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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..6833f05 --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,3 @@ +* text=auto +*.txt text +*.md text diff --git a/44366-0.txt b/44366-0.txt new file mode 100644 index 0000000..c9ae8ba --- /dev/null +++ b/44366-0.txt @@ -0,0 +1,3172 @@ +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44366 *** + +Anmerkungen zur Transkription: + +Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; +lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine Liste +der vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes. Folgende +Zeichen sind für die verschiedene Schriftformen benutzt: + + _Kleinschrift_ + =fett gedruckter Text= + +kursiv gedruckter Text+ + ~gesperrt gedruckter Text~ + ^{hochgestellter Text} + + + + + Das Abendmahl + + im + + Zusammenhang mit dem Leben Jesu + + und der + + Geschichte des Urchristentums + + von + + Lic. Dr. Albert Schweitzer + + in Strassburg i. E. + + + Erstes Heft. + + Das Abendmahlsproblem + + auf Grund + der wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts + und der historischen Berichte. + + [Illustration] + + =Tübingen= und =Leipzig=. + Verlag von ~J. C. B. Mohr~ (Paul Siebeck). + 1901. + + + + + +Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen behält sich die + Verlagsbuchhandlung vor.+ + + + C. A. Wagner's Universitätsbuchdruckerei in Freiburg i. B. + + + + + Seinem Lehrer + + Herrn Prof. D. Dr. =H. J. Holtzmann= + + gewidmet + + in aufrichtiger Verehrung und treuer Anhänglichkeit + + von seinem dankbaren Schüler + + =Albert Schweitzer=. + + + + +=~Vorrede~ zu einer neuen Untersuchung über das Abendmahl.= + + +Der Anstoss zu der vorliegenden Arbeit ging von SCHLEIERMACHER aus. +Im Jahre 1897 erhielt ich nämlich als Thema für meine schriftliche +Examensarbeit folgende Aufgabe gestellt: Die Abendmahlslehre +SCHLEIERMACHER's soll dargestellt und mit den im neuen Testament und in +den Bekenntnisschriften niedergelegten Auffassungen verglichen werden. + +Ich hatte mich bis dahin mit der Abendmahlsfrage gar nicht beschäftigt +und war über die neuesten Forschungen in keiner Weise orientiert, +hatte auch keine Zeit dies nachzuholen, weil die Arbeit innerhalb acht +Wochen abgeliefert werden musste. So war ich einzig auf die Texte und +die bekenntnismässigen Formulierungen der verschiedenen Konfessionen +angewiesen. + +Die SCHLEIERMACHER'sche Dialektik ersetzte mir aber alles. Sie +zergliedert nämlich das Problem so, dass es als Ganzes und zugleich in +allen Details vor einem steht. Man braucht nur geschichtlich Ernst zu +machen mit dem dialektischen Spiel, das er mit vollendeter Kunst zur +Beruhigung und Versöhnung der Geister und zugleich zu seinem eigenen +ästhetischen Ergötzen aufführt, dann ist man genau auf dem Standpunkt +der modernen historischen Forschung angekommen. + +Ein Satz besonders ist hier entscheidend. In § 139 _3_ der +Glaubenslehre redet er vom äusseren Verlauf unserer Feier und +zeigt, wie wir uns bei der Reproduktion der historischen Umstände +naturgemäss auf das Wesentliche beschränken müssen. Wollte man z. +B. einen bedeutenden Nachdruck auf den Zusammenhang, in welchem das +historische Mahl mit dem Passahmahl stand, legen, so würde man alsbald +zur Folgerung gedrängt werden, »dass das Abendmahl jetzt nicht mehr +das sein könne, als was es Christus gestiftet habe und also auch +wohl nicht könne von ihm als eine selbständige und immer dauernde +Institution für die Kirche verordnet sein«. »Dieses Bedenken«, so fährt +er dann fort, »liegt so nahe, ~dass es sich leicht in der evangelischen +Kirche lautbarer machen kann, als bisher der Fall gewesen~, und +veranlasst natürlich die Frage, worauf unser Glaube in dieser Sache +eigentlich beruhe. Schwerlich wird sich behaupten lassen, dass aus +den uns aufbewahrten Worten Christi ~diese Absicht ganz bestimmt +hervorgehe.~ Vielmehr enthalten einige unserer Erzählungen gar ~keinen +solchen Befehl~ (Markus und Matthäus), und in den andern ist er nur +unbestimmt ausgedrückt (Lukas und Paulus); und da die Apostel aus den +Worten Christi beim Fusswaschen keinen solchen Befehl entnommen haben, +so ~hätten sie auch Recht gehabt, aus dem Abendmahl ebensowenig eine +bestimmte und allgemeine Institution zu machen!~ Da nun aber offenbar +ist, dass sie das eine gethan haben und das andere nicht, so können +wir uns an das halten, ~was sie eingerichtet haben,~, ohne dass wir +zu entscheiden brauchten, ob Christus ihnen über das Abendmahl noch +andere ausdrückliche Anweisungen gegeben, oder ob sie dieselben aus +seinen Worten gefolgert oder nur durch den unmittelbaren Eindruck der +Sache und durch die begleitenden Umstände anders bestimmt worden sind +in Bezug auf das Abendmahl als in Bezug auf das Fusswaschen. In dem +letzten Fall würden wir dann das Abendmahl nur nicht ganz in demselben +Sinn als eine unmittelbare Einsetzung Christi ansehen können, immer +aber doch glauben müssen, dass sie in seinem Sinn gehandelt haben, wenn +wir nicht auch in ihrem ~engsten Berufskreise ihr kanonisches Ansehen +aufgeben wollen~«. + +Unsere Abendmahlsfeier beruht in letzter Linie nicht auf einer +ausdrücklichen Verordnung Jesu! GRAFE ist also ganz unschuldig! Was er +als ehrlicher Historiker in der Nachfolge anderer Historiker, von der +Wucht der Thatsachen gedrängt, bedächtig und schonungsvoll aussprach, +das hat SCHLEIERMACHER in seiner Glaubenslehre keck hingeworfen. +Während man aber dem eleganten Spiel des Dialektikers verständnisvoll +zunickte, nahm man es dem ehrsamen Historiker gar übel, als er ungefähr +dasselbe zu sagen wagte. Vielleicht auch haben die temperamentvollen +Gegner GRAFE's diese Seite in ihrem SCHLEIERMACHER überschlagen oder +sie hielten dafür, dass der betreffende Abschnitt, weil er zeitlich +schon einige gute Jahrzehnte zurückliegt, auch in zweideutigen Dingen +als rechtgläubig passieren dürfe. Es ist merkwürdig: In der Theologie +darf heutzutage einer fast alles sagen, was er will, wenn er es nur +vornehm und geistreich mit einem gewissen eleganten Skeptizismus thut. +Für den ehrlichen Menschen, der redet, weil sein Gewissen ihn zwingt, +ist man aber unnachsichtlich. + +Die Behauptung, die SCHLEIERMACHER zum erstenmal vollständig klar +ausgesprochen hat, die dann aber für Jahrzehnte ganz unter den +Tisch fiel, ist dazu angethan, einen im kantischen Sinn »aus dem +dogmatischen Schlummer zu wecken«. Sie zeigt nämlich, dass nicht +nur die kirchlichen, sondern geradesogut die wissenschaftlichen +Abendmahlsauffassungen dem wirklichen Thatbestand nicht gerecht werden. +Die kirchlichen Auffassungen setzen voraus, dass Jesus die Feier zur +Wiederholung bestimmt habe, können aber nicht nachweisen, dass er es +wirklich angeordnet hat, da der betreffende Befehl bei den ältesten +Zeugen fehlt. Eine Reihe wissenschaftlicher Auffassungen gehen davon +aus, dass die Feier nicht zur Wiederholung bestimmt war, können aber +dann nicht erklären, warum sie doch schon in der allerersten Gemeinde +aufkam — und das ist doch auch eine unbedingt feststehende Thatsache. + +Der Zusammenhang zwischen den beiden Feiern, der historischen und der +Gemeindefeier, bleibt also gleich unbegreiflich, ob man sie durch den +Wiederholungsbefehl direkt kausal miteinander verbindet oder ob man +sich mit der Konstatierung der reinen zeitlichen Aufeinanderfolge +begnügt und die Kausalität dahingestellt sein lässt. ~SCHLEIERMACHER +ist der Hume der Kausalitätsfrage im Abendmahlsproblem.~ + +Der Vergleich der verschiedensten und zeitlich so weit +auseinanderliegenden Abendmahlslehren mit der SCHLEIERMACHER'schen +Ansicht führte mich vor die Frage, was denn das Beharrende bei diesem +steten Wechsel der Auffassungen sei. Ist es nicht denkbar, dass alle +Phasen, in denen sich das Abendmahlsproblem auswirkt, durch dieselben +Gesetze beherrscht sind und dass also an diesen Gesetzen die wahre +historische Auffassung sich zu erproben hat? + +Nachdem ich daher meine Examensarbeit zu Ende geführt und die mir +in Umrissen schon vorschwebende neue Auffassung in allgemeinen +Strichen angedeutet hatte, machte ich mich daran, alle Epochen +der Abendmahlsfrage — die altchristliche, die mittelalterliche, +die reformatorische und die moderne — gründlich zu studieren, +fest entschlossen, nicht eher mit der neuen Auffassung an die +Oeffentlichkeit zu treten, als bis ich sie für alle Epochen +durchgeführt hätte und so die Gewissheit besässe, dass sie die ganze +Geschichte des Abendmahls von der historischen Feier bis in die +neueste Zeit erklärt. Zu dieser Arbeit habe ich vier Jahre gebraucht. +Darum veröffentliche ich, was mir schon im Herbst 1897, ~unabhängig +von der modernen Forschung, feststand~, erst im Herbst 1901, im +Zusammenhang mit der Darstellung und Beurteilung der historischen +Abendmahlsforschung im 19. Jahrhundert. + +Ich habe die Stellung des Problems an der wissenschaftlichen +Abendmahlsforschung im 19. Jahrhundert entwickelt, weil uns diese +Periode am nächsten liegt. Man hätte aber geradesogut jede andere Phase +dazu benutzen können, da die Gesetze in allen dieselben sind. + +Die Absicht dieser Arbeit geht weiter als auf die Aufstellung einer +neuen historischen Abendmahlsauffassung. Sie verfolgt den praktischen +Zweck, ~die historische Grundlage unserer modernen Abendmahlsfeier +abzugeben und das Bestehende geschichtlich zu rechtfertigen.~ Es ist +nämlich nicht zu leugnen, dass unsere Gemeindefeier, nach dem jetzigen +Stand der Wissenschaft, in der Luft hängt. Wenn der Wiederholungsbefehl +historisch nicht fundiert ist, was soll dann unsere Wiederholung +bedeuten? + +Den Gläubigen zwar ficht diese Sorge vorerst wenig an und soll ihn +wenig berühren. Es ist nicht die Sache der Leute, welche über die +Brücke gehen, sich ängstlich darum zu kümmern, ob durch die Fluten die +Fundamente nicht langsam unterwaschen worden sind, sondern das liegt +den Architekten ob. Diese müssen, wenn sie eine Senkung auch nur von +einem Millimeter wahrnehmen, unverzüglich einer eventuellen Katastrophe +entgegenarbeiten, sogar wenn den Passanten die Sache vorerst ganz +belanglos scheint. So muss auch die theologische Wissenschaft auf +das Fundament des Glaubens sehen und darauf achten, ob nicht die +historische Grundlage der Institution, welche gleichsam die Brücke vom +Vergänglichen zum Unvergänglichen bildet, durch den Strom der Zeit +unterwaschen ist und ob nicht durch die historische Weltanschauung eine +ganz andere Fundierung unserer Abendmahlsfeier notwendig wird als +bisher. + +SCHLEIERMACHER hat gesagt, dass das Bedenken, die Berechtigung der +Wiederholung betreffend, sich leicht in der evangelischen Kirche +lautbarer machen könnte, als bisher der Fall gewesen. Und wenn dies +nun eintritt, was dann? Solange das Problem der Berechtigung und +Notwendigkeit unserer Abendmahlsfeier wissenschaftlich nicht gelöst +ist, kann durch den geringfügigsten Umstand eine die öffentliche +Meinung aufs äusserste aufregende und unerquickliche dogmatische +Erörterung dieser Frage eintreten, zu der der Fall GRAFE nur ein kurzes +idyllisches Vorspiel wäre. + +Das Schlimmste dabei wäre, dass diese Erörterung, einmal in die +Oeffentlichkeit gezerrt, notwendig resultatlos bliebe. Denn der +wissenschaftlich denkende Mensch wird diese Frage immer wieder +aufwerfen müssen, während derjenige, der sich mehr auf den Standpunkt +des kirchlichen Glaubens stellt, sie notwendig niederschlagen wird, +in dem richtigen Empfinden, dass solche theoretische Bedenken eine +so heilige und erhebende und durch den urchristlichen Usus in +ihrer Art wieder so geschichtlich fundierte Feier nicht gefährden +dürfen. Der Verteidiger wird sogar eigentlich die Geschichte auf +seiner Seite haben. Denn, wenn das Abendmahl von Anfang an in der +christlichen Gemeinde gefeiert worden ist, so ist doch diese Thatsache, +vollständig objektiv betrachtet, viel entscheidender als das Fehlen +des Wiederholungsbefehls in zwei alten Berichten. Wir haben es eben +mit einer ganz unerklärlichen Antinomie zu thun, bei der man sich sehr +hüten muss, irgend welche Folgerungen gegen unsere Feier zu ziehen, +besonders wenn man bedenkt, dass man damit ein Stück des ältesten +und heiligsten Bestandes des christlichen Glaubens angreift. Nehmen +wir vorerst lieber an, dass uns der Schlüssel zur Erklärung der +historischen und der urchristlichen Feier und zum Verständnis ihres +Zusammenhangs fehlt. + +Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, gefährliche Fragen in Angriff zu +nehmen, ehe sie die öffentliche urteilslose Meinung in Unruhe bringen, +den Zündstoff zu beseitigen und in der Stille segensreiche Arbeit zu +thun. + +Als SCHLEIERMACHER in seiner Glaubenslehre die damals nur in seiner +dialektischen Phantasie existierenden Parteien vor sich beschied, +mutete er ihnen zu, sich auf »die Anerkennung des kanonischen Ansehens +der Apostel in ihrem engsten Berufskreise« zu vergleichen. Auf diesen +Vergleich kann man aber im Ernst nicht eingehen. Das Sprüchlein bannt +das Gespenst nicht. Wir wollen den Aposteln die gebührende Ehrfurcht +sicher gern erweisen, aber unsere Abendmahlsfeier auf ihr kanonisches +Ansehen allein gründen, das dürfen wir nicht. + +Rücken wir die Frage ins rechte Licht. Unsere Abendmahlsfeier +entspringt dem Vorgehen der ersten Gemeinde, zu der die Apostel +gehören. In die Geschichte übersetzt, lautet die Frage nach dem +»kanonischen Ansehen der Apostel in ihrem engsten Berufskreise« also +folgendermassen: Welches waren die Motive, durch welche die erste +Gemeinde bestimmt wurde, eine derartige im Zusammenhang mit dem letzten +Mahl Jesu stehende Feier zu begehen? War das Willkür oder Notwendigkeit? + +Daran schliesst sich eine zweite Frage, die SCHLEIERMACHER +unberücksichtigt gelassen hat. Wenn die erste Gemeinde aus bestimmten +Gründen die Feier wiederholt hat, gelten diese auch noch für uns? +Besteht in der historischen Feier als solcher auch für uns eine direkte +Notwendigkeit, dass wir daraus irgendwie eine Feier ableiten, oder +handelt es sich nur um etwas Ueberkommenes? + +Darauf lautet die Antwort der Geschichte: es war eine absolute +Notwendigkeit, dass das Abendmahl trotz des Fehlens des +Wiederholungsbefehls bei der ersten Gemeinde in Aufnahme kam, und +diese Notwendigkeit besteht auch noch für uns zu Recht. Unsere Feier +gründet sich nicht auf die geschichtliche Ueberlieferung oder auf die +unkontrollierbare Autorität bestimmter Persönlichkeiten, sondern direkt +auf die historische Feier. So ist unser Abendmahl berechtigt, geboten +und notwendig von sich selbst aus. + +Die neue geschichtliche Erkenntnis führt aber nicht nur die Versöhnung +hinsichtlich der Berechtigungsfrage herbei, sondern auch hinsichtlich +der Frage nach der Bedeutung der Feier. + +Niemand kann sich der Einsicht verschliessen, dass unsere Feier +eigentlich sehr dürftig und unlebendig ist, wenn sie nur auf die +Darstellung eines Doppelgleichnisses durch die Reproduktion einer +historischen Situation geht, wo der Pfarrer die Stelle Jesu und die +Gläubigen die Stelle der Jünger einnehmen. Andererseits stellen die +konfessionellen Auffassungen Zumutungen an ernste Christen, die sie +entweder zur Gedankenlosigkeit oder zur Gewissenlosigkeit erziehen und +den Zweifel und Spott geradezu herausfordern. + +Könnten beide Auffassungen aus ihrer Sprache heraustreten, dann +würden sie darin übereinkommen, dass der Sinn der Feier etwas +Geheimnisvolles ist, wo der Einzelne mit der feiernden Gemeinschaft +und der Persönlichkeit unseres Herrn in ein besonders heiliges +Verhältnis tritt. Nun zwingen aber die unglücklichen Einsetzungsworte +den Einen durch die rein symbolische Deutung hinter diesem Geheimnis +zurückzubleiben, den Andern durch die wörtliche Deutung über dieses +Geheimnis hinauszugehen und das Unfassbare zu behaupten. Die +Vermittlungsversuche sind am schlimmsten daran. In der Sache und dem +religiösen Gehalt nach mögen sie richtig sein, aber in der Deutung +der Gleichnisse sind sie gequetscht und gekünstelt, dass ein Mensch +mit ehrlichem Verstand sie nicht zu ertragen vermag. So wie die +»Einsetzungsworte« liegen und nach der Rolle, die man ihnen bisher +in der Feier zuwies, sind nur die rein symbolische oder die krass +realistische Deutung zulässig. Was dazwischen ist, ist vom Uebel. + +Auch hier bringt die wahre geschichtliche Erkenntnis die Befreiung +von der unnatürlichen Alternative, indem sie zeigt, dass die +Stellung, die man den Gleichnissen in dem Ganzen der Feier anwies, +geschichtlich falsch ist. Die urchristliche Feier beruht nicht auf +den »Einsetzungsworten« — dies ist mein Leib, dies ist mein Blut — +obwohl diese Worte bei der historischen Feier gesprochen worden sind. +Also ist auch unsere Auffassung unabhängig von diesen rätselhaften +Gleichnisworten. + +Diese kurzen Andeutungen mögen zeigen, dass diese Arbeit in einem +praktisch aufbauenden und versöhnenden Geiste geschrieben ist. +Zwar wird man, von den gewohnten Auffassungen herkommend, zunächst +mannigfach an dieser Untersuchung Anstoss nehmen, da sie die Versöhnung +nicht durch eine neue Vermengung oder Verdunkelung, sondern einzig +und allein durch geschichtliche Wahrhaftigkeit und Unbefangenheit +herbeiführen will. ~Wir müssen an die Geschichte glauben~, d. +h. wir müssen der Zuversicht sein, dass mit dem Fortschritt der +geschichtlichen Erkenntnis zugleich die Vertiefung und Einigung im +Glauben notwendig verbunden ist, obwohl es manchmal vorerst nicht den +Anschein hat. In diesem Glauben habe ich diese Untersuchung begonnen +und zu Ende geführt. + +Diese Arbeit erscheint in drei Heften. ~Das erste~ behandelt das +Problem, wie es sich aus der Forschung des 19. Jahrhunderts und aus den +Berichten ergibt. ~Das zweite~ sucht die Grundlage der historischen +Feier in dem Leben und in den Gedanken Jesu. Es stellt sich dar als die +Skizze einer neuen Auffassung des Lebens Jesu. Das ~dritte~ behandelt +das Abendmahl in der urchristlichen und in der altchristlichen Epoche +und zeigt, wie sich daraus die römische Messe und das griechische +Mysterium mit gleicher Berechtigung und Notwendigkeit entwickelt haben. +Das erste und das zweite Heft erscheinen miteinander. Das dritte wird +denselben in thunlichster Bälde folgen. + +Zum Schluss fühle ich mich gedrungen, allen meinen Freunden, die mir +bei dieser Arbeit behülflich gewesen sind, den Herrn Pfarrern A. ERNST +und R. WILL zu Strassburg, A. HUCK und ED. UNSINGER zu Schiltigheim und +dem Herrn Vikar ALFRED ERICHSON in Strassburg, meinen tiefgefühlten +Dank auszusprechen. + + ~Strassburg~, im August 1901. + + + + +=Inhaltsangabe des ersten Heftes.= + + + Seite + + ~Vorrede zu einer neuen Untersuchung über das Abendmahl~ V-XII + + + =Erster Teil.= + + =Das Abendmahlsproblem auf Grund der wissenschaftlichen Forschung des + 19. Jahrhunderts= 1-44 + + + +Erstes Kapitel+ 1-5 + + =Einleitung.= + + 1. Der Skeptizismus in der Abendmahlsforschung 1-2 + + 2. Der Ansatzpunkt 2-3 + + 3. Die Einzelfragen 3-5 + + 4. Die vier Typen der Abendmahlsauffassungen 5 + + + +Zweites Kapitel+ 5-7 + + =Das Vorspiel. Zwingli und Calvin.= + + + +Drittes Kapitel+ 7-10 + + =Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des + Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung des Genussmoments.= + + 1. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. DE WETTE, EBRARD und RÜCKERT + 7-8 + + 2. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. TH. KEIM, K. V. WEIZSÄCKER, + WILLIBALD BEYSCHLAG, H. HOLTZMANN, PAUL LOBSTEIN, W. SCHMIEDEL + 8-10 + + + +Viertes Kapitel+ 10 + + =Ueberblick über die Auffassungen mit Zugrundelegung des + Genussmoments.= + + + +Fünftes Kapitel+ 11-21 + + =Die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.= + + 1. Die Vorperiode. FR. STRAUSS, BRUNO BAUER, E. RENAN 11-13 + + 2. Die modernen Versuche. W. BRANDT, FR. SPITTA, A. EICHHORN 13-14 + + 3. W. BRANDT 14-15 + + 4. FR. SPITTA 15-16 + + 5. Kritik der Auffassung SPITTA's 16-18 + + 6. A. EICHHORN 18-19 + + 7. Die neue »Thatsache« 19-20 + + 8. Die Skepsis in der Folge der einseitigen Herausarbeitung des + Genussmoments 20 + + 9. Der logische Grund der Skepsis 20-21 + + + +Sechstes Kapitel+ 21-26 + + =Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments + und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments.= + + AD. HARNACK, ERICH HAUPT, FR. SCHULTZEN, R. A. HOFFMANN. + + 1. Allgemeines 21-22 + + 2. AD. HARNACK 22-23 + + 3. ERICH HAUPT 23-24 + + 4. FR. SCHULTZEN 24-25 + + 5. R. A. HOFFMANN 25-26 + + + +Siebentes Kapitel+ 26-31 + + =Der gesetzmässige Zusammenhang zwischen den Einzelfragen.= + + 1. Der Wiederholungsbefehl 26-27 + + 2. Das Abendmahl und die urchristliche Gemeindemahlzeit 27-30 + + 3. Die Antinomie zwischen der historischen und der urchristlichen Feier + 30-31 + + + +Achtes Kapitel+ 31-37 + + =Die Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des + Darstellungsmoments.