessen stellte sich bald seine gute -Laune wieder ein, besonders durch Aussicht auf ein nahes und -freundliches Abenteuer, das seiner Eitelkeit schon im voraus -schmeichelte. Auf dem Walle, welchen große Linden schmückten, hatte er -hinter einem Gitterfenster ein schönes blondes Köpfchen, einen -blendenden Hals und Nacken bemerkt; schöne Augen hatten ihm nachgesehn, -ein freundlicher Mund hatte ihn angelächelt, und ein dreister Gruß war -ihm endlich bei seinem dritten Vorüberwandeln entgegen gekommen. Er -hatte die Schöne auch in der Ferne nicht ganz aus dem Gesichte verloren: -er wollte nur die zunehmende Dämmerung und die größere Einsamkeit der -Gegend abwarten, um sich ihr zu nähern, Bekanntschaft zu machen, und -sie, wenn die Umstände sich günstig erwiesen, zu besuchen. Er -betrachtete sich selber wohlgefällig und ging mit Behaglichkeit die -Scenen seines bunten Lebens durch, indem er sich vornahm, daß diese -phantastische Reise ihm noch angenehmere Abenteuer zuführen solle. - -Wieder schaute das Lockenköpfchen durch das Gitter, lächelte, winkte und -zeigte sich sehr erfreut, als es den geputzten, schlanken Spaziergänger -von Neuem vorbei gaukeln sah. Der Abend nahte schon, die Sonne ging -unter. Er benutzte die Einsamkeit, um zu grüßen, stehn zu bleiben, und -mit fragender Geberde auf die Thür zu deuten. Sie nickte und entfernte -sich schnell. Er öffnete die Thür und stieg die Treppe hinauf. Sie -empfing ihn oben; »nur leise, leise!« flüsterte sie, indem sie ihn in -ihr Zimmer führte. So viel er in der Dunkelheit unterscheiden konnte, -fand er das Gemach zierlich ausgeschmückt; er bemerkte, daß seine -Führerin in Atlas gekleidet war. »Liebchen!« sagte sie mit leiser -Stimme, »gedulde dich hier einen Augenblick, ich bin gleich wieder bei -dir; ich will mich nur putzen und Licht bringen. Aber rühre dich nicht, -daß meine Feinde dich nicht gewahr werden!« - -Mit diesen Worten ging sie in ein Nebenzimmer. Dem Abenteurer fing an, -unheimlich zu Muthe zu werden. Da schlich man leise die Treppe herauf. -Er besorgte einen Ueberfall und wußte nicht, welchen Entschluß er fassen -sollte; doch trat Niemand ein, aber er wurde zu seinem Erstaunen gewahr, -daß man von außen die Thür verschloß. Als er jetzt von unten eine -männliche Stimme zu einem andern sagen hörte: er ist drinnen; er kann -uns nicht entwischen! so sträubten sich ihm die Haare vor Entsetzen. -Sein Schauder wurde aber noch vermehrt, als jetzt die Schöne mit einer -brennenden Wachskerze wieder in das Zimmer trat. Hals und Busen waren -fast ganz entblößt und schimmerten wie Marmor; ihr Auge strahlte in -seltsamem Glanze, ein Diadem von Goldpapier stand auf dem Haupte, große -Glasperlen hingen auf den weißen Schultern, Stroh und Blumen rankten -sich um den Leib. So schritt sie mit Lachen und wilder Geberde auf den -Geängsteten zu, der seine Gedanken noch nicht ordnen konnte, als die -andere Thür wieder aufgeschlossen wurde, die räthselhafte Schöne mit -einem lauten Schrei das Licht fallen ließ, und zwei starke Männer den -Verwirrten in der Dunkelheit faßten, ihn die Treppe mehr hinunter trugen -als führten, und ihn unten schnell in einen offen stehenden Wagen -warfen. Ehe er noch fragen, sprechen, sich besinnen konnte, war die Thür -des Wagens zugeschlagen, und im schnellsten Trabe fuhr dieser mit ihm -durch die finstre Nacht über das Feld davon. - - * * * * * - -Am andern Morgen kam der Arzt in Eile und großer Bewegung zum Rathe. Was -ist Ihnen? fragte dieser: es muß etwas Außerordentliches begegnet seyn. -Theuerster Walther, rief der Arzt aus, unser Beisammensein, mein -Aufenthalt wird plötzlich auf die unangenehmste Weise gestört und -unmöglich gemacht. Sie haben ja zuweilen einen jungen Menschen in meiner -Gesellschaft gesehen, der uns oft genug lästig fiel. Dieses Original, -schon einfältig, stumpf und zugleich leidenschaftlich von Natur, durch -eine verwahrlosete Erziehung aber völlig zum Thoren gemacht, ist mir von -seinem Vater, einem reichen Grafen in Schwaben, in der Hoffnung -anvertraut worden, daß eine Reise unter meiner Aufsicht ihn vielleicht -bessern und von seinem verwirrten Zustande befreien könnte. Ich nahm -damals diesen mißlichen Auftrag sehr ungern über mich, und würde mich -gar nicht darauf eingelassen haben, hätte ich die unzähligen -Verdrießlichkeiten vorher sehn können, die mit demselben verknüpft sind. -Das hätte ich aber niemals vermuthet, daß dieses drückende Verhältniß -mich von Ihnen trennen und meine Freiheit völlig aufheben würde. - -Aber wie ist dies möglich geworden? fragte der Rath. - -Sie sollen es gleich hören, war die Antwort. Nachdem dieser junge Mensch -schon tausend Händel angezettelt, die ich wieder habe schlichten müssen, -oft durch Geld, zuweilen mit guten Worten, immer aber auf Unkosten -meiner Zeit und guten Laune, hat er es seit gestern Abend für gut -gefunden, sich unsichtbar zu machen. Ich habe schon zu allen Bekannten -geschickt, auf der Post Erkundigung eingezogen, in allen Wirthshäusern -nachgefragt: aber man will nirgend von ihm wissen. Es würde mir keine -große Sorge machen, wenn er nicht Mittel gefunden hätte, Schrank und -Schatulle zu öffnen, und hundert Goldstücke, so wie bedeutende Wechsel -mitzunehmen; dies überzeugt mich, daß er gesonnen ist, seine -Bekanntschaft mit mir nicht zu erneuern, so lange diese Summen -vorhalten. Ich darf den Thörichten nicht seinem Schicksal überlassen, -sondern muß ihn wieder zu finden suchen; dies ändert mein Reiseprojekt. -Ungern nur würde ich ihn in öffentlichen Blättern auffordern und -kenntlich machen. - -Und Sie glauben nicht, fragte der Freund, daß er mit diesem Gelde in -seine Heimath zurückgekehrt sei? - -Auf keinen Fall, erwiederte der Arzt; es liegt ihm zu viel daran, frei -und ungehindert in der Welt umher zu schwärmen. Seine Leidenschaft ist, -allenthalben Händel anzufangen und in gemeinen Trinkstuben Zank zu -erregen; er freut sich dann, einige Stunden auf der Wache zu sitzen, um -nachher als Graf Birken ausgelöst zu werden. Am schlimmsten aber ist es, -daß er mit Kammermädchen und Aufwärterinnen Liebeshändel anspinnt und -ihnen die Ehe verspricht; und ich muß am meisten fürchten, ihn auf diese -Weise verheirathet wieder zu finden. - -Und was denken Sie nun zu thun? - -Ich muß ihn aufsuchen, und wenn ich ihn in einigen Wochen nicht wieder -antreffen sollte, die ganze Sache seinem Vater melden. - -Ein Diener trat eilig herein, gab dem Rathe einen Brief und entfernte -sich wieder. Walther las und wurde nachdenkend. Verweilen Sie noch zwei -Tage hier, sagte er endlich, und ich reise vielleicht mit Ihnen. Ich -suche ebenfalls einen Verlornen, der mir und seinen Freunden schon seit -Jahr und Tag aus dem Gesichte gekommen ist, einen jungen Mann, der Ihrem -Entflohenen freilich auch nicht auf das Entfernteste gleicht. Ich glaube -jetzt auf seiner Spur zu seyn, und wenn Sie unterdessen den -Entsprungenen nicht wieder kommen sehen, oder keine bestimmte Nachricht -über seinen Aufenthalt empfangen, so könnten wir die Reise, die wir uns -vorgesetzt hatten, immer noch in Gesellschaft unternehmen. - -Der Arzt war derselben Meinung, und man versprach sich, am andern Tage -eine nähere Abrede zu treffen. - - * * * * * - -Der verschlossene Wagen fuhr mit dem jungen Baron die ganze Nacht -hindurch fort. Allenthalben waren schon Pferde in Bereitschaft, und da -der Mond sehr hell schien, konnte man so schnell, wie bei Tage reisen. -In den dicht verhängten Wagen fielen nur wenige Strahlen hinein; doch -bemerkte der Entführte, daß ein Mann an seiner Seite, und ein anderer -ihm gegenüber saß. Als er sich von seinem ersten Erstaunen erholt hatte, -wollte er seinen Gesellschaftern Rede abgewinnen; aber sie beantworteten -keine seiner Fragen oder Bemerkungen. Wohin führt man mich? rief er -endlich in der größten Ungeduld. Ruhe! antwortete der starke Mann, Alles -wird sich aufklären. -- »Man verkennt mich, man verwechselt mich mit -jemand anderm!« -- »»Nichts weniger.«« -- »Was hat man mit mir vor?« -- -»»Morgen am Ort Ihrer Bestimmung werden Sie Alles erfahren.«« - -Als der Gefangene Miene machte, den Wagen zu öffnen, ergriffen ihn die -Unbekannten gewaltig, und der eine rief drohend: keine Umstände! Finden -Sie sich nicht gutwillig, so haben wir das Recht, Sie zu binden und zu -knebeln; das geschieht auch bei dem ersten Versuche zu entfliehen, oder -wenn Sie jemand Fremdes anreden wollten. Auch kann es Ihnen nichts -nutzen; denn wir haben die gemessenste Ordre, die wir vorzeigen können, -und auf welche uns in jeder Stadt Beistand geleistet werden muß. - -So fügte sich denn der Entführte und sann stillschweigend nach, für -welche Begebenheit seines frühern Lebens ihn etwa dieses Unheil treffen -möchte. So in seinen Busen und dessen Geheimnisse eingehend, fand er -mehr auf der Rechnung stehen, als er in seinen heitern und zerstreuten -Stunden vermuthet hatte. Je länger er in der stillen Nacht fuhr, je -größer wuchs in seiner Erinnerung sein Sündenregister an, und er -zitterte vor der Entwicklung seines Schicksals; denn Vestung, -lebenslängliche Einkerkerung, ja selbst das Aergste standen vor seiner -erregten Phantasie. Er wandte sich von diesen Bildern des Schreckens ab, -und suchte sich wieder zu überreden, Alles, was man ihm vorwerfen könne, -sei doch nur Jugendthorheit und Leichtsinn. Mit Wehmuth mußte er an die -hochmüthigen Reden gedenken, die er vor Kurzem noch gegen den Arzt -geführt, und alle seine Zweifel kamen wenigstens darin überein, daß jene -Handlungen, mit denen er als eben so viel Tugenden und Kraftäußerungen -geprahlt hatte, doch wohl Sünden, oder gelindestens Verirrungen zu -nennen wären. So blätterte er in dem dunkeln Buche seines Gewissens hin -und her, und nahm sich vor, wenn ihn ein günstigeres Schicksal aus -dieser Bedrängniß erlösen sollte, seinen Lebenslauf mit viel mehr -Anstand und etwas mehr Weisheit zu führen. - -Man fuhr die ganze Nacht und auch den folgenden Tag. Der Gefangene hatte -sich fast schon an seinen Zustand gewöhnt, und die Furcht, daß seine -Lage noch viel schlimmer werden könnte, machte, daß er die gegenwärtige -mit Geduld ertrug. Hätte er sich ganz frei und ohne Schuld gewußt, so -würde er in seinem Bewußtsein Waffen gefunden haben, sich dieser Gewalt -zu widersetzen; aber der Zagende bettelte jetzt von jeder Stunde seines -Daseins noch eine dürftige Erquickung, im Aufschub und in der -Verzögerung fand er eine Art von Glück, und vergaß sogar in manchen -Augenblicken, daß sich sein Schicksal doch endlich, und wohl bald, -entwickeln würde. - -Am Abende, als es schon wieder finster ward, kam man an. Durch ein Thor, -das sogleich wieder verschlossen wurde, fuhr der Wagen. Man brachte -Licht. Ein Schreiben ward von einem der Begleiter hinaus gereicht. -»Immer neue Gäste, immer mehr Geschäfte!« murrte eine dumpfe, -verdrießliche Stimme draußen. Man fuhr in den Hof. Indem man ausstieg, -ging einer der Männer jenem nach, der erst geschmollt hatte, und sagte: -Ja, werther Herr Direktor, endlich haben wir ihn Gott Lob! erwischt; -fünf Tage hatten wir ihm vergeblich aufgepaßt. -- War er ruhig? fragte -jener. -- »Ja, er hat sich so leidlich vernünftig aufgeführt. Ein paar -Mal wollte er närrisch thun. Je nun, wir sind ja alle Menschen!« - -Das Letzte hörte der Entführte nur noch aus der Ferne. Er befand sich -schon auf einer großen Treppe, zu welcher ihm zwei Menschen hinauf -leuchteten. Ist Numero 18. aufgeschlossen? fragte der eine. Ja! scholl -es von oben herab, und zugleich ward der Fremde in ein kleines, -behagliches Zimmer hinein geschoben, in welchem Stühle, Tische, ein Bett -und Sopha sich befanden. Lichter wurden hingestellt, und ein -freundlicher Mann trug eine Abendmahlzeit auf. »Herr Friedrich, sagte -der eine Diener, Sie haben doch nichts vergessen?« -- Gewiß nicht, -antwortete der kleine Mann; Alles ist schon mit dem Direktor abgemacht. - -Man ließ den Fremden allein. Da er hungrig war, aß er mit großem -Behagen; nur vermißte er ungern den Wein, doch ließ ihn der Durst das -Wasser schmackhafter finden, als er es unter andern Umständen für -möglich gehalten hätte. Er öffnete das Fenster. Eisenstäbe verwahrten -es; doch blickte er im Mondlicht über eine reiche und mannigfaltige -Landschaft hin. Die Thür fand er verschlossen. - -Als man den Tisch wieder abgeräumt hatte, legte er sich nieder, und -schlief auf die Anstrengung des Körpers und Geistes ruhig und lange. -Nach dem Frühstück wurde die Thür mit einigen Ceremonien geöffnet, und -ein starker, untersetzter Mann mit finsterer Miene und braunem Gesicht -trat herein, dessen grollende Stimme er sogleich für diejenige erkannte, -die er schon gestern Abend gehört hatte. - -Der finstere Mann warf einen durchdringenden, festen Blick auf ihn, und -der Baron, der sich am Morgen eine lange, wohlgesetzte Rede ausgesonnen -hatte, um seine Unschuld und das Mißverständniß, das über ihm schweben -müsse, aus einander zu setzen, wurde so verwirrt und beängstigt, daß er -jedes Wort vergaß und nur wünschte, diesen Besuch erst wieder los zu -seyn. - -Haben Sie gut geschlafen? fragte der verdrießliche Mann. - -»Besser, als ich denken konnte, da ich so plötzlich« -- - -»»Lassen wir das! Haben Sie mit Appetit gefrühstückt?«« - -»O ja -- nur wünschte ich das Mißverständniß, den Irrthum schnell -aufzuklären; da man mich gewiß für einen andern hält.« - -»»Wir kennen Sie, junger Herr, besser, als Sie vielleicht glauben.«« - -»Besser? sagte der junge Mann, und wurde roth und von Neuem verwirrt. -Man hat mich um meinen Namen hier noch nicht gefragt!« - -»»Ist auch gar nicht nöthig. Wir wollen keine Rollen mit einander -spielen.«« - -»Rollen? Wie meinen Sie das?« - -»»Wie man so was meint. Sie sollen sich nicht verstellen, Sie sollen -nicht hoffen, daß Sie mich hintergehen können.«« - -»Wenn ich Ihnen aber so ganz bekannt bin -- so sagen Sie mir wenigstens, --- wo befinde ich mich? Ich bin vielleicht zwanzig Meilen gereist, ohne -zu wissen wohin.« - -»»Lassen wir das noch jetzt, dergleichen muß Ihnen fürs Erste noch ganz -gleichgültig seyn.«« - -»Die Forderung ist mehr als sonderbar.« - -»»Bester junger Mann, sagte der Alte, um alle diese äußerlichen -Zufälligkeiten müssen Sie sich jetzt gar nicht ängstigen. Es wird eine -Zeit kommen, in der Ihnen Alles klar aufgeht.«« - -»Und welch Schicksal erwartet mich?« - -»»Das wird ganz von Ihrem Betragen abhängen! Sind Sie sanft und ruhig, -so wird Ihnen kein Mensch etwas in den Weg legen; können Sie es über -sich gewinnen, vernünftig zu seyn, wenn es Ihnen auch im Anfange etwas -schwer ankommen sollte, so wird man Ihnen alle Achtung bezeigen, die Sie -erwarten können, und es liegt in Ihrer Hand, wie früh oder spät Sie Ihre -Freiheit wieder erhalten werden.«« - -»In meiner Hand? fragte der Gefangene, indem er seine Hände -betrachtete.« - -»»Dummheit und kein Ende! fuhr der Alte ungeduldig heraus, ich dachte es -wohl, daß der Diskurs nicht lange auf der geraden Straße bleiben würde. -Figürlich gesprochen, junger Herr! Wie Sie sich benehmen, so wird man -sich wieder gegen Sie benehmen; vielleicht sind Sie in Jahr und Tag -wieder auf freien Füßen: das heißt, Jüngling, (damit Sie nicht wieder -querfeldein fragen) wenn Ihre Beine wieder frei sind, wird hoffentlich -das übrige Zubehör, sogar der Kopf wieder mitlaufen dürfen.«« - -»Und was befiehlt man, fragte der Baron, das ich vorstellen soll? Wie -soll mein Name heißen? Denn es scheint, daß hier ein strenges Regiment -obwaltet, dem man sich fügen muß.« - -»»Nur keine Quängeleien! rief der alte Mann; machen Sie nicht, daß ich -härter seyn muß, als ich von Natur bin; denn das ist mein Elend, daß der -Teufel mir so ein breiweiches Herz eingesetzt hat, daß ich eigentlich -ein altes Weib hätte werden müssen. Nun, lieber Herr Graf, wir werden -uns schon noch verstehen lernen.«« - -»Graf? rief der Baron; also doch wenigstens eine Standeserhöhung.« -- Er -war nach diesem Worte plötzlich viel heitrer geworden; die Beklemmung, -die ihn drückte, schien ziemlich verschwunden. - -»»Ja, Graf, nicht anders, fuhr der Alte fort; ja, mein junger Herr, man -weiß hier mehr von Ihnen, als Sie begreifen können.«« - -»Nur noch eine Frage, dann will ich schweigen, sagte der Baron. -- Bin -ich etwa hier, wegen des Verhältnisses, das vor zwei Jahren die -Baronesse« -- - -»»Still! rief zornig der Alte; das ist es ja eben; an Liebe müssen Sie -hier gar nicht denken, so wie Sie auf diese Passion gerathen, müssen -gleich Anstalten getroffen werden; weder Baronesse, noch Gräfin, noch -Fräulein, selbst das Wort Frauenzimmer muß nicht von Ihren Lippen gehört -werden! Nun geben Sie mir die Hand, daß ich Sie noch einmal bewillkomme. -Ich hoffe also, Sie werden uns keine Schande machen.«« - -Er hielt die Hand des Barons lange in der seinigen eingeschlossen, -drückte sie, schob seine Finger hinauf, fast als wenn er den Puls fühlen -wollte, sah dem jungen Mann noch einmal scharf in die Augen, und -entfernte sich dann schnell nach dieser sonderbaren Begrüßung. - -Nach einiger Zeit erschien der kleine freundliche Mann, den man den -Herrn Friedrich nannte. Nun, sagte dieser, es ist ja gut abgelaufen; -unser melancholischer Gebieter ist ja mit Ihnen zufrieden, er meint, es -würde schon werden. - -Aber, wo bin ich nur? fragte der Baron. - -Der Kleine legte mit einer sehr listigen Miene den Finger auf den Mund, -kräuselte die Lippen, zog die schmalen Schultern bis zu den Ohren, und -sagte dann ganz leise: so lange Sie noch bloß auf Ihr Zimmer -eingeschränkt sind, darf ich nichts Bestimmtes mit Ihnen sprechen; aber -wenn Sie erst einmal herunter gekommen sind, dann wird Ihnen nichts mehr -Geheimniß bleiben. - -Wer sind Sie, fragte der Baron eifrig, und wer ist der Mann, der mich -heute besuchte? - -Nichts! nichts! rief der Kleine; sehn Sie, Verehrter, wir sind Alle ohne -Ausnahme nur das, was unser gestrenger Herr uns befiehlt zu seyn. Hat er -doch nun die Macht einmal; woher er sie hat, das weiß der Himmel wohl am -besten, der sie ihm verlieh. Sehn Sie, er ist sehr hypochondrisch, und -fast niemals vergnügt, und darum verlangt er, Alles im Hause solle auch -ehrbar und fromm zugehn. Eine unbillige Forderung. Ich gelte aber doch -viel bei ihm, und er meint, ich hätte Gaben. Nun haben Sie gleich beim -Eintritt durch Ihr feines vornehmes Wesen mein ganzes Herz gewonnen, -- -Sie sehn einem großen Feldherrn so ähnlich, den ich einmal gekannt habe; -aber ich bin doch zu schwach, Ihnen zu helfen. - -Wie so, zu schwach? - -Betrachten Sie nur selbst meine Schultern, wie schmal, flüsterte der -kleine Mann. Ja, wenn ich mehr heben und arbeiten könnte; wenn ich mich -nicht immer so schonen müßte; wenn ich mir mehr bieten dürfte, so wäre -mein Schicksal wohl ein ganz anderes, als hier im Hause herum zu -kriechen. - -Er entfernte sich, um dem Fremden das Mittagsessen zu holen, verschloß -aber sorgfältig indessen die Thür. - - * * * * * - -Der Rath Walther hatte den Arzt wieder aufgesucht, um über den Plan -ihrer gemeinschaftlichen Reise zu sprechen. Der Doctor hatte von seinem -entlaufenen Zögling noch keine Nachrichten; er war jetzt neugierig, was -sein Freund, dem er sich immer enger anschloß, ihm würde zu eröffnen -haben. - -Vielleicht, fing dieser an, sehe ich schon in einigen Tagen einen -Jüngling wieder, dem ich seit vielen Jahren schon, seit ich ihn als -Knaben kennen lernte und aufwachsen sah, meine Freundschaft, ja mein -ganzes Herz schenken mußte. Alle unsere Bücher sind voll von -Schilderungen der sogenannten Liebe; genau sind alle ihre Kennzeichen -beschrieben, die Steigerungen, so wie die Verirrungen dieser -Leidenschaft nachgewiesen, und von der _Freundschaft_, die eben so -wundersam, zuweilen noch seltsamer erscheinen kann, wird kaum -gesprochen, oder man setzt sie voraus, und meint, sie zu schildern, sei -ohne Interesse. Wenn Alle zu _lieben_ glauben, ist es vielleicht nur -Wenigen gegeben, im wahren Sinne _Freund_ zu seyn. Ich habe mich früh -und ohne Leidenschaft verheirathet, und bin glücklich in meiner Familie. -Aber von frühster Jugend habe ich das Talent in mir ausgebildet, Freund -seyn zu können, mich dem geliebten Gegenstande hinzugeben, seine -Eigenheiten, Schwächen und Vortrefflichkeiten zu erkennen, mich zu -überzeugen, wie bei den verdienstvollen Menschen die einen nicht ohne -die andern seyn können, und alle Liebe ohne gegenseitiges Ertragen nicht -möglich ist. Doch, um nicht zu weitläuftig zu werden, sage ich nur, daß -es mir gelang, viele und sehr verschiedene Freunde zu erwerben; doch -hatte ich noch nie das seltsame Gefühl kennen lernen, das mich zu einem -Knaben hinzog, der in unsrer Familie aufwuchs und ein entfernter -Verwandter von mir war. Er hatte nichts mit andern Kindern seines Alters -gemein; er nahm an ihren Spielen nicht Theil; er sonderte sich ab, und -lebte, seine Lehrstunden abgerechnet, ganz einer träumenden Einsamkeit -hingegeben. Da der junge Mensch schon früh seine Aeltern verloren hatte, -so war sein Vormund, ein liebevoller Oheim, sehr um ihn besorgt. Fragte -man Raimund, so hieß der Knabe, was ihm fehle, so antwortete er immer, -ihm sei in der Einsamkeit unendlich wohl; ihn störe das Geräusch der -Welt, er sinne sich und seinen Empfindungen nach. Hauptsächlich schien -ihn eine Wehmuth über das Elend der Welt, über ihre Armuth und Krankheit -zu durchdringen, vorzüglich über die Feindschaft und den Haß, den er so -oft wahrnehmen mußte. Der Vormund wünschte, ihn zum Geschäftsmann -heranzubilden, oder ihm doch die Fähigkeit zu verschaffen, das große -Vermögen, das er für ihn bewahrte, künftig selbst verwalten zu können. -Die Bemühungen aber, den Weichgestimmten mit den Verhältnissen der Welt -bekannt zu machen, schienen immer vergeblich; denn so leichte -Fassungsgabe sein feiner Geist sonst verrieth; wie er in Poesie, Musik -und Natur Alles begriff, und sich das Schwierigste aneignen konnte; so -schien ihm doch der Sinn für gesetzliche Verhältnisse, für alles das, -was Besitz und Eigenthum sichert, für juristische Verwickelungen, -Berechnungen und dergleichen, gänzlich verschlossen. Begriff er doch gar -nicht einmal, wie es möglich sei, daß seine Capitalien Zinsen trügen. Er -hielt dies, als er selbst schon erwachsen war, für ein Ergebniß, welches -nur auf Betrug gegründet seyn könne. Als Jüngling war er die lieblichste -Erscheinung. Wir verhärten uns gewöhnlich, und wohl mit Recht, gegen die -Sentimentalität; weil dasjenige, was die Menge so nennt und schwache -Gemüther interessirt, nur eine Mischung von Heuchelei und falscher -Süßigkeit ist, eine egoistische Zartheit, die gerade da verletzt und roh -tyrannisirt, wo sie Liebe und Weichheit zeigen sollte. Aber in Raimund -offenbarte sich etwas Himmlisches verkörpert, und die naivste Wahrheit, -die edelste Treue und Einfalt bildeten sein Wesen. Ich konnte oft in -Gedanken beklagen, daß er späterhin doch zum Manne reifen und diese -Wunderblume sich in Frucht verwandeln müsse. Er blieb immer -menschenscheu; am meisten aber ängsteten ihn die schwatzenden und -lachenden Mädchengesellschaften. Die meisten Menschen verspotteten ihn; -ich allein verstand sein liebendes Gemüth; doch zitterte ich auch für -ihn, wenn ich voraus dachte, wie ihm wohl einmal ein gleich gestimmtes -weibliches Wesen begegnen könne. Dies geschah, und die Folgen waren -erschreckender, als ich vermuthen konnte. Die schöngebildete Tochter -eines reichen Hauses, schwärmerisch und scheu, lernte ihn kennen. Als -wären die beiden Wesen nur für einander geschaffen, so schnell -verstanden und vereinigten sie sich. Was ihr Glück störte, war der -Oheim, obgleich er seinen Neffen so innig liebte. Er schien der -Ueberzeugung, daß diese Leidenschaft nur zu Beider Unglück ausschlagen -könne; er verweigerte durchaus seine Einwilligung zu ihrer Verbindung, -bis Raimund großjährig geworden sei. Dieser härmte sich und sann und -träumte nur Unglück. Blanka weinte; ihr Gram zog ihr ein Nervenfieber -zu. Nun schien auch Raimund verloren. Er irrte in den Nächten im Felde -umher, er verschmähte fast alle Nahrung, er wollte nur seinem Schmerze -leben und sterben. Als sie die gefährliche Krise überstanden hatte, -erlaubte sich ein Bedienter den grausamen Scherz, um ihn desto freudiger -zu überraschen, ihm zu sagen, Blanka sei gestorben. Der Widerruf kam zu -spät; sein ganzes Leben schien aus allen Fugen gerissen. Es währte nicht -lange, so war er verschwunden; jede Nachfrage, jede Nachforschung -umsonst. Sein Oheim, der Freiherr Eberhard ist außer sich; nun erst -zeigt er, wie sehr er seinen Neffen geliebt; er macht sich die -bittersten Vorwürfe, daß er jene Verbindung gehindert; er zögert noch -immer, als der nächste Erbe, das Vermögen des Unglücklichen als das -seinige zu betrachten; er hofft noch immer auf seine Rückkehr, und -beweint ihn doch schon als einen Verlornen. Blanka war seitdem in einem -fürchterlichen Zustande, ich habe sie nicht wieder gesehn; ihre Aeltern -verließen die Stadt, und ein ungewisses Gerücht wollte sagen, sie habe -den Verstand verloren. Denken Sie nun die Freude, die mir der Brief -machen mußte, der mir eine wahrscheinliche Spur meines jungen Freundes -entdeckt. Wie werde ich den Oheim überraschen, wenn ich ihm etwas -Gewisses melden kann! - -Der Arzt war nachdenkend. Eberhard, -- sagte er sinnend, -- ein Mann bei -Jahren, zwei ungleiche Augenbraunen, und eben so ein braunes und ein -blaues Auge? Auch schwebt mir dunkel vor, als habe ich aus seinem Munde -selbst die Geschichte, die Sie mir jetzt mittheilen, gehört; nur -erzählte er die Umstände anders. - -Ihre Beschreibung paßt auf ihn, sagte der Rath; er ist von der Natur so -sonderbar gezeichnet, daß man ihn nicht leicht verkennen kann. - -Wie seltsam, fuhr der Arzt fort; wenn es dieser seyn sollte! -- Er -spielte in meiner Vaterstadt eine wunderliche Rolle, und bewarb sich -noch ganz kürzlich um eine Schauspielerin, die nicht den besten Ruf -hatte. - -Dann ist es dieser doch nicht, sagte der Rath; er lebt einsam, -eingezogen, ja neigt eher zu einer übertriebenen Frömmigkeit hin. - -Man kam dahin überein, am folgenden Tage abzureisen; denn im Dorfe eines -einsamen Gebirges sollte der Jüngling, von dem der Rath Nachricht -erhalten hatte, im Hause eines Predigers leben. - - * * * * * - -Es war einige Zeit verflossen, in der sich der junge Wolfsberg an seinen -Aufenthalt und seine Lage gewöhnt hatte, und da er sich immer ruhig -betragen, so trat eines Tages sein Freund, der kleine Friedrich, in sein -Gemach, that einen kurzen Sprung, zuckte die Schultern, verzog sein -blasses Gesicht zum Grinsen und sagte: jetzt werden Sie einer von den -unsern; der Alte schickt mich, Sie möchten in den Gesellschaftssaal -hinunter kommen. - -Sind viele Leute dort? fragte der Baron. - -Je nun, eine hübsche Gesellschaft; bald mehr, bald weniger; mancher -reiset dann auch wieder ab, und so habe ich vorige Woche einen meiner -besten Freunde auf der Welt verloren. - -Sie traten in den untern großen Saal, und Wolfsberg, der so lange in der -Einsamkeit und im kleinen Zimmer gelebt hatte, war so vom Licht, von der -Gesellschaft und dem weiten Blicke über die Ebne und das Waldgebirge hin -geblendet, daß er sich nur schwer fassen konnte, und einige Zeit -brauchte, um sich mit allen diesen Gegenständen, vorzüglich aber mit den -Menschen in dem großen Gemache bekannt zu machen. Der Direktor ging mit -großen Schritten auf und nieder, noch finstrer, als er gewöhnlich war; -er schien nur seinen Gedanken nachzuhängen, und sich um die Gesellschaft -nicht zu kümmern. Er bemerkte auch den Eintretenden nicht, und -erwiederte nichts auf dessen Gruß. Zwei Männer spielten mit großer -Anstrengung und gespannten Mienen Schach; in einer Ecke las ein Andrer -in einem Buche, lächelte zuweilen, oder schüttelte den Kopf, machte auch -zuweilen Geberden der Billigung, so daß er völlig mit seinem Autor -beschäftigt schien. Auf einem Lehnstuhle war ein Mann eingeschlafen, der -durch sein rothes Kleid auffiel; noch mehr dadurch, daß sein Kopf von -einem großen dreieckigen Hute bedeckt war. Starr nach dem Himmel und -dessen Wolken war der Blick eines Andern gerichtet, der einen Maaßstab -in der Hand hielt, dessen Zolle er dann immer wieder von Neuem -überzählte. Drei seltsame Gesichter standen abseits, und stritten -lebhaft. Der eine von diesen Männern war sehr beleibt; sein Kopf -aufgedunsen, die Augen waren fast verschwollen, er krächzte mehr, als er -sprach, und stach um so mehr gegen seinen schmalen langen Nachbar ab, -dessen Gesicht so dürr und bleich erschien, daß man kaum noch Lippen -darauf wahrnahm, indem die großen blauen Augen aber desto auffallender -hervor leuchteten. Der dritte Redner lachte beständig mit seinem großen, -aufgeworfenen Munde, und zerrte die wundersamsten Linien in seine -kupfrigen Wangen hinein. Wolfsberg sah sich um, von seinem getreuen -Friedrich Einiges über diese sonderbare Versammlung zu erfahren; dieser -aber war verschwunden, und er mußte also selbst Bekanntschaft zu machen -suchen. Er näherte sich den Schachspielern, und sah beim ersten Blick, -daß beide Könige im Schach standen, ohne daß es die Streitenden trotz -ihrer angestrengten Aufmerksamkeit bemerkten; aber seine Verwunderung -stieg noch mehr, als man den weißen Thurm nahm, ihn schräg über das -Brett zog, mit ihm einen Läufer schlug, und ihn darauf neben den König -stellte. Der braune König retirirte nun behende als Springer, und ein -weißer Springer nahm mit einem Satz im Zickzack drei Bauern zugleich -weg. Wie, meine Herren, rief Wolfsberg aus, Sie spielen ja ganz gegen -die ersten Regeln! Was? rief der eine tiefsinnig vom Brett aufsehend; -sehn Sie einmal, durchlauchtiger Kriegsgefährte, der Neuling will uns -wohl Schach spielen lehren? -- Nehmen Sie es dem Grünling nicht übel, -erhabener Mann, antwortete die andere Figur: er ist augenscheinlich -nicht in die Geheimnisse des Cosroes und die alte orientalische -Spielweise eingeweiht; er weiß es ja nicht, daß Sie einer der Urindianer -sind, großer Geist, und will nun seine Fibelweisheit hier scheinen -lassen. Wissen Sie, junger Abendländer, Vandal, oder Gothe, vielleicht -Slave, -- man spielt hier nicht mit Brett und Schritt und Sprung, wie in -den Westländern; unser freier Geist erkennt weder die conventionelle -Würde des Königs, noch den niedern Rang der Bauern, sondern wir spielen -nach Sympathie, in jenem Geist, der alle Welten nach unsichtbaren -Gesetzen zusammenhält! In jeder Nacht hat mein Freund eine neue -Inspiration, am folgenden Tage bin _ich_ inspirirt; dann erräth der -andre durch hochgetriebenen Instinkt, welch neues System sein Mitspieler -ersonnen hat und geht in seine Mysterien ein. Das ist gar eine andre -Vielseitigkeit, als das moderne Hin- und Herrutschen der Figuren. - -Das ist freilich eine andre Sache, sagte Wolfsberg, indem er sich zurück -zog. Er näherte sich dem Lesenden, sah aber zu seinem Erstaunen, daß -dieser das Buch verkehrt hielt, und rückwärts die Blätter umschlug. Wie, -mein Herr, sagte er höflich, sind Sie so zerstreut, daß Sie nicht -bemerken, wie man auf diese Art nicht lesen kann? Oder sind Sie der -Kunst etwa gar nicht mächtig? -- Der Lesende stand schnell auf, machte -ihm eine sehr tiefe Verbeugung, sah ihn an, beugte sich noch tiefer, und -sprach dann mit einer lispelnden Stimme und mit überhöflichem Tone: -»geruhen dieselben gütigst zu bemerken, mein verehrter Herr Unbekannter, -daß es denenselben gefällt, sich wie ein wahrer Einfaltspinsel -auszudrücken. Nicht etwa, daß ich in Ihre eben so tiefen, als -ausdrücklichen Einsichten einen Zweifel setzen wollte (fern sei von mir -ein solcher Frevel!), so scheint es mir doch einleuchtend (möchte ich -Sie auch übrigens anbeten), daß Sie mit der crassesten Ignoranz über -eine Wissenschaft sich äußern, die freilich Ihrem elenden, kurzen, -stümperhaften Horizonte weit entwachsen ist. Was? Weil ich etwa nicht -von vorn lese, oder das Buch verkehrt halte, darum könnte ich nicht -lesen? Ja, und wenn ich nun selber keinen Buchstaben wüßte, armer -Hergelaufener, und ich nähme das Buch nur mit Glauben und Andacht in die -Hand, könnte es nicht auch in mich übergehen? Habt Ihr denn wohl schon -oft lesend gelesen, und verstehend verstanden? Ja, Druckerschwärze und -die krausen Figuren sind Euch in die Augen, Geruch von Leim und Papier -in die Nase gekräuselt, und dazu habt Ihr eine Physiognomie geschnitten, -wie Schafe beim Gewitter, und meint alsdann, Ihr habt Weisheit in Euch -geschlürft, oder seid Eurem berühmten Autor gar noch über den Kopf -gewachsen! Bester Nichtdenker, verehrter Strohkopf, ich war seit Jahren -Recensent, thätig und einsichtsvoll, gewöhnte mich ans Blättern und -hatte immer um so mehr Urtheil, um so weniger ich las; ich brachte es zu -der Höhe, daß ich kaum den Titel anzusehn brauchte, nur, wo verlegt, so -hatt' ich das ganze Buch weg. Ist das etwa keine Kunst? Seit ich mich in -diese Einsamkeit zurück gezogen, habe ich, weil ich ein demüthiger -Charakter bin, wieder zu lesen angefangen; aber warum denn von vorn? Das -_Ende_ ist mein Anfang, und da ich mich längst geübt habe, die Schrift -umgekehrt zu erkennen, so wäre es mir nun gar nicht mehr möglich, auf -Eure dumme, hirnlose, völlig altfränkische Art die Sache zu treiben. Und -wo ist denn der Anfang, der anfinge, Ihr Gimpel? Setzt nicht das erste -Verslein im Mose schon einen andern Anfang voraus? Und wenn wir den -fänden, wiese er dann nicht wieder auf ein Voriges? O Ihr Bettelmann der -Gegenwart und Dürftigkeit! ein Ende giebt es; ja in Eurem Verstande; mit -dem seid Ihr längst zu Ende! -- Er verbeugte sich hierauf wieder sehr -tief und beschloß: Verzeihung, Verehrtester und Einsichtsvollster aller -Trefflichen, wenn ich, so tief ich auch unter Ihnen stehe, nur durch ein -geringes Scherflein habe andeuten wollen, wie sehr ich mich bestrebe, -Ihre Meinung zu fassen, und gewiß nicht wagen werde, Ihnen irgend in -Hauptansichten zu widersprechen, sondern nur submissest einige kleine -Zweifel, welche die Bitte um Belehrung enthalten, entgegen zu schütten, -und dadurch nur Veranlassung gebe, noch tiefer Ihr tiefes Ingenium und -noch klarer Ihren klaren Geist, noch glänzender die Glanz-Atmosphäre -Ihres Wissens, Denkens, zu entwickeln, -- und ^enfin^, excellenter Mann, -ich verstumme.« - -Heiliger Himmel! rief Wolfsberg mit Entsetzen aus, denn er erkannte nun -erst, indem er noch einen hastigen Blick auf alle Gruppen warf, wo er -sich befinde, -- ich bin in einem _Narrenhaus_! Wer hat die -Unverschämtheit gehabt, mich hieher zu versetzen? - -Bei diesem lauten Ausruf und dem Worte »Narrenhaus« wurden plötzlich -alle Thoren aus ihren stillen Gesprächen und Speculationen -aufgeschreckt. Der Beobachter ließ seinen Maaßstab fallen und rannte -herbei; der Aufgedunsene, der Bleiche, so wie der Kupferfarbene liefen -schreiend herzu; die Schachspieler sprangen auf; der Lesende machte ein -grimmiges Gesicht, und der schlafende Rothrock erwachte, indem er -zugleich eine kleine Peitsche aus dem Busen zog. Was? Wie? schrieen Alle -und tobten durch einander -- ein Narrenhaus? Herr! Wissen Sie, was Sie -sprechen? Er wird auch nicht für die Langeweile hier seyn, sagte der -große kräftige Mann im rothen Rock, und er darf mir nicht viel gute -Worte geben, so lasse ich ihn hier, so wie meine Pygmäen, tanzen, bis -die bösen Geister aus ihm gefahren sind. - -Und wo sollten Sie denn sonst seyn, lieber Mann, schrie der Direktor -zornig, der den verwirrten Haufen theilte und jeden zur Ruhe verwies; -wenn Sie sich aber so aufführen und sich in Gesellschaft nicht zu nehmen -wissen, so werden wir Sie wieder auf Ihr kleines Stübchen einquartiren -müssen. Dies Wort zu nennen, was Sie gebrauchen, schickt sich in diesem -Hause gar nicht, und schon aus Achtung vor mir müssen Sie es vermeiden! -Und wer Sie hieher gesandt hat? Männer, denen Sie nicht verweigern -werden, Gehorsam und Ehrfurcht zu bezeigen! - -Wolfsberg war still und nachdenkend geworden, und der Rothgekleidete -rief: hab' ichs nicht gesagt? indem er zugleich die kleine Peitsche nahm -und eifrig gegen alle Wände des Saales schlug, bis er außer Athem und -ganz kraftlos war. Der Director wandte sich unwillig ab, und als der -Ermüdete sich wieder in seinen Sessel geworfen hatte, trat Wolfsberg zu -diesem und fragte: was machten Sie eben, und was hat diese Anstrengung -zu bedeuten? - -Was? rief Herr Kranich aus (denn so nannten ihn die Uebrigen), Herr, -wenn ich nicht wäre und die Augen immer offen hätte, so wären Sie und -alle Uebrigen hier verloren; ja, ich möchte wohl wissen, was von der -Welt sonderlich übrig bleiben würde. Sie sehn es nicht, wie diese -verdammten Pygmäen, kleine böse Geister, mich allenthalben verfolgen, -Gesichter schneiden, und alles Uebel auf Erden anrichten. Von diesen -rührt auch Ihre Verstockung her, daß Sie nicht einsehn wollen, was an -Ihnen ist; von diesen kleinen Creaturen entspringt alles Unglück, und -ich muß sie unaufhörlich bewachen, um nur zu verhüten, daß sie nicht das -Aergste ausüben. - -So war Alles wieder beruhigt, als man einen Landedelmann mit seiner -Familie anmeldete, die sich das Haus betrachten wollten. Ein ältlicher -Mann trat lächelnd herein und sah sich selbstgenügsam um; ihm folgte -eine erwachsene Tochter, blöde und einfältig, und ein ebenfalls -erwachsener Sohn, der sich gleich das Ansehn gab, als wenn er hier zu -Hause gehöre. Der Director fuhr sogleich barsch auf sie zu, und fragte -heftig, was zu ihrem Befehle sei. Gott bewahre! stammelte der Edelmann, -indem er scheu zurück trat; ist denn hier kein andrer ruhiger Mann, der -uns herumführen, und die Merkwürdigkeiten zeigen kann? Der Director -sammelte sich wieder und sagte in sanftem Tone, daß er selbst der -Vorsteher dieser Anstalt sei, und daß er sich ihm und dem kleinen -Friedrich, der sich unterdessen wieder herbei gemacht hatte, getrost -anvertrauen könne. Sie gingen hierauf friedlich durch den Saal, -ergötzten sich an der Aussicht und betrachteten die Gesellschaft aus der -Ferne, als sich der Kupferfarbene herbei machte und um die Erlaubniß -bat, etwas vorzutragen. - -Meine beiden trefflichen Schüler, fing er an, möchten heute einen -poetischen Wettstreit halten, wie er bei den alten Griechen wohl üblich -war, und es trifft sich gut, daß einige Fremde, als ganz unbefangene -Zuhörer zugegen seyn können, um über die Verdienste meiner begeisterten -Scholaren nach reifer Prüfung ein Urtheil zu fällen. - -Er winkte, und der lange Blasse, so wie der Beleibte mit dem -verschwollenen Gesichte näherten sich. Die Uebrigen schlossen einen -Kreis; der Lesende drängte sich am nächsten, und der Pygmäenbekämpfer -sah kritisch umher, ob auch keine bösen Geister die poetische -Unterhaltung stören möchten. - -Der Mann mit der Kupfernase wandte sich hierauf an den Edelmann, den er -freundlich bei der Hand nahm und ihm die Tressen seines grünen Kleides -streichelte. Englischer Mann, sagte er zärtlich, verstehen Sie wohl -Galimathias zu sprechen? - -Nein, sagte jener; was ist das für eine Sprache? - -Schade, fuhr jener fort; da werden Sie es nur halb genießen können, denn -etwas wenigstens sollten sich wohl alle Menschen damit befassen. Es ist -zu verwundern, wie wenig wir immer noch auf unsre eigentliche Ausbildung -wenden. Tretet zuerst vor, mein theurer Freund und Schüler, würdiger -Troubadour und Meistersänger! - -Der Aufgeschwollene räusperte sich, athmete tief auf und sprach dann -schnell, aber mit einer krähenden Stimme: »Sind wir nicht alle innigst -von dem Gefühle durchdrungen, daß, wenn eine Krebsmoral erst an der -tiefsten Wurzel der Menschenschicksale nagt, kein einziges Schaalthier -mehr auf den Höhen der Gebirge wird gefunden werden? Gewiß, meine -Theuersten, schlägt jeder mit erneuertem Mannsgefühl auf seine Brust, -wenn er bedenkt, daß bei dem siderischen Einfluß, den jede Theemaschine -auf die Verflechtung innerer Organe und Inspirationen unbedenklich -ausströmt, die alten Germanen nimmermehr ihren Wodansdienst ohne -Hülfsleistung abnormer Zustände und tief empfundener mikroskopischer -Ansichten würden haben durchsetzen können. Denn hier kommt es ja nicht -auf ein oberflächliches, leichtgewagtes Entdecken vulkanischer -Revolutionen an; sondern die Menschheit selbst ruft das in uns auf, was -schon im Anbeginn der Zeiten reif und heterodox, aber im galvanischen -Mittelpunkt unendlicher Verschlossenheit, tief und geheimnißvoll -gebrütet hat. War es denn nicht auch damals dieselbe große -Schicksalskatastrophe und Weltumschwungsaxiomatische Wunderbegebenheit, -als dasjenige, was man bis dahin nur für orkanische Centripetalkraft -abgewogen hatte, sich plötzlich als das ungeheure Ixionsrad -schwärmerischer Antidiluvianer manifestirte? So merken wir, ist unsre -Seele anders nicht völlig aphoristisch gebildet, und im Mausoleum -hyrkanischer Waldgötter anticipirt worden, daß umgekehrte Verhältnisse -sich immer wieder zu Kegelausschnitten gestalten, wenn die Galaxie der -Planeten sich in ekliptische Rodomantaden verwandeln möchte. Aber -festhalten müssen wir einen Gedanken, daß die Hieroglyphen immer nur -wieder Apostrophen ausgebären können, wenn wir nicht mit den -conglomerirten Gnostikern annehmen wollen, daß die Hypotenuse der -Polarvölker immer wieder in die materiellste Abstraction der -eleusinischen Pyrrichien verfallen müßte, an welchem Irrthum auch schon -der berühmte Johann Ballhorn in seinem großen granitgebundenen Werke vom -Phlogiston der Polypenkrater verstorben ist, da er ein Apostem der -großen alchemistischen Tinktur mit den rauschenden Katarakten der -Amathontischen Apodiktik mehr als ihm billig zugegeben werden konnte, -verwechselt hat. So hoffe ich denn bewiesen zu haben, daß immer und ewig -das große Geheimniß der peloponnesischen Antithese klar und verständlich -ist ausgesprochen worden.« - -Gewiß! sagte der Edelmann. - -Sublim! rief der Leser aus. - -Ein Beifallsmurmeln ertönte aus der dichtgedrängten Umgebung. - -Nun, Görge, was meinst du? fragte der Edelmann, indem er sich an seinen -Sohn wandte, der mit starren Augen und offnem Munde zugehört hatte. - -Ich wollte nur, antwortete Görge, unser Herr Pastor wäre hier, der den -Mann vielleicht widerlegen könnte; denn seine Reden klingen fast eben -so. - -Nun höre man aber auch, rief der Kupferne, meinen zweiten Zögling, den -edeln, sanften Musenliebling. - -Die lange, hagre Gestalt trat hervor und klagte in einem weinenden, -schnell singenden Tone also: Ist nicht die Liebe und immer nur wieder -die Liebe das hoch erhabne athletische Bildwerk der ächten attischen -Hybla-akademischen, süßflötenden Nachtigallen-Atmosphäre? Wer möchte -sich der Thränen enthalten, wenn flutende Herzenslustren im Umschwung -der zartesten Cicaden-Gesinnung nicht endlich einmal zur Vollendung -einer umarmenden Schicksals-Apotheose hinstreben sollen? Denn das -Bildwerk liebender Gestirne ist ja doch nur ein Abglanz häuslicher und -mattherzig rührender Sarkophag-Mumien-Attribute; vorausgesetzt, das -fromme kindliche Gemüth hat sich schon in eine Phaläne von träumerischen -Allegorieen verwandelt, und ist die ganze sublunarische -Etymologie der peripatetischen, eben so großartigen, als -herzergreifenden Sylbenstechereien uralter Religionsentzündungen -durchgegangen. Fragt sich einzig nur: hat ein kryptogamisches -Pfeifergericht von enggetriebenen Bildwerken nicht immerdar den -Blumenstaub somnambulistischer Zustände auf hydraulische Weise mit -Prophetenencyklopädieen vorher verkündigt? worauf die mathematische -Antwort lautet: so gewiß der Umkreis der Welt einzig in den Umfang -sanfter Cirkelschwingungen gebannt ist, so gewiß hat auch jede Periode -und bacchische Begeisterung im Lichtscheine der erotischen Neufundländer -Sitz und Stimme gefunden. Denn, was ist es denn, was das Echo unsrer -Brust ewig beweint? Nicht wahr, daß noch kein Sterblicher in das -Universal-Paradoxon der Himmelskräfte hat einschlüpfen können? Aber -dennoch sagen uns begeisterte Seher, daß das Berlappenmehl dazu diene, -den Blitz der Götter, so wie alle diagonale hochgefeierte Perioden des -Immateriellen zu erschöpfen, wenn wir nicht vergessen, daß Phidias darum -der Große genannt wird, weil er zuerst die petrarkische Elegie in der -neuen Ausgabe der Homilien hat mit Vignetten in einen großen Salat von -Vergißmeinnicht bei den Olympischen Spielen verzehren lassen, was eben -die Ursache war, daß Romeo und Julia sterben mußten, so sehr sie auch -vorher auf Pardon vom Könige von Abyssinien rechnen durften. Aber -das ist das Große und Erschütternde eben in den edelsten -Lebensverhältnissen, daß die Liebe des Herzens immer wieder auf die -reine und unreine Mathematik angewendet werden soll, was doch kaum dem -Platonischen John Bull möglich gewesen ist, mit Hülfe seines Freundes, -des großen Eklektikers Pope, vermöge seiner Stanzen und der noch -berühmtern Parlamentsreform einzuführen. Daher bleibt unserm Leben diese -ewige Trauer, daß jede Sonnenblume in Oel kann verwandelt werden, wenn -wir umgekehrt niemals einen Tropfen Oel in Blumen, ja kaum in Sonnen -umschmelzen können; daher ist die Thräne an unsrer Wimper ein zartes -Herzenssiegel, welches tropfend beurkundet, daß wir alle nur -Blindschleichen und arme Würmer sind. Dies herzzerreißende Gefühl -mitzutheilen, habe ich mich nicht enthalten können. - -Die Tochter des Edelmanns weinte und sagte: ja wohl, ist unser Leben nur -ein zerbrechliches Geschirr! Der Lehrer aber sah triumphirend umher und -fragte: nun, meine Freunde, welchem würden Sie den Preis zuerkennen? - -Das zweite, sagte das junge Mädchen, war mehr für das Herz, das erste -mehr für den Geist. - -So ist es, sagte Herr Kranich; der lange Herr Melchior hat die beste -Rede gehalten: wir sind Alle gerührt; dazu hat er eine Stimme wie eine -Nachteule oder Unke: die Thränen laufen einem über die Nase, man weiß -nicht wie. - -Ja, meine theuern Freunde und Sie, verehrte fremde Zuhörer, sagte der -beleibte Lehrer, ich bin stolz darauf, daß ich in diesen beiden Männern -diese großen Talente habe wecken und zur Reife führen können. Diese -sokratische Hebammenkunst ist es, in welche ich meinen Stolz setze, da -ich selber nichts dergleichen hervor bringen kann. Aber meine Schüler -werden mich unsterblich machen. Doch soll der liebende, herzliche -Melchior seines Kranzes nicht entbehren. - -Er heftete diesem einen Stern von Blech an die Brust, mit welchem der -lange blasse Mann sich brüstend durch den Saal schritt. Der Aufgedunsene -ging verdrießlich in eine Ecke und murmelte: Abgeschmackter Kerl! Er hat -doch durchaus keinen Begriff vom Aechten! Ich von ihm gelernt! Ja, -freilich, wenn ich solche Alfanzereien spräche, wie die aschgraue -Hopfenstange! - -Ruhig, großer Mann, sagte der Lesende, der ihm nachgegangen war; das -Erhabene wird nie verstanden, so ist es vom Anfang der Schöpfung -gewesen: der größere Sophokles wurde eben so vom süßlichen Euripides -verdunkelt; Terenz mußte Seiltänzern weichen; Phidias ward verkannt; -Dante aus seinem Vaterlande vertrieben. Lassen Sie den Narren mit dem -alten Stückchen Blech laufen; Ihr Herz sei Ihr Elysium, und morgen werde -ich Ihnen eine zinnerne Schnalle bringen; heften Sie diese an Ihre -erhabene Brust und verachten Sie den Gegner. - -Der Edelmann hatte sich indessen wieder mit dem Sokrates ins Gespräch -eingelassen, und bewunderte am meisten, daß die beiden Proberedenden -diese Fülle von Gedanken und gelehrten Materien so aus dem Stegereif -hätten hersagen können. Begeistrung, rief der Sokratiker, ist Alles: sie -haben ihr Gemüth gesammelt, und dann aus dem Mittelpunkt ihres Wesens -den rauschenden Springquell der Suada hingeströmt. - -Ich kann niemals, äußerte der Edelmann, gegen meinen Pfarrer zu Worte -kommen; wären Sie nun capabel, mir auch die Zunge zu lösen, daß ich so -wie ein Advokat oder Prokurator zu reden wüßte? - -Der Director zupfte kopfschüttelnd den Edelmann am Rocke; dieser sah -sich verdrießlich um, indem der finstre Mann zu ihm sagte: lieber Mann, -Sie verweilen offenbar zu lange in dieser Gesellschaft; dieser Umgang -kann Ihnen unmöglich gut bekommen. - -Indem erhob sich ein lautes Getümmel am andern Ende des Saales. Lassen -Sie mich ungeschoren; rief der junge Wolfsberg laut, ich müßte ja selbst -unsinnig seyn, wenn ich dergleichen Unsinn bewundern, oder mir -auseinandersetzen wollte, welche von den beiden abgeschmackten Reden die -bessere sei. - -Die erste ist aber die bessere, rief der Lesende, und wenn Sie keine -Kritik mehr respectiren wollen, so ist es mit Ihrem eigenen Verstande -nur schwach bestellt. Und was nennen Sie denn Unsinn, Bester? O mein -verehrter Widerwärtiger, hundert Meilen wollte ich reisen, wenn ich -dergleichen doch nur einmal in Wahrheit anzutreffen wüßte. Das ist ja -mein Jammer, daß ich mich schon seit länger als zehn Jahren damit -abquäle, einmal den Unsinn zu finden. Aber rutschen Sie durch zehn -Schauspielhäuser, und wenn Sie in jedem flüchtig auch nur ein paar -Secunden verweilen, so hören Sie leider allenthalben etwas leidlich -Vernünftiges; ja was noch schlimmer ist, die zehn kurzen Fragmente aus -dem Trauer- und Lustspiel, aus dem Familiengemälde und der Posse, aus -der Oper und dem Nachspiel, werden zusammen noch einen passabeln Satz -formiren, über den sich sprechen läßt. Ein Blättchen, das Sie finden, -ein Wort, das Sie aus dem Fenster hören, ein Gespräch aus einer -vorüberrollenden Kutsche, Alles, Alles will leider noch etwas -Verständiges aussprechen. Habe ich es nicht damals, als ich diese -Liebhaberei zuerst bekam, an mich gewandt, die brillantesten Romane und -Schauspiele, die verrufensten Broschüren anzukaufen und zu lesen, weil -ich von allen Seiten hörte, daß Unsinn darin vorkäme. Nichts da! Eine -alberne dumme Vernünftigkeit fand ich allenthalben, daß die Sachen mich -auch gleich anekelten, eine miserable Lust, hie und da über die Schnur -zu hauen, und gleich zum alltäglichen Verstande, wie Kinder im Finstern -zur Mutter zurück gelaufen. Ja, mein Herzensfreund, in allem dem -Geschwätz über Liberalismus und Monarchismus, in diesen Schilderungen -von Riesen, Rittern und Pferden, in den Elementargeistern und -Gespenster-Katzbalgereien, in dieser frömmelnden, liebesiechen -Inspirationssucht ist immer noch kein rechter Aufschwung; allenthalben -die kalte Vernunft; die Philisterei der Philisterei; und so sehr ich -unsern Demosthenes oder Aeschylus hier in seiner ersten Rede verehre, so -möchte ich sie doch nicht so übertrieben loben, daß ich sie unsinnig zu -nennen wagte, denn jeden einzelnen Satz würde ich zu beweisen -unternehmen und auch zeigen können, wie innig alle unter einander -zusammenhangen. Von der zweiten Rede kann gar nicht die Rede seyn, denn -sie war ganz trivial. - -Der verschmähte Redner hatte sich indessen die Zinnschnalle aus dem -Zimmer des Lesenden geholt, und stolzirte mit diesem Schmucke schon im -Saale auf und ab. Der Blasse wollte ihm die Auszeichnung nicht gönnen, -weil sie seinen eignen Ruf zu beeinträchtigen schien. Er ging daher auf -den Usurpator zu, und suchte ihm das glänzende Zeichen zu entreißen; -dieser aber wehrte sich und wurde vom Recensenten vertheidigt. Die -Schachspieler nahmen dieselbe Partei, indessen der Denker mit dem -Maaßstabe den sanften Melchior zu beschützen strebte. Der Edelmann und -Wolfsberg standen in der Mitte, und da sich bald aus dem Gezänk ein -Stoßen und Schlagen entwickelte, so zog der Pygmäen-Bekämpfer seine -kleine Peitsche hervor, und schlug ohne Unterschied unter beide Parteien -hinein, indem er behauptete, daß er allenthalben auf Rücken und -Schultern jene bösen Geister wahrnehme, welche nur aus Bosheit diesen -Zank und Streit unter Menschen erregt, die bisher immer als befreundete -Wesen mit einander hätten leben können. Der Director fuhr ebenfalls -tobend dazwischen, und durch seine drohenden und ernstlichen Worte ward -der Friede endlich wieder hergestellt, obgleich Wolfsberg und der -Edelmann, beide als unschuldige Zuhörer, manchen Streich davon getragen -hatten, weil es die boshaften Pygmäen-Geister nicht unter ihrer Würde -gehalten hatten, diese neutralen Leiber während des Krieges besetzt zu -halten. Der Edelmann verließ die Anstalt sehr verdrießlich, und sein -Sohn Görge begriff nicht, wie eine so lehrreiche Unterhaltung ohne alle -Veranlassung eine so kriegerische Wendung hatte nehmen können. - - * * * * * - -Friedrich hatte, seiner sanftmüthigen Gemüthsart nach, den letzten Krieg -nur ungern entstehn sehn. Er zog sich früh zurück und beklagte aus der -Ferne seinen jungen Freund, zu dem er sich tröstend gesellte, als der -Friede wieder hergestellt war. Sie gingen in den beschränkten -Blumengarten. Da Sie nun, Theuerster, im Grunde ein freier Mann sind, so -fing der Kleine an, so will ich Ihnen heute in der Nacht etwas -mittheilen, was für uns beide von dem größten Nutzen seyn kann. -Wolfsberg war überzeugt, daß es nichts Geringeres, als die Mittel, sich -frei zu machen, betreffen könne. Er ging zur Gesellschaft zurück und -erwartete mit bangem Gefühl die Dunkelheit. - -Gegen Mitternacht ward sein Zimmer eröffnet, der Kleine trat mit einer -Laterne herein, und winkte seinem Freunde mit stummer Geberde. Wolfsberg -folgte schnell, und schweigend stiegen sie die große Treppe hinunter. -Das Hausthor war verschlossen, und als Wolfsberg die Klinke ergriff, -schüttelte der Kleine sehr unwillig mit dem Kopfe und zeigte heftig nach -einem Winkel hin. Der junge Mann folgte seinem Führer; sie stiegen eine -andre Treppe hinab, und befanden sich jetzt in einem weitläuftigen -Gewölbe. Nun fand der ängstliche Freund endlich seine Sprache wieder. -Hier sind wir sicher, nicht behorcht zu werden, sagte er flüsternd: dies -sind die Kellergewölbe des großen Hauses. -- Ich dachte, Sie wollten mir -den Weg zur Freiheit zeigen, sagte der Baron. -- »Nicht daran zu denken, -bester einziger Freund; das Thor ist doppelt verschlossen, dann müßten -wir noch über den Hof und die äußere große Thür aufmachen, die der -fatale Portier bewacht, mein größter Feind in der Welt, der niemals -Vernunft annimmt, und sich von allen Menschen für den Klügsten hält.« -- -»»Was machen wir aber hier?«« -- »Wenn es uns gelingt, liegt hier mehr, -als Ihre Freiheit.« -- »»Wie meinen Sie das?«« -- »Nur still, unten -sollen Sie Alles erfahren!« - -Sie stiegen noch tiefer hinab. Im fernsten Winkel setzte sich nun -Friedrich nieder, stellte die Laterne neben sich, und Wolfsberg sah zu -seinem Erstaunen Hacke und Spaten auf dem Boden liegen. Die Erde war -dort schon aufgewühlt, und als der Baron seinen Führer fragend und -erstaunt betrachtete, lächelte dieser mit dem Ausdrucke der größten -Verschmitztheit, zog den Andern neben sich nieder, und nachdem er ihn -feurig umarmt hatte, sagte er endlich: liebster Baron, Ihnen vor allen -Menschen gönne ich das Glück, dessen Sie hier theilhaftig werden können; -hieher folgt uns kein Neid und keine Beobachtung, diese Gegend der -Gewölbe wird niemals besucht; hier können wir mit geringer Anstrengung -und in kurzer Zeit einen Schatz entdecken, der uns über alle Sorgen der -Zukunft hebt, ja uns zu den angesehensten Männern der ganzen Provinz -macht. Ich habe niemand da oben etwas von dieser Entdeckung sagen mögen; -denn alle jene Menschen sind mehr oder minder gemeine Naturen, wozu noch -kommt, daß sie alle einen Stich von Narrheit haben, der sie mir höchst -widerwärtig macht. Dem Director mag ich von meinem Funde gar nichts -mittheilen; er würde in seiner hochfahrenden Superklugheit thun, als -wenn er mir nicht glaubte, und hernach stillschweigend für sich arbeiten -lassen: denn er ist ein sehr mißgünstiger Mann und beim Lichte besehn -ohne Verstand; er stellt sich viel klüger an, als er wirklich ist, und -da er das Regiment im Hause hat, so darf ihm Keiner viel widersprechen. -Nun, lieber, hochgeehrter Freund, hier nehmen Sie den Spaten und -arbeiten Sie! - -Aber, sagte Wolfsberg, wie kommen Sie nur zu dem Glauben, oder der -Einbildung -- -- - -Still! still! rief der Kleine im größten Eifer, nur ums Himmels willen -keine Zweifel in dieser feierlichen Stunde ausgesprochen, sonst ist -Alles verloren. Kennen Sie die Wünschelruthe und ihre Wirkungen? - -Nein, sagte Wolfsberg verwirrt und schüchtern. - -Haben Sie wohl Wirkungen des Magnetismus gesehen, und glauben Sie an die -Wunder dieser Wissenschaft? - -Ich habe mich nur wenig um dergleichen Gegenstände bekümmert, antwortete -jener, und kann also auch nicht einmal sagen, ob ich an die -Seltsamkeiten, die man davon erzählt, glaube oder nicht. - -O Sie unverständiger Mann, rief der Kleine im größten Eifer aus, so muß -ich ja also dem Blinden von der Farbe predigen! Indessen, was thuts? -Glaube und Ueberzeugung werden Ihnen schon, wie zahme Hündchen, in die -Hände laufen. Sehn Sie, ich bin schon eine Anzahl von Jahren -Unteraufseher in diesem Hause. Ich sage nicht etwa deßwegen -Unteraufseher, weil wir jetzt hier im untern Theile des Hauses eine -gewisse Aufsicht führen; sondern Sie verstehn mich schon: ich meine, ich -bin so fast nach dem Director der wichtigste Mann hier, wie Sie auch -wohl werden bemerkt haben; nur der verdammte Thürhüter will keinen -Respect vor mir haben. Nach einer Nervenkrankheit, wie es die trivialen -Aerzte nennen, fand ich mich schon vor vielen Jahren als einen -verwandelten Menschen wieder. Freund, da war mir ganz so zu Muthe, als -wenn einer meinem inwendigen Geiste Hosen und Weste aus-, ja noch die -Haut dazu abgezogen hätte, so daß er nun niemals mehr zerstreut, oder -dumm, oder langweilig war. Sie werden mich nicht ganz verstehn, thut -aber auch nichts zur Sache. Es ist nämlich so: ich konnte von dem -Augenblicke an überirdische Dinge begreifen und fassen, nicht mit meiner -alltäglichen Vernunft; sondern in meinem inwendigsten Geiste hatte sich -noch ein eignes kleines und feines Verständchen angesetzt, das -dergleichen begriff, und da der Geist nun nicht mehr bekleidet war, und -auch keine dumme Haut mehr über sich hatte, so konnte Ich, der -Lebendige, der hier draußen steht und mit Ihnen spricht, so frischweg in -jene meine unsichtbare Creatur hinein sehn und Alles capiren. Capiren -Sie mich? - -So halb und halb, sagte Wolfsberg, Sie drücken sich etwas figürlich aus! - -Außerdem aber, fuhr Friedrich fort, wurde ich gewahr, daß ich in fremde -Leute hinein sehn konnte. Schaut's! jetzt laufen Ihnen die Gedanken wie -Ameisen durch Ihren Kopf, und einige schleppen sich dummerweise mit -kleinen Steinen, Holz, albernen Zweifeln. Da rennt eben eine großmäulige -Ideenassociation in der inwendigen Gegend des Ohres, und schreit, daß -Alles, was ich Ihnen vortrage, aberwitziges Zeug sei; und nun fliegt -eine kluge Gedankentaube mit dem Oelzweig hintennach und meint, man -könne es denn doch noch nicht wissen. Husch! rennen die übrigen Gedanken -in den Winkel und sitzen gluckend wie die brütenden Hühner da. Ja, ja, -Herr Baron, ich weiß wohl, wer Sie sind. - -So? fragte Wolfsberg in der größten Spannung. - -Ja wohl, sagte der Kleine ganz ruhig, kein Graf, wie unser mürrischer -Director meint, -- he he he! Sie sind auch kein Baron, Sie Vocativus, -Sie! - -Ich dächte doch, sagte Wolfsberg verwirrt. - -Mir können Sie nichts weißmachen, fuhr der Wahrsagende fort, denn ich -weiß ja Alles: ja, ja, alle Ihre Streiche und Kniffe könnte ich Ihnen an -den Fingern hersagen; aber still! wir sind ja alle Menschen, und Sie -bleiben bei allem dem immer ein großer Mann. Ein sehr großer Mann, und -ein berühmter Mann sind Sie, einer von denen, die die Nachwelt noch -nennen wird! Haben Sie erst, was Sie brauchen, so werden Sie auch weiser -werden, und das kann ich Ihnen schaffen, und vertraue dabei Ihrer -Großmuth, daß Sie nicht allzu ungleich mit mir theilen werden. - -Also zur Sache, rief Wolfsberg entschlossen, worauf kommt es an? - -Wie ich in Menschen und Seelen hinein sehn kann, fuhr der Kleine fort, -so kann ich es auch zu Zeiten in leblose Gegenstände. Lange schon habe -ich gesehn, daß gerade hier, etwa vier Klaftern tief, ein ungeheurer -Schatz liegt, fast ganz in Golde, nur wenige Edelsteine darunter. Es -sind zwei große eiserne Kasten, auf dem einen ist eine Inschrift, aber -so verrostet, daß ich die Buchstaben nicht recht zusammenbringen kann. -Aber im zweiten Kasten befindet sich ein geschriebenes Blatt, welches -Alles erklärt. - -Wie sind aber diese Schätze hieher gekommen? fragte Wolfsberg; und -weßwegen hier verscharrt? - -Schwer zu sagen ist es, sagte Friedrich, denn Sie begreifen doch so -viel, daß ich in die Vergangenheit, in ein Nichts, das weder Körper noch -Geist hat, nicht so hinein sehn kann, wie in einen Menschen, oder in ein -Kellergewölbe. Doch, Spaß apart, wollen Sie mir helfen oder nicht? -Glauben Sie mir, oder nicht? Wenn Sie nicht dran wollen, suche ich einen -andern Gehülfen, oder verschweige die Sache noch Jahre lang, wie ich -denn bisher ein Geheimniß daraus gemacht habe. - -Und was soll ich also thun, wenn ich Ihnen glaube? - -O Fragen und kein Ende, rief Friedrich in der größten Ungeduld, ich habe -Ihnen ja schon neulich meine Schultern gezeigt, wie schwach, meine Arme, -wie dünn sie sind. Ich habe es schon oft versucht; aber ich kann nicht -graben, ich bekomme auch gleich den Husten, wenn ich stark arbeite. -Hier, ungläubiger Thomas, ist das Grabscheit! Machen Sie sich dran und -grübeln Sie nicht weiter; in acht Tagen sind wir die reichsten Männer im -Lande, und dann können wir den Director und alle Narren da oben -auslachen. - -Wolfsberg bequemte sich und arbeitete mit der größten Anstrengung einige -Stunden. Als er es kaum mehr vermochte, rief Friedrich: für heute genug! -Schlafen Sie nun gesund, denn man muß uns nicht vermissen. In der -nächsten Nacht werde ich Sie wieder zur Arbeit abrufen. - -Müde und ermattet, wie am ganzen Leibe zerschlagen ging der junge Mann, -der an dergleichen Anstrengungen nicht gewöhnt war, auf sein Zimmer, und -legte sich nieder. - - * * * * * - -Der Rath Walther hatte sich indessen mit dem Arzte auf die Reise -begeben. Ihr Weg führte sie durch anmuthige Gegenden, und Walther wurde -nicht müde, seinen Begleiter von der Trefflichkeit des jungen Raimund zu -unterhalten. Der Arzt war sehr darauf gespannt, einer so wunderbaren -Erscheinung im Leben zu begegnen; nur fürchtete er, ihre feine Harmonie -jetzt durch Schmerz und Wahnsinn zerrissen zu finden. Manchmal stieß mir -wohl ein Zweifel auf, ob die Schilderungen des Rathes, der in allen -andern Dingen, außer dieser Verherrlichung seines jungen Freundes, ein -ruhiger und kalter Mann war, nicht übertrieben poetisch seyn möchten. -Sie näherten sich jetzt dem Dorfe, in welchem der junge Mensch leben -sollte. In den engen Wegen des Gebirges fiel der Wagen um, und der Arzt -ward am Fuße beschädigt; zwar nicht bedeutend, aber doch so, daß er -einen Ruhepunkt zu erreichen wünschen mußte. Dies verdroß ihn um so -mehr, da er in einer Waldschenke einen Mann gesprochen hatte, der ihm -eine so seltsame Schilderung von einem jungen Wildfang gemacht hatte, -welcher sich seit einiger Zeit in den dortigen Gegenden aufhalten -sollte, daß er kaum daran zweifeln durfte, es sei der junge, ihm -entsprungene Graf Birken. Der Rath erbot sich, den kurzen Umweg zu -machen, indessen ihn der Arzt bei jenem Landprediger erwarten sollte, -bei welchem man den jungen Raimund anzutreffen hoffte. - -Der Arzt ließ sich bei dem Pfarrer melden, den er in einer Laube seines -Gartens antraf. Nach den gewöhnlichen Begrüßungen leitete der Fremde die -Unterredung auf den jungen Mann, welcher der Obhut des Geistlichen -anvertraut sei; der Pfarrer schien aber kein großes Interesse an diesem -Gespräche zu nehmen und sagte endlich: ja, seit einem Jahre etwa hält -sich ein etwas confuser Mann bei mir auf, dessen ^ingenium^ und ^mens^ -nicht zum Besten bestellt sind, und um den ich mich auch wenig kümmere, -außer daß er uns bei Tische oft seine ^joci^ vormacht. Ich erhalte von -dessen alten Domestiken eine anständige Pension, und so lasse ich ihn -gewähren; denn es ist nicht meines Thuns, mich viel mit Narren -einzulassen, oder sie gar curiren zu wollen. Der alte ^servus^ führt -eigentlich ganz die Aufsicht über den Verwirrten, und mit wem sich -dieser am meisten einläßt, ist unser gnädiger Junker, der freilich auch -mit aller Macht zur ^dementia^ inclinirt. Diese beiden Thoren, wenn sie -einmal bei Sonntagslaune sind, machen mir zuweilen mein kleines Haus zu -enge. - -Wissen Sie aber nichts Näheres von den Schicksalen des jungen Mannes? -fragte der Arzt. - -Urtheilen Sie selbst, verehrter Herr, erwiederte der Geistliche, ob eine -solche Creatur, der es am Besten gebricht, wohl absonderliche Schicksale -haben könne. Diese Personen sind ja recht eigentlich ^fruges consumere -nati^. Wir nennen ihn nur kurzweg immer den Werther. - -Werther? fragte der Arzt sehr lebhaft. - -Ja, mein Herr, fuhr jener fort, dieses ist ein Spitzname, der aus einem -gewissen Buche entlehnt seyn soll, welches unsre junge Baronesse einmal -gelesen hat. Derselbe trieb sich auch immer, wie man mir sagte, in Wald -und Flur herum, statt in vernünftiger Societät ein Wort mitzusprechen, -eine Pfeife zu rauchen und etwa zu hören, was es in der politischen Welt -Neues giebt. - -Sie scheinen kein Freund der Natur zu seyn, warf der Reisende ein, und -bewohnen doch selbst eine der reizendsten Gegenden unsers Vaterlandes. - -Natur! rief der Pfarrer aus; das Wort ist etwa seit 40 Jahren in die -Mode gekommen, und so weit ich habe das Verständniß davon erreichen -können, meint man darunter einen etwanigen Bach oder Fluß, sammt Berg -und Steingeschichten, oder die Waldsachen und dergleichen. Hat mich nie -sonderlich interessirt, weil ich mich immer bestrebt habe, ein denkendes -Wesen vorzustellen. Und unser Werther, wie ihn die jungen Leute heißen, -oder Theophilus, wie sein eigentlicher Taufname lautet, weiß auch weder, -ob Frühling oder Herbst ist, ob die Bäume blühen oder dürr sind, ob die -Bergwand aus Granit oder Marmor besteht, sondern er läuft nur, wie ein -Uhrwerk, so hin und her. - -Der Alte war mit allerhand Papieren und Briefschaften beschäftigt, die -er in einem Tischkasten zu ordnen suchte, und der Arzt sagte indessen zu -sich: Der Aermste! Also auch diese Empfindung ist in ihm untergegangen, -die sonst dem Unglücklichen so oft einen heiligen Trost gewährt! Denn -der Natur gegenüber verklärt sich jeder Schmerz, der uns unter Menschen, -in den Mauern der Städte oft zu vernichten droht, und verwandelt sich in -ein himmlisches Wesen, in eine Erscheinung von oben herab. Wie eine -Himmelsharfe tönt die Natur Freude und Leid mit, und setzt unsre stummen -Seufzer, die Worte der Klage in überirdische Musik um. - -In diesen Phantasieen, die wohl so schnell in ihm antönten, weil er so -lange mit dem fast schwärmerischen Rathe gereiset war, wurde er wieder -vom Pfarrer unterbrochen. Verzeihen Sie mir, sagte dieser, daß ich Sie -so schlecht unterhalte, jeder macht so seine Studia. Dieselben haben -sich wohl niemals mit der Astrologia eingelassen? - -Nein, antwortete der Arzt. - -Sehr Schade, fuhr jener fort, daß diese Wissenschaft seit neueren Zeiten -so ist vernachlässiget worden. Ich habe sie immer bewährt gefunden. Und -so sehe ich hier wieder das Horoskop an, welches ich meiner Tochter bei -ihrer Geburt stellte. Ich prognosticirte damals, daß sie sich in einen -hohen Stand erheben würde, und sie ist nun auch wirklich glückliche -Braut eines vornehmen Mannes. Das hat mir auch den Geist so eingenommen, -daß ich fast nicht capabel bin, eine recht fortgesetzte Conversation zu -führen. Doch da kommt ja unser Theophilus mit seinem alten -Gesellschafter. Der junge Mann ist eine Zeit lang in einer andern -Familie sehr gemißhandelt worden; man darf ihn nicht auf diesen -Gegenstand bringen: denn er wird zuweilen bitterböse, wenn er sich jener -Tage erinnert. - -Der Arzt stand auf und sah zu seinem Erstaunen einen langen, nicht mehr -jungen Mann eintreten, der sich gebückt trug, und aus dessen -regelmäßiger Physiognomie die höchste Beschränktheit und Einfalt hervor -leuchtete, aber auch zugleich eine so heitre Jovialität, daß er von -Neuem an dem Rathe und dessen übertriebener Schilderung irre ward. Der -Einfältige gab dem Pfarrer die Hand, sah den Fremden mit scheuem Blick -von der Seite an, ging dann auf ihn zu und fragte hastig: sind Sie ein -Edelmann? - -Verzeihung, rief der Pfarrer dazwischen; ich habe noch nicht einmal -Gelegenheit gehabt, mich nach Ihrem werthen Namen zu erkundigen. - -Doctor Anselm, sagte der Arzt. - -Ich dachte, Sie wären mein Vetter, rief der Einfältige, weil Sie eine -solche ästhetische superfeine Nase haben. Zugleich sprang er in die -Höhe, und schlug wie ein muthwilliges Füllen mit den Beinen hinten aus. - -Der Arzt, der sich auf eine ganz andere Stimmung vorbereitet hatte, -mußte laut lachen, indem der Pfarrer mißbilligend das Haupt schüttelte, -und sehr ernste Runzeln in sein Gesicht zog. - -Sehn Sie nur, sagte Theophil, indem er den Arzt etwas bei Seite führte, -das Perlmutter-Gesicht von meinem alten Prediger; so debattirt er immer -mit sich, als ob er an einem Obscuranten-Almanach arbeitete. - -Sie drücken sich seltsam aus, sagte der Arzt, aber vergnüglich. - -Er weiß nie, was er spricht, unser junger Freund, rief der Prediger; -weder kennt er die Bedeutung der Worte, die er braucht, noch will er -überhaupt etwas damit ausdrücken. Es ist wie Wiederhall von Felsen, oder -Waldesbrausen. Mein ehrwürdiges Alter ist einmal immer das Stichblatt -seines falschen Witzbestrebens. - -Der Herr Prediger, sagte der Simple, hat eine rechte Hosiannah-Stimme -und sitzt so mächtig auf seiner Bank da, als wenn er Habakuk und alle -zwölf kleine Propheten zu künftige Pfingsten confirmiren wollte. -- -Pankraz! rief er dem alten Diener zu, du mußt mir wieder Taschengeld -geben! - -Haben Sie denn schon Alles ausgegeben? fragte dieser. - -Dummer Teufel! rief Theophilus; freilich! Denken Sie nur selbst, mein -fremder Herr Vetter, draußen vor dem Dorfe begegnen mir die Mädchen, die -drüben in der Stadt allerhand auf dem Jahrmarkt eingekauft hatten, -Tücher, Schürzen, Mieder, Hauben, Spielzeug für die kleinen Geschwister. -Sie hatten noch eine volle halbe Meile, und ließen mich nun die Sachen -herüber tragen. Wie ich sie ihnen wieder abgab, mußte ich ihnen doch -wohl ein Trinkgeld geben, daß sie mir Alles so hübsch anvertraut hatten? -Aber Pankraz ist faul; der trug nichts, und drum hat er auch sein Geld -in der Tasche behalten. - -Das ist ein schöner Zug von Ihnen, sagte der Arzt; sind Sie aber immer -so vergnügt? - -Wie's kommt, antwortete jener lachend; nur wenn die Leute dumm sind, -kann ich mich sehr ärgern, wenn sie nicht capiren. Sehn Sie, es ist sehr -traurig, wenn man allein klug seyn soll. In Gesellschaft habe ich noch -einmal so gern Verstand. - -Sie denken trefflich, sagte Anselm. - -Was sagen Sie aber vollends dazu, schwatzte jener weiter, daß wenn ich -einmal so recht superklug bin, die Leute mir beweisen wollen, ich wäre -dumm? Nicht wahr, die Welt liegt im Argen; wie unser Herr Pastor Kilian -letzt einmal in der Kirche sagte. - -Ich werde sorgen, daß Sie niemals mehr hinein gelassen werden, rief der -alte Mann. - -Ich bin ja aber doch ein getaufter Christ, sagte Theophil mit der -größten Ernsthaftigkeit und ging traurig zum Prediger hin. - -Lassen Sie sich dienen, Herr Doctor, fuhr der Alte fort, daß es nicht -angeht, weil er sich laut mit seinem Bedienten während des -Gottesdienstes zankt. Was thut er aber neulich? Indem ich in der Predigt -aufsehe, hat er unsern Hund in meinen Sitz gebracht, läßt den Pudel -aufrecht stehn, der nun über das Chor gucken und ein Gesangbuch zwischen -den Pfoten halten muß. Heißt das nicht die Gemeine stören? - -Ich bin ja aber doch ein getaufter Christ! sagte der Angeklagte mit -weinerlicher Stimme. Der Arzt, der eine ernsthafte Wendung des -Gespräches fürchtete, fragte den Klagenden, was das neulich gewesen sei, -wo er so allein klug, und die Andern dumm gewesen wären. Ja so! sagte -Theophil plötzlich laut lachend; das war eine lustige Geschichte! Die -Mamsell Kilian hatte mir ganz neue Schnupftücher gekauft. Nun sollte ich -den andern Tag mit dem Junker auf den Fischfang gehn, da nahm ich mir -vor, den Pankraz zu erinnern, daß er mich erinnern sollte, damit ich es -nicht vergessen möchte. Um aber auch gewiß daran zu denken, daß ich ihn -zu rechter Zeit erinnern möchte, damit er mich ja erinnern könnte, -machte ich einen Knoten in mein Schnupftuch. Sie wissen ja, das ist ein -altes Herkommen, wenn man etwas nicht vergessen will. - -Ja wohl. - -Nun gut; ich wache den Morgen auf, da finde ich den Knoten. Da besinne -ich mich auch gleich, daß ich den Pankraz erinnern muß. Pankraz, du -sollst mich an was erinnern! Ganz recht, gnädiger Herr, Sie wollen mit -dem Junker auf den Fischfang gehn. Ich geh' auf den Fischfang und denke -nichts Böses. Den andern Tag aber ist der Knoten noch im Tuche. Das -ängstete mich, denn es gab nun nichts mehr zu erinnern, und wenn ich den -Knoten anfaßte, wollte ich mich immer auf etwas besinnen. Den Knoten -hatte ich aber so fest gezogen, daß ich ihn gar nicht wieder aufkriegen -konnte. So nehm' ich im Verdruß eine Scheere, und schneide bloß den -Knoten, verstehn Sie, bloß den Knoten ab, und werfe ihn aus dem Fenster. -Wie nun das Tuch wieder gewaschen ist, sagt die Mamsell sammt allen -Menschen im Hause, ich hätte es entzwei geschnitten; es fehlte auch -wirklich ein großes Stück davon. Nun sagen Sie selbst, ob ich etwas -dabei versehn habe, und wer Recht hat! - -Der Knoten, sagte der Arzt, war aber doch natürlich vorher ein Stück des -Tuches, folglich mußte dieses nachher fehlen. - -Sie begreifen nicht! sagte Theophil im großen Zorn, und faßte die Hand -des Arztes heftig und stark; ich schnitt ja nicht das Tuch ab, sondern -nur den Knoten, den ich erst hinein gemacht hatte, der vorher nicht drin -war. - -Wir wollen nicht streiten, sagte Anselm, Sie können wohl Recht haben; -ich habe bisher dieses Experiment noch nicht gemacht, und Vieles -begreift man gewiß erst durch die Erfahrung. - -Hat man Ihnen wohl schon einmal Gesellschaft geleistet? fragte der junge -Mann mit listiger Miene. - -O ja, sagte der Arzt, mehr als einmal; und Sie leisten mir jetzt eben -auch Gesellschaft. - -Sie würden sich dafür bedanken, fuhr jener fort, wenn ichs in der Manier -thun wollte, wie mein Gesellschafter Walz da drüben in der kleinen Stadt -mir die Zeit vertrieb. Da sagten sie, ich müßte einen Gesellschafter -haben. Da kam Herr Walz, der dazu bestellt war. Das gab ein -Gesellschaftsleisten, daß mir des Abends alle Rippen weh thaten. - -Wie so? - -Er schlug immer um sich, und wir konnten uns gar nicht vertragen; aber -ich durfte ihn niemals wieder prügeln. Ja, wie gern möcht' ich ihm auch -einmal so recht Gesellschaft geleistet haben! Wenn ich verdrießlich war, -schlug er; war ich nicht aufgeräumt, ließ er mir zur Ader; ein paar Mal -ließ er mir auch Zähne ausziehn, -- die beiden hier: weil er sagte, ich -wäre zu böse, die Zähne wären schon nichts nütz und thäten mir nur jetzt -oder in Zukunft einmal weh. Den andern habe ich einmal beim Essen -verloren. - -Aber diesen Augenzahn hier? fragte der Arzt. - -Der fehlte mir schon, antwortete jener ganz ruhig, vor meiner Zeit. - -Vor Ihrer Zeit? Wie verstehn Sie das? - -Lieber Himmel, Sie sind recht schwer von Begriffen! Vor meiner Zeit -- -ach! lassen Sie mich zufrieden und haben Sie mich nicht zum Narren! -sagte er ganz böse. - -Verzeihen Sie, fiel der Arzt ein, ich verstehe Sie jetzt schon; ich -begreife nur langsam, wie Sie ganz richtig bemerkten. - -Haben Sie die Naturwissenschaft studirt? fragte der junge Mann wieder -ganz heiter. - -O ja, sie ist mein Hauptstudium. - -Nun, dann gratulire ich, sagte jener laut lachend. Sind Sie auch brav -darin herumgewalzt worden? - -Herumgewalzt? - -Sie capiren schon wieder nicht! Brav abgewammst, tüchtig gedroschen! Sie -verstehn nun schon, so wie es mir dabei mit meinem Gesellschafter Walz -ergangen ist. - -Er nahm also die Sache so ernsthaft? - -Ja freilich. Er sagte, er müsse mir die Botanik beibringen. Es war aber -eigentlich die _Batonik_, weil er den lieben Baton so sehr dabei -brauchte. Da krochen wir herum und suchten Petersilie und Wurstkraut, -Rüben und Knoblauch, und das sollte ich immer alles behalten. Ein ander -Mal fing er einen Maikäfer. Seht, das ist ein Maikäfer. Ja, sagt' ich, -das ist ein Maikäfer. -- Zu welchem Geschlecht gehört er? -- Doch wohl -zum Geschlecht der Maikäfer. -- Sehn Sie, da brach er gleich einen -Haselzweig ab, und demonstrirte mir die Sache auf meinem Rücken. Der -wurde überhaupt dazumal so magnetisirt, daß er fast so hellsehend -geworden wäre, daß die Sonne durch ihn hätte hindurch scheinen können. -Sagen Sie mir überhaupt nur, wenn einer im Kopfe nicht zu Hause ist, -warum man dann immer auf dem Rücken, oder noch tiefer anklopft. Sollte -denn der Geist da allenthalben lieber als in der höhern Etage wohnen? -- -Nun gut; dann gingen wir in den Wald. Da unten liegt, schrie er, der -berühmte Linné, oder auch Pistillen, oder dergleichen alberne -Gelehrtennamen. Wenn ichs nicht behielt, von der Buche ein Zweig -gebrochen, und damit wieder Privatstunde gehalten. Ich war nur froh, -wenn das Botanisiren im Freien geschah, da war doch etwa nur ein -Gesträuch zur Hand. - -Sie haben also, sagte Anselm, in dieser Wissenschaft auf dem Wege nichts -profitiren können? - -Doch, antwortete jener; aber Alles, worauf es mir auch nur abgesehn -schien, mit dem _Rücken_; denn der kriegte durch vieles Repetiren der -Studien eine so feste Memorie, daß ich noch jetzt bei jedem Stocke -unterscheiden will, auf welchem Baume er gewachsen ist. Sie glauben -nicht, wie anziehend die frischen Haselgerten sind! Weiden schmiegen -sich mehr, sind aber weniger eindringlich. Die Eiche klingt mächtig, als -Baum der deutschen Freiheit; es läßt sich aber nicht viel damit -ausrichten; der Walz konnte auch immer nur die dürren Zweige abbrechen, -die fast gar nichts zu sagen haben. So ist es auch mit der Tanne und -Fichte nicht viel. Die Buche ist körnig; die Birke, besonders im -Frühjahr, empfindlich; auch wächst das Zeug, wo kein andrer Baum -fortkommt, steht also fast immer zur Hand. Von allen diesen Stauden und -Gewächsen brach er seine Wünschelruthen, und alle schlugen immer auf -meinen Rücken an, so daß in meinem Innern große Schätze verwahrt liegen -müssen. Er schonte auch die mitleidige Trauerweide, die vornehme -Weihmuthskiefer nicht; ja selbst der Tulpenbaum mußte ein paar Mal das -Instrument zu meiner Weihe reichen; und so kann ich gewiß, da gar kein -Tergiversiren etwas fruchtete, auf eine recht pragmatische und -polyhistorische Bildung Anspruch machen. -- Als ich mich genug -durchstudirt, und er alle Naturreiche durchgeprügelt hatte, wurde ich -hieher zu dem friedfertigen Herrn Kilian gethan; und hier ruhe ich auf -meinen Lorbeern aus, die ich noch manchmal in Rippen und Seiten fühle. - -Es freut mich, daß Sie so fröhlich sind, sagte der Arzt; haben Sie -Appetit, schlafen Sie gut? - -Ich danke, sagte jener; bald so, bald so; aber ich träume oft schwer und -fürchterlich, und tobe dann und lärme in der Nacht. So hatte ich auch -diese Nacht einen ängstlichen Traum. - -Was war das für ein Traum? - -Pankraz! rief Theophil dem Diener zu: was träumte mir diese Nacht? - -Der Alte trat näher und sagte verdrießlich: das kann ich nicht wissen. - -Sehn Sie den eigensinnigen Menschen, rief Theophil aus, ich lasse ihn -bloß deßwegen in meiner Stube schlafen, daß er alles wissen soll, was -ich denke und träume; aber er ist so träge, daß er sich fast nie darum -bekümmert. Wenn Du es nicht weißt, wer soll es denn wissen? Dazu sollst -Du die Aufsicht über mich haben! - -Es ist aber nicht möglich, ereiferte sich Pankraz. So wollen Sie auch -immer von mir wissen, was Sie denken, oder gedacht haben; wie soll ich -das anfangen? - -Durch Liebe, einfältiger Mensch! rief jener aus. Du sollst mit mir so -eins werden, daß wir unsre Seelen gemeinsam haben, dann wird es mir -weniger sauer werden, über Vieles nachzusinnen; denn dann denk' ich in -Dir, und Du hast bloß die Mühe davon. - -Dann müßte ich aber auch für uns Beide essen; sagte Pankraz mit Lächeln. - -Nein, erwiederte Theophil; das würd' ich gern übernehmen, und zwar in -Deinem Namen mit; ich die Wurzel und der Stamm, Du die Blume und Frucht. - -Bei dieser Stimmung schien es dem Arzte möglich, den Kranken über den -Gegenstand zu prüfen, den zu berühren er außerdem ängstlich würde -vermieden haben. Er ging also näher und fragte ihn leise: haben Sie -lange keine Nachrichten von Blanka erhalten? - -Blanka? rief Theophil aus; das ist ja wohl ein weißes Windspiel, das ich -vor langer Zeit hatte? - -Blanka? nahm der alte Diener das Wort, indem er den Arzt prüfend -betrachtete: wissen Sie von der etwas? - -Anselm begegnete dreist dem stechenden Blicke des Alten, und meinte nun -fast nichts mehr schonen zu dürfen. Er sagte daher: ich wünsche bloß -etwas Näheres von Blanka und Raimund zu erfahren, deren trauriges -Schicksal mich sehr interessirt hat. - -Pankraz schlug die Augen nieder und sagte: ich weiß nichts von ihnen; -aber Theophil fiel plötzlich in eine tolle Laune, hüpfte auf einem Beine -herum, schwenkte den Hut und schrie halb singend: Da hinter des -Priesters Garten, da ist ein Wiesenplan, da stehn rings Weiden und -Birken, ein Wasser rauscht fließend daran; da schreien Kuckuck und -Staare, da schaut wohl der Hirsch aus dem Busch; es ist ein liebes -Plätzchen, voll Einsamkeit und Schatten genug. Da kommen in -Herbstestagen, wenn welkes Laub schon rauscht, die liebe Fräulein -Blanka, der Monsieur Raimund zusamm. Sie sehn sich mit weinenden Augen, -sie drücken sich zärtlich die Hand; da giebt es herzig Umarmen, da -finden sie wieder Verstand! -- Er schrie und sang immer lauter, so daß -der alte Pfarrer aufstand und rief: um des Himmels willen, junger Herr, -in welcher Spinnstube haben Sie die alte Ballade wieder aufgehascht? - -Das hab' ich selbst gedichtet, jetzt eben, schrie Theophil erfreut. -Pankraz, behalt' es ja, wir wollen es nachher dem Junker vorsingen. - -Ich weiß kein Wort davon, sagte Pankraz, vom Kuckuck war was in der Ode, -und daß Sie gern Verstand haben möchten. Da kommt der Junker! - -Ohne den Eingang zu suchen, sprang in diesem Augenblick ein junger -Bursche über den Zaun, mit rothem Gesicht, ohne Hut mit Papierwickeln in -den Haaren. Da sind wir wieder, schrie er ungezogen, guten Tag, Tissel, -ach! Herr Pastor, wären Sie doch mit uns gewesen; da hätten Sie -disputiren können! - -Wo wart Ihr, lieber Görge, fragte Theophil. - -Ach! liebster Freund, fuhr dieser jubelnd fort, unsre ganze Familie hat -seitdem an den Narren dort den Narren gefressen; nur die Mama will -nichts davon wissen, und ist auf uns alle, vornehmlich auf den Papa -böse, daß er uns so ein schlechtes Beispiel giebt. - -Mein lieber Junker, sagte der Pfarrer sehr ehrbar, mit Narren würde ich -niemals disputirt haben; denn sie haben keine Logik. - -Es waren auch nicht so eigentliche Narren, sagte Görge, sondern eine Art -Künstler. Ich sage Ihnen, der Papa war ganz eingenommen, und sie hatten -da oben einen Mann, der den Leuten das Reden beibringen konnte. - -Heisa! Heisa! Dort kommt erst der rechte Windbeutel, rief Theophil laut -jubelnd; der und ich, wir sind die beiden größten Narren im Römischen -Reich; das Kloster da oben, wo unser Herr Kilian disputiren soll, in -allen Ehren gehalten. - -Reden Sie mit Verstand, sagte der Geistliche, und respectiren Sie in dem -verehrten Herrn Grafen den Bräutigam meiner Tochter. - -Auf einem kleinen Schimmel sprengte ein junger Mensch heran, hüpfte aus -dem Sattel, und eilte in die Umarmung des Pfarrers, indeß schon aus dem -Hause, mit der Küchenschürze angethan, ein rothhaariges Mädchen herbei -stürzte, und Vater und Geliebten zugleich umschloß. Die Gruppe fuhr aus -einander, als sich jetzt der Arzt, so schnell es sein verwundeter Fuß -erlaubte, ihnen näherte. Ist es möglich, Graf Birken, daß wir uns hier -wieder treffen? Auf Sie hatte ich heute nicht gerechnet. Der junge -Mensch sah sich schnell um, stieß seinen Schwiegervater so hastig vor -den Bauch, daß dieser wieder in die Laube zurück taumelte, warf mit -demselben Ungestüm die kleine dicke Braut von seinem Halse, ergriff den -Schimmel, und ehe die Umstehenden sich noch recht besinnen konnten, war -er im gestreckten Galopp schon aus dem Dorfe hinaus. - -Ein Pferd! rief der Arzt. Setzt ihm nach! - -Was haben Sie für Ansprüche an meinen Schwiegersohn? fragte der Pfarrer, -der sich wieder gesammelt hatte. - -Der Windbeutel reitet einmal! schrie Theophil jauchzend. - -Um des Himmels willen ein Pferd! rief der Arzt; kommt er uns aus den -Augen, so haben wir ihn Alle für immer verloren. - -Verloren! schrie die Braut und rang die Hände. - -Sei still, mein Kind, rief der Geistliche; morgen ist die Trauung, und -kein fremder Mensch, mag er sich auch Doctor nennen, hat das Recht, Dir -Deinen Bräutigam zu entreißen. - -Der Mensch ist ein Narr! rief der Arzt heftig aus, und nun er mich hier -gesehen hat, kommt er gewiß nicht wieder. - -Lästern Sie unsre Familie nicht! rief der Pfarrer noch heftiger, Sie -fremder, unbekannter, hergelaufener Herr; und wenn mein Schwiegersohn -Ihretwegen nicht wieder kommt, so gebe ich Ihnen meinen Fluch, Sie -Gottloser! - -Theophil und Görge waren von diesem Gezänk auf das Höchste erbaut; denn -sie kannten keinen größern Genuß, als den alten Pfarrer im Zorn zu -sehen. Die Tochter hatte verzweiflungsvoll den Garten verlassen. Ein -Wagen fuhr in den Hof, und der Rath Walther, in gespannter Eile, ohne -die Andern zu begrüßen, kam herbei gelaufen, und rief schon von Weitem -dem Arzte zu: wo ist er? -- »Wieder ein neuer Windbeutel! Heute haben -wir die Hülle und Fülle!« jubelte Theophil. -- Der Arzt ging ihm -entgegen, indem er sagte: dort steht ja Ihr Liebling. -- Dieser da? -fragte der Rath, indem er den Einfältigen nur flüchtig betrachtete. Ach! -Pankraz! rief er dann höchlich überrascht; Du hier? Sage mir, wo ist -Raimund? - -Der Diener war verwirrt und erschrocken, und konnte erst keine Antwort -finden; endlich stotterte er: Sie wissen es ja wohl, Herr Rath, daß ich, -als ich damals plötzlich aus den Diensten des Herrn Raimund mußte. -- - -Recht, sagte der Arzt; der Baron Eberhard gab Dir den Abschied wegen des -unglücklichen Einfalls, daß Du dem kranken Jüngling die falsche -Nachricht vom Tode seiner Geliebten überbrachtest. - -Nun also, sagte Pankraz; seitdem habe ich von dem jungen Herrn nichts -wieder gesehn und gehört. Es ist mir seitdem schlimm genug gegangen. - -Aber wie kommst Du hieher? - -Es ist mein Pankraz, rief Theophil, mein Gesellschafter; aber nicht in -der Walzmanier. - -Wie heißen Sie? fragte der Rath. - -Du, Pankraz, rief Theophil, wie heiß' ich doch? Ich kriege alle -Augenblicke einen andern Namen. - -Sie sind, sagte der Diener, der Herr Theophil von Leitmark. - -So, sagte der Thor, ich dachte Ebermann, Hardeber, oder sonst. Nun, mir -kann's gleich gelten. - -Der Arzt hatte sich wieder gesammelt, nahm Abschied vom Pfarrer, bat der -Störung wegen um Verzeihung, und zog dann halb gewaltsam den Rath zum -Wagen. Lassen Sie mich nur noch ein Wort mit Pankraz sprechen, sagte -dieser. Doch Pankraz und Theophil waren eiligst verschwunden, und der -Pfarrer erzählte, daß Beide oft Wochen lang in der Gegend, nahe und -fern, auf ihren Pferden umher streiften, und man alsdann nur selten -erführe, wo sie auf ihren thörichten Irrfahrten verweilten. Der Arzt hob -seinen Freund selbst in den Wagen und sagte dann laut: Lassen Sie uns -doch nun unser Ziel verfolgen, den Grafen Birken suchen, nach Raimund -spähen; fahre Herr Theophil und sein Pankraz wohl, und sei unser lieber -Herr Pfarrer Kilian auf immer dem Himmel befohlen; denn hieher werden -wir auf keinen Fall wieder kommen! Niemals, denn wir haben noch eine -weite Reise vor uns! - -Der Rath sah ihn verwundert an, und wollte fragen; aber das Rollen des -Wagens hinderte jetzt noch das Gespräch, und sie hatten in kurzer Zeit -das Dorf und die Gegend verlassen. - - * * * * * - -Baron Wolfsberg hatte unterdessen fleißig arbeiten müssen. Um sich nicht -zu verrathen, durfte er am Tage nicht so lange schlafen, als es ihm wohl -gut und heilsam gewesen wäre. Der kleine Friedrich führte eine strenge -Aufsicht über ihn und ermunterte ihn kräftig, wenn er einmal ermatten -wollte. Als das Geschäft des Eingrabens schon weit gediehen war, zeigte -sich die größte Schwierigkeit darin, die aufgehäufte Erde, welche bei -der zunehmenden Arbeit immer hinderlicher wurde, fortzuschaffen. Doch -Friedrich wußte auch dafür ein Mittel. Es gelang ihm, aus dem Garten -einen Schiebkarren unbemerkt zu entfernen, und in die unterirdischen -Gewölbe zu befördern. Da er aber selbst für die Arbeit viel zu -schwächlich war, so mußte der junge Baron auch das Geschäft übernehmen, -Sand und Erde herauf zu führen, und in die weit verbreiteten Räume der -Keller zu verfahren und auszustreuen. Gewöhnlich holte Friedrich den -nächtlichen Arbeiter schon vor eilf Uhr ab, und ließ ihn erst gegen vier -Morgens zurück kehren, so daß auch Wolfsberg durch den wenigen Schlaf, -da überdieß die Kost nicht die nahrhafteste war, sich nach wenigen -Wochen ziemlich abgemattet fühlte. Er wurde mager, still und -melancholisch, und sah dem jungen frischen Manne und dem übermüthigen -Weiberliebling kaum mehr ähnlich, in dessen Gestalt er zuerst das Haus -betreten hatte. Der Director schaute ihn oft prüfend an, untersuchte -seinen Puls, und erkundigte sich theilnehmend, ob ihn ein besonderer -Gram quäle. Wolfsberg aber, der sich schmeichelte, bald das Ziel seiner -Anstrengungen erreicht zu haben, wich allen prüfenden Fragen sorgfältig -aus. - -Zu einer Mittagsstunde ward der junge Mann dadurch überrascht, daß ihn -sein getreuer Friedrich an den Tisch des Directors zum Essen einlud. Er -fand dort nur eine kleine Gesellschaft, und außer dem Wirthe nur einen -schmächtigen, ziemlich alten Prediger aus der benachbarten Stadt, der -zuweilen in einer Capelle des großen Hauses den Verwirrten predigte und -sie zu ermahnen und bekehren suchte, meist aber durch possierliche -Störungen gehemmt und unterbrochen wurde. Außer Wolfsberg war nur noch -Herr Kranich gewürdigt worden, an diesem kleinen vertraulichen Tische -Platz zu nehmen; Friedrich war mit zur Aufwartung zugegen. Sie sehn, -meine Herren, fing der Director mit einer heitern Miene an, die man -nicht an ihm gewohnt war, ich behandle Sie heute als Männer, die sich -selbst in der Gewalt haben. Der Herr Pastor und ich hoffen von Ihrer -Unterhaltung Vergnügen und Aufheiterung; denn sich in diesem großen -Hause immer so einsam zu fühlen, ist wahrlich nicht erfreulich. - -Wohl, sagte der Pfarrer schmunzelnd; und es will mir oft vorkommen, als -wenn unsre Freunde nur etwas mehr kräftigen Willen haben dürften, um so -wie wir Andern zu seyn; aber ich versichre Sie, Herr Director, und Ihre -eigene Beobachtung wird es Ihnen auch bestätigt haben, daß die leidige -Eitelkeit, der Stolz auf irgend eine Grille, die man nicht ablegen will, -sehr viel, ja bei manchen unsrer Patienten wohl das Allermeiste thut. - -Friedrich mußte dem Baron, so wie dem Herrn Kranich Wein einschenken, -damit sich beide, vorzüglich der junge Graf, wie ihn der Director -nannte, stärken möchten. Freilich haben Sie Recht, Herr Pastor, setzte -dieser das Gespräch fort; denn wer von uns fühlt wohl nicht, daß er sich -nur nachgeben und verweichlichen dürfte, um diese oder jene Seltsamkeit -auf die wunderlichste Art auszubilden, und dadurch bei stärkern Menschen -Anstoß oder Lachen zu erregen? - -Mein Herr Director, antwortete der Geistliche, es ist überdieß im -Thörichten (Verzeihung, meine Herren, daß wir so offen über diesen -Gegenstand sprechen) etwas so Anlockendes, fast Liebliches, daß man -zuweilen recht im ganzen Wesen den unwiderstehlichen Reiz spürt, mit -beiden Beinen frisch und wohlgemuth hinein zu springen. Soll ich? Soll -ich nicht? so fragt man sich selbst. Warum nicht? sagt eine curiose -Stimme, aus dem fernsten und buntesten Winkel unsers Geistes; tausend! -ruft es, was kannst du da erfahren, und dich genießen, ja erst recht -verstehen, wenn du der Altklugheit ein Schnippchen schlägst. Aber zum -Glück kommt dann wieder eine ehrbare, aschgraue Moral, die mit ernster -Miene sagt: widerstehe dem Verführer und seiner Lockung, laß dich nicht -in die Kellergewölbe des Wahns führen, wo trotz aller Versprechungen -keine Schätze liegen! - -Kellergewölbe? fragte Wolfsberg und wurde roth; wie kommen Sie nur auf -dieses Gleichniß, das mir hier gar nicht passend scheint! - -Der Director sah ihn schon wieder mit dem prüfenden Blicke an, und -Friedrich machte ihm gegenüber eine so seltsam bittende Miene, seine -beiden Wangen zitterten und zuckten, die Lippen schmiegten und krümmten -sich wie ein Wurm, und die Augen zwinkelten so bedeutend, daß Wolfsberg -in das lauteste Gelächter ausbrechen mußte. - -Gebe der Himmel, sagte der Director, daß unsre Mahlzeit mit der -Heiterkeit schließe, mit welcher sie anzufangen scheint. Gewiß, fiel der -Prediger ein, ist zu wünschen, daß wir so fröhlich bleiben mögen: aber -um fortzufahren, so kommt es mir noch immer nicht so ganz ausgemacht -vor, ob die Mania (wir wollen dies Wort brauchen, um keinen Anstoß zu -erregen) in uns Allen liegt, und nur wie bei den Lastern durch -Nachgiebigkeit befördert und gereift wird, so daß der gewöhnliche -Verstand nur in gewissen Graden von ihr entfernt seyn möchte: oder ob -sie eine radicale Verschwiegenheit, ein wahrhaft kranker Zustand, ein -andres und schiefgerichtetes Verhältniß der Seele ist. - -Das Letzte und auch zugleich das Erste, meinte der Director, und darum -sei auch die Cur leicht und schwer zugleich: leicht, weil man sich den -Verirrten nur hingeben müsse, sie zu verstehn suchen, da immer noch -Verständniß, oft eine Art System zum Grunde liege, sie achten, ihnen zur -passenden Zeit nachgeben, ein ander Mal Strenge üben; und von dieser -Seite sei wohl keiner ganz unheilbar zu nennen: schwer sei die Cur aber, -weil man die Symptome oft mit dem Grunde der Krankheit verwechsle, den -Verirrten dann nur störe und kränker mache, -- für ein schwaches Gemüth -aber, wie er selbst, sei sie dadurch am schwersten, daß man, um diese -Menschen zu verstehn, mit dramatischem Geiste zu tief in sie eingehe, -leicht in eine Art Täuschung gerathe, und wenn man sich dann plötzlich -prüfe, sich selbst beinahe auf dem nämlichen Wege finde. - -O mir aus der Seele gesprochen! schmunzelte der Geistliche; ach, Herr -Medicinalrath, was sind Sie für ein Menschenkenner! Da liegt freilich -recht eigentlich der Hund begraben, daß man, wie man im Trauerspiel -weint, indem man sich in die Confusion hinein denkt, selbst confus wird. -^Dis moi qui tu hantes etc.^ Ja wohl, ja wohl, ein wahres -Sprichwörtchen! Ich habe schon zuweilen die Meinung fassen wollen, daß, -um als Seelsorger auf die guten Leutchen zu wirken, einer gefunden -werden müßte, der, wenn auch nicht ganz in die Irre, doch ein wenig -jenseit der Schnur gerathen wäre, und doch noch genug kräftige Religion -übrig behalten hätte, um die Seelen zu ergreifen. Denn das, bester Herr -Director, ist das Schlimme, daß, wenn man nicht selbst in ihren Orden -eingeweiht ist, man fast niemals die rechte Perspective trifft. Sie -wissen, wie ich in meinen Predigten gesucht habe, in Ton, Geberde und -Beispiel mich den armen Drehschaafen zu nähern, aber manchmal zu wenig, -oft aber viel zu viel that; Sie selber machten einige Male die -Bemerkung, ich hätte wie ein wahrer Narr gesprochen. Ich mußte Ihre -eigne Seele freilich ganz aus dem Spiele lassen; denn ich wußte ja, wie -firm und kräftig Sie in Moral, Tugend und allen Glaubenslehren sind. - -Sie gaben einige Male ein schlechtes Beispiel, sagte der Director; denn -Sie lachten auf der Kanzel selbst aus vollem Halse. - -Der ernsthafteste Mann hätte es nicht unterlassen können, sagte der -Prediger, von Neuem laut lachend. Denken Sie, Herr Graf, wir hatten hier -in unserm Hause einen jungen Mann, der ein Baukünstler gewesen war; er -hatte aber eine so heftige Liebesleidenschaft zur Tochter eines -Perückenmachers gefaßt, daß er darüber sein Studium verließ, und das -Handwerk des Meisters ergriff; da ihm aber das Mädchen untreu wurde, mit -Erlaubniß von Ihnen, so zu sagen, überschnappte. Nun bestand seine -Grille darin, sich und alle Menschen, die er dazu bewegen konnte, auf -die sonderbarste Weise zu frisiren. An jedem Tage hatte er eine neue -wunderliche Kopfverzierung ersonnen, und ich glaube, daß ihn bei diesen -mannigfaltigen Erfindungen sein ehemaliges Studium der Baukunst sehr -unterstützte. Ich predige hier an einem Pfingsttage, und sehe die liebe -Gemeinde unter mir. Der Verwilderte hatte sich furchtbar ^à la Herisson^ -frisirt, so daß ihm die Haare wie Borsten vom Kopfe weit weg abstanden; -sieben oder acht seiner Freunde standen und saßen neben ihm mit -hochaufgewirbelten Papillotten, ein Anblick, der schon sonderbar genug -war, weil viele Papierbündel wirklich wie aufgerichtete Krämerdüten auf -den Köpfen leuchteten. Nun nahm aber er einen nach dem andern von seinen -Anhängern zwischen die Knie, und frisirte ihn während meiner Predigt -eben so fantastisch, wie er selbst sich trug, so daß gegen das Ende der -Rede ein Theil meiner Andächtigen wie eben so viele wilde Teufel -aussahen, und ich des Lachens wegen, das mich befiel, früher schließen -mußte, als ich mir vorgesetzt hatte. - -Friedrich wollte sich ausschütten vor Lachen, und der Director -erwiederte: so wie der Verstand, so hat die Narrheit des Menschen keine -Gränzen. Jetzt ist ein Mann bei uns, der sich immer mit einem Maaßstabe -herumtreibt und ihn unablässig betrachtet und rechnet. Dieser Mensch ist -ziemlich wohlhabend und besitzt in der Stadt drüben ein mittelmäßiges -Haus. Es verdroß ihn aber, daß, wenn er so manche größere Häuser des -Ortes betrachtete, ihm sein ererbter Wohnsitz nur winzig und unbedeutend -erscheinen mußte. Mit diesem Verdrusse schleppte er sich Tag und Nacht, -und wußte doch kein Mittel, dem Uebelstande abzuhelfen. Endlich, weil er -vor Hochmuth weder mehr schlafen noch essen konnte, faßte er einen -seiner Thorheit würdigen Entschluß. An einem schönen Sommertage geht er -aus, miethet auf dem Markte vier der stärksten Tagelöhner, und nimmt sie -mit in seine Wohnung. Hier führt er sie in sein größtes Zimmer; jeder -von ihnen muß sich gegen eine Wand stemmen und mit allen Kräften dagegen -drücken, bis er ihnen Halt zuruft. Sie empfangen ihren Lohn, ohne zu -begreifen, was sie gearbeitet haben. Am folgenden Tage wird derselbe -Versuch wiederholt; sie müssen streben und drängen, daß ihnen der -Schweiß herab fließt, genau auf sein Commandowort achten, und in -demselben Augenblick alle zugleich zu drücken aufhören, wie sie in -demselben begonnen haben. So treibt er es den ganzen Sommer; er -erweitert nach und nach alle Zimmer seines Hauses, die Gänge, die -Treppen, den Hof; und nachdem er so eine bedeutende Summe ausgegeben -hat, ist er fest überzeugt, sein Haus sei das größeste in der ganzen -Stadt. Er spaziert Stunden lang mit hoher Verehrung vor demselben auf -und nieder, er zeigt erstaunten Fremden seine unermeßlichen Säle, er -fängt an, sich selbst den Grafentitel beizulegen, hängt ein gemaltes -Wappen über seine Hausthür, und ist auf einige Zeit unser Gast geworden, -um sich wieder auf die Wahrheit besinnen zu lernen. Sehn Sie, lieber -junger Herr Graf, so sonderbare Verirrungen fallen vor, daß dieser Mann -sogar den sichtlichen Raum seines Hauses nicht mehr hat wahrnehmen -können. - -Sie beweisen mir heute ein so schönes Vertrauen, erwiederte Wolfsberg, -daß ich es wohl wagen darf, noch einmal das Wort zu wiederholen, mit -welchem ich Ihr Haus zuerst betrat, daß ich nämlich durchaus nicht der -bin, für welchen Sie mich halten, und daß Sie, wenn Sie mich nur einer -ruhigen Prüfung würdigen wollen, mich eben so wenig des Verstandes -beraubt finden werden, als den Herrn Prediger, oder als Sie es selber -sind. - -Der Director winkte mit dem allerfinstersten Blicke, und Friedrich, -welcher jede seiner Mienen verstand, nahm schnell den Wein vor Wolfsberg -weg, und stellte ihm ein großes Wasserglas hin. Es geht nicht, rief der -Director, so mit Ihnen zu leben, wie ich wünsche. Da Sie jetzt so -abgefallen und fast miserabel aussehen, da Ihr Blick so demüthig ist; so -glaubte ich wirklich, Sie hätten in sich geschlagen, und ich dürfte Sie -durch bessere Speise und Wein erquicken. Aber an Ihnen ist Hopfen und -Malz verloren. Wie, Sie wollen wirklich streiten, daß Sie der Graf -Birken, einer der confusesten jungen Männer sind? daß Sie schon tausend -Händel angezettelt, und dafür drei oder vier Mal ansehnliche Schläge -empfangen haben? daß Sie es zu guter Letzt gewagt, sich mehrmals in das -Haus des Barons von Halden einzuschleichen, und das Unglück seiner -sinnverwirrten Tochter durch Liebesbriefe und mündliche Betheuerungen -erhöht, ja sie endlich beredet haben, sich von Ihnen entführen zu -lassen? Hier ist die Klage des Barons, hier sind Ihre kläglichen Briefe, -hier ist die Ordre vom Minister, Sie gefangen zu halten. Wollen Sie aber -dieser Graf Birken nicht seyn, so zeigen Sie uns Pässe, oder Schriften, -durch welche Sie sich ausweisen können; stellen Sie angesehene Bürgen! -Aber man hat Sie dort im Hause nur zu gut erkannt, und Sie zu oft aus- -und einschleichen sehn, Sie auch zuletzt im Zimmer der Tochter selber -ergriffen. Und nun kein Wort mehr über die Abgeschmacktheit, wenn Sie -nicht bei Wasser und Brod in Ihrem Zimmer wollen eingesperrt seyn. - -Wolfsberg las die Papiere mit Aufmerksamkeit durch, und wagte es nicht, -noch ein einziges Wort zu seiner Rechtfertigung zu erwiedern. Friedrich -sah ihn tröstend an und warf heimlich höhnische Blicke auf den Director; -der aufmerksame Herr Kranich aber war schnell mit der kleinen Peitsche -bei der Hand, um die bösen Geister von Wolfsbergs Schultern zu verjagen. -Der Director wurde noch zorniger und rief: stecken Sie die verdammte -Peitsche ein! Ich glaubte, Sie würden doch wenigstens mein Vertrauen und -mein Zimmer so weit ehren, das Zeichen Ihres Aberwitzes in Ihrer Klause -zu lassen. - -Der Rothrock steckte zwar die Peitsche wieder ein, machte aber ein -zorniges Gesicht, sah den Director mit großen Augen unverwandt an und -sprach dann laut: Aberwitz, mein Herr? Dieses Worts sollen Sie sich -jetzt und Ihre Lebenszeit hindurch schämen! Ich kam an Ihren Tisch in -dem festen Vertrauen, daß Sie doch so viel Vernunft haben würden, mich -nicht mit den mancherlei Gecken, von denen heut Mittag die Rede gewesen -ist, in eine Classe zu werfen, und mich nicht mit dem Gezücht -vergleichen zu wollen, was da unten im Saale sein Gaukelwesen treibt. -Ich brauche, dem Himmel sei Dank, nicht curirt zu werden; auch will ich -niemals curirt seyn; denn meine Vernunft, Herr, ist probefest, und auf -die Dauer gearbeitet, und ich bin noch niemals, wie Sie von sich vorher -zugestanden haben, in Gefahr gerathen, mit Närrischen närrisch zu -werden. Wer wären Sie denn, wenn ich nicht das Geschmeiß der Pygmäen -immer wieder aus Ihrem Hause vertriebe? Ich will diese liebe Peitsche -nur kurze Zeit ruhen lassen, und Sie werden es an sich erfahren, daß Sie -ein ruinirter Mann sind, daß Sie überschnappen, daß Sie zum Kinderspott -werden. Wie? Was? Es gäbe wohl am Ende gar keine Pygmäen? Haben sie -nicht schon die alten Griechen erkannt, aber nach ihrer dummen Weise -darüber gefabelt. Sogar von mir und meinem großen Einfluß auf sie hat -man in uralten Zeiten dunkle Legenden und Ahndungen gehabt; aber man -dichtete, daß die Pygmäen ein wirkliches Volk seien, so klein, daß die -Kraniche Krieg mit ihnen führten. So erbärmlich hat man die Sache und -meinen Kampf mit ihnen entstellt. Heut zu Tage nennen sie's das böse -Princip. Nicht wahr, da ist mehr Verstand drin! Nein, da lobe ich mir -meine süße, liebe Peitsche; und wo ich bin, muß diese auch seyn. ^Dixi.^ - -Der Geistliche sagte: nicht so übel! aber der Director fuhr auf: wenn -Sie so großen Geschmack an Narren finden, ehrwürdiger Herr, so mögen Sie -es haben. Er verließ das Zimmer; die Uebrigen folgten ihm nach. - - * * * * * - -Was machen Sie nur? fragte der Rath den Arzt, als der sandigere Weg -wieder ein Gespräch erlaubte. Wir sollten lieber hier noch verweilen, -vorzüglich Ihretwegen, da Sie doch nun Ihren theuern Grafen gefunden -haben; und Sie selbst ziehen mich wie mit Gewalt in den Wagen, und -erklären, Sie wollten niemals wieder hieher zurück kommen. - -O mein bester Rath, sagte der Arzt halb lachend; für einen -Rechtsgelehrten sind Sie mir doch etwas zu treuherzig und für einen -Inquisitor und Nachspürer gar zu arglos. Der Birken ist entlaufen, Vater -und Tochter sind mir entgegen. Vermuthen diese, ich komme wieder, so -finde ich meinen Entsprungenen niemals und es geschieht, was ich -verhindern will; kann ich sie aber sicher machen, daß ich nicht zurück -kehre, so überrasche ich den vollständigen Familienkreis wohl in Kurzem. -Mit Ihrem lieben Pankraz ist es derselbe Fall; er hat sich unsichtbar -gemacht, und zeigt sich nur, wenn er uns entfernt weiß. - -Was hat der ehrliche alte Mensch mit dieser Sache, ja mit irgend einer -zu thun? antwortete der Rath. Er hat damals genug gelitten, als seine -Unvorsichtigkeit dem armen Raimund so theuer zu stehen kam; der Mensch -mußte sogleich den Dienst verlassen und dem Zorn des alten Barons -entfliehn. - -Der Arzt lachte laut auf. Wenn meine Menschenkenntniß mich nicht ganz -trügt, sagte er endlich, so ist dieser gute alte Pankraz ein -durchtriebener Schurke, und jener braun- und blauäugige Baron nichts -Geringeres. - -Sie schwärmen, lieber Freund. - -Und Sie schlagen selbst etwas in die Farben, in denen Sie mir Ihren -Raimund gezeichnet haben. Haben Sie denn nicht bemerkt, wie verlegen das -Pankraziengesicht wurde, als es Sie erblickte? Schon vorher wurde er -blaß, als ich ihn nach Blanka fragte. Er weiß uns Raimunds Aufenthalt -gewiß zu entdecken. Können Sie sich in der Stadt durch Freunde oder -Autorität eine Vollmacht verschaffen, um den Schurken, wenn Sie ihn -wieder ansichtig werden, zu verhaften, ihn zu erschrecken; so erfahren -wir gewiß Alles, und der Zweck Ihrer Reise ist erfüllt. - -Wenn Sie Recht hätten! sagte der Rath. -- Er befahl dem Kutscher nach -der Stadt zu fahren. - - * * * * * - -Bei der Gesellschaft im Saale waren einige Veränderungen vorgegangen. -Die beiden Redner hatten sich immer noch nicht versöhnt und jeder -vermied den andern; die Schachspielenden schienen auch weniger einig, -als sonst, und der Mann mit dem Maaßstabe war unruhiger, und lief hastig -hin und wieder. Wolfsberg gesellte sich zu diesem, und fragte, was ihm -fehle. Ach, mein Herr, sagte dieser heftig bewegt, Sie haben gewiß auch -von meinem großen Hause gehört, welches ich durch meine Geschicklichkeit -so ansehnlich gemacht hatte. Das konnte mir der Neid nie vergeben, daß -ich durch Wissenschaft Besitzer eines der größten Paläste in der Stadt -seyn sollte. Bald hieß es, durch die übermäßige Ausdehnung habe der Bau -eine so zarte Constitution erhalten, daß er bei der nächsten -Veranlassung, wenn etwa Truppen marschirten und die Trommel gerührt -würde, erschreckend, wie in einem Nervenfieber zusammen stürzen müsse. -Andre meinten gar, ich hätte die Stadt dadurch verengt, und die -nahestehenden Häuser und Gassen litten darunter: als wenn der unendliche -Raum etwas so Beschränktes wäre, daß man die Welt so leicht verderben -könnte. Ich erbot mich, die ganze Stadt durch Beobachtung des Tactes -auszudehnen, und sie, wenn wir Geld und Zeit genug hätten, größer als -London oder Nanking zu machen. Aber die Bosheit hörte auf nichts; ich -mußte mich hieher in die Einsamkeit zurück ziehn. Und was ist nun im -Werke? Sollten Sie's glauben, daß die Verderbtheit der Menschen so weit -gehen könne! Eine ganze Schiffsladung von Gummi elasticum läßt man mit -Erlaubniß des Parlaments von England kommen. Fünfhundert Menschen zerren -das Zeug aus einander; man practizirt es so, nach allen Seiten -ausgedehnt, unter meinen Palast, und auf ein Zeichen von dem -nahestehenden Kirchthurm (denn auch die Religion wird dazu gemißbraucht) -lassen alle fünfhundert Bösewichter in einem und demselben Augenblicke -die Gummifetzen los; das unglückselige Zeug schnappt zusammen, und nimmt -unwiderstehlich Breite und Länge meines Palastes mit sich, der durch -dieses höllische Kunststück wieder zu einem gewöhnlichen Hause -zusammenschrumpft. Denn das giebt die Vernunft, daß, da das elastische -Unwesen sich nun in der Grundlage an das Gebäude anklemmt, keine -menschliche Kraft, keine Wissenschaft, kein noch so gut observirter Tact -dazu hinreicht, es aus den Gummi-Klauen zu retten und wieder aus -einander zu dehnen. - -Wolfsberg mußte dem Klagenden Recht geben; doch wurde jetzt seine -Aufmerksamkeit auf einen jungen Menschen gerichtet, der zum Saale herein -schlich, und den er bisher noch niemals gesehen hatte. Methusalem kommt -einmal wieder! riefen Einige, und über die blassen Wangen des kranken -Jünglings lief ein leichtes Roth. Wie nennen Sie ihn? fragte der Baron. -O er heißt nur so, antwortete Sokrates, der eben vorüber ging, weil das -Gespenst schon so außerordentlich bei Jahren ist, daß, gegen ihn -gerechnet, Methusalem selbst noch in den Kinderschuhen steckt. - -Die Gestalt und das Wesen des Jünglings waren so wunderbar und von -Allem, was sich in diesem Hause zeigte, so verschieden, daß sich -Wolfsberg wie gezwungen fühlte, sich ihm langsam und mit Blödigkeit zu -nähern. Der Jüngling war schlank und mager, seine Geberde ruhig und -edel, sein Gesicht schön, aber blaß und abgefallen; die Augen glänzten -so überirdisch, daß man vor ihnen erschrecken konnte, wenn nicht eine -süße Schwermuth ihr Feuer wieder gemildert hätte. Der junge Mensch -schritt dem Baron entgegen, vielleicht, weil ihm auch dessen Gestalt und -Wesen, als ein milderes, auffiel. Wolfsberg war um Worte verlegen, mit -welchen er das Gespräch eröffnen könne; aber der Kranke kam ihm zuvor, -nahm ihn bei der Hand und sagte mit der lieblichsten Stimme: was fehlt -Ihnen? - -Meine Vergehungen, sagte der Baron in einem fast zerknirschten Tone, -haben mich hieher geführt. Aber woran leiden Sie? - -Ach! klagte der Jüngling, daß ich so gar übermäßig alt bin; die große -Menge der Jahre drückt mich zu Boden. Wie alt schätzen Sie mich? - -Höchstens drei und zwanzig Jahre, sagte der Baron. - -Des Jünglings Gesicht ward noch wehmüthiger und zwei große Thränen -fielen aus den Augen. Sie sehn, sagte er mit seiner lieblichen Stimme, -wie ich lachen muß. Nun bin ich gerade sechstausend dreihundert und vier -und neunzig Jahre alt. Gestern Nachmittag hatte ich nur sechstausend und -vier und neunzig: und denken Sie, in der kurzen Zeit bin ich schon -wieder um die dreihundert Jahre älter geworden. - -Sie setzen mich in Erstaunen, sagte Wolfsberg. - -Wissen Sie denn, was die Zeit ist? klagte jener weiter. O Lieber, -mancher Achtzigjährige geht zu Grabe, und hat vielleicht nicht zwanzig -Jahre, nicht zehn gelebt. Vielleicht giebt es Menschen, die von der -Geburt an bis zum Greisenalter nicht zur Zeit erwachen, und erst jenseit -die erste Stunde müssen kennen lernen. In der Gleichgültigkeit ist kein -Strom; weder Vergangenheit, noch Zukunft, auch keine Gegenwart. Freude, -Jubel und Glück sind rasende Kinder, die tobend umher springen und das -zarte Stundenglas zerbrechen; hinter ihnen steht Tod und Nichtsein, -- -der Himmel gab uns dafür keine Sinne. Aber im Schmerz, im Schmerz! Wie -durch diesen Wunderbalsam die Secunde, die das Auge kaum unterscheidet, -aufschwillt und mit der Ewigkeit schwanger wird! Ja, mein junger -Zeitgenosse, ich habe Tage erlebt, in denen Jahrhunderte eingewickelt -waren; sie lösten sie aus ihren Schleiern und legten sich mir um die -Seele. Dann kam eine Stunde, eigentlich nur ein Augenblick; da sprang -die ganze aufschwellende Knospe entzwei, in der mir die Zeit in -duftenden Blättern aus einander blühen sollte, und ein Alles und Nichts, -ein großer ewiger Tod, in dessen finsterm Herzen kindisch das süßeste -Leben lächelte, brach mit Gewitternacht über mich ein. Da waren die -Jahrtausende verlebt, dieselben, an denen das Menschengeschlecht, ohne -sie nur zu kosten, vorüber kriecht. Schmerz, Herz, Scherz: nicht wahr, -im Schmerz ist Alles, was die Andern nur einzeln aussprechen? Leben Sie -wohl, und hüten Sie sich, so alt zu werden! Ich gehe wieder auf mein -Zimmer, denn wenn diese großen Minuten mich besuchen wollen, müssen sie -mich wach finden. Adieu, junger Mann, vielleicht bin ich schon acht oder -zehntausend Jahre, wenn wir uns wiedersehn. Er wankte hinaus, und keiner -von den Gegenwärtigen achtete auf ihn. - -Die Uebrigen umringten Wolfsberg, und Sokrates, der den Sprecher im -Namen Aller zu machen schien, sagte: junger Herr, wir Alle sind es nun -endlich überdrüssig, Sie noch länger diese triviale Rolle spielen zu -sehn, mit der Sie uns Allen herzliche Langeweile machen. Nicht der -Unbedeutendste hier, der nicht sein Pfund wuchern ließe; und Sie wollen -immer noch als leutseliger Beobachter sich herum treiben? Fordert die -Menschheit nicht auch Ihre Kraft und Ihren Entschluß? Sie sollen nicht -länger der Niemand seyn, mit dem Keiner von uns etwas anzufangen weiß. - -Meine Herren, sagte Wolfsberg in einer sonderbaren Stimmung, die aus -Schmerz und toller Laune gemischt war: da Sie mich Alle mit einem so -gütigen Zuruf und schmeichelnden Zutrauen beehren, und da ich sehe, daß -uns hier eine so glückliche Republik umfaßt, in der uns weder Gesetze -der Zeit noch des Raumes tyrannisiren, und eine so freie Verfassung -unsre Kräfte erhebt, daß auch selbst das Unmögliche möglich wird: so -will ich denn auch nicht länger hinter dem Berge halten, mich Ihnen -entdecken und Ihren herrlichen Bestrebungen anschließen. Wissen Sie -also, daß ich das Eigne an mir habe, daß ich schon öfters gelebt habe, -vielerlei Zustände erfahren, und mein dermaliges Leben nur als die -hundertste Wiederholung in einer etwas veränderten Modification -aufführe. - -Wie meinen Sie das, Trivialer? fragte der Leser. - -Dieselben geruhen, antwortete Wolfsberg, mit Ihrer unvergleichlichen -Stupidität nicht zu capiren. Ich war mit Einem Wort, genau nach der -Lehre des Pythagoras, schon in vielfachen Gestalten im Leben. Ich war -König, Kaiser, Bettler, Vater, Sohn, lasterhaft, zur Tugend geneigt, -glücklich und elend. - -O, sagte der Indianische Schachspieler, Sie fangen an interessant zu -werden, Männchen; fahren Sie nur so fort, so können Sie noch was -leisten. - -Können Sie uns nicht etwas Bestimmteres von Ihren frühern Verhältnissen -mittheilen? fragte Sokrates. - -Gern, erwiederte der Baron mit geläufiger Zunge, ich war z. B. zugegen, -als Cäsar ermordet wurde. - -Trefflich! rief der Leser; wer waren Sie denn dazumal? - -Wer anders, als der berühmte Cassius, antwortete Wolfsberg. - -Halt! schrie der aufgedunsene Redner, der noch immer mit der -Zinnschnalle paradirte, halt! rief seine krächzende Stimme; das ist nur -Windbeutelei! Denn wenn ich damals hätte leben können, so würde ich -Cassius gewesen seyn: also ist es pur unmöglich, daß du selbiger -gewesen! - -Dieser leere Wunsch, und die etwanige Möglichkeit, sagte Wolfsberg -spitzfindig, schließt doch wohl meine wirklich erlebte Wirklichkeit -nicht aus? - -Leerer Wunsch? schrie der aufgebrachte Dichter, in meinem ganzen großen -Leibe und noch größerem Geiste ist kein einziger Wunsch, den man als -leer verlästern dürfte! Leer! Ei, den ausgelernten Lehrer! Mit diesen -Worten schlug er auf den jungen Baron ein. Sokrates wollte seinen -ehemaligen Schüler zurechtweisen: da dieser aber, noch ergrollt, ihn -ebenfalls nicht schonte, so verließ auch diesen die sokratische Ruhe. -Doch, wie es auch wohl bei Vernünftigern zu geschehen pflegt, vergaß er -den Beginn des Zanks, und sein thätiger Unwille wandte sich nach wenigen -Augenblicken gegen Wolfsberg. Die Schachspieler, Melchior, der -Baukünstler, ja Alle im Saale schienen plötzlich von der Ueberzeugung -begeistert, daß es nothwendig sei, denjenigen, der schon als Cassius und -in andern Zuständen Vieles gelitten, auch in diesem Momente mit -empfindlichen Leiden zu überhäufen. Am grausamsten aber wüthete die -Peitsche des Pygmäen-Bezwingers, dessen Seherkraft auf Rücken und -Schultern des Armen Myriaden seiner kleinen Gegner erblicken mußte, weil -er, unbarmherzig gegen sich und den Geschlagenen, in die Geister mit der -Anstrengung aller Kräfte hinein arbeitete. Entsetzt stürzte Friedrich, -der seinen fleißigen Arbeiter und Schatzheber unterliegen sah, mit -fürchterlichem Geschrei zum Director, dessen Autorität und starkes Wort -den armen, erschöpften Baron auch wirklich frei machte, der sich -verdrießlich und zerschlagen nach seinem Zimmer begab, und den der -Trost, welchen ihm Friedrich noch in der Thür zuraunte, daß die nun -kommende Nacht die letzte und entscheidende sei, in diesem Augenblick -nicht sonderlich erheben konnte. - - * * * * * - -Als Friedrich seinen nächtlichen Schatzgräber abrief, fand er ihn sehr -übel gelaunt. Die Arbeit wird mir zu schwer, sagte er verdrießlich; -meine Kräfte nehmen ab, und ich muß fürchten, daß diese ganze ungeheure -Anstrengung vergeblich gewesen ist; denn nach so manchen Wochen, nach so -vieler herausgegrabenen Erde, da wir doch schon tief genug gekommen -sind, zeigte sich noch immer nichts. Es wird auch fast unmöglich, die -Erde aus der Tiefe noch höher herauf zu schaffen, da ich Alles allein -verrichten muß. - -Nur heut noch, flüsterte Friedrich; ich gebe Ihnen mein Wort, heut ist -die letzte und entscheidende Nacht! Wir müssen nur Anstalt treffen, das -viele Gold aufzubewahren, ohne daß man es bei uns bemerkt. Und noch -Eins, verehrter Freund, in der letzten Nacht zeigt sich gewiß etwas -Sonderbares oder Gespenstisches. Lassen Sie sich nicht überraschen; -erschrecken Sie nicht, wenn Sie Stimmen hören, ein wunderliches -Gepolter, Geschrei; wenn Lichter und Geister kommen, und uns das so -sauer Errungene wieder zu entreißen streben. Denn das ist ihre Art, den -Glücklichen noch zuletzt zu ängstigen, damit sie ihm seine Beute wieder -entziehen. Darum hüten Sie sich heute besonders vor jedem Zweifel oder -gottlosen Wort und Fluch; denn sonst versinkt unser Schatz gleich wieder -so viele Klaftern tiefer, daß alsdann unsre Arbeit von Neuem und viel -beschwerlicher anfangen müßte. Heut müssen wir besonders still seyn, und -uns eine feierliche Manns- und Heldenstimmung geben. - -Sie gingen langsam hinunter. Sie flüsterten unterwegs, was sie mit den -Schätzen beginnen, welche Unternehmungen sie ausführen wollten, wie die -Welt vor den ungeheuren Dingen erstaunen sollte, die alsdann auftreten -würden. Wolfsberg sprach davon, wie er sich sein eignes Theater in -seinem großen Palaste anlegen wolle, und nur den vorzüglichsten -Künstlern gestatten, bei ihm aufzutreten; Friedrich dachte mehr darauf, -den Director zu kränken, seinem Hause gegenüber ein anderes, noch -größeres aufzuführen, und alle Menschen dort kostbar zu bewirthen die -sein Gebieter nicht leiden könne. - -Als sie unten waren, stellte Wolfsberg die Laterne wieder neben sich, -und fing an seufzend zu graben, da ihm Arme und Rücken, ermüdet, wie sie -waren, fast den Dienst versagten. Friedrich stand oben auf der lockern -Erde, und konnte kaum seine heisern anordnenden Worte hinab gelangen -lassen, so tief hatte sich Wolfsberg schon unter die Fundamente -eingegraben. Eine schauerliche Stille umgab sie; ganz dumpf und fern -hörten sie jetzt die große Uhr zwölf schlagen. Wolfsberg dachte nicht -ohne Grausen daran, daß sich nach seines kleinen Freundes Voraussagung -nun wohl etwas zeigen könne, und suchte seine Angst durch emsigere -Arbeit zu betäuben. Friedrich stand hoch über ihm und zitterte an allen -Gliedern; er wagte es nicht mehr hinab zu sehn; die Erdschollen, wie sie -von unten aufgeworfen wurden, erklangen ihm fürchterlich, weil er in -jedem Wurf Schritt und Tritt eines Geistes zu hören glaubte. In der -größeren Anstrengung warf Wolfsberg die Laterne um, die nur ein -dämmerndes Licht in der ausgegrabenen Kluft schimmern ließ; Friedrich -stieß einen leisen Ausruf des Entsetzens aus, und als sich jetzt ein -seltsames Gepolter vernehmen ließ, ein dumpfes, brausendes Murren, von -dem man nicht unterscheiden konnte, woher es komme, setzte sich -Wolfsberg in höchster Angst nieder, ein Geisterheer und furchtbare -Erscheinungen erwartend. Sein Haar sträubte sich, als das Getöse zunahm; -und jetzt fiel plötzlich mit schwerem Fall ein Wesen um seinen Hals, -schlang sich zitternd und weinend an ihn fest und schien ihn erdrücken -zu wollen. Als Wolfsberg sich etwas besann, erkannte er Friedrich, der -von oben zu ihm herab gekugelt war, vom Schreck hinunter geworfen. Was -wird aus uns werden? schluchzte dieser. Aber nur Muth, Muth, mein -Leidensgefährte! Jetzt vernahm man etwas Bestimmteres, wie Reden, -Schreien durch einander. Es kam näher; aber nicht aus dem Boden, sondern -von dem Eingange des Kellers her; Lichtschimmer fingen an sich zu -verbreiten. Aber da muß das heilige Donnerwetter drein schlagen! brüllte -jetzt eine Stimme, und der Kleine ließ jetzt den Baron fahren, richtete -sich auf, und sagte: Gott Lob! es ist nichts, es ist nur unser Herr -Director. - -Mordelement! schrie dieser von oben, wie sieht das hier in den -Kellergeschossen aus, da müssen wenigstens zwanzig verrückte Spitzbuben -dran gearbeitet haben. Gewiß ist der Schuft, der Friedrich, wieder auf -seine alten Tollheiten verfallen, und hat ein Rudel Dummköpfe zu -Gehülfen genommen. An dir aber will ich ein Exempel statuiren! - -Herr Director, Barmherzigkeit! winselte der Kleine von unten hinauf. - -Leuchtet! schrie der zornige Mann. Die Diener kamen mit den Lichtern -näher, stiegen auf die Erdhügel, und man sah jetzt beim Schein die armen -Sünder, bleich und aufgelöst in Angst, unten stehn. - -Wie? schrie der Director, der verrückte Graf ist da unten bei dir? -Herauf ihr verdammten Kerle! - -Langsam und mit Mühe krochen die Verbrecher aus ihrer Grube. Wißt ihr -wohl, Patrone, eiferte der wüthende Medicinalrath, daß durch eure -sauberen Bemühungen das Fundament hier gesunken ist, daß die äußere -Mauer nach Westen einen Riß bekommen hat? daß ich das Recht habe, euch -in Ketten zu schlagen und an die Wand zu schmieden? Ich erschrecke, wie -ich heut Nachmittag den Sprung in der Mauer wahrnehme; aber das laß ich -mir doch nicht träumen, daß der dumme Schatzgräber, der doch seine -ehemalige Strafe nicht sollte vergessen haben, seine Streiche von Neuem -angefangen hat. Sprich, wo sind die übrigen Verschwornen? - -Der Graf, wie Sie ihn nennen, antwortete der zitternde Friedrich, hat -Alles ganz allein gemacht. - -Was? rief der Director erstaunt; das Kerlchen ganz allein? Allen diesen -Schutt aufgeworfen? sich wohl vier Klaftern tief eingegraben? die Erde -in die Gewölbe herauf gefahren und dort abgeladen? Das ist kaum -menschenmöglich! Und wie lange treibt ihr die Teufeleien? - -Seit vier oder fünf Wochen, klagte Friedrich. - -Kein Wunder denn, sagte der Director, daß der Unkluge so verfiel und zum -Jammerbilde wurde. Aber wie konnten Sie nur, Graf, ein solcher Dummkopf -seyn, und sich von diesem armseligen Schaafe verführen lassen? Merkten -Sie es denn gar nicht, da Sie doch manchmal Funken von Vernunft zeigen, -daß er auch zu den Tollen gehört? - -Also ist unser Herr Friedrich auch unklug? fragte Wolfsberg. - -Was anders? erwiederte der Director: nur weil er anstelliger ist, als -die Andern, wird er zum Aufwärter, ja Aufseher gebraucht. Nun hat sich -das Ding freilich geändert. Hätten die Satans nicht uns Narren -insgesammt den alten Kasten auf die Köpfe schmeißen können! - -Mir fiel es oft ein, sagte Wolfsberg kleinlaut, daß hier keine Schätze -liegen möchten, daß Friedrich vielleicht nicht gesunde Einsichten habe; -aber weil ich doch einmal die tolle Arbeit angefangen hatte, weil er -mich so zu lieben, auch ganz zu kennen schien, mehr als Alle, so -- -- - -Ja, winselte Friedrich, ich mußte dem Narren gleich gut seyn, so wie ich -ihn ankommen sah; denn betrachten Sie ihn nur, wie er dem berühmten -Herzog Marlbrough ähnlich sieht, der vor einem halben Jahre bei uns saß, -und mit dem ich damals auch die große Freundschaft errichtete. Aber da -er nun doch ein recht verrätherischer Narr ist, will ich Ihnen auch -sagen, wer er eigentlich ist; denn Sie kennen ihn Alle nicht. - -Nun? sagte der Director. - -Er ist, fuhr Friedrich trotzig fort, der durch die ganze Welt -berüchtigte Cartouche, das können Sie mir auf mein Wort glauben. - -Scheert Euch beide auf Eure Stuben, rief der Director, und nehmt da auf -vier Wochen mit Wasser und Brod vorlieb, das ist Eure gelindeste Strafe! -Die Maurer werden hier wohl eben so lange zu thun finden, ehe das Haus -wieder fest steht und Alles in Ordnung ist. - -Sie gingen Alle hinauf, und die beiden armen Sünder mußten sich seufzend -in ihre Strafe fügen, die noch härter hätte ausfallen können. - - * * * * * - -Vor der Stadt lustwandelten die beiden Freunde Walther und Anselm. Sie -billigen es also, sprach der Letztere, daß ich dem alten Grafen Birken -Alles, was seinen wilden Sohn betrifft, geschrieben habe, und daß er -nun, wenn es ihm wichtig genug dünkt, selber kommen und ihn aufsuchen -mag; denn ich kann meine Zeit nicht länger mit diesen Nachforschungen -verlieren. Sie wissen, daß mit jedem Posttag die vortheilhafteste -Anstellung ankommen kann, die ich nicht zurück weisen darf. - -Ich bin in allen Dingen Ihrer Meinung, erwiederte Walther, nur darin -nicht, daß Sie nicht zum Hause des Predigers Kilian zurück kehren -wollen, wo, wie ich immer noch glaube, wir Alle antreffen würden. Was -nützt mir nun die Vollmacht, die ich bei mir trage, wenn wir den guten -Pankraz niemals wieder zu Gesichte bekommen? - -Ein Auflauf störte die Unterredung, denn ein Rudel von Jugend war hinter -der seltsamsten Erscheinung her, die ihnen zu entlaufen suchte. Eine -lange Gestalt im rothen Tressenrocke, kleinem goldbesetzten Hut und -großem Haarbeutel, einem feinen Degen mit Porzellan-Griff an der Seite, -in aufgewickelten seidenen Strümpfen und Corduan-Schuhen mit rothen -Absätzen, stolperte ihnen unbehülflich entgegen, und bat mit kläglicher -Stimme um Hülfe gegen die ausgelassene Jugend. Sie halfen dem alten -Manne in ihren Gasthof, vor dem sie eben standen, und als sie im Zimmer -dem Geschrei und Lärmen des nachfolgenden Haufens entgangen waren, -erkannten die Freunde zu ihrem Erstaunen an dem hochauffrisirten und -gepuderten Kopf das Gesicht des verdächtigen Pankraz. Wie bin ich Ihnen -verbunden, meine werthen Herren, sagte er, den Rath von der Seite -betrachtend, daß Sie mich gerettet haben! - -Der Arzt, welcher fürchten mochte, daß bei der Milde seines Freundes -vielleicht die Sache nicht die rechte Wendung nehmen könnte, bemächtigte -sich gleich des Gespräches, indem er mit barschem Tone sagte: wir kennen -Euch recht gut, alter Narr Pankraz; wie seid Ihr in diesen Habit -gekommen, und was hat die Posse zu bedeuten? - -Ach, mein Herr, sagte der Diener, wir sind schon einige Zeit von unserm -Prediger entfernt -- - -Das wissen wir, unterbrach ihn der Arzt, und auch den saubern Grund, -weil der gute Pankraz uns nicht gern dort treffen wollte. Doch das wird -sich Alles finden! - -Nun kann ich meinen Herrn, fuhr der Diener fort, nachdem er den Arzt ein -Weilchen mißtrauisch angesehn hatte, so ziemlich regieren; er folgt mir -in wichtigen Sachen immer, wenn er auch murrt, und hat mehr Respect und -Furcht vor mir, als vor dem Herrn Prediger selbst; aber an einem -einzigen Tage im Jahr ist er durchaus nicht zu bezwingen; an seinem -Geburtstage nämlich; da muß ich ihm in allen Dingen seinen Willen thun, -wenn ich ihn nicht wüthig machen soll. Heut ist der Unglückstag, und da -faßte er schon vorige Woche den Gedanken, ich müßte heut als Herr -angeputzt seyn, und er wollte meinen Bedienten vorstellen. Ich bat und -flehte; aber umsonst. Ich wollte wenigstens den Spaß auf dem Lande -treiben; half nichts. Er staffirt mich also aus, und lehnt das Zeug dazu -von Juden und Christen zusammen; er selber tritt in einer engen -hechtblauen Livree hinter mir her, und da sich die Jungen versammeln, -fängt der böse Mensch zuerst an, mich auszulachen, und schreit hinter -mir drein, ich sei der ewige Jude. So bin ich durch die halbe Stadt -verfolgt worden, und hoffe nun durch Sie den Habit los zu werden, und -sicher nach unserm Wirthshause zu kommen. - -Das wird alles nicht nöthig seyn, sagte der Arzt kaltblütig, der gute -Pankraz wird wohl anderswo ein Unterkommen finden. Seht, der Herr Rath -Walther hat sich zu Eurem Besten vom Gerichtspräsidenten hier in der -Stadt, der sein naher Verwandter ist, diese Vollmacht geben lassen, Euch -zu greifen, wo Ihr Euch betreffen ließet, und den Gerichten zu -überliefern; wo Euch dann das Zuchthaus wenigstens gewiß ist, wenn Euch -nicht, wie ich glaube, Kette und Karren auf dem Vestungsbau erwartet. - -Mein Himmel, sagte der Alte zitternd, indem er einen schnellen Blick in -das große Blatt warf, wodurch denn -- dieser Verdacht -- ach! Herr Rath --- ich weiß nicht -- - -Freilich, fuhr der Arzt kalt und bestimmt fort, könnt Ihr Eurem -Schicksal selbst eine bessere Wendung geben, wenn Ihr in unsrer und -einiger Zeugen Gegenwart ganz aufrichtig seid. - -Ich weiß ja nicht, winselte Pankraz, was ich gestehen soll. - -Die Sache ist übrigens schon klar, sagte der Arzt, und kann auch ohne -Euch ausgemittelt werden; nur bewegt uns das Mitleid mit Eurem Alter -dazu, Euch das harte Schicksal zu ersparen, das Euch nothwendig treffen -muß. Vertraut Ihr Euch uns gutwillig an, so haben wir den alten Baron -Eberhard so in der Hand, daß er künftig für Euch sorgen muß, und noch -besser, als er bisher gethan hat. Wir wollen als Eure Freunde für Euch -handeln, wenn Ihr aufrichtig seid, und Euch als Feinde verfolgen, wenn -Ihr läugnet. - -Lieber Himmel, stotterte der Alte, wenn ich doch nur gleich recht viel -wüßte, um Ihnen durch meine Bereitwilligkeit meinen Diensteifer und -meine Liebe zu beweisen. - -Wir verlangen nur Weniges von Euch, sprach Anselm. - -Ach! das ist ja recht Schade, seufzte Pankraz; wollte der Himmel, ich -hätte Ihnen recht Vieles zu erzählen! - -Daß Ihr sonst den jungen Raimund bedientet, fuhr der Arzt fort, daß Ihr -einen Spion bei ihm abgabt, daß Ihr es nicht ehrlich mit ihm meintet, -sondern Alles dem alten Herrn Baron zutrugt, wissen wir schon längst. Es -ist uns auch bekannt, daß sich der alte Herr Baron über die -Schwächlichkeit seines Neffen freute, weil er ihn zu beerben hoffte; daß -ihm deßhalb die Verbindung mit Fräulein Blanka sehr zuwider war, die er -auch nur unter den einfältigsten Vorwänden zu hindern suchte; daß er -darum ihre tödtliche Krankheit so gern sah, und Euch alten Spitzbuben -mit der Nachricht ihres Todes zu dem zerstörten jungen Manne schickte, -als ob Ihr Euch einen rührenden und dummen Spaß mit ihm machtet. Als -dieser Todesschlag die Sinne des Unglücklichen verwirrte, jagte der alte -Unmensch Euch zum Scheine aus dem Dienst, wie es schon vorher unter Euch -abgekartet war, und hat Euch seitdem eine gute Versorgung gegeben, und -für die Zukunft eine noch bessere versprochen. Nicht wahr, so hat sich -Alles begeben? Jetzt sagt nur noch, wo habt Ihr den armen Jüngling -hingeschafft? Gesteht es lieber uns, als dort vor Gericht, wo keine -Gnade mehr für Euch zu hoffen ist; auch thut Ihr so Eurem alten -Beschützer den besten Dienst, der nur auf diesem Wege einem -schimpflichen Prozesse entgeht. - -Ach! meine Herren, heulte Pankraz, meinen Sie es denn auch ehrlich mit -mir? Wenn ich mich doch nur Ihrem edlen Herzen so recht gutmüthig -vertrauen könnte! Wenn Sie es doch einzurichten wüßten, daß ich nichts -mehr mit dem Herrn Theophil zu thun hätte, sondern das, was ich von dem -Baron fordern kann, in ungestörter Ruhe genösse. - -Das soll geschehen, sagte der Arzt. Nur schnell! wo ist Raimund? - -Sehn Sie, fuhr der Diener fort, wie soll ein armer bedrängter Domestik -ehrlich bleiben, wenn es die vornehmen Herrschaften bei allem ihrem -Ueberflusse nicht einmal sind? Der alte Herr glaubte immer, er würde das -Vermögen besser brauchen können, als sein junger Neffe, der niemals so -ganz seinen Verstand hatte; darum dachte er auch, das feine Wesen sollte -mit Tode abgehn, weil die Leute immer sagen, solche Kinder und junge -Leute wären zu gut für diese Welt. Wie er nun doch schon confus war, so -meinte der Baron, der Tod des Fräulein Blanka, die auch besser für den -Himmel paßte, würde den jungen Herrn auch dahin verhelfen; darum sollte -ich ihn erschrecken, daß er nur recht schnell und ohne lange Leiden -hinüber führe; und das alles wußte mir der Herr Baron ganz christlich -vorzuschwatzen. Aber der junge Mensch hatte doch noch mehr Courage und -Kraft, als wir ihm zugetraut hatten; er wurde freilich ein bissel -lamentabel, und sein Verstand verfiel noch mehr, aber er blieb frisch -weg am Leben. Da gab ihm der alte Herr einen andern Namen, schrieb -Certificate, eine ganze lange Geschichte, die ich mir auch merken mußte; -und das arme kranke Lamm ließ sich auch Alles gefallen; ob er so hieß, -oder so, war ihm ganz gleich. Er wurde mir heimlich übergeben und ich -brachte ihn ganz in der Stille auf das Haus da drüben über den Fluß, wo -sie ihn gut verpflegen, und er sich, seit Fräulein Blanka für ihn todt -ist, um nichts mehr kümmert. Ich bezahle vierteljährig seine Pension, -die ich von einem Banquier erhebe, und so ist Alles in Ordnung. - -Was ist das für ein Haus? fragte Walther. - -Das berühmte Narrenhaus da drüben, antwortete Pankraz. - -Entsetzlich! rief der Rath; Du wirst uns nun Deine Papiere ausliefern, -Dein Geständniß noch ein Mal wiederholen, und es unterschreiben, und so -lange, bis Alles entschieden ist, im leichten Arrest bleiben. Doch noch -eins: wer ist denn dieser Theophil? - -Der, sagte Pankraz, ist ein natürlicher Sohn unsers alten frommen -Barons. Er schämt sich seiner, weil er ein Narr ist, und hat ihn bisher -bald da, bald dort untergebracht. - -Man hörte den Theophil draußen lärmen. Er trat als Bedienter gekleidet -in das Zimmer. Ich will meinen Pankraz haben, rief er aus. - -Ach, jammerte der Diener, ich bin zum armen Sünder geworden, und -gegenwärtig im Arrest. - -O das ist herrlich! jubelte Theophil; schöner konnte ich meinen -Geburtstag gar nicht feiern, als dadurch, daß sie den alten Kater zum -armen Sünder gemacht haben! Das muß ich gleich draußen dem Herrn Kilian -und Görge erzählen. Das wird ein Jubel im ganzen Lande seyn. Pankraz im -Arrest! der weise Salomon, der schnurrende altfränkische Solon mit -seiner Cato-Physiognomie und dem herrlichen Haarbeutel im Nacken ein -armer Sünder! -- Er stürmte fort und hörte nicht auf die Einreden der -beiden Freunde, oder die kläglichen Bitten seines alten Dieners. - - * * * * * - -Kaum war der Stubenarrest und die sehr dürftige Kost dem armen Wolfsberg -noch nöthig, um ganz sein Inneres zu erkennen, und alle seine Thorheiten -und die Verderbniß seines Lebens einzusehn. In demüthiger Unterwerfung -ergab er sich seinem Schicksal, und war kaum erfreut, als man ihm -ankündigte, daß seine wohlverdiente Strafe ihm früher erlassen sei. -Jetzt durfte er wieder den Saal betreten, und der Director, den er bis -dahin so wenig wie Friedrich, seinen Verführer, gesehn hatte, ließ ihn -sogar dahin einladen. - -Wolfsberg fand alle Thoren dort versammelt, und den Director mit dem Hut -auf dem Kopfe sitzend. Dieser hielt ein Papier in den Händen, und seine -Miene schien sehr verändert; doch konnte man nicht sagen, daß er -heiterer, als gewöhnlich, aussah. Meine Freunde, fing er im Rednerton, -aber mit einer weichen Stimme an, wir haben lange mit einander gelebt, -viel mit einander ertragen; aber heut ist der Tag, an welchem wir von -einander scheiden sollen. Man hat endlich meinen vielfältigen Gesuchen, -mich in Ruhestand zu versetzen, nachgegeben, und der Mann, der nun als -Vorsteher meine Anstalt übernehmen wird, soll noch heut Mittag -eintreffen. Möge sein Verstand erleuchteter, als der meinige, und sein -Sinn nicht unfreundlicher seyn! - -Die Thür ging auf, und Görge trat mit großer Dreistigkeit herein. Was -giebt's, Bursche? fuhr der Director auf ihn los. - -Ich kann's nicht mehr zu Hause aushalten, sagte Görge ganz unbefangen. -Sehn Sie, Herr Director, seit ich neulich 'mal hier war, bin ich wie ein -verwandelter Mensch; mein Verstand ist aufgeklärter, und ich kann nun -meinen lieben Aeltern nicht mehr so in Allem folgen, wie ehedem. Wenn -ich das nicht recht mache, und jenes versehe, 'mal so spreche oder -morgen anders denke, wie es zu Hause bei mir Mode ist; so wird die Mama -immer sehr böse, und droht mir, mich in das Narrenhaus hier einsperren -zu lassen. Gestern nun habe ich unserm Herrn Kilian wohl zwanzig -Fledermäuse in die Stube geworfen: da hat er mich verklagt, und sie hat -mir wieder gedroht, mich hieher zu schicken; da bin ich nun heute früh -lieber gleich von selbst herüber gelaufen, und bitte, daß Sie mich eine -Weile hier behalten; so könnte ich auch bei dem rothnasigen Herrn dort -noch etwas lernen und mich ausbilden. - -Sokrates machte sich sogleich herbei, und faßte die Hand des -lehrbegierigen Jünglings. Der Director lächelte und sagte mit -sonderbarer Miene: wenn Strafe selber zum Lohn wird, so ist der Mensch -gewiß am glücklichsten. -- Ich bin in meiner Abschiedsrede von Euch, -meine Freunde, unterbrochen worden, fuhr er hierauf in verändertem Tone -fort. Ich habe dies Haus nun sechszehn Jahre bewacht; viele Gäste -empfangen, viele gebessert entlassen. Ihr seid die letzten; und da ich -Eure Besserung durch Pflege und Aufsicht nicht lange genug habe abwarten -können, so will ich sie hiermit durch ein Machtwort veranstalten, und -erkläre Euch nun hiermit für frei, hergestellt und gesund. Wie? Diese -Gewalt wenigstens sollte mir nicht einmal geblieben seyn? Thut der -Staat, der Fürst, die Universität denn etwas anders, wenn sie -Doctorhüte, Titel und Würden austheilen? Da sehn wir ja täglich, wie -Menschen plötzlich Verdienste und Tugenden haben und glänzen lassen, die -kurz vorher nur wenig taugten, oder kaum über Vier hinaus zählen -konnten. Alle Thore, meine theuern, so lange gehegten und gepflegten -Freunde, sind offen; die Thürhüter haben den Befehl, Niemanden am -Ausgehen zu verhindern. Diese letzte Wohlthat ist es, wozu ich noch -heute meine Macht gebrauchen will. Ich kann meinem Amte nicht länger -vorstehn; denn, wie mancher der Märtyrer oder Wunderthäter jener frühern -Jahrhunderte die Sünden ihrer Mitbrüder, so habe ich mit Liebe und -Mitleid alle Eure Gebrechen in meine Seele aufgenommen: und Viele sind -dadurch geheilt, die Bösartigkeit Andrer ist dadurch gemildert worden. -Aber Ihr könnt wohl selbst ermessen, dankbare Freunde, daß das keine -Kleinigkeit für einen sterblichen Mann ist, in seinem engen Busen so -hundert Narrheiten zu tragen und zu hegen, an deren _einer_ schon jeder -von Euch genug zu schleppen hat. Freilich war ich auch dadurch nur -Monarch und Herrscher, in welchem sich alle Kräfte und Vorzüge -centralisiren. Nicht wahr, ihr guten, lieben Unterthanen und -Einfaltspinsel? Geht nun zurück in die Welt, und gewöhnt Euch doch -endlich als gesetzte Männer die kindische Aufrichtigkeit ab, mit der Ihr -Euch vor jedem Narren Eure Narrheit habt merken lassen. Schaut um Euch! -Von Allen, die hier vorbei fahren und gehen, die auf dem Flusse -schiffen, die in der Stadt dort wandeln und auf ihren Zimmern sitzen, -gehören, wenn man die Strenge brauchen wollte, wenigstens zwei Drittheil -hieher. Warum wollt Ihr nun so weichherzig seyn, jedem Eure Brust zu -öffnen, und in die curiose Structur Eures Innern hinein schauen zu -lassen? Ist es denn so etwas Schweres, die gewöhnlichen Redensarten der -Vernünftigen zu gebrauchen, ihre Geschäfte zu treiben, trivialen Spaß zu -machen, und ihnen ihre ganze Ehrwürdigkeit abzusehn und nachzuspielen? -Kinder, glaubt mir doch, es gehört weit mehr Genie dazu, ein Narr zu -seyn! Daher mag es auch Mangel an Muth seyn, wodurch sich die Meisten -abhalten lassen, zu uns überzugehn. Denn ein trivialer Narr ist wirklich -etwas recht Triviales. Wann nun der neue Herr Director ankommt, seht, -Kinder, so wird er hier das leere Nest finden. Das glaube ich, wenn der -sich so recht in die Fülle, wie in eine vollständige Haushaltung hinein -setzen könnte, das wäre ein Jubel für ihn; Alles eingemacht, -vollgesackt, geschlachtet und gepökelt für Herbst und Winter; die ganze -Ernte, die ich so mühselig seit manchem Jahre habe sammeln müssen! Nein, -er mag auch säen und pflanzen, die junge Zucht auffüttern, die alten -Gänse nudeln und stopfen. Zehre er von seiner eignen Arbeit! -- Lebt nun -wohl und reicht mir Eure Hand, ehrwürdiger Sokrates! Geht und nehmt den -jungen Alcibiades, den lieben Görge, mit Euch; bildet ihn, daß er -Galimathias sprechen lerne, aber mit Maaßen, damit er nicht verkannt -werde, wenn er das, was auf einen Monat ausreichen sollte, in einem Tage -an den Mann bringt. Fahrt wohl, Ihr beiden Redner; übt Euch dort vor dem -Volke, und rührt und erbaut die Welt durch Liebe und erhabene Gesinnung! -Indianer, großgesinnte Menschen mit edeln Inspirations-Gaben versehn, -errichtet dort eine Akademie, um die trockne Welt geheimnißvoller zu -machen und sie mit tiefer Mystik zu nähren! Begleitet diese Edeln, Ihr -Lesender; und wenn Ihr unserm Jahrhundert Alles rücklings lesen und -stellen könnt, so werdet Ihr Euch vielen Dank verdienen: ja der bloße -Versuch wird Euch schon glänzend belohnt werden. Ihr Baukünstler, -bezieht wieder Euer Haus, das Ihr als aufgeblühte Schönheit verließet, -und das nun zu einem alten Mütterchen zusammen geschrumpft ist! -Pygmäenfeind, geht und vertreibt die bösen Geister! Ihr, Graf Birken, -macht Euch davon, und laßt nun Weiber und Mädchen in Ruhe! Herr von -Linden, oder Methusalem, wie sie Euch hier nennen, verschwindet in Eil: -denn Ihr macht hier nur theure Zeit, da Ihr sie so entsetzlich -consumirt. Wie? wenn ich Euch nun die Zehrungskosten nebst Zinsen für -die hundert tausend Jahre abfordern wollte, die Ihr hier, Eurem eignen -Geständnisse nach, zugebracht habt? Meilen weit hier herum kann das Kind -im Mutterleibe keine Zeit zum Wachsen finden, da Ihr Alles in Euch -schlingt. -- Friedrich, lebt wohl, und grabt keine Schätze mehr, sonst -grabt Ihr Euch selber die Grube, in die Ihr hinein fallt! - -Jeder mußte ihm, indem er vorüber ging, die Hand reichen. Alle verließen -das Haus; nur Friedrich erklärte, daß er niemals weichen wolle. Sieh, -rief der Director, am Fenster stehend, wie sie sich verbreiten und dahin -ziehen, die lieben Pilgersleute! Sie werden es doch vielleicht nicht -wieder so gut finden, als hier. Mancher wird sich zurück sehnen! - -Ein Wagen fuhr in den Hof, und der Mann, welcher herausstieg, war sehr -verwundert, alle Thore offen zu finden. Noch mehr erstaunte er aber, als -er sich dem zeitherigen Director näherte, und erkannte, daß dieser -plötzlich ein Kranker seiner eignen Anstalt geworden sei. Er gab sich -ihm als Doctor Anselm zu erkennen, welchem die Regierung diesen Posten -anvertraut habe: doch jener antwortete bloß: ja, bester Mann, Sie finden -mich ganz allein hier, als Stock und Stamm, der wohl wieder Früchte -tragen mag, doch aber jetzt abgelaubt ist. Für etwas, wenn auch nicht -für viel, kann mein Friedrich gelten. - -Anselm ließ sogleich einige Diener zu Pferde ausreiten, um, wo möglich, -noch einige der Flüchtlinge einzuholen. - - * * * * * - -Görge ging mit seinem neu erworbenen Sokrates seiner Heimath zu. Sie -müssen sich nur nicht Sokrates nennen, machte er ihm begreiflich; denn -das klingt so heidnisch: so können Sie gewiß in unserm Hause bleiben, -und mir Unterricht geben. Der Papa suchte schon seit lange einen Lehrer: -er hilft Ihnen gewiß durch, und thut, als wenn er Sie dort oben nicht -gesehn hätte; meine Schwester darf nichts ausplaudern, sonst verrathe -ich ihre schwärmerische Liebe zu dem Windbeutel Theophil; bloß die Mama -müssen wir betrügen, und Sie müssen sich nur hübsch klug und weise -stellen. - -Ich brauche mich nicht so zu stellen, antwortete Sokrates; das ist meine -wahre Natur. - -In einiger Entfernung hinter diesen schlich Wolfsberg; er ging nur -langsam, und sehnte sich nach einer Erquickung. In dem großen Dorfe, wo -der Junker ihm mit seinem Mentor aus den Augen verschwand, ließ er sich -in dem Gasthofe ein Zimmer geben, und bestellte sich Essen und Wein. Er -legte sich indessen auf das Bett, um etwas zu schlafen; aber kein -Schlummer befiel sein Auge, denn tausend gute Vorsätze, Lebensplane und -Erinnerungen besuchten ihn jetzt, da er sich nun endlich der Freiheit -zurück gegeben sah, die er sich seit so mancher Woche vergeblich -gewünscht hatte. Die heitre frische Herbstluft zog durch das offne -Fenster, und stärkte seine Sinne. Wie ist mir wohl! sagte er zu sich -selbst: warum habe ich denn so manches Jahr diese Empfindungen -verschmäht, die mich jetzt besuchen, und die doch das theuerste Leben -meines Lebens sind? - -Ein sonderbares Gezänk, das draußen vorfiel, erregte erst seine -Aufmerksamkeit und zog ihn dann ans Fenster. Ein alter Mann stritt mit -einem jungen, und sagte jetzt eben: nein, Sie müssen mit uns gehen, und -daß ich Ihnen Ihre Baarschaft oder Ihre Wechsel jemals wieder geben -sollte, darauf machen Sie nur sich keine Rechnung; denn wenn ich nicht -als ein kluger Mann Ihre Capitalien in Verwahrung genommen hätte, so -hätte es wohl so kommen können, wie uns der fremde Herr wahrsagte, daß -mein altes Auge Sie nie wieder sah, und meine arme Tochter sich der -Verzweiflung ergeben mußte. - -Wolfsberg sah sich hier wieder einen Spiegel vorgehalten, der ihm die -Scene noch weit interessanter machte. Aber, Herr Kilian, es ist doch -mein Geld, sagte der junge Mensch. - -Was, Kilian? schrie der Alte; Herr _Schwiegervater_ müssen Sie zu mir -sagen, so wie ich Sie auch lieber hochgeborner Herr Schwiegersohn, als -Graf von Birken tituliren werde. - -Wie? sagte Wolfsberg zu sich selbst, dies also ist der junge verkehrte -Mensch, für den ich so lange habe leiden müssen? -- Seine Aufmerksamkeit -hatte den höchsten Grad erreicht, und weil er dem Gespräche so eifrig -zuhörte, bemerkte er nicht, daß zwei fremde Menschen durch den -Baumgarten herbei kamen. Kommen Sie, ohne Umstände, rief der Pfarrer -jetzt von Neuem, oder ich lasse Sie aus meiner Machtvollkommenheit als -Mädchenverführer und Jungfrauenräuber arretiren. - -Einen solchen suchen wir eben, sagte der eine Fremde, einen jungen -Grafen Birken, der ein Verbrecher und Narr zugleich seyn soll. Alle -Thörichten haben sich heut aus dem Narrenhause befreit, und das ganze -Land ist nun im Aufruhr, sie wieder einzufangen. - -Wolfsberg erschrak; er wollte schnell den Kopf zurück ziehn, aber man -hatte ihn schon bemerkt. Er sammelte sich und rief von oben herab: Sie -suchen den Grafen Birken? Der dort ist es, der mit dem alten Manne -spricht. - -Der Graf erschrak, der Geistliche sammelte sich aber bald. Schwiegersohn -oder Arrestant? fragte er den jungen Mann schnell und leise. »Ach! -Schwiegersohn!« wimmerte dieser kläglich, und der Geistliche sagte mit -fester Stimme: meine Herren, ich bin der Pastor dieses Orts; dieser mein -Herr Schwiegersohn wohnt schon seit vierzehn Tagen in meinem Hause; aber -dem Menschen da oben sieht ja der Vagabunde und der Narr obenein aus den -Augen heraus. Ich gebe Ihnen mein Wort, er ist der entsprungene Graf -Birken! - -Er nahm seinen Schwiegersohn unter den Arm und führte ihn mit starker -Hand davon. Die Fremden bemächtigten sich des unglücklichen Wolfsberg, -erlaubten ihm kaum, sein bestelltes Mittagsessen zu genießen, und -schleppten ihn wieder in seine alte Haft zurück. - - * * * * * - -Der Rath Walther war im Begriff, in schnellster Eile nach der Stadt zu -fahren. Nur auf eine halbe Stunde wollte er in dem Dorfe beim Pfarrer -Kilian einsprechen, und scheute deßhalb den Umweg nicht, weil er doch -vielleicht irgend eine Nachricht durch ihn erhalten könnte. Als er nach -dem Dorfe einbeugte, sah er seitwärts neben den Bergen auf einer grünen -Wiese den Fluß entlang eine Gestalt gedankenvoll wandeln, die sein -entzücktes Auge bald als seinen geliebten Raimund zu erkennen glaubte. -Er ließ halten und wollte über die kleine Brücke dem Wasser zueilen, als -er Schalmeien, Clarinetten und Waldhörner vernahm, und einen langen Zug -geputzter Bauern und Bäuerinnen sich entgegen kommen sah. Alles jubelte, -und in der Mitte gingen neben dem Pfarrer zwei wunderlich geschmückte -Gestalten, die er für Graf Birken und die Tochter des Pfarrers erkannte, -deren grüner Kranz in den brandrothen Haaren sie deutlich als Braut -ankündigte. - -Da der Rath wußte, wie wichtig es seinem Freunde, dem Arzte seyn mußte, -daß die Trauung nicht vor sich ginge, so begab er sich, statt nach jener -Wiese, in die Mitte des Brautzuges. Er wollte sprechen; aber die -lärmende Musik ließ ihn nicht zu Worte kommen; besonders da der Pfarrer -die Musikanten zum Blasen und das junge Volk zum Schreien ermunterte, um -nur den lästigen Besuch zu übertäuben und zu verscheuchen. Des Rathes -Anstrengungen wären auch für jetzt vergeblich gewesen, wenn nicht einige -Reiter herbei gesprengt wären, die dem Zuge Halt geboten. Die Musik -verstummte, und diesen Augenblick der Ruhe benutzte Walther, um seinen -Einspruch gegen die Feierlichkeit vorzutragen und zu erklären, daß der -junge Graf noch nicht mündig, außerdem auch thöricht im Haupte sei. Des -Pfarrers bemeisterte sich ein erhabener Zorn. Ich weiß nicht, rief er -aus, warum sich alle Welt in Bosheit gegen meinen verehrten -Schwiegersohn und meine geliebte Tochter verschworen hat! Er thöricht im -Haupte? Wissen Sie, unbekannter Freund, was das sagen will? - -Die Reiter begehrten ebenfalls angehört zu werden. Sind Ihnen sonst -keine Narren begegnet, fragte der erste sehr eifrig: das ganze -Narrenhaus hat sich frei gemacht, wir sind alle in den Dörfern -aufgeboten, sie wieder einzufangen. Jeder Reisende ist jetzt verdächtig; -man prüft alle Welt sehr scharf, und selbst der Vernünftigste muß sich -in Acht nehmen, nicht aufgegriffen zu werden; denn Narren müssen sie nun -doch einmal dort oben wieder haben. - -Sind Ihnen Verdächtige vorgekommen, Herr Pastor? fragte der zweite. - -Ich untersage hiermit diese Hochzeit! rief der Rath im höchsten -Unwillen. - -Der Pfarrer, welcher das Grafthum seiner kleinen Tochter von Neuem in -Gefahr sah, dessen Vaterliebe Alles daran setzte, sich diesen -Schwiegersohn zu sichern, und dem mit Wolfsberg schon der kühne Streich -gelungen war, rief jetzt laut: hier, meine Herren, sehn Sie einen -solchen Wüthigen vor sich, der sogar die heilige Ceremonie durch seine -Raserei stören will! - -Was? rief Walther aus; ich ein Rasender? - -Sehn Sie nur, sagte der Pfarrer gesetzt, wie ihm die Augen wie zwei -Feuerräder im Kopfe herum gehn! Er ist toll; wir erkennen ihn Alle dafür -an. - -Ja, schrieen die Musikanten, und am lautesten der Graf: es ist der tolle -Mensch, der schon seit acht Tagen hier herum läuft. - -Geben Sie Acht, was Sie thun, sagte der Rath etwas besänftigt; ich -wollte eben nach der Stadt; ich bekleide dort jetzt die Stelle des -Gerichtspräsidenten. - -Vor Hochmuth ist er übergeschnappt, rief der Pfarrer; allons! fort mit -ihm! -- Fort mit ihm, schrie der ganze Haufe. Die Reiter hatten schon -ein drittes, lediges Pferd herbei geschafft; Walther ward hinauf -gepackt, und ehe er noch sagen konnte, daß sein Wagen vor dem Dorfe -halte, trabten seine Begleiter mit ihm fort: denn das Singen und -Schreien der Menge, die betäubende Musik, und die Glocken, welche die -Ceremonie einläuteten, machten für jetzt jede Erörterung unmöglich. -Walther mußte gezwungen den Weg zur neuen Behausung seines Freundes -antreten; der Pfarrer aber schleppte als Sieger seinen mühsam errungenen -Schwiegersohn in die Kirche, mit dem Vorsatz, sich späterhin lieber -jeder Verantwortung zu unterziehn, als das Horoskop Lügen zu strafen! - - * * * * * - -Der neue Director Anselm hatte sich indessen um seinen kranken Collegen -bemüht, und es war ihm auch gelungen, den alten Mann wieder ziemlich zu -beruhigen. Dieser sah seinen Zustand ein, und fühlte sich beschämt, daß -er so leicht jenem Gelüste nachgegeben, welches ihm noch kürzlich der -Prediger als so gefährlich geschildert hatte. Er besaß in der Nähe ein -Landhaus, auf welches er sich verfügte, und Anselm sah ihn gern -abreisen, weil er überzeugt war, daß die schnell erzeugte Unpäßlichkeit -in einigen Tagen auf immer verschwinden müßte. - -Jetzt ward eine Gesellschaft von Reisenden gemeldet, die das Haus besehn -wollten. Anselm ging ihnen entgegen, sie zu bewillkommen, und zugleich -zu entschuldigen, daß ihre Neugier sich diesmal mit einem einzigen -Vernünftigen begnügen müsse. Voran in den Saal trat ein langer alter -Herr, dem die Uebrigen große Verehrung bezeigten; er führte an seinem -Arm ein phantastisch geschmücktes Frauenzimmer, die dem Arzte bekannt -schien, obwohl er sich ihrer nicht gleich erinnern konnte. Ein -breitschultriger junger Mann folgte, und als letzte Begleiterin schlich -ein blasses, krankes Mädchen nach, die Strickkorb und Tuch ihrer -lachenden und übermüthigen Gebieterin demüthig trug. - -Wir kommen, sagte der angesehene Mann, Ihre Anstalt zu betrachten; meine -junge Gemahlin hat dergleichen noch niemals gesehn, und der Bruder -meiner Frau hat noch andere philosophische und künstlerische Absichten -bei dieser Reise. - -Sind die Narren aber auch nicht fürchterlich? fragte die junge Dame; ist -man nicht auch in Gefahr angesteckt zu werden? - -Anselm erzählte ihnen die unglückliche und doch lächerliche Begebenheit, -worauf der alte Herr sehr betreten und erblaßt zurück fuhr und ausrief: -wie? Alle entlaufen? Schrecklich! Und auch ein gewisser Baron Linden -unter den Geflüchteten? - -Ja wohl; leider, sagte der Arzt, indem er den Sprechenden näher ins Auge -faßte. - -Das ist ein Jammer, rief der robuste junge Mensch aus; so bin ich denn -vergebens hieher gereiset? Mir fallen jetzt bei unserm Theater die -wichtigen Rollen des Macbeth und Lear zu, und für diese möchte ich so -gern hier meine Studien machen; denn seit unser Großprahler, der -Adlerfels, so ganz verschollen ist, und man nirgend von ihm hört (Schade -um den übrigens guten Künstler!), so muß ich doch nothwendig die Lücke -ausfüllen, die mit seinem Verlust bei uns entstanden ist. - -Du solltest ihn nicht nennen, ^mon frère^, sagte die Dame: sieh nur, wie -Fanny wieder von Erinnerung ergriffen wird. - -Auf den großen Mann, sagte der Bruder, hätte sich das Köpfchen ja doch -niemals Rechnung machen dürfen. - -Friedrich, der auch zugegen war, sagte: es ist außer mir Niemand im -Hause, als der berüchtigte Graf Birken; den haben sie vor Kurzem mit -Gewalt wieder zurück geschleppt. - -Graf Birken? rief der Arzt höchst erfreut aus; o diesen führe sogleich -zu mir, guter Mann. Zugleich winkte er den Baron in ein Fenster, um im -Geheimen mit ihm zu sprechen: ich habe die Ehre, fing er an, den Herrn -Baron Eberhard vor mir zu sehn. Jener verbeugte sich. Wenn Ihr Neffe, -fuhr der Arzt fort, jetzt sich wieder fände, würden Sie gewiß seiner -Verbindung mit Fräulein Blanka nichts mehr in den Weg legen. -- Wenn er -noch lebte, der liebe Jüngling, sagte jener süßlich, und sie den -Verstand wieder gefunden hätte, -- doch scheinen das unmögliche Dinge zu -seyn! -- »Doch nicht viel unmöglicher, sagte Anselm, als daß dieser -nämliche Neffe lange als Baron Linden hier im Hause gelebt hat.« -- -»»Ei! was Sie mir sagen!«« -- »Sie mußten es doch wohl wissen, da Sie -sich gleich so angelegentlich nach dem jungen Linden erkundigten.« -- -»»Ich? Ja, sehn Sie einmal, -- daß ich nicht wüßte,«« -- stotterte -jener. - -Sie sind ein so berühmter Christ, fuhr Anselm fort, Ihre Frömmigkeit und -Menschenliebe sind so exemplarisch, daß Sie ganz gewiß in alle meine -Bitten und Vorschläge willigen werden, da ich es gleich gut mit Ihnen, -wie mit Ihrem Neffen meine. - -Je, du mein Himmel, ächzte der Baron, wir sind ja alle gute Menschen. -Wann ich nur erst wüßte, wodurch ich die Ehre habe, von Ihnen gekannt zu -seyn. - -Die arge Welt könnte glauben, fuhr Anselm leise im sanftmüthigsten Tone -fort, Sie hätten es auf das Vermögen Ihres lieben Neffen angesehn, -besonders weil ein alter Schuft sich nicht entblödet, auszusagen, ein -gewisser Pankraz -- - -O der Galgenschwengel! rief der Baron: was sagt er aus? der soll mir -Alles bezahlen! - -Sehn Sie einmal, indem Anselm die Bogen aus einander faltete, diese -weitläuftige Anklage, vor Zeugen ausgesagt und unterschrieben. Es ist -entsetzlich! Was gewinnt aber ein frommes Herz, wie das Ihrige, dabei, -einen solchen Menschen zu bestrafen? Nein; sammeln Sie feurige Kohlen -auf sein Haupt; belohnen Sie ihn großmüthig und übermäßig, daß er in -sich geht, und an Ihrem Edelmuth hinauf staunend, an Tugend glauben -lernt. Sie könnten ihm wohl ein Häuschen, ein kleines Capital, eine -mäßige Wiese und einige Aecker schenken, wie ihm ein sonderbarer Mann, -der seit gestern Gerichtspräsident hier drüben in der Stadt ist, etwas -voreilig in Ihrem Namen schon versprochen hat: ein gewisser Walther, er -hat auch die Ehre, mit Ihnen verwandt zu seyn, und denkt Ihnen auch die -Mühe abzunehmen, künftig noch des Vermögens wegen, das Ihrem Neffen -zusteht, Sorge zu tragen. - -Je du mein Gott, ja, -- Alles herzlich gern! seufzte der Alte kaum -hörbar. - -Wie wäre es denn nun noch zuletzt, theuerster Mann, den ich immer mehr -verehren muß, wenn Sie auch Ihren armen Sohn, den Theophil, -legitimirten, und ihm ein anständiges Auskommen gewährten. Würde Ihr -Herz darüber nicht eine unbeschreibliche Freude empfinden? - -Ach ja, sagte jener, eine unbeschreibliche Freude, und da Sie es -wünschen -- und Sie eine gewisse Art zu bitten, -- und zum Herzen zu -sprechen haben, -- o Himmel! die Thränen stehn mir in den Augen, daß ich -eine solche Bekanntschaft gemacht habe. - -Ich bin im Innersten gerührt, erwiederte Anselm. Sie umarmten sich -herzlich, und der Baron wischte sich die Tropfen des kalten -Angstschweißes von der Stirn; lange bin ich nicht so bewegt gewesen, -seufzte er, und blickte zum Himmel. Und ich, erwiederte Anselm, habe -auch, so lange ich lebe, an keinem so großen Herzen gelegen. - -Der Baron trat zur schäkernden Gattin. Sie werden, sagte er fromm, in -diesen Tagen einen Sohn von mir kennen lernen: auch ist mein Neffe -wieder gefunden, und ein alter Diener Pankraz wird das kleine Gütchen -Liebendorf erhalten, welches Sie dem Pachter verkaufen wollten. - -Das ist ja viel in einer kleinen Viertelstunde, sagte sie, und maaß den -Director mit großen Augen. - -Es geht fast zu, wie im Lustspiel, sagte dieser. - -Ja, sagte der Baron, der Herr Director haben mir Eröffnungen gemacht, -und auf eine Art -- - -Hier kommt Graf Birken, schrie Friedrich; er wollte sich erst gar nicht -dazu bequemen. - -Wolfsberg trat herein; der Arzt ging ihm entgegen, aber beide fuhren in -demselben Augenblicke vor einander zurück. Sie, Herr von Wolfsberg hier? -unter diesem Namen? Und so verwandelt? so abgefallen? So drückte mit -wiederholten Ausrufungen der Arzt sein Erstaunen aus. Die Uebrigen im -Saale waren nicht ruhiger. Fanny lag in Ohnmacht, und Wolfsberg, der -jetzt erst die Gruppe sah, machte sich aus den Armen des umhalsenden -jungen Mannes, der einmal über das andre: mein Adlerfels! rief, los und -eilte der Niedergesunkenen zu Hülfe. Er kniete zu ihr nieder, er legte -ihr Köpfchen auf seinen Schooß: o meine geliebte, meine theuerste, meine -einzige Franziska! rief er in den zärtlichsten Tönen; entziehe Dich mir -jetzt nicht wegen meiner Missethat, entfliehe mir nicht, denn ich bin -kein Herzloser mehr: ich kehre zu Dir zurück, wenn Du mich noch -würdigest, mich Dein zu nennen! Ich bin ja aus meinem tiefen Elende zu -mir selber erwacht; o so erwache denn auch Du zu diesem Leben wieder! - -Franziska schlug die ermatteten, aber schönen Augen auf. Sie konnte an -ihr Glück nicht glauben, daß sie in dessen Armen lag, der sie mit so -grausamem Hochmuthe von sich gestoßen hatte. Du mein? stammelte sie; -gewiß? - -Ja, mein süßes Herz, erwiederte Wolfsberg, der sich nun als Adlerfels -ausgewiesen hatte; ja ich kehre mit Dir zurück, Du wirst meine Gattin, -und alle Schmerzen, allen Hohn, den Du um meinetwillen ertragen hast, -will ich Dir vergüten, wenn ich es vermag. Und unser Kind, das arme -Würmchen, lebt es denn noch? - -Die liebe Bertha, sagte die Entzückte, ist zu Hause, bei meiner -Schwester. Gott! wie wird sich Alles freuen! - -Ich gratulire, Fanny, sagte die gnädige Frau: nun gieb mir nur -Strickkorb und Shawl her, daß ich es selber trage. - -Bruder, rief der andre Schauspieler, wie wird das Publikum sich freuen, -Dich in Deinen Effect-Rollen wieder auftreten zu sehn. - -So eben, rief Friedrich herein springend, haben sie noch einen ganz -neuen Narren eingefangen. Das geht scharf her. - -Walther trat lachend ein und man verständigte sich sogleich. Anselm -stellte ihn dem Baron vor und sagte ihm kurz, daß das edle Herz des -frommen alten Herrn in Alles gewilligt habe, was er nur irgend als -Mensch oder Rechtsgelehrter von ihm fordern könne. So laßt uns denn, -rief Walther, nach dem Dorfe zurück kehren, von dem ich eben herkomme, -denn wenn meine Augen nicht ganz zu Lügnern geworden sind, so haben sie -dort meinen geliebten Raimund erblickt. - -Wirklich war es Raimund gewesen, den Walther erst erspäht hatte. Stumm -und in sich gekehrt hatte der Jüngling das Haus verlassen. Er begriff -nicht, was ihm geschah; er wußte auch nicht, wo er hin wollte. So ging -er dem Fußsteige nach, der ihn bald in den Wald führte. Er sann seinem -verschwundenen Leben nach, und ihm ward fromm und heilig zu Sinne. War -es doch, als fielen verhüllende Schleier von seinem Gemüthe und Herzen -herunter. Er kam an einen grünen runden Platz im Walde, wo er sich -unendlich bewegt fühlte. Er sah sich um, um sich zu erkennen, und eine -alte Birke, in welcher noch die Namenszüge, die er einst eingegraben, -fast unkenntlich verwachsen waren, erinnerte ihn an Alles. Er war noch -ein Kind gewesen, als er hier einmal von seiner theuren Mutter Abschied -genommen hatte; bis hieher hatte er sie begleiten dürfen, und von dieser -Stelle kehrte er mit seinem Vater wieder nach dem Schlosse zurück. Er -ahndete damals nicht, daß er nach einem Jahre schon beide Aeltern -beweinen sollte. Das Gut wurde nachher vom Oheime vortheilhaft verkauft, -und Raimund hatte seit seiner Kindheit diese Gegend nicht wieder gesehn. -So wie er jetzt zu diesen Erinnerungen immer deutlicher erwachte, wie -die Sehnsucht nach den Scenen seiner Kindheit, nach dem Kirchhofe, wo -seine Aeltern ruhten, in ihm wuchs; so empfand er es, wie jene dumpfe -Angst immer mehr verschwand, die bis dahin seinen Geist wie in einem -finstern Kerker eingefangen hielt. Er verließ den Wald, da lag der -kleine Fluß vor ihm, der vom Wohnsitze seiner Kindheit herströmte. Alle -Wogen schienen ihn zu grüßen, jede Blume am Ufer ihm einen kindlichen -Gruß zuzunicken. Da fand er schon die Mühle im engen Thal, die ihm als -Knaben mit ihren rauschenden Rädern so wunderbar erschienen war. Sie ist -ja jetzt nicht weniger wundervoll, sagte er zu sich, wenn ich gleich -weiß, was und wozu sie da ist. Er ging vorüber, und wollüstige -erleichternde Thränen strömten aus seinen Augen. Da war der Bergschacht, -der ihm so entsetzlich vorgekommen war; er ging dicht hinan, und -erinnerte sich der grauenvollen Sagen, die von ihm im Lande umgingen. -Nun sah er schon den wohlbekannten Berg seines Geburtsortes, die rothe -hohe Felswand und die von oben herabhangenden Bäume. Da schimmerte auch -schon das Dach des Schlosses herüber. Es schmerzte ihn, daß er nicht in -das Thor vertraut eintreten dürfe, daß fremde Menschen, die er nur wenig -kannte, in den Zimmern wohnten, wo seine Wiege gestanden, wo sein Vater -ihm vorgelesen, wo seine Mutter ihn in einer Krankheit auf ihrem Schooße -eingesungen hatte. Auf dem Kirchhofe kniete er mit Andacht an der Gruft. -Er nahm sich nun fest vor, seine Freunde wieder aufzusuchen, und -nachzuforschen, wer ihm das Schicksal bereitet haben könne, das ihm erst -jetzt seltsam erschien. Doch mußte er, ehe er weiter ging, die einsame -Wiese hinter des Pfarrers Garten besuchen, den Spielplatz seiner -Kindheit, wo er unter der hohen Linde so manchmal im grünen Grase halb -eingeschlummert war, auf das Säuseln der Blätter, das Summen der Bienen, -und das Plätschern des nahen Baches horchend, wo Alles wie süßer -Geistergesang ihn anredete, und er noch lieblicher aus seinen Träumen -Antwort gab. Nun stand er wieder unter dem Baume, und eine himmlische -Müdigkeit ergriff ihn, wie damals; er tauchte die brennenden, -thränennassen, jetzt so bleichen Wangen in das kühle grüne Gras, und die -Bienen schwärmten im Baum, die Blätter schwatzten mit ihnen, das -Flüßchen erzählte sich selbst eine alte Geschichte, und er entschlief -wieder, wie in der Kindheit. -- -- - -Ein Wagen hielt am Dorfe. »Willst du ruhen, mein Kind?« -- fragte die -Mutter. -- »»Ja, aber im Freien.«« -- »Bist du auch wohl genug?« -- »»O -Sie sorgsame, treue, mütterliche Pflegerin, antwortete die Tochter, Sie -sehn ja, wie es mit meiner Gesundheit mit jedem Tage besser wird. -Vertrauen Sie mir nur mehr, damit ich mir auch selber wieder vertraue. -Nein, Geliebteste, jene trübe Zeit wird niemals wieder kehren; aber ich -fühle es, durch diesen fürchterlichen Zustand mußte sich meine Krankheit -arbeiten, damit ich wieder genesen konnte.«« -- Bist du dessen so gewiß, -meine Tochter? Dann möchte ich Gott mit Thränen für die Verzweiflung -danken, durch welche er mich damals geprüft hat. - -Gewiß, liebe Mutter, sagte die reizende Tochter. Kenne ich doch nun mein -ganzes Unglück; es ist mir kein düstres Geheimniß mehr. Wenn ich an die -Ewigkeit der Liebe glaube, warum sollte ich denn jemals verzweifeln? -Hier ist er geboren! O hätte ich ihn doch als Kind gekannt! Eine Welt -voll Glück wäre mehr in meinem Besitz! Hier ist er auch wohl gewandelt; -alle diese Gegenstände hat sein frisches Auge, wie oft, begrüßt. Nur -über die Wiese will ich gehn, ein Viertelstündchen am Bache ruhn, so -recht an ihn denken; dann komm' ich zurück und wir reisen weiter. Aber -allein müssen Sie mich lassen! -- Sie umarmte die Mutter, und schritt -über die kleine hölzerne Brücke. -- -- - -Raimund träumte indessen einen seltsamen Traum. Der Wahnsinn war die -Wahrheit, und was die Menschen Vernunft nannten, nur ein dämmernder -Schimmer. Auch kein Raum war da, und keine Zeit. So wie auf den alten -Stammbäumen es abgebildet ist, sah er sich aus dem Herzen eine hohe -Blume wachsen; sie wurde von seinem Herzblut getränkt, und ihr rother -Glanz ward immer mehr zum goldnen Purpur. Da sang es im wiegenden Kelch, -er that sich süßflötend auf, und Blanka schaukelte sich drin hin und -wieder, wie in einem durchsichtigen Kahn. Da blickte er über sich, und -ihr blaues Auge ging in das seine; da zitterte sein Herz und mit ihm die -Blume. Warte, rief sie, jetzt stirbt mein Blumenhaus ab, ich komme -draußen in der Wirklichkeit zu dir! Sie schlüpfte auf den Rasen und -stellte sich unter die Linde. -- Gott im Himmel, hörte er sagen, das ist -Raimund! Er schlug die Augen auf, und Blanka's blaues Auge ging in das -seine. Er kannte sie gleich. Sie umschlossen sich, als wenn die Arme -sich nie wieder los lassen wollten. Auf den lauten Freudenschrei eilte -die Mutter herbei, und fand das unvermuthete Glück, das sie noch nicht -begriff. Auch Walther und Anselm kamen. Walther war so entzückt und -berauscht, als wenn er selbst der Bräutigam wäre. - - * * * * * - -Im Hause des Pfarrers tobte indessen ein lautes Getümmel. Die -Hochzeitgäste waren so lustig, daß es die Glücklichen endlich auch auf -der Wiese hörten. Der alte Baron hatte indessen schon seinen Sohn -Theophilus heraus gesucht und ihm unter Umarmungen seine Vaterschaft -erklärt. Ich habe nun auch einen Vater! rief Theophilus im Hause lärmend -umher, und schlug laut lachend mit den Beinen aus, als der Pfarrer ihm -dazu vernünftig Glück wünschen wollte. Wolfsberg machte es mit dem -Pfarrer ab, daß er ihn in den nächsten Tagen mit seiner überglücklichen -Franziska verbinden sollte. Der Gerichtspräsident Walther konnte in der -Leidenschaft des Glücks nicht so mit dem Geistlichen sprechen, wie -dieser es wohl verdient hätte; auch wurden alle Unterhandlungen durch -ein laut schmetterndes Posthorn unterbrochen. Eine glänzende Equipage -hielt, viele zierlich gekleidete Diener beeiferten sich, einen -ansehnlichen Mann, der auf dem Rocke einen großen Stern trug, aus dem -Wagen zu heben. Die Dorfleute befiel ein stilles Grauen, und als Anselm -ausrief: der alte Graf Birken! so fing der Pfarrer an zu zittern. - -Wo ist mein ungerathener Sohn? schrie der alte Graf, als er in das mit -Menschen überfüllte Zimmer trat. Die Braut heulte laut, und die -anwesenden Weiber aus dem Dorfe stimmten in denselben Ton ein. Wo ist -Caspar Birken? schrie der Alte noch einmal. Hier, winselte der junge -Graf, der sich hinter einen großen eichenen Tisch verschanzt hatte. -- -Und wo ist der unverschämte Pfaff, der es gewagt hat, den dummen Laffen -mit seiner Tochter zu verkuppeln? -- Hier! rief der Pfarrer, der sich -indessen wieder gesammelt hatte; aber keine Verkuppelung, sondern eine -ächte christliche Ehe, wie unsre Kirche sie vorschreibt. -- »Die wird -wieder geschieden!« -- »»Die wird nicht geschieden!«« -- »Sie ist nicht -gültig, so gewiß da oben auf den Ebreschenbäumen keine Aprikosen -wachsen.« -- »»Sie bleibt so lange gültig, bis da oben die rothe -Felsenwand ein Mensch hinauf klettern kann, und von den nämlichen -Ebreschenbäumen sein Veto in das Thal zu uns herunter schreit.«« -- »Und -wenn ich Blut und Leben, wenn ich mein Vermögen lassen muß, und wenn ich -der Mörder meines eigenen Sohnes werden sollte, so gebe ich zu dem -Unsinn nie meine Einwilligung.« -- »»Und wenn ich, schrie der Pfarrer -entgegen, prozessiren müßte, bis ich keinen Groschen mehr hätte, und -wenn ich zur Fortsetzung des Prozesses von dem Junker Görge, oder einem -noch Einfältigern, das Geld betteln müßte, so lasse ich die Sache nicht -ruhn. Mein Kind muß glücklich und Gemahlin des Grafen, Ihres Sohnes, -bleiben. Wissen Sie, was ein Horoskop ist?«« -- »Nein.« »»Nun, dann -können Sie auch gar nicht mit sprechen. Sehn Sie dies Papier; in der -Geburtsstunde meiner Tochter habe ich alle ihre Sterne beobachtet, und -schon damals mit Gewißheit prophezeiht, daß sie eine Gräfin werden -müsse. Was können Sie gegen alle Sterne ausrichten? He?«« - -Der Graf sah das Papier eine Weile mit staunenden Blicken an. He! -Caspar! schrie er von Neuem. Heraus aus Deinem Winkel, Du Satansbrut! -Komm her, Spitzbube, ich will Dir ja meinen väterlichen Segen geben, -weil es denn also doch einmal nicht anders seyn kann. - -Der junge Birken hüpfte herbei, er legte die Hand des Sohnes in die -seiner Braut und küßte das kleine dicke Mädchen dann recht herzlich auf -den Mund. Nun, Spaß bei Seite, sagte hierauf der alte Herr bedächtlich, -im Grunde ist es mir ganz lieb, daß die Sache so gekommen ist, denn der -Junge hätte einmal noch ärger anlaufen können; er kommt somit in eine -ziemlich reputirliche Familie; der Mosje Caspar muß nun aber seine -dummen Teufeleien lassen, die ihm einmal den Hals hätten kosten mögen; -der Schwiegerpapa ist ein resoluter Kerl, der wird ihm wohl den Daumen -aufs Auge halten. Aber nun kriegt Dein jüngerer Bruder die großen Güter, -und Du, Hasenfuß, trittst in seine Rechte, wie es auch eigentlich viel -vernünftiger ist. - -Alles war zufrieden und glücklich. Walther und Raimund waren indeß mit -der geliebten Blanka zum Hause des Edelmanns gewallfahrtet. Es war -vorläufig davon die Rede gewesen, den Jugendwohnsitz Raimunds wieder zu -kaufen; auch zeigte sich die Möglichkeit einer Verbindung zwischen der -empfindsamen Baronesse und Theophilus, da dieser jetzt von seinem Vater -anerkannt wurde. - -Alle gingen selig, in Gefühlen und Hoffnungen schwelgend, sprechend und -scherzend die grüne Wiese hinunter. Kilian unterhielt sich mit Sokrates. -Gnädige Frau, sagte er nachher zu Görges Mutter; der Mann kann Ihrem -Sohne auf die Beine helfen; ich habe ihm auf den Zahn gefühlt, ich habe -mit ihm disputirt, einen solchen Gelehrten bekommen Sie niemals wieder. -Indem man noch sprach, hörte man von oben, die Felswand herunter ein -lautes Veto! rufen. Alle sahen hinauf und schwindelten, denn von der -steilsten Höhe hing der alte Graf Birken reitend auf einem -Ebreschenbaum. Veto! rief er noch einmal; aber nun kommt schnell zu -Hülfe, oder ich breche den Hals! Widerrufen Sie erst Ihr Veto! schrie -der Pfarrer hinauf. Ich widerrufe, tönte es herab, aber ich werde doch -den Hals brechen. Die Bedienten liefen: die Leute aus dem Dorfe holten -Stangen, Leitern und Stricke. Plötzlich brach der Baum, und der Graf -stürzte herab; er kam aber noch ziemlich glücklich auf dem Boden, zur -Freude Aller, an. -- Wie ist er nur auf die steile Wand gekommen? rief -der Pfarrer. Ja, Schwiegervater, antwortete der junge Graf Birken, Sie -sehen, mein Papa ist noch toller, als ich! - -Die Sonne sank und beschloß den seligsten Tag, den Walther, Blanka und -Raimund noch erlebt hatten. Franziska schloß sich diesen an, und im -gebesserten Herzen fühlte sich Adlerfels als den glücklichsten Menschen. - - - - - Musikalische Leiden und Freuden. - Novelle. - - -Zwei Freunde stiegen vor der Stadt vom Wagen, um zu Fuß durch die Gassen -zu wandeln und den Fragen am Thor auszuweichen. Es war noch ganz früh am -Morgen und ein Herbstnebel verdeckte die Landschaft. Etwas entfernt vom -Wege bemerkten sie ein kleines Häuschen, aus welchem schon früh vor Tage -eine herrliche Frauenstimme erklang. Sie gingen näher, erstaunt über den -unvergleichlichen Diskant, wie über die ungewöhnliche Stunde. Einige -Träger brachten Lauten und viele Notenbücher, die kleine Thüre öffnete -sich, und neugierig gemacht, fragte der ältere Reisende einen von den -Tagelöhnern: hier, mein Freund! wohnt wohl ein Musikus und eine -Sängerin? Der Teufel und seine Großmutter wohnt hier! erscholl eine -krächzende Stimme von oben aus dem offnen Fenster, und zugleich fiel ein -Lauten-Futteral dem Fragenden auf den Kopf. In diesem Augenblick hörte -der Gesang auf, und der Frager sah im Fenster ein kleines greises -Männchen stehn, welches die zornigsten Geberden machte, und dessen -funkelnde schwarze Augen aus tausend Runzeln hervor grimmige Blicke -herunter schossen. Der Reisende wußte nicht, ob er lachen oder schelten -sollte, doch sprach ihm aus dem greisen Kopfe etwas so Wunderliches an, -daß er in Verlegenheit den Hut zog, und sich mit einer höflichen -Verbeugung stumm entfernte. - -Was war das, Herr Kapellmeister? sagte der jüngere Reisende, als sie das -kleine Häuschen schon im Rücken hatten. Ich weiß nicht, erwiederte -jener, vielleicht ein wahnsinniger alter Mann, vielleicht gar dort in -der Einsamkeit, in der Nähe des Tannenwäldchens, eine Spukgestalt. - -Sie scherzen, sagte der Sänger; ich begreife jetzt selber nicht, wie wir -so gelassen seyn konnten, dem Alten auf seine Grobheit nichts zu -erwiedern. - -Lassen wir es gut seyn, sagte der Kapellmeister, indem sie schon die -noch ruhige Straße der Residenz hinunter gingen: in dem Ton der Sängerin -war etwas so Wunderbares, daß es mich tief ergriffen hat; ich war wie im -Traum, und darum konnte mir auch der alte Thor keinen Zorn abgewinnen. - -Wieder die alte Schwärmerei und Güte! rief der Sänger lachend aus; denn -erstens haben wir so gut wie nichts gehört, und zweitens war in dem -Wenigen noch weniger Besonderes zu vernehmen, es war weder Methode noch -Schule in dem traurigen Gesange. - -Als sie jetzt um die Ecke nach dem Gasthofe zu bogen, hörten sie aus -einem obern Stock ein Lied pfeifen; ein rundes, junges Gesicht kuckte -mit der Schlafmütze aus dem Fenster, und so wie er die Fußgänger gewahr -wurde, schrie er: Haltet, Freunde! einen Augenblick! ich bin gleich -unten! Gott im Himmel! das ist eine Erscheinung! Er zog den Kopf so -schnell zurück, daß er ihn heftig an das niedere Fenster stieß und die -Bekleidung des Hauptes langsam schwebend zu den Füßen des Kapellmeisters -nieder sank. - -Wunderbar! rief dieser, indem er die Zipfelmütze aufhob; sagen diese -sonderbaren Vorbedeutungen uns etwas Gutes oder Schlimmes voraus? - -Es ist unser Enthusiast Kellermann, erwiederte der Sänger: hören Sie, er -rasselt schon mit dem Hausschlüssel. - -In diesem Augenblick stürzte der Bewunderer im Schlafrock heraus und -umarmte die beiden Künstler mit theatralischer Herzlichkeit; er wurde es -nicht müde, jedem wieder von Neuem an die Brust zu stürzen, ihn zu -drücken und dann die Arme verwundernd in die Höhe zu strecken, bis der -Sänger endlich sagte: Laßt es nun gut seyn, Hasenfuß! Ihr habt das Ding -jetzt hinlänglich getrieben. Ein Glück, daß noch kein Mensch auf der -Straße ist, sonst würden Eure Bockssprünge in dem saffrangelben -Schlafrock alle Gassenjungen aufregen. - -Also Ihr seid nun wirklich da, Ihr goldnen Menschenkinder? rief der -Enthusiast aus; was würde es mich kümmern, wenn der vollständige -Magistratus an meinem Entzücken Aergerniß oder Theil nehmen wollte? Habe -ich doch seit drei Monaten nicht begreifen können, wozu diese Gasse -eigentlich gebaut sei, noch weniger, warum sie so viele Fenster zum Auf- -und Zuschieben habe, bis nun endlich ihre Bestimmung erfüllt ist; Ihr -kommt durch dieselbe hergegangen, und ich kucke da oben mit meiner -verlornen Mütze heraus, um Euch im Namen der Nachwelt zu begrüßen. Also -nun wird Eure Oper doch gegeben werden, ausbündigster Mann? - -Sind denn Sänger und Sängerinnen auch noch alle gesund? fragte der -lebhafte Kapellmeister. - -So, so, erwiederte jener, wie es die Laune mit sich bringt; genau -genommen, existirt das Volk gar nicht, sondern lebt nur wie im Traum; -die Zugabe, die an die Kehle mit Arm und Bein gewachsen ist, macht es -oft schwer, sie nur zu ertragen, der unnatürliche Geschwulst aber oben, -den sie Kopf tituliren, ist wie ein Dampfkolben, um in diesem -Recipienten die unbegreiflichsten Verrücktheiten aufzunehmen. In so weit -sind sie alle gesund, als es ihnen bis jetzt so gefällt, ist aber die -und jene Arie ihnen nicht recht, hat der eine zu viel, die andre zu -wenig zu singen, geht die Arie aus As moll, wenn sie Gis seyn sollte, so -fallen sie vielleicht binnen drei Tagen wie die Fliegen hin. - -Zieht Euch an, sagte der Sänger, und kommt zu uns in den Gasthof hier -drüben, so können wir mehr sprechen, auch sollt Ihr uns auf den Besuchen -begleiten. - -Ohne Antwort sprang Kellermann in sein Haus, und die Reisenden begaben -sich in das Hotel, wo sie ihren Wagen schon fanden. - - * * * * * - -Im Hause des Barons Fernow war am Abend große Gesellschaft versammelt. -Der Ruf, daß der beliebte Kapellmeister und sein erster Tenorist endlich -angekommen seien, hatte in die Wohnung des Musikfreundes alles -getrieben, was sich für die neue Oper interessirte. Man hoffte, einige -der vorzüglichsten Partien vorgetragen zu hören, und viele drängten sich -hinzu, um wenigstens nachher in andern Gesellschaften darüber sprechen -zu können. - -In diesem Getümmel, welches der Hausherr, seine Frau und eine Tochter -mit Klugheit beherrschten, schwamm der behende Enthusiast wie in einem -Strome herum, um Jedem von der Herrlichkeit der neuen Composition -begeisterte Worte, über die große Manier, die lieblichen Melodieen und -den vortrefflichen Ausdruck in das Ohr zu raunen, obgleich er selbst -noch keine Note davon gehört hatte. Sein rundes geröthetes Gesicht schob -sich wie eine Kugel von einem zuhörenden Kopf zum andern, und die -meisten Gesichter zogen jene nichtssagende Miene, die in Gesellschaften -geistreiche Aufmerksamkeit bedeuten muß. Jetzt wurde ein Theil der -Versammlung auf einen andern Gegenstand hingerichtet, denn in einfacher, -höchstsauberer Kleidung trat ein junges Mädchen herein, von so -glänzender Schönheit, daß man ihren unbedeutenden Anzug über den edlen -und ausdrucksvollen Kopf, über die vornehme Geberde, den feinen Anstand -gänzlich vergaß, und die Nahestehenden sie mit Ehrfurcht begrüßten. Die -Tochter des Hauses eilte auf sie zu, indem sie ausrief: o meine -theuerste Julie! wie glücklich machen Sie mich, daß Sie meinen Bitten -doch noch nachgegeben haben! Aber Ihr Vater? -- Sie wissen ja, -erwiederte die Schöne, wie menschenscheu er ist, wie wenig er mit seiner -Melancholie und Kränklichkeit in die Gesellschaft paßt; und ich gestehe, -ich würde auch nicht gekommen seyn, wenn ich einen so großen Cirkel -hätte vermuthen können. - -Die Umgebung sprach über die außerordentliche Schönheit dieses Wesens, -und man erfuhr, daß sie die Tochter eines armen Musikers sei, die aus -einer entfernten Stadt dem Fräulein des Hauses einen Brief einer -Freundin überbracht hatte. Immer noch hatte der Kapellmeister mit seinen -Sängern keines der Stücke vorgetragen, weil der Wirth noch einen jungen -Grafen erwartete, der einer der größten Enthusiasten für Musik seyn -sollte. Denken Sie sich, sagte der Baron zum Kapellmeister, den -sonderbarsten, unruhigsten aller Menschen, nichts interessirt ihn als -Musik, er läuft von einem Concert in's andre, er reis't von einer Stadt -zur andern, um Sänger und Compositionen zu hören, er vermeidet allen -andern Umgang, er spricht und denkt nur über diese Kunst, und selten ist -er doch ruhig genug, ein Musikstück ganz und mit völliger Aufmerksamkeit -anzuhören, denn er ist eben so zerstreut als überspannt. Dazu scheint er -den eigensinnigsten und eingeschränktesten Geschmack zu haben, so daß -ihm selten ein Kunstwerk zusagt, eben so wenig ist er mit dem Vortrag -zufrieden, und dennoch bleibt er Enthusiast. Er ist von großer Familie -und reich, war eine Zeit lang in diplomatischen Geschäften an einem -angesehenen Hofe, hat aber Alles der Musik wegen, die er doch oft nach -seinen Reden zu verabscheuen scheint, aufgegeben. - -Die nähern Freunde des Barons waren nach dieser Schilderung sehr -begierig, einen Mann zu sehen, der wie von bösen und guten Geistern -geplagt und verfolgt wurde. Als daher Graf Alten eintrat, sahen ihm alle -mit großer Neugier entgegen. Er begrüßte die Gesellschaft hastig und -sein dunkles Auge durchlief sie eilig; dann senkte er den Blick und -setzte sein Gespräch mit einem alten, hagern und eingeschrumpften -Italiener fort, welcher mit ihm gekommen war. Doch plötzlich brach er ab -und rief halb vernehmlich: Himmel! was ist das? Er stand unmittelbar -hinter Julien. Jetzt sang der Tenorist eine Arie der neuen Oper, und -Alles schien begeistert, der Graf war in tiefen Gedanken. Nun, -Eccellenza, fragte der Italiener am Schlusse, sein Sie contentirt? Ich -habe keinen Ton gehört, antwortete der Graf, indem er den Kopf erhob und -die schwarzen Locken aus der denkenden melancholischen Stirne strich. - -Er benutzte die Pause, in welcher sich Alles lobend und bewundernd um -den Kapellmeister drängte, vorzutreten und sich neben Julien zu setzen. -Er wollte sie anreden, aber indem sie höflich das Antlitz zu ihm wandte, -fuhr er wie erschreckt zurück. Nein, wahrlich, dergleichen hatte ich -nicht erwartet! sagte er für sich. Das junge Mädchen war erstaunt und -verlegen. Verzeihen Sie, redete der Graf sie heiterer an, Sie werden -mich sonderbar finden; als ich vorher hinter Ihnen stand, mußte ich -glauben, eine ehemalige Bekanntschaft zu erneuen, und jetzt bin ich von -Ihrer mehr als wunderbaren Schönheit so geblendet worden, daß ich Zeit -haben muß, um mich zu fassen. Die wahre ächte Schönheit kann wohl -erschrecken, denn etwas Uebermenschliches kündigt sich unsern Sinnen und -dem Gemüthe an. Himmel! wie müssen Sie singen! - -Ich singe gar nicht, Herr Graf, und habe weder Stimme noch Kenntniß der -Musik, erwiederte sie mit angenehmem Ton. - -Der Graf sah sie prüfend an, schüttelte dann zweifelnd den Kopf und -murrete unverständliche Worte verdrossen vor sich hin. Jetzt wurde ein -Duett vorgetragen, und Alles war aufmerksam, nur der Graf betrachtete -unverwandt seine Nachbarin. Das Duett war schwierig und die erste -Sängerin äußerte ihren Verdruß, der Kapellmeister wurde empfindlich, -wies zurecht, half nach, Alles vergebens; man mußte abbrechen, indem die -Virtuosin behauptete, die Passage müsse geändert werden, weil sie ihrer -Stimme ganz entgegen sei; der Componist meinte, er dürfe Ausdruck und -Kraft nicht dem Eigenwillen aufopfern, denn die vortreffliche Künstlerin -könne dies und noch schwierigere Sachen leisten, wenn sie sich nur -bemühen wolle. Darüber aber wurde der Gesang völlig unterbrochen, und -indem der Kapellmeister ein anderes Musikstück anordnen wollte, sagte -der Graf zu Julien: ich wette, Sie können diese schwierige Stelle ohne -Anstoß vom Blatte singen, wenn Sie nur wollen. Als Julie zu leugnen -fortfuhr, sagte jener: Ihre Röthe, Ihr Auge widerspricht! Wie? dieser -gewölbte Mund sollte in der Mitte der Lippen diese sanfte, seelenvolle -Erhöhung von selbst haben, und nicht von den reinen vollen Tönen, die so -oft über diesen Hügel schwebten? Denn nur der Ton, wenn er stark und -lieblich die rothe Straße befährt, darüber klingend weht, bildet diese -ausdrucksvolle Erhebung; ganz im Gegensatz jener gefurchten Mundwinkel, -die jene berühmte Sängerin dort hat, die mit breitgedrückten und in die -Länge gequetschten Lippen den armen kreischenden Ton hervor preßt. Sie -versündigen sich, meine Schöne, daß Sie Ihr großes Talent verleugnen -wollen. - -Sie sind zu scharfsichtig, erwiederte Julie; um so trauriger, daß Sie -dennoch irren. - -Sie sprechen auch ganz wie eine Sängerin, fuhr jener fort, es ist ein -lieblicher aber unterdrückter Ton in der Rede, der seine Fittige nicht -auszufalten wagt. Wenn Sie doch nur wenigstens einen einzigen Ton -anschlagen wollten! das Glück meines Lebens hängt davon ab, daß Sie -singen können. - -Sie quälen mich, Herr Graf, antwortete die Verlegne empfindlich; ich -versichere Sie auf das Theuerste, ich werde nicht singen, weil mir diese -herrliche Gabe von der Natur versagt wurde. - -Gnaden, sagte der braune kleine Italiener, sollen Alles zu Virtuosen -haben: kann aber nicht Alles singen, was hübsch und feinen Mund hat. -Conträr! haben oft göttliche Prima Donna vor pur himmlisch Gesang und -forzirt Schreien eine Schnautz wie Signor Cerberus, der die Talent hat, -dreistimmige Sach solo durchzuführen. - -Der frohe leichte Geist der Musiker war gestört, der Kapellmeister -verstimmt, und die erste Sängerin mehr als verdrießlich. Der Enthusiast -war in der Klemme, weil er es mit keinem verderben und doch keinen -stummen gleichgültigen Zuschauer abgeben wollte. Da man sah, daß für -diesen Abend nichts Bedeutendes mehr geschehen würde, so entfernten sich -nach und nach die Fremden, auch die Musiker gingen, und nur der -Kapellmeister blieb, dem sich der Enthusiast, ohne eine nähere Einladung -abzuwarten, anschloß; der gedankenvolle Graf und sein Italiener -verweilten ebenfalls, um mit der Familie des Barons beim Glase Wein und -einem leichten Abendessen sich zu erheitern. - -So ist es nun wieder wie fast immer ergangen, fing der Kapellmeister an, -als sie um den runden Tisch saßen; man arbeitet sich ab, man studirt, -man quält, und endlich freut man sich auch, wenn das Werk vollendet ist -und gelungen scheint, und dann muß es diesen elenden, verdorbenen -Handwerkern übergeben werden, die nichts gelernt haben, und mit dem -Wenigen, was sie wissen, noch wie mit Wunderwerken hinter dem Berge -halten wollen. Kann es einen traurigern Beruf, als den eines -musikalischen Componisten geben? Denn endlich nun, wenn auch dieser -Jammer durch Bitten, Drohen, Scherzen, Vergötterung, Lüge und -Falschheit, durch kleine Aenderungen, Zusätze und Wegnahme überwunden -ist, wird das gemarterte Werk der Laune des Publikums, und dem blinden -Zufall, seinem allmächtigen Beherrscher übergeben. Nun muß es aber weder -zu heiß, noch zu kalt, das Haus muß weder zu voll noch zu leer seyn, -keine große politische Neuigkeit darf sich eben haben hören, ja keine -Seiltänzer und Springer anmelden lassen, um das so nothwendige Klatschen -und mit diesem armen Beifall einigen Enthusiasmus zu erregen. Und doch -kann man es nicht lassen, sich wieder in der Vorstellung zu erhitzen, um -eine neue undankbare Arbeit zu beginnen. - -Wo ist die Dame geblieben? fuhr der Graf plötzlich auf. - -Neben der Sie lange saßen? fragte die Tochter. Diese ist längst fort und -von einer Magd abgeholt worden, denn sie wohnt entlegen, in einer -fernen, unbekannten Gasse. - -Die sollte ihre treffliche Arbeit singen, sagte der Graf, da würden wir -etwas anders hören. - -Sie irren, berichtigte die Tochter, ich weiß, daß das junge Frauenzimmer -durchaus nicht musikalisch ist. Sie ist aber sonst in weiblichen -Arbeiten sehr geschickt, auch hat ihr Vater, ein alter, verarmter -Musikus, sie etwas zeichnen lernen lassen. - -O du alter Sünder! rief der junge Graf im höchsten Verdruß: und keinen -Gesang diesen Lippen, keinen Ton diesem schwellenden Munde! Ist es -nicht, als wenn man der Rose den Duft rauben wollte, den die Natur ihr -gleich im Erblühen mitgegeben hat? - -Die Tochter war etwas empfindlich, denn sie glaubte auch eine Sängerin -zu seyn, da aber der Kapellmeister in seiner Klage fortfuhr, so blieb -ihre gespitzte Antwort unbeantwortet. Abgesehn aber, fuhr der -Kapellmeister fort, von diesen armseligen Zufälligkeiten, so verkündigen -sich auch erst am Kunstwerke selbst bei der öffentlichen Darstellung -Mängel, welche sich der Componist vorher auf seinem Zimmer nicht hat -träumen lassen. Denn mögen wir ein Werk noch so oft durchsingen, genau -kennen, von allen Seiten prüfen, das Urtheil aller Freunde und Kenner -vernehmen, so bleibt Manches, und oft das Beste, zurück und das -Schlimmste zeigt sich bei der Aufführung erst. Und überhaupt -- die -Bestimmung des Künstlers! Ist sie nicht eine traurige? Ich setze mich zu -keinem neuen Werke nieder, ohne innig überzeugt zu seyn, daß ich nun -etwas ganz und durchaus Treffliches, Vollendetes erschaffen werde, das -meine großen Vorgänger erreicht, und sie selbst hie und da übertreffen -möchte. Diese himmlische Ruhe und Sicherheit verschwindet aber bald -während der Arbeit; mein Entzücken an meiner Hervorbringung wechselt mit -den bittersten Zweifeln. Dann fühl' ich oft recht innig, daß ganz, ganz -nahe an dem, was ich schreibe, das Wahre und Himmlische liegt, daß meine -Noten anklopfen und den Wandnachbar, den unbekannten, begrüßen: mir ist, -ich dürfte nur den Kopf so oder so wenden, so müßte mir der Genius -sichtbarlich entgegen treten, -- und immer, immer wieder erscheint er -nicht! Mein Geist quält sich, um außen, weit ab, die Bahn anzutreffen -- -und so im Jammer, im Resigniren, arbeite ich weiter. Es gemuthet mir wie -der Affe mit seiner traurigen Unruhe und dem fatalen Gesichterschneiden: -vielleicht hat er jeden Moment dunkler oder deutlicher eine Ahndung von -der Vernunft, will sie nun, die nah Erreichbare, und nun wieder haschen -und sich dann besinnen, und findet sich immer wieder in seinem -widerwärtigen Zustand eingeriegelt. - -Jetzt trat noch ein Mann reifen Alters zur Gesellschaft, ein Gelehrter -und Hausfreund des Barons, der sich fast täglich einfand, aber gern die -größeren Versammlungen vermied. Sie haben wieder, redete ihn der Wirth -an, unser Concert, wie Sie es gewöhnlich machen, nicht mit anhören -wollen. Ich bin zu sehr Laie, erwiederte der Freund, und darum mag ich -mich nicht unter die Kenner drängen; soll der Unmusikalische den -Gebildeten durch seine trockne Gegenwart ihren Genuß verkümmern? - -Wir kennen diesen Schalk schon, rief ihm der Kapellmeister zu, indem er -den alten Bekannten begrüßte. Sie haben recht gethan, denn unsre -Sängerinnen haben wieder den alten Spuk getrieben, schlecht gesungen, -sich zu vornehm gedünkt, die Musik kritisirt, und endlich damit -beschlossen, alle Musik in Verstimmung und Eigensinn zu beerdigen. - -Sie sind also wirklich unmusikalisch? fragte der Enthusiast; und Sie -machen auch kein Hehl daraus? - -Warum sollte ich es? antwortete der Laie; kein Mensch kann alle Talente -in sich vereinigen, oder alle seine schlummernden Anlagen erwecken und -ausbilden. - -Viel Charakter, es so dreist zu bekennen, erwiederte der junge Mann, der -durch vieles Schwatzen während der Musik und dem hastigen Genuß des -starken Weines in eine Laune erhitzt gerathen war, deren Sonderbarkeit -er selber nicht zu bemerken schien: sehn Sie, fuhr er fort, daraus ist -schon viel Unheil für mich entstanden, daß ich mich zu solchem Muthe -nicht habe entschließen können. Ich war anfangs (und wie es schien, von -Natur so geschaffen) gar kein Musikfreund, ich hatte kein Ohr, ich -konnte keine Melodie behalten; darum vermied ich auch Concerte und -Opern, und in Gesellschaften, wenn Lieder gesungen, wenn Cantaten -aufgeführt wurden, sprach ich entweder, oder suchte eines Buches habhaft -zu werden. Denn gewiß, nichts verschließt unser Ohr so sicher vor all -den herein und durch einander fahrenden Tönen, als ein tüchtiges und -vorhaltendes Gespräch über Stadtneuigkeiten oder einige interessante -Verleumdungen. Sehe man nur den Stock! ertönte es nun von allen Seiten: -hat die dicke Figur wohl eine menschliche Seele in seinen weitläufigen -Fleischanlagen sitzen? Von der Musik, der göttlichsten aller Künste, -nichts zu verstehn! Ist wohl ein Block, ein Stein, der nicht -gewissermaßen von der himmlischen Harmonie gerührt werden müßte? -- Nun -gefiel mir dazumal auf mehr als gewöhnliche Weise ein gewisses -Frauenzimmer: diese pflegte, so wie gesungen wurde, vor übermäßiger -Empfindung herzlich zu weinen. Dieser nun war ich mit meinem kalten -Herzen gradezu ein Abscheu. Wie? sagte sie, lieben wollen Sie, der Sie -nicht einmal eine Ahndung jener Wonne haben, die aus dem Himmel stammt, -und mit der Liebe so nah verwandt ist? -- Da, Freunde! faßte ich nun den -großen Entschluß, umzusatteln, und von der Musik gehörig begeistert zu -werden. Alle meine Freunde und Bekannten erstaunten, als ihnen meine -neugeprägte blanke Entzückung in die Augen strahlte. Da war nun auch gar -kein Halten mehr, ich übertraf Alles in der Begeisterung, was ich nur je -in den Gesellschaften hatte beobachten können; Alles zappelte an mir vor -Freude, so wie nur das Clavier angeschlagen wurde, die Beine trommelten, -die Arme schlenkerten, die Augen wackelten, ja ich nahm die Zunge zu -Hülfe, und leckte mir zuweilen die vor Erstaunen weitgeöffneten Lippen. -Dann mußten die Hände klatschen, die Augen, wenn es irgend möglich zu -machen war, weinen, die ausgestreckten Arme Bekannt und Unbekannt an -dies stürmische Herz schließen, das mit mächtigen Schlägen im wildesten -Enthusiasmus klopfte. Ja, wenn ich nachher in mein einsames Zimmer trat, -war ich so müde und matt, so mürbe und zerschlagen, daß ich zuweilen -Kunst und Künstler, Liebe und Harmonie, so wie alle die bezaubernden -Gefühle zum Satan wünschte. - -Aber empfanden Sie nun wirklich recht viel? fragte der Laie lachend. - -Das ist eine bedenkliche Frage, erwiederte der Enthusiast; was der -Mensch so stürmisch will, davon muß wohl etwas auch wirklich in sein -Wesen übergehn; es wäre unbegreiflich, wenn durch das vorsätzliche -Nachspielen nicht hie und da ein Gefühl in unsrer Brust wiederklingen -sollte. Aber um doch ganz aufrichtig zu seyn, so war mir bei all diesem -Bewundrungsbemühen oft unerträglich nüchtern zu Muthe, so recht, was der -Haufe langweilig nennt, und wenn ich nicht so stark mit Händen und Füßen -gearbeitet hätte, so wäre mir wohl oft ein herzliches Gähnen angekommen. -Das Schlimmste aber ist, ich habe doch nichts dabei gewonnen; denn meine -boshaften Freunde meinten, ich hätte den Ansatz zu hoch genommen, und -sei von der andern Seite vom Pferde wieder hinunter gefallen. Sei ich -erst wie ein verstocktes dumpfes Thier gewesen, so erscheine ich jetzt -wie ein verwilderter Hasenfuß, mein Enthusiasmus träte als ein -verzerrender Krampf auf, man müsse fast glauben, mein Arzt habe mir -diese übertriebene Motion nur empfohlen, um sie gegen mein Fettwerden zu -gebrauchen. Ach! und die Musiker! Von denen habe ich das Meiste -gelitten. Vor acht Monaten war es, als hier im Saal die beiden berühmten -Compositeurs ihre Sachen aufführten. Wie der erste geendigt hatte, -konnte ich ihm richtig mit fließenden Thränen an seinen Hals fallen, und -der Mann klopfte mir selber über mein Entzücken gerührt mit aller -Freundschaft auf den Rücken, wir drückten uns recht herzlich zusammen, -und er sagte ganz laut, er habe noch keinen so gründlichen Kenner in -allen Reichen der musikalischen Welt angetroffen. Nun brannte der andere -Mann aber auch sein Kunststück los. Thränen hatte ich nicht mehr, es -meldete sich aber ein großartiges Schluchzen, was noch höher lag als die -Thräne, -- und ein ganz stummer Druck, ein Vergehen, Aufgelöstseyn, fast -sterbend in die Arme des zweiten Hinfallen, ja ein reelles Abstehn mußte -diesen großen Meister belohnen. Der grobe Schelm ließ mich aber geradezu -auf das Parket hinschlagen, ohne mir seine dankbare Brust -unterzustemmen, und sagte, wie ich in der Kunstohnmacht lag, höhnisch zu -mir: bleiben Sie in des Himmels Namen liegen, denn wer über die -Stümperei jenes Menschen dort weinen kann, verdient gar nicht, einen Ton -von mir mit seinen Ohren aufzufassen. So erhob ich mich, um Trost bei -meinem großen Freunde zu suchen, dessen allergrößter Kenner ich war. Er -sprang aber auch vor meinem Ausruf weg, so daß ich mit der Nase fast an -die Wand stieß, unter dem nichtigen Vorwande, daß wer so wenig ächtes -Gefühl besitze, daß er das Armselige wie das Edle so übermäßig bewundern -könne, für die Kunst ein mißgeschaffenes Ungeheuer sei. Wie ich nun bei -meiner Geliebten Hülfe suchen wollte, war sie ebenfalls gegen mich -empört, denn ich hatte bei ganz unrechten Stellen geweint und da am -lebhaftesten empfunden, wo grade die wenigste Empfindung hingehörte. O -Theuerste, Verehrteste, möchte man nicht fast veranlaßt seyn, den Schwur -zu thun, daß man bei Arioso und Cavatine, Finale und Ouvertüre, Adagio -und Presto nur mit ruhig gekretschten Beinen dasitzen und höchstens -zuweilen den Tact schlagen wolle; denn wenn all dies Hämmern und Puffen, -dies Abarbeiten unsers irdischen entzückten Herzens, diese weissagende -rinnende Thräne, die den Wiederschein der Unsichtbarkeit abspiegelt; -wenn alles dies nichts fruchtet, sag' ich noch einmal, und statt -paradiesischer Sympathie nur die infernalische Antipathie erregt, so -wünschte man ja lieber Balgentreter oder Schmiedegesell, als ächter -Enthusiast zu werden. Darum wundert Euch nicht, wenn ich der undankbaren -Kunst wieder einmal den Rücken wende. - -Als man über diese Geständnisse lachte, sagte der Laie im frohen Muth: -in meinem Leben gehören die Leiden der Musik auch zu den -empfindlichsten. Nicht der zu starke Enthusiasmus hat mir geschadet, -wohl aber sind meine Kinder- und frühen Jugendjahre mir durch Musik -verbittert worden. Lächerlichkeiten, an die ich noch jetzt mit einigem -Schrecken denken muß. - -Sprechen Sie, alter Freund, rief der Kapellmeister, habe ich doch auch -schon erst mein Leiden geklagt, was Sie freilich nicht mit angehört -haben. - -Ich mochte zwölf Jahr alt seyn, fing der Laie an, es ging mir gut, in -der Schule rückte ich schnell hinauf, meine Lehrer so wie meine Aeltern -waren mit mir zufrieden, als ein böser Geist, dieser Behaglichkeit und -Harmonie zürnend, sein Unkraut unter den aufwachsenden Waizen säete. -Mein Vater, ein strenger, aber heiterer Mann, ließ mir frei, meine -Bestimmung zu wählen, er war ein Freund der Musik, aber ohne alles -Talent. An einem Nachmittag fragt er mich, ob ich vielleicht Lust hätte, -ein Instrument zu spielen. Mir war der Gedanke noch niemals gekommen; -ich solle es mir überlegen, er verlange es nicht, aber wenn ich mich -entschließe, müsse ich auch Ernst machen. Darauf kannte ich ihn, ich -wußte, daß er sich nicht wundern würde, im Fall ich keine Musik triebe, -aber einmal angefangen, durfte ich die Sache niemals wieder fallen -lassen. Mir war, weil mein Ohr noch schlief, bis dahin alle Musik höchst -gleichgültig und langweilig vorgekommen. Die Opern haßte ich geradezu, -weil bei den Arien und Duetten, von denen ich nichts vernahm, die -Handlung, die mich einzig interessirte, stehen blieb. Nie war in unserm -Hausbedarf von Musik etwas vorgekommen, außer in den Stunden bei dem -Tanzmeister, zu dessen vorzüglichsten Scholaren ich gehörte, der es mir -aber nie hatte deutlich machen können, daß die Musik seiner Geige mit -zum Tanz gehöre. Traf ich daher gleich anfangs den Tact, so tanzte ich -meine Menuet, Cosak, oder was es war, trefflich hindurch. Fehlte es mir -aber, so half kein Aufkratzen, Anhalten, Beschleunigen, mich wieder in -den verlornen Tact zu werfen. Ich hielt es auch geradezu für -Aberglauben, daß man herkömmlich zum Tanzen aufspiele. Konnte mich schon -hier die Musik ängstigen, so brachte sie mich in der Kirche, die mir -schon nicht erfreulich war, fast zur Verzweiflung. Meine Nerven waren -schwach, und die losbrausende Orgel mit ihren schmetternden Tremulanten -verwirrte mein Gehirn und unerträglich fiel mir der unisone kreischende -Gesang der Gemeine. Mit beiden habe ich mich auch noch nicht vertragen -lernen: die Orgel, sei sie eine erhabene Erfindung, erschreckt und -ängstigt sie mich in der Nähe, und dieser Choralgesang, der sich so -demüthig, wie gefesselte reuige Verbrecher, auf dem Boden hinschleppt, -nimmt mir, so oft ich ihn auch gut vorgetragen höre, allen Muth, alle -Poesie und Musik erlischt bis auf das letzte Fünkchen in meinem Gemüth, -und ein nüchterner Lebensüberdruß bemächtigt sich meines Geistes. - -Darüber ließe sich viel sagen, meinte der Kapellmeister, doch komme auch -wohl eine seltne Eigenthümlichkeit des Laien hinzu. - -So fern, begann dieser wieder, war ich aller Musik, und keine Spur eines -Talents hatte sich gezeigt, als der böse Geist es mir in den Kopf -setzte, in mir sei vielleicht ein großer Violinspieler verborgen. Die -Geige wurde angeschafft, ein Lehrer angenommen. Es hatten sich aber nun -der seltsamste Scholar und der wunderlichste Meister zusammen gefunden, -denn dieser unterrichtete mich eigentlich so, als wenn ich schon seit -Jahren ein nicht unwissender Violinspieler gewesen wäre. In der ersten -Stunde ließ er mich nur die Geige anstreichen, was mir bei meinen zarten -Nerven keine Freude verursachte. Zur folgenden hatte er mir schon ein -Buch gemacht, und einige leichte Lieder hinein geschrieben. Dies Stück, -sagte er, geht aus ^D dur^; es war: Blühe, liebes Veilchen. Ich -bekümmerte mich nicht weiter darum, was die beiden Kreuze oder ^D dur^ -zu bedeuten hatten, ob es eine oder mehrere Tonarten gäbe, was die -Tactabtheilung, oder die Striche an den Noten bedeuteten, sondern wir -spielten nun wohlgemuth das Lied durch, und ich ihm nach, Fingersetzung -und Alles aus dem Gedächtniß. So ging es beim zweiten und dritten Liede, -welches aus ^C dur^ ging. Ich sah wohl, daß nun die Kreuze fehlten, und -er nannte jedesmal die Tonart, wenn ich falsch griff, fand es aber gar -nicht nothwendig, weitere Erklärung hierüber, oder über die Dauer der -Noten hinzu zu fügen. Es klingt märchenhaft, aber eben so wahr ist es, -daß ich in dieser Manier sechs bis sieben Jahr die Geige gestrichen -habe, ohne daß der Trieb in mir erwachte, der Sache näher auf den Grund -zu kommen, oder daß er es nothwendig geachtet hätte, unsrer practischen -Kunst einige Theorie anzuhängen. Uebrigens kann man sich vorstellen, wie -es lautete. Da ich Länge und Kürze der Töne, ihre Abweichung in Moll und -Alles, was die Musik ausmacht, ohne jedes Verständniß, nur aus dem -Gedächtniß spielte, (denn ich kannte nur die Note an sich selbst, so wie -sie auf der Linie stand, und nichts weiter) da ich überdieß gar kein -Gehör hatte, den Bogen schlecht führte, und in der Fingersetzung häufig -irrte, so begreift sich's, was ich für ein Charivari hervor brachte. -Mein Meister, der wirklich geschickt im Spiel war, klagte in jeder -Stunde über seine Ohren. Ich selbst litt, so oft ich die Violine unters -Kinn nahm, wahre Höllenpein. Dies Schnarren, Pfeifen, Mauzen und Girren -war mir unerträglich: selbst der beste Geiger hat, wenn man ihn zu nahe -hört, einen Nebenton, die stark angestrichene Saite, besonders in der -Applicatur, überschreit sich zuweilen, aber bei mir thaten sich fast nur -die abscheulichsten Mißtöne hervor. Da meine Nerven so stark afficirt -wurden, so zeigte sich mein Widerwille gegen das Geheul und Schnarzen, -welches meine Finger so dicht vor meiner Nase erregten, auch deutlich in -meinen Gesichtsmuskeln, der Mund und die Wangen begleiteten mit -widerlichen Verzerrungen die hohen und tiefen Töne, die Augen klemmten -sich zu und rissen sich auf, und ich fühlte deutlich, daß manche neue -Falten und Lineamente sich formirten, die ursprünglich nicht für ein -gewöhnliches Menschengesicht berechnet waren. Mein tiefsinniger Meister -schüttelte oft sein Haupt, und meinte, so wenig Talent als ich habe -keiner seiner Scholaren. Mir begegneten aber auch in der That mehr -Unglücksfälle, als ich sonst bei ausübenden Künstlern wahrgenommen -hatte. Kamen wir so recht in Eifer und lieferten, nachdem ich schon -länger studirt hatte, die raschen muthigen Passagen: so rutschte im -Allegro mein Bogen über den Steg, und im Entsetzen ließ mein Lehrer die -Geige sinken, denn welcher Ton alsdann im heftigen Streichen aufquikt, -weiß nur der, dem dieses Abenteuer begegnet ist. Mehr wie einmal fiel -der Steg selber um, wie aus Mitgefühl, und ein heftiger Knall endigte -mit Macht ein schmachtendes Largho mitten in der Note. Einmal sogar, und -ich dachte der Tod ergriffe mich, brach der Knopf ab, der unten das -Saitenbrett festhält, und sprang unbarmherzig gegen meine Nase. Für -diese Stunde war denn unsre Harmonie zu Ende, und das Instrument mußte -erst wieder hergestellt werden. Nach einem Zeitraum war denn auch mein -Vater so neugierig zu hören, wie ich mich applicire. Ich trug ihm einige -der Lieder vor, die ich am besten inne zu haben glaubte. Er erschrak -über das, was er hörte, und erstaunte noch mehr über das, was er sah. Er -meinte nämlich, in der Kunst, Gesichter zu schneiden, sei ich -unbegreiflich weit vorgeschritten, und meine Musik könne doch von Nutzen -seyn, Ratten und Mäuse zu vertreiben; er warnte mich nur zum Beschluß, -den Ausdruck meiner musikalischen Physiognomie doch etwas zu -beschränken, weil ich außerdem auf dem graden Wege zum Affen sei. Das -war mein Lohn dafür, daß ich das damals populäre rührende Lied: Hier -schlummern meine Kinder &c. ihm nicht ganz ohne Glück vorgetragen hatte, -denn dies war gradezu meine Lieblings-Arie, in der ich firm zu seyn -glaubte, die auch in den Mitteltönen mit melancholischer Gesetztheit -verweilte, und nicht in den Discant oder gar in die Applicatur hinauf -stieg, die ich ein- für allemal verabscheute. - -Hatten Sie denn aber gar keinen Ersatz für diese mannigfaltigen Leiden? -fragte der Kapellmeister launig. - -Wenig, erwiederte der Laie: als mein Lehrer es nöthig fand, wegen des -Ausdrucks für mich ein Sordin zu kaufen, den ich mit Freuden aufsteckte, -weil es doch einmal einen andern Ton gab, die Dämpfung auch wie ein -spanischer Reiter es dem reißenden Bogen unmöglich machte, wieder -jenseit dem Steg zu springen. Auch machte es mir innige Freude, als wir -erst weiter vorgerückt waren, in den Ouvertüren die Vierundsechszigtel -als eine und dieselbe Note dreißigmal abzuspielen, welche meistentheils -gegen Ende des Stücks, kurz vor dem Aufzug der Gardine, vorkommen. Diese -wiederholte ich gern in der Einsamkeit, weil in diesen Passagen keine -große Schwierigkeit ist, mir auch der so oft wiederholte Ton die -Empfindung gab, als wenn ich in meinem geliebten Theater säße. - -Aber damals, fragte der Kapellmeister, hatten Sie doch wohl einige klare -Begriffe von der Musik? - -So wenige, antwortete der Laie, wie in der allerersten Stunde; Tact, -Vorzeichnung, Tonart, nichts von alle dem begriff ich, sondern spielte -Sonaten und Symphonieen so pur aus dem Gedächtniß hin, wie ich es von -meinem Lehrer hörte! auch vernahm ich keine Melodie, keinen -musikalischen Gedanken; hie und da führten mir wohl ein paar Tacte eine -Art von Verständniß herbei, das ich aber nie weiter verfolgen konnte. So -fern war ich allem Begreifen, daß ich mir einmal einbildete, weil ^g^, -^h^, ^a^ und ^b^ vorkommen, daß das ganze Alphabet wohl in den Noten -enthalten sei, und daß man bei der Composition eines Liedes nichts zu -thun habe, als die Noten zu nehmen, die die Buchstaben eines Wortes -bezeichneten, und sie dann schneller oder langsamer abzuspielen. Wie ich -nun meinen Lehrer fragte, wo denn das ^m^, ^r^ oder ^p^ stecke, wurde -ich zwar von diesem sehr verlacht, aber doch nicht besser belehrt, denn -er erstaunte nur immer von Neuem über meine ungeheure Einfalt, daß ich -das alles nicht wisse, was sich doch von selbst verstehe. Eben da mir -alle Musik nur wie ein Charivari vorkam, so ließ ich mir beigehn, auch -selbst einmal zu componiren. Der Tact schien mir gleich ein Vorurtheil, -eine Tonart brauchte ich noch weniger, und nie werde ich die Freude -vergessen, die ich meinem Meister machte, als ich meine wild zusammen -gewürfelten Noten ihm als meinen ersten dichtenden Versuch überbrachte. -Er wollte sich ausschütten vor Lachen, und konnte nicht müde werden, -sich unter Lust und Freude meine Phantasie vorzuspielen. Mir klang sie -wie jede andere Musik. - -Der braune alte Italiener erfreute sich sehr über diese Erzählung, und -selbst der finstere Graf lächelte. Es ist unbegreiflich, sagte der -Baron, daß Sie so lange ausgehalten haben. Ich mußte wohl, erwiederte -der Erzähler, meines strengen Vaters wegen, da ich das Ungethüm einmal -begonnen hatte. Sonst bekümmerte er sich nicht weiter um meine Kunst, -weil er einigemal, da ich ihm Sonntags Nachmittags einen Zeitvertreib -machen sollte, von meinem Spiel, wie er behauptete, Zahnschmerzen -bekommen hatte. Einmal widerfuhr mir als ausübenden Künstler eine -ausgezeichnete Demüthigung. Die Besitzerin des Hauses, in welchem wir -wohnten, hatte zum Geburtstage ihrer erwachsenen Tochter eine große -Anzahl hübscher Mädchen gebeten. Um das Fest unerwartet fröhlich zu -machen, hatte die gute Dame mit meiner Mutter die Abrede getroffen, ich -sollte heimlich mit meiner Geige hinauf kommen, im Nebenzimmer plötzlich -stimmen, und den überraschten schönen Kindern dann einige englische -Tänze aufspielen, damit sie einmal im Saale recht wohlgemuth -herumspringen könnten. Ich wurde in das Nebenzimmer mit allem Geheimniß -geführt: ich sah durch den Vorhang in die allerliebste Versammlung -hinein, -- aber nun, -- die Geige _stimmen_! Wie gemein! Ich hatte es -auch in meinem Leben nie versucht, weil mein Meister das besorgte, ich -hörte auch niemals einen Unterschied, wenn sie nach seiner Meinung im -Stande war, und wenn sie nicht jetzt schon richtig stimmte, so konnte -ich auf jeden Fall nur Uebel ärger machen. Es schien mir edler sowohl -wie vorsichtiger, mit meiner Lieblings-Arie mich anzukündigen, und so -ließ ich dann plötzlich das: »Hier schlummern meine Kinder« anmuthig -ertönen. Die Freude dieser Nicht-Schlummernden war unbeschreiblich, mit -Jubel ward ich in den Saal gezogen, wo ich wie geblendet stand, da ich -noch niemals so viele reizende Wesen beisammen gesehen hatte. Das war -ein Fragen und ein Bestellen; ich zeigte ihnen die englischen Tänze, die -mir mein guter Meister in mein Notenbuch geschrieben hatte, ich spielte -einen auf, aber er wollte nicht passen. Sie fragten nach der Anzahl der -Touren und dergleichen, was mir alles unverständlich war. Ich sollte -ihnen den Tanz und die Musik dazu arrangiren. Ich versuchte noch eine -Anglaise und eben so die dritte, nun war meine Kunst zu Ende, und da -auch diese nicht paßten und wir uns gar nicht verständigen konnten, so -mußte ich, den sie im Triumph eingeholt hatten, mit der größten -Beschämung wieder abziehen, und sie endigten ihren Nachmittag in -Verdruß, der ihnen ohne die plötzliche unerwartete Freude heiter -verflossen wäre. Meiner Mutter, die mich ausfragte, erzählte ich, die -Mädchen hätten eigentlich gar nicht tanzen können; und so kam es mir -auch vor, da sie sich aus meinem Spiel nicht zu vernehmen wußten. -- -Mein Meister wurde endlich zu einer auswärtigen Kapelle verschrieben, -und nun glaubte ich, meiner Qual los zu seyn: mein consequenter Vater -aber hatte schon wieder einen neuen Lehrmeister bei der Hand, der, als -ich ihm meine Künste vorgespielt hatte, die Sache gründlich wieder von -vorne anfing. Ich, der ich schon Symphonieen und die schwierigsten -Sachen vorgetragen hatte, mußte jetzt jene mir verhaßten Choräle und -Kirchenmelodieen einlernen, lauter Noten aus halben oder ganzen Tacten, -weil mein neuer Meister behauptete, ich hätte weder Strich noch -Fingersetzung. Dieser hatte ein so delikates Ohr, daß er bei meinen -Mißtönen fast ärgere Gesichter schnitt, als ich selber, er lachte auch -niemals über meine Ungeschicklichkeit und Mangel an Talent, wie der -erste, sondern nahm sich die Sache sehr empfindsam zu Herzen, und war -manchmal fast dem Weinen nahe. Zum Glück dauerte diese neue Schererei -etwa nur ein halbes Jahr, worauf ich zur Universität abging, und seitdem -kein Instrument wieder angerührt habe. Diese Bekenntnisse, meine Herren, -schildern nur kurz den geringsten Theil meiner musikalischen Leiden, -denn wenn ich sie ganz hätte darstellen wollen, würde mir Zeit und Ihnen -die Geduld ermangeln. - -Jetzt ist die Reihe an Ihnen, sagte der Baron Fernow, indem er sich zum -alten Italiener wandte, Sie haben bei diesen Erzählungen eine besondere -Freude gezeigt, und es ist wohl billig, daß Sie uns auch einige Ihrer -Leiden mittheilen, die Ihnen wohl, als einem alten Virtuosen, nicht -gefehlt haben können. - -Ach! meine Herren, sagte der Alte mit einem sonderbaren Gesicht, meine -Leiden seyn zu tragisch, um Plaisir zu machen, auch kann meine welsche -Zunge nicht in die Landstraße von der deutsch Idiom recht fortkommen, -muß daher um Nachsicht anfleh, wenn meine Confession etwas mit Confusion -verschwägert seyn sollte. Ich war von Jugend auf geübt im Sang, fertig -im Clavierspiel und guter Tenor, frisch auf Theatern mit Glück in Napoli -gesungen, und brav beklatscht und ^e viva!^ mich zugerufen. Ging nach -Rom, gefiel nicht so ausnehmend, denn die Herren ^Romani^ seyn -kritischer Natur, bilden sich ein, die feinste Ohreinrichtung in den -ganzen Italia zu haben. Ach! aber hier sah ich im Carneval eine junge -Demoiselle, die Stunde bei mich nahm, um nachher in Firenza zu singen, -auch auf das Theater. Ach! welcher Ton! welche Talente! welche Augen! -Nun das war ein ^cara mia^, ^amor^ und ^mio cour^, bis wir, eh' wir uns -das Ding versahn, mitsammen davon gelaufen waren, und singen nun in -Firenza auf Theater aus Leibesmacht als Mann und Frau. Hatten viel -Zärtlichkeit in der Eh, aber auch manchen Verdruß, denn ^cara mia^ war -der Jalousie ergeben, und meine Wenigkeit war dazumal ein gar hübscher -^Giovine^ und die Frauenzimmer rührten leicht mein Herz. Doch Alles ging -gut, bis wir in eine deutsche Residenz engagirt wurden. Da lebte ein -Compositeur, ein Maestro, so recht ein Theoretiko, voll Prätension, aber -gescheidt, dabei ein hübsch wohlgewachsen Männel. Der Hortensio gefiel -meiner Cara, und sie wollte nun seine Schülerin vorstellen, in edel -große Manier singen, mit Seele, wie Hortensio sagte, nicht mehr aus Hals -und Kehle, sondern so wie die Deutsche meinen, aus das Gemüth heraus. -Gemüth! eine extra deutsche Erfindung, die alle andern Natione gar nicht -kennen. Bis dahin hatte die Gute ihren schönen Ton gehabt, grausame Höhe -hell wie Glas, spitz, laut, mochte Compositeur componiren wie er wollte, -brachte er seinen hohen Ton, flugs hatten wir ihn weg, richtig mußte er -in seine Passage und Cadenz hinein, hinaufgeschroben, höher und immer -höher, da oben dann umgeschwenkt, und wieder hinab gegurgelt, und -^brava! brava! bravissima!^ aus den Logen heraus geschrieen, mit Fächern -und Händchen geklopft, ^mia cara^ sich verneigt, Arme kreuzweis vor der -Brust, und keinem Menschen wars eingefallen, daß ^monsieur Compositeur^ -da hatte Gedanken, aparte Fühlungen hinein drechseln wollen. Aber -Hortensio! Hortensio! ^bestia maladetta!^ denk' ich, der Schlag soll -mich rühren, wie ich zum ersten Mal die seelische Manier in mein Ohr -hinein hör! Keine Passage, keine Uebergänge, keine Triller, singt daher -wie ein Kalb, das geschlacht werden soll, pur ohne Manier und Methode. -Ich war der ^primo nomo^, konnte aber nicht lassen, meine ^prima donna^ -im Liebesduett rechtschaffen in den runden Arm zu zwicken. Schreit sie -auf gefährlich: meinen die Leut, das soll auch große neue Manier seyn, -und fangen an zu lachen. Von dem Tage Zwietracht unter uns, kein Beifall -vom Publikum mehr. Hortensio war großer Theoretiker und Enthusiast, -wollte aber keinen Amanten abgeben, war verheirathet an eine gute Frau, -die nach deutscher Manier ganz Seele war. Nun steigt in meiner zarten -Isabelle die Bosheit immer höher. Sie will retour in alte brillante -Manier, verflucht Seele und Gemüth, aber war nicht anders, als wenn die -Töne wie Besessene durch einander schrieen, kochte und zwirbelte oft in -der Gurgel, murrte und pfiff, als wenn Satansbrut in dem kleinen Hals -mit einander auf Gabel und Besenstiel wie zum Schornstein hinaus auf die -liebe Blocksberg fahren und rutschen wollten. So war das Elend komplett, -fehlte nur noch, daß sie mir alle Schuld gab, und das that sie denn auch -redlich: ich sänge so schlecht, wäre rückwärts gegangen: ^enfin^, wir -kriegten beide unsern Abschied mit kleine Pension. Zogen durch alle -Provinz, den wohlfeilsten Ort anzutreffen und fanden immer die -allertheuersten, gaben Concert, ich Privatstund im Singen. Die ^cara^ -Isabella konnte aber Musik nicht aufgeben, und je ärger es wurde, je -lieber sie sang, als kein Mensch mehr zuhören wollte, trieben wir das -Spektakel ^privatissime^ auf unserer Stube. Ja, da mußte ich ganzer Mann -seyn, um mit meine Heroismus das Schlachtgeschrei auszuhalten, und -oftmals dachte ich, es müßte gesterben werden. Wir hatten großen -mächtigen Kater, der lag immer auf das Clavier: sehn Sie, das Kerl -fürchtete sich weder vor Ratz noch Maus, lief vor keine noch so große -Hund, und hatte sich mal mit einem allmächtigen Bullenbeißer gekratzt: -aber so wie meine Gemalin nur den Deckel aufmachte, um die Harmonie -loszulassen, so lief das Katz was es konnte bis auf den allerobersten -Boden. Wir tobten so gewaltig, daß uns kein Wirth mehr zum Miethsmann -einnehmen wollte. Natürlich mochte nun kein Mensch mehr unser Concert -hören, denn die menschliche Ohr seyn meistentheils etwas zart construirt -und sehr viel Menschen haben fast natürlichen Widerwillen gegen -Detoniren und widerwärtigen Gesang. - -An einem Tage sagte mir die Gattin, ich solle meine beste Kleid anziehn, -es sei große reputirliche Gesellschaft von Zuhörer gebeten. Wir sangen -und tobten, es war aber kein Mensch da. Wie ich in der Nacht darüber mit -ihr redte, sagte sie, die gewöhnliche Menschheit sei zu platt und grob -organisirt, ihre Kunst zu fassen, darum habe sie Ueberirdische invitirt, -die klagten niemals über Dissonanz, ich aber sei ein Gesell, zu plump, -um die feinen Creaturen mit meine dumme Augen zu sehn. Nun gings immer -so fort mit die Engelssocietäten, und sie erzählte mich viel von dem -großen Beifall, den ihr Vortrag bei die Kenner fände. Am andern Abend, -als wieder große Geisterassamblée bei uns war, und wir beide gnug -schrieen, sagte sie zu mir plötzlich, ich sänge entsetzlich falsch, es -sei nicht auszuhalten, und König David, der gewiß ein Kenner in Musiken -sei, wolle gar nicht wieder kommen, wenn ich nicht richtiger und mit -mehr Respect sänge. Ich sollte gleich hin, und ^Majesté^ um Verzeihung -bitten. Wo sitzt er denn? Da, nahe am Ofen, denn der alte Herr hätte -etwas kalt. Ich trug meine submisse Devotion in höfliche Redensart vor -und wurde pardonirt. - -Armer Mensch! sagte der Kapellmeister gerührt, und wie lange lebte die -Wahnsinnige noch? - -Bitte sehr um Verzeihung, erwiederte der Italiener, meine selige Gattin -nicht zu lästern, war nichts weniger wie etwa toll im Kopf, dachte es -auch erst, sah aber bald meinen Irrthum. Denn als es noch kälter wurde, -die Tage immer kürzer, die Selige mich auch tüchtig tribulirt hatte und -ich mir fast den Hals entzwei gesungen, weil diesmal alle Maccabäer uns -die Ehre erzeigten, da sah ich, wie ich Licht hereinbrachte, die ganze -Stube voll unsichtbarer Menschen, will sagen, verstorbene Geister. -Seitdem mir nun die Binde von meine Augen herunter gefallen war, habe -ich manche interessante Bekanntschaft unter die Abgeschiedenen gemacht, -und hatte nun gar nicht mehr nöthig, viel mit die sterbliche Menschen -umzugehn. - -Das glaub' ich, sagte der Baron, indem er den Erzählenden mit einem -prüfenden Blicke anstarrte; die Tochter rückte etwas weiter von ihm weg, -der Enthusiast war erstaunt, der Laie lachte, und nur der Graf, welcher -ihn schon kannte, blieb ruhig. Wir sahen ein, fuhr der Alte fort, daß -die zu weit ausgebreitete Bekanntschaft mit die ganzen Vorzeit etwas -lästig werden könnte, und beschränkten uns nachher fast nur auf die -berühmte Musiker. Ja, meine Herren, da habe ich nachher erst Dinge über -Contrapunct, Wirkung, Ausbeugung und über Charakter von die Tonarten -erfahren, die in keinem Buche stehen. Aber meine liebe Frau starb bald, -und seitdem habe ich den Umgang auch nicht fortsetzen können, denn alle -die Herren haben sich mich allein, da ^Cara mia^ nicht zugegen, seitdem -mir nicht wieder gezeigt. - -Der Baron fragte den Grafen nach einer Pause, ob er nicht auch -vielleicht einige musikalische Leiden vorzutragen habe, und dieser, der -bis jetzt geschwiegen hatte, fing so an: Ihre Klagen, meine Herren, -waren zum Theil darüber, daß sie mit der Musik in Verbindung kamen, ohne -eigentliche Lust oder scharfen Sinn für diese Kunst zu besitzen. Mein -Elend kommt von der entgegengesetzten Seite. Von frühester Jugend war -meine Freude an Musik, mein Trieb zu ihr überreizt zu nennen, auch -machte er meinen Eltern und Erziehern gnug zu schaffen. Ich wollte -nichts anders lernen, und verwünschte oft meinen Stand, der mich -hinderte, ein ausübender Künstler zu werden. Wo nur ein Ton erklang, wo -nur Gesang sich hören ließ, da war ich gleich mit ganzer Seele, und -vergaß alle meine Geschäfte. Mein Vater, ein ernster, heftiger Mann, -zürnte über meinen Enthusiasmus, der allen seinen Absichten feindlich zu -werden drohte. Da ich auch zu leidenschaftlich war, und im jugendlichen -Eifer wähnte, ich könnte meine Kunst nicht fanatisch gnug vertheidigen, -so verletzte und kränkte ich oft meinen Vater auf ungeziemende Weise, -und dieser Kampf, diese Reue und Zerknirschung über meine Hitze, -Verstimmung gegen die Welt und mich, dies traurige, zerrissene Wesen -verdarb mir völlig die Heiterkeit meiner Jugend, denn der gewaltsam -errungene Genuß meiner Kunst war doch nicht im Stande, mir alles das zu -ersetzen, was ich einbüßen mußte. Ja, sei es nun, daß meine Erwartungen -zu hoch gespannt waren, daß meine Ahndung für das Höchste zu sehr meine -Forderungen stimmte, genug, es wurden mir auch die Werke der Kunst -selbst, so gut wie ihr Vortrag, oft allzusehr verkümmert. Denn ich -glaubte nicht selten wahrzunehmen, daß man so vieles in die Musik -aufgenommen habe, was dieser Kunst ganz fremd bleiben müsse, daß sie -meistentheils zu sehr zum Zeitvertreibe herab gesunken sei, daß sie um -Effecte buhle, die ihrer unwürdig sind, und daß die wenigsten Sänger nur -wissen, was Vortrag und Gefühl zu bedeuten habe. Eine tiefe Schwermuth -konnte sich meiner bemeistern, daß fast nirgend in der Welt die Stimmung -angetroffen werde, die ich für nothwendig hielt, wenn diese hohe Kunst -ihr Element finden sollte. Ich mußte denn endlich meinem Vater doch -nachgeben und an den Geschäften Theil nehmen. Die Arbeit wurde mir -leichter als ich mir vorgestellt hatte, und mein Vater, der mich wegen -meiner Kunstliebe für fast blödsinnig gehalten, war so mit mir -zufrieden, daß seine ehemalige Zärtlichkeit gegen mich erwachte. Nach -einigen Jahren ward ich in diplomatischen bedeutenden Geschäften an -einen großen Hof gesendet. Seit lange hatte ich die neuen Sänger und -Sängerinnen beobachtet, und war fast mit allen unzufrieden. Wenn die -Stimme das Gefühl, den Enthusiasmus der Leidenschaft ausdrücken soll, so -muß sie sich großartig erheben, mächtig anschwellen, und die Höhe nur -deswegen suchen, um die stärkste Lichtregion und Kraft zu gewinnen. In -dieser Gegend ist es, wo Componist und Sängerin das Uebermenschliche der -Liebe, der Klage, der Andacht und jeder Regung der Seele ausdrücken -können: und doch fand ich fast immer, daß der Wohllaut, die Wollust -dieser Klänge nur gebraucht wurden, um eine kleine Künstlichkeit, eine -Art Springerei anzubringen, eine Virtuosität, die wohl ganz nahe an die -Seiltänzer grenzt, und von der ächten Kunst ganz ausgeschlossen seyn -sollte. Noch schlimmer fast erschienen mir diejenigen, die nach einer -ziemlich verbreiteten neuen Manier den Ausdruck anbringen wollten. Kein -^Crescendo^, kein Portament der Stimme, sondern ein plötzlicher -Aufschrei, wie ein Angst- oder Hülferuf, dann ein eben so plötzliches -Verhauchen, ein unmotivirtes Sinkenlassen des Gesanges, ein dumpfer -Seufzer statt des Tons, und so fort in diesem schroffen eckigen Wechsel, -so daß ich jetzt nichts hörte, und jetzt wieder von grellen Tönen -erschreckt wurde, ein Unfug, den oft ein ganzes Publikum bewunderte, und -der mir noch jenseit dem Anfange der Schule zu liegen schien, oder mir -vielmehr wie der rohe unmusikalische Gegensatz alles Gesanges vorkam. -Von dem neuesten Geschmack der Opern will ich schweigen, denn hier fände -ich meinen Klageliedern kein Ende. - -Als ich dem fremden Hofe mich vorgestellt hatte, empfing ich bald darauf -den Bescheid, daß ich mit einem wichtigen Auftrage schnell in mein -Vaterland zurück müsse. Am Abend war beim Bruder des regierenden Fürsten -Concert, und eine fremde Sängerin wollte sich zum ersten Mal hören -lassen. Ich begab mich in den Concertsaal. Nur der Sängerin Nacken, -dessen blendende Weiße von einem wunderlich gekräuselten braunen -Löckchen erhöht wurde, konnte ich wahrnehmen, so wie einen Theil des -feingerundeten Ohres, so dicht war das Gedränge. Aber jetzt erhob das -Mädchen den Ton, und ging in einen zweiten über, und strahlte den -dritten aus, so mächtig, edel, rein, voll und lieblich zugleich, daß ich -wie bezaubert stand, denn das war es, wie ich es mir immer gedacht, ja -es war mehr, wie ich gewünscht hatte. Dieser reine, himmlische Discant -war Liebe, Hoheit, zarte Kraft und Fülle der edelsten, der überirdischen -Empfindung. Da hörte ich nicht den spitzen, blendenden Glaston, der noch -die Harmonika überschleift, nicht die Betäubung in der letzten, -schwindelnden Höhe, die wie mit Spitzen das Ohr verletzt und durchbohrt, -nicht die Ohnmacht an der Grenze der Stimme, die erst ein Mitleidsgefühl -in uns erregt, und von diesem dann Hülfe und Beifall bettelt: nein, es -war die Sicherheit selbst, die Wahrheit, die Liebe. Nun begriff ich -erst, wie Hasse hatte wagen können, zuweilen in seinen Arien durch viele -Tacte den Sopran auf ein und zwei Sylben trillern, sich senken und -wieder steigen zu lassen. Ich war so entzückt, daß ich mich und Alles -vergaß, ich legte in diesem höchsten Augenblick meines Lebens das -sonderbare Gelübde mir selber heimlich ab, daß nur dieses Wesen mit -dieser Wunderstimme, oder keins, meine Gattin werden sollte. Der Rath -und der Laufer des Fürsten hatten mich schon zwei-, dreimal erinnert. -Ich ging zum regierenden Herrn in das Schloß hinüber. Es ward mir -schwer, meine Lebensgeister zu dem sehr bedeutenden Gespräche zu -sammeln. Nach der Audienz mußte ich mich in stürmischer Nacht in den -Wagen werfen. Kein Diener, am wenigsten der alte Rath, mein Begleiter, -wußten mir von der Sängerin etwas zu sagen. In meinem Vaterlande -angekommen, erwarteten meiner dringende Arbeiten, die mich selbst in den -Nächten beschäftigten, ich konnte meinen Vater, der auf dem Krankenbette -lag, nur wenig sehn. Als ich fertig war und meinem leidenden Vater jetzt -meinen Trost und Dienst widmen wollte, konnte ich ihm nur noch die Augen -zudrücken. Jetzt wußte ich erst, wie theuer mir der edle Mann gewesen -war, doch war es mir jetzt erlaubt, meiner Neigung zu folgen; ich entzog -mich den Staatsdiensten. Sobald es meine geordneten Geschäfte zuließen, -reisete ich nach jener Residenz zurück, -- aber -- und wie ist dies zu -begreifen? Kein Mensch, kein Musiker, Niemand am Hofe wollte von jener -Sängerin, oder jenem Abend, den ich beschrieb, etwas wissen, als sei -diese einzige, himmlische Stimme eine der gewöhnlichsten Erscheinungen, -die man kaum bemerkt und dann vergißt, oder als sei ich in Wahnsinn und -Bezauberung, daß ich mir Alles nur eingebildet habe. - -Als jede Nachforschung vergeblich war, suchte ich auf Reisen jenes -Wunder wieder anzutreffen. Darum versäumte ich kein Concert und keine -Oper, suchte jede musikalische Versammlung auf, und immer vergebens. -Seit zwei Jahren führe ich dies unruhige traurige Leben, und heut Abend -dacht' ich thöricht zu werden, denn in der fremden Dame glaubte ich -meine Unbekannte gefunden zu haben, dieselbe Locke im Nacken, derselbe -feine Contour des Ohrs; und Mund und Physiognomie schienen mir ganz wie -die einer Sängerin. - -Die Tochter des Hauses versicherte noch einmal, daß der Graf sich -durchaus irre, und daß seine Bemerkungen über Gesang fast eben so -einseitig als fein zu nennen wären. Denken Sie denn Ihr sonderbares -Gelübde zu halten? fragte hierauf der Baron. - -Ich muß wohl, erwiederte der Graf, denn mögen Sie auch lächeln und es -unbegreiflich finden, jener wunderbare süße Ton hat mir Liebe, wahre -Liebe eingeflößt. Warum soll denn unser Auge der einzige Sinn seyn, der -uns dies Gefühl, diesen enthusiastischen Taumel zuführt? Ich träume von -dieser Engelsstimme, immer vernehme ich sie, Alles erinnert mich an -diesen Ton: o Himmel! wenn er verschwunden, wenn sie gestorben seyn -sollte! Ich mag mir die Unermeßlichkeit dieses Elends gar nicht -vorstellen. - -Die Uebrigen, den Laien abgerechnet, schienen diese Leidenschaft nicht -begreifen zu können, oder an sie glauben zu wollen. Da es spät war, -trennte man sich, und der Italiener begleitete den Grafen, in dessen -Hause er wohnte. - -Eccellenza, fing er in einer einsamen Straße an, thut mir die -Gefälligkeit, mich übermorgen vor das Thor da in den Tannenwald zu -begleiten, da will ich mir umbringen. - -Narr! sagte der Graf, was fällt Euch einmal wieder ein? Habe ich nicht -versprochen, für Euren Lebensunterhalt zu sorgen? - -Alles recht schön, sagte jener, danke auch für die Großmuth; aber ich -bin mein Leben völlig satt, so sehne ich mir nach meiner abgeschiedenen -Hälfte. - -Damit Ihr auch jenseit, fragte der Graf, Euer Katzenkonzert wieder -fortsetzen könnt? - -Nicht blos deswegen, erwiederte der Alte, bin aber mit Isabellen so -gewohnt gewesen, mit Palestrina, Durante, Bach und alle große Leute, den -königlichen Kapellmeister David mit eingerechnet, zu leben, daß ich es -mit so ordinären Menschen nicht mehr aushalten kann. Wie rathen mich, -Eccellenza, daß ich mir umbringen soll, hängen, schießen oder ersaufen? - -Ich werde den Narren einsperren lassen, sagte der Graf. - -Hat jedes etwas für sich, fuhr der Italiener fort, ohne sich stören zu -lassen: Luft, Feuer, Wasser; jedes ein ganz gutes Element. Ein einziges -Ding könnte mich mein Leben versüßen, so daß ich wieder in die -Lebenslust einbisse. - -Nun, und was? - -Daß ich den Herrn Hortensio nochmal anträfe. - -Und weshalb? - -Daß ich ihn so recht abwamsen, durchdreschen könnte, daß er dazumal -meiner ^Cara^ die Gesangmethode so verdorben hat. - -Phantast! sagte der Graf, indem sie durch die Thür schritten. -- Und was -ist Eccellenza? murmelte der Alte, indem die Diener ihnen entgegen -kamen. - - * * * * * - -Der Kapellmeister war in Verzweiflung. Es war ganz so gekommen, wie er -gefürchtet hatte. Die erste Sängerin zeigte sich mehr als empfindlich, -sie fühlte sich beleidiget, und sogleich war auf einen Wink von ihr eine -recht schwere Krankheit da, die ihr es unmöglich machte, einen Ton zu -singen, ja nur ihr Zimmer zu verlassen. Der Enthusiast wandelte und -rannte hin und her, aber seine Vermittlung machte die Sache eher ärger -als besser, denn da er treuherzig wieder erzählte, was jede der Parteien -geäußert hatte, so wurde der Kapellmeister immer mehr erbittert, und die -Sängerin ging am Ende so weit, daß sie verlangte, statt der beiden -Haupt-Arien sollten zwei ganz neue gesetzt werden, und das Duo im -letzten Acte müsse in den ersten und zwar gleich in den Anfang verlegt -seyn, auch forderte sie noch für sich die große Arie der zweiten -Sängerin, ohne welche Bewilligungen an keinen Friedensschluß zu denken -sei. Ueber diese ungeheure Forderungen gerieth der Kapellmeister so -außer sich, daß er schwur, sie solle nun in seiner Oper gar nicht -singen, ob er gleich noch nicht wußte, wie er seiner Verlegenheit -abhelfen sollte. Wenn nur meine Cara noch lebte! rief der alte Italiener -aus, der an den Berathschlagungen Theil nahm, und jetzt die Verzweiflung -des Kapellmeisters sah; ach! wie brillant könnte die Selige zum Theater -wieder auferstehn! Die Rolle ist ganz und gar für sie geschrieben. - -Könnt Ihr sie nicht vielleicht selbst übernehmen? fragte der -Kapellmeister in tragischer Bosheit. - -^Signor si!