= + + 1. Das Gefechtsfeld 31-32 + + 2. Der Verteidigungsplan. P. W. SCHMIEDEL 32-34 + + 3. Die Offensive. ADOLF JÜLICHER 34-36 + + 4. Die Skepsis in den Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des + Darstellungsmoments 36-37 + + + +Neuntes Kapitel+ 37-44 + + =Die neue Problemstellung.= + + 1. Das Ergebnis der Untersuchung 37-40 + + 2. Der neue Weg 40-44 + + + =Zweiter Teil.= + + =Das Abendmahlsproblem auf Grund der historischen Berichte= 45-62 + + + +Zehntes Kapitel+ 45-48 + + =Die textkritischen Fragen.= + + 1. Cod. D. Die textkritische Hauptfrage 45-46 + + 2. Abweichende Lesarten 47 + + 3. Das Ergebnis der Textkritik 47-48 + + + +Elftes Kapitel+ 48-50 + + =Die Eigenart des Markusberichts= (Mk 14 _22-26_). + + + +Zwölftes Kapitel+ 50-56 + + =Der Vergleich der Berichte.= + + 1. Das Prinzip der Gleichbildung 50 + + 2. Der matthäische Bericht (Mt 26 _26-29_) 50-51 + + 3. Der paulinische Bericht (I Kor 11 _23-26_) 51-53 + + 4. Der lukanische Bericht (Lk 22 _14-20_) 53-55 + + 5. Der justinische Bericht (I Apol 66) 55-56 + + + +Dreizehntes Kapitel+ 56-62 + + =Die Authentie des Markusberichts.= + + 1. Der Beweis 56-60 + + 2. Die Folgerungen aus der Authentie des Markusberichts 60 + + 3. Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis im Abendmahl 60-62 + + + + +=Erster Teil.= + +=Das Abendmahlsproblem auf Grund der wissenschaftlichen Forschung des +19. Jahrhunderts.= + + +Erstes Kapitel. + +=Einleitung.= + + +=1. Der Skeptizismus in der Abendmahlsforschung.= + +Es gibt Fragen, welche in dem Denken der Menschheit auftauchen, das +volle geistige Interesse einer Epoche in Anspruch nehmen und dann +wieder zurücktreten, ohne ihre Lösung gefunden zu haben und ohne dass +es klar ist, wie sie ungelöst an Interesse verlieren konnten. + +Jahrhunderte gehen darüber hin. Dann, durch eine Wendung in der +Geschichte, wird dieselbe Frage wieder in den Vordergrund geschoben und +das Spiel wiederholt sich. + +Zu diesen intermittierenden Vulkanen gehört die ~Abendmahlsfrage.~ +Drei Aktionsperioden sind bis jetzt zu verzeichnen. Die erste ist die +längste. Sie dauert ungefähr zehn Jahrhunderte. Mit der Dauer steht die +Intensität im umgekehrten Verhältnis. Wir haben keinen feuerspeienden +Berg, sondern einen Krater mit langsamem Lavaausfluss. Einige Erdstösse +— die fränkischen Abendmahlskontroversen — bezeichnen den Schluss der +Aktionsperiode. + +Die Art, wie die Frage in der Reformationszeit neu auftaucht, ist +in höchstem Grade überraschend. Man sollte meinen, dass, in dem +gemeinsamen Gegensatz aller reformatorischen Auffassungen zur römischen +Theorie, die innerprotestantischen Gegensätze gerade in dieser +Frage Aussicht hatten, bis auf weiteres latent zu bleiben. Statt +dessen wird gerade die Abendmahlsfrage der Pol, nach dem sich die +Gedanken orientieren. Diese zweite, dogmatische Periode, war in ihrem +eigentlichen Verlauf ebenso kurz wie heftig. Sie umfasst kaum drei +Jahrzehnte. Dann wird die Abendmahlsfrage für die Dogmatik eine Frage +neben andern. SCHLEIERMACHER's Glaubenslehre, die wissenschaftliche +Begründung der Vermittlungsversuche, behandelt sie fast anhangsweise. + +Die dritte Periode wird durch die historisch-kritische Forschung +heraufgeführt. Wir stehen mitten darin, so aber, dass die Mittagszeit +bereits hinter uns liegt. Schon kündigt sich nämlich die Erschöpfung +an. Nachdem eine Reihe der letzterschienenen Abhandlungen die +Zuversicht, das Problem durch die historische Kritik lösen zu können, +nicht mehr so entschieden zur Geltung kommen liessen, wie dies früher +der Fall war, greift jetzt eine ausgesprochen skeptische Stimmung +Platz, deren Sprache man in dem Aufsatz EICHHORNS's[1] vernehmen kann. + +An diesem Skeptizismus ist etwas unbedingt Berechtigtes. Er geht +nämlich von der Thatsache aus, dass durch die ganze Forschung des 19. +Jahrhunderts die Lösung des Problems ferner gerückt ist als je. Die +Schwierigkeiten sind gerade durch die historisch-kritische Methode in +viel stärkerem Masse hervorgetreten, als man früher jemals ahnen konnte. + +Unberechtigt daran ist aber die Art, der historischen gewissenhaften +Kritik gegenüber vornehm zu thun und aus der Thatsache, dass sie bis +jetzt in dem Problem nicht zum Ziele geführt hat, ihre Inferiorität +einer excentrischen überkritischen Unkritik gegenüber zu proklamieren. +Statt dessen sollte man eher nach den Gründen forschen, warum die +historische Kritik die Lösung dieser Frage bisher nicht herbeiführen +konnte. + + +=2. Der Ansatzpunkt.= + +Das Abendmahlsproblem setzt sich aus einer Reihe von Einzelfragen +zusammen, die in den verschiedenen Auffassungen verschieden beantwortet +und verschieden mit einander in Zusammenhang gebracht werden. +Gewöhnlich dreht sich nun die Kritik um diese Einzelfragen. Man +untersucht, ob die Fassung der Einsetzungsworte haltbar ist, ob die +Exegese der Gleichnisse richtig ist, wie die betreffende Abhandlung +sich zur chronologischen Frage stellt, auf welche Art sie den +behaupteten oder verneinten Zusammenhang zwischen Abendmahl und Passah +begründet und dergleichen. + +~Der folgenden Untersuchung kommt es mehr auf die Gesamtauffassung +an und auf den Zusammenhang, in welchem die Einzelfragen unter +einander stehen.~ Wächst eine Abendmahlsanschauung aus einer Reihe von +selbständigen Entscheidungen über die schwebenden Einzelfragen heraus, +oder sind nicht diese Einzelfragen durch einen inneren verborgenen +Mechanismus so mit einander verbunden, dass mit der einen zugleich über +die andern entschieden wird? Welches sind die Gesetze, nach denen sich +die Einzelfragen im Abendmahlsproblem gegenseitig bedingen? Das ist +die Frage, welche uns beschäftigt. Nur sie kann uns darüber Aufschluss +geben, warum die historisch-kritische Methode nicht zum Ziele führen +konnte. + + +=3. Die Einzelfragen.= + +Liegt die Bedeutung der Gleichnisse darin, dass Jesus das Brot bricht +und den Wein im Kelch herumreicht? Oder beruht sie darin, dass die +Jünger dieses Brot essen und diesen Wein trinken? + +Hat er die Worte über Brot und Wein als Gleichnisse gemeint, oder will +er damit andeuten, dass die Jünger seinen Leib und sein Blut durch den +Genuss sich irgendwie aneignen? + +Fand das Mahl im Zusammenhang mit dem Passahmahl statt, sodass für die +Worte Jesu und ihr Verständnis Passahgedanken vorausgesetzt werden +dürfen? + +Erlaubt es die Chronologie der Evangelien, Jesum noch am Passahabend im +Kreise seiner Jünger zu sehen? + +Hat er den Jüngern befohlen, die Feier zu wiederholen? + +Was hat er ihnen zu wiederholen geboten? + +Ist es möglich, dass der »Stifter« ihnen zumutet, seine eigenen Worte +zu wiederholen, die nur in seinem Munde und in jenem historischen +Momente einen Sinn haben? + +Angenommen, der Wiederholungsbefehl ist nicht historisch, wie kommen +denn die Jünger dazu, die Feier dennoch zu wiederholen? + +Wie ist es möglich, dass im Urchristentum Paulus die Wiederholung als +auf den Herrn zurückgehend in die Darstellung der historischen Feier +einträgt? + +Wie erklärt sich das Fehlen des historischen Berichts im vierten +Evangelium, da doch Kap. 6 die Feier voraussetzt? + +Steht es im allgemeinen nicht so, dass mit der Annahme des +Wiederholungsbefehls das psychologische Verständnis der historischen +Feier unmöglich wird, während unter Voraussetzung seines Fehlens die +Wiederholung in der ersten Gemeinde ganz unbegreiflich ist? + +Hat sich das Abendmahl an ein Passahmahl angeschlossen, wie ist +dann, mit oder ohne Wiederholungsbefehl, die ~tägliche Feier~ in der +urchristlichen Zeit begreiflich? + +Waren Agape und Herrenmahl getrennt, standen sie in irgend einem +Zusammenhang, oder waren sie identisch? + +Wie verlief überhaupt die Herrenmahlsfeier im Urchristentum? Wie +sind die Angaben der Didache mit den paulinischen Schilderungen und +Forderungen in I Kor 11 zu vereinigen? + +In welchem Verhältnis stehen die Kunde und die Auffassung der +historischen Feier, welche die Didache und Paulus voraussetzen, zu dem +Bilde der historischen Feier in den Synoptikern? + +Wie erklärt sich das gänzliche Zurücktreten des Leidensgedankens und +der Situation der historischen Feier in der Didache? + +Welche Bedeutung kam dem eschatologischen Moment in der urchristlichen +Abendmahlsfeier zu? + +In welchem Zusammenhang steht das eschatologische Schlusswort Jesu von +dem Neutrinken im Reich des Vaters mit dem Verlauf der historischen +Feier? + +Wie lassen sich die Abweichungen der synoptischen Berichte erklären? + +Die paulinische Darstellung ist die chronologisch älteste; der +Lukastext nach Cod. D der kürzeste; der Markustext steht im +Zusammenhang mit der einfachsten und glaubwürdigsten evangelischen +Geschichtsdarstellung, und der justinische Bericht ist möglicherweise +unabhängig von unseren Evangelien. Welchem der vier grundverschiedenen +Texte gebührt der Vorzug? + +In welche Verbindung stellte das Urchristentum die Teilnahme am +Herrenmahl mit der Vorstellung von der Erlösung? + +Wir nehmen an, die Reproduktion der Herrenworte bei der urchristlichen +Feier ist eine freie gewesen; die Bedeutung dieser Worte konnte aber +nur eine einzige sein. Wie ist es erklärlich, dass wir aus der ganzen +urchristlichen Zeit, ja eigentlich bis ins beginnende Mittelalter +hinein keine Kunde von Auseinandersetzungen über den Sinn dieser Worte +haben? Die Einsicht, dass die Vorstellungen im Urchristentum noch +einen gewissen Grad der Flüssigkeit aufweisen, reicht zur Erklärung der +obigen Thatsache nicht aus. + + +=4. Die vier Typen der Abendmahlsauffassungen.= + +Bei der Darstellung der wissenschaftlichen Abendmahlsdebatte +unterscheiden wir zunächst zwei Hauptströmungen. Wir teilen die +Abhandlungen danach ein, ob sie für ihre Auffassung das ~Darstellungs-~ +oder das ~Genussmoment~ zu Grunde legen. ~Unter dem Darstellungsmoment +verstehen wir das Handeln und Reden Jesu während der historischen +Feier; unter dem Genussmoment die Bedeutung des Essens und Trinkens +der Teilnehmer, wie sie sich aus dem Wesen der Feier ergeben soll.~ +Neben den Darstellungen, die eines dieser beiden Momente mit +Ausserachtlassung des andern einseitig herausarbeiten, gibt es noch +andere, doppelseitige, die eines der Momente zu Grunde legen, dabei +aber dem zweiten nebensächliche Geltung zugestehen. Wir haben also im +ganzen vier Haupttypen, zwischen denen die mannigfachsten Vermittlungen +möglich sind. + + 1. ~Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des + Darstellungsmoments.~ + + 2. ~Doppelseitige Auffassungen mit Zugrundelegung des + Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung des + Genussmoments.~ + + 3. ~Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.~ + + 4. ~Doppelseitige Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments + und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments.~ + +Im folgenden werden diese Auffassungen dargestellt in der Ordnung, wie +sie geschichtlich in die Erscheinung getreten sind. + + +Fussnoten: + +[1] »Das Abendmahl im Neuen Testament« von ALBERT EICHHORN, (Leipzig +1898), Hefte zur »Christlichen Welt« No. 36. + + + + +Zweites Kapitel. + +=Das Vorspiel. Zwingli und Calvin.= + + +Das Verdienst, das Abendmahlsproblem zuerst wissenschaftlich behandelt +zu haben, gebührt ZWINGLI. Die Bedeutung der historischen Feier beruht +nach ihm auf dem symbolischen Handeln Jesu. Durch das Brechen des +Brotes und das Darbieten des Weines kündigt der Herr seinen Tod an. +Er verordnet die Wiederholung der Feier, damit die Christen bei dem +gebrochenen Brot und dem vergossenen Wein seines Todes gedenken. + +Die Schwäche dieser Auffassung liegt darin, dass ZWINGLI den +Hauptnachdruck allein auf das Handeln Jesu legt. Er kann die +historische Feier erklären, — ~aber nicht die Wiederholung~, bei +welcher notwendig der Nachdruck nicht auf dem Handeln Jesu, sondern +auf dem der Teilnehmer, dem Genuss des Brotes und des Weines, +ruht. Es gelingt nicht begreiflich zu machen, warum die Jünger +die Gleichniselemente genossen und noch viel weniger, warum auch +spätere Geschlechter bei der Wiederholung noch essen und trinken und +nicht bloss ~anschauen~, um sich an dem erzählten und dargestellten +Abendmahlshandeln Jesu zu erbauen. Dass ZWINGLI's Lehre dogmatisch +nicht befriedigen konnte, lag in letzter Linie an der Einseitigkeit +seiner wissenschaftlichen Exegese. + +So musste seine Auffassung auch wissenschaftlich durch diejenige +verdrängt werden, welche dem Genuss der Teilnehmer einen Platz neben +dem darstellenden Abendmahlshandeln Jesu anweisen konnte. Dies leistete +die Abendmahlslehre CALVIN's. + +Bei ihm liegt die Symbolik zu gleichen Teilen in dem begründet, was +Jesus mit den Elementen vornimmt (Brechen des Brotes und Ausgiessen +des Weines), und in dem, was die Teilnehmer mit den Elementen beginnen +(Essen des Brotes und Trinken des Weines). In dieser Betonung der +Darbietung und der Aneignung als der beiden Grundmomente des Abendmahls +beruht die wissenschaftliche Stärke der calvinischen Abendmahlslehre. +Die historische Feier kann er weniger gut erklären, als es ZWINGLI +gethan; dafür ist es ihm aber möglich, ihre Wiederholung als notwendig +darzuthun, indem die ~Wertung des Genusses~, nicht allein ~der Befehl +Jesu~, den Zusammenhang zwischen der historischen und der wiederholten +Feier aufrecht erhält. + +Es waren also nicht nur ~dogmatische~, sondern auch ~wissenschaftliche~ +Interessen, welche den Sieg der calvinischen Abendmahlsauffassung +über die zwinglische bedingten. Die zum Teil auf wissenschaftlicher +Grundlage beruhende Auseinandersetzung zwischen diesen beiden +Ansichten bildete ein kurzes Vorspiel zu der grossen historischen +Abendmahlsdebatte im 19. Jahrhundert. + +Da die doppelseitige Auffassung durch den Sieg CALVIN's über +ZWINGLI allgemein verbreitet war, setzte die historische Forschung +die Doppelseitigkeit voraus. Sie betonte hauptsächlich das +Darstellungsmoment, weil die exegetische Anschaulichkeit dafür sprach. +So wurden zunächst die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung +des Darstellungsmoments wissenschaftlich ausgeprägt. + + + + +Drittes Kapitel. + +=Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des +Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung des Genussmoments.= + + +=1. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. De Wette, Ebrard und +Rückert.= + +DE WETTE vertritt die doppelseitige Auffassung in seinen +Kommentaren.[2] Das Brechen und das Essen des Brotes, das Ausgiessen +und das Trinken des Weins bedingen zusammen die Bedeutung der Elemente +bei der Feier. Der Hauptnachdruck liegt aber auf dem Brechen, dem +darstellenden Moment. Die Betonung des Genussmoments ist mehr +nebensächlicher Art. + +Von AUGUST EBRARD[3] wird auf den Genuss der gleiche Wert gelegt wie +auf das Brechen und Ausgiessen. Beide Momente gehören zusammen und +bedingen sich gegenseitig. Jesus reicht das gebrochene Brot zum Essen +und den ausgegossenen Wein zum Trinken dar.[4] + +Bei EBRARD ist die energische Betonung des Genussmoments durch seinen +Zusammenhang mit der reformiert-calvinischen Auffassung begreiflich. +Aus rein wissenschaftlichen Gründen findet sich das stärkere +Herausarbeiten desselben Moments bei IMMANUEL RÜCKERT.[5] Seine +klassische Schrift fasst den ganzen Ertrag der wissenschaftlichen +Diskussion der Abendmahlsfrage in der ersten Hälfte des 19. +Jahrhunderts zusammen. Die Handlung Jesu und der Genuss von seiten +der Teilnehmer werden in gleicher Weise betont. In jedem dieser beiden +Momente liegt eine besondere Symbolik. Jesus bricht das Brot und gibt +es zum Essen, er giesst den Wein ein und bietet ihn zum Trinken dar.[6] + + +=2. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Th. Keim, K. v. Weizsäcker, +W. Beyschlag, H. Holtzmann, P. Lobstein, W. Schmiedel.= + +In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich eine breite und +ruhige Strömung verfolgen, welche beide Momente mit sich führt, jedoch +so, dass das Darstellungsmoment die Grundströmung, das Genussmoment die +Oberströmung bildet. Folgende Aussprüche geben die Richtung des Stromes +an. + + TH. KEIM. ~Geschichte Jesu von Nazara.~ 1872 Bd. III S. 232 bis 290 + (Das Nachtmahl Jesu). + +»Man hat den Eindruck, dass es sich für Jesus doch um etwas mehr +handelte, als nur um ein sprechendes Sinnbild seines irgendwie zum +Heil der Jünger zu brechenden und zu tötenden Leibes vor den Gästen +aufzustellen, man hat den Eindruck einer Gabe; diese Gabe liegt +erstlich darin, dass er in nachdrücklicher, in endgültiger Weise als +den Zweck seines bevorstehenden Todes das Heil der Jünger nennt, +sodann, dass er im Zusammenhang damit die Sinnbilder dieses Heils den +Erben dieses Heils nicht nur zum ~Anschauen~, sondern ~geradezu zum +Nehmen und Geniessen~ übergibt, das Besitztum des Heilstodes und seine +Früchte in ihre Hände deponiert.« S. 272. + + KARL V. WEIZSÄCKER. ~Apostolisches Zeitalter.~ 1886 S. 596 bis 602. + +WEIZSÄCKER vertritt eine interessante Differenzierung in der Symbolik +der beiden Akte. Das Brot ist das Sinnbild der ~Gegenwart Christi~ in +der Gemeinde, der Wein aber das Sinnbild ~seines Todes~, durch welchen +er das neue Passahopfer geworden ist. S. 598. + + W. BEYSCHLAG. ~Das Leben Jesu.~ 1893 Bd. II S. 434-442. + +»Der Sinn der Abendmahlsstiftung ist vollkommen klar: Sein Leib, +der für uns gebrochen, sein Blut, das für uns vergossen wird, ist +sein Leben, das er für uns in den Tod gibt, — für uns dahingibt, +damit es in uns wirksam werde; damit es, vom inwendigen Menschen +~angeeignet~, wie der äussere Mensch Speise und Trank in sich aufnimmt, +ihm Speise und Trank ewigen Lebens werde, und so die in Ihm gekommene +Erlösung, den in Ihm gekommenen neuen Bund der Gottgemeinschaft in uns +vollziehe.« S. 439. + + H. HOLTZMANN. ~Biblische Theologie.~ 1897 Bd. I S. 296-304. + +»Geschichtliche Voraussetzung und übereinstimmendes Resultat der +letzten Forschungen ist, dass Jesus seinen Jüngern Brot und Wein zum +Genusse dargereicht und dabei mit Beziehung auf das gebrochene Brot von +seinem Leib, mit Beziehung auf den ausgegossenen Wein von seinem Blut +gesprochen, letzteres insonderheit zugleich als Bundesblut bezeichnet +hat.« S. 296. + + PAUL LOBSTEIN. ~La doctrine de la sainte cène.~ Lausanne 1899. + +»Ceci est mon corps«, dit Jésus en rompant le pain qu'il distribue à +ses disciples; »cette coupe est la nouvelle alliance dans mon sang +versé pour vous«, leur dit-il en faisant circuler la coupe. S. 46. Le +pain que Jésus rompt pour les disciples et qu'il leur distribue, ils +doivent s'en nourrir: »De même que je vous convie à manger de ce pain, +ainsi vous êtes appelés à vous assimiler le fruit de ma mort, les +effets salutaires de ce don de moi-même, de ce corps brisé et livré +pour vous.« S. 47. + + WILHELM SCHMIEDEL. ~Die neuesten Ansichten über den Ursprung des + Abendmahls.~ Protestantische Monatshefte, III. Jahrgang Heft 4 1899. + +»Das Bedeutsame ist in erster Linie im ~Brechen des Brotes und +Ausgiessen~ des Weines aus dem Krug in den Becher zu sehen. Die +Austeilung dieser Speisen zum Genuss schliesst sich als etwas zweites +an. ~Um der Hauptsache willen wäre es nicht nötig gewesen: aber da man +einmal beim Mahle sass, war es naturgemäss.~« S. 147. + +Die gemeinsamen Grundzüge dieser Darstellungen sind also folgende: +Brot und Wein sind Leib und Blut Christi, weil er an ihnen seinen +Tod und dessen Heilswert versinnbildlicht hat. Dabei fordert er die +Jünger zum Genuss auf; das soll bedeuten, dass ihnen die Wohlthaten +seines Leidens zu gute kommen, wenn sie verstehen, sich dieselben +anzueignen. Die Wiederholung ist erfolgt zum Teil, weil der religiöse +Wert dieser Handlung von den Teilnehmern eingesehen wurde, zum Teil, +weil Jesus durch einen Befehl oder eine Andeutung dazu aufforderte. Auf +den Zusammenhang mit dem Passah wird Wert gelegt, ohne dass er jedoch +für die Auffassung als absolut notwendig erklärt würde. Ueberhaupt +haben diese Darstellungen etwas Schwankendes. Sie vereinigen die +mannigfachsten Gesichtspunkte mit einander, sodass es fast unmöglich +ist, sie in kurzen Sätzen präcis wiederzugeben. + +Deshalb ist es auch nicht ratsam von ihnen auszugehen, um die Gesetze +des Zusammenhangs zwischen den Einzelfragen aufzustellen. Die Krisis in +diesem Zustand wurde erst durch die Auffassungen mit Zugrundelegung des +Genussmoments heraufgeführt. + + +Fussnoten: + +[2] Vgl. DE WETTE's Commentar zu Matthäus (1836) und zu Johannes (1837). + +[3] »Das Dogma vom heiligen Abendmahl und seine Geschichte« von Dr. +AUGUST EBRARD. 2 Bde., 1845. + +[4] Vgl. Bd. I S. 79-120. + +[5] »Das Abendmahl, sein Wesen und seine Geschichte in der alten +Kirche« von Dr. LEOPOLD IMMANUEL RÜCKERT, Professor in Jena, 1856. + +[6] Vgl. Bd. I S. 61-131. + + + + +Viertes Kapitel. + +=Ueberblick über die Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments.= + + +Greift man aus der Geschichte der wissenschaftlichen +Abendmahlsuntersuchung die Werke heraus, welche in allgemeiner Weise +das Genussmoment zu Grunde legen, so fügen sich folgende Namen in +bunter, zusammenhangsloser Reihe aneinander: DAVID FR. STRAUSS, BRUNO +BAUER, E. RENAN, ADOLF HARNACK, FR. SPITTA, W. BRANDT, ERICH HAUPT, +FRIEDRICH SCHULTZEN, RICH. AD. HOFFMANN und ALBERT EICHHORN. In dieser +Reihe haben wir keine natürliche Kontinuität, wie in der vorher +betrachteten. Bei näherem Zusehen ergeben sich zwei Epochen. Die erste +fällt in die Mitte des Jahrhunderts (FR. STRAUSS, BRUNO BAUER, E. +RENAN). Die zweite beginnt am Anfang der neunziger Jahre (HARNACK und +SPITTA) und kommt noch vor Ablauf des Jahrzehnts zu ihrem naturgemässen +Abschluss (A. EICHHORN). + +STRAUSS, BRUNO BAUER, E. RENAN, W. BRANDT, SPITTA und EICHHORN bieten +~Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.~ ADOLF +HARNACK, ERICH HAUPT, FRIEDRICH SCHULTZEN und R. A. HOFFMANN vertreten +die ~doppelseitigen Darstellungen~ mit Zugrundelegung des Genussmoments +und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments. + + + + +Fünftes Kapitel. + +=Die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.= + + +=1. Die Vorperiode. Fr. Strauss, Bruno Bauer, E. Renan.= + +Für die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments +gibt es zwei Perioden. Die erste liegt gegen die Mitte des 19. +Jahrhunderts zu, die zweite gegen das Ende. FRIEDRICH STRAUSS +bezeichnet die erste, FRIEDRICH SPITTA die zweite. + +STRAUSS[7] führt aus, dass die Uebersetzung »dies bedeutet«, wenn +sie sich auf das, was Jesus mit den Elementen thut, beziehen soll, +bei weitem nicht ausreicht, ja gar nicht im Sinne der Verfasser der +Evangelien gelegen haben kann. »Den Schreibern unserer Evangelien ~war~ +das Brot im Abendmahl der Leib Christi ... hätte man geschlossen, +dass das Brot den Leib bloss ~bedeute~, so würden sie sich dadurch +nicht befriedigt haben« (S. 436 ff.). Es ist kritisch nicht zulässig, +dass Jesus seinen gewaltsamen Tod mit Bestimmtheit vor sich gesehen +habe. Daher kann sich für ihn die Symbolik bei der letzten Mahlzeit +mit den Jüngern gar nicht auf seinen Tod beziehen. Ebenso ist der +Wiederholungsbefehl für unhistorisch zu halten; dafür spricht das +Schweigen der beiden ersten Evangelien und die Erwägung, dass +überhaupt eine Gedächtnisfeier natürlicher aus dem Bedürfnis der +Zurückbleibenden, als aus dem Plan des Scheidenden hervorgeht. Ein +Passahmahl war diese letzte Mahlzeit mit den Jüngern auch nicht. +Das eigentlich Historische an der ganzen Ueberlieferung ist das +eschatologische Schlusswort beim Becher: ich werde davon nicht mehr +trinken, bis ich ihn neu trinken werde mit euch in meines Vaters Reich. +In Jesu Gedanken bezieht es sich auf den nächsten Passahwein, nicht +allgemein auf das Essen und Trinken. Von Mahlzeiten im messianischen +Reich sprach er, gemäss den Vorstellungen seiner Zeit, öfters, und so +mag er erwartet haben, das in demselben namentlich das Passahmahl mit +besonderer Feierlichkeit werde begangen werden. Wenn er nun versichert, +dieses Mahl nicht mehr in ~diesem~, sondern erst in ~jenem~ Aeon zu +geniessen, so muss, nach seiner Erwartung, bis zur Feier des Passah +das messianische Reich eintreten. Es ist dabei nicht nötig, dass Jesus +das Erscheinen des Reiches an seinen Tod geknüpft dachte. Die ganze +urchristliche Abendmahlsauffassung erklärt sich daraus, dass statt des +messianischen Reiches und seiner Passahfeier — ~der Tod Jesu eintrat.~ + +Die Gemeinde feierte das Passah. Es war natürlich, dass sich der +Versuch darbieten musste, demselben durch die Beziehung auf den Tod +und das letzte Mahl Jesu (welches kein Passahmahl gewesen) eine +~christliche~ Deutung zu geben. So erklärt sich das Eindringen des +Leidensgedankens und der Leidensweissagung in die historischen +Abendmahlsberichte. Die Elemente erhielten eine Beziehung auf den +Leib und auf das Blut Christi; dabei wurde das Wort Jesu, den Genuss +des Passahweines betreffend, allgemein auf das Essen und das Trinken +bezogen und mit Brot und Wein als seinem Leib und Blut in Verbindung +gebracht. So entstand die Vorstellung von dem Wiederholungsbefehl. +Die Neigung, das Gedächtnismahl vom Passah loszulösen und öfters zu +begehen, erklärt das Aufkommen eines derartigen Wortes. + +Diese geniale Auffassung von FR. STRAUSS enthält bereits alle +Faktoren, welche die späteren, das Genussmoment einseitig betonenden +Abendmahlsdarstellungen kennzeichnen. Vor allem kommen hier in +Betracht die Loslösung der historischen Feier vom Passahmahl, das +Ausscheiden der Leidensanspielungen aus den Worten Jesu, die Erklärung +der Wiederholung der Feier ohne Annahme des Wiederholungsbefehles +und die Notwendigkeit, alle als unhistorisch erkannten Züge in +den neutestamentlichen Abendmahlsdarstellungen (Anschluss an das +Passahfest, Beziehung auf den Tod Christi und Wiederholungsbefehl) aus +der Entwicklung der urchristlichen Feier in einem Zeitraum von nicht +einmal zwei Jahrzehnten zu erklären. + +Will man diese Rückbildung nicht durch eine gewagte +Geschichtskonstruktion erweisen, so bleibt nur wissenschaftliche +Skepsis in irgend einer Form übrig. Diesen Weg hat BRUNO BAUER[8] +betreten. Er setzt voraus, dass die Berichte besagen wollen: ~der +Herr reichte seinen Jüngern seinen Leib und sein Blut zum Genuss +dar.~ Der Wiederholungsbefehl ist eine Zuthat aus späterer Zeit mit +abschwächender Tendenz. Man fühlte, dass man für die historische +Feier den Genuss so nicht aufrecht erhalten könne. Darum hob man +die Beziehung auf die Zukunft, die der Formel an sich zu Grunde +liegt, hervor. Jesus kann seinen Jüngern nicht sein Fleisch und Blut +dargereicht haben,[9] damit sie es assen; also ist der Bericht des +Markus Phantasie, und alle andern Berichte sind Nachbildungen dieser +Erfindung. + +Wie sehr gerade die Vollziehung des Genusses Voraussetzung der +BAUER'schen Auffassung ist, zeigt sich darin, dass er dem Matthäus +vorwirft, er habe das bei Markus konstatierte Faktum des Trinkens von +seiten der Jünger eigenmächtig in einen Befehl Jesu umgesetzt, was +schon eine Milderung bedeute. Das eschatologische Schlusswort lässt +er unbeachtet und schneidet sich so den Weg ab, der STRAUSS aus den +Schwierigkeiten, welche die einseitige Betonung des Genussmomentes nach +sich zieht, herausführte. + +Nach E. RENAN[10] hat Jesus am letzten Abend die gewöhnliche gemeinsame +Mahlzeit mit dem Brotbrechen im Kreise seiner Jünger gefeiert. »Dans +ce repas, ainsi que dans beaucoup d'autres, Jésus pratique son rite +mystérieux de la fraction du pain.« Das eschatologische Schlusswort +ist für RENAN zweifelhaft und ohne Bedeutung. Die synoptischen +Abendmahlsberichte erklären sich nur aus der Entwicklung der späteren +Anschauungen, für welche das letzte Mahl ein Passahmahl war; dadurch +drangen der Leidensgedanke, die Beziehung der Elemente auf den Leib +Jesu und die Anordnung der Wiederholung in die Darstellung des letzten +Mahles ein. + + +=2. Die modernen Versuche. W. Brandt, Fr. Spitta, A. Eichhorn.= + + Vergleiche zum Folgenden den verhängnisvollen Vortrag von E. GRAFE + (Die neuesten Forschungen über die ursprüngliche Abendmahlsfeier. + Zeitschrift für Theologie und Kirche 1895) und die klare + Zusammenfassung von RUD. SCHÄFER (Das Herrenmahl nach Ursprung und + Bedeutung 1897). + +Erst das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bietet eine Abhandlung, +in der die bei STRAUSS, BAUER und RENAN angedeuteten Gedanken +sich in voller Schärfe und Konsequenz zu einem einheitlichen Bilde +entwickeln. Es ist die epochemachende Arbeit SPITTA's. Die Werke von +AD. HARNACK und W. BRANDT gehen ihr zeitlich in der Hervorhebung des +ausschliesslichen Mahlzeitscharakters der historischen Feier voraus. +Da jedoch HARNACK schon mehr zu den doppelseitigen Darstellungen +mit Zugrundelegung des Genussmoments überleitet, ist es rätlich, +ihn erst dort zu behandeln. Zudem hat er in der 3. Auflage seiner +Dogmengeschichte (Bd. I S. 64) zu dem Lösungsversuch SPITTA's Stellung +genommen und seine eigene Ansicht daraufhin neu formuliert. + + +=3. W. Brandt.= + + Die evangelische Geschichte und der Ursprung des Christentums. + Leipzig 1893 S. 283 ff. + +Die Hauptbedeutung der historischen Feier liegt in dem +~gemeinschaftlichen Genuss.~ Durch das Gleichnis beim Abendmahl hat +Jesus die gemeinsamen Mahlzeiten zum ~Symbol der Gemeinschaft~ gemacht. +In der Bedeutung dieses Symbols ist der Grund der Wiederholung zu +sehen. Eine Anspielung auf den Tod ist, wenn sie sich in dem Wort, +welches das Brotbrechen begleitete, findet, für das Wesen der Feier +bedeutungslos. + +Die Aufnahme des Leidensgedankens und die Eintragung des +Wiederholungsbefehls in unsere Berichte gehen auf eine Verschiebung +in der urchristlichen Feier zurück. Diese ist dadurch bedingt, dass +nach dem Jahre 70 wegen des Fehlens des Lammes Brot und Becher +die vornehmsten Ingredienzen des jüdischen Passahmahls bildeten; +dadurch wurde eine Gleichgestaltung desselben mit der urchristlichen +Herrenmahlsfeier angebahnt. So erklärt es sich, dass die letztere durch +das erstere im äusserlichen Verlauf und im Gedankengehalt beeinflusst +wurde. + +In dieser ansprechenden Skizze finden wir die schon bei STRAUSS +bemerkten Eigentümlichkeiten der das Genussmoment ausschliesslich +betonenden Auffassungen wieder. Der Wiederholungsbefehl fehlt, und +es kommt darauf an, den Leidenshinweis in unseren Berichten auf die +Einwirkung späterer Gemeindevorstellungen zurückzuführen. Ob der von +dem Verfasser angezeigte Weg wirklich zum Ziele führt, ist fraglich. +Sicher ist, dass er eine grosse Schwierigkeit nicht berücksichtigt hat. +Wie konnten die Jünger die Worte des Meisters in dem oben gebotenen +Sinn verstehen? Wie konnten sie überhaupt begreifen, dass er bei der +Darreichung von Brot und Wein sie aufforderte, seinen Leib und sein +Blut zu geniessen? + +Es ist das unschätzbare Verdienst SPITTA's, diese Frage in den +Vordergrund geschoben zu haben. + + +=4. Fr. Spitta.= + + Die urchristlichen Traditionen über Ursprung und Sinn des + Abendmahls (zur Geschichte und Litteratur des Urchristentums). 1893 + S. 207 bis 337. + +Der Sinn der Worte Jesu liegt einzig und allein in der Aufforderung zum +Genuss. Das Genossene ist nach seinen Worten sein Leib und sein Blut, +gerade ~dadurch, dass es genossen wird~! Das Brechen und Ausgiessen als +die darstellende Handlung, welche den Elementen eine veranschaulichende +Beziehung auf seinen Tod geben soll, lag seinen Gedanken fern. Die +historische Feier war eine ~Mahlzeit~, bei welcher nach dem gemeinsamen +Inhalt aller Berichte die Jünger auf seine Aufforderung hin die +dargereichte Speise als seinen Leib essen und den eingegossenen Wein +als sein Blut trinken sollten und dies auch thaten. + +STRAUSS und BRUNO BAUER hatten denselben Thatbestand als von den +Quellen geboten konstatiert, wurden aber von hier aus gezwungen, die +historische Thatsächlichkeit des geschilderten Vorganges in Frage zu +stellen und das Zustandekommen der Berichte sei es aus der Geschichte +des Urchristentums (STRAUSS), sei es aus der Geschichte der Entstehung +der christlichen Ueberlieferung überhaupt (BRUNO BAUER) zu erklären. +Dass die Jünger auf die Aufforderung Jesu hin damals seinen Leib und +sein Blut genossen haben sollen, ist für sie eine unvollziehbare +Vorstellung. + +SPITTA kann den Vorgang als historisch aufrecht erhalten durch +Zuhülfenahme ~eschatologischer Gedankengänge.~ Anknüpfend +an die Vorstellung des messianischen Bundes, hat Jesus, wie +die übereinstimmenden Züge aller Berichte zeigen, bei den +»Einsetzungsworten« an das Essen und Trinken beim messianischen +Mahl gedacht. In der prophetischen und in der apokalyptischen, in +der Sapientia- und in der rabbinischen Litteratur stellt sich die +Vollendung des Reiches in dem messianischen Mahl dar, ~wobei die +genossene Speise der Messias selbst ist~! Auf Grund dieser Vorstellung +konnte Jesus voraussetzen, dass die Jünger ihn verstehen würden, wenn +er sie aufforderte, beim Essen ihn selbst zu geniessen. Was er ihnen +bietet, ist eine Vorwegnahme des grossen messianischen Mahles der +Endzeit. In diesem Gedanken konnten sie den Leib des Messias essen und +ihn in seinem Blut, dem Saft der Trauben, trinken. + +Das letzte Mahl war kein Passahmahl, der Leidensgedanke kam für die +Symbolik der Elemente nicht in Betracht, und der Wiederholungsbefehl +ist unhistorisch. Diese Anschauungen sind späterer Art und nur dadurch +verständlich, dass infolge des inzwischen eingetretenen Todes Jesu +die Auffassung seiner Worte bei der letzten Mahlzeit sich notwendig +ändern musste. Die Feier wurde in Analogie zu dem Passahmahl gesetzt, +weil jetzt die Deutung der Worte vom Leib und Blut auf seine Leiden +unabweislich war. Damit drang die Vorstellung einer Stiftung notwendig +mit ein. + +Bei Paulus halten sich die ursprüngliche und die auf das Leiden +bezogene Auffassung noch das Gleichgewicht. I Kor 10 _1_ ff. und I +Kor 10 _14_ ff. kennen den Leidensgedanken noch nicht und betonen das +Genussmoment. I Kor 11 _23_ ff. tritt das neue Moment in Sicht, welches +Paulus bei der Bekämpfung der korinthischen Agapenskandale in die Feier +einträgt: ~die Feier hat es mit dem Tode Jesu zu thun.~ + +Das Neue ist also bei SPITTA die Heranziehung eigentümlich +eschatologischer Gedankengänge, durch welche er eine Feier als +historisch aufrecht erhält, bei der der Meister den zu Tische Liegenden +Brot und Wein reichte mit der Aufforderung, seinen Leib zu essen und +sein Blut zu trinken. In dem Wesen dieser Feier lag es begründet, dass +sie ohne ausgesprochenen Wiederholungsbefehl Aufnahme in der ersten +Gemeinde fand. Von hier aus scheint es dann nicht unmöglich, in der nun +folgenden Entwicklung das Eintreten der Faktoren begreiflich zu machen, +welche die neuen Züge in der Auffassung und Wertung der Feier bedingten. + + +=5. Kritik der Auffassung Spitta's.= + +Die grosse Bedeutung der Untersuchung SPITTA's beruht darin, dass er +die Abendmahlsfrage nach einem einheitlichen Gesichtspunkt aufgefasst +und zu lösen unternommen hat. Alle Einzelfragen stehen bei ihm in +einer gegenseitigen, engen Wechselverbindung. Seine Abhandlung bildet +eine geschlossene Kette, bei der jedes Glied nur im Zusammenhang mit +den andern in Betracht kommt. Darin besteht der grosse Fortschritt in +seiner Untersuchung den früheren gegenüber. Die textkritischen und die +exegetischen Erörterungen sind bei ihm sowohl ~Grundlage~ als auch +~Folge~ der Gesamtauffassung. + +Man hat seine Auffassung eine ~eschatologische~ genannt, weil er, wie +FR. STRAUSS, den Gedanken der Mahlzeit im messianischen Reich zu Hülfe +nimmt, um die historische Feier verständlich zu machen. STRAUSS ging +dabei vom synoptisch-eschatologischen Schlusswort aus, in welchem +Jesus die Jünger auf das grosse Mahl der Endzeit verweist, wo er +wieder mit ihnen vereint sein wird. Der eschatologische Charakter +der SPITTA'schen Auffassung aber beruht nicht auf dem synoptischen +Wort, ~sondern auf einer eschatologischen Vorstellung vom Endmahl, +welche aus den Apokryphen und der Weisheitslitteratur zusammengetragen +ist.~ Dabei ergeben sich eine Reihe schwerer Widersprüche mit dem +synoptisch-eschatologischen Schlusswort. + +Nach ~Spitta~ bietet sich der Messias beim Mahle der Endzeit den Seinen +zur Speise und zum Trank an. Nach den Synoptikern weist Jesus auf das +Endmahl hin, wo er mit ihnen vom Gewächs des Weinstocks geniesst. +Bei SPITTA will er also ~Speise und Trank~, bei den Synoptikern +~mitgeniessender Tischgenosse sein~! + +Bei SPITTA wird der eschatologische Hinweis sowohl ~für die Speise als +für den Trank vorausgesetzt.~ Historisch ist aber das eschatologische +Schlusswort ~nur beim Becher~! + +SPITTA's Eschatologie bezieht sich auf die ~Aufforderung zum Genuss~ +des Leibes und Blutes. Das synoptisch-eschatologische Wort steht damit +in keinem Zusammenhang, ~sondern folgt erst auf den Genuss.~ + +SPITTA's Auffassung ist also ganz unabhängig vom +synoptisch-eschatologischen Schlusswort. Es figuriert auch nicht in +seiner kürzesten Form der Einsetzungsworte, sondern diese lauten +einfach: + +»Nehmet, esset, das ist mein Leib.« + +»Trinket alle daraus. Das ist das Blut meines Bundes, das für viele +vergossen wird.« + +Diese Worte konstituieren die Feier, denn »in der Gemeinde wurde immer +daran gedacht, wie er damals darauf hingewiesen, ~er sei jetzt und in +alle Ewigkeit~ die rechte Speise und Erquickung ihrer Seele« (S. 289). +So wird das synoptisch-eschatologische Schlusswort zum ~wehmütigen +Abschiedswort~, welches von dem Jubelklang der eschatologisch +siegesgewissen Stimmung zum Todesgang überleitet. + +~Christus die rechte Seelenspeise:~ dieser Gedanke ist modern. +Die Eschatologie SPITTA's zielt dahin, diesen Gedanken durch eine +Zusammenstellung von alttestamentlichen und apokryphischen Sprüchen in +künstlich-antikem Licht spielen zu lassen, damit er die Aufforderung +Jesu zum Genuss seines Leibes und Blutes für die historische Situation +erkläre. Verzichtet man auf dieses künstliche Licht, dann bleibt nur +das skeptische Dunkel. Das ist bei EICHHORN der Fall. + + +=6. A. Eichhorn.= + + Das Abendmahl im Neuen Testament. Hefte zur christlichen Welt No. + 36. 1898. + +»Wenn wir unseren Berichten trauen dürfen«, hat Jesus das erste +Abendmahl mit seinen Jüngern so gehalten, dass er ihnen Brot und Wein +ausgeteilt und sie seinen Leib und sein Blut gegessen und getrunken +haben. Aller Nachdruck fällt auf den Genuss. Eine auf Jesu Handeln sich +gründende Symbolik kann bei der Betonung des Genusses nicht bestehen. +~Man darf nicht sagen, dass das Brechen des Brotes auf das Zerbrechen +des Leibes und das Trinken des Weins auf das Vergiessen des Bluts~ +hindeutet. Die Handlung, die in Wirklichkeit vorgenommen wird, ist +einfach das Essen und Trinken. + +Ist dies nun der durch die Quellen gebotene Sachverhalt, so gibt es +vorläufig keine Möglichkeit, die historische Feier und das Aufkommen +ihrer Wiederholung zu verstehen. Was auch Jesus gesagt und gethan haben +mag an jenem Abend, ~das Kultmahl der Gemeinde mit dem sakramentalen +Essen und Trinken des Leibes und Blutes Christi~, wie es in der +ältesten Christenheit ziemlich von Anfang an sich ausgebildet hat, +~ist von da aus nicht zu verstehen.~ So wird EICHHORN, weil er bei +der eingestandenen Bedeutung des Genussmomentes von der Heranziehung +eschatologischer oder moderner Anschauungen absieht, notwendig zur +Skepsis gedrängt. + +Sie besteht in dem ausgesprochenen Verzicht, auf Grund der vorhandenen +Berichte die historische und die wiederholte Feier in ihrem +Zusammenhang zu begreifen, wenn nicht eine neue, von unseren Berichten +unabhängige Thatsache ein Datum liefert, welches den Ausgangspunkt +der uns unverständlichen Entwicklung kenntlich macht. — Gelingt es +nicht, in der gnostischen Gedankenwelt ein ~sakramentales Essen~, +welches das Vorbild des Abendmahls abgeben könnte, nachzuweisen, +sodass für die älteste Christenheit nicht das supranaturale Essen +und Trinken als solches, sondern nur die Ersetzung einer andern +übernatürlichen Substanz durch Christi Leib und Blut neu ist, ~dann +muss auf ein Verständnis der historischen Feier und ihrer Entwicklung +zur Gemeindefeier endgültig verzichtet werden.~ + + +=7. Die neue »Thatsache«.= + +Um dem Skeptizismus zu entgehen, postuliert EICHHORN eine neue, über +den Bestand unserer Quellen hinausgehende Thatsache. Seine Vorgänger, +die mit ihm die ausschliessliche Betonung des Genusses gemein haben, +ersetzen dieses Postulat durch eine ~angenommene~ Thatsache. + +D. FR. STRAUSS erklärt das Aufkommen der Abendmahlsfeier im +Urchristentum, und damit die Entstehung unserer Berichte, durch das +Missverständnis eines von Jesu bei dem letzten Mahl gesprochenen +eschatologischen Wortes von seiten der Jünger. + +BRUNO BAUER verlegt die ganze Entwicklung, da er sie anders nicht +erklären kann, in die Phantasie des Urevangelisten. RENAN behilft +sich mit der Annahme eines schon früher von Jesu geübten, den Jüngern +bekannten geheimnisvollen Ritus des Brotbrechens. SPITTA bringt +eine eigenartige, im Grunde moderne eschatologische Vorstellung +an die synoptischen Berichte heran, welche mit dem dort gebotenen +eschatologischen Schlusswort in gar keiner Beziehung steht. + +W. BRANDT überträgt moderne Anschauungsweisen in die Gedankenwelt Jesu +und seiner Jünger, ohne diese Uebertragung aus den Berichten begründen +zu können. + +So bildet die Untersuchung EICHHORN's den natürlichen Schlusspunkt der +scheinbar so zusammenhangslosen Reihe der Auffassungen mit einseitiger +Herausarbeitung des Genussmoments. Durch die dialektische Behandlung +des Problems entzieht er jeder künftigen Darstellung von vornherein +die Berechtigung, wenn sie nicht eine neue geschichtliche Thatsache +aufbringen kann, die erklärt, wie die Anschauung aufkam, dass Jesus den +Jüngern zumutete, seinen Leib und sein Blut zu essen und zu trinken. + + +=8. Die Skepsis in der Folge der einseitigen Herausarbeitung des +Genussmoments.= + +EICHHORN's ~Postulat~ trägt auch nicht weiter als die behaupteten +Thatsachen seiner Vorgänger. Er verlangt, dass die Vorstellung +des supranaturalen Essens und Trinkens in einer schon vorhandenen +religiösen Gedankenwelt nachgewiesen werde. Die nähere Kenntnis des +»Gnostizismus« könnte nach seiner Ansicht dazu führen. + +Zugegeben, dass ein solches supranaturales Essen und Trinken schon +existiert hätte, so müsste dargethan werden, wie man im Urchristentum +dazu kam, diesen Gedanken ins Abendmahl ~herüberzunehmen.~ Inwiefern +gab die historische Feier Ansatzpunkte dazu? Die von EICHHORN +vorgeschlagene Operation hängt ganz in der Luft, denn unsere Berichte +stehen einem solchen Beginnen vollständig fremd und ablehnend gegenüber. + +Nun wäre die Umsetzung seines Postulats in eine dementsprechende +historische Thatsache der einzige Ausweg aus der Skepsis. Gleich beim +ersten Schritt zeigt sich aber, dass er völlig aussichtslos ist. Also +muss eine Darstellung, welche von der Voraussetzung ausgeht, Jesus +habe die Seinen bei Brot und Wein zum Genuss seines Leibes und Blutes +aufgefordert, ~von vornherein, unter allen Umständen auf die Lösung des +Problems verzichten! Die konsequente Herausarbeitung des Genussmoments +führt notwendig zur Skepsis: das ist der Ertrag dieser Darstellungen.~ + + +=9. Der logische Grund der Skepsis.= + +Wenn in der wissenschaftlichen Behandlung einer Frage die Skepsis sich +einstellt, so liegt dies immer daran, dass ~sich in den Voraussetzungen +eine unbegründete Behauptung versteckt hat~, welche von da aus das +menschliche Denken neckt und in die Irre führt. Die Wissenschaft an +sich kann nie zur Skepsis führen. Mit der Aufdeckung der ~unerwiesenen +Voraussetzungsbehauptung~ ist die Skepsis gehoben. + +Worin besteht diese nun in den obigen Abhandlungen? Der Fehler kann +nicht in der ausschliesslichen Geltendmachung des Genussmoments +beruhen. Dass das Abendmahl von der urchristlichen Gemeinde als +~Mahlzeit~ übernommen und gefeiert wurde, dass die Handlung, welche +die urchristliche mit der historischen Feier verbindet, nicht in dem +symbolischen ~Handeln des »Stifters«~, sondern in der ~Handlung der +Teilnehmer~, dem Essen und Trinken besteht: diese Thatsachen werden +durch die Quellen geboten und durch das Urchristentum bestätigt. + +Nicht in der ~Thatsache~, sondern in der ~Art~ der Wertung des +Genussmoments ist der Fehler zu suchen. Sämtliche obige Darstellungen +formulieren sie dahin, dass Jesus die Jünger bei der Darreichung von +Brot und Wein ~aufgefordert~ habe, seinen Leib zu essen und sein +Blut zu trinken. ~Die Skepsis beruht also in der Verbindung des +Mahlzeitcharakters der Feier mit den Gleichnisworten~, denn damit ist +eine Aussage gegeben, in der Subjekt und Objekt identisch sind: der +Darbietende ist zugleich der Genossene. Hier hört das Denken auf. ~Das +üppige Schlinggewächs historischer und exegetischer Einfälle ist keine +Brücke über den Abgrund des Selbstwiderspruchs!~ + +Statt also von der Konstatierung auszugehen, dass Jesus den Seinen +seinen Leib und sein Blut zum Genuss dargereicht habe, muss man damit +beginnen, diese Voraussetzung selbst zu prüfen. Ist es wirklich eine +aus der urchristlichen Feier und aus den Berichten unumstösslich +feststehende Thatsache, dass Jesus ihnen dies in irgend einer Form +zugemutet hat? Wenn ja, dann ist die Lösung der Abendmahlsfrage +unmöglich, da wir dabei das »wie« aus unseren Texten nie erklären +können und jede freie Deutung bei unseren Berichten ohne Rückhalt +bleibt. + + +Fussnoten: + +[7] DAVID FR. STRAUSS, Das Leben Jesu. 1. Ausgabe, Tübingen 1836. Bd. +I, S. 396-442: Das Abendmahl. + +[8] BRUNO BAUER, Kritik der evangelischen Geschichte, 1842. Kritik der +Evangelien, 1850, Bd. III S. 191-213. + +[9] Kritik der evangelischen Geschichte, Bd. III S. 241: »Ein Mensch, +der leiblich und individuell dasitzt, kann nicht auf den Gedanken +kommen andern seinen Leib und sein Blut zum Genuss anzubieten.« + +[10] E. RENAN, La vie de Jésus 1863, S. 385 ff. + + + + +Sechstes Kapitel. + +=Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments +und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments.= + +AD. HARNACK, ERICH HAUPT, FR. SCHULTZEN, R. A. HOFFMANN. + + +=1. Allgemeines.= + +Diese doppelseitige Reihe steht unter dem Einfluss der Auffassungen mit +einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments. Während die Richtung, +die durch die Namen RÜCKERT, LOBSTEIN und HOLTZMANN gekennzeichnet +wird, von dem Handeln Jesu ausgehend den Genuss der Teilnehmer zu +erklären versuchte, verfahren die neuen doppelseitigen Auffassungen +umgekehrt. Sie stellen den Genuss in den Vordergrund und suchen dieses +Moment nun so zu formulieren und so zur Geltung zu bringen, dass auch +das auf den Tod hinweisende Handeln Jesu damit in irgend einer Weise +vereinbar ist und daraus seine Erklärung empfangt. Das Schwergewicht +hat sich also von der einen auf die andere Seite verschoben. + +In letzter Linie sind es exegetische Bedenken, welche die betreffenden +Verfasser dazu führen, auch dem Leidensgedanken und dem Handeln Jesu +Rechnung zu tragen. »~Die Worte sind mir zu mächtig~«, sagt HARNACK bei +der Würdigung der Auffassung SPITTA's, deren Grundgedanke ihm zusagt, +während die Exegese ihn nicht befriedigt. Es ist das Motto auch der +übrigen doppelseitigen Darstellungen. + + +=2. Ad. Harnack.= + + Brot und Wasser: die eucharistischen Elemente bei JUSTIN (Texte + und Untersuchungen Bd. VII S. 117 ff. 1891). Theologische + Litteraturzeitung 1892 S. 373-378. Dogmengeschichte (3. Aufl.) Bd. + I S. 64. + +Durch eine Untersuchung, ob Wasser oder ob Wein das eucharistische +Genusselement in der alten Kirche waren, kam HARNACK im Jahre 1891 +dazu, in entschiedener Weise zu betonen, dass in jener älteren Zeit +die Symbolik sich nicht auf das Wesen der Elemente habe beziehen +können, sondern dass die ganze Bedeutung der historischen und der +urchristlichen Feier ~auf der Mahlzeit als solcher~ beruht habe. + +Das Abendmahl muss eine wirkliche Mahlzeit gewesen sein; die in Frage +kommende Handlung ist das Essen und Trinken. Jesu Worte beziehen sich +auf den Genuss. »Die wichtigste Funktion des natürlichen Lebens hat +der Herr geheiligt, indem er die Nahrung als seinen Leib und sein +Blut bezeichnet hat. So hat er sich für die Seinen ~auf immer~ mitten +hineingestellt in ihr natürliches Leben und sie angewiesen, die +Erhaltung und das Wachstum dieses natürlichen Lebens zur Kraft des +Wachstums des geistigen Lebens zu machen.« + +Mit diesem Moment sucht nun HARNACK noch ein anderes in Beziehung zu +setzen und dadurch diese allgemeine religiöse Wertung des Genusses +zu spezifizieren. »Der Herr hat ein Gedächtnismahl seines Todes +eingesetzt, ~oder vielmehr~, er hat die leibliche Nahrung als sein +Fleisch und sein Blut, d. h. als die Nahrung der Seele, bezeichnet +(durch die Sündenvergebung), ~wenn~ sie mit Danksagung in Erinnerung +seines Todes genossen wird.« + +Dieser Satz ist für HARNACK's Auffassung entscheidend. »Oder vielmehr«, +»d. h.« und »wenn« sind die Rangiergeleise, auf denen man von dem +allgemeinen, wunderbar tiefen Gedanken herkommend, »dass der Herr die +wichtigste Funktion des natürlichen Lebens geheiligt habe«, umsetzt, +um die Einfahrt zur historischen Feier, mit dem dort ausgedrückten +Leidensgedanken, zu gewinnen. Der allgemeine Mahlzeitcharakter seiner +Auffassung wird also näher bestimmt durch folgende Sätze: + + 1. Es handelt sich um eine Stiftung. + + 2. Der Wiederholungsbefehl ist irgendwie in der historischen + Situation enthalten. + + 3. Die Feier hat eine Beziehung auf den Tod des Stifters. + + +=3. Erich Haupt.= + + Ueber die ursprüngliche Form und Bedeutung der Abendmahlsworte. + Halle, Universitätsprogramm 1894. + +Indem Jesus die zu Tische liegenden Jünger bei der Darreichung +des Brotes und des Weines auffordert, seinen Leib und sein Blut +zu geniessen, will er sagen: »Meine Person ist Träger der Kräfte +eines höheren Lebens, welches so angeeignet werden und so zu einem +Bestandteil eurer Personen werden will, wie dies bei der irdischen +Nahrung der Fall ist. Dies gilt aber ~ganz besonders~ von meinem +bevorstehenden Tode; gerade die Dahingabe meiner ~Persönlichkeit~ wird +euch die in ihr beschlossenen Lebens- und Heilskräfte in vollstem Masse +erschliessen und zu gute kommen lassen.« Dieser Grundgedanke deckt sich +vollständig mit dem SPITTA's. Während aber letzterer ihm im Munde Jesu +eine eschatologische Wendung gab, überträgt HAUPT diesen durch den +Ausdruck »Persönlichkeit« als modern gekennzeichneten Gedankengang auf +die historische Feier durch Zuhülfenahme des Leidensgedankens. + +Die Eschatologie tritt dabei ganz zurück. Jesus hatte bei dem letzten +Mahle auch von dem grossen Mahl der Vollendung gesprochen. Indem nun +das ganze Mahl nachgebildet wurde, fanden auch diese eschatologischen +Gedanken ihre Stelle. So ist bei HAUPT das eschatologische Moment +nicht zur Erklärung der Wiederholung benutzt, sondern erst aus der +Wiederholung selbst verständlich. + +Durch die nebenhergehende Geltendmachung des Todesgedankens für die +Erklärung der Feier ist die Beibehaltung des Wiederholungsbefehls +gegeben. In der Nacht des Verrats hat der Herr das ganze Mahl unter den +Gesichtspunkt eines Abschiedsmahls gestellt. Er will sein ~Gedächtnis +für die Zeit der Trennung~ wachhalten. »Somit ist nicht nur kein +Gegengrund dagegen, dass Jesus die Wiederholung der Handlung seinen +Jüngern anbefohlen hat, sondern ein dahin zielendes Wort ist sogar +aus inneren Gründen ~höchst wahrscheinlich.~« Diese vorsichtige und +zurückhaltende Begründung der Beibehaltung des Wiederholungsbefehls +gibt den genauen Gradmesser ab für die Beeinflussung des zu Grunde +gelegten Genussmoments durch das Darstellungsmoment und den +Leidensgedanken. + +Mit derselben Vorsicht äussert HAUPT sich auch über das Verhältnis +zwischen dem wiederholten Herrenmahl und der Agape. »Nicht zwei Teile +sollen diese gemeinsamen Mahlzeiten haben, einen profanen, welcher der +äusseren Sättigung dient, und einen religiösen, welcher der Erinnerung +an Christi Tod gewidmet ist, sondern ihre ganze Zusammenkunft soll +religiösen Charakter tragen, und das Herrenmahl ~im engeren Sinne~ ist +nur der ~Höhepunkt des Ganzen.~« + + +=4. Fr. Schultzen.= + + Das Abendmahl im Neuen Testament. Göttingen 1895. + +In dieser Darstellung ist die Hervorhebung des Leidensgedankens und +damit die Bedeutung des darstellenden Moments im Handeln Jesu aus der +Nebenstellung fast bis zur Gleichstellung mit dem Genussmoment gerückt, +wobei aber letzteres immer noch den Ausgangspunkt bildet. »Es spricht +nichts dafür, dass etwa Jesus nur auf das Essen Gewicht gelegt habe und +die Beziehung auf seinen Tod späterer Zusatz sei. Umgekehrt ist es aber +auch nicht wahrscheinlich, dass Jesus nur eine symbolische Handlung bei +jenem letzten Mahl vorgenommen hat, und dass die Verbindung mit dem +Mahle nur durch den äusseren Anlass entstanden ist.« Auch das Brot ist +nicht blosses Symbol, sondern auf ~Grund des Symbols~ zum wenigsten +~Repräsentant und Vermittler~ des Leibes Jesu. + +Das Genussmoment und das darstellende Moment werden durch den Begriff +~des Opfermahls~ zusammengehalten. Den Jüngern waren Jesu Gedanken +aus der religiösen Vorstellungswelt Israels bekannt und fasslich. In +dem Begriff des Opfermahls war die Wiederholung unmittelbar gegeben +und ebenso der Empfang der in ihm gespendeten Gabe. So hat, trotz des +Fehlens des Wiederholungsbefehls, Jesus auch nach dem Bericht des +Markus an eine Wiederholung gedacht, weil er eine Gabe spendet, die +auch für ~die fernsten~ Zeiten Wert hat. + +Wie bei ERICH HAUPT vermögen die eschatologischen Gedanken auch +bei FR. SCHULTZEN sich nur anhangsweise Geltung zu verschaffen, +nachdem die Wiederholung der Feier schon anderweitig feststeht. »Die +Parousiegedanken bei dieser Feier erklären sich bei der lebhaften +Sehnsucht der Gemeinde nach der Parousie leicht, da das Abendmahl auch +nach I Kor 11 _26_ eine Feier ist, die in der Wiederkunft Christi ihr +Ziel erreicht hat.« + +Die Trennung von Mahlzeit und Abendmahl wird bereits für die Urgemeinde +vorausgesetzt. Paulus prägt schon Vorhandenes schärfer aus. Die später +erfolgte Abtrennung der »Eucharistie« von dem Mahle erklärt sich viel +einfacher, wenn sie bereits ein besonderer Teil derselben war, als wenn +man das ihr besonders Eigentümliche gar nicht erkennen konnte. + + +=5. R. A. Hoffmann.= + + Die Abendmahlsgedanken Jesu Christi. Königsberg 1896. + +Bei HOFFMANN tritt das Darstellungsmoment noch stärker hervor als +bei SCHULTZEN. Es wird geradezu eine zweifache Art von Teilnehmern +vorausgesetzt. Das darstellende Handeln geht auf die einen, der Genuss +ist für die andern bestimmt. »~Vergossen~ wurde sein Blut für ~das +ungläubige Volk~, zu ~trinken~ gab er es den ~Seinen.~« + +Mit letzterem will er sagen, dass, da das ~Blut die Seele ist~, seine +Seele in sie übergehen werde, um ihnen zu ihrer bevorstehenden hohen +Mission Kraft zu geben, sie zu stärken, damit auch sie, wenn der Fall +an sie herantritt, imstande seien, ihrerseits ihre Seele als Lösegeld +für andere dahinzugeben. Nicht seinen Leichnam reicht er ihnen dar, +sondern seinen lebendigen Leib als den Träger des ihm innewohnenden +göttlichen Geistes. + +»In der urchristlichen Feier kommt, neben dem Essen und Trinken, +auch dem, was Jesus gethan hat, dem Brechen und Danken — ~in +entsprechender Wiederholung~ — Bedeutung zu.« Dies war der Standpunkt +von SCHULTZEN. HOFFMANN geht noch weiter. »~Das Wesentliche der ersten +Mahlzeit war ohne weiteres nicht zu wiederholen~, eben die Handlung des +Herrn, wie sich in ihr seine überragende Geistesgrösse, seine Kraft und +Leben ausströmende Gegenwart noch zum letztenmal ihnen dokumentiert +hatte« (S. 106). + +Eine Wiederholung ohne Wiederholungsbefehl ist also ~undenkbar.~ Der +Wiederholungsbefehl muss sich vor allem auf den Genuss bezogen haben, +da Jesus zur Erinnerung an ihn ein ~Mahl~ eingesetzt hat. Es lässt sich +nicht mehr ausmachen, wie sich in der ersten Zeit das Abendmahl des +näheren zur Gemeindemahlzeit verhalten habe. Für Paulus jedenfalls war +die feierliche Gemeindemahlzeit mit dem Abendmahl untrennbar verbunden. + +Der Eschatologie kommt in der Darstellung HOFFMANN's keine Bedeutung zu. + + + + +Siebentes Kapitel. + +=Der gesetzmässige Zusammenhang zwischen den Einzelfragen.= + + +=1. Der Wiederholungsbefehl.= + +Die historische Feier ist eine Mahlzeit: darin liegt ihre Wiederholung +von selbst begründet. Wenn Jesus dem Essen und dem Trinken im +gemeinsamen Kreis der Seinigen eine besondere, irgendwie segensreiche +Bedeutung verleiht, so ist hiermit ohne weiteres die Wiederholung +gefordert. Er braucht das nicht in einem Befehl ausgesprochen zu haben. + +Dies ist der Standpunkt der das Genussmoment ausschliesslich betonenden +Darstellungen. Auch die doppelseitigen Auffassungen, welche das +Genussmoment zu Grunde legen, stimmen damit überein. Wenn die Jünger +Jesum verstanden haben, mussten sie von selbst diese Feier wiederholen. +Sofern hingegen das ~Darstellungsmoment~ nebenbei betont wird, ist nun +aber die Wiederholung gar nicht selbstverständlich. Was Jesus gethan, +das kann eigentlich nicht wiederholt werden. + +So gehen diese doppelseitigen Darstellungen von dem Gedanken aus, dass +der Wiederholungsbefehl eigentlich überflüssig ist, kommen aber dann +dazu, ihn doch irgendwie als möglich oder notwendig anzunehmen. + +Die Frage bleibt für sie also in der Schwebe. Je stärker der +Leidensgedanke und das Darstellungsmoment für die historische Feier +geltend gemacht werden, mit desto grösserer Entschiedenheit wird zur +Erklärung der eingetretenen Wiederholung eine darauf hinzielende +Anweisung gefordert. + + +=2. Das Abendmahl und die urchristliche Gemeindemahlzeit.= + +In der Gemeindefeier steckt ein Doppeltes. Wiederholt wird eine +gemeinsame Mahlzeit. Dabei soll aber in irgend welchem Masse ein +historischer, an sich einzigartiger Moment reproduziert werden. +In welchem Verhältnis steht das wiederholte »Herrenmahl« zu den +gemeinsamen religiösen Mahlzeiten des Urchristentums? + +Nach den Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments +sind beide ~identisch~, denn für sie besteht ja auch die historische +Feier nur in der Mahlzeit als solcher. Die doppelseitigen Darstellungen +aber kommen hier in dasselbe Gedränge, wie mit dem Wiederholungsbefehl. +Auch sie, sofern sie den Mahlzeitcharakter zu Grunde legen, sollten +eigentlich die Identität proklamieren. Nun betonen sie aber daneben +auch das Darstellungsmoment. Dann wird aber die Gemeindefeier zur +Wiederholung einer bestimmten ~historischen Situation~, welche nicht +mehr durch die ~gemeinsame Mahlzeit als solche reproduziert wird.~ Das +wiederholte Herrenmahl soll also jetzt von der gemeinsamen religiösen +Mahlzeit irgendwie ~abheben~, jedoch nur soweit, dass die letzthinige +Einheit beider festgehalten wird. Die Schwierigkeit wächst mit der +stärkeren Betonung des Darstellungsmoments. Man erhält folgende +Stufenleiter: + +W. BRANDT: Jesus macht die gemeinsamen Mahlzeiten zum Symbol der +Gemeinschaft. Als nach seinem Tode der Glaube an ihn neu auflebte, +wurde natürlich das vom Herrn selbst gegebene Symbol der Gemeinschaft +besonders gepflegt. Gemeindemahlzeit und »Herrenmahl« sind identisch. + +FR. SPITTA: »Es wurde bei Brot und Wein immer daran gedacht, wie +er damals darauf hingewiesen, dass er jetzt und in alle Ewigkeit +die rechte Speise und Erquickung ihrer Seele sei.« Die Didache +repräsentiert die urchristliche Feier. Herrenmahl und Agape +waren danach identisch. Es ist verfehlt, Didache 9 und 10 als +Einleitungsgebete zur »eigentlichen Abendmahlsfeier« auffassen zu +wollen. + +AD. HARNACK: Hier beginnt die Differenzierung. Sie ist in dem +klassischen Satz mit den Rangiergeleisen enthalten. »Der Herr hat +ein Gedächtnismahl seines Todes eingesetzt, ~oder vielmehr~, er hat +die leibliche Nahrung als sein Fleisch und sein Blut, d. h. als die +Nahrung der Seele bezeichnet (durch die Sündenvergebung), ~wenn~ sie +mit Danksagung in Erinnerung seines Todes genossen wird. So haben +die Apostel seine Stiftung verstanden.« Eine Feier, bei der alle +diese näheren Bestimmungen zum Ausdruck kommen sollen, ist aber keine +einfache gemeinsame Mahlzeit mehr, sondern eine ~Ceremonie.~ »Jesus +verhiess ihnen, dass er mit der Kraft seiner Sündenvergebung bei jeder +Mahlzeit sein werde, die sie zu seinem ~Gedächtnis~ halten würden.« Wie +wurde aber die gemeinsame Mahlzeit als »Gedächtnismahl« gekennzeichnet? +Durch welche Akte, durch welche Reden? Wie wurde die Situation des +historischen Mahls reproduziert, wo doch auch das »Abendmahl« nur ein +besonderer Augenblick im Verlauf der letzten gemeinsamen Mahlzeit +gewesen war? + +ERICH HAUPT: »Die ganze Zusammenkunft soll religiösen Charakter tragen, +und das Herrenmahl ~in engerem Sinn~ ist nur der ~Höhepunkt des +Ganzen.~« Weil HAUPT das Darstellungsmoment stärker betont als HARNACK, +kann er Gemeindemahl und »Abendmahl« nicht irgendwie in einander +übergehen lassen, sondern er muss das Abendmahl als eine besondere +Situation auffassen, die den Höhepunkt der ganzen Mahlvereinigung +repräsentiert. Er kann nicht darum herumkommen, die auf Grund der +Stiftung »wiederholte Handlung« von der religiösen Mahlzeit sich +abheben zu lassen und doch wieder die letzthinige Einheit beider +festzuhalten. So bleibt ihm nur das Verhältnis der Steigerung. + +SPITTA und HARNACK bestreiten, dass in Didache 10 _6_ »wenn einer +heilig ist, trete er herzu« eine besondere Feier beginnt. HAUPT muss +seine Steigerung auch hier wiederfinden und nimmt an, dass diese Worte +die eigentliche Abendmahlsfeier einleiten. Das »Herr, komme doch« +bezieht sich auf die Gegenwart des Herrn im »Sakrament«. + +FR. SCHULTZEN: Durch den Begriff des »Opfermahls« hält er die beiden +auseinanderstrebenden Teile der Feier zusammen. Er kann sie aber nicht +mehr, wie ERICH HAUPT, in das Verhältnis der Steigerung setzen — dazu +ist die Betonung des Darstellungsmoments bei ihm schon viel zu stark +— sondern er muss die Trennung konstatieren. »In dem Begriff des +Opfermahls ist die Wiederholung der Mahlzeit unmittelbar gegeben und +ebenso der stetige Empfang der gespendeten Gabe« (S. 74). Wiederholt +wird aber zweitens die Handlung des Veranstalters der Opfermahlzeit, +als Voraussetzung des Empfangs und des Genusses der Teilnehmer. »Die +Gabe, die er ihnen zuwandte, sollte den Erfolg haben und hat ihn auch +wirklich gehabt, ~dass sie wiederholten, was er gethan~, und damit auch +ferner an dem Segen seines Opfertods Anteil erhielten« (S. 96). + +Wie soll man sich aber vorstellen, dass die Jünger beim gemeinsamen +Mahl »wiederholten, was er gethan?