^ rief der Alte, wenn Ihr kein ander Subject findet, ich kann -zum Entsetzen einen hohen Sopran durch die Fistel singen. - -Es kommt wirklich fast auf eins hinaus, rief der Componist in seiner -Verzweiflung, ob man so oder so parodirt wird; wenigstens würde doch -kein Liebhaber bei einer unpassenden Gelegenheit klatschen, und kein -Eifersüchtiger oder der Bewunderer der zweiten Dame aus Neid pochen und -zischen. Unternehmt Ihr, Alter, aber auch liebenswürdig zu erscheinen? - -Was der Mensch leisten kann, antwortete jener, der es für Ernst hielt: -vor dreißig Jahren war ich zum Malen hübsch, und wenn ich mal auf -Carneval in Weibskleidern ging, lief mir alles junge Mannsvolk nach. - -Die Prima Donna hätten wir also, sagte der Enthusiast, und wenn die Oper -nur Nacht und Verfinsterung des Theaters erforderte, und kein Mensch die -Sache erführe, so käme es wohl auf den Versuch an, welche Wirkung der -alte Freund machen würde. - -Wenn ich nicht vor der Aufführung todt bin, warf der Italiener ein, so -wie das andere Subject krank ist, so möchte ich wohl in das Sterben -gerathen. - -Ich sehe schon, beschloß der Kapellmeister, ich bin vergeblich -hergereist, ich habe umsonst alle Anstalten getroffen. So lange es -unmöglich bleibt, von Obrigkeits wegen einen solchen Eigensinn zu -bestrafen und zu hindern, so lange das Publikum selbst nicht eine solche -Frechheit und Verachtung seiner so ahndet, daß kein zweiter dieselbe -Vergehung wieder wagt, so lange bleiben wir das Opfer dieser Caprice von -unwissenden Menschen, die für ihr mäßiges Talent viel zu sehr belohnt -und von den Directionen und allen Zuhörern verzogen werden. Ich werde -wieder einpacken. - -Der Enthusiast weinte vor Schmerz, der Italiener aber sagte: Ihr habt -ganz recht; nicht wahr, das Leben mit all den Mühseligkeiten ist nicht -die Rede werth? - -Ich bin es wenigstens völlig satt, antwortete der Componist. - -Nun, so kommt mit mich, leistet mir Gesellschaft, sagte der Alte sehr -freundlich, indem er sich an ihn schmiegte. - -Wohin? - -Nach jenseit, nach dem weiten großen Raum, wo man Ellenbogen-Freiheit -nach Herzenslust hat. Sagt, Mann, wollen wir uns lieber ins Wasser -schmeißen, oder frisch den Kopf abschießen, wie dem Vogel von der -Stange? - -Geht, rief der Musiker, Ihr seid schon am frühen Morgen trunken. - -Nein, sagte jener, ich habe einmal einen heiligen Schwur gethan, mir aus -dieser Welt hier fortzuschaffen, wenn ich nicht etwa den lieben Signor -Hortensio wieder antreffen thäte: das würde natürlich die ganze Sache -verändern. Aber wenn mir die Freude nicht arrivirt, sagt nur selbst, was -ist denn das für ein lumpiges Leben hier unten? Da sitzt Ihr immer, -närrischer Maestro, und klimpert auf das Clavier, und schreibt Eure -Eingebungen auf, und ängstigt Euch um Invention, Charakter, Melodie, -Styl, Originalität, und wie man Kunstwesen alles nennt: und wer dankt es -Euch? Wer merkt es nur ein bissel? Laßt uns doch mal als vernünftige -Männer in Tag hinein reden: ist es denn nicht spaßhafter, sich aus dem -Staub zu machen? Ja, Ruhm, Nachwelt! Wollen der lieben Nachwelt ein -bissel entgegen gehn, und mal hinter den Vorhang gucken, ob es solches -Gethier überhaupt nur giebt. Uebermorgen, Freundchen, seid von der -Parthie, ich bring' auch Pistol mit: Ihr müßtet denn lieber baumeln -wollen; ist aber jetzt windiges und garstiges Wetter. - -Laßt die Narrenspossen, sagte der Musikus sehr ernst, es wird noch dahin -kommen, alter Thor, daß Ihr nach dem Tollhause wandert. - -Und wohnen da nicht auch Leute? sagte der Italiener grinsend; Ihr habt -Vernunft noch nicht viel gebraucht, junger Mann, da ist sie noch ein -bissel frisch! wer sie aber so wie ich strapazirt hat, da ist sie mürbe -und matt; mir kommt's gar nicht so sehr auf Ambition an, daß mich Eures -gleichen für vernünftig, oder Weisen aus Griechenland hält. Ich habe -wohl andern Umgang gehabt, als Ihr, Ihr armer, gegenwärtiger, -kurzsichtiger Mensch! und wenn Nestor, oder Phidias und Praxiteles, mit -die ich so oft konversirt habe, mich so etwas gesagt hätten, so hätte -ich jeden einen Schlag an die Gegend von das Ohr gegeben. - -Er lief wüthend fort, und der Kapellmeister setzte sich melancholisch -nieder; auch der geschwätzige Enthusiast mußte ihn verlassen, damit er -seinem Kummer recht ungestört nachhängen könne. - - * * * * * - -Nein, sagte am Abend der Laie zum Baron Fernow, ich habe dazumal einen -Schwur gethan, niemals eine Geige wieder anzurühren, und darum -verschonen Sie mich. Der Vater und die Tochter wünschten nämlich, er -möchte ihnen nur etwas, das kleinste Liedchen vorspielen, um zu sehen, -wie er sich in der Jugend mit seinem Instrumente ausgenommen habe. - -Man sollte wohl nichts verschwören, sagte der Baron, am wenigsten die -Ausübung einer so edeln Kunst. - -Der Kapellmeister trat herein, und erzählte eine sonderbare Anmuthung, -die ihm vom Grafen geschehen sei. Dieser habe ihn nehmlich besucht und -gebeten, am heutigen Abend mit ihm und dem alten Italiener in den Wald -vor die Stadt zu gehn, wo sich der Sänger erschießen wolle; der Graf -wünsche wenigstens einen rechtlichen Mann zum Zeugen, der es nachher -bewähren könne, daß der alte Thor sich selber umgebracht habe. Der Baron -war der Meinung, man müsse den alten Verrückten sogleich fest nehmen und -einstecken; die Uebrigen fielen bei, nur der Laie äußerte den Zweifel, -ob nicht Jedem das Recht zustehen müsse, über sein Leben zu entscheiden, -wie es ihm am besten dünkte. Hierüber entspann sich ein Streit, ob es -dem Staate, oder den übrigen Menschen erlaubt sei, über irgend wen eine -solche beschränkende Aufsicht zu führen, welches der Baron -uneingeschränkt behauptete, da ein solcher durchaus, der einen so -unklugen Vorsatz fasse, als ein Wahnsinniger zu betrachten sei. - -So muß man erst ermitteln, was Wahnsinn ist, warf der Laie ein; denn wir -sehn es in der Geschichte, wie die Gesetze und ihre Vollstrecker nach -den Umständen und herrschenden Gesinnungen bald dieses bald jenes zum -todeswürdigen Verbrechen gestempelt haben, welches andere Zeitalter zu -Tugenden erhoben, oder gleichgültig ansahen, ja selbst verlachten. Frei -zu denken, von gewissen Meinungen abzuweichen, hat ehemals Manchen auf -den Scheiterhaufen geführt; wegen Zauberei, wegen angeschuldigter Künste -ist Manchem der Stab gebrochen worden, und jetzt, wo wir in diesen -Punkten Freiheit gestatten, und es doch dulden müssen, wie Viele durch -Uebermaaß und Ausschweifung sich vorsätzlich und sichtlich zu Grunde -richten, begreife ich nicht, wie man es den Elenden und Verstörten mit -Recht verwehren kann, das Leben wegzuwerfen, wenn sie diesen Entschluß -wirklich ergreifen. - -Sie sind paradox, rief der Baron; ich bin nicht Philosoph gnug, um Sie -widerlegen zu können, allein aus den Ueberzeugungen der Religion müssen -Sie es selber schon wissen, daß Sie eine böse Sache vertheidigen. - -Ich habe versprochen, mit auszuwandern, sagte der Kapellmeister, denn -ich kann mir nimmermehr vorstellen, daß der alte Thor Ernst machen wird. -Uebrigens wäre es wahrlich nicht zu verwundern, wenn ein armer geplagter -Kapellmeister diese Gelegenheit benutzte, und ihm Gesellschaft leistete. - -Der Graf trat wie verstört und tiefsinnig herein. Man fragte ihn, ob -etwas Neues begegnet sei; er äußerte aber, die Erinnerung an jene -Stimme, die ihm durch die neuliche Erzählung wieder mit frischer -Lebhaftigkeit in das Gedächtniß gekommen sei, sein rastloses Suchen, die -Qual dieser Spannung und die Unruhe, die es seinem ganzen Wesen -mittheile, mache ihn völlig elend, und er habe beschlossen, wenn sich -der Italiener erst erschossen habe, weiter zu reisen. - -So halten Sie es denn für Ernst? fragte der Baron erstaunt. - -Wenn er nicht wirklich dazu thut, antwortete der Graf, so nehme ich den -Narren wieder auf die Reise mit. - -Der Italiener trat herein und schien aufgeräumter, als man ihn noch je -gesehen hatte. Alle betrachteten ihn mit einer gewissen Scheu, er aber -nahm keine Notiz von diesem veränderten Betragen, und als jetzt der -Enthusiast und der Sänger die Gesellschaft vermehrten, wurden Alle in -heitern Gesprächen von einer vergnüglichen Laune beherrscht, den Grafen -ausgenommen, der seine trübe Miene nicht veränderte. Lassen Sie uns, -sagte der Kapellmeister endlich, Einiges von unsern neulichen -Erzählungen aufnehmen. Wie ist es möglich, (indem er sich zum Laien -wandte) daß Sie nach ihren neuerlichen komischen Bekenntnissen ein so -großer Freund der Musik haben werden können? Vielleicht dadurch um so -mehr, erwiederte dieser, weil das Gefühl, als es reif in mir war, durch -sich selbst und stark erwachte, daß ich nichts Angelerntes, -Nachgesprochenes in meine Liebhaberei hinüber nahm. Ich hatte es endlich -dahin gebracht, daß ich kleine einfache Lieder begriff, die mir auch -wohl im Gedächtniß hängen blieben, die trefflichen von Schulz, zum -Beispiel, in denen uns, ohne daß sie uns eben poetisch aufregen, so -behaglich und wohl wird, die uns so klar blauen Himmel, grüne -Landschaften, leichte Figuren und anmuthige Empfindungen hinmalen, waren -mir oft gegenwärtig und verständlich. Nur die größeren Compositionen, am -meisten aber die dramatische Musik, waren mir zuwider, wenn ich auch in -der letztern manchmal mit Wohlgefallen eine kleine Arie hörte, die sich -dem Ohr einschmeichelte. Auch der Harthörigste lernt am Ende die kleinen -melodischen Sachen fühlen, wenn ihm auch der Zusammenhang großer -musikalischer Dichtungen unverständlich bleibt. Als das erste Mal Don -Juan von Mozart gegeben wurde, ließ ich mich bereden, das Theater zu -besuchen. Es war unlängst componirt, und des großen Mannes Ruhm noch in -Deutschland nicht so begründet, wie bald nachher, welches ich besonders -an einem hochgeachteten Musiker wahrnahm, der während und nach der -Aufführung nicht gnug über den falschen Geschmack des Werkes reden -konnte. Mir aber war, als fiele mir schon während der Ouvertüre eine -Binde von allen Sinnen. Ich kann die Empfindung nicht beschreiben, die -mich zum ersten Mal überraschte, daß ich wahre Musik hörte und verstand. -Mit dem Verlauf des Werkes steigerte sich mein Entzücken, die Absichten -des Componisten wurden mir klar, und der große Geist, der unendliche -Wohllaut, der Zauber des Wundervollen, die Mannigfaltigkeit der -widersprechendsten Töne, die sich doch zu einem schöngeordneten Ganzen -verbinden, der tiefe Ausdruck des Gefühls, das Bizarre und Grauenhafte, -Freche und Liebevolle, Heitere und Tragische, alles dieses, was dieses -Werk zu dem einzigen seiner Art macht, ging mir durch das Ohr in meiner -Seele auf. Daß es so plötzlich geschah, vermehrte meine Begeisterung, -und ich konnte nun kaum den Belmont desselben Meisters erwarten, dessen -Leidenschaftlichkeit mich nicht weniger entzückte. Auch andere -Componisten suchte ich zu begreifen, und Glucks großen Styl, seine edle -Rhetorik, sein tiefes Gemüth rissen mich hin, ich erfreute mich an -Paisiello und Martini, Cimarosa's heller Geist leuchtete mir ein, und -ich bestrebte mich, die Verschiedenheiten des musikalischen Styls, so -wie verschiedenartige Dichter zu erfassen und mir anzueignen. Während -meiner Universitäts-Jahre verlor ich diese Kunst wieder aus dem -Gesichte, doch zurück gekehrt war mein Eifer für sie um so brennender, -vorzüglich da einige vertraute Freunde mein Urtheil und Gefühl -läuterten. Jetzt wurde ich mit dem wundervollen Genius des großen -Sebastian Bach bekannt, in dem vielleicht schon alle Folgezeit der -entwickelten Musik ruhte, der Alles kannte und Alles vermochte, und -dessen Werke ich etwa nur mit den altdeutschen tiefsinnigen Münstern -vergleichen möchte, wo Zier, Liebe und Ernst, das Mannigfaltige und -Reizende in der höchsten Nothwendigkeit sich vereinigt, und in der -Erhabenheit uns am faßlichsten das Bild ewiger und unerschöpflicher -Kräfte vergegenwärtiget. - -Der Componist sagte: gewiß, es könnte Schwindel erregen, wenn man -überschaut, was Alles vorangehen mußte, bevor Bach seine Werke schreiben -konnte; aber es gehört auch wahrlich viel dazu, einer solchen Fuge oder -einem vielstimmigen Satz auf die rechte Weise zu folgen, und ihn zu -verstehn, es ist gleichsam eine Allgegenwart des Geistes, die ich einem -solchen Laien am wenigsten zugetraut hätte. - -Nach mehreren Jahren, fing der Laie wieder an, wurde mir es so gut, in -eine edle Familie eingeführt zu werden, deren Mitglieder, vorzüglich die -weiblichen, auf eine entzückende Art die Musik ausübten. Die älteste -Tochter sang einen Sopran, so voll und lieblich, so himmlisch klar, daß -ich bei Ihrer neulichen Beschreibung des Gesangs Ihrer Unbekannten, -werther Graf, an diese unvergleichliche Stimme denken mußte. Hier -vernahm ich nun neben manchem Weltlichen vorzüglich die großen und -ewigen Gedichte des erhabenen Palestrina, die herrlichen Compositionen -eines Leo und Durante, die Zaubermelodieen des Pergolese, den ich mit -den Lichtspielen des Correggio vergleichen mußte, die trefflichen Psalme -Marcello's, die großartige Heiterkeit unsers Hasse, und das dramatische -Requiem Jomelli's: Manches von Feo, die Miserere von Bai und Allegri -ungerechnet. So rein, ungeziert, im großen einfachen Styl, ohne alle -Manier vorgetragen wird man schwerlich je wieder die Meisterwerke hören. -Diese glückliche Zeit versetzte meinen Geist in eine so erhöhte -Stimmung, daß sie eine Epoche in meinem Leben macht. Nur in wenigen -schwachen Gedichten habe ich versucht, meine Dankbarkeit auszusprechen. -Meine Seele war so ganz in diesen göttlichen Tönen aufgegangen, daß ich -dazumal nichts von weltlicher Musik wissen wollte, es schien mir eine -Entadlung der Göttlichen, daß sie sich zu den menschlichen -Leidenschaften erniedrigen sollte. Ich glaubte, es sei nur ihre wahre -Bestimmung, sich zum Himmel aufzuschwingen, das Göttliche und den -Glauben an ihn zu verkündigen. - -Ein Beweis, sagte der Kapellmeister, daß Ihr ganzes Herz damals von der -Glorie dieser Erscheinung durchdrungen war. Man thut auch Unrecht, -dergleichen wahre Begeisterung Einseitigkeit zu schelten, denn unsre -Seele, wenn sie wirklich auf so große Art ergriffen und erschüttert -wird, fühlt dann in diesem ihr neuen Element die ganze Kraft und -Ewigkeit ihres Wesens: sie findet dann die Schönheit, von der sie früher -gerührt wurde, erhöht und vollendet in der neuen Erscheinung, und sieht -mit Recht auf ihre frühern Zustände als auf etwas Geringeres hinab. In -wessen Herz eine solche Vision nicht steigen und es ganz ausfüllen kann, -der weiß überhaupt nicht, was ächte Begeisterung ist. Und gewiß ist die -Kirchenmusik, welche freilich die Neueren meist auch so tief herab -gezogen haben, die erhabenste und schönste Aufgabe unsrer Kunst. Ich bin -aber überzeugt, daß Sie späterhin von selbst eben aus Ihrem Enthusiasmus -wieder den Weg zu Ihrem geliebten Mozart und andern gefunden haben. - -Natürlich, fuhr der Laie fort, denn die Liebe kann sich ja doch niemals -in Haß umwandeln. Ich habe immer die Menschen gefürchtet, die mit ihren -Gefühlen in den Extremen schwärmen, und heut übertrieben verehren, was -sie in einiger Zeit mit Füßen treten. Unsre Bildung kann und soll nur -eine Modification einer und derselben Kraft, einer und derselben -Wahrheit seyn, kein unruhiger Austausch und Wechsel, und kein hungerndes -Verlangen nach Neuem und Unerhörtem, welches doch niemals befriedigend -gesättiget werden kann. Als es mir nachher so gut ward, in Rom von der -päbstlichen Kapelle viele derselben Sachen vortragen zu hören, so fühlte -ich wohl, daß hier ein eigener traditioneller Vortrag des alten ^Canto -fermo^ Manches anders und noch einfacher gestalte, aber weder dort noch -in den Theatern habe ich je diesen unbeschreiblichen Discant wieder -vernommen, und Pergolese oder andere neuere Kirchenmusik ist mir auch -niemals in dieser Vollendung wieder vorgetragen worden. - -Aus Ihren Beschreibungen, fing der Sänger an, muß ich wohl abnehmen, daß -Sie mit der neuen Sängermanier wohl selten zufrieden seyn mögen. Ich -gestehe Ihnen aber, daß ich hierin nicht ganz Ihrer Meinung seyn kann: -zu große, zu schlichte Einfalt würde mich zurück stoßen, ich will den -Virtuosen vernehmen, der die Musik und seine Stimme beherrscht. Wie der -Deklamator nicht blos ruhig ablesen soll, sondern durch Erhöhung und -Senkung der Stimme, durch kleine Pausen, durch rollende Töne erst zum -Schauspieler wird, und das zur Kunst erhöht, was der ganz gute Vorleser -doch in der niedrigen Region stehen lassen muß. - -Sie haben gewiß Recht, erwiederte der Laie, vorausgesetzt, daß es -wirklich das sei, was ich Deklamation im Schauspiel, oder Vortrag des -Gesanges nennen kann. Was uns der Graf aber neulich als falschen und -schlechten Ausdruck schilderte, muß ich freilich auch als meine Meinung -unterschreiben. Und ist es denn in unsern Schauspielen anders? Wie denn -überhaupt wohl nie Gebrechen und Vorzüge eines Zeitalters einzeln stehn -können, sondern jede Kunst wird eine Abspiegelung der andern seyn, und -selbst Staat und Geschichte müssen ebenfalls alle Gesundheits- oder -Krankheitsstoffe wieder in ihrem großen verschlungenen Gewebe -nachweisen. Eben so wie der Sänger schreit und seufzt, und selten das -Gefühl im Ganzen ausspricht, welches die Arie oder das Duo von ihm -fordert, so auch der Schauspieler; dieser hilft sich auch durch einzelne -übertriebene Accente, herausgehobene Worte, stark unterstrichene -Stellen, und muß darüber den Sinn des Ganzen fallen lassen, wodurch die -Scene wie die einzelnen Stellen für den Kenner nüchtern und trivial -werden. Denn wo gibt es jetzt wohl noch Schauspieler, an deren -Leidenschaft man glaubt, die uns täuschen und in ihrem hohlen -abgepufften Ton nur irgend Wahrheit sprechen? Ja unser Freund Wolf, so -wie seine Gattin machen hievon eine ehrenvolle Ausnahme, so sehr, daß -sie fast schon einzeln in Deutschland da stehn, wenn auch hie und da ein -Talent sich zeigt, das aber immer nur zu Zeiten jener Manier widersteht, -die unser Theater beinah schon völlig zerstört hat. Nicht, daß sich -nicht viele Schauspieler bemühten, aber es ist hier eben so wohl wie im -Gesange eine falsche Schule entstanden, die Ausdruck, Empfindung durch -Einzelheiten, die nicht in der Sache selbst liegen, erregen will, und -darüber das Ganze verdunkelt, und wenn wir uns strenge ausdrücken -wollen, die Absicht der Kunst, ja diese selber vernichtet. - -Sie haben vollkommen Recht, rief der Kapellmeister: aber machen es denn -meine Handwerksgenossen, die Componisten selbst, anders? Kaum ein Lied -wissen sie mehr zu setzen, wo sie nicht jede Strophe neu componiren, -gewaltsam accentuiren, innehalten, abbrechen und in gesuchte und -fernliegende Tonarten übergehn, um nur, wo sie die Empfindung -wahrnehmen, so starke Schlagschatten hinzumalen, daß man diese Stellen -nun zwar nicht übersieht, aber auch gewissermaßen mehr Schwärze als -Farbe gewahr wird. Als wenn es dem Sänger nicht müßte überlassen -bleiben, auch im wiederkehrend Einfachen eine leise Variation -anzubringen, oder als wenn das nicht eben das musikalische Gefühl in -unserer Natur wäre, in diesen sich wiederholenden Klängen ohne Weiteres -vermöge unsrer Liebe zu ihnen das Mannigfaltige zu empfinden. - -Sehr wahr, fügte der Laie hinzu, aus demselben Unglauben fürchtet auch -mancher geniale Musiker, wie der herrliche Beethoven, nicht neue -Gedanken genug anbringen zu können, deshalb läßt er so selten einen zu -unsrer Freude ruhig auswachsen, sondern reißt uns, ehe wir kaum den -ersten vernommen, schon zum zweiten und dritten hin, und zerstört so, -wie oft, selbst seine schönsten Wirkungen. Sehn wir sogar auf die -Götheschen Lieder, die er gesetzt hat: welche Unruhe, welche scharfe -Deklamation, welches Ueberspringen. Ich möchte diesem trefflichen Manne, -so wie manchem Andern nicht gerne Unrecht thun, aber die Reichardschen -Melodieen zu den meisten dieser herrlichen Gesänge haben sich mir so -eingewohnt, daß ich mir diese Gedichte, vorzüglich die frühern, nicht -anders denken und singen kann. - -Wenn Sie so gesinnt, nahm die Tochter das Wort, und die übertriebene -falsche Gelehrsamkeit verwerfen, den Ausdruck schelten, der sich -vordrängt, und darüber Melodie und eigentlichen Gesang verdunkelt, so -hätten Sie ja nun selbst meinen geliebten Rossini gerechtfertiget. - -^O divino maestro! o piu che divino Rossini!^ rief begeistert und mit -verzerrtem Gesicht der alte Italiener. ^Eccolo il vero!^ den -ausgemachten Wunderdoktor des Jahrhunderts, der uns verirrte Schaafe -wieder auf die rechte Straße bringt, der alle die falsche deutsche -Bestrebunge maustodt schlagt, der mit himmlische unerschöpfliche Genie -Oper über Oper, Kunstwerk auf Kunstwerk häuft, und sich Pyramid oder -Mausoleum erbaut, worunter nachher alle die ausdrucksvolle, -gedankenreiche und seelenmäßige Klimperlinge auf ewig begraben liegen. - -O wie wahr! rief der Enthusiast, ich habe mir schon oft vorgenommen, -keinen andern Componisten mehr anzuhören, so entzückt hat mich jedes -seiner Werke, es kam mir nur unbillig vor, da ich doch selber ein -Deutscher bin, mich so feindlich meinen Landsleuten gegenüber zu -stellen. - -Was hat die Landsmannschaft damit zu thun? sagte der Laie: manche -Italiener, die gern eine Partei formiren möchten, haben es freilich -bequem, wenn sie den Mozart oder gar Gluck zu den ihrigen rechnen, und -so gegen Bestrebungen zu Felde ziehn wollen, die ihnen im Wege stehn. -Giebt es aber eine wahrhaft deutsche Oper, eine Musik, die wir uns als -national durchaus aneignen müssen, so ist es eben die Mozartsche, und es -ist sehr gleichgültig, daß der Don Juan ursprünglich für italienische -Sänger geschrieben wurde. Italien hat auch deutlich gnug bewiesen, daß -es diesen großen und reichen Geist nicht fassen und lieben konnte. -Mozart, Gluck, Bach, Händel und Haydn sind ächte Deutsche, die wir uns -niemals dürfen abdisputiren lassen, und ihre Compositionen sind, recht -im Gegensatz gegen die Italienischen, wahrhaft deutsche zu nennen. - -Und dann, fügte der Kapellmeister hinzu, kann man gern dem Rossini -Talent und Melodie zugestehen, wenn der Lobpreisende auch uns zugiebt, -daß ihm in seiner Eile alles das abgehe, was den Componisten erst zu -einem dramatischen macht. Regellos, willkührlich ist er durchaus, und -achtet weder Zusammenhang noch Charakter, ja ich fürchte, in diesem -leichten und wilden Spiel bestehe sein Talent, so wie das mancher -dramatischen Schriftsteller, und ihn zwingen wollen, consequent zu seyn, -dem Charakter und Inhalt gemäß zu componiren, hieße nur, ihm das -Componiren selbst untersagen. - -Sein schneller Ruhm, sagte der Laie, ist wohl nur entstanden, weil eben -der ächte Sinn für Musik unterzugehen droht. Denn wie kann man sich doch -nur mit diesem völligen Mangel an Styl vertragen, der allen seinen -Melodieen einen so niedrigen, geringen Charakter aufdrückt? Seine -Sangstücke sind großentheils sangbar, ja recht bequem für unsere -jetzigen Sänger geschrieben, aber sehr häufig setzt er auch nur, so -vielen Andern ähnlich, wie für Instrumente, und wenn sein Beifall noch -lange währt, so wird er auch noch dazu beitragen, die Sänger völlig zu -verderben, ja auch wohl den guten und edlen Vortrag der Instrumente, -weil er Alles so kleinlich und geringe behandelt. Der Sinn für Musik -erwachte bei uns auf eine schöne Weise, er kräftigte sich und es war uns -vergönnt, Gluck zu verstehn und uns völlig anzueignen, eine so große -Erscheinung, wie Mozart, entstand und vollendete sich vor unsern Augen, -Haydns tiefsinniger Humor in seinen Instrumental-Compositionen ergriff -alle Freunde der Kunst, des großen Händels Werke wurden wieder studirt, -und selbst die Dilettanten fühlten sich von seiner Kunst entzückt, die -das Mächtige, Gewaltige erstrebt, jeden kleinlichen Reiz verschmähend; -wir sahen Anstalten gedeihen, die auch die alte Kirchenmusik, die -herrlichen Werke der verstorbenen großen Meister wieder ertönen ließen, -es schien, daß auf immer der Geschmack am Großen und Edeln gerettet sei. -Nur hatte sich indessen die Menge auch mit der Musik scheinbar vertraut -gemacht, und diese kann, wenn sie sich eine edle Sache aneignet, immer -nur bis auf eine gewisse Weite mitgehn, dann wird sie nothwendig das -Ergriffene in etwas Geringeres verwandeln, das ihr zusagt. Ehemals -hatten wir nur Kenner und oberflächliche Liebhaber in Deutschland, jetzt -aber entstand eine Halbkennerschaft statt der Freunde, die sich -unschuldig ergötzten. Diese anmaßlichen Kenner haben mit lauter -schreienden Stimmen nach und nach das Wort der wahren Musikfreunde -verdrängt, ja diese gelten den neuern Enthusiasten wohl gar für -eigensinnige, oder gefühllose Kritiker, die aus Neid und Mißlaune die -glänzenden Erscheinungen der neuesten Zeit nicht anerkennen wollen. -Darum hat auch in meiner Vaterstadt, in Berlin, Rossini am meisten -Widerspruch gefunden, weil durch des unvergeßlichen Fasch herrlichen -Eifer dort die treffliche Musik-Akademie gegründet wurde, die unser -Freund, der wackre Zelter, nach dessen Tode in demselben Sinne -fortgeführt hat. Durch die Vergegenwärtigung der alten Meisterwerke, -durch den einfachen, edlen Gesang, der dort bekannter ist, als anderswo, -sind die zahlreichen Mitglieder zum Bessern verwöhnt, und können sich -unmöglich dem zierlich Nüchternen hingeben. - -Sie werden es mit meiner Tochter völlig verderben, sagte der Baron -lachend, denn sie meint, wo nur Effect sei, da wäre es lächerlich zu -fragen, ob die Wirkung auch statt finden dürfe. - -Sie hat vollkommen Recht, antwortete der Laie, ich aber auch, wenn ich -behaupte, die Wirkung müsse gar nicht eintreten. Um diesen Punkt dreht -sich ja die Kritik in allen Künsten. - -Darum ist es ein Glück zu nennen, antwortete der Baron, ja gewissermaßen -eine weise Lenkung des Kunstgenius, daß ein großer Componist sich diesem -kleinlichen Unwesen so mächtig gegenüber stellt, und das so -ausgezeichnet besitzt, Styl nehmlich, was jenem ganz abgeht. Ich spreche -von dem nicht genug zu lobenden Spontini. Es läßt sich hoffen, daß von -dieser Seite durch mächtige Wirkungen der Sinn der Deutschen wird -gehoben, und ihr Wohlgefallen an diesem Melodieenkitzel beseitigt -werden. - -Der Laie schien so in Eifer gerathen zu seyn, daß er allein das Wort -führen wollte. Gewiß, sagte er lebhaft, wäre es lächerlich, wenn man -diesem Manne ein ausgezeichnetes Talent absprechen wollte, und über die -Verdienste seiner Vestalin läßt sich Vieles sagen und streiten. Aber daß -er im Cortez und nachher noch gewaltiger ein Brausen und Lärmen der -Instrumente, ein Ueberschreien der Stimmen, ein Aufkreischen, ein wildes -Getümmel uns hat für Musik geben wollen, scheint mir ebenfalls -ausgemacht. Man kann schwerlich im voraus bestimmen, wie viel oder wenig -unser Ohr von Instrumental-Musik vertragen soll, denn Mozart hat die -meisten seiner Vorgänger überboten, und es gab früherhin auch -Kunstfreunde, die bei ihm über zu große Fülle klagten; und schon lange -vor diesem hat der große Händel außerordentlich viele Instrumente in -Anspruch genommen, um seine erhabenen Gedanken auszusprechen. Aber bei -diesen war die Fülle der Töne doch Musik, ein Anschwellen, ein -Heranbrausen, ein Abdämpfen und Zurücksinken in eine gewisse Stille und -Ruhe, aber nicht dieses ununterbrochene, nie rastende Wüthen aller -Kräfte ohne Vorbereitung, Inhalt und Bedeutung, welches nur betäuben -kann, und dessen Macht und Gewaltsamkeit mehr erschreckt und ermüdet, -als erhebt und erschüttert. Geht der berühmte neuere Componist hiebei -nur gar zu oft auf leeren Effect und Schreckschuß aus, so wie manche -Schauspieler und Schauspieldichter, wirkt er nur einzig und allein durch -große Massen, so ist er zwar wohl nicht der Wandnachbar Rossini's, aber -sie reichen sich denn doch aus einer gewissen Entfernung befreundet die -Hände und stehn sich nicht als feindliche Kräfte einander gegenüber. -Wohl uns, daß unser hochgeehrter Maria Weber uns zu den schönsten -Erwartungen berechtigt, der in dem, was er schon trefflich geleistet -hat, so glänzend zeigt, wie viel er in Zukunft noch vermag. - -Nun erhob sich die Tochter mit allen Tönen, und der Vater stand ihr bei, -um den Laien in die Enge zu treiben, der ihre Lieblinge so keck -angegriffen hatte, ohne doch vom Metier zu seyn, da er sein ehemaliges -Violinspielen selber nicht in Anschlag zu bringen wage. Unter lautem -Lachen wurde disputirt und behauptet, der Teufel sei ein- für allemal -unmusikalisch, die Kugelgießerei und der Lärmen dabei schlimmer als was -je auf dem Theater getobt, und der Musik, die ganz Deutschland wie -verwirrt gemacht, fehle die Mannigfaltigkeit, ein heiteres Element, ja -auch jene Ironie, wodurch Mozart erst seine ungeheure Dichtung des Don -Juan zu diesem einzigen Werke gebildet habe, so daß bei diesem durch -Gegensätze sich Inhalt und Behandlung rechtfertigen, was dort ganz aus -der Acht gelassen sei. - -Der Kapellmeister nahm sich des armen Laien, der hierauf wenig zu -erwiedern wußte, oder den man vielmehr nicht zu Worte kommen ließ, -freundlichst an, und meinte, eine Vergleichung auf diese Weise -anzustellen, sei unbillig, weil das neue Kunstwerk gar nicht die Absicht -habe, sich neben jenes ungeheure zu stellen. Ueberschreitet auch die -angefochtene Scene, fuhr er fort, welche gerade die Menge herbei gelockt -hat, die Gränzen der Musik, so ist doch übrigens des Vortrefflichen, des -ächten Gesanges, des Neuen und Genialischen, vorzüglich aber des -wahrhaft Deutschen, im besten Sinne, so viel, daß ich vollkommen in das -Lob unsers unmusikalischen violinspielenden Laien einstimmen muß, der -Manches wohl eben deswegen bestimmter empfindet und kecker ausspricht, -weil er niemals vom Handwerk gewesen ist, und selbst nicht als Dilettant -hinein gepfuscht hat, da er sich doch bescheidet, in die eigentlich -grammatische Kritik einzugehn. Sollte keiner als nur Musiker mitsprechen -dürfen, so würde ja auch für diese nur componirt, und das werden wir uns -doch wohl, so wie alle Künstler, verbitten, nur für die Zunftgenossen zu -arbeiten, um von ihnen empfunden und verstanden zu werden. - -Könnte ich nur, fing der Laie wieder an, den sanften Genuß wieder haben, -den mir ehemals die Lila des Martini gewährte. Diese idyllische, reine -und heitere Musik wäre nach so manchem Ungethüm unsrer Theater eine -wahre Erquickung. Wie würde ich mich freuen, Paisiello's Barbier von -Sevilla wieder zu vernehmen, und es kränkt mich innig, daß man eine -solche Composition nicht als eine klassische verehrt, die nun einmal für -allemal fertig ist, und an die sich keiner von Neuem wagen dürfte. Denn -ist bei Rossini auch hier und da vielleicht ein Moment brillanter, so -ist doch der dramatische Sinn des Ganzen, die Bedeutung untergegangen, -und nichts gegeben, was sich dem Humor in der Rolle des Alten nur irgend -vergleichen dürfte. Die Verwöhnung der gehäuften Instrumente läßt aber -befürchten, daß man, wenn man auch einmal diese trefflichen alten Sachen -geben möchte, Zusätze zur Begleitung macht, oder diese wenigstens -verstärkt. Hier und da habe ich schon murmeln hören, daß Gluck -dergleichen bedürfe. Mozarts Figaro ist schon in Violinen und andern -Instrumenten doppelt so stark besetzt worden, als es der Componist -vorgeschrieben hat, bei dieser heitern Musik um so unpassender, weil -dadurch der Witz, das wundersam Leichte und Heitere des Gesanges gestört -wird. Es ist, als wollte man treffliche Brillanten aus ihrer leichten -Fassung nehmen, und sie, um sie zu ehren, in schweres Gold schmieden. -Oder, als riefe man sich witzige und launige Einfälle durch ein -Sprachrohr zu. - -Man sang zum Beschluß noch Einiges, und die Gesellschaft trennte sich. -Beim Abschiede sagte der Baron zum alten Italiener: auf Wiedersehn! Doch -dieser schüttelte den Kopf, und wies mit dem Finger nach oben. Der Laie -ging nach seinem Hause, weil es schon spät war, und er in der kalten -Nacht an einem Abenteuer, an welches er nicht glauben mochte, nicht -Theil nehmen wollte. Der Kapellmeister und der Graf wandelten aber mit -dem wunderlichen Alten durch die ruhige Stadt, ließen sich das Thor -öffnen, und begaben sich nun nach dem Tannenwalde, wo der -Lebensüberdrüssige seine Laufbahn eigenmächtig zu vollenden drohte. Als -sie unter den finstern Bäumen standen, sagte der Graf: nun, Alter, seid -Ihr wieder gescheidt geworden, wollt Ihr nun nicht lieber zu Bette gehn? - -In die Ewigkeit thu ich mich hinein legen, sagte der Italiener, und das -liebe Vergessen, Ruhe, tiefer, tiefer Schlaf, werden wie Flaumen eines -Daunenbetts um mich zusammen schlagen. Adieu, Eccellenza! lebt wohl, -thörichter Kapellmeister, der Ihr die schöne Gelegenheit nicht benutzt, -allen Euren Jammer, Partituren, Noten, Pausen, Tonarten, Sänger und -Sängerinnen los zu werden. Nun laßt mir ein bissel noch über meinen -Zustand nachdenken, und dann rufe ich Euch wieder; Kapellmeister -kommandirt Eins, Zwei, Drei, und beim Worte Drei, deutlich -ausgesprochen, langsam, feierlich, laut, daß liebe Echo auch etwas davon -abkriegt und mitspricht, schieß ich mich die ganze Pistole in meinen -dummen Kopf hinein. - -Ihr werdet doch nicht, sagte der Kapellmeister, so abgeschmackt wie der -Hanswurst in der Kreuzerkomödie sterben wollen? - -Gerade so muß es geschehen, sagte der Alte, und legte sich in einen -Sandgraben nieder. Die beiden Begleiter gingen tiefer in den Wald, die -Nacht war still, kein Wind wehte, ein ganz leiser Hauch rührte zuweilen -die Zweige an, so daß die Nadeln der Tannen in sanften Tönen lispelten, -das Flüstern fortlief, und indem sich dann der Wald in allen Stämmen -bewegte, wie ferner Orgelton verhallte. Feierlich genug ist die Stunde, -sagte der Musiker. Eine wundersame Empfindung, erwiederte leise der -Graf, hat den ganzen Abend in mir fort geklungen: vielleicht bin ich dem -Tode näher, als jener alte Wahnsinnige, denn noch nie war mir mein -Dasein so abgestanden und leer, so jedes Reizes entkleidet. Ich glaube -nun auch, daß jenes himmlische Wesen, welches ich schon lange suche, -gestorben ist. -- Still! rief jener: hörten Sie nicht Musik? -- -Vielleicht die fernen Glocken. - -Nein, sagte der Kapellmeister gehend: ich höre es deutlicher: und nun -erinnere ich mich, hier wohnt der unkluge Alte nicht fern, in dessen -Häuschen ich bei meiner Ankunft schon Morgens um fünf Uhr einen -herrlichen Discant vernahm. - -Der Graf war tief bewegt. Jetzt kommt! kommt! schrie der Italiener, mein -Ermorden soll ein bischen seinen Anfang nehmen! Schießt Euch todt, oder -hängt Euch! rief der Graf zurück, wir haben jetzt etwas Besseres zu -thun, als Eure Possen anzuhören. - -Sie gingen weiter, drängten sich durch Baum und Strauch, und der -neugierige Italiener hatte sich zu ihnen gesellt. Jetzt tönte ihnen -schon bestimmter der Gesang entgegen, und der Graf zerriß sich Hände und -Gesicht, um nur aus den Gesträuchen zu kommen, in denen er sich aus -Eifer immer tiefer verwickelte. Er drängte endlich hindurch und stand in -der Nähe des Häuschens, dessen kleine Fenster erleuchtet waren. Der -treffliche Psalm Marcello's »^Qual anhelante^« tönte ihnen voll und rein -entgegen, so einfach, so edel vorgetragen, daß der Kapellmeister -erstaunt und hingerissen kaum athmete. Sie ist es! sie ist es! meine -Einzige! rief der Graf in der größten Erschütterung aus, und wollte sich -dem Hause nähern, aber der Kapellmeister hielt ihn fest, klemmte sich an -ihn, und warf sich dann zu seinen Füßen nieder, die er umarmte, und -rief: o bester, glücklichster Graf! Heirathen Sie sie also, wie Sie -gelobt haben; aber gönnen Sie mir vorher das einzige Glück, daß sie erst -die Geliebte in meiner ruinirten Oper singt; dann will ich gern sterben, -denn eine solche Stimme giebt es auf Erden nicht mehr. - -Der Graf strebte zum Hause hin, und der Kapellmeister ließ endlich sein -ungeduldiges Bein los. So wie er auf die Wohnung losstürzte und an die -kleine Thür klopfte, verstummte der Gesang. Macht nicht so viel -Umstände, sagte der Italiener, der Sing-Sang ist nicht der Mühe werth, -man sieht wohl, daß ihr meine Selige nicht gekannt habt. Der -Kapellmeister, der jetzt eben so außer sich war, wie der Graf selbst, -klopfte mit diesem wetteifernd an die Thür, und da sich beide in den -Kräften überboten und das Tempo immer schneller nahmen, so entstand -dadurch ein sonderbares Concert in der ruhigen Nacht. Im Hause war Alles -still, endlich aber schien man drinnen doch die Geduld verloren zu -haben, denn ein Fenster öffnete sich und eine leise, heisere Stimme -sagte: was giebt's da? Seid ihr betrunken? Laßt uns ein! rief der Graf: -hinein müssen wir! schrie der Kapellmeister: wo ist die Sängerin? der -Graf: ich habe sie schon am Morgen neulich gehört, der Kapellmeister, -als Ihr mir sagtet, es sei des Teufels Großmutter: aber hinein müssen -wir! vereinigten sich nun beide. Seid ihr rasend? rief die erhöhte -Stimme des Alten, und in diesem Augenblick schrie der Italiener lauter -als Alle: Hortensio! Hortensio! haben wir Euch endlich erwischt? Nun -bleib' ich am Leben! Mag sich umbringen, wer Lust hat, ich halte mich an -Euch, altes Fell! - -Ich bin der Graf Alten, schrie der Liebhaber; ich der Kapellmeister! -rief sein Begleiter, laßt uns nur hinein, daß wir die Sängerin sehn: -kommt herab! rief der Italiener, daß wir beide unsre Bekanntschaft -erneuern können. - -Mein Himmel! ächzte der Greis, so nach tiefer Mitternacht? Meine guten -Herren, wenn Sie bei mir was zu suchen haben, so kommen Sie doch morgen, -wenn der Tag scheint. - -Gut, sagte der Graf beruhigter, morgen früh! der Kapellmeister fand sich -auch in den Vorschlag, und als sie friedlich wieder fortgingen, sagte -der Italiener: ich bleibe die Nacht hier draußen und passe ihm auf. -Morgen früh machen wir Alle unsern Besuch. -- - -Wie erstaunten, erschraken am folgenden Tage der Graf und der Musiker, -als sie das Haus verlassen und öde fanden; noch vor Tage, sagte die alte -Aufwärterin, seien die beiden Bewohner ausgezogen und haben in größter -Eil alle Sachen fortschaffen lassen. Auch der Italiener zeigte sich -nirgend. - - * * * * * - -Ein schöner, heiterer Herbsttag war aufgegangen, die Sonne schien in -dieser späten Jahreszeit noch so warm, wie im Sommer, und dies bestimmte -den Laien mit seiner Tochter in das naheliegende Bergthal zu fahren. Auf -einem kleinen Miethpferde sahen sie in der Entfernung den Enthusiasten -auch mit nachflatterndem Kleide auf dieselbe Gegend zusprengen. Der -Himmel verhüte nur, bemerkte der Laie zu seiner Tochter, daß der -Schwätzer nicht ebenfalls in jenem Thale verweilt, weil er uns sonst mit -seinen heftigen Reden und Schilderungen den Tag verderben würde. - -Wir müssen uns schon darauf gefaßt machen, erwiederte die Tochter, denn -er sagte mir neulich, daß er diese Gegend vorzüglich liebe und sie oft -besuche. - -Wie sind diese Menschen doch so lästig, fuhr der Laie fort, die eben, -weil sie gar nichts empfinden, über Alles in Hitze gerathen können. Aber -mehr noch, als bei Kunstwerken, stören sie mich in der Natur, die am -meisten ein stilles Sinnen, ein liebliches Träumen erregt, in der ein -vorüber schwebender Enthusiasmus und Behaglichkeit sich ablösen, und sie -unsern Geist fast immer in eine beschauliche Ruhe versenken, in welcher -Passivität und schaffende Thätigkeit eines und dasselbe werden: dazu der -Anhauch einer großartigen Wehmuth in der Freude, so daß ich in der -schönen Landschaft gegen diese beschreibenden Schwätzer oft schon recht -intolerant gewesen bin. - -Sie stören fast eben so sehr, wie die unerträgliche Musik, antwortete -das Mädchen, da man so oft in der Nähe der Gebäude Tänze oder -kreischende Arien vernehmen muß. - -Als sie angekommen waren, sprang ihnen der berührige Enthusiast schon -aus dem Hause entgegen. O wie schön, rief er aus, daß Sie diesen -herrlichen Tag auch benutzen, der wahrscheinlich der letzte helle dieses -Jahres ist. Lassen Sie uns nur gleich an den murmelnden Bach gehn, und -dann von der Höhe des Berges das Thal überschauen. Es ist eine Wonne, -die Schwingungen der Hügel, den kleinen Fluß, das herrliche Grün und -dann die Beleuchtung zu sehn und zu fühlen. Giebt es wohl ein Entzücken, -das diesem gleich oder nur nahe kommen kann? - -Ich will mit Ihnen gehen, erwiederte der Laie, aber nur unter der -Bedingung, daß Sie mich mit allen Schilderungen und begeisterten -Redensarten verschonen. Wie können Sie überhaupt nur immer so vielen -Enthusiasmus verbrauchen? Es ist nicht möglich, wie Sie auch neulich -gestanden haben, daß Sie so viel empfinden. - -Bei der Kunst, sagte der Enthusiast, setzt man freilich wohl hie und da, -dem Künstler zu gefallen, etwas zu, aber in der himmlischen Natur -- -nein! da kann doch keine Zunge Worte genug finden, um nur einigermaßen -das wiederzugeben, was im Herzen aufgeht. Ich habe es aber schon seit -lange bemerkt, daß Sie kein großer Freund der Natur sind, denn wie -konnten Sie nur sonst, wie ich schon so oft gesehen habe, daß Sie thun, -beim schönsten Frühlingswetter in das dumpfe Theater kriechen, um eine -Oper zu hören, oder sogar ein mittelmäßiges Schauspiel zu sehn, über -welches Sie nachher selber Klage führen? - -Weil es mir an solchem Tage, antwortete jener, darum zu thun ist, ein -Schauspiel zu sehn, und ich dies mit dem Genusse der Natur dann nicht -vereinigen kann und mag. Auch gestehe ich Ihnen, daß ich oft in der -schönsten Natur bin, ohne sie mit den geschärften Jäger-Augen in mein -Bewußtsein aufzunehmen, wenn mich ein heiteres Gespräch beschäftigt, -oder ich auf einsamem Spaziergang etwas sinne, oder ein Buch meine -Aufmerksamkeit fesselt. Glauben Sie nur, unbewußt, und oft um so -erfreulicher, spielt und schimmert die romantische Umgebung doch in die -Seele hinein. Wenn wir uns überhaupt immer so sehr von Allem -Rechenschaft geben sollen, so verwandelt sich unser Leben in ein -trübseliges Abzählen, und die feinsten und geistigsten Genüsse -entschwinden. - -Hm! Sie mögen nicht ganz Unrecht haben, sagte der Enthusiast -nachsinnend: wenn ich nur nicht einmal den Charakter der Heftigkeit -angenommen hätte und bei allen meinen Bekannten als ein Eiferer gölte, -so wollte ich mir das Wesen wieder abzugewöhnen suchen. Es ist aber denn -doch auch fatal, wenn man, so wie Sie, für einen Phlegmatiker gilt. Da -Sie also nichts von Naturbegeisterung hören wollen, so will ich Ihnen -lieber erzählen, daß ich schon vorhin, ehe Sie kamen, eine sonderbare -Erscheinung hier bemerkt habe. Ein junges, wunderschönes Mädchen stand -dort oben auf dem Hügel, sah immerdar auf den Weg hin, der zur Stadt -führt, und weinte dann heftig. Sie erregte mein lebhaftestes Mitgefühl, -ich ging zu ihr, aber so sehr ich auch in sie drang, so konnte ich sie -doch nicht bewegen, mir eine vernünftige Antwort zu geben, oder mir zu -erzählen, was sie hier mache, wie sie hergekommen sei und wen sie hier -erwarte. Und ich war doch so ganz außerordentlich neugierig, vorzüglich, -weil ich dies junge, außerordentlich reizende Frauenzimmer neulich schon -bei unserm Baron in der Gesellschaft gesehen habe, wo sich der verwirrte -melancholische Graf viel mit ihr zu schaffen machte. -- Sehn Sie, sie -steigt schon wieder den Hügel hinan, um ihre Beobachtungen anzustellen. - -Mit Zierlichkeit und Grazie schwebte die Gestalt die grüne Anhöhe -hinauf, und ihre vollen, braunen Locken, ihr leuchtendes Auge, das -einfache Gewand und die Geberde wirkten mit unbeschreiblichem Zauber in -der anmuthigen Landschaft. Die Tochter fühlte sich bewegt, als sie das -schöne Wesen wieder weinen sah, die Thränen stiegen ihr selbst in die -Augen, als die Unbekannte jetzt im Ausdruck des höchsten Schmerzes die -Hände rang, und sich jammernd auf den Rasen niedersetzte. Lassen Sie uns -hinauf steigen, sagte der Laie, das arme Wesen bedarf unsers Trostes und -Beistandes, meine Tochter soll sie anreden, wir aber, Herr Kellermann, -wollen uns fürs erste schweigend verhalten, und die Betrübte am -wenigsten mit zudringlichen Fragen ängstigen. Die Tochter ging zu ihr, -und die Fremde bekannte, daß sie ihren alten Vater aus der Stadt -erwarte, und nicht begreife, wie er so lange zögern könne, da er ihr -diesen Ort angewiesen habe, wo sie zusammen treffen wollten, um weiter -zu reisen. - -Sie wollen also unsre Gegend verlassen, fragte der Laie, da Sie doch, so -viel ich weiß, nur kürzlich angekommen sind? - -Ach! mein Herr, antwortete die schöne Fremde klagend, mein lieber Vater -leidet schon seit lange an einer schweren Melancholie, an -Menschenfeindschaft und tiefem Lebensüberdruß, so zieht er seit einigen -Jahren von Ort zu Ort, verarmt immer mehr, wird immer kränker, versagt -sich selbst alle Hülfe, und will auch mir das Glück nicht gönnen, ihm -beizustehn, da ohne diesen starren Willen meine Talente sein Leben wohl -unterstützen könnten. Denn mein Gesang und die Musik überhaupt machen -das Unglück meines Lebens. - -Sie singen also doch? fragte der Laie sehr lebhaft. - -Meine Trauer, mein tiefer Schmerz, erwiederte die schöne Klagende, sind -Schuld, daß ich mein Gelübde gebrochen habe. Ich habe meinem Vater -geloben müssen, niemals zu gestehen, daß ich singe, auch niemals, außer -wenn er zugegen ist, und es mir erlaubt, einen Ton anzuschlagen. Wir -wohnten deshalb von der Stadt entfernt, wir vermieden allen Umgang, nur -neulich war ich zufällig im Hause des Baron Fernow, wo ein Fremder, ein -feiner, anständiger Mann mich über die Gebühr mit Fragen und -Aufforderungen zum Singen ängstigte. In der letzten Nacht, als ich, wie -ich glaube, in der höchsten Einsamkeit einen Psalm Marcello's einübe, -entsteht vor dem Hause ein Getümmel, wir halten die Leute für Räuber -oder Trunkene, der Graf nennt sich endlich, und will eingelassen seyn, -noch einige Andere toben eben so laut, und mein Vater kann sie endlich -nur beruhigen, indem er ihnen verspricht, am Morgen ihren Besuch -anzunehmen. Kaum sind sie fort, so muß Alles in der größten Eile -eingepackt werden, noch in der Nacht werden Fuhrleute gemiethet, unsre -wenigen Sachen hieher zu fahren, am Morgen muß ich nachreisen, und er -verspricht, in wenigen Stunden ebenfalls hier zu seyn, weil er in der -Stadt noch unsere Reisepässe besorgen müsse. Hier erwarte ich ihn nun -schon manche Stunde, gewiß ist er krank, ein Unglück ist ihm zugestoßen, -und ich weiß in meiner Angst nicht Rath noch Hülfe; wo soll ich ihn -wieder finden? - -Der Laie suchte sie zu beruhigen. Er schlug vor, im Gasthause bis nach -Tische den Alten zu erwarten, dann solle sie mit ihm und seiner Tochter -zurück fahren, da nur ein Weg zur Stadt führe, so müßten sie dem Vater -begegnen, wäre dies nicht der Fall, so solle die Fremde in seinem Hause -absteigen, indessen er selbst Erkundigungen einzöge. Auf sein -eindringliches Zureden und der Tochter schmeichelnde Liebkosungen wurde -sie ruhiger und ging mit ihnen in den Gasthof. Bei Tische wurde man -sogar guter Laune, nur verweigerte die Fremde auf die unbescheidene -Bitte des Enthusiasten, zu singen, weil dies gegen ihr heiliges -Versprechen laufe. Man sprach dann viel über die neulichen Musikstücke, -die der Kapellmeister im Hause des Barons habe probiren lassen, sie -lobte die Composition als großartig, tadelte aber die Manier der Sänger. -Es kann seyn, beschloß sie ihre Kritik, daß ich hierüber völlig im -Irrthum bin, aber nach den Grundsätzen meines Vaters, und nach der -Gesangsweise, die ich nach seinem Unterricht ausüben muß, ist jene -Manier eben so klein als willkührlich. Ja, dürfte ich einmal (aber dazu -ist mein Vater auf keine Weise zu bewegen) eine Opern-Rolle, wie diese -des Kapellmeisters singen, so schmeichle ich mir, daß ich eine große -Wirkung hervor bringen würde, und vielleicht um so größer, weil diese -Art jetzt ganz vergessen ist und die Neuheit um so mehr erschüttern -möchte. - -Wenn Sie diejenige sind, erwiederte der Laie, für welche ich Sie jetzt -halten muß, so können Sie einen gewissen enthusiastischen Mann, wenn es -übrigens Ihre Gesinnung erlaubte, unbeschreiblich glücklich machen. - -Die Schöne wurde roth, und der Enthusiast Kellermann, so wie er das Wort -enthusiastisch nennen hörte, sprang eilig herbei und rief: ja gewiß, -Verehrte! wie könnte mein Herz wohl so vielfach vereinigtem Zauber -widerstehn? - -Gebt Euch keine unnütze Mühe, rief der Laie laut lachend, ich meine -jenen sonderbaren Grafen, den wir Alle kennen. Ich hoffe einen -beglückenden Ausgang weissagen zu dürfen. - -Die Schöne wollte sich auf keine nähern Erörterungen einlassen; lobte -aber nachher im Verlauf des Gespräches den jungen Grafen als einen -schönen und verständigen Mann, der sie auch in der Gesellschaft am -meisten interessirt habe. - -Auf der Rückfahrt unterhielt man sich mit heitern Gesprächen. Der -Enthusiast sprengte wieder auf seinem kleinen Pferde voran, und war -bemüht, seine Geschicklichkeit im Reiten zu zeigen. Als sie in die Stadt -hinein gefahren waren, sahen sie in der Hauptstraße einen großen -Volksauflauf, Getümmel, Geschrei, ein Vor- und Zurückdrängen, der Wagen -mußte halten, die Wache machte Platz und der Laie erstaunte, als er den -alten Italiener zwischen den Soldaten bemerkte, die ihn als Gefangenen -fortführten. Was giebt es? fragte er einen Vorübergehenden. -- Je, der -braune Schelm, antwortete dieser, hat einen alten Mann so eben todt -geschlagen. - -Als sich die Menge verlaufen hatte und sie weiter fahren konnten, -stürzte ihnen aus einem großen Hause der Graf entgegen, er rief, daß man -anhalten solle, und mit einem Ausdrucke übermenschlichen Entzückens half -er Julien aussteigen. Der Laie und die Tochter folgten, um zu sehen, wie -sich die Scene entwickeln würde. - - * * * * * - -Im Saale fand Julie den alten Mann im Lehnstuhl sitzen, blaß und -erschüttert, aber wohl und unverletzt. Man erfuhr, daß er den ganzen Tag -durch Hin- und Herschicken, indem er seine Pässe berichtigen und -auslösen mußte, von der Polizei war aufgehalten worden. Als er endlich -fertig zu seyn glaubte, und eben einen Wagen suchte, um seiner Tochter -nachzureisen, begegnete er dem thörichten Italiener, der ihn sogleich -auf offener Straße angriff, um ihn zu mißhandeln, als er aber um Hülfe -rief, nahmen sich die Vorübergehenden des Greises an, und der Verwirrte -wurde der Wache übergeben. Julie liebkosete den Alten, und suchte ihn -durch ihre Zärtlichkeit zu beruhigen. Der Enthusiast, so wie der -Kapellmeister waren ebenfalls Zeugen dieses Auftrittes. - -Vielen Dank, sagte endlich der Alte, bin ich Ihnen, mein Herr Graf, -schuldig, daß Sie sich meiner so freundlich angenommen haben, jetzt aber -lassen Sie uns abreisen, damit wir recht bald den Ort unsrer neuen -Bestimmung erreichen. - -Er stand auf und wollte gehn, Julie blieb zaudernd, und blickte verlegen -auf die Gegenwärtigen, der Graf aber trat vor den Greis hin und sagte -mit zitterndem Tone: können Sie mir das Glück meines Lebens entreißen -wollen, dem ich so lange nacheilte, jetzt, nachdem ich es endlich so -unverhofft und so wunderbar gefunden habe? - -Was meinen Sie? fragte der Alte. - -Selig würde ich seyn, antwortete der Graf, wenn Ihre Tochter sich -entschließen könnte, mir ihre Hand zu schenken. Ich bin reich, völlig -unabhängig, lassen Sie uns in Liebe, Freundschaft und Musik verbunden -ein Glück begründen und genießen, wie es nur immer auf Erden möglich -ist. - -Der Alte taumelte wie erschrocken zurück, er mußte sich vor Zittern -wieder niedersetzen. Wie! rief er im heftigen Weinen aus: das könnte Ihr -Ernst seyn, mein Herr Graf? - -Ich nehme, rief dieser, alle diese Freunde zu Zeugen: doch, Julie -selbst? - -Nun, meine Tochter, sagte der Alte bewegt, könntest Du Deinen greisen -Vater so glücklich machen? Jetzt liegt es in Deiner Hand, mir allen Gram -meines Lebens zu vergüten und meine letzten Tage zu verherrlichen. Aber -ist es denn kein Traum? Wie kommt dies Alles? Kannst Du Dich -entschließen, mein Kind? - -Die Tochter war heftig erschüttert. O Himmel! rief der Graf: nein, -Gewalt sollen Sie sich nicht anthun: lieber entsage ich allen meinen -Hoffnungen. - -Können Sie mich so mißverstehn? antwortete Julie, kaum hörbar: hätten -Sie wirklich nicht gefühlt, wie sehr ich mich zu Ihnen gezogen fühlte? -Habe ich doch seitdem immer Ihr Bild vor Augen gehabt. Aber auch den -allerfernsten Schimmer eines solchen Glücks wies ich als einen -wahnsinnigen Traum zurück. - -Der Graf kniete vor ihr nieder, der Alte legte gerührt ihre Hände in -einander, dann sank sie an die Brust ihres Geliebten. - -Doch jetzt, rief der Graf aufspringend, nur Einen Ton, Einen Tact, ich -weiß es zwar gewiß, daß Du es bist, aber um mich völlig zu überzeugen. - -Sie sah fragend ihren Vater an, doch dieser sagte lächelnd: ich löse -Dich jetzt gänzlich von dem Gelübde, welches Du mir gethan hast, jetzt -darfst und mußt Du Alles thun, was Dein Bräutigam von Dir fordert. - -Da sang sie ohne alle Begleitung den Anfang des ^stabat mater^ von -Palestrina, so stark und voll, so anschwellend die Töne, so gehalten und -lieblich, daß Alle, vorzüglich aber der Graf und der Kapellmeister in -ihrem Entzücken keine Worte finden konnten. - -Ja, sagte der Vater, als man wieder ruhiger war, es ist mein Stolz und -mein Glück, diese Stimme gebildet zu haben, ich darf es ohne väterliche -Verblendung behaupten, sie ist einzig in ihrer Art, und diesen Vortrag -wird man jetzt nirgends hören. - -Aber wie kamen Sie nur dazu, fragte der Laie, von Ihrer Tochter sich -geloben zu lassen, niemals in Gesellschaft zu singen, ja sogar dieses -himmlische Talent zu verläugnen? - -O, mein Herr, sagte der Alte, wenn Sie meine Geschichte kennten, mein -jahrelanges Elend, wie ich verkannt und gemißhandelt wurde, so würden -Sie dies und noch weit mehr begreifen. Von frühster Jugend war mein Sinn -und Streben auf Musik gerichtet, aber meine Eltern waren so arm, daß sie -für meine Ausbildung nur wenig thun konnten. Mit Chorsingen fristete ich -mich durch, späterhin mit Stundengeben. Ich mußte mir Alles selber -erringen und auf den mühseligsten Wegen. Als ich den Contrapunct -gründlich studirt hatte und Alles versucht und durchgearbeitet, was zu -einem musikalischen Componisten nothwendig ist, als ich nun fertig zu -seyn glaubte, und schon manche Kirchenmusik geschrieben, die mir -gelungen schien, fand ich nirgends Unterstützung, kein Mensch wollte von -mir etwas wissen, mein Aeußeres war nicht empfehlend, ich besaß keine -feine Lebensart, mir fehlten die einschmeichelnden Manieren. Nach -Italien strebte mein Sinn, doch die matten Augen meiner hülflosen Eltern -sahen mich so flehend an, daß ich recht im Herzen fühlte, wie es meine -Pflicht sei, für sie zu sorgen. So mußte ich denn wieder für ein -geringes Geld fast auf allen Instrumenten Unterricht geben, und diese -Pein, mit einem ungeschickten gefühllosen Schüler die Geige zu kratzen, -immer dieselben Mißtöne zu hören, ist über alle Beschreibung. Nur ein -solcher Musiklehrer erfährt, welche Dummköpfe es in der Welt giebt. So -bot man mir einen an, der schon sechs Jahre Violine gespielt hatte. Ei! -dachte ich dazumal, das ist doch ein Trost, da kann ich einmal -musikalisch zu Werke schreiten und vielleicht einen ächten Scholaren -erziehn. Er hatte schon Sonaten, Quartetts, Symphonieen und die -schwierigsten Sachen durchgearbeitet. Und, denken Sie, als ich ihn nun -ins Examen nehme, ist dieser Virtuose nicht im Stande, seine Geige zu -stimmen, er kennt keine Tonart, schabt Alles aus dem Gedächtniß daher, -hat keinen Tact, und verwundert sich in seiner blanken Unschuld, daß -alles das Zusammenhang habe und Wissenschaft sei. Wie das Meerwunder, -das schon fast ein erwachsener Jüngling war, seinen Pleyel zusammen -rasselte, alle Töne falsch, ohne Bindung und Sinn, kreischend und -quitschend, Gesichter schneidend und Pausbacken machend, davon haben Sie -Alle keine Vorstellung. Denken Sie, ich mußte mit ihm wieder einen -Choral zu spielen anfangen, und nach sechs oder sieben Jahren, die er -schon bei einem andern Lehrer verarbeitet hatte, konnte er das nicht -einmal leisten. - -Die Uebrigen hatten den Laien schon während dieser Erzählung lächelnd -angesehn, als dieser ausrief: ist es möglich, daß ich so unvermuthet -meinen verehrlichen Musiklehrer wieder finden muß? Ja, alter Herr, -damals haben wir uns beide das Leben rechtschaffen sauer gemacht. - -Sie sind der junge Mensch von damals? sagte der alte Mann in -Verlegenheit; bitte tausendmal um Verzeihung: aber es war mir doch so -merkwürdig, daß ich diesen Umstand niemals wieder vergessen habe. -- Auf -diese Weise ging dann meine Jugend hin. Meine Eltern starben, ich war -aber indeß alt geworden. Nach und nach gab man in kleinen Orten von -meinen Compositionen. Hier und da versuchte auch ein Theater meine Opern -darzustellen, aber sie machten kein Glück. Als ich meine Gattin, eine -herrliche Sängerin, kennen lernte, und sie ihr Schicksal mit dem -meinigen vereinigte, schien mir nichts mehr zu wünschen übrig. Aber nach -der Geburt meiner Tochter war ihre Stimme schwächer geworden. Ach was -ist es doch für ein unermeßlicher Verlust, wenn eine wahrhaft schöne -Stimme verloren geht. Es ist ja noch weit mehr, als wenn uns ein -geliebter Freund abstirbt. Und doch muß sich der Mensch auch darein -finden. Meine Frau wollte es aber nicht, sie sang immer schwächer, immer -stärker griff sie sich an, und sang sich zu Tode. Nun war mein ganzer -Himmel diese meine Tochter. Eine kleine Pension, die mir das Theater -zukommen ließ, das ich eine Zeit lang dirigirt hatte, schützte mich vor -der äußersten Dürftigkeit. Von jetzt vertiefte ich mich erst recht in -die großen Kirchenmusiken der alten Meister. Immer armseliger erschien -mir die Gegenwart. Alle die Manieren, die Liebhabereien, die überhand -nahmen, waren mir verhaßt. Am abscheulichsten aber erschien mir die neue -Singmethode, welche immer mehr einriß. Der rechte Ton muß wie die Sonne -aufgehn, klar, majestätisch, hell und immer heller, man muß die -Unendlichkeit in ihm fühlen, und der Sänger muß ja nicht verrathen, daß -er die letzte Kraft ausspielt. Eine Musik, recht vorgetragen, wiegt sich -wie ein Stück des Himmels, und sieht aus dem reinen Aether in unser -Herz, und zieht es hinauf. Und was ich einzig und allein im Ton hören -will, ist die Begeisterung. Einen tragischen oder göttlichen -Enthusiasmus giebt es, der heraus klingend jeden Zuhörer von seiner -menschlichen Beschränktheit erlöst. Ist die Sängerin dieser Vision -fähig, so fühlt sie sich vom Sinn des Componisten, aber auch zugleich -vom Sinn der ganzen Kunst durchdrungen, daß sie Schöpferin, Dichterin -wird, und wehe dem armen Kapellmeister, der dann noch Tact schlagen, und -das Tempo zu starr fest halten will, denn die Eingeweihte darf über die -gewöhnlichen und nothwendigen Schranken hinaus steigen, und sich wie ein -Engel schwebend aus dem Grabe des Zeitlichen erheben, und triumphirend -in lichter Glorie dem Unsterblichen zufliegen. - -Das ist es, sagte der Laie, was ich neulich habe aussprechen wollen. - -Die meisten Künstler, fuhr der Alte fort, sind nur höchstens von ihrer -eigenen Virtuosität trunken, selten, selten, daß einer nur wagt, den -Componisten zu verstehn, geschweige über ihn hinaus zu schreiten. So wie -im letzten Fall der Componist verherrlicht wird, so wird er im ersten -fast immer vernichtet, doch ist diese Begeisterung nicht ganz zu -verwerfen, weil alsdann, wenn auch auf eitle Weise, Seele in den Gesang -kommt, in so fern nämlich der Sänger ein wirklicher ist. Mein Kind -erwuchs, und ward ganz, wie ich es mir gewünscht. Sie faßte meinen Sinn, -sie bekam eine Stimme, wie ich sie noch niemals gehört hatte. Ich -glaubte, ein unschätzbares Kleinod in ihr zu besitzen. In dieser -Ueberzeugung schrieb ich von ihr einem großen Hof, wo man sie zur -Kammersängerin berief. Nun glaubte ich, in Ruhe und ohne Armuth meine -Tage beschließen zu können. Die vornehme Welt ist versammelt und sie -singt ein altes Musikstück, so, daß mir die Thränen in den Augen stehn; -ich selbst hatte sie nie so singen hören, denn sie hat Stolz, die -Umgebung befeuerte sie. Und wie sie endigt, keine Hand, kein Wort, kein -Blick. Der alte Kapellmeister kommt dann zu mir und flüstert, der Fürst -und die Damen hätten geäußert, und er selber müsse die Meinung -unterschreiben, meine Tochter möchte noch erst Unterricht von einem -guten Sänger haben, um Schule zu bekommen. - -Das ist es eben, rief jetzt der Graf aus, was sie wollen, Schule, -Methode, wie sie es nennen, statt des Gesanges. Ja, das war jener Abend, -als ich, Julie, in Wonne aufgelöst hinter Deinem Rücken stand, und Dein -Angesicht nicht sehen konnte. Methode! gerade als wenn ein Solimene oder -Trevisano den Raphael bedauern wollte, daß er nicht mehr Schule in -seinen Werken zeige. - -Julie sagte: glauben Sie mir, mein Vater, ich kann besser singen, als -ich jenen Abend sang. Ja, vor Freunden, die uns verstehn, die unserm -Sinn entgegen kommen, wird die Stimme noch einmal so mächtig und die -Sicherheit unendlich. Aber man fühlt es auch vorher durch geistigen -Instinkt, wenn wir vor Unverständigen uns hören lassen sollen. Wird bei -jenen der Gesang wie Gold in Gluth der Liebe geschmolzen, so versagt bei -diesen Stimme und Muth, ja der Ton wird oft, trotz aller Anstrengung, -kümmerlich. An jenem, mir fürchterlichen Abende sah ich mich -geflissentlich nicht um, und doch steckten mir alle die Augen der -gelangweilten Hofdamen und die verwunderten Blicke der neugierigen -Cavaliere in der Kehle. - -Das Unglück, dieser Unsinn, nahm der Alte wieder das Wort, verwirrten -mir auch den Kopf. Ohne es nur anzuzeigen, reisete ich noch in derselben -kalten Nacht mit meiner Tochter wieder ab. Sie mußte mir feierlich -geloben, nie anders, als nur in meiner Gegenwart, und wenn ich es ihr -erlaubte, zu singen. Kam sie unter Menschen, die jetzt fast alle gern -kreischen und zwitschern, so mußte sie fest verläugnen, daß sie nur -irgend was von Musik wisse. Wir lebten sehr einsam, kamen wenig oder gar -nicht unter die Leute. Mein Gemüth verfinsterte sich immer mehr, und -hätte mich nicht meine Tochter getröstet, so wäre ich wohl längst -gestorben, oder Wahnsinn hätte mich ergriffen. Ist mir doch fast, als -wäre ich in manchen Stunden diesem Elende nicht allzufern gewesen. -Oefter wechselte ich den Wohnsitz und kam nun hieher, um draußen, in der -Nähe finsterer Tannen recht einsam zu leben, und ungestört mit meinem -Kinde Gesang und Musik zu üben, da sah mich neulich der Herr (indem er -auf den Kapellmeister wies) draußen, und gestern wollten sie beide in -der Nacht mein Haus bestürmen, was ich freilich ganz anders auslegte, -als es sich nun zu meinem unerwarteten Glücke ausgewiesen hat. - -Man setzte fest, daß noch heut Abend die Verlobung seyn sollte, zu -welcher auch der Baron und seine Familie gebeten wurde. - -Aber halt! rief der Kapellmeister, Ihr Gelübde, Herr Graf, welches Sie -in dieser Nacht gethan haben, daß Ihre schöne Braut noch vor der -Vermählung die Hauptparthie in meiner Oper singen soll! - -Es sei, sagte der Graf, wenn es meiner Julie nicht unangenehm ist. Man -sah es ihr aber, auch ohne ihre Versicherung wohl an, daß es ihr Freude -mache, auf eine so glänzende Art ihr großes Talent zu entwickeln. - - * * * * * - -Ehe der Graf in das Schauspiel ging, nahm er noch einmal den alten -Italiener einsam vor und sagte: Ihr hättet neulich fast Unglück -gestiftet, alter Thor, reiset nun, wozu ich Euch ausgestattet habe, in -Eure Heimath zurück, lebt dort ruhig, und Ihr werdet richtig Eure -Pension ausgezahlt erhalten, die Euer Alter froh und sorgenlos machen -kann. - -Eccellenza, antwortete der Verwirrte, seyn die Großmuth selbst: bitte -auch auf Knieen um Pardon, daß den Schwiegervater habe prügeln wollen, -den alten boshaften Hortensio, der alle Musik ruinirt. Ich hatte lange -draußen gelauert, und war im Wald vor Müdigkeit und Chagrin -eingeschlafen, unterdessen er auf und davon. Untersuche alle Dörfer -dort, komme müde und matt zurück, da rennt er über die Straße: Herr -Graf, da zog es mich so allgewaltig, ich mußte losprügeln, und wenn's -mein leiblicher Vater gewesen wäre. - -Als Julie sich in der schöngesetzten Parthie zeigte, und in vollen Tönen -so sicher ausstrahlte, war das Entzücken des Publikums allgemein. Die -Zeichen des Mißfallens, die einige Freunde der eigensinnigen Sängerin -wollten hören lassen, mußten beschämt verstummen. Als die große Arie -gesungen war, entstand ein so lautes Beifallrufen, ein solches Jauchzen -und Geräusch, daß Musik und Stück inne hielt. Als es ruhiger war, hörte -man eine laut heisere Stimme, die vom Parterre herauf rief: taugt nix! -gar nix! miserable Pfuscherei, kein Vortrag: ist nur Aberwitz und -deutsche Seelenmanier des verrückten Herrn Hortensio! Es war der alte -Italiener, der sich noch einmal vernehmen ließ, aber genöthigt wurde, -das Theater zu verlassen. - -Noch niemals hatte in dieser Stadt eine Oper so großes Glück gemacht, -der Kapellmeister war beseligt, der Vater glücklich, der Graf entzückt, -der Laie in frühere Jahre versetzt, und der Enthusiast, was die Uebrigen -freute, ohne Worte. - -Bald darauf war die Vermählung der Glücklichen. Dann zog der Graf auf -seine großen Güter; alte Musik, die Compositionen Hortensio's, Opern -wurden in seinen Sälen gegeben, und die abwesenden Freunde hörten in -Briefen nur von der ungetrübten Freude dieser auf so wunderliche Art -Vereinigten. - - - - -Anmerkungen zur Transkription - - -Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im -Original g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_ -gekennzeichnet. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind, -wurden ^so^ markiert. - -Die variierende Schreibweise des Originales wurde weitgehend -beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert, -teilweise unter Verwendung weiterer Ausgaben, wie hier aufgeführt -(vorher/nachher): - - [S. 9]: - ... von oben in den Saal herabschaute, die durch das Ge- ... - ... von oben in den Saal herabschaute, die durch das Geschrei ... - - [S. 23]: - ... häufig haben wir die bösen Folgen der Zornes, der - Trunkenheit, ... - ... häufig haben wir die bösen Folgen des Zornes, der - Trunkenheit, ... - - [S. 57]: - ... Gabe des Unsichtbare schenken kann; und wehe dem - Verschwender, ... - ... Gabe das Unsichtbare schenken kann; und wehe dem - Verschwender, ... - - [S. 84]: - ... und seine Gabe wird so verkannt, so wenig gewürdiget, ... - ... und keine Gabe wird so verkannt, so wenig gewürdiget, ... - - [S. 90]: - ... und klingt in unserm Giste zusammen! ... - ... und klingt in unserm Geiste zusammen! ... - - [S. 246]: - ... Schachspieler, Melchior, der Baukünstler, ja Alle mi ... - ... Schachspieler, Melchior, der Baukünstler, ja Alle im ... - - [S. 266]: - ... thöricht im Haupte? Wissen Sie, unbekanter Freund, was ... - ... thöricht im Haupte? Wissen Sie, unbekannter Freund, was ... - - - - - - -End of Project Gutenberg's Schriften 17: Novellen 1, by Ludwig Tieck - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 17: NOVELLEN 1 *** - -***** This file should be named 50707-8.txt or 50707-8.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/0/7/0/50707/ - -Produced by Delphine Lettau, David Jones, Jens Sadowski, -and the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Schriften 17: Novellen 1 - Die Gemälde / Die Verlobung / Die Reisenden / Musikalische - Leiden und Freuden - -Author: Ludwig Tieck - -Release Date: December 17, 2015 [EBook #50707] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 17: NOVELLEN 1 *** - - - - -Produced by Delphine Lettau, David Jones, Jens Sadowski, -and the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - - - - - - -</pre> - - -<div class="titlematter"> -<p class="ser2"> -<span class="line1">Novellen</span><br /> -<span class="line2">von</span><br /> -<span class="line3">Ludwig Tieck.</span> -</p> - -<p class="vol"> -Erster Band. -</p> - -<p class="toc"> -<span class="line1"><a href="#part-1">Die Gemälde.</a></span><br /> -<span class="line2"><a href="#part-2">Die Verlobung.</a></span><br /> -<span class="line3"><a href="#part-3">Die Reisenden.</a></span><br /> -<span class="line4"><a href="#part-4">Musikalische Leiden und Freuden.</a></span> -</p> - -<p class="pub"> -Berlin,<br /> -Druck und Verlag von G. Reimer.<br /> -1844. -</p> - -</div> - -<div class="titlematter"> -<p class="ser"> -<span class="line1">Ludwig Tieck’s</span><br /> -<span class="line2">Schriften.</span> -</p> - -<p class="vol"> -Siebzehnter Band. -</p> - -<h1 class="title"> -Novellen. -</h1> - -<p class="pub"> -Berlin,<br /> -Druck und Verlag von G. Reimer.<br /> -1844. -</p> - -</div> - -<h2 class="part" id="part-1"> -<a id="page-1" class="pagenum" title="1"></a> -<span class="line1">Die Gemälde.</span><br /> -<span class="line2">Novelle.</span> -</h2> - -<p class="first"> -<a id="page-3" class="pagenum" title="3"></a> -<span class="firstchar">T</span>reten Sie nur indeß hier in den Bildersaal, sagte der -Diener, indem er den jungen Eduard herein ließ; der -alte Herr wird gleich zu Ihnen kommen. -</p> - -<p> -Mit schwerem Herzen ging der junge Mann durch -die Thüre. Mit wie so andern Gefühlen, dachte er bei -sich selbst, schritt ich sonst mit meinem würdigen Vater -durch diese Zimmer! Das ist das erste Mal, daß ich mich -zu dergleichen hergebe, und es soll auch das letzte seyn. -Wahrlich das soll es! Und es ist Zeit, daß ich von mir -und der Welt anders denke. -</p> - -<p> -Er trat weiter im Saale vor, indem er ein eingehülltes -Gemälde an die Wand stellte. Wie man nur so -unter leblosen Bildern ausdauern kann, und einzig in -ihnen und für sie da seyn! so setzte er seine stummen -Betrachtungen fort. Ist es nicht, als wenn diese Enthusiasten -in einem verzauberten Reiche untergehen? Für sie -ist nur die Kunst das Fenster, durch welches sie die Natur -und die Welt erblicken; sie können beide nur erkennen, -indem sie sie mit den Nachahmungen derselben vergleichen. -Und so verträumte doch auch mein Vater seine -Jahre; was nicht Bezug auf seine Sammlung hatte, war -für ihn nicht bedeutender, als wenn es unter dem Pole -<a id="page-4" class="pagenum" title="4"></a> -vorfiele. Seltsam, wie jede Begeisterung so leicht dahin -führt, unser Dasein und alle unsere Gefühle zu beschränken. -</p> - -<p> -Indem erhob er sein Auge, und war fast geblendet -oder erschrocken vor einem Gemälde, welches in der obern -Region des hohen Saales ohne den Schmuck eines Rahmens -hing. Ein blonder Mädchenkopf mit zierlich verwirrten -Locken und muthwilligem Lächeln guckte herab, -im leichten Nachtkleide, die eine Schulter etwas entblößt, -die voll und glänzend schien; in langen zierlichen Fingern -hielt sie eine eben aufgeblühte Rose, die sie den glühend -rothen Lippen näherte. Nun wahrlich! rief Eduard laut, -wenn dies Bild von Rubens ist, wie es seyn muß, so -hat der herrliche Mann in dergleichen Gegenständen alle -andern Meister übertroffen! Das lebt, das athmet! Wie -die frische Rose den noch frischeren Lippen entgegen blüht! -Wie sanft und zart die Röthe beider in einander leuchtet -und doch so sicher getrennt ist. Und dieser Glanz der -vollen Schulter, darüber die Flachshaare in Unordnung -gestreut! Wie kann der alte Walther sein bestes Stück -so hoch hinauf hängen und ohne Rahmen lassen, da all -das andre Zeug in den kostbarsten Zierden glänzt? -</p> - -<p> -Er erhob wieder den Blick und fing an zu begreifen, -welche gewaltige Kunst die der Malerei sei, denn -das Bild wurde immer lebendiger. Nein, diese Augen! -sprach er wieder zu sich selbst, ganz im Anschauen verloren; -wie konnten Pinsel und Farbe dergleichen hervorbringen? -Sieht man nicht den Busen athmen? die Finger -und den runden Arm sich bewegen? -</p> - -<p> -Und so war es auch in der That: denn in diesem -Augenblick erhob sich das reizende Bild, und warf mit -dem Ausdruck schelmischen Muthwillens die Rose herab, -<a id="page-5" class="pagenum" title="5"></a> -die dem jungen Mann in’s Gesicht flog, trat dann zurück -und verschloß klirrend das kleine Fenster. -</p> - -<p> -Erschrocken und beschämt nahm Eduard die Rose vom -Boden auf. Er erinnerte sich nun deutlich des schmalen -Ganges, welcher oben neben dem Saale weglief und zu -den höhern Zimmern des Hauses führte; die übrigen -kleinen Fenster waren mit Bildern verhangen, nur dieses -hatte man, um Licht zu gewinnen, in seinem Zustande -gelassen, und der Hausherr selbst pflegte von dort oft die -Gäste zu mustern, die seine Gallerie besuchen wollten. -Ist es möglich, sagte Eduard, nachdem er sich aller dieser -Umstände erinnert hatte, daß die kleine Sophie in -einem Zeitraume von vier Jahren zu einer solchen Schönheit -hat erwachsen können? — Er drückte unbewußt und -in sonderbarer Zerstreuung die Rose an den Mund, stellte -sich dann, starr auf den Boden sehend, an die Mauer, -und bemerkte nicht, daß der alte Walther schon seit einigen -Sekunden neben ihm stand, bis dieser ihn mit einem -freundlichen Schlage auf die Schulter aus seiner Träumerei -erweckte. Wo waren Sie? junger Mann, sagte er -scherzend; Sie sind wie einer, der eine Erscheinung gehabt -hat. -</p> - -<p> -So ist es mir selbst, sagte Eduard; vergeben Sie, -daß ich Ihnen mit meinem Besuche lästig falle. -</p> - -<p> -Wir sollten uns nicht so fremd seyn, junger Freund, -sagte der Alte herzlich; es ist nun schon länger als vier -Jahre, daß Sie mein Haus nicht betreten haben. Ist es -recht, den Freund Ihres Vaters, Ihren ehemaligen Vormund, -der es gewiß immer gut mit Ihnen meinte, wenn -wir gleich damals einige Differenzen mit einander hatten, -so ganz zu vergessen? -</p> - -<p> -<a id="page-6" class="pagenum" title="6"></a> -Eduard ward roth und wußte nicht gleich, was er -antworten sollte. Ich glaubte nicht, daß Sie mich vermissen -würden, stotterte er endlich. Es könnte Vieles, -Alles anders gewesen seyn; allein die Irrthümer der -Jugend — -</p> - -<p> -Lassen wir das, rief der Alte im frohen Muth; was -hindert uns, unsre ehemalige Bekanntschaft und Freundschaft -zu erneuern? Was führt Sie jetzt zu mir? -</p> - -<p> -Eduard sah nieder, dann warf er einen eiligen, -schnell abgleitenden Blick auf den alten Freund, zauderte -noch, und ging nun mit zögerndem Schritt nach dem -Pfeiler, wo das Gemälde stand, das er aus seiner Verhüllung -nahm. Sehen Sie hier, sagte er, was ich noch -unvermuthet in der Verlassenschaft meines seligen Vaters -gefunden habe, ein Bild, das in einem Bücherschranke -aufbewahrt war, den ich seit Jahren nicht eröffnet hatte; -Kenner wollen mir sagen, daß es ein trefflicher Salvator -Rosa sei. -</p> - -<p> -So ist es, rief der alte Walther mit begeisterten -Blicken. Ei, das ist ein herrlicher Fund! Ein Glück, -daß Sie es so unvermuthet entdeckt haben. Ja, mein -verstorbener lieber Freund hatte Schätze in seinem Hause, -und er wußte selber nicht, was er alles besaß. -</p> - -<p> -Er stellte das Bild in das rechte Licht, prüfte es -mit leuchtenden Augen, ging näher und wieder zurück, -begleitete aus der Ferne die Linien der Figuren mit einem -Kennerfinger und sagte dann: wollen Sie mir es ablassen? -Nennen Sie mir den Preis, und das Bild ist -mein, wenn es nicht zu theuer ist. -</p> - -<p> -Indem hatte sich ein Fremder herbei gemacht, der in -einer andern Wendung des Saales nach einem Julio -Romano zeichnete. Ein Salvator? fragte er mit etwas -<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a> -schneidendem Tone, den Sie wirklich als einen alten Besitz -in einer Verlassenschaft gefunden haben? -</p> - -<p> -Allerdings, sagte Eduard, den Fremden mit einem -stolzen Blicke musternd, dessen schlichter Oberrock und einfaches -Wesen etwa einen reisenden Künstler vermuthen -ließen. -</p> - -<p> -So sind Sie selbst hintergangen, antwortete der -Fremde mit einem stolzen, rauhen Tone, im Fall Sie -nicht hintergehen wollen; denn dieses Bild ist augenscheinlich -ein ziemlich modernes, vielleicht ist es ganz neu, -wenigstens gewiß nicht über zehn Jahre alt, eine Nachahmung -der Manier des Meisters, gut genug, um auf -einen Augenblick zu täuschen, das sich aber bei näherer -Prüfung dem Kenner bald in seiner Blöße zeigt. -</p> - -<p> -Ich muß mich sehr über diese Anmaßung verwundern, -rief Eduard aus, ganz aus aller Fassung gesetzt. -Im Nachlasse meines Vaters befanden sich lauter gute -Bilder und Originale, denn er und der Herr Walther -galten immer für die besten Kenner in der Stadt. Und -was wollen Sie? Bei unserm berühmten Kunsthändler -Erich hängt der Pendant zu diesem Salvator, für welchen -vor einigen Tagen ein Reisender eine sehr große -Summe geboten hat. Man halte beide zusammen und -man wird sehen, daß sie von einem Meister sind und zusammen -gehören. -</p> - -<p> -So? sagte der Fremde mit lang gedehntem Tone. -Sie kennen also oder wissen um jenen Salvator auch? -Freilich ist er von derselben Hand, wie dieser hier, das -leidet keinen Zweifel. In dieser Stadt sind die Originale -dieses Meisters selten, und Herr Erich und Walther besitzen -keines von ihm; aber ich bin mit dem Pinsel dieses -großen Meisters vertraut, und gebe Ihnen mein Wort, -<a id="page-8" class="pagenum" title="8"></a> -daß er diese Bilder nicht berührte, sondern daß sie von -einem Neueren herrühren, der Liebhaber mit ihnen hintergehen -will. -</p> - -<p> -Ihr Wort? rief Eduard in glühender Röthe; Ihr -Wort! Ich sollte denken, daß das Meinige hier eben so -viel, und noch mehr gölte! -</p> - -<p> -Gewiß nicht, sagte der Unbekannte, und außerdem -muß ich noch bedauern, daß Sie sich so von Ihrer Hitze -übereilen und verrathen lassen. Sie wissen also um die -Fabrikation dieses Machwerks, und kennen den nicht ungeschickten -Nachahmer? -</p> - -<p> -Nein! rief Eduard noch heftiger; Sie sollen mir -diese Beschimpfung beweisen, mein Herr! Diese Anmaßungen, -diese Unwahrheiten, die Sie so dreist herausstoßen, -kündigen einen mehr als gehässigen Charakter an. -</p> - -<p> -Der Geheimerath Walther war in der größten Verlegenheit, -daß diese Scene in seinem Hause vorfallen -mußte. Er stand prüfend vor dem Bilde, und hatte sich -schon überzeugt, daß es eine moderne, aber treffliche -Nachahmung des berühmten Meisters sei, die wohl auch -ein erfahrenes Auge hintergehen konnte. Ihn schmerzte -es innig, daß der junge Eduard in diesen bösen Handel -verwickelt war; die beiden Streitenden aber waren so heftig -erzürnt, daß jede Vermittlung unmöglich wurde. -</p> - -<p> -Was Sie da sprechen, mein Herr! rief der Fremde -jetzt auch in erhöhtem Tone, Sie sind unter meinem Zorn, -und ich bin erfreut, daß ein Zufall mich in diese Gallerie -geführt hat, um zu verhüten, daß ein würdiger Mann -und Sammler hintergangen wurde. -</p> - -<p> -Eduard schäumte vor Wuth. So ist es nicht gemeint -gewesen, sagte begütigend der Alte. -</p> - -<p> -<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a> -Wohl war das die Meinung, fuhr der Fremde fort; -es ist ein altes wiederholtes Spiel, bei dem man es nicht -einmal der Mühe werth gefunden hat, eine neue Erfindung -anzubringen. Ich sah in der Kunsthandlung jenen -sogenannten Salvator Rosa; der Eigenthümer hielt ihn -für ächt, und wurde noch mehr darin bestärkt, als ein -Reisender, der, der Kleidung nach, ein sehr vornehmer -Mann seyn konnte, einen hohen Preis für das Bildchen -bot; er wollte bei der Rückkehr wieder zusprechen, und -bat sich vom Kunsthändler aus, daß dieser das Gemälde -wenigstens vier Wochen nicht aus den Händen geben -sollte. — Und wer war dieser vornehme Herr? der weggejagte -Kammerdiener des Grafen Alten aus Wien. So -ist es klar, daß das Spiel, von wem es auch herrühre, -auf Sie, Herr Walther, und Ihren Freund Erich abgekartet -war. -</p> - -<p> -Eduard hatte indessen mit zitternden Händen sein -Bild schon wieder eingewickelt; er knirschte mit den Zähnen, -stampfte mit dem Fuße und schrie: der Teufel soll -mir diesen Streich bezahlen! So stürzte er zur Thüre -hinaus, und bemerkte nicht, daß das Mädchen wieder -von oben in den Saal herabschaute, die durch das <a id="corr-0"></a>Geschrei -der Streiter herbei gezogen worden war. -</p> - -<p> -Mein werther Herr, so wandte sich jetzt der Alte zu -dem Unbekannten, Sie haben mir weh gethan; Sie sind -zu rasch mit dem jungen Manne verfahren; er ist leichtsinnig -und ausschweifend, aber ich habe bis jetzt noch -keinen schlechten Streich von ihm gehört. -</p> - -<p> -Einer muß immer der erste seyn, sagte der Fremde -mit kalter Bitterkeit; er hat wenigstens heute Lehrgeld -gegeben, und kehrt entweder um, oder lernt so viel, daß -<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a> -man seine Sachen klüger anfangen, und auf keinen Fall -die Fassung verlieren muß. -</p> - -<p> -Er ist gewiß selbst hintergangen, sagte der alte Walther, -oder er hat wirklich das Bild, wie er sagt, gefunden, -und sein Vater, der ein großer Kenner war, hat es -schon deswegen, weil es nicht ächt ist, bei Seite geschafft. -</p> - -<p> -Sie wollen es zum Besten kehren, alter Herr, sagte -der Fremde; aber in diesem Falle wäre der junge Mensch -nicht so unanständig heftig geworden. Wer ist er denn -eigentlich? -</p> - -<p> -Sein Vater, erzählte der Alte, war ein reicher Mann, -der ein großes Vermögen hinterließ; er hatte eine so -starke Leidenschaft für die Kunst, wie gewiß nur wenige -Menschen ihrer fähig sind. Auf diese verwandte er einen -großen Theil seines Vermögens, und seine Sammlung -war unvergleichlich zu nennen. Darüber aber versäumte -er wohl etwas zu sehr die Erziehung dieses seines einzigen -Sohnes; so wie daher der Alte starb, war der junge -Mensch nur darauf bedacht, Geld auszugeben, mit Schmarotzern -und schlechtem Volke Umgang zu haben, sich -Mädchen und Equipagen zu halten. Als er majorenn -wurde, waren ungeheure Schulden bei Wucherern und -Wechsel zu bezahlen, aber er setzte seinen Stolz darein, -nun noch mehr zu verschwenden; die Kunstwerke wurden -verkauft, da er keinen Sinn für diese hat; ich nahm sie -für billige Preise. Jetzt hat er wohl, außer dem schönen -Hause, so ziemlich Alles durchgebracht, und auch auf -diesem mögen Schulden lasten; Kenntnisse hat er sich -schwerlich erworben, Beschäftigung ist ihm unleidlich, und -so muß man mit Bedauern sehen, wie er seinem Untergange -entgegen geht. -</p> - -<p> -<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a> -Die alltägliche Geschichte von so Vielen, bemerkte -der Unbekannte, und der gewöhnliche Weg unwürdiger -Eitelkeit, der die Menschen lustig in die Arme der Verachtung -führt. -</p> - -<p> -Wie haben Sie sich nur dieses sichre Auge erwerben -können? fragte der Rath; auch erstaune ich über die Art, -mit der Sie dem Julio nachzeichnen, da Sie doch kein -Künstler sind, wie Sie sagen. -</p> - -<p> -Aber ich studire seit lange die Kunst, antwortete der -Fremde; ich habe die wichtigsten Gallerieen in Europa -fleißig und nicht ohne Nutzen gesehen, mein Blick ist von -Natur scharf und richtig, und noch durch Uebung gebildet -und sicher gemacht, so daß ich mir schmeicheln darf, -wohl nicht so leicht, am wenigsten über meine Lieblinge -zu irren. -</p> - -<p> -Der Fremde empfahl sich jetzt, nachdem er dem -Sammler hatte versprechen müssen, am folgenden Mittage -bei ihm zu essen, denn der Alte hatte vor den Kenntnissen -des Reisenden große Achtung gewonnen. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Mit unbeschreiblichem Zorne ging Eduard nach Hause. -Er trat wüthend ein, warf alle Thüren heftig hinter sich -zu, und eilte durch die großen Gemächer nach einem kleinen -Hinterstübchen, wo in der Dämmerung der alte Eulenböck -bei einem Glase starken Weines seiner wartete. -Hier! schrie Eduard, du alter, schiefnasiger, weinverbrannter -Halunke, ist Deine Schmiererei wieder; verkauf -sie an den Seifensieder drüben, der sie in die Lichte gießen -kann, wenn ihm die Malerei nicht ansteht. -</p> - -<p> -Wäre Schade, sagte der alte Maler, um das gute -Bildchen, indem er sich mit der größten Kaltblütigkeit -<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a> -ein neues Glas einschenkte. Hast Dich erhitzt, Freundchen; -und der Alte hat von dem Kauf nichts wissen -wollen? -</p> - -<p> -Schelm! schrie Eduard, indem er das Bild heftig -hinwarf; und um Deinetwillen bin ich auch zum Schelm -geworden! Beschimpft, gekränkt! O und wie beschämt -vor mir selber, glühend Kopf und Hals hinunter, daß -ich mir aus Liebe zu Dir solche Lüge erlaubte. -</p> - -<p> -Ist keine Lüge, liebes Männchen, sagte der Maler, -indem er das Bild auswickelte, ist ein so veritabler Salvator -Rosa, wie ich nur noch je einen gemalt habe. Hast -mich ja nicht daran arbeiten sehen, und kannst also nicht -wissen, von wem das Bild herrührt. Du hast kein Geschick, -mein Hänschen; ich hätte Dir die Sache nicht anvertrauen -sollen. -</p> - -<p> -Ich will ehrlich seyn, rief Eduard, und schlug mit -der Faust auf den Tisch; ich will ein ordentlicher Mensch -werden, daß Andre und ich selber wieder Achtung vor -mir haben! Ganz anders will ich werden, einen neuen -Lebenswandel will ich anfangen! -</p> - -<p> -Warum Dich erboßen? sagte der Alte und trank. -Ich will Dich nicht hindern; mich wird’s freuen, wenn -ich das erlebe. Ich habe ja immer an Dir ermahnt und -Dir vorgepredigt; ich habe Dich auch an Beschäftigung -zu gewöhnen gesucht, ich habe Dir das Restauriren lehren -wollen, Firnisse bereiten, Farben reiben, in Summa, -ich habe es an nichts bei Dir fehlen lassen. -</p> - -<p> -Hund von Kerl! rief Eduard, Dein Junge, Dein -Farbenreiber sollt’ ich werden? Aber freilich, ich bin ja -heute noch tiefer gesunken, da ich mich zum Spitzbuben -eines Spitzbuben habe gebrauchen lassen. -</p> - -<p> -<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a> -Was das Kind für ehrenrührige Ausdrücke braucht, -sagte der Maler und schmunzelte in sein Glas hinein; -wenn ich mir so was zu Herzen nähme, so hätten wir -die Schlägerei oder bittre Feindschaft hier zur Stelle. Er -meint es aber gut in seinem Eifer; der Junge hat was -Nobles in seinem ganzen Wesen, allein zum Bilderhändler -taugt er freilich nicht. -</p> - -<p> -Eduard legte sich mit dem Kopf auf den Tisch, und -der Maler wischte schnell einen Weinfleck ab, damit der -Jüngling nicht mit dem Aermel hineinfahre. Der gute -liebe Salvator, sagte er dann bedächtig, soll auch nicht -das beste Leben geführt haben; sie geben ihm gar Schuld, -er sei Bandit gewesen. Als Rembrandt sich bei lebendigem -Leibe für todt ausgab, um den Preis seiner Werke -zu erhöhen, war er auch nicht ganz der Wahrheit treu -geblieben, ob er gleich wirklich einige Jahre später starb, -und sich also nur in der Jahreszahl etwas verrechnet -hatte. So, wenn ich nun solch Bildchen in aller Liebe -und Demuth male, mich in den alten Meister und alle -seine lieben Eigenheiten recht sanftselig und saumthunlich -hineindenke, daß mir immer ist, als führte des Verstorbnen -Seelchen mir Hand und Pinsel; und das Ding ist -dann fertig, und nickt mir mit rechter Herzlichkeit seinen -Dank zu, daß ich auch was vom alten Virtuosen geliefert -habe, der doch nicht Alles hat machen und nicht -ewig hat leben können, und ich mich nun, vollends nach -einem Glase Wein, indem ich es mit tieferer Prüfung -beschaue, rechtgläubig überzeuge, daß es vom alten Herrn -wirklich herrührt, und ich übergebe es so einem andern -Liebhaber des Seligen, und verlange nur ein Billiges -für die Mühe, daß ich mir die Hand habe führen, mein -eignes Ingenium derzeit unterdrücken lassen, an der Verringerung -<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a> -meines eignen Künstlernamens zu arbeiten, — -ist denn das so himmelschreiende Sünde, Freundchen, -wenn ich mich selbst auf solche kindliche Weise aufopfre? -</p> - -<p> -Er hob den Kopf des Liegenden auf, verwandelte -aber seine grinsende Freundlichkeit in eben so verzerrten -Ernst, als er die Wangen des Jünglings voll Thränen -sah, die in einem heißen Strome unaufhaltsam aus den -Augen stürzten. O meine verlorne Jugend! schluchzte -Eduard: o ihr goldnen Tage, ihr Wochen und Jahre! -wie seid ihr doch so sündlich verschleudert worden, als -läge nicht in euern Stunden der Keim der Tugend, -der Ehre und des Glücks; als sei dieser köstlichste Schatz -der Zeit jemals wieder zu gewinnen. Wie ein Glas abgestandenes -Wasser hab’ ich mein Leben und den Inhalt -meines Herzens ausgegossen. Ach! welch Dasein hätte -mir aufgehen können, welch Glück mir und Andern, -wenn ein böser Geist nicht meine Augen verblendete. Segensbäume -wuchsen und schatteten um mich und über -mir, in denen der Freund, die Gattin und die Bedrängten -Hülfe, Trost, Heimath und Frieden fanden; und ich -habe die Axt im schwindelnden Uebermuth an diesen Hain -gelegt, und muß nun Frost, Sturm und Hitze dulden! -</p> - -<p> -Eulenböck wußte nicht, welch Gesicht er machen, -noch weniger, was er sagen sollte, denn in dieser Stimmung, -mit solchen Gesinnungen hatte er seinen jungen -Freund noch niemals gesehen; er war endlich nur froh -und beruhigt, daß dieser ihn nicht bemerkte, so daß er in -behaglicher Heimlichkeit seinen Wein ausleerte. -</p> - -<p> -Tugendhaft also willst Du werden, mein Sohn? fing -er endlich an. Auch gut. Wahrlich! wenige Menschen -sind für die Tugend so portirt, als ich selber, denn es -gehört schon ein scharfer Blick dazu, um nur zu wissen, -<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a> -was Tugend ist. Knausern, den Leuten abzwacken, sich -und unserm Herrgott etwas vorlügen, ist gewiß keine. -Wer aber das rechte Talent dazu hat, der findet’s auch. -Wenn ich einem verständigen Mann zu einem guten Salvator -oder Julio Romano von meiner Hand verhelfe, -und er freut sich dann, so habe ich immer noch besser -gehandelt, als wenn ich einem Pinsel einen ächten Rafael -verkaufe, den der Gimpel nicht zu schätzen weiß, so -daß ihm im Grunde seines Herzens ein geschniegelter -Van der Werft mehr Freude machen würde. Meinen -großen Julio Romano muß ich nun wohl in eigner Person -verkaufen, da Du zu dergleichen weder Gaben noch -Glück hast. -</p> - -<p> -Diese armseligen Sophistereien, sagte Eduard, können -auf mich nicht mehr wirken; diese Zeit ist vorüber, -und Du magst Dich nur in Acht nehmen, daß sie Dich -nicht ertappen; denn mit Laien mag es Dir wohl gelingen, -aber nicht mit Kennern, wie der alte Walther -einer ist. -</p> - -<p> -Laß gut seyn, mein Kindchen, sagte der alte Maler, -die Kenner sind gerade am besten zu betrügen, und mit -einem Unerfahrnen möcht’ ich gar nicht einmal anfangen. -O dieser gute, alte, liebe Walther, dies feine Männchen! -Hast Du nicht den schönen Höllenbreughel gesehen, der -am dritten Pfeiler zwischen der Skizze von Rubens und -dem Portrait von Van Dyk hängt? Der ist von mir. -Ich kam zu dem Männchen mit dem Gemälde: Wollen -Sie nicht etwas Schönes kaufen? „Was! rief er; solche -Fratzen, Tollheiten? Das ist nicht meine Sache; zeigen -Sie doch. Nun, ich nehme sonst dergleichen Unsinn bei -mir nicht auf, indessen weil in diesem Bilde doch etwas -mehr Anmuth und Zeichnung ist, als man sonst bei diesen -<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a> -Phantasien trifft, so will ich mit ihm einmal eine -Ausnahme machen.“ In Summa, er hat’s behalten, -und zeigt’s den Leuten, um seinen vielseitigen Geschmack -zu beurkunden. -</p> - -<p> -Eduard sagte: aber willst Du denn nicht auch noch -ein rechtlicher Mann werden? Es ist doch die höchste -Zeit. -</p> - -<p> -Mein junger Bekehrer, rief der Alte, ich bin es -längst; Du verstehst das Ding nicht, auch bist Du mit -Deinem heißen Anlauf noch nicht durch. Stehst Du am -Ziel, und bist glücklich allen Klippen, Halseisen, Leuchtpfählen -vorüber, dann winke mir nur dreist, und ich steure -Dir vielleicht nach. Bis dahin laß mich ungeschoren. -</p> - -<p> -So trennt sich also unsre Laufbahn, sagte Eduard, -indem er ihn wieder freundlich anblickte; ich habe viel -versäumt, aber doch noch nicht Alles, mir bleibt noch -etwas von meinem Vermögen, mein Haus. Hier will -ich mich einfach einrichten, und beim Prinzen, der binnen -Kurzem hier ankommen wird, eine Stelle als Secretair -oder Bibliothekar suchen, vielleicht reise ich mit ihm; -vielleicht, daß anderswo ein Glück — oder, wenn das -nicht, so beschränke ich mich hier, und suche Arbeit und -Beschäftigung in meiner Vaterstadt. -</p> - -<p> -Und wann soll das Tugendleben losgehen? fragte -der Alte mit grinsendem Lachen. -</p> - -<p> -Gleich, sagte der Jüngling, morgen, heut, diese -Stunde! -</p> - -<p> -Narrenspossen! sagte der Maler und schüttelte den -greisen Kopf; zu allen guten Dingen muß man sich Zeit -lassen, sich vorbereiten, einen Anlauf nehmen, die alte -Periode mit einer Feierlichkeit beschließen und die neue -eben so beginnen. Das war eine herrliche Sitte, daß in -<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a> -manchen Gegenden unsere Vorfahren das Carneval mit rechter -ächter Ausgelassenheit zu Grabe trugen, daß sie zuletzt noch -einmal recht toll aufjubelten und sich in der Lust übernahmen, -um nachher ungestört und ganz ohne Gewissensskrupel -fromm seyn zu können. Laß uns der verehrlichen -Sitte nachfolgen; Brüderchen, sieh, ich bin Dir so gut, -gieb uns und Deinen Launen noch einmal so einen rechten -ausgesuchten Weinschmaus, so einen hohen Valet- -und Abschied-Hymnus, daß wir, besonders ich, Deiner -gedenken; laß uns beim besten Wein bis in die tiefe -Nacht hinein jubeln, dann gehst Du rechts ab zur Tugend -und Mäßigkeit, und wir andern bleiben links, wo -wir sind. -</p> - -<p> -Schlemmer! sagte Eduard lächelnd: wenn Du nur -einen Vorwand findest, Dich zu betrinken, so ist Dir Alles -recht. Es sei also am heiligen Dreikönigs-Abend. -</p> - -<p> -Da ist ja noch vier Tage hin, seufzte der Alte, indem -er den letzten Rest ausschlürfte, und sich dann -schweigend entfernte. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Wir werden heut eine kleine Tischgesellschaft haben, -sagte der Rath Walther zu seiner Tochter. -</p> - -<p> -So? fragte Sophie. Und wird der junge Eduard -auch herkommen? -</p> - -<p> -Nein, antwortete der Vater. Wie fällst Du auf -diesen? -</p> - -<p> -Ich dachte nur, sagte Sophie, daß Sie ihm vielleicht -durch eine Einladung die unangenehme Scene etwas -vergüten wollten, die er ohne Ihren Willen in Ihrem -Hause hat erleiden müssen. -</p> - -<p> -<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a> -Heute würde es am wenigsten passen, erwiederte der -Alte, da gerade der Mann mit uns speisen wird, von -dem der junge Mensch beleidigt ward. -</p> - -<p> -So? der? sagte das Mädchen mit gedehntem Tone. -</p> - -<p> -Es scheint, der fremde Mann ist Dir unangenehm. -</p> - -<p> -Recht sehr, rief Sophie; denn erstlich, kann ich es -von Niemand leiden, wenn man nicht genau weiß, wer -er ist; solch Incognito ist in der Fremde allerliebst, um -für etwas Besonderes zu gelten, wenn hinter dem Menschen -gerade gar nichts steckt, und so ist es gewiß mit -diesem Unbekannten, der ganz das Wesen eines vacirenden -Hofmeisters oder Secretairs hat, der sich gestern in -Ihrer Gallerie ein Ansehen gab, als wenn er der oberste -Direktor aller Heiden-Bekehrungsanstalten wäre. -</p> - -<p> -Du sagtest: erstens! fragte der Vater lächelnd: nun -also zweitens? -</p> - -<p> -Zweitens ist er fatal, sagte sie lachend, und drittens -ist er unausstehlich, und viertens hasse ich ihn wahrhaft. -</p> - -<p> -Das ist freilich erstens und letztens bei euch, sagte -der Alte. Uebrigens erscheint noch mein Freund Erich -und der junge Maler Dietrich, so wie der wunderliche -Eulenböck. -</p> - -<p> -Da haben wir ja alle Zeitalter beisammen, rief Sophie -aus, alle Arten von Geschmack und Gesinnung! -Kommt nicht etwa auch noch der junge Herr von Eisenschlicht, -um mir das Leben recht sauer zu machen? -</p> - -<p> -Der Vater hob den Finger drohend auf, sie ließ sich -aber nicht irren, sondern fuhr schnell und unwillig fort: -es ist ja wahr, daß ich in dieser Gesellschaft meines Lebens -niemals froh werde; das schwatzt, und guckt, und -ist artig, und lügt, und wird unausstehlich durch einander, -daß ich statt solcher Mahlzeiten lieber drei Tage hungern -<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a> -möchte. Solche verliebte Leute sind mir so zuwider, -wie unreife Johannisbeeren! jedes Wort von ihnen -schmeckt mir noch sauer nach acht Tagen, und verdirbt mir -auch die Zunge für alle bessere Früchte. Der alte krummnasige, -kupfrige Sünder ist mir noch von allen der liebste, -denn er denkt doch nicht daran, mich wie ein Möbel in -seine Stuben hinzustellen. -</p> - -<p> -Diese Art und Weise, sagte der Vater, ist mir an -Dir selbst leid, ja recht verdrüßlich, weil ich bei Deinem -starren Eigensinn noch gar nicht absehen kann, wie Du -Dich je ändern möchtest. Du weißt nun, wie ich über -die Ehe und die sogenannte Liebe denke, wie sehr Du -mich glücklich machen würdest, wenn Du Deinen Willen -brechen wolltest — -</p> - -<p> -Ich muß nach der Küche sehen, rief sie plötzlich: ich -muß Ihnen heute Ehre machen; vergessen Sie nur nicht -die guten Weine, damit der röthliche Eulenböck nicht Ihren -Keller in schlechten Ruf bringt. So lief sie hinaus, -ohne eine Antwort abzuwarten. -</p> - -<p> -Der Alte ging an seine Geschäfte, indessen die Tochter -Küche und Tisch besorgte. Sie hatte jenes Gespräch -so plötzlich abgebrochen, weil es der Wunsch des Vaters, -den sie nur gar zu gut kannte, war, sie mit seinem -Freunde Erich zu verheirathen, der zwar nicht mehr jung, -indessen auch noch nicht so sehr in Jahren vorgerückt war, -daß ein solcher Plan lächerlich gewesen wäre. Erich hatte -bei seinem Handel ein ansehnliches Vermögen erworben; -in diesem Augenblicke besaß er eine Sammlung ganz vorzüglicher -Bilder aus den italienischen Schulen, und Walther -hatte den Gedanken, daß, falls seine Tochter sich -noch zu dieser Heirath bereden ließe, Erich alsdann seinen -Handel einstellen, und diese vorzüglichen Gemälde seiner -<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a> -Gallerie einverleiben solle, damit der Schwiegersohn diese -dann nach seinem Tode als eine recht ausgezeichnete besäße -und erhielte. Denn es war ihm fürchterlich, sich -diese treffliche Sammlung einst wieder zerstreut zu denken, -vielleicht gar unter dem Preise verkauft und an Menschen -vergeudet, bei denen die Bilder durch Unverstand zu -Grunde gehen könnten. Seine Leidenschaft für Malerei -war so groß, daß er auf jeden Fall seines Freundes Bilder -für eine sehr große Summe gekauft haben würde, -wenn ihn nicht der Erwerb eines ansehnlichen Gutes und -großen Gartens, die er seiner Tochter zurück lassen wollte, -gehindert und ihm jetzt jede Auslage, vorzüglich aber -eine so bedeutende, unmöglich gemacht hätten. Indem er -seine Briefe schrieb, zerstreuten ihn diese Gedanken unaufhörlich. -Er gedachte dann des jungen Malers Dietrich, -eines hübschen blonden Jünglings; und ob ihm gleich -dessen Art, die Kunst auszuüben, so wenig wie die, sich -zu kleiden, recht war, so hätte er doch auch diesen gern -als Schwiegersohn umarmt, weil er überzeugt seyn -konnte, daß der junge Mensch für sein Kunstvermächtniß -die höchste Ehrerbietung hegen würde. Der alte Maler -Eulenböck konnte ihm für seine Plane nie in die Gedanken -kommen; aber seit gestern hatte er den fremden Kunstkenner -mit väterlichem Auge gemustert, und die schnippische -Antwort der Tochter, mit der sie sich über diesen geäußert -hatte, war ihm daher um so empfindlicher. Er -mochte es sich nicht gestehen, aber er dachte, wenn er in -die Zukunft schaute, weit mehr an das Heil seiner Sammlung, -als an das Glück seines Kindes. Selbst der junge -Herr von Eisenschlicht, der Sohn eines Wucherers, wäre -ihm zum Eidam erwünscht gewesen, weil der junge Mensch -auf Reisen sich ziemlich gebildet hatte; und da dieser zugleich -<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a> -die Neigungen seines Vaters besaß, so ließ sich -wohl erwarten, daß er aus jeder Rücksicht eine so kostbare -Sammlung in Ehren halten würde. -</p> - -<p> -So war der Vormittag verstrichen, und die Gäste -fanden sich nach und nach ein. Zuerst der jüngste, Dietrich, -im sogenannten altdeutschen Rocke, die weißlichen -Haare auf den Schultern hängend, und mit einem blonden -Bärtchen, der sein rosenrothes durchsichtiges Antlitz -nicht entstellte. Er erkundigte sich sogleich angelegentlich -nach der Tochter, und diese erschien, geschmückt, in einem -grünseidenen Kleide, das den Glanz ihres Gesichts und -Nackens wunderbar erhob. Der Jüngling begann sogleich -eben so verlegen als zudringlich ein Gespräch mit Sophien, -das um so trockner wurde, um so mehr er es -überschwenglich zu machen suchte. Gestört und getröstet -wurden beide durch das Erscheinen des alten Eulenböck, -der mit seinem braunrothen Gesicht wunderlich aus einer -hellgrünen Weste und weißlichem Frack heraus schien, da -er es, wie viele ausgemacht häßliche Menschen, liebte, -sich in auffallende Farben zu kleiden. Die jungen Leute -konnten kaum das Lachen unterdrücken, als sie ihn sich -linkisch hereindrehen, grimassirend grüßen und mit falscher -Artigkeit stolpern sahen, wobei sich sein schiefes Gesicht, -die kleinen grellen Augen und die seitwärts gedrehte Nase -noch wunderlicher ausnahmen. Der Fremde ließ lange -auf sich warten, und Sophie spöttelte wieder über die -Anmaßung, den vornehmen Mann zu spielen, bis er endlich, -schlicht gekleidet, erschien und es der Gesellschaft -möglich machte, sich in das Speisezimmer zu begeben, in -welchem sie Erich schon fanden, der dort ein Gemälde befestigt -hatte, welches der Fremde und die Maler in Augenschein -nehmen sollten. -</p> - -<p> -<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a> -Sophie saß zwischen Erich und dem Unbekannten, -obgleich Dietrich einen vergeblichen Versuch gemacht hatte, -sich an ihre Seite einzuschieben. Eulenböck, der alles bemerkte, -und der am liebsten seine Bosheit in das Gewand -der Gutmüthigkeit hüllte, drückte dem jungen Menschen -die Hand und dankte ihm wie gerührt, daß er so lange -herum gekreuzt sei, um nur neben einem alten Manne -zu sitzen, der zwar auch die Kunst liebe und ausübe, indessen -freilich mit seinen abnehmenden Kräften dem Fluge -der neuern Schule nicht mehr nachstreben könne, an -deren Enthusiasmus er aber doch sein altes Feuer -wieder anzünde und seine schon kalten Lebensgeister -erwärme. Dietrich, der noch jung genug war, um -alles dies für Ernst zu halten, wußte nicht Dankbarkeit -genug auszudrücken, noch hinlängliche Bescheidenheit -aufzutreiben, um diese Demuth aufzuwägen. -Der alte Schelm freute sich, daß ihm seine Verstellung -gelang, und machte den gutmüthigen Jüngling -immer treuherziger, der in diesem alten Knaben schon -einen Schüler von sich zu sehen wähnte, und dabei im -Stillen berechnete, wie er dessen practische Kenntnisse zu -höhern Zwecken brauchen wolle, ohne daß der Alte merken -müsse, wie der neue Lehrer wieder zugleich sein Schüler -sei. -</p> - -<p> -Indessen diese beiden sich so zu täuschen suchten, war -das Gespräch des Fremden und des Wirthes zum Theil -zufällig, und von der andern Seite klug gelenkt, auf die -Ehe gefallen; denn der alte Walther ließ nicht leicht eine -Gelegenheit vorübergehen, seine Gedanken über diesen -Gegenstand auszusprechen. Ich habe niemals, sagte er, -mit den Ansichten übereinstimmen können, die nun etwa -seit funfzig Jahren zur allgemeinen Mode geworden sind. -<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a> -Ich nenne sie Mode, weil ich mich nie, obgleich ich auch -jung gewesen bin, habe überzeugen können, daß sie in -der Natur gegründet sind. Kann man läugnen, daß einzelne -Menschen zu gewissen Zeiten leidenschaftlichen Stimmungen -und Verirrungen ausgesetzt gewesen? Nur zu -häufig haben wir die bösen Folgen <a id="corr-1"></a>des Zornes, der Trunkenheit, -der Eifersucht und Wuth wahrnehmen müssen. -Eben so ist auch nicht zu läugnen, daß vielfaches Unheil -und seltsame Begebenheiten aus jenen gesteigerten Empfindungen, -die man Liebe nennt, hervorgegangen sind. -Es ist nur die Rede von jener Verkehrtheit, daß der -Mensch zwar alle andere Verwirrungen vermeidet, und -sich der Ueberraschung der Leidenschaften zu entwöhnen -sucht, Alle aber sich seit einer gewissen Zeit damit brüsten, -ja es für nothwendig zum Leben halten, die Liebe -und ihre wilden Zustände und leidenschaftlichen Verwirrungen -erlebt zu haben. -</p> - -<p> -Der Unbekannte sah den Wirth ernsthaft an und -nickte ihm zu, worauf der Alte mit erhöhter Stimme -fortfuhr: -</p> - -<p> -Möchte man am Ende auch einer gewissen Billigkeit -nachgeben, und diese Zustände der sogenannten Liebenden, -in denen, wie sie uns erzählen, die ganze Welt ihnen im -schönern Lichte erscheint, und in welchen sie sich aller ihrer -Seelenkräfte erhöht und vielfacher bewußt werden -(obgleich sie in jenem Schlummerwachen in der Regel -träge, und zu keiner Arbeit zu bringen sind), natürlich -finden: was thut, frag’ ich nun, alles dies, auch noch -so glücklich sich wendend, um eine vernünftige und gute -Ehe zu schließen? Ich würde nie meine Einwilligung -geben, wenn ich das Unglück hätte, an meiner Tochter -einmal diese Verstandesverwirrung zu bemerken. -</p> - -<p> -<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a> -Sophie lächelte; der junge Dietrich sah sie erröthend -an, und Eulenböck trank mit großem Wohlbehagen, indeß -der Fremde den Alten mit Ernst anhörte, der, seiner -Sache gewiß, um so eifriger fortfuhr: Nein, wohl dem -Manne, der, mit dieser verkehrenden Leidenschaft völlig -unbekannt, den vernünftigen Entschluß faßt, sich in den -Stand der Ehe zu begeben, und Heil dem Mädchen, das -züchtig den Gemahl findet, ohne jene Scenen des Wahnsinns -je mit ihm gespielt zu haben, denn alsdann findet -sich jene Zufriedenheit, jene Ruhe und jener Segen, der -unsern Vorfahren nicht unbekannt war, und den die heutige -Welt nicht mehr achten will. In diesen Ehen, welche -nach vernünftiger Ueberlegung, in Demuth und stiller -Ergebenheit geschlossen wurden, fanden die Menschen damals -im wachsenden Vertrauen, in zunehmender Zärtlichkeit -und im gegenseitigen Ertragen der Schwächen ein -Glück, welches dem jetzigen hochfahrenden Geschlechte zu -geringe erscheint, und das auch darum nur Elend und -Noth, Unzufriedenheit und Mißverständniß, Zwietracht -und Verachtung im Garten seines Lebens baut. Früh -schon an den Rausch der Leidenschaft gewöhnt, suchen sie -auch diesen in der Ehe, und verachten die Nothwendigkeit -des alltäglichen Lebens, erneuern dann rechts und -links in mannigfaltigen und immer geringeren Abwechselungen -die Kunststücke ihres Liebeshandwerks, und gehen -so in Schlechtigkeit und Selbstbetrug unter. -</p> - -<p> -Sehr bitter, aber wahr, sagte der Unbekannte mit -nachdenklicher Miene. -</p> - -<p> -Es ist wie mit allen Bitterkeiten, flüsterte Sophie -ihrem Nachbar zu, sie fallen zu schwer auf die Zunge; -man kann nicht recht unterscheiden, ob es schmeckt, oder -<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a> -nur allen Geschmack betäubt; dergleichen ist natürlich für -den wahr, der Liebhaber davon ist. -</p> - -<p> -Eulenböck, der diesen Ausspruch auch gehört hatte, -lachte, und der Vater, der die Sache nur halb verstanden, -wandte sich mit Heiterkeit zu seinem fremden Gaste: -wir sind also darüber einig, daß nur die sogenannten -Conventionsheirathen glücklich seyn können; ich werde -auch niemals Anstand nehmen, meine einzige und nicht -unbegabte oder arme Tochter einem Manne zu geben, -sei er, von welchem Stande er wolle, dessen Charakter -mir werth ist, und dessen Kenntnisse ich, vorzüglich in -der Kunst, achten muß, damit auch meine Enkel noch die -Früchte meines Fleißes ärnten, und nicht in alle Winde -und in die Häuser der Unwissenden das verstreut werde, -was Liebe, Aufopferung, Studium und unermüdeter -Fleiß in dieser Wohnung versammelt haben. -</p> - -<p> -Er sah den Fremden mit gefälligem Lächeln an; -doch dieser, der bis jetzt ihm freundlich erwiedert hatte, -machte eine fast finstere Miene und sagte nach einer kleinen -Pause: die Sammlungen von Privatpersonen können -niemals lange bestehen; wer die Kunst liebt, sollte, falls -er gesammelt hat, seine Schätze um ein Billiges Fürsten -verkaufen, oder sie größern Gallerieen durch Testament -einverleiben. Darum kann ich auch den Plan mit Ihrer -Tochter nicht billigen, wenn ich auch mit Ihren Ansichten -von der Ehe einverstanden bin. Und überhaupt ist -es in Ansehung jeder Heirath eine mißliche Sache. Wenn -ich nicht versprochen wäre und tausend dringende Ursachen -mich zwängen, mein Wort nicht zu brechen, so würde -ich meiner Neigung nach immer unverheirathet bleiben. -</p> - -<p> -Der Alte wurde roth und sah vor sich nieder, dann -fing er mit seinem Nachbar, nicht ohne Verlegenheit, ein -<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a> -anderes Gespräch an. Die neuliche Auction der Kupferstiche, -sagte der Gemäldehändler, ist bei weitem nicht so -ergiebig ausgefallen, als es der Eigenthümer sich versprochen -hatte. Das ist häufig mit Auctionen der Fall, -warf die Tochter mit schnippischem Tone dazwischen: darum -sollte sich kein Mensch damit einlassen, den nicht die -äußerste Noth dazu treibt. -</p> - -<p> -Dietrich war noch zu unerfahren, um den Zusammenhang -dieser Gespräche einzusehen; er redete treuherzig -und eifrig über die Barbarei der Auctionen, in denen oft -die kostbarsten Seltenheiten übersehen, viele Kunstwerke -durch die Gaffer und Handlanger beschädigt, und der -Ruhm großer Meister, so wie das Gefühl ächter Bewunderer, -schmerzlich verletzt würden. Dadurch gewann er -die gute Meinung des Vaters, der die getrübte Miene -erheiterte und ihm mit Freundlichkeit Recht gab. Sophie, -welche fürchten mochte, daß ein neuer Antrag im verdeckten -Wege des Kunstenthusiasmus vorgeschoben werden -sollte, fragte schnell den jungen Maler, ob er mit seinem -Marienbilde bald fertig sei, oder ob er vorher die Abnahme -vom Kreuz vollenden wolle? -</p> - -<p> -Sie malen also auch dergleichen rührende Gegenstände? -fragte der Unbekannte, indem er mit einem fast -schielenden Blicke zum jungen Manne herüber blinzelte. -Mich wundert es immer von Neuem, daß Menschen in -ihren besten und heitersten Jahren mit dergleichen Gegenständen -ihre Zeit und Imagination verderben können. -Der heiligen Familien haben wir wohl, dächte ich, in -der Kunst genug; da ist nichts Neues anzubringen und -zu erfinden, und jene Leichname und Verzerrungen des -Schmerzes widerstreben so völlig allem Reiz und dem -Genuß der Sinne, daß ich mein Auge immer davon abwenden -<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a> -muß. Die Kunst soll unser Leben erhöhen und -erheitern, alle Dürftigkeiten desselben und aller Jammer -der Welt soll uns in ihrer Nähe verschwinden; nicht aber -darf unsre Phantasie durch ihre Hervorbringungen geängstigt -und gefoltert werden. Im heitern, frischen Licht soll -die Sinnenwelt spielen, und in freundlichem Reiz uns -schmeicheln und auf diese Weise erheben. Schönheit ist -Freude, Leben, Kraft. Der hat sich noch wenig verstanden, -der Nacht und düstre Gefühle sucht. Oder gehören -Sie auch etwa zu denen, die sich vor dergleichen Bildern -mit erzwungener Gläubigkeit entzücken, und verlangen, -daß in uns eine Art von Andacht sich entzünden soll, -um den Gegenstand zu verstehen und christlich zu würdigen? -</p> - -<p> -Und wäre denn das, rief Dietrich mit einer gewissen -Eil und Heftigkeit, etwas so Unerhörtes, oder nur Besonderes? -Im Schönen, wenn es erscheint, wird der Reiz -der Sinnenwelt zum Göttlichen erhöht, und so wird die -stumme Ehrfurcht, die hülflose Rührung unbegeisterter -Gemüther durch die Kunst zur himmlischen Andacht erhoben. -Es ist, wenn auch verzeihlich, doch abgeschmackt, -wenn bloß des frommen Gegenstandes wegen ein elendes -Bild den gläubigen Beschauer entzückt, aber es ist mir -völlig unbegreiflich, wenn sich ein fühlendes Herz vor -der Sixtinischen Maria zu Dresden des Glaubens und -der Andacht erwehren kann. Ich weiß es wohl, daß die -neuen Bestrebungen jüngerer Künstler, zu denen ich mich -auch bekennen muß, bei vielen trefflichen Leuten großes -Aergerniß erregt haben, aber man sollte sich doch endlich -ohne Leidenschaft überzeugen, daß das alte, ganz ausgefahrene -Geleise kein Weg mehr ist. Was haben diejenigen, -die diese neue Lehre zuerst wieder aufbrachten, denn -<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a> -anders gewollt, als das Gemüth wieder erwecken, welches -seit langer Zeit bei allen Kunstproductionen als -ganz überflüssig angesehen worden war? Und hat denn -diese neue Schule nicht schon vieles Achtungwürdige hervorgebracht? -Ein Geist offenbart sich, das ist nicht abzuläugnen, -der sich kräftigen wird und ausbilden, ein -neuer Weg ist gefunden, auf welchem freilich, wie