« Das bedeutet nichts anderes, als +dass das Gemeindemahl und das Abendmahl auf die Trennung angelegt +waren. In I Kor 11 macht Paulus die schon vor ihm angebahnte Scheidung +nur stärker geltend. Dass nachher die Eucharistie vom Mahle gänzlich +losgelöst wurde, »ist nur die geschichtliche Vollendung des schon in +der Stiftung enthaltenen Prozesses«. + +R. A. HOFFMANN: Das Darstellungsmoment tritt so stark hervor, dass +HOFFMANN auf die Lösung des Problems verzichtet. »Das Wesentliche +der ersten Abendmahlsfeier war ohne weiteres nicht zu wiederholen, +~eben die Handlung des Herrn~« (S. 106). Auf den von Jesus selbst +vorgenommenen Akt kann der Wiederholungsbefehl nicht gehen. Ihn auf +die Handlung der Teilnehmer, das Essen und Trinken zu beziehen, ist +zwar grammatikalisch sozusagen unmöglich. Da aber nichts anderes übrig +bleibt, müssen wir eben annehmen, Jesus habe zum Mittel der Erinnerung +an ihn »ein Mahl eingesetzt«. + +Wie er das verstanden haben wollte, ist nicht klar. Es ist stark mit +der Möglichkeit zu rechnen, »dass dasjenige, was uns von den Worten +Jesu bei der Einsetzung seines Mahles überliefert worden ist, nicht +alles repräsentiert, was er wirklich zur Aufklärung über seine uns +heutzutage so schwer verständliche Handlung gesprochen hat« (S. 115). + +Wie man es mit der Feier im Urchristentum gehalten hat, darüber ist +keine vollständige Klarheit zu gewinnen. Wir wissen nur, »dass das +Abendmahl in der Urgemeinde eine wirkliche Mahlzeit war, wobei sehr +wahrscheinlich ist, dass das Brotbrechen zugleich Herrenmahl war« (S. +137). + +~Zusammenfassung.~ Die Untersuchung ergibt folgenden Satz: ~Bei +ausschliesslicher Geltendmachung des Genussmoments sind die +Gemeindemahlzeit und das Abendmahl identisch. Mit der nebenhergehenden +Betonung des Darstellungsmoments wird die Differenzierung +zwischen beiden in steigendem Masse notwendig, bis zuletzt beide +auseinanderfallen.~ + + +=3. Die Antinomie zwischen der historischen und der urchristlichen +Feier.= + +Es ist wohl nicht das geringste Verdienst der grossartigen Abhandlung +SPITTA's, in voller Schärfe das Prinzip proklamiert zu haben, dass +eine Abendmahlsauffassung nur dann Wert hat, wenn sie das Wesen der +urchristlichen Feier, wie es uns besonders in der Didache begegnet, +erklärt. Dementsprechend bildet die urchristliche Feier auch den +Hauptstützpunkt seiner Darstellung. Er wird ihr vollkommen gerecht, +da seiner Auffassung zufolge das Abendmahl eine Freudenmahlzeit war. +Indem er von einem Wiederholungsbefehl und von einer Abhebung des +»Abendmahls« von der Gemeindemahlzeit absieht, stimmt er vollständig +mit der urchristlichen Ueberlieferung überein; diese weiss ja auch +nichts davon, dass die Feier eine auf den Befehl Jesu erfolgende +ausgesprochene Reproduktion jener historischen Situation sein soll. + +Während SPITTA so die urchristliche Feier vollkommen erklärt, vermag +er aber der historischen in keiner Weise auch nur annähernd gerecht zu +werden. Das teilt er mit allen Auffassungen, welche das Genussmoment +einseitig herausarbeiten. Inwiefern die Jünger Jesum verstehen mussten +und verstanden haben, als er sie aufforderte, seinen Leib und sein Blut +zu geniessen: das vermögen sie, ohne unerlaubte Kunstgriffe, in keiner +Weise deutlich zu machen. ~Für die historische Situation bleibt ihnen +nur der Skeptizismus übrig~, wobei sie sich trösten dürfen, wenigstens +der urchristlichen Feier gerecht zu werden. + +Mit den doppelseitigen Auffassungen steht es folgendermassen: +Je mehr sie das Darstellungsmoment betonen, desto besser und +ansprechender können sie die ~historische Feier~ erklären, da sie +nun den Leidensgedanken und die Symbolik des Handelns Jesu für die +Deutung der Gleichnisse verwerten können. In demselben Masse aber +werden sie ~unfähig, die urchristliche Feier zu erklären.~ Mit dem +Darstellungsmoment ist ja der Wiederholungsbefehl, die Bedeutung +des Leidensgedankens für die Feier und die Differenzierung zwischen +Abendmahl und Gemeindemahlzeit gegeben. Das alles läuft aber der +urchristlichen Ueberlieferung schnurstracks zuwider. Diese weiss nichts +davon, sondern sie beschränkt sich merkwürdigerweise auf den Satz: Das +Abendmahl ist ein Freudenmahl, bei dem das darstellende Handeln Jesu in +keiner Weise irgendwie reproduziert wird. + +Die Antinomie ist also unlösbar. ~Eine doppelseitige Auffassung erklärt +die historische Feier nur in dem Masse, als sie die urchristliche +nicht erklärt und umgekehrt.~ Dieser Satz enthält das Grundresultat +der Untersuchung über die doppelseitigen Darstellungen. Infolge dessen +müssen sie auf die Lösung des Problems verzichten, da keine von ihnen, +und wäre sie noch so geistreich, über diese Antinomie hinauskommen kann. + +Letztere liegt eben in der bisherigen Problemstellung selbst begründet, +welche die urchristliche Feier als eine ~entsprechende Wiederholung~ +der historischen auffassen will. Nun ist aber das Wiederholte +der Geschichte zufolge dem Ursprünglichen gar nicht ähnlich. Die +historische Feier ist eine ~Ceremonie~ im Verlauf einer Mahlzeit, die +urchristliche ist nur eine ~gemeinsame Mahlzeit~ ohne entsprechende +Wiederholung der Ceremonie. Damit ist Antinomie unabweisbar gegeben. + +Nun steht aber fest, dass die urchristliche auf die historische +Feier zurückgeht. Also ist das Problem erst dann gelöst, wenn der +Zusammenhang beider erklärt wird, ohne dass deshalb die Gemeindefeier +irgendwie eine entsprechende Nachbildung der historischen ist. ~Die +urchristliche Abendmahlsfeier ist etwas Selbständiges.~ + + + + +Achtes Kapitel. + +=Die Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des +Darstellungsmoments.= + + +=1. Das Gefechtsfeld.= + +Die Darstellungen mit ausschliesslicher Betonung des Genussmoments +bedeuteten einen kühnen Vorstoss gegen die allgemein verbreitete +Auffassung, welche durch die Namen RÜCKERT, HOLTZMANN und LOBSTEIN +vertreten ist. Es konnte einen Augenblick scheinen, als hätte die +hergebrachte Ansicht durch diesen unerwarteten, geschlossenen Angriff +gegen die Deutung der Gleichnisse aus dem Handeln Jesu alle ihre +Positionen verloren. Jetzt aber, wo die Lage sich langsam klärt, zeigt +sich, dass dies nicht der Fall ist. + +Wohl mussten einige exponierte Stellungen von dem angegriffenen +Teil aufgegeben werden. Dafür hat er sich aber in eine Position +zurückgezogen, die als unüberwindbar gelten darf. Die Sache steht so, +dass der Angreifer darauf verzichten muss, ~diese befestigte Stellung +jemals zu erobern~, der Angegriffene aber auf absehbare Zeit nicht an +eine ~Aktion im freien Felde~ denken kann. + +Zu den aufgegebenen Positionen gehört vor allem die Stellung zur +Frage des Passahmahls. Während bis in die 70er und 80er Jahre das +letzte Mahl den Synoptikern entsprechend fast allgemein als Passahmahl +aufgefasst wurde, sucht man jetzt diese Frage aus dem Zusammenhang +mit der Gesamtauffassung herauszurücken. Man begnügt sich mit einer +vorsichtigen chronologischen Erwägung, ob das synoptische Datum +wahrscheinlich sei oder nicht. + +Aehnlich steht es mit dem Wiederholungsbefehl. Auch die Auffassungen +mit Zugrundelegung des Darstellungsmoments suchen sich von der +Notwendigkeit eines auf die Wiederholung hinweisenden Wortes frei zu +machen. + +Zugleich wird das Genussmoment im ganzen doch entschiedener +hervorgehoben als es bisher der Fall war. Es bleibt jedoch immer in +Abhängigkeit vom Darstellungsmoment und wird erst durch dasselbe +verständlich. + +Diese Verschiebungen in der Position kann man am besten in den +successiven Kundgebungen LOBSTEIN's und HOLTZMANN's verfolgen, soweit +sie die Abendmahlsfrage betreffen. Sie haben die Verteidigungsstellung +eingerichtet. + + +=2. Der Verteidigungsplan. P. W. Schmiedel.= + + Protestantische Monatshefte 1899: Die neuesten Ansichten über den + Ursprung des Abendmahls. + +Dem etwas forschen Vorgehen EICHHORN's gegenüber unternahm es SCHMIEDEL +darzuthun, wie die Sachen eigentlich liegen. Er zeigt zunächst, dass +die chronologischen Gründe gegen die Möglichkeit, dass das letzte Mahl +ein Passahmahl war, zusammengenommen allerdings einen grossen Eindruck +machen. Betrachtet man sie aber einen nach dem andern, so verlieren sie +bedeutend an Energie. Die Annahme, dass Jesus das gesetzliche Passah +feierte, ist also nicht von der Hand zu weisen, da die entschiedenen +Aussagen der Synoptiker den chronologischen Einwürfen wohl das +Gleichgewicht halten können. + +Ueberdies lässt sich der Passahgedanke in ansprechender Weise zur +Erklärung der historischen Feier heranziehen, wobei mit der Möglichkeit +zu rechnen ist, dass in Jesu Seele Passah- und Bundesgedanken +zusammenflossen. + +Was die Handlung betrifft, die er vorgenommen haben soll, ist +anzunehmen, dass das ~Bedeutsame~ mindestens in erster Linie das +Brechen des Brotes und ~das Ausgiessen des Weines aus dem Krug in den +Becher~ sei. Das Austeilen dieser Speisen zum Genuss schliesst sich +als etwas ~Zweites~ an. »~Um der Hauptsache willen wäre es nicht nötig +gewesen; aber da man einmal beim Mahle sass, war es naturgemäss.~« Es +dient demselben Zwecke wie das einem Bundesopfer oder dem Passahopfer +nachfolgende Mahl überhaupt, der gemeinsamen Aneignung und Pflege des +in dem Opfer vorkommenden Gedankens. + +Die Frage, ob der Wiederholungsbefehl historisch ist oder nicht, +bleibt hier in der Schwebe. Wäre er sicher überliefert, so wäre er +verständlich. Aber ebenso begreiflich ist es, dass Jesus an eine +Wiederholung nicht dachte. + +Der genialen Unbesonnenheit gegenüber ist ruhiges Abwägen absolut +notwendig. S. 148: »Wir müssen noch darauf aufmerksam machen, wie +dringend es sich empfiehlt, auf jeden dem unsrigen ähnlichen Versuch +wohlwollend einzugehen, wenn man nicht in ~unlösbare Schwierigkeiten~ +kommen will.« Der hohe Wert dieser Stellung beruht nämlich in der +Stütze, die sie in einer natürlichen Exegese unserer neutestamentlichen +Abendmahlsberichte findet. Durch seine Geltendmachung des +Darstellungsmoments kann SCHMIEDEL jeden einzelnen Zug der historischen +Situation, jeden durch die Exegese angedeuteten Nebengedanken in seiner +Gesamtauffassung unterbringen. Es ist gelungen, ~»die Möglichkeit, +dass Jesus eine der Beschreibung ungefähr entsprechende Feier wirklich +gehalten habe«, auf einen sehr hohen Grad der Wahrscheinlichkeit +zu bringen.~ Die Herleitung der Berichte aus der späteren +Gemeindetheologie, etwa gar mit Benutzung ausserchristlicher Analogien, +wird von selbst gegenstandslos. Jede derartige Konstruktion muss zuerst +den Nachweis erbringen, dass die von ihr behauptete Umbildung sich in +so kurzer Zeit nach Jesu Tod habe einbürgern können. + +~Damit erschöpft sich aber~ der Wert dieser Verteidigungsstellung: +sie verfügt über sicher schiessende, gut placierte Geschütze, die +aber nicht sehr weit tragen, sodass vor den Augen der Belagerten die +Reiterschwärme der Belagerer sich auf dem unbestrichenen Terrain +vergnügt und unbehelligt tummeln. Es ist nämlich unmöglich, dass jemals +eine mit der SCHMIEDEL'schen verwandte Auffassung erklären könne, wie +die von ihnen ~bis ins einzelne verstandene historische Feier~ im +Urchristentum, etwa noch gar ohne Annahme eines dahinzielenden Befehls +Jesu, ~wiederholt worden ist.~ Denn das Schwergewicht liegt ja für sie +in dem Handeln Jesu. Nun ist dieses Handeln Jesu in der urchristlichen +Feier gar nicht wiederholt worden, weil dies unmöglich ist. Der +Leidensgedanke fehlt ihr ja vollständig. Sie ist eine Mahlzeit, bei +welcher, so viel wir wissen, die Ceremonie der historischen Feier in +keiner Weise reproduziert wurde. Das Nebensächliche, das Essen, ist +also Hauptsache geworden und die Hauptsache ist in der wiederholten +Feier ganz zurückgetreten. + +Ausserhalb des schmalen, von den Festungsgeschützen beherrschten +Terrainstreifens ist also der geringste Reitertrupp des Angreifers +gegen die wohlbewaffnete, aber schwerfällige Besatzung im Vorteil, wenn +sie einen Ausfall wagen sollte. Jede kecke Konstruktion, von STRAUSS +bis auf EICHHORN, kann das Aufkommen und das Wesen der urchristlichen +Feier besser erklären, als die exegetisch gewissenhafte, aus den +Berichten destillierte Auffassung SCHMIEDEL's. Nur halte die erstere +sich ausser Bereich des exegetischen Verteidigungsfeuers, wenn sie +nicht durch den ersten Schuss ausser Gefecht gesetzt sein will. Fürwahr +ein merkwürdiger Kampf, wo es einen nicht Wunder nimmt, dass jeder als +Sieger thut, obwohl der andere unbesiegt ist. + + +=3. Die Offensive. Adolf Jülicher.= + + Zur Geschichte der Abendmahlsfeier in der ältesten Kirche. 1892. + (Theologische Abhandlungen, K. v. WEITZSÄCKER gewidmet.) + +JÜLICHER berührt sich am nächsten mit ZWINGLI, dessen Auffassung er +ins Moderne übersetzt, indem er auf die gegenwärtige Form der Fragen +Rücksicht nimmt. Es handelt sich um die einseitige Geltendmachung des +Darstellungsmoments. + +~Alle auf dem Genussmoment beruhenden Auffassungen legen Jesu moderne +Gedanken unter.~ Was er bei jenem Mahle zuletzt so besonders feierlich +sagte, muss für jeden Anwesenden unmittelbar verständlich gewesen +sein. Der Vergleichspunkt muss also in dem liegen, was er vor den +Augen der Jünger mit den Genusselementen vornimmt: in dem Brechen des +Brots und in dem Ausgiessen des Weins. Der Sinn der begleitenden Worte +bezieht sich auf den bevorstehenden Tod. »So wie dieser Wein alsbald +verschwunden sein wird, so wird alsbald mein Blut vergossen sein, +denn mein Tod ist eine beschlossene Sache; aber«, fügt er tröstend +hinzu, »es wird nicht umsonst vergossen, sondern »für viele« und — +ein bildlicher Ausdruck, der in dem Gedankenkreis des Passahtages lag +— als ein Bundesblut.« Nur den Gegenstand des Geniessens vergleicht +Jesus hier und dort mit seinem Leibe, ~auf das Geniessen reflektiert er +gar nicht.~ Höchstens insofern das Genussmoment aus dem vorhergehenden +darstellenden Moment irgend eine Bedeutung empfängt, kann man ihm +problematische Geltung zugestehen. So hatte die Feier ursprünglich +einen wehmütig schmerzlichen Charakter, welcher nur aus der Situation +begriffen werden kann. + +Nun lässt die älteste Ueberlieferung Jesum durch nichts andeuten, +dass er jene sinnvolle Handlung auch künftighin von seinen Gläubigen +vollzogen sehen möchte. Wie hat man aber dann in der Urkirche aus +dieser historischen Feier so schnell eine zu steter Wiederholung +bestimmte Handlung machen können? Zuerst war es wohl ein inneres +Bedürfnis. Passahgedanken und Abschiedserinnerungen wirkten mit. Bald +fand die Wiederholung im Zusammenhang mit jedem Mahle statt und es kam +die Vorstellung eines ausdrücklichen darauf hinzielenden Gebotes Jesu +auf. »~So weit es irgend ging, wollte man die Situation von ehedem +reproduzieren, nur dass man jetzt auf das zurückblickte, was damals +angekündigt werden sollte~« (S. 247). Diese Feier wurde nach dem ersten +Akt kurz das Brotbrechen genannt. Bei der Austeilung der sakramentalen +Elemente hat man wohl nicht von jeher die Deutungs- respektive +Einsetzungsworte des Herrn verbotenus wiederholt, denn sonst würde +deren Ueberlieferung nicht so viele Differenzen aufweisen. Nach I Kor +11 _26_ hat man dabei nie versäumt, den Tod des Herrn zu verkünden, +also immer wieder das erschütternde Ereignis sich vor Augen zu stellen +und seine Notwendigkeit, wie seine segensreichen Wirkungen zu erörtern; +~aber das geschah in freien Formen.~ + + +=4. Die Skepsis in den Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des +Darstellungsmoments.= + +Die Darstellung JÜLICHER's bedeutet für die Abendmahlsauffassungen +mit konsequenter Zugrundelegung des Darstellungsmomentes das, +was die Abhandlung EICHHORN's für die das Genussmoment zu Grunde +legenden Auffassungen war. Beide zeigen durch die Konsequenz ihres +Gedankenaufbaus, dass die alleinige Betonung des von ihnen zu Grunde +gelegten Moments notwendig zum Skeptizismus führt. Dies tritt bei +EICHHORN darin zu Tage, dass er die historische Feier, von der +urchristlichen Gemeindefeier aus betrachtet, nicht zu erklären vermag. +JÜLICHER kann die Gemeindefeier von der historischen Feier aus nicht +erklären. + +Er hat ganz Recht, wenn er sagt, dass die Zugrundelegung des +Genussmoments die Zuhülfenahme moderner Gedanken zur Erklärung der +historischen Worte Jesu fordere. Heisst es aber nicht ebenso sehr +moderne Gedanken auf vergangene Zeiten übertragen, ~wenn man sich die +urchristliche Feier als gewollte, möglichst genaue Reproduktion der +Situation von ehedem begreiflich machen will~? JÜLICHER's Auffassung +könnte die zwinglische Gemeindefeier erklären — und da fehlte ihm noch +der Wiederholungsbefehl — aber niemals die urchristliche religiöse +~Gemeindemahlzeit.~ + +Die Schwierigkeiten werden gerade durch seine scharfe und +logisch einheitliche Gesamtauffassung mit absoluter Deutlichkeit +herausgearbeitet. Er erlaubt sich nicht zwischen dem Abendmahl im +eigentlichen Sinne und der Gemeindemahlzeit zu unterscheiden. Mit +diesem Spielraum hatten die doppelseitigen Darstellungen aller +Schattierungen operiert und damit die grössten Schwierigkeiten +überwunden. ~Die ganze Gemeindefeier ist »Herrenmahlzeit«~ — so sagt +JÜLICHER und stimmt dabei mit niemand so vollkommen überein als mit +SPITTA und EICHHORN. + +Damit ist aber die Antinomie, welche zum Skeptizismus führt, notwendig +gegeben. Die Gemeindefeier, auf die JÜLICHER von seiner Auffassung +der historischen Feier aus kommt, ist eine Fiktion, welche der +wirklichen urchristlichen Mahlfeier geradezu widerspricht, da die +letztere »keine Reproduktion der Situation von ehedem« war. Wie die +Wiederholung aufgekommen, vermag er in keiner Weise darzuthun. »Dass +es zunächst wohl ein inneres Bedürfnis war, bei dem Passahgedanken und +Abschiedserinnerungen mitwirkten«: diese problematische und gewundene +Annahme erklärt für die Wiederholung gar nichts. + +Nun könnte JÜLICHER durch den Wiederholungsbefehl um die Schwierigkeit +herumkommen. Das erlaubt ihm aber sein exegetisches Gewissen nicht. +Obwohl er ihn absolut notwendig brauchte, verzichtet er darauf, +weil er durch die beiden ältesten Synoptiker nicht bezeugt ist. +Seine ansprechende Auffassung ist aus der exegetischen Betrachtung +der Berichte erwachsen. Gerade die Exegese beraubt ihn aber der +einzigen Möglichkeit, die Wiederholung der von ihm geschilderten +Feier im Urchristentum auch nur einigermassen begreiflich zu machen. +Die urchristliche Feier als Reproduktion der historischen Situation +ohne Wiederholungsbefehl ist einfach undenkbar. Also stehen wir +hier vor einer vollständigen Selbstauflösung. Um das Aufkommen der +urchristlichen Feier zu erklären, müsste JÜLICHER eine unabhängig von +den Berichten gegebene Thatsache postulieren — wie EICHHORN es thut, +um das Aufkommen des historischen Berichts fasslich zu machen. + +Die konsequente Geltendmachung des Darstellungsmoments führt also zu +derselben Skepsis, wie die einseitige Herausarbeitung des Genussmoments. + + + + +Neuntes Kapitel. + +=Die neue Problemstellung.= + + +=1. Das Ergebnis der Untersuchung.= + +Die Auffassungen mit einseitiger Betonung des Genussmoments können nur +die ~urchristliche~, nie die ~historische~ Feier erklären. + +Die Auffassungen mit einseitiger Betonung des Darstellungsmoments +können nur die ~historische~, nie die ~urchristliche~ Feier erklären. + +Die doppelseitigen Auffassungen können die ~historische~ Feier nur in +dem Masse erklären als sie die ~urchristliche~ nicht erklären, und +umgekehrt. + +Also vermag keine dieser Auffassungen das Abendmahlsproblem zu lösen, +da dieses gerade verlangt, ~dass beide Feiern in ihrem gegenseitigen +Zusammenhang begriffen werden!~ + +Durch diese Sätze werden nicht bloss die hier besonders analysierten +Auffassungen betroffen. Diese sind nur Typen für so und so viele +andere, die schon veröffentlicht worden sind oder noch im Zeitenschosse +schlummern. Vergangen oder zukünftig: alle werden sie durch die obigen +drei Sätze schon im Vorverfahren abgethan. Ehe sie überhaupt gehört +werden können, müssen sie zuerst nachweisen, dass sie etwas anderes +sind als eine neue Kombination von Darstellungs- und Genussmoment. +Können sie das nicht, so sind sie von vornherein abgewiesen, denn +dann vermögen sie das Problem nicht zu lösen. Es kommt ja nicht auf +ihr bestimmtes Gepräge oder auf die Art, wie sie sich historisch und +exegetisch darstellen, an, ~sondern nur auf das Verhältnis, in dem das +Darstellungs- und das Genussmoment darin zu einander stehen.~ Alles +andere ist Beiwerk. + +Jede Auffassung ist durch die Formel bedingt, welche das von +ihr angenommene Verhältnis des Darstellungs- zum Genussmoment +ausdrückt. Damit ist ja ihre Stellung zu den Einzelfragen — dem +Wiederholungsbefehl, der Deutung der Gleichnisse, der Form der +angenommenen urchristlichen Feier u.s.w. — entschieden. ~Man kann +sie danach geradezu ausrechnen.~ Was die Verfasser dann noch von dem +Ihrigen an geistreichen Einfällen, exegetischen Funden und genialen +Inkonsequenzen hinzuthun, das ist alles ohne Belang. Ohne dass sie es +wissen, folgen sie ja einem inneren Zwang. Weil sie ~müssen~, nehmen +sie die schwersten exegetischen Hindernisse! Weil sie ~nicht anders +können~, übersehen sie schwerwiegende historische Fragen! Weil sie die +Verschnörkelungen am Erker nach freiem Bedünken entwerfen dürfen, sind +sie — und die andern mit ihnen — geneigt zu vergessen, dass ihnen der +Grundriss des Baues aufgegeben ist. + +Unter den gegebenen Voraussetzungen gibt es keine neuen +Abendmahlsauffassungen mehr. Ob auch eine aus einer exegetischen +oder historischen Beobachtung hervorwächst, kann sie im Grunde doch +nichts anderes sein, ~als die Wiederholung oder Modifizierung einer +schon vorhandenen, nämlich der, mit welcher sie die Formel über das +Verhältnis der beiden Momente gemein hat.~ Wollte man sich die Mühe +geben, den Stammbaum der vorhandenen Auffassungen aufzustellen, so +würde es nicht schwer halten, jeder ihre Vorfahren zu entdecken. + +Die Darstellungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments +sind nur die wissenschaftlich-historische Reproduktion der +altgriechischen Auffassung. + +ZWINGLI hat die römische Theorie rationalisiert und ist von JÜLICHER +ins modern-geschichtliche übertragen worden. + +Die doppelseitigen Auffassungen geben die Vermittlungsversuche +zwischen der Messe und dem griechischen Mysterium und diejenigen der +Reformationszeit in historischer Form wieder. Man kann also ruhig +sagen, dass alle möglichen Kombinationen der beiden Momente schon +erschöpft sind. + +Mit »neuen Auffassungen« ist also nichts gethan; neu daran ist immer +nur der Einfall, nie die Formel — ~und auf letztere kommt es allein +an.~ Darum führt die Detailauseinandersetzung mit einer solchen neuen +Auffassung zu gar nichts. Das für »richtig« und das für »falsch« +Befundene hängen ja gesetzmässig zusammen: eins ist nur insofern +richtig, als das andere falsch ist. + +Daran liegt es, dass Arbeiten in der Art, wie sie RUD. SCHÄFER, +CLEMEN[11] und SCHMIEDEL zu den neuesten Aufstellungen geliefert haben, +trotz aller abwägenden Gewissenhaftigkeit die Forschung nicht in dem +Masse des aufgewandten Scharfsinns vorwärts bringen. Aus dem, was sie +anerkennen, lässt sich keine neue Auffassung zusammenbauen, und das, +was sie auszusetzen haben, reicht nicht hin, die andere zu verwerfen, +wenn man nichts Besseres an die Stelle zu setzen hat. + +Diejenigen, welche unter den gegebenen Verhältnissen neue +Abendmahlsauffassungen aufstellen, rechnen ein Exempel, das bisher nie +hat wollen aufgehen, zum so und sovielten Male durch. Ihre Kritiker +rechnen das Exempel zum so und sovielten Male nach. Auf geht es aber +darum doch nicht. + +~Es kann nie aufgehen.~ Darum nützt es nichts, immer mit Eifer und +Sammlung von vorn anzufangen. Man muss den Fehler nicht in der +Rechnung, sondern im Ansatz suchen. Die bisherigen Auffassungen +bringen es nicht über dialektische Behauptungen hinaus, welche als +Ganzes aus den geschichtlichen Thatsachen weder zu beweisen noch zu +widerlegen sind. + +~Es gilt also sich von der bisherigen Problemstellung loszumachen.~ + +~Wo liegt der Grund des Metaphysischen in der Abendmahlsfrage?~ + + +=2. Der neue Weg.= + +Bisher galt der Satz: Um das Abendmahl zu erklären, muss man von der +Deutung der Gleichnisse ~ausgehen~, denn diese konstituieren das Wesen +der Feier. So suchte man sie aus dem Genuss, oder aus dem Handeln, oder +aus beiden zusammen zu deuten — und, wenn man eine plausible Erklärung +gefunden hatte, glaubte man den Schlüssel zum Abendmahl zu besitzen. + +Nun gilt es aber zwei Thüren zu öffnen: der betreffende Schlüssel passt +aber jedesmal nur zu einer. Angenommen SPITTA und die andern deuten die +Gleichnisse richtig auf das Urchristentum: der historischen Situation +entspricht aber ihre Erklärung nicht. Angenommen JÜLICHER und die +andern deuten sie richtig aus der historischen Situation: im Sinne des +Urchristentums ist aber ihre Erklärung nicht, denn dort kommt in keiner +Weise zum Ausdruck, dass die Handlung Jesu den Tod versinnbildlichte. + +Man hat aber allen Grund zu fragen, ob die Gleichnisse aus der sie +begleitenden Handlung ~so ohne weiteres~ deutbar sind. Alle Erklärungen +werden ja auf Umwegen erreicht! Wieso soll das Brechen des Brots die +Kreuzigung des Leibes anzeigen? Ist diese Erklärung etwa deswegen +einleuchtender, weil es die einzige ist, welche die begleitende +Handlung offen lässt? Wer sagt uns, dass es die Jünger so verstanden +haben können? In der urchristlichen und altchristlichen Epoche, ja +eigentlich bis auf ZWINGLI weiss kein Mensch etwas von dieser Deutung. + +Mit dem Wort über dem Kelch steht es noch schlimmer. Hier muss man +nämlich, um dem Gleichnis einen Sinn abzugewinnen, den Vergleichspunkt +zur Handlung ~geradezu hinzuerfinden.~ Berichtet ist nur das +~Herumreichen~ des Kelches. Dieses ist aber für das »~Vergiessen +des Blutes~« nicht charakteristisch. Das einzig Erträgliche wäre +das »~Ausgiessen in den Kelch~«. ~Obwohl nun diese Handlung in +keinem Berichte erwähnt ist~, haben es alle exegetischen Deutungen, +welche auf dem Darstellungsmoment beruhen, mit dem »~Ausgiessen~« +des Weines in den Kelch zu thun. Aus der inneren Zwangslage heraus +schaffen sie frei ein ~Analogon zum Brotbrechen~, ohne sich darüber zu +rechtfertigen, wie sie dazu kommen, die Situation in unerlaubter Weise +zu bereichern. + +Wo steht denn geschrieben, dass Jesus den Wein in den Kelch vor den +Augen der Jünger bedeutungsvoll eingoss, wie er das Brot brach? +Nirgends! Also beruht die exegetische Deutung des zweiten Gleichnisses +~auf reiner Erfindung.~ + +Gestehen wir es offen ein: es fehlt uns jegliche Anleitung zu einer +natürlichen Deutung der Gleichnisse. Ueber Künstelei haben wir es +dabei nicht hinausgebracht. Unser Schlüssel ist nur ein schlechter +Nachschlüssel: er passt zur Not in das eine Schloss, aber nicht in +beide. ~Und aus dieser Notdeutung der Gleichnisse wollen wir die ganze +historische und urchristliche Mahlfeier erklären!~ + +Wenn man in dieser Notlage einmal den noch einzig möglichen Ausweg ins +Auge fasste! Es geht nicht an, ~die Feier durch die Gleichnisse zu +erklären.~ Versuchen wir es mit dem umgekehrten Verfahren, nämlich ~die +Gleichnisse aus der Feier zu erklären~! + +Freilich, am Anfang scheint das nur das letzte verzweifelte Rütteln an +der verschlossenen Thür. Aber überlegen wir die Sache einmal ruhig. + +Beim Abendmahl handelt es sich um die Austeilung von Seiten Jesu, um +den Genuss von Seiten der Jünger und um zwei Gleichnisse, welche mit +dem Vorgang ~zusammenfallen.~ Ich sage ~zusammenfallen~! In einer +~Situation~ können Handlungen und Reden zeitlich zusammenfallen, +während sie in dem Bericht nur in zeitlicher Folge geschildert +werden können, weil die Worte jedes Nebeneinander notwendig in eine +Aufeinanderfolge auseinanderlegen. + +So halten unsere Berichte die Reihenfolge: Austeilung, Gleichnis, +Genuss inne, als hätte Jesus zuerst symbolisch gehandelt, dann +ausgeteilt, dann das erklärende Gleichnis gesprochen, worauf zuletzt +die Jünger verständnisvoll gegessen hätten. + +Versucht man es aber einmal, sich den berichteten Vorgang als Scene +vorzustellen, so merkt man bald, ~dass die säuberliche chronologische +Folge stark illusorisch wird.~ Man denke sich die 12 Menschen, +die wie auf eine innere Verabredung hin mit dem Essen des ihnen +zugeteilten Stückes warten, bis Jesus das Gleichniswort gesprochen! Wie +unnatürlich, ja unmöglich diese Scene in der gedachten chronologischen +Folge der Handlungen ist, kann man in Oberammergau sehen, wenn sie ins +Leben übersetzt wird! Es lässt sich kaum etwas Unnatürlicheres und +Geschraubteres denken. + +Für den, welcher eine berichtete Situation mit dem Blick des Malers in +der Wirklichkeit zu schauen vermag, bleiben nur zwei Möglichkeiten. +Entweder hat Jesus jedem Einzelnen das Brot zugeteilt und dabei +für jeden Einzelnen das Gleichniswort wiederholt: dann ist die +chronologische Folge so haltbar. Oder aber, wie feststeht, er hat allen +zusammen Brot ausgeteilt und das Gleichniswort nur einmal gesprochen: +dann ist die chronologische Folge, mit der wir bisher operierten, +illusorisch geworden. Sie besagt dann nur, dass Jesus im Verlauf der +Austeilung des Brotes und während des Herumreichens des Bechers die +Gleichnisworte vom Leib und vom Blut gesprochen! ~Ob zu Anfang, in der +Mitte oder zu Ende, ob vor, während oder nach dem Essen und Trinken: +das ist nicht auszumachen.~ Unsere Berichte geben uns darüber keinen +Aufschluss. + +Aus der angenommenen ~chronologischen~ Folge haben die bisherigen +Auffassungen ohne weiteres eine ~causale~ gemacht. Man sagte: Die +Austeilung und das dabei vorkommende Brechen und Ausgiessen begründet +das Gleichnis, das Gleichnis soll den Jüngern die Bedeutung des +Genusses erklären, und die Bedeutung des Genusses macht das Wesen der +Feier aus. + +Aus einer angenommenen zeitlichen Folge eine causale zu machen, das ist +ein Fehler, den das menschliche Denken trotz aller Warnungen immer und +immer wieder macht und sich dadurch die grössten Probleme schafft. + +~Nun zeigt die Geschichte, dass gerade diese angenommene causale Folge +das Abendmahlsproblem unlösbar macht.~ Andererseits beschränkt sich +unsere Kenntnis von der Situation darauf, dass Jesus im Verlauf der +Austeilung die Gleichnisse gesprochen hat. Also machen wir uns von dem +Vorurteil los, als ob die Gleichnisse die Feier konstituierten, und +fassen das Problem so, ~dass die Feier die Gleichnisse erklärt.~ Anders +ausgedrückt: Man meinte bisher, dass Jesus die Jünger aufforderte, das +dargereichte Brot und den herumgereichten Wein zu geniessen, ~weil er +sie als seinen Leib und sein Blut bezeichnet hatte~ (wobei freilich +niemand sagen kann, in welchem Sinne sie mit Brot und Wein seinen Leib +und sein Blut assen und tranken). + +Wir aber gehen jetzt davon aus, dass Jesus von dem Brot und dem Wein, +die seine Jünger auf seine Darreichung hin genossen, sagt, sie wären +sein Leib und sein Blut, ~gerade im Hinblick darauf, dass sie es auf +seine Darreichung hin geniessen~! Sie essen also nicht seinen Leib und +trinken nicht sein Blut, sondern, ~weil sie jenes Brot essen und jenen +Wein trinken~, sagt er, es ~sei sein Leib und sein Blut~! Das Gleichnis +konstituiert also die Feier nicht, sondern es erwächst aus ihr! + +Die Feier ist selbständig! Sie besteht darin, dass Jesus unter +Danksagung seinen Jüngern das Brot bricht und den Kelch herumreicht und +sie davon geniessen. Zum Wesen der Feier gehören die Gleichnisse nicht, +sondern Jesus spricht in diesen geheimnisvollen Worten die Bedeutung +aus, welche die Feier für ~ihn~ hat! + +Diese zweite Eventualität liegt gerade so gut in den Berichten wie +die erste. Nur ging man immer an ihr vorüber, weil die chronologische +Folge der Handlungen in der schriftstellerischen Darstellung die +Aufmerksamkeit ganz für die erste gefangen nahm. + +Nun ist aber logisch festgestellt, dass die bisherige Annahme das +Problem vollständig unlösbar macht. Also muss man es notgedrungen mit +der zweiten probieren. + +Ueberdies spricht die Geschichte gerade für die zweite. Es steht fest, +dass die Leidensgleichnisse in der urchristlichen Feier ~keine Rolle~ +spielten. Sie wurden im Verlauf der Feier in keiner Weise reproduziert! +Dafür sprechen Didache und Paulus, denn wenn sie aus dem alltäglichen +Verlauf der Feier bekannt gewesen wären, bliebe I Kor 11 _23_ +unverständlich, da hier dann etwas Bekanntes in geheimnisthuerischer +Weise wiederholt würde! Es stand also im Urchristentum so: Man wusste +wohl, dass diese Gleichnisse bei der historischen Feier gesprochen +worden waren, die Gemeindefeier leitete sich von dieser historischen +Feier ab: ~aber doch fühlte man kein Bedürfnis, die historischen +Gleichnisse Jesu dabei irgendwie zu reproduzieren. Also war die +historische Feier, sofern sie sich in der Gemeindefeier fortsetzte, +von den Gleichnissen unabhängig~, da man sonst auch die Gleichnisse +wiederholt hätte. Das ist durch die Geschichte bezeugt. + +Darum hat es das Abendmahlsproblem gar nicht mehr mit den beiden +unmöglichen Fragen zu thun, wieso Jesus seinen Jüngern seinen Leib zu +essen und sein Blut zu trinken gegeben habe und wie sie diese Feier +später in entsprechender Weise reproduzierten, sondern das Problem +selbst ist ein ganz anderes. Es heisst nicht mehr: ~Was bedeuten die +Gleichnisse~, damit wir die Feier erklären können? sondern: ~Was +bedeutete die Feier~, damit wir die ~Gleichnisse~ erklären können. + +~In welchem Sinne war die Austeilung von Brot und Wein beim letzten +Mahl ein so überaus feierlicher Akt, der sich auf Jesu Tod bezog?~ — +von dieser Frage hat die Untersuchung auszugehen, indem sie die +Gleichnisse vorerst ganz bei Seite lässt. Es ist der einzige Weg zur +Lösung des Problems. + + +Fussnoten: + +[11] Der Ursprung des heil. Abendmahls von Lic. Dr. KARL CLEMEN. 1898. +Hefte zur christl. Welt No. 37. + + + + +Zweiter Teil. + +=Das Abendmahlsproblem auf Grund der historischen Berichte.= + + + + +Zehntes Kapitel. + +=Die textkritischen Fragen.= + + +=1. Cod. D. Die textkritische Hauptfrage.= + +Es handelt sich um den Lukasbericht (Lk 22 _15-20_). In der +gewöhnlichen Fassung zeigt er ein eigentümliches Gepräge. Er bietet +zunächst ein Wort über den Passahgenuss in dem zukünftigen Reiche. +Darauf folgt ein ähnliches Wort, den Becher betreffend, welches mit +dem synoptisch-eschatologischen Schlusswort nach Markus und Matthäus +übereinstimmt. Nachdem so gleichsam ein erster Redegang über das Essen +und Trinken abgeschlossen ist, kommt das Wort über dem gebrochenen +Brot und über dem Wein als Bundesblut; bei letzterem fehlt dann das +bei den beiden älteren Synoptikern den zweiten Akt beschliessende +eschatologische Schlusswort. + +Wir haben also eine merkwürdige Doppelheit: zwei Worte das Essen, und +zwei den Kelch betreffend. Von den beiden auf das Essen bezogenen +Worten handelt nur das zweite von dem Genuss des Brots, während das +erste vom Passah allgemein redet. Die Doppelheit ist also hier nicht so +auffällig, wie in den beiden das Trinken betreffenden Worten, welche +sich beide auf den Kelch beziehen. Das zweite nimmt sich wie ein +Nachtrag zum ersten aus, da es ohne das eschatologische Schlusswort +steht, die Aufforderung zum Genuss nicht enthält und überhaupt in +dieser Form der Feier keinen abrundenden Abschluss gibt, wie es das +altsynoptische Kelchwort thut. + +Als daher diese eigentümliche Doppelheit in dem Lukasbericht auffiel, +war die natürlichste Korrektur schon gegeben: das zweite Kelchwort, +da die Aufforderung zum Genuss schon im ersten enthalten schien, +zu streichen, dagegen das zweite Wort über dem Brot, das in seiner +spezifischen Eigenschaft vorher nicht erwähnt war, zu belassen, weil +es die Aufforderung zum Genuss enthält. Es ist die Korrektur von Cod. +D.[12] Er schliesst mit den Worten: τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου (V. _19ª_). + +Entschliesst man sich einmal zu diesem so natürlichen Abstrich, so +liegt gar kein Grund mehr vor, das Kelchwort mit seiner Aufforderung +zum Trinken sich zwischen die beiden auf das Essen bezogenen Aussagen +eindrängen zu lassen und sie unnatürlich auseinanderzureissen; man +moduliert nach der ursprünglichen synoptischen Harmonie zurück, sodass +das eschatologische Schlusswort beim Kelch wieder ans Ende kommt. Tritt +dementsprechend V. _17_ und _18_ hinter _19ª_, so erhält man einen +Bericht, der sich von dem gewöhnlichen nur dadurch unterscheidet, +dass er vor dem Brotwort ein Wort über das Passah bringt, welches dem +eschatologischen Schlusswort über dem Kelch nachgebildet ist. Dieses +Verfahren findet sich bei b c.[13] + +~Die Entstehung des Abendmahlsberichtes des Cod. D. beruht auf +Reflexion.~ Ueberhaupt bricht sich die Ueberzeugung immer mehr +Bahn, dass seine Abweichungen durchweg diesen Charakter tragen. +Eine originelle Vorstellung der historischen Feier schwebt dieser +Berichtform gar nicht vor. Daher betrifft die Grundfrage der Textform +des Lukas gar nicht Cod. D, sondern die gewöhnliche Lesart. Wie kommt +Lukas dazu, den Bericht ~so ins Doppelte sich spiegeln zu lassen~, +dass der Versuch, diese Doppelheit als auf ein Versehen zurückgehend +zu korrigieren, sich in Cod. D notwendig einstellen musste? Diese +Frage ist aber gar keine textkritische mehr, sondern sie hängt mit +der Entwicklung der Feier im Urchristentum und der damit gegebenen +Verschiebung des Bildes des historischen Mahles zusammen.[14] + + +=2. Abweichende Lesarten.= + +Die Frage, ob in den einzelnen Fällen εὐλογήσας oder εὐχαριστήσας +zu lesen ist, hat keine Bedeutung. Die beiden älteren Synoptiker +gebrauchen den ersteren, Paulus, Lukas und Justin den letzteren +Ausdruck. + +Der Grund der verschiedenen Lesarten in Mt 26 _26_ ist leicht +einzusehen. Partizipien und erzählende Verben häufen sich in einer +Weise, dass man in keinem Falle eine schwerfällige und ungriechische +Konstruktion vermeiden kann. Ob man nun liest: λαβὼν ὁ Ἰησοῦς ἄρτον καὶ +εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ δοὺς τοῖς μαθηταῖς καὶ εἶπεν,[15] oder ob man +eines der Partizipien auflöst und die Lesart erhält: λαβὼν ὁ Ἰησοῦς +ἄρτον καὶ εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ ἐδίδου τοῖς μαθηταῖς καὶ εἶπεν[16] +bleibt sich gleich. Der Satz ist in jedem Falle formlos, weil er eine +Häufung von Handlungen auf einen Moment enthält, deren zeitlicher und +logischer Zusammenhang sich sprachlich gar nicht wiedergeben lässt. Die +Varianten beruhen auf der empfundenen darstellerischen Schwierigkeit, +die jeder auf eine andere Weise zu überwinden suchte. + +Bei Markus treten die stilistischen Schwierigkeiten nicht so sehr +hervor. Er vermeidet nämlich die namentliche Nennung des Spenders +und der Empfänger, wodurch die matthäische Konstruktion so besonders +ungelenk wird. + +Der paulinische und der justinische Bericht sind von dieser +Schwierigkeit befreit: sie vereinfachen die Situation, indem sie die +Darreichung (ἔδωκεν) und die Aufforderung zum Genuss (λάβετε) auslassen. + +Das φάγετε in Mk 14 _22_[17] ist naive matthäische Nachbildung. Die +alten Zeugen bieten nur λάβετε. + +Der Zusatz καινῆς, den einige Lesarten bei dem Wort über dem Becher in +Mk 14 _24_[18] bieten, beruht auf naiver Nachbildung der paulinischen +Version. + + +=3. Das Ergebnis der Textkritik.= + +Die Verschiedenheit der Lesarten ist nicht darin begründet, dass +die eine mit ihren Wurzeln historisch höher hinaufreicht als die +andere. Sie gehen zum Teil aus der Schwierigkeit hervor, welche die +betreffenden Auffassungen haben, sich ~stilistisch darzustellen.~ +Zum Teil entspringen sie der Tendenz, die Berichte einander +~gleichzubilden.~ Dazu war es aber schon zu spät: die verschiedenen +Typen hatten schon eine zu scharfe historische Ausprägung erhalten, +als dass es den nachbessernden Versuchen hätte gelingen können, den +Einheitstypus herzustellen, an dem die vorhergehende geschichtliche +Epoche sich vergebens abgearbeitet hatte. + +Den letzten Versuch dieser Gleichbildung bietet der textus receptus, +sofern er den ersten Akt bei Paulus nach Analogie mit dem matthäischen +darstellt und dadurch eine Aufforderung zum Genuss einträgt (nehmet, +esset), die in I Kor 11 _24_ ursprünglich fehlt. + +Die Aufgabe der Textkritik in der Abendmahlsfrage besteht darin, dass +sie jeden der Berichte in seiner charakteristischen Eigentümlichkeit +darstellt, indem sie ihn von den Spuren der versuchten litterarischen +Gleichbildung mit andern befreit. Diese Aufgabe, so bescheiden sie +scheint, ist von eminenter Tragweite. ~Hätte sich die Gleichbildung der +Berichte wirklich durchgesetzt, so wäre das Abendmahlsproblem unlösbar.~ + + +Fussnoten: + +[12] D, a, ff². Die Ausgabe von WESTCOTT und HORT hat diese Lesart +adoptiert. + +[13] In derselben Absicht lässt syr^{cu} Vers _20_ aus und setzt dafür +Vers _17_ und _18_ ein. + +[14] Eine eingehende Darlegung der Textfragen, welche den Lukasbericht +betreffen, findet sich in der Abhandlung von ERICH HAUPT. + +[15] So א (sed δούς ex ἐδίδου korrigiert ab אª) BDLZ. + +[16] ΑϹΓΔ. + +[17] Mk 14 _22_: zu λάβετε zugesetzt φάγετε (EFHM²). + +[18] Mk 14 _24_: τῆς διαθήκης (אBCDL). + + + + +Elftes Kapitel. + +=Die Eigenart des Markusberichts= (Mk 14 _22-26_). + + +Der erste Akt besteht einzig darin, dass Jesus unter Gebet das Brot +bricht und es herumreicht; zugleich spricht er das Gleichniswort von +seinem Leib. Es fehlt, wie bei Matthäus, das uns aus Paulus gewohnte +ὑπὲρ ὑμῶν und über Matthäus hinaus das φάγετε. + +Ist so im ersten Akt die ~Aufforderung zum Genuss~ in Hinsicht auf das +Gleichnis nicht ausdrücklich ausgesprochen, ~so fehlt sie im zweiten +vollständig.~ Es wird zuerst berichtet, dass Jesus allen den Kelch nach +dem Gebetswort herumgereicht habe und alle daraus getrunken haben (Mk +14 _23_). ~Darauf erst~ spricht er das Gleichniswort von dem für viele +vergossenen Blut (Mk 14 24). + +BRUNO BAUER war meines Wissens der erste, der darauf hingewiesen, dass +Markus statt der Aufforderung zum Trinken die ~Konstatierung~ bietet, +dass alle getrunken haben. Er sieht darin nur eine Abschwächung gegen +Matthäus, da Markus sich scheue, die Aufforderung Jesu in vollem Umfang +aufrecht zu erhalten. + +Dabei hat aber BRUNO BAUER nicht bemerkt, dass mit dieser Konstatierung +auch die gewöhnliche chronologische Folge vom Gleichnis zum Genuss +sich verschiebt, wodurch zugleich das uns geläufige kausale Verhältnis +zwischen Gleichnis und Genuss aufgehoben wird. Diesem Bericht zufolge +ist es unmöglich, dass Jesus oder die Jünger die Bedeutung des Trinkens +~aus dem Gleichnis herleiten~, weil dieses ja erst ~auf das Trinken +folgt~! + +Zu beachten ist ferner, wie das weihevoll (ἀμήν) und nachdrücklich +gesprochene eschatologische Schlusswort von dem Neutrinken in dem Reich +des Vaters sich eng an das Gleichniswort anschliesst! Es bildet den +Höhepunkt der Feier (V. _25_), worauf alsbald der Aufbruch erfolgt. + +~Diese eigenartigen Züge des Markusberichts sind bisher nicht +herausgearbeitet worden.~ Man hat ihn einfach nach den andern gedeutet. +Alle Berichte, so nahm man ohne weiteres an, bieten dieselbe Thatsache. +Beim letzten Mahl hat Jesus den Jüngern Brot und Wein so dargereicht, +dass sie die Elemente irgendwie als seinen Leib und sein Blut assen und +tranken. Das Fehlen des φάγετε bei Markus erklärte man daraus, dass +es sich von selbst verstehe. Die Eigentümlichkeit des zweiten Akts hob +man nicht einmal hervor, weil man sie — ohne sich davon Rechenschaft +zu geben — nach Matthäus und den andern interpretierte. + +Diese Annahme, dass der Markusbericht im Grunde dasselbe besage wie +die andern, ist ~eine der unbewiesenen Voraussetzungen~, mit denen die +bisherigen Abendmahlsauffassungen operierten. Wenn wir nämlich nur den +Markusbericht hätten, käme niemand auf den Gedanken, dass Jesus seinen +Jüngern Brot und Wein als seinen Leib und sein Blut ausgeteilt und sie +zum Genuss in diesem Sinne aufgefordert habe. Man würde die zeitliche +Folge im ersten Akt nach der des zweiten auffassen und als Thatbestand +feststellen, dass Jesus ~im Verlauf der Austeilung des Brotes das +Gleichnis von seinem Leib und =nach= der Herumreichung des Bechers +das Gleichnis von seinem Blut gesprochen habe.~ Wenn wir aber einen +Bericht haben, wo Jesus dem strikten Wortlaut zufolge weder seinen +Leib noch sein Blut zum Genuss ausgeteilt hat, so dürfen wir ihn nicht, +als handle es sich um eine gewisse Nachlässigkeit und Sparsamkeit im +Ausdruck, nach den andern auslegen, sondern wir müssen ihn mit ihnen +vergleichen und eine Auseinandersetzung herbeiführen. Daraus ergibt +sich dann die Tragweite der Abweichungen. Entweder handelt es sich +um eine absolut ~unverständliche Schilderung~, die man, weil sie mit +dem feststehenden Thatbestand absolut keine Verwandtschaft hat, als +Kuriosum nicht weiter zu beachten braucht, oder — ~wir haben den +authentischen Bericht vor uns, von dem die Untersuchung ausgehen muss.~ +Diese Alternative ist nicht zu umgehen, sobald man sich die Eigenart +des Markusberichts klar gemacht hat. + + + + +Zwölftes Kapitel. + +=Der Vergleich der Berichte.= + + +=1. Das Prinzip der Gleichbildung.= + +Aeusserlich betrachtet zeigt sich die Eigenart des Markusberichts +darin, dass die beiden Akte an Umfang und Gesichtspunkten verschieden +sind. Der erste ist ganz kurz; er beschränkt sich auf das Gebetswort, +das Brechen zum Austeilen und die Gleichnisrede; der zweite enthält +das Gebetswort, die Austeilung, die Erwähnung des Genusses, die +Gleichnisrede, den Hinweis auf die Heilsbedeutung des Todes und +das eschatologische Schlusswort. Der Vergleich zeigt, dass bei +den andern Berichten die beiden Akte in steigendem Masse einander +~gleichgebildet werden~, sowohl dem Umfang nach, als auch hinsichtlich +der Gesichtspunkte, die sie enthalten. Wir erhalten zwei Parallelakte, +indem die Handlungen und Worte beim Wein genau denen beim Brot +entsprechen. + +Diese Gleichbildung erfolgt entweder so, dass die Momente des zweiten +Akts in den ersten eingetragen werden (Matthäus, Paulus, Lukas), oder +so, dass der zweite Akt nach Analogie des ersten zusammengezogen wird +(Justin). + + +=2. Der matthäische Bericht= (Mt 26 _26-29_). + +Matthäus befindet sich auf dem Wege zur Gleichbildung. Durch das φάγετε +ist die ausdrückliche Erwähnung des Genussmoments in den ersten Akt +aufgenommen. Da im zweiten an Stelle der Konstatierung ebenfalls die +Aufforderung zum Genuss getreten ist, so entsprechen sich beide Akte +in diesem Punkte vollkommen. λάβετε, φάγετε· τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου. +πίετε ἐξ αὐτοῦ πάντες· τοῦτο γάρ ἐστιν τὸ αἷμά μου. Die Gleichbildung +ist aber noch nicht vollständig vollzogen. Dem ersten Akt fehlt ein dem +Wort über die Bedeutung des vergossenen Bluts entsprechender Hinweis +(τὸ περὶ πολλῶν). Auch das eschatologische Wort, welches das Gleichnis +über dem Wein beschliesst, ist beim Brot noch nicht vertreten. + +Zudem zeigt das im zweiten Akt stehen gebliebene πάντες, dass hier +eine Konstatierung in eine Aufforderung umgesetzt worden ist. Bei +der Konstatierung muss ja notwendig erwähnt werden, dass sie alle +davon getrunken haben. Bei der Aufforderung aber ist das πάντες +selbstverständlich, oder — wenn es die Weihe der Aufforderung +nachdrücklich hervorheben soll — wie kann es dann beim Brot fehlen? +Hier wäre es wirklich gefordert, da Jesus nicht ohne weiteres annehmen +kann, dass alle das Stückchen Brot, das er ihnen darbietet, auch +wirklich essen, während er dem Herumgehen des Kelches mit dem Auge +folgt. Bei Paulus, Lukas und Justin ist dann das πάντες, als nicht mehr +von Belang, auch wirklich ausgefallen. + +Die Verbindung des eschatologischen Schlussworts mit dem Kelchwort nach +rückwärts, dem Aufbruch zum Leidensweg nach vorwärts ist bei Matthäus +noch gewahrt. Jedoch ist es mit dem Kelchwort nicht mehr durch das +gewaltige ἀμήν in Steigerung verbunden, so dass es, wie bei Markus, den +~Höhepunkt~ der ganzen Feier bildet, sondern es ist nur mehr eine mit +δέ ~beigeordnete Schlussbemerkung~ (Markus ἀμήν λέγω ὑμῖν, Matthäus +λέγω δέ ὑμῖν). + +So befindet sich die Gleichbildung bei Matthäus noch im Fluss. Bei +Paulus ist sie schon viel weiter fortgeschritten. + + +=3. Der paulinische Bericht= (I Kor 11 _23-26_). + +Hinter jedem Akt ist abschliessend angefügt: τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν +ἐμὴν ἀνάμνησιν. Durch Uebernahme eines auf die Bedeutung des Todes +hinweisenden Worts (τὸ ὑπὲρ ὑμῶν) gleicht sich der erste Akt dem +zweiten an. Nur das ἔκλασεν hat keine Parallele. + +Bei Markus und Matthäus beschloss das Wort von der Wiedervereinigung +beim Mahl im zukünftigen Reich den Spruch über dem Becher. Nur +scheinbar ist es bei Paulus ausgefallen. Er setzt es vielmehr als +Abschluss ~bei beiden Akten voraus:~ ὁσάκις γὰρ ἐὰν ἐσθίητε τόν ἄρτον +τοῦτον καὶ τὸ ποτήριον πίνητε, τὸν θάνατον τοῦ κυρίου καταγγέλλετε, +ἄχρι οὗ ἔλθῃ (V. _26_). + +~Bis dass er kommt~ — darin liegt die Erwartung des Kommens des Herrn +und des Anbruchs des Reiches. Dies darf man für die Erklärung des τοῦτο +ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν nicht ausser Acht lassen. Danach ist +die ἀνάμνησις doppelseitig: nach rückwärts eine Erinnerung an den Tod +Jesu, nach vorwärts ein Gedenken an seine Parusie. Die Feier gilt dem +Gekreuzigten, der als Messias bei seiner Ankunft offenbart werden wird, +als welcher er schon jetzt durch die Auferstehung zur Rechten Gottes +erhöht ist. + +Bedenkt man nun, dass die historische Relation des eschatologischen +Schlussworts im zweiten Akt abgefallen ist, dass aber nach der +Vorstellung Pauli beide Akte mit der Erwartung der Parusie in +Zusammenhang stehen, so liegt es nahe, in dem τοῦτο ποιεῖτε, als +Konstatierung oder als Wiederholungsbefehl gefasst, ~die paulinische +Form des beiden Akten beigesetzten eschatologischen Schlussworts zu +sehen.~ + +Für den ersten Akt ist dies eine künstliche Angliederung, da historisch +dieser Hinweis nur mit dem Kelchwort in Beziehung steht, wo der +Genuss konstatiert ist; der erste Akt mit seinem ἔκλασεν ist gar +nicht darauf angelegt. Daraus entsteht bei Paulus eine unerträgliche +grammatikalische Verwirrung. Die Parallele zu dem ὁσάκις ἐὰν πίνητε, +das erwartete ὁσάκις ἐὰν ἐσθίητε, fehlt in der Form des τοῦτο ποιεῖτε +von V. _24_. Unter dem ποιεῖν kann also für den ersten Akt nur das +erwähnte ~Brechen~ verstanden sein. Aus V. _25_ und _26_ geht aber +hervor, dass, dem ποιεῖν des zweiten Akts entsprechend, der Genuss, +nämlich das Essen, darunter verstanden werden muss. Grammatikalisch +allein berechtigt wäre: so oft ihr dieses Brot brechet und diesen Kelch +trinket; thatsächlich aber soll es bedeuten: so oft ihr dieses Brot +esset. So ist auch das γάρ zu verstehen, welches V. _26_ mit V. _24_ +und _25_ zugleich verbindet, sofern es als Wiederholung der dort von +Jesu gemeinten Handlung das Essen und Trinken voraussetzt. + +Die Gleichbildung ist also trotz des latenten Widerstandes des ersten +Aktes erreicht. An beide Gleichnisse schliesst sich das Wort von der +Heilsbedeutung des Todes und der eschatologische Hinweis an. + +Dabei entgeht Paulus durch die Form, in der er diesen Hinweis bietet, +einer grossen Schwierigkeit. Dieses Wort ist in der ursprünglichen +Gestalt ein ~Schlusswort.~ Fügt man es in dieser Form dem ersten Akt +an, so wird die Handlung in der Mitte auseinander gerissen, da dann +Jesus schon beim Brot die Feier beschliesst. Diese Schwierigkeit hat +Lukas gefühlt, als er die paulinische Vorstellung in den synoptischen +Bericht zu übertragen unternahm. + + +=4. Der lukanische Bericht= (Lk 22 _14-20_). + +Lukas bringt zuerst das eschatologische Schlusswort in direkter Rede +für beide Akte. Für das Kelchwort lag die Form der älteren Synoptiker +vor. Er nimmt die Matthäusform, weil er die Aufforderung zum Genuss, +welche Paulus nicht bietet, voraussetzt. Durch die Auslassung des +Wortes vom Blut wird folgendes Kelchwort hergestellt Lk 22 _17_ u. +_18_: καὶ δεξάμενος ποτήριον εὐχαριστήσας εἶπεν· λάβετε τοῦτο καὶ +διαμερίσατε εἰς ἑαυτούς· λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ πίω ἀπὸ τοῦ νῦν ἀπὸ +τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου ἕως ὅτου ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἔλθῃ. + +Der Versuch nimmt sich gut aus; das διαμερίσατε hat zugesetzt werden +müssen, damit man die später folgende Darreichung des Kelches (V. +_20_) nicht vorwegnehme; das eingefügte γάρ stellt in Verbindung mit +dem διαμερίσατε zur Not einen logischen Gedankenzusammenhang her; +das καινόν (vgl. Mt 26 _29_) blieb besser weg, weil dieses Adjektiv +nachher als erklärender Zusatz zu διαθήκη figuriert; der Farbenton der +eschatologischen Aussage ist etwas verblasst (Matthäus ἕως τῆς ἡμέρας +ἐκείνης ὅταν αὐτὸ πίνω μεθ' ὑμῶν καινὸν ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ πατρός μου· +Lukas ἕως ὅτου ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἔλθῃ). + +Schwieriger war die Formulierung des eschatologischen Schlussworts für +den ersten Akt, da hier kein behauenes Material vorlag und das Wort +über dem Brot seinen Widerstand gegen die aufgezwungene Verbindung mit +irgend einem eschatologischen Hinweis schon bei Paulus hinreichend +bekundet hatte. Ein einziger Ausweg bot sich dar: das eschatologische +Schlusswort, da es einmal für die Handlung des Essens gefordert war, +auf die ganze Mahlzeit zu beziehen. Dieser Fassung kam der Gedanke +zu Hülfe, dass möglicherweise die historische Feier ein Passahmahl +gewesen; das neukonstruierte eschatologische Schlusswort für das Essen +bezieht sich bei Lukas also auf das Passahmahl, das Jesus mit den +Seinen feiert. _15_ καὶ εἶπεν πρὸς αὐτούς· ἐπιθυμίᾳ ἐπεθύμησα τοῦτο τὸ +πάσχα φαγεῖν μεθ' ὑμῶν πρὸ τοῦ με παθεῖν· _16_ λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ +φάγω αὐτὸ ἕως ὅτου πληρωθῇ ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ. + +Die Benutzung des Passahgedankens ermöglicht Lukas, eine Mahlfeier +darzustellen, ~bei der sowohl das Essen als das Trinken einen +eschatologischen Hinweis erhalten.~ Dabei wird aber die historische +Feier auseinandergerissen! Zuerst kommen die beiden eschatologischen +Worte; sie werden in den Verlauf der Passahmahlzeit gerückt. Das erste +bildet zugleich eine stimmungsvolle Einleitung. Von dem Wort über dem +Brot wird dadurch nichts vorausgenommen: nur mit dem Wort über dem +Becher hat es seine Schwierigkeit. Um das Kelchwort, welches dann bei +der eigentlichen historischen Feier eintritt, von dem vorhergehenden, +welches im Rahmen des Passahmahls verlief, genau abzuheben, wird es +in der paulinischen Form berichtet: τὸ ποτήριον μετὰ τὸ δειπνῆσαι +λέγων· τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐν τῷ αἵματί μου: soweit +geht die Uebereinstimmung. Nun ist aber der eschatologische Hinweis +nach Paulus (I Kor 11 _24_ u. _25_ τοῦτο ποιεῖτε etc.) schon beim +ersten Passah-Kelchwort verbraucht; deswegen wird hier nach Matthäus +zurückmoduliert und τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενον eingesetzt; aus diesem +Grunde war schon an Stelle des paulinischen ἐν τῷ ἐμῷ αἵματι das +altsynoptische ἐν τῷ αἵματί μου eingetreten. + +Der erste Akt wird nach Paulus beschrieben; aus den Synoptikern ist die +ausdrückliche Erwähnung der Darbietung (ἔδωκεν-διδόμενον) eingedrungen. +Das τοῦτο ποιεῖτε ist stehen geblieben, weil das eschatologische Wort +hinsichtlich des Essens sich auf das Passahmahl allgemein bezieht. + +Der Bericht des Lukas erklärt sich litterarisch einfach als ein +Versuch, die bei Paulus erreichte Gleichbildung der beiden Akte +unter Zuhülfenahme des Zusammenhangs der historischen Feier mit dem +Passahmahl in die synoptische Geschichtserzählung zurückzutragen. +Daraus resultiert dann folgender Verlauf der Feier: Jesus weist zu +Anfang des Passahmahls darauf hin, dass er es erst im Gottesreiche +wieder mit den Jüngern feiern wird. Solches wiederholt er beim ersten +Herumreichen des Kelches. Bei einer Brotdarreichung im Verlaufe der +Feier spricht er das Gleichnis von seinem Leibe, desgleichen beim Kelch +das Gleichnis von seinem Blute. Beide Akte sind absolut gleich durch +die Geltendmachung des Heilswertes der Dahingabe (V. _19_ τὸ ὑπὲρ +ὑμῶν διδόμενον, V. _20_ τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενων). Auch bei dieser +Gleichbildung geht es ohne stilistische Härte nicht ab, sofern nämlich +im zweiten Akt von einem vergossenen Kelch die Rede ist, während das +Blut gemeint ist. + +Wie bei Paulus werden beide Akte durch das τοῦτο ποιεῖτε abgeschlossen. +Wir haben also eine bis auf den gemessenen Rythmus in der Sprache sich +erstreckende Gleichbildung. Freilich ist dabei der Schluss der Feier +verloren gegangen. Das stolze Wort von dem Wiedertrinken in des Vaters +Reich ist schon für den Anfang der Passahfeier verbraucht, statt dass +es, wie bei Markus und Matthäus, zum Aufbruch überleitet. Dafür finden +hier die Episoden von der Bezeichnung des Verräters, dem Rangstreit +und der Verwarnung des Petrus ihren Platz (Lk 22 _21-38_), wobei die +Schilderung des feierlichen Aufbruchs nach dem Lobgesang (Mk 14 _26_ += Mt 26 _30_) unterbleibt. »Er ging nach seiner Gewohnheit an den +Oelberg« (Lk 22 _39_: καὶ ἐξελθὼν ἐπορεύθη κατὰ τὸ ἔθος εἰς τὸ ὄρος τῶν +ἐλαιῶν). + +Eine originelle Auffassung von dem Wesen der historischen Feier liegt +dieser Darstellung nicht zu Grunde. In keinem Falle ist sie aus dem +Bestreben hervorgegangen, die Trennung des »Abendmahls« von der +gemeinsamen religiösen Mahlzeit, welche bei Paulus angebahnt sein +soll, historisch zu begründen! Dieser formlose Bericht ist nur aus dem +Prinzip παρηκολουθηκότι ἄνωθεν πᾶσιν ἀκριβῶς καθεξῆς γράψαι(Lk 1 3) zu +erklären. + +Es ist daher nicht zu erwarten, dass durch Streichung oder +Versversetzung aus der lukanischen Darstellung sich ein Bericht +gewinnen lässt, der auf eine originelle ältere Vorstellung der +historischen Feier zurückgeht. Mehr als durch solche Versuche wird +man dem Wert der lukanischen Darstellung gerecht, wenn man das +schriftstellerische Geschick, das ästhetische Feingefühl und den +liturgischen Schwung würdigt, von denen diese Schilderung Zeugnis gibt. + + +=5. Der justinische Bericht= (I Apol. 66). + +Hier vollzieht sich die Gleichbildung durch Verkürzung des zweiten Akts +nach Analogie des ersten. Die berichtete Feier beschränkt sich auf zwei +rätselhafte Worte Jesu. Nach einem Dankgebet über dem Brot spricht er: +»dies ist mein Leib«, desgleichen beim Kelch: »dies ist mein Blut« +(τὸν Ἰησοῦν λαβόντα ἄρτον εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν· τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν +ἀνάμνησίν μου, τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου. καὶ τὸ ποτήριον ὁμοίως λαβόντα +καὶ εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν· τοῦτό ἐστι τὸ αἷμά μου). + +Es fehlt das Brechen des Brots, der Hinweis auf den Wert der Dahingabe +und die Hervorhebung des erwarteten oder erfolgten Genusses im zweiten +Akt. Auch das eschatologische Schlusswort ist ausgefallen. Nur beim +ersten Akt findet sich das τοῦτο ποιεῖτε in der paulinischen Form, +wobei aus τὴν ἐμὴν ἀνάμνησίν (I Kor 11 _24_) τὴν ἀνάμνησίν μου geworden +ist. + +Hier steigert sich aber der Widerstand des ersten Akts gegen einen +derartigen Eintrag bis zur Unerträglichkeit. Worauf soll sich das +ποιεῖν beziehen? Auf das vorausgehende Gebetswort? Das Brechen ist +nicht erwähnt, der Genuss vorausgesetzt, aber nicht hervorgehoben. So +ist das τοῦτο ποιεῖτε hier für die grammatikalische Auslegung sinnlos +und die Erwähnung desselben ~bei dem ersten Akt allein~ unverständlich. + +Bei dieser verkürzten Darstellung ist die ganze historische Situation +interesselos geworden. Zwar erwähnt Justin Dial. 41, 70 und 117, dass +in der Gemeindefeier auch die Erinnerung an Jesu Tod mit hereinspielt. +In seinem Bericht aber fehlt jede Andeutung, dass dieses Mahl in der +Nacht vor dem Tod stattgefunden hat. + +Aus dem »justinischen Bericht« allein wüssten wir also nur, dass Jesus +bei einem Mahle, nachdem er das Dankgebet über dem Brot gesprochen, +seinen Jüngern geboten habe, diesen Brauch zur Erinnerung an ihn +festzuhalten; danach habe er fortfahrend das gesegnete Brot als seinen +Leib und den gesegneten Kelch als sein Blut bezeichnet. + + + + +Dreizehntes Kapitel. + +=Die Authentie des Markusberichts.= + + +=1. Der Beweis.= + +Authentisch ist ein Bericht, ~welcher in keiner Weise durch die +Vorstellung von der Gemeindefeier beeinflusst ist.~ Der Markusbericht +ist authentisch, weil sich dieser Nachweis für ihn führen lässt. + +Worauf beruht die ~Gleichbildung der beiden Akte~, welche alle +andern Berichte, wenn auch der Art und dem Grad nach verschieden, +im Unterschied zu Markus aufweisen? Auf dem Einfluss, welchen die +altchristliche Feier auf die Vorstellung der historischen ausübt. Die +Gemeindefeier war eine Mahlzeit, bei der dem Essen dieselbe Bedeutung +zukam wie dem Trinken. Ganz natürlich übertrug sich dies auf die +historische Feier. Man wusste also nicht anders, als dass Jesus beim +Brot und beim Wein in genau entsprechender Weise gehandelt und geredet +haben musste, sofern in der abgeleiteten Feier die gleiche Wertung des +Essens wie des Trinkens konstatiert wurde. So war die Gleichbildung der +beiden Akte für die historische Feier von der urchristlichen gefordert. + +Besässen wir nun den Markusbericht nicht, so würden wir an der +Gleichheit der beiden Akte nichts Besonderes finden, da dies auch +unserem Empfinden als das Natürlichste erscheint. Alle modernen +Rekonstruktionsversuche der »ursprünglichen Einsetzungsworte« vertreten +die Gleichbildung ebenfalls. Wir sind also auch geneigt, die Gleichheit +der beiden Akte ohne weiteres für selbstverständlich zu halten. + +Nun zeigt aber der Markusbericht, dass die Gleichheit der beiden +Akte nicht selbstverständlich ist. Also muss man entweder für die +Ungleichheit derselben bei ihm oder für die Gleichheit bei den andern +eine Erklärung suchen. Dabei ergibt sich, dass man wohl die andern +aus dem Markusbericht ableiten kann, ~nicht aber umgekehrt.~ Matthäus +und Paulus — der Lukasbericht ist ein rein litterarisches Produkt +— stellen die Feier nach dem zweiten Akt des Markus dar, Justin +nach dem ersten. Bringt man bei jedem die Gleichbildung der beiden +Akte entsprechend in Abrechnung, wozu die grammatikalischen Härten +und Unmöglichkeiten Anweisung geben, ~so erhält man jedesmal den +Markusbericht.~ + +Dabei zeigt sich in der Gleichbildung der beiden Akte noch eine +gewisse Entwicklung. Dass sie bei Matthäus noch nicht vollständig +durchgeführt ist, lässt erkennen, dass die Gleichheit der Akte nicht +das Ursprüngliche ist. Also muss sie ihren Grund in der historischen +Anschauung der alten Zeit haben, welche diese Berichte ~formuliert~ +hat. Da dieser allein in dem Mahlzeitcharakter der Essen und Trinken +gleichwertenden Gemeindefeier gegeben sein kann, steht fest, ~dass +diese Berichte durch das Medium der altchristlichen Auffassung der +Gemeindefeier hindurchgegangen sind. Markus steht ausserhalb dieses +Prozesses, weil er die Gleichbildung nicht aufweist; also ist er +authentisch.~ + +Dass die Vorstellung der historischen Feier bei Paulus und Justin +in einem sehr hohen Masse durch die Auffassung der Gemeindefeier +bedingt ist, liegt auf der Hand. Der historische Bericht ist bei ihnen +ja nur Mittel zum Zweck. Er soll eine bestimmte Anschauung von der +Gemeindefeier vertreten. Die Art, wie sie beide in Verbindung setzen, +geht weit über unsere Begriffe hinaus. Wir verstehen die Gemeindefeier +immer nur als eine entsprechende ~Wiederholung~ der historischen, +sofern sie aus der letzteren begründet wird. Paulus und Justin setzen +beide gleich, indem sie die Gemeindefeier mit der historischen Feier +gegeben sein lassen. Dabei entstehen dann Gedankengänge, die für uns +ganz überraschend sind. + +Es handelt sich um I Kor 11 _26_. In V. _24_ und _25_ vollzieht Jesus +die Einsetzung. Wer redet in V. _26_? Das γάρ, sofern es sich zum +Vorhergehenden begründend verhält, schliesst den Subjektswechsel aus. +Der Ausdruck τὸν θάνατον τοῦ κυρίου zeigt aber an, dass die historische +Situation verlassen ist und Paulus von der Gemeindefeier redet. Dazu +passt aber das γάρ nicht, denn was für die Gemeindefeier gilt, ist +nicht eine ~Begründung~ zu den Worten Jesu, sondern eine ~Folgerung~ +aus dem historischen Spruch. In diesem Satz vollzieht also Paulus den +Uebergang von der historischen Feier zur Gemeindefeier so, dass er +beide für einen Augenblick gleichsam zusammenschiebt. + +Darum schmilzt er zwei Sätze, von denen der erste der historischen +Situation, der zweite der Darlegung über die Gemeindefeier angehört, +ineinander. + + 1. Jesus zu den Jüngern im Anschluss an die Gleichnisse: »denn + (γάρ) so oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Wein + trinket, verkündet ihr meinen Tod, bis dass ich komme.« + + 2. Paulus der Gemeinde das Wesen ihrer Feier aus der historischen + erklärend: »Darum (ὥστε), so oft ihr von diesem Brot esset und + von diesem Wein trinket, verkündet ihr des Herrn Tod, bis dass er + komme.« + +Justin bietet ein Seitenstück zu diesem schillernden Uebergang. Er +fasst in der berühmten Darlegung I Apol. 65 und 66 die historische +Feier und die Gemeindefeier in einem gemeinsamen Ausdruck zusammen, +indem er sie bezeichnet als: ἡ δι' εὐχῆς λόγου τοῦ παρ' αὐτοῦ (sc. +Jesu) εὐχαριστηθεῖσα τροφή. Dieser Ausdruck bekundet eine Gleichsetzung +der beiden Feiern, die weit über unseren Begriff der entsprechenden +Wiederholung hinausgeht. Die Speise bei der Gemeindefeier ist, wie bei +der historischen, durch Jesu Gebetswort geheiligt. Ein Unterschied +besteht also nicht. + +Was die Gleichbildung der beiden Akte anzeigt, wird durch die +Argumentierung, mit welcher Paulus und Justin die Gemeindefeier mit +der historischen Feier verbinden, bestätigt: Sie sehen die historische +Feier nur in der Beleuchtung der Gemeindefeier. + +Solange die Textvergleichung ausschliesslich auf die Entdeckung der +wahrscheinlichsten und ansprechendsten Form der ~Einsetzungsworte~ +ausging, bestand die Vorstellung der Möglichkeit einer paulinischen +oder justinischen Sondertradition zu Recht, da beide »die +Einsetzungsworte« in sowohl unter sich unabhängigen als von den beiden +älteren Synoptikern grundverschiedenen Fassungen boten. Prüft man aber +die ~Berichte als Berichte~, frägt man sie, ohne den verlockenden +Anpreisungen ihrer »Einsetzungsworte« Gehör zu geben, was sie von +dem Verlauf und dem Wesen des gesamten historischen Vorgangs, bei +welchem diese Gleichnisse geredet wurden, wissen, dann ist es mit der +Scheinoriginalität aus. Es zeigt sich, dass sie sich die historische +Feier der ihnen geläufigen Gemeindefeier entsprechend vorstellen, +nur dass Jesus dabei Speise und Trank austeilt und die bekannten +Gleichnisse redet. Also geht auch ihre Fassung »der Einsetzungsworte« +nicht auf eine paulinische oder justinische Sondertradition zurück, +sondern sie ist geschichtlich aus der vorausgesetzten Gemeindefeier zu +erklären. Paulus und Justin differieren in ihren »Einsetzungsworten«, +weil und insofern die justinische von der paulinischen Gemeindefeier +differiert. Zwischen beiden muss in der Auffassung der Feier eine +Wandlung eingetreten sein. + +So führt die neue Problemstellung eine neue Auffassung der Authentie +mit sich, welche sich nicht mehr auf ~Meinungen, sondern auf Gesetze~ +gründet. Als authentisch gilt nicht mehr die kürzeste oder scheinbar +klarste Relation »der Einsetzungsworte«, ~sondern die Darstellung des +gesamten historischen~ Vorgangs, für welche eine Beeinflussung durch +die Gemeindefeier nicht nachgewiesen werden kann, ob uns nun die +betreffende »Einsetzungsformel« zusagt oder nicht. + +Bisher galt es für interessant, mit einer gewissen skeptischen +Nonchalance die Behauptung hinzuwerfen, dass wir über die Authentie +der Berichte niemals etwas wissen können. Selbst wenn unter unseren +Berichten ein authentischer sich befände, so hätten wir doch kein +Mittel, ihn unter den andern herauszufinden. Durch die neue Auffassung +der Authentie ist diese Skepsis abgethan. Wir besitzen einen +authentischen Bericht. Wer es bestreiten will, muss nachweisen, dass +der Markusbericht ein durch die andern Darstellungen desavouiertes +Phantasieprodukt ist. Authentisch oder sinnlos: das ist die einzig +offene Alternative. + + +=2. Die Folgerungen aus der Authentie des Markusberichts.= + +Die neue Auffassung der Authentie bezeichnet den ersten Erfolg der +neuen Problemstellung. Er öffnet dem neuen Lösungsversuch den Weg. +Jesus forderte die Jünger auf, seinen Leib zu essen und sein Blut zu +trinken: dieser angenommene gemeinsame Thatbestand aller Berichte +schien den Weg zu versperren. Durch die Authentie des Markusberichts +wird aber dieser Scheinthatbestand ausser Kraft gesetzt. Es ist +historisch bestätigt, was aus der Kritik der modernen Auffassungen +geschlossen wurde: Jesus hat seine Jünger nicht aufgefordert, seinen +Leib und sein Blut zu geniessen, sondern er hat die Gleichnisworte im +Verlauf, nicht vor dem Genuss gesprochen. Das Kelchwort kommt erst, +nachdem alle getrunken haben! + +Also haben wir einen Bericht, bei dem das Wesen der Feier nicht auf den +Gleichnissen, sondern auf dem feierlichen Vorgang beruht. Das hatte die +neue Problemstellung gefordert. Nun ist es Thatsache geworden. ~Also +ist das Abendmahlsproblem für die historische Kritik lösbar.~ + + +=3. Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis im Abendmahl.= + +Die Bedeutung der Darreichung der Genusselemente bleibt vorerst +rätselhaft. Nur das Negative ist klar, dass nämlich die Gleichnisse +nicht aus der symbolischen Handlung des Brechens und aus dem +vorausgesetzten Ausgiessen des Weins an sich erklärt werden dürfen. +Das darstellende Moment spielt in den Berichten keine Rolle und +verschwindet zuletzt ganz, wie der justinische Text zeigt, wo das +Brechen nicht einmal mehr erwähnt wird. + +Wollte man die Gleichnisse nach dem authentischen Markustext deuten, so +müsste man das erste aus dem Brechen, das zweite aus der Thatsache, +dass alle Jünger getrunken haben, erklären. Man bekäme also zwei ganz +verschieden geartete Gleichnisse. + +Die Gleichnisse vom Leib und Blut müssen aber irgendwie den +Leidensgedanken enthalten. Dass Jesus damit das Geheimnis seines +Leidens zum letztenmal ausgesprochen hat, ist in den Umständen dieses +letzten Zusammenseins gegeben. Wenn wir also die Gleichnisse nicht +richtig zu verstehen vermögen, kann dies nur daran liegen, dass wir das +~Geheimnis des Leidensgedankens~ falsch auffassen. + +Nun ist es die Eigentümlichkeit aller modern-historischen +Abendmahlsauffassungen, dass sie in der Feier ~den eschatologischen +Gedanken~ nicht zur Geltung bringen. Sie verwenden das Wort von dem +Neutrinken in des Vaters Reich nicht als eine das Wesen jenes letzten +Mahls mitkonstituierende Aussage, sondern machen daraus bestenfalls ein +Anhangswort. + +Im Markustext nimmt es aber eine Hauptstellung ein. Es ist das mit +erhobener Stimme feierlich und eindringlich gesprochene Schlusswort +der Feier. Dabei hängt es mit dem Wort vom vergossenen Blut eng und +unzertrennlich zusammen, so dass es mit ihm einen einzigen Gedanken +zu bilden scheint. ~Diese enge Verbindung zwischen dem Todes- und +Wiederkunftsgedanken ist charakteristisch für den zweiten Akt der +Situation bei Markus.~ + +Demselben Zusammenhang begegnen wir aber auch bei Paulus und zwar in +beiden Akten. Nach ihm — und er beruft sich dabei ausdrücklich auf den +historischen Hergang — besteht die Bedeutung des Essens und Trinkens +irgendwie in der Verkündigung des Todes des Herrn zugleich mit der +Erwartung seiner Parusie. »So oft ihr dieses Brot esset und diesen Wein +trinket, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis dass er komme.« + +In der authentischen Relation der historischen Feier und in der +ältesten Relation der Gemeindefeier haben wir also beidemal +eine organische Verbindung zwischen dem Leidensgedanken und der +eschatologischen Erwartung. Es ist daher falsch, das Wesen der Feier +in der letzten Aussprache des Todesgedankens allein zu finden. +~Nicht von seinem Tod, sondern von seinem Tod und der baldigen +Wiedervereinigung mit ihnen beim Mahle im neuen Reich~ hat Jesus zu +den Seinen geredet. Das Geheimnis seines Todes, welches bei dieser +Feier in der ergreifendsten und erhebendsten Weise zum letztenmal +von Jesus ausgesprochen wurde, enthält den Leidensgedanken im engsten +Zusammenhang mit der eschatologischen Erwartung. + +Die modern-historischen Abendmahlsauffassungen sind also unhistorisch, +weil der Leidensgedanke, mit dem sie operieren, keinen Zusammenhang +mit der Eschatologie aufweist. Darum können sie den wesentlichen +Grundzug der historischen Feier und der ältesten Gemeindefeier nicht +zum Ausdruck bringen. Um das Wesen des letzten Mahles zu begreifen, +bedarf es daher eines Einblicks in den eschatologischen Charakter des +Leidensgeheimnisses Jesu. Diesen kann man nicht aus der Feier selbst +gewinnen, da Jesus dort das Geheimnis im Gleichnis ausspricht. Das +Gleichnis aber vermögen wir nicht zu deuten. + +~Beim letzten Mahl handelt Jesus als Messias, und zwar als leidender +Messias.~ Wenn wir sein Handeln nicht verstehen, so liegt dies mithin +daran, dass wir sein Messianitäts- und Leidensgeheimnis falsch +verstehen. Das Abendmahl kann nur aus dem Zusammenhang des Lebens Jesu +begriffen werden. Unsere Abendmahlsauffassungen sind falsch — ~also +ist die Auffassung des Lebens Jesu, welche uns dazu geführt hat, auch +falsch.~ + +Das Abendmahlsproblem ist das Problem des Lebens Jesu! Eine neue +Abendmahlsauffassung kann nur aus einer neuen Auffassung des Lebens +Jesu hervorwachsen, welche das Messianitäts- und Leidensgeheimnis so +enthält, dass sein feierliches Handeln beim letzten Mahle begreiflich +und verständlich wird. ~Ein neues Leben Jesu:~ das ist der einzige Weg +zur Lösung des Abendmahlsproblems. + + + + +Anmerkungen zur Transkription: + +Die erste Zeile entspricht dem Original, die zweite Zeile enthält die +Korrektur. + + +S. XV: + + 3. Das Ergebnis des Textkritik + 3. Das Ergebnis der Textkritik + +S. 13: + + Vergleiche zum folgenden den verhängnisvollen Vortrag + Vergleiche zum Folgenden den verhängnisvollen Vortrag + +S. 17: + + sondern auf einer eschatologichen Vorstellung vom Endmahl + sondern auf einer eschatologischen Vorstellung vom Endmahl + +S. 25: + + wenn der Fall an sie herantritt, im stande seien, ihrerseits ihre Seele + wenn der Fall an sie herantritt, imstande seien, ihrerseits ihre Seele + +S. 54: + + τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαδήκη ἐν τῷ αἵματί μου + τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐν τῷ αἵματί μου + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Das Abendmahl im Zusammenhang mit dem +Leben Jesu und der Geschichte des Urc, by Albert Schweitzer + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44366 *** diff --git a/44366-h/44366-h.htm b/44366-h/44366-h.htm new file mode 100644 index 0000000..116d9e7 --- /dev/null +++ b/44366-h/44366-h.htm @@ -0,0 +1,3744 @@ +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de"> + <head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=UTF-8" /> + <meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" /> + <title> + The Project Gutenberg eBook of Das Abendmahl im Zusammenhang mit dem Leben Jesu und der +Geschichte des Urchristentums, by Albert Schweizer. + </title> +<link rel="coverpage" href="images/cover.jpg" /> + <style type="text/css"> + +body {margin-left: 20%; margin-right: 20%;} + +h1 {text-align: center; /* all headings centered */ + clear: both;} +h2, h3 {text-align: center; font-weight: normal; /* all headings centered */ + clear: both;} +p {margin-top: .51em; text-align: justify; margin-bottom: .49em;} + +.p2 {margin-top: 2em;} +.p4 {margin-top: 4em;} +.p6 {margin-top: 6em;} + +hr.tb {width: 10%; margin-top: 1em; margin-bottom: 1em; visibility: visible; margin-left: 45%; +margin-right: 45%;} +hr.chap {width: 65%; margin-top: 2em; margin-bottom: 2em; visibility: hidden;} +hr.full {width: 95%; margin-top: 6em; margin-bottom: 6em; visibility: hidden;} + +ul { list-style-type: none; } +.hang {text-indent: -1em; margin-left: 1em;} + +table { margin-left: auto; margin-right: auto;} + +div.title {page-break-before: always; page-break-after: always; text-align: center; +line-height: 1.5em;} +div.frontpage {page-break-before: always; page-break-after: always; text-align: center;} +.pseudotitle {font-size: 120%; text-align: center; margin-top: 2em;} +.chapter {page-break-before: always; page-break-after: always;} +.tdc {text-align: center;} +.tdcw {text-align: center; width: 5%;} +.pagenum { /* uncomment the next line for invisible page numbers */ +/* visibility: hidden; */ /* define the position */ +position: absolute; right: 3%; margin-right: 0em; +text-align: right; /* remove any special formating that could be inherited */ +font-style: normal; font-weight: normal; font-variant: normal; +letter-spacing: 0em; text-decoration: none; text-indent: 0em; +font-size: x-small; /* never wrap this */ white-space: nowrap;} +.pagenum span { /* do not show text that is meant for non-css version*/ +visibility: hidden;} +.pagenum a {display: inline-block; color: #808080; border: 1px solid silver; +padding: 1px 4px 1px 4px;} + +.center {text-align: center;} + +.right {text-align: right;} + +.smcap {font-variant: small-caps;} + +.u {text-decoration: underline;} +.err {border-bottom: thin dotted red;} +.gesperrt {letter-spacing: 0.2em; margin-right: -0.2em;} + +em.gesperrt {font-style: normal; } +.antiqua {font-size: smaller; font-style: normal;} + +img {max-width: 100%; /* no image to be wider than screen or containing div */ + height:auto; /* keep height in proportion to width */} + +.figcenter {margin: auto; clear: both; max-width: 100%; /* div no wider than screen, even when screen is narrow */ + text-align: center;} + +.footnotes {border: none;} +.footnote {margin-left: 5%; margin-right: 5%; font-size: 0.9em;} +.footnote .label {position: relative; bottom: 0.4em; + vertical-align: baseline; font-size: 80%; text-decoration: none;} +.fnanchor {vertical-align: baseline; position: relative; bottom: 0.4em; + font-size: 80%; text-decoration: none;} + +.transnote {border: #808080 1px dashed; background-color: #fafafa; + color: black; margin-left: 10%; margin-right: 10%; + font-size:smaller; + padding:0.5em; + margin-bottom:5em; + font-family:sans-serif, serif; } +@media handheld +{ +.pagenum {display: none;} +body {margin-left: 2%; margin-right: 2%; margin-top: 1%; margin-bottom: 1%;} +em.gesperrt {font-weight: bold; + letter-spacing: 0; margin-right: 0;} + +} + </style> + </head> +<body> +<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44366 ***</div> + +<div class="transnote"> +<h3>Anmerkungen zur Transkription:</h3> + +<p>Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; +lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine <a href="#Anmerkungen_zur_Transkription">Liste</a> der +vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes.</p> +</div> +<hr class="full" /> + +<div class="title"> +<h1> +Das Abendmahl<br /> +<br /> +<small>im</small><br /> +<br /> +Zusammenhang mit dem Leben Jesu<br /> +<br /> +<small>und der</small><br /> +<br /> +Geschichte des Urchristentums</h1> +<p class="center p2"> +<small>von</small><br /> +<br /> +<b>Lic. Dr. Albert Schweitzer</b><br /> +<br /> +<small>in Strassburg i. E.</small></p> +<hr class="tb" /> +<p class="center p2"> +Erstes Heft.<br /> +<br /> +<big><b>Das Abendmahlsproblem</b></big><br /> +<br /> +auf Grund<br /> +der wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts<br /> +und der historischen Berichte.</p> +<div class="figcenter"> +<img src="images/image.jpg" width="100" height="123" alt="illustration" /> + +</div> + +<p class="center p4"> +<b>Tübingen</b> und <b>Leipzig</b>.</p> +<p class="center"> +Verlag von <em class="gesperrt">J. C. B. Mohr</em> (Paul Siebeck).</p> +<p class="center">1901. +</p> +</div> + +<hr class="full" /> +<div class="frontpage"> +<hr class="tb" /> +<p class="center"> +<i>Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen behält sich<br /> +die Verlagsbuchhandlung vor.</i></p> +<hr class="tb" /> +<p class="p6 center"> +C. A. Wagner's Universitätsbuchdruckerei in Freiburg i. B. +</p> +</div> + +<hr class="full" /> +<div class="frontpage"> +<p class="center"> +Seinem Lehrer</p> +<p class="center"> +Herrn Prof. D. Dr. <b>H. J. Holtzmann</b><br /> +<br /> +<small>gewidmet</small><br /> +<br /> +in aufrichtiger Verehrung und treuer Anhänglichkeit<br /> +<br /> +von seinem dankbaren Schüler<br /> +<br /> +<b>Albert Schweitzer</b>. +</p> +</div> +<hr class="full" /> +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_v" id="Seite_v">V</a></span></p> + +<h2><strong><em class="gesperrt">Vorrede</em> zu einer neuen Untersuchung über das Abendmahl.</strong></h2> + +<p class="p2">Der Anstoss zu der vorliegenden Arbeit ging von <span class="smcap">Schleiermacher</span> +aus. Im Jahre 1897 erhielt ich nämlich als Thema für +meine schriftliche Examensarbeit folgende Aufgabe gestellt: Die +Abendmahlslehre <span class="smcap">Schleiermacher</span>'s soll dargestellt und mit +den im neuen Testament und in den Bekenntnisschriften niedergelegten +Auffassungen verglichen werden.</p> + +<p>Ich hatte mich bis dahin mit der Abendmahlsfrage gar nicht +beschäftigt und war über die neuesten Forschungen in keiner +Weise orientiert, hatte auch keine Zeit dies nachzuholen, weil die +Arbeit innerhalb acht Wochen abgeliefert werden musste. So +war ich einzig auf die Texte und die bekenntnismässigen Formulierungen +der verschiedenen Konfessionen angewiesen.</p> + +<p>Die <span class="smcap">Schleiermacher</span>'sche Dialektik ersetzte mir aber alles. +Sie zergliedert nämlich das Problem so, dass es als Ganzes und +zugleich in allen Details vor einem steht. Man braucht nur geschichtlich +Ernst zu machen mit dem dialektischen Spiel, das er +mit vollendeter Kunst zur Beruhigung und Versöhnung der +Geister und zugleich zu seinem eigenen ästhetischen Ergötzen +aufführt, dann ist man genau auf dem Standpunkt der modernen +historischen Forschung angekommen.</p> + +<p>Ein Satz besonders ist hier entscheidend. In § 139 <span +class="antiqua">3</span> der Glaubenslehre redet er vom äusseren +Verlauf unserer Feier und zeigt, wie wir uns bei der Reproduktion der +historischen Umstände naturgemäss auf das Wesentliche beschränken +müssen. Wollte man z. B. einen bedeutenden Nachdruck auf den +Zusammenhang, in welchem das historische Mahl mit dem Passahmahl +stand, legen, so würde man alsbald zur Folgerung gedrängt werden, +„dass das Abendmahl jetzt nicht mehr das sein könne, +als was es Christus +<span class="pagenum"><a name="Seite_vi" id="Seite_vi">VI</a></span> gestiftet habe und also auch wohl nicht +könne von ihm als eine selbständige und immer dauernde Institution für +die Kirche verordnet sein“. „Dieses Bedenken“, so +fährt er dann fort, „liegt so nahe, <em class="gesperrt">dass +es sich leicht in der evangelischen Kirche lautbarer machen kann, als +bisher der Fall gewesen</em>, und veranlasst natürlich die Frage, +worauf unser Glaube in dieser Sache eigentlich beruhe. Schwerlich wird +sich behaupten lassen, dass aus den uns aufbewahrten Worten Christi <em +class="gesperrt">diese Absicht ganz bestimmt hervorgehe.</em> Vielmehr +enthalten einige unserer Erzählungen gar <em class="gesperrt">keinen +solchen Befehl</em> (Markus und Matthäus), und in den andern ist er nur +unbestimmt ausgedrückt (Lukas und Paulus); und da die Apostel aus den +Worten Christi beim Fusswaschen keinen solchen Befehl entnommen haben, +so <em class="gesperrt">hätten sie auch Recht gehabt, aus dem Abendmahl +ebensowenig eine bestimmte und allgemeine Institution zu machen!</em> +Da nun aber offenbar ist, dass sie das eine gethan haben und das andere +nicht, so können wir uns an das halten, <em class="gesperrt">was sie +eingerichtet haben,</em>, ohne dass wir zu entscheiden brauchten, ob +Christus ihnen über das Abendmahl noch andere ausdrückliche Anweisungen +gegeben, oder ob sie dieselben aus seinen Worten gefolgert oder