bei -jeder Begeisterung, mancher Unberufene auch das Uebertriebene, -Widerwärtige und ganz Tadelswürdige hervorbringen -wird. Ist denn aber das Schlechte dieser Zeit -wirklich schlechter, als was weiland ein gefeierter <em>Casanova</em> -erschuf, oder das Leere leerer, als jenes kalte Abschreiben -der mißverstandnen Antike, das jene ganze frühere -Zeit als einen großen Lückenbüßer in der Kunstgeschichte -darstellt? Waren denn nicht bizarre Manieristen -auch damals die tröstenden Erscheinungen? Und hat -denn der Hülfverein für die Kunst, von verehrten Männern -gestiftet, etwas Tüchtiges hervorbringen können? -</p> - -<p> -Junger Mann, sagte der Unbekannte mit der schneidendsten -Kälte: ich müßte zehn Jahre jünger, oder Sie -einige älter seyn, wenn ich über so wichtigen Gegenstand -mit Ihnen streiten sollte. Dieser neue phantastische Traum -hat sich der Zeit bemächtigt, das ist freilich nicht zu -läugnen, und muß nun bis zum Erwachen fortgeschlummert -werden. Waren jene, die Sie tadeln wollen, vielleicht -zu nüchtern, so sind dafür die jetzt Gepriesenen in -einem kränklichen Rausch befangen, indem ihnen ein wenig -schwaches Getränk zu Kopfe gestiegen ist. -</p> - -<p> -Sie wollten nicht streiten, rief der junge Maler, und -thun mehr, Sie sind bitter. In der Leidenschaft ist man -wenigstens keines freien Urtheils fähig. Ob die Parthei, -<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a> -für die Sie mit solchen Waffen kämpfen, dadurch gewinnen -kann, muß die Zukunft entscheiden. -</p> - -<p> -Sophie sah den Jüngling ermuthigend mit einem -schadenfrohen Blicke an, Walther war schon besorgt; doch -nahm der Bilderhändler Erich das Gespräch beruhigend -auf und sagte: sobald sich ein heftiger Widerstreit in der -Zeit regt, so ist es ein Zeichen, daß etwas Wirkliches in -der Mitte liegt, das den Streit wohl verdient, und welches -der Mitlebende nicht ganz ignoriren darf, wenn er -nicht unbillig seyn will. Seit lange war die Kunst aus -dem Leben getreten, und nur ein Artikel des Luxus geworden; -darüber vergaß man, daß sie jemals mit Kirche -und Welt, mit Andacht und Begeisterung zusammengehangen -hatte, und kalte Kennerschaft, Vorliebe für das -Kleine und gemeine Natürlichkeit, so wie ein erkünstelter -Enthusiasmus mußten sie erzeugen. Weiß ich doch die -Zeit noch, wo man in den Gallerieen die schönsten Werke -eines Leonardo nur als merkwürdige und sonderbare Alterthümer -vorwies, selbst Rafael wurde nur mit einschränkender -Kritik bewundert, und über noch ältere große -Meister zuckte man die Achseln, und betrachtete die Malereien -der früheren Deutschen oder Niederländer niemals -ohne Lachen. Diese Barbarei der Unwissenheit ist doch -jetzt vorüber. -</p> - -<p> -Wenn nur keine neue und schlimmere darüber entstände! -rief Eulenböck, vom Weine hochroth erglühend, -indem er dem Unbekannten einen feurigen Blick zuwarf. -Mir thut es immer weh, daß in unsern Tagen das Wort -des ächten Kenners fast nie mehr gehört wird; der Enthusiasmus -übertönt die Einsicht, und doch ist für den -Künstler nichts so lehrreich, als ein Gespräch mit einem -ächten Kunstfreunde, das ihn belehre und erhebe, da -<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a> -es ihm oft in Jahren nicht so gut wird, dergleichen zu -genießen. -</p> - -<p> -Der Fremde, welcher schon verstimmt und heftig zu -werden schien, ward nach diesen Worten wieder heiter -und freundlich. Künstler und Freunde der Kunst, erwiederte -er, sollten sich immer aufsuchen, um beständig von -einander zu lernen. So war es in voriger Zeit, und -auch dies war eine der Ursachen, daß die Malerei gedieh. -Die Phantasie eines jeden Schaffenden ist beschränkt und -ermattet, wenn sie nicht von außen angefrischt und bereichert -wird, und dies kann nur durch verständige, freundliche -Mittheilungen geschehen; ohne zu erwähnen, was -Correktheit, Anmuth der Behandlung und Auswahl der -Gegenstände gewinnen. -</p> - -<p> -Sie haben sich, antwortete der alte Maler, einen -Künstler vorzüglich ausersehen, den ich auch gewissermaßen -mehr als alle liebe. -</p> - -<p> -Ich gestehe, sagte der Fremde, daß ich ihm mein -Herz vielleicht etwas zu ausschließlich zugewendet habe. -Es war mir früh vergönnt, einige ausgezeichnete Werke -des Julio Romano kennen zu lernen und zu verstehen; -in Mantua fand ich auf meinen Reisen Gelegenheit, ihn -zu studiren, und seitdem glaube ich, meine Vorliebe auch -rechtfertigen zu können. -</p> - -<p> -Gewiß, erwiederte der Alte, wird Ihr Aufenthalt dort -zu den schönsten Epochen Ihres Lebens gehören. Habe -ich doch zu meinem innerlichen Verdruß in neueren Zeiten -auch manchen Tadel dieses großen Geistes hören müssen, -vorzüglich, daß er die geistlichen Gegenstände nicht -mit der gehörigen Innigkeit behandle. Einem Jeden ist -nicht <em>alles</em> gegeben. Aber die Verklärung des frischen -sinnlichen Lebens, die Herrlichkeit des freien Muthwillens, -<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a> -das Spiel der lebendigsten Phantasie waren ihm vorbehalten. -Und ist dem jungen Wallfahrer sein Herz noch -für den Reichthum dieses glänzenden Geistes verschlossen, -so wandre er nur nach Mantua, um dort in dem Pallast -<span class="antiqua">T</span> kennen zu lernen, was Erd’ und Himmel, möcht’ ich -fast sagen, Herrliches in sich fassen; wie in den Schrecken -des Riesensturzes noch Lust und Scherz gaukelnd, und in -dem Saale des Amor und Psyche in der Trunkenheit des -Entzückens die himmlische Erscheinung der vollendeten -Schönheit sich verklären. -</p> - -<p> -Der junge Dietrich sah seinen abtrünnigen Anhänger -schon seit lange mit großen Augen an; er konnte diesen -Abfall nicht begreifen und nahm sich vor, mit dem -Alten in einer vertrauten Stunde darüber zu sprechen; -denn wenn er auch die Bewunderung des Julius gelten -ließ, so schien ihm doch die erste Hälfte des Gesprächs -geradezu im Widerspruch mit der früheren Aeußerung -Eulenböcks zu stehen, der sich aber um dergleichen Nebendinge -nicht kümmerte, sondern sich mit dem fremden -Kunstfreunde in so lebhaften Enthusiasmus hineinschwatzte, -daß beide auf lange Zeit weder die übrigen hörten, noch -sie zu Worte kommen ließen. -</p> - -<p> -Erich wollte eine Aehnlichkeit des Fremden mit einem -Verwandten Walthers bemerken; darüber kam man in -das Kapitel der Aehnlichkeiten, und wie sonderbar sich in -den Familien, oft in der fernsten Verzweigung am deutlichsten, -gewisse Formen wiederholen. Sonderbar ist es -auch, sagte der Wirth, daß die Natur oft ganz wie die -Kunst verfährt. Wenn ein Niederländer und ein Italiener -aus der vorigen Zeit ein und dasselbe Bildniß malen -sollten, so würden beide die Aehnlichkeit auffassen, aber -jeder ein ganz verschiedenes Portrait und eine ganz andere -<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a> -Aehnlichkeit hervorbringen. So kannte ich in meiner -Jugend eine Familie, die aus vielen Kindern bestand, an -denen allen die Physiognomie der Aeltern und nur eine -Hauptform, aber unter verschiedenen Bedingungen ausgeprägt -war, so klar und sicher, als wenn die Kinder Bildnisse -von demselben Gegenstande, von verschiedenen großen -Malern gezeichnet, wären. Die älteste Tochter war wie -von Correggio gemalt mit feinem Teint und zierlicher -Form; die zweite war dasselbe Gesicht, aber größer, voller, -wie aus der florentinischen Schule; die dritte hatte -das Ansehen, als habe Rubens das nehmliche Portrait -auf seine Art gemalt; die vierte wie ein Bild von Dürer; -die nächste wie aus der französischen Schule, glänzend, -voll, aber unbestimmt, und die jüngste wie ein -flüssig gemaltes Werk von Leonard. Es war eine Freude, -diese Gesichter unter sich zu vergleichen, die mit denselben -Formen, in Ausdruck, Farbe und Lineamenten wieder so -verschieden waren. -</p> - -<p> -Erinnern Sie sich des wunderbaren Portraits, fragte -Erich, welches Ihr alter Freund in seiner Sammlung besaß, -und welches sich mit so vielen andern Sachen auf -eine unerklärliche Weise verloren hat? -</p> - -<p> -Ja wohl! rief der alte Walther aus, wenn es nicht -von Rafaels Händen war, wie einige behaupten wollen, -so war es wenigstens von einem vorzüglichen Meister, der -nach diesem Muster die Kunst mit Glück studirt hatte. -Wenn einige Neuere von der Kunst des Portraitirens als -von einer geringen Sache sprechen wollten, oder die gar -den Maler erniedrige, so durfte man sie nur vor dieses -wunderwürdige Bildniß führen, um sie zu beschämen. -</p> - -<p> -Wie, sagen Sie, so wandte sich der Fremde lebhaft -zum alten Rath, es sind außer diesem trefflichen Stück -<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a> -noch andere merkwürdige Gemälde verloren gegangen? -Auf welche Weise? -</p> - -<p> -Ob verloren, sagte Walther, kann man so eigentlich -nicht sagen; aber sie sind unsichtbar geworden, und vielleicht -in’s ferne Ausland verkauft. Mein Freund, der -Herr von Essen, der Vater des jungen Menschen, den -Sie neulich in meinem Saale trafen, wurde mit zunehmendem -Alter launenhaft und wunderlich. Die Liebe zur -Kunst hatte uns befreundet, und ich kann sagen, daß ich -sein ganzes Vertrauen besaß. Wir ergötzten uns an unsern -Sammlungen, und die seinige übertraf damals bei -weitem die meinige, die ich erst durch die Nachläßigkeit -seines Sohnes so ansehnlich habe vermehren können. Wenn -wir uns einmal ein rechtes Fest geben wollten, so setzten -wir uns in sein Cabinet, in welchem die ausgesuchtesten -seiner Werke versammelt waren. Diese hatte er mit vorzüglich -prächtigen Rahmen einfassen lassen, und sie sinnreich -bei einer sehr vortheilhaften Erleuchtung geordnet. -Außer jenem Portrait sah man dort eine so unvergleichliche -Landschaft von <em>Nicolas Poussin</em>, wie mir noch -nie eine vorgekommen ist. Im sanften Abendlicht fuhr -Christus mit seinen Jüngern auf dem Wasser. Die Lieblichkeit -des Wiederscheins der Häuser und Bäume, die -klare Luft, die Durchsichtigkeit der Wellen, der edle Charakter -des Erlösers und die himmlische Ruhe, die über -dem Ganzen schwebte und unser Gemüth wie in Wehmuth -und friedlicher Sehnsucht auflöste, ist nicht zu beschreiben. -Daneben hing ein Christus mit der Dornenkrone -von <em>Guido Reni</em>, von einem Ausdrucke, wie ich ihn -seitdem auch nicht wieder gesehen habe. Der alte Freund -wollte sonst in seinem Eigensinne den trefflichen <em>Guido</em> -vielleicht zu wenig gelten lassen; aber vor diesem Bilde -<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a> -war er immer entzückt, und es ist wahr, man sah es, so -oft man es sah, jedesmal von Neuem; die vertraute Bekanntschaft -mit ihm erhöhte nur den Genuß, und ließ -immer neue, noch geistigere Schönheiten entdecken. Dieser -Ausdruck der Milde, des ergebenen Duldens, der -himmlischen Güte und des Verzeihens mußten auch das -starrste Herz durchdringen. Es war nicht jene gesteigerte -Leidenschaftlichkeit, wie man wohl in andern ähnlichen -Bildern des Guido wahrnimmt, und die uns bei trefflicher -Behandlung des Gegenstandes doch eher zurück stößt, -als anzieht, sondern es war das süßeste, wie das schmerzlichste -Gemälde. Durch die zarten Fleischpartien unter -Wange, Kinn und Auge sah und fühlte man den ganzen -Schädel, und dieser Ausdruck des Leidens erhöhte nur die -Schönheit. Gegenüber war eine Lukretia von demselben -Meister, die sich mit starkem vollen Arm den Dolch in -den schönen Busen stieß. In diesem Bilde war der Ausdruck -groß und kräftig, die Farbe unvergleichlich. Eine -Mutter, die dem schlafenden Kinde das Tuch vom nackten -Körper nimmt, und Joseph und Johannes den Schläfer -betrachtend, die Figuren lebensgroß, waren von einem -alten römischen Meister so herrlich und graziös dargestellt, -daß jede Beschreibung nur unzulänglich ist. Aber -wohl möchte ich Worte suchen, um auch nur eine schwache -Vorstellung von dem einzigen <em>Van Eyck</em> zu geben, einer -Verkündigung, welche doch vielleicht die Krone der Sammlung -war. Hat sich die Farbe je als eine Tochter des -Himmels verherrlicht, ist mit Licht und Schatten jemals -gespielt, und im Spiel die edelste Rührung der Seele erweckt -worden, haben Lust, Begeisterung, Poesie und -Wahrheit und Adel sich je in Figuren und Färbung auf -eine Tafel gelegt, so war es in diesem Bilde geschehen, -<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a> -welches mehr als Malerei und Zauber war. Ich muß -abbrechen, um mich nicht selbst zu vergessen. Diese Bilder -waren die vorzüglichsten; aber ein <em>Hemling</em>, ein -herrlicher <em>Annibal Carracci</em>, ein kleines Bild, Christus -zwischen den Kriegsknechten, eine Venus, vielleicht -von Titian, wären wohl noch der Erwähnung werth, und -kein Bild war in diesem Cabinet, das nicht jeden Freund -der Kunst beglückt hätte. Und, denken Sie, fassen Sie -die Sonderbarkeit des Alten, kurz vor seinem Tode sind -alle diese Stücke verschwunden, ohne Spur verschwunden. -Hat er sie verkauft? Er hat nie diese Frage beantwortet, -und seine Bücher hätten es nach seinem Tode ausweisen -müssen, die aber nichts davon sagten. Hat er -sie verschenkt? Aber wem? Man muß fürchten, und -der Gedanke ist herzzerreißend, er hat sie in einer Art -von wahnsinniger Schwermuth, weil er sie wohl keinem -andern Menschen auf Erden gönnen mochte, kurz vor seinem -Tode vernichtet. Vernichtet! Fassen Sie es, begreift -ein Mensch diese furchtbare Abwesenheit, wenn mein Verdacht -gegründet ist? -</p> - -<p> -Der Alte war so erschüttert, daß er seine Thränen -nicht zurück halten konnte, und Eulenböck zog ein ungeheures -gelbseidenes Tuch aus der Tasche, um in auffallender -Rührung sein dunkelrothes Gesicht abzutrocknen. -Erinnern Sie sich wohl noch, hub er schluchzend an, des -sonderbaren Bildes von <em>Quintin Messys</em>, auf dem ein -junger Schäfer und ein Mädchen in seltsamer Tracht abgebildet -waren, beide herrlich ausgearbeitet, und wovon -er behauptete, die Figuren sähen seinem Sohne und Ihrer -Tochter ähnlich. -</p> - -<p> -Die Aehnlichkeit war damals auffallend, erwiederte -Erich. Sie haben aber noch den Johannes zu nennen -<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a> -vergessen, der wenigstens mit dem <em>Guido</em> wetteifern -konnte. Dies Bild war vielleicht von <em>Domenichino</em>, -wenigstens war es jenem berühmten äußerst ähnlich. Dieser -Blick des Jünglings nach dem Himmel, die Begeisterung, -die Sehnsucht, zugleich die Wehmuth, daß er schon -das Göttliche auf Erden gesehen, als Freund umarmt -und als Lehrer verstanden hatte, dieser Wiederschein einer -entschwundnen Vergangenheit im Spiegel des edeln Antlitzes -war rührend und erhebend. — O, wenige von diesen -Bildern könnten den jungen Mann retten und wieder -wohlhabend machen. -</p> - -<p> -Wäre doch Alles an ihm verloren, rief Eulenböck -aus. Er würde es doch nur wieder vergeuden. Was -habe ich nicht an ihm ermahnt! Aber er hört auf den -ältern Freund und die Stimme der Erfahrung nicht. Nun -endlich, da ihm das Wasser doch wohl mag an die Seele -gehen, ist er in sich geschlagen; er sah, daß ich über sein -Unglück bis zu Thränen gerührt war, da hat er mir in -meine Hand versprochen, sich von Stund an zu bessern, -zu arbeiten und ein ordentlicher Mensch zu werden. Wie -ich ihn hierauf gerührt umarme, reißt er sich lachend los -und ruft: aber erst vom heiligen Dreikönigs-Abend an -soll dieser Vorsatz gelten, bis dahin will ich noch lustig -seyn und in der alten Bahn fortlaufen! Was ich auch -sagen mochte, Alles war umsonst; er drohte, wenn ich -ihm nicht seinen Willen ließe, die ganze Besserung wieder -aufzugeben. — Ei nun, das Fest ist in einigen Tagen, -die Frist ist nur kurz; Sie können aber wenigstens -daraus sehen, wie wenig auf seine guten Vorsätze zu -bauen ist. -</p> - -<p> -Von jeher, sagte Sophie, ist er zu sehr mit frommen -Leuten umgeben gewesen; aus Widerspruch hat er sich -<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a> -auf die andre Seite gewandt, und so hat freilich sein -Eigensinn verhindert, daß der Umgang mit den Tugendhaften -ihm hat nützlich werden können. -</p> - -<p> -Sie haben gewissermaßen Recht, rief der alte Maler. -Hat er sich nicht von dem Pietisten, dem langweiligen alten -Musikdirektor Henne seit einiger Zeit wie belagern -lassen? Aber ich versichere Sie, dessen trockne Predigten -können unmöglich an ihm haften; auch wird der Alte beim -dritten Glase betrunken, und so kommt er aus dem Text. -</p> - -<p> -Er hat es zu arg getrieben, bemerkte der Wirth: -dergleichen Menschen, wenn Unordnung und Verschwendung -erst ihre Lebensweise geworden sind, können sich niemals -wieder zurecht finden. Das rechtliche, wahre Leben -erscheint ihnen gering und bedeutungslos; sie sind verloren. -</p> - -<p> -Sehr wahr, sagte Eulenböck: und um Ihnen nur -ein auffallendes Beispiel seiner Raserei zu geben, so hören -Sie, wie er es mit seiner Bibliothek anfing. Er -erbte eine unvergleichliche Büchersammlung von seinem -würdigen Vater; die herrlichsten Ausgaben der Classiker, -die größten Seltenheiten der italienischen Literatur, die -ersten Ausgaben des Dante und Petrarca, nach denen -man auch wohl in berühmten Städten umsonst fragt. -Nun fällt es ihm ein, er müsse einen Secretär haben, der -zugleich diese Bibliothek in Ordnung halten solle, die neu -angekauften Werke in das Verzeichniß eintragen, die -Werke systematisch aufstellen und dergleichen mehr. Ein -junger wüster Mensch meldet sich zu diesem wichtigen -Amte, und wird auch gleich angenommen, weil er zu -schwatzen weiß. Zu schreiben ist nicht viel, aber trinken -muß er lernen, und der Unterricht schlägt bei dem lockern -Vogel an. Das wilde Leben nimmt gleich seinen Anfang; -alle Tage toll und voll, Bälle, Maskeraden, Schlittenfahrten, -<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a> -die halbe Stadt frei gehalten. So fehlt es -denn nun schon nach einem halben Jahre, als der junge -Gelehrte sich seinen Gehalt ausbittet, an baarem Gelde. -Man fällt auf den Ausweg, daß er für den Gehalt des -ersten Jahres an Büchern nach einer billigen Taxe nehmen -dürfe. Herr und Diener kennen aber den Werth der -Sachen nicht, die auch nur für den Kenner kostbar sind, -und deren finden sich nicht auf allen Gassen. Die theuersten -Werke werden ihm also lächerlich wohlfeil überlassen, -und da man die Auskunft einmal gefunden hat, so wiederholt -sich das Spiel immer wieder, und um so öfter, -da der neue Günstling zuweilen Gelegenheit hat, für seinen -Patron baare Auslagen zu machen, die ihm in Büchern -wieder erstattet werden. So fürchte ich, sind von -der Büchersammlung vielleicht nur noch die Schränke -übrig geblieben. -</p> - -<p> -Ich weiß am besten, sagte der Rath, wie unverantwortlich -man mit den Büchern umgegangen ist. -</p> - -<p> -Das sind ja alles erschreckliche Geschichten, sagte -Sophie: wer möchte sie nur von seinem Feinde so wieder -erzählen? -</p> - -<p> -Das Schlimmste aber, fuhr Eulenböck fort, war denn -doch seine Leidenschaft für die berüchtigte schöne Betty; -denn diese that das im Großen, was alle seine übrigen -Thorheiten an seinem Wohlstand nur im Kleinen vernichten -konnten. Sie hat auch seinen Charakter zu Grunde -gerichtet, der sich ursprünglich zum Guten neigte. Er ist -gutherzig, aber schwach, so daß Jeder, welcher sich seiner -bemächtigt, aus ihm machen kann, was er will. Meine -gutgemeinten Worte verschollen nur in den Wind. Bis -in die tiefe Mitternacht hinein habe ich zuweilen auf die -eindringlichste Art gesprochen, aber es war nur Schade -<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a> -um alle meine Ermahnungen. Sie hatte ihn so in Stricken, -daß er selbst seine redlichsten und ältesten Freunde -um ihrerwillen mißhandeln konnte. -</p> - -<p> -Indem erhob man sich von der Tafel, und während -der gegenseitigen Begrüßungen nahm Sophie die Gelegenheit -wahr, indem sie dem alten Maler die Hand reichte, -der sie ihr zierlich küßte, ihm deutlich zuzuflüstern: o Sie -abscheulichster von allen abscheulichen Sündern, Sie undankbarer -Heuchler! Wie kann es Ihr verkehrtes Herz -über sich gewinnen, den öffentlich zu lästern, von dessen -Wohlthaten Sie sich bereichert haben, dessen Leichtsinn -Sie benutzen, um ihn mit andern Gehülfen elend zu machen? -Bisher habe ich Sie nur für abgeschmackt, aber -gutmüthig gehalten; ich sehe aber, daß Sie nicht ohne -Ursache eine wahre Teufels-Physiognomie tragen! Ich -verabscheue Sie! — Sie stieß ihn mit Bewegung zurück, -und eilte dann aus dem Zimmer. -</p> - -<p> -Die Gesellschaft ging in den Bildersaal, wo der Kaffee -herum gereicht wurde. Was war denn meiner Tochter? -fragte der Rath den Maler: sie schien so eilig und -hatte Thränen im Auge. -</p> - -<p> -Ein gutes, liebes Kind, schmunzelte Eulenböck. Sie -sind recht glücklich, Herr Geheimer Rath, bei diesem -empfindsamen Herzen Ihrer Tochter. Sie war so liebevoll -um meine Gesundheit besorgt; sie findet meine Augen -entzündet, und meinte gar, ich könnte erblinden: darüber -ist sie denn so gerührt worden. -</p> - -<p> -Ein treffliches Kind! rief der Vater aus: wenn ich -sie nur erst gut versorgt sähe, daß ich in Frieden sterben -könnte. Der Fremde war noch zurück geblieben, um das -neue Gemälde in Augenschein zu nehmen, welches Erich -ihm im Speisezimmer zeigte; jetzt kam er mit diesem zur -<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a> -Gesellschaft und Dietrich folgte. Sie waren Alle im lebhaften -Gespräch begriffen; der Fremde tadelte den Gegenstand, -welchen Dietrich vertheidigen wollte. Wenn <em>Teniers</em> -und ähnliche Niederländer, sagte der letztere, die -Versuchung des heiligen Antonius komisch und fratzenhaft -dargestellt haben, so ist diese Laune ihrer Stimmung zu -vergeben, so wie ihrem Talent nachzusehen, da sie das -Würdige nicht zu erschaffen wußten. Der Gegenstand aber -fordert eine ernste Behandlung, und dem alten deutschen -Meister dort ist sie ohne Zweifel gelungen; wenn der Beschauer -nur unpartheiisch seyn kann, so wird er sich von -seinem Bilde angezogen und befriedigt fühlen. -</p> - -<p> -Dieser Gegenstand, nahm der Fremde das Wort, ist -keiner für die bildende Kunst. Die ängstigenden Träume -eines wahnsinnigen Alten, die Gespenster, die er in seiner -Einsamkeit sieht, und die ihn durch falschen Reiz oder -Entsetzen von seiner melancholischen Beschaulichkeit abziehen -wollen, können nur in das Gebiet fratzenhafter Phantome -fallen, und auch nur phantastisch dargestellt werden, -wenn es überhaupt erlaubt seyn soll. Dagegen dort die -weibliche Gestalt, welche sich edel zeigen will und zugleich -reizend, eine enthüllte Schönheit in der Fülle der Jugend, -und die doch nur ein verkleidetes Gespenst ist; die wilden -Gestalten umher, die durch den grellen Contrast sie noch -mehr hervorheben, das Entsetzen des Alten, der sich im -Vertrauen wieder zu finden sucht, diese Vermischung der -widersprechendsten Gefühle ist durchaus widersinnig, und -Schade um Talent und Kunst, die sich an dergleichen abarbeitend -verschwenden und vernichten. -</p> - -<p> -Ihr Zorn, sagte Dietrich, enthält das schönste Lob -des Bildes. Ist denn nicht Alles, was den Menschen -versucht, nur Gespenst, in die lockende Gestalt der Schönheit -<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a> -verhüllt, oder sich scheinbar mit nichtigem Entsetzen -verpanzernd? Sollte eine Darstellung, wie jene, nicht -gerade in unsern neuesten Tagen eine doppelte Bedeutung -erhalten? Allen kommt diese Versuchung, die sich noch -ihres Herzens nicht ganz bewußt sind; aber in jenem Heiligen -sehen wir den festen und reinen Blick, der über die -Furcht erhaben ist, und längst die wahre unsichtbare -Schönheit kennt, um Grauen und geringe Lüsternheit von -sich zu weisen. Das wahre Schöne führt uns in keine -Versuchung; das, was wir wirklich fürchten dürfen, erscheint -nicht in Larve und Unform. Das Bestreben jenes -alten Meisters läßt sich daher vor dem gebildeten Sinne -rechtfertigen; nicht so Teniers und seines Gleichen. -</p> - -<p> -Das Tolle, das Alberne und Abgeschmackte ist ein -Unendliches, rief der Unbekannte: es ist es eben dadurch, -daß es sich in keine Gränze fassen läßt, denn durch die -Schranke wird alles Vernünftige: das Schöne, Edle, -Freie, Kunst und Enthusiasmus. Weil sich aber etwas -Ueberirdisches, Unaussprechliches beimischt, so meinen die -Thoren, es sei das Unbedingte, und sündigen im angemaßten -Mystizismus in Natur und Phantasie hinein. -Sehn Sie diesen tollen <em>Höllenbreughel</em> hier am Pfeiler? -Weil sein Auge gar keinen Blick mehr hatte für -Wahrheit und Sinn, weil er sich ganz von der Natur -lossagte, und Aberwitz und Unsinn ihm als Begeisterung -und Verständniß galten, so ist er mir vom ganzen Heere -der Fratzenmaler geradezu der liebste, da er ohne Weiteres -die Thüre zuschlug und den Verstand draußen ließ. -Sehn Sie den Riesensaal von <em>Julio Romano</em> in Mantua, -seine wunderlichen Aufzüge mit Thieren und Centauren -und allen Wundern der Fabel, seine Bacchanalien, -seine kühne Vermischung des Menschlichen, Schönen, -<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a> -Thierischen und Frechen; vertiefen Sie sich in diese Studien, -dann werden Sie erst wissen, was ein wirklicher -Poet aus diesen sonderbaren und unverstandenen Stimmungen -unsers Gemüthes machen kann und darf, und -wie er im Stande ist, auch in diesem, aus Träumen geflochtenen -Netz, die Schönheit zu fangen. -</p> - -<p> -Auf solchem Wege, sagte Dietrich, sind wir mit allen -Dingen sehr bald fertig, wenn wir nur eine Norm -und Regel annehmen, in leidenschaftlicher Verblendung -alles Göttliche auf Einen Namen übertragen, und von -dem einseitigen Erkennen seiner dann abweisen, was er -nicht geleistet hat, oder nicht leisten konnte, der doch auch -nur ein Einzelner und ein Sterblicher war, dessen Blick -nicht in alle Tiefen drang, und dem wenigstens der Tod -die Palette aus der Hand nahm, wäre er selbst fähig gewesen, -alle Erscheinungen aus seinen Fingern quellen zu -lassen. Schranke muß seyn; wer bezweifelt das? Aber -so manche Altklugheit, die sich im Halten der Regel so -groß dünkt, erinnert mich immer wieder an die sonderbare -Eigenschaft des Hahns, der, wie unbändig und kriegerisch -er auch thut, wenn er auf die Seite gelegt wird, -und man von seinem Schnabel aus einen Kreidestrich auf -den Boden hinzieht, unbeweglich und andächtig liegen -bleibt, weil er sich, wer weiß von welcher Naturnothwendigkeit, -philosophischer Regel oder unerlaßlichen Kunstschranke -gefesselt glaubt. -</p> - -<p> -Sie werden unbescheiden, mein junger altdeutscher -Herr, sagte der Fremde in etwas hohem Tone. Die gute -Erziehung wird freilich bald zu den verlorenen Künsten -gerechnet werden müssen. -</p> - -<p> -Dafür ist aber wohl gesorgt, versetzte Dietrich, daß -Uebermuth nicht ausstirbt, und Dünkel bei frischen Kräften -<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a> -bleibt. Er verbeugte sich schnell gegen den Hausherrn -und verließ die Gesellschaft. -</p> - -<p> -Ich weiß nicht wie ich dazu komme, so behandelt zu -werden, sagte der Fremde. Scheint doch über diesem Saal -ein Unheil zu walten, daß ich hier immer auf Riesen -treffe, die mich in den Staub legen wollen. -</p> - -<p> -Der alte Walther war sehr mißmuthig, daß in seinem -Hause solche Scenen vorfielen. So wie er den Fremden -schon bei Tische hatte aufgeben müssen, so gab er -nun auch den Gedanken auf, jemals den jungen Maler -zum Schwiegersohn in Vorschlag zu bringen. Begütigend -wendete er sich zu dem Fremden, der in seinem Zorn dem -Höllenbreughel eine größere Aufmerksamkeit schenkte, als -außerdem geschehen seyn würde. Nicht wahr, fing er an, -ein in seiner Art treffliches Gemälde? -</p> - -<p> -Das schönste von diesem Meister, das ich bisher gesehen, -erwiederte der verstimmte junge Mann. Er nahm -sein Glas zu Hülfe, um es genauer zu prüfen. Was ist -das? rief er plötzlich: sehen Sie, wo die Beine der beiden -Teufel zusammen kommen, und der feurige Schweif -des Dritten, wird ein Gesicht, ein recht wunderlich ausdrucksvolles -Profil gebildet, und, ich irre mich nicht, es -gleicht auffallend hier Ihrem ältern Freunde, dem braven -Künstler. -</p> - -<p> -Alle drängten sich hinzu, keiner hatte diesen sonderbaren -Einfall noch bemerkt. Eulenböck, der Schalk, -spielte am meisten den Erstaunten. Daß mein Andenken, -sagte er, sich in diesem seltsamen Stammbuche finden -sollte, hätte ich mir nicht träumen lassen; sollte der boshafte -Maler aber mein Profil schon in der Vorzeit geahndet -haben, so ist es doch zu ruchlos, daß dieser Feuerschweif -gerade meine etwas rothe Nase formiren muß. -</p> - -<p> -<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a> -Das Ding, sagte Erich, ist so sonderbar angebracht, -daß man wirklich nicht ergründen kann, ob es Vorsatz, -oder bloßer Zufall ist. Walther betrachtete das Profil im -Bilde, dann musterte er die Physiognomie seines Freundes, -schüttelte den Kopf, ward nachdenkend und nahm -zerstreut Abschied, als der Fremde sich mit Eulenböck beurlaubte, -der sich dessen Begleitung erbeten hatte, um ihm -seine Kunstwerke zu zeigen. -</p> - -<p> -Was ist Dir? fragte Erich, der mit dem Alten allein -im Saale zurück geblieben war. Du scheinst über -den sonderbaren Scherz des Zufalls verdrüßlich, der uns -alle zum Lachen gezwungen hat; ist doch der Säufer hinlänglich -dadurch bestraft, daß diese Teufelscompagnie so -artig sein Portrait zusammen setzen muß. -</p> - -<p> -Hältst Du es denn wirklich auch für Zufall? rief -Walther erzürnt aus: siehst Du denn nicht ein, daß der -alte Schelm mir dies Bild betrügerisch aufgeheftet hat, -daß es von ihm herrührt? Schau nur hieher, ich habe -ihn vor den Andern nicht beschämen wollen; aber nicht -genug an dieser Abschattung von sich selbst, hat er auch -noch dem großen Teufel da oben, der die Seelen in einer -Handmühle mahlt, in seinem ungeheuren Schnauzbart -fein den Namen Eulenböck eingeschrieben. Ich entdeckte -die Kritzelei schon unlängst einmal; ich glaubte aber, da -es nicht ganz deutlich war, es habe der Maler, oder ein -Anderer, Höllenbreughel hineinschreiben wollen; so erklärte -es mir der alte Schuft auch selbst, der mir, wie -ich es ihm zeigte, Ellenbröeg herauslas, und hinzufügte, -die Künstler hätten sich nie um die Orthographie viel gekümmert. -Nun geht mir erst ein Licht auf, daß der verruchte -Säufer auch nur den jungen Mann verführt hat, -mir den Salvator zu verkaufen, daß Du einen solchen von -<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a> -ihm ebenfalls erhalten hast; und dabei müssen wir noch -fürchten, unsre Gesichter einmal, wer weiß, unter welchen -abscheulichen Gegenständen, irgendwo unanständig auf -pasquillantische Weise angebracht zu sehen. -</p> - -<p> -Er war so zornig, daß er die Faust aufhob, um das -Bild zu zerstören. Aber Erich hielt ihn zurück und sagte: -Vernichte nicht im Unmuth ein merkwürdiges Produkt -eines Virtuosen, das Dich in Zukunft wieder ergötzen wird. -Rührt es von unserm <em>Eulenböck</em> her, wie ich jetzt selber -glauben muß, und sind gar noch die beiden <em>Salvators</em> -von ihm, so muß ich die Geschicklichkeit des Mannes bewundern. -Toll ist die Art, wie er sich selbst gezeichnet -hat; indessen kann dieser Uebermuth nur ihm selber schädlich -werden, da ich und Du uns nun wohl hüten werden, -von ihm zu kaufen, von denen er außerdem wohl -noch manchen Thaler gelöst hätte. Aber Dich wurmt -noch etwas Anderes, ich sehe es Dir wohl an. Kann -ich Dir rathen? Ist es vielleicht die alte Besorgniß um -Deine Tochter? -</p> - -<p> -Ja, mein Freund, sagte der Vater: und wie ist es -mit Dir? Hast Du selbst meinen Worten nachgedacht? -</p> - -<p> -Viel und oft, erwiederte Erich: aber, lieber Grillenfänger, -wenn es auch glückliche Ehen ohne Leidenschaft -geben kann, so muß doch eine Art von Neigung da seyn; -die finde ich aber nicht, und ich kann es Deiner Tochter -nicht verdenken, — wir sind uns zu ungleich. Schade -wär’ es auch, wenn das liebe Wesen mit seinen lebhaften -Empfindungen nicht glücklich werden sollte. -</p> - -<p> -Durch wen? rief der Vater, es findet sich ja Niemand, -den sie mag, und der sich für sie paßt; Du trittst -völlig zurück, der fremde hochmüthige Gast hat mich heut -mit seiner vornehmen Art recht empfindlich geärgert; aus -<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a> -dem jungen Herrn Dietrich würde nie ein gescheidter Ehemann -werden, da er sich gar nicht in die Welt zu schicken -weiß, wie ich gesehen habe, und vom jungen Eisenschlicht -darf ich ihr gar nicht einmal sprechen. Dazu ist mir -auf’s Neue der Verlust der herrlichen Bilder auf das Herz -gefallen. Wo der Satan sie nur hingeführt hat! Sieh, -meinem ärgsten Feinde möchte ich sie gönnen, wenn sie -nur da wären! — Und dann — hab’ ich nicht auch noch -eine Verschuldung gegen Eduard? Du weißt, zu welchen -billigen Preisen ich nach und nach von ihm kaufte, was -er noch im Nachlasse seines Vaters fand. Er kannte, er -achtete die Sachen nicht; ich habe ihm nie abgedrungen, -ich habe ihn nie angelockt, — aber doch — wenn der -junge Mensch ordentlich werden wollte, wenn er den bessern -Weg einschlüge, — wüßte ich nur, daß es ihn nicht -wieder schlecht machte, daß er es nicht vergeudete, ich -wollte ihm noch einen beträchtlichen Nachschuß gerne -zahlen. -</p> - -<p> -Brav! rief Erich und gab ihm die Hand. Ich habe -den jungen Menschen nicht aus den Augen gelassen; er -ist nicht ganz so schlimm, als die Stadt von ihm spricht, -er kann noch einmal ein rechter Mann werden. Wenn -wir Besserung sehen und Du Dich ihm gewogen fühlst, -vielleicht daß Deine Tochter einmal auch gut von ihm -dächte, kann seyn, daß sie ihm gefiele; — wie wär’s alsdann, -wenn Du durch Dein Vermögen Beiden ein glückliches -Schicksal bereitetest, Enkel auf Deinen Knieen schaukeltest, -ihnen die ersten Begriffe der Kunstgeschichte beibrächtest, -daß sie hier in Deinem Saale die berühmten -Namen stammelten. -</p> - -<p> -Nimmermehr! rief der Alte und stampfte mit dem -Fuße. Wie? einem solchen verderbten Taugenichts mein -<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a> -einziges Kind? Ihm diese Sammlung hier, daß er sie -verprassen und für ein Spottgeld verkaufen könnte? Das -räth mir kein Freund. -</p> - -<p> -Doch, sagte Erich: sei nur gelassen, überdenke den -Vorschlag ohne Leidenschaft, und suche Deine Tochter zu -prüfen. -</p> - -<p> -Nein, nein! wiederholte Walther laut, es kann, es -darf nicht seyn! Ja, könnte er noch ein einziges von jenen -kostbaren, unvergleichlichen Bildern aufweisen, die -aber nun auf ewig verloren sind, so ließe sich noch eher -darüber sprechen. Aber so verschone mich in alle Zukunft -mit dergleichen Vorschlägen. — Und der verdammte -Breughel hier! Da oben, hoch, wo ich ihn nie wieder -sehe, will ich ihn mit der Galgen-Physiognomie des alten -Sünders und allen seinen Teufeln hinauf hängen! -</p> - -<p> -Er sah empor, und wieder schaute aus dem offnen -Fenster Sophie, lauschend auf ihr Gespräch, herab. Sie -erröthete, entfloh, ohne das Fenster zu schließen, und der -Alte rief: das fehlte noch! Nun hat die eigensinnige -Dirne Alles mit angehört, und setzt sich wohl gar dergleichen -in den kleinen trotzigen Kopf! -</p> - -<p> -Die alten Freunde trennten sich, Walther mit sich -und aller Welt unzufrieden. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Tief in der Nacht saß Eduard in seinem einsamen -Zimmer, mit vielfachen Gedanken beschäftigt. Um ihn -lagen unbezahlte Rechnungen, und er häufte die Summen -daneben auf, um sie am folgenden Morgen zu tilgen. -Es war ihm gelungen, unter billigen Bedingungen ein -Capital auf sein Haus aufzunehmen, und so arm er sich -<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a> -erschien, so war er doch schon in dem Gefühl zufrieden, -welches ihm sein fester Vorsatz gab, künftig auf andre -Weise zu leben. Er sah sich in Gedanken schon thätig, -er machte Plane, wie er von einem kleinen Amte zu -einem wichtigern emporsteigen, und sich in diesem zu einem -noch ansehnlichern vorbereiten wolle. Die Gewohnheit, -sagte er, wird ja zu unserer Natur, so im Guten, wie -im Schlimmen, und wie mir Müssiggang bisher nothwendig -gewesen ist, um mich wohl zu befinden, so wird -es in Zukunft die Arbeit nicht weniger seyn. — Aber -wann, wann wird denn dies erwünschte goldne Zeitalter -meines edlern Bewußtseins wirklich und wahrhaft in mir -seyn, daß ich mit Befriedigung und Wohlbehagen die -Gegenstände vor mir und mich selbst werde betrachten -können? Jetzt sind es doch nur noch Vorsätze und liebliche -Hoffnungen, die blühen und locken; und, ach! werde ich -nicht auf halbem Wege, vielleicht schon auf dem Anfange -meiner Bahn ermatten? -</p> - -<p> -Er sah die Rose zärtlich an, die im Wasserglase ihm -glühend entgegen lachte. Er nahm sie und drückte mit -zarter Berührung einen leisen Kuß in ihre Blätter, und -hauchte einen Seufzer in den Kelch. Dann stellte er sie -behutsam in das nährende Element zurück. Er hatte sie -neulich, schon verwelkt, in seinem Busen wieder gefunden; -seit der Stunde, daß sie im Fluge sein Gesicht -berührt hatte, war er ein andrer Mensch geworden, -ohne daß er es sich selber gestehen wollte. Man ist nie -so abergläubisch und merkt so gern auf Vorbedeutungen, -als wenn das Herz recht erschüttert ist, und aus dem -Sturm der Gefühle ein neues Leben sich erzeugen will. -Eduard merkte selbst nicht, wie sehr ihm die kleine Blume -Sophien selbst gegenwärtig machte, und da er Alles und -<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a> -sich selbst beinah verloren hatte, so sollte die welke Pflanze -sein Orakel seyn, ob sie sich wieder erfrische und auch ihm -ein neues Glück verkündigen wolle. Da sie aber nach -einigen Stunden sich im Wasser nicht entfaltete, so half -er ihr und der weissagenden Kraft durch die gewöhnliche -Kunst, den Stengel zu beschneiden, diesen dann einige -Augenblicke in die Flamme des Lichtes zu halten und die -Blume nachher in das kalte Element zurück zu setzen. -Fast sichtlich erfrischte sie sich nach dieser gewaltsamen -Nachhülfe, und blühte so schnell und mächtig auf, daß -Eduard fürchten mußte, sie würde binnen Kurzem alle -ihre Blätter verstreuen. Doch war er seitdem getröstet, -und traute seinen Sternen wieder. -</p> - -<p> -Er blätterte in alten Papieren seines Vaters, schlug -Briefe auseinander, und fand so manche Erinnerungen -aus seiner Kindheit, so wie aus der Jugend des Erzeugers. -Er hatte den Inhalt eines Schrankes vor sich ausgepackt, -der Rechnungen, Nachweisungen, Prozeß-Acten -und Vieles ähnlicher Art enthielt. Indem rollte sich ein -Blatt auf, welches das Verzeichniß der ehemaligen Gallerie -enthielt, die Geschichte der Bilder, ihre Preise, und -was dem Besitzer bei jedem Stücke merkwürdig gewesen -war. Eduard, der von einer Reise zurück kam, als sein -Vater auf dem Sterbebette lag, hatte nach dem Begräbnisse -vielfach nach jenen verlorenen Bildern gesucht, und -manche vergebliche Nachforschung angestellt. Er konnte -mit Recht erwarten, daß auch von jenen vermißten sich -hier ein Wort finden möchte, und wirklich erschien ihm -in einem andern Packet, zwischen Papieren versteckt, ein -Blatt, welches genau jene Stücke nannte, die Namen der -Meister, so wie die vorigen Eigenthümer. Die Schrift -war augenscheinlich aus den letzten Tagen seines Vaters, -<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a> -und unten fanden sich die Worte: diese Stücke sind -jetzt — —, weiter hatte die Hand nicht geschrieben, und -selbst diese Zeile war wieder ausgestrichen worden. -</p> - -<p> -Nun suchte Eduard noch eifriger, aber keine Spur. -Das Licht war niedergebrannt, sein Blut war erhitzt; er -warf die Bogen eilig im Zimmer umher, aber es zeigte -sich nichts. Als er ein altes vergelbtes Papier auseinander -schlug, sah er zu seinem Erstaunen einen Schein, der -vor vielen Jahren ausgestellt war, in welchem sich sein -Vater als den Schuldner Walthers mit einer namhaften -Summe bekannte. Er war nicht quittirt, aber doch nicht -in den Händen des Gläubigers. Wie war dieser Umstand -zu erklären? — -</p> - -<p> -Er steckte ihn zu sich und rechnete aus, daß, wenn -das Blatt gültig wäre, er von seinem Hause kaum noch -etwas übrig behalten würde. Er betrachtete einen Beutel, -den er in eine Ecke gestellt, und der dazu bestimmt -war, ein für allemal noch den Familien, die er bisher -im Stillen unterstützt hatte, eine ansehnliche Hülfe zu -geben. — Denn wie er im Verschwenden leichtsinnig -war, so war er es auch in seinen Wohlthaten; man hätte -sie auch, wenn man strenge seyn wollte, Verschwendung -nennen können. — Wenn ich nur diese Summe nicht anrühren -darf, damit die Elenden sich noch einmal freuen, -so ist es nachher auch eben so gut, ganz von vorn anzufangen -und nur meinen Kräften zu vertrauen. Dies war -vor dem Einschlafen sein letzter Gedanke. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Eduard war vom Geheimenrath Walther eingeladen -worden; es war lange nicht geschehen, und ob der Jüngling -<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a> -gleich nicht begriff, wie der alte Freund zu diesem -erneuten Wohlwollen komme, so ging er doch mit frischem -Muthe hin, hauptsächlich in der frohen Erwartung, mit -Sophien die ehemalige Bekanntschaft wieder anzuknüpfen. -Er nahm das aufgefundene Papier mit. -</p> - -<p> -Es war ihm sehr verdrüßlich, dort den alten und -den jungen Herrn von Eisenschlicht zu finden; indessen, -da er bei Tische Sophien gegenüber saß, so richtete er -das Gespräch hauptsächlich an diese, und bestrebte sich, -heiter zu erscheinen, obgleich sein Gemüth auf vielfache -Weise gereizt war; denn es entging ihm nicht, wie der -alte Walther dem jungen Eisenschlicht mit aller Artigkeit -entgegen kam, und ihn beinahe vernachläßigte; auch war -es in der Stadt bekannt, daß sich der Rath den jungen -reichen Mann zum Schwiegersohne wünsche. Dieser ließ -sich die Freundlichkeit des Wirthes gefallen mit einer Art, -als wenn es nicht anders seyn könne, und Erich, der es -gut mit dem jungen Eduard meinte, suchte nur zu verhindern, -daß der gereizte Jüngling nicht in Heftigkeit -ausbräche. Sophie war die Munterkeit selbst; sie hatte -sich mehr geschmückt als gewöhnlich, und der Vater mußte -sie oft prüfend betrachten, denn ihr Anzug wich in einigen -Stücken von dem gebräuchlichen ab, und erinnerte ihn -heute lebhafter als je an jenes verlorene Bild von -<em>Messys</em>, welches die beiden jungen Leute in einer gewissen -Aehnlichkeit als Schäfer darstellte. -</p> - -<p> -Man versammelte sich nach Tische im Bildersaal, -und Erich mußte lächeln, als er bemerkte, daß sein Freund -wirklich den falschen Höllenbreughel hoch in einen Winkel -hinauf gehangen hatte, wo man ihn kaum noch bemerken -konnte. Der junge Eisenschlicht setzte sich neben Sophien, -und schien sehr angelegentlich mit ihr zu sprechen. Eduard -<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a> -ging unruhig hin und her, und betrachtete die Bilder; -Erich unterhielt sich mit dem Vater des jungen Freiwerbers, -und Walther hatte ein prüfendes Auge auf Alle -gerichtet. -</p> - -<p> -Warum aber, sagte Erich zu seinem Nachbar, ist -Ihnen hier das Meiste aus der niederländischen Schule -zuwider? -</p> - -<p> -Weil sie so viel Lumpenvolk und Bettler darstellt, -antwortete der reiche Mann. Mein Widerwille trifft auch -nicht diese Niederländer allein, sondern vorzüglich ist mir -deshalb der Spanier <em>Murillo</em> verhaßt, und auch so -manche Italiener. Es ist schon traurig genug, daß man -sich auf Markt und Straße, ja in den Häusern selbst, -nicht vor diesem Geschmeiße zu retten weiß; wenn aber -ein Künstler verlangt, ich soll mich gar noch auf bunter -Leinwand an dem lästigen Volke ergötzen, so heißt das, -meiner Geduld etwas zu viel anmuthen. -</p> - -<p> -Da würde Ihnen vielleicht, sagte Eduard, der <em>Quintin -Messys</em> recht seyn, der so häufig Wechsler an ihrem -Tische, mit Münzen und Rechnungsbüchern so treu -und kräftig vor uns hinstellt. -</p> - -<p> -Auch nicht, junger Herr, sagte der alte Mann: das -können wir leicht und ohne Anstrengung in der Wirklichkeit -sehn. Soll ich mich einmal an Malerei erfreuen, so -verlange ich große königliche Aufzüge, viele schwere Seidenzeuge, -Kronen und Purpurmäntel, Pagen und Mohren; -das, vereinigt mit einem Anblick auf Paläste, große -Plätze und in weite gerade Straßen hinein, erhebt die -Seele, das macht mich oft auf lange munter, und ich -werde nicht müde, es immer wieder von Neuem zu beschauen. -</p> - -<p> -<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a> -Gewiß, sagte Erich, hat <em>Paul Veronese</em> und -manche andere Italiener auch darin viel Vorzügliches -geleistet. -</p> - -<p> -Was sagen Sie denn zu einer Hochzeit von Cana -in dieser Manier? fragte Eduard. -</p> - -<p> -Alles Essen, erwiederte der alte Herr, wird auf Bildern -langweilig, weil es doch nie von der Stelle rückt, -und die gebratenen Pfauen und hoch aufgehobenen Pasteten, -so wie die halb umgedrehten Mundschenken, sind auf -allen solchen Darstellungen lästige Creaturen. Aber ein -Anderes ist es, wenn sie den kleinen Moses aus dem -Wasser ziehn, und dabei steht die Prinzeß in ihrem reichsten -Schmuck, und umher die geputzten Damen, die auch -für Fürstinnen gelten könnten, Männer mit Hellebarden -und Rüstungen, selbst Zwerge und Hunde; ich kann nicht -sagen, wie es mich erfreut, wenn ich eine solche Geschichte, -die ich in meiner frühen Jugend oft unter Beklemmungen -in einer dunkeln Schulstube lesen mußte, so -herrlich ausgeschmückt wieder antreffe. Von dergleichen -Sachen aber, lieber Herr Walther, haben Sie zu wenig. -Ihre meisten Bilder sind für die Empfindung, und ich -will niemals, am wenigsten von Kunstwerken, gerührt -seyn. Ich werde es auch nicht, sondern ich ärgre -mich nur. -</p> - -<p> -Noch schlimmer, fing der junge Eisenschlicht an, ist -es aber in unsern Comödien. Wenn wir aus einer angenehmen -Gesellschaft und von einem glänzenden Diner -in den erleuchteten Saal treten: wie kann man nur verlangen, -daß wir uns für das mannigfaltige Elend und -den kümmerlichen Mangel interessiren sollen, der uns hier -aufgetischt wird? Könnte man nicht dieselbe polizeiliche -Einrichtung treffen, die schon in den meisten Städten -<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a> -löblicherweise angeordnet ist, daß ich ein für allemal für -die Armuth etwas einlege, und mich dann nicht weiter -von den einzelnen Zerlumpten und Hungernden incommodiren -lasse? -</p> - -<p> -Bequem wäre es ohne Zweifel, sagte Eduard: ob -aber durchaus zu loben, sei es als Polizei- oder Kunsteinrichtung, -weiß ich noch nicht zu sagen. Ich kann mich -wenigstens des Mitleids gegen den Einzelnen nicht erwehren, -und mag es auch nicht, wenn man freilich oft -zur Unzeit gestört, unverschämt bedrängt, und zuweilen -auch wohl arg betrogen wird. -</p> - -<p> -Ich bin Ihrer Meinung, rief Sophie aus: ich kann -die stummen, blinden Bücher nicht leiden, in die man -sich einschreiben soll, um sich ruhig auf eine unsichtbare -Verwaltung verlassen zu können, die dem Elende, so viel -als möglich, abhelfen werde. In manchen Gegenden verlangt -man sogar, man soll sich verpflichten, dem Einzelnen -nichts zu geben. Aber wie kann man nur dem Jammer -widerstehn? Wenn ich dem gebe, der mir seine Noth -klagt, so sehe ich doch wenigstens seine augenblickliche -Freude, und kann hoffen, ihn getröstet zu haben. -</p> - -<p> -Das ist es eben, sagte der alte Kaufmann, was in -allen Ländern den Bettelstand erhält, daß wir uns nicht -von dem kleinlichen Gefühl einer weichlichen Eitelkeit und -eines süßlichen Wohlthuns frei machen können und wollen. -Dies ist es zugleich, was die besseren Maßregeln -der Staaten vereitelt und unmöglich macht. -</p> - -<p> -Sie denken anders, als jene Schweizer, sagte Eduard. -Es war in einer katholischen Gegend, wo ein alter Bettler -seit lange sein Almosen an gewissen Tagen einkassirte, -und in jedem Hause fast, da die ländliche Einsamkeit nicht -viel Gewerbe und Umtrieb gestattete, mit zur Familie gerechnet -<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a> -wurde. Indessen traf es sich doch, daß man ihn -in einer Hütte, als er zusprach, da man gerade mit einer -Wöchnerin sehr beschäftigt war, in der Verwirrung und -Besorgniß für die Kranke abwies. Als er wirklich nach -wiederholter Forderung nichts erhielt, wandte er sich zornig -und rief im Scheiden: Nun, wahrlich, ihr sollt sehn, -daß ich gar nicht wiederkomme, und so mögt ihr dann -sehen, wo ihr wieder einen Bettler herkriegt! -</p> - -<p> -Alle lachten, nur Sophie nicht, welche diesen Ausspruch -ganz vernünftig finden wollte, und mit diesen -Worten schloß: gewiß, wenn es uns unmöglich gemacht -werden könnte, Wohlthaten zu erzeigen, so möchte unser -Leben selber arm genug werden. Könnte der Trieb des -Mitleids in uns ersterben, so möchte es auch wohl um -Lust und Freude traurig aussehen. Derjenige, der glücklich -genug ist, mittheilen zu können, empfängt mehr, als -der arme Nehmende. Ach! das ist ja noch das Einzige, -fügte sie mit großer Bewegung hinzu, was das starre -Eigenthum, die Grausamkeit des Besitzes etwas entschuldigen -und mildern kann, daß auf die Schmachtenden unten -etwas von dem unbillig Aufgehäuften herabgeschüttet -wird, damit es nicht ganz in Vergessenheit komme, daß -wir alle Brüder sind. -</p> - -<p> -Der Vater sah sie mißbilligend an, und wollte eben -etwas sagen, als Eduard heftig einfiel, indem er seine -feurigen Augen auf die feuchten des Mädchens heftete: -dächte die Mehrzahl der Menschen so, so lebten wir in -einer andern und bessern Welt. Wir entsetzen uns, wenn -wir von dem Drangsal lesen, das in Wüsten und Einöden -fremder Himmelsstriche dem harmlosen Wanderer -auflauert, oder von jenen Schrecknissen, die auf der unwirthbaren -See das Schiffsvolk fürchterlich verzehren, wenn -<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a> -im höchsten Mangel kein Fahrzeug oder keine Küste sich -auf der unermeßlichen Fläche zeigen will; wir entsetzen -uns, wenn Ungeheuer der Tiefe den Verunglückten zerfleischen, -— und doch — leben wir nicht in den großen -Städten, wie auf einem Vorgebirge, wo unmittelbar zu -unsern Füßen aller dieser Jammer, dasselbe gräuliche Schauspiel -sich entwickelt, nur langsamer und desto grausamer? -Aber wir sehen aus unsern Concerten und Festen, und -aus dem sichern Gewahrsam des Wohlstandes nicht in -diesen Abgrund hinein, wo die Gestalten des Elends sich -in tausend fürchterlichen Gruppen, wie in Dante’s Gebilden, -zermartern und verzehren, und gar nicht einmal -mehr zu uns empor zu schauen wagen, weil sie schon -wissen, welchem kalten Blick sie begegnen, wenn ihr -Geschrei uns zu Zeiten aus den Betäubungen unsrer kalten -Ruhe weckt. -</p> - -<p> -Diese Uebertreibungen, sagte der alte Eisenschlicht, -sind jugendlich. Ich behaupte immer noch, der wirklich -gute Bürger, der echte Patriot soll sich von augenblicklicher -Rührung nicht hinreißen lassen, die Bettelei zu unterstützen. -Er theile jenen wohlthätigen Anstalten mit, so -viel er mit Bequemlichkeit entbehren kann; aber vergeude -nicht seine geringen Mittel, die auch hierin der Aufsicht -des Staates zu Gute kommen sollen. Denn was thut er -im entgegengesetzten Fall? Er befördert durch seine Weichlichkeit, -ja ich möchte es fast wollüstigen Kitzel des Herzens -nennen, Betrug, Faulheit, Unverschämtheit, und -entzieht das Wenige der wahren Armuth, die er doch -nicht immer antreffen oder erkennen kann. Wenn wir -aber auch jene übertriebene Schilderung des Elendes als -richtig anerkennen wollten, was kann der Einzelne auch -selbst in diesem Falle Gutes stiften? Ist er denn im -<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a> -Stande, die Lage des Verzweifelnden zu verbessern? Was -hilft es, doch immer nur wieder einen Tag oder eine -Stunde zu erleichtern? Der Unglückliche wird seine -Schmach nur um so tiefer empfinden, wenn er nicht seinen -Zustand in einen glücklichen verwandeln kann; er -wird noch unzufriedener, noch elender werden, und ich -schade ihm, anstatt ihm zu nützen. -</p> - -<p> -O, sagen Sie das nicht, rief Eduard aus, wenn ich -Sie nicht verkennen soll; denn es erscheint mir wie Lästerung! -Was der Arme in einem solchen Augenblick des -Sonnenscheins gewinnt? O mein Herr! er, der schon -daran gewöhnt ist, von der Gesellschaft der Menschen -ausgestoßen zu seyn; er, für den es kein Fest, keinen -Markt, keine Gesellschaft, und kaum eine Kirche giebt; -für den Ceremonie, Höflichkeit und alle die Rücksichten -ausgestorben sind, die sonst jeder Mensch dem andern leistet; -dieser Elende, dem auf Spaziergängen und in der -Frühlingsnatur nur Verachtung grünt und blüht, er -wendet oft das dürre Auge nach Himmel und Sternen -über sich, und sieht auch dort nur Leere und Zweifel; -aber in solcher Stunde, die ihm unverhofft eine reichlichere -Gabe spendet, daß er mit mehr als augenblicklichem -Trost zu den verschmachteten Seinigen in die dunkle Hütte -kehren kann, geht ihm plötzlich im Herzen wieder der -Glaube an Gott, an seinen Vater auf; er wird wieder -Mensch, er fühlt wieder die Nähe eines Bruders, und -darf diesen und sich wieder lieben. — Wohl dem Reichen, -der diesen Glauben fördern, der mit der sichtbaren -Gabe <a id="corr-3"></a>das Unsichtbare schenken kann; und wehe dem Verschwender, -der sich durch frevelnden Leichtsinn dieser Mittel -beraubt, ein Mensch unter den Menschen zu seyn; -denn das Gefühl wird ihn am härtesten strafen, daß er -<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a> -als herzloser Barbar in Strömen das Labsal in die Wüste -geschüttet hat, wovon ein jeder Tropfen seine Brüder, -unter der Last des mühseligen Lebens erliegend, erquicken -könnte. -</p> - -<p> -Er konnte das Letzte nur mit Thränen sagen, er -verhüllte sein Angesicht und bemerkte nicht, daß die Fremden, -auch Erich, vom Wirthe Abschied nahmen. Auch -Sophie weinte; doch ermunterte sie sich zur Heiterkeit, -als der Vater zurück kam. -</p> - -<p> -Als sich in andern Gesprächen die Gefühle wieder -beruhigt hatten, zog Eduard das Papier aus der Tasche, -und trug dem Rathe die zweifelhafte Sache vor, und wie -sehr er besorge, noch mit einer ansehnlichen Summe sein -Schuldner zu seyn, die er ihm durch ein Capital abzutragen -denke, welches er auf sein Haus zu bekommen -suchen wolle. -</p> - -<p> -Der Alte sah abwechselnd ihn und das vergelbte Papier -mit großen Augen an, endlich faßte er die Hand -des Jünglings und sagte mit gerührter Stimme: mein -junger Freund, Sie sind viel besser, als ich und auch die -Welt von Ihnen gedacht haben; Ihr Gefühl entzückt -mich, und wenn Sie auch mit dem Herrn von Eisenschlicht -nicht so heftig hätten sprechen sollen, so war ich -doch bewegt; denn, wahrlich! ich denke wie Sie über -diesen Punkt. Was dies Papier betrifft, so kann ich Ihnen -darüber schwerlich eine entscheidende Antwort geben, -ob es gültig sei oder nicht. Es rührt aus einer frühen -Zeit her, in der ich mit Ihrem wackern Vater mancherlei, -und zuweilen verwickelte Geldgeschäfte hatte; wir halfen -einander bei unsern Speculationen und Reisen aus, -und der alte Herr war dazumal in früher Jugend freilich -zuweilen etwas locker und wild. Er bekennt hier, mir -<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a> -eine ansehnliche Summe schuldig zu seyn; das Blatt muß -sich unter seinen Papieren verloren haben; ich weiß nichts -mehr davon, weil wir sehr viel mit einander zu berechnen -hatten, und ich war denn damals auch nicht so ordentlich, -wie jetzt. Indeß — (und mit diesen Worten -zerriß er das Blatt) sei diese anscheinende Forderung zernichtet; -denn auf keinen Fall, auch wenn die Schuld klar -wäre, könnte ich von Dir, mein Sohn, diese Summe -annehmen; wenigstens sollte ich Dir so viel nachzahlen -für jene Gemälde, die Du mir viel zu wohlfeil verkauft -hast. Kann ich Dir überhaupt helfen, mein gutes Kind, -so rechne auf mich, und Alles kann vielleicht noch gut -werden. -</p> - -<p> -Eduard beugte sich über seine Hand und rief: ja -sei’n Sie mir Vater, ersetzen Sie mir den, den ich zu -früh verloren habe! Ich verspreche es Ihnen, es ist mein -fester Vorsatz, ich will ein andrer Mensch werden, ich will -meine versäumte Zeit wieder einbringen; ich hoffe, der -menschlichen Gesellschaft noch einmal nützlich zu werden. -Aber väterlicher Rath, wohlwollende Aufmunterung muß -mich leiten, damit ich wieder Vertrauen zu mir fasse. -</p> - -<p> -So gut, sagte der Alte, hätte es uns schon seit -manchem Jahre werden können, aber Du hast es dazumal -verschmäht. Worin ich Dir nur irgend helfen kann, darfst -Du sicher auf mich rechnen. Jetzt aber will ich doch, -Neugierde halber, noch einmal meine Papiere ansehen, -ob ich denn doch von dieser Schuld gar keine Nachricht -finden sollte. -</p> - -<p> -Er ließ die beiden jungen Leute allein, die sich erst -eine Weile stillschweigend ansahen, und sich dann in die -Arme flogen. Sie hielten sich lange umschlossen, dann -machte sich Sophie gelinde los, entfernte den Jüngling -<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a> -und sagte, indem sie ihm mit Munterkeit in’s Auge sah: -wie widerfährt mir denn das? Eduard, was soll uns -denn das bedeuten? -</p> - -<p> -Liebe, rief Eduard, Glück und ewige Treue! Sieh, -liebstes Kind, ich fühle mich, wie von einem schweren -Traum erwacht. Das Glück, das mir so nahe vor den -Füßen lag, das mir mein redlicher Vater schon an Deiner -Wiege zugedacht hatte, stieß ich wie ein ungezogener -Knabe von mir, um mich der Welt und mir selbst verächtlich -zu machen. Hast Du mir denn vergeben, holdseliges -Wesen? Kannst Du mich denn lieben? -</p> - -<p> -Ich bin Dir recht von Herzen gut, Du mein alter -Spielkamerad, sagte Sophie: aber glücklich sind wir darum -noch nicht. -</p> - -<p> -Was kann uns noch im Wege seyn! rief Eduard -aus. O wie tief beschämt es mich, daß ich Deinen edeln -Vater so sehr habe verkennen mögen! Wie gütig er mir -entgegen kommt! Wie herzlich er mich als Sohn an -seine Brust drückt! -</p> - -<p> -Ja, Du wunderlicher Kauz, lachte Sophie auf, das -ist ja aber nicht <em>so</em> gemeint. Aber der bleibt zeitlebens -unbesonnen, und hat gleich die Rechnung ohne den Wirth -gemacht! Davon wird der Papa, so gut er auch seyn -mag, nicht eine Sylbe hören wollen. Auch müssen wir -beide uns ja erst näher kennen lernen. Freund, das sind -Sachen, die sich noch in die Jahre hinaus verziehen können. -Und während der Zeit sattelst Du auch vielleicht -wieder um, und lachst dann in Deiner lustigen Gesellschaft -über meinen Gram und meine Thränen. -</p> - -<p> -Nein! rief Eduard und warf sich vor ihr nieder: -verkenne mich nicht, sei so gut und lieb, wie Dein Auge -verspricht! Und ich fühle es, Dein Vater wird sich unsers -<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a> -Glückes freuen, er wird unsern Bund segnen! Er -umfaßte sie heftig, ohne zu bemerken, daß der Vater -schon wieder hinter ihm stand. Was ist das, junger -Herr? rief der Alte erzürnt aus: den Bund segnen? -Nein, vertreiben, aus seinem Hause verbannen wird er -den lockern Zeisig, der so sein Vertrauen und seine Neigung -zu ihm mißbrauchen will. -</p> - -<p> -Eduard war aufgestanden und sah ihm ernst in’s -Auge. Sie sind nicht gesonnen, mir Ihre Tochter zur -Frau zu geben? fragte er mit ruhigem Tone. -</p> - -<p> -Was! rief der Alte mit der größten Ungeduld, seid -Ihr rasend, Patron? Einem Menschen, der den Nachlaß -seines Vaters, die kostbarsten Bilder verkauft und verschleudert -hat? Und wenn Ihr ein Millionär wäret, ein -so gefühlloser Mensch erhielte sie niemals! Ei, da würde -es nach meinem Tode, vielleicht schon während meinen -letzten Tagen, an ein herrliches Ausbieten meiner Schätze -gehen, da würden die Bilder in alle vier Ecken der Welt -fliegen, daß ich keine Ruhe in meinem Grabe hätte. Klug -ist er aber, der saubre Herr. Macht mich erst recht treuherzig, -bringt mir mit herrlicher Großmuth ein altes -Schuldblatt seines Vaters, das er mir noch bezahlen will, -kirrt mich in die Rührung hinein, damit ich nur noch -großmüthiger, noch edler und heroischer werden, und ihm -meine Tochter an den Hals werfen soll. Nein nein, mein -junger Herr, so leicht hat er das Spiel bei mir nicht -gewonnen. Die Schuld ist kassirt, ich finde keine Spur -davon in meinen Büchern, und selbst, wie ich schon sagte, -wenn es wäre. Auch will ich Ihm helfen, wie ich versprach, -mit Rath und That, mit Freundschaft und Geld, -so viel Er nur billigerweise verlangen kann. Aber mein -Kind laß Er mir aus dem Spiele, und darum verbitt’ ich -<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a> -mir in Zukunft Seine Gegenwart in meinem Hause. Auch -mag sie Ihn gar nicht, so wie ich sie kenne. Sprich, -Sophie, wärst Du wohl im Stande, Dich mit einem solchen -Thunichtgut einzulassen? -</p> - -<p> -Ich mag gar noch nicht heirathen, sagte Sophie, -und diesen wohl am wenigsten, der zu allen Dingen in -der Welt besser, als zu einem Ehemann paßt. Halb -schmerzhaft und doch lächelnd warf sie dem Jüngling einen -scheidenden Blick zu und verließ den Saal. Sophie! rief -Eduard aus und wollte ihr nacheilen: wie kannst Du -diese Worte sprechen? Der Alte hielt ihn am Kleide -fest und machte Miene, ihm noch eine lange Ermahnung -zu halten; doch Eduard, der nun die Geduld völlig verloren -hatte, nahm seinen Hut, stellte sich vor den Vater -und sagte mit einer Stimme, die von Zorn und Schluchzen -unterdrückt war: ich gehe, alter Herr, und komme -nicht, merken Sie sich das! in Ihr Haus zurück, bis Sie -mich rufen lassen! bis Sie mich selber wieder hieher zurück -rufen! Ja, bis Sie mich inständig bitten, Ihre -Wohnung nicht zu verschmähen! Es kann mir nicht fehlen; -Talente, gute Aufführung, Kenntnisse, sie bahnen -mir den Weg zu den höchsten Ehrenstellen. Dem Prinzen -bin ich schon empfohlen. Das ist aber nur die erste -und kleinste Staffel meines Glücks! Ganz andre Wege -müssen sich mir eröffnen. Und wenn dann die Stadt es -sich zur Ehre rechnet, mich geboren zu haben, wenn ich -diese jetzige Stunde ganz vergessen habe, dann sende ich -irgend einen Vertrauten von Ansehn zu Ihnen, und lasse -unter der Hand anfragen, wie es um Ihre Tochter steht: -dann fallen Sie aus den Wolken, daß ich noch an Sie -denke, Sie falten andächtig die Hände, daß sich Ihnen -die Möglichkeit zeigt, einen solchen Schwiegersohn zu erhalten, -<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a> -— und so, gerade so wird es kommen, und auf -diese Weise werde ich Sie zwingen, mir Ihre Tochter -zu geben. -</p> - -<p> -Er stürzte fort, und der Vater sah ihm mit zweifelndem -Blicke nach und murmelte: nun ist er gar verrückt -geworden. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Im Freien, als dem jungen Manne ein heftiges -Schneegestöber entgegenschlug, verkühlte sich seine sonderbare -Hitze; er mußte über seine Heftigkeit und jene unsinnigen -Reden erst lächeln, dann laut lachen, und als er -sich in seiner Wohnung befand, kam er beim Umkleiden -völlig zur Besinnung. Dieser Tag war für ihn von der -höchsten Wichtigkeit, denn die Stunde war jetzt da, in -welcher er sich dem Prinzen, der unterdessen, wie man -ihm gesagt hatte, angelangt war, vorstellen sollte. Die -Kleider, welche er jetzt anlegte, hatte er lange nicht getragen, -mit solcher Aufmerksamkeit hatte er sich noch nie -im Spiegel betrachtet. Er musterte seine Gestalt, und -konnte sich nicht verhehlen, daß er gut gewachsen, daß -sein Auge feurig, sein Gesicht anmuthig und die Stirne -edel sei. Mein erster Anblick, sagte er zu sich selbst, wird -ihm wenigstens nicht mißfallen. Alle Menschen, selbst -diejenigen, die mich nicht leiden können, loben mein gewandtes -und feines Betragen; ich habe manche Talente -und Kenntnisse, und was mir mangelt, kann ich bei meiner -Jugend, bei meinem trefflichen Gedächtnisse leicht -nachholen. Er wird mich lieb gewinnen, und bald werde -ich ihm unentbehrlich seyn. Der Umgang mit der großen -Welt wird nach und nach alles das wegschleifen, was -mir noch von schlechten Gesellschaften anhängen mag. -<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a> -Reise ich nun auch mit ihm, und muß mich etwa ein -Jahr, oder selbst noch länger, von hiesiger Gegend entfernen, -so dient dies auch in fremden Ländern nur um -so mehr dazu, mich in seiner Gunst recht fest zu setzen. -Wir kommen dann zurück; meiner Bildung, meinen Ansprüchen -kommen durch seine Protection die ansehnlichsten -Stellen hier, oder auch im Auslande entgegen, und ich -werde gewiß alsdann nicht vergessen haben, daß es doch -Sophie eigentlich war, die mein besseres Selbst zuerst aus -seinem Schlaf erweckte. -</p> - -<p> -Er war nun angekleidet und so trunken von seinen -Hoffnungen, daß er es nicht merkte, wie er wieder die -nämlichen Worte vor sich selber aussprach, über welche -er sich vorhin verlacht hatte. Er nahm die ganz erblühte -Monatsrose aus dem Glase, und drückte sie, um sich zu -seinem Gange zu stärken, an den Mund, aber zugleich -fielen ihm alle ihre Blätter vor die Füße. Eine üble -Vorbedeutung! seufzte er und ging aus dem Hause, um -in den Wagen zu steigen. -</p> - -<p> -Als er im Palast angelangt war, gab er dem Bedienten -den Brief, welcher ihn dem Prinzen empfehlen -sollte. Indem er den Spiegelwänden vorüber spazierte, -kam zu seiner Verwunderung der junge Dietrich aus -einem Seitenzimmer in verstörter Eile, und bemerkte anfangs -seinen Befreundeten nicht. Wie kommen Sie hieher? -fragte Eduard hastig. Kennen Sie den Prinzen? — -Ja, — nein, — stotterte Dietrich, — es ist eine sonderbare -Sache, die wohl, — ich will es Ihnen erzählen, -aber freilich wird hier keine Zeit dazu seyn. -</p> - -<p> -Dies war in der That der Fall, denn eine geschmückte, -in Juwelen prangende Dame schritt mit vornehmem Anstande -herein, und vertrieb den jungen Maler, der sich -<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a> -mit ungeschickten Verbeugungen entfernte. Eduard stand -still, als die glänzende Erscheinung ihm näher kam; er -wollte sich verneigen, aber sein Erstaunen lähmte seine -Bewegung, als er in ihr jene Schöne plötzlich erkannte, -die zum Nachtheil seines Rufes so lange in seinem Hause -gewohnt, und mehr als alle seine Verirrungen sein Vermögen -verringert hatte. Wie! rief er aus, — Du selbst -— Sie, hier in diesen Zimmern? -</p> - -<p> -Und warum nicht? sagte sie lachend. Es wohnt -sich gut hier. Du merkst doch wohl, mein Freund, daß -ich, wie einst Deine Freundin, so jetzt die Freundin des -Fürsten bin, und wenn Du etwas bei ihm suchst, so kann -ich Dir Ungetreuem vielleicht beförderlich seyn, denn er -hat mehr Gemüth, als Du, und auf seine fortdauernde -Gunst kann ich sicherer zählen, als es mir mit Deinem -Flattersinn gelingen wollte. -</p> - -<p> -Eduard mochte die freundliche Schöne in dieser -Stunde nicht daran erinnern, daß sie sich zuerst von ihm -entfernt hatte, als sie gesehen, daß sein Vermögen verschwendet -war; er entdeckte ihr seine Lage und seine Hoffnungen, -und sie versprach, sich mit dem besten Eifer für -ihn zu verwenden. Sei nur ruhig, mein Freund, so beschloß -sie ihre Versicherungen, es kann und soll Dir nicht -fehlen, und dann wird es sich ja zeigen, ob Du noch ein -Fünkchen Liebe in Deinem kalten Herzen für mich aufbewahrt -hast. Nur mußt Du vorsichtig seyn und in seiner -Gegenwart fremd gegen mich thun, damit er nie erfährt -oder merkt, daß wir uns schon sonst gekannt haben. -</p> - -<p> -Mit einem flüchtigen Kuß, wobei die geschminkte -Wange ihm einen lebhaften Widerwillen erregte, verließ -sie ihn, und Eduard ging mit dem größten Mißbehagen -im Saale auf und ab, da sich Alles so ganz anders gestaltete, -<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a> -als er es sich vorgebildet hatte. Dieses Wesen, -welches er hassen mußte, in seiner neuen Umgebung zu -finden, schlug alle seine Hoffnungen nieder, und er nahm -sich fest vor, ihren Netzen und Lockungen zu entgehen, -und wenn diese seine Tugend ihm auch die größten Nachtheile -bringen sollte. -</p> - -<p> -Indem öffnete sich die Thüre, und jener ihm so widerwärtige -Unbekannte trat mit seinem hoffärtigen Gange -und stolzer Geberde herein. -</p> - -<p> -Eduard ging ihm entgegen und sagte: vielleicht gehören -Sie zum Gefolge Seiner Durchlaucht, und können -mir melden, ob ich jetzt die Ehre haben kann, ihm meine -Aufwartung zu machen. -</p> - -<p> -Der Fremde stand still, sah ihn an, und nach einer -Pause antwortete er in kaltem Tone: das kann ich Ihnen -freilich sagen; keiner besser als ich. — Eduard erschrack, -da er den Empfehlungsbrief in seinen Händen bemerkte. -Will mich der Prinz nicht sprechen? fragte er bestürzt. -Er spricht mit Ihnen, antwortete jener, und mit so höhnendem -und wegwerfendem Tone, daß der junge Mann -alle Fassung verlor. Ich halte mich schon seit einiger -Zeit in dieser Stadt auf, fuhr der vornehme Fremde fort, -und habe Gelegenheit gefunden, Menschen und Verhältnisse -durch mein Incognito kennen zu lernen. Wir sind -uns auf eine etwas sonderbare Art nahe gekommen, und -wenn ich auch jenen Schritt, von dem Sie wohl selbst -wissen, daß er kein ganz unschuldiger war, entschuldigen -könnte, so hat er mir doch ein gerechtes Mißtrauen gegen -Ihren Charakter eingeflößt, so daß ich unmöglich Ihnen -eine Stelle einräumen kann, die uns in eine vertrauliche -Nähe rücken würde. Ich gebe Ihnen also diesen Brief -zurück, den ich, trotz seiner warmen Empfehlung, und -<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a> -obwohl er aus höchst achtungswürdigen Händen kommt, -nicht berücksichtigen kann. Insofern Sie mich persönlich -beleidigt haben, ist Ihnen, da Sie mich nicht kannten, -völlig vergeben, und Ihre jetzige Beschämung und Verwirrung -ist mehr als hinlängliche Strafe. Ein junger -Mann verließ mich eben, von dem ich ein ziemlich wohlgerathenes -Bild gekauft habe, und welchem ich auch einige -Warnungen und gute Lehren für seine Zukunft mitgegeben -habe. — Ich sehe, daß unser Zusammentreffen Sie -etwas zu sehr erschüttert, und da Sie vielleicht auf jene -Stelle schon mit zu großer Sicherheit gerechnet hatten, -und wohl in augenblicklicher dringender Verlegenheit sind, -so empfangen Sie diesen Ring zu meinem Andenken und -zum Zeichen, daß ich ohne allen Groll von Ihnen -scheide. -</p> - -<p> -Eduard, welcher indeß Zeit gehabt hatte, sich wieder -zu sammeln, trat mit Bescheidenheit einen Schritt zurück, -indem er sagte: rechnen Sie es mir, Durchlauchtiger -Prinz, nicht als Stolz und Uebermuth an, wenn ich dieses -Geschenk, welches mir unter andern Umständen höchst -ehrenvoll seyn würde, in dieser Stunde ausschlage. Ich -kann Ihre Art nicht mißbilligen, und Sie erlauben mir -gewiß, ebenfalls meinem Gefühle zu folgen. -</p> - -<p> -Junger Mann, sagte der Prinz, ich will Sie nicht -verletzen, und da Sie mir Achtung abzwingen, so muß -ich Ihnen auch noch sagen, daß wir uns, ungeachtet der -sonderbaren Art, unsre Bekanntschaft zu machen, vereinigt -hätten, wenn nicht eine Person, die ich achten und -der ich glauben muß, und welche Sie vorhin in diesem -Saale traf, mir so viel Nachtheiliges von Ihnen gesagt, -und mich dringend ersucht hätte, auf den Brief keine -Rücksicht zu nehmen. -</p> - -<p> -<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a> -Ich werde, sagte Eduard wieder ganz heiter, dem -Beispiele dieser Dame nicht folgen, und sie wieder anklagen, -noch mich über sie beklagen, da sie gewiß nur -ihrer Ueberzeugung gemäß gesprochen hat. Wenn mir -aber Ihre Durchlaucht die Gnade erzeigen wollen, das -Bild des jungen Dietrich, so wie einige Ihrer andern -Gemälde zu zeigen, so werde ich mit der größten Dankbarkeit -von Ihnen scheiden. -</p> - -<p> -Es freut mich, antwortete der Prinz, wenn Sie Interesse -an der Kunst nehmen; ich habe zwar nur Weniges -hier, aber ein Bild, das ich vor einigen Tagen so glücklich -war, zu dem meinigen zu machen, wiegt allein eine -gewöhnliche Sammlung auf. -</p> - -<p> -Sie traten in ein reich verziertes Kabinet, wo an -den Wänden und auf einigen Staffeleien ältere und neuere -Bilder sich zeigten. Hier ist der Versuch des jungen -Mannes, sagte der Prinz, welcher allerdings etwas verspricht, -und ob ich gleich dem Gegenstande keinen Geschmack -abgewinnen kann, so ist doch die Behandlung -desselben zu loben. Die Färbung ist gut, wenn auch etwas -grell, die Zeichnung ist sicher und der Ausdruck -rührend. Nur sollte man die Marien mit dem Kinde -endlich zu malen aufhören. -</p> - -<p> -Der Prinz zog einen Vorhang auf, stellte Eduard -in das rechte Licht und rief: sehn Sie aber hier dies gelungene, -herrliche Werk meines Lieblings, des <em>Julio -Romano</em>, und erstaunen Sie, und entzücken Sie sich! -</p> - -<p> -Mit einem lauten Ausrufe, und mit einem höchst -freudigen, ja lachenden Gesicht mußte Eduard in der That -dieß große Bild begrüßen; denn es war das wohlbekannte -Machwerk seines alten Freundes, an welchem dieser -schon seit einem Jahre gearbeitet hatte. Es war -<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a> -Psyche und der schlafende Amor. Der Prinz stellte sich -zu ihm und rief: daß ich diesen Fund gethan habe, bezahlt -mir allein schon die Reise hieher! Und bei jenem -alten, unscheinbaren Manne habe ich dieses Kleinod angetroffen! -Ein Mann, welcher selbst als Künstler keine -unbedeutende Rolle spielt, aber doch bei weitem nicht so -erkannt wird, wie er sollte. Er besaß das Gemälde schon -lange und wußte, daß es vom <em>Julio</em> sei; indessen da -er nicht Alles gesehen hat, so waren ihm immer noch -einige Zweifel geblieben, und er war erfreut, von mir so -viele nähere Umstände von diesem Meister und seinen -Werken zu erfahren. Denn freilich hat er Sinn, der Alte, -und weiß wohl ein solches Juwel zu würdigen; aber er -ist nicht in alle Trefflichkeiten des Malers eingedrungen. -Ich würde mich geschämt haben, seine Unkenntniß zu benutzen, -denn er foderte für diese herrliche Arbeit, zu der -er auf sonderbare Weise gekommen ist, einen zu mäßigen -Preis; ich habe diesen erhöht, um die Zierde meiner Gallerie -auch auf eine würdige Art bezahlt zu haben. -</p> - -<p> -Er ist glücklich, sagte Eduard, der verkannte alte -Mann, einen solchen Kenner und edlen Beschützer zum -Freunde gewonnen zu haben; vielleicht ist er im Stande, -die Gallerie Eurer Durchlaucht noch mit einigen Seltenheiten -zu vermehren, denn er besitzt in seiner dunkeln -Wohnung Manches, was er selbst nicht kennt oder würdigt, -und ist eigensinnig genug, seine eignen Arbeiten oft -allen ältern vorzuziehn. -</p> - -<p> -Eduard empfahl sich, ging aber nicht sogleich nach -Hause, sondern eilte, so leicht bekleidet er auch war, nach -dem Park, rannte lustig durch die abgelegenen, mit Schnee -bedeckten Gänge, lachte laut und rief: o Welt! Welt! -Lauter Fratzen und Albernheiten! O Thorheit, du buntes, -<a id="page-70" class="pagenum" title="70"></a> -wunderliches Kind, wie führst du deine Lieblinge so -zierlich an deinem glänzenden Gängelbande! Lange lebe -der große Eulenböck, er, der trefflicher, als Julio Romano -oder Rafael ist! Habe ich doch nun auch einmal einen -Kenner kennen gelernt. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Eduard hatte nun Anstalten zu dem lustigen Abend -gemacht, welchen er mit Eulenböck verabredet hatte. Vor -Kurzem war ihm dieser Tag als ein lästiger erschienen, -den er nur bald hinter sich zu haben wünschte; jetzt aber -war seine Stimmung so, daß er sich auf diese Stunden -der Betäubung freute, weil er meinte, daß sie für lange -Zeit seine letzten vergnügten seyn würden. Gegen Abend -erschien der Alte, und schleppte mit einem Diener zwei -Körbe mit Wein herbei. Was soll das? fragte Eduard: -ist es denn nicht ausgemacht, daß ich Euch bewirthen -soll? Das sollst Du auch, sagte der Alte, nur bringe -ich einigen Vorrath zum Succurs, weil Du die Sache -doch eigentlich nicht verstehst, und weil ich auch an diesem -Abend recht ausgelassen seyn will. -</p> - -<p> -Ein trauriger Vorsatz, erwiederte Eduard, lustig seyn -zu wollen, und dennoch habe ich ihn auch gefaßt, mir -und meinem Schicksal zum Trotz. -</p> - -<p> -Sieh da, sagte Eulenböck lachend, hast Du auch ein -Schicksal? Das hab’ ich gar nicht einmal gewußt, junger -Bursche; mir schien das Wesen sich immer höchstens -zum Verhängniß hin zu neigen. Aber vornehmer ist das -andere ohne Zweifel, und vielleicht wird es noch zum -Geschick, wenn Du erst etwas klüger geworden bist. Ja, -ja, Freund, Geschick, das ist es, was den meisten Menschen -fehlt, Verstand, Umstände zu nutzen, oder sie hervor -<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a> -zu bringen, und darüber gerathen sie in’s Schicksal, -oder gar in das noch fatalere Verhängniß, wo sich dann -nicht immer eine christliche Hand findet, sie wieder los -zu schneiden. -</p> - -<p> -Du bist unverschämt, rief Eduard aus, und glaubst -witzig zu seyn; oder Du hast Dir gar schon einen Rausch -getrunken. -</p> - -<p> -Kann seyn, mein Kind, schmunzelte jener, und wir -wollen bald die Anstalten treffen, mich wieder nüchtern -zu machen. Unser gutes Prinzchen hat mich in eine Art -von Wohlstand versetzt, der, wenn ich Vernunft habe, ein -dauernder seyn kann; denn er protegirt mich trefflich, -wird mir noch mehr abkaufen, und auch Sachen von -meinem eignen Pinsel malen lassen. Er meint, ich wäre -hier in dieser Stadt nicht an meiner Stelle, man erkenne -mich nicht genug an, und es mangle mir an Aufmunterung. -Vielleicht nimmt er mich mit, und bildet mich -noch zum ächten Künstler aus, denn er hat den besten -Willen dazu, und ich gerade Sinn und Talent genug, um -ihn zu verstehn und mir von ihm rathen zu lassen. -</p> - -<p> -Schelm der Du bist! sagte sein junger Freund: ich -habe lachen müssen, daß Du Deinen Julio Romano so -vortheilhaft verkauft hast; aber ich möchte denn doch nicht -an Deiner Stelle seyn. -</p> - -<p> -Der Alte ging auf ihn zu, sah ihn starr an und -sagte: Und warum nicht, Kleiner? Wenn Du nur die -Gabe dazu hättest! Jeder Mensch malt und pinselt an sich -herum, um sich für besser auszugeben, als er in der That -ist, und für ein wunderbares köstliches Original zu gelten, -da die meisten doch nur geschmierte Copieen von Copieen -sind. Hättest Du meinen Gönner das Bild nur -analysiren hören, da hättest Du etwas lernen können! -<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a> -Nun verstehe ich erst alle die Kunst-Absichten des Julio -Romano; Du glaubst nicht, wie viel Treffliches ich an -dem Bilde übersehen hatte, wie viele Stellen seines markigen -Pinsels. Ja, es ist eine Freude, einen solchen -Künstler so recht zu durchdringen, und wenn man ihn -ganz und in allen seinen Theilen zugleich faßt, so überschleicht -uns im vollständigen Gefühl seines hohen Werthes -eine wohlthätige Empfindung, als hätten wir auch -an seiner Herrlichkeit einigen Antheil; denn ein Kunstwerk -ganz verstehen, heißt, es gewissermaßen erschaffen. -Wie großen Dank bin ich meinem erlauchten Gönner und -Kenner schuldig, daß er mir auch außer dem Gelde noch -eine solche Fülle von Künstlerweihe zufließen läßt. -</p> - -<p> -Wenn ich ihn nicht an der Tafel hätte malen sehen, -rief Eduard lächelnd aus, so könnte er mich glauben machen, -das Bild sei ein ächtes! -</p> - -<p> -Was hast Du gesehen? antwortete im Eifer der -Alte: was verstehst Du von der Magie der Kunst und -jenen unsichtbaren Geistern, die sich durch die Farbe und -Zeichnung herbei ziehn und verkörpern lassen? Das sind -eben Geheimnisse für den Laien. Glaubst Du denn, man -malt nur, um zu malen, und daß es mit Pallette, Pinsel -und dem guten Vorsatze genug sei? O theurer Gelbschnabel, -da müssen noch gar wunderbare Conjuncturen, -astralische Einflüsse und Wohlwollen mannigfaltiger Geister -zusammen treffen, um etwas Rechtschaffenes zu -Stande zu bringen! Hast Du es noch niemals erlebt, -daß ein feinsinniger, tiefdenkender Künstler sein Tuch und -Netz ausspannt, und seine Pinsel in die besten Farben -taucht, um das schönste Ideal in sein Netz zu locken und -hinein zu kitzeln? Er hat sich redlich vorgenommen, -einen Apollo zu malen, er streicht und tuscht, und wischt -<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a> -und bürstet, und lächelt verliebt und mit süßester Freundlichkeit -die Creatur an, die aus dem Nichts und Nebel -hervor gehen soll; und wenn es nun fertig ist, siehe da, -so hat sich in alle die künstlichen Netze ein wahrer Lümmel -eingefangen, der aus der arkadischen Landschaft uns -zähnefletschend entgegen grinzt! Nun kommen die Unverständigen -und schreien und toben: der Malerkerl hat -kein Talent, er hat die Antike nicht gehörig verstanden, -er hat statt eines Ideals ein Schmierial hervorgebracht! -und was dergleichen unverdaute Urtheile mehr ausgestoßen -werden. So wird alsdann das gerührte Herz des -Künstlers verkannt, dem sich ein wahrer Teufel, eine -Höllenbrut statt eines Himmelsengels in seiner künstlichen -Krebsreuse gefangen hat. Denn auch diese Geister streifen -herum, und lauern nur darauf, wo sie sich verkörpern -können. Bildwerke, die etwa untergehn, treiben sich -oft lange geängstigt im leeren Raume um, bis ein freundlicher -und der Sache gewachsener Mann ihnen wieder -Gelegenheit verschafft, sichtlich herab zu steigen. Es hat -mich Mühe genug gekostet, dieses Gedichts des trefflichen -römischen Malers wieder habhaft zu werden; es erfodert -mehr Studium, als Du daran wandtest, wenn Du in -der Jugend dem Nachbar seine Tauben wegfingst. Wenn -Du der Meinung bist, daß der Mensch, um eine heilige -Geschichte zu malen, nicht seine ganze Andacht dem Gegenstande -entgegen bringen muß, so bist Du sehr im Irrthum, -aus dem Dich unser junger Freund, der talentvolle -Dietrich, am ersten reißen könnte. -</p> - -<p> -Dietrich, welcher eingetreten war und nur die letzte -Aeußerung gehört hatte, nahm sogleich Gelegenheit, diesen -letzten Satz weitläufiger auszuführen. Indessen ließ -Eulenböck decken, und stellte die Weine in die Ordnung, -<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a> -nach welcher sie genossen werden sollten; nachher wandte -er sich mit der Frage an Eduard: und was denkst Du -nun in Zukunft anzufangen? -</p> - -<p> -Für’s Erste nicht viel, antwortete dieser: indessen -will ich meine vernachlässigten Studien wieder anknüpfen -und fortsetzen, und mich vorzüglich mit Geschichte und -den neuern Sprachen beschäftigen. Ich schränke mich ein, -vermiethe die übrigen Theile meines Hauses, welches mir -doch ohne Nutzen leer steht, und behalte nur diesen kleinen -Saal und die angränzenden Zimmer. So hoffe ich, -ohne Sorgen, bei einer vernünftigen Lebensart, über die -ersten Jahre hinüber zu kommen, und mich indeß zu irgend -einem Amte tauglich gemacht zu haben. -</p> - -<p> -Hier also wird Dein Museum seyn? sagte Eulenböck, -indem er mit dem Kopfe schüttelte. Diese Einrichtung -will mir gar nicht gefallen, denn ich glaube nicht, daß -diese Wände dazu geeignet sind, um hier gehörig studiren -zu lassen, denn sie haben nicht die gehörige Resonnanz, -das Zimmer selbst hat nicht die wahre Quadratur, -die Gedanken schlagen zu heftig zurück und verschwirren, -und wenn Du einmal eine rechte Fuge denken willst, so -klappert gewiß Alles durch einander. Dein seliger Papa -war auch darin wunderlich, noch in seinen letzten Jahren -diesen schönen Saal durch seinen Eigensinn so zu verderben. -Sonst sah man die Straße auf der einen Seite, -und hier auf der andern über den Garten und den Park -hinweg in die Hügel und fernen Berge hinein. Diese -schöne Aussicht hat er nicht nur zumauern lassen, sondern -auch noch die Fensteröffnungen mit Bohlen und -Täfelung weit herein verbaut, und so das Ebenmaaß des -Zimmers gestört. An Deiner Stelle riss’ ich das Wesen, -Tapeten und Vertäfelung wieder auf, und ließe, wenn -<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a> -doch einmal Fenster fehlen sollen, jene nach der Straße -vermauern. -</p> - -<p> -Es war kein Eigensinn, sagte Eduard, es geschah, da -er hier am liebsten wohnte, seiner Gesundheit wegen; der -Morgenwind von hier schadete ihm, und erregte ihm Gichtschmerzen. -Konnte er doch in den andern Zimmern die -grüne Aussicht genießen. -</p> - -<p> -Wäre nur der alte Walther kein Narr, fuhr Eulenböck -fort, so wäre Dir leicht geholfen. Er könnte Dir -das Mädchen geben, die ja doch versorgt werden muß, -und Alles wäre wieder in Ordnung! -</p> - -<p> -Schweig! rief Eduard mit der größten Heftigkeit -aus: nur heute laß mich vergessen, was ich hoffte und -träumte. Ich mag nicht mehr an sie denken, seit ich zu -meinem Entsetzen fühlte, daß ich sie liebe. Ich will es -mir nicht wiederholen, wie albern und thöricht ich mich -gegen den Vater betrug; nichts soll mir heut einfallen, -auch ihre unbegreifliche Aufführung nicht. Nein, es gab -ein herrliches Glück für mich, ich habe es zu spät erkannt; -das ist die Strafe meines Leichtsinns, daß ich auf -ewig darauf verzichten muß! Wie ich aber ohne sie leben -soll, muß ich erst von der Zukunft lernen. -</p> - -<p> -Indem trat der junge Mensch herein, der bis jetzt -Eduards Bibliothekar vorgestellt hatte. Hier ist der Catalog, -welchen Sie befohlen hatten, sagte er, indem er -dem beschämten Jünglinge einige Blätter überreichte. -Wie? rief dieser aus, nicht mehr als nur etwa sechshundert -Bände sind noch von der schönen Sammlung übrig? -Und unter diesen nur die gewöhnlichsten Werke? Der Bibliothekar -zuckte mit den Achseln. Da Sie mir gleich -vom Anbeginn, erwiederte er, meinen Gehalt in Büchern -ausgezahlt haben, so mußte ich diejenigen nehmen, die -<a id="page-76" class="pagenum" title="76"></a> -am ersten Käufer fanden; auch bin ich nicht genug Kenner -von Seltenheiten, und habe diese wohl nicht genug -gewürdiget; außerdem haben Bücher, vorzüglich Raritäten, -zu verschiedenen Zeiten einen ungleichen Werth, und -ist der Verkäufer gedrängt, um eine Summe zu erhalten, -so muß er fast nehmen, was ihm geboten wird. -</p> - -<p> -So hätt’ ich also, sagte Eduard halb in Wehmuth, -halb mit Lachen, gewiß besser gethan, gar keinen Bibliothekar -anzunehmen, oder die Sammlung gleich anfangs -zu verkaufen, dann hätte ich Geld dafür gehabt, oder die -Bücher behalten. Und welche Sammlung! Mit welcher -Liebe hat sie mein Vater gehegt! Welche Freude war es -ihm, als er den seltnen Petrark, die erste Ausgabe des -Dante und Boccaz erhielt! Wie konnt’ ich es vergessen, -daß sich in den meisten Büchern Nachweisungen von seiner -Hand finden! Wie wollt’ ich diese Werke ehren, wenn -ich sie noch besäße! Uebrigens, da ich keine Bibliothek -mehr habe, werden Sie ermessen, wie ich Ihnen auch -schon neulich meldete, daß ich keines Bibliothekars mehr -bedarf. Indessen wollen wir heut noch mit einander -fröhlich seyn. -</p> - -<p> -Jetzt trat auch der Mann herein, der oft an den -wilden Gelagen Theil genommen hatte, und den sie wegen -seiner Gesinnungen immer nur den Pietisten nannten. -Sie hatten ihm diesen Namen beigelegt, weil er nie -in die heitern Scherze oder ausgelassene Fröhlichkeit der -Andern stimmte, sondern unter Murren und moralischen -Betrachtungen seinen Antheil am Mahle verzehrte. Nun -fehlt nur noch das Krokodill, rief Eulenböck aus, so sind -wir beisammen. Dies war ein kleiner hypochondrischer -Buchhalter, blaß und eingeschrumpft, aber einer der größten -Trinker. Den sonderbaren Namen hatten sie ihm -<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a> -beigelegt, weil er alsbald, so wie ihn der kleinste Rausch -anwandelte, in Thränen ausbrach, und diese um so reichlicher -vergoß, je länger das Gelag dauerte, und je ausgelassener -die Uebrigen waren. Die Thüre öffnete sich, -und die Jammergestalt machte den wunderlichen Kreis der -Gäste vollständig. -</p> - -<p> -Die Tafel war mit Trüffelpasteten, Austern und andern -Leckerbissen bedeckt; man setzte sich, und Eulenböck, -dessen purpurrothes Gesicht zwischen den Kerzen einen -ehrwürdigen Schein von sich gab, begann auf feierliche -Weise also: Meine versammelten Freunde! Ein Unwissender, -der plötzlich in diesen Saal träte, könnte von diesen -Anstalten, die den Schein eines Festes haben, verleitet -werden, im Fall er die Mitglieder dieser Gesellschaft -nicht näher kennen sollte, die Meinung zu fassen, es sei -hier auf Schwelgerei, Trinken, Tumult und ausgelassene -Lustigkeit, die nur der rohen Menge ziemt, angelegt worden. -Selbst ein junger Künstler, Dietrich mit Namen, -der zum ersten Mal unter uns an diesem Tische sitzt, läßt -verwundernde Blicke auf die Menge dieser Flaschen und -Gerichte, auf diese Gansleberpastete, auf diese Austern -und Muscheln, und auf den ganzen Apparat einer Feierlichkeit -schießen, der ihm hier einen übertriebenen sinnlichen -Genuß zu versprechen scheint, und auch er wird sich -wundern, wenn er erfährt, wie alles dies so ganz anders -und im entgegengesetzten Sinne gemeint sei. Meine Herren, -ich bitte, Acht zu geben, und meine Worte nicht zu -leicht in das Ohr fallen zu lassen. Wenn Länder die -Geburt eines Prinzen feierlich begehn, wenn in Arabien -ein ganzer Stamm sich festlich freut, indem sich ein Dichter -in ihm gezeigt und hervor gethan hat, wenn die Installation -des Lord-Mayor mit einem Schmause verherrlicht -<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a> -wird, ja wenn man die Geburtsstunde der Pferde -von echter Race nicht unbillig auf nachdenkliche Weise -auszeichnet: so liegt es uns ja wohl noch näher (um -nicht mit einem Antiklimax zu schließen) aufzuschauen, -gerührt zu seyn und etwa mit Gläsern anzustoßen, wenn -das Unsterbliche sich uns zeigt, wenn die Tugend uns -würdigt, körperlich vor uns zu erscheinen. Ja, meine -Freunde, gerührten Herzens spreche ich es aus, ein junger -angehender Tugendhafter ist unter uns, der noch heut -Abend sich als eingepuppter Schmetterling durchbeißen, -und seine Schwingen im neuen Leben entfalten wird. Es -ist Niemand anders, als unser edler Wirth, der uns so -manchen Schmaus gegönnt, so manches Glas eingeschenkt -hat. Aber ein feuriger Vorsatz, abgerechnet, daß er selbst -auf dem Trocknen sitzt, jener Impetus der Begeisterung, -von dem schon die Alten sangen, reißt ihn nun von uns -in lichte Höhen hinauf, und wir, von diesem Tisch und -Flaschen und Schüsseln, seiner irdischen Grabesstätte, -schauen ihm schwindelnd nach, staunend, welchen fremden -Regionen er nun zusteuern wird. Ich sage Euch, -Theuerste, er wälzt unendlich viele und treffliche Entschlüsse -in seinem Busen: und was kann der Mensch, -selbst der schwächste und unansehnlichste, nicht entschließen! -Habt Ihr es wohl je schon erwogen (aber in Euerm -Leichtsinn denkt Ihr nicht an dergleichen), daß in einer -unscheinbaren Mappe, wenn sie nur etwa hundert gezeichnete -Landschaften enthält, sich eine Strecke von tausend -Meilen verbergen kann, und daß sie selbst doch nicht -mehr Raum einnimmt, als ein mäßiger Foliant? Denn -Perspektive liegt dort neben Perspektive, und Berg und -Thal und Fluß und weite, unendliche Aussichten. So -mit den Vorsätzen! so schwächlich unser Pietist, oder -<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a> -Herr Dietrich aussieht, so können sie doch gewiß an guten -Entschlüssen mehr als zehn Elephanten, oder zwanzig -Kameele tragen. Wie schwach ich selbst in dieser Tugend -bin, weiß ich am besten, und daher meine Verehrung -vor denen, an welchen ich diese Kräfte wahrnehme. -</p> - -<p> -Da wir nun nicht alle der Begeisterung fähig sind, -so sitzen wir hier an diesem Tische, wie an einem Kreuzwege, -an welchem sich viele Straßen in mannigfaltigen -und entgegengesetzten Richtungen scheiden. Auf dergleichen -Hauptstationen pflegen auf pyramidalischer Säule die -Entfernungen der Städte nach allen vier Weltgegenden -verzeichnet zu stehn. So mag es auch hier, in einem -nicht unerfreulichen Bilde, gelten. Diese Austern führen, -übermäßig genossen, zur Krankheit, dieser Burgunder -nach einigen Stationen zu rothen Nasen, diese Trüffeln -und was ihnen anhängt, zu Wassersucht, Magenkrampf -und ähnlichen Uebeln. Unser Eduard aber, alles dies -verschmähend, wandelt zur Tugend. So fahre denn wohl -auf Deinem einsamen Pfade, und wir, die wir entzündete -Gesichter, dicke Bäuche und kurzen Athem nicht so -sehr scheuen, gehn unsre Straße fort. Aber auch ich -werde Euch bald verlassen, Theuerste; ein edler Unbekannter, -den ich Euch noch nicht nennen darf, wird mein -Kunstgenie zu den höchsten Leistungen begeistern, er wird -mich in fernen Regionen einer idealischen Weihe empfänglich -machen, und so zu sagen, vergeistigen. Unser frommer, -gemüthlicher Dietrich, den wir kaum kennen lernten, -wandelt den Kunstdom entlang, und schmückt die -vaterländischen Altäre. Was soll ich von Dir sagen, -Bibliothekar, der Du vor den leeren Bücherschränken stehst, -und die Werke nicht blos gelesen, sondern buchstäblich -verschlungen hast? O Du verlesener Mensch, Du von der -<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a> -Secte des muselmännischen Omar, Kienraupe der Bibliotheken, -Verwüster der Schriften, der Du eine neue alexandrinische -Sammlung blos durch die treffliche neue Erfindung, -Dein Salar nicht geistig, sondern wirklich aus den -Schriften zu ziehn, vernichten könntest. Alle Buchhändler -des römischen Reiches sollten Dich umher senden, um -mit Deiner zerstörenden Kraft die Sammlungen zu zerstieben -und neue Werke nothwendig zu machen. Du, -mehr als Recensent und schlimmer als Saturnus, der -doch nur verzehrte, was er selbst erzeugt: Wo sind sie, -Deine Untergebenen, Deine Mündel, die mit goldnem -Rücken und Schnitt Dich so freundlich anlachten? Versilbert -hast Du sie alle, und schon nach wenigen Jahren -Deine silberne Hochzeit mit ihnen gefeiert. Lebe denn -wohl, auch Du, Pietist, redlichster unter den Sterblichen, -Du Hasser aller Poesie und Lüge! Reich mir die Hand -zum Abschied, armes Krokodill, das schon in Thränen -schwimmt; im Sumpf einer Taverne mußt Du künftig -heulen. In einem bessern Leben sehn wir uns alle wieder. -</p> - -<p> -Da Eduard nachdenkend war, und Dietrich in der -Gesellschaft noch fremd, der Bibliothekar und Pietist keine -Miene verzogen, so herrschte während und nach der Rede -ein tiefes Stillschweigen, welches dadurch noch feierlicher -wurde, daß der Buchhalter, der schon manches Glas geleert -hatte, schluchzte und jammerte. -</p> - -<p> -Heut ist der Abend der heiligen Drei-Könige, sagte -Eduard, und wie es noch in manchen Gegenden Sitte -ist, sich an diesem Tage zu beschenken, so wünsche ich, -daß meine bisherigen Genossen und Freunde auch diese -Nacht in froher Geselligkeit mit mir verbringen. -</p> - -<p> -An diesem Abend, fuhr Eulenböck fort, ist es nicht -unschicklich, einmal anders, als gewöhnlich zu leben; -<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a> -daher waren sonst Glücksspiele gebräuchlich, wenn sie auch -übrigens verboten waren. Und wie gut wäre es für -Dich, Freund Eduard, wenn heute auch Dein Glücksstern -von Neuem erwachte, daß dem verarmten Verschwender -ein neues Vermögen bescheert würde. Man hat wunderliche -Erzählungen, wie verzweifelte Jünglinge sich in der -Armuth haben in ihrem väterlichen Hause erhängen wollen, -und siehe da, der Nagel fällt mit dem Balken der -Decke herab, und mit beidem zugleich viele tausend Goldstücke, -die der vorsorgende Vater dorthin versteckt hatte. -Beim Lichte besehen, eine dumme Geschichte. Konnte der -Vater denn wissen, daß der Sohn für das Hängen eine -besondere Vorliebe haben würde? Konnte er wohl berechnen, -daß der Körper des Desperaten noch schwer genug -bleibe, den verborgenen Schatz durch sein Gewicht -aufzudecken und herab zu ziehn? Konnte der verlorene -Sohn nicht schon früher einen Kronenleuchter dort anbringen -wollen, und das Geld finden? Kurz, tausend -gegründete Einwürfe kann die vernünftige Kritik diesem -schlecht erfundenen Mährchen machen. -</p> - -<p> -Ohne daß Du immer wieder auf diesen Vorwurf -zurück kommst, sagte Eduard empfindlich, schilt mein eignes -Gewissen, meinen Leichtsinn und thörichte Verschwendung. -Wären die Leidenschaften nicht unbändig, die ihren -Stolz darein setzen, die Vernunft zu verhöhnen, so -hätten die Moralprediger nur leichte Arbeit. Es ist ganz -begreiflich, wenn die armen Menschen glauben, von bösen -Geistern besessen zu seyn. Denn wie soll man es erklären, -daß man dem Schlimmen folgt, indem man das -Bessere einsieht, ja daß wir oft zum Letztern selbst in unsern -wildesten Stunden mehr Trieb, als zum Unrecht -empfinden, und dennoch, uns selbst zum Trotz, jeder Einsicht -<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a> -den Rücken kehren, und schon vor der begangenen -That von unserm Gewissen gequält werden? Es muß -eine tiefgewurzelte Verderbniß in der menschlichen Natur -seyn, die sich auch nie ganz zum Edeln erziehn, oder durch -Pfropfreiser der Tugend umwandeln läßt. -</p> - -<p> -So ist es, sagte der Pietist: der Mensch an sich -taugt nichts, er ist gleich in der Schöpfung mißrathen. -Er kann nur geflickt werden, und die Lappen bleiben immer -auf dem alten schäbigen Tuche sichtbar. -</p> - -<p> -Ja wohl, seufzte das Krokodill, es ist zu bejammern, -und immer wieder zu bejammern. Die Thränen -flossen ihm dicht aus den weinglühenden Augen. -</p> - -<p> -Als Du mich zum ersten Mal in jene Weinschenke -führtest, fuhr Eduard zum alten Maler gewendet fort, -machte es mir denn Freude, mich in dem Kreise dieser -rohen und langweiligen Menschen zu sehn? Ich war beschämt, -als der Herr der Schenke mir mit einer Ehrfurcht -entgegen kam, als sei ich einer der Götter, vom -Olymp herabgestiegen. Dergleichen Ehre war seinem -Hause noch niemals widerfahren. Bald gewöhnte man -sich an die Gegenwart meiner Herrlichkeit, und immer -zog es mich wider meinen Willen in den Weinduft des -Zimmers, in das schreiende Gespräch und an meine Wand -hin, wie ein Zauber, der auch nicht riß, als die Gesichter -des Wirthes und seiner Leute kälter, ja verdrossen -wurden, als man mein Wort nicht mehr beachtete, und -geringere Gäste anständiger behandelte; denn durch meine -Nachlässigkeit war ich schon in eine bedeutende Schuld -gerathen, um welche man mich mit grober Zudringlichkeit -mahnte. Noch schlimmer ging es einem armen Lumpen, -einem täglichen Gast, auf den man fast nie hörte, der -oft verdorbenen Essig erhielt, und sich doch nicht beschweren -<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a> -durfte; er war die Zielscheibe des witzigen Gesindes, -der Gegenstand des Hohns und Mitleids der übrigen -Fremden, so wie seiner eignen furchtsamen Verachtung. -Und so schlecht man ihn behandelte, mußte er doch -theurer als Alle bezahlen, und ward betrogen, ohne klagen -zu dürfen, indeß sein Gewerbe versäumt ward, und -Frau und Kinder zu Hause schmachteten. In diesem Spiegel -sah ich nun mein eignes Elend, und als einmal ein -redlicher Handwerker von unbescholtenem Wandel dort zufällig -einkehrte, und von Allen als eine seltene Erscheinung -mit Hochachtung begrüßt wurde, erwachte ich endlich -aus dem Schlummer meiner Ohnmacht, bezahlte, -was nur meine Trägheit versäumt hatte, und suchte auch -jenen Elenden zu retten, daß er nicht ganz versank. Aber -so ist es, daß selbst diejenigen, die sich vom Leichtsinnigen -und Taugenichts bereichern, diesen verachten, und -dem Würdigen, der ihnen aus dem Wege geht, ihre Ehrfurcht -nicht versagen können. So habe ich meine Zeit -und mein Vermögen unwürdig verschleudert, um Verachtung -einzukaufen. -</p> - -<p> -Sei still, Sohn, rief Eulenböck, Du hast auch mancher -armen Familie Gutes gethan. -</p> - -<p> -Laß uns davon schweigen, antwortete Eduard in -Unmuth: auch das geschah ohne Sinn, so wie ich ohne -Sinn Aufwand machte, ohne Sinn reisete, spielte und -Wein trank, und weder mir noch Andern eine gute -Stunde zuzubereiten verstand. -</p> - -<p> -Das ist freilich schlimm, sagte der Alte, und was -den lieblichen Wein betrifft, eine Sünde. Aber seid munter -und trinkt, ihr wackern Gehülfen, damit auch der -Wirth in die Stimmung komme, die ihm geziemt. -</p> - -<p> -<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a> -Es bedurfte aber dieser Aufmunterung nicht, denn -die Tischgesellschaft war unermüdet. Selbst der junge -Dietrich trank fleißig, und Eulenböck ordnete an, wie die -Weine auf einander folgen sollten. Heute gilt es! rief -er aus, die Schlacht muß gewonnen werden, und der Sieger -erzeigt den Besiegten keine Gnade. Seht in mein -kriegerisches Antlitz, Ihr jüngern Helden, hier hab’ ich -die rothe Blutfahne dräuend ausgehängt, zum Zeichen, -daß kein Erbarmen statt finden soll! Nichts in der Welt -wird so mißverstanden, Freunde, als der scheinbar einfache -Actus, den die Menschen so obenhin trinken nennen, -und <a id="corr-5"></a>keine Gabe wird so verkannt, so wenig gewürdiget, -als der Wein. Könnt’ ich wünschen, der Welt einmal -nützlich zu werden, so möcht’ ich eine aufgeklärte Regierung -dahin bewegen, einen eignen Lehrstuhl zu errichten, -von wo herab ich die unwissende Menschheit über die -trefflichen Eigenschaften des Weines unterrichtete. Wer -trinkt nicht gern? Es giebt nur wenige Unglückselige, -die das mit Wahrheit von sich versichern können. Aber -es ist ein Erbarmen, anzusehn, wie sie trinken, ohne alle -Application, ohne Styl, Schatten und Licht, so daß sich -kaum die Spur einer Schule findet; höchstens Colorit, -was die Uebermüthigen dann auch gleich sich und der Welt -auf die Nase binden und zur Schau aushängen. -</p> - -<p> -Und wie muß man es eigentlich anfangen? fragte -Dietrich. -</p> - -<p> -Anfangs, erwiederte der Alte, muß man durch stille -Demuth und einfachen Glauben, wie in allen Künsten, den -Grund legen. Nur ja keine vorzeitige Kritik, kein spürendes, -naseweises Schnüffeln, sondern ein edles, vertrauenvolles -Dahingeben. Kommt der Schüler weiter, nun so -mag er auch unterscheiden; und trifft der Wein nur Lehrbegier -<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a> -und Sitteneinfalt, so unterrichtet auch sein Geist -von innen heraus, und weckt mit dem Enthusiasmus zugleich -das Verständniß. Nur nicht die Uebung, als das -Hauptsächlichste, hintangesetzt, keine leere Schwärmerei; -denn nur die That macht den Meister. -</p> - -<p> -O wie wahr! seufzte der Buchhalter, indem er seinen -Thränen keinen Einhalt that. Worte, sagte der Pietist, -die der gemeine Haufe goldne nennen würde. -</p> - -<p> -Wäre das Trinken, fuhr Eulenböck fort, keine Kunst -und Wissenschaft, so dürfte es auch nur einerlei Getränk -auf Erden geben, so wie das unschuldige Wasser schon -diese Rolle spielt. Aber der Geist der Natur versenkt sich -auf lieblich anmuthige Weise wechselnd und spielend hier -und dort in die Rebe, und läßt sich im wundersamen -Ringen keltern und verklären, um über den magischen -Weg der Zunge in unser Inneres zu steigen, und dort -aus altem Chaos alle glänzende Kräfte aus Betäubung -und Schlummer aufzuwecken. Seht, da geht der Säufer! -O meine Freunde, so schalten und spotteten auch -diejenigen, die die Eleusinische Weihe nicht empfangen -hatten. Mit dieser goldnen und purpurnen Fluth ergießt -sich und breitet sich in uns ein Meer von Wohllaut aus, -und dem aufgehenden Morgenroth erklingt das alte Memnons-Bild, -das bis dahin stumm in dunkler Nacht gestanden -hatte. Durch Blut und Gehirn rinnt und eilt -frohlockend der holde Ruf: der Frühling ist da! Da fühlen -alle die Geisterchen die süßen Wogen, und kriechen -mit lachenden Augen aus ihren finstern Winkeln hervor; -sie dehnen die feinen kristallnen Gliederchen, und stürzen -sich zum Bade in die Weinfluth, und plätschern und ringen, -und steigen schwebend wieder heraus, und schütteln -die bunten Geisterschwingen, daß mit Gesäusel die klaren -<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a> -Tropfen von den Federchen fallen. Sie rennen umher und -begegnen einander, und küssen frohes Leben einer von des -andern Lippe. Immer dichter, immer leuchtender wird -die Schaar, immer wohllautender ihr Gestammel: da führen -sie gekränzt und hoch triumphirend den Genius herbei, -der kaum mit den dunkeln Augen aus vollen Blumengewinden -hervor schauen kann. Nun fühlt der Mensch -die Unendlichkeit, die Unsterblichkeit; er sieht und fühlt -die Millionen von Geistern in sich, und ergötzt sich an -ihren Spielen. Was soll man dann von den gemeinen -Seelen sagen, die einem nachrufen: seht! der Kerl ist besoffen. -Was meinst Du, redliches Krokodill? -</p> - -<p> -Der blasse Weinende reichte ihm die Hand und sagte: -ach! Lieber, die Leute haben Recht, und Ihr habt Recht, -und die ganze Welt hat Recht. Was Ihr so prophetisch -daher gekugelt habt, geht über mein Verständniß, aber -ich bin selig in meiner tiefen Rührung. Wenn Leute in -die Komödie gehn, um für ihr Geld zu weinen, so kommt -mir das ganz abgeschmackt vor; mag es Andern vergönnt -seyn, sich an hohen Gesinnungen und Thaten zu erheben -und darüber Thränen zu vergießen, aber ich verstehe -es nicht; doch, wenn solch guter Wein in mich hinein -geht, so wirkt er wundersam, daß mir dann Alles, Alles, -mag man sprechen was man will, mag man schweigen -oder lachen, in der schönsten Rührung aufgeht. Seht, -mein Herz möchte vor Wonne brechen, ich könnte Alles, -und wär’ es Euer lahmer Pudel, in die Arme schließen. -Aber meine Augen leiden darunter, und der Doctor hat -mir deshalb das Trinken ganz verbieten wollen. Aber dieser -Gedanke ist mir eben die rührendste von allen Vorstellungen, -darüber könnte ich Tage lang weinen, und deshalb hat er -auch diese Verordnung wieder zurück nehmen müssen. -</p> - -<p> -<a id="page-87" class="pagenum" title="87"></a> -Je mehr ich trinke, sagte der Pietist, je mehr hasse -ich das, was Ihr, Eulenböck, da schwadronirt habt, -je unvernünftiger kommt es mir vor. Lug und Trug! -Es ist beinah eben so dumm, als beim Trinken die Lieder -zu singen, die dazu gemacht sind. Jedes Wort darin -ist gelogen. Wenn der Mensch nur einen Gegenstand mit -dem andern vergleicht, so lügt er schon. „Das Morgenroth -streut Rosen.“ Giebt es etwas Dümmeres? „Die -Sonne taucht sich in das Meer.“ Fratzen! „Der Wein -glüht purpurn.“ Narrenspossen! „Der Morgen erwacht.“ -Es giebt keinen Morgen; wie kann er schlafen? -Es ist ja nichts, als die Stunde, wenn die Sonne aufgeht. -Verflucht! Die Sonne geht ja nicht auf; auch das -ist ja schon Unsinn und Poesie. O dürft’ ich nur einmal -über die Sprache her, und sie so recht säubern und ausfegen! -O verdammt! Ausfegen! Man kann in dieser -lügenden Welt es nicht lassen, Unsinn zu sprechen! -</p> - -<p> -Laßt’s Euch nicht irren, ehrlicher Mann, sagte Eulenböck, -Eure Tugend meint es gut, und wenn Ihr die -Sache anders anseht, als ich, so trinkt Ihr wenigstens -denselben Wein, und fast eben so viel, als ich selber. -Die That vereinigt uns, wenn uns das System aus einander -führt. Wer versteht sich heut zu Tage? Davon -ist auch gar nicht die Rede mehr. Ich wollte nur noch -bemerken, wenn es auch mit dem Vorigen gar nicht zusammen -hängt, daß mir die Art, wie Menschen und -Aerzte den Nahrungsprozeß und die sogenannte Assimilation -ansehen, höchst einfältig vorkommt. Der Eichenbaum -wird aus seinem Saamenkorne eine Eiche, und die -Feige bringt den Feigenbaum hervor, und wenn sie auch -Luft, Wasser und Erde bedürfen, so sind es doch diese -Elemente nicht eigentlich, aus denen sie erwachsen. So -<a id="page-88" class="pagenum" title="88"></a> -erweckt die Nahrung in uns nur die Kräfte und den -Wachsthum, bringt sie aber nicht hervor; sie giebt die -Möglichkeit, aber nicht die Sache, und aus sich selbst -quillt der Mensch wie eine Pflanze hervor. Es ist eine -platte Ansicht, zu glauben, daß der Wein unmittelbar, -an sich selbst, alle die Wirkungen hervor bringt, die wir -ihm zuschreiben; nein, wie ich sagte, sein Duft und Hauch -<em>erweckt</em> nur die Qualitäten, die in uns ruhn. Nun -stürzen sich die Kräfte, Gefühle und Entzückungen hervor, -wenn sie von diesen Wellen getränkt werden. Meint -man denn, daß es in aller Kunst und Wissenschaft anders -sei? Ich brauche doch wohl die alte Platonische -Idee nicht von Neuem vorzutragen. Rafael und Correggio -und Titian regen nur mein eignes Selbst an, das in -Vergessenheit schlummert, und das größte Genie, der tiefste -Kunstsinn können sich die Gebilde mit aller Imagination -nicht erfinden, die ihnen von den großen Meistern vorgehalten -werden; und doch wecken diese Werke selbst nur -die alten Erinnerungen auf. Daher auch die Sucht -nach neuen geistigen Genüssen, die sonst nicht löblich seyn -würden; daher der Wunsch, Unbekanntes aufzufinden, -Originelles hervor zu bringen, der außerdem nur Unsinn -wäre. Denn wir ahnen die Unendlichkeit der Erkenntniß -in uns, diesen weissagenden Spiegel der Ewigkeit, und -was diese uns werden kann, ein unaufhörlich neues Erkennen, -das sich im Mittelpunkt einer himmlischen Ruhe -sammelt, und von hier aus weiter nach neuen Regionen -ausbreitet. Und darum eben, meine lieben Saufbrüder, -muß es auch viele und mancherlei Weine geben. -</p> - -<p> -Und welchen ziehen Sie vor? fragte Dietrich. Giebt -es hier nicht auch das Classische und Vollendete, das -Moderne und Triviale, das Manierirte und Gesuchte, das -<a id="page-89" class="pagenum" title="89"></a> -Lieblich-Alte und Fromm-Schlichte, das Gemüthliche -und leer Renommirende? -</p> - -<p> -Jüngling, sagte der Alte, diese Frage ist zu verwickelt, -setzt unendliche Erfahrung, historischen Ueberblick, -abgelegtes Vorurtheil, und einen nach allen Richtungen -ausgebildeten Geschmack voraus, den nur viele Jahre, fortgesetzte -Arbeit und unermüdliches Studium, so wie die -Mittel dazu, die nicht in Jedermanns Händen sind, fassen -und lösen können. Einiges Encyklopädische wird Dir -hinreichen. Fast jeder Wein hat sein Gutes, fast alle -verdienen gekannt zu werden. Ist in unserm Vaterlande -der Neckar fast nur, den Durst zu löschen, da, so erhebt -sich der Würzburger schon zum Edeln, und die vielfachen -hohen Sorten des Rheinweins lassen sich nicht in der Eile -charakterisiren. Ihr habt sie hier vor Euch stehn gehabt -und genossen. Diese trefflichen Wogen, vom leichten Laubenheimer -bis zum starken Nierensteiner, gewaltigen Rüdesheimer -und tiefsinnigen Hochheimer, mit allen ihren -verwandten Fluthen gehörig zu preisen, dazu gehört mehr -als die Zunge eines Redi, der in seinem toskanischen Dithyrambus -doch nur mittelmäßig gefaselt hat. Diese -Geister gehn rein und klar, kühlend und den Sinn erläuternd -den Gaumen hinunter. Soll ich es vergleichen, so -ist es die ruhige Gediegenheit trefflicher Schriftsteller, Gemüth -und Fülle ohne Phantasterei oder schwärmerische -Allegorie. Was ist nun der heißere Burgunder demjenigen, -der ihn vertragen kann! Wie die unmittelbare Begeisterung -fällt er in uns hinab, schwer, blutig, heftig -erweckt er unsre Geister. Die Rebe von Bourdeaux dagegen -ist heiter, geschwätzig, ermuntert, aber begeistert -nicht. Doch schon voller und wunderlicher dichtet die -Provence und das poetische Languedoc. Dann das heiße -<a id="page-90" class="pagenum" title="90"></a> -Spanien im Xerez und ächten Malaga, und den glühenden -Weinen von Valencia. Hier verwandelt sich der -Weinstrom, indem wir ihn genießen, schon an unserm -Gaumen in Kugelgestalt, die sich weit und weiter ausbreitet, -und uns im Tokayer und St. Georgen-Ausbruch -noch weit inniger und sinniger so erscheint. Wie erfüllt -Mund und Gaumen und den ganzen Sinn des Gefälls -nur ein Tropfen des edelsten Cap-Weins. Diese Weine -muß der Kenner nippen und züngeln, und nicht mehr -trinken wie unsern braven Rhein. Was sag’ ich von euch, -ihr lieblichsten Gewächse Italiens, und namentlich Toskana’s, -du geistreichster Monte-Fiascone, du wahrhaft -rührender Monte-Pulciano? Nun so kostet denn, Freunde, -und versteht mich! Aber nicht konnt’ ich dich aufsetzen, -dich König aller Weine, dich rosenröthlicher Aleatico, -Blume und Ausbund alles Weingeistes, Milch und Wein, -Blume und Süße, Feuer und Milde zugleich! Diesen -Wundergesellen trinkt, kostet, nippt und züngelt man -nicht; sondern dem Beseligten erschließt sich ein neues Organ, -das sich dem Unkundigen und Nüchternen nicht beschreiben -läßt. — Hier brach er gerührt ab, und trocknete -die Augen. -</p> - -<p> -So hatte meine Ahnung ja doch Recht, rief Dietrich -begeistert aus: dieser ist denn im Weinreich, was der -alte Eyck oder Hemling, vielleicht auch der Bruder Johann -von Fiesole unter den Malern sind. So schmeckt -ja auch diese lieblich rührende und tiefe Farbe, die ohne -Schatten doch so wahr, ohne Weiße so blendend und -überzeugend ist. So sättigt und berauscht der Purpur -des Gewandes, und so mildert und sänftigt das Feuer -das milde Blau, das schwärmende Violett. Alles ist Eins, -und klingt in unserm <a id="corr-6"></a>Geiste zusammen! -</p> - -<p> -<a id="page-91" class="pagenum" title="91"></a> -Ausgenommen Eulenböcks Nase, rief der ganz trunkene -Bibliothekar aus: die hat keinen Scharlach mehr, -keine Uebergänge in den Tönen, um sie mit dem Gesicht -in Verbindung zu setzen, sondern jenes violette Dunkelroth -bratet in ihrer Zauberküche, wie unterirdisch in den Reichen -der feuchten Nacht die rothe Rübe gerinnt, aller -Sonne abgewandt. Soll dies Gewächs wohl dem Leben -angehören? Soll der Weingott es so aufgefüttert haben? -Nimmermehr! Es ist ein ungeschlachtes Gehäuse, ein -widerwärtiges Etui für Bosheit und Lüge. -</p> - -<p> -Leerer Schwulst, rief der Buchhalter, morscher Glanz, -hinfällige Sterblichkeit! Und krumm, baufällig steht sie -auch noch in dem unterminirten Gesicht, so daß sie mit -ihrer Wucht bald den ganzen Mann in Trümmer drücken -kann. Kerl! wo hast Du die unverschämt schiefe -Nase her? -</p> - -<p> -Ruhig, Krokodill! schrie Eulenböck, indem er heftig -auf den Tisch schlug: will das Geziefer die Welt reformiren? -Jede Nase hat ihre Geschichte, ihr Naseweise. -Meint das dumme Volk denn, daß nicht auch das Kleinste -sich als Ring an die Nothwendigkeit ewiger Gesetze fügt? -Meine Nase, wie sie da ist, habe ich meinem Barbier -zu verdanken. -</p> - -<p> -Erzähle, Alter! riefen die jungen Leute. -</p> - -<p> -Geduld! sprach der Maler. Die Physiognomik wird -immer eine trügliche Wissenschaft bleiben, eben weil sie -auf Barbiere, Weinschenken und sonstige historische Umstände -zu wenig Rücksicht nimmt. Freilich ist das Gesicht -der Ausdruck des Geistes; aber es leidet unter der -Art, wie man damit handthiert, auffallend. Die Stirn -hat es ihrer Festigkeit nach am besten, wenn sich der -Mensch nicht gewöhnt, alle kleine Leidenschaften, Verdruß -<a id="page-92" class="pagenum" title="92"></a> -und Mißbehagen durch Faltenziehen darauf zu malen. -Seht, wie edel ist die unsers Eduard, und wie viel schöner -würde sie noch seyn, wenn der junge Bursche mehr -gedacht und sich beschäftigt hätte! Die Augen, ihrer Beweglichkeit -nach, hin und her rennend, conserviren sich in -ihrem Spiel auch noch leidlich, man müßte sie denn ausweinen, -wie unser krokodilischer Freund dort. Schlimmer -ist es schon mit dem Munde; der schleift sich bald durch -Schwatzen und fades Lächeln ab, wie bei unserm werthen -Bibliothekar; wischt Einer nun gar nach Essen und Trinken -übermäßig daran, so wird er bald unkenntlich, besonders, -wenn man aus falscher Schaam etwa die Lippen -immer nach innen kneipt, wie unser trefflicher Pietist, der -die Röthe derselben wohl für Lüge und unnützen Schwulst, -erklärt. Aber die Nase, die arme, die von allen Theilen -am meisten sich hervor arbeitet, uns Unglückliche von allen -Thieren unterscheidet, bei denen Maul und Schnauze -so freundlich eins werden, und die beim Menschen als -Höcker und Blocksberg der Tummelplatz aller Hexen und -bösen Geister wird: wird sie nicht schon der kalten Luft -und des Schnupfens wegen bei den meisten Menschen zum -Sausewind und zur klingenden Trompete und Schlachtposaune -ausgereckt, gezogen, gedehnt und gehudelt? Wird -ihre Nachgiebigkeit, ihre Entwickelungs-Fähigkeit nicht -gemißbraucht, um fast Elephantenrüssel und Truthahnsschnäbel -heraus zu arbeiten? Frommere Seelen drücken -sie wieder nieder und plätschen den Hochmuth in jammervolle -Unformen zusammen. Alles dieses sah ich früh, -schonte meine Nase, und konnte meinem Schicksal doch -nicht entgehn. Ich bin mit meinem Barbier, einem meiner -innigsten Freunde, aufgewachsen und alt geworden. -Dieser Künstler, indem er sich von einer Seite meines -<a id="page-93" class="pagenum" title="93"></a> -Antlitzes zur andern wandte, pflegte bei diesem Wechsel, -um einen Stützpunkt zu haben, mir die Schneide des -Messers unten an die Kehle zu setzen, und darauf drückend -und sich lehnend schnell die andre Seite zu gewinnen. -Dies schien mir bedenklich. Er durfte ausgleiten, sich stoßen, -so schnitt er höchst wahrscheinlich mit dem Gestützten -in das Stützende, und mein Angesicht lag unrasirt zu -seinen Füßen. Dem mußte abgeholfen werden. Er dachte -nach, und als wahres Genie war es ihm nicht so gar schwer, -sein System und seine Manier zu ändern. Er packte nämlich -mit seinen Fingern meine Nase, was ihm den Vortheil -gewährte, sich stützen und viel länger auf sie lehnen -zu können, und zog sie gewaltsam in die Höhe, vorzüglich, -indem er die Oberlippe barbirte, und so beschauten -wir uns Auge in Auge, ein Herz dem andern nahe, und -das Scheermesser arbeitete in besonnener und sicherer Thätigkeit. -Es traf sich aber, daß mein Freund von je her -eins der auffallendsten Gesichter an sich trug, die der gemeine -Haufe abscheulich, verzerrt und garstig zu nennen -pflegt; dabei hatte er die Gewohnheit, zu grimmassiren, -und liebäugelte mir so herzlich entgegen, daß ich es in -jeder Sitzung ihm erwiedern, und in dieser Nähe auch seine -übrigen Fratzen unwillkührlich nachahmen mußte. Riß er -die Nase unbillig hinauf, so zerrte er dafür, um mit seiner -Kunst in die Mundwinkel zu gelangen, die Lippen und -den Mund zu gewaltsam in die Breite. Hatte er auf diese -mechanische Weise in meinem Antlitz ein scheinbares Lächeln -erzwungen, so kam mir sein Lachen so liebreich, freundlich, -herzinnig und rührend entgegen, daß mir oft aus schmerzlicher -Theilnahme, und um nur ein boshaftes Lachen zu -verbeißen, die Thränen in die Augen traten. Mensch! -barbirender Freund! rief ich aus: stelle Dein menschenfreundliches -<a id="page-94" class="pagenum" title="94"></a> -Anlachen ein, ich lächle ja gar nicht, Du ziehst -mir ja nur die Mundwinkel wie einen Schwamm aus einander. -Thut nichts, antwortete die redliche Seele, Dein -Liebreiz in diesem Lächeln zwingt mich zur Erwiederung. -Seht, so grinsten wir uns denn wie die Affen minutenlang -an. Ich bemerkte nach zwölf Wochen etwa eine auffallende -Veränderung in meiner Physiognomie. Die Nase stieg und -bäumte sich so auffallend nach oben, als wenn sie den -Augen und der Stirn den Krieg ankündigen wollte, die -wirklich häßlichen Verzerrungen der Wangen und Lippen -ungerechnet, die ich aber schon nicht mehr lassen konnte, -weil ich sie wie ein Andenken von meinem Freunde empfangen -hatte. Ich drückte die aufstrebende Nase wieder nieder -und trug dem Edeln meine Wünsche noch einmal vor. Nun -schien aber guter Rath theuer, und eine Auskunft kaum -möglich. Doch entschloß er sich, ein zweiter Rafael, eine -dritte, untadelige Manier anzunehmen, und nach einigen -Kämpfen gelang es ihm, indem er vorher bedächtig auskundschaftete, -nach welcher Seite es am vortheilhaftesten sei, -mir die Nase beim Auflehnen hin zu drehen: und dabei -sind wir denn auch stehen geblieben, und diese Nothwendigkeit -hat sie mir gebogen; das wahre Gesicht, nach dem ich -mich instinktartig bilden mußte, hat mir diese Falten eingegraben, -und tiefes Forschen und Denken, flammende Begeisterung -und glühende Liebe zum Guten und Besten haben -endlich diesen rothen Teppich über das Ganze gewoben. -</p> - -<p> -Lautes Lachen hatte diese Erzählung begleitet; jetzt -forderte der Bibliothekar ungestüm Champagner, und der -Buchhalter schrie nach Punsch. Eulenböck aber rief: o ihr -gemeinen Seelen! Nach dieser Himmelsleiter, die ich Euch -habe hinauf klettern lassen, um in das Paradies zu schauen, -kann auch ein so unedler, manierirter, moderner und witzloser -<a id="page-95" class="pagenum" title="95"></a> -Geist, wie dieser sogenannte Punsch, auch nur in den fernsten -Winkel Eures Gedächtnisses kommen? Dies elende Gebräu -aus heißem Wasser, schlechtem Branntwein und Zitronensäure? -Und was soll dieses diplomatische, nüchterne Getränk, -der Champagner, in unserm Kreise? Der nicht Herz -und Geist aufschließt, und nach dem halben Rausche höchstens -dazu dienen kann, wieder nüchtern zu machen? O -Ihr Profanen! -</p> - -<p> -Er schlug auf den Tisch; aber die Uebrigen, Eduard -ausgenommen, erwiederten diese Geberde so heftig, daß von -der Erschütterung die Flaschen tanzten, und mehrere Gläser -zerschmetternd auf den Boden stürzten. Hierüber ward Gelächter -und Tumult noch lauter, man sprang auf, andere -Gläser zu holen, und Dietrich rief: es ist so kalt, eiskalt -hier geworden, und dagegen würde der Punsch helfen. -</p> - -<p> -Es war tief in der Nacht, die Diener hatten sich entfernt, -man wußte nicht, wie man den Ofen wieder heizen -sollte; auch gestand Eduard, daß sein Holzvorrath völlig zu -Ende sei, und er morgen mit der Frühe erst neuen wieder herbei -fahren lasse. Was meint Ihr? rief der ganz berauschte -Dietrich, unser Wirth hat doch beschlossen, dies Zimmer auf -neue Art einzurichten: wenn wir diese unnütze Vertäfelung, -diese Bretter, welche die Fenster bedecken, heraus brächen, und -in dem großen altfränkischen Camin hier ein herrliches deutsches -Feuer anzündeten? Dieser tolle Vorschlag fand bei den -verwilderten Gästen sogleich Gehör und lauten Beifall, und -Eduard, der den ganzen Abend in einer Art von Betäubung -gewesen war, widersetzte sich nicht. Man hob den Schirm -vom Camin hinweg, und lief dann mit Kerzen nach der Küche, -um Beile, Stangen und andere Instrumente herbei zu holen. -Im Vorsaal fand Eulenböck ein altes verdorbenes Waldhorn, -und darauf blasend, marschirten sie wie Soldaten unter -<a id="page-96" class="pagenum" title="96"></a> -Schreien und abscheulicher Musik in den Saal zurück. Der -Tisch, welcher im Wege stand, ward umgeworfen, und sogleich -begann ein Hauen, Brechen und Hämmern gegen die -hohle Wand. Jeder suchte den Andern in Aemsigkeit zu -übertreffen; um die Arbeitenden zu ermuntern, stimmte der -Maler den Schlachtruf auf dem Horne wieder an, und beim -Gepolter riefen Alle wie besessen: Holz! Holz! Feuer! Feuer! -so daß dies Geschrei, die Musik, das Schlagen der Aexte, -das Krachen der brechenden und ausspringenden Bretter den -Wirth des Hauses in eine so dumpfe Betäubung warf, daß -er sich stumm in eine Ecke des Zimmers zurück zog. -</p> - -<p> -Plötzlich wurde die Gesellschaft noch auf eine eben so unerwartete -als unangenehme Art vermehrt. Die Nachbarschaft -war unruhig geworden, und die Wache, welche ebenfalls das -ungeheure Getümmel vernommen hatte, trat jetzt, einen Offizier -an ihrer Spitze, herein, da sie das Haus unverschlossen -gefunden hatten. Sie forschten nach der Ursache des -Getöses, und weshalb man Feuer geschrieen habe. Eduard, -der ziemlich nüchtern geblieben war, suchte ihnen Alles zu erklären, -um seine Freunde zu entschuldigen. Diese aber, aufgeregt -und keines vernünftigen Gedankens mehr fähig, behandelten -diesen Besuch als einen gewaltsamen Einbruch in -ihre unveräußerlichsten Rechte; jeder schrie auf den Offizier -ein, Eulenböck drohte, der Buchhalter fluchte und weinte, -der Bibliothekar holte mit der Brechstange aus, und Dietrich, -welcher am meisten begeistert war, wollte sich mit dem -Beile über den Lieutenant hermachen. Dieser, ebenfalls ein -junger hitziger Mann, nahm es von der ernsthaften Seite -und fand seine Ehre verletzt, und so war das Ende der Scene, -daß Jene unter Geschrei und Lärmen, Drohungen und Freiheits-Declamationen -nach der Hauptwache abgeführt wurden. -So endigte das Fest, und Eduard, der allein im Saal -<a id="page-97" class="pagenum" title="97"></a> -zurück geblieben war, ging völlig verstimmt auf und nieder, -und betrachtete die Verwüstung, welche seine begeisterten -Freunde angerichtet hatten. Unter dem umgeworfenen Tische -lagen zertrümmerte Flaschen, Gläser, Teller und Schüsseln, -nebst Allem, was von den Leckerbissen übrig geblieben war; -der kostbarste Wein floß über den Boden; die Leuchter waren -zerschlagen; von denen, welche stehen geblieben waren, waren -alle Lichter, bis auf eine Wachskerze, nieder gebrannt -und ausgelöscht. Er nahm das Licht und betrachtete die -Wand, von der die Tapete abgerissen, und einige starke Bretter -heraus gebrochen waren; ein Balken stand davor, der den -Zutritt in die Nische hemmte. Ein sonderbares Gelüst befiel -den Jüngling, noch in der Nacht das angefangene Werk seiner -wilden Gesellen fortzusetzen; um aber kein übermäßiges Geräusch -zu erregen, und doch noch vielleicht ihr Schicksal zu -theilen, nahm er eine feine Säge, und durchschnitt oben vorsichtig -den Balken; er wiederholte dies unten, und nahm dann -den Kloben heraus. Hierauf war es nicht so gar schwer, -noch eine innere leichte Vertäfelung wegzubrechen; das dünne -Bret fiel nieder, und Eduard leuchtete in die Nische hinein. -Er konnte aber kaum den breiten Raum übersehen, und etwas, -das ihm wie Gold entgegen glänzte, wahrnehmen, als Alles -plötzlich verschwand; denn er hatte mit dem Lichte oben angestoßen -und es ausgelöscht. Erschreckt und in der größten -Bewegung tappte er durch den finstern Saal, aus der Thüre, -über einen langen Gang, dann über den Hof nach einem kleinen -Hintergebäude. Wie zürnte er über sich selbst, daß er -keine Anstalt in der Nähe habe, Feuer zu machen. Aus festem -Schlafe ermunterte er den eisgrauen Thürhüter, der sich -lange nicht besinnen konnte, ließ sich von ihm, nach vielen -vergeblichen Versuchen, sein Licht wieder anzünden, und -kehrte dann mit behutsam vorgehaltner Hand, an allen Gliedern -<a id="page-98" class="pagenum" title="98"></a> -zitternd und mit klopfendem Herzen über die Gänge nach -dem Zimmer zurück. Er wußte nicht, was er gesehen hatte, -er wollte noch nicht glauben, was er ahndete. Im Saale -setzte er sich erst in den Lehnstuhl, um sich zu sammeln, dann -zündete er noch einige Kerzen an, und begab sich nun gebückt -in die Nische. Der weite Raum der Fenster erglänzte von -oben bis unten wie in goldnem Brand; denn Rahmen drängte -sich an Rahmen, einer kostbarer als der andere, und in ihnen -alle jene verloren gewähnten Gemälde seines Vaters, um die -der alte Walther und Erich so oft gejammert hatten. Der -Erlöser <em>Guido’s</em>, der Johannes von Domenichino, sie -alle schauten ihn an, und er fühlte sich selbst gerührt, andächtig, -erstaunt, wie in einer bezauberten Welt. Als er sich -besann, flossen seine Thränen, und er blieb dort, die Kälte -nicht achtend, unter seinen neugefundenen Schätzen sitzen, -bis der Morgen herauf dämmerte. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Walther war eben vom Tisch aufgestanden, als Erich -eilig zu ihm in den Gemäldesaal trat. Was ist Dir, mein -Freund? rief der Rath aus: hast Du Geister gesehn? Wie -Du es nimmst, erwiederte Erich: mache Dich auf eine außerordentliche -Nachricht gefaßt. — Nun? — Was gäbest Du -wohl, was thätest Du wohl dafür, wenn alle die verlorenen -Malereien Deines seligen Freundes, jene unschätzbaren Kostbarkeiten -wieder da wären und Dein werden könnten? -</p> - -<p> -Himmel! rief der Rath aus und verfärbte sich: ich habe -keinen Athem. Was sagst Du? — Sie sind da, rief jener, -und können Dein Eigenthum werden. — Ich habe kein Vermögen, -sie zu kaufen, sagte der Rath: aber Alles, Alles -würde ich geben, sie zu erhalten, meine Gallerie und Vermögen, -aber ich bin zu arm dazu. — Wenn man sie Dir -nun überlassen wollte, sagte Erich, und der Eigenthümer -<a id="page-99" class="pagenum" title="99"></a> -forderte bloß die Gunst dafür, Dein Schwiegersohn zu -werden? -</p> - -<p> -Ohne Antwort rannte der Alte hinaus und zur Tochter -hinüber. Im Streit mit dieser kam er zurück. Du mußt -mein Glück machen, geliebtes Kind, rief er aus, indem er -mit ihr herein trat: von Dir hängt nun die Seligkeit meines -Lebens ab. Die erschrockene Tochter wollte immer noch widersprechen, -aber auf einen heimlichen Wink Erichs, den sie -zu verstehen glaubte, schien sie endlich nachzugeben. Sie ging -fort, sich umzukleiden; denn bei Erich warteten, wie dieser -erklärte, die Bilder und der Freiwerber auf sie. Unter welchen -sonderbaren Gedanken und Erwartungen suchte sie ihren -besten Schmuck hervor; konnte sie sich in Erich nicht irren? -Hatte er denn auch sie verstanden? hatte sie ihn richtig gedeutet? -Walther war ungeduldig und zählte die Augenblicke; -endlich kam Sophie zurück. -</p> - -<p> -In Erichs Hause waren alle jene Gemälde im besten -Lichte aufgehangen, und es wäre vergeblich, des Vaters Erstaunen, -Freude und Entzücken beschreiben zu wollen. Die -Bilder waren, so behauptete er, bei weitem schöner, als er -sie in seiner Erinnerung gesehen hatte. Du sagst, der Liebhaber -meiner Tochter sei jung, wohlerzogen, von gutem -Stande, Du giebst mir Dein Wort darauf, daß er ein ordentlicher -Mann seyn wird, und niemals nach meinem Tode -diese Bilder wieder veräußern? Wenn dies alles so ist, so -braucht er kein anderes Vermögen zu besitzen, als diese Bilder, -denn er ist überreich. Aber wo ist er? -</p> - -<p> -Eine Seitenthüre öffnete sich, und Eduard trat ungefähr -so gekleidet herein, wie der ihm ähnliche Schäfer auf dem -alten Gemälde von Quintin Messys stand. — Dieser? schrie -Walther: woher haben Sie die Gemälde? Als ihm Eduard -den sonderbaren Vorfall erzählt hatte, nahm der Alte die -<a id="page-100" class="pagenum" title="100"></a> -Hand der Tochter und legte sie in die des Jünglings, indem -er sagte: Sophie wagt viel, aber sie thut es aus Liebe zu ihrem -Vater; ich denke, mein Sohn, Du wirst nun klug und -gut geworden seyn. Doch, eine Bedingung: Ihr wohnt bei -mir, und Eulenböck kommt nie über meine Schwelle, auch -siehst Du ihn mit keinem Auge wieder. Gewiß nicht, antwortete -Eduard: überdies reiset er mit dem fremden Prinzen -von hier fort. -</p> - -<p> -Man ging nach dem Hause des Vaters. Dieser führte -den Jüngling in seine Bibliothek: hier, junger Mensch, sagte -er, findest Du auch Deine Seltenheiten wieder, die Dein luftiger -Bibliothekar mir für ein Spottgeld verkauft hat. Du -wirst diese Schätze Deines Vaters künftig heiliger halten. -</p> - -<p> -Die Liebenden waren glücklich. Als sie allein waren, -schloß Sophie den Jüngling herzlich in die Arme. Ich liebe -Dich innigst, mein Freund, flüsterte sie ihm zu, aber ich -mußte neulich dem Eigensinne meines Vaters nachgeben, und -mich damals und heute stellen, als gehorchte ich ihm unbedingt, -um erst nicht alle Hoffnung aufzugeben, und heute -ohne Widerspruch Dein zu seyn; denn hätte er meine Liebe -gemerkt, so hätte er nimmermehr so schnell eingewilligt. -</p> - -<p> -Nach wenigen Wochen waren sie vermählt. Es ward -dem Jünglinge nun nicht schwer, ein ordentlicher und glücklicher -Mann zu werden; an seine wilde Jugend dachte er im -Arme seiner Frau und im Kreise seiner Kinder nur wie an -einen schweren Traum zurück. Eulenböck hatte mit dem Prinzen -die Stadt verlassen, und mit ihm zugleich der sogenannte -Bibliothekar, der jene Stelle als Secretär beim Prinzen erhielt, -um welche Eduard sich bemüht hatte, und nach einigen -Jahren die lockre Schöne heirathete, die unserm jungen -Freunde einen so übeln Ruf in seiner Vaterstadt verursachte, -und fast die Veranlassung seines Unglücks geworden war. -</p> - -<h2 class="part" id="part-2"> -<a id="page-101" class="pagenum" title="101"></a> -<span class="line1">Die Verlobung.</span><br /> -<span class="line2">Novelle.</span> -</h2> - -<p class="first"> -<a id="page-103" class="pagenum" title="103"></a> -<span class="firstchar"><span class="prefirstchar">„</span>I</span>ch habe lange auf Dich gewartet,“ rief der junge -Ferdinand seinem Freunde entgegen. -</p> - -<p> -„Du weißt ja,“ erwiederte jener, „daß es unmöglich -ist, sich schnell von dem wohlbeleibten Barone loszureißen, -wenn er Fragmente aus seiner Lebensgeschichte -vorträgt.“ -</p> - -<p> -„Wärst Du Offizier, wie ich,“ antwortete Ferdinand, -„so würdest Du es dennoch möglich gefunden haben, -pünktlich zu seyn; dies wenigstens lernt man im Dienst. -Sie sind alle schon auf dem Spaziergange dort versammelt, -laß uns eilen, daß ich Dich der verehrten Familie -vorstellen kann.“ -</p> - -<p> -Die jungen Freunde bogen um die Felsenecke, und -erfreuten sich des klaren Anblickes am rauschenden Strome, -der Wäldern und Bergen leuchtend vorüber zog. Der -Frühling war in diesem Jahre vorzüglich üppig erschienen. -„Wie wohl wird es dem Arbeiter,“ sagte Alfred, -„an einem solchen Tage die Stadt und die geistlosen Geschäfte -hinter sich zu haben, um nach langer Anstrengung -und Entbehrung diesen Segen der Natur zu fühlen und -ihre heilige Stimme zu vernehmen! Und wie dankbar -bin ich Dir, mein theurer Freund, daß Du mich in den -Kreis der besten, der edelsten Menschen einführen willst. -<a id="page-104" class="pagenum" title="104"></a> -Denn wie wir uns auch zu bilden streben, wie ernsthaft -wir studiren, einsammeln, und unser Herz und Gemüth -erweitern wollen, so ist es doch der Umgang mit echten -Menschen, der alles dies todte Wirken und unbeholfene -Kämpfen erst belebt, und den Besitz in ein wahrhaftes -Gut verwandelt. Den zarten Frauen ist es aber vorbehalten, -dem Manne die Bildung zu geben, deren er nach -seinen Kräften und Gaben fähig ist.“ -</p> - -<p> -Der junge Offizier sah seinen Freund kopfschüttelnd -an, stand einen Augenblick still, und sagte dann, indem -sie weiter schritten: „O wie kann ich in diese Phrasen, -die man schon tausendmal hat hören müssen, so gar nicht -einstimmen! Somit wäre es ja die große Welt, oder die -sogenannte gute Gesellschaft, die man aufsuchen müßte, -um in schlechtem Witz, Coquetterie, Lügen und Geschwätz -die Reife zu erlangen, die uns die Einsamkeit nicht gewähren -könnte. Bin ich auch in den meisten Dingen Deiner -Meinung, so muß ich Dir doch hierin geradezu Unrecht -geben. Die Weiber! sie sind es ja eben, die recht -eigentlich von einem boshaften Schicksal dazu hingestellt -zu seyn scheinen, sich des Mannes, wenn er schwach genug -ist, zu bemächtigen, alles Menschliche, Edle, Kraftvolle -und Wahre von ihm abzustreifen, und ihn, so viel -es nur möglich ist, in sein Gegentheil zu verwandeln, -damit er ihnen nur zu einem unwürdigen Spielzeuge gut -genug sei. Das, was Du eben äußertest, ist auch schon -mehr die Denkweise einer jetzt fast verschwundenen Zeit, -einer Zeit, die der Wahrheit, vorzüglich aber aller religiösen -Gesinnung, feindlich gegenüber stand. Auch muß -ich Dir sagen, daß Du jenes Wesen, wodurch sich vormals -unsre jungen Herren zu bilden glaubten, in der -Gesellschaft dieser Frauen nicht finden wirst, weil bei -<a id="page-105" class="pagenum" title="105"></a> -ihnen alles heilige Wahrheit, Unschuld und echte Frömmigkeit -ist.“ -</p> - -<p> -Der Freund suchte seine Meinung und sich selbst zu -rechtfertigen, indem sie unter lebhaften Gesprächen ihren -Weg eilig fortgesetzt hatten. Sie sahen jetzt schon den -Garten vor sich liegen, in dessen kühlen Gängen die Baronin -mit ihrer Familie und einigen auserwählten Freunden -die Ankommenden erwartete. Alle fühlten sich in der -grünen Umgebung wohl und behaglich. -</p> - -<p> -Nur dem jungen Rathe Alfred ward es Anfangs -schwer, sich in die Stimmung und Unterhaltung zu fügen. -Wie es wohl zu geschehen pflegt, war er zu gespannt, -um sich dem Gespräche leicht hinzugeben; auch -hatte er zu Vieles auf dem Herzen, was er mit einer gewissen -Bangigkeit an den Mann zu bringen strebte, wodurch -er oft an sich und den Andern irre werden mußte; -denn wenn er Gedanken zu einer Rede verarbeitet hatte, -so war indessen der schickliche Moment verschwunden, um -diese einzufügen, und unter den neuen Gegenständen der -Unterhaltung kam wieder so Manches vor, das ihm unverständlich -schien, und worüber er sich nähere Belehrung -auszubitten doch zu verschämt war. Dazu kam, daß er -von dem Reiz der Frauengestalten wie geblendet war; die -vermählte Tochter Kunigunde war eine glänzende Schönheit; -noch üppiger strahlte die jüngere Clementine, gegen -welche die blonde kindliche Physiognomie der jüngsten, -Fräulein Clara, rührend kontrastirte; selbst die Mutter -durfte noch Ansprüche auf Anmuth machen, und man sah, -daß sie in ihrer Jugend eine schöne Frau gewesen war. -Dorothea, das älteste Fräulein, fiel in dieser Umgebung -am wenigsten auf, so schön auch ihr Auge, so fein ihr -Wuchs war; auch zog sie sich zurück und blieb still und -<a id="page-106" class="pagenum" title="106"></a> -blöde; sie schien selbst an der lebhaften Unterhaltung der -Geschwister nur geringen Antheil zu nehmen, und es fiel -auf, daß keine Rede oder Frage an sie gerichtet wurde, -so sehr die anwesenden Männer sich auch mit Lebhaftigkeit -um die übrigen Töchter oder die Mutter bemühten. -</p> - -<p> -Unter den Männern zeichnete sich ein ältlicher aus, -der am meisten das Wort führte, der Alle belehrte und -alle streitigen oder zweifelhaften Fälle entschied. Auch der -Offizier behandelte ihn mit ergebener Demuth, und dieser -Familienfreund wandte sich mit Güte und Herablassung -an Alle, sie fragend, zurecht weisend, aufmunternd und -sich auf seine Weise bestrebend, Jeden zu ermuthigen oder -aufzuklären. Ihm gelang es auch endlich, den verlegenen -Alfred in das Gespräch zu ziehen, und dessen Dankbarkeit -äußerte sich in einer feurigen Rede, die er jetzt anzubringen -Gelegenheit fand, und in welcher er seinen Wunsch -nach Bildung, seine Verehrung des Familienglücks, seine -Hoffnung, daß die echte religiöse Stimmung und wahre -Frömmigkeit sich durch ganz Deutschland ausbreiten würden, -mit allgemeinem Beifall und zu seiner eignen Zufriedenheit -entwickelte. -</p> - -<p> -Mehr noch als die Uebrigen war die schöne Kunigunde -aufmerksam gewesen, und sie war es auch jetzt, die -am lautesten ihren Beifall aussprach. „Wie glücklich sind -wir,“ beschloß sie endlich, „daß in unserm theuern Kreise -sich immer mehr Gemüther versammeln, die das Gute -und Edle wollen, die das Ueberirdische erkennen, und denen -die Welt mit allen ihren anlockenden Schätzen nur -nichtig erscheint. Aber das ist die Eigenschaft der Wahrheit -und Güte, daß sie das Bessere sich näher zieht, daß -sie das Schwache in etwas Höheres verwandelt. Wirkt -der gesellige Umgang so glücklich in einem weitern Umfang, -<a id="page-107" class="pagenum" title="107"></a> -so ist es im beschränkten Hause der Segen der Ehe, -der noch inniger die Vermählten anregt, sich für das Göttliche -zu begeistern, der hier noch kräftiger das schwächere -Gemüth zur Liebe des Unendlichen erhebt.“ -</p> - -<p> -„Ja wohl,“ sagte ein junger Mann, der neben dem -ältern saß, „dies ist es, was ich mit jedem Tage inniger -und dankbarer empfinde.“ Er seufzte und sah an die -Wolken, und der Rath erfuhr auf seine Erkundigung, -daß dieser der Gemahl der schönen und frommen Kunigunde -sei. -</p> - -<p> -Die Mutter nahm das Wort und sagte nicht ohne -Bewegung: „Wie beglückt muß ich mich fühlen, daß ich -so im Kreise meiner Kinder das Höchste gefunden und es -ihnen selbst möglich gemacht habe, den edelsten Besitz dieser -Erde zu erreichen. Wie kann ich doch so gar nicht -an den Bestrebungen der meisten Menschen Antheil nehmen, -ja wie erregt mir ihr mannigfaltiger Enthusiasmus -eher Mitleid, als daß ich in ihren vielfachen Anstrengungen, -ein sogenanntes Gut zu ergreifen, etwas finden -könnte, das unsere Achtung aufruft. So rennen sie nach -Kunst, oder Philosophie, meinen, im Wissen oder in Farben -und Ton solle ihnen das ewige Licht aufgehen, quälen -sich in Geschichte und den verworrenen Händeln des -Lebens ab, und versäumen darüber das Eine, das Noth -ist, und welches Alles ergänzt und ersetzt. Seit ich diesen -Quell gefunden habe, der jeden Durst der Seele so lieblich -stillt, ist jenes bunte Mannigfaltige für mich gar -nicht mehr da, dem ich in der Jugend auch wohl manchen -sehnsüchtigen Blick zuwendete.“ -</p> - -<p> -„Wie muß ich Sie bewundern!“ rief der Rath aus: -„mit welcher Sehnsucht habe ich das Leben gesucht, und -immer nur leere Schatten gehascht! und wie leicht ist es -<a id="page-108" class="pagenum" title="108"></a> -doch, die Wahrheit zu finden, die uns niemals täuscht, -die nie entschlüpft, die dem Herzen Alles gewährt, in der -wir nur leben und seyn können.“ -</p> - -<p> -„Ich verstehe Sie,“ antwortete die Baronesse, „Sie -gehören zu unserm Kreise; es ist ein seliges Gefühl, daß -sich die Gemeinschaft frommer und begeisterter Gemüther -immerdar vermehrt.“ -</p> - -<p> -„Den herrlichsten Zeiten gehen wir entgegen!“ rief -der junge Offizier in Begeisterung aus. „Und wie selig -müssen wir uns fühlen, da Dasjenige, was uns über -das nüchterne Leben erhebt, die ewige Wahrheit selber ist, -da diese uns beherrscht, und wir, von ihr regiert, nicht -fehlen, niemals irren können; denn wir geben uns der -Liebe hin, daß sie in uns wirke und ihre Geheimnisse -unserm Herzen offenbare.“ -</p> - -<p> -„Nicht anders,“ beschloß der ältere würdige Mann; -„dies ist es, was uns die Sicherheit geben muß, die uns -von gewöhnlichen Enthusiasten oder Schwärmern unterscheidet. -Sie haben ein großes Wort gesprochen, theurer -Ferdinand, und darum sind Sie mir so werth, weil Keiner, -so wie Sie, auf dem kürzesten Wege das Rechte -findet, weil Niemand es alsdann so klar und einfach auszusprechen -weiß.“ Er umarmte den Jüngling, sah gen -Himmel, und eine große Thräne glänzte ihm im schönen -dunkeln Auge. Die Baronesse erhob sich und schloß sich -an die Gruppe; alle waren bewegt, nur Fräulein Dorothea -wandte sich ab, und schien im Busche etwas Verlornes -zu suchen. -</p> - -<p> -Dem aufmerksamen Alfred entging es nicht, daß die -Mutter mit einem Ausdrucke des Schmerzes zu ihrem ältesten -Kinde hinsah, das auf seltsame Weise von diesem -Kreise der Rührung und Liebe ausgeschlossen schien. Der -<a id="page-109" class="pagenum" title="109"></a> -Baron Wallen, so hieß der ältere Hausfreund, näherte -sich mit dem Ausdruck einer rührenden Milde dem Fräulein, -die scheu vor sich nieder sah, und in diesem Augenblick -hochroth erglühte. Er sprach heimlich und mit vieler -Bewegung zu ihr, sie schien aber in ihrer Verlegenheit -auf seine Worte nicht sonderlich zu achten; denn als -jetzt eine Dame in der Allee zur Gesellschaft herschritt, -ging sie dieser in großer Eile entgegen, und schloß sie mit -der größten Herzlichkeit und Freude in die Arme. -</p> - -<p> -Die Mutter schüttelte fast unmerklich mit dem Kopfe, -und sah den Baron Wallen mit prüfendem Auge an; -dieser lächelte, und die Unterredung der Gesellschaft gerieth -nun auf ganz andere und gleichgültige Gegenstände; -denn die Frau von Halden, welche jetzt lautschwatzend, -lachend und Neuigkeiten erzählend, herzu trat, machte jeden -Aufschwung, jede innigere Mittheilung völlig unmöglich, -so daß auch alle, bis auf Fräulein Dorothea, etwas verstimmt -wurden, die wie erquickt und getröstet mit ihren -Blicken am Munde der Redenden hing, und jetzt an der -übrigen Gesellschaft noch weniger Antheil nahm. -</p> - -<p> -„Wer ist denn diese Neuigkeits-Krämerin?“ fragte -Alfred unwillig, „die wie ein wilder Vogel in unsern -stillen Kreis herein fliegt, und alle zarteren Gefühle verschüchtert?“ -</p> - -<p> -„Eine Nachbarin unserer verehrlichen Baronesse,“ -antwortete der Herr von Wallen: „sie hat sich auf eine -unbegreifliche Weise des Gemüthes der Fräulein Dorothea -bemeistert, was wir alle nur beklagen können. Schon -in der Jugend hat es die treffliche Erzieherin, die Fräulein -von Erhard, eine Verwandte der Familie, verhindern -wollen, daß dieser Umgang nicht die bessern Fähigkeiten -<a id="page-110" class="pagenum" title="110"></a> -des schönen Mädchens unterdrücke; aber von jeher sind -alle ihre Bemühungen vergeblich gewesen.“ -</p> - -<p> -Diese Erzieherin, welche bisher wenig bemerkt worden -war, näherte sich jetzt, da sie sah, daß von ihr die -Rede sei, und mischte sich in das Gespräch. Sie erzählte, -daß in dieser so liebenden und hochgestimmten Familie -Dorothea von früher Jugend ein abgesondertes Leben geführt -habe, und unter so vielen Geschwistern gewissermaßen -ganz einsam gewesen sei. Fräulein Charlotte von -Erhard erzählte dies mit einer rauhen und heisern Stimme, -wurde aber so bewegt, daß sie sich der Thränen nicht -enthalten konnte. Alfred, der schon gerührt war, fand in -seiner erhobenen Stimmung die geälterte und fast häßliche -Dame liebenswürdig und schön, und ein herzlicher Unwille, -eine lebhafte Geringschätzung wandte sich gegen die -arme Dorothea, die jetzt von der redseligen Freundin Abschied -nahm und zur übrigen Gesellschaft zurück kehrte. Sie -war sichtlich erheitert, aber man sah, welche Ueberwindung -es ihr koste, wieder an den ernsteren Gesprächen -Theil zu nehmen. Sie erzählte, wie die Frau von Halden -in Unterhandlungen stehe, und wahrscheinlich ihr Gut -verkaufen werde. -</p> - -<p> -„Verkaufen?“ fragte die Mutter erstaunt, „und sie -konnte dennoch so heiter, ja ausgelassen seyn?“ -</p> - -<p> -„Sie meint,“ erwiederte Dorothea, „einen so vortheilhaften -Kauf ihrer noch unmündigen Kinder wegen -nicht abweisen zu dürfen.“ -</p> - -<p> -„Giebt es einen Vortheil,“ sagte die Mutter, „welcher -den Kindern das Glück der Heimath aufwiegen kann? -Und sie selbst, Deine Freundin, die hier auf ihrem Gute -aufgewachsen ist, die hier mit Eltern und Geschwistern, -nachher mit einem geliebten Manne lebte, wie kann sie -<a id="page-111" class="pagenum" title="111"></a> -sich selber so verstoßen und diesen Bäumen den Rücken -wenden, sich von den Zimmern verbannen, die sie als Kind -geliebt und gekannt hat? Immer wieder muß es mir -auffallen, wie ich das Leben und Treiben der allermeisten -Menschen so gar nicht verstehe. — Und wer ist denn der -Käufer?“ -</p> - -<p> -„Die Sache ist wunderlich genug,“ erwiederte Dorothea, -„der Käufer will noch gar nicht genannt seyn; -aber ein gewisser Graf Brandenstein führt die Unterhandlung. -Meine Freundin ist eilig und bestimmt, denn der -Fremde aus Amerika kauft noch manches andere Gut, so -daß sie es für eine Gunst hält, da er nicht ängstlich auf -den Preis sieht, wenn sie das ihrige dem Unbekannten -zuwenden kann.“ -</p> - -<p> -Bei dem Namen „Brandenstein“ wurde die Mutter -blaß. Sie suchte sich aber schnell zu fassen, und sagte -nach einer kleinen Pause: „Ja, der Name war es, der -mir schon seit einer Woche schwer auf dem Herzen lag. -Ich weiß es schon, daß dieser Mann hier ist, der nun -auf eine Zeitlang unsre stille Freude verderben, und die -Harmonie unsers Kreises stören wird. Und ich kann es nicht -vermeiden, ihn zu sehn, denn er ist ein alter Bekannter -unsers Hauses, und die Sitte der Welt zwingt uns ja, -selbst mit denjenigen freundlich umzugehen, die uns im -innersten Herzen zuwider sind, ja, die wir, wenn wir -noch so billig denken, für schlechte und ruchlose Menschen -anerkennen müssen.“ -</p> - -<p> -Dorothea meinte, wo eine so bestimmte Empfindung -vorherrsche, solle sich der Mensch keinen Zwang anthun; -und besonders auf dem Lande, wo sie lebten, wäre es -noch leichter, als in der Stadt, so widrigen Erscheinungen -auszuweichen. Die Mutter aber sagte: „Du verstehst -<a id="page-112" class="pagenum" title="112"></a> -dies nicht, mein Kind; könnte ein gewissenloser Mensch -ohne Grundsätze uns nicht auf die empfindlichste Art schaden -oder kränken, hätte er es durch Witz und Frivolität -nicht in seiner Gewalt, unser ganzes Leben zu verderben, -so würde ich ihn kalt abweisen, und mit meiner Wahrheitsliebe -ihm ohne Umschweif sagen, daß ich mit ihm -nicht umgehen wolle; da aber dies nicht möglich ist, so -muß ich ihm höflich entgegen kommen, mit Feinheit und -Wohlwollen den bösen Geist in ihm zu beschwichtigen suchen, -und mich späterhin so unmerklich, als es seyn kann, -von seinem verderblichen Kreise zurück ziehn.“ -</p> - -<p> -Die übrigen Töchter drängten sich um die Mutter, -und umarmten sie wie tröstend. „Wenn ich Euch nicht -hätte!“ seufzte die Baronesse: „wenn ich nicht auf die -Hülfe unsers edlen Hausfreundes rechnen dürfte, so würde -mich der Besuch dieses gottlosen Menschen noch mehr -ängstigen.“ -</p> - -<p> -„Wer ist er eigentlich?“ fragte der Baron. -</p> - -<p> -„Ein Mann,“ antwortete die Mutter, „der sich schon -früh in der Welt und ihren Verstrickungen herum getrieben -hat, der, von seinem eignen Herzen belehrt, -alles, was Liebe, Demuth, Frömmigkeit heißt, arg verspottet -und verfolgt, ein grober Egoist, der Niemand lieben -kann, und den das Heilige, Ueberirdische, wo er es -wahrnimmt, wo er es nur ahndet, in einen widrigen -Zorn versetzt, der ihn dann zu jenem frivolen Witze begeistert, -den wir Alle so tief verachten. Es war das -Unglück meines Lebens, daß er die Bekanntschaft meines -guten seligen Mannes machte, daß dieser ihn lieb gewann, -und sich in manchen trüben Stunden seiner Gesellschaft -und traurigen Philosophie hingab.“ -</p> - -<p> -<a id="page-113" class="pagenum" title="113"></a> -„Sie schildern, verehrte Frau,“ sagte der Offizier, -„einen von jenen Charakteren, die, dem Himmel sei Dank! -jetzt schon seltener geworden sind.“ -</p> - -<p> -„Eine Verruchtheit,“ sagte der Baron, „die das Unsichtbare -lästert, weil sie auf Selbstverachtung gegründet -ist. Sie sind aber, wie wir Alle, über diesem Jammer -erhaben.“ -</p> - -<p> -„Sein mittelmäßiges Vermögen,“ fuhr die Mutter -fort, „war bald ausgegeben; nun verließ er Europa, trieb -sich, wer weiß, unter welchen wilden Völkern um, und -ist nun zurück gekehrt, wie ich höre, als Geschäftsträger -eines unermeßlich reichen Amerikaners, der ihm in Jahresfrist -nachfolgen will, und der die Grille gefaßt hat, in -unserer Nachbarschaft viele Güter zu einer großen Herrschaft -zusammen zu kaufen.“ -</p> - -<p> -Fräulein Dorothea blieb dabei, daß man einem so -bösen Menschen ausweichen könne und müsse, und daß sie -ihm schon das Haus zu betreten unmöglich machen wolle, -wenn die Mutter ihr dazu die gehörige Vollmacht gebe; -doch diese ward unwillig, und gebot, für heute den Namen -des Störenfried nicht mehr zu nennen. Jetzt sah man -die Wagen vorfahren, weil mit der Abendkühle die Familie -sich wieder auf ihr nahes Landgut begeben wollte, als -sich in diesem Augenblick eine sonderbare Scene entwickelte. -Der alte Baron hatte sich schon einigemal Dorotheen genähert; -sie war ihm aber ausgewichen, doch benutzte er den -Moment, als er ihr in den Wagen half, ihr einige -freundliche Worte zuzuraunen; sie sprang zurück, indem -sie hastig der Kutsche enteilte und in den Baumgang lief. -Der Baron konnte sie nicht einholen, so sehr er sich bestrebte; -als er schon tief im Garten war, kam sie athemlos -zurück, warf den Schleier über das erhitzte Angesicht, -<a id="page-114" class="pagenum" title="114"></a> -und weinte heftig, indem sie dem fragenden und strafenden -Blicke der mehr als erstaunten Mutter ängstlich auswich. -Der Wagen fuhr rasch davon, und der Baron, -nachdem er verwirrt und beschämt von den jüngern -Freunden Abschied genommen hatte, bestieg den seinigen, -schwer gekränkt, wie man ihm anmerken konnte, so sehr -er auch seiner Fassung Gewalt zu thun suchte. -</p> - -<p> -Als der junge Rath und der Offizier ihren Rückweg -zur Stadt antraten, sagte der erste nach einer Pause: -„Was war das? Immer noch kann ich nicht von meiner -Verwunderung zurück kommen, daß unter so gebildeten -und feinen Menschen eine solche unschickliche Scene hat -vorfallen können! Ueberhaupt, wie kommt dieses Fräulein, -dieser sonderbare, ja widerwärtige Charakter in eine -Familie, die ich fast eine geheiligte nennen möchte? Irgend -eine tiefe Verschuldung muß sie drücken, da sie sich -immer scheu zurück zieht, niemals an der Unterhaltung -Theil nimmt, und auch von allen Uebrigen mit einem -herablassenden, fast geringschätzenden Mitleide behandelt -wird, das einem Fremden sehr auffallen muß. Man -kommt auf ärgerliche Vermuthungen, wenn man auch -eben nicht zum Argwohn geneigt ist.“ -</p> - -<p> -„Du würdest aber irren,“ sagte der militärische -Freund, „denn keine Schuld, kein Vergehn drückt dieses -Wesen nieder. Unter so hochgestimmten Menschen, wie -alle diese sind, würde sich dergleichen vielleicht ohne große -Kämpfe wieder herstellen, wenn diese Schwester nur sonst -in einer geistigen Harmonie mit den übrigen stände. -Schlimmer aber als alles ist, daß sie schon mit einem -niedrigern, unedlern Geiste geboren wurde, daß sie das -Bestreben aller Uebrigen nicht versteht, und sich doch sagen -muß, es sei ein Hohes und Edles, nur für sie Unerreichbares. -<a id="page-115" class="pagenum" title="115"></a> -Dies Gefühl der Unwürdigkeit drückt sie -mehr nieder, als das Bewußtsein einer Schuld es -thun könnte. Sie fühlt sich fremd unter den Nächsten, -unheimisch in ihrem Hause; sie erquickt sich an den unwürdigen -Bekanntschaften, wie mit jener dicken und geschwätzigen -Nachbarin, und entflieht besonders dem Baron, -den wir Alle so hoch verehren, und der sich zu sehr, -fast mit Leidenschaft herabläßt, ihren Sinn für ein höheres -Leben aufzuschließen.“ -</p> - -<p> -Sie bogen jetzt um die Felsenecke, und sahen die -Stadt schon vor sich liegen. Aber zu ihrem Entsetzen -bemerkten sie auch zugleich jenen wohlbeleibten Baron von -Wilden, von dem sich Nachmittags der junge Rath nur -schwer hatte losmachen können. „Nun,“ rief dieser ihnen -entgegen, „kommt Ihr schon aus dem Himmel zurück? -Hat’s brav viel ambrosische Redensarten abgesetzt? -Sind die nektarischen Gesinnungen gut eingeschlagen? -Hoffentlich war doch kein Mißwachs an überirdischen -Gefühlen?“ -</p> - -<p> -Die Freunde, die in der schönen Natur und dem -lieblichen Abende gern noch ihre Gefühle hätten harmonisch -nachklingen lassen, suchten sich von ihm loszuwickeln; -da sie aber denselben Weg zur Stadt zurück gingen, -war dies unmöglich. „Nichts da!“ rief er mit herrschender -Stimme aus: „wir bleiben treu beisammen, und -dort unten beim Brunnen treffen wir noch einen armen -Sünder, der auf mich wartet.“ -</p> - -<p> -Die beiden jungen Leute sahen sich gezwungen, aus -der Noth eine Tugend zu machen, besonders weil der unempfindliche -Baron mit kreischendem Tone fortfuhr: „Ich -merke wohl, Ihr wäret hier in der Gegend gern noch -empfindsam, besonders weil der Mond bald hervor kommen -<a id="page-116" class="pagenum" title="116"></a> -wird; aber dergleichen Unfug wird in meiner prosaischen -Gesellschaft nicht geduldet. Glaubt mir doch, -junge Menschen, all’ das Aetherisiren und Frommsüßlichen -dort geschieht ja doch nur, daß Ihr an diesem lockenden -Hamen als Eheleute anbeißen sollt, wenn Ihr nämlich -selbst Amt und Vermögen besitzt. Es sind so viele Töchter -dort, und nur die älteste, verwilderte, ist so toll, alle -Partieen abzuweisen. Ja die liebe, gute, so hocherwünschte -Ehe, das Freiwerben, wonach mit allen Fernröhren hinaus -geschaut wird, wenn so herrliche edle Töchter in dem -Familiensaal dasitzen, rund und fett, roth und weiß, züchtig -und tüchtig, auferwachsen und vollständig! Und in -der Mitte die verständige Mutter, achtsam, lauernd und -spekulirend, die Augen nach allen Seiten, jeden anfühlend, -der nur eintritt, ob der feine Rock auch bezahlt ist, ob -derselbe, wenn er von Reisen und Bällen erzählt, auch -wohl im Stande sei, ein Ehefrauchen standesmäßig zu ernähren. -Da gehn der guten Matrone dann so fromme, -weiche und gar unbefangene Redensarten aus dem zarten -Munde, die Blicke leuchten zum Himmel und rechts und -links, und alle Worte und alle Blicke schwimmen wie -hundert Angeln im Strom der faden Unterhaltung, und -die jungen Bursche schießen bald nach dieser, bald nach -jener Schnur wedelnd und spielend hin, bis denn, wenn -auch nach Wochen, einer und der andere fest sitzt. So -haben sie für die Kunigunde den zarten Weißfisch erschnappt, -und ihm gleich darauf eingebildet, das runde -Mädchen sei für ihn viel zu gut, so daß er wie ein reuiger -Sünder am Wagen des Ehestandes zieht, und sich -geehrt fühlen muß, daß die Hohe sich zu ihm erniedrigt -hat; nun müssen Clara, Clementine und die irdische Dorothea -noch versorgt werden, ja ich stehe nicht dafür, -<a id="page-117" class="pagenum" title="117"></a> -daß die bejahrte Bekehrerin nicht selbst noch einmal aus -einem frommen Knaben einen Bräutigam für sich drechselt, -und ihm statt des Katechismus einen Ehekontrakt -in die Hände schiebt. Ja wohl Ehestand, Wehestand! -Wie rennt nur alles so blind und taub in das traurige -Joch, und opfert Freiheit und Laune dem bösen Geiste, -der den Mann fast immer unter den Sklaven erniedrigt.“ -</p> - -<p> -„Sie sind ein arger Frevler,“ sagte der Offizier: -„aus launenhafter Verruchtheit hassen Sie die Ehe, -und verlangen nun, alle Menschen sollen als sündliche -freigeisternde Hagestolze leben, und weil Ihr Sinn nicht -in jene Umgebung paßt, so lästern Sie diese Menschen, -die jeder Verläumdung zu erhaben sind.“ -</p> - -<p> -„Ganz martialisch!“ rief der Baron aus. „Und -doch werde ich Recht behalten, und vielleicht seufzen Sie -selbst einmal, wenn Sie an der Kette wie ein Eichhorn -immer wieder dieselben rechtgläubigen Sprünge machen -müssen, um die Nüsse zu knappern, die die Gemahlin -Ihnen zukommen läßt: ach! wenn ich doch dem resoluten -Wilden hätte glauben wollen!“ -</p> - -<p> -„Nein, mein Herr,“ sagte der Rath sich ereifernd, -„Ihre Ansicht geht nur aus der Verzweiflung hervor, ja, -Sie glauben sich selber nicht.“ -</p> - -<p> -„Meinethalben,“ rief jener aus, „kann seyn, daß -eine ganz andere Kreatur, als ich selber, aus mir heraus -redet; denn das ist im Leben oft der Fall, und bei jenen -Apostolischen guckt auch oft was, wie ein Affe, aus den -verbrämten und aufgesteiften Gewändern hervor. Nicht -wahr, besonders aus dem ältlichen, zu wenig weltlichen -Fräulein Erhard, der unvergleichlichen Erziehungskünstlerin? -Diese hat das Haubenmuster der inwendigen Gesinnung -für die ganze Familie zurecht gesteckt, sich selbst -<a id="page-118" class="pagenum" title="118"></a> -aber die krauseste Religions-Frisur zurecht gezimmert. -Ihr meint, wenn diese ihr Orakel kräht und die kleinen -Augen verdreht, so müssen wir Ungläubige gleich unterducken. -Ihr bin ich am meisten aufsässig, denn sie ist es -eigentlich, die die ganze Familie in Grund und Boden -verdorben hat.“ -</p> - -<p> -Jetzt standen sie am Brunnen. Die Sonne war -längst untergegangen, und aus der Finsterniß drehte sich -ein Mensch hinter dem Weidenbusche hervor. „Ach! der -Michel!“ rief der Baron: „können Sie, meine Herren, -einen ehrlichen Bedienten brauchen?“ -</p> - -<p> -„Warum,“ fragte der Offizier, „habt Ihr die -Dienste der trefflichen Baronesse verlassen, die so mütterlich -für ihre Leute sorgt?“ -</p> - -<p> -„Ach! gnädiger Herr,“ sagte der Diener, „weil ich -neulich so ein bischen unschuldig gelogen habe, bin ich -gleich fortgeschickt worden.“ -</p> - -<p> -„Das ist recht!“ rief der Offizier, „daran erkenn’ -ich die edle Frau.“ -</p> - -<p> -„Alles ist nur ein Anstiften,“ fuhr Michel fort, von -dem neidischen Fräulein Erhard: „die kann’s nicht leiden, -wenn Mann und Weibsen sich gut sind, weil keiner sie -aus dem ledigen Stande erlösen will, und seit sie vor -vier Wochen sah, wie ich dem Hausmädchen einen Kuß -gab, hat sie mir’s nachgetragen.“ -</p> - -<p> -„Wie gemein!“ rief Alfred aus. -</p> - -<p> -„Ja, mein gnädiger Herr,“ sagte der Diener, „sie -ist nicht vornehm, aber hübsch, und Kuß bleibt Kuß. -Nun hatt’ ich eines Tags, auch wegen des Mädchens, -ein neues Buch von der Stadt zu holen vergessen, es -sollte so ein recht superkluges, andächtiges seyn, da sagt’ -ich in der Angst, das Buch sei schon verliehen, das kam -<a id="page-119" class="pagenum" title="119"></a> -heraus, daß ich gar nicht weggegangen war, und da -wurde ich nun um das bischen Lügen gleich aus dem -Dienst geschickt.“ -</p> - -<p> -„Können Sie ihn brauchen?“ fragte der Baron die -beiden jungen Leute; diese versicherten aber: sie würden -sich nie mit einem Menschen zu thun machen, der in der -edelsten und nachsichtigsten Familie nicht einmal hätte geduldet -werden können. „Nun so bleib indessen bei mir,“ -schloß der Baron, „aber lüge so wenig als möglich.“ -</p> - -<p> -„Gewiß, gnädigster Baron,“ rief der Mensch aus, -„vorsätzlich niemals; es kommt einem manchmal in der -Angst eine sogenannte Nothlüge in den Hals, die, meinte -selbst mein alter Priester da hinten in meinem Dorfe, sei -wohl noch zu vergeben; aber meine gnäd’ge Herrschaft legt -alles auf die Goldwage, und in einem Hause, wo dann so -die allerausgesuchteste Frömmigkeit und aufgeputzteste Tugend -herrscht, da kommt ein armer, ordinärer Domestik durchaus -gar nicht fort; wir sind zu irdisch, beste Herren, -die vornehmen Leute haben es leichter, das schleift und -schleift immer am Herzen und der Seele, dazu haben wir -nicht Zeit vor Messerputzen und andern Verrichtungen. -Fräulein Dorchen wollte mich auch entschuldigen und sagen, -es wäre nicht so wichtig, die kam aber übel an, auf -die schrieen sie alle zusammen noch mehr los, als auf -mich. Die verachten sie alle, und sie ist doch die beste -im Hause, weil sie nicht so hoch hinaus will, denn der -Mensch ist doch einmal aus einem Erdenklos formirt, und -da rührt sich von Zeit zu Zeit der alte Lehm und Thon -in ihm.“ -</p> - -<p> -„Sie passen gut zusammen, Sie und Michel,“ sagte -lachend der Offizier. -</p> - -<p> -<a id="page-120" class="pagenum" title="120"></a> -„Aber halt!“ rief der Baron, „ich habe Dich nun -in meine Dienste genommen, und ganz vergessen, daß -morgen die Fräulein Ehrhard auf einige Zeit in mein -Haus kommt. Ja, meine Freunde, ich kann diese Person -gar nicht leiden, aber da ich mit meiner jungen Schwester -lebe, die nun ganz aufgewachsen ist, mancher Mensch -bei mir aus- und eingeht, ich auch oft außer dem Hause -bin, so muß sie doch, da ich nicht zu heirathen Willens -bin, eine Gesellschaft und Aufsicht haben. Da hat sich -das verdrehte Weibsen entschlossen, es bei mir zu versuchen, -denn sie weiß wohl, daß es bei mir gut hergeht, -nicht so arm, wie dort in der Familie; ich sehe auch oft -Gesellschaft, vielleicht denkt sie leichter einen Herzenskumpan -bei mir zu finden, als dort in der Einsamkeit. So -versuchen wir es denn auf einen Monat, oder so mit -einander.“ -</p> - -<p> -„Alles recht fein gemein konstruirt!“ sagte der Rath: -„wenn Sie nur geringe Motive finden, so begreifen Sie -die Sachen.“ -</p> - -<p> -„Kann nicht anders,“ sagte der Baron. Sie schieden, -da sie schon das Stadtthor erreicht hatten. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Am andern Morgen war im Hause der Baronesse -schon früh viel Unruhe. Im großen Saale, der unmittelbar -in den Garten führte, war die ganze Familie mit -Sonnenaufgang versammelt. Man zog Blumenkränze an -den Wänden auf, ein geschmückter Tisch stand unter einer -Thüre, mit Kleidern, Büchern und mannigfaltigen Angedenken -bedeckt, und man erwartete nun die älteste Tochter -Dorothea, die täglich den Garten am frühesten Morgen -zu besuchen pflegte, um sie mit diesen Geschenken und -<a id="page-121" class="pagenum" title="121"></a> -dieser Festlichkeit erfreulich zu überraschen. Es war -ihr Geburtstag, und Mutter und Töchter hatten alles -anordnen können, ohne daß sie es bemerkte, weil sie sich -niemals um den Kalender sonderlich bekümmerte. Jetzt -kam sie den Garten herunter, und sah schon aus der -Ferne die versammelten Geschwister. Als sie erstaunt in -den Saal trat, und Alle sie freundlich umringten, die -verschiedenen Gaben darboten, und Schwestern und Mutter -sich so ungewöhnlich liebevoll bezeigten, war sie tief -gerührt und um so heftiger erschüttert, je weniger sie diese -Feier der Liebe erwartet hatte. -</p> - -<p> -„Wie neu ist mir dies!“ rief sie aus: „ach! wie -wenig habe ich das um Euch verdienen können! Liebt -Ihr mich denn wirklich so? Alle diese Geschenke, dieser -Glanz, diese freundliche Aufmerksamkeit, wie kann ich es -Euch vergelten? Ich bin so überrascht, daß Ihr alle so -an mich Arme denken mochtet, daß ich Euch noch gar -nicht einmal danken kann.“ -</p> - -<p> -„Liebe uns nur recht innig,“ sagte die Mutter, sie -herzlich umarmend, „sondere Dich nicht so ab, komm uns -allen mehr entgegen; erkenne, wie wir es meinen, und -bemühe Dich, in unsere Gefühle und Ansichten einzugehen; -denn wir suchen ja nur das Gute, wir wollen ja -nur das Rechte. Diese Deine Launen, mein geliebtes -Kind, Dein störriger Sinn, der Dich den Freunden und -Geschwistern entfremdet, der Dich geringeren Menschen -entgegen führt, ist eine Unart und Verwöhnung Deines -Geistes. Du wirst und kannst die Wahrheit erkennen, sobald -es nur Dein ernstlicher Wille ist.“ -</p> - -<p> -„Ich will besser werden,“ sagte die weinende Tochter, -„ich verspreche es Ihnen in dieser Stunde, die mich -so unendlich bewegt.“ -</p> - -<p> -<a id="page-122" class="pagenum" title="122"></a> -Alle herzten und küßten sie, und Dorothea, die schon -seit lange als ein Fremdling in ihrer Familie stand, -fühlte sich wie in einem neuen Leben. Sie sah Alle -prüfend an, sie liebkoste Jeden, sie ließ sich die Geschenke -zeigen und erklären; es war, als wäre sie von einer langen -und weiten Reise zurück gekommen, und begrüße jetzt -die Ihrigen nach schmerzlicher Trennung. „Wenn ich nur -auch für Euch alle etwas thun könnte!“ rief sie aus. -</p> - -<p> -„Wenn Du es ernstlich willst,“ antwortete die Mutter, -„so kannst Du uns heut Alle, vor allen aber mich, -unbeschreiblich glücklich machen.“ -</p> - -<p> -„Nennen Sie,“ rief Dorothea, „sagen Sie, was ich -thun soll.“ -</p> - -<p> -„Wenn Du heut an diesem feierlichen Tage,“ fuhr -die Baronesse fort, „endlich Deine so lange verweigerte -Einwilligung geben, wenn Du unsern Freund Wallen -heut mit Deinem Worte beglücken wolltest, den Du gestern -so unziemlich gekränkt hast.“ -</p> - -<p> -Dorothea wurde blaß und trat erschreckend zurück. -„Dies fordern Sie?“ sagte sie stotternd: „ich dachte, ich -hätte darüber ein für allemal meine Erklärung gegeben.“ -</p> - -<p> -„Deine Leidenschaftlichkeit,“ sagte die Mutter, „kann -für keinen vernünftigen Entschluß gelten. Du liebst keinen -Mann, wie Du oft gesagt hast, Du kennst kaum -einen, den Du achten möchtest; dieser edle Freund ist Dir -mit der schönsten Herzlichkeit ergeben, er bietet Dir ein -Glück an, das Dir so schön nicht wieder entgegen kommt, -wenn Du es jetzt von Dir weisest; Du kennst die Lage -Deiner Familie, wie mißlich es mit unserm Vermögen -steht; Du kannst die Wohlthäterin Deiner Mutter, die -Versorgerin Deiner Schwestern werden. Hast Du wohl -schon bedacht, mein liebes Kind, wie trostlos Deine eigne -<a id="page-123" class="pagenum" title="123"></a> -Zukunft seyn muß, wenn Du auf Deinem Eigensinn beharrst? -Von Männern und Frauen verlassen, den Deinigen -empört und gehässig, einsam und ganz verloren in -einer kalten, höhnenden Welt, arm und ohne Hülfe! -Wirst Du Dich alsdann nicht in Deine Jugend zurück -sehnen, und in bitterm Schmerz bereuen, daß Du jetzt -alles Glück für Dich und die Deinigen so muthwillig, so -unbedacht von Dir gestoßen hast? Fordert dieser edle -Mann denn Liebe und Leidenschaft von Dir, wie sie wohl -in unsern verkehrten Büchern geschildert werden? Will -er mehr als Freundschaft und Achtung? Und kannst Du -ihm diese versagen? Er ist zu allen Aufopferungen bereit, -die unsere drückende Lage fordert, und die sein großer -Reichthum möglich macht; aber wenn Du ihn so -spröde verhöhnst, und er tritt beleidigt und beschimpft zurück -— wer weiß, wo Deine Geschwister oder Deine -Mutter und Du selbst noch einmal im Alter ein schnödes -Almosen erbetteln müssen, wo ich noch krank und hülflos -liege, und Dein weinendes Auge dann umsonst in diese -Tage sehnsüchtig zurück blickt, die dann auf ewig verschwunden -sind.“ -</p> - -<p> -„Hören Sie auf, meine geliebteste Mutter!“ rief -Dorothea im größten Schmerze aus. „O leider, leider -ist das Recht ganz auf Ihrer, und das Unrecht durchaus -auf meiner Seite. Nein, ich habe noch nie geliebt, und -werde es nie, mein Herz ist für dieses Gefühl verschlossen; -die Männer, die ich gekannt habe, flößen mir alle -ein Gefühl des Widerwillens ein, viele des Mitleids, um -nicht Verachtung zu sagen; ich sehe ja ein, daß eine -Ehe, die auf Vernunft sich gründet, die uns in Wohlstand -und Sorglosigkeit versetzt, etwas Wünschenswerthes -seyn muß; daß ich durch ein einziges Wort Sie und uns -<a id="page-124" class="pagenum" title="124"></a> -alle beglücken kann, daß es wohl edel ist, wenn ich es -ausspreche, daß es die Nothwendigkeit vielleicht von mir -erzwingt, und Kindespflicht und die edelsten Rücksichten — -und doch — warum schaudert mein Gefühl davor zurück? -— Ach, liebe Mutter, wenn nur eins nicht wäre, -— darf ich es sagen? werden Sie mich nicht ganz mißverstehn? -O gewiß! denn ich verstehe mich ja selber -nicht.“ -</p> - -<p> -„Sprich, mein geliebtes Kind,“ sagte die Mutter -im freundlichsten Tone, „ich werde Dein Herz fühlen, -wenn ich auch nicht ganz Deine Worte fasse.“ -</p> - -<p> -Dorothea zögerte, sah sie bittend an, und sagte endlich -verlegen und mit bittender Stimme: „Oft habe ich -mir selbst die Frage vorgelegt, ich habe mich in einsamen -Stunden ernst geprüft, und mir schien dann wohl, als -könnte ich meine Hand in die des würdigen Mannes fügen, -den Sie alle, den die ganze Welt verehrt, wenn er -nur nicht —“ -</p> - -<p> -„Nun?“ rief die Mutter. -</p> - -<p> -„Wenn er nur nicht fromm wäre,“ sagte die Tochter -hastig. -</p> - -<p> -Eine lange Pause der Verlegenheit entstand. Dorothea -war glühend roth geworden, die Schwestern traten -scheu zurück, die Mutter schlug den Blick nieder, und -wandte ihn dann um so schärfer prüfend auf die Arme, -die Allen und sich selbst fast eine Entartete schien. Endlich -sagte die Mutter: „Nun, wahrlich, das muß mich -überraschen, und wenn ich dies in Dir verstehe, so möchte -es mich auch mit Schauder erfüllen. Also Du bekennst -nun öffentlich Deinen Abfall von Gott? Du bist also -darüber mit Dir einig, daß das Heilige Dir ein Anstoß -und Greuel ist? Du kannst das nicht lieben, was die -<a id="page-125" class="pagenum" title="125"></a> -Liebe selber ist? So geh denn und verläugne das Göttliche, -lebe ruchlos und stirb vom Himmel verlassen.“ -</p> - -<p> -„Sie verstehn mich nicht,“ rief Dorothea mit einem -hohen Unwillen: „das ist ja das Unglück meines Lebens, -daß Alles an mir mißdeutet wird, wenn ich es noch so -gut meine. Vielleicht würde mir Herr von Wallen ganz -recht seyn, wenn ich nur nicht wüßte, daß er so fromm -ist, ja vielleicht würde ich ihn alsdann für fromm halten.“ -</p> - -<p> -„Trefflich!“ sagte die Mutter in schmerzlicher Entrüstung: -„wenn wir selber verderbt sind, so ist es freilich -am bequemsten, an den Würdigen ihre Tugend zu -bezweifeln. Damit sprichst Du auch zugleich aus, wie -Du von mir denkst, und was ich überhaupt von Deiner -Kindesliebe zu erwarten habe.“ -</p> - -<p> -„Sie sollen, Sie werden sich irren!“ rief Dorothea -fast im Zorne aus: „ich will mehr thun aus Liebe für -Sie, als ich vor mir selbst verantworten kann, ich will -mich heute Abend, darauf gebe ich Ihnen jetzt mein Wort, -mit dem Herrn von Wallen verloben.“ -</p> - -<p> -Ein allgemeiner Ausruf der Freude, Thränen, Umarmungen, -Schluchzen unterbrachen und ersetzten jedes Gespräch. -Der Wortwechsel verwandelte sich in das lauteste -und fröhlichste Getümmel, Alle hatten die Fassung verloren, -und drückten Liebe und Entzücken heftig und übertrieben -aus. Nur Dorothea war nach ihren letzten Worten -plötzlich wieder ganz kalt geworden, und gab sich ohne -alle Erwiederung still den Liebkosungen hin. -</p> - -<p> -„O Du mein geliebtes Kind!“ sagte die Mutter endlich -wieder gefaßt, „ja, ich habe Dich mißverstanden, und -Du wirst mir verzeihen; macht ja diese unerwartete freiwillige -Erklärung Alles wieder gut. Und jetzt darf ich -Dir auch noch das schönste und kostbarste Geschenk zu -<a id="page-126" class="pagenum" title="126"></a> -jenen Gaben der Liebe hinzufügen, diesen Schmuck, den -Dir der Baron sendet; ich habe ihn zurück gehalten, weil -ich wirklich an Deinem schönen Gefühle zweifelte.“ -</p> - -<p> -Die Tochter sah die Mutter mit großen Augen an, -dann warf sie einen kalten Blick auf die kostbaren Steine, -und legte sie ruhig zu den Blumen auf den Tisch. Das -Frühstück ward gebracht, und man war nach der lauten -Scene um so ruhiger, kein Gespräch wollte in den Gang -kommen. Es läutete zur Kirche, die Bedienten brachten -Mäntel und Bücher. Dorothea legte ihr Andachtsbuch -aus der Hand und sagte: „Sie verzeihen wohl, liebe -Mutter, wenn ich Sie heut nicht zur Kirche begleite, ich -bin zu gespannt, ich will mich hier in der Einsamkeit indeß -zu sammeln suchen und auf unsere Mittagsgesellschaft -vorbereiten, noch mehr auf den Abend.“ -</p> - -<p> -„Wie Du willst, mein holdes Kind,“ antwortete -die Baronesse: „zwar wäre die Kirche und die Rede unsers -frommen Seelsorgers wohl der natürlichste Ort und -Anlaß, Deine Gedanken zu sammeln, indessen hast Du -einmal Deine Art und Weise, sie bleibe Dir ganz unbekrittelt. -Es ist augenscheinlich der Himmel selbst, der -Dich, Geliebte, die Du es am meisten bedarfst, unserm -geliebten Wallen zuführt; an seinem Arm wirst Du anders -denken lernen, und vielleicht erlebe ich es noch, daß -Du uns alle beschämst und in höherem Glanze voran -leuchtest.“ -</p> - -<p> -Als sich Dorothea allein sah, musterte sie, fast gedankenlos, -die Geschenke. Die schimmernden, kostbar gebundenen -Bücher waren von jenen neuen religiösen, denen -sie nie ein Interesse hatte abgewinnen können. Was macht -es? sagte sie zu sich: ist denn die Erde selbst, das ganze -Leben so sehr der Rede werth? Warum will ich mit so -<a id="page-127" class="pagenum" title="127"></a> -großem Widerwillen die Rolle durchführen, die mir einmal -aufgegeben ist? Was ich mir früher dachte und -vorsetzte, ist ja doch nur Traum und leere Einbildung! -Ich sehe ja, wie alle, alle Menschen nur spielen und Erhebung -heucheln, dann gern und beruhigt in die Gemeinheit -sinken. Ist es das allgemeine Schicksal, warum -will ich mich so heftig dagegen sträuben? Entsetzlich ist -es! aber endlich, früh oder spät, löst ja doch der Tod -das verwickelte Netz dieses Lebens, und jenseits wird es -ja doch wohl Freiheit geben. -</p> - -<p> -Mit ihrer Stimmung wurde auch der Himmel finsterer. -Dunkle schwere Wolken zogen näher, und schienen -ein Gewitter herbei zu führen. Ein schlanker Mann -kam den Garten herauf und näherte sich dem Saal. Als -er eintreten wollte, ging sie dem Fremden, der ein Mann -von Stande zu seyn schien, entgegen. Sie begrüßten sich, -und der Unbekannte bat um die Erlaubniß, verweilen zu -dürfen, er habe in der Lindenallee sein Pferd dem Diener -übergeben, und sei dann in den offenen Garten gerathen; -er bedauerte, die übrige Familie nicht zu finden, worauf -ihn Dorothea einlud, im Saale das Gewitter abzuwarten -und zu verweilen, bis Mutter und Schwestern aus der -Kirche zurück kehren würden. -</p> - -<p> -„Sie scheinen beim Gewitter nicht ängstlich zu seyn,“ -bemerkte der Fremde. -</p> - -<p> -„Doch,“ erwiederte Dorothea, „wenn es allzunahe -kommt, und Feuer und Schlag eins und dasselbe werden; -ich glaube auch, daß sich alsdann wohl alle -Menschen mehr oder minder fürchten; denn wo es keinen -Widerstand giebt, wo ein plötzlicher unversehener Augenblick -mich wegraffen dürfte, da ängstet es mich gerade, -daß ich nicht auf meiner Hut seyn kann. In diesen -<a id="page-128" class="pagenum" title="128"></a> -Augenblicken beruhigt nur der Glaube an ein nothwendiges -Fatum und die Betrachtung, daß ich nichts Besseres -bin, als die Tausende meiner Mitmenschen, die demselben -Schrecken ausgesetzt sind.“ -</p> - -<p> -„Diese Gesinnung,“ sagte der Unbekannte, „muß -ich eine tapfere nennen, im Gegensatz jener schwachen, die -bei den Damen gar nicht selten ist, wenn sie beinahe in -Furcht vergehn, alle Fassung verlieren und in Thränen -jammern, indem nur noch das fernste Wetterleuchten herüber -schimmert.“ -</p> - -<p> -„Wohl,“ sagte Dorothea, „und ich sorge schon um -Mutter und Schwestern, die nur gar zu reizbar sind. -Ich mag es nicht tadeln, weil es wohl, wie so viele -krampfhafte Furcht, Krankheit des Körpers seyn mag.“ -</p> - -<p> -„Es ist nicht so leicht zu entscheiden,“ bemerkte der -fremde Mann, „weil wir erst ernsthaft versuchen müßten, -was der starke Wille denn wohl vermag, und ob, -wenn die Seele sich zwingt, nicht auch der Körper wenigstens -einige Schritte mitgeht, und von selbst da Gesundheit -entsteht, wo die eigenwillige Stimmung die Kränklichkeit -erzeugt hat.“ -</p> - -<p> -„Das führt auf die Frage,“ sagte Dorothea, „in -wie fern wir frei sind, und was wir im Geist und Körper -durch Vorsatz vermögen.“ -</p> - -<p> -„Gewiß,“ erwiederte jener, „und nicht blos diese, -alle ernsten Betrachtungen führen zu der großen Frage. -Ohne diese uns beantwortet zu haben, können wir auch -für nichts Interesse fassen, und weder an uns, noch an -andere glauben.“ -</p> - -<p> -„Freiheit!“ seufzte Dorothea, wie vor sich hin phantasirend: -„Sie glauben also daran? Ich auch ehemals, -als ich jünger war.“ — -</p> - -<p> -<a id="page-129" class="pagenum" title="129"></a> -„Jünger, mein Fräulein? das klingt von Ihren schönen -Lippen sonderbar. Ich zweifelte als Jüngling, und -habe erst später diese Ueberzeugung fassen lernen.“ -</p> - -<p> -„Vergeben Sie,“ rief Dorothea beschämt, „daß ich -mich mit Ihnen in dergleichen Worte verliere, da ich“ — -</p> - -<p> -Der Fremde unterbrach sie: „Behandeln Sie mich -nicht wie einen unbekannten jungen Menschen, der nur -da seyn darf, um Ihnen etwas Verbindliches zu sagen. -Sie sind mir mit einem schönen und ernsten Vertrauen -entgegen gekommen, und ich weiß, daß ich dessen nicht -unwerth bin.“ -</p> - -<p> -Und wirklich schien es, als spräche Dorothea mit -einem alten Bekannten oder Bruder, so wenig war dieser -Mann — nach dessen Namen sie selbst zu fragen vergaß -— ihr fremd. Seit lange hatte sie nicht dieses Gefühl gehabt, -ihre Gedanken, ohne Furcht, mißverstanden zu werden, -aussprechen zu dürfen; dies gab ihr eine Behaglichkeit, -daß sie auf das heranrückende Gewitter nur wenig -achtete, und selbst den Abend vergaß, an welchen sie so -eben noch nur mit Entsetzen hatte denken können. Im -Verlauf des Gesprächs erzählte der Fremde von seinen -Reisen, Manches von seinen Schicksalen; er erinnerte sich -seiner Jugend, und bekannte endlich, daß er dies Haus, -und vorzüglich den vor Jahren verstorbenen Vater des -Fräuleins oft gesehn habe. „Sie sehen Ihrem Vater -wunderbar ähnlich,“ beschloß er, „und ich habe gleich -Anfangs diese freundlichen Lineamente nicht ohne Rührung -betrachten können.“ -</p> - -<p> -Dorothea war überrascht, als sie die Familie schon -aus der Kirche zurück kommen sah. Man begrüßte den -Fremden, die Mutter trat fast erschrocken zurück, und Dorothea -erblaßte, als sie ihn Graf Brandenstein nennen -<a id="page-130" class="pagenum" title="130"></a> -hörte. Er ward höflich zu Tische geladen, und der alte -Baron Wallen erschien ebenfalls, so wie der Rath Alfred -und der junge Offizier; beide waren aus der Stadt herüber -geritten. Die Familie kleidete sich um, und Dorothea -war in ihrem einsamen Zimmer in tiefen Gedanken -verloren. Die Welt lag sonderbarer als je vor ihrem -Geiste da, sie konnte sich kaum zurecht finden, um ihren -bescheidenen Putz zu ordnen, und als sie nachher wie träumend -zur Gesellschaft zurückkehrte, erschienen ihr alle Gesichter -wie hart und gespannt, ja, als fremd, besonders -aber die weiche, gesalbte Miene des Barons wie zum Erschrecken -verzerrt, und ein Gefühl, als wenn sie lachen -solle, bemeisterte sich wie ein Frost ihres ganzen Wesens, -indem sie sich erinnerte, daß sie diesen Mann noch heut -Abend für ihren Bräutigam erklären müsse. Wie widrig -ihr der junge Offizier und Rath auffielen, so bekannt, -vertrauensvoll und milde leuchteten ihr die Blicke des -Grafen entgegen, den sie als einen bösen und gefährlichen -Menschen noch gestern hatte schildern hören. -</p> - -<p> -Er schien allein unbefangen am Tische. Mit Behaglichkeit -erzählte er von seinen Geschäften, die er für seinen -amerikanischen Freund betrieb; er nannte die Güter, die -er schon gekauft hatte, oder um welche er noch in Unterhandlungen -stand, und man verwunderte sich über den -Reichthum des unbekannten Mannes, der die schönsten -Besitzungen zu einer großen Herrschaft vereinigen konnte. -Durch die Gewandtheit des Grafen ward die Unterhaltung -bald freier, und der Baron, welcher dem Gefühle, das -ihn bedrängte, wie mit Gewalt widerstand, suchte das -Gespräch an sich zu reißen und zu beherrschen, vorzüglich -wohl, damit die Jugend und die Frau des Hauses nicht in -der gewohnten Verehrung nachlassen möchten. -</p> - -<p> -<a id="page-131" class="pagenum" title="131"></a> -Wie es aber zu geschehen pflegt, daß ein Gespräch, -wenn es nicht mit leichter Unbefangenheit und feinem Sinne -geführt wird, wohl in Anmaßung und Spannung eine -polemische Natur annimmt, so war es auch hier; denn -die Reden und Aeußerungen des Barons waren alle verhüllte -Angriffe gegen den Grafen und dessen Meinungen, -wie er sich diese nach der Schilderung desselben dachte. -Der Graf achtete diese Demonstrationen Anfangs wenig; -er unterhielt sich hauptsächlich mit Dorotheen, die neben -ihm saß, sprach von seinen Geschäften, und sagte endlich -auch, wie im Scherz, er habe zugleich von seinem amerikanischen -Freunde den Auftrag erhalten, ihm eine Gemahlin -zu suchen. -</p> - -<p> -„Das kann wohl von Ihnen beiden nicht ernsthaft -gemeint seyn,“ sagte die Baronesse. -</p> - -<p> -„Und warum nicht?“ erwiederte der Graf in heitrer -Laune, „mein Freund ahmt ja hierin nur den regierenden -Fürsten nach, durch Anwalde und nach politischen Rücksichten -zu unterhandeln. Er ist nicht mehr jung und -kann nicht erwarten, Leidenschaft zu erregen; er hat in -der Jugend traurige Erfahrungen gemacht, und an seinem -eignen Unglück, so wie an manchem Freunde erlebt, daß -dasjenige, was die Menschen Liebe nennen, nur weichliche -Sehnsucht, oft Eitelkeit, zuweilen sogar Verblendung sei, -und die meisten Ehen, die in scheinbarer Leidenschaft geschlossen -werden, nur ein dürftiges, ganz kümmerliches -Leben, oft Elend herbei führen. Ich bin sein ganz vertrauter -Freund, und er rechnet auf meine Menschenkenntniß, -daß ich ihm ein Loos ziehen werde, welches ihm geziemt.“ -</p> - -<p> -Der Baron erwiederte, daß ihm ein solches Unternehmen -immer noch mißlich scheine, und daß der Unbekannte -<a id="page-132" class="pagenum" title="132"></a> -dabei doch das Glück seines Lebens auf das -Spiel setze. -</p> - -<p> -„Glück?“ nahm der Graf das Wort auf: „gewiß, -wenn er sich jenes Unbedingte, Unendliche und Unaussprechliche -dabei dächte, was die Jugend gewöhnlich mit -diesem Worte verbindet. Wo finden wir dies? Wer sich -nicht zu beschränken versteht, wird nichts erlangen, am -wenigsten, was jenseit aller Schranken liegt. Die Resignation -mag Anfangs bitter scheinen, aber ohne sie ist kein -Zustand des Lebens zu ertragen; denn wenn wir mit uns -nur wahr umgehen, so müssen ja doch auch alle Entzückungen -unmittelbar der Wehmuth Platz machen, ja sie -sind eins mit dieser, und Schönheit, Kunst, Begeisterung, -Alles ist für uns irdische, vergängliche Menschen nur da, -indem es vergänglich ist, obgleich die Wurzel alles Göttlichen -in der Ewigkeit ruht.“ -</p> - -<p> -„Sonderbar!“ sagte der Baron: „somit wäre auch -die Andacht und die Frömmigkeit, das Erkennen des -Himmlischen diesem Wandel unterworfen?“ -</p> - -<p> -„Ich glaube,“ sagte der Graf, „wer nicht irdisch -seyn mag, kann auch nicht überirdisch seyn; Nacht und -Tag, Schlaf und Wachen, Erhebung und Gleichgültigkeit -müssen sich ablösen. Wir beklagen mit Recht, daß es so -ist und seyn muß, aber es kann nicht anders; wer aber -die Erleuchtungen der Andacht, die Entzückungen einer -himmlischen Liebe zu einem stehenden Artikel in seinem -Herzen machen wollte, der dürfte sich wohl auf dem allergefährlichsten -Standpunkte befinden, auf den der Mensch -sich nur wagen kann.“ -</p> - -<p> -„Sie sind einmal als Freigeist bekannt,“ antwortete -die Mutter, „und es wird Ihnen bei uns nicht gelingen, -unsere klare Ueberzeugung zu trüben.“ -</p> - -<p> -<a id="page-133" class="pagenum" title="133"></a> -Kunigunde sagte mit einem schmelzenden Tone: „Sie -meinen also, es sei gefährlich, den Herrn zu lieben?“ -</p> - -<p> -Brandenstein mußte lächeln: „Gefährlich, wie alle -Liebe, schöne Frau,“ erwiederte er leicht, „besonders, wenn -man den Gegenstand, den man zu lieben unternimmt, nicht -kennt, oder sich eine ganz unrichtige Vorstellung von ihm -macht; noch schlimmer, wenn wir ein Phantom aus ihm -bilden, das alle unsre Vorurtheile bestärken, uns in unsern -Schwächen Recht geben, unsere Fehler und Irrthümer -autorisiren soll. Da dürften wir unser thörichtes Herz -leicht an ein Gespenst verschenken, wie einige alte Mährchen -etwas Aehnliches erzählen, und uns entsetzen, wenn -uns die wahre Gestalt des Göttlichen einmal in einer erleuchteten -Minute erschiene.“ -</p> - -<p> -Dorothea hörte aufmerksam zu, und der Baron sagte -nicht ohne Verdruß: „Die Liebe kann nicht irren. Wo -sonst einen Wegweiser auf unserm Pfade suchen?“ -</p> - -<p> -„Wenn sie die wahre ist, nicht,“ erwiederte der Graf: -„aber über diese täuschen wir uns selber nur gar zu -leicht; denn wenn unsere Leidenschaften nicht Sophisten -wären, so wären sie eben auch keine Leidenschaften.“ -</p> - -<p> -„So ist denn der Zweifel,“ sagte der Baron zürnend, -„das Einzige, was wir gewinnen können.“ -</p> - -<p> -„Er sei unser Diener,“ antwortete der Graf, „der -die Wege untersucht, unser Thor, der mit nüchternem -Spaß uns vor dem Allzuviel oder vor Uebereilung warne. -Kinder und Narren reden aber, wie das Volkssprichwort -sagt, die Wahrheit: zuweilen wenigstens, wenn nicht oft -und immer.“ -</p> - -<p> -„Eine Mutter,“ sagte die Baronesse, „weiß, was -Liebe ist; der Mann behält vielleicht immer eine dunkle, -zweifelnde Vorstellung von dieser Kraft. Auch ist die -<a id="page-134" class="pagenum" title="134"></a> -That immer mehr als das Wort, und so habe ich meine -Kinder erzogen und mit ihnen gelebt, ganz in Liebe, keinen -blinden Gehorsam, nie etwas Unvernünftiges von -ihnen fordernd, immer habe ich mich ihnen geopfert; aber -sie haben schon lallend meine Liebe erkannt und erwiedert, -auch sie haben nur ihren Herzen folgen dürfen, und -Strenge, Furcht und dergleichen ist ihnen völlig unbekannt -geblieben.“ -</p> - -<p> -Die Töchter sahen die Mutter zärtlich an, die Mutter -hatte Thränen im Auge, nur Dorothea blickte scheu -vor sich nieder, und der Baron sagte begeistert: „Man -kennt und verehrt diese musterhafte Erziehung, und wer -an Liebe zweifelt, komme und sehe diesen Familienkreis.“ -</p> - -<p> -„Fern sei es von mir,“ sagte Brandenstein, zu Dorotheen -gewendet, „mit rohem Gefühl diese zarte Liebe -nicht anerkennen zu wollen; nur meine ich, wenn ich mich -meiner glücklichen Kindheit erinnere, daß die Liebe zu den -Aeltern, und eine gewisse religiöse und edle Furcht vor -ihnen ein und dasselbe seyn müßte; denn durch die letztere -scheint mir meine Kindesliebe erst ihre wahre Kraft und -Innigkeit erlangt zu haben, auch soll ja diese heilige Scheu -vor etwas Unbegreiflichem in den Aeltern jenen blinden, -unbedingten Gehorsam erzeugen, in welchem sich das Kind -eben so glücklich fühlt; denn ohne diesen Gehorsam findet, -scheint es mir, weder Erziehung noch Liebe statt.“ -</p> - -<p> -Die Mutter sah die älteste Tochter, welche derselben -Meinung zu seyn schien, bedenklich an, und sagte dann -mit etwas gespitztem Tone: „Ich habe es vorgezogen, -meine Kinder früh zu überzeugen, und wo das nicht -möglich war, stimmte ich sie so, daß sie aus Liebe zu mir -das thaten, was sie nicht einsehen konnten.“ -</p> - -<p> -„Ich verehre Ihre Erziehung,“ sagte der Graf, „denn -<a id="page-135" class="pagenum" title="135"></a> -wer möchte in dieser schönen Umgebung dagegen streiten? -Doch dürften diese Auswege vielleicht etwas zu kostspielige -Surrogate für den einfachen und wohlfeilen Gehorsam -seyn.“ -</p> - -<p> -Der Baron wandte sich verstimmt an den Rath Alfred, -und das Gespräch nahm eine andere Wendung. Der -junge Offizier erzählte mit Selbstgenügsamkeit, daß er -neulich die Gesellschaft, zu der ihn eine Dame eingeladen -hatte, ohne alle Entschuldigung vermieden habe, da es -ihm sündlich scheine, eine Unpäßlichkeit oder ein Geschäft -vorzuschützen. Man lobte diesen Wahrheitstrieb und -meinte, diese Art und Weise müßte in der Gesellschaft -die allgemeine werden, wenn sie sich vor der leeren Affectation, -Heuchelei und fortwährenden kleinen Lüge retten -wolle. Auch die Mutter stimmte zögernd in diese Behauptungen -ein, ob sie gleich befürchtete, daß dergleichen -nur schwer möglich zu machen sei, ohne zugleich die feinen -Bande der Geselligkeit völlig zu lösen; doch sei eben -darum die Tugend des Einzelnen, der den Muth habe, sich -über diese Rücksichten hinweg zu setzen, um so mehr zu -preisen. „Nichts,“ fuhr sie fort, „habe ich bei meinen -Kindern so sehr zu erwecken und zu beleben gesucht, als -den heiligen Wahrheitstrieb; ich habe sie bewacht, daß -sie sich nie auch nur die kleinste Unwahrheit, ja selbst im -Scherze nicht, erlauben durften. Immer auch habe ich mich -bestrebt, alle Fragen wahr zu beantworten, aus dem Unterricht -alles zu entfernen, was nicht klar und deutlich -gemacht werden konnte; am meisten aber vermied ich jene -unsinnigen Mährchen und lügenhaften Geschichten, die -Furcht und Aberglauben nähren, und das Gemüth der Kinder -wohl am allermeisten der Wahrheit entfremden.“ -</p> - -<p> -Der Baron führte diese Sätze noch mehr aus, und -<a id="page-136" class="pagenum" title="136"></a> -alle Uebrigen stimmten ein, außer dem Grafen, welcher -äußerte, daß es eine der schwierigsten Antworten seyn -möchte, zu sagen, was denn Wahrheit, die eigentliche -Wahrheit sei. „Die Menschen,“ meinte er, „suchen sie -in allen Richtungen schon seit Jahrtausenden, und auch -hier muß, wie fast immer, der gute Wille, wahr seyn zu -wollen, nur zu oft die Sache selbst vertreten. Will ich -gegen Kinder oder Schwache immerdar auf alle Fragen -die Wahrheit sagen, so komme ich in die Gefahr, gar -nicht mehr wahrhaft seyn zu können; denn das Letzte -beruht ja doch auf einem Geheimniß, das ich eben so -wenig läugnen darf, als ich es erklären kann. Und zu -diesem Unsichtbaren hin drängen uns Phantasie und Gefühl -schon sehr früh, und der Lehrer, der die junge Ungeduld -hiervon entfernen will, muß nur wieder zu einer -andern Lüge seine Zuflucht nehmen, die vielleicht in falscher -Aufklärung eben so schlimm, als die des Abergläubigen -ist. So scheint es mir auch nicht gut gethan, die -Phantasie der Kinder nicht bilden zu wollen, auch in der -sonderbaren Kraft, die das Grauen sucht, und blinde, -wilde Schrecknisse ersinnt. Dieser Trieb ist in uns, er -regt sich früh; und soll er unterdrückt werden, strebt man -ihn zu vernichten, was nicht möglich ist, so wächst er in -der finstern Tiefe fort und gewinnt an Macht, was er -an Gestaltung verliert. Ich habe weibliche Wesen gekannt, -die man aus übertriebener Aufklärung selbst vor dem -unschuldigsten Mährchen bewahrte, und die in reifen Jahren -es nicht über sich vermochten, am Abend auch nur -durch das benachbarte Zimmer zu gehen, so bezwang sie -ein namenloses, ganz kindisches Grauen, so daß sie vor -jedem Laut, vor jedem Schatten ohnmächtig erzitterten. -Wird dagegen in der Kinder-Phantasie auch das Seltsam-Aengstigende -<a id="page-137" class="pagenum" title="137"></a> -in Gestalt gebracht, wird es in Mährchen -und Erzählungen gesänftiget, so vermischt sich diese Schattenwelt -sogar mit Laune und Scherz, und sie selbst, die -verworrenste unsers Geistes, kann ein Wunderspiegel der -Wahrheit werden. Durch diese Krystallseherei können wir -weitentfernte und doch befreundete Geister wahrnehmen, -die uns in sichtlicher Nähe nur höchst selten vorüber -schweben.“ -</p> - -<p> -„Daß Sie ein solcher Freund des Aberglaubens -sind,“ erwiederte die Baronesse, „muß ich erst jetzt von -Ihnen erfahren.“ -</p> - -<p> -Dorothea schien kein Wort dieser sonderbaren Unterredung -zu verlieren; sie sah Kunigunden an, auf welche -jene Schilderung einer unvernünftigen Angst, die sie oft -sogar am Tage befiel, buchstäblich paßte; auch waren die -andern Schwestern zuweilen kindisch genug, und scheuten -am Abend jeden Gang. Kunigunde war empfindlich, sie -glaubte, der fremde Gast kenne diese ihre Schwäche, und -habe sie nur schildern wollen. Die Mutter konnte ihre -Verlegenheit nicht ganz verbergen. -</p> - -<p> -„Der Gesellschaft,“ fuhr Brandenstein fort, „kann ich -mich nicht immer mit der nackten Wahrheit nahen, denn sie -fordert und erwartet sie nicht von mir. Ich darf die Tugenden -der Einsamkeit nicht in sie werfen, wenn ich nicht -den Zauber, durch welchen sie für den gebildeten Menschen -so reizend wird, zerstören will. Man findet allenthalben -schlechte Gesellschaft, die ich wahrlich nicht preisen will; -aber daß man das feine Leben, die zarteren Bande der -gebildetern Welt, das anmuthige Verhältniß der Geschlechter, -die Formen, welche Witz und Lebensart erfanden, so -oft schmähend mit den Gesetzen und Bedingnissen eines -sinnreichen Kartenspiels verglichen hat, ist mir zwar nicht -<a id="page-138" class="pagenum" title="138"></a> -unpassend, aber sonderbar vorgekommen, und unbegreiflich, -daß man nicht die Mannigfaltigkeit des Lebens und dessen -nothwendige Figuren hat anerkennen wollen. Man muß -nur eine Zeitlang mit bäuerischen Menschen gelebt haben, -die ihre rohe Zutäppigkeit für biedere Tugend so oft verkaufen -wollen, die alles verletzen, die kein Geheimniß, kein -zartes Verhältniß anerkennen, sondern alles Geistigere -Affectation und Heuchelei taufen; man muß Wochen -lang diesem rohen Betasten und Anpacken, und der drückenden -Langeweile ausgesetzt gewesen seyn, um den Adel -eines feinen, geistreichen Umgangs wieder schätzen zu lernen. -Hier gilt denn freilich nicht immer das blanke Ja -und Nein; und mit der sogenannten Wahrheit die gegebenen -Formen, durch welche diese Erscheinung sich nur -darstellen läßt, umstoßen wollen, ist eben so unbillig, als -wenn ich die Gesetze eines künstlichen Schachspiels Lüge -nenne, mit meinen Bauern gleich in das letzte Feld des -Gegners rücke und mein Spiel für gewonnen erkläre.“ -</p> - -<p> -„Sie sind ein ziemlicher Sophist,“ sagte der Baron. -„Es fehlte noch, daß die Verläumdung, Klatscherei, Neid -und Verfolgung der großen Gesellschaften einen Lobredner -fanden; es bleibt dann nur noch übrig, die stille Tugend, -die schöne Bürgerlichkeit, die kindliche Unschuld und edle -Einfalt der nichtvornehmen Welt zu schmähen.“ -</p> - -<p> -„Sie können mich unmöglich so mißverstanden haben,“ -sagte der Graf: „ich meine nur, man soll Bedingnisse, -die jedes Spiel und Kunstwerk nothwendig macht -(und die gute und feine Gesellschaft sollte wohl von beidem -etwas haben), nicht mit Unwahrheiten verwechseln; -denn auch im Tanz ist keine Wahrheit, wenn anders der -gerade eilige Geschäftsschritt so zu nennen ist, und es -dürften sich von dieser Ansicht her selbst gegen den Spaziergang -<a id="page-139" class="pagenum" title="139"></a> -nicht unerhebliche tugendhafte Zweifel aufwerfen -lassen.“ -</p> - -<p> -„Immer ärger!“ rief der Baron: „zum Glück, mein -scharfsinniger Graf, sprechen Sie alles dies in einer Gesellschaft, -auf die es nicht schädlich einwirken kann.“ -</p> - -<p> -„Sie haben mich einmal hinein gezogen,“ erwiederte -Brandenstein, „und so mögen Sie denn auch mein ganzes -Glaubensbekenntniß hören. Ich denke, es hat noch keinen -Menschen gegeben (und keiner wird kommen), der nicht -irgend einmal in seinem Leben mit Bewußtsein gelogen -hätte. Sei es nun Nothlüge oder Schwäche, Furcht, -Eigennutz oder Eitelkeit, und wie sie alle heißen mögen, -diese Flecken unsrer Natur; vielleicht auch, um nur einmal -diesem Geiste zu folgen, der uns doch gar zu reizend verlockt. -Und dürfen wir doch nur auf die erhabenen Apostel -sehen, um zu lernen, daß sie ihrem Vorbilde, der ewigen -göttlichen Wahrheit, nicht immer getreu zu seyn stark -genug waren. Vieles dieser Art möchte ich die unschuldigen -Lügen nennen, denen der bessere Mensch, eben weil -sie so resolut sind, bald aus dem Wege gehn kann. Aber -wie steht es denn mit jener gleissenden Eigenliebe, mit jenem -prunkenden Egoismus, mit der ausgebildeten Heuchelei, -die aus dem ganzen langen Leben mancher Menschen -nur eine einzige Lüge bilden? Ich habe wenigstens -einige gekannt, die so im Lügengeiste untergesunken waren, -daß es für sie gar keine Wahrheit mehr gab. Und -diese Menschen galten für tugendhaft, sie hielten sich selbst -für Auserlesene, es war ihnen möglich, selbst auf dem -Sterbebette die Rolle der Heuchelei fortzuspielen.“ -</p> - -<p> -„Dergleichen ist nicht möglich!“ rief der Baron, und -Alle stimmten ihm bei; nur Alfred äußerte, es könne -doch wohl dergleichen Verkehrtheit geben, worauf ihn Dorothea -<a id="page-140" class="pagenum" title="140"></a> -verwundert mit großen Augen ansah. „Sie sprechen -überhaupt,“ fuhr der Baron fort, „von einer vorigen -Welt; seit Ihrer Abwesenheit hat sich bei uns Alles -so geändert, daß Sie, wenn Sie unser Vaterland erst -wieder kennen lernen, kaum mehr eine Spur vom vorigen -finden werden. Die alte Irreligiosität, jene leere Freigeisterei, -die sich Aufklärung nannte, ist, dem Himmel sei -Dank! ziemlich verschwunden; immer schöner entwickeln -sich die Keime einer ächten Religiosität, man schämt sich -nicht mehr, Christ zu seyn, an den Herrn zu glauben und -sich im brünstigen Gebet zu ihm zu erheben. Die Kirchen -sind wieder gefüllt, die höhern Stände verschmähen -nicht mehr die Gemeinschaft ihres Nebenchristen, andächtige -Bücher haben die frivolen von den Tischen unserer -Weiber und Mädchen verdrängt, geläuterte Seelen unterhalten -sich, statt mit Theatergeschwätz, über die Bibel, ermuntern -sich zur Buße und Andacht, theilen sich die Erfahrungen -mit, die sie an ihrem Herzen machen, stärken -sich gegenseitig, und immer deutlicher spricht aus diesen -erhobenen Gemüthern der Geist des Herrn. Alles dies, -mein zweifelnder Freund, werden Sie wenigstens gelten -und stehn lassen müssen, denn hier ist Wahrheit und -Liebe, hier ist kein Irren möglich.“ -</p> - -<p> -Er hatte alles dieses mit großer Salbung gesprochen. -Der Graf schwieg einen Augenblick, ehe er sagte: „Unser -Tischgespräch hat eine so ernsthafte Wendung und einen -so feierlichen Inhalt gefunden, daß es wohl passender -wäre, abzubrechen, entweder auf eine stillere Stunde diese -Eröffnungen zu versparen, oder ganz zu schweigen, weil -man sich über diese wichtigen Gegenstände am leichtesten -mißversteht.“ -</p> - -<p> -„Weil Sie sich jetzt völlig geschlagen fühlen,“ sagte -<a id="page-141" class="pagenum" title="141"></a> -der Baron, „so wollen Sie sich wenigstens einen sichern -Rückzug vorbehalten. Ich dächte, es wäre jetzt Ihre -Pflicht, offen zu gestehen, daß Sie über diesen Punkt nichts -zu sagen wissen, wenn Sie nicht unverholen bekennen -wollen, daß Ihnen jene fast vergessene Freigeisterei lieber -als unsere heilige Religion sei.“ -</p> - -<p> -„O sprechen Sie!“ rief Dorothea, sich selbst vergessend. -</p> - -<p> -„Sie sehen, wie dringend Sie aufgefordert werden,“ -sagte die Mutter, indem sie einen langen und drohenden -Blick zu Dorotheen hinüber warf; auch Alfred bat, daß -der Graf sich erklären möchte, in wiefern er in diesem -Punkt mit dem Zeitalter einverstanden sei. -</p> - -<p> -„Da ich es nicht ganz umgehen kann,“ sagte dieser: -„so will ich kurz andeuten, was ich habe beobachten können; -denn da ich schon seit einem Jahre wieder in Deutschland -bin, so ist mir nicht alles so fremd, wie Sie glauben, -ob ich gleich erst seit kurzer Zeit meine Geburtsgegend -hier wieder besucht habe. Könnte ich Ihnen allen -nur das Vorurtheil benehmen, daß Sie mich, wie ich -merke, für einen gottlosen Unchristen halten. Nein, ein -solcher bin ich wahrlich nicht, aber ich muß mir nur das -unbestreitbare Recht vorbehalten, auf meine Weise ein -Christ seyn zu dürfen. Daß es jetzt, wie zu allen Zeiten, -wahrhaft fromme und erleuchtete Gemüther giebt, und -daß man diese verehren solle, wer möchte daran zweifeln? -Das Bedürfniß des Glaubens hat sich wieder gemeldet, -der Geist hat fast an alle Herzen geklopft, und Anmahnungen -mancher Art und aus allen Gegenden haben sich -vernehmen lassen. Ein klarer frischer Strom hat sich -wieder durch die lechzende Ebene von den ewigen Gebirgen -her ergossen, und der Kraft seiner Wogen folgen die -<a id="page-142" class="pagenum" title="142"></a> -Dinge und Wesen, welche er ergreift; unwiderstehlich -fühlt sich Alles fortgezogen, und Groß und Klein, Stark -und Schwach muß nothgedrungen mit hinunter fließen. -Wie ächte Begeisterung dies veranlaßt hat, so ist es denn -doch auch hier, wie in allen geschichtlichen Ereignissen, -ergangen, die Menge, die Eitelkeit, die menschliche Schwäche -trübt auch diese Erscheinung, und als es einmal Mode -war, frei zu denken und den starken Geist zu spielen, -wenn Viele auch schwach und abergläubig waren, so ist -es jetzt Sitte geworden, religiös zu scheinen, wenn es -Manchem auch frivol und unerleuchtet genug zu Muthe -seyn mag.“ -</p> - -<p> -„<span class="antiqua">Desinit in atrum piscem,</span>“ sagte der Baron ereifert, -„der Anfang Ihrer Rede ließ etwas Besseres vermuthen.“ -</p> - -<p> -„Wie Viele,“ fuhr Brandenstein ruhig fort: „sind -mir aufgestoßen, die mir fast beim Begrüßen entgegen -warfen, daß sie außerordentliche Christen seien. Andere -sprechen beim dritten Worte und bei den gleichgültigsten -Gegenständen vom Heiland; bei jeder Veranlassung, sei sie -noch so geringe, beten sie, und erzählen uns dies; ja ich -habe Romane gelesen, in denen der Verfasser in der Vorrede -sagte, er schreibe niemals, ohne vorher zu beten, und -alles Gute, was im Buche stehe, sei unmittelbare Eingebung; -das kürzeste Mittel, jede Kritik zurück zu schlagen, -und die Romanze dicht an die geoffenbarte Schrift zu -schieben. In Gesellschaften ergreift man jede Veranlassung, -von Reue, Buße, Andacht und Erlösung zu sprechen, und -entweiht, nach meinem Gefühl, das Heilige, vergißt, daß -es eine Aehnlichkeit mit der Liebe hat, deren Gefühle und -Geständnisse der wahre Liebende auch nicht jedem fremden -Ohre Preis geben wird.“ -</p> - -<p> -<a id="page-143" class="pagenum" title="143"></a> -„Was schadet es aber,“ sagte der Baron, „wenn -die frommen Gemüther vielleicht auch zu oft von dem -Gegenstande ihrer Liebe sprechen?“ -</p> - -<p> -„Es kann nicht die Liebe seyn,“ erwiederte Brandenstein: -„es ist Eitelkeit, Hochmuth, der besser seyn will, -als andere Menschen. Gerade wie zu der Zeit der Empfindsamkeit -oder der Aufklärung, ist es ein krankes Bedürfniß, -das allenthalben Nahrung sucht, das sich schmeichelt -und zu immer tieferer Krankheit verzieht, das unduldsam -und verachtend auf Nebenmenschen, die oft besser -und frömmer sind, hinblickt, weil diese nicht gerade in -den angegebenen Ton auch einstimmen wollen.“ -</p> - -<p> -„Sie schildern die Ausartung,“ stammelte die Baronesse -in einer Art von Angst. -</p> - -<p> -„Nichts anderes, verehrte Frau,“ antwortete der Graf: -„nur daß mir diese häufig in die Augen gefallen ist. -Auch habe ich Erbauungsbücher gesehn, die sehr in -der Mode zu seyn scheinen, Altes und Neues, die wahrlich -nur dazu dienen können, mittelmäßige Menschen, die schon -von der Eitelkeit ergriffen sind, ganz zu verwirren, in denen -der Schöpfer, die reine Liebe, gleich einem launigen -wunderlichen Alten dasteht, der sich aus Langeweile gelüsten -läßt, die krausesten Schicksale zu flechten, und Diesen -und Jenen, wenn auch Viele dabei untergehn, auf -feine und seltsame Art aus seinem Elende wieder heraus -zu führen. Andere verwandeln Religion in Magie und -Zauberei; oder verhärten die Herzen der Weiber, daß sie sich -unendlich über ihre Männer erhaben fühlen, diese, wenn sie -nicht ganz auf ihre Weise frömmeln, in einem Zustande -der Zerknirschung erhalten, und in dem Gefühl, wie tief -sie sich herablassen, die geheiligten Gattinnen so ordinärer -Sünder zu seyn. Ich kannte ein armes, mittelmäßiges -<a id="page-144" class="pagenum" title="144"></a> -Mädchen, die sich glücklich schätzte, an einen jungen wohlhabenden -Mann verheirathet zu werden, die aber nach -einem halben Jahre auch zur Heiligen wurde, und sich -nun vorlügt, ihre christliche Tugend bestehe darin, den -Mann zu dulden; übermenschlich erscheint sie sich, wenn -sie ihn nicht ganz verachtet, aber doch sagt sie sich dies -täglich und ihren religiösen Gespielinnen, die sie auch in -dieser Frömmigkeit bestärken. Ist nun dies nicht Sünde?“ -</p> - -<p> -„Ja wohl!“ seufzte plötzlich Kunigundens Gatte -auf, und die Mutter, welche den Halt ihrer Familie fast -sichtlich zusammenbrechen sah, bereuete es, dies Gespräch -begonnen zu haben, und zürnte ihrem würdigen Hausfreunde, -dem Baron, daß es durch ihn so angefeuert wurde. -Brandenstein aber, der nun einmal im Zuge war, konnte -ebenfalls in seinem geistlichen Eifer nicht ruhen, bis er -seine ganze Catilinarische Rede an den Mann gebracht -hatte. „Wie erhebend kann es seyn,“ fuhr er lauter fort: -„wenn wir fromme Männer, um sich ganz dem Heiligen -zu ergeben, der Welt und allen ihren Schätzen den Rücken -kehren sehen, um in stiller Abgeschiedenheit nur Einem -großen Gefühle zu leben. Ich will einzelne Brüderschaften -nicht tadeln, wenn sie sich in einem ähnlichen Sinne -verschließen, und von Kunst und Geschichte, Philosophie -und Welt nichts wissen wollen. Aber wenn diese einseitigen -Frommen, die in der Welt stehen bleiben, die Erziehung -der Uebrigen genossen haben und sich selbst für -gebildet ausgeben, uns immer und immer wieder zurufen, -nur Eins sei, was Noth thue, Malerei, Musik und Dichtkunst -seien nicht nur überflüssig, sondern sogar sündhaft, -und nur Gebet, Erleuchtung, Buße sei alles, was den -Menschen in Anspruch nehmen solle, — so möchte ich -doch wohl Diese fragen: von welchem engen Gefühle ihre -<a id="page-145" class="pagenum" title="145"></a> -sogenannte Religion sei, daß sie Liebe, Wahrheit, Vernunft -und die lieblichen Erscheinungen der Phantasie gar -nicht zulassen könne und dürfe? Also wäre den Reinen -heut nicht mehr alles rein? Der Mensch ist schon als -todt zu betrachten, dem in der Natur und Geschichte nicht -Gott mehr erscheint; der ist verloren, der in der Kraft -der Vernunft seine hohe Gegenwart nicht mehr sieht. -Auch der ist fromm, dem aus dem Gemälde eine Entzückung -anstrahlt, und der sich, so lange er Shakspeares -Sommernacht liest, selig und im Himmel fühlt. Denn -auch Scherz, Lust und Witz sind göttlicher Abkunft, und -wir werden um so reiner und geläuterter, je mehr wir -den göttlichen Strahl in diesen zarten Spielen erkennen -lernen.“ -</p> - -<p> -„Ja wohl,“ sagte der Baron, welcher das auffallende -Mißvergnügen der Baronesse bemerkt hatte, „können wir -heut dies interessante Gespräch nicht zu Ende führen.“ -</p> - -<p> -„Unmöglich,“ antwortete der Graf, welcher selber -über seinen Eifer zu erstaunen schien, „denn sonst möchte -ich wohl noch darüber belehrt seyn, warum diese frommen -Gemüther sich nicht mit mehr Demuth der Kirche anschließen? -Warum sie verlangen, daß alle Menschen auf -ihre Weise die Dinge sehen sollen? Warum nicht Zweifel -auch sie anwandeln und es ihnen begreiflich machen, -daß sie doch auch wohl irren könnten? Ob es nicht -christlicher sei, mehr nach dem Evangelium bei verschlossenen -Thüren zu beten, als pharisäisch ihr vieles Beten -weltkundig zu machen? Ich könnte denn wohl noch bemerken, -daß dieser geistliche Schwindel sich auffallend genug -mit einem politischen verbindet, und daß diese kranke -Stimmung, die sich über ganz Deutschland verbreitet, es -einem überaus verwirrten und schwachen Buche möglich -<a id="page-146" class="pagenum" title="146"></a> -gemacht hat, den Beifallsruf einer Menge zu erwerben, -die nun erst beurkundet, wie wenig sie je unsern großen -Dichter faßte, als sie ihm zujauchzte. Es kann als ein -Frevel gegen diesen großen Mann erscheinen, wenn -man es nicht lieber lächerlich finden will, daß man ihm -so schulmeisternd mit Glaubensfragen nahe rückt, daß -man Immoralität und Mangel an Idee seinen Werken -vorwirft, weil er sich nie zu den armen Bedürfnissen dieses -Wortführers herabgelassen hat. Daß alles dies möglich -gewesen ist, hat mir gezeigt, wie wenig wahre Bildung -bei uns noch Wurzel gefaßt hat, und wie leicht es -daher Schwindlern wird, mit halbwahren Begriffen die -schreiende Menge zu verwirren.“ -</p> - -<p> -„Sie meinen <em>Göthe</em>,“ sagte der Baron, „und die -sogenannten unächten Wanderjahre. Nun, da sind wir -ja schon so ziemlich weit von unserm ersten Diskurse abgekommen.“ -</p> - -<p> -Es trat eine Pause ein, Alle schienen verstimmt, -Dorothea war tief bewegt. Indem der Bediente jetzt den -Braten brachte, rief die Baronesse: „Ach! wie konnte ich -nur die arme kranke Wittwe vergessen? Johann, tragt -dies Gericht sogleich zu der Unglücklichen, mit meinen -herzlichen Wünschen. Sie leidet, wie ich heut gehört -habe, unglaublich, dabei ist sie arm, und ihre Kinder -können ihr nur wenige Hülfe geben.“ „Ja, die Armuth, -die Krankheit!“ seufzte der Baron. „O Himmel, was -würde aus der finstern Erde werden, wenn nicht immer -noch weiche, edle Gemüther das ungeheure Elend zu mildern -trachteten.“ -</p> - -<p> -„Die bedauernswürdige Frau,“ fügte Kunigunde -hinzu: „soll auch mit ihrem verstorbenen Manne gar -nicht glücklich gewesen seyn, er war hart und rauh, und -<a id="page-147" class="pagenum" title="147"></a> -behandelte sie oft übermüthig.“ Sie warf dabei ihrem -Gatten, der am andern Ende des Tisches saß, einen sonderbaren -Blick zu, der gar Vieles bedeuten konnte. Der -junge Mann, vom Tischgespräch aufgeregt, war so unerhört -dreist, zu erwiedern, daß es auch oft der Weiber -eigne Schuld sei, wenn sie in der Ehe nicht glücklich wären. -Der Graf, um nähere Erörterung zu verhindern, -bemerkte, daß es vielleicht, da man die Krankheit der -Frau nicht genau kenne, schädliche Wirkung thun möchte, -wenn sie von der Fleischspeise unvorsichtig genösse. Der -Baron aber, der einen neuen kriegerischen Angriff vermuthete, -sprach gerührt über die große Wohlthätigkeit der -Baronesse, wie sie den Armen eine Mutter sei, und begriff -nicht, wie es noch so harte Menschen geben könne, -die von dem Elende ihrer Nebengeschöpfe so ungerührt -blieben. -</p> - -<p> -Jetzt kam Johann mit dem Braten zurück und meldete, -daß die Wittwe sich gehorsamst bedanke; es sei ihr -aber vom Arzte im Fieber Fleischspeise bis jetzt noch untersagt, -auch empfange sie seit drei Wochen alles vom -Schlosse, was sie gebrauche, worüber sie ihre Rührung -nicht genug ausdrücken könne. „Ein Arzt?“ sagte die -Baronesse, „sie bekömmt schon? und wie?“ — „Ach, -gnädige Frau,“ sagte der alte Diener verlegen und mit -Bewegung: „Fräulein Dorothea sendet ihr schon seit -lange Alles, sie hat auch den Doktor kommen lassen, und -besucht die Kranke selbst alle Morgen und Abende.“ — -„So?“ sagte die Baronesse mit einem gedehnten, zitternden -Tone, und ein durchdringender Blick fiel auf die Tochter, -die in der Beschämung nichts erwiedern konnte; „und -warum, mein Kind, geschieht denn diese Ausübung der -Wohlthätigkeit, diese Tugend, die mir an Dir neu ist, so -<a id="page-148" class="pagenum" title="148"></a> -heimlich? Warum gönnst Du Deiner Mutter denn nicht -auch einen Antheil an dem Verdienste, da sich Dein Herz -nun endlich auf dergleichen christliche Liebesdienste hinlenkt? -Mein Rath würde die Wohlthat erst zu einer -ächten machen können. Aber so sieht es aus, als wenn -eher Eigensinn, als Mitleid, Deine Handlungen lenke.“ -</p> - -<p> -„Liebe Mutter,“ flehte Dorothea, „schonen Sie mich.“ -</p> - -<p> -„Es ist zu beklagen,“ fuhr diese fort, „wenn selbst -das, was an sich Tugend ist, durch die Art, wie man es -ausübt, sich zum tadelnswürdigen Fehler umgestaltet. -Vorzüglich sehe ich Stolz und Anmaßung in dieser Art -zu handeln, daß Du es übernimmst, ohne mich klug und -weise seyn zu wollen, da Du doch nicht wissen kannst, ob -Du nicht dadurch mehr Schaden als Nutzen stiftest.“ -</p> - -<p> -„Es ist zu viel!“ rief Dorothea laut weinend aus, -stand schnell auf und verließ mit verhülltem Angesicht das -Zimmer. -</p> - -<p> -Alle sahen auf, der Graf aber schien am meisten -überrascht, er sagte mit bewegter Stimme: „Geschieht -aber dem Fräulein auch nicht zu viel? Sie hat es wahrscheinlich -gut gemeint; und mir scheint es auch nicht -strafbar, daß sie ihre Wohlthaten heimlich erzeigt, daß sie -vielleicht etwas zu verschwiegen ist, um sich nicht dem -Schein des Prunkens auszusetzen.“ -</p> - -<p> -„Gewiß, gnädigste Frau,“ sagte der greise Diener, -„das Fräulein ist ein Engel, alle Leute im Dorfe sehn -sie auch so an; was sie nur von ihrem Taschengelde sich -absparen kann, was sie an Kleidern irgend entbehrlich -findet, wendet sie auf die Armuth, aber das Schönste dabei -ist die freundliche, stille Art, und wie sie die Leute -beruhigt, und die Kranken tröstet, und die Kinder zum -Gehorsam gegen die Aeltern ermahnt, die oft unwirsch -<a id="page-149" class="pagenum" title="149"></a> -sind: — ja, wir sollen schweigen, denn das hat sie uns -strenge befohlen, wir haben es auch Jahre lang gethan, -aber einmal verschnappt man sich denn doch. Verzeihung, -gnädige Frau.“ -</p> - -<p> -Diese Reden fielen vor, indem man aufstand; die -Baronesse zitterte; der Baron suchte mit feierlichem Gesicht -und Anstand, indem er der Mutter die Hand küßte, -die Sache gut zu machen; der Graf empfahl sich mit -wenigen Worten, und Alfred begleitete ihn; die übrige -Gesellschaft ging in den Gartensaal. -</p> - -<p> -„Es thut nicht gut,“ sagte die Mutter, „wenn böse -Menschen über unsere Schwelle treten.“ -</p> - -<p> -„Ihnen folgt kein Segen des Himmels,“ fügte der -Baron hinzu. -</p> - -<p> -„Welch ein Mittag!“ rief die Baronesse, „ich werde -ihn lange nicht vergessen! Solche Menschen fehlen uns -noch in unsrer Nähe, um mein armes abtrünniges Kind -ganz unglücklich zu machen. Aber auch Sie, Herr Sohn, -nahmen an dem gottlosen Menschen mehr Antheil, als ich -oder die fromme Kunigunde wünschen können.“ -</p> - -<p> -„Mich dünkt aber,“ sagte Kunigundens Gatte, „daß -er manches ganz Vernünftige sprach; ich glaube auch, -daß die Frömmigkeit zu weit gehe, und daß manche -Frauen sich zu viel einbilden können.“ -</p> - -<p> -Da sah ihn der Baron mit einem langen strafenden -Blicke an, den der Arme nicht aushalten konnte, und als -jetzt Kunigunde laut zu weinen anfing, die Mutter ebenfalls -weinend diese in die Arme nahm, um sie zu trösten, -konnte er gerührt die bereuenden Thränen nicht länger -zurück halten; er stürzte sich auch an den Busen seiner -Gattin, schluchzend und um Verzeihung bittend. „Sein -Sie alle beruhigt,“ tröstete feierlich der Baron, indem er -<a id="page-150" class="pagenum" title="150"></a> -den Blick zum Himmel erhob: „der Herr wird Alles gut -machen, denn heut Abend, wie Sie mir gesagt haben, -verlobt sich mir jenes verhärtete, uns dennoch theure -Herz, durch meine schwache Hülfe wird der Geist sie dann -erleuchten, und wir alle werden Ein Herz und Eine -Liebe seyn.“ -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Weinend hatte sich Dorothea in ihr Zimmer geschlossen. -So zerstört, unzufrieden mit sich und der Welt, so -ganz verloren und elend hatte sie sich noch nie gefühlt. -Sie war tief beschämt, daß die einfache Art, sich der Armen -anzunehmen, die ihr die natürlichste dünkte, plötzlich -durch die Einfalt des Dieners war bekannt worden; aber -es schien ihr auch zu hart, wie die eigne Mutter sie deshalb -vor allen Gästen behandelt hatte, am schmerzhaftesten -aber war es ihr, daß es in Gegenwart des Mannes geschah, -den sie verehren mußte, der ihr Vertrauen gewonnen -hatte, und dessen Achtung sie sich ebenfalls wünschte. -</p> - -<p> -Es war finster geworden, ohne daß sie es bemerkte, -als der Diener klopfte, und sie zur Mutter und der Gesellschaft -herab zu kommen bat. „Mutter!“ sagte sie vor -sich hin: „Mutter! welch schönes Wort! Warum habe -ich keine kennen gelernt?“ -</p> - -<p> -Sie ging hinab, im Saale saß die Familie versammelt, -auch der junge Offizier war gegenwärtig. Indem -Dorothea herein trat, fiel ihr erst wieder ein, weswegen sie -gerufen werde. Ein Fieberfrost überfiel sie. Alle begrüßten -sie als die Braut des Barons, die Mutter sagte freundlich, -sie wolle ihr jetzt das Betragen des heutigen Tages -verzeihn, die Schwestern wünschten der Betrübten Glück, -und der Baron bedeckte ihre zitternde Hand mit zärtlichen -<a id="page-151" class="pagenum" title="151"></a> -Küssen. „Sein Sie ruhig, sein Sie glücklich,“ sagte er -mit sanftem Tone, „von heut an werden Sie, Geliebte, -ganz zu uns gehören, und dieser Mensch wird das Haus -nicht mehr betreten; wohl hatten Sie Recht, und der -Himmel sprach aus Ihnen, daß ein solcher Elender nicht -wandeln darf, wo wir unsre Schritte setzen.“ -</p> - -<p> -„Elender?“ rief Dorothea, und riß ihre Hand so -gewaltsam weg, daß der Baron zurück taumelte. „Sie -sind ein frecher Mensch, daß Sie einen solchen Mann so -zu lästern wagen!“ -</p> - -<p> -„Himmel!“ schrie die Mutter, „sie hat den Verstand -verloren! Ein böser Geist spricht aus ihr.“ -</p> - -<p> -Dorothea besann sich wieder, sie sah das Erstaunen -der Umgebenden und suchte sich zu sammeln. „Ich bin -so erschüttert,“ fing sie an, „ich fühle mich so bewegt, -vielleicht daß eine Krankheit — nur einen Augenblick -will ich mich im Freien abkühlen.“ -</p> - -<p> -„In diesem Wetter?“ sagte die Mutter, „in diesem -Sturm und Regen, so ohne Tuch, in Deiner dünnen -Bekleidung?“ -</p> - -<p> -„Es muß seyn! es muß!“ rief sie aus, und hatte -schon, ohne auf die Uebrigen zu hören, die Saalthüre -geöffnet, und stand im finstern kalten Garten. Da der -Regen ihr entgegen schlug, so wandte sie sich in den bedeckten, -dicht verflochtenen Gang, und ging hastig auf und -nieder. „Ihm, dem Widerwärtigen,“ sagte sie zu sich -selbst, „auf immer verbunden? So tief, so tief herabgewürdigt? -Und für wen? Für Jene, die es mir niemals -danken werden, die dann wieder thun, als sei mir -dadurch die größte Wohlthat erwiesen worden? Meine -Seele retten? Verloren geht sie hier, vernichtet wird sie!“ -</p> - -<p> -Ein dunkler Schatten kam auf sie zu, und an der -<a id="page-152" class="pagenum" title="152"></a> -lispelnden, sanften Stimme erkannte sie sogleich den Baron. -„Meine Gute,“ fing er an, „Ihre liebe Mutter -und wir alle erwarten Sie drinnen mit banger Besorgniß; -mein Herz fließt in Zärtlichkeit über, da ich Sie schon -als meine Gattin, und die Mutter meiner frommen Kinder -betrachte.“ -</p> - -<p> -„Himmel!“ rief sie aus, „das bedachte ich nicht -einmal, daß mein Elend sich auch so weit erstrecken kann, -Heuchler und böse Egoisten aus meinem Blute entsprießen -zu sehen. Aber wenn mir auch dies Unglück nicht -würde, so kann ich doch nie die Ihrige werden.“ -</p> - -<p> -„Wie?“ rief der Baron, „und das feierliche Versprechen, -welches Sie heut Morgen in die Hände Ihrer -Mutter legten?“ -</p> - -<p> -„Und wenn ich es einem Engel vom Himmel gethan -hätte,“ sagte Dorothea, „so kann ich es nicht halten! Ja, -wenn schon die Trauung geschehen wäre, so müßte man -uns doch wieder trennen!“ -</p> - -<p> -„Seltsam, mein Fräulein! Bedenken Sie auch die -Folgen?“ -</p> - -<p> -„Welche können es seyn? Alles ist zu tragen gegen -das unabsehbare Elend, das meiner wartet.“ -</p> - -<p> -„Wissen Sie auch, daß es Ihre Mutter fordern kann? -Wissen Sie, daß diese mir verpflichtet ist, was ich bis -jetzt mit der Geduld der Liebe trug und verschwieg, in -der Hoffnung, Ihrer Familie anzugehören? Fragen Sie -sich, ob Sie unter diesen Umständen die Verpflichtungen -Ihrer Mutter nicht lösen müssen, wenn Sie für eine gute -Tochter gelten wollen?“ -</p> - -<p> -„Nein!“ rief das Mädchen in der allergrößten Anstrengung, -„lieber mit ihr darben, für sie arbeiten, ja, -für sie sterben!“ -</p> - -<p> -<a id="page-153" class="pagenum" title="153"></a> -„Es giebt aber doch noch Mittel,“ sagte der Baron -halb lachend, „solchen Starrsinn zu beugen; die Rechte -der Aeltern sind groß, und offenbar sind Sie jetzt Ihrer -Sinne nicht ganz mächtig; etwas Bitte, etwas Gewalt -wird schon den kindischen Willen brechen.“ -</p> - -<p> -Er hatte heftig ihren Arm gefaßt, und war bestrebt, -sie nach dem Hause zu ziehen; aber das starke Mädchen -riß sich behende los, und floh durch den Gang, der Baron -ihr nach, sie aber, die leichter war und die Verschlingungen -des Gartens besser kannte, war ihm bald weit -voraus; jetzt war sie an der offenen Grenze des Parks, -sie überschritt auch diese, und rannte nun über das Blachfeld -wie ein gejagtes Reh, indem abwechselnd Regen sie -durchnäßte, und Sturm ihre zarten Glieder erstarren -machte. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Die Frau von Halden saß behaglich in ihrem Stübchen, -indem die Bäume draußen der Sturm schüttelte, und -der Regen rasselnd gegen die Fenster schlug. Sie war -recht von Herzen zufrieden; denn für einen unerwartet -hohen Preis hatte sie ihr Gut verkauft, Alles war abgeschlossen, -und Graf Brandenstein hatte mit dem Rathe -Alfred noch diesen Abend Alles in Richtigkeit gebracht. -Beide schliefen schon in den obern Zimmern des Hauses, -denn es war nahe an Mitternacht, und sie wollte sich -auch eben in ihr Schlafzimmer begeben, als ein heftiges, -lautes Pochen an das Hausthor, und eine klägliche, bittende -Stimme sie erschreckten. Sie klingelte, der Diener -ward gesandt, um zu öffnen, und mit triefenden Kleidern, -zitternd und todtenblaß stürzte Dorothea herein, warf sich -<a id="page-154" class="pagenum" title="154"></a> -ihr sogleich stürmisch an die Brust und rief mit heiserer -Stimme: „Rette mich! rette mich!“ -</p> - -<p> -„Um Gotteswillen!“ sagte die Freundin im höchsten -Schreck, „Du bist es, geliebtes Kind? und so, in diesem -Zustande? Ich traue meinen Augen noch nicht.“ -</p> - -<p> -So sehr sie erschrocken war, so schaffte sie doch sogleich -mit der größten Freundlichkeit Wäsche und Kleider -herbei, half der Erkälteten beim Umziehen, tröstete sie -lachend und freundlich, und nöthigte sie dann, Glühwein -zu genießen, den sie eiligst besorgt hatte, um den bösen -Folgen der Erkältung vorzubeugen. Dabei umarmte sie -sie so herzlich, trocknete ihr die Thränen vom Auge, küßte -die Wangen, die sich schon wieder rötheten, daß Dorothea -sich fast so glücklich wie in den Armen einer Mutter -fühlte. Nach vielen tröstenden und scherzenden Worten -sagte die Frau von Halden endlich: „Nun erzähle mir -kurz, wie Du zu diesem tollen Entschluß gekommen bist, -und dann geh zu Bett und verschlafe Alles.“ -</p> - -<p> -„Du mußt mich schützen,“ sagte Dorothea: „Du -mußt mir ein Obdach nicht versagen, sonst muß ich verzweifelnd -in die weite Welt rennen, oder die Raserei stürzt -mich in die Wogen eines Mühlteichs.“ -</p> - -<p> -„Beruhige Dich, mein Kind,“ tröstete jene, „Du -mußt ja doch wieder nach Hause. Aber erzähle: was ist -Dir denn so plötzlich gekommen?“ -</p> - -<p> -„Nur lache nicht,“ rief Dorothea, „bleibe ernsthaft, -meine gute liebe Freundin, denn ich bin in Verzweiflung. -Heut Morgen ließ ich mich bereden, aus Schwäche, aus -Rührung, man hatte so unerwartet meinen Geburtstag -gefeiert, daß ich versprach, mich heute Abend mit dem -Baron von Wallen zu verloben. Das sollte nun geschehen, -und darum bin ich weggerannt, weil ich ihn verabscheue, -<a id="page-155" class="pagenum" title="155"></a> -weil ich in meinem väterlichen Hause mit meinen -Geschwistern, mit meiner Mutter nicht mehr leben kann.“ -</p> - -<p> -„Ich weiß wohl,“ erwiederte die Freundin, „daß Du -den Baron nie lieben kannst, daß Dir in der Familie -oftmals Unrecht geschah; aber dieser Ausdruck des Entsetzens -in Dir, da Du Alles so gewohnt schienst, bleibt -mir doch unbegreiflich.“ -</p> - -<p> -„Immer noch fasse ich es selbst nicht,“ antwortete -Dorothea: „ich weiß nicht, wie ich es Dir erzählen soll. -Daß ich nicht glücklich war, mußt Du wohl gesehn haben, -wenn ich Dir auch niemals ein Wort darüber sagte. -Ach, das schreibt sich ja schon seit dem Tode meines geliebten -Vaters her. Du weißt, ich war kaum dreizehn -Jahre, als er starb. O Himmel, welch ein Mann! ich -konnte damals seinen Werth nicht ermessen; aber je älter -ich wurde, je mehr blühte er in meiner Erinnerung zum -verklärten Gegenstande meiner Liebe auf. Dieser milde, -freundliche Sinn, diese Heiterkeit, Menschenliebe, stille -Frömmigkeit, diese Freude an Natur und Kunst, dieser -rege, herrliche Geist — ach! und er war auch nicht glücklich! -Ich sah, ich bemerkte es wohl, als ich etwas zu -Verstande kam, er war in der Ehe nicht glücklich, er und -meine Mutter waren sich zu ungleich, sie stritten oft mit -einander. Dann war er zu Zeiten recht tiefbetrübt, aus -seinen schönen braunen Augen konnte ein unendlicher -Kummer sprechen, wenn er sie so still vor sich nieder -senkte. Dann war ich seine Freude, ich fühle es, wie ich -ihn trösten konnte. Und nun war er plötzlich dahin gegangen! -Er muß es jenseits erfahren und gefühlt haben, -wie meine Herzensliebe ihm gefolgt ist. O meine Freundin, -es giebt Momente des Schmerzes, wo nur die kalte, -taube Dumpfheit, in die endlich unser Wesen versinkt, -<a id="page-156" class="pagenum" title="156"></a> -uns von Wahnsinn und Raserei errettet. So war ich -nun in Schmerz und Sehnsucht erwachsen, die Keiner -theilte, Keiner verstand. Und wie veränderte sich das -Leben unsers Hauses! Statt der heitern Mittheilungen, -statt der frohen Gesellschaften ein ernstes, feierliches Prunken. -Meine jüngern Geschwister wurden in einem ganz -entgegengesetzten Sinne erzogen, als es mein Vater gewünscht -hatte. Betstunden, Andachtbücher, religiöse Gespräche -füllten die Zeiten des Tages; und mein Herz -wurde immer leerer, ich konnte die Andacht nicht mitfühlen, -ja, nicht einmal an ihr Dasein glauben. Alle meine -Bücher, noch Geschenke meines Vaters, durfte ich nicht -mehr zeigen, Alles war weltlich, anstößig; ich erschrak -über die Deutungen, die man den Stellen gab, die -mir die liebsten waren, die ich auswendig wußte. Göthe’s -himmlische Natur selbst, seine edle Hoheit war Verführung, -Sinnenlust, und eine raffinirte Prüderie, die -mir höchst anstößig schien, mußte Tugend heißen. Meine -Geschwister, so wie sie zur Besinnung kamen, betrachteten -mich als eine Ausgeartete, die für’s Gute nicht empfänglich -sei; sie hörten das ja in allen Stunden, sie mußten -es wohl glauben. Zwischen ihnen und der Mutter entspann -sich ein Verhältniß, welches mich gleich sehr von -beiden entfernte, und um welches ich sie doch nicht beneiden -konnte. Eine übertriebene Liebe, eine zarte Weichheit, -ein Schonen und Liebkosen, das mir oft durch’s Herz -schnitt; ja die Mutter ging so weit, diese jüngern Töchter -zu vergöttern, sie anzubeten und es ihnen zu sagen, daß -sie es thue. Die Schwestern behandelten die Mutter, wie -man etwa mit einer abgeschiedenen Heiligen umgehen -würde, wenn sie zu uns zurück kehrte; doch könnte ich es -auch wohl nur einen Tag so treiben, und müßte dann -<a id="page-157" class="pagenum" title="157"></a> -heiterer mit ihr bekannt werden, oder sie wieder ganz vermeiden. -Ich erinnerte mich noch wohl, wie oft mein Vater -gesagt hatte, in früher Jugend müßten die Kinder -blind gehorchen lernen, damit sie, erwachsen, der Freiheit -fähig wären. Diese Freiheit des Geistes und des Gemüthes, -die den Menschen erst zum bestehenden Wesen, die die -Liebe, ein freies Hingeben, erst möglich macht, fand aber -unter diesen so eng Verbundenen doch nicht statt, ja sie wurde, -wenn sie sich einmal zeigen wollte, als die ärgste Sünde -behandelt. Die kleinste Schwäche, das geringste Vorurtheil -der Mutter durfte nicht berührt werden, auch in -Kleinigkeiten, über ein gleichgültiges Buch, über einen -Menschen, ja über die Farbe eines Bandes, durfte keins -eine andere Meinung hegen, als sie. War nur von einem -Spaziergange die Rede, nur zum nächsten Gut, ja, -durch den Garten, so verbot sie diesen, wenn sie nicht -daran Theil nehmen konnte oder wollte, nicht geradezu, -sondern sie sagte: „Geht, wenn Ihr ohne mich seyn könnt; -ich kann zwar ohne Euch nicht leben, aber könnt Ihr es, -so will ich Euch nicht stören; bin ich doch daran gewöhnt, -Euch alle Opfer zu bringen.“ Natürlich geschah nichts, -und die Schwestern gaben dann ihrem Verdruß den Anstrich -der Andacht, und ich, die ich zum Bündniß nicht -gehörte, mußte ihre Launen entgelten. Mein Muth entwich. -Ich ertrug es, auch von der jüngsten Schwester -gehofmeistert zu werden. O meine Freundin! wenn ich -dies alles so, was mir verkehrt und unrecht schien, bemerkte, -so ging ich dann wohl in den einsamsten Theil -des Gartens, und ließ meinen heißen Thränen ihren Lauf, -weil ich mir schlecht und gottlos erschien, daß ich mir alles -dies gestand, und meinen Wahrheitssinn, der von meinem -Vater erweckt und gebildet worden war, doch nicht -<a id="page-158" class="pagenum" title="158"></a> -unterdrücken konnte. Oft war ich so unaussprechlich elend, -daß ich Gott um meinen Tod bat. Es kamen dann auch -Zeiten, da ich doch sehn mußte, wie alle Menschen, die in -unser Haus kamen, meine Schwestern verehrten, ihnen -huldigten und mich vermieden, in denen ich mir selbst -schlecht und verächtlich schien. Wenn ich aber rang, so -wie die Andern zu seyn, so brachen mir alle Kräfte zusammen, -und die Arme fielen mir gelähmt am Leibe nieder. -— Aber, hörtest Du nicht Geräusch im Nebenzimmer?“ -</p> - -<p> -„Nein, mein gutes Kind,“ sagte Frau von Halden: -„Alles schläft, es kann höchstens eine Katze seyn.“ -</p> - -<p> -„Kunigunde heirathete,“ fuhr Dorothea fort: „die -Männer, die sich um mich bewarben, ängstigten mich nur -durch ihr läppisches Wesen, andere stießen mich durch ihre -Rohheit zurück. Ich konnte nicht fassen, daß mich einer -lieben könne, ohne daß ich ihn auch innigst liebte, und -darum erschienen mir ihre affectirten, übertriebenen Redensarten -so nüchtern, und es war mir unmöglich, an ihre -Leidenschaft zu glauben. Alles aber war noch erträglich, -bis der Baron Wallen in unser Haus kam; er bemächtigte -sich bald des Gemüthes meiner Mutter, die Sclaverei -wurde nun ganz unleidlich. Nun wurde erst recht -im Großen mit der Liebe geprunkt, die meine Geschwister -zu einander und zur Mutter trugen; in der ganzen Provinz -sprach man davon; wenn Fremde kamen, war es wie -ein Schauspiel, in dem sich alle Tugenden entwickelten. -O vergieb mir, Du und die einsame Nacht werden meine -Reden nicht weiter tragen; auch hast Du ja selbst die -Art oft gesehen, und der Himmel mag meine Empfindungen -ändern, oder sie verzeihn. Recht ängstlich aber war -es, daß in diesem gleißenden Baron ein wahrer Faun -<a id="page-159" class="pagenum" title="159"></a> -unter der priesterlichen Decke wandelt. Clara gefiel ihm, -auch Clementine; aber die Kinder, so sehr sie ihn auch -verehren mußten, erschraken doch vor dem Gedanken, ihn -als Ehemann anbeten zu müssen. Sie wurden aber bald -befreit; denn die Bestimmung, für die sie sich zu gut -fühlten, wurde mir unvermerkt und künstlich zugeschoben. -Nun hörte ich immerdar, wie edel, ja wie nothwendig es -sei, sich zu opfern, wie armselig die eigentliche Leidenschaft -der Liebe erscheine, wie eine vernünftige Ehe jedes -andere Glück der Erde übertreffe. Glaube mir, ich hätte -mich fallen lassen, mein Leben war völlig abgeblüht, ich -wäre das Opfer und ganz elend geworden, wenn — —“ -</p> - -<p> -Dorothea zögerte. „Nun, mein Kind?“ fragte die -Freundin gespannt. -</p> - -<p> -„Wenn nicht heut,“ fuhr jene im melodischen Tone -fort, „heut an diesem Tage, an dem ich geboren ward, -und an welchem ich auch wieder zu leben anfing, ein -Mann erschienen wäre, der unserer Familie ein Abscheu -war, und auf den ich, nach den Beschreibungen, heftig -zürnte, ein Mann, der mein ganzes Herz umgewendet, ja -neu geschaffen hat, und dessen bloßer Anblick, wenn er -auch nicht gesprochen hätte, es mir unmöglich macht, den -Baron, ja irgend einen Mann zu heirathen.“ -</p> - -<p> -„Wunderbar!“ rief die Frau von Halden. -</p> - -<p> -„Nenn’ es so,“ sagte das Mädchen: „es ist auch so, -ach, und doch wieder so natürlich, so nothwendig. In -ihm, in seinem milden Blick, der Vertrauen einflößt -(glaube mir, ich hatte wirklich ganz vergessen, daß es -noch Augen giebt), in seiner verständigen Rede, in jeder -seiner Geberden erschien mir die Wahrheit wieder, die -mir schon zur Fabel geworden war, meine Jugendzeit, -der Segen meines Vaters. Nie habe ich begreifen können, -<a id="page-160" class="pagenum" title="160"></a> -was die Menschen Liebe nennen, in den Dichtern -habe ich es wohl geahndet; ich glaubte aber immer, dies -himmlische Gefühl sei für mich armes, verstoßenes Wesen -nicht geschaffen; aber jetzt weiß ich, daß es das seyn -müsse, was ich für diesen trefflichen Mann empfinde, denn -ich konnte mir nicht einbilden, daß auf Erden wirklich -eine solche Erscheinung wandle.“ -</p> - -<p> -„Armes Kind!“ sagte die Freundin: „er ist ein ruinirter -Mann, ohne Vermögen, und wer weiß auch, ob er -so für Dich empfände, denn er ist nicht mehr jung. Jetzt -geh nur zu Bett, morgen früh wollen wir mit Verstand -darüber nachdenken, wie der Baron zu besänftigen sei, -und daß der Baron Dir Ruhe läßt.“ -</p> - -<p> -„Nie gehe ich zurück!“ rief Dorothea mit erneuter -Heftigkeit: „ich will lieber in einem fernen Lande als -Magd dienen.“ -</p> - -<p> -Jetzt hörte man deutlicher im Nebenzimmer Geräusch, -die Frauen stutzten, die Thüre öffnete sich, ein Lichtstrahl -drang heraus und Graf Brandenstein trat ihnen entgegen. -</p> - -<p> -„O mein Gott!“ rief Dorothea: „der Graf selbst!“ -</p> - -<p> -„Ich war nicht schlafen gegangen,“ antwortete dieser: -„sondern arbeitete noch, als dieser unerwartete -Besuch —“ -</p> - -<p> -„O Sie Heimtückischer!“ rief die Frau von Halden: -„und so haben Sie auch gewiß alles gehört, was meine -Freundin erzählt hat?“ -</p> - -<p> -„Ich kann es nicht leugnen,“ sagte der Graf: „die -Wand und Thüre sind so dünn, daß mir kein Wort verloren -ging. (Dorothea zitterte heftig.) Sie würden -mich also, mein schönes, edles und mir unbeschreiblich -theures Fräulein, nicht verschmähen, wenn ich ein Vermögen -zu Ihren Füßen legen könnte?“ -</p> - -<p> -<a id="page-161" class="pagenum" title="161"></a> -„O wie beschämen Sie mich!“ sagte das Fräulein -—: „soll ich noch mehr sagen?“ -</p> - -<p> -„Nehmen Sie dieses Blatt,“ fuhr der Graf fort: -„diese wenigen Zeilen werden Ihnen in Ihrem Hause -vollkommene Sicherheit gewähren.“ -</p> - -<p> -Er sah Dorotheen durchdringend an, und entfernte -sich zögernd. Sie war so bewegt und erschüttert, daß ein -unruhiger Schlummer sie nur wenig erquicken konnte. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Im Hause des Baron Wilden waren einige Freunde -zu einem kleinen Balle versammelt. Auch Alfred und der -Offizier waren zugegen, und die junge Schwester, ein liebenswürdiges -Kind, schien äußerst vergnügt; auch zeigte sich -das Fräulein Ehrhard sehr munter, und Michel, der Zuschauer -war, begriff kaum, wie sie sich so schnell im schottischen -Tanze bewegen konnte. Jetzt war der Tanz geendigt, -und der korpulente Wirth taumelte erschöpft auf ein -Sopha nieder. „Wird man nicht ordentlich wieder jung,“ -rief er aus: „so sauer es einem auch ankommt. Daß -dich, mein werthes Fräulein Erhard, was Sie springen -können! Niemals hätte ich mir bei Ihrer Gottesfurcht -so viele Elasticität vermuthet. So gefällt’s mir, wenn -man das überirdische Wesen mit dem weltlichen vereinigen -kann, denn wahrhaftig, das Herz stirbt in der Demuth -und dem weichen Wesen ab, wenn es nicht wieder -einmal in Lust und Freude recht aufzappeln kann. Wie -ein ganz neues Geschöpf, Fräulein Erhard, kommen Sie -mir in meinem Hause hier vor, ich hätte Sie gar nicht -wieder erkannt, wenn ich es nicht sonst wüßte, daß Sie -es wären.“ -</p> - -<p> -Das muntere Fräulein setzte sich zu ihm, und beide -betrachteten die tanzenden Paare. Der Rath Alfred bemühte -<a id="page-162" class="pagenum" title="162"></a> -sich sehr um Sophien, die Schwester des Barons, -welches dieser nicht ohne Wohlgefallen bemerkte. Die -Schenktische waren reichlich mit Erfrischungen versehen, -und Diener in reichen Livreen servirten auf silbernem -Geschirr. „Nicht wahr,“ schmunzelte Herr von Wilden, -der die wohlgefälligen Blicke des Fräuleins wahrnahm: -„hier geht es nicht so zu wie drüben, wo sie meistentheils -alle beisammen sitzen, wie Adam und Eva vor -dem Sündenfalle? Hochherzige Redensarten, apokalyptische -Seufzer und eine Wundertinktur von ambrosianischer -Wehmuth. Tugend und Andacht zum Zeuche, frommes -Gemüth zum Unterfutter, und dann noch mit Reue und -Buße aufgeschlagen. Nein, man muß ein bischen sündigen, -um sich dann wieder bekehren zu können; nicht -wahr, mein hochgeschätztes Fräulein? Die Beine thun -Ihnen doch nicht weh? Sie zwinkeln so mit dem Munde.“ -</p> - -<p> -„Nein,“ sagte diese, „ich wollte mir nur das Lachen -über Ihre sonderbaren Ausdrücke verhalten, denn Sie sind -in der That ein arger Sünder; indessen, hoffe ich, werden -Sie noch Buße thun.“ -</p> - -<p> -„Kommt Zeit, kommt Rath,“ sagte der Baron: -„sehn Sie, ich habe mich klug eingerichtet, ich habe in -meiner Jugend eine Menge Sünden im voraus begangen, -damit ich in meinem Alter hübsch was zu bereuen hätte, -um mir nicht, wie mancher Pietist, die Verbrechen aus -den Fingern zu saugen, und um nichts und wider nichts -Gewissensscrupel zu machen. O, davon kann ich Ihnen -noch einmal in manchem Nachmittagsstündchen erzählen, -daß Sie Ihr blaues Wunder daran haben sollen.“ -</p> - -<p> -„Aber auch dergleichen Reden sind wieder Sünde,“ -antwortete das Fräulein. -</p> - -<p> -„Nein,“ rief Herr von Wilden, „durch das Mikroskop -<a id="page-163" class="pagenum" title="163"></a> -müssen Sie meine Tugend nicht betrachten, sonst -werden wir nicht mit einander fertig; denn bei mir geht -Alles etwas ins Große, verfeinert sind meine Verdienste -so wenig, wie meine Laster. Aber sehn Sie, wie unter -allen meinen Gästen der Herr von Böhmer so einsam am -Ofen steht, und mitten in der Musik seine Kalender -macht! Herr Lieutenant, kommen Sie doch, und tanzen -Sie einmal mit einer von diesen Damen.“ -</p> - -<p> -„Ich tanze niemals,“ sagte der junge Offizier, indem -er näher trat: „auch würde ich nicht hergekommen -seyn, wenn mich nicht Fräulein Erhard eingeladen hätte, -von der es mir wohl nicht einfallen konnte, daß sie es -auf einen tobenden Ball abgesehen hatte.“ -</p> - -<p> -„Sollte dem Reinen nicht alles rein seyn?“ fragte -das Fräulein mit vieler Salbung. -</p> - -<p> -Alfred, der hinzu getreten war, antwortete: „Gewiß -ist dies die richtige Ansicht, und es wäre lustig genug, -wenn Herr von Wilden durch das Fräulein, und dieses -durch unsern fröhlichen Baron bekehrt würde. Aber Du, -Ferdinand (indem er sich an den Offizier wandte), trägst -auch nicht eine einzige festliche Miene auf Deinem finstern -Angesicht.“ -</p> - -<p> -„Ich gehe von hier,“ antwortete dieser, „zur Baronesse -hinüber, wirst Du mich begleiten?“ -</p> - -<p> -„Nein, mein Freund,“ antwortete dieser, „und ich -gedenke auch, diesem Kreise nie mehr zur Last zu fallen; -denn diese prunkende Gleißnerei ist mir neulich deutlich -genug geworden. Wie danke ich es dem wackern Manne, -der mir diese Binde vom Auge schüttelte.“ -</p> - -<p> -„Du meinst den Graf Brandenstein?“ sagte jener: -„Du nimmst also die Partei des Bösen gegen den Frommen, -der Sünde gegen die Tugend?“ -</p> - -<p> -<a id="page-164" class="pagenum" title="164"></a> -„Lassen wir jetzt diese Reden,“ antwortete Alfred, -„ich fühle mich, seit ich diesen Mann kennen gelernt habe, -mündiger.“ -</p> - -<p> -„Wissen Sie denn,“ fiel der Baron ein: „etwas -von der Geschichte? Der Wilde, der Amerikaner, soll ja -nun angekommen seyn, ein gefleckter, kupfriger Mensch, -mit Haaren wie Schuppen oder Stacheln. Auch sagen -die Leute, dies unbändige Thier würde die störrige Dorothea -heirathen.“ -</p> - -<p> -„Man weiß nichts Gewisses,“ sagte Alfred: „der -Amerikaner wird übrigens wohl ein Mensch wie alle seyn, -und folglich ist sie mit ihm wohl glücklicher, als mit dem -Baron Wallen.“ -</p> - -<p> -„Den Du nicht zu schätzen verstehst,“ rief der Offizier, -indem er sich nach einer kleinen Verbeugung entfernte. -</p> - -<p> -„Sie meinen,“ fuhr der Baron fort: „ein wohlerzogenes -Mädchen könnte mit einem solchen See-Ungeheuer -glücklich leben? Aber freilich müssen im Leben -wohl vielerlei Arten von Glück verbraucht werden, damit -Jeder etwas bekommt, was für ihn paßt; und wie ich -höre, ist ja die hübsche Dorothea so gottlos, daß vielleicht -der gottloseste Menschenfresser für sie nicht zu schlimm ist.“ -</p> - -<p> -„Sie sind unrecht berichtet,“ antwortete Alfred, und -wollte eine Erzählung anfangen, als die freundliche Sophie -herbei hüpfte, um ihn zu erinnern, daß er mit ihr -zur Quadrille versprochen sei. Der Baron trank indessen, -und versprach dem Fräulein Erhard die nächste Polonaise, -auf jeden Fall aber den fröhlichen Kehraus mit ihr zu tanzen. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Als man in jener Nacht Dorotheen vermißte, und -der Baron die Geschichte seiner unglücklichen Werbung -mitgetheilt, gerieth das ganze Haus in die größte Verwirrung. -<a id="page-165" class="pagenum" title="165"></a> -Man sendete Boten mit Lichtern aus, aber -alle kamen in der stürmischen Nacht ohne Nachricht wieder. -Die Mutter war sehr unruhig, und schien sich Vorwürfe -zu machen, daß sie ein heftiges Gemüth, das sie -an ihrer ältern Tochter kannte, zu weit getrieben habe. -Sie schlief nicht, sondern irrte im Hause umher, und die -beiden jüngern Töchter suchten sie zu trösten. Am Morgen -erschien ein Bote von der Frau von Halden, der der -Baronesse ein Billet übergab, und bald darauf fuhr eine -Kutsche vor, aus welcher Dorothea stieg, welche die Mutter -mit gezwungener Fassung aufnahm. Man sprach -nur wenig, aber kein Wort des Vorwurfes ließ sich vernehmen, -eben so wenig konnte die Tochter eine Entschuldigung -vorbringen. -</p> - -<p> -Der Baron, welcher Alles ängstlich und verwirrt beobachtet -hatte, sagte endlich, als er sich mit der Baronesse -allein sah: „Dies Blatt hat ja Wunder gethan! Von -allem, was Sie sich gegen das ungerathene Kind vornahmen, -ist nicht das Mindeste geschehen, Sie sind im -Gegentheil gütiger als jemals gegen sie. Darf ich nicht -wissen, von wem es kommt, und was es enthält?“ -</p> - -<p> -Die Baronesse erröthete. „Es kommt von dem Brandenstein,“ -sagte sie mit ungewisser Stimme: „doch enthält -der Schluß die gröbste Verläumdung.“ -</p> - -<p> -Der Baron las: „Im Fall Sie, wie ich gewiß -hoffe, Ihre edle, trauernde Tochter freundlich aufnehmen, -sie unter keinem Vorwande quälen, an die Ehe mit dem -Baron Wallen nicht mehr denken, so verspreche ich Ihnen -das Capital, welches der Baron an Sie zu fordern hat, -und außerdem ein bedeutendes Darlehn, beide ohne Zinsen, -auf unbestimmte Zeit. Zwingen Sie mich nicht, gegen -Sie aufzutreten, es möchte sonst manches bekannt -<a id="page-166" class="pagenum" title="166"></a> -werden, was sich nicht zu dem Tugendbilde eignet, das -die Welt in Ihnen bewundert. Gewiß darf ich mich -unterschreiben -</p> - -<p class="sign"> -Ihren Freund<br /> -<em>G. Brandenstein</em>.“ -</p> - -<p> -„Dieser Zettel besagt,“ schmunzelte der Baron: „daß -unser heroischer Graf über ansehnliche Summen zu disponiren -hat, und daß sein amerikanischer Freund oder Schützling, -dessen Hofmeister und Verwalter er spielt, so ziemlich -blödsinnig seyn mag, ganz so, wie ich mir vom Anfange -die Sache gedacht habe. Der edle Mann wird nach Umständen -seine Hand tief in den Beutel des fremden Wunderthieres -tauchen, und so verschwindet denn bei näherer -Prüfung bei jedem aufgedunsenen Cato die falsche Vergoldung, -und setzt sich in Kupfer um.“ -</p> - -<p> -Die Sache bekam aber doch einen andern Schein, -als am folgenden Tage ein Brief des Grafen anlangte, -in welchem er für seinen reichen Amerikaner um die -Hand Dorotheens anhielt. Er hätte sich überzeugt, so -schrieb er, daß sein Freund, da er ihn genau kenne, nur -mit diesem Wesen glücklich seyn könne. -</p> - -<p> -Dorothea, die ganz in ihren Gedanken und Empfindungen -verloren war, erschrak über diesen Antrag; sie -lehnte ihn heftig ab, ihr Herz verzweifelte, daß der Graf, -der ihre ganze Seele gesehn hatte, diesen Vorschlag thun -konnte. Also kein Gefühl, seufzte sie im Stillen, nicht -das kleinste für mich, die ich ihn nur denke und träume. -</p> - -<p> -Auf die abschlägige Antwort der Mutter erfolgte -ein noch freundlicherer Brief des Grafen, er bat für seinen -Unbekannten, der binnen Kurzem erscheinen würde, -nur um die Erlaubniß, sich zeigen zu dürfen, daß Fräulein -<a id="page-167" class="pagenum" title="167"></a> -Dorothea ihn so viel würdigen möge, ihn und seine -Gesinnungen kennen zu lernen. -</p> - -<p> -Auf diesen Antrag hatte Dorothea nichts erwiedert. -Im stummen Schmerz beachtete sie die Zeit nicht, und -ihre Angehörigen mußten ihr anzeigen, es sei nun Tag -und Stunde da, in welcher der sonderbare Freiwerber -auftreten würde. Frau von Halden war als Freundin -zugegen. Ein Postzug englischer Pferde sprang vor, ein -kostbarer Wagen und Domestiken erschienen. Dorothea -war im Gartensaal einer Ohnmacht nahe. Brandenstein -trat hochzeitlich geschmückt in der Schönheit des Mannes -herein. „Und ihr Freund?“ fragte die Mutter. „Nur -die theure, geliebte Dorothea ist es,“ antwortete er, auf -diese zueilend: „von welcher mein Scherz Verzeihung erflehen -muß, ich bin der Amerikaner selbst, jene Herrschaft -ist nun endlich mein, und meinem Glücke fehlt nur noch -ein Wort von diesem holdseligen Munde.“ -</p> - -<p> -Dorothea blühte auf, sah ihn mit einer Thräne im -glänzenden Auge an und reichte ihm ihre Hand. „Wir -fahren sogleich, meine Theuern,“ indem er Alle begrüßte: -„auf das nächste Gut, welches bisher der Frau von -Halden zugehörte: ich habe die Erlaubniß zur Trauung, -das Haus ist geschmückt, der Geistliche wartet.“ -</p> - -<p> -Nur der Brautkranz ward dem Mädchen in das -Haar geheftet, dann stiegen Alle in den Wagen. Der -Graf umarmte seine Braut, und drückte den ersten Kuß -auf ihre Lippen. „Durfte ich diese Seligkeit hoffen?“ -sagte er mit Thränen: „mußte mir die Liebe dieser reinen -Seele begegnen? Dasselbe Kind wird die Freude -meines Lebens, welches ich vor Jahren, neben Deinem -theuren Vater sitzend, auf den Knieen wiegte? Sieh, -hier bist Du in jener Sturmnacht verzweifelnd gewandelt. -<a id="page-168" class="pagenum" title="168"></a> -In demselben Zimmer erwartet uns der Geistliche, in -welchem Du damals der Freundin das Bekenntniß ablegtest, -das mich wie Blitze durchdrang.“ -</p> - -<p> -Dorothea war so glücklich, so vom Schmerz zur -Wonne erwacht, daß sie nur wenig sprechen konnte. — -Die ganze Provinz ertönte von dem Reichthum des Grafen, -von dem wunderbaren Glück des Fräuleins, und alle -Nachbarn waren Zeugen dieser glücklichen Ehe. -</p> - -<p> -Als Alfred sich mit Sophien verlobte, meldete auch -der Baron Wilden seine Verbindung mit dem Fräulein -Erhard. Den Freunden, die sich darüber wunderten, -antwortete er: „Seht, besten Leute, Einsamkeit und -Langeweile machen viele Dinge möglich; dazu hat meine -Braut viele gute Eigenschaften, und ist viel lustiger geworden, -als sie ehemals war. Auch bemüht sie sich außerordentlich -um meine Bekehrung, und das ist nichts -Leichtes, da in meinem fetten Körper meine Seele so viel -tiefer liegt, als bei andern Menschen. Ich bin nun auch -bald auf meine Weise fromm, sorgt nur dafür, daß die -Sache hübsch in der Mode bleibt, damit ich nicht wieder -einmal, wie ein Krebs, rückwärts gehn muß.“ -</p> - -<p> -Nach einiger Zeit fanden der Baron Wallen und die -Baronesse es auch besser, sich durch die Ehe zu verbinden, -da er keine der Töchter erhalten konnte, und ihm der Umgang -dieser Familie doch unentbehrlich geworden war. -</p> - -<p> -Alfred lebte nachher viel im Hause des Grafen, dessen -Geschäftsträger er war, und noch oft erinnerte sich -Brandenstein mit Entzücken, daß das Schicksal es ihm -gegönnt habe, in seiner Gattin die edle Perle zu finden, -die von ihrer ganzen Umgebung und von den nächsten -Blutsverwandten so gänzlich verkannt wurde. -</p> - -<h2 class="part" id="part-3"> -<a id="page-169" class="pagenum" title="169"></a> -<span class="line1">Die Reisenden.</span><br /> -<span class="line2">Novelle.</span> -</h2> - -<p class="first"> -<a id="page-171" class="pagenum" title="171"></a> -<span class="firstchar">E</span>s war an einem schönen Sommernachmittage, als drei -junge Männer in lebhaften Gesprächen im schattigen Lindengange -auf- und niederwandelten. Keiner kannte den -Andern genau; noch weniger waren sie Freunde: und daher -betraf ihre Unterhaltung auch nur unbedeutende Gegenstände. -Doch wurde laut und sogar heftig gesprochen, -weil der jüngste der Redenden es seinem Charakter -und ausgezeichnetem Verstande angemessen hielt, seine -Gedanken und Meinungen nicht ruhig, sondern in einem -gewissen zänkischen und anmaßenden Tone vorzutragen, -durch welchen er vielleicht seine Gegner eher zum Schweigen -zu bringen, wenn auch nicht zu überzeugen glaubte. -Sie sind, wie Sie mir gesagt haben, Arzt (so rief er -eben jetzt aus), und als ein solcher haben Sie sich seit -Jahren gewöhnt, das ganze Menschengeschlecht aus dem -Gesichtspunkte der Kränklichkeit anzusehen. Wir Gesunden -aber werden uns gewiß nicht so leicht, Ihrem Metier -zu Gefallen, unsre feste Ueberzeugung nehmen lassen. -</p> - -<p> -Mein Herr von Wolfsberg, erwiederte der Arzt, von -meinem Metier, wie Sie es zu nennen belieben, kann hier -gar nicht die Rede seyn. -</p> - -<p> -Ja wohl, sagte der dritte Sprechende, welcher der -Ruhigste schien. Wie kommen wir denn überhaupt dazu, -<a id="page-172" class="pagenum" title="172"></a> -zu streiten? Wir reden ja nur über allgemeine Gegenstände, -die unmöglich einen von uns persönlich aufreizen -können. -</p> - -<p> -Warum nicht, mein ruhiger Herr Justizrath? rief -der Baron noch lebhafter aus; denn gewiß können wir -über die Leidenschaften nur dann etwas Bedeutendes aussprechen, -wenn wir sie im eignen Herzen erfahren haben, -und es scheint wohl, daß Sie alle Ihre klügelnden Beobachtungen -nur aus mittelmäßigen Büchern schöpften. -</p> - -<p> -Wenn Sie die Sache schon vorher abgemacht haben, -antwortete der ruhige Mann, so thäten wir wohl besser, -das ganze Gespräch zu schließen. -</p> - -<p> -Es wandelt sich in der anmuthigen Kühle gut, sagte -der Arzt; ereifern wir uns nicht, gönnen aber dem Herrn -<em>Baron</em> diese Motion, die ihm nach dem Mittagsmahle -wohl zuträglich seyn mag, da lebhaftere Geister und -Temperamente auch im Verlauf des Tages mehr Lebenskraft -verbrauchen, als wir übrigen. -</p> - -<p> -So ist es, erwiederte der Baron mit vieler Selbstgenügsamkeit. -Und ist es denn wohl anders mit der -Liebe, über welche sich unser Streit anhob? Will ich es -denn den sanften, stillen Gemüthern zum Vorwurf machen, -wenn sie meinen und behaupten, ein einziger Gegenstand -könne ihre Seele für die ganze Lebenszeit ausfüllen? -Giebt es doch auch Menschen, die nur wenige -Gedanken brauchen, noch weniger Bücher; die einen Monat -lang sich an einer Flasche Wein vergnügen; die bei -einem Schmause anderthalb Austern verzehren, und wenn -sie in jedem Frühling einen Spaziergang mit der ganzen -auferbauten Familie gemacht haben, die Natur dann wieder, -wie eine Bude, bis zum künftigen Jahre verschließen. -Lassen wir diese genügsamen Lämmerseelen in ihrer stillen -<a id="page-173" class="pagenum" title="173"></a> -Friedfertigkeit; nur stelle man sie uns nicht als Muster -hin, wenn sie sich in grünen Tagen in eine verblaßte -Amarillis vergaffen, und nachher mit erkaltetem Herzen -in alberner Treue ihr Leben verwinseln, stolz sind auf -diese felsenfeste Tugend, und auf feurige Gemüther, auf -Herzen, die der Fülle und des jugendlichen Wechsels bedürfen, -mit moralischer Verachtung hinab blicken wollen. -</p> - -<p> -Nach einigen Erwiederungen ließ man dies Gespräch -fallen, weil es deutlich wurde, daß der Edelmann -nur sich selbst und seinen Leidenschaften das Wort reden -wollte. Wohin gedenken Sie von hier zu reisen? fragte -endlich der Arzt. -</p> - -<p> -Ich weiß es selbst noch so eigentlich nicht, antwortete -der Baron: und wenn ich es auch wüßte, so würde -ich es Ihnen nicht sagen. -</p> - -<p> -Warum das? -</p> - -<p> -Weil das eben, fuhr jener fort, auch zu meinen Eigenthümlichkeiten -gehört, weßhalb mich so viele bürgerliche -Menschen mit dem Namen Genie verlästern wollen. -Wenn ich so recht eigentlich zur Lust reise, so halte ich -mir die ganze Welt mit ihren erfreulichen Zufällen offen; -ohne Paß, ohne Briefe, ohne Bedienten oder Kutscher, -ohne alle die Zugaben, die unser Leben nur belästigen, -tauche ich, wie die Schwalbe in die blaue Luft, in -die Schönheit der Natur hinein, und hinter mir muß jede -Spur, so wie die der Welle im Strome, verschwinden. -An einige Häuser ist schon im voraus geschrieben, wo -ich Gelder finde, wenn ich sie brauche, doch führe ich so -viel mit mir, als ich nöthig zu haben glaube. Dient es -mir, so wechsle ich auch mit meinem Namen; und so -wissen Sie von mir nur so viel, als ich für gut befunden -habe, Ihnen mitzutheilen, und können nicht darauf wetten, -<a id="page-174" class="pagenum" title="174"></a> -daß der Name, den ich Ihnen genannt habe, mein wirklicher -sei. -</p> - -<p> -Sie können, sagte der Justizrath, auf diese Weise -aber neben manchen angenehmen Zufällen auch auf sehr -widerwärtige stoßen. -</p> - -<p> -Jede Verwicklung wird sich doch nur lustig lösen, -und wer die Menschen will kennen lernen, sollte durchaus -nur in meiner Manier reisen. -</p> - -<p> -Der Arzt konnte sich nicht entbrechen, die Frage zu -thun: Was nennen Sie Menschenkenntniß? Da Sie die -meisten Menschen schon vor der Untersuchung für <em>Narren</em> -halten, so lohnt es sich schwerlich der Mühe, sie noch -zu beobachten. -</p> - -<p> -Zugegeben, rief jener, Sie thäten mir nicht so ganz -Unrecht; ist denn nicht noch immer an den verschiedenen -Modificationen eines und desselben Stoffes zu lernen? -Ist es denn nicht auch erhebend und beruhigend, sich selbst -an diesem und jenem zu messen? Das scheint mir eben -die ächte Humanität, keinen zu verschmähen, und aufzumerken, -welche Thorheit wir schon abgelegt haben, welche -wohl noch unentwickelt in uns ruht, zu welcher wir keine -Anlage spüren, warum <em>wir</em> uns für besser als andere -halten dürfen, um so in uns hochfahrenden Stolz und -kleinmüthige Bescheidenheit in das gehörige Gleichgewicht -zu setzen. -</p> - -<p> -Dann thäten Sie aber vielleicht besser, erwiederte -der Arzt mit übertriebener Höflichkeit, sich gleich an die -wahre Quelle zu begeben, und sich die mühseligen Umwege -zu ersparen. -</p> - -<p> -Und wo flösse diese? -</p> - -<p> -Wie die Engländer, fuhr der Arzt fort, sich in -Deutschland gern in Pension geben, um unsere Sprache -<a id="page-175" class="pagenum" title="175"></a> -zu lernen, so sollte ein Kosmopolit, der sich so für das, -was man Narrheit nennt, begeistern kann, geradezu vor -die rechte Schmiede gehn, und sich ein Jahr lang in einem -gut versehenen Narrenhause als Kostgänger verpflegen -lassen. -</p> - -<p> -Sie sind ein Arzt! rief der Baron in der größten -Erbitterung: man sagt mir, Ihre Reise sei auf diese Anstalten -gerichtet, vielleicht um die zu finden, die Ihnen -am meisten behagt, und sich dort niederzulassen. — Er -warf noch einen grimmigen Blick, dann eilte er schnell -den Lindengang hinunter. -</p> - -<p> -Sie haben unsern edeln Unbekannten überrascht, sagte -der Justizrath: wir werden seine theuere Gesellschaft darüber -verlieren. -</p> - -<p> -Er ist unerträglich, rief der Arzt aus. Sie haben -es selber gehört, welche Geschichten er von sich an der -Wirthstafel erzählt, wie alle Weiber ihm entgegen kommen, -mit welcher Leichtigkeit er Liebschaften anknüpft und -wieder löst. Gestern vertraute er mir, daß er seine Heimath -plötzlich verlassen habe, weil ein unglückliches Mädchen -gegründete Ansprüche an ihn mache. Die Arme -wird nun vielleicht mit einem Kinde ihres Jammers nach -ihm aussehn, indessen er sich mit seiner feigen Gewissenlosigkeit -wie mit einer Tugend brüstet, und nach neuen -Schlachtopfern seines verderbten Herzens sucht. -</p> - -<p> -Der Justizrath meinte, er sei vielleicht nicht ganz so -schlimm, sondern möge wohl zu jener armseligsten Gattung -von Prahlern gehören, die sich mit einer Verworfenheit -brüsten, zu der ihnen doch der Muth ermangle. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -<a id="page-176" class="pagenum" title="176"></a> -Der junge Baron war indessen zornig ins Feld gelaufen. -Er mußte sich seine Verdienste in den glänzendsten -Farben dicht vor das Auge rücken, um seinen Verdruß -zu überwinden. Indessen stellte sich bald seine gute -Laune wieder ein, besonders durch Aussicht auf ein -nahes und freundliches Abenteuer, das seiner Eitelkeit -schon im voraus schmeichelte. Auf dem Walle, welchen -große Linden schmückten, hatte er hinter einem Gitterfenster -ein schönes blondes Köpfchen, einen blendenden Hals -und Nacken bemerkt; schöne Augen hatten ihm nachgesehn, -ein freundlicher Mund hatte ihn angelächelt, und -ein dreister Gruß war ihm endlich bei seinem dritten Vorüberwandeln -entgegen gekommen. Er hatte die Schöne -auch in der Ferne nicht ganz aus dem Gesichte verloren: -er wollte nur die zunehmende Dämmerung und die größere -Einsamkeit der Gegend abwarten, um sich ihr zu -nähern, Bekanntschaft zu machen, und sie, wenn die Umstände -sich günstig erwiesen, zu besuchen. Er betrachtete -sich selber wohlgefällig und ging mit Behaglichkeit -die Scenen seines bunten Lebens durch, indem er sich -vornahm, daß diese phantastische Reise ihm noch angenehmere -Abenteuer zuführen solle. -</p> - -<p> -Wieder schaute das Lockenköpfchen durch das Gitter, -lächelte, winkte und zeigte sich sehr erfreut, als es den -geputzten, schlanken Spaziergänger von Neuem vorbei -gaukeln sah. Der Abend nahte schon, die Sonne ging -unter. Er benutzte die Einsamkeit, um zu grüßen, stehn -zu bleiben, und mit fragender Geberde auf die Thür zu -deuten. Sie nickte und entfernte sich schnell. Er öffnete -die Thür und stieg die Treppe hinauf. Sie empfing ihn -oben; „nur leise, leise!“ flüsterte sie, indem sie ihn in ihr -Zimmer führte. So viel er in der Dunkelheit unterscheiden -<a id="page-177" class="pagenum" title="177"></a> -konnte, fand er das Gemach zierlich ausgeschmückt; -er bemerkte, daß seine Führerin in Atlas gekleidet war. -„Liebchen!“ sagte sie mit leiser Stimme, „gedulde dich -hier einen Augenblick, ich bin gleich wieder bei dir; ich -will mich nur putzen und Licht bringen. Aber rühre dich -nicht, daß meine Feinde dich nicht gewahr werden!“ -</p> - -<p> -Mit diesen Worten ging sie in ein Nebenzimmer. -Dem Abenteurer fing an, unheimlich zu Muthe zu werden. -Da schlich man leise die Treppe herauf. Er besorgte -einen Ueberfall und wußte nicht, welchen Entschluß -er fassen sollte; doch trat Niemand ein, aber er wurde zu -seinem Erstaunen gewahr, daß man von außen die Thür -verschloß. Als er jetzt von unten eine männliche Stimme -zu einem andern sagen hörte: er ist drinnen; er kann uns -nicht entwischen! so sträubten sich ihm die Haare vor -Entsetzen. Sein Schauder wurde aber noch vermehrt, -als jetzt die Schöne mit einer brennenden Wachskerze -wieder in das Zimmer trat. Hals und Busen waren -fast ganz entblößt und schimmerten wie Marmor; ihr -Auge strahlte in seltsamem Glanze, ein Diadem von -Goldpapier stand auf dem Haupte, große Glasperlen hingen -auf den weißen Schultern, Stroh und Blumen rankten -sich um den Leib. So schritt sie mit Lachen und -wilder Geberde auf den Geängsteten zu, der seine Gedanken -noch nicht ordnen konnte, als die andere Thür wieder -aufgeschlossen wurde, die räthselhafte Schöne mit -einem lauten Schrei das Licht fallen ließ, und zwei starke -Männer den Verwirrten in der Dunkelheit faßten, ihn -die Treppe mehr hinunter trugen als führten, und ihn -unten schnell in einen offen stehenden Wagen warfen. -Ehe er noch fragen, sprechen, sich besinnen konnte, war -die Thür des Wagens zugeschlagen, und im schnellsten -<a id="page-178" class="pagenum" title="178"></a> -Trabe fuhr dieser mit ihm durch die finstre Nacht über -das Feld davon. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Am andern Morgen kam der Arzt in Eile und großer -Bewegung zum Rathe. Was ist Ihnen? fragte dieser: -es muß etwas Außerordentliches begegnet seyn. -Theuerster Walther, rief der Arzt aus, unser Beisammensein, -mein Aufenthalt wird plötzlich auf die unangenehmste -Weise gestört und unmöglich gemacht. Sie haben ja zuweilen -einen jungen Menschen in meiner Gesellschaft gesehen, -der uns oft genug lästig fiel. Dieses Original, -schon einfältig, stumpf und zugleich leidenschaftlich von -Natur, durch eine verwahrlosete Erziehung aber völlig -zum Thoren gemacht, ist mir von seinem Vater, einem -reichen Grafen in Schwaben, in der Hoffnung anvertraut -worden, daß eine Reise unter meiner Aufsicht ihn vielleicht -bessern und von seinem verwirrten Zustande befreien -könnte. Ich nahm damals diesen mißlichen Auftrag -sehr ungern über mich, und würde mich gar nicht darauf -eingelassen haben, hätte ich die unzähligen Verdrießlichkeiten -vorher sehn können, die mit demselben verknüpft -sind. Das hätte ich aber niemals vermuthet, daß dieses -drückende Verhältniß mich von Ihnen trennen und meine -Freiheit völlig aufheben würde. -</p> - -<p> -Aber wie ist dies möglich geworden? fragte der Rath. -</p> - -<p> -Sie sollen es gleich hören, war die Antwort. Nachdem -dieser junge Mensch schon tausend Händel angezettelt, -die ich wieder habe schlichten müssen, oft durch Geld, zuweilen -mit guten Worten, immer aber auf Unkosten meiner -Zeit und guten Laune, hat er es seit gestern Abend -für gut gefunden, sich unsichtbar zu machen. Ich habe -<a id="page-179" class="pagenum" title="179"></a> -schon zu allen Bekannten geschickt, auf der Post Erkundigung -eingezogen, in allen Wirthshäusern nachgefragt: -aber man will nirgend von ihm wissen. Es würde mir -keine große Sorge machen, wenn er nicht Mittel gefunden -hätte, Schrank und Schatulle zu öffnen, und hundert -Goldstücke, so wie bedeutende Wechsel mitzunehmen; dies -überzeugt mich, daß er gesonnen ist, seine Bekanntschaft -mit mir nicht zu erneuern, so lange diese Summen vorhalten. -Ich darf den Thörichten nicht seinem Schicksal -überlassen, sondern muß ihn wieder zu finden suchen; dies -ändert mein Reiseprojekt. Ungern nur würde ich ihn in -öffentlichen Blättern auffordern und kenntlich machen. -</p> - -<p> -Und Sie glauben nicht, fragte der Freund, daß er -mit diesem Gelde in seine Heimath zurückgekehrt sei? -</p> - -<p> -Auf keinen Fall, erwiederte der Arzt; es liegt ihm -zu viel daran, frei und ungehindert in der Welt umher -zu schwärmen. Seine Leidenschaft ist, allenthalben Händel -anzufangen und in gemeinen Trinkstuben Zank zu erregen; -er freut sich dann, einige Stunden auf der Wache -zu sitzen, um nachher als Graf Birken ausgelöst zu werden. -Am schlimmsten aber ist es, daß er mit Kammermädchen -und Aufwärterinnen Liebeshändel anspinnt und -ihnen die Ehe verspricht; und ich muß am meisten fürchten, -ihn auf diese Weise verheirathet wieder zu finden. -</p> - -<p> -Und was denken Sie nun zu thun? -</p> - -<p> -Ich muß ihn aufsuchen, und wenn ich ihn in einigen -Wochen nicht wieder antreffen sollte, die ganze Sache seinem -Vater melden. -</p> - -<p> -Ein Diener trat eilig herein, gab dem Rathe einen -Brief und entfernte sich wieder. Walther las und wurde -nachdenkend. Verweilen Sie noch zwei Tage hier, sagte -er endlich, und ich reise vielleicht mit Ihnen. Ich suche -<a id="page-180" class="pagenum" title="180"></a> -ebenfalls einen Verlornen, der mir und seinen Freunden -schon seit Jahr und Tag aus dem Gesichte gekommen -ist, einen jungen Mann, der Ihrem Entflohenen freilich -auch nicht auf das Entfernteste gleicht. Ich glaube jetzt -auf seiner Spur zu seyn, und wenn Sie unterdessen den -Entsprungenen nicht wieder kommen sehen, oder keine bestimmte -Nachricht über seinen Aufenthalt empfangen, so -könnten wir die Reise, die wir uns vorgesetzt hatten, immer -noch in Gesellschaft unternehmen. -</p> - -<p> -Der Arzt war derselben Meinung, und man versprach -sich, am andern Tage eine nähere Abrede zu treffen. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Der verschlossene Wagen fuhr mit dem jungen Baron -die ganze Nacht hindurch fort. Allenthalben waren -schon Pferde in Bereitschaft, und da der Mond sehr hell -schien, konnte man so schnell, wie bei Tage reisen. In -den dicht verhängten Wagen fielen nur wenige Strahlen -hinein; doch bemerkte der Entführte, daß ein Mann an -seiner Seite, und ein anderer ihm gegenüber saß. Als er -sich von seinem ersten Erstaunen erholt hatte, wollte er -seinen Gesellschaftern Rede abgewinnen; aber sie beantworteten -keine seiner Fragen oder Bemerkungen. Wohin führt -man mich? rief er endlich in der größten Ungeduld. Ruhe! -antwortete der starke Mann, Alles wird sich aufklären. — -„Man verkennt mich, man verwechselt mich mit jemand -anderm!“ — „„Nichts weniger.““ — „Was hat man -mit mir vor?“ — „„Morgen am Ort Ihrer Bestimmung -werden Sie Alles erfahren.““ -</p> - -<p> -Als der Gefangene Miene machte, den Wagen zu -öffnen, ergriffen ihn die Unbekannten gewaltig, und der -eine rief drohend: keine Umstände! Finden Sie sich nicht -<a id="page-181" class="pagenum" title="181"></a> -gutwillig, so haben wir das Recht, Sie zu binden und -zu knebeln; das geschieht auch bei dem ersten Versuche -zu entfliehen, oder wenn Sie jemand Fremdes anreden -wollten. Auch kann es Ihnen nichts nutzen; denn wir -haben die gemessenste Ordre, die wir vorzeigen können, -und auf welche uns in jeder Stadt Beistand geleistet -werden muß. -</p> - -<p> -So fügte sich denn der Entführte und sann stillschweigend -nach, für welche Begebenheit seines frühern -Lebens ihn etwa dieses Unheil treffen möchte. So in seinen -Busen und dessen Geheimnisse eingehend, fand er -mehr auf der Rechnung stehen, als er in seinen heitern -und zerstreuten Stunden vermuthet hatte. Je länger er -in der stillen Nacht fuhr, je größer wuchs in seiner Erinnerung -sein Sündenregister an, und er zitterte vor der -Entwicklung seines Schicksals; denn Vestung, lebenslängliche -Einkerkerung, ja selbst das Aergste standen vor seiner -erregten Phantasie. Er wandte sich von diesen Bildern -des Schreckens ab, und suchte sich wieder zu überreden, -Alles, was man ihm vorwerfen könne, sei doch nur Jugendthorheit -und Leichtsinn. Mit Wehmuth mußte er an -die hochmüthigen Reden gedenken, die er vor Kurzem noch -gegen den Arzt geführt, und alle seine Zweifel kamen wenigstens -darin überein, daß jene Handlungen, mit denen -er als eben so viel Tugenden und Kraftäußerungen geprahlt -hatte, doch wohl Sünden, oder gelindestens Verirrungen -zu nennen wären. So blätterte er in dem dunkeln -Buche seines Gewissens hin und her, und nahm sich -vor, wenn ihn ein günstigeres Schicksal aus dieser Bedrängniß -erlösen sollte, seinen Lebenslauf mit viel mehr -Anstand und etwas mehr Weisheit zu führen. -</p> - -<p> -Man fuhr die ganze Nacht und auch den folgenden -<a id="page-182" class="pagenum" title="182"></a> -Tag. Der Gefangene hatte sich fast schon an seinen Zustand -gewöhnt, und die Furcht, daß seine Lage noch viel -schlimmer werden könnte, machte, daß er die gegenwärtige -mit Geduld ertrug. Hätte er sich ganz frei und ohne -Schuld gewußt, so würde er in seinem Bewußtsein Waffen -gefunden haben, sich dieser Gewalt zu widersetzen; -aber der Zagende bettelte jetzt von jeder Stunde seines -Daseins noch eine dürftige Erquickung, im Aufschub und -in der Verzögerung fand er eine Art von Glück, und -vergaß sogar in manchen Augenblicken, daß sich sein -Schicksal doch endlich, und wohl bald, entwickeln würde. -</p> - -<p> -Am Abende, als es schon wieder finster ward, kam -man an. Durch ein Thor, das sogleich wieder verschlossen -wurde, fuhr der Wagen. Man brachte Licht. Ein -Schreiben ward von einem der Begleiter hinaus gereicht. -„Immer neue Gäste, immer mehr Geschäfte!“ murrte -eine dumpfe, verdrießliche Stimme draußen. Man fuhr -in den Hof. Indem man ausstieg, ging einer der Männer -jenem nach, der erst geschmollt hatte, und sagte: Ja, -werther Herr Direktor, endlich haben wir ihn Gott Lob! -erwischt; fünf Tage hatten wir ihm vergeblich aufgepaßt. -— War er ruhig? fragte jener. — „Ja, er hat sich so -leidlich vernünftig aufgeführt. Ein paar Mal wollte er -närrisch thun. Je nun, wir sind ja alle Menschen!“ -</p> - -<p> -Das Letzte hörte der Entführte nur noch aus der -Ferne. Er befand sich schon auf einer großen Treppe, -zu welcher ihm zwei Menschen hinauf leuchteten. Ist -Numero 18. aufgeschlossen? fragte der eine. Ja! scholl -es von oben herab, und zugleich ward der Fremde in ein -kleines, behagliches Zimmer hinein geschoben, in welchem -Stühle, Tische, ein Bett und Sopha sich befanden. Lichter -wurden hingestellt, und ein freundlicher Mann trug eine -<a id="page-183" class="pagenum" title="183"></a> -Abendmahlzeit auf. „Herr Friedrich, sagte der eine Diener, -Sie haben doch nichts vergessen?“ — Gewiß nicht, -antwortete der kleine Mann; Alles ist schon mit dem Direktor -abgemacht. -</p> - -<p> -Man ließ den Fremden allein. Da er hungrig war, -aß er mit großem Behagen; nur vermißte er ungern den -Wein, doch ließ ihn der Durst das Wasser schmackhafter -finden, als er es unter andern Umständen für möglich gehalten -hätte. Er öffnete das Fenster. Eisenstäbe verwahrten -es; doch blickte er im Mondlicht über eine reiche und -mannigfaltige Landschaft hin. Die Thür fand er verschlossen. -</p> - -<p> -Als man den Tisch wieder abgeräumt hatte, legte er -sich nieder, und schlief auf die Anstrengung des Körpers -und Geistes ruhig und lange. Nach dem Frühstück -wurde die Thür mit einigen Ceremonien geöffnet, und ein -starker, untersetzter Mann mit finsterer Miene und braunem -Gesicht trat herein, dessen grollende Stimme er sogleich -für diejenige erkannte, die er schon gestern Abend -gehört hatte. -</p> - -<p> -Der finstere Mann warf einen durchdringenden, festen -Blick auf ihn, und der Baron, der sich am Morgen eine -lange, wohlgesetzte Rede ausgesonnen hatte, um seine Unschuld -und das Mißverständniß, das über ihm schweben -müsse, aus einander zu setzen, wurde so verwirrt und beängstigt, -daß er jedes Wort vergaß und nur wünschte, -diesen Besuch erst wieder los zu seyn. -</p> - -<p> -Haben Sie gut geschlafen? fragte der verdrießliche -Mann. -</p> - -<p> -„Besser, als ich denken konnte, da ich so plötzlich“ — -</p> - -<p> -<a id="page-184" class="pagenum" title="184"></a> -„„Lassen wir das! Haben Sie mit Appetit gefrühstückt?““ -</p> - -<p> -„O ja — nur wünschte ich das Mißverständniß, den -Irrthum schnell aufzuklären; da man mich gewiß für einen -andern hält.“ -</p> - -<p> -„„Wir kennen Sie, junger Herr, besser, als Sie -vielleicht glauben.““ -</p> - -<p> -„Besser? sagte der junge Mann, und wurde roth -und von Neuem verwirrt. Man hat mich um meinen -Namen hier noch nicht gefragt!“ -</p> - -<p> -„„Ist auch gar nicht nöthig. Wir wollen keine Rollen -mit einander spielen.““ -</p> - -<p> -„Rollen? Wie meinen Sie das?“ -</p> - -<p> -„„Wie man so was meint. Sie sollen sich nicht -verstellen, Sie sollen nicht hoffen, daß Sie mich hintergehen -können.““ -</p> - -<p> -„Wenn ich Ihnen aber so ganz bekannt bin — so -sagen Sie mir wenigstens, — wo befinde ich mich? Ich -bin vielleicht zwanzig Meilen gereist, ohne zu wissen -wohin.“ -</p> - -<p> -„„Lassen wir das noch jetzt, dergleichen muß Ihnen -fürs Erste noch ganz gleichgültig seyn.““ -</p> - -<p> -„Die Forderung ist mehr als sonderbar.“ -</p> - -<p> -„„Bester junger Mann, sagte der Alte, um alle diese -äußerlichen Zufälligkeiten müssen Sie sich jetzt gar nicht -ängstigen. Es wird eine Zeit kommen, in der Ihnen Alles -klar aufgeht.““ -</p> - -<p> -„Und welch Schicksal erwartet mich?“ -</p> - -<p> -„„Das wird ganz von Ihrem Betragen abhängen! -Sind Sie sanft und ruhig, so wird Ihnen kein Mensch -etwas in den Weg legen; können Sie es über sich gewinnen, -vernünftig zu seyn, wenn es Ihnen auch im Anfange -<a id="page-185" class="pagenum" title="185"></a> -etwas schwer ankommen sollte, so wird man Ihnen -alle Achtung bezeigen, die Sie erwarten können, und es -liegt in Ihrer Hand, wie früh oder spät Sie Ihre Freiheit -wieder erhalten werden.““ -</p> - -<p> -„In meiner Hand? fragte der Gefangene, indem er -seine Hände betrachtete.“ -</p> - -<p> -„„Dummheit und kein Ende! fuhr der Alte ungeduldig -heraus, ich dachte es wohl, daß der Diskurs nicht -lange auf der geraden Straße bleiben würde. Figürlich -gesprochen, junger Herr! Wie Sie sich benehmen, so -wird man sich wieder gegen Sie benehmen; vielleicht sind -Sie in Jahr und Tag wieder auf freien Füßen: das -heißt, Jüngling, (damit Sie nicht wieder querfeldein fragen) -wenn Ihre Beine wieder frei sind, wird hoffentlich -das übrige Zubehör, sogar der Kopf wieder mitlaufen -dürfen.““ -</p> - -<p> -„Und was befiehlt man, fragte der Baron, das ich -vorstellen soll? Wie soll mein Name heißen? Denn es -scheint, daß hier ein strenges Regiment obwaltet, dem -man sich fügen muß.“ -</p> - -<p> -„„Nur keine Quängeleien! rief der alte Mann; machen -Sie nicht, daß ich härter seyn muß, als ich von -Natur bin; denn das ist mein Elend, daß der Teufel mir -so ein breiweiches Herz eingesetzt hat, daß ich eigentlich -ein altes Weib hätte werden müssen. Nun, lieber Herr -Graf, wir werden uns schon noch verstehen lernen.““ -</p> - -<p> -„Graf? rief der Baron; also doch wenigstens eine -Standeserhöhung.“ — Er war nach diesem Worte plötzlich -viel heitrer geworden; die Beklemmung, die ihn drückte, -schien ziemlich verschwunden. -</p> - -<p> -„„Ja, Graf, nicht anders, fuhr der Alte fort; ja, -<a id="page-186" class="pagenum" title="186"></a> -mein junger Herr, man weiß hier mehr von Ihnen, als -Sie begreifen können.““ -</p> - -<p> -„Nur noch eine Frage, dann will ich schweigen, sagte -der Baron. — Bin ich etwa hier, wegen des Verhältnisses, -das vor zwei Jahren die Baronesse“ — -</p> - -<p> -„„Still! rief zornig der Alte; das ist es ja eben; an -Liebe müssen Sie hier gar nicht denken, so wie Sie auf -diese Passion gerathen, müssen gleich Anstalten getroffen -werden; weder Baronesse, noch Gräfin, noch Fräulein, -selbst das Wort Frauenzimmer muß nicht von Ihren Lippen -gehört werden! Nun geben Sie mir die Hand, daß -ich Sie noch einmal bewillkomme. Ich hoffe also, Sie -werden uns keine Schande machen.““ -</p> - -<p> -Er hielt die Hand des Barons lange in der seinigen -eingeschlossen, drückte sie, schob seine Finger hinauf, fast -als wenn er den Puls fühlen wollte, sah dem jungen -Mann noch einmal scharf in die Augen, und entfernte sich -dann schnell nach dieser sonderbaren Begrüßung. -</p> - -<p> -Nach einiger Zeit erschien der kleine freundliche Mann, -den man den Herrn Friedrich nannte. Nun, sagte dieser, -es ist ja gut abgelaufen; unser melancholischer Gebieter -ist ja mit Ihnen zufrieden, er meint, es würde schon -werden. -</p> - -<p> -Aber, wo bin ich nur? fragte der Baron. -</p> - -<p> -Der Kleine legte mit einer sehr listigen Miene den -Finger auf den Mund, kräuselte die Lippen, zog die schmalen -Schultern bis zu den Ohren, und sagte dann ganz -leise: so lange Sie noch bloß auf Ihr Zimmer eingeschränkt -sind, darf ich nichts Bestimmtes mit Ihnen sprechen; aber -wenn Sie erst einmal herunter gekommen sind, dann wird -Ihnen nichts mehr Geheimniß bleiben. -</p> - -<p> -<a id="page-187" class="pagenum" title="187"></a> -Wer sind Sie, fragte der Baron eifrig, und wer ist -der Mann, der mich heute besuchte? -</p> - -<p> -Nichts! nichts! rief der Kleine; sehn Sie, Verehrter, -wir sind Alle ohne Ausnahme nur das, was unser gestrenger -Herr uns befiehlt zu seyn. Hat er doch nun die Macht -einmal; woher er sie hat, das weiß der Himmel wohl am -besten, der sie ihm verlieh. Sehn Sie, er ist sehr hypochondrisch, -und fast niemals vergnügt, und darum verlangt -er, Alles im Hause solle auch ehrbar und fromm zugehn. -Eine unbillige Forderung. Ich gelte aber doch viel bei -ihm, und er meint, ich hätte Gaben. Nun haben Sie -gleich beim Eintritt durch Ihr feines vornehmes Wesen -mein ganzes Herz gewonnen, — Sie sehn einem großen -Feldherrn so ähnlich, den ich einmal gekannt habe; aber -ich bin doch zu schwach, Ihnen zu helfen. -</p> - -<p> -Wie so, zu schwach? -</p> - -<p> -Betrachten Sie nur selbst meine Schultern, wie schmal, -flüsterte der kleine Mann. Ja, wenn ich mehr heben und -arbeiten könnte; wenn ich mich nicht immer so schonen -müßte; wenn ich mir mehr bieten dürfte, so wäre mein -Schicksal wohl ein ganz anderes, als hier im Hause herum -zu kriechen. -</p> - -<p> -Er entfernte sich, um dem Fremden das Mittagsessen -zu holen, verschloß aber sorgfältig indessen die Thür. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Der Rath Walther hatte den Arzt wieder aufgesucht, -um über den Plan ihrer gemeinschaftlichen Reise zu sprechen. -Der Doctor hatte von seinem entlaufenen Zögling -noch keine Nachrichten; er war jetzt neugierig, was sein -Freund, dem er sich immer enger anschloß, ihm würde zu -eröffnen haben. -</p> - -<p> -<a id="page-188" class="pagenum" title="188"></a> -Vielleicht, fing dieser an, sehe ich schon in einigen -Tagen einen Jüngling wieder, dem ich seit vielen Jahren -schon, seit ich ihn als Knaben kennen lernte und aufwachsen -sah, meine Freundschaft, ja mein ganzes Herz -schenken mußte. Alle unsere Bücher sind voll von Schilderungen -der sogenannten Liebe; genau sind alle ihre -Kennzeichen beschrieben, die Steigerungen, so wie die Verirrungen -dieser Leidenschaft nachgewiesen, und von der -<em>Freundschaft</em>, die eben so wundersam, zuweilen noch seltsamer -erscheinen kann, wird kaum gesprochen, oder man setzt -sie voraus, und meint, sie zu schildern, sei ohne Interesse. -Wenn Alle zu <em>lieben</em> glauben, ist es vielleicht nur Wenigen -gegeben, im wahren Sinne <em>Freund</em> zu seyn. Ich -habe mich früh und ohne Leidenschaft verheirathet, und -bin glücklich in meiner Familie. Aber von frühster Jugend -habe ich das Talent in mir ausgebildet, Freund -seyn zu können, mich dem geliebten Gegenstande hinzugeben, -seine Eigenheiten, Schwächen und Vortrefflichkeiten -zu erkennen, mich zu überzeugen, wie bei den verdienstvollen -Menschen die einen nicht ohne die andern seyn -können, und alle Liebe ohne gegenseitiges Ertragen nicht -möglich ist. Doch, um nicht zu weitläuftig zu werden, sage -ich nur, daß es mir gelang, viele und sehr verschiedene -Freunde zu erwerben; doch hatte ich noch nie das seltsame -Gefühl kennen lernen, das mich zu einem Knaben hinzog, -der in unsrer Familie aufwuchs und ein entfernter Verwandter -von mir war. Er hatte nichts mit andern Kindern -seines Alters gemein; er nahm an ihren Spielen nicht -Theil; er sonderte sich ab, und lebte, seine Lehrstunden -abgerechnet, ganz einer träumenden Einsamkeit hingegeben. -Da der junge Mensch schon früh seine Aeltern verloren -hatte, so war sein Vormund, ein liebevoller Oheim, sehr -<a id="page-189" class="pagenum" title="189"></a> -um ihn besorgt. Fragte man Raimund, so hieß der Knabe, -was ihm fehle, so antwortete er immer, ihm sei in der -Einsamkeit unendlich wohl; ihn störe das Geräusch der -Welt, er sinne sich und seinen Empfindungen nach. Hauptsächlich -schien ihn eine Wehmuth über das Elend der -Welt, über ihre Armuth und Krankheit zu durchdringen, -vorzüglich über die Feindschaft und den Haß, den er so -oft wahrnehmen mußte. Der Vormund wünschte, ihn -zum Geschäftsmann heranzubilden, oder ihm doch die Fähigkeit -zu verschaffen, das große Vermögen, das er für -ihn bewahrte, künftig selbst verwalten zu können. Die -Bemühungen aber, den Weichgestimmten mit den Verhältnissen -der Welt bekannt zu machen, schienen immer vergeblich; -denn so leichte Fassungsgabe sein feiner Geist -sonst verrieth; wie er in Poesie, Musik und Natur Alles -begriff, und sich das Schwierigste aneignen konnte; so -schien ihm doch der Sinn für gesetzliche Verhältnisse, für -alles das, was Besitz und Eigenthum sichert, für juristische -Verwickelungen, Berechnungen und dergleichen, gänzlich -verschlossen. Begriff er doch gar nicht einmal, wie -es möglich sei, daß seine Capitalien Zinsen trügen. Er -hielt dies, als er selbst schon erwachsen war, für ein Ergebniß, -welches nur auf Betrug gegründet seyn könne. -Als Jüngling war er die lieblichste Erscheinung. Wir -verhärten uns gewöhnlich, und wohl mit Recht, gegen die -Sentimentalität; weil dasjenige, was die Menge so -nennt und schwache Gemüther interessirt, nur eine Mischung -von Heuchelei und falscher Süßigkeit ist, eine -egoistische Zartheit, die gerade da verletzt und roh tyrannisirt, -wo sie Liebe und Weichheit zeigen sollte. Aber in -Raimund offenbarte sich etwas Himmlisches verkörpert, -und die naivste Wahrheit, die edelste Treue und Einfalt -<a id="page-190" class="pagenum" title="190"></a> -bildeten sein Wesen. Ich konnte oft in Gedanken beklagen, -daß er späterhin doch zum Manne reifen und diese -Wunderblume sich in Frucht verwandeln müsse. Er blieb -immer menschenscheu; am meisten aber ängsteten ihn die -schwatzenden und lachenden Mädchengesellschaften. Die -meisten Menschen verspotteten ihn; ich allein verstand sein -liebendes Gemüth; doch zitterte ich auch für ihn, wenn -ich voraus dachte, wie ihm wohl einmal ein gleich gestimmtes -weibliches Wesen begegnen könne. Dies geschah, -und die Folgen waren erschreckender, als ich vermuthen -konnte. Die schöngebildete Tochter eines reichen -Hauses, schwärmerisch und scheu, lernte ihn kennen. Als -wären die beiden Wesen nur für einander geschaffen, so -schnell verstanden und vereinigten sie sich. Was ihr -Glück störte, war der Oheim, obgleich er seinen Neffen so -innig liebte. Er schien der Ueberzeugung, daß diese Leidenschaft -nur zu Beider Unglück ausschlagen könne; er -verweigerte durchaus seine Einwilligung zu ihrer Verbindung, -bis Raimund großjährig geworden sei. Dieser -härmte sich und sann und träumte nur Unglück. Blanka -weinte; ihr Gram zog ihr ein Nervenfieber zu. Nun -schien auch Raimund verloren. Er irrte in den Nächten -im Felde umher, er verschmähte fast alle Nahrung, er -wollte nur seinem Schmerze leben und sterben. Als sie -die gefährliche Krise überstanden hatte, erlaubte sich ein -Bedienter den grausamen Scherz, um ihn desto freudiger -zu überraschen, ihm zu sagen, Blanka sei gestorben. Der -Widerruf kam zu spät; sein ganzes Leben schien aus allen -Fugen gerissen. Es währte nicht lange, so war er verschwunden; -jede Nachfrage, jede Nachforschung umsonst. -Sein Oheim, der Freiherr Eberhard ist außer sich; nun -erst zeigt er, wie sehr er seinen Neffen geliebt; er macht -<a id="page-191" class="pagenum" title="191"></a> -sich die bittersten Vorwürfe, daß er jene Verbindung gehindert; -er zögert noch immer, als der nächste Erbe, das -Vermögen des Unglücklichen als das seinige zu betrachten; -er hofft noch immer auf seine Rückkehr, und beweint ihn -doch schon als einen Verlornen. Blanka war seitdem in -einem fürchterlichen Zustande, ich habe sie nicht wieder -gesehn; ihre Aeltern verließen die Stadt, und ein ungewisses -Gerücht wollte sagen, sie habe den Verstand verloren. -Denken Sie nun die Freude, die mir der Brief machen -mußte, der mir eine wahrscheinliche Spur meines -jungen Freundes entdeckt. Wie werde ich den Oheim -überraschen, wenn ich ihm etwas Gewisses melden -kann! -</p> - -<p> -Der Arzt war nachdenkend. Eberhard, — sagte er -sinnend, — ein Mann bei Jahren, zwei ungleiche Augenbraunen, -und eben so ein braunes und ein blaues Auge? -Auch schwebt mir dunkel vor, als habe ich aus seinem -Munde selbst die Geschichte, die Sie mir jetzt mittheilen, -gehört; nur erzählte er die Umstände anders. -</p> - -<p> -Ihre Beschreibung paßt auf ihn, sagte der Rath; er -ist von der Natur so sonderbar gezeichnet, daß man ihn -nicht leicht verkennen kann. -</p> - -<p> -Wie seltsam, fuhr der Arzt fort; wenn es dieser seyn -sollte! — Er spielte in meiner Vaterstadt eine wunderliche -Rolle, und bewarb sich noch ganz kürzlich um eine Schauspielerin, -die nicht den besten Ruf hatte. -</p> - -<p> -Dann ist es dieser doch nicht, sagte der Rath; er -lebt einsam, eingezogen, ja neigt eher zu einer übertriebenen -Frömmigkeit hin. -</p> - -<p> -Man kam dahin überein, am folgenden Tage abzureisen; -denn im Dorfe eines einsamen Gebirges sollte der -<a id="page-192" class="pagenum" title="192"></a> -Jüngling, von dem der Rath Nachricht erhalten hatte, -im Hause eines Predigers leben. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Es war einige Zeit verflossen, in der sich der junge -Wolfsberg an seinen Aufenthalt und seine Lage gewöhnt -hatte, und da er sich immer ruhig betragen, so trat eines -Tages sein Freund, der kleine Friedrich, in sein Gemach, -that einen kurzen Sprung, zuckte die Schultern, verzog -sein blasses Gesicht zum Grinsen und sagte: jetzt werden -Sie einer von den unsern; der Alte schickt mich, Sie -möchten in den Gesellschaftssaal hinunter kommen. -</p> - -<p> -Sind viele Leute dort? fragte der Baron. -</p> - -<p> -Je nun, eine hübsche Gesellschaft; bald mehr, bald -weniger; mancher reiset dann auch wieder ab, und so habe -ich vorige Woche einen meiner besten Freunde auf der -Welt verloren. -</p> - -<p> -Sie traten in den untern großen Saal, und Wolfsberg, -der so lange in der Einsamkeit und im kleinen -Zimmer gelebt hatte, war so vom Licht, von der Gesellschaft -und dem weiten Blicke über die Ebne und das -Waldgebirge hin geblendet, daß er sich nur schwer fassen -konnte, und einige Zeit brauchte, um sich mit allen diesen -Gegenständen, vorzüglich aber mit den Menschen in dem -großen Gemache bekannt zu machen. Der Direktor ging -mit großen Schritten auf und nieder, noch finstrer, als er -gewöhnlich war; er schien nur seinen Gedanken nachzuhängen, -und sich um die Gesellschaft nicht zu kümmern. -Er bemerkte auch den Eintretenden nicht, und erwiederte -nichts auf dessen Gruß. Zwei Männer spielten mit großer -Anstrengung und gespannten Mienen Schach; in einer -Ecke las ein Andrer in einem Buche, lächelte zuweilen, -<a id="page-193" class="pagenum" title="193"></a> -oder schüttelte den Kopf, machte auch zuweilen Geberden -der Billigung, so daß er völlig mit seinem Autor beschäftigt -schien. Auf einem Lehnstuhle war ein Mann eingeschlafen, -der durch sein rothes Kleid auffiel; noch mehr -dadurch, daß sein Kopf von einem großen dreieckigen Hute -bedeckt war. Starr nach dem Himmel und dessen Wolken -war der Blick eines Andern gerichtet, der einen Maaßstab -in der Hand hielt, dessen Zolle er dann immer wieder -von Neuem überzählte. Drei seltsame Gesichter standen -abseits, und stritten lebhaft. Der eine von diesen Männern -war sehr beleibt; sein Kopf aufgedunsen, die Augen -waren fast verschwollen, er krächzte mehr, als er sprach, -und stach um so mehr gegen seinen schmalen langen Nachbar -ab, dessen Gesicht so dürr und bleich erschien, daß man -kaum noch Lippen darauf wahrnahm, indem die großen -blauen Augen aber desto auffallender hervor leuchteten. -Der dritte Redner lachte beständig mit seinem großen, -aufgeworfenen Munde, und zerrte die wundersamsten Linien -in seine kupfrigen Wangen hinein. Wolfsberg sah -sich um, von seinem getreuen Friedrich Einiges über diese -sonderbare Versammlung zu erfahren; dieser aber war -verschwunden, und er mußte also selbst Bekanntschaft zu -machen suchen. Er näherte sich den Schachspielern, und -sah beim ersten Blick, daß beide Könige im Schach standen, -ohne daß es die Streitenden trotz ihrer angestrengten -Aufmerksamkeit bemerkten; aber seine Verwunderung stieg -noch mehr, als man den weißen Thurm nahm, ihn schräg -über das Brett zog, mit ihm einen Läufer schlug, und -ihn darauf neben den König stellte. Der braune König -retirirte nun behende als Springer, und ein weißer Springer -nahm mit einem Satz im Zickzack drei Bauern zugleich -weg. Wie, meine Herren, rief Wolfsberg aus, Sie -<a id="page-194" class="pagenum" title="194"></a> -spielen ja ganz gegen die ersten Regeln! Was? rief der -eine tiefsinnig vom Brett aufsehend; sehn Sie einmal, -durchlauchtiger Kriegsgefährte, der Neuling will uns wohl -Schach spielen lehren? — Nehmen Sie es dem Grünling -nicht übel, erhabener Mann, antwortete die andere Figur: -er ist augenscheinlich nicht in die Geheimnisse des Cosroes -und die alte orientalische Spielweise eingeweiht; er -weiß es ja nicht, daß Sie einer der Urindianer sind, großer -Geist, und will nun seine Fibelweisheit hier scheinen -lassen. Wissen Sie, junger Abendländer, Vandal, oder -Gothe, vielleicht Slave, — man spielt hier nicht mit -Brett und Schritt und Sprung, wie in den Westländern; -unser freier Geist erkennt weder die conventionelle Würde -des Königs, noch den niedern Rang der Bauern, sondern -wir spielen nach Sympathie, in jenem Geist, der alle -Welten nach unsichtbaren Gesetzen zusammenhält! In jeder -Nacht hat mein Freund eine neue Inspiration, am -folgenden Tage bin <em>ich</em> inspirirt; dann erräth der andre -durch hochgetriebenen Instinkt, welch neues System sein -Mitspieler ersonnen hat und geht in seine Mysterien ein. -Das ist gar eine andre Vielseitigkeit, als das moderne -Hin- und Herrutschen der Figuren. -</p> - -<p> -Das ist freilich eine andre Sache, sagte Wolfsberg, -indem er sich zurück zog. Er näherte sich dem Lesenden, -sah aber zu seinem Erstaunen, daß dieser das Buch verkehrt -hielt, und rückwärts die Blätter umschlug. Wie, -mein Herr, sagte er höflich, sind Sie so zerstreut, daß Sie -nicht bemerken, wie man auf diese Art nicht lesen kann? -Oder sind Sie der Kunst etwa gar nicht mächtig? — -Der Lesende stand schnell auf, machte ihm eine sehr tiefe -Verbeugung, sah ihn an, beugte sich noch tiefer, und -sprach dann mit einer lispelnden Stimme und mit überhöflichem -<a id="page-195" class="pagenum" title="195"></a> -Tone: „geruhen dieselben gütigst zu bemerken, -mein verehrter Herr Unbekannter, daß es denenselben gefällt, -sich wie ein wahrer Einfaltspinsel auszudrücken. -Nicht etwa, daß ich in Ihre eben so tiefen, als ausdrücklichen -Einsichten einen Zweifel setzen wollte (fern sei von -mir ein solcher Frevel!), so scheint es mir doch einleuchtend -(möchte ich Sie auch übrigens anbeten), daß Sie mit der -crassesten Ignoranz über eine Wissenschaft sich äußern, die -freilich Ihrem elenden, kurzen, stümperhaften Horizonte -weit entwachsen ist. Was? Weil ich etwa nicht von -vorn lese, oder das Buch verkehrt halte, darum könnte ich -nicht lesen? Ja, und wenn ich nun selber keinen Buchstaben -wüßte, armer Hergelaufener, und ich nähme das -Buch nur mit Glauben und Andacht in die Hand, könnte -es nicht auch in mich übergehen? Habt Ihr denn wohl -schon oft lesend gelesen, und verstehend verstanden? Ja, -Druckerschwärze und die krausen Figuren sind Euch in die -Augen, Geruch von Leim und Papier in die Nase gekräuselt, -und dazu habt Ihr eine Physiognomie geschnitten, -wie Schafe beim Gewitter, und meint alsdann, Ihr habt -Weisheit in Euch geschlürft, oder seid Eurem berühmten -Autor gar noch über den Kopf gewachsen! Bester Nichtdenker, -verehrter Strohkopf, ich war seit Jahren Recensent, -thätig und einsichtsvoll, gewöhnte mich ans Blättern und -hatte immer um so mehr Urtheil, um so weniger ich las; -ich brachte es zu der Höhe, daß ich kaum den Titel anzusehn -brauchte, nur, wo verlegt, so hatt’ ich das ganze -Buch weg. Ist das etwa keine Kunst? Seit ich mich in -diese Einsamkeit zurück gezogen, habe ich, weil ich ein demüthiger -Charakter bin, wieder zu lesen angefangen; aber -warum denn von vorn? Das <em>Ende</em> ist mein Anfang, -und da ich mich längst geübt habe, die Schrift umgekehrt -<a id="page-196" class="pagenum" title="196"></a> -zu erkennen, so wäre es mir nun gar nicht mehr möglich, -auf Eure dumme, hirnlose, völlig altfränkische Art die -Sache zu treiben. Und wo ist denn der Anfang, der anfinge, -Ihr Gimpel? Setzt nicht das erste Verslein im -Mose schon einen andern Anfang voraus? Und wenn wir -den fänden, wiese er dann nicht wieder auf ein Voriges? -O Ihr Bettelmann der Gegenwart und Dürftigkeit! ein -Ende giebt es; ja in Eurem Verstande; mit dem seid Ihr -längst zu Ende! — Er verbeugte sich hierauf wieder sehr -tief und beschloß: Verzeihung, Verehrtester und Einsichtsvollster -aller Trefflichen, wenn ich, so tief ich auch unter Ihnen -stehe, nur durch ein geringes Scherflein habe andeuten -wollen, wie sehr ich mich bestrebe, Ihre Meinung zu fassen, -und gewiß nicht wagen werde, Ihnen irgend in -Hauptansichten zu widersprechen, sondern nur submissest -einige kleine Zweifel, welche die Bitte um Belehrung enthalten, -entgegen zu schütten, und dadurch nur Veranlassung -gebe, noch tiefer Ihr tiefes Ingenium und noch klarer -Ihren klaren Geist, noch glänzender die Glanz-Atmosphäre -Ihres Wissens, Denkens, zu entwickeln, — und <span class="antiqua">enfin</span>, excellenter -Mann, ich verstumme.“ -</p> - -<p> -Heiliger Himmel! rief Wolfsberg mit Entsetzen aus, -denn er erkannte nun erst, indem er noch einen hastigen -Blick auf alle Gruppen warf, wo er sich befinde, — ich -bin in einem <em>Narrenhaus</em>! Wer hat die Unverschämtheit -gehabt, mich hieher zu versetzen? -</p> - -<p> -Bei diesem lauten Ausruf und dem Worte „Narrenhaus“ -wurden plötzlich alle Thoren aus ihren stillen -Gesprächen und Speculationen aufgeschreckt. Der Beobachter -ließ seinen Maaßstab fallen und rannte herbei; der -Aufgedunsene, der Bleiche, so wie der Kupferfarbene liefen -schreiend herzu; die Schachspieler sprangen auf; der Lesende -<a id="page-197" class="pagenum" title="197"></a> -machte ein grimmiges Gesicht, und der schlafende Rothrock -erwachte, indem er zugleich eine kleine Peitsche aus -dem Busen zog. Was? Wie? schrieen Alle und tobten -durch einander — ein Narrenhaus? Herr! Wissen Sie, -was Sie sprechen? Er wird auch nicht für die Langeweile -hier seyn, sagte der große kräftige Mann im rothen -Rock, und er darf mir nicht viel gute Worte geben, so -lasse ich ihn hier, so wie meine Pygmäen, tanzen, bis die -bösen Geister aus ihm gefahren sind. -</p> - -<p> -Und wo sollten Sie denn sonst seyn, lieber Mann, -schrie der Direktor zornig, der den verwirrten Haufen -theilte und jeden zur Ruhe verwies; wenn Sie sich aber -so aufführen und sich in Gesellschaft nicht zu nehmen -wissen, so werden wir Sie wieder auf Ihr kleines Stübchen -einquartiren müssen. Dies Wort zu nennen, was -Sie gebrauchen, schickt sich in diesem Hause gar nicht, -und schon aus Achtung vor mir müssen Sie es vermeiden! -Und wer Sie hieher gesandt hat? Männer, denen -Sie nicht verweigern werden, Gehorsam und Ehrfurcht zu -bezeigen! -</p> - -<p> -Wolfsberg war still und nachdenkend geworden, und -der Rothgekleidete rief: hab’ ichs nicht gesagt? indem er -zugleich die kleine Peitsche nahm und eifrig gegen alle -Wände des Saales schlug, bis er außer Athem und ganz -kraftlos war. Der Director wandte sich unwillig ab, und -als der Ermüdete sich wieder in seinen Sessel geworfen -hatte, trat Wolfsberg zu diesem und fragte: was machten -Sie eben, und was hat diese Anstrengung zu bedeuten? -</p> - -<p> -Was? rief Herr Kranich aus (denn so nannten ihn -die Uebrigen), Herr, wenn ich nicht wäre und die Augen -immer offen hätte, so wären Sie und alle Uebrigen hier -<a id="page-198" class="pagenum" title="198"></a> -verloren; ja, ich möchte wohl wissen, was von der Welt -sonderlich übrig bleiben würde. Sie sehn es nicht, wie -diese verdammten Pygmäen, kleine böse Geister, mich allenthalben -verfolgen, Gesichter schneiden, und alles Uebel -auf Erden anrichten. Von diesen rührt auch Ihre Verstockung -her, daß Sie nicht einsehn wollen, was an Ihnen -ist; von diesen kleinen Creaturen entspringt alles Unglück, -und ich muß sie unaufhörlich bewachen, um nur zu verhüten, -daß sie nicht das Aergste ausüben. -</p> - -<p> -So war Alles wieder beruhigt, als man einen Landedelmann -mit seiner Familie anmeldete, die sich das Haus -betrachten wollten. Ein ältlicher Mann trat lächelnd herein -und sah sich selbstgenügsam um; ihm folgte eine erwachsene -Tochter, blöde und einfältig, und ein ebenfalls -erwachsener Sohn, der sich gleich das Ansehn gab, als -wenn er hier zu Hause gehöre. Der Director fuhr sogleich -barsch auf sie zu, und fragte heftig, was zu ihrem -Befehle sei. Gott bewahre! stammelte der Edelmann, indem -er scheu zurück trat; ist denn hier kein andrer ruhiger -Mann, der uns herumführen, und die Merkwürdigkeiten -zeigen kann? Der Director sammelte sich wieder und -sagte in sanftem Tone, daß er selbst der Vorsteher dieser -Anstalt sei, und daß er sich ihm und dem kleinen Friedrich, -der sich unterdessen wieder herbei gemacht hatte, getrost -anvertrauen könne. Sie gingen hierauf friedlich durch den -Saal, ergötzten sich an der Aussicht und betrachteten die -Gesellschaft aus der Ferne, als sich der Kupferfarbene -herbei machte und um die Erlaubniß bat, etwas vorzutragen. -</p> - -<p> -Meine beiden trefflichen Schüler, fing er an, möchten -heute einen poetischen Wettstreit halten, wie er bei den -alten Griechen wohl üblich war, und es trifft sich gut, -<a id="page-199" class="pagenum" title="199"></a> -daß einige Fremde, als ganz unbefangene Zuhörer zugegen -seyn können, um über die Verdienste meiner begeisterten -Scholaren nach reifer Prüfung ein Urtheil zu fällen. -</p> - -<p> -Er winkte, und der lange Blasse, so wie der Beleibte -mit dem verschwollenen Gesichte näherten sich. Die Uebrigen -schlossen einen Kreis; der Lesende drängte sich am -nächsten, und der Pygmäenbekämpfer sah kritisch umher, -ob auch keine bösen Geister die poetische Unterhaltung -stören möchten. -</p> - -<p> -Der Mann mit der Kupfernase wandte sich hierauf -an den Edelmann, den er freundlich bei der Hand nahm -und ihm die Tressen seines grünen Kleides streichelte. -Englischer Mann, sagte er zärtlich, verstehen Sie wohl -Galimathias zu sprechen? -</p> - -<p> -Nein, sagte jener; was ist das für eine Sprache? -</p> - -<p> -Schade, fuhr jener fort; da werden Sie es nur halb -genießen können, denn etwas wenigstens sollten sich wohl -alle Menschen damit befassen. Es ist zu verwundern, -wie wenig wir immer noch auf unsre eigentliche Ausbildung -wenden. Tretet zuerst vor, mein theurer Freund -und Schüler, würdiger Troubadour und Meistersänger! -</p> - -<p> -Der Aufgeschwollene räusperte sich, athmete tief -auf und sprach dann schnell, aber mit einer krähenden -Stimme: „Sind wir nicht alle innigst von dem Gefühle -durchdrungen, daß, wenn eine Krebsmoral erst an der -tiefsten Wurzel der Menschenschicksale nagt, kein einziges -Schaalthier mehr auf den Höhen der Gebirge wird gefunden -werden? Gewiß, meine Theuersten, schlägt jeder mit -erneuertem Mannsgefühl auf seine Brust, wenn er bedenkt, -daß bei dem siderischen Einfluß, den jede Theemaschine -auf die Verflechtung innerer Organe und Inspirationen -unbedenklich ausströmt, die alten Germanen nimmermehr -<a id="page-200" class="pagenum" title="200"></a> -ihren Wodansdienst ohne Hülfsleistung abnormer Zustände -und tief empfundener mikroskopischer Ansichten -würden haben durchsetzen können. Denn hier kommt es -ja nicht auf ein oberflächliches, leichtgewagtes Entdecken -vulkanischer Revolutionen an; sondern die Menschheit -selbst ruft das in uns auf, was schon im Anbeginn der -Zeiten reif und heterodox, aber im galvanischen Mittelpunkt -unendlicher Verschlossenheit, tief und geheimnißvoll -gebrütet hat. War es denn nicht auch damals dieselbe -große Schicksalskatastrophe und Weltumschwungsaxiomatische -Wunderbegebenheit, als dasjenige, was man bis -dahin nur für orkanische Centripetalkraft abgewogen hatte, -sich plötzlich als das ungeheure Ixionsrad schwärmerischer -Antidiluvianer manifestirte? So merken wir, ist unsre -Seele anders nicht völlig aphoristisch gebildet, und im -Mausoleum hyrkanischer Waldgötter anticipirt worden, -daß umgekehrte Verhältnisse sich immer wieder zu Kegelausschnitten -gestalten, wenn die Galaxie der Planeten sich -in ekliptische Rodomantaden verwandeln möchte. Aber -festhalten müssen wir einen Gedanken, daß die Hieroglyphen -immer nur wieder Apostrophen ausgebären können, -wenn wir nicht mit den conglomerirten Gnostikern annehmen -wollen, daß die Hypotenuse der Polarvölker immer -wieder in die materiellste Abstraction der eleusinischen Pyrrichien -verfallen müßte, an welchem Irrthum auch schon -der berühmte Johann Ballhorn in seinem großen granitgebundenen -Werke vom Phlogiston der Polypenkrater verstorben -ist, da er ein Apostem der großen alchemistischen -Tinktur mit den rauschenden Katarakten der Amathontischen -Apodiktik mehr als ihm billig zugegeben werden -konnte, verwechselt hat. So hoffe ich denn bewiesen zu -haben, daß immer und ewig das große Geheimniß der -<a id="page-201" class="pagenum" title="201"></a> -peloponnesischen Antithese klar und verständlich ist ausgesprochen -worden.“ -</p> - -<p> -Gewiß! sagte der Edelmann. -</p> - -<p> -Sublim! rief der Leser aus. -</p> - -<p> -Ein Beifallsmurmeln ertönte aus der dichtgedrängten -Umgebung. -</p> - -<p> -Nun, Görge, was meinst du? fragte der Edelmann, -indem er sich an seinen Sohn wandte, der mit starren -Augen und offnem Munde zugehört hatte. -</p> - -<p> -Ich wollte nur, antwortete Görge, unser Herr Pastor -wäre hier, der den Mann vielleicht widerlegen könnte; -denn seine Reden klingen fast eben so. -</p> - -<p> -Nun höre man aber auch, rief der Kupferne, meinen -zweiten Zögling, den edeln, sanften Musenliebling. -</p> - -<p> -Die lange, hagre Gestalt trat hervor und klagte in -einem weinenden, schnell singenden Tone also: Ist nicht -die Liebe und immer nur wieder die Liebe das hoch erhabne -athletische Bildwerk der ächten attischen Hybla-akademischen, -süßflötenden Nachtigallen-Atmosphäre? Wer -möchte sich der Thränen enthalten, wenn flutende Herzenslustren -im Umschwung der zartesten Cicaden-Gesinnung -nicht endlich einmal zur Vollendung einer umarmenden -Schicksals-Apotheose hinstreben sollen? Denn das Bildwerk -liebender Gestirne ist ja doch nur ein Abglanz häuslicher -und mattherzig rührender Sarkophag-Mumien-Attribute; -vorausgesetzt, das fromme kindliche Gemüth hat -sich schon in eine Phaläne von träumerischen Allegorieen -verwandelt, und ist die ganze sublunarische Etymologie -der peripatetischen, eben so großartigen, als herzergreifenden -Sylbenstechereien uralter Religionsentzündungen durchgegangen. -Fragt sich einzig nur: hat ein kryptogamisches -Pfeifergericht von enggetriebenen Bildwerken nicht immerdar -<a id="page-202" class="pagenum" title="202"></a> -den Blumenstaub somnambulistischer Zustände auf -hydraulische Weise mit Prophetenencyklopädieen vorher -verkündigt? worauf die mathematische Antwort lautet: so -gewiß der Umkreis der Welt einzig in den Umfang sanfter -Cirkelschwingungen gebannt ist, so gewiß hat auch -jede Periode und bacchische Begeisterung im Lichtscheine -der erotischen Neufundländer Sitz und Stimme gefunden. -Denn, was ist es denn, was das Echo unsrer Brust ewig -beweint? Nicht wahr, daß noch kein Sterblicher in das -Universal-Paradoxon der Himmelskräfte hat einschlüpfen -können? Aber dennoch sagen uns begeisterte Seher, daß -das Berlappenmehl dazu diene, den Blitz der Götter, so -wie alle diagonale hochgefeierte Perioden des Immateriellen -zu erschöpfen, wenn wir nicht vergessen, daß Phidias -darum der Große genannt wird, weil er zuerst die petrarkische -Elegie in der neuen Ausgabe der Homilien hat mit -Vignetten in einen großen Salat von Vergißmeinnicht bei -den Olympischen Spielen verzehren lassen, was eben die -Ursache war, daß Romeo und Julia sterben mußten, so -sehr sie auch vorher auf Pardon vom Könige von Abyssinien -rechnen durften. Aber das ist das Große und Erschütternde -eben in den edelsten Lebensverhältnissen, daß -die Liebe des Herzens immer wieder auf die reine und -unreine Mathematik angewendet werden soll, was doch -kaum dem Platonischen John Bull möglich gewesen ist, -mit Hülfe seines Freundes, des großen Eklektikers Pope, -vermöge seiner Stanzen und der noch berühmtern Parlamentsreform -einzuführen. Daher bleibt unserm Leben -diese ewige Trauer, daß jede Sonnenblume in Oel kann -verwandelt werden, wenn wir umgekehrt niemals einen -Tropfen Oel in Blumen, ja kaum in Sonnen umschmelzen -können; daher ist die Thräne an unsrer Wimper ein -<a id="page-203" class="pagenum" title="203"></a> -zartes Herzenssiegel, welches tropfend beurkundet, daß wir -alle nur Blindschleichen und arme Würmer sind. Dies -herzzerreißende Gefühl mitzutheilen, habe ich mich nicht -enthalten können. -</p> - -<p> -Die Tochter des Edelmanns weinte und sagte: ja -wohl, ist unser Leben nur ein zerbrechliches Geschirr! Der -Lehrer aber sah triumphirend umher und fragte: nun, -meine Freunde, welchem würden Sie den Preis zuerkennen? -</p> - -<p> -Das zweite, sagte das junge Mädchen, war mehr für -das Herz, das erste mehr für den Geist. -</p> - -<p> -So ist es, sagte Herr Kranich; der lange Herr Melchior -hat die beste Rede gehalten: wir sind Alle gerührt; -dazu hat er eine Stimme wie eine Nachteule oder Unke: -die Thränen laufen einem über die Nase, man weiß -nicht wie. -</p> - -<p> -Ja, meine theuern Freunde und Sie, verehrte fremde -Zuhörer, sagte der beleibte Lehrer, ich bin stolz darauf, -daß ich in diesen beiden Männern diese großen Talente -habe wecken und zur Reife führen können. Diese sokratische -Hebammenkunst ist es, in welche ich meinen Stolz -setze, da ich selber nichts dergleichen hervor bringen kann. -Aber meine Schüler werden mich unsterblich machen. Doch -soll der liebende, herzliche Melchior seines Kranzes nicht -entbehren. -</p> - -<p> -Er heftete diesem einen Stern von Blech an die Brust, -mit welchem der lange blasse Mann sich brüstend durch -den Saal schritt. Der Aufgedunsene ging verdrießlich in -eine Ecke und murmelte: Abgeschmackter Kerl! Er hat -doch durchaus keinen Begriff vom Aechten! Ich von ihm -gelernt! Ja, freilich, wenn ich solche Alfanzereien spräche, -wie die aschgraue Hopfenstange! -</p> - -<p> -<a id="page-204" class="pagenum" title="204"></a> -Ruhig, großer Mann, sagte der Lesende, der ihm -nachgegangen war; das Erhabene wird nie verstanden, so -ist es vom Anfang der Schöpfung gewesen: der größere -Sophokles wurde eben so vom süßlichen Euripides verdunkelt; -Terenz mußte Seiltänzern weichen; Phidias ward -verkannt; Dante aus seinem Vaterlande vertrieben. Lassen -Sie den Narren mit dem alten Stückchen Blech laufen; -Ihr Herz sei Ihr Elysium, und morgen werde ich Ihnen -eine zinnerne Schnalle bringen; heften Sie diese an Ihre -erhabene Brust und verachten Sie den Gegner. -</p> - -<p> -Der Edelmann hatte sich indessen wieder mit dem Sokrates -ins Gespräch eingelassen, und bewunderte am meisten, -daß die beiden Proberedenden diese Fülle von Gedanken -und gelehrten Materien so aus dem Stegereif hätten -hersagen können. Begeistrung, rief der Sokratiker, ist -Alles: sie haben ihr Gemüth gesammelt, und dann aus -dem Mittelpunkt ihres Wesens den rauschenden Springquell -der Suada hingeströmt. -</p> - -<p> -Ich kann niemals, äußerte der Edelmann, gegen meinen -Pfarrer zu Worte kommen; wären Sie nun capabel, -mir auch die Zunge zu lösen, daß ich so wie ein Advokat -oder Prokurator zu reden wüßte? -</p> - -<p> -Der Director zupfte kopfschüttelnd den Edelmann am -Rocke; dieser sah sich verdrießlich um, indem der finstre -Mann zu ihm sagte: lieber Mann, Sie verweilen offenbar -zu lange in dieser Gesellschaft; dieser Umgang kann Ihnen -unmöglich gut bekommen. -</p> - -<p> -Indem erhob sich ein lautes Getümmel am andern -Ende des Saales. Lassen Sie mich ungeschoren; rief der -junge Wolfsberg laut, ich müßte ja selbst unsinnig seyn, -wenn ich dergleichen Unsinn bewundern, oder mir auseinandersetzen -<a id="page-205" class="pagenum" title="205"></a> -wollte, welche von den beiden abgeschmackten -Reden die bessere sei. -</p> - -<p> -Die erste ist aber die bessere, rief der Lesende, und -wenn Sie keine Kritik mehr respectiren wollen, so ist es -mit Ihrem eigenen Verstande nur schwach bestellt. Und -was nennen Sie denn Unsinn, Bester? O mein verehrter -Widerwärtiger, hundert Meilen wollte ich reisen, wenn ich -dergleichen doch nur einmal in Wahrheit anzutreffen -wüßte. Das ist ja mein Jammer, daß ich mich schon -seit länger als zehn Jahren damit abquäle, einmal den -Unsinn zu finden. Aber rutschen Sie durch zehn Schauspielhäuser, -und wenn Sie in jedem flüchtig auch nur ein -paar Secunden verweilen, so hören Sie leider allenthalben -etwas leidlich Vernünftiges; ja was noch schlimmer ist, -die zehn kurzen Fragmente aus dem Trauer- und Lustspiel, -aus dem Familiengemälde und der Posse, aus der -Oper und dem Nachspiel, werden zusammen noch einen -passabeln Satz formiren, über den sich sprechen läßt. Ein -Blättchen, das Sie finden, ein Wort, das Sie aus dem -Fenster hören, ein Gespräch aus einer vorüberrollenden -Kutsche, Alles, Alles will leider noch etwas Verständiges -aussprechen. Habe ich es nicht damals, als ich diese -Liebhaberei zuerst bekam, an mich gewandt, die brillantesten -Romane und Schauspiele, die verrufensten Broschüren -anzukaufen und zu lesen, weil ich von allen Seiten hörte, -daß Unsinn darin vorkäme. Nichts da! Eine alberne -dumme Vernünftigkeit fand ich allenthalben, daß die Sachen -mich auch gleich anekelten, eine miserable Lust, hie -und da über die Schnur zu hauen, und gleich zum alltäglichen -Verstande, wie Kinder im Finstern zur Mutter -zurück gelaufen. Ja, mein Herzensfreund, in allem dem -Geschwätz über Liberalismus und Monarchismus, in diesen -<a id="page-206" class="pagenum" title="206"></a> -Schilderungen von Riesen, Rittern und Pferden, in -den Elementargeistern und Gespenster-Katzbalgereien, in -dieser frömmelnden, liebesiechen Inspirationssucht ist immer -noch kein rechter Aufschwung; allenthalben die kalte -Vernunft; die Philisterei der Philisterei; und so sehr ich -unsern Demosthenes oder Aeschylus hier in seiner ersten -Rede verehre, so möchte ich sie doch nicht so übertrieben loben, -daß ich sie unsinnig zu nennen wagte, denn jeden einzelnen -Satz würde ich zu beweisen unternehmen und auch -zeigen können, wie innig alle unter einander zusammenhangen. -Von der zweiten Rede kann gar nicht die Rede -seyn, denn sie war ganz trivial. -</p> - -<p> -Der verschmähte Redner hatte sich indessen die Zinnschnalle -aus dem Zimmer des Lesenden geholt, und stolzirte -mit diesem Schmucke schon im Saale auf und ab. -Der Blasse wollte ihm die Auszeichnung nicht gönnen, -weil sie seinen eignen Ruf zu beeinträchtigen schien. Er -ging daher auf den Usurpator zu, und suchte ihm das -glänzende Zeichen zu entreißen; dieser aber wehrte sich -und wurde vom Recensenten vertheidigt. Die Schachspieler -nahmen dieselbe Partei, indessen der Denker mit -dem Maaßstabe den sanften Melchior zu beschützen strebte. -Der Edelmann und Wolfsberg standen in der Mitte, -und da sich bald aus dem Gezänk ein Stoßen und Schlagen -entwickelte, so zog der Pygmäen-Bekämpfer seine -kleine Peitsche hervor, und schlug ohne Unterschied unter -beide Parteien hinein, indem er behauptete, daß er allenthalben -auf Rücken und Schultern jene bösen Geister wahrnehme, -welche nur aus Bosheit diesen Zank und Streit -unter Menschen erregt, die bisher immer als befreundete -Wesen mit einander hätten leben können. Der Director -fuhr ebenfalls tobend dazwischen, und durch seine drohenden -<a id="page-207" class="pagenum" title="207"></a> -und ernstlichen Worte ward der Friede endlich -wieder hergestellt, obgleich Wolfsberg und der Edelmann, -beide als unschuldige Zuhörer, manchen Streich davon -getragen hatten, weil es die boshaften Pygmäen-Geister -nicht unter ihrer Würde gehalten hatten, diese neutralen -Leiber während des Krieges besetzt zu halten. Der Edelmann -verließ die Anstalt sehr verdrießlich, und sein Sohn -Görge begriff nicht, wie eine so lehrreiche Unterhaltung -ohne alle Veranlassung eine so kriegerische Wendung hatte -nehmen können. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Friedrich hatte, seiner sanftmüthigen Gemüthsart -nach, den letzten Krieg nur ungern entstehn sehn. Er zog -sich früh zurück und beklagte aus der Ferne seinen jungen -Freund, zu dem er sich tröstend gesellte, als der Friede wieder -hergestellt war. Sie gingen in den beschränkten Blumengarten. -Da Sie nun, Theuerster, im Grunde ein -freier Mann sind, so fing der Kleine an, so will ich Ihnen -heute in der Nacht etwas mittheilen, was für uns -beide von dem größten Nutzen seyn kann. Wolfsberg -war überzeugt, daß es nichts Geringeres, als die Mittel, -sich frei zu machen, betreffen könne. Er ging zur Gesellschaft -zurück und erwartete mit bangem Gefühl die -Dunkelheit. -</p> - -<p> -Gegen Mitternacht ward sein Zimmer eröffnet, der -Kleine trat mit einer Laterne herein, und winkte seinem -Freunde mit stummer Geberde. Wolfsberg folgte schnell, -und schweigend stiegen sie die große Treppe hinunter. -Das Hausthor war verschlossen, und als Wolfsberg die -Klinke ergriff, schüttelte der Kleine sehr unwillig mit dem -Kopfe und zeigte heftig nach einem Winkel hin. Der -<a id="page-208" class="pagenum" title="208"></a> -junge Mann folgte seinem Führer; sie stiegen eine andre -Treppe hinab, und befanden sich jetzt in einem weitläuftigen -Gewölbe. Nun fand der ängstliche Freund endlich -seine Sprache wieder. Hier sind wir sicher, nicht -behorcht zu werden, sagte er flüsternd: dies sind die Kellergewölbe -des großen Hauses. — Ich dachte, Sie wollten -mir den Weg zur Freiheit zeigen, sagte der Baron. — -„Nicht daran zu denken, bester einziger Freund; das Thor -ist doppelt verschlossen, dann müßten wir noch über den -Hof und die äußere große Thür aufmachen, die der fatale -Portier bewacht, mein größter Feind in der Welt, der -niemals Vernunft annimmt, und sich von allen Menschen -für den Klügsten hält.“ — „„Was machen wir aber -hier?““ — „Wenn es uns gelingt, liegt hier mehr, als -Ihre Freiheit.“ — „„Wie meinen Sie das?““ — „Nur -still, unten sollen Sie Alles erfahren!“ -</p> - -<p> -Sie stiegen noch tiefer hinab. Im fernsten Winkel -setzte sich nun Friedrich nieder, stellte die Laterne neben -sich, und Wolfsberg sah zu seinem Erstaunen Hacke und -Spaten auf dem Boden liegen. Die Erde war dort schon -aufgewühlt, und als der Baron seinen Führer fragend -und erstaunt betrachtete, lächelte dieser mit dem Ausdrucke -der größten Verschmitztheit, zog den Andern neben sich -nieder, und nachdem er ihn feurig umarmt hatte, sagte er -endlich: liebster Baron, Ihnen vor allen Menschen gönne -ich das Glück, dessen Sie hier theilhaftig werden können; -hieher folgt uns kein Neid und keine Beobachtung, diese -Gegend der Gewölbe wird niemals besucht; hier können -wir mit geringer Anstrengung und in kurzer Zeit einen -Schatz entdecken, der uns über alle Sorgen der Zukunft -hebt, ja uns zu den angesehensten Männern der ganzen -Provinz macht. Ich habe niemand da oben etwas von -<a id="page-209" class="pagenum" title="209"></a> -dieser Entdeckung sagen mögen; denn alle jene Menschen -sind mehr oder minder gemeine Naturen, wozu noch -kommt, daß sie alle einen Stich von Narrheit haben, der -sie mir höchst widerwärtig macht. Dem Director mag -ich von meinem Funde gar nichts mittheilen; er würde -in seiner hochfahrenden Superklugheit thun, als wenn er -mir nicht glaubte, und hernach stillschweigend für sich arbeiten -lassen: denn er ist ein sehr mißgünstiger Mann -und beim Lichte besehn ohne Verstand; er stellt sich viel -klüger an, als er wirklich ist, und da er das Regiment -im Hause hat, so darf ihm Keiner viel widersprechen. -Nun, lieber, hochgeehrter Freund, hier nehmen Sie den -Spaten und arbeiten Sie! -</p> - -<p> -Aber, sagte Wolfsberg, wie kommen Sie nur zu dem -Glauben, oder der Einbildung — — -</p> - -<p> -Still! still! rief der Kleine im größten Eifer, nur -ums Himmels willen keine Zweifel in dieser feierlichen -Stunde ausgesprochen, sonst ist Alles verloren. Kennen -Sie die Wünschelruthe und ihre Wirkungen? -</p> - -<p> -Nein, sagte Wolfsberg verwirrt und schüchtern. -</p> - -<p> -Haben Sie wohl Wirkungen des Magnetismus gesehen, -und glauben Sie an die Wunder dieser Wissenschaft? -</p> - -<p> -Ich habe mich nur wenig um dergleichen Gegenstände -bekümmert, antwortete jener, und kann also auch nicht -einmal sagen, ob ich an die Seltsamkeiten, die man davon -erzählt, glaube oder nicht. -</p> - -<p> -O Sie unverständiger Mann, rief der Kleine im -größten Eifer aus, so muß ich ja also dem Blinden von -der Farbe predigen! Indessen, was thuts? Glaube und -Ueberzeugung werden Ihnen schon, wie zahme Hündchen, -in die Hände laufen. Sehn Sie, ich bin schon eine Anzahl -<a id="page-210" class="pagenum" title="210"></a> -von Jahren Unteraufseher in diesem Hause. Ich sage -nicht etwa deßwegen Unteraufseher, weil wir jetzt hier im -untern Theile des Hauses eine gewisse Aufsicht führen; -sondern Sie verstehn mich schon: ich meine, ich bin so -fast nach dem Director der wichtigste Mann hier, wie -Sie auch wohl werden bemerkt haben; nur der verdammte -Thürhüter will keinen Respect vor mir haben. Nach einer -Nervenkrankheit, wie es die trivialen Aerzte nennen, -fand ich mich schon vor vielen Jahren als einen verwandelten -Menschen wieder. Freund, da war mir ganz so -zu Muthe, als wenn einer meinem inwendigen Geiste Hosen -und Weste aus-, ja noch die Haut dazu abgezogen hätte, -so daß er nun niemals mehr zerstreut, oder dumm, oder -langweilig war. Sie werden mich nicht ganz verstehn, -thut aber auch nichts zur Sache. Es ist nämlich so: ich -konnte von dem Augenblicke an überirdische Dinge begreifen -und fassen, nicht mit meiner alltäglichen Vernunft; -sondern in meinem inwendigsten Geiste hatte sich noch ein -eignes kleines und feines Verständchen angesetzt, das dergleichen -begriff, und da der Geist nun nicht mehr bekleidet -war, und auch keine dumme Haut mehr über sich -hatte, so konnte Ich, der Lebendige, der hier draußen steht -und mit Ihnen spricht, so frischweg in jene meine unsichtbare -Creatur hinein sehn und Alles capiren. Capiren -Sie mich? -</p> - -<p> -So halb und halb, sagte Wolfsberg, Sie drücken sich -etwas figürlich aus! -</p> - -<p> -Außerdem aber, fuhr Friedrich fort, wurde ich gewahr, -daß ich in fremde Leute hinein sehn konnte. Schaut’s! -jetzt laufen Ihnen die Gedanken wie Ameisen durch Ihren -Kopf, und einige schleppen sich dummerweise mit -kleinen Steinen, Holz, albernen Zweifeln. Da rennt eben -<a id="page-211" class="pagenum" title="211"></a> -eine großmäulige Ideenassociation in der inwendigen Gegend -des Ohres, und schreit, daß Alles, was ich Ihnen -vortrage, aberwitziges Zeug sei; und nun fliegt eine kluge -Gedankentaube mit dem Oelzweig hintennach und meint, -man könne es denn doch noch nicht wissen. Husch! rennen -die übrigen Gedanken in den Winkel und sitzen gluckend -wie die brütenden Hühner da. Ja, ja, Herr Baron, ich -weiß wohl, wer Sie sind. -</p> - -<p> -So? fragte Wolfsberg in der größten Spannung. -</p> - -<p> -Ja wohl, sagte der Kleine ganz ruhig, kein Graf, -wie unser mürrischer Director meint, — he he he! Sie -sind auch kein Baron, Sie Vocativus, Sie! -</p> - -<p> -Ich dächte doch, sagte Wolfsberg verwirrt. -</p> - -<p> -Mir können Sie nichts weißmachen, fuhr der Wahrsagende -fort, denn ich weiß ja Alles: ja, ja, alle Ihre -Streiche und Kniffe könnte ich Ihnen an den Fingern -hersagen; aber still! wir sind ja alle Menschen, und Sie -bleiben bei allem dem immer ein großer Mann. Ein sehr -großer Mann, und ein berühmter Mann sind Sie, einer -von denen, die die Nachwelt noch nennen wird! Haben -Sie erst, was Sie brauchen, so werden Sie auch weiser -werden, und das kann ich Ihnen schaffen, und vertraue -dabei Ihrer Großmuth, daß Sie nicht allzu ungleich mit -mir theilen werden. -</p> - -<p> -Also zur Sache, rief Wolfsberg entschlossen, worauf -kommt es an? -</p> - -<p> -Wie ich in Menschen und Seelen hinein sehn kann, -fuhr der Kleine fort, so kann ich es auch zu Zeiten in -leblose Gegenstände. Lange schon habe ich gesehn, daß -gerade hier, etwa vier Klaftern tief, ein ungeheurer Schatz -liegt, fast ganz in Golde, nur wenige Edelsteine darunter. -Es sind zwei große eiserne Kasten, auf dem einen -<a id="page-212" class="pagenum" title="212"></a> -ist eine Inschrift, aber so verrostet, daß ich die Buchstaben -nicht recht zusammenbringen kann. Aber im zweiten -Kasten befindet sich ein geschriebenes Blatt, welches Alles -erklärt. -</p> - -<p> -Wie sind aber diese Schätze hieher gekommen? fragte -Wolfsberg; und weßwegen hier verscharrt? -</p> - -<p> -Schwer zu sagen ist es, sagte Friedrich, denn Sie -begreifen doch so viel, daß ich in die Vergangenheit, in -ein Nichts, das weder Körper noch Geist hat, nicht so -hinein sehn kann, wie in einen Menschen, oder in ein -Kellergewölbe. Doch, Spaß apart, wollen Sie mir helfen -oder nicht? Glauben Sie mir, oder nicht? Wenn -Sie nicht dran wollen, suche ich einen andern Gehülfen, -oder verschweige die Sache noch Jahre lang, wie ich denn -bisher ein Geheimniß daraus gemacht habe. -</p> - -<p> -Und was soll ich also thun, wenn ich Ihnen glaube? -</p> - -<p> -O Fragen und kein Ende, rief Friedrich in der größten -Ungeduld, ich habe Ihnen ja schon neulich meine -Schultern gezeigt, wie schwach, meine Arme, wie dünn -sie sind. Ich habe es schon oft versucht; aber ich kann -nicht graben, ich bekomme auch gleich den Husten, wenn -ich stark arbeite. Hier, ungläubiger Thomas, ist das -Grabscheit! Machen Sie sich dran und grübeln Sie -nicht weiter; in acht Tagen sind wir die reichsten Männer -im Lande, und dann können wir den Director und -alle Narren da oben auslachen. -</p> - -<p> -Wolfsberg bequemte sich und arbeitete mit der größten -Anstrengung einige Stunden. Als er es kaum mehr -vermochte, rief Friedrich: für heute genug! Schlafen -Sie nun gesund, denn man muß uns nicht vermissen. In -der nächsten Nacht werde ich Sie wieder zur Arbeit -abrufen. -</p> - -<p> -<a id="page-213" class="pagenum" title="213"></a> -Müde und ermattet, wie am ganzen Leibe zerschlagen -ging der junge Mann, der an dergleichen Anstrengungen -nicht gewöhnt war, auf sein Zimmer, und legte -sich nieder. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Der Rath Walther hatte sich indessen mit dem Arzte -auf die Reise begeben. Ihr Weg führte sie durch anmuthige -Gegenden, und Walther wurde nicht müde, seinen -Begleiter von der Trefflichkeit des jungen Raimund -zu unterhalten. Der Arzt war sehr darauf gespannt, einer -so wunderbaren Erscheinung im Leben zu begegnen; -nur fürchtete er, ihre feine Harmonie jetzt durch Schmerz -und Wahnsinn zerrissen zu finden. Manchmal stieß mir -wohl ein Zweifel auf, ob die Schilderungen des Rathes, -der in allen andern Dingen, außer dieser Verherrlichung -seines jungen Freundes, ein ruhiger und kalter Mann -war, nicht übertrieben poetisch seyn möchten. Sie näherten -sich jetzt dem Dorfe, in welchem der junge Mensch -leben sollte. In den engen Wegen des Gebirges fiel der -Wagen um, und der Arzt ward am Fuße beschädigt; -zwar nicht bedeutend, aber doch so, daß er einen Ruhepunkt -zu erreichen wünschen mußte. Dies verdroß ihn -um so mehr, da er in einer Waldschenke einen Mann -gesprochen hatte, der ihm eine so seltsame Schilderung -von einem jungen Wildfang gemacht hatte, welcher sich -seit einiger Zeit in den dortigen Gegenden aufhalten -sollte, daß er kaum daran zweifeln durfte, es sei der junge, -ihm entsprungene Graf Birken. Der Rath erbot sich, den -kurzen Umweg zu machen, indessen ihn der Arzt bei jenem -Landprediger erwarten sollte, bei welchem man den -jungen Raimund anzutreffen hoffte. -</p> - -<p> -<a id="page-214" class="pagenum" title="214"></a> -Der Arzt ließ sich bei dem Pfarrer melden, den er -in einer Laube seines Gartens antraf. Nach den gewöhnlichen -Begrüßungen leitete der Fremde die Unterredung -auf den jungen Mann, welcher der Obhut des Geistlichen -anvertraut sei; der Pfarrer schien aber kein großes Interesse -an diesem Gespräche zu nehmen und sagte endlich: -ja, seit einem Jahre etwa hält sich ein etwas confuser -Mann bei mir auf, dessen <span class="antiqua">ingenium</span> und <span class="antiqua">mens</span> nicht -zum Besten bestellt sind, und um den ich mich auch wenig -kümmere, außer daß er uns bei Tische oft seine <span class="antiqua">joci</span> -vormacht. Ich erhalte von dessen alten Domestiken eine -anständige Pension, und so lasse ich ihn gewähren; denn -es ist nicht meines Thuns, mich viel mit Narren einzulassen, -oder sie gar curiren zu wollen. Der alte <span class="antiqua">servus</span> -führt eigentlich ganz die Aufsicht über den Verwirrten, -und mit wem sich dieser am meisten einläßt, ist unser -gnädiger Junker, der freilich auch mit aller Macht zur -<span class="antiqua">dementia</span> inclinirt. Diese beiden Thoren, wenn sie einmal -bei Sonntagslaune sind, machen mir zuweilen mein -kleines Haus zu enge. -</p> - -<p> -Wissen Sie aber nichts Näheres von den Schicksalen -des jungen Mannes? fragte der Arzt. -</p> - -<p> -Urtheilen Sie selbst, verehrter Herr, erwiederte der -Geistliche, ob eine solche Creatur, der es am Besten gebricht, -wohl absonderliche Schicksale haben könne. Diese -Personen sind ja recht eigentlich <span class="antiqua">fruges consumere nati</span>. -Wir nennen ihn nur kurzweg immer den Werther. -</p> - -<p> -Werther? fragte der Arzt sehr lebhaft. -</p> - -<p> -Ja, mein Herr, fuhr jener fort, dieses ist ein Spitzname, -der aus einem gewissen Buche entlehnt seyn soll, -welches unsre junge Baronesse einmal gelesen hat. Derselbe -trieb sich auch immer, wie man mir sagte, in Wald -<a id="page-215" class="pagenum" title="215"></a> -und Flur herum, statt in vernünftiger Societät ein Wort -mitzusprechen, eine Pfeife zu rauchen und etwa zu hören, -was es in der politischen Welt Neues giebt. -</p> - -<p> -Sie scheinen kein Freund der Natur zu seyn, warf -der Reisende ein, und bewohnen doch selbst eine der reizendsten -Gegenden unsers Vaterlandes. -</p> - -<p> -Natur! rief der Pfarrer aus; das Wort ist etwa seit -40 Jahren in die Mode gekommen, und so weit ich habe -das Verständniß davon erreichen können, meint man -darunter einen etwanigen Bach oder Fluß, sammt Berg -und Steingeschichten, oder die Waldsachen und dergleichen. -Hat mich nie sonderlich interessirt, weil ich mich immer -bestrebt habe, ein denkendes Wesen vorzustellen. Und unser -Werther, wie ihn die jungen Leute heißen, oder Theophilus, -wie sein eigentlicher Taufname lautet, weiß auch -weder, ob Frühling oder Herbst ist, ob die Bäume blühen -oder dürr sind, ob die Bergwand aus Granit oder -Marmor besteht, sondern er läuft nur, wie ein Uhrwerk, -so hin und her. -</p> - -<p> -Der Alte war mit allerhand Papieren und Briefschaften -beschäftigt, die er in einem Tischkasten zu ordnen -suchte, und der Arzt sagte indessen zu sich: Der Aermste! -Also auch diese Empfindung ist in ihm untergegangen, -die sonst dem Unglücklichen so oft einen heiligen Trost -gewährt! Denn der Natur gegenüber verklärt sich jeder -Schmerz, der uns unter Menschen, in den Mauern der -Städte oft zu vernichten droht, und verwandelt sich in -ein himmlisches Wesen, in eine Erscheinung von oben -herab. Wie eine Himmelsharfe tönt die Natur Freude -und Leid mit, und setzt unsre stummen Seufzer, die -Worte der Klage in überirdische Musik um. -</p> - -<p> -In diesen Phantasieen, die wohl so schnell in ihm -<a id="page-216" class="pagenum" title="216"></a> -antönten, weil er so lange mit dem fast schwärmerischen -Rathe gereiset war, wurde er wieder vom Pfarrer unterbrochen. -Verzeihen Sie mir, sagte dieser, daß ich Sie so -schlecht unterhalte, jeder macht so seine Studia. Dieselben -haben sich wohl niemals mit der Astrologia eingelassen? -</p> - -<p> -Nein, antwortete der Arzt. -</p> - -<p> -Sehr Schade, fuhr jener fort, daß diese Wissenschaft -seit neueren Zeiten so ist vernachlässiget worden. Ich habe -sie immer bewährt gefunden. Und so sehe ich hier wieder -das Horoskop an, welches ich meiner Tochter bei ihrer -Geburt stellte. Ich prognosticirte damals, daß sie -sich in einen hohen Stand erheben würde, und sie ist -nun auch wirklich glückliche Braut eines vornehmen Mannes. -Das hat mir auch den Geist so eingenommen, daß -ich fast nicht capabel bin, eine recht fortgesetzte Conversation -zu führen. Doch da kommt ja unser Theophilus -mit seinem alten Gesellschafter. Der junge Mann ist eine -Zeit lang in einer andern Familie sehr gemißhandelt -worden; man darf ihn nicht auf diesen Gegenstand bringen: -denn er wird zuweilen bitterböse, wenn er sich jener -Tage erinnert. -</p> - -<p> -Der Arzt stand auf und sah zu seinem Erstaunen -einen langen, nicht mehr jungen Mann eintreten, der sich -gebückt trug, und aus dessen regelmäßiger Physiognomie -die höchste Beschränktheit und Einfalt hervor leuchtete, -aber auch zugleich eine so heitre Jovialität, daß er von -Neuem an dem Rathe und dessen übertriebener Schilderung -irre ward. Der Einfältige gab dem Pfarrer die -Hand, sah den Fremden mit scheuem Blick von der Seite -an, ging dann auf ihn zu und fragte hastig: sind Sie -ein Edelmann? -</p> - -<p> -<a id="page-217" class="pagenum" title="217"></a> -Verzeihung, rief der Pfarrer dazwischen; ich habe -noch nicht einmal Gelegenheit gehabt, mich nach Ihrem -werthen Namen zu erkundigen. -</p> - -<p> -Doctor Anselm, sagte der Arzt. -</p> - -<p> -Ich dachte, Sie wären mein Vetter, rief der Einfältige, -weil Sie eine solche ästhetische superfeine Nase haben. -Zugleich sprang er in die Höhe, und schlug wie -ein muthwilliges Füllen mit den Beinen hinten aus. -</p> - -<p> -Der Arzt, der sich auf eine ganz andere Stimmung -vorbereitet hatte, mußte laut lachen, indem der Pfarrer -mißbilligend das Haupt schüttelte, und sehr ernste Runzeln -in sein Gesicht zog. -</p> - -<p> -Sehn Sie nur, sagte Theophil, indem er den Arzt -etwas bei Seite führte, das Perlmutter-Gesicht von meinem -alten Prediger; so debattirt er immer mit sich, als -ob er an einem Obscuranten-Almanach arbeitete. -</p> - -<p> -Sie drücken sich seltsam aus, sagte der Arzt, aber -vergnüglich. -</p> - -<p> -Er weiß nie, was er spricht, unser junger Freund, -rief der Prediger; weder kennt er die Bedeutung der -Worte, die er braucht, noch will er überhaupt etwas damit -ausdrücken. Es ist wie Wiederhall von Felsen, oder -Waldesbrausen. Mein ehrwürdiges Alter ist einmal immer -das Stichblatt seines falschen Witzbestrebens. -</p> - -<p> -Der Herr Prediger, sagte der Simple, hat eine rechte -Hosiannah-Stimme und sitzt so mächtig auf seiner Bank -da, als wenn er Habakuk und alle zwölf kleine Propheten -zu künftige Pfingsten confirmiren wollte. — Pankraz! -rief er dem alten Diener zu, du mußt mir wieder -Taschengeld geben! -</p> - -<p> -Haben Sie denn schon Alles ausgegeben? fragte dieser. -</p> - -<p> -Dummer Teufel! rief Theophilus; freilich! Denken -<a id="page-218" class="pagenum" title="218"></a> -Sie nur selbst, mein fremder Herr Vetter, draußen vor -dem Dorfe begegnen mir die Mädchen, die drüben in der -Stadt allerhand auf dem Jahrmarkt eingekauft hatten, -Tücher, Schürzen, Mieder, Hauben, Spielzeug für die kleinen -Geschwister. Sie hatten noch eine volle halbe Meile, -und ließen mich nun die Sachen herüber tragen. Wie -ich sie ihnen wieder abgab, mußte ich ihnen doch wohl -ein Trinkgeld geben, daß sie mir Alles so hübsch anvertraut -hatten? Aber Pankraz ist faul; der trug nichts, -und drum hat er auch sein Geld in der Tasche behalten. -</p> - -<p> -Das ist ein schöner Zug von Ihnen, sagte der Arzt; -sind Sie aber immer so vergnügt? -</p> - -<p> -Wie’s kommt, antwortete jener lachend; nur wenn -die Leute dumm sind, kann ich mich sehr ärgern, wenn -sie nicht capiren. Sehn Sie, es ist sehr traurig, wenn -man allein klug seyn soll. In Gesellschaft habe ich noch -einmal so gern Verstand. -</p> - -<p> -Sie denken trefflich, sagte Anselm. -</p> - -<p> -Was sagen Sie aber vollends dazu, schwatzte jener -weiter, daß wenn ich einmal so recht superklug bin, die -Leute mir beweisen wollen, ich wäre dumm? Nicht wahr, -die Welt liegt im Argen; wie unser Herr Pastor Kilian -letzt einmal in der Kirche sagte. -</p> - -<p> -Ich werde sorgen, daß Sie niemals mehr hinein gelassen -werden, rief der alte Mann. -</p> - -<p> -Ich bin ja aber doch ein getaufter Christ, sagte -Theophil mit der größten Ernsthaftigkeit und ging traurig -zum Prediger hin. -</p> - -<p> -Lassen Sie sich dienen, Herr Doctor, fuhr der Alte -fort, daß es nicht angeht, weil er sich laut mit seinem -Bedienten während des Gottesdienstes zankt. Was thut -er aber neulich? Indem ich in der Predigt aufsehe, hat -<a id="page-219" class="pagenum" title="219"></a> -er unsern Hund in meinen Sitz gebracht, läßt den Pudel -aufrecht stehn, der nun über das Chor gucken und ein -Gesangbuch zwischen den Pfoten halten muß. Heißt das -nicht die Gemeine stören? -</p> - -<p> -Ich bin ja aber doch ein getaufter Christ! sagte der -Angeklagte mit weinerlicher Stimme. Der Arzt, der eine -ernsthafte Wendung des Gespräches fürchtete, fragte den -Klagenden, was das neulich gewesen sei, wo er so allein -klug, und die Andern dumm gewesen wären. Ja so! -sagte Theophil plötzlich laut lachend; das war eine lustige -Geschichte! Die Mamsell Kilian hatte mir ganz -neue Schnupftücher gekauft. Nun sollte ich den andern -Tag mit dem Junker auf den Fischfang gehn, da nahm -ich mir vor, den Pankraz zu erinnern, daß er mich erinnern -sollte, damit ich es nicht vergessen möchte. Um -aber auch gewiß daran zu denken, daß ich ihn zu rechter -Zeit erinnern möchte, damit er mich ja erinnern könnte, -machte ich einen Knoten in mein Schnupftuch. Sie wissen -ja, das ist ein altes Herkommen, wenn man etwas -nicht vergessen will. -</p> - -<p> -Ja wohl. -</p> - -<p> -Nun gut; ich wache den Morgen auf, da finde ich -den Knoten. Da besinne ich mich auch gleich, daß ich -den Pankraz erinnern muß. Pankraz, du sollst mich an -was erinnern! Ganz recht, gnädiger Herr, Sie wollen -mit dem Junker auf den Fischfang gehn. Ich geh’ auf -den Fischfang und denke nichts Böses. Den andern Tag -aber ist der Knoten noch im Tuche. Das ängstete mich, -denn es gab nun nichts mehr zu erinnern, und wenn ich -den Knoten anfaßte, wollte ich mich immer auf etwas -besinnen. Den Knoten hatte ich aber so fest gezogen, -daß ich ihn gar nicht wieder aufkriegen konnte. So -<a id="page-220" class="pagenum" title="220"></a> -nehm’ ich im Verdruß eine Scheere, und schneide bloß -den Knoten, verstehn Sie, bloß den Knoten ab, und werfe -ihn aus dem Fenster. Wie nun das Tuch wieder gewaschen -ist, sagt die Mamsell sammt allen Menschen im -Hause, ich hätte es entzwei geschnitten; es fehlte auch -wirklich ein großes Stück davon. Nun sagen Sie selbst, -ob ich etwas dabei versehn habe, und wer Recht hat! -</p> - -<p> -Der Knoten, sagte der Arzt, war aber doch natürlich -vorher ein Stück des Tuches, folglich mußte dieses nachher -fehlen. -</p> - -<p> -Sie begreifen nicht! sagte Theophil im großen Zorn, -und faßte die Hand des Arztes heftig und stark; ich -schnitt ja nicht das Tuch ab, sondern nur den Knoten, -den ich erst hinein gemacht hatte, der vorher nicht drin war. -</p> - -<p> -Wir wollen nicht streiten, sagte Anselm, Sie können -wohl Recht haben; ich habe bisher dieses Experiment -noch nicht gemacht, und Vieles begreift man gewiß erst -durch die Erfahrung. -</p> - -<p> -Hat man Ihnen wohl schon einmal Gesellschaft geleistet? -fragte der junge Mann mit listiger Miene. -</p> - -<p> -O ja, sagte der Arzt, mehr als einmal; und Sie -leisten mir jetzt eben auch Gesellschaft. -</p> - -<p> -Sie würden sich dafür bedanken, fuhr jener fort, -wenn ichs in der Manier thun wollte, wie mein Gesellschafter -Walz da drüben in der kleinen Stadt mir die -Zeit vertrieb. Da sagten sie, ich müßte einen Gesellschafter -haben. Da kam Herr Walz, der dazu bestellt -war. Das gab ein Gesellschaftsleisten, daß mir des Abends -alle Rippen weh thaten. -</p> - -<p> -Wie so? -</p> - -<p> -Er schlug immer um sich, und wir konnten uns gar -nicht vertragen; aber ich durfte ihn niemals wieder prügeln. -<a id="page-221" class="pagenum" title="221"></a> -Ja, wie gern möcht’ ich ihm auch einmal so recht -Gesellschaft geleistet haben! Wenn ich verdrießlich war, -schlug er; war ich nicht aufgeräumt, ließ er mir zur Ader; -ein paar Mal ließ er mir auch Zähne ausziehn, — die -beiden hier: weil er sagte, ich wäre zu böse, die Zähne -wären schon nichts nütz und thäten mir nur jetzt oder in -Zukunft einmal weh. Den andern habe ich einmal beim -Essen verloren. -</p> - -<p> -Aber diesen Augenzahn hier? fragte der Arzt. -</p> - -<p> -Der fehlte mir schon, antwortete jener ganz ruhig, -vor meiner Zeit. -</p> - -<p> -Vor Ihrer Zeit? Wie verstehn Sie das? -</p> - -<p> -Lieber Himmel, Sie sind recht schwer von Begriffen! -Vor meiner Zeit — ach! lassen Sie mich zufrieden und -haben Sie mich nicht zum Narren! sagte er ganz böse. -</p> - -<p> -Verzeihen Sie, fiel der Arzt ein, ich verstehe Sie -jetzt schon; ich begreife nur langsam, wie Sie ganz richtig -bemerkten. -</p> - -<p> -Haben Sie die Naturwissenschaft studirt? fragte der -junge Mann wieder ganz heiter. -</p> - -<p> -O ja, sie ist mein Hauptstudium. -</p> - -<p> -Nun, dann gratulire ich, sagte jener laut lachend. -Sind Sie auch brav darin herumgewalzt worden? -</p> - -<p> -Herumgewalzt? -</p> - -<p> -Sie capiren schon wieder nicht! Brav abgewammst, -tüchtig gedroschen! Sie verstehn nun schon, so wie es -mir dabei mit meinem Gesellschafter Walz ergangen ist. -</p> - -<p> -Er nahm also die Sache so ernsthaft? -</p> - -<p> -Ja freilich. Er sagte, er müsse mir die Botanik beibringen. -Es war aber eigentlich die <em>Batonik</em>, weil er -den lieben Baton so sehr dabei brauchte. Da krochen wir -herum und suchten Petersilie und Wurstkraut, Rüben und -<a id="page-222" class="pagenum" title="222"></a> -Knoblauch, und das sollte ich immer alles behalten. Ein -ander Mal fing er einen Maikäfer. Seht, das ist ein -Maikäfer. Ja, sagt’ ich, das ist ein Maikäfer. — Zu -welchem Geschlecht gehört er? — Doch wohl zum Geschlecht -der Maikäfer. — Sehn Sie, da brach er gleich -einen Haselzweig ab, und demonstrirte mir die Sache auf -meinem Rücken. Der wurde überhaupt dazumal so magnetisirt, -daß er fast so hellsehend geworden wäre, daß die -Sonne durch ihn hätte hindurch scheinen können. Sagen -Sie mir überhaupt nur, wenn einer im Kopfe nicht zu -Hause ist, warum man dann immer auf dem Rücken, -oder noch tiefer anklopft. Sollte denn der Geist da allenthalben -lieber als in der höhern Etage wohnen? — -Nun gut; dann gingen wir in den Wald. Da unten -liegt, schrie er, der berühmte Linné, oder auch Pistillen, -oder dergleichen alberne Gelehrtennamen. Wenn ichs nicht -behielt, von der Buche ein Zweig gebrochen, und damit -wieder Privatstunde gehalten. Ich war nur froh, wenn -das Botanisiren im Freien geschah, da war doch etwa nur -ein Gesträuch zur Hand. -</p> - -<p> -Sie haben also, sagte Anselm, in dieser Wissenschaft -auf dem Wege nichts profitiren können? -</p> - -<p> -Doch, antwortete jener; aber Alles, worauf es mir -auch nur abgesehn schien, mit dem <em>Rücken</em>; denn der -kriegte durch vieles Repetiren der Studien eine so feste -Memorie, daß ich noch jetzt bei jedem Stocke unterscheiden -will, auf welchem Baume er gewachsen ist. Sie glauben -nicht, wie anziehend die frischen Haselgerten sind! -Weiden schmiegen sich mehr, sind aber weniger eindringlich. -Die Eiche klingt mächtig, als Baum der deutschen -Freiheit; es läßt sich aber nicht viel damit ausrichten; -der Walz konnte auch immer nur die dürren Zweige -<a id="page-223" class="pagenum" title="223"></a> -abbrechen, die fast gar nichts zu sagen haben. So ist es -auch mit der Tanne und Fichte nicht viel. Die Buche -ist körnig; die Birke, besonders im Frühjahr, empfindlich; -auch wächst das Zeug, wo kein andrer Baum fortkommt, -steht also fast immer zur Hand. Von allen diesen Stauden -und Gewächsen brach er seine Wünschelruthen, und -alle schlugen immer auf meinen Rücken an, so daß in -meinem Innern große Schätze verwahrt liegen müssen. -Er schonte auch die mitleidige Trauerweide, die vornehme -Weihmuthskiefer nicht; ja selbst der Tulpenbaum mußte -ein paar Mal das Instrument zu meiner Weihe reichen; -und so kann ich gewiß, da gar kein Tergiversiren etwas -fruchtete, auf eine recht pragmatische und polyhistorische -Bildung Anspruch machen. — Als ich mich genug durchstudirt, -und er alle Naturreiche durchgeprügelt hatte, -wurde ich hieher zu dem friedfertigen Herrn Kilian gethan; -und hier ruhe ich auf meinen Lorbeern aus, die ich -noch manchmal in Rippen und Seiten fühle. -</p> - -<p> -Es freut mich, daß Sie so fröhlich sind, sagte der -Arzt; haben Sie Appetit, schlafen Sie gut? -</p> - -<p> -Ich danke, sagte jener; bald so, bald so; aber ich -träume oft schwer und fürchterlich, und tobe dann und -lärme in der Nacht. So hatte ich auch diese Nacht einen -ängstlichen Traum. -</p> - -<p> -Was war das für ein Traum? -</p> - -<p> -Pankraz! rief Theophil dem Diener zu: was träumte -mir diese Nacht? -</p> - -<p> -Der Alte trat näher und sagte verdrießlich: das kann -ich nicht wissen. -</p> - -<p> -Sehn Sie den eigensinnigen Menschen, rief Theophil -aus, ich lasse ihn bloß deßwegen in meiner Stube schlafen, -daß er alles wissen soll, was ich denke und träume; -<a id="page-224" class="pagenum" title="224"></a> -aber er ist so träge, daß er sich fast nie darum bekümmert. -Wenn Du es nicht weißt, wer soll es denn wissen? Dazu -sollst Du die Aufsicht über mich haben! -</p> - -<p> -Es ist aber nicht möglich, ereiferte sich Pankraz. So -wollen Sie auch immer von mir wissen, was Sie denken, -oder gedacht haben; wie soll ich das anfangen? -</p> - -<p> -Durch Liebe, einfältiger Mensch! rief jener aus. Du -sollst mit mir so eins werden, daß wir unsre Seelen gemeinsam -haben, dann wird es mir weniger sauer werden, -über Vieles nachzusinnen; denn dann denk’ ich in Dir, -und Du hast bloß die Mühe davon. -</p> - -<p> -Dann müßte ich aber auch für uns Beide essen; -sagte Pankraz mit Lächeln. -</p> - -<p> -Nein, erwiederte Theophil; das würd’ ich gern übernehmen, -und zwar in Deinem Namen mit; ich die Wurzel -und der Stamm, Du die Blume und Frucht. -</p> - -<p> -Bei dieser Stimmung schien es dem Arzte möglich, -den Kranken über den Gegenstand zu prüfen, den zu berühren -er außerdem ängstlich würde vermieden haben. Er -ging also näher und fragte ihn leise: haben Sie lange -keine Nachrichten von Blanka erhalten? -</p> - -<p> -Blanka? rief Theophil aus; das ist ja wohl ein weißes -Windspiel, das ich vor langer Zeit hatte? -</p> - -<p> -Blanka? nahm der alte Diener das Wort, indem -er den Arzt prüfend betrachtete: wissen Sie von der -etwas? -</p> - -<p> -Anselm begegnete dreist dem stechenden Blicke des Alten, -und meinte nun fast nichts mehr schonen zu dürfen. -Er sagte daher: ich wünsche bloß etwas Näheres von -Blanka und Raimund zu erfahren, deren trauriges Schicksal -mich sehr interessirt hat. -</p> - -<p> -Pankraz schlug die Augen nieder und sagte: ich weiß -<a id="page-225" class="pagenum" title="225"></a> -nichts von ihnen; aber Theophil fiel plötzlich in eine tolle -Laune, hüpfte auf einem Beine herum, schwenkte den Hut -und schrie halb singend: Da hinter des Priesters Garten, -da ist ein Wiesenplan, da stehn rings Weiden und Birken, -ein Wasser rauscht fließend daran; da schreien Kuckuck und -Staare, da schaut wohl der Hirsch aus dem Busch; es ist -ein liebes Plätzchen, voll Einsamkeit und Schatten genug. -Da kommen in Herbstestagen, wenn welkes Laub schon -rauscht, die liebe Fräulein Blanka, der Monsieur Raimund -zusamm. Sie sehn sich mit weinenden Augen, sie drücken -sich zärtlich die Hand; da giebt es herzig Umarmen, -da finden sie wieder Verstand! — Er schrie und sang -immer lauter, so daß der alte Pfarrer aufstand und rief: -um des Himmels willen, junger Herr, in welcher Spinnstube -haben Sie die alte Ballade wieder aufgehascht? -</p> - -<p> -Das hab’ ich selbst gedichtet, jetzt eben, schrie Theophil -erfreut. Pankraz, behalt’ es ja, wir wollen es nachher -dem Junker vorsingen. -</p> - -<p> -Ich weiß kein Wort davon, sagte Pankraz, vom Kuckuck -war was in der Ode, und daß Sie gern Verstand -haben möchten. Da kommt der Junker! -</p> - -<p> -Ohne den Eingang zu suchen, sprang in diesem Augenblick -ein junger Bursche über den Zaun, mit rothem Gesicht, -ohne Hut mit Papierwickeln in den Haaren. Da -sind wir wieder, schrie er ungezogen, guten Tag, Tissel, -ach! Herr Pastor, wären Sie doch mit uns gewesen; da -hätten Sie disputiren können! -</p> - -<p> -Wo wart Ihr, lieber Görge, fragte Theophil. -</p> - -<p> -Ach! liebster Freund, fuhr dieser jubelnd fort, unsre -ganze Familie hat seitdem an den Narren dort den Narren -gefressen; nur die Mama will nichts davon wissen, -<a id="page-226" class="pagenum" title="226"></a> -und ist auf uns alle, vornehmlich auf den Papa böse, daß -er uns so ein schlechtes Beispiel giebt. -</p> - -<p> -Mein lieber Junker, sagte der Pfarrer sehr ehrbar, -mit Narren würde ich niemals disputirt haben; denn sie -haben keine Logik. -</p> - -<p> -Es waren auch nicht so eigentliche Narren, sagte -Görge, sondern eine Art Künstler. Ich sage Ihnen, der -Papa war ganz eingenommen, und sie hatten da oben -einen Mann, der den Leuten das Reden beibringen -konnte. -</p> - -<p> -Heisa! Heisa! Dort kommt erst der rechte Windbeutel, -rief Theophil laut jubelnd; der und ich, wir sind die -beiden größten Narren im Römischen Reich; das Kloster -da oben, wo unser Herr Kilian disputiren soll, in allen -Ehren gehalten. -</p> - -<p> -Reden Sie mit Verstand, sagte der Geistliche, und -respectiren Sie in dem verehrten Herrn Grafen den Bräutigam -meiner Tochter. -</p> - -<p> -Auf einem kleinen Schimmel sprengte ein junger -Mensch heran, hüpfte aus dem Sattel, und eilte in die -Umarmung des Pfarrers, indeß schon aus dem Hause, -mit der Küchenschürze angethan, ein rothhaariges Mädchen -herbei stürzte, und Vater und Geliebten zugleich umschloß. -Die Gruppe fuhr aus einander, als sich jetzt der -Arzt, so schnell es sein verwundeter Fuß erlaubte, ihnen -näherte. Ist es möglich, Graf Birken, daß wir uns hier -wieder treffen? Auf Sie hatte ich heute nicht gerechnet. -Der junge Mensch sah sich schnell um, stieß seinen Schwiegervater -so hastig vor den Bauch, daß dieser wieder in -die Laube zurück taumelte, warf mit demselben Ungestüm -die kleine dicke Braut von seinem Halse, ergriff den -Schimmel, und ehe die Umstehenden sich noch recht besinnen -<a id="page-227" class="pagenum" title="227"></a> -konnten, war er im gestreckten Galopp schon aus dem -Dorfe hinaus. -</p> - -<p> -Ein Pferd! rief der Arzt. Setzt ihm nach! -</p> - -<p> -Was haben Sie für Ansprüche an meinen Schwiegersohn? -fragte der Pfarrer, der sich wieder gesammelt -hatte. -</p> - -<p> -Der Windbeutel reitet einmal! schrie Theophil -jauchzend. -</p> - -<p> -Um des Himmels willen ein Pferd! rief der Arzt; -kommt er uns aus den Augen, so haben wir ihn Alle -für immer verloren. -</p> - -<p> -Verloren! schrie die Braut und rang die Hände. -</p> - -<p> -Sei still, mein Kind, rief der Geistliche; morgen ist -die Trauung, und kein fremder Mensch, mag er sich auch -Doctor nennen, hat das Recht, Dir Deinen Bräutigam zu -entreißen. -</p> - -<p> -Der Mensch ist ein Narr! rief der Arzt heftig aus, -und nun er mich hier gesehen hat, kommt er gewiß nicht -wieder. -</p> - -<p> -Lästern Sie unsre Familie nicht! rief der Pfarrer noch -heftiger, Sie fremder, unbekannter, hergelaufener Herr; -und wenn mein Schwiegersohn Ihretwegen nicht wieder -kommt, so gebe ich Ihnen meinen Fluch, Sie Gottloser! -</p> - -<p> -Theophil und Görge waren von diesem Gezänk auf -das Höchste erbaut; denn sie kannten keinen größern Genuß, -als den alten Pfarrer im Zorn zu sehen. Die -Tochter hatte verzweiflungsvoll den Garten verlassen. Ein -Wagen fuhr in den Hof, und der Rath Walther, in gespannter -Eile, ohne die Andern zu begrüßen, kam herbei -gelaufen, und rief schon von Weitem dem Arzte zu: wo -ist er? — „Wieder ein neuer Windbeutel! Heute haben -wir die Hülle und Fülle!“ jubelte Theophil. — Der Arzt -<a id="page-228" class="pagenum" title="228"></a> -ging ihm entgegen, indem er sagte: dort steht ja Ihr Liebling. -— Dieser da? fragte der Rath, indem er den Einfältigen -nur flüchtig betrachtete. Ach! Pankraz! rief er -dann höchlich überrascht; Du hier? Sage mir, wo ist -Raimund? -</p> - -<p> -Der Diener war verwirrt und erschrocken, und konnte -erst keine Antwort finden; endlich stotterte er: Sie wissen -es ja wohl, Herr Rath, daß ich, als ich damals plötzlich -aus den Diensten des Herrn Raimund mußte. — -</p> - -<p> -Recht, sagte der Arzt; der Baron Eberhard gab Dir -den Abschied wegen des unglücklichen Einfalls, daß Du -dem kranken Jüngling die falsche Nachricht vom Tode seiner -Geliebten überbrachtest. -</p> - -<p> -Nun also, sagte Pankraz; seitdem habe ich von dem -jungen Herrn nichts wieder gesehn und gehört. Es ist -mir seitdem schlimm genug gegangen. -</p> - -<p> -Aber wie kommst Du hieher? -</p> - -<p> -Es ist mein Pankraz, rief Theophil, mein Gesellschafter; -aber nicht in der Walzmanier. -</p> - -<p> -Wie heißen Sie? fragte der Rath. -</p> - -<p> -Du, Pankraz, rief Theophil, wie heiß’ ich doch? Ich -kriege alle Augenblicke einen andern Namen. -</p> - -<p> -Sie sind, sagte der Diener, der Herr Theophil von -Leitmark. -</p> - -<p> -So, sagte der Thor, ich dachte Ebermann, Hardeber, -oder sonst. Nun, mir kann’s gleich gelten. -</p> - -<p> -Der Arzt hatte sich wieder gesammelt, nahm Abschied -vom Pfarrer, bat der Störung wegen um Verzeihung, -und zog dann halb gewaltsam den Rath zum Wagen. -Lassen Sie mich nur noch ein Wort mit Pankraz -sprechen, sagte dieser. Doch Pankraz und Theophil waren -eiligst verschwunden, und der Pfarrer erzählte, daß Beide -<a id="page-229" class="pagenum" title="229"></a> -oft Wochen lang in der Gegend, nahe und fern, auf ihren -Pferden umher streiften, und man alsdann nur selten erführe, -wo sie auf ihren thörichten Irrfahrten verweilten. -Der Arzt hob seinen Freund selbst in den Wagen und -sagte dann laut: Lassen Sie uns doch nun unser Ziel verfolgen, -den Grafen Birken suchen, nach Raimund spähen; -fahre Herr Theophil und sein Pankraz wohl, und sei unser -lieber Herr Pfarrer Kilian auf immer dem Himmel -befohlen; denn hieher werden wir auf keinen Fall wieder -kommen! Niemals, denn wir haben noch eine weite Reise -vor uns! -</p> - -<p> -Der Rath sah ihn verwundert an, und wollte fragen; -aber das Rollen des Wagens hinderte jetzt noch das -Gespräch, und sie hatten in kurzer Zeit das Dorf und die -Gegend verlassen. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Baron Wolfsberg hatte unterdessen fleißig arbeiten -müssen. Um sich nicht zu verrathen, durfte er am Tage -nicht so lange schlafen, als es ihm wohl gut und heilsam -gewesen wäre. Der kleine Friedrich führte eine strenge -Aufsicht über ihn und ermunterte ihn kräftig, wenn er -einmal ermatten wollte. Als das Geschäft des Eingrabens -schon weit gediehen war, zeigte sich die größte -Schwierigkeit darin, die aufgehäufte Erde, welche bei der -zunehmenden Arbeit immer hinderlicher wurde, fortzuschaffen. -Doch Friedrich wußte auch dafür ein Mittel. Es -gelang ihm, aus dem Garten einen Schiebkarren unbemerkt -zu entfernen, und in die unterirdischen Gewölbe zu befördern. -Da er aber selbst für die Arbeit viel zu schwächlich -war, so mußte der junge Baron auch das Geschäft übernehmen, -Sand und Erde herauf zu führen, und in die -<a id="page-230" class="pagenum" title="230"></a> -weit verbreiteten Räume der Keller zu verfahren und auszustreuen. -Gewöhnlich holte Friedrich den nächtlichen Arbeiter -schon vor eilf Uhr ab, und ließ ihn erst gegen vier -Morgens zurück kehren, so daß auch Wolfsberg durch den -wenigen Schlaf, da überdieß die Kost nicht die nahrhafteste -war, sich nach wenigen Wochen ziemlich abgemattet fühlte. -Er wurde mager, still und melancholisch, und sah dem -jungen frischen Manne und dem übermüthigen Weiberliebling -kaum mehr ähnlich, in dessen Gestalt er zuerst -das Haus betreten hatte. Der Director schaute ihn oft -prüfend an, untersuchte seinen Puls, und erkundigte sich -theilnehmend, ob ihn ein besonderer Gram quäle. Wolfsberg -aber, der sich schmeichelte, bald das Ziel seiner Anstrengungen -erreicht zu haben, wich allen prüfenden Fragen -sorgfältig aus. -</p> - -<p> -Zu einer Mittagsstunde ward der junge Mann dadurch -überrascht, daß ihn sein getreuer Friedrich an den -Tisch des Directors zum Essen einlud. Er fand dort nur -eine kleine Gesellschaft, und außer dem Wirthe nur einen -schmächtigen, ziemlich alten Prediger aus der benachbarten -Stadt, der zuweilen in einer Capelle des großen Hauses -den Verwirrten predigte und sie zu ermahnen und bekehren -suchte, meist aber durch possierliche Störungen gehemmt -und unterbrochen wurde. Außer Wolfsberg war nur noch -Herr Kranich gewürdigt worden, an diesem kleinen vertraulichen -Tische Platz zu nehmen; Friedrich war mit zur -Aufwartung zugegen. Sie sehn, meine Herren, fing der -Director mit einer heitern Miene an, die man nicht an -ihm gewohnt war, ich behandle Sie heute als Männer, -die sich selbst in der Gewalt haben. Der Herr Pastor und -ich hoffen von Ihrer Unterhaltung Vergnügen und Aufheiterung; -<a id="page-231" class="pagenum" title="231"></a> -denn sich in diesem großen Hause immer so -einsam zu fühlen, ist wahrlich nicht erfreulich. -</p> - -<p> -Wohl, sagte der Pfarrer schmunzelnd; und es will -mir oft vorkommen, als wenn unsre Freunde nur etwas -mehr kräftigen Willen haben dürften, um so wie wir Andern -zu seyn; aber ich versichre Sie, Herr Director, und -Ihre eigene Beobachtung wird es Ihnen auch bestätigt -haben, daß die leidige Eitelkeit, der Stolz auf irgend eine -Grille, die man nicht ablegen will, sehr viel, ja bei manchen -unsrer Patienten wohl das Allermeiste thut. -</p> - -<p> -Friedrich mußte dem Baron, so wie dem Herrn Kranich -Wein einschenken, damit sich beide, vorzüglich der -junge Graf, wie ihn der Director nannte, stärken möchten. -Freilich haben Sie Recht, Herr Pastor, setzte dieser das -Gespräch fort; denn wer von uns fühlt wohl nicht, daß -er sich nur nachgeben und verweichlichen dürfte, um diese -oder jene Seltsamkeit auf die wunderlichste Art auszubilden, -und dadurch bei stärkern Menschen Anstoß oder Lachen -zu erregen? -</p> - -<p> -Mein Herr Director, antwortete der Geistliche, es ist -überdieß im Thörichten (Verzeihung, meine Herren, daß -wir so offen über diesen Gegenstand sprechen) etwas so -Anlockendes, fast Liebliches, daß man zuweilen recht im -ganzen Wesen den unwiderstehlichen Reiz spürt, mit beiden -Beinen frisch und wohlgemuth hinein zu springen. -Soll ich? Soll ich nicht? so fragt man sich selbst. Warum -nicht? sagt eine curiose Stimme, aus dem fernsten -und buntesten Winkel unsers Geistes; tausend! ruft es, -was kannst du da erfahren, und dich genießen, ja erst -recht verstehen, wenn du der Altklugheit ein Schnippchen -schlägst. Aber zum Glück kommt dann wieder eine ehrbare, -aschgraue Moral, die mit ernster Miene sagt: widerstehe -<a id="page-232" class="pagenum" title="232"></a> -dem Verführer und seiner Lockung, laß dich nicht -in die Kellergewölbe des Wahns führen, wo trotz aller -Versprechungen keine Schätze liegen! -</p> - -<p> -Kellergewölbe? fragte Wolfsberg und wurde roth; -wie kommen Sie nur auf dieses Gleichniß, das mir hier -gar nicht passend scheint! -</p> - -<p> -Der Director sah ihn schon wieder mit dem prüfenden -Blicke an, und Friedrich machte ihm gegenüber eine -so seltsam bittende Miene, seine beiden Wangen zitterten -und zuckten, die Lippen schmiegten und krümmten sich -wie ein Wurm, und die Augen zwinkelten so bedeutend, -daß Wolfsberg in das lauteste Gelächter ausbrechen -mußte. -</p> - -<p> -Gebe der Himmel, sagte der Director, daß unsre -Mahlzeit mit der Heiterkeit schließe, mit welcher sie anzufangen -scheint. Gewiß, fiel der Prediger ein, ist zu -wünschen, daß wir so fröhlich bleiben mögen: aber um -fortzufahren, so kommt es mir noch immer nicht so ganz -ausgemacht vor, ob die Mania (wir wollen dies Wort -brauchen, um keinen Anstoß zu erregen) in uns Allen -liegt, und nur wie bei den Lastern durch Nachgiebigkeit -befördert und gereift wird, so daß der gewöhnliche Verstand -nur in gewissen Graden von ihr entfernt seyn möchte: oder -ob sie eine radicale Verschwiegenheit, ein wahrhaft kranker -Zustand, ein andres und schiefgerichtetes Verhältniß -der Seele ist. -</p> - -<p> -Das Letzte und auch zugleich das Erste, meinte der -Director, und darum sei auch die Cur leicht und schwer -zugleich: leicht, weil man sich den Verirrten nur hingeben -müsse, sie zu verstehn suchen, da immer noch Verständniß, -oft eine Art System zum Grunde liege, sie achten, ihnen -zur passenden Zeit nachgeben, ein ander Mal Strenge üben; -<a id="page-233" class="pagenum" title="233"></a> -und von dieser Seite sei wohl keiner ganz unheilbar zu -nennen: schwer sei die Cur aber, weil man die Symptome -oft mit dem Grunde der Krankheit verwechsle, den -Verirrten dann nur störe und kränker mache, — für ein -schwaches Gemüth aber, wie er selbst, sei sie dadurch am -schwersten, daß man, um diese Menschen zu verstehn, mit -dramatischem Geiste zu tief in sie eingehe, leicht in eine -Art Täuschung gerathe, und wenn man sich dann plötzlich -prüfe, sich selbst beinahe auf dem nämlichen Wege finde. -</p> - -<p> -O mir aus der Seele gesprochen! schmunzelte der -Geistliche; ach, Herr Medicinalrath, was sind Sie für -ein Menschenkenner! Da liegt freilich recht eigentlich der -Hund begraben, daß man, wie man im Trauerspiel weint, -indem man sich in die Confusion hinein denkt, selbst confus -wird. <span class="antiqua">Dis moi qui tu hantes etc.</span> Ja wohl, ja -wohl, ein wahres Sprichwörtchen! Ich habe schon zuweilen -die Meinung fassen wollen, daß, um als Seelsorger -auf die guten Leutchen zu wirken, einer gefunden werden -müßte, der, wenn auch nicht ganz in die Irre, doch -ein wenig jenseit der Schnur gerathen wäre, und doch noch -genug kräftige Religion übrig behalten hätte, um die -Seelen zu ergreifen. Denn das, bester Herr Director, ist -das Schlimme, daß, wenn man nicht selbst in ihren Orden -eingeweiht ist, man fast niemals die rechte Perspective -trifft. Sie wissen, wie ich in meinen Predigten gesucht -habe, in Ton, Geberde und Beispiel mich den armen -Drehschaafen zu nähern, aber manchmal zu wenig, oft -aber viel zu viel that; Sie selber machten einige Male -die Bemerkung, ich hätte wie ein wahrer Narr gesprochen. -Ich mußte Ihre eigne Seele freilich ganz aus dem Spiele -lassen; denn ich wußte ja, wie firm und kräftig Sie in -Moral, Tugend und allen Glaubenslehren sind. -</p> - -<p> -<a id="page-234" class="pagenum" title="234"></a> -Sie gaben einige Male ein schlechtes Beispiel, sagte -der Director; denn Sie lachten auf der Kanzel selbst aus -vollem Halse. -</p> - -<p> -Der ernsthafteste Mann hätte es nicht unterlassen -können, sagte der Prediger, von Neuem laut lachend. -Denken Sie, Herr Graf, wir hatten hier in unserm Hause -einen jungen Mann, der ein Baukünstler gewesen war; -er hatte aber eine so heftige Liebesleidenschaft zur Tochter -eines Perückenmachers gefaßt, daß er darüber sein Studium -verließ, und das Handwerk des Meisters ergriff; -da ihm aber das Mädchen untreu wurde, mit Erlaubniß -von Ihnen, so zu sagen, überschnappte. Nun bestand -seine Grille darin, sich und alle Menschen, die er dazu -bewegen konnte, auf die sonderbarste Weise zu frisiren. -An jedem Tage hatte er eine neue wunderliche Kopfverzierung -ersonnen, und ich glaube, daß ihn bei diesen mannigfaltigen -Erfindungen sein ehemaliges Studium der -Baukunst sehr unterstützte. Ich predige hier an einem -Pfingsttage, und sehe die liebe Gemeinde unter mir. Der -Verwilderte hatte sich furchtbar <span class="antiqua">à la Herisson</span> frisirt, so -daß ihm die Haare wie Borsten vom Kopfe weit weg -abstanden; sieben oder acht seiner Freunde standen und -saßen neben ihm mit hochaufgewirbelten Papillotten, ein -Anblick, der schon sonderbar genug war, weil viele Papierbündel -wirklich wie aufgerichtete Krämerdüten auf den -Köpfen leuchteten. Nun nahm aber er einen nach dem -andern von seinen Anhängern zwischen die Knie, und frisirte -ihn während meiner Predigt eben so fantastisch, wie -er selbst sich trug, so daß gegen das Ende der Rede ein -Theil meiner Andächtigen wie eben so viele wilde Teufel -aussahen, und ich des Lachens wegen, das mich befiel, -früher schließen mußte, als ich mir vorgesetzt hatte. -</p> - -<p> -<a id="page-235" class="pagenum" title="235"></a> -Friedrich wollte sich ausschütten vor Lachen, und der -Director erwiederte: so wie der Verstand, so hat die Narrheit -des Menschen keine Gränzen. Jetzt ist ein Mann -bei uns, der sich immer mit einem Maaßstabe herumtreibt -und ihn unablässig betrachtet und rechnet. Dieser Mensch -ist ziemlich wohlhabend und besitzt in der Stadt drüben -ein mittelmäßiges Haus. Es verdroß ihn aber, daß, wenn -er so manche größere Häuser des Ortes betrachtete, ihm -sein ererbter Wohnsitz nur winzig und unbedeutend erscheinen -mußte. Mit diesem Verdrusse schleppte er sich -Tag und Nacht, und wußte doch kein Mittel, dem Uebelstande -abzuhelfen. Endlich, weil er vor Hochmuth weder -mehr schlafen noch essen konnte, faßte er einen seiner Thorheit -würdigen Entschluß. An einem schönen Sommertage -geht er aus, miethet auf dem Markte vier der stärksten -Tagelöhner, und nimmt sie mit in seine Wohnung. Hier -führt er sie in sein größtes Zimmer; jeder von ihnen -muß sich gegen eine Wand stemmen und mit allen Kräften -dagegen drücken, bis er ihnen Halt zuruft. Sie empfangen -ihren Lohn, ohne zu begreifen, was sie gearbeitet -haben. Am folgenden Tage wird derselbe Versuch wiederholt; -sie müssen streben und drängen, daß ihnen der -Schweiß herab fließt, genau auf sein Commandowort achten, -und in demselben Augenblick alle zugleich zu drücken -aufhören, wie sie in demselben begonnen haben. So treibt -er es den ganzen Sommer; er erweitert nach und nach -alle Zimmer seines Hauses, die Gänge, die Treppen, den -Hof; und nachdem er so eine bedeutende Summe ausgegeben -hat, ist er fest überzeugt, sein Haus sei das größeste -in der ganzen Stadt. Er spaziert Stunden lang mit -hoher Verehrung vor demselben auf und nieder, er zeigt -erstaunten Fremden seine unermeßlichen Säle, er fängt an, -<a id="page-236" class="pagenum" title="236"></a> -sich selbst den Grafentitel beizulegen, hängt ein gemaltes -Wappen über seine Hausthür, und ist auf einige Zeit -unser Gast geworden, um sich wieder auf die Wahrheit -besinnen zu lernen. Sehn Sie, lieber junger Herr Graf, -so sonderbare Verirrungen fallen vor, daß dieser Mann -sogar den sichtlichen Raum seines Hauses nicht mehr hat -wahrnehmen können. -</p> - -<p> -Sie beweisen mir heute ein so schönes Vertrauen, erwiederte -Wolfsberg, daß ich es wohl wagen darf, noch -einmal das Wort zu wiederholen, mit welchem ich Ihr Haus -zuerst betrat, daß ich nämlich durchaus nicht der bin, für -welchen Sie mich halten, und daß Sie, wenn Sie mich -nur einer ruhigen Prüfung würdigen wollen, mich eben -so wenig des Verstandes beraubt finden werden, als den -Herrn Prediger, oder als Sie es selber sind. -</p> - -<p> -Der Director winkte mit dem allerfinstersten Blicke, und -Friedrich, welcher jede seiner Mienen verstand, nahm schnell -den Wein vor Wolfsberg weg, und stellte ihm ein großes -Wasserglas hin. Es geht nicht, rief der Director, so mit -Ihnen zu leben, wie ich wünsche. Da Sie jetzt so abgefallen -und fast miserabel aussehen, da Ihr Blick so demüthig -ist; so glaubte ich wirklich, Sie hätten in sich -geschlagen, und ich dürfte Sie durch bessere Speise und -Wein erquicken. Aber an Ihnen ist Hopfen und Malz -verloren. Wie, Sie wollen wirklich streiten, daß Sie der -Graf Birken, einer der confusesten jungen Männer sind? -daß Sie schon tausend Händel angezettelt, und dafür drei -oder vier Mal ansehnliche Schläge empfangen haben? -daß Sie es zu guter Letzt gewagt, sich mehrmals in das -Haus des Barons von Halden einzuschleichen, und das -Unglück seiner sinnverwirrten Tochter durch Liebesbriefe -und mündliche Betheuerungen erhöht, ja sie endlich beredet -<a id="page-237" class="pagenum" title="237"></a> -haben, sich von Ihnen entführen zu lassen? Hier ist -die Klage des Barons, hier sind Ihre kläglichen Briefe, -hier ist die Ordre vom Minister, Sie gefangen zu halten. -Wollen Sie aber dieser Graf Birken nicht seyn, so zeigen -Sie uns Pässe, oder Schriften, durch welche Sie sich ausweisen -können; stellen Sie angesehene Bürgen! Aber -man hat Sie dort im Hause nur zu gut erkannt, und Sie -zu oft aus- und einschleichen sehn, Sie auch zuletzt im -Zimmer der Tochter selber ergriffen. Und nun kein -Wort mehr über die Abgeschmacktheit, wenn Sie nicht -bei Wasser und Brod in Ihrem Zimmer wollen eingesperrt -seyn. -</p> - -<p> -Wolfsberg las die Papiere mit Aufmerksamkeit durch, -und wagte es nicht, noch ein einziges Wort zu seiner -Rechtfertigung zu erwiedern. Friedrich sah ihn tröstend -an und warf heimlich höhnische Blicke auf den Director; -der aufmerksame Herr Kranich aber war schnell mit der -kleinen Peitsche bei der Hand, um die bösen Geister von -Wolfsbergs Schultern zu verjagen. Der Director wurde -noch zorniger und rief: stecken Sie die verdammte Peitsche -ein! Ich glaubte, Sie würden doch wenigstens mein -Vertrauen und mein Zimmer so weit ehren, das Zeichen Ihres -Aberwitzes in Ihrer Klause zu lassen. -</p> - -<p> -Der Rothrock steckte zwar die Peitsche wieder ein, -machte aber ein zorniges Gesicht, sah den Director mit -großen Augen unverwandt an und sprach dann laut: -Aberwitz, mein Herr? Dieses Worts sollen Sie sich jetzt -und Ihre Lebenszeit hindurch schämen! Ich kam an Ihren -Tisch in dem festen Vertrauen, daß Sie doch so viel Vernunft -haben würden, mich nicht mit den mancherlei Gecken, -von denen heut Mittag die Rede gewesen ist, in eine -Classe zu werfen, und mich nicht mit dem Gezücht vergleichen -<a id="page-238" class="pagenum" title="238"></a> -zu wollen, was da unten im Saale sein Gaukelwesen -treibt. Ich brauche, dem Himmel sei Dank, nicht -curirt zu werden; auch will ich niemals curirt seyn; denn -meine Vernunft, Herr, ist probefest, und auf die Dauer -gearbeitet, und ich bin noch niemals, wie Sie von sich -vorher zugestanden haben, in Gefahr gerathen, mit Närrischen -närrisch zu werden. Wer wären Sie denn, wenn -ich nicht das Geschmeiß der Pygmäen immer wieder aus -Ihrem Hause vertriebe? Ich will diese liebe Peitsche nur -kurze Zeit ruhen lassen, und Sie werden es an sich erfahren, -daß Sie ein ruinirter Mann sind, daß Sie überschnappen, -daß Sie zum Kinderspott werden. Wie? -Was? Es gäbe wohl am Ende gar keine Pygmäen? -Haben sie nicht schon die alten Griechen erkannt, aber -nach ihrer dummen Weise darüber gefabelt. Sogar von -mir und meinem großen Einfluß auf sie hat man in uralten -Zeiten dunkle Legenden und Ahndungen gehabt; -aber man dichtete, daß die Pygmäen ein wirkliches Volk -seien, so klein, daß die Kraniche Krieg mit ihnen führten. -So erbärmlich hat man die Sache und meinen Kampf -mit ihnen entstellt. Heut zu Tage nennen sie’s das böse -Princip. Nicht wahr, da ist mehr Verstand drin! Nein, -da lobe ich mir meine süße, liebe Peitsche; und wo ich -bin, muß diese auch seyn. <span class="antiqua">Dixi.</span> -</p> - -<p> -Der Geistliche sagte: nicht so übel! aber der Director -fuhr auf: wenn Sie so großen Geschmack an Narren finden, -ehrwürdiger Herr, so mögen Sie es haben. Er verließ -das Zimmer; die Uebrigen folgten ihm nach. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -<a id="page-239" class="pagenum" title="239"></a> -Was machen Sie nur? fragte der Rath den Arzt, -als der sandigere Weg wieder ein Gespräch erlaubte. Wir -sollten lieber hier noch verweilen, vorzüglich Ihretwegen, -da Sie doch nun Ihren theuern Grafen gefunden haben; -und Sie selbst ziehen mich wie mit Gewalt in den Wagen, -und erklären, Sie wollten niemals wieder hieher zurück -kommen. -</p> - -<p> -O mein bester Rath, sagte der Arzt halb lachend; -für einen Rechtsgelehrten sind Sie mir doch etwas zu -treuherzig und für einen Inquisitor und Nachspürer gar -zu arglos. Der Birken ist entlaufen, Vater und Tochter -sind mir entgegen. Vermuthen diese, ich komme wieder, -so finde ich meinen Entsprungenen niemals und es geschieht, -was ich verhindern will; kann ich sie aber sicher -machen, daß ich nicht zurück kehre, so überrasche ich den -vollständigen Familienkreis wohl in Kurzem. Mit Ihrem -lieben Pankraz ist es derselbe Fall; er hat sich unsichtbar -gemacht, und zeigt sich nur, wenn er uns entfernt weiß. -</p> - -<p> -Was hat der ehrliche alte Mensch mit dieser Sache, -ja mit irgend einer zu thun? antwortete der Rath. Er -hat damals genug gelitten, als seine Unvorsichtigkeit dem -armen Raimund so theuer zu stehen kam; der Mensch -mußte sogleich den Dienst verlassen und dem Zorn des -alten Barons entfliehn. -</p> - -<p> -Der Arzt lachte laut auf. Wenn meine Menschenkenntniß -mich nicht ganz trügt, sagte er endlich, so ist -dieser gute alte Pankraz ein durchtriebener Schurke, und -jener braun- und blauäugige Baron nichts Geringeres. -</p> - -<p> -Sie schwärmen, lieber Freund. -</p> - -<p> -Und Sie schlagen selbst etwas in die Farben, in denen -Sie mir Ihren Raimund gezeichnet haben. Haben -Sie denn nicht bemerkt, wie verlegen das Pankraziengesicht -<a id="page-240" class="pagenum" title="240"></a> -wurde, als es Sie erblickte? Schon vorher wurde er -blaß, als ich ihn nach Blanka fragte. Er weiß uns -Raimunds Aufenthalt gewiß zu entdecken. Können Sie -sich in der Stadt durch Freunde oder Autorität eine Vollmacht -verschaffen, um den Schurken, wenn Sie ihn wieder -ansichtig werden, zu verhaften, ihn zu erschrecken; so -erfahren wir gewiß Alles, und der Zweck Ihrer Reise -ist erfüllt. -</p> - -<p> -Wenn Sie Recht hätten! sagte der Rath. — Er befahl -dem Kutscher nach der Stadt zu fahren. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Bei der Gesellschaft im Saale waren einige Veränderungen -vorgegangen. Die beiden Redner hatten sich immer -noch nicht versöhnt und jeder vermied den andern; -die Schachspielenden schienen auch weniger einig, als sonst, -und der Mann mit dem Maaßstabe war unruhiger, und -lief hastig hin und wieder. Wolfsberg gesellte sich zu -diesem, und fragte, was ihm fehle. Ach, mein Herr, sagte -dieser heftig bewegt, Sie haben gewiß auch von meinem -großen Hause gehört, welches ich durch meine Geschicklichkeit -so ansehnlich gemacht hatte. Das konnte mir der -Neid nie vergeben, daß ich durch Wissenschaft Besitzer -eines der größten Paläste in der Stadt seyn sollte. -Bald hieß es, durch die übermäßige Ausdehnung habe -der Bau eine so zarte Constitution erhalten, daß er bei -der nächsten Veranlassung, wenn etwa Truppen marschirten -und die Trommel gerührt würde, erschreckend, wie in -einem Nervenfieber zusammen stürzen müsse. Andre -meinten gar, ich hätte die Stadt dadurch verengt, und die -nahestehenden Häuser und Gassen litten darunter: als -wenn der unendliche Raum etwas so Beschränktes wäre, -<a id="page-241" class="pagenum" title="241"></a> -daß man die Welt so leicht verderben könnte. Ich erbot -mich, die ganze Stadt durch Beobachtung des Tactes -auszudehnen, und sie, wenn wir Geld und Zeit genug -hätten, größer als London oder Nanking zu machen. Aber -die Bosheit hörte auf nichts; ich mußte mich hieher in -die Einsamkeit zurück ziehn. Und was ist nun im Werke? -Sollten Sie’s glauben, daß die Verderbtheit der Menschen -so weit gehen könne! Eine ganze Schiffsladung -von Gummi elasticum läßt man mit Erlaubniß des Parlaments -von England kommen. Fünfhundert Menschen -zerren das Zeug aus einander; man practizirt es so, nach -allen Seiten ausgedehnt, unter meinen Palast, und auf -ein Zeichen von dem nahestehenden Kirchthurm (denn -auch die Religion wird dazu gemißbraucht) lassen alle -fünfhundert Bösewichter in einem und demselben Augenblicke -die Gummifetzen los; das unglückselige Zeug schnappt -zusammen, und nimmt unwiderstehlich Breite und Länge -meines Palastes mit sich, der durch dieses höllische Kunststück -wieder zu einem gewöhnlichen Hause zusammenschrumpft. -Denn das giebt die Vernunft, daß, da das -elastische Unwesen sich nun in der Grundlage an das -Gebäude anklemmt, keine menschliche Kraft, keine Wissenschaft, -kein noch so gut observirter Tact dazu hinreicht, -es aus den Gummi-Klauen zu retten und wieder aus -einander zu dehnen. -</p> - -<p> -Wolfsberg mußte dem Klagenden Recht geben; doch -wurde jetzt seine Aufmerksamkeit auf einen jungen Menschen -gerichtet, der zum Saale herein schlich, und den er -bisher noch niemals gesehen hatte. Methusalem kommt -einmal wieder! riefen Einige, und über die blassen Wangen -des kranken Jünglings lief ein leichtes Roth. Wie -nennen Sie ihn? fragte der Baron. O er heißt nur so, -<a id="page-242" class="pagenum" title="242"></a> -antwortete Sokrates, der eben vorüber ging, weil das Gespenst -schon so außerordentlich bei Jahren ist, daß, gegen ihn -gerechnet, Methusalem selbst noch in den Kinderschuhen -steckt. -</p> - -<p> -Die Gestalt und das Wesen des Jünglings waren -so wunderbar und von Allem, was sich in diesem Hause -zeigte, so verschieden, daß sich Wolfsberg wie gezwungen -fühlte, sich ihm langsam und mit Blödigkeit zu nähern. -Der Jüngling war schlank und mager, seine Geberde ruhig -und edel, sein Gesicht schön, aber blaß und abgefallen; -die Augen glänzten so überirdisch, daß man vor ihnen -erschrecken konnte, wenn nicht eine süße Schwermuth -ihr Feuer wieder gemildert hätte. Der junge Mensch -schritt dem Baron entgegen, vielleicht, weil ihm auch dessen -Gestalt und Wesen, als ein milderes, auffiel. Wolfsberg -war um Worte verlegen, mit welchen er das Gespräch -eröffnen könne; aber der Kranke kam ihm zuvor, -nahm ihn bei der Hand und sagte mit der lieblichsten -Stimme: was fehlt Ihnen? -</p> - -<p> -Meine Vergehungen, sagte der Baron in einem fast -zerknirschten Tone, haben mich hieher geführt. Aber -woran leiden Sie? -</p> - -<p> -Ach! klagte der Jüngling, daß ich so gar übermäßig -alt bin; die große Menge der Jahre drückt mich zu Boden. -Wie alt schätzen Sie mich? -</p> - -<p> -Höchstens drei und zwanzig Jahre, sagte der Baron. -</p> - -<p> -Des Jünglings Gesicht ward noch wehmüthiger und -zwei große Thränen fielen aus den Augen. Sie sehn, -sagte er mit seiner lieblichen Stimme, wie ich lachen muß. -Nun bin ich gerade sechstausend dreihundert und vier und -neunzig Jahre alt. Gestern Nachmittag hatte ich nur -sechstausend und vier und neunzig: und denken Sie, in -<a id="page-243" class="pagenum" title="243"></a> -der kurzen Zeit bin ich schon wieder um die dreihundert -Jahre älter geworden. -</p> - -<p> -Sie setzen mich in Erstaunen, sagte Wolfsberg. -</p> - -<p> -Wissen Sie denn, was die Zeit ist? klagte jener -weiter. O Lieber, mancher Achtzigjährige geht zu Grabe, -und hat vielleicht nicht zwanzig Jahre, nicht zehn gelebt. -Vielleicht giebt es Menschen, die von der Geburt an bis -zum Greisenalter nicht zur Zeit erwachen, und erst jenseit -die erste Stunde müssen kennen lernen. In der Gleichgültigkeit -ist kein Strom; weder Vergangenheit, noch Zukunft, -auch keine Gegenwart. Freude, Jubel und Glück -sind rasende Kinder, die tobend umher springen und das -zarte Stundenglas zerbrechen; hinter ihnen steht Tod und -Nichtsein, — der Himmel gab uns dafür keine Sinne. -Aber im Schmerz, im Schmerz! Wie durch diesen Wunderbalsam -die Secunde, die das Auge kaum unterscheidet, -aufschwillt und mit der Ewigkeit schwanger wird! Ja, -mein junger Zeitgenosse, ich habe Tage erlebt, in denen -Jahrhunderte eingewickelt waren; sie lösten sie aus ihren -Schleiern und legten sich mir um die Seele. Dann kam -eine Stunde, eigentlich nur ein Augenblick; da sprang -die ganze aufschwellende Knospe entzwei, in der mir die -Zeit in duftenden Blättern aus einander blühen sollte, -und ein Alles und Nichts, ein großer ewiger Tod, in -dessen finsterm Herzen kindisch das süßeste Leben lächelte, -brach mit Gewitternacht über mich ein. Da waren die -Jahrtausende verlebt, dieselben, an denen das Menschengeschlecht, -ohne sie nur zu kosten, vorüber kriecht. Schmerz, -Herz, Scherz: nicht wahr, im Schmerz ist Alles, was die -Andern nur einzeln aussprechen? Leben Sie wohl, und -hüten Sie sich, so alt zu werden! Ich gehe wieder auf -mein Zimmer, denn wenn diese großen Minuten mich besuchen -<a id="page-244" class="pagenum" title="244"></a> -wollen, müssen sie mich wach finden. Adieu, junger -Mann, vielleicht bin ich schon acht oder zehntausend -Jahre, wenn wir uns wiedersehn. Er wankte hinaus, -und keiner von den Gegenwärtigen achtete auf ihn. -</p> - -<p> -Die Uebrigen umringten Wolfsberg, und Sokrates, -der den Sprecher im Namen Aller zu machen schien, -sagte: junger Herr, wir Alle sind es nun endlich überdrüssig, -Sie noch länger diese triviale Rolle spielen zu -sehn, mit der Sie uns Allen herzliche Langeweile machen. -Nicht der Unbedeutendste hier, der nicht sein Pfund wuchern -ließe; und Sie wollen immer noch als leutseliger Beobachter -sich herum treiben? Fordert die Menschheit nicht -auch Ihre Kraft und Ihren Entschluß? Sie sollen nicht -länger der Niemand seyn, mit dem Keiner von uns etwas -anzufangen weiß. -</p> - -<p> -Meine Herren, sagte Wolfsberg in einer sonderbaren -Stimmung, die aus Schmerz und toller Laune gemischt -war: da Sie mich Alle mit einem so gütigen Zuruf und -schmeichelnden Zutrauen beehren, und da ich sehe, daß -uns hier eine so glückliche Republik umfaßt, in der uns -weder Gesetze der Zeit noch des Raumes tyrannisiren, -und eine so freie Verfassung unsre Kräfte erhebt, daß auch -selbst das Unmögliche möglich wird: so will ich denn -auch nicht länger hinter dem Berge halten, mich Ihnen -entdecken und Ihren herrlichen Bestrebungen anschließen. -Wissen Sie also, daß ich das Eigne an mir habe, daß -ich schon öfters gelebt habe, vielerlei Zustände erfahren, -und mein dermaliges Leben nur als die hundertste -Wiederholung in einer etwas veränderten Modification -aufführe. -</p> - -<p> -Wie meinen Sie das, Trivialer? fragte der Leser. -</p> - -<p> -Dieselben geruhen, antwortete Wolfsberg, mit Ihrer -<a id="page-245" class="pagenum" title="245"></a> -unvergleichlichen Stupidität nicht zu capiren. Ich war -mit Einem Wort, genau nach der Lehre des Pythagoras, -schon in vielfachen Gestalten im Leben. Ich war König, -Kaiser, Bettler, Vater, Sohn, lasterhaft, zur Tugend geneigt, -glücklich und elend. -</p> - -<p> -O, sagte der Indianische Schachspieler, Sie fangen an -interessant zu werden, Männchen; fahren Sie nur so fort, -so können Sie noch was leisten. -</p> - -<p> -Können Sie uns nicht etwas Bestimmteres von Ihren -frühern Verhältnissen mittheilen? fragte Sokrates. -</p> - -<p> -Gern, erwiederte der Baron mit geläufiger Zunge, -ich war z. B. zugegen, als Cäsar ermordet wurde. -</p> - -<p> -Trefflich! rief der Leser; wer waren Sie denn dazumal? -</p> - -<p> -Wer anders, als der berühmte Cassius, antwortete -Wolfsberg. -</p> - -<p> -Halt! schrie der aufgedunsene Redner, der noch immer -mit der Zinnschnalle paradirte, halt! rief seine krächzende -Stimme; das ist nur Windbeutelei! Denn wenn -ich damals hätte leben können, so würde ich Cassius gewesen -seyn: also ist es pur unmöglich, daß du selbiger -gewesen! -</p> - -<p> -Dieser leere Wunsch, und die etwanige Möglichkeit, -sagte Wolfsberg spitzfindig, schließt doch wohl meine wirklich -erlebte Wirklichkeit nicht aus? -</p> - -<p> -Leerer Wunsch? schrie der aufgebrachte Dichter, in -meinem ganzen großen Leibe und noch größerem Geiste -ist kein einziger Wunsch, den man als leer verlästern -dürfte! Leer! Ei, den ausgelernten Lehrer! Mit diesen -Worten schlug er auf den jungen Baron ein. Sokrates -wollte seinen ehemaligen Schüler zurechtweisen: da dieser -aber, noch ergrollt, ihn ebenfalls nicht schonte, so verließ -auch diesen die sokratische Ruhe. Doch, wie es auch -<a id="page-246" class="pagenum" title="246"></a> -wohl bei Vernünftigern zu geschehen pflegt, vergaß er -den Beginn des Zanks, und sein thätiger Unwille wandte -sich nach wenigen Augenblicken gegen Wolfsberg. Die -Schachspieler, Melchior, der Baukünstler, ja Alle <a id="corr-13"></a>im -Saale schienen plötzlich von der Ueberzeugung begeistert, -daß es nothwendig sei, denjenigen, der schon als Cassius -und in andern Zuständen Vieles gelitten, auch in diesem -Momente mit empfindlichen Leiden zu überhäufen. Am -grausamsten aber wüthete die Peitsche des Pygmäen-Bezwingers, -dessen Seherkraft auf Rücken und Schultern -des Armen Myriaden seiner kleinen Gegner erblicken -mußte, weil er, unbarmherzig gegen sich und den -Geschlagenen, in die Geister mit der Anstrengung aller -Kräfte hinein arbeitete. Entsetzt stürzte Friedrich, der -seinen fleißigen Arbeiter und Schatzheber unterliegen sah, -mit fürchterlichem Geschrei zum Director, dessen Autorität -und starkes Wort den armen, erschöpften Baron auch -wirklich frei machte, der sich verdrießlich und zerschlagen -nach seinem Zimmer begab, und den der Trost, welchen -ihm Friedrich noch in der Thür zuraunte, daß die nun -kommende Nacht die letzte und entscheidende sei, in diesem -Augenblick nicht sonderlich erheben konnte. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Als Friedrich seinen nächtlichen Schatzgräber abrief, -fand er ihn sehr übel gelaunt. Die Arbeit wird mir zu -schwer, sagte er verdrießlich; meine Kräfte nehmen ab, -und ich muß fürchten, daß diese ganze ungeheure Anstrengung -vergeblich gewesen ist; denn nach so manchen -Wochen, nach so vieler herausgegrabenen Erde, da wir -doch schon tief genug gekommen sind, zeigte sich noch immer -nichts. Es wird auch fast unmöglich, die Erde aus -<a id="page-247" class="pagenum" title="247"></a> -der Tiefe noch höher herauf zu schaffen, da ich Alles -allein verrichten muß. -</p> - -<p> -Nur heut noch, flüsterte Friedrich; ich gebe Ihnen -mein Wort, heut ist die letzte und entscheidende Nacht! -Wir müssen nur Anstalt treffen, das viele Gold aufzubewahren, -ohne daß man es bei uns bemerkt. Und noch -Eins, verehrter Freund, in der letzten Nacht zeigt sich -gewiß etwas Sonderbares oder Gespenstisches. Lassen Sie -sich nicht überraschen; erschrecken Sie nicht, wenn Sie -Stimmen hören, ein wunderliches Gepolter, Geschrei; -wenn Lichter und Geister kommen, und uns das so sauer -Errungene wieder zu entreißen streben. Denn das ist -ihre Art, den Glücklichen noch zuletzt zu ängstigen, damit -sie ihm seine Beute wieder entziehen. Darum hüten -Sie sich heute besonders vor jedem Zweifel oder gottlosen -Wort und Fluch; denn sonst versinkt unser Schatz gleich -wieder so viele Klaftern tiefer, daß alsdann unsre Arbeit -von Neuem und viel beschwerlicher anfangen müßte. Heut -müssen wir besonders still seyn, und uns eine feierliche -Manns- und Heldenstimmung geben. -</p> - -<p> -Sie gingen langsam hinunter. Sie flüsterten unterwegs, -was sie mit den Schätzen beginnen, welche Unternehmungen -sie ausführen wollten, wie die Welt vor den -ungeheuren Dingen erstaunen sollte, die alsdann auftreten -würden. Wolfsberg sprach davon, wie er sich sein -eignes Theater in seinem großen Palaste anlegen wolle, -und nur den vorzüglichsten Künstlern gestatten, bei ihm -aufzutreten; Friedrich dachte mehr darauf, den Director -zu kränken, seinem Hause gegenüber ein anderes, noch -größeres aufzuführen, und alle Menschen dort kostbar zu -bewirthen die sein Gebieter nicht leiden könne. -</p> - -<p> -Als sie unten waren, stellte Wolfsberg die Laterne -<a id="page-248" class="pagenum" title="248"></a> -wieder neben sich, und fing an seufzend zu graben, da -ihm Arme und Rücken, ermüdet, wie sie waren, fast den -Dienst versagten. Friedrich stand oben auf der lockern -Erde, und konnte kaum seine heisern anordnenden Worte -hinab gelangen lassen, so tief hatte sich Wolfsberg schon -unter die Fundamente eingegraben. Eine schauerliche -Stille umgab sie; ganz dumpf und fern hörten sie jetzt -die große Uhr zwölf schlagen. Wolfsberg dachte nicht -ohne Grausen daran, daß sich nach seines kleinen Freundes -Voraussagung nun wohl etwas zeigen könne, und -suchte seine Angst durch emsigere Arbeit zu betäuben. -Friedrich stand hoch über ihm und zitterte an allen Gliedern; -er wagte es nicht mehr hinab zu sehn; die Erdschollen, -wie sie von unten aufgeworfen wurden, erklangen -ihm fürchterlich, weil er in jedem Wurf Schritt und -Tritt eines Geistes zu hören glaubte. In der größeren -Anstrengung warf Wolfsberg die Laterne um, die nur -ein dämmerndes Licht in der ausgegrabenen Kluft schimmern -ließ; Friedrich stieß einen leisen Ausruf des Entsetzens -aus, und als sich jetzt ein seltsames Gepolter vernehmen -ließ, ein dumpfes, brausendes Murren, von dem -man nicht unterscheiden konnte, woher es komme, setzte -sich Wolfsberg in höchster Angst nieder, ein Geisterheer -und furchtbare Erscheinungen erwartend. Sein Haar -sträubte sich, als das Getöse zunahm; und jetzt fiel plötzlich -mit schwerem Fall ein Wesen um seinen Hals, schlang -sich zitternd und weinend an ihn fest und schien ihn erdrücken -zu wollen. Als Wolfsberg sich etwas besann, -erkannte er Friedrich, der von oben zu ihm herab gekugelt -war, vom Schreck hinunter geworfen. Was wird aus -uns werden? schluchzte dieser. Aber nur Muth, Muth, -mein Leidensgefährte! Jetzt vernahm man etwas Bestimmteres, -<a id="page-249" class="pagenum" title="249"></a> -wie Reden, Schreien durch einander. Es kam -näher; aber nicht aus dem Boden, sondern von dem Eingange -des Kellers her; Lichtschimmer fingen an sich zu -verbreiten. Aber da muß das heilige Donnerwetter drein -schlagen! brüllte jetzt eine Stimme, und der Kleine ließ -jetzt den Baron fahren, richtete sich auf, und sagte: Gott -Lob! es ist nichts, es ist nur unser Herr Director. -</p> - -<p> -Mordelement! schrie dieser von oben, wie sieht das -hier in den Kellergeschossen aus, da müssen wenigstens -zwanzig verrückte Spitzbuben dran gearbeitet haben. Gewiß -ist der Schuft, der Friedrich, wieder auf seine alten -Tollheiten verfallen, und hat ein Rudel Dummköpfe zu -Gehülfen genommen. An dir aber will ich ein Exempel -statuiren! -</p> - -<p> -Herr Director, Barmherzigkeit! winselte der Kleine -von unten hinauf. -</p> - -<p> -Leuchtet! schrie der zornige Mann. Die Diener kamen -mit den Lichtern näher, stiegen auf die Erdhügel, -und man sah jetzt beim Schein die armen Sünder, bleich -und aufgelöst in Angst, unten stehn. -</p> - -<p> -Wie? schrie der Director, der verrückte Graf ist da -unten bei dir? Herauf ihr verdammten Kerle! -</p> - -<p> -Langsam und mit Mühe krochen die Verbrecher aus -ihrer Grube. Wißt ihr wohl, Patrone, eiferte der wüthende -Medicinalrath, daß durch eure sauberen Bemühungen -das Fundament hier gesunken ist, daß die äußere -Mauer nach Westen einen Riß bekommen hat? daß ich -das Recht habe, euch in Ketten zu schlagen und an die -Wand zu schmieden? Ich erschrecke, wie ich heut Nachmittag -den Sprung in der Mauer wahrnehme; aber das -laß ich mir doch nicht träumen, daß der dumme Schatzgräber, -der doch seine ehemalige Strafe nicht sollte vergessen -<a id="page-250" class="pagenum" title="250"></a> -haben, seine Streiche von Neuem angefangen hat. -Sprich, wo sind die übrigen Verschwornen? -</p> - -<p> -Der Graf, wie Sie ihn nennen, antwortete der zitternde -Friedrich, hat Alles ganz allein gemacht. -</p> - -<p> -Was? rief der Director erstaunt; das Kerlchen ganz -allein? Allen diesen Schutt aufgeworfen? sich wohl vier -Klaftern tief eingegraben? die Erde in die Gewölbe herauf -gefahren und dort abgeladen? Das ist kaum menschenmöglich! -Und wie lange treibt ihr die Teufeleien? -</p> - -<p> -Seit vier oder fünf Wochen, klagte Friedrich. -</p> - -<p> -Kein Wunder denn, sagte der Director, daß der Unkluge -so verfiel und zum Jammerbilde wurde. Aber wie -konnten Sie nur, Graf, ein solcher Dummkopf seyn, und -sich von diesem armseligen Schaafe verführen lassen? -Merkten Sie es denn gar nicht, da Sie doch manchmal -Funken von Vernunft zeigen, daß er auch zu den Tollen -gehört? -</p> - -<p> -Also ist unser Herr Friedrich auch unklug? fragte -Wolfsberg. -</p> - -<p> -Was anders? erwiederte der Director: nur weil er -anstelliger ist, als die Andern, wird er zum Aufwärter, -ja Aufseher gebraucht. Nun hat sich das Ding freilich -geändert. Hätten die Satans nicht uns Narren insgesammt -den alten Kasten auf die Köpfe schmeißen können! -</p> - -<p> -Mir fiel es oft ein, sagte Wolfsberg kleinlaut, daß -hier keine Schätze liegen möchten, daß Friedrich vielleicht -nicht gesunde Einsichten habe; aber weil ich doch einmal -die tolle Arbeit angefangen hatte, weil er mich so zu lieben, -auch ganz zu kennen schien, mehr als Alle, so — — -</p> - -<p> -Ja, winselte Friedrich, ich mußte dem Narren gleich -gut seyn, so wie ich ihn ankommen sah; denn betrachten -Sie ihn nur, wie er dem berühmten Herzog Marlbrough -<a id="page-251" class="pagenum" title="251"></a> -ähnlich sieht, der vor einem halben Jahre bei uns saß, -und mit dem ich damals auch die große Freundschaft -errichtete. Aber da er nun doch ein recht verrätherischer -Narr ist, will ich Ihnen auch sagen, wer er eigentlich -ist; denn Sie kennen ihn Alle nicht. -</p> - -<p> -Nun? sagte der Director. -</p> - -<p> -Er ist, fuhr Friedrich trotzig fort, der durch die ganze -Welt berüchtigte Cartouche, das können Sie mir auf -mein Wort glauben. -</p> - -<p> -Scheert Euch beide auf Eure Stuben, rief der Director, -und nehmt da auf vier Wochen mit Wasser und -Brod vorlieb, das ist Eure gelindeste Strafe! Die Maurer -werden hier wohl eben so lange zu thun finden, ehe -das Haus wieder fest steht und Alles in Ordnung ist. -</p> - -<p> -Sie gingen Alle hinauf, und die beiden armen Sünder -mußten sich seufzend in ihre Strafe fügen, die noch -härter hätte ausfallen können. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Vor der Stadt lustwandelten die beiden Freunde -Walther und Anselm. Sie billigen es also, sprach der -Letztere, daß ich dem alten Grafen Birken Alles, was seinen -wilden Sohn betrifft, geschrieben habe, und daß er -nun, wenn es ihm wichtig genug dünkt, selber kommen -und ihn aufsuchen mag; denn ich kann meine Zeit nicht -länger mit diesen Nachforschungen verlieren. Sie wissen, -daß mit jedem Posttag die vortheilhafteste Anstellung ankommen -kann, die ich nicht zurück weisen darf. -</p> - -<p> -Ich bin in allen Dingen Ihrer Meinung, erwiederte -Walther, nur darin nicht, daß Sie nicht zum Hause des -Predigers Kilian zurück kehren wollen, wo, wie ich immer -noch glaube, wir Alle antreffen würden. Was nützt mir -<a id="page-252" class="pagenum" title="252"></a> -nun die Vollmacht, die ich bei mir trage, wenn wir den -guten Pankraz niemals wieder zu Gesichte bekommen? -</p> - -<p> -Ein Auflauf störte die Unterredung, denn ein Rudel -von Jugend war hinter der seltsamsten Erscheinung her, -die ihnen zu entlaufen suchte. Eine lange Gestalt im rothen -Tressenrocke, kleinem goldbesetzten Hut und großem -Haarbeutel, einem feinen Degen mit Porzellan-Griff an -der Seite, in aufgewickelten seidenen Strümpfen und Corduan-Schuhen -mit rothen Absätzen, stolperte ihnen unbehülflich -entgegen, und bat mit kläglicher Stimme um -Hülfe gegen die ausgelassene Jugend. Sie halfen dem -alten Manne in ihren Gasthof, vor dem sie eben standen, -und als sie im Zimmer dem Geschrei und Lärmen des -nachfolgenden Haufens entgangen waren, erkannten die -Freunde zu ihrem Erstaunen an dem hochauffrisirten und -gepuderten Kopf das Gesicht des verdächtigen Pankraz. -Wie bin ich Ihnen verbunden, meine werthen Herren, -sagte er, den Rath von der Seite betrachtend, daß Sie -mich gerettet haben! -</p> - -<p> -Der Arzt, welcher fürchten mochte, daß bei der Milde -seines Freundes vielleicht die Sache nicht die rechte Wendung -nehmen könnte, bemächtigte sich gleich des Gespräches, -indem er mit barschem Tone sagte: wir kennen Euch -recht gut, alter Narr Pankraz; wie seid Ihr in diesen -Habit gekommen, und was hat die Posse zu bedeuten? -</p> - -<p> -Ach, mein Herr, sagte der Diener, wir sind schon -einige Zeit von unserm Prediger entfernt — -</p> - -<p> -Das wissen wir, unterbrach ihn der Arzt, und auch -den saubern Grund, weil der gute Pankraz uns nicht -gern dort treffen wollte. Doch das wird sich Alles -finden! -</p> - -<p> -Nun kann ich meinen Herrn, fuhr der Diener fort, -<a id="page-253" class="pagenum" title="253"></a> -nachdem er den Arzt ein Weilchen mißtrauisch angesehn -hatte, so ziemlich regieren; er folgt mir in wichtigen -Sachen immer, wenn er auch murrt, und hat mehr Respect -und Furcht vor mir, als vor dem Herrn Prediger -selbst; aber an einem einzigen Tage im Jahr ist er durchaus -nicht zu bezwingen; an seinem Geburtstage nämlich; -da muß ich ihm in allen Dingen seinen Willen thun, -wenn ich ihn nicht wüthig machen soll. Heut ist der -Unglückstag, und da faßte er schon vorige Woche den -Gedanken, ich müßte heut als Herr angeputzt seyn, und -er wollte meinen Bedienten vorstellen. Ich bat und flehte; -aber umsonst. Ich wollte wenigstens den Spaß auf dem -Lande treiben; half nichts. Er staffirt mich also aus, -und lehnt das Zeug dazu von Juden und Christen zusammen; -er selber tritt in einer engen hechtblauen Livree -hinter mir her, und da sich die Jungen versammeln, -fängt der böse Mensch zuerst an, mich auszulachen, und -schreit hinter mir drein, ich sei der ewige Jude. So bin -ich durch die halbe Stadt verfolgt worden, und hoffe nun -durch Sie den Habit los zu werden, und sicher nach unserm -Wirthshause zu kommen. -</p> - -<p> -Das wird alles nicht nöthig seyn, sagte der Arzt -kaltblütig, der gute Pankraz wird wohl anderswo ein -Unterkommen finden. Seht, der Herr Rath Walther hat -sich zu Eurem Besten vom Gerichtspräsidenten hier in -der Stadt, der sein naher Verwandter ist, diese Vollmacht -geben lassen, Euch zu greifen, wo Ihr Euch betreffen -ließet, und den Gerichten zu überliefern; wo Euch dann -das Zuchthaus wenigstens gewiß ist, wenn Euch nicht, -wie ich glaube, Kette und Karren auf dem Vestungsbau -erwartet. -</p> - -<p> -Mein Himmel, sagte der Alte zitternd, indem er einen -<a id="page-254" class="pagenum" title="254"></a> -schnellen Blick in das große Blatt warf, wodurch -denn — dieser Verdacht — ach! Herr Rath — ich weiß -nicht — -</p> - -<p> -Freilich, fuhr der Arzt kalt und bestimmt fort, könnt -Ihr Eurem Schicksal selbst eine bessere Wendung geben, -wenn Ihr in unsrer und einiger Zeugen Gegenwart ganz -aufrichtig seid. -</p> - -<p> -Ich weiß ja nicht, winselte Pankraz, was ich gestehen -soll. -</p> - -<p> -Die Sache ist übrigens schon klar, sagte der Arzt, und -kann auch ohne Euch ausgemittelt werden; nur bewegt -uns das Mitleid mit Eurem Alter dazu, Euch das harte -Schicksal zu ersparen, das Euch nothwendig treffen muß. -Vertraut Ihr Euch uns gutwillig an, so haben wir den -alten Baron Eberhard so in der Hand, daß er künftig -für Euch sorgen muß, und noch besser, als er bisher gethan -hat. Wir wollen als Eure Freunde für Euch handeln, -wenn Ihr aufrichtig seid, und Euch als Feinde verfolgen, -wenn Ihr läugnet. -</p> - -<p> -Lieber Himmel, stotterte der Alte, wenn ich doch nur -gleich recht viel wüßte, um Ihnen durch meine Bereitwilligkeit -meinen Diensteifer und meine Liebe zu beweisen. -</p> - -<p> -Wir verlangen nur Weniges von Euch, sprach Anselm. -</p> - -<p> -Ach! das ist ja recht Schade, seufzte Pankraz; wollte -der Himmel, ich hätte Ihnen recht Vieles zu erzählen! -</p> - -<p> -Daß Ihr sonst den jungen Raimund bedientet, fuhr -der Arzt fort, daß Ihr einen Spion bei ihm abgabt, daß -Ihr es nicht ehrlich mit ihm meintet, sondern Alles dem -alten Herrn Baron zutrugt, wissen wir schon längst. Es -ist uns auch bekannt, daß sich der alte Herr Baron über -die Schwächlichkeit seines Neffen freute, weil er ihn zu -beerben hoffte; daß ihm deßhalb die Verbindung mit -<a id="page-255" class="pagenum" title="255"></a> -Fräulein Blanka sehr zuwider war, die er auch nur -unter den einfältigsten Vorwänden zu hindern suchte; daß -er darum ihre tödtliche Krankheit so gern sah, und Euch -alten Spitzbuben mit der Nachricht ihres Todes zu dem -zerstörten jungen Manne schickte, als ob Ihr Euch einen -rührenden und dummen Spaß mit ihm machtet. Als -dieser Todesschlag die Sinne des Unglücklichen verwirrte, -jagte der alte Unmensch Euch zum Scheine aus dem -Dienst, wie es schon vorher unter Euch abgekartet war, -und hat Euch seitdem eine gute Versorgung gegeben, und -für die Zukunft eine noch bessere versprochen. Nicht wahr, -so hat sich Alles begeben? Jetzt sagt nur noch, wo habt -Ihr den armen Jüngling hingeschafft? Gesteht es lieber -uns, als dort vor Gericht, wo keine Gnade mehr für -Euch zu hoffen ist; auch thut Ihr so Eurem alten Beschützer -den besten Dienst, der nur auf diesem Wege einem -schimpflichen Prozesse entgeht. -</p> - -<p> -Ach! meine Herren, heulte Pankraz, meinen Sie es -denn auch ehrlich mit mir? Wenn ich mich doch nur -Ihrem edlen Herzen so recht gutmüthig vertrauen könnte! -Wenn Sie es doch einzurichten wüßten, daß ich nichts -mehr mit dem Herrn Theophil zu thun hätte, sondern -das, was ich von dem Baron fordern kann, in ungestörter -Ruhe genösse. -</p> - -<p> -Das soll geschehen, sagte der Arzt. Nur schnell! wo -ist Raimund? -</p> - -<p> -Sehn Sie, fuhr der Diener fort, wie soll ein armer -bedrängter Domestik ehrlich bleiben, wenn es die vornehmen -Herrschaften bei allem ihrem Ueberflusse nicht einmal -sind? Der alte Herr glaubte immer, er würde das Vermögen -besser brauchen können, als sein junger Neffe, der -niemals so ganz seinen Verstand hatte; darum dachte er -<a id="page-256" class="pagenum" title="256"></a> -auch, das feine Wesen sollte mit Tode abgehn, weil die -Leute immer sagen, solche Kinder und junge Leute wären -zu gut für diese Welt. Wie er nun doch schon confus war, -so meinte der Baron, der Tod des Fräulein Blanka, die -auch besser für den Himmel paßte, würde den jungen -Herrn auch dahin verhelfen; darum sollte ich ihn erschrecken, -daß er nur recht schnell und ohne lange Leiden -hinüber führe; und das alles wußte mir der Herr Baron -ganz christlich vorzuschwatzen. Aber der junge Mensch -hatte doch noch mehr Courage und Kraft, als wir ihm -zugetraut hatten; er wurde freilich ein bissel lamentabel, -und sein Verstand verfiel noch mehr, aber er blieb frisch -weg am Leben. Da gab ihm der alte Herr einen andern -Namen, schrieb Certificate, eine ganze lange Geschichte, -die ich mir auch merken mußte; und das arme -kranke Lamm ließ sich auch Alles gefallen; ob er so hieß, -oder so, war ihm ganz gleich. Er wurde mir heimlich -übergeben und ich brachte ihn ganz in der Stille auf das -Haus da drüben über den Fluß, wo sie ihn gut verpflegen, -und er sich, seit Fräulein Blanka für ihn todt -ist, um nichts mehr kümmert. Ich bezahle vierteljährig -seine Pension, die ich von einem Banquier erhebe, und -so ist Alles in Ordnung. -</p> - -<p> -Was ist das für ein Haus? fragte Walther. -</p> - -<p> -Das berühmte Narrenhaus da drüben, antwortete -Pankraz. -</p> - -<p> -Entsetzlich! rief der Rath; Du wirst uns nun Deine -Papiere ausliefern, Dein Geständniß noch ein Mal wiederholen, -und es unterschreiben, und so lange, bis Alles -entschieden ist, im leichten Arrest bleiben. Doch noch eins: -wer ist denn dieser Theophil? -</p> - -<p> -Der, sagte Pankraz, ist ein natürlicher Sohn unsers -<a id="page-257" class="pagenum" title="257"></a> -alten frommen Barons. Er schämt sich seiner, weil er -ein Narr ist, und hat ihn bisher bald da, bald dort untergebracht. -</p> - -<p> -Man hörte den Theophil draußen lärmen. Er trat -als Bedienter gekleidet in das Zimmer. Ich will meinen -Pankraz haben, rief er aus. -</p> - -<p> -Ach, jammerte der Diener, ich bin zum armen Sünder -geworden, und gegenwärtig im Arrest. -</p> - -<p> -O das ist herrlich! jubelte Theophil; schöner konnte -ich meinen Geburtstag gar nicht feiern, als dadurch, daß -sie den alten Kater zum armen Sünder gemacht haben! -Das muß ich gleich draußen dem Herrn Kilian und Görge -erzählen. Das wird ein Jubel im ganzen Lande seyn. -Pankraz im Arrest! der weise Salomon, der schnurrende -altfränkische Solon mit seiner Cato-Physiognomie und -dem herrlichen Haarbeutel im Nacken ein armer Sünder! -— Er stürmte fort und hörte nicht auf die Einreden -der beiden Freunde, oder die kläglichen Bitten seines -alten Dieners. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Kaum war der Stubenarrest und die sehr dürftige -Kost dem armen Wolfsberg noch nöthig, um ganz sein -Inneres zu erkennen, und alle seine Thorheiten und die -Verderbniß seines Lebens einzusehn. In demüthiger Unterwerfung -ergab er sich seinem Schicksal, und war kaum -erfreut, als man ihm ankündigte, daß seine wohlverdiente -Strafe ihm früher erlassen sei. Jetzt durfte er wieder -den Saal betreten, und der Director, den er bis dahin -so wenig wie Friedrich, seinen Verführer, gesehn hatte, -ließ ihn sogar dahin einladen. -</p> - -<p> -Wolfsberg fand alle Thoren dort versammelt, und -<a id="page-258" class="pagenum" title="258"></a> -den Director mit dem Hut auf dem Kopfe sitzend. Dieser -hielt ein Papier in den Händen, und seine Miene schien -sehr verändert; doch konnte man nicht sagen, daß er heiterer, -als gewöhnlich, aussah. Meine Freunde, fing er -im Rednerton, aber mit einer weichen Stimme an, wir -haben lange mit einander gelebt, viel mit einander ertragen; -aber heut ist der Tag, an welchem wir von einander -scheiden sollen. Man hat endlich meinen vielfältigen -Gesuchen, mich in Ruhestand zu versetzen, nachgegeben, -und der Mann, der nun als Vorsteher meine Anstalt -übernehmen wird, soll noch heut Mittag eintreffen. Möge -sein Verstand erleuchteter, als der meinige, und sein Sinn -nicht unfreundlicher seyn! -</p> - -<p> -Die Thür ging auf, und Görge trat mit großer -Dreistigkeit herein. Was giebt’s, Bursche? fuhr der Director -auf ihn los. -</p> - -<p> -Ich kann’s nicht mehr zu Hause aushalten, sagte -Görge ganz unbefangen. Sehn Sie, Herr Director, seit -ich neulich ’mal hier war, bin ich wie ein verwandelter -Mensch; mein Verstand ist aufgeklärter, und ich kann -nun meinen lieben Aeltern nicht mehr so in Allem folgen, -wie ehedem. Wenn ich das nicht recht mache, und jenes -versehe, ’mal so spreche oder morgen anders denke, wie -es zu Hause bei mir Mode ist; so wird die Mama immer -sehr böse, und droht mir, mich in das Narrenhaus -hier einsperren zu lassen. Gestern nun habe ich unserm -Herrn Kilian wohl zwanzig Fledermäuse in die Stube -geworfen: da hat er mich verklagt, und sie hat mir wieder -gedroht, mich hieher zu schicken; da bin ich nun heute -früh lieber gleich von selbst herüber gelaufen, und bitte, -daß Sie mich eine Weile hier behalten; so könnte ich auch -<a id="page-259" class="pagenum" title="259"></a> -bei dem rothnasigen Herrn dort noch etwas lernen und -mich ausbilden. -</p> - -<p> -Sokrates machte sich sogleich herbei, und faßte die -Hand des lehrbegierigen Jünglings. Der Director lächelte -und sagte mit sonderbarer Miene: wenn Strafe selber -zum Lohn wird, so ist der Mensch gewiß am glücklichsten. — -Ich bin in meiner Abschiedsrede von Euch, meine Freunde, -unterbrochen worden, fuhr er hierauf in verändertem Tone -fort. Ich habe dies Haus nun sechszehn Jahre bewacht; -viele Gäste empfangen, viele gebessert entlassen. Ihr seid die -letzten; und da ich Eure Besserung durch Pflege und Aufsicht -nicht lange genug habe abwarten können, so will ich sie -hiermit durch ein Machtwort veranstalten, und erkläre -Euch nun hiermit für frei, hergestellt und gesund. Wie? -Diese Gewalt wenigstens sollte mir nicht einmal geblieben -seyn? Thut der Staat, der Fürst, die Universität -denn etwas anders, wenn sie Doctorhüte, Titel und Würden -austheilen? Da sehn wir ja täglich, wie Menschen -plötzlich Verdienste und Tugenden haben und glänzen lassen, -die kurz vorher nur wenig taugten, oder kaum über -Vier hinaus zählen konnten. Alle Thore, meine theuern, -so lange gehegten und gepflegten Freunde, sind offen; die -Thürhüter haben den Befehl, Niemanden am Ausgehen -zu verhindern. Diese letzte Wohlthat ist es, wozu ich -noch heute meine Macht gebrauchen will. Ich kann meinem -Amte nicht länger vorstehn; denn, wie mancher der -Märtyrer oder Wunderthäter jener frühern Jahrhunderte -die Sünden ihrer Mitbrüder, so habe ich mit Liebe und -Mitleid alle Eure Gebrechen in meine Seele aufgenommen: -und Viele sind dadurch geheilt, die Bösartigkeit -Andrer ist dadurch gemildert worden. Aber Ihr könnt -wohl selbst ermessen, dankbare Freunde, daß das keine -<a id="page-260" class="pagenum" title="260"></a> -Kleinigkeit für einen sterblichen Mann ist, in seinem engen -Busen so hundert Narrheiten zu tragen und zu hegen, -an deren <em>einer</em> schon jeder von Euch genug zu -schleppen hat. Freilich war ich auch dadurch nur Monarch -und Herrscher, in welchem sich alle Kräfte und -Vorzüge centralisiren. Nicht wahr, ihr guten, lieben Unterthanen -und Einfaltspinsel? Geht nun zurück in die -Welt, und gewöhnt Euch doch endlich als gesetzte Männer -die kindische Aufrichtigkeit ab, mit der Ihr Euch vor -jedem Narren Eure Narrheit habt merken lassen. Schaut -um Euch! Von Allen, die hier vorbei fahren und gehen, -die auf dem Flusse schiffen, die in der Stadt dort wandeln -und auf ihren Zimmern sitzen, gehören, wenn man -die Strenge brauchen wollte, wenigstens zwei Drittheil -hieher. Warum wollt Ihr nun so weichherzig seyn, jedem -Eure Brust zu öffnen, und in die curiose Structur -Eures Innern hinein schauen zu lassen? Ist es denn so etwas -Schweres, die gewöhnlichen Redensarten der Vernünftigen -zu gebrauchen, ihre Geschäfte zu treiben, trivialen -Spaß zu machen, und ihnen ihre ganze Ehrwürdigkeit -abzusehn und nachzuspielen? Kinder, glaubt mir -doch, es gehört weit mehr Genie dazu, ein Narr zu seyn! -Daher mag es auch Mangel an Muth seyn, wodurch sich -die Meisten abhalten lassen, zu uns überzugehn. Denn -ein trivialer Narr ist wirklich etwas recht Triviales. -Wann nun der neue Herr Director ankommt, seht, Kinder, -so wird er hier das leere Nest finden. Das glaube -ich, wenn der sich so recht in die Fülle, wie in eine vollständige -Haushaltung hinein setzen könnte, das wäre ein -Jubel für ihn; Alles eingemacht, vollgesackt, geschlachtet -und gepökelt für Herbst und Winter; die ganze Ernte, -die ich so mühselig seit manchem Jahre habe sammeln -<a id="page-261" class="pagenum" title="261"></a> -müssen! Nein, er mag auch säen und pflanzen, die junge -Zucht auffüttern, die alten Gänse nudeln und stopfen. -Zehre er von seiner eignen Arbeit! — Lebt nun wohl -und reicht mir Eure Hand, ehrwürdiger Sokrates! Geht -und nehmt den jungen Alcibiades, den lieben Görge, mit -Euch; bildet ihn, daß er Galimathias sprechen lerne, aber -mit Maaßen, damit er nicht verkannt werde, wenn er -das, was auf einen Monat ausreichen sollte, in einem -Tage an den Mann bringt. Fahrt wohl, Ihr beiden -Redner; übt Euch dort vor dem Volke, und rührt und -erbaut die Welt durch Liebe und erhabene Gesinnung! -Indianer, großgesinnte Menschen mit edeln Inspirations-Gaben -versehn, errichtet dort eine Akademie, um die trockne -Welt geheimnißvoller zu machen und sie mit tiefer Mystik -zu nähren! Begleitet diese Edeln, Ihr Lesender; und -wenn Ihr unserm Jahrhundert Alles rücklings lesen und -stellen könnt, so werdet Ihr Euch vielen Dank verdienen: -ja der bloße Versuch wird Euch schon glänzend belohnt werden. -Ihr Baukünstler, bezieht wieder Euer Haus, das Ihr als -aufgeblühte Schönheit verließet, und das nun zu einem -alten Mütterchen zusammen geschrumpft ist! Pygmäenfeind, -geht und vertreibt die bösen Geister! Ihr, Graf -Birken, macht Euch davon, und laßt nun Weiber und -Mädchen in Ruhe! Herr von Linden, oder Methusalem, -wie sie Euch hier nennen, verschwindet in Eil: denn Ihr -macht hier nur theure Zeit, da Ihr sie so entsetzlich consumirt. -Wie? wenn ich Euch nun die Zehrungskosten -nebst Zinsen für die hundert tausend Jahre abfordern wollte, -die Ihr hier, Eurem eignen Geständnisse nach, zugebracht -habt? Meilen weit hier herum kann das Kind im Mutterleibe -keine Zeit zum Wachsen finden, da Ihr Alles in -Euch schlingt. — Friedrich, lebt wohl, und grabt keine -<a id="page-262" class="pagenum" title="262"></a> -Schätze mehr, sonst grabt Ihr Euch selber die Grube, in -die Ihr hinein fallt! -</p> - -<p> -Jeder mußte ihm, indem er vorüber ging, die Hand -reichen. Alle verließen das Haus; nur Friedrich erklärte, -daß er niemals weichen wolle. Sieh, rief der Director, -am Fenster stehend, wie sie sich verbreiten und dahin ziehen, -die lieben Pilgersleute! Sie werden es doch vielleicht -nicht wieder so gut finden, als hier. Mancher wird -sich zurück sehnen! -</p> - -<p> -Ein Wagen fuhr in den Hof, und der Mann, welcher -herausstieg, war sehr verwundert, alle Thore offen -zu finden. Noch mehr erstaunte er aber, als er sich dem -zeitherigen Director näherte, und erkannte, daß dieser -plötzlich ein Kranker seiner eignen Anstalt geworden sei. -Er gab sich ihm als Doctor Anselm zu erkennen, welchem -die Regierung diesen Posten anvertraut habe: doch jener -antwortete bloß: ja, bester Mann, Sie finden mich ganz -allein hier, als Stock und Stamm, der wohl wieder -Früchte tragen mag, doch aber jetzt abgelaubt ist. Für -etwas, wenn auch nicht für viel, kann mein Friedrich -gelten. -</p> - -<p> -Anselm ließ sogleich einige Diener zu Pferde ausreiten, -um, wo möglich, noch einige der Flüchtlinge einzuholen. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Görge ging mit seinem neu erworbenen Sokrates -seiner Heimath zu. Sie müssen sich nur nicht Sokrates -nennen, machte er ihm begreiflich; denn das klingt so -heidnisch: so können Sie gewiß in unserm Hause bleiben, -und mir Unterricht geben. Der Papa suchte schon seit -lange einen Lehrer: er hilft Ihnen gewiß durch, und thut, -<a id="page-263" class="pagenum" title="263"></a> -als wenn er Sie dort oben nicht gesehn hätte; meine -Schwester darf nichts ausplaudern, sonst verrathe ich ihre -schwärmerische Liebe zu dem Windbeutel Theophil; bloß -die Mama müssen wir betrügen, und Sie müssen sich nur -hübsch klug und weise stellen. -</p> - -<p> -Ich brauche mich nicht so zu stellen, antwortete Sokrates; -das ist meine wahre Natur. -</p> - -<p> -In einiger Entfernung hinter diesen schlich Wolfsberg; -er ging nur langsam, und sehnte sich nach einer Erquickung. -In dem großen Dorfe, wo der Junker ihm mit -seinem Mentor aus den Augen verschwand, ließ er sich in -dem Gasthofe ein Zimmer geben, und bestellte sich Essen -und Wein. Er legte sich indessen auf das Bett, um etwas -zu schlafen; aber kein Schlummer befiel sein Auge, -denn tausend gute Vorsätze, Lebensplane und Erinnerungen -besuchten ihn jetzt, da er sich nun endlich der Freiheit -zurück gegeben sah, die er sich seit so mancher Woche vergeblich -gewünscht hatte. Die heitre frische Herbstluft zog -durch das offne Fenster, und stärkte seine Sinne. Wie -ist mir wohl! sagte er zu sich selbst: warum habe ich denn -so manches Jahr diese Empfindungen verschmäht, die mich -jetzt besuchen, und die doch das theuerste Leben meines Lebens -sind? -</p> - -<p> -Ein sonderbares Gezänk, das draußen vorfiel, erregte -erst seine Aufmerksamkeit und zog ihn dann ans Fenster. -Ein alter Mann stritt mit einem jungen, und sagte jetzt -eben: nein, Sie müssen mit uns gehen, und daß ich Ihnen -Ihre Baarschaft oder Ihre Wechsel jemals wieder geben -sollte, darauf machen Sie nur sich keine Rechnung; denn -wenn ich nicht als ein kluger Mann Ihre Capitalien in -Verwahrung genommen hätte, so hätte es wohl so kommen -können, wie uns der fremde Herr wahrsagte, daß -<a id="page-264" class="pagenum" title="264"></a> -mein altes Auge Sie nie wieder sah, und meine arme -Tochter sich der Verzweiflung ergeben mußte. -</p> - -<p> -Wolfsberg sah sich hier wieder einen Spiegel vorgehalten, -der ihm die Scene noch weit interessanter machte. -Aber, Herr Kilian, es ist doch mein Geld, sagte der -junge Mensch. -</p> - -<p> -Was, Kilian? schrie der Alte; Herr <em>Schwiegervater</em> -müssen Sie zu mir sagen, so wie ich Sie auch lieber -hochgeborner Herr Schwiegersohn, als Graf von Birken -tituliren werde. -</p> - -<p> -Wie? sagte Wolfsberg zu sich selbst, dies also ist der -junge verkehrte Mensch, für den ich so lange habe leiden -müssen? — Seine Aufmerksamkeit hatte den höchsten -Grad erreicht, und weil er dem Gespräche so eifrig zuhörte, -bemerkte er nicht, daß zwei fremde Menschen durch -den Baumgarten herbei kamen. Kommen Sie, ohne Umstände, -rief der Pfarrer jetzt von Neuem, oder ich lasse -Sie aus meiner Machtvollkommenheit als Mädchenverführer -und Jungfrauenräuber arretiren. -</p> - -<p> -Einen solchen suchen wir eben, sagte der eine Fremde, -einen jungen Grafen Birken, der ein Verbrecher und Narr -zugleich seyn soll. Alle Thörichten haben sich heut aus -dem Narrenhause befreit, und das ganze Land ist nun im -Aufruhr, sie wieder einzufangen. -</p> - -<p> -Wolfsberg erschrak; er wollte schnell den Kopf zurück -ziehn, aber man hatte ihn schon bemerkt. Er sammelte -sich und rief von oben herab: Sie suchen den Grafen -Birken? Der dort ist es, der mit dem alten Manne -spricht. -</p> - -<p> -Der Graf erschrak, der Geistliche sammelte sich aber -bald. Schwiegersohn oder Arrestant? fragte er den jungen -Mann schnell und leise. „Ach! Schwiegersohn!“ -<a id="page-265" class="pagenum" title="265"></a> -wimmerte dieser kläglich, und der Geistliche sagte mit fester -Stimme: meine Herren, ich bin der Pastor dieses -Orts; dieser mein Herr Schwiegersohn wohnt schon seit -vierzehn Tagen in meinem Hause; aber dem Menschen -da oben sieht ja der Vagabunde und der Narr obenein -aus den Augen heraus. Ich gebe Ihnen mein Wort, er -ist der entsprungene Graf Birken! -</p> - -<p> -Er nahm seinen Schwiegersohn unter den Arm und -führte ihn mit starker Hand davon. Die Fremden bemächtigten -sich des unglücklichen Wolfsberg, erlaubten -ihm kaum, sein bestelltes Mittagsessen zu genießen, und -schleppten ihn wieder in seine alte Haft zurück. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Der Rath Walther war im Begriff, in schnellster -Eile nach der Stadt zu fahren. Nur auf eine halbe -Stunde wollte er in dem Dorfe beim Pfarrer Kilian -einsprechen, und scheute deßhalb den Umweg nicht, weil er -doch vielleicht irgend eine Nachricht durch ihn erhalten -könnte. Als er nach dem Dorfe einbeugte, sah er seitwärts -neben den Bergen auf einer grünen Wiese den -Fluß entlang eine Gestalt gedankenvoll wandeln, die sein -entzücktes Auge bald als seinen geliebten Raimund zu erkennen -glaubte. Er ließ halten und wollte über die kleine -Brücke dem Wasser zueilen, als er Schalmeien, Clarinetten -und Waldhörner vernahm, und einen langen Zug -geputzter Bauern und Bäuerinnen sich entgegen kommen -sah. Alles jubelte, und in der Mitte gingen neben dem -Pfarrer zwei wunderlich geschmückte Gestalten, die er für -Graf Birken und die Tochter des Pfarrers erkannte, deren -grüner Kranz in den brandrothen Haaren sie deutlich als -Braut ankündigte. -</p> - -<p> -<a id="page-266" class="pagenum" title="266"></a> -Da der Rath wußte, wie wichtig es seinem Freunde, -dem Arzte seyn mußte, daß die Trauung nicht vor sich -ginge, so begab er sich, statt nach jener Wiese, in die -Mitte des Brautzuges. Er wollte sprechen; aber die lärmende -Musik ließ ihn nicht zu Worte kommen; besonders -da der Pfarrer die Musikanten zum Blasen und das junge -Volk zum Schreien ermunterte, um nur den lästigen Besuch -zu übertäuben und zu verscheuchen. Des Rathes -Anstrengungen wären auch für jetzt vergeblich gewesen, -wenn nicht einige Reiter herbei gesprengt wären, die dem -Zuge Halt geboten. Die Musik verstummte, und diesen -Augenblick der Ruhe benutzte Walther, um seinen Einspruch -gegen die Feierlichkeit vorzutragen und zu erklären, -daß der junge Graf noch nicht mündig, außerdem auch -thöricht im Haupte sei. Des Pfarrers bemeisterte sich ein -erhabener Zorn. Ich weiß nicht, rief er aus, warum sich -alle Welt in Bosheit gegen meinen verehrten Schwiegersohn -und meine geliebte Tochter verschworen hat! Er -thöricht im Haupte? Wissen Sie, <a id="corr-14"></a>unbekannter Freund, was -das sagen will? -</p> - -<p> -Die Reiter begehrten ebenfalls angehört zu werden. -Sind Ihnen sonst keine Narren begegnet, fragte der erste -sehr eifrig: das ganze Narrenhaus hat sich frei gemacht, -wir sind alle in den Dörfern aufgeboten, sie wieder einzufangen. -Jeder Reisende ist jetzt verdächtig; man prüft -alle Welt sehr scharf, und selbst der Vernünftigste muß -sich in Acht nehmen, nicht aufgegriffen zu werden; denn -Narren müssen sie nun doch einmal dort oben wieder haben. -</p> - -<p> -Sind Ihnen Verdächtige vorgekommen, Herr Pastor? -fragte der zweite. -</p> - -<p> -Ich untersage hiermit diese Hochzeit! rief der Rath -im höchsten Unwillen. -</p> - -<p> -<a id="page-267" class="pagenum" title="267"></a> -Der Pfarrer, welcher das Grafthum seiner kleinen -Tochter von Neuem in Gefahr sah, dessen Vaterliebe Alles -daran setzte, sich diesen Schwiegersohn zu sichern, und -dem mit Wolfsberg schon der kühne Streich gelungen war, -rief jetzt laut: hier, meine Herren, sehn Sie einen solchen -Wüthigen vor sich, der sogar die heilige Ceremonie durch -seine Raserei stören will! -</p> - -<p> -Was? rief Walther aus; ich ein Rasender? -</p> - -<p> -Sehn Sie nur, sagte der Pfarrer gesetzt, wie ihm die -Augen wie zwei Feuerräder im Kopfe herum gehn! Er -ist toll; wir erkennen ihn Alle dafür an. -</p> - -<p> -Ja, schrieen die Musikanten, und am lautesten der -Graf: es ist der tolle Mensch, der schon seit acht Tagen -hier herum läuft. -</p> - -<p> -Geben Sie Acht, was Sie thun, sagte der Rath etwas -besänftigt; ich wollte eben nach der Stadt; ich bekleide -dort jetzt die Stelle des Gerichtspräsidenten. -</p> - -<p> -Vor Hochmuth ist er übergeschnappt, rief der Pfarrer; -allons! fort mit ihm! — Fort mit ihm, schrie der -ganze Haufe. Die Reiter hatten schon ein drittes, lediges -Pferd herbei geschafft; Walther ward hinauf gepackt, -und ehe er noch sagen konnte, daß sein Wagen vor dem -Dorfe halte, trabten seine Begleiter mit ihm fort: denn -das Singen und Schreien der Menge, die betäubende Musik, -und die Glocken, welche die Ceremonie einläuteten, -machten für jetzt jede Erörterung unmöglich. Walther -mußte gezwungen den Weg zur neuen Behausung seines -Freundes antreten; der Pfarrer aber schleppte als Sieger -seinen mühsam errungenen Schwiegersohn in die Kirche, -mit dem Vorsatz, sich späterhin lieber jeder Verantwortung -zu unterziehn, als das Horoskop Lügen zu strafen! -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -<a id="page-268" class="pagenum" title="268"></a> -Der neue Director Anselm hatte sich indessen um seinen -kranken Collegen bemüht, und es war ihm auch gelungen, -den alten Mann wieder ziemlich zu beruhigen. -Dieser sah seinen Zustand ein, und fühlte sich beschämt, -daß er so leicht jenem Gelüste nachgegeben, welches ihm -noch kürzlich der Prediger als so gefährlich geschildert hatte. -Er besaß in der Nähe ein Landhaus, auf welches er sich -verfügte, und Anselm sah ihn gern abreisen, weil er überzeugt -war, daß die schnell erzeugte Unpäßlichkeit in einigen -Tagen auf immer verschwinden müßte. -</p> - -<p> -Jetzt ward eine Gesellschaft von Reisenden gemeldet, -die das Haus besehn wollten. Anselm ging ihnen entgegen, -sie zu bewillkommen, und zugleich zu entschuldigen, -daß ihre Neugier sich diesmal mit einem einzigen Vernünftigen -begnügen müsse. Voran in den Saal trat ein -langer alter Herr, dem die Uebrigen große Verehrung bezeigten; -er führte an seinem Arm ein phantastisch geschmücktes -Frauenzimmer, die dem Arzte bekannt schien, -obwohl er sich ihrer nicht gleich erinnern konnte. Ein -breitschultriger junger Mann folgte, und als letzte Begleiterin -schlich ein blasses, krankes Mädchen nach, die Strickkorb -und Tuch ihrer lachenden und übermüthigen Gebieterin -demüthig trug. -</p> - -<p> -Wir kommen, sagte der angesehene Mann, Ihre Anstalt -zu betrachten; meine junge Gemahlin hat dergleichen -noch niemals gesehn, und der Bruder meiner Frau hat -noch andere philosophische und künstlerische Absichten bei -dieser Reise. -</p> - -<p> -Sind die Narren aber auch nicht fürchterlich? fragte -die junge Dame; ist man nicht auch in Gefahr angesteckt -zu werden? -</p> - -<p> -Anselm erzählte ihnen die unglückliche und doch lächerliche -<a id="page-269" class="pagenum" title="269"></a> -Begebenheit, worauf der alte Herr sehr betreten -und erblaßt zurück fuhr und ausrief: wie? Alle entlaufen? -Schrecklich! Und auch ein gewisser Baron Linden -unter den Geflüchteten? -</p> - -<p> -Ja wohl; leider, sagte der Arzt, indem er den Sprechenden -näher ins Auge faßte. -</p> - -<p> -Das ist ein Jammer, rief der robuste junge Mensch -aus; so bin ich denn vergebens hieher gereiset? Mir -fallen jetzt bei unserm Theater die wichtigen Rollen des -Macbeth und Lear zu, und für diese möchte ich so gern -hier meine Studien machen; denn seit unser Großprahler, -der Adlerfels, so ganz verschollen ist, und man nirgend -von ihm hört (Schade um den übrigens guten Künstler!), -so muß ich doch nothwendig die Lücke ausfüllen, die mit -seinem Verlust bei uns entstanden ist. -</p> - -<p> -Du solltest ihn nicht nennen, <span class="antiqua">mon frère</span>, sagte die -Dame: sieh nur, wie Fanny wieder von Erinnerung ergriffen -wird. -</p> - -<p> -Auf den großen Mann, sagte der Bruder, hätte sich -das Köpfchen ja doch niemals Rechnung machen dürfen. -</p> - -<p> -Friedrich, der auch zugegen war, sagte: es ist außer -mir Niemand im Hause, als der berüchtigte Graf Birken; -den haben sie vor Kurzem mit Gewalt wieder zurück -geschleppt. -</p> - -<p> -Graf Birken? rief der Arzt höchst erfreut aus; o -diesen führe sogleich zu mir, guter Mann. Zugleich -winkte er den Baron in ein Fenster, um im Geheimen -mit ihm zu sprechen: ich habe die Ehre, fing er an, den -Herrn Baron Eberhard vor mir zu sehn. Jener verbeugte -sich. Wenn Ihr Neffe, fuhr der Arzt fort, jetzt sich wieder -fände, würden Sie gewiß seiner Verbindung mit Fräulein -Blanka nichts mehr in den Weg legen. — Wenn er -<a id="page-270" class="pagenum" title="270"></a> -noch lebte, der liebe Jüngling, sagte jener süßlich, und sie -den Verstand wieder gefunden hätte, — doch scheinen das -unmögliche Dinge zu seyn! — „Doch nicht viel unmöglicher, -sagte Anselm, als daß dieser nämliche Neffe lange -als Baron Linden hier im Hause gelebt hat.“ — „„Ei! -was Sie mir sagen!““ — „Sie mußten es doch wohl -wissen, da Sie sich gleich so angelegentlich nach dem jungen -Linden erkundigten.“ — „„Ich? Ja, sehn Sie -einmal, — daß ich nicht wüßte,““ — stotterte jener. -</p> - -<p> -Sie sind ein so berühmter Christ, fuhr Anselm fort, -Ihre Frömmigkeit und Menschenliebe sind so exemplarisch, -daß Sie ganz gewiß in alle meine Bitten und Vorschläge -willigen werden, da ich es gleich gut mit Ihnen, wie mit -Ihrem Neffen meine. -</p> - -<p> -Je, du mein Himmel, ächzte der Baron, wir sind ja -alle gute Menschen. Wann ich nur erst wüßte, wodurch -ich die Ehre habe, von Ihnen gekannt zu seyn. -</p> - -<p> -Die arge Welt könnte glauben, fuhr Anselm leise im -sanftmüthigsten Tone fort, Sie hätten es auf das Vermögen -Ihres lieben Neffen angesehn, besonders weil ein alter -Schuft sich nicht entblödet, auszusagen, ein gewisser Pankraz — -</p> - -<p> -O der Galgenschwengel! rief der Baron: was sagt -er aus? der soll mir Alles bezahlen! -</p> - -<p> -Sehn Sie einmal, indem Anselm die Bogen aus einander -faltete, diese weitläuftige Anklage, vor Zeugen ausgesagt -und unterschrieben. Es ist entsetzlich! Was gewinnt -aber ein frommes Herz, wie das Ihrige, dabei, -einen solchen Menschen zu bestrafen? Nein; sammeln -Sie feurige Kohlen auf sein Haupt; belohnen Sie ihn -großmüthig und übermäßig, daß er in sich geht, und an -Ihrem Edelmuth hinauf staunend, an Tugend glauben lernt. -<a id="page-271" class="pagenum" title="271"></a> -Sie könnten ihm wohl ein Häuschen, ein kleines Capital, -eine mäßige Wiese und einige Aecker schenken, wie ihm ein -sonderbarer Mann, der seit gestern Gerichtspräsident hier -drüben in der Stadt ist, etwas voreilig in Ihrem Namen -schon versprochen hat: ein gewisser Walther, er hat auch -die Ehre, mit Ihnen verwandt zu seyn, und denkt Ihnen -auch die Mühe abzunehmen, künftig noch des Vermögens -wegen, das Ihrem Neffen zusteht, Sorge zu tragen. -</p> - -<p> -Je du mein Gott, ja, — Alles herzlich gern! seufzte -der Alte kaum hörbar. -</p> - -<p> -Wie wäre es denn nun noch zuletzt, theuerster Mann, -den ich immer mehr verehren muß, wenn Sie auch Ihren -armen Sohn, den Theophil, legitimirten, und ihm ein anständiges -Auskommen gewährten. Würde Ihr Herz darüber -nicht eine unbeschreibliche Freude empfinden? -</p> - -<p> -Ach ja, sagte jener, eine unbeschreibliche Freude, und -da Sie es wünschen — und Sie eine gewisse Art zu bitten, -— und zum Herzen zu sprechen haben, — o Himmel! -die Thränen stehn mir in den Augen, daß ich eine solche -Bekanntschaft gemacht habe. -</p> - -<p> -Ich bin im Innersten gerührt, erwiederte Anselm. -Sie umarmten sich herzlich, und der Baron wischte sich -die Tropfen des kalten Angstschweißes von der Stirn; -lange bin ich nicht so bewegt gewesen, seufzte er, und -blickte zum Himmel. Und ich, erwiederte Anselm, habe -auch, so lange ich lebe, an keinem so großen Herzen -gelegen. -</p> - -<p> -Der Baron trat zur schäkernden Gattin. Sie werden, -sagte er fromm, in diesen Tagen einen Sohn von -mir kennen lernen: auch ist mein Neffe wieder gefunden, -und ein alter Diener Pankraz wird das kleine Gütchen -<a id="page-272" class="pagenum" title="272"></a> -Liebendorf erhalten, welches Sie dem Pachter verkaufen -wollten. -</p> - -<p> -Das ist ja viel in einer kleinen Viertelstunde, sagte -sie, und maaß den Director mit großen Augen. -</p> - -<p> -Es geht fast zu, wie im Lustspiel, sagte dieser. -</p> - -<p> -Ja, sagte der Baron, der Herr Director haben mir -Eröffnungen gemacht, und auf eine Art — -</p> - -<p> -Hier kommt Graf Birken, schrie Friedrich; er wollte -sich erst gar nicht dazu bequemen. -</p> - -<p> -Wolfsberg trat herein; der Arzt ging ihm entgegen, -aber beide fuhren in demselben Augenblicke vor einander -zurück. Sie, Herr von Wolfsberg hier? unter diesem Namen? -Und so verwandelt? so abgefallen? So drückte -mit wiederholten Ausrufungen der Arzt sein Erstaunen -aus. Die Uebrigen im Saale waren nicht ruhiger. Fanny -lag in Ohnmacht, und Wolfsberg, der jetzt erst die Gruppe -sah, machte sich aus den Armen des umhalsenden jungen -Mannes, der einmal über das andre: mein Adlerfels! rief, -los und eilte der Niedergesunkenen zu Hülfe. Er kniete -zu ihr nieder, er legte ihr Köpfchen auf seinen Schooß: -o meine geliebte, meine theuerste, meine einzige Franziska! -rief er in den zärtlichsten Tönen; entziehe Dich mir jetzt -nicht wegen meiner Missethat, entfliehe mir nicht, denn ich -bin kein Herzloser mehr: ich kehre zu Dir zurück, wenn -Du mich noch würdigest, mich Dein zu nennen! Ich bin -ja aus meinem tiefen Elende zu mir selber erwacht; o so -erwache denn auch Du zu diesem Leben wieder! -</p> - -<p> -Franziska schlug die ermatteten, aber schönen Augen -auf. Sie konnte an ihr Glück nicht glauben, daß sie in -dessen Armen lag, der sie mit so grausamem Hochmuthe -von sich gestoßen hatte. Du mein? stammelte sie; -gewiß? -</p> - -<p> -<a id="page-273" class="pagenum" title="273"></a> -Ja, mein süßes Herz, erwiederte Wolfsberg, der sich -nun als Adlerfels ausgewiesen hatte; ja ich kehre mit -Dir zurück, Du wirst meine Gattin, und alle Schmerzen, -allen Hohn, den Du um meinetwillen ertragen hast, will -ich Dir vergüten, wenn ich es vermag. Und unser Kind, -das arme Würmchen, lebt es denn noch? -</p> - -<p> -Die liebe Bertha, sagte die Entzückte, ist zu Hause, -bei meiner Schwester. Gott! wie wird sich Alles freuen! -</p> - -<p> -Ich gratulire, Fanny, sagte die gnädige Frau: nun -gieb mir nur Strickkorb und Shawl her, daß ich es selber -trage. -</p> - -<p> -Bruder, rief der andre Schauspieler, wie wird das -Publikum sich freuen, Dich in Deinen Effect-Rollen wieder -auftreten zu sehn. -</p> - -<p> -So eben, rief Friedrich herein springend, haben sie -noch einen ganz neuen Narren eingefangen. Das geht -scharf her. -</p> - -<p> -Walther trat lachend ein und man verständigte sich -sogleich. Anselm stellte ihn dem Baron vor und sagte -ihm kurz, daß das edle Herz des frommen alten Herrn in -Alles gewilligt habe, was er nur irgend als Mensch oder -Rechtsgelehrter von ihm fordern könne. So laßt uns -denn, rief Walther, nach dem Dorfe zurück kehren, von -dem ich eben herkomme, denn wenn meine Augen nicht -ganz zu Lügnern geworden sind, so haben sie dort meinen -geliebten Raimund erblickt. -</p> - -<p> -Wirklich war es Raimund gewesen, den Walther erst -erspäht hatte. Stumm und in sich gekehrt hatte der -Jüngling das Haus verlassen. Er begriff nicht, was ihm -geschah; er wußte auch nicht, wo er hin wollte. So ging -er dem Fußsteige nach, der ihn bald in den Wald führte. -Er sann seinem verschwundenen Leben nach, und ihm -<a id="page-274" class="pagenum" title="274"></a> -ward fromm und heilig zu Sinne. War es doch, als fielen -verhüllende Schleier von seinem Gemüthe und Herzen -herunter. Er kam an einen grünen runden Platz im -Walde, wo er sich unendlich bewegt fühlte. Er sah sich -um, um sich zu erkennen, und eine alte Birke, in welcher -noch die Namenszüge, die er einst eingegraben, fast unkenntlich -verwachsen waren, erinnerte ihn an Alles. Er -war noch ein Kind gewesen, als er hier einmal von seiner -theuren Mutter Abschied genommen hatte; bis hieher -hatte er sie begleiten dürfen, und von dieser Stelle kehrte -er mit seinem Vater wieder nach dem Schlosse zurück. Er -ahndete damals nicht, daß er nach einem Jahre schon beide -Aeltern beweinen sollte. Das Gut wurde nachher vom -Oheime vortheilhaft verkauft, und Raimund hatte seit seiner -Kindheit diese Gegend nicht wieder gesehn. So wie -er jetzt zu diesen Erinnerungen immer deutlicher erwachte, -wie die Sehnsucht nach den Scenen seiner Kindheit, nach -dem Kirchhofe, wo seine Aeltern ruhten, in ihm wuchs; so -empfand er es, wie jene dumpfe Angst immer mehr verschwand, -die bis dahin seinen Geist wie in einem finstern -Kerker eingefangen hielt. Er verließ den Wald, da lag -der kleine Fluß vor ihm, der vom Wohnsitze seiner Kindheit -herströmte. Alle Wogen schienen ihn zu grüßen, jede -Blume am Ufer ihm einen kindlichen Gruß zuzunicken. -Da fand er schon die Mühle im engen Thal, die ihm als -Knaben mit ihren rauschenden Rädern so wunderbar erschienen -war. Sie ist ja jetzt nicht weniger wundervoll, -sagte er zu sich, wenn ich gleich weiß, was und wozu sie -da ist. Er ging vorüber, und wollüstige erleichternde -Thränen strömten aus seinen Augen. Da war der Bergschacht, -der ihm so entsetzlich vorgekommen war; er ging -dicht hinan, und erinnerte sich der grauenvollen Sagen, -<a id="page-275" class="pagenum" title="275"></a> -die von ihm im Lande umgingen. Nun sah er schon den -wohlbekannten Berg seines Geburtsortes, die rothe hohe -Felswand und die von oben herabhangenden Bäume. Da -schimmerte auch schon das Dach des Schlosses herüber. -Es schmerzte ihn, daß er nicht in das Thor vertraut eintreten -dürfe, daß fremde Menschen, die er nur wenig -kannte, in den Zimmern wohnten, wo seine Wiege gestanden, -wo sein Vater ihm vorgelesen, wo seine Mutter ihn -in einer Krankheit auf ihrem Schooße eingesungen hatte. -Auf dem Kirchhofe kniete er mit Andacht an der Gruft. -Er nahm sich nun fest vor, seine Freunde wieder aufzusuchen, -und nachzuforschen, wer ihm das Schicksal bereitet -haben könne, das ihm erst jetzt seltsam erschien. Doch -mußte er, ehe er weiter ging, die einsame Wiese hinter -des Pfarrers Garten besuchen, den Spielplatz seiner Kindheit, -wo er unter der hohen Linde so manchmal im grünen -Grase halb eingeschlummert war, auf das Säuseln der -Blätter, das Summen der Bienen, und das Plätschern des -nahen Baches horchend, wo Alles wie süßer Geistergesang -ihn anredete, und er noch lieblicher aus seinen Träumen -Antwort gab. Nun stand er wieder unter dem Baume, -und eine himmlische Müdigkeit ergriff ihn, wie damals; -er tauchte die brennenden, thränennassen, jetzt so bleichen -Wangen in das kühle grüne Gras, und die Bienen -schwärmten im Baum, die Blätter schwatzten mit ihnen, -das Flüßchen erzählte sich selbst eine alte Geschichte, und -er entschlief wieder, wie in der Kindheit. — — -</p> - -<p> -Ein Wagen hielt am Dorfe. „Willst du ruhen, -mein Kind?“ — fragte die Mutter. — „„Ja, aber im -Freien.““ — „Bist du auch wohl genug?“ — „„O Sie -sorgsame, treue, mütterliche Pflegerin, antwortete die Tochter, -Sie sehn ja, wie es mit meiner Gesundheit mit jedem -<a id="page-276" class="pagenum" title="276"></a> -Tage besser wird. Vertrauen Sie mir nur mehr, damit -ich mir auch selber wieder vertraue. Nein, Geliebteste, -jene trübe Zeit wird niemals wieder kehren; aber ich fühle -es, durch diesen fürchterlichen Zustand mußte sich meine -Krankheit arbeiten, damit ich wieder genesen konnte.““ — -Bist du dessen so gewiß, meine Tochter? Dann möchte -ich Gott mit Thränen für die Verzweiflung danken, durch -welche er mich damals geprüft hat. -</p> - -<p> -Gewiß, liebe Mutter, sagte die reizende Tochter. -Kenne ich doch nun mein ganzes Unglück; es ist mir kein -düstres Geheimniß mehr. Wenn ich an die Ewigkeit der -Liebe glaube, warum sollte ich denn jemals verzweifeln? -Hier ist er geboren! O hätte ich ihn doch als Kind gekannt! -Eine Welt voll Glück wäre mehr in meinem Besitz! -Hier ist er auch wohl gewandelt; alle diese Gegenstände -hat sein frisches Auge, wie oft, begrüßt. Nur -über die Wiese will ich gehn, ein Viertelstündchen am -Bache ruhn, so recht an ihn denken; dann komm’ ich zurück -und wir reisen weiter. Aber allein müssen Sie mich -lassen! — Sie umarmte die Mutter, und schritt über die -kleine hölzerne Brücke. — — -</p> - -<p> -Raimund träumte indessen einen seltsamen Traum. -Der Wahnsinn war die Wahrheit, und was die Menschen -Vernunft nannten, nur ein dämmernder Schimmer. Auch -kein Raum war da, und keine Zeit. So wie auf den alten -Stammbäumen es abgebildet ist, sah er sich aus dem -Herzen eine hohe Blume wachsen; sie wurde von seinem -Herzblut getränkt, und ihr rother Glanz ward immer mehr -zum goldnen Purpur. Da sang es im wiegenden Kelch, -er that sich süßflötend auf, und Blanka schaukelte sich drin -hin und wieder, wie in einem durchsichtigen Kahn. Da -blickte er über sich, und ihr blaues Auge ging in das seine; -<a id="page-277" class="pagenum" title="277"></a> -da zitterte sein Herz und mit ihm die Blume. Warte, rief -sie, jetzt stirbt mein Blumenhaus ab, ich komme draußen -in der Wirklichkeit zu dir! Sie schlüpfte auf den Rasen -und stellte sich unter die Linde. — Gott im Himmel, -hörte er sagen, das ist Raimund! Er schlug die Augen -auf, und Blanka’s blaues Auge ging in das seine. Er -kannte sie gleich. Sie umschlossen sich, als wenn die Arme -sich nie wieder los lassen wollten. Auf den lauten Freudenschrei -eilte die Mutter herbei, und fand das unvermuthete -Glück, das sie noch nicht begriff. Auch Walther und -Anselm kamen. Walther war so entzückt und berauscht, -als wenn er selbst der Bräutigam wäre. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Im Hause des Pfarrers tobte indessen ein lautes Getümmel. -Die Hochzeitgäste waren so lustig, daß es die -Glücklichen endlich auch auf der Wiese hörten. Der alte -Baron hatte indessen schon seinen Sohn Theophilus heraus -gesucht und ihm unter Umarmungen seine Vaterschaft -erklärt. Ich habe nun auch einen Vater! rief Theophilus -im Hause lärmend umher, und schlug laut lachend -mit den Beinen aus, als der Pfarrer ihm dazu vernünftig -Glück wünschen wollte. Wolfsberg machte es mit -dem Pfarrer ab, daß er ihn in den nächsten Tagen mit -seiner überglücklichen Franziska verbinden sollte. Der -Gerichtspräsident Walther konnte in der Leidenschaft des -Glücks nicht so mit dem Geistlichen sprechen, wie dieser es -wohl verdient hätte; auch wurden alle Unterhandlungen -durch ein laut schmetterndes Posthorn unterbrochen. Eine -glänzende Equipage hielt, viele zierlich gekleidete Diener -beeiferten sich, einen ansehnlichen Mann, der auf dem -<a id="page-278" class="pagenum" title="278"></a> -Rocke einen großen Stern trug, aus dem Wagen zu heben. -Die Dorfleute befiel ein stilles Grauen, und als -Anselm ausrief: der alte Graf Birken! so fing der Pfarrer -an zu zittern. -</p> - -<p> -Wo ist mein ungerathener Sohn? schrie der alte -Graf, als er in das mit Menschen überfüllte Zimmer trat. -Die Braut heulte laut, und die anwesenden Weiber aus -dem Dorfe stimmten in denselben Ton ein. Wo ist Caspar -Birken? schrie der Alte noch einmal. Hier, winselte -der junge Graf, der sich hinter einen großen eichenen Tisch -verschanzt hatte. — Und wo ist der unverschämte Pfaff, -der es gewagt hat, den dummen Laffen mit seiner Tochter -zu verkuppeln? — Hier! rief der Pfarrer, der sich indessen -wieder gesammelt hatte; aber keine Verkuppelung, sondern -eine ächte christliche Ehe, wie unsre Kirche sie vorschreibt. -— „Die wird wieder geschieden!“ — „„Die wird nicht -geschieden!““ — „Sie ist nicht gültig, so gewiß da oben -auf den Ebreschenbäumen keine Aprikosen wachsen.“ — -„„Sie bleibt so lange gültig, bis da oben die rothe Felsenwand -ein Mensch hinauf klettern kann, und von den -nämlichen Ebreschenbäumen sein Veto in das Thal zu uns -herunter schreit.““ — „Und wenn ich Blut und Leben, -wenn ich mein Vermögen lassen muß, und wenn ich der -Mörder meines eigenen Sohnes werden sollte, so gebe ich -zu dem Unsinn nie meine Einwilligung.“ — „„Und -wenn ich, schrie der Pfarrer entgegen, prozessiren müßte, -bis ich keinen Groschen mehr hätte, und wenn ich zur -Fortsetzung des Prozesses von dem Junker Görge, oder -einem noch Einfältigern, das Geld betteln müßte, so lasse -ich die Sache nicht ruhn. Mein Kind muß glücklich und -Gemahlin des Grafen, Ihres Sohnes, bleiben. Wissen -Sie, was ein Horoskop ist?““ — „Nein.“ „„Nun, dann -<a id="page-279" class="pagenum" title="279"></a> -können Sie auch gar nicht mit sprechen. Sehn Sie dies -Papier; in der Geburtsstunde meiner Tochter habe ich alle -ihre Sterne beobachtet, und schon damals mit Gewißheit -prophezeiht, daß sie eine Gräfin werden müsse. Was können -Sie gegen alle Sterne ausrichten? He?““ -</p> - -<p> -Der Graf sah das Papier eine Weile mit staunenden -Blicken an. He! Caspar! schrie er von Neuem. Heraus -aus Deinem Winkel, Du Satansbrut! Komm her, Spitzbube, -ich will Dir ja meinen väterlichen Segen geben, -weil es denn also doch einmal nicht anders seyn kann. -</p> - -<p> -Der junge Birken hüpfte herbei, er legte die Hand -des Sohnes in die seiner Braut und küßte das kleine dicke -Mädchen dann recht herzlich auf den Mund. Nun, Spaß -bei Seite, sagte hierauf der alte Herr bedächtlich, im -Grunde ist es mir ganz lieb, daß die Sache so gekommen -ist, denn der Junge hätte einmal noch ärger anlaufen können; -er kommt somit in eine ziemlich reputirliche Familie; -der Mosje Caspar muß nun aber seine dummen Teufeleien -lassen, die ihm einmal den Hals hätten kosten mögen; der -Schwiegerpapa ist ein resoluter Kerl, der wird ihm wohl -den Daumen aufs Auge halten. Aber nun kriegt Dein -jüngerer Bruder die großen Güter, und Du, Hasenfuß, -trittst in seine Rechte, wie es auch eigentlich viel vernünftiger -ist. -</p> - -<p> -Alles war zufrieden und glücklich. Walther und -Raimund waren indeß mit der geliebten Blanka zum -Hause des Edelmanns gewallfahrtet. Es war vorläufig -davon die Rede gewesen, den Jugendwohnsitz Raimunds -wieder zu kaufen; auch zeigte sich die Möglichkeit einer -Verbindung zwischen der empfindsamen Baronesse und -Theophilus, da dieser jetzt von seinem Vater anerkannt -wurde. -</p> - -<p> -<a id="page-280" class="pagenum" title="280"></a> -Alle gingen selig, in Gefühlen und Hoffnungen schwelgend, -sprechend und scherzend die grüne Wiese hinunter. -Kilian unterhielt sich mit Sokrates. Gnädige Frau, sagte -er nachher zu Görges Mutter; der Mann kann Ihrem -Sohne auf die Beine helfen; ich habe ihm auf den Zahn -gefühlt, ich habe mit ihm disputirt, einen solchen Gelehrten -bekommen Sie niemals wieder. Indem man noch -sprach, hörte man von oben, die Felswand herunter ein -lautes Veto! rufen. Alle sahen hinauf und schwindelten, -denn von der steilsten Höhe hing der alte Graf Birken -reitend auf einem Ebreschenbaum. Veto! rief er noch einmal; -aber nun kommt schnell zu Hülfe, oder ich breche -den Hals! Widerrufen Sie erst Ihr Veto! schrie der -Pfarrer hinauf. Ich widerrufe, tönte es herab, aber ich -werde doch den Hals brechen. Die Bedienten liefen: die -Leute aus dem Dorfe holten Stangen, Leitern und Stricke. -Plötzlich brach der Baum, und der Graf stürzte herab; er -kam aber noch ziemlich glücklich auf dem Boden, zur -Freude Aller, an. — Wie ist er nur auf die steile Wand -gekommen? rief der Pfarrer. Ja, Schwiegervater, antwortete -der junge Graf Birken, Sie sehen, mein Papa ist -noch toller, als ich! -</p> - -<p> -Die Sonne sank und beschloß den seligsten Tag, den -Walther, Blanka und Raimund noch erlebt hatten. Franziska -schloß sich diesen an, und im gebesserten Herzen -fühlte sich Adlerfels als den glücklichsten Menschen. -</p> - -<h2 class="part" id="part-4"> -<a id="page-281" class="pagenum" title="281"></a> -<span class="line1">Musikalische Leiden und Freuden.</span><br /> -<span class="line2">Novelle.</span> -</h2> - -<p class="first"> -<a id="page-283" class="pagenum" title="283"></a> -<span class="firstchar">Z</span>wei Freunde stiegen vor der Stadt vom Wagen, um zu -Fuß durch die Gassen zu wandeln und den Fragen am -Thor auszuweichen. Es war noch ganz früh am Morgen -und ein Herbstnebel verdeckte die Landschaft. Etwas entfernt -vom Wege bemerkten sie ein kleines Häuschen, aus -welchem schon früh vor Tage eine herrliche Frauenstimme -erklang. Sie gingen näher, erstaunt über den unvergleichlichen -Diskant, wie über die ungewöhnliche Stunde. Einige -Träger brachten Lauten und viele Notenbücher, die kleine -Thüre öffnete sich, und neugierig gemacht, fragte der ältere -Reisende einen von den Tagelöhnern: hier, mein -Freund! wohnt wohl ein Musikus und eine Sängerin? -Der Teufel und seine Großmutter wohnt hier! erscholl -eine krächzende Stimme von oben aus dem offnen Fenster, -und zugleich fiel ein Lauten-Futteral dem Fragenden -auf den Kopf. In diesem Augenblick hörte der Gesang -auf, und der Frager sah im Fenster ein kleines greises -Männchen stehn, welches die zornigsten Geberden machte, -und dessen funkelnde schwarze Augen aus tausend Runzeln -hervor grimmige Blicke herunter schossen. Der Reisende -wußte nicht, ob er lachen oder schelten sollte, doch -sprach ihm aus dem greisen Kopfe etwas so Wunderliches -<a id="page-284" class="pagenum" title="284"></a> -an, daß er in Verlegenheit den Hut zog, und sich mit einer -höflichen Verbeugung stumm entfernte. -</p> - -<p> -Was war das, Herr Kapellmeister? sagte der jüngere -Reisende, als sie das kleine Häuschen schon im Rücken -hatten. Ich weiß nicht, erwiederte jener, vielleicht ein -wahnsinniger alter Mann, vielleicht gar dort in der Einsamkeit, -in der Nähe des Tannenwäldchens, eine Spukgestalt. -</p> - -<p> -Sie scherzen, sagte der Sänger; ich begreife jetzt selber -nicht, wie wir so gelassen seyn konnten, dem Alten -auf seine Grobheit nichts zu erwiedern. -</p> - -<p> -Lassen wir es gut seyn, sagte der Kapellmeister, indem -sie schon die noch ruhige Straße der Residenz hinunter -gingen: in dem Ton der Sängerin war etwas so -Wunderbares, daß es mich tief ergriffen hat; ich war wie -im Traum, und darum konnte mir auch der alte Thor keinen -Zorn abgewinnen. -</p> - -<p> -Wieder die alte Schwärmerei und Güte! rief der Sänger -lachend aus; denn erstens haben wir so gut wie nichts -gehört, und zweitens war in dem Wenigen noch weniger -Besonderes zu vernehmen, es war weder Methode noch -Schule in dem traurigen Gesange. -</p> - -<p> -Als sie jetzt um die Ecke nach dem Gasthofe zu bogen, -hörten sie aus einem obern Stock ein Lied pfeifen; -ein rundes, junges Gesicht kuckte mit der Schlafmütze -aus dem Fenster, und so wie er die Fußgänger gewahr -wurde, schrie er: Haltet, Freunde! einen Augenblick! ich -bin gleich unten! Gott im Himmel! das ist eine Erscheinung! -Er zog den Kopf so schnell zurück, daß er ihn -heftig an das niedere Fenster stieß und die Bekleidung des -Hauptes langsam schwebend zu den Füßen des Kapellmeisters -nieder sank. -</p> - -<p> -<a id="page-285" class="pagenum" title="285"></a> -Wunderbar! rief dieser, indem er die Zipfelmütze aufhob; -sagen diese sonderbaren Vorbedeutungen uns etwas -Gutes oder Schlimmes voraus? -</p> - -<p> -Es ist unser Enthusiast Kellermann, erwiederte der -Sänger: hören Sie, er rasselt schon mit dem Hausschlüssel. -</p> - -<p> -In diesem Augenblick stürzte der Bewunderer im -Schlafrock heraus und umarmte die beiden Künstler mit -theatralischer Herzlichkeit; er wurde es nicht müde, jedem -wieder von Neuem an die Brust zu stürzen, ihn zu drücken -und dann die Arme verwundernd in die Höhe zu strecken, -bis der Sänger endlich sagte: Laßt es nun gut seyn, Hasenfuß! -Ihr habt das Ding jetzt hinlänglich getrieben. -Ein Glück, daß noch kein Mensch auf der Straße ist, sonst -würden Eure Bockssprünge in dem saffrangelben Schlafrock -alle Gassenjungen aufregen. -</p> - -<p> -Also Ihr seid nun wirklich da, Ihr goldnen Menschenkinder? -rief der Enthusiast aus; was würde es mich -kümmern, wenn der vollständige Magistratus an meinem -Entzücken Aergerniß oder Theil nehmen wollte? Habe -ich doch seit drei Monaten nicht begreifen können, wozu -diese Gasse eigentlich gebaut sei, noch weniger, warum sie -so viele Fenster zum Auf- und Zuschieben habe, bis nun -endlich ihre Bestimmung erfüllt ist; Ihr kommt durch dieselbe -hergegangen, und ich kucke da oben mit meiner verlornen -Mütze heraus, um Euch im Namen der Nachwelt -zu begrüßen. Also nun wird Eure Oper doch gegeben -werden, ausbündigster Mann? -</p> - -<p> -Sind denn Sänger und Sängerinnen auch noch alle -gesund? fragte der lebhafte Kapellmeister. -</p> - -<p> -So, so, erwiederte jener, wie es die Laune mit sich -bringt; genau genommen, existirt das Volk gar nicht, sondern -<a id="page-286" class="pagenum" title="286"></a> -lebt nur wie im Traum; die Zugabe, die an die -Kehle mit Arm und Bein gewachsen ist, macht es oft -schwer, sie nur zu ertragen, der unnatürliche Geschwulst -aber oben, den sie Kopf tituliren, ist wie ein Dampfkolben, -um in diesem Recipienten die unbegreiflichsten Verrücktheiten -aufzunehmen. In so weit sind sie alle gesund, -als es ihnen bis jetzt so gefällt, ist aber die und jene -Arie ihnen nicht recht, hat der eine zu viel, die andre zu -wenig zu singen, geht die Arie aus As moll, wenn sie -Gis seyn sollte, so fallen sie vielleicht binnen drei Tagen -wie die Fliegen hin. -</p> - -<p> -Zieht Euch an, sagte der Sänger, und kommt zu uns -in den Gasthof hier drüben, so können wir mehr sprechen, -auch sollt Ihr uns auf den Besuchen begleiten. -</p> - -<p> -Ohne Antwort sprang Kellermann in sein Haus, und -die Reisenden begaben sich in das Hotel, wo sie ihren Wagen -schon fanden. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Im Hause des Barons Fernow war am Abend große -Gesellschaft versammelt. Der Ruf, daß der beliebte Kapellmeister -und sein erster Tenorist endlich angekommen -seien, hatte in die Wohnung des Musikfreundes alles getrieben, -was sich für die neue Oper interessirte. Man -hoffte, einige der vorzüglichsten Partien vorgetragen zu -hören, und viele drängten sich hinzu, um wenigstens -nachher in andern Gesellschaften darüber sprechen zu -können. -</p> - -<p> -In diesem Getümmel, welches der Hausherr, seine -Frau und eine Tochter mit Klugheit beherrschten, schwamm -der behende Enthusiast wie in einem Strome herum, um -Jedem von der Herrlichkeit der neuen Composition begeisterte -<a id="page-287" class="pagenum" title="287"></a> -Worte, über die große Manier, die lieblichen Melodieen -und den vortrefflichen Ausdruck in das Ohr zu raunen, -obgleich er selbst noch keine Note davon gehört hatte. -Sein rundes geröthetes Gesicht schob sich wie eine Kugel -von einem zuhörenden Kopf zum andern, und die meisten -Gesichter zogen jene nichtssagende Miene, die in Gesellschaften -geistreiche Aufmerksamkeit bedeuten muß. Jetzt -wurde ein Theil der Versammlung auf einen andern Gegenstand -hingerichtet, denn in einfacher, höchstsauberer -Kleidung trat ein junges Mädchen herein, von so glänzender -Schönheit, daß man ihren unbedeutenden Anzug -über den edlen und ausdrucksvollen Kopf, über die vornehme -Geberde, den feinen Anstand gänzlich vergaß, und -die Nahestehenden sie mit Ehrfurcht begrüßten. Die Tochter -des Hauses eilte auf sie zu, indem sie ausrief: o meine -theuerste Julie! wie glücklich machen Sie mich, daß Sie -meinen Bitten doch noch nachgegeben haben! Aber Ihr -Vater? — Sie wissen ja, erwiederte die Schöne, wie menschenscheu -er ist, wie wenig er mit seiner Melancholie und -Kränklichkeit in die Gesellschaft paßt; und ich gestehe, ich -würde auch nicht gekommen seyn, wenn ich einen so großen -Cirkel hätte vermuthen können. -</p> - -<p> -Die Umgebung sprach über die außerordentliche Schönheit -dieses Wesens, und man erfuhr, daß sie die Tochter -eines armen Musikers sei, die aus einer entfernten Stadt -dem Fräulein des Hauses einen Brief einer Freundin überbracht -hatte. Immer noch hatte der Kapellmeister mit -seinen Sängern keines der Stücke vorgetragen, weil der -Wirth noch einen jungen Grafen erwartete, der einer der -größten Enthusiasten für Musik seyn sollte. Denken Sie -sich, sagte der Baron zum Kapellmeister, den sonderbarsten, -unruhigsten aller Menschen, nichts interessirt ihn als Musik, -<a id="page-288" class="pagenum" title="288"></a> -er läuft von einem Concert in’s andre, er reis’t von -einer Stadt zur andern, um Sänger und Compositionen -zu hören, er vermeidet allen andern Umgang, er spricht -und denkt nur über diese Kunst, und selten ist er doch ruhig -genug, ein Musikstück ganz und mit völliger Aufmerksamkeit -anzuhören, denn er ist eben so zerstreut als -überspannt. Dazu scheint er den eigensinnigsten und eingeschränktesten -Geschmack zu haben, so daß ihm selten ein -Kunstwerk zusagt, eben so wenig ist er mit dem Vortrag -zufrieden, und dennoch bleibt er Enthusiast. Er ist von -großer Familie und reich, war eine Zeit lang in diplomatischen -Geschäften an einem angesehenen Hofe, hat aber -Alles der Musik wegen, die er doch oft nach seinen Reden -zu verabscheuen scheint, aufgegeben. -</p> - -<p> -Die nähern Freunde des Barons waren nach dieser -Schilderung sehr begierig, einen Mann zu sehen, der wie -von bösen und guten Geistern geplagt und verfolgt wurde. -Als daher Graf Alten eintrat, sahen ihm alle mit großer -Neugier entgegen. Er begrüßte die Gesellschaft hastig und -sein dunkles Auge durchlief sie eilig; dann senkte er den -Blick und setzte sein Gespräch mit einem alten, hagern und -eingeschrumpften Italiener fort, welcher mit ihm gekommen -war. Doch plötzlich brach er ab und rief halb vernehmlich: -Himmel! was ist das? Er stand unmittelbar -hinter Julien. Jetzt sang der Tenorist eine Arie der -neuen Oper, und Alles schien begeistert, der Graf war in -tiefen Gedanken. Nun, Eccellenza, fragte der Italiener -am Schlusse, sein Sie contentirt? Ich habe keinen Ton -gehört, antwortete der Graf, indem er den Kopf erhob -und die schwarzen Locken aus der denkenden melancholischen -Stirne strich. -</p> - -<p> -Er benutzte die Pause, in welcher sich Alles lobend -<a id="page-289" class="pagenum" title="289"></a> -und bewundernd um den Kapellmeister drängte, vorzutreten -und sich neben Julien zu setzen. Er wollte sie anreden, -aber indem sie höflich das Antlitz zu ihm wandte, fuhr er -wie erschreckt zurück. Nein, wahrlich, dergleichen hatte ich -nicht erwartet! sagte er für sich. Das junge Mädchen -war erstaunt und verlegen. Verzeihen Sie, redete der Graf -sie heiterer an, Sie werden mich sonderbar finden; als ich -vorher hinter Ihnen stand, mußte ich glauben, eine ehemalige -Bekanntschaft zu erneuen, und jetzt bin ich von -Ihrer mehr als wunderbaren Schönheit so geblendet worden, -daß ich Zeit haben muß, um mich zu fassen. Die -wahre ächte Schönheit kann wohl erschrecken, denn etwas -Uebermenschliches kündigt sich unsern Sinnen und dem -Gemüthe an. Himmel! wie müssen Sie singen! -</p> - -<p> -Ich singe gar nicht, Herr Graf, und habe weder -Stimme noch Kenntniß der Musik, erwiederte sie mit angenehmem -Ton. -</p> - -<p> -Der Graf sah sie prüfend an, schüttelte dann zweifelnd -den Kopf und murrete unverständliche Worte verdrossen -vor sich hin. Jetzt wurde ein Duett vorgetragen, -und Alles war aufmerksam, nur der Graf betrachtete unverwandt -seine Nachbarin. Das Duett war schwierig und -die erste Sängerin äußerte ihren Verdruß, der Kapellmeister -wurde empfindlich, wies zurecht, half nach, Alles vergebens; -man mußte abbrechen, indem die Virtuosin behauptete, -die Passage müsse geändert werden, weil sie ihrer -Stimme ganz entgegen sei; der Componist meinte, er -dürfe Ausdruck und Kraft nicht dem Eigenwillen aufopfern, -denn die vortreffliche Künstlerin könne dies und noch -schwierigere Sachen leisten, wenn sie sich nur bemühen -wolle. Darüber aber wurde der Gesang völlig unterbrochen, -und indem der Kapellmeister ein anderes Musikstück -<a id="page-290" class="pagenum" title="290"></a> -anordnen wollte, sagte der Graf zu Julien: ich wette, Sie -können diese schwierige Stelle ohne Anstoß vom Blatte -singen, wenn Sie nur wollen. Als Julie zu leugnen fortfuhr, -sagte jener: Ihre Röthe, Ihr Auge widerspricht! -Wie? dieser gewölbte Mund sollte in der Mitte der Lippen -diese sanfte, seelenvolle Erhöhung von selbst haben, -und nicht von den reinen vollen Tönen, die so oft über -diesen Hügel schwebten? Denn nur der Ton, wenn er -stark und lieblich die rothe Straße befährt, darüber klingend -weht, bildet diese ausdrucksvolle Erhebung; ganz im -Gegensatz jener gefurchten Mundwinkel, die jene berühmte -Sängerin dort hat, die mit breitgedrückten und in die -Länge gequetschten Lippen den armen kreischenden Ton -hervor preßt. Sie versündigen sich, meine Schöne, daß Sie -Ihr großes Talent verleugnen wollen. -</p> - -<p> -Sie sind zu scharfsichtig, erwiederte Julie; um so -trauriger, daß Sie dennoch irren. -</p> - -<p> -Sie sprechen auch ganz wie eine Sängerin, fuhr jener -fort, es ist ein lieblicher aber unterdrückter Ton in der -Rede, der seine Fittige nicht auszufalten wagt. Wenn -Sie doch nur wenigstens einen einzigen Ton anschlagen -wollten! das Glück meines Lebens hängt davon ab, daß -Sie singen können. -</p> - -<p> -Sie quälen mich, Herr Graf, antwortete die Verlegne -empfindlich; ich versichere Sie auf das Theuerste, ich -werde nicht singen, weil mir diese herrliche Gabe von der -Natur versagt wurde. -</p> - -<p> -Gnaden, sagte der braune kleine Italiener, sollen Alles -zu Virtuosen haben: kann aber nicht Alles singen, was -hübsch und feinen Mund hat. Conträr! haben oft göttliche -Prima Donna vor pur himmlisch Gesang und forzirt -<a id="page-291" class="pagenum" title="291"></a> -Schreien eine Schnautz wie Signor Cerberus, der -die Talent hat, dreistimmige Sach solo durchzuführen. -</p> - -<p> -Der frohe leichte Geist der Musiker war gestört, der -Kapellmeister verstimmt, und die erste Sängerin mehr als -verdrießlich. Der Enthusiast war in der Klemme, weil -er es mit keinem verderben und doch keinen stummen -gleichgültigen Zuschauer abgeben wollte. Da man sah, -daß für diesen Abend nichts Bedeutendes mehr geschehen -würde, so entfernten sich nach und nach die Fremden, -auch die Musiker gingen, und nur der Kapellmeister -blieb, dem sich der Enthusiast, ohne eine nähere Einladung -abzuwarten, anschloß; der gedankenvolle Graf und -sein Italiener verweilten ebenfalls, um mit der Familie -des Barons beim Glase Wein und einem leichten Abendessen -sich zu erheitern. -</p> - -<p> -So ist es nun wieder wie fast immer ergangen, fing -der Kapellmeister an, als sie um den runden Tisch saßen; -man arbeitet sich ab, man studirt, man quält, und endlich -freut man sich auch, wenn das Werk vollendet ist -und gelungen scheint, und dann muß es diesen elenden, -verdorbenen Handwerkern übergeben werden, die nichts -gelernt haben, und mit dem Wenigen, was sie wissen, -noch wie mit Wunderwerken hinter dem Berge halten -wollen. Kann es einen traurigern Beruf, als den eines -musikalischen Componisten geben? Denn endlich nun, -wenn auch dieser Jammer durch Bitten, Drohen, Scherzen, -Vergötterung, Lüge und Falschheit, durch kleine Aenderungen, -Zusätze und Wegnahme überwunden ist, wird -das gemarterte Werk der Laune des Publikums, und dem -blinden Zufall, seinem allmächtigen Beherrscher übergeben. -Nun muß es aber weder zu heiß, noch zu kalt, das Haus -muß weder zu voll noch zu leer seyn, keine große politische -<a id="page-292" class="pagenum" title="292"></a> -Neuigkeit darf sich eben haben hören, ja keine Seiltänzer -und Springer anmelden lassen, um das so nothwendige -Klatschen und mit diesem armen Beifall einigen -Enthusiasmus zu erregen. Und doch kann man es nicht -lassen, sich wieder in der Vorstellung zu erhitzen, um eine -neue undankbare Arbeit zu beginnen. -</p> - -<p> -Wo ist die Dame geblieben? fuhr der Graf plötzlich -auf. -</p> - -<p> -Neben der Sie lange saßen? fragte die Tochter. Diese -ist längst fort und von einer Magd abgeholt worden, -denn sie wohnt entlegen, in einer fernen, unbekannten -Gasse. -</p> - -<p> -Die sollte ihre treffliche Arbeit singen, sagte der -Graf, da würden wir etwas anders hören. -</p> - -<p> -Sie irren, berichtigte die Tochter, ich weiß, daß das -junge Frauenzimmer durchaus nicht musikalisch ist. Sie -ist aber sonst in weiblichen Arbeiten sehr geschickt, auch -hat ihr Vater, ein alter, verarmter Musikus, sie etwas -zeichnen lernen lassen. -</p> - -<p> -O du alter Sünder! rief der junge Graf im höchsten -Verdruß: und keinen Gesang diesen Lippen, keinen -Ton diesem schwellenden Munde! Ist es nicht, als wenn -man der Rose den Duft rauben wollte, den die Natur -ihr gleich im Erblühen mitgegeben hat? -</p> - -<p> -Die Tochter war etwas empfindlich, denn sie glaubte -auch eine Sängerin zu seyn, da aber der Kapellmeister -in seiner Klage fortfuhr, so blieb ihre gespitzte Antwort -unbeantwortet. Abgesehn aber, fuhr der Kapellmeister -fort, von diesen armseligen Zufälligkeiten, so verkündigen -sich auch erst am Kunstwerke selbst bei der öffentlichen -Darstellung Mängel, welche sich der Componist vorher -auf seinem Zimmer nicht hat träumen lassen. Denn mögen -<a id="page-293" class="pagenum" title="293"></a> -wir ein Werk noch so oft durchsingen, genau kennen, -von allen Seiten prüfen, das Urtheil aller Freunde und -Kenner vernehmen, so bleibt Manches, und oft das Beste, -zurück und das Schlimmste zeigt sich bei der Aufführung -erst. Und überhaupt — die Bestimmung des Künstlers! -Ist sie nicht eine traurige? Ich setze mich zu keinem -neuen Werke nieder, ohne innig überzeugt zu seyn, daß -ich nun etwas ganz und durchaus Treffliches, Vollendetes -erschaffen werde, das meine großen Vorgänger erreicht, -und sie selbst hie und da übertreffen möchte. Diese -himmlische Ruhe und Sicherheit verschwindet aber bald -während der Arbeit; mein Entzücken an meiner Hervorbringung -wechselt mit den bittersten Zweifeln. Dann -fühl’ ich oft recht innig, daß ganz, ganz nahe an dem, -was ich schreibe, das Wahre und Himmlische liegt, daß -meine Noten anklopfen und den Wandnachbar, den unbekannten, -begrüßen: mir ist, ich dürfte nur den Kopf so -oder so wenden, so müßte mir der Genius sichtbarlich -entgegen treten, — und immer, immer wieder erscheint -er nicht! Mein Geist quält sich, um außen, weit ab, -die Bahn anzutreffen — und so im Jammer, im Resigniren, -arbeite ich weiter. Es gemuthet mir wie der -Affe mit seiner traurigen Unruhe und dem fatalen Gesichterschneiden: -vielleicht hat er jeden Moment dunkler -oder deutlicher eine Ahndung von der Vernunft, will sie -nun, die nah Erreichbare, und nun wieder haschen und -sich dann besinnen, und findet sich immer wieder in seinem -widerwärtigen Zustand eingeriegelt. -</p> - -<p> -Jetzt trat noch ein Mann reifen Alters zur Gesellschaft, -ein Gelehrter und Hausfreund des Barons, der -sich fast täglich einfand, aber gern die größeren Versammlungen -vermied. Sie haben wieder, redete ihn der Wirth -<a id="page-294" class="pagenum" title="294"></a> -an, unser Concert, wie Sie es gewöhnlich machen, nicht -mit anhören wollen. Ich bin zu sehr Laie, erwiederte -der Freund, und darum mag ich mich nicht unter die -Kenner drängen; soll der Unmusikalische den Gebildeten -durch seine trockne Gegenwart ihren Genuß verkümmern? -</p> - -<p> -Wir kennen diesen Schalk schon, rief ihm der Kapellmeister -zu, indem er den alten Bekannten begrüßte. -Sie haben recht gethan, denn unsre Sängerinnen haben -wieder den alten Spuk getrieben, schlecht gesungen, sich -zu vornehm gedünkt, die Musik kritisirt, und endlich damit -beschlossen, alle Musik in Verstimmung und Eigensinn -zu beerdigen. -</p> - -<p> -Sie sind also wirklich unmusikalisch? fragte der Enthusiast; -und Sie machen auch kein Hehl daraus? -</p> - -<p> -Warum sollte ich es? antwortete der Laie; kein -Mensch kann alle Talente in sich vereinigen, oder alle -seine schlummernden Anlagen erwecken und ausbilden. -</p> - -<p> -Viel Charakter, es so dreist zu bekennen, erwiederte -der junge Mann, der durch vieles Schwatzen während der -Musik und dem hastigen Genuß des starken Weines in -eine Laune erhitzt gerathen war, deren Sonderbarkeit er -selber nicht zu bemerken schien: sehn Sie, fuhr er fort, -daraus ist schon viel Unheil für mich entstanden, daß ich -mich zu solchem Muthe nicht habe entschließen können. -Ich war anfangs (und wie es schien, von Natur so geschaffen) -gar kein Musikfreund, ich hatte kein Ohr, ich -konnte keine Melodie behalten; darum vermied ich auch -Concerte und Opern, und in Gesellschaften, wenn Lieder -gesungen, wenn Cantaten aufgeführt wurden, sprach ich -entweder, oder suchte eines Buches habhaft zu werden. -Denn gewiß, nichts verschließt unser Ohr so sicher vor -all den herein und durch einander fahrenden Tönen, als -<a id="page-295" class="pagenum" title="295"></a> -ein tüchtiges und vorhaltendes Gespräch über Stadtneuigkeiten -oder einige interessante Verleumdungen. Sehe -man nur den Stock! ertönte es nun von allen Seiten: -hat die dicke Figur wohl eine menschliche Seele in seinen -weitläufigen Fleischanlagen sitzen? Von der Musik, der -göttlichsten aller Künste, nichts zu verstehn! Ist wohl -ein Block, ein Stein, der nicht gewissermaßen von der -himmlischen Harmonie gerührt werden müßte? — Nun -gefiel mir dazumal auf mehr als gewöhnliche Weise ein -gewisses Frauenzimmer: diese pflegte, so wie gesungen -wurde, vor übermäßiger Empfindung herzlich zu weinen. -Dieser nun war ich mit meinem kalten Herzen gradezu -ein Abscheu. Wie? sagte sie, lieben wollen Sie, der Sie -nicht einmal eine Ahndung jener Wonne haben, die aus -dem Himmel stammt, und mit der Liebe so nah verwandt -ist? — Da, Freunde! faßte ich nun den großen -Entschluß, umzusatteln, und von der Musik gehörig begeistert -zu werden. Alle meine Freunde und Bekannten -erstaunten, als ihnen meine neugeprägte blanke Entzückung -in die Augen strahlte. Da war nun auch gar kein Halten -mehr, ich übertraf Alles in der Begeisterung, was ich -nur je in den Gesellschaften hatte beobachten können; -Alles zappelte an mir vor Freude, so wie nur das Clavier -angeschlagen wurde, die Beine trommelten, die Arme -schlenkerten, die Augen wackelten, ja ich nahm die Zunge -zu Hülfe, und leckte mir zuweilen die vor Erstaunen weitgeöffneten -Lippen. Dann mußten die Hände klatschen, -die Augen, wenn es irgend möglich zu machen war, weinen, -die ausgestreckten Arme Bekannt und Unbekannt -an dies stürmische Herz schließen, das mit mächtigen -Schlägen im wildesten Enthusiasmus klopfte. Ja, wenn -ich nachher in mein einsames Zimmer trat, war ich so -<a id="page-296" class="pagenum" title="296"></a> -müde und matt, so mürbe und zerschlagen, daß ich zuweilen -Kunst und Künstler, Liebe und Harmonie, so wie alle -die bezaubernden Gefühle zum Satan wünschte. -</p> - -<p> -Aber empfanden Sie nun wirklich recht viel? fragte -der Laie lachend. -</p> - -<p> -Das ist eine bedenkliche Frage, erwiederte der Enthusiast; -was der Mensch so stürmisch will, davon muß -wohl etwas auch wirklich in sein Wesen übergehn; es -wäre unbegreiflich, wenn durch das vorsätzliche Nachspielen -nicht hie und da ein Gefühl in unsrer Brust wiederklingen -sollte. Aber um doch ganz aufrichtig zu seyn, -so war mir bei all diesem Bewundrungsbemühen oft unerträglich -nüchtern zu Muthe, so recht, was der Haufe -langweilig nennt, und wenn ich nicht so stark mit Händen -und Füßen gearbeitet hätte, so wäre mir wohl oft -ein herzliches Gähnen angekommen. Das Schlimmste -aber ist, ich habe doch nichts dabei gewonnen; denn meine -boshaften Freunde meinten, ich hätte den Ansatz zu hoch -genommen, und sei von der andern Seite vom Pferde -wieder hinunter gefallen. Sei ich erst wie ein verstocktes -dumpfes Thier gewesen, so erscheine ich jetzt wie ein verwilderter -Hasenfuß, mein Enthusiasmus träte als ein -verzerrender Krampf auf, man müsse fast glauben, mein -Arzt habe mir diese übertriebene Motion nur empfohlen, -um sie gegen mein Fettwerden zu gebrauchen. Ach! und -die Musiker! Von denen habe ich das Meiste gelitten. -Vor acht Monaten war es, als hier im Saal die beiden -berühmten Compositeurs ihre Sachen aufführten. Wie -der erste geendigt hatte, konnte ich ihm richtig mit fließenden -Thränen an seinen Hals fallen, und der Mann -klopfte mir selber über mein Entzücken gerührt mit aller -Freundschaft auf den Rücken, wir drückten uns recht -<a id="page-297" class="pagenum" title="297"></a> -herzlich zusammen, und er sagte ganz laut, er habe noch -keinen so gründlichen Kenner in allen Reichen der musikalischen -Welt angetroffen. Nun brannte der andere -Mann aber auch sein Kunststück los. Thränen hatte ich -nicht mehr, es meldete sich aber ein großartiges Schluchzen, -was noch höher lag als die Thräne, — und ein -ganz stummer Druck, ein Vergehen, Aufgelöstseyn, fast -sterbend in die Arme des zweiten Hinfallen, ja ein reelles -Abstehn mußte diesen großen Meister belohnen. Der -grobe Schelm ließ mich aber geradezu auf das Parket -hinschlagen, ohne mir seine dankbare Brust unterzustemmen, -und sagte, wie ich in der Kunstohnmacht lag, höhnisch -zu mir: bleiben Sie in des Himmels Namen liegen, -denn wer über die Stümperei jenes Menschen dort weinen -kann, verdient gar nicht, einen Ton von mir mit seinen -Ohren aufzufassen. So erhob ich mich, um Trost -bei meinem großen Freunde zu suchen, dessen allergrößter -Kenner ich war. Er sprang aber auch vor meinem Ausruf -weg, so daß ich mit der Nase fast an die Wand stieß, -unter dem nichtigen Vorwande, daß wer so wenig ächtes -Gefühl besitze, daß er das Armselige wie das Edle so -übermäßig bewundern könne, für die Kunst ein mißgeschaffenes -Ungeheuer sei. Wie ich nun bei meiner Geliebten -Hülfe suchen wollte, war sie ebenfalls gegen mich -empört, denn ich hatte bei ganz unrechten Stellen geweint -und da am lebhaftesten empfunden, wo grade die wenigste -Empfindung hingehörte. O Theuerste, Verehrteste, möchte -man nicht fast veranlaßt seyn, den Schwur zu thun, daß -man bei Arioso und Cavatine, Finale und Ouvertüre, -Adagio und Presto nur mit ruhig gekretschten Beinen -dasitzen und höchstens zuweilen den Tact schlagen wolle; -denn wenn all dies Hämmern und Puffen, dies Abarbeiten -<a id="page-298" class="pagenum" title="298"></a> -unsers irdischen entzückten Herzens, diese weissagende -rinnende Thräne, die den Wiederschein der Unsichtbarkeit -abspiegelt; wenn alles dies nichts fruchtet, sag’ ich noch -einmal, und statt paradiesischer Sympathie nur die infernalische -Antipathie erregt, so wünschte man ja lieber -Balgentreter oder Schmiedegesell, als ächter Enthusiast -zu werden. Darum wundert Euch nicht, wenn ich der -undankbaren Kunst wieder einmal den Rücken wende. -</p> - -<p> -Als man über diese Geständnisse lachte, sagte der -Laie im frohen Muth: in meinem Leben gehören die -Leiden der Musik auch zu den empfindlichsten. Nicht der -zu starke Enthusiasmus hat mir geschadet, wohl aber -sind meine Kinder- und frühen Jugendjahre mir durch -Musik verbittert worden. Lächerlichkeiten, an die ich noch -jetzt mit einigem Schrecken denken muß. -</p> - -<p> -Sprechen Sie, alter Freund, rief der Kapellmeister, -habe ich doch auch schon erst mein Leiden geklagt, was -Sie freilich nicht mit angehört haben. -</p> - -<p> -Ich mochte zwölf Jahr alt seyn, fing der Laie an, -es ging mir gut, in der Schule rückte ich schnell hinauf, -meine Lehrer so wie meine Aeltern waren mit mir zufrieden, -als ein böser Geist, dieser Behaglichkeit und Harmonie -zürnend, sein Unkraut unter den aufwachsenden -Waizen säete. Mein Vater, ein strenger, aber heiterer -Mann, ließ mir frei, meine Bestimmung zu wählen, er -war ein Freund der Musik, aber ohne alles Talent. An -einem Nachmittag fragt er mich, ob ich vielleicht Lust -hätte, ein Instrument zu spielen. Mir war der Gedanke -noch niemals gekommen; ich solle es mir überlegen, er -verlange es nicht, aber wenn ich mich entschließe, müsse -ich auch Ernst machen. Darauf kannte ich ihn, ich wußte, -daß er sich nicht wundern würde, im Fall ich keine Musik -<a id="page-299" class="pagenum" title="299"></a> -triebe, aber einmal angefangen, durfte ich die Sache -niemals wieder fallen lassen. Mir war, weil mein Ohr -noch schlief, bis dahin alle Musik höchst gleichgültig und -langweilig vorgekommen. Die Opern haßte ich geradezu, -weil bei den Arien und Duetten, von denen ich nichts -vernahm, die Handlung, die mich einzig interessirte, stehen -blieb. Nie war in unserm Hausbedarf von Musik -etwas vorgekommen, außer in den Stunden bei dem -Tanzmeister, zu dessen vorzüglichsten Scholaren ich gehörte, -der es mir aber nie hatte deutlich machen können, daß die -Musik seiner Geige mit zum Tanz gehöre. Traf ich daher -gleich anfangs den Tact, so tanzte ich meine Menuet, -Cosak, oder was es war, trefflich hindurch. Fehlte es -mir aber, so half kein Aufkratzen, Anhalten, Beschleunigen, -mich wieder in den verlornen Tact zu werfen. Ich -hielt es auch geradezu für Aberglauben, daß man herkömmlich -zum Tanzen aufspiele. Konnte mich schon hier -die Musik ängstigen, so brachte sie mich in der Kirche, -die mir schon nicht erfreulich war, fast zur Verzweiflung. -Meine Nerven waren schwach, und die losbrausende Orgel -mit ihren schmetternden Tremulanten verwirrte mein -Gehirn und unerträglich fiel mir der unisone kreischende Gesang -der Gemeine. Mit beiden habe ich mich auch noch nicht -vertragen lernen: die Orgel, sei sie eine erhabene Erfindung, -erschreckt und ängstigt sie mich in der Nähe, und dieser -Choralgesang, der sich so demüthig, wie gefesselte reuige -Verbrecher, auf dem Boden hinschleppt, nimmt mir, so -oft ich ihn auch gut vorgetragen höre, allen Muth, alle -Poesie und Musik erlischt bis auf das letzte Fünkchen -in meinem Gemüth, und ein nüchterner Lebensüberdruß -bemächtigt sich meines Geistes. -</p> - -<p> -Darüber ließe sich viel sagen, meinte der Kapellmeister, -<a id="page-300" class="pagenum" title="300"></a> -doch komme auch wohl eine seltne Eigenthümlichkeit -des Laien hinzu. -</p> - -<p> -So fern, begann dieser wieder, war ich aller Musik, -und keine Spur eines Talents hatte sich gezeigt, als der -böse Geist es mir in den Kopf setzte, in mir sei vielleicht -ein großer Violinspieler verborgen. Die Geige wurde -angeschafft, ein Lehrer angenommen. Es hatten sich aber -nun der seltsamste Scholar und der wunderlichste Meister -zusammen gefunden, denn dieser unterrichtete mich eigentlich -so, als wenn ich schon seit Jahren ein nicht unwissender -Violinspieler gewesen wäre. In der ersten Stunde -ließ er mich nur die Geige anstreichen, was mir bei meinen -zarten Nerven keine Freude verursachte. Zur folgenden -hatte er mir schon ein Buch gemacht, und einige -leichte Lieder hinein geschrieben. Dies Stück, sagte er, -geht aus <span class="antiqua">D dur</span>; es war: Blühe, liebes Veilchen. Ich -bekümmerte mich nicht weiter darum, was die beiden -Kreuze oder <span class="antiqua">D dur</span> zu bedeuten hatten, ob es eine oder -mehrere Tonarten gäbe, was die Tactabtheilung, oder die -Striche an den Noten bedeuteten, sondern wir spielten -nun wohlgemuth das Lied durch, und ich ihm nach, Fingersetzung -und Alles aus dem Gedächtniß. So ging es -beim zweiten und dritten Liede, welches aus <span class="antiqua">C dur</span> ging. -Ich sah wohl, daß nun die Kreuze fehlten, und er nannte -jedesmal die Tonart, wenn ich falsch griff, fand es aber -gar nicht nothwendig, weitere Erklärung hierüber, oder -über die Dauer der Noten hinzu zu fügen. Es klingt -märchenhaft, aber eben so wahr ist es, daß ich in dieser -Manier sechs bis sieben Jahr die Geige gestrichen habe, -ohne daß der Trieb in mir erwachte, der Sache näher auf -den Grund zu kommen, oder daß er es nothwendig geachtet -hätte, unsrer practischen Kunst einige Theorie anzuhängen. -<a id="page-301" class="pagenum" title="301"></a> -Uebrigens kann man sich vorstellen, wie es -lautete. Da ich Länge und Kürze der Töne, ihre Abweichung -in Moll und Alles, was die Musik ausmacht, -ohne jedes Verständniß, nur aus dem Gedächtniß spielte, -(denn ich kannte nur die Note an sich selbst, so wie sie -auf der Linie stand, und nichts weiter) da ich überdieß -gar kein Gehör hatte, den Bogen schlecht führte, und in -der Fingersetzung häufig irrte, so begreift sich’s, was ich -für ein Charivari hervor brachte. Mein Meister, der wirklich -geschickt im Spiel war, klagte in jeder Stunde über -seine Ohren. Ich selbst litt, so oft ich die Violine unters -Kinn nahm, wahre Höllenpein. Dies Schnarren, -Pfeifen, Mauzen und Girren war mir unerträglich: selbst -der beste Geiger hat, wenn man ihn zu nahe hört, einen -Nebenton, die stark angestrichene Saite, besonders in der -Applicatur, überschreit sich zuweilen, aber bei mir thaten -sich fast nur die abscheulichsten Mißtöne hervor. Da -meine Nerven so stark afficirt wurden, so zeigte sich mein -Widerwille gegen das Geheul und Schnarzen, welches -meine Finger so dicht vor meiner Nase erregten, auch -deutlich in meinen Gesichtsmuskeln, der Mund und die -Wangen begleiteten mit widerlichen Verzerrungen die hohen -und tiefen Töne, die Augen klemmten sich zu und -rissen sich auf, und ich fühlte deutlich, daß manche neue -Falten und Lineamente sich formirten, die ursprünglich -nicht für ein gewöhnliches Menschengesicht berechnet waren. -Mein tiefsinniger Meister schüttelte oft sein Haupt, -und meinte, so wenig Talent als ich habe keiner seiner -Scholaren. Mir begegneten aber auch in der That mehr -Unglücksfälle, als ich sonst bei ausübenden Künstlern -wahrgenommen hatte. Kamen wir so recht in Eifer und -lieferten, nachdem ich schon länger studirt hatte, die raschen -<a id="page-302" class="pagenum" title="302"></a> -muthigen Passagen: so rutschte im Allegro mein -Bogen über den Steg, und im Entsetzen ließ mein Lehrer -die Geige sinken, denn welcher Ton alsdann im heftigen -Streichen aufquikt, weiß nur der, dem dieses Abenteuer -begegnet ist. Mehr wie einmal fiel der Steg -selber um, wie aus Mitgefühl, und ein heftiger Knall -endigte mit Macht ein schmachtendes Largho mitten in -der Note. Einmal sogar, und ich dachte der Tod ergriffe -mich, brach der Knopf ab, der unten das Saitenbrett -festhält, und sprang unbarmherzig gegen meine Nase. -Für diese Stunde war denn unsre Harmonie zu Ende, -und das Instrument mußte erst wieder hergestellt werden. -Nach einem Zeitraum war denn auch mein Vater so neugierig -zu hören, wie ich mich applicire. Ich trug ihm einige -der Lieder vor, die ich am besten inne zu haben glaubte. -Er erschrak über das, was er hörte, und erstaunte noch -mehr über das, was er sah. Er meinte nämlich, in der -Kunst, Gesichter zu schneiden, sei ich unbegreiflich weit -vorgeschritten, und meine Musik könne doch von Nutzen -seyn, Ratten und Mäuse zu vertreiben; er warnte mich -nur zum Beschluß, den Ausdruck meiner musikalischen -Physiognomie doch etwas zu beschränken, weil ich außerdem -auf dem graden Wege zum Affen sei. Das war -mein Lohn dafür, daß ich das damals populäre rührende -Lied: Hier schlummern meine Kinder &c. ihm nicht ganz -ohne Glück vorgetragen hatte, denn dies war gradezu meine -Lieblings-Arie, in der ich firm zu seyn glaubte, die auch -in den Mitteltönen mit melancholischer Gesetztheit verweilte, -und nicht in den Discant oder gar in die Applicatur -hinauf stieg, die ich ein- für allemal verabscheute. -</p> - -<p> -Hatten Sie denn aber gar keinen Ersatz für diese -mannigfaltigen Leiden? fragte der Kapellmeister launig. -</p> - -<p> -<a id="page-303" class="pagenum" title="303"></a> -Wenig, erwiederte der Laie: als mein Lehrer es nöthig -fand, wegen des Ausdrucks für mich ein Sordin zu -kaufen, den ich mit Freuden aufsteckte, weil es doch einmal -einen andern Ton gab, die Dämpfung auch wie ein -spanischer Reiter es dem reißenden Bogen unmöglich -machte, wieder jenseit dem Steg zu springen. Auch -machte es mir innige Freude, als wir erst weiter vorgerückt -waren, in den Ouvertüren die Vierundsechszigtel -als eine und dieselbe Note dreißigmal abzuspielen, welche -meistentheils gegen Ende des Stücks, kurz vor dem Aufzug -der Gardine, vorkommen. Diese wiederholte ich gern -in der Einsamkeit, weil in diesen Passagen keine große -Schwierigkeit ist, mir auch der so oft wiederholte Ton -die Empfindung gab, als wenn ich in meinem geliebten -Theater säße. -</p> - -<p> -Aber damals, fragte der Kapellmeister, hatten Sie -doch wohl einige klare Begriffe von der Musik? -</p> - -<p> -So wenige, antwortete der Laie, wie in der allerersten -Stunde; Tact, Vorzeichnung, Tonart, nichts von -alle dem begriff ich, sondern spielte Sonaten und Symphonieen -so pur aus dem Gedächtniß hin, wie ich es -von meinem Lehrer hörte! auch vernahm ich keine Melodie, -keinen musikalischen Gedanken; hie und da führten -mir wohl ein paar Tacte eine Art von Verständniß herbei, -das ich aber nie weiter verfolgen konnte. So fern -war ich allem Begreifen, daß ich mir einmal einbildete, -weil <span class="antiqua">g</span>, <span class="antiqua">h</span>, <span class="antiqua">a</span> und <span class="antiqua">b</span> vorkommen, daß das ganze Alphabet -wohl in den Noten enthalten sei, und daß man bei der -Composition eines Liedes nichts zu thun habe, als die -Noten zu nehmen, die die Buchstaben eines Wortes bezeichneten, -und sie dann schneller oder langsamer abzuspielen. -Wie ich nun meinen Lehrer fragte, wo denn das -<a id="page-304" class="pagenum" title="304"></a> -<span class="antiqua">m</span>, <span class="antiqua">r</span> oder <span class="antiqua">p</span> stecke, wurde ich zwar von diesem sehr verlacht, -aber doch nicht besser belehrt, denn er erstaunte nur -immer von Neuem über meine ungeheure Einfalt, daß ich -das alles nicht wisse, was sich doch von selbst verstehe. -Eben da mir alle Musik nur wie ein Charivari vorkam, -so ließ ich mir beigehn, auch selbst einmal zu componiren. -Der Tact schien mir gleich ein Vorurtheil, eine -Tonart brauchte ich noch weniger, und nie werde ich die -Freude vergessen, die ich meinem Meister machte, als ich -meine wild zusammen gewürfelten Noten ihm als meinen -ersten dichtenden Versuch überbrachte. Er wollte sich -ausschütten vor Lachen, und konnte nicht müde werden, -sich unter Lust und Freude meine Phantasie vorzuspielen. -Mir klang sie wie jede andere Musik. -</p> - -<p> -Der braune alte Italiener erfreute sich sehr über -diese Erzählung, und selbst der finstere Graf lächelte. Es -ist unbegreiflich, sagte der Baron, daß Sie so lange ausgehalten -haben. Ich mußte wohl, erwiederte der Erzähler, -meines strengen Vaters wegen, da ich das Ungethüm -einmal begonnen hatte. Sonst bekümmerte er sich nicht -weiter um meine Kunst, weil er einigemal, da ich ihm -Sonntags Nachmittags einen Zeitvertreib machen sollte, -von meinem Spiel, wie er behauptete, Zahnschmerzen bekommen -hatte. Einmal widerfuhr mir als ausübenden -Künstler eine ausgezeichnete Demüthigung. Die Besitzerin -des Hauses, in welchem wir wohnten, hatte zum Geburtstage -ihrer erwachsenen Tochter eine große Anzahl -hübscher Mädchen gebeten. Um das Fest unerwartet -fröhlich zu machen, hatte die gute Dame mit meiner -Mutter die Abrede getroffen, ich sollte heimlich mit meiner -Geige hinauf kommen, im Nebenzimmer plötzlich stimmen, -und den überraschten schönen Kindern dann einige -<a id="page-305" class="pagenum" title="305"></a> -englische Tänze aufspielen, damit sie einmal im Saale -recht wohlgemuth herumspringen könnten. Ich wurde in -das Nebenzimmer mit allem Geheimniß geführt: ich sah -durch den Vorhang in die allerliebste Versammlung hinein, -— aber nun, — die Geige <em>stimmen</em>! Wie gemein! -Ich hatte es auch in meinem Leben nie versucht, -weil mein Meister das besorgte, ich hörte auch niemals -einen Unterschied, wenn sie nach seiner Meinung im Stande -war, und wenn sie nicht jetzt schon richtig stimmte, so -konnte ich auf jeden Fall nur Uebel ärger machen. Es -schien mir edler sowohl wie vorsichtiger, mit meiner Lieblings-Arie -mich anzukündigen, und so ließ ich dann plötzlich -das: „Hier schlummern meine Kinder“ anmuthig -ertönen. Die Freude dieser Nicht-Schlummernden war -unbeschreiblich, mit Jubel ward ich in den Saal gezogen, -wo ich wie geblendet stand, da ich noch niemals so viele -reizende Wesen beisammen gesehen hatte. Das war ein -Fragen und ein Bestellen; ich zeigte ihnen die englischen -Tänze, die mir mein guter Meister in mein Notenbuch -geschrieben hatte, ich spielte einen auf, aber er wollte nicht -passen. Sie fragten nach der Anzahl der Touren und -dergleichen, was mir alles unverständlich war. Ich sollte -ihnen den Tanz und die Musik dazu arrangiren. Ich versuchte -noch eine Anglaise und eben so die dritte, nun war -meine Kunst zu Ende, und da auch diese nicht paßten -und wir uns gar nicht verständigen konnten, so mußte -ich, den sie im Triumph eingeholt hatten, mit der größten -Beschämung wieder abziehen, und sie endigten ihren -Nachmittag in Verdruß, der ihnen ohne die plötzliche unerwartete -Freude heiter verflossen wäre. Meiner Mutter, -die mich ausfragte, erzählte ich, die Mädchen hätten eigentlich -gar nicht tanzen können; und so kam es mir -<a id="page-306" class="pagenum" title="306"></a> -auch vor, da sie sich aus meinem Spiel nicht zu vernehmen -wußten. — Mein Meister wurde endlich zu einer -auswärtigen Kapelle verschrieben, und nun glaubte ich, -meiner Qual los zu seyn: mein consequenter Vater aber -hatte schon wieder einen neuen Lehrmeister bei der Hand, -der, als ich ihm meine Künste vorgespielt hatte, die Sache -gründlich wieder von vorne anfing. Ich, der ich schon -Symphonieen und die schwierigsten Sachen vorgetragen -hatte, mußte jetzt jene mir verhaßten Choräle und Kirchenmelodieen -einlernen, lauter Noten aus halben oder -ganzen Tacten, weil mein neuer Meister behauptete, ich -hätte weder Strich noch Fingersetzung. Dieser hatte ein -so delikates Ohr, daß er bei meinen Mißtönen fast ärgere -Gesichter schnitt, als ich selber, er lachte auch niemals -über meine Ungeschicklichkeit und Mangel an Talent, wie -der erste, sondern nahm sich die Sache sehr empfindsam -zu Herzen, und war manchmal fast dem Weinen nahe. -Zum Glück dauerte diese neue Schererei etwa nur ein -halbes Jahr, worauf ich zur Universität abging, und seitdem -kein Instrument wieder angerührt habe. Diese Bekenntnisse, -meine Herren, schildern nur kurz den geringsten -Theil meiner musikalischen Leiden, denn wenn ich sie -ganz hätte darstellen wollen, würde mir Zeit und Ihnen -die Geduld ermangeln. -</p> - -<p> -Jetzt ist die Reihe an Ihnen, sagte der Baron Fernow, -indem er sich zum alten Italiener wandte, Sie haben -bei diesen Erzählungen eine besondere Freude gezeigt, -und es ist wohl billig, daß Sie uns auch einige Ihrer -Leiden mittheilen, die Ihnen wohl, als einem alten Virtuosen, -nicht gefehlt haben können. -</p> - -<p> -Ach! meine Herren, sagte der Alte mit einem sonderbaren -Gesicht, meine Leiden seyn zu tragisch, um Plaisir -<a id="page-307" class="pagenum" title="307"></a> -zu machen, auch kann meine welsche Zunge nicht in -die Landstraße von der deutsch Idiom recht fortkommen, -muß daher um Nachsicht anfleh, wenn meine Confession -etwas mit Confusion verschwägert seyn sollte. Ich war -von Jugend auf geübt im Sang, fertig im Clavierspiel -und guter Tenor, frisch auf Theatern mit Glück in Napoli -gesungen, und brav beklatscht und <span class="antiqua">e viva!</span> mich zugerufen. -Ging nach Rom, gefiel nicht so ausnehmend, -denn die Herren <span class="antiqua">Romani</span> seyn kritischer Natur, bilden -sich ein, die feinste Ohreinrichtung in den ganzen Italia -zu haben. Ach! aber hier sah ich im Carneval eine junge -Demoiselle, die Stunde bei mich nahm, um nachher in -Firenza zu singen, auch auf das Theater. Ach! welcher -Ton! welche Talente! welche Augen! Nun das war ein -<span class="antiqua">cara mia</span>, <span class="antiqua">amor</span> und <span class="antiqua">mio cour</span>, bis wir, eh’ wir uns -das Ding versahn, mitsammen davon gelaufen waren, -und singen nun in Firenza auf Theater aus Leibesmacht -als Mann und Frau. Hatten viel Zärtlichkeit in der -Eh, aber auch manchen Verdruß, denn <span class="antiqua">cara mia</span> war der -Jalousie ergeben, und meine Wenigkeit war dazumal ein -gar hübscher <span class="antiqua">Giovine</span> und die Frauenzimmer rührten leicht -mein Herz. Doch Alles ging gut, bis wir in eine deutsche -Residenz engagirt wurden. Da lebte ein Compositeur, -ein Maestro, so recht ein Theoretiko, voll Prätension, -aber gescheidt, dabei ein hübsch wohlgewachsen Männel. -Der Hortensio gefiel meiner Cara, und sie wollte nun -seine Schülerin vorstellen, in edel große Manier singen, -mit Seele, wie Hortensio sagte, nicht mehr aus Hals -und Kehle, sondern so wie die Deutsche meinen, aus das -Gemüth heraus. Gemüth! eine extra deutsche Erfindung, -die alle andern Natione gar nicht kennen. Bis dahin -hatte die Gute ihren schönen Ton gehabt, grausame Höhe -<a id="page-308" class="pagenum" title="308"></a> -hell wie Glas, spitz, laut, mochte Compositeur componiren -wie er wollte, brachte er seinen hohen Ton, flugs -hatten wir ihn weg, richtig mußte er in seine Passage -und Cadenz hinein, hinaufgeschroben, höher und immer -höher, da oben dann umgeschwenkt, und wieder hinab -gegurgelt, und <span class="antiqua">brava! brava! bravissima!</span> aus den Logen -heraus geschrieen, mit Fächern und Händchen geklopft, -<span class="antiqua">mia cara</span> sich verneigt, Arme kreuzweis vor der Brust, -und keinem Menschen wars eingefallen, daß <span class="antiqua">monsieur -Compositeur</span> da hatte Gedanken, aparte Fühlungen hinein -drechseln wollen. Aber Hortensio! Hortensio! <span class="antiqua">bestia -maladetta!</span> denk’ ich, der Schlag soll mich rühren, wie -ich zum ersten Mal die seelische Manier in mein Ohr -hinein hör! Keine Passage, keine Uebergänge, keine Triller, -singt daher wie ein Kalb, das geschlacht werden soll, -pur ohne Manier und Methode. Ich war der <span class="antiqua">primo -nomo</span>, konnte aber nicht lassen, meine <span class="antiqua">prima donna</span> im -Liebesduett rechtschaffen in den runden Arm zu zwicken. -Schreit sie auf gefährlich: meinen die Leut, das soll auch -große neue Manier seyn, und fangen an zu lachen. Von -dem Tage Zwietracht unter uns, kein Beifall vom Publikum -mehr. Hortensio war großer Theoretiker und Enthusiast, -wollte aber keinen Amanten abgeben, war verheirathet -an eine gute Frau, die nach deutscher Manier -ganz Seele war. Nun steigt in meiner zarten Isabelle -die Bosheit immer höher. Sie will retour in alte brillante -Manier, verflucht Seele und Gemüth, aber war nicht -anders, als wenn die Töne wie Besessene durch einander -schrieen, kochte und zwirbelte oft in der Gurgel, murrte -und pfiff, als wenn Satansbrut in dem kleinen Hals mit -einander auf Gabel und Besenstiel wie zum Schornstein -hinaus auf die liebe Blocksberg fahren und rutschen wollten. -<a id="page-309" class="pagenum" title="309"></a> -So war das Elend komplett, fehlte nur noch, daß -sie mir alle Schuld gab, und das that sie denn auch redlich: -ich sänge so schlecht, wäre rückwärts gegangen: <span class="antiqua">enfin</span>, -wir kriegten beide unsern Abschied mit kleine Pension. -Zogen durch alle Provinz, den wohlfeilsten Ort anzutreffen -und fanden immer die allertheuersten, gaben Concert, -ich Privatstund im Singen. Die <span class="antiqua">cara</span> Isabella konnte -aber Musik nicht aufgeben, und je ärger es wurde, je -lieber sie sang, als kein Mensch mehr zuhören wollte, -trieben wir das Spektakel <span class="antiqua">privatissime</span> auf unserer Stube. -Ja, da mußte ich ganzer Mann seyn, um mit meine -Heroismus das Schlachtgeschrei auszuhalten, und oftmals -dachte ich, es müßte gesterben werden. Wir hatten großen -mächtigen Kater, der lag immer auf das Clavier: -sehn Sie, das Kerl fürchtete sich weder vor Ratz noch -Maus, lief vor keine noch so große Hund, und hatte sich -mal mit einem allmächtigen Bullenbeißer gekratzt: aber -so wie meine Gemalin nur den Deckel aufmachte, um die -Harmonie loszulassen, so lief das Katz was es konnte -bis auf den allerobersten Boden. Wir tobten so gewaltig, -daß uns kein Wirth mehr zum Miethsmann einnehmen -wollte. Natürlich mochte nun kein Mensch mehr -unser Concert hören, denn die menschliche Ohr seyn -meistentheils etwas zart construirt und sehr viel Menschen -haben fast natürlichen Widerwillen gegen Detoniren und -widerwärtigen Gesang. -</p> - -<p> -An einem Tage sagte mir die Gattin, ich solle meine -beste Kleid anziehn, es sei große reputirliche Gesellschaft -von Zuhörer gebeten. Wir sangen und tobten, es war -aber kein Mensch da. Wie ich in der Nacht darüber mit -ihr redte, sagte sie, die gewöhnliche Menschheit sei zu -platt und grob organisirt, ihre Kunst zu fassen, darum -<a id="page-310" class="pagenum" title="310"></a> -habe sie Ueberirdische invitirt, die klagten niemals über -Dissonanz, ich aber sei ein Gesell, zu plump, um die feinen -Creaturen mit meine dumme Augen zu sehn. Nun -gings immer so fort mit die Engelssocietäten, und sie erzählte -mich viel von dem großen Beifall, den ihr Vortrag -bei die Kenner fände. Am andern Abend, als wieder -große Geisterassamblée bei uns war, und wir beide gnug -schrieen, sagte sie zu mir plötzlich, ich sänge entsetzlich -falsch, es sei nicht auszuhalten, und König David, der -gewiß ein Kenner in Musiken sei, wolle gar nicht wieder -kommen, wenn ich nicht richtiger und mit mehr Respect -sänge. Ich sollte gleich hin, und <span class="antiqua">Majesté</span> um Verzeihung -bitten. Wo sitzt er denn? Da, nahe am Ofen, denn -der alte Herr hätte etwas kalt. Ich trug meine submisse -Devotion in höfliche Redensart vor und wurde pardonirt. -</p> - -<p> -Armer Mensch! sagte der Kapellmeister gerührt, und -wie lange lebte die Wahnsinnige noch? -</p> - -<p> -Bitte sehr um Verzeihung, erwiederte der Italiener, -meine selige Gattin nicht zu lästern, war nichts weniger -wie etwa toll im Kopf, dachte es auch erst, sah aber bald -meinen Irrthum. Denn als es noch kälter wurde, die -Tage immer kürzer, die Selige mich auch tüchtig tribulirt -hatte und ich mir fast den Hals entzwei gesungen, weil -diesmal alle Maccabäer uns die Ehre erzeigten, da sah -ich, wie ich Licht hereinbrachte, die ganze Stube voll unsichtbarer -Menschen, will sagen, verstorbene Geister. Seitdem -mir nun die Binde von meine Augen herunter gefallen -war, habe ich manche interessante Bekanntschaft -unter die Abgeschiedenen gemacht, und hatte nun gar -nicht mehr nöthig, viel mit die sterbliche Menschen umzugehn. -</p> - -<p> -Das glaub’ ich, sagte der Baron, indem er den Erzählenden -<a id="page-311" class="pagenum" title="311"></a> -mit einem prüfenden Blicke anstarrte; die Tochter -rückte etwas weiter von ihm weg, der Enthusiast war -erstaunt, der Laie lachte, und nur der Graf, welcher ihn -schon kannte, blieb ruhig. Wir sahen ein, fuhr der Alte -fort, daß die zu weit ausgebreitete Bekanntschaft mit die -ganzen Vorzeit etwas lästig werden könnte, und beschränkten -uns nachher fast nur auf die berühmte Musiker. Ja, -meine Herren, da habe ich nachher erst Dinge über Contrapunct, -Wirkung, Ausbeugung und über Charakter von -die Tonarten erfahren, die in keinem Buche stehen. Aber -meine liebe Frau starb bald, und seitdem habe ich den -Umgang auch nicht fortsetzen können, denn alle die Herren -haben sich mich allein, da <span class="antiqua">Cara mia</span> nicht zugegen, -seitdem mir nicht wieder gezeigt. -</p> - -<p> -Der Baron fragte den Grafen nach einer Pause, ob -er nicht auch vielleicht einige musikalische Leiden vorzutragen -habe, und dieser, der bis jetzt geschwiegen hatte, -fing so an: Ihre Klagen, meine Herren, waren zum Theil -darüber, daß sie mit der Musik in Verbindung kamen, -ohne eigentliche Lust oder scharfen Sinn für diese Kunst -zu besitzen. Mein Elend kommt von der entgegengesetzten -Seite. Von frühester Jugend war meine Freude an Musik, -mein Trieb zu ihr überreizt zu nennen, auch machte er -meinen Eltern und Erziehern gnug zu schaffen. Ich wollte -nichts anders lernen, und verwünschte oft meinen Stand, -der mich hinderte, ein ausübender Künstler zu werden. -Wo nur ein Ton erklang, wo nur Gesang sich hören ließ, -da war ich gleich mit ganzer Seele, und vergaß alle meine -Geschäfte. Mein Vater, ein ernster, heftiger Mann, zürnte -über meinen Enthusiasmus, der allen seinen Absichten -feindlich zu werden drohte. Da ich auch zu leidenschaftlich -war, und im jugendlichen Eifer wähnte, ich könnte -<a id="page-312" class="pagenum" title="312"></a> -meine Kunst nicht fanatisch gnug vertheidigen, so verletzte -und kränkte ich oft meinen Vater auf ungeziemende Weise, -und dieser Kampf, diese Reue und Zerknirschung über -meine Hitze, Verstimmung gegen die Welt und mich, dies -traurige, zerrissene Wesen verdarb mir völlig die Heiterkeit -meiner Jugend, denn der gewaltsam errungene Genuß -meiner Kunst war doch nicht im Stande, mir alles das -zu ersetzen, was ich einbüßen mußte. Ja, sei es nun, -daß meine Erwartungen zu hoch gespannt waren, daß -meine Ahndung für das Höchste zu sehr meine Forderungen -stimmte, genug, es wurden mir auch die Werke der -Kunst selbst, so gut wie ihr Vortrag, oft allzusehr verkümmert. -Denn ich glaubte nicht selten wahrzunehmen, -daß man so vieles in die Musik aufgenommen habe, was -dieser Kunst ganz fremd bleiben müsse, daß sie meistentheils -zu sehr zum Zeitvertreibe herab gesunken sei, daß -sie um Effecte buhle, die ihrer unwürdig sind, und daß -die wenigsten Sänger nur wissen, was Vortrag und Gefühl -zu bedeuten habe. Eine tiefe Schwermuth konnte -sich meiner bemeistern, daß fast nirgend in der Welt die -Stimmung angetroffen werde, die ich für nothwendig -hielt, wenn diese hohe Kunst ihr Element finden sollte. -Ich mußte denn endlich meinem Vater doch nachgeben -und an den Geschäften Theil nehmen. Die Arbeit wurde -mir leichter als ich mir vorgestellt hatte, und mein Vater, -der mich wegen meiner Kunstliebe für fast blödsinnig -gehalten, war so mit mir zufrieden, daß seine ehemalige -Zärtlichkeit gegen mich erwachte. Nach einigen Jahren -ward ich in diplomatischen bedeutenden Geschäften an einen -großen Hof gesendet. Seit lange hatte ich die neuen -Sänger und Sängerinnen beobachtet, und war fast mit -allen unzufrieden. Wenn die Stimme das Gefühl, den -<a id="page-313" class="pagenum" title="313"></a> -Enthusiasmus der Leidenschaft ausdrücken soll, so muß -sie sich großartig erheben, mächtig anschwellen, und die -Höhe nur deswegen suchen, um die stärkste Lichtregion -und Kraft zu gewinnen. In dieser Gegend ist es, wo -Componist und Sängerin das Uebermenschliche der -Liebe, der Klage, der Andacht und jeder Regung der -Seele ausdrücken können: und doch fand ich fast immer, -daß der Wohllaut, die Wollust dieser Klänge nur -gebraucht wurden, um eine kleine Künstlichkeit, eine Art -Springerei anzubringen, eine Virtuosität, die wohl ganz -nahe an die Seiltänzer grenzt, und von der ächten Kunst -ganz ausgeschlossen seyn sollte. Noch schlimmer fast erschienen -mir diejenigen, die nach einer ziemlich verbreiteten -neuen Manier den Ausdruck anbringen wollten. Kein -<span class="antiqua">Crescendo</span>, kein Portament der Stimme, sondern ein -plötzlicher Aufschrei, wie ein Angst- oder Hülferuf, dann -ein eben so plötzliches Verhauchen, ein unmotivirtes Sinkenlassen -des Gesanges, ein dumpfer Seufzer statt des -Tons, und so fort in diesem schroffen eckigen Wechsel, so -daß ich jetzt nichts hörte, und jetzt wieder von grellen -Tönen erschreckt wurde, ein Unfug, den oft ein ganzes -Publikum bewunderte, und der mir noch jenseit dem Anfange -der Schule zu liegen schien, oder mir vielmehr -wie der rohe unmusikalische Gegensatz alles Gesanges -vorkam. Von dem neuesten Geschmack der Opern will -ich schweigen, denn hier fände ich meinen Klageliedern -kein Ende. -</p> - -<p> -Als ich dem fremden Hofe mich vorgestellt hatte, -empfing ich bald darauf den Bescheid, daß ich mit einem -wichtigen Auftrage schnell in mein Vaterland zurück -müsse. Am Abend war beim Bruder des regierenden -Fürsten Concert, und eine fremde Sängerin wollte sich -<a id="page-314" class="pagenum" title="314"></a> -zum ersten Mal hören lassen. Ich begab mich in den -Concertsaal. Nur der Sängerin Nacken, dessen blendende -Weiße von einem wunderlich gekräuselten braunen Löckchen -erhöht wurde, konnte ich wahrnehmen, so wie einen Theil -des feingerundeten Ohres, so dicht war das Gedränge. -Aber jetzt erhob das Mädchen den Ton, und ging in einen -zweiten über, und strahlte den dritten aus, so mächtig, -edel, rein, voll und lieblich zugleich, daß ich wie bezaubert -stand, denn das war es, wie ich es mir immer -gedacht, ja es war mehr, wie ich gewünscht hatte. Dieser -reine, himmlische Discant war Liebe, Hoheit, zarte Kraft -und Fülle der edelsten, der überirdischen Empfindung. Da -hörte ich nicht den spitzen, blendenden Glaston, der noch -die Harmonika überschleift, nicht die Betäubung in der -letzten, schwindelnden Höhe, die wie mit Spitzen das Ohr -verletzt und durchbohrt, nicht die Ohnmacht an der Grenze -der Stimme, die erst ein Mitleidsgefühl in uns erregt, -und von diesem dann Hülfe und Beifall bettelt: nein, es -war die Sicherheit selbst, die Wahrheit, die Liebe. Nun -begriff ich erst, wie Hasse hatte wagen können, zuweilen -in seinen Arien durch viele Tacte den Sopran auf ein -und zwei Sylben trillern, sich senken und wieder steigen -zu lassen. Ich war so entzückt, daß ich mich und Alles -vergaß, ich legte in diesem höchsten Augenblick meines -Lebens das sonderbare Gelübde mir selber heimlich ab, -daß nur dieses Wesen mit dieser Wunderstimme, oder -keins, meine Gattin werden sollte. Der Rath und der -Laufer des Fürsten hatten mich schon zwei-, dreimal erinnert. -Ich ging zum regierenden Herrn in das Schloß -hinüber. Es ward mir schwer, meine Lebensgeister zu -dem sehr bedeutenden Gespräche zu sammeln. Nach der -Audienz mußte ich mich in stürmischer Nacht in den Wagen -<a id="page-315" class="pagenum" title="315"></a> -werfen. Kein Diener, am wenigsten der alte Rath, -mein Begleiter, wußten mir von der Sängerin etwas zu -sagen. In meinem Vaterlande angekommen, erwarteten -meiner dringende Arbeiten, die mich selbst in den Nächten -beschäftigten, ich konnte meinen Vater, der auf dem Krankenbette -lag, nur wenig sehn. Als ich fertig war und -meinem leidenden Vater jetzt meinen Trost und Dienst -widmen wollte, konnte ich ihm nur noch die Augen zudrücken. -Jetzt wußte ich erst, wie theuer mir der edle -Mann gewesen war, doch war es mir jetzt erlaubt, meiner -Neigung zu folgen; ich entzog mich den Staatsdiensten. -Sobald es meine geordneten Geschäfte zuließen, reisete -ich nach jener Residenz zurück, — aber — und wie -ist dies zu begreifen? Kein Mensch, kein Musiker, Niemand -am Hofe wollte von jener Sängerin, oder jenem -Abend, den ich beschrieb, etwas wissen, als sei diese einzige, -himmlische Stimme eine der gewöhnlichsten Erscheinungen, -die man kaum bemerkt und dann vergißt, oder -als sei ich in Wahnsinn und Bezauberung, daß ich mir -Alles nur eingebildet habe. -</p> - -<p> -Als jede Nachforschung vergeblich war, suchte ich auf -Reisen jenes Wunder wieder anzutreffen. Darum versäumte -ich kein Concert und keine Oper, suchte jede musikalische -Versammlung auf, und immer vergebens. Seit -zwei Jahren führe ich dies unruhige traurige Leben, und -heut Abend dacht’ ich thöricht zu werden, denn in der -fremden Dame glaubte ich meine Unbekannte gefunden zu -haben, dieselbe Locke im Nacken, derselbe feine Contour -des Ohrs; und Mund und Physiognomie schienen mir -ganz wie die einer Sängerin. -</p> - -<p> -Die Tochter des Hauses versicherte noch einmal, -daß der Graf sich durchaus irre, und daß seine Bemerkungen -<a id="page-316" class="pagenum" title="316"></a> -über Gesang fast eben so einseitig als fein zu -nennen wären. Denken Sie denn Ihr sonderbares Gelübde -zu halten? fragte hierauf der Baron. -</p> - -<p> -Ich muß wohl, erwiederte der Graf, denn mögen Sie -auch lächeln und es unbegreiflich finden, jener wunderbare -süße Ton hat mir Liebe, wahre Liebe eingeflößt. -Warum soll denn unser Auge der einzige Sinn seyn, der -uns dies Gefühl, diesen enthusiastischen Taumel zuführt? -Ich träume von dieser Engelsstimme, immer vernehme ich sie, -Alles erinnert mich an diesen Ton: o Himmel! wenn er verschwunden, -wenn sie gestorben seyn sollte! Ich mag mir -die Unermeßlichkeit dieses Elends gar nicht vorstellen. -</p> - -<p> -Die Uebrigen, den Laien abgerechnet, schienen diese -Leidenschaft nicht begreifen zu können, oder an sie glauben -zu wollen. Da es spät war, trennte man sich, und -der Italiener begleitete den Grafen, in dessen Hause er -wohnte. -</p> - -<p> -Eccellenza, fing er in einer einsamen Straße an, thut -mir die Gefälligkeit, mich übermorgen vor das Thor da -in den Tannenwald zu begleiten, da will ich mir umbringen. -</p> - -<p> -Narr! sagte der Graf, was fällt Euch einmal wieder -ein? Habe ich nicht versprochen, für Euren Lebensunterhalt -zu sorgen? -</p> - -<p> -Alles recht schön, sagte jener, danke auch für die -Großmuth; aber ich bin mein Leben völlig satt, so sehne -ich mir nach meiner abgeschiedenen Hälfte. -</p> - -<p> -Damit Ihr auch jenseit, fragte der Graf, Euer Katzenkonzert -wieder fortsetzen könnt? -</p> - -<p> -Nicht blos deswegen, erwiederte der Alte, bin aber -mit Isabellen so gewohnt gewesen, mit Palestrina, Durante, -Bach und alle große Leute, den königlichen Kapellmeister -<a id="page-317" class="pagenum" title="317"></a> -David mit eingerechnet, zu leben, daß ich es mit -so ordinären Menschen nicht mehr aushalten kann. Wie -rathen mich, Eccellenza, daß ich mir umbringen soll, hängen, -schießen oder ersaufen? -</p> - -<p> -Ich werde den Narren einsperren lassen, sagte -der Graf. -</p> - -<p> -Hat jedes etwas für sich, fuhr der Italiener fort, -ohne sich stören zu lassen: Luft, Feuer, Wasser; jedes ein -ganz gutes Element. Ein einziges Ding könnte mich -mein Leben versüßen, so daß ich wieder in die Lebenslust -einbisse. -</p> - -<p> -Nun, und was? -</p> - -<p> -Daß ich den Herrn Hortensio nochmal anträfe. -</p> - -<p> -Und weshalb? -</p> - -<p> -Daß ich ihn so recht abwamsen, durchdreschen könnte, -daß er dazumal meiner <span class="antiqua">Cara</span> die Gesangmethode so verdorben -hat. -</p> - -<p> -Phantast! sagte der Graf, indem sie durch die Thür -schritten. — Und was ist Eccellenza? murmelte der Alte, -indem die Diener ihnen entgegen kamen. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Der Kapellmeister war in Verzweiflung. Es war -ganz so gekommen, wie er gefürchtet hatte. Die erste -Sängerin zeigte sich mehr als empfindlich, sie fühlte sich -beleidiget, und sogleich war auf einen Wink von ihr eine -recht schwere Krankheit da, die ihr es unmöglich machte, -einen Ton zu singen, ja nur ihr Zimmer zu verlassen. -Der Enthusiast wandelte und rannte hin und her, aber -seine Vermittlung machte die Sache eher ärger als besser, -denn da er treuherzig wieder erzählte, was jede der Parteien -geäußert hatte, so wurde der Kapellmeister immer -<a id="page-318" class="pagenum" title="318"></a> -mehr erbittert, und die Sängerin ging am Ende so weit, -daß sie verlangte, statt der beiden Haupt-Arien sollten -zwei ganz neue gesetzt werden, und das Duo im letzten -Acte müsse in den ersten und zwar gleich in den Anfang -verlegt seyn, auch forderte sie noch für sich die große Arie -der zweiten Sängerin, ohne welche Bewilligungen an keinen -Friedensschluß zu denken sei. Ueber diese ungeheure -Forderungen gerieth der Kapellmeister so außer sich, daß -er schwur, sie solle nun in seiner Oper gar nicht singen, -ob er gleich noch nicht wußte, wie er seiner Verlegenheit -abhelfen sollte. Wenn nur meine Cara noch lebte! rief -der alte Italiener aus, der an den Berathschlagungen -Theil nahm, und jetzt die Verzweiflung des Kapellmeisters -sah; ach! wie brillant könnte die Selige zum Theater -wieder auferstehn! Die Rolle ist ganz und gar für sie -geschrieben. -</p> - -<p> -Könnt Ihr sie nicht vielleicht selbst übernehmen? -fragte der Kapellmeister in tragischer Bosheit. -</p> - -<p> -<span class="antiqua">Signor si!</span> rief der Alte, wenn Ihr kein ander Subject -findet, ich kann zum Entsetzen einen hohen Sopran -durch die Fistel singen. -</p> - -<p> -Es kommt wirklich fast auf eins hinaus, rief der -Componist in seiner Verzweiflung, ob man so oder so parodirt -wird; wenigstens würde doch kein Liebhaber bei -einer unpassenden Gelegenheit klatschen, und kein Eifersüchtiger -oder der Bewunderer der zweiten Dame aus -Neid pochen und zischen. Unternehmt Ihr, Alter, aber -auch liebenswürdig zu erscheinen? -</p> - -<p> -Was der Mensch leisten kann, antwortete jener, der -es für Ernst hielt: vor dreißig Jahren war ich zum Malen -hübsch, und wenn ich mal auf Carneval in Weibskleidern -ging, lief mir alles junge Mannsvolk nach. -</p> - -<p> -<a id="page-319" class="pagenum" title="319"></a> -Die Prima Donna hätten wir also, sagte der Enthusiast, -und wenn die Oper nur Nacht und Verfinsterung -des Theaters erforderte, und kein Mensch die Sache erführe, -so käme es wohl auf den Versuch an, welche Wirkung -der alte Freund machen würde. -</p> - -<p> -Wenn ich nicht vor der Aufführung todt bin, warf -der Italiener ein, so wie das andere Subject krank ist, -so möchte ich wohl in das Sterben gerathen. -</p> - -<p> -Ich sehe schon, beschloß der Kapellmeister, ich bin -vergeblich hergereist, ich habe umsonst alle Anstalten getroffen. -So lange es unmöglich bleibt, von Obrigkeits -wegen einen solchen Eigensinn zu bestrafen und zu hindern, -so lange das Publikum selbst nicht eine solche Frechheit -und Verachtung seiner so ahndet, daß kein zweiter -dieselbe Vergehung wieder wagt, so lange bleiben wir das -Opfer dieser Caprice von unwissenden Menschen, die für ihr -mäßiges Talent viel zu sehr belohnt und von den Directionen -und allen Zuhörern verzogen werden. Ich werde -wieder einpacken. -</p> - -<p> -Der Enthusiast weinte vor Schmerz, der Italiener -aber sagte: Ihr habt ganz recht; nicht wahr, das Leben -mit all den Mühseligkeiten ist nicht die Rede werth? -</p> - -<p> -Ich bin es wenigstens völlig satt, antwortete der -Componist. -</p> - -<p> -Nun, so kommt mit mich, leistet mir Gesellschaft, -sagte der Alte sehr freundlich, indem er sich an ihn -schmiegte. -</p> - -<p> -Wohin? -</p> - -<p> -Nach jenseit, nach dem weiten großen Raum, wo -man Ellenbogen-Freiheit nach Herzenslust hat. Sagt, -Mann, wollen wir uns lieber ins Wasser schmeißen, -<a id="page-320" class="pagenum" title="320"></a> -oder frisch den Kopf abschießen, wie dem Vogel von der -Stange? -</p> - -<p> -Geht, rief der Musiker, Ihr seid schon am frühen -Morgen trunken. -</p> - -<p> -Nein, sagte jener, ich habe einmal einen heiligen -Schwur gethan, mir aus dieser Welt hier fortzuschaffen, -wenn ich nicht etwa den lieben Signor Hortensio wieder -antreffen thäte: das würde natürlich die ganze Sache verändern. -Aber wenn mir die Freude nicht arrivirt, sagt -nur selbst, was ist denn das für ein lumpiges Leben hier -unten? Da sitzt Ihr immer, närrischer Maestro, und -klimpert auf das Clavier, und schreibt Eure Eingebungen -auf, und ängstigt Euch um Invention, Charakter, Melodie, -Styl, Originalität, und wie man Kunstwesen alles -nennt: und wer dankt es Euch? Wer merkt es nur ein -bissel? Laßt uns doch mal als vernünftige Männer in -Tag hinein reden: ist es denn nicht spaßhafter, sich aus -dem Staub zu machen? Ja, Ruhm, Nachwelt! Wollen -der lieben Nachwelt ein bissel entgegen gehn, und mal -hinter den Vorhang gucken, ob es solches Gethier überhaupt -nur giebt. Uebermorgen, Freundchen, seid von der -Parthie, ich bring’ auch Pistol mit: Ihr müßtet denn lieber -baumeln wollen; ist aber jetzt windiges und garstiges -Wetter. -</p> - -<p> -Laßt die Narrenspossen, sagte der Musikus sehr ernst, -es wird noch dahin kommen, alter Thor, daß Ihr nach -dem Tollhause wandert. -</p> - -<p> -Und wohnen da nicht auch Leute? sagte der Italiener -grinsend; Ihr habt Vernunft noch nicht viel gebraucht, -junger Mann, da ist sie noch ein bissel frisch! wer sie -aber so wie ich strapazirt hat, da ist sie mürbe und matt; -mir kommt’s gar nicht so sehr auf Ambition an, daß -<a id="page-321" class="pagenum" title="321"></a> -mich Eures gleichen für vernünftig, oder Weisen aus -Griechenland hält. Ich habe wohl andern Umgang gehabt, -als Ihr, Ihr armer, gegenwärtiger, kurzsichtiger -Mensch! und wenn Nestor, oder Phidias und Praxiteles, -mit die ich so oft konversirt habe, mich so etwas gesagt -hätten, so hätte ich jeden einen Schlag an die Gegend -von das Ohr gegeben. -</p> - -<p> -Er lief wüthend fort, und der Kapellmeister setzte sich -melancholisch nieder; auch der geschwätzige Enthusiast -mußte ihn verlassen, damit er seinem Kummer recht ungestört -nachhängen könne. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Nein, sagte am Abend der Laie zum Baron Fernow, -ich habe dazumal einen Schwur gethan, niemals eine -Geige wieder anzurühren, und darum verschonen Sie mich. -Der Vater und die Tochter wünschten nämlich, er möchte -ihnen nur etwas, das kleinste Liedchen vorspielen, um zu -sehen, wie er sich in der Jugend mit seinem Instrumente -ausgenommen habe. -</p> - -<p> -Man sollte wohl nichts verschwören, sagte der Baron, -am wenigsten die Ausübung einer so edeln Kunst. -</p> - -<p> -Der Kapellmeister trat herein, und erzählte eine sonderbare -Anmuthung, die ihm vom Grafen geschehen sei. -Dieser habe ihn nehmlich besucht und gebeten, am heutigen -Abend mit ihm und dem alten Italiener in den -Wald vor die Stadt zu gehn, wo sich der Sänger erschießen -wolle; der Graf wünsche wenigstens einen rechtlichen -Mann zum Zeugen, der es nachher bewähren könne, daß -der alte Thor sich selber umgebracht habe. Der Baron -war der Meinung, man müsse den alten Verrückten sogleich -fest nehmen und einstecken; die Uebrigen fielen bei, -<a id="page-322" class="pagenum" title="322"></a> -nur der Laie äußerte den Zweifel, ob nicht Jedem das -Recht zustehen müsse, über sein Leben zu entscheiden, wie -es ihm am besten dünkte. Hierüber entspann sich ein -Streit, ob es dem Staate, oder den übrigen Menschen erlaubt -sei, über irgend wen eine solche beschränkende Aufsicht -zu führen, welches der Baron uneingeschränkt behauptete, -da ein solcher durchaus, der einen so unklugen -Vorsatz fasse, als ein Wahnsinniger zu betrachten sei. -</p> - -<p> -So muß man erst ermitteln, was Wahnsinn ist, -warf der Laie ein; denn wir sehn es in der Geschichte, -wie die Gesetze und ihre Vollstrecker nach den Umständen -und herrschenden Gesinnungen bald dieses bald jenes zum -todeswürdigen Verbrechen gestempelt haben, welches andere -Zeitalter zu Tugenden erhoben, oder gleichgültig ansahen, -ja selbst verlachten. Frei zu denken, von gewissen -Meinungen abzuweichen, hat ehemals Manchen auf den -Scheiterhaufen geführt; wegen Zauberei, wegen angeschuldigter -Künste ist Manchem der Stab gebrochen worden, -und jetzt, wo wir in diesen Punkten Freiheit gestatten, und -es doch dulden müssen, wie Viele durch Uebermaaß und -Ausschweifung sich vorsätzlich und sichtlich zu Grunde -richten, begreife ich nicht, wie man es den Elenden und -Verstörten mit Recht verwehren kann, das Leben wegzuwerfen, -wenn sie diesen Entschluß wirklich ergreifen. -</p> - -<p> -Sie sind paradox, rief der Baron; ich bin nicht Philosoph -gnug, um Sie widerlegen zu können, allein aus -den Ueberzeugungen der Religion müssen Sie es selber -schon wissen, daß Sie eine böse Sache vertheidigen. -</p> - -<p> -Ich habe versprochen, mit auszuwandern, sagte der -Kapellmeister, denn ich kann mir nimmermehr vorstellen, -daß der alte Thor Ernst machen wird. Uebrigens wäre -es wahrlich nicht zu verwundern, wenn ein armer geplagter -<a id="page-323" class="pagenum" title="323"></a> -Kapellmeister diese Gelegenheit benutzte, und ihm Gesellschaft -leistete. -</p> - -<p> -Der Graf trat wie verstört und tiefsinnig herein. -Man fragte ihn, ob etwas Neues begegnet sei; er äußerte -aber, die Erinnerung an jene Stimme, die ihm durch die -neuliche Erzählung wieder mit frischer Lebhaftigkeit in -das Gedächtniß gekommen sei, sein rastloses Suchen, die -Qual dieser Spannung und die Unruhe, die es seinem -ganzen Wesen mittheile, mache ihn völlig elend, und er -habe beschlossen, wenn sich der Italiener erst erschossen -habe, weiter zu reisen. -</p> - -<p> -So halten Sie es denn für Ernst? fragte der Baron -erstaunt. -</p> - -<p> -Wenn er nicht wirklich dazu thut, antwortete der -Graf, so nehme ich den Narren wieder auf die Reise mit. -</p> - -<p> -Der Italiener trat herein und schien aufgeräumter, -als man ihn noch je gesehen hatte. Alle betrachteten ihn -mit einer gewissen Scheu, er aber nahm keine Notiz von -diesem veränderten Betragen, und als jetzt der Enthusiast -und der Sänger die Gesellschaft vermehrten, wurden Alle -in heitern Gesprächen von einer vergnüglichen Laune beherrscht, -den Grafen ausgenommen, der seine trübe Miene -nicht veränderte. Lassen Sie uns, sagte der Kapellmeister -endlich, Einiges von unsern neulichen Erzählungen aufnehmen. -Wie ist es möglich, (indem er sich zum Laien -wandte) daß Sie nach ihren neuerlichen komischen Bekenntnissen -ein so großer Freund der Musik haben werden können? -Vielleicht dadurch um so mehr, erwiederte dieser, -weil das Gefühl, als es reif in mir war, durch sich selbst -und stark erwachte, daß ich nichts Angelerntes, Nachgesprochenes -in meine Liebhaberei hinüber nahm. Ich hatte -es endlich dahin gebracht, daß ich kleine einfache Lieder -<a id="page-324" class="pagenum" title="324"></a> -begriff, die mir auch wohl im Gedächtniß hängen blieben, -die trefflichen von Schulz, zum Beispiel, in denen uns, -ohne daß sie uns eben poetisch aufregen, so behaglich -und wohl wird, die uns so klar blauen Himmel, grüne -Landschaften, leichte Figuren und anmuthige Empfindungen -hinmalen, waren mir oft gegenwärtig und verständlich. -Nur die größeren Compositionen, am meisten aber -die dramatische Musik, waren mir zuwider, wenn ich auch -in der letztern manchmal mit Wohlgefallen eine kleine -Arie hörte, die sich dem Ohr einschmeichelte. Auch der -Harthörigste lernt am Ende die kleinen melodischen Sachen -fühlen, wenn ihm auch der Zusammenhang großer -musikalischer Dichtungen unverständlich bleibt. Als das -erste Mal Don Juan von Mozart gegeben wurde, ließ ich -mich bereden, das Theater zu besuchen. Es war unlängst -componirt, und des großen Mannes Ruhm noch in -Deutschland nicht so begründet, wie bald nachher, welches -ich besonders an einem hochgeachteten Musiker wahrnahm, -der während und nach der Aufführung nicht gnug über -den falschen Geschmack des Werkes reden konnte. Mir -aber war, als fiele mir schon während der Ouvertüre eine -Binde von allen Sinnen. Ich kann die Empfindung nicht -beschreiben, die mich zum ersten Mal überraschte, daß ich -wahre Musik hörte und verstand. Mit dem Verlauf des -Werkes steigerte sich mein Entzücken, die Absichten des -Componisten wurden mir klar, und der große Geist, der -unendliche Wohllaut, der Zauber des Wundervollen, die -Mannigfaltigkeit der widersprechendsten Töne, die sich doch -zu einem schöngeordneten Ganzen verbinden, der tiefe Ausdruck -des Gefühls, das Bizarre und Grauenhafte, Freche -und Liebevolle, Heitere und Tragische, alles dieses, was -dieses Werk zu dem einzigen seiner Art macht, ging mir -<a id="page-325" class="pagenum" title="325"></a> -durch das Ohr in meiner Seele auf. Daß es so plötzlich -geschah, vermehrte meine Begeisterung, und ich konnte nun -kaum den Belmont desselben Meisters erwarten, dessen -Leidenschaftlichkeit mich nicht weniger entzückte. Auch andere -Componisten suchte ich zu begreifen, und Glucks großen -Styl, seine edle Rhetorik, sein tiefes Gemüth rissen -mich hin, ich erfreute mich an Paisiello und Martini, -Cimarosa’s heller Geist leuchtete mir ein, und ich bestrebte -mich, die Verschiedenheiten des musikalischen Styls, so wie -verschiedenartige Dichter zu erfassen und mir anzueignen. -Während meiner Universitäts-Jahre verlor ich diese Kunst -wieder aus dem Gesichte, doch zurück gekehrt war mein -Eifer für sie um so brennender, vorzüglich da einige vertraute -Freunde mein Urtheil und Gefühl läuterten. Jetzt -wurde ich mit dem wundervollen Genius des großen Sebastian -Bach bekannt, in dem vielleicht schon alle Folgezeit -der entwickelten Musik ruhte, der Alles kannte und -Alles vermochte, und dessen Werke ich etwa nur mit den -altdeutschen tiefsinnigen Münstern vergleichen möchte, wo -Zier, Liebe und Ernst, das Mannigfaltige und Reizende -in der höchsten Nothwendigkeit sich vereinigt, und in der -Erhabenheit uns am faßlichsten das Bild ewiger und unerschöpflicher -Kräfte vergegenwärtiget. -</p> - -<p> -Der Componist sagte: gewiß, es könnte Schwindel -erregen, wenn man überschaut, was Alles vorangehen -mußte, bevor Bach seine Werke schreiben konnte; aber es -gehört auch wahrlich viel dazu, einer solchen Fuge oder -einem vielstimmigen Satz auf die rechte Weise zu folgen, -und ihn zu verstehn, es ist gleichsam eine Allgegenwart -des Geistes, die ich einem solchen Laien am wenigsten zugetraut -hätte. -</p> - -<p> -Nach mehreren Jahren, fing der Laie wieder an, -<a id="page-326" class="pagenum" title="326"></a> -wurde mir es so gut, in eine edle Familie eingeführt zu -werden, deren Mitglieder, vorzüglich die weiblichen, auf -eine entzückende Art die Musik ausübten. Die älteste -Tochter sang einen Sopran, so voll und lieblich, so himmlisch -klar, daß ich bei Ihrer neulichen Beschreibung des -Gesangs Ihrer Unbekannten, werther Graf, an diese unvergleichliche -Stimme denken mußte. Hier vernahm ich -nun neben manchem Weltlichen vorzüglich die großen -und ewigen Gedichte des erhabenen Palestrina, die herrlichen -Compositionen eines Leo und Durante, die Zaubermelodieen -des Pergolese, den ich mit den Lichtspielen des -Correggio vergleichen mußte, die trefflichen Psalme Marcello’s, -die großartige Heiterkeit unsers Hasse, und das -dramatische Requiem Jomelli’s: Manches von Feo, die Miserere -von Bai und Allegri ungerechnet. So rein, ungeziert, -im großen einfachen Styl, ohne alle Manier vorgetragen -wird man schwerlich je wieder die Meisterwerke -hören. Diese glückliche Zeit versetzte meinen Geist in eine -so erhöhte Stimmung, daß sie eine Epoche in meinem Leben -macht. Nur in wenigen schwachen Gedichten habe -ich versucht, meine Dankbarkeit auszusprechen. Meine -Seele war so ganz in diesen göttlichen Tönen aufgegangen, -daß ich dazumal nichts von weltlicher Musik wissen -wollte, es schien mir eine Entadlung der Göttlichen, daß -sie sich zu den menschlichen Leidenschaften erniedrigen sollte. -Ich glaubte, es sei nur ihre wahre Bestimmung, sich zum -Himmel aufzuschwingen, das Göttliche und den Glauben -an ihn zu verkündigen. -</p> - -<p> -Ein Beweis, sagte der Kapellmeister, daß Ihr ganzes -Herz damals von der Glorie dieser Erscheinung durchdrungen -war. Man thut auch Unrecht, dergleichen wahre Begeisterung -Einseitigkeit zu schelten, denn unsre Seele, wenn -<a id="page-327" class="pagenum" title="327"></a> -sie wirklich auf so große Art ergriffen und erschüttert -wird, fühlt dann in diesem ihr neuen Element die ganze -Kraft und Ewigkeit ihres Wesens: sie findet dann die -Schönheit, von der sie früher gerührt wurde, erhöht und -vollendet in der neuen Erscheinung, und sieht mit Recht -auf ihre frühern Zustände als auf etwas Geringeres hinab. -In wessen Herz eine solche Vision nicht steigen und -es ganz ausfüllen kann, der weiß überhaupt nicht, was -ächte Begeisterung ist. Und gewiß ist die Kirchenmusik, -welche freilich die Neueren meist auch so tief herab gezogen -haben, die erhabenste und schönste Aufgabe unsrer Kunst. -Ich bin aber überzeugt, daß Sie späterhin von selbst eben -aus Ihrem Enthusiasmus wieder den Weg zu Ihrem geliebten -Mozart und andern gefunden haben. -</p> - -<p> -Natürlich, fuhr der Laie fort, denn die Liebe kann -sich ja doch niemals in Haß umwandeln. Ich habe immer -die Menschen gefürchtet, die mit ihren Gefühlen in -den Extremen schwärmen, und heut übertrieben verehren, -was sie in einiger Zeit mit Füßen treten. Unsre Bildung -kann und soll nur eine Modification einer und derselben -Kraft, einer und derselben Wahrheit seyn, kein unruhiger -Austausch und Wechsel, und kein hungerndes Verlangen -nach Neuem und Unerhörtem, welches doch niemals befriedigend -gesättiget werden kann. Als es mir nachher so -gut ward, in Rom von der päbstlichen Kapelle viele derselben -Sachen vortragen zu hören, so fühlte ich wohl, daß -hier ein eigener traditioneller Vortrag des alten <span class="antiqua">Canto -fermo</span> Manches anders und noch einfacher gestalte, aber -weder dort noch in den Theatern habe ich je diesen unbeschreiblichen -Discant wieder vernommen, und Pergolese -oder andere neuere Kirchenmusik ist mir auch niemals in -dieser Vollendung wieder vorgetragen worden. -</p> - -<p> -<a id="page-328" class="pagenum" title="328"></a> -Aus Ihren Beschreibungen, fing der Sänger an, -muß ich wohl abnehmen, daß Sie mit der neuen Sängermanier -wohl selten zufrieden seyn mögen. Ich gestehe -Ihnen aber, daß ich hierin nicht ganz Ihrer Meinung seyn -kann: zu große, zu schlichte Einfalt würde mich zurück stoßen, -ich will den Virtuosen vernehmen, der die Musik und -seine Stimme beherrscht. Wie der Deklamator nicht blos -ruhig ablesen soll, sondern durch Erhöhung und Senkung -der Stimme, durch kleine Pausen, durch rollende Töne erst -zum Schauspieler wird, und das zur Kunst erhöht, was -der ganz gute Vorleser doch in der niedrigen Region stehen -lassen muß. -</p> - -<p> -Sie haben gewiß Recht, erwiederte der Laie, vorausgesetzt, -daß es wirklich das sei, was ich Deklamation im -Schauspiel, oder Vortrag des Gesanges nennen kann. -Was uns der Graf aber neulich als falschen und schlechten -Ausdruck schilderte, muß ich freilich auch als meine -Meinung unterschreiben. Und ist es denn in unsern Schauspielen -anders? Wie denn überhaupt wohl nie Gebrechen -und Vorzüge eines Zeitalters einzeln stehn können, sondern -jede Kunst wird eine Abspiegelung der andern seyn, und -selbst Staat und Geschichte müssen ebenfalls alle Gesundheits- -oder Krankheitsstoffe wieder in ihrem großen verschlungenen -Gewebe nachweisen. Eben so wie der Sänger -schreit und seufzt, und selten das Gefühl im Ganzen -ausspricht, welches die Arie oder das Duo von ihm fordert, -so auch der Schauspieler; dieser hilft sich auch durch -einzelne übertriebene Accente, herausgehobene Worte, stark -unterstrichene Stellen, und muß darüber den Sinn des -Ganzen fallen lassen, wodurch die Scene wie die einzelnen -Stellen für den Kenner nüchtern und trivial werden. Denn -wo gibt es jetzt wohl noch Schauspieler, an deren Leidenschaft -<a id="page-329" class="pagenum" title="329"></a> -man glaubt, die uns täuschen und in ihrem hohlen abgepufften -Ton nur irgend Wahrheit sprechen? Ja unser -Freund Wolf, so wie seine Gattin machen hievon eine ehrenvolle -Ausnahme, so sehr, daß sie fast schon einzeln in -Deutschland da stehn, wenn auch hie und da ein Talent -sich zeigt, das aber immer nur zu Zeiten jener Manier -widersteht, die unser Theater beinah schon völlig zerstört -hat. Nicht, daß sich nicht viele Schauspieler bemühten, -aber es ist hier eben so wohl wie im Gesange eine falsche -Schule entstanden, die Ausdruck, Empfindung durch Einzelheiten, -die nicht in der Sache selbst liegen, erregen will, -und darüber das Ganze verdunkelt, und wenn wir uns -strenge ausdrücken wollen, die Absicht der Kunst, ja diese -selber vernichtet. -</p> - -<p> -Sie haben vollkommen Recht, rief der Kapellmeister: -aber machen es denn meine Handwerksgenossen, die Componisten -selbst, anders? Kaum ein Lied wissen sie mehr -zu setzen, wo sie nicht jede Strophe neu componiren, gewaltsam -accentuiren, innehalten, abbrechen und in gesuchte -und fernliegende Tonarten übergehn, um nur, wo sie die -Empfindung wahrnehmen, so starke Schlagschatten hinzumalen, -daß man diese Stellen nun zwar nicht übersieht, -aber auch gewissermaßen mehr Schwärze als Farbe gewahr -wird. Als wenn es dem Sänger nicht müßte überlassen -bleiben, auch im wiederkehrend Einfachen eine leise -Variation anzubringen, oder als wenn das nicht eben das -musikalische Gefühl in unserer Natur wäre, in diesen sich -wiederholenden Klängen ohne Weiteres vermöge unsrer -Liebe zu ihnen das Mannigfaltige zu empfinden. -</p> - -<p> -Sehr wahr, fügte der Laie hinzu, aus demselben -Unglauben fürchtet auch mancher geniale Musiker, wie -der herrliche Beethoven, nicht neue Gedanken genug anbringen -<a id="page-330" class="pagenum" title="330"></a> -zu können, deshalb läßt er so selten einen zu unsrer -Freude ruhig auswachsen, sondern reißt uns, ehe wir -kaum den ersten vernommen, schon zum zweiten und dritten -hin, und zerstört so, wie oft, selbst seine schönsten -Wirkungen. Sehn wir sogar auf die Götheschen Lieder, -die er gesetzt hat: welche Unruhe, welche scharfe Deklamation, -welches Ueberspringen. Ich möchte diesem trefflichen -Manne, so wie manchem Andern nicht gerne Unrecht thun, -aber die Reichardschen Melodieen zu den meisten dieser -herrlichen Gesänge haben sich mir so eingewohnt, daß ich -mir diese Gedichte, vorzüglich die frühern, nicht anders -denken und singen kann. -</p> - -<p> -Wenn Sie so gesinnt, nahm die Tochter das Wort, -und die übertriebene falsche Gelehrsamkeit verwerfen, den -Ausdruck schelten, der sich vordrängt, und darüber Melodie -und eigentlichen Gesang verdunkelt, so hätten Sie ja -nun selbst meinen geliebten Rossini gerechtfertiget. -</p> - -<p> -<span class="antiqua">O divino maestro! o piu che divino Rossini!</span> rief -begeistert und mit verzerrtem Gesicht der alte Italiener. -<span class="antiqua">Eccolo il vero!</span> den ausgemachten Wunderdoktor des -Jahrhunderts, der uns verirrte Schaafe wieder auf die -rechte Straße bringt, der alle die falsche deutsche Bestrebunge -maustodt schlagt, der mit himmlische unerschöpfliche -Genie Oper über Oper, Kunstwerk auf Kunstwerk häuft, -und sich Pyramid oder Mausoleum erbaut, worunter -nachher alle die ausdrucksvolle, gedankenreiche und seelenmäßige -Klimperlinge auf ewig begraben liegen. -</p> - -<p> -O wie wahr! rief der Enthusiast, ich habe mir schon -oft vorgenommen, keinen andern Componisten mehr anzuhören, -so entzückt hat mich jedes seiner Werke, es kam -mir nur unbillig vor, da ich doch selber ein Deutscher -<a id="page-331" class="pagenum" title="331"></a> -bin, mich so feindlich meinen Landsleuten gegenüber zu -stellen. -</p> - -<p> -Was hat die Landsmannschaft damit zu thun? sagte -der Laie: manche Italiener, die gern eine Partei formiren -möchten, haben es freilich bequem, wenn sie den Mozart -oder gar Gluck zu den ihrigen rechnen, und so gegen Bestrebungen -zu Felde ziehn wollen, die ihnen im Wege -stehn. Giebt es aber eine wahrhaft deutsche Oper, eine -Musik, die wir uns als national durchaus aneignen müssen, -so ist es eben die Mozartsche, und es ist sehr gleichgültig, -daß der Don Juan ursprünglich für italienische -Sänger geschrieben wurde. Italien hat auch deutlich gnug -bewiesen, daß es diesen großen und reichen Geist nicht -fassen und lieben konnte. Mozart, Gluck, Bach, Händel -und Haydn sind ächte Deutsche, die wir uns niemals dürfen -abdisputiren lassen, und ihre Compositionen sind, recht -im Gegensatz gegen die Italienischen, wahrhaft deutsche zu -nennen. -</p> - -<p> -Und dann, fügte der Kapellmeister hinzu, kann man -gern dem Rossini Talent und Melodie zugestehen, wenn -der Lobpreisende auch uns zugiebt, daß ihm in seiner Eile -alles das abgehe, was den Componisten erst zu einem -dramatischen macht. Regellos, willkührlich ist er durchaus, -und achtet weder Zusammenhang noch Charakter, ja -ich fürchte, in diesem leichten und wilden Spiel bestehe -sein Talent, so wie das mancher dramatischen Schriftsteller, -und ihn zwingen wollen, consequent zu seyn, dem -Charakter und Inhalt gemäß zu componiren, hieße nur, -ihm das Componiren selbst untersagen. -</p> - -<p> -Sein schneller Ruhm, sagte der Laie, ist wohl nur -entstanden, weil eben der ächte Sinn für Musik unterzugehen -droht. Denn wie kann man sich doch nur mit diesem -<a id="page-332" class="pagenum" title="332"></a> -völligen Mangel an Styl vertragen, der allen seinen -Melodieen einen so niedrigen, geringen Charakter aufdrückt? -Seine Sangstücke sind großentheils sangbar, ja recht bequem -für unsere jetzigen Sänger geschrieben, aber sehr -häufig setzt er auch nur, so vielen Andern ähnlich, wie für -Instrumente, und wenn sein Beifall noch lange währt, so -wird er auch noch dazu beitragen, die Sänger völlig zu -verderben, ja auch wohl den guten und edlen Vortrag der -Instrumente, weil er Alles so kleinlich und geringe behandelt. -Der Sinn für Musik erwachte bei uns auf eine -schöne Weise, er kräftigte sich und es war uns vergönnt, -Gluck zu verstehn und uns völlig anzueignen, eine so -große Erscheinung, wie Mozart, entstand und vollendete -sich vor unsern Augen, Haydns tiefsinniger Humor in -seinen Instrumental-Compositionen ergriff alle Freunde der -Kunst, des großen Händels Werke wurden wieder studirt, -und selbst die Dilettanten fühlten sich von seiner Kunst -entzückt, die das Mächtige, Gewaltige erstrebt, jeden kleinlichen -Reiz verschmähend; wir sahen Anstalten gedeihen, -die auch die alte Kirchenmusik, die herrlichen Werke der -verstorbenen großen Meister wieder ertönen ließen, es schien, -daß auf immer der Geschmack am Großen und Edeln gerettet -sei. Nur hatte sich indessen die Menge auch mit -der Musik scheinbar vertraut gemacht, und diese kann, -wenn sie sich eine edle Sache aneignet, immer nur bis -auf eine gewisse Weite mitgehn, dann wird sie nothwendig -das Ergriffene in etwas Geringeres verwandeln, das -ihr zusagt. Ehemals hatten wir nur Kenner und oberflächliche -Liebhaber in Deutschland, jetzt aber entstand eine -Halbkennerschaft statt der Freunde, die sich unschuldig ergötzten. -Diese anmaßlichen Kenner haben mit lauter -schreienden Stimmen nach und nach das Wort der wahren -<a id="page-333" class="pagenum" title="333"></a> -Musikfreunde verdrängt, ja diese gelten den neuern -Enthusiasten wohl gar für eigensinnige, oder gefühllose -Kritiker, die aus Neid und Mißlaune die glänzenden Erscheinungen -der neuesten Zeit nicht anerkennen wollen. -Darum hat auch in meiner Vaterstadt, in Berlin, Rossini -am meisten Widerspruch gefunden, weil durch des unvergeßlichen -Fasch herrlichen Eifer dort die treffliche Musik-Akademie -gegründet wurde, die unser Freund, der wackre -Zelter, nach dessen Tode in demselben Sinne fortgeführt -hat. Durch die Vergegenwärtigung der alten Meisterwerke, -durch den einfachen, edlen Gesang, der dort bekannter -ist, als anderswo, sind die zahlreichen Mitglieder zum -Bessern verwöhnt, und können sich unmöglich dem zierlich -Nüchternen hingeben. -</p> - -<p> -Sie werden es mit meiner Tochter völlig verderben, -sagte der Baron lachend, denn sie meint, wo nur Effect -sei, da wäre es lächerlich zu fragen, ob die Wirkung auch -statt finden dürfe. -</p> - -<p> -Sie hat vollkommen Recht, antwortete der Laie, ich -aber auch, wenn ich behaupte, die Wirkung müsse gar -nicht eintreten. Um diesen Punkt dreht sich ja die Kritik -in allen Künsten. -</p> - -<p> -Darum ist es ein Glück zu nennen, antwortete der -Baron, ja gewissermaßen eine weise Lenkung des Kunstgenius, -daß ein großer Componist sich diesem kleinlichen -Unwesen so mächtig gegenüber stellt, und das so ausgezeichnet -besitzt, Styl nehmlich, was jenem ganz abgeht. -Ich spreche von dem nicht genug zu lobenden Spontini. -Es läßt sich hoffen, daß von dieser Seite durch mächtige -Wirkungen der Sinn der Deutschen wird gehoben, und -ihr Wohlgefallen an diesem Melodieenkitzel beseitigt werden. -</p> - -<p> -Der Laie schien so in Eifer gerathen zu seyn, daß -<a id="page-334" class="pagenum" title="334"></a> -er allein das Wort führen wollte. Gewiß, sagte er lebhaft, -wäre es lächerlich, wenn man diesem Manne ein ausgezeichnetes -Talent absprechen wollte, und über die Verdienste -seiner Vestalin läßt sich Vieles sagen und streiten. -Aber daß er im Cortez und nachher noch gewaltiger ein -Brausen und Lärmen der Instrumente, ein Ueberschreien -der Stimmen, ein Aufkreischen, ein wildes Getümmel uns -hat für Musik geben wollen, scheint mir ebenfalls ausgemacht. -Man kann schwerlich im voraus bestimmen, wie -viel oder wenig unser Ohr von Instrumental-Musik vertragen -soll, denn Mozart hat die meisten seiner Vorgänger -überboten, und es gab früherhin auch Kunstfreunde, -die bei ihm über zu große Fülle klagten; und schon lange -vor diesem hat der große Händel außerordentlich viele Instrumente -in Anspruch genommen, um seine erhabenen -Gedanken auszusprechen. Aber bei diesen war die Fülle -der Töne doch Musik, ein Anschwellen, ein Heranbrausen, -ein Abdämpfen und Zurücksinken in eine gewisse Stille -und Ruhe, aber nicht dieses ununterbrochene, nie rastende -Wüthen aller Kräfte ohne Vorbereitung, Inhalt und Bedeutung, -welches nur betäuben kann, und dessen Macht -und Gewaltsamkeit mehr erschreckt und ermüdet, als erhebt -und erschüttert. Geht der berühmte neuere Componist -hiebei nur gar zu oft auf leeren Effect und Schreckschuß -aus, so wie manche Schauspieler und Schauspieldichter, -wirkt er nur einzig und allein durch große Massen, -so ist er zwar wohl nicht der Wandnachbar Rossini’s, aber -sie reichen sich denn doch aus einer gewissen Entfernung -befreundet die Hände und stehn sich nicht als feindliche -Kräfte einander gegenüber. Wohl uns, daß unser hochgeehrter -Maria Weber uns zu den schönsten Erwartungen -<a id="page-335" class="pagenum" title="335"></a> -berechtigt, der in dem, was er schon trefflich geleistet hat, -so glänzend zeigt, wie viel er in Zukunft noch vermag. -</p> - -<p> -Nun erhob sich die Tochter mit allen Tönen, und -der Vater stand ihr bei, um den Laien in die Enge zu -treiben, der ihre Lieblinge so keck angegriffen hatte, ohne -doch vom Metier zu seyn, da er sein ehemaliges Violinspielen -selber nicht in Anschlag zu bringen wage. Unter -lautem Lachen wurde disputirt und behauptet, der Teufel -sei ein- für allemal unmusikalisch, die Kugelgießerei und -der Lärmen dabei schlimmer als was je auf dem Theater -getobt, und der Musik, die ganz Deutschland wie verwirrt -gemacht, fehle die Mannigfaltigkeit, ein heiteres -Element, ja auch jene Ironie, wodurch Mozart erst seine -ungeheure Dichtung des Don Juan zu diesem einzigen -Werke gebildet habe, so daß bei diesem durch Gegensätze -sich Inhalt und Behandlung rechtfertigen, was dort ganz -aus der Acht gelassen sei. -</p> - -<p> -Der Kapellmeister nahm sich des armen Laien, der -hierauf wenig zu erwiedern wußte, oder den man vielmehr -nicht zu Worte kommen ließ, freundlichst an, und -meinte, eine Vergleichung auf diese Weise anzustellen, sei -unbillig, weil das neue Kunstwerk gar nicht die Absicht -habe, sich neben jenes ungeheure zu stellen. Ueberschreitet -auch die angefochtene Scene, fuhr er fort, welche gerade -die Menge herbei gelockt hat, die Gränzen der Musik, -so ist doch übrigens des Vortrefflichen, des ächten -Gesanges, des Neuen und Genialischen, vorzüglich aber -des wahrhaft Deutschen, im besten Sinne, so viel, daß -ich vollkommen in das Lob unsers unmusikalischen violinspielenden -Laien einstimmen muß, der Manches wohl -eben deswegen bestimmter empfindet und kecker ausspricht, -weil er niemals vom Handwerk gewesen ist, und selbst -<a id="page-336" class="pagenum" title="336"></a> -nicht als Dilettant hinein gepfuscht hat, da er sich doch -bescheidet, in die eigentlich grammatische Kritik einzugehn. -Sollte keiner als nur Musiker mitsprechen dürfen, so würde -ja auch für diese nur componirt, und das werden wir -uns doch wohl, so wie alle Künstler, verbitten, nur für -die Zunftgenossen zu arbeiten, um von ihnen empfunden -und verstanden zu werden. -</p> - -<p> -Könnte ich nur, fing der Laie wieder an, den sanften -Genuß wieder haben, den mir ehemals die Lila des -Martini gewährte. Diese idyllische, reine und heitere -Musik wäre nach so manchem Ungethüm unsrer Theater -eine wahre Erquickung. Wie würde ich mich freuen, -Paisiello’s Barbier von Sevilla wieder zu vernehmen, und -es kränkt mich innig, daß man eine solche Composition -nicht als eine klassische verehrt, die nun einmal für allemal -fertig ist, und an die sich keiner von Neuem wagen -dürfte. Denn ist bei Rossini auch hier und da vielleicht ein -Moment brillanter, so ist doch der dramatische Sinn des -Ganzen, die Bedeutung untergegangen, und nichts gegeben, -was sich dem Humor in der Rolle des Alten nur -irgend vergleichen dürfte. Die Verwöhnung der gehäuften -Instrumente läßt aber befürchten, daß man, wenn -man auch einmal diese trefflichen alten Sachen geben -möchte, Zusätze zur Begleitung macht, oder diese wenigstens -verstärkt. Hier und da habe ich schon murmeln -hören, daß Gluck dergleichen bedürfe. Mozarts Figaro -ist schon in Violinen und andern Instrumenten doppelt -so stark besetzt worden, als es der Componist vorgeschrieben -hat, bei dieser heitern Musik um so unpassender, -weil dadurch der Witz, das wundersam Leichte und Heitere -des Gesanges gestört wird. Es ist, als wollte man -treffliche Brillanten aus ihrer leichten Fassung nehmen, -<a id="page-337" class="pagenum" title="337"></a> -und sie, um sie zu ehren, in schweres Gold schmieden. -Oder, als riefe man sich witzige und launige Einfälle -durch ein Sprachrohr zu. -</p> - -<p> -Man sang zum Beschluß noch Einiges, und die Gesellschaft -trennte sich. Beim Abschiede sagte der Baron -zum alten Italiener: auf Wiedersehn! Doch dieser schüttelte -den Kopf, und wies mit dem Finger nach oben. -Der Laie ging nach seinem Hause, weil es schon spät -war, und er in der kalten Nacht an einem Abenteuer, -an welches er nicht glauben mochte, nicht Theil nehmen -wollte. Der Kapellmeister und der Graf wandelten aber -mit dem wunderlichen Alten durch die ruhige Stadt, ließen -sich das Thor öffnen, und begaben sich nun nach -dem Tannenwalde, wo der Lebensüberdrüssige seine Laufbahn -eigenmächtig zu vollenden drohte. Als sie unter -den finstern Bäumen standen, sagte der Graf: nun, Alter, -seid Ihr wieder gescheidt geworden, wollt Ihr nun nicht -lieber zu Bette gehn? -</p> - -<p> -In die Ewigkeit thu ich mich hinein legen, sagte der -Italiener, und das liebe Vergessen, Ruhe, tiefer, tiefer -Schlaf, werden wie Flaumen eines Daunenbetts um mich -zusammen schlagen. Adieu, Eccellenza! lebt wohl, thörichter -Kapellmeister, der Ihr die schöne Gelegenheit nicht benutzt, -allen Euren Jammer, Partituren, Noten, Pausen, -Tonarten, Sänger und Sängerinnen los zu werden. Nun -laßt mir ein bissel noch über meinen Zustand nachdenken, -und dann rufe ich Euch wieder; Kapellmeister kommandirt -Eins, Zwei, Drei, und beim Worte Drei, deutlich -ausgesprochen, langsam, feierlich, laut, daß liebe Echo -auch etwas davon abkriegt und mitspricht, schieß ich mich -die ganze Pistole in meinen dummen Kopf hinein. -</p> - -<p> -<a id="page-338" class="pagenum" title="338"></a> -Ihr werdet doch nicht, sagte der Kapellmeister, so -abgeschmackt wie der Hanswurst in der Kreuzerkomödie -sterben wollen? -</p> - -<p> -Gerade so muß es geschehen, sagte der Alte, und -legte sich in einen Sandgraben nieder. Die beiden Begleiter -gingen tiefer in den Wald, die Nacht war still, -kein Wind wehte, ein ganz leiser Hauch rührte zuweilen -die Zweige an, so daß die Nadeln der Tannen in sanften -Tönen lispelten, das Flüstern fortlief, und indem sich -dann der Wald in allen Stämmen bewegte, wie ferner -Orgelton verhallte. Feierlich genug ist die Stunde, sagte -der Musiker. Eine wundersame Empfindung, erwiederte -leise der Graf, hat den ganzen Abend in mir fort geklungen: -vielleicht bin ich dem Tode näher, als jener alte -Wahnsinnige, denn noch nie war mir mein Dasein so -abgestanden und leer, so jedes Reizes entkleidet. Ich -glaube nun auch, daß jenes himmlische Wesen, welches -ich schon lange suche, gestorben ist. — Still! rief jener: -hörten Sie nicht Musik? — Vielleicht die fernen Glocken. -</p> - -<p> -Nein, sagte der Kapellmeister gehend: ich höre es -deutlicher: und nun erinnere ich mich, hier wohnt der -unkluge Alte nicht fern, in dessen Häuschen ich bei meiner -Ankunft schon Morgens um fünf Uhr einen herrlichen -Discant vernahm. -</p> - -<p> -Der Graf war tief bewegt. Jetzt kommt! kommt! -schrie der Italiener, mein Ermorden soll ein bischen seinen -Anfang nehmen! Schießt Euch todt, oder hängt -Euch! rief der Graf zurück, wir haben jetzt etwas Besseres -zu thun, als Eure Possen anzuhören. -</p> - -<p> -Sie gingen weiter, drängten sich durch Baum und -Strauch, und der neugierige Italiener hatte sich zu ihnen -gesellt. Jetzt tönte ihnen schon bestimmter der Gesang -<a id="page-339" class="pagenum" title="339"></a> -entgegen, und der Graf zerriß sich Hände und Gesicht, -um nur aus den Gesträuchen zu kommen, in denen er -sich aus Eifer immer tiefer verwickelte. Er drängte endlich -hindurch und stand in der Nähe des Häuschens, dessen -kleine Fenster erleuchtet waren. Der treffliche Psalm -Marcello’s „<span class="antiqua">Qual anhelante</span>“ tönte ihnen voll und rein -entgegen, so einfach, so edel vorgetragen, daß der Kapellmeister -erstaunt und hingerissen kaum athmete. Sie ist -es! sie ist es! meine Einzige! rief der Graf in der größten -Erschütterung aus, und wollte sich dem Hause nähern, -aber der Kapellmeister hielt ihn fest, klemmte sich -an ihn, und warf sich dann zu seinen Füßen nieder, die -er umarmte, und rief: o bester, glücklichster Graf! Heirathen -Sie sie also, wie Sie gelobt haben; aber gönnen -Sie mir vorher das einzige Glück, daß sie erst die Geliebte -in meiner ruinirten Oper singt; dann will ich gern -sterben, denn eine solche Stimme giebt es auf Erden -nicht mehr. -</p> - -<p> -Der Graf strebte zum Hause hin, und der Kapellmeister -ließ endlich sein ungeduldiges Bein los. So wie -er auf die Wohnung losstürzte und an die kleine Thür -klopfte, verstummte der Gesang. Macht nicht so viel -Umstände, sagte der Italiener, der Sing-Sang ist nicht -der Mühe werth, man sieht wohl, daß ihr meine Selige -nicht gekannt habt. Der Kapellmeister, der jetzt eben so -außer sich war, wie der Graf selbst, klopfte mit diesem -wetteifernd an die Thür, und da sich beide in den Kräften -überboten und das Tempo immer schneller nahmen, -so entstand dadurch ein sonderbares Concert in der ruhigen -Nacht. Im Hause war Alles still, endlich aber schien -man drinnen doch die Geduld verloren zu haben, denn -ein Fenster öffnete sich und eine leise, heisere Stimme -<a id="page-340" class="pagenum" title="340"></a> -sagte: was giebt’s da? Seid ihr betrunken? Laßt uns -ein! rief der Graf: hinein müssen wir! schrie der Kapellmeister: -wo ist die Sängerin? der Graf: ich habe sie -schon am Morgen neulich gehört, der Kapellmeister, als -Ihr mir sagtet, es sei des Teufels Großmutter: aber -hinein müssen wir! vereinigten sich nun beide. Seid ihr -rasend? rief die erhöhte Stimme des Alten, und in diesem -Augenblick schrie der Italiener lauter als Alle: Hortensio! -Hortensio! haben wir Euch endlich erwischt? Nun -bleib’ ich am Leben! Mag sich umbringen, wer Lust -hat, ich halte mich an Euch, altes Fell! -</p> - -<p> -Ich bin der Graf Alten, schrie der Liebhaber; ich der -Kapellmeister! rief sein Begleiter, laßt uns nur hinein, daß -wir die Sängerin sehn: kommt herab! rief der Italiener, -daß wir beide unsre Bekanntschaft erneuern können. -</p> - -<p> -Mein Himmel! ächzte der Greis, so nach tiefer Mitternacht? -Meine guten Herren, wenn Sie bei mir was -zu suchen haben, so kommen Sie doch morgen, wenn der -Tag scheint. -</p> - -<p> -Gut, sagte der Graf beruhigter, morgen früh! der -Kapellmeister fand sich auch in den Vorschlag, und als -sie friedlich wieder fortgingen, sagte der Italiener: ich -bleibe die Nacht hier draußen und passe ihm auf. Morgen -früh machen wir Alle unsern Besuch. — -</p> - -<p> -Wie erstaunten, erschraken am folgenden Tage der -Graf und der Musiker, als sie das Haus verlassen und -öde fanden; noch vor Tage, sagte die alte Aufwärterin, -seien die beiden Bewohner ausgezogen und haben in -größter Eil alle Sachen fortschaffen lassen. Auch der Italiener -zeigte sich nirgend. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -<a id="page-341" class="pagenum" title="341"></a> -Ein schöner, heiterer Herbsttag war aufgegangen, -die Sonne schien in dieser späten Jahreszeit noch so warm, -wie im Sommer, und dies bestimmte den Laien mit seiner -Tochter in das naheliegende Bergthal zu fahren. Auf -einem kleinen Miethpferde sahen sie in der Entfernung -den Enthusiasten auch mit nachflatterndem Kleide auf -dieselbe Gegend zusprengen. Der Himmel verhüte nur, -bemerkte der Laie zu seiner Tochter, daß der Schwätzer -nicht ebenfalls in jenem Thale verweilt, weil er uns sonst -mit seinen heftigen Reden und Schilderungen den Tag -verderben würde. -</p> - -<p> -Wir müssen uns schon darauf gefaßt machen, erwiederte -die Tochter, denn er sagte mir neulich, daß er diese -Gegend vorzüglich liebe und sie oft besuche. -</p> - -<p> -Wie sind diese Menschen doch so lästig, fuhr der -Laie fort, die eben, weil sie gar nichts empfinden, über -Alles in Hitze gerathen können. Aber mehr noch, als -bei Kunstwerken, stören sie mich in der Natur, die am -meisten ein stilles Sinnen, ein liebliches Träumen erregt, -in der ein vorüber schwebender Enthusiasmus und Behaglichkeit -sich ablösen, und sie unsern Geist fast immer -in eine beschauliche Ruhe versenken, in welcher Passivität -und schaffende Thätigkeit eines und dasselbe werden: -dazu der Anhauch einer großartigen Wehmuth in der -Freude, so daß ich in der schönen Landschaft gegen diese -beschreibenden Schwätzer oft schon recht intolerant gewesen -bin. -</p> - -<p> -Sie stören fast eben so sehr, wie die unerträgliche -Musik, antwortete das Mädchen, da man so oft in der Nähe -der Gebäude Tänze oder kreischende Arien vernehmen muß. -</p> - -<p> -Als sie angekommen waren, sprang ihnen der berührige -Enthusiast schon aus dem Hause entgegen. O wie -<a id="page-342" class="pagenum" title="342"></a> -schön, rief er aus, daß Sie diesen herrlichen Tag auch benutzen, -der wahrscheinlich der letzte helle dieses Jahres ist. -Lassen Sie uns nur gleich an den murmelnden Bach gehn, -und dann von der Höhe des Berges das Thal überschauen. -Es ist eine Wonne, die Schwingungen der Hügel, -den kleinen Fluß, das herrliche Grün und dann die -Beleuchtung zu sehn und zu fühlen. Giebt es wohl ein -Entzücken, das diesem gleich oder nur nahe kommen kann? -</p> - -<p> -Ich will mit Ihnen gehen, erwiederte der Laie, aber -nur unter der Bedingung, daß Sie mich mit allen Schilderungen -und begeisterten Redensarten verschonen. Wie -können Sie überhaupt nur immer so vielen Enthusiasmus -verbrauchen? Es ist nicht möglich, wie Sie auch -neulich gestanden haben, daß Sie so viel empfinden. -</p> - -<p> -Bei der Kunst, sagte der Enthusiast, setzt man freilich -wohl hie und da, dem Künstler zu gefallen, etwas -zu, aber in der himmlischen Natur — nein! da kann -doch keine Zunge Worte genug finden, um nur einigermaßen -das wiederzugeben, was im Herzen aufgeht. Ich -habe es aber schon seit lange bemerkt, daß Sie kein großer -Freund der Natur sind, denn wie konnten Sie nur -sonst, wie ich schon so oft gesehen habe, daß Sie thun, -beim schönsten Frühlingswetter in das dumpfe Theater -kriechen, um eine Oper zu hören, oder sogar ein mittelmäßiges -Schauspiel zu sehn, über welches Sie nachher -selber Klage führen? -</p> - -<p> -Weil es mir an solchem Tage, antwortete jener, darum -zu thun ist, ein Schauspiel zu sehn, und ich dies mit -dem Genusse der Natur dann nicht vereinigen kann und -mag. Auch gestehe ich Ihnen, daß ich oft in der schönsten -Natur bin, ohne sie mit den geschärften Jäger-Augen -in mein Bewußtsein aufzunehmen, wenn mich ein heiteres -<a id="page-343" class="pagenum" title="343"></a> -Gespräch beschäftigt, oder ich auf einsamem Spaziergang -etwas sinne, oder ein Buch meine Aufmerksamkeit fesselt. -Glauben Sie nur, unbewußt, und oft um so erfreulicher, -spielt und schimmert die romantische Umgebung doch in -die Seele hinein. Wenn wir uns überhaupt immer so -sehr von Allem Rechenschaft geben sollen, so verwandelt -sich unser Leben in ein trübseliges Abzählen, und die -feinsten und geistigsten Genüsse entschwinden. -</p> - -<p> -Hm! Sie mögen nicht ganz Unrecht haben, sagte der -Enthusiast nachsinnend: wenn ich nur nicht einmal den -Charakter der Heftigkeit angenommen hätte und bei allen -meinen Bekannten als ein Eiferer gölte, so wollte ich -mir das Wesen wieder abzugewöhnen suchen. Es ist -aber denn doch auch fatal, wenn man, so wie Sie, für einen -Phlegmatiker gilt. Da Sie also nichts von Naturbegeisterung -hören wollen, so will ich Ihnen lieber erzählen, -daß ich schon vorhin, ehe Sie kamen, eine sonderbare -Erscheinung hier bemerkt habe. Ein junges, wunderschönes -Mädchen stand dort oben auf dem Hügel, sah -immerdar auf den Weg hin, der zur Stadt führt, und -weinte dann heftig. Sie erregte mein lebhaftestes Mitgefühl, -ich ging zu ihr, aber so sehr ich auch in sie drang, -so konnte ich sie doch nicht bewegen, mir eine vernünftige -Antwort zu geben, oder mir zu erzählen, was sie hier -mache, wie sie hergekommen sei und wen sie hier erwarte. -Und ich war doch so ganz außerordentlich neugierig, vorzüglich, -weil ich dies junge, außerordentlich reizende Frauenzimmer -neulich schon bei unserm Baron in der Gesellschaft -gesehen habe, wo sich der verwirrte melancholische Graf -viel mit ihr zu schaffen machte. — Sehn Sie, sie steigt -schon wieder den Hügel hinan, um ihre Beobachtungen -anzustellen. -</p> - -<p> -<a id="page-344" class="pagenum" title="344"></a> -Mit Zierlichkeit und Grazie schwebte die Gestalt die -grüne Anhöhe hinauf, und ihre vollen, braunen Locken, -ihr leuchtendes Auge, das einfache Gewand und die Geberde -wirkten mit unbeschreiblichem Zauber in der anmuthigen -Landschaft. Die Tochter fühlte sich bewegt, als -sie das schöne Wesen wieder weinen sah, die Thränen stiegen -ihr selbst in die Augen, als die Unbekannte jetzt im -Ausdruck des höchsten Schmerzes die Hände rang, -und sich jammernd auf den Rasen niedersetzte. Lassen -Sie uns hinauf steigen, sagte der Laie, das arme Wesen -bedarf unsers Trostes und Beistandes, meine Tochter soll -sie anreden, wir aber, Herr Kellermann, wollen uns fürs erste -schweigend verhalten, und die Betrübte am wenigsten mit -zudringlichen Fragen ängstigen. Die Tochter ging zu ihr, -und die Fremde bekannte, daß sie ihren alten Vater aus -der Stadt erwarte, und nicht begreife, wie er so lange -zögern könne, da er ihr diesen Ort angewiesen habe, wo -sie zusammen treffen wollten, um weiter zu reisen. -</p> - -<p> -Sie wollen also unsre Gegend verlassen, fragte der -Laie, da Sie doch, so viel ich weiß, nur kürzlich angekommen -sind? -</p> - -<p> -Ach! mein Herr, antwortete die schöne Fremde klagend, -mein lieber Vater leidet schon seit lange an einer schweren -Melancholie, an Menschenfeindschaft und tiefem Lebensüberdruß, -so zieht er seit einigen Jahren von Ort zu Ort, -verarmt immer mehr, wird immer kränker, versagt sich -selbst alle Hülfe, und will auch mir das Glück nicht gönnen, -ihm beizustehn, da ohne diesen starren Willen meine -Talente sein Leben wohl unterstützen könnten. Denn -mein Gesang und die Musik überhaupt machen das Unglück -meines Lebens. -</p> - -<p> -Sie singen also doch? fragte der Laie sehr lebhaft. -</p> - -<p> -<a id="page-345" class="pagenum" title="345"></a> -Meine Trauer, mein tiefer Schmerz, erwiederte die -schöne Klagende, sind Schuld, daß ich mein Gelübde gebrochen -habe. Ich habe meinem Vater geloben müssen, -niemals zu gestehen, daß ich singe, auch niemals, außer -wenn er zugegen ist, und es mir erlaubt, einen Ton anzuschlagen. -Wir wohnten deshalb von der Stadt entfernt, -wir vermieden allen Umgang, nur neulich war ich -zufällig im Hause des Baron Fernow, wo ein Fremder, -ein feiner, anständiger Mann mich über die Gebühr mit -Fragen und Aufforderungen zum Singen ängstigte. In -der letzten Nacht, als ich, wie ich glaube, in der höchsten -Einsamkeit einen Psalm Marcello’s einübe, entsteht vor -dem Hause ein Getümmel, wir halten die Leute für Räuber -oder Trunkene, der Graf nennt sich endlich, und will -eingelassen seyn, noch einige Andere toben eben so laut, -und mein Vater kann sie endlich nur beruhigen, indem -er ihnen verspricht, am Morgen ihren Besuch anzunehmen. -Kaum sind sie fort, so muß Alles in der größten -Eile eingepackt werden, noch in der Nacht werden Fuhrleute -gemiethet, unsre wenigen Sachen hieher zu fahren, -am Morgen muß ich nachreisen, und er verspricht, in wenigen -Stunden ebenfalls hier zu seyn, weil er in der -Stadt noch unsere Reisepässe besorgen müsse. Hier erwarte -ich ihn nun schon manche Stunde, gewiß ist er krank, -ein Unglück ist ihm zugestoßen, und ich weiß in meiner -Angst nicht Rath noch Hülfe; wo soll ich ihn wieder -finden? -</p> - -<p> -Der Laie suchte sie zu beruhigen. Er schlug vor, -im Gasthause bis nach Tische den Alten zu erwarten, -dann solle sie mit ihm und seiner Tochter zurück fahren, -da nur ein Weg zur Stadt führe, so müßten sie dem -Vater begegnen, wäre dies nicht der Fall, so solle die -<a id="page-346" class="pagenum" title="346"></a> -Fremde in seinem Hause absteigen, indessen er selbst Erkundigungen -einzöge. Auf sein eindringliches Zureden -und der Tochter schmeichelnde Liebkosungen wurde sie ruhiger -und ging mit ihnen in den Gasthof. Bei Tische wurde -man sogar guter Laune, nur verweigerte die Fremde auf die -unbescheidene Bitte des Enthusiasten, zu singen, weil dies -gegen ihr heiliges Versprechen laufe. Man sprach dann -viel über die neulichen Musikstücke, die der Kapellmeister im -Hause des Barons habe probiren lassen, sie lobte die -Composition als großartig, tadelte aber die Manier der -Sänger. Es kann seyn, beschloß sie ihre Kritik, daß -ich hierüber völlig im Irrthum bin, aber nach den Grundsätzen -meines Vaters, und nach der Gesangsweise, die ich -nach seinem Unterricht ausüben muß, ist jene Manier eben -so klein als willkührlich. Ja, dürfte ich einmal (aber dazu -ist mein Vater auf keine Weise zu bewegen) eine Opern-Rolle, -wie diese des Kapellmeisters singen, so schmeichle -ich mir, daß ich eine große Wirkung hervor bringen -würde, und vielleicht um so größer, weil diese Art jetzt -ganz vergessen ist und die Neuheit um so mehr erschüttern -möchte. -</p> - -<p> -Wenn Sie diejenige sind, erwiederte der Laie, für -welche ich Sie jetzt halten muß, so können Sie einen gewissen -enthusiastischen Mann, wenn es übrigens Ihre -Gesinnung erlaubte, unbeschreiblich glücklich machen. -</p> - -<p> -Die Schöne wurde roth, und der Enthusiast Kellermann, -so wie er das Wort enthusiastisch nennen hörte, -sprang eilig herbei und rief: ja gewiß, Verehrte! wie -könnte mein Herz wohl so vielfach vereinigtem Zauber -widerstehn? -</p> - -<p> -Gebt Euch keine unnütze Mühe, rief der Laie laut -lachend, ich meine jenen sonderbaren Grafen, den wir Alle -<a id="page-347" class="pagenum" title="347"></a> -kennen. Ich hoffe einen beglückenden Ausgang weissagen -zu dürfen. -</p> - -<p> -Die Schöne wollte sich auf keine nähern Erörterungen -einlassen; lobte aber nachher im Verlauf des Gespräches -den jungen Grafen als einen schönen und verständigen -Mann, der sie auch in der Gesellschaft am meisten -interessirt habe. -</p> - -<p> -Auf der Rückfahrt unterhielt man sich mit heitern -Gesprächen. Der Enthusiast sprengte wieder auf seinem -kleinen Pferde voran, und war bemüht, seine Geschicklichkeit -im Reiten zu zeigen. Als sie in die Stadt hinein -gefahren waren, sahen sie in der Hauptstraße einen großen -Volksauflauf, Getümmel, Geschrei, ein Vor- und Zurückdrängen, -der Wagen mußte halten, die Wache machte -Platz und der Laie erstaunte, als er den alten Italiener -zwischen den Soldaten bemerkte, die ihn als Gefangenen -fortführten. Was giebt es? fragte er einen Vorübergehenden. -— Je, der braune Schelm, antwortete dieser, -hat einen alten Mann so eben todt geschlagen. -</p> - -<p> -Als sich die Menge verlaufen hatte und sie weiter -fahren konnten, stürzte ihnen aus einem großen Hause -der Graf entgegen, er rief, daß man anhalten solle, und -mit einem Ausdrucke übermenschlichen Entzückens half er -Julien aussteigen. Der Laie und die Tochter folgten, -um zu sehen, wie sich die Scene entwickeln würde. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Im Saale fand Julie den alten Mann im Lehnstuhl -sitzen, blaß und erschüttert, aber wohl und unverletzt. -Man erfuhr, daß er den ganzen Tag durch Hin- und -Herschicken, indem er seine Pässe berichtigen und auslösen -mußte, von der Polizei war aufgehalten worden. Als er -<a id="page-348" class="pagenum" title="348"></a> -endlich fertig zu seyn glaubte, und eben einen Wagen -suchte, um seiner Tochter nachzureisen, begegnete er dem -thörichten Italiener, der ihn sogleich auf offener Straße -angriff, um ihn zu mißhandeln, als er aber um Hülfe -rief, nahmen sich die Vorübergehenden des Greises an, -und der Verwirrte wurde der Wache übergeben. Julie -liebkosete den Alten, und suchte ihn durch ihre Zärtlichkeit -zu beruhigen. Der Enthusiast, so wie der Kapellmeister -waren ebenfalls Zeugen dieses Auftrittes. -</p> - -<p> -Vielen Dank, sagte endlich der Alte, bin ich Ihnen, -mein Herr Graf, schuldig, daß Sie sich meiner so freundlich -angenommen haben, jetzt aber lassen Sie uns abreisen, -damit wir recht bald den Ort unsrer neuen Bestimmung -erreichen. -</p> - -<p> -Er stand auf und wollte gehn, Julie blieb zaudernd, -und blickte verlegen auf die Gegenwärtigen, der Graf -aber trat vor den Greis hin und sagte mit zitterndem -Tone: können Sie mir das Glück meines Lebens entreißen -wollen, dem ich so lange nacheilte, jetzt, nachdem ich -es endlich so unverhofft und so wunderbar gefunden habe? -</p> - -<p> -Was meinen Sie? fragte der Alte. -</p> - -<p> -Selig würde ich seyn, antwortete der Graf, wenn -Ihre Tochter sich entschließen könnte, mir ihre Hand zu -schenken. Ich bin reich, völlig unabhängig, lassen Sie -uns in Liebe, Freundschaft und Musik verbunden ein Glück -begründen und genießen, wie es nur immer auf Erden -möglich ist. -</p> - -<p> -Der Alte taumelte wie erschrocken zurück, er mußte -sich vor Zittern wieder niedersetzen. Wie! rief er im heftigen -Weinen aus: das könnte Ihr Ernst seyn, mein -Herr Graf? -</p> - -<p> -<a id="page-349" class="pagenum" title="349"></a> -Ich nehme, rief dieser, alle diese Freunde zu Zeugen: -doch, Julie selbst? -</p> - -<p> -Nun, meine Tochter, sagte der Alte bewegt, könntest -Du Deinen greisen Vater so glücklich machen? Jetzt liegt -es in Deiner Hand, mir allen Gram meines Lebens -zu vergüten und meine letzten Tage zu verherrlichen. -Aber ist es denn kein Traum? Wie kommt dies Alles? -Kannst Du Dich entschließen, mein Kind? -</p> - -<p> -Die Tochter war heftig erschüttert. O Himmel! -rief der Graf: nein, Gewalt sollen Sie sich nicht anthun: -lieber entsage ich allen meinen Hoffnungen. -</p> - -<p> -Können Sie mich so mißverstehn? antwortete Julie, -kaum hörbar: hätten Sie wirklich nicht gefühlt, wie sehr -ich mich zu Ihnen gezogen fühlte? Habe ich doch seitdem -immer Ihr Bild vor Augen gehabt. Aber auch den -allerfernsten Schimmer eines solchen Glücks wies ich als -einen wahnsinnigen Traum zurück. -</p> - -<p> -Der Graf kniete vor ihr nieder, der Alte legte gerührt -ihre Hände in einander, dann sank sie an die Brust -ihres Geliebten. -</p> - -<p> -Doch jetzt, rief der Graf aufspringend, nur Einen -Ton, Einen Tact, ich weiß es zwar gewiß, daß Du es -bist, aber um mich völlig zu überzeugen. -</p> - -<p> -Sie sah fragend ihren Vater an, doch dieser sagte -lächelnd: ich löse Dich jetzt gänzlich von dem Gelübde, -welches Du mir gethan hast, jetzt darfst und mußt Du -Alles thun, was Dein Bräutigam von Dir fordert. -</p> - -<p> -Da sang sie ohne alle Begleitung den Anfang des -<span class="antiqua">stabat mater</span> von Palestrina, so stark und voll, so anschwellend -die Töne, so gehalten und lieblich, daß Alle, -vorzüglich aber der Graf und der Kapellmeister in ihrem -Entzücken keine Worte finden konnten. -</p> - -<p> -<a id="page-350" class="pagenum" title="350"></a> -Ja, sagte der Vater, als man wieder ruhiger war, -es ist mein Stolz und mein Glück, diese Stimme gebildet -zu haben, ich darf es ohne väterliche Verblendung -behaupten, sie ist einzig in ihrer Art, und diesen Vortrag -wird man jetzt nirgends hören. -</p> - -<p> -Aber wie kamen Sie nur dazu, fragte der Laie, von -Ihrer Tochter sich geloben zu lassen, niemals in Gesellschaft -zu singen, ja sogar dieses himmlische Talent zu -verläugnen? -</p> - -<p> -O, mein Herr, sagte der Alte, wenn Sie meine Geschichte -kennten, mein jahrelanges Elend, wie ich verkannt -und gemißhandelt wurde, so würden Sie dies und noch -weit mehr begreifen. Von frühster Jugend war mein -Sinn und Streben auf Musik gerichtet, aber meine Eltern -waren so arm, daß sie für meine Ausbildung nur wenig -thun konnten. Mit Chorsingen fristete ich mich durch, -späterhin mit Stundengeben. Ich mußte mir Alles selber -erringen und auf den mühseligsten Wegen. Als ich den -Contrapunct gründlich studirt hatte und Alles versucht -und durchgearbeitet, was zu einem musikalischen Componisten -nothwendig ist, als ich nun fertig zu seyn glaubte, -und schon manche Kirchenmusik geschrieben, die mir gelungen -schien, fand ich nirgends Unterstützung, kein -Mensch wollte von mir etwas wissen, mein Aeußeres -war nicht empfehlend, ich besaß keine feine Lebensart, mir -fehlten die einschmeichelnden Manieren. Nach Italien -strebte mein Sinn, doch die matten Augen meiner hülflosen -Eltern sahen mich so flehend an, daß ich recht im -Herzen fühlte, wie es meine Pflicht sei, für sie zu sorgen. -So mußte ich denn wieder für ein geringes Geld fast -auf allen Instrumenten Unterricht geben, und diese Pein, -mit einem ungeschickten gefühllosen Schüler die Geige -<a id="page-351" class="pagenum" title="351"></a> -zu kratzen, immer dieselben Mißtöne zu hören, ist über -alle Beschreibung. Nur ein solcher Musiklehrer erfährt, -welche Dummköpfe es in der Welt giebt. So bot man -mir einen an, der schon sechs Jahre Violine gespielt hatte. -Ei! dachte ich dazumal, das ist doch ein Trost, da kann -ich einmal musikalisch zu Werke schreiten und vielleicht -einen ächten Scholaren erziehn. Er hatte schon Sonaten, -Quartetts, Symphonieen und die schwierigsten Sachen -durchgearbeitet. Und, denken Sie, als ich ihn nun ins -Examen nehme, ist dieser Virtuose nicht im Stande, seine -Geige zu stimmen, er kennt keine Tonart, schabt Alles -aus dem Gedächtniß daher, hat keinen Tact, und verwundert -sich in seiner blanken Unschuld, daß alles das -Zusammenhang habe und Wissenschaft sei. Wie das -Meerwunder, das schon fast ein erwachsener Jüngling -war, seinen Pleyel zusammen rasselte, alle Töne falsch, -ohne Bindung und Sinn, kreischend und quitschend, Gesichter -schneidend und Pausbacken machend, davon haben -Sie Alle keine Vorstellung. Denken Sie, ich mußte mit -ihm wieder einen Choral zu spielen anfangen, und nach -sechs oder sieben Jahren, die er schon bei einem andern -Lehrer verarbeitet hatte, konnte er das nicht einmal leisten. -</p> - -<p> -Die Uebrigen hatten den Laien schon während dieser -Erzählung lächelnd angesehn, als dieser ausrief: ist -es möglich, daß ich so unvermuthet meinen verehrlichen -Musiklehrer wieder finden muß? Ja, alter Herr, damals -haben wir uns beide das Leben rechtschaffen sauer gemacht. -</p> - -<p> -Sie sind der junge Mensch von damals? sagte der -alte Mann in Verlegenheit; bitte tausendmal um Verzeihung: -aber es war mir doch so merkwürdig, daß ich -diesen Umstand niemals wieder vergessen habe. — Auf -diese Weise ging dann meine Jugend hin. Meine Eltern -<a id="page-352" class="pagenum" title="352"></a> -starben, ich war aber indeß alt geworden. Nach und nach -gab man in kleinen Orten von meinen Compositionen. -Hier und da versuchte auch ein Theater meine Opern -darzustellen, aber sie machten kein Glück. Als ich meine -Gattin, eine herrliche Sängerin, kennen lernte, und sie -ihr Schicksal mit dem meinigen vereinigte, schien mir -nichts mehr zu wünschen übrig. Aber nach der Geburt -meiner Tochter war ihre Stimme schwächer geworden. -Ach was ist es doch für ein unermeßlicher Verlust, wenn -eine wahrhaft schöne Stimme verloren geht. Es ist ja -noch weit mehr, als wenn uns ein geliebter Freund abstirbt. -Und doch muß sich der Mensch auch darein finden. -Meine Frau wollte es aber nicht, sie sang immer -schwächer, immer stärker griff sie sich an, und sang sich -zu Tode. Nun war mein ganzer Himmel diese meine -Tochter. Eine kleine Pension, die mir das Theater zukommen -ließ, das ich eine Zeit lang dirigirt hatte, schützte -mich vor der äußersten Dürftigkeit. Von jetzt vertiefte -ich mich erst recht in die großen Kirchenmusiken der alten -Meister. Immer armseliger erschien mir die Gegenwart. -Alle die Manieren, die Liebhabereien, die überhand nahmen, -waren mir verhaßt. Am abscheulichsten aber erschien -mir die neue Singmethode, welche immer mehr einriß. -Der rechte Ton muß wie die Sonne aufgehn, klar, -majestätisch, hell und immer heller, man muß die Unendlichkeit -in ihm fühlen, und der Sänger muß ja nicht -verrathen, daß er die letzte Kraft ausspielt. Eine Musik, -recht vorgetragen, wiegt sich wie ein Stück des Himmels, -und sieht aus dem reinen Aether in unser Herz, -und zieht es hinauf. Und was ich einzig und allein im -Ton hören will, ist die Begeisterung. Einen tragischen -oder göttlichen Enthusiasmus giebt es, der heraus klingend -<a id="page-353" class="pagenum" title="353"></a> -jeden Zuhörer von seiner menschlichen Beschränktheit erlöst. -Ist die Sängerin dieser Vision fähig, so fühlt sie -sich vom Sinn des Componisten, aber auch zugleich vom -Sinn der ganzen Kunst durchdrungen, daß sie Schöpferin, -Dichterin wird, und wehe dem armen Kapellmeister, -der dann noch Tact schlagen, und das Tempo zu starr -fest halten will, denn die Eingeweihte darf über die gewöhnlichen -und nothwendigen Schranken hinaus steigen, -und sich wie ein Engel schwebend aus dem Grabe des -Zeitlichen erheben, und triumphirend in lichter Glorie dem -Unsterblichen zufliegen. -</p> - -<p> -Das ist es, sagte der Laie, was ich neulich habe -aussprechen wollen. -</p> - -<p> -Die meisten Künstler, fuhr der Alte fort, sind nur -höchstens von ihrer eigenen Virtuosität trunken, selten, -selten, daß einer nur wagt, den Componisten zu verstehn, -geschweige über ihn hinaus zu schreiten. So wie im letzten -Fall der Componist verherrlicht wird, so wird er im -ersten fast immer vernichtet, doch ist diese Begeisterung -nicht ganz zu verwerfen, weil alsdann, wenn auch auf -eitle Weise, Seele in den Gesang kommt, in so fern nämlich -der Sänger ein wirklicher ist. Mein Kind erwuchs, -und ward ganz, wie ich es mir gewünscht. Sie faßte -meinen Sinn, sie bekam eine Stimme, wie ich sie noch -niemals gehört hatte. Ich glaubte, ein unschätzbares -Kleinod in ihr zu besitzen. In dieser Ueberzeugung -schrieb ich von ihr einem großen Hof, wo man sie zur -Kammersängerin berief. Nun glaubte ich, in Ruhe und -ohne Armuth meine Tage beschließen zu können. Die -vornehme Welt ist versammelt und sie singt ein altes -Musikstück, so, daß mir die Thränen in den Augen stehn; -ich selbst hatte sie nie so singen hören, denn sie hat Stolz, -<a id="page-354" class="pagenum" title="354"></a> -die Umgebung befeuerte sie. Und wie sie endigt, keine -Hand, kein Wort, kein Blick. Der alte Kapellmeister -kommt dann zu mir und flüstert, der Fürst und die Damen -hätten geäußert, und er selber müsse die Meinung -unterschreiben, meine Tochter möchte noch erst Unterricht -von einem guten Sänger haben, um Schule zu bekommen. -</p> - -<p> -Das ist es eben, rief jetzt der Graf aus, was sie -wollen, Schule, Methode, wie sie es nennen, statt des -Gesanges. Ja, das war jener Abend, als ich, Julie, in -Wonne aufgelöst hinter Deinem Rücken stand, und Dein -Angesicht nicht sehen konnte. Methode! gerade als wenn -ein Solimene oder Trevisano den Raphael bedauern wollte, -daß er nicht mehr Schule in seinen Werken zeige. -</p> - -<p> -Julie sagte: glauben Sie mir, mein Vater, ich kann -besser singen, als ich jenen Abend sang. Ja, vor Freunden, -die uns verstehn, die unserm Sinn entgegen kommen, -wird die Stimme noch einmal so mächtig und die Sicherheit -unendlich. Aber man fühlt es auch vorher durch -geistigen Instinkt, wenn wir vor Unverständigen uns hören -lassen sollen. Wird bei jenen der Gesang wie Gold in -Gluth der Liebe geschmolzen, so versagt bei diesen Stimme -und Muth, ja der Ton wird oft, trotz aller Anstrengung, -kümmerlich. An jenem, mir fürchterlichen Abende sah ich -mich geflissentlich nicht um, und doch steckten mir alle -die Augen der gelangweilten Hofdamen und die verwunderten -Blicke der neugierigen Cavaliere in der Kehle. -</p> - -<p> -Das Unglück, dieser Unsinn, nahm der Alte wieder -das Wort, verwirrten mir auch den Kopf. Ohne es nur -anzuzeigen, reisete ich noch in derselben kalten Nacht mit -meiner Tochter wieder ab. Sie mußte mir feierlich geloben, -nie anders, als nur in meiner Gegenwart, und -wenn ich es ihr erlaubte, zu singen. Kam sie unter -Menschen, die jetzt fast alle gern kreischen und zwitschern, -<a id="page-355" class="pagenum" title="355"></a> -so mußte sie fest verläugnen, daß sie nur irgend was von -Musik wisse. Wir lebten sehr einsam, kamen wenig oder -gar nicht unter die Leute. Mein Gemüth verfinsterte sich -immer mehr, und hätte mich nicht meine Tochter getröstet, -so wäre ich wohl längst gestorben, oder Wahnsinn -hätte mich ergriffen. Ist mir doch fast, als wäre ich in -manchen Stunden diesem Elende nicht allzufern gewesen. -Oefter wechselte ich den Wohnsitz und kam nun hieher, -um draußen, in der Nähe finsterer Tannen recht einsam -zu leben, und ungestört mit meinem Kinde Gesang und -Musik zu üben, da sah mich neulich der Herr (indem er -auf den Kapellmeister wies) draußen, und gestern wollten -sie beide in der Nacht mein Haus bestürmen, was ich -freilich ganz anders auslegte, als es sich nun zu meinem -unerwarteten Glücke ausgewiesen hat. -</p> - -<p> -Man setzte fest, daß noch heut Abend die Verlobung -seyn sollte, zu welcher auch der Baron und seine Familie -gebeten wurde. -</p> - -<p> -Aber halt! rief der Kapellmeister, Ihr Gelübde, Herr -Graf, welches Sie in dieser Nacht gethan haben, daß Ihre -schöne Braut noch vor der Vermählung die Hauptparthie -in meiner Oper singen soll! -</p> - -<p> -Es sei, sagte der Graf, wenn es meiner Julie nicht -unangenehm ist. Man sah es ihr aber, auch ohne ihre -Versicherung wohl an, daß es ihr Freude mache, auf eine -so glänzende Art ihr großes Talent zu entwickeln. -</p> - -<p class="tb"> -——— -</p> - -<p class="noindent"> -Ehe der Graf in das Schauspiel ging, nahm er noch -einmal den alten Italiener einsam vor und sagte: Ihr hättet -neulich fast Unglück gestiftet, alter Thor, reiset nun, -wozu ich Euch ausgestattet habe, in Eure Heimath zurück, lebt -dort ruhig, und Ihr werdet richtig Eure Pension ausgezahlt -erhalten, die Euer Alter froh und sorgenlos machen kann. -</p> - -<p> -<a id="page-356" class="pagenum" title="356"></a> -Eccellenza, antwortete der Verwirrte, seyn die Großmuth -selbst: bitte auch auf Knieen um Pardon, daß den Schwiegervater -habe prügeln wollen, den alten boshaften Hortensio, -der alle Musik ruinirt. Ich hatte lange draußen gelauert, und -war im Wald vor Müdigkeit und Chagrin eingeschlafen, unterdessen -er auf und davon. Untersuche alle Dörfer dort, komme -müde und matt zurück, da rennt er über die Straße: Herr -Graf, da zog es mich so allgewaltig, ich mußte losprügeln, -und wenn’s mein leiblicher Vater gewesen wäre. -</p> - -<p> -Als Julie sich in der schöngesetzten Parthie zeigte, und in -vollen Tönen so sicher ausstrahlte, war das Entzücken des -Publikums allgemein. Die Zeichen des Mißfallens, die einige -Freunde der eigensinnigen Sängerin wollten hören lassen, mußten -beschämt verstummen. Als die große Arie gesungen war, -entstand ein so lautes Beifallrufen, ein solches Jauchzen und -Geräusch, daß Musik und Stück inne hielt. Als es ruhiger -war, hörte man eine laut heisere Stimme, die vom Parterre -herauf rief: taugt nix! gar nix! miserable Pfuscherei, kein -Vortrag: ist nur Aberwitz und deutsche Seelenmanier des -verrückten Herrn Hortensio! Es war der alte Italiener, der -sich noch einmal vernehmen ließ, aber genöthigt wurde, das -Theater zu verlassen. -</p> - -<p> -Noch niemals hatte in dieser Stadt eine Oper so großes -Glück gemacht, der Kapellmeister war beseligt, der Vater glücklich, -der Graf entzückt, der Laie in frühere Jahre versetzt, und -der Enthusiast, was die Uebrigen freute, ohne Worte. -</p> - -<p> -Bald darauf war die Vermählung der Glücklichen. Dann -zog der Graf auf seine großen Güter; alte Musik, die Compositionen -Hortensio’s, Opern wurden in seinen Sälen gegeben, -und die abwesenden Freunde hörten in Briefen nur von der -ungetrübten Freude dieser auf so wunderliche Art Vereinigten. -</p> - - -<div class="trnote"> -<p id="trnote" class="part"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p> - -<p> -Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. <span class="handheld-only">Im Original -g e s p e r r t -hervorgehobener Text wurde in einem <em>anderen Schriftstil</em> markiert.</span> -Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind, wurden in einem -<span class="antiqua">anderen Schriftstil</span> markiert. -</p> - -<p> -Die variierende Schreibweise des Originales wurde weitgehend -beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert, -teilweise unter Verwendung weiterer Ausgaben, wie hier aufgeführt -(vorher/nachher): -</p> - -<ul> - -<li> -... von oben in den Saal herabschaute, die durch das <span class="underline">Ge-</span> ...<br /> -... von oben in den Saal herabschaute, die durch das <a href="#corr-0"><span class="underline">Geschrei</span></a> ...<br /> -</li> - -<li> -... häufig haben wir die bösen Folgen <span class="underline">der</span> Zornes, der Trunkenheit, ...<br /> -... häufig haben wir die bösen Folgen <a href="#corr-1"><span class="underline">des</span></a> Zornes, der Trunkenheit, ...<br /> -</li> - -<li> -... Gabe <span class="underline">des</span> Unsichtbare schenken kann; und wehe dem Verschwender, ...<br /> -... Gabe <a href="#corr-3"><span class="underline">das</span></a> Unsichtbare schenken kann; und wehe dem Verschwender, ...<br /> -</li> - -<li> -... und <span class="underline">seine</span> Gabe wird so verkannt, so wenig gewürdiget, ...<br /> -... und <a href="#corr-5"><span class="underline">keine</span></a> Gabe wird so verkannt, so wenig gewürdiget, ...<br /> -</li> - -<li> -... und klingt in unserm <span class="underline">Giste</span> zusammen! ...<br /> -... und klingt in unserm <a href="#corr-6"><span class="underline">Geiste</span></a> zusammen! ...<br /> -</li> - -<li> -... Schachspieler, Melchior, der Baukünstler, ja Alle <span class="underline">mi</span> ...<br /> -... Schachspieler, Melchior, der Baukünstler, ja Alle <a href="#corr-13"><span class="underline">im</span></a> ...<br /> -</li> - -<li> -... thöricht im Haupte? Wissen Sie, <span class="underline">unbekanter</span> Freund, was ...<br /> -... thöricht im Haupte? Wissen Sie, <a href="#corr-14"><span class="underline">unbekannter</span></a> Freund, was ...<br /> -</li> -</ul> -</div> - - - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of Project Gutenberg's Schriften 17: Novellen 1, by Ludwig Tieck - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 17: NOVELLEN 1 *** - -***** This file should be named 50707-h.htm or 50707-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/0/7/0/50707/ - -Produced by Delphine Lettau, David Jones, Jens Sadowski, -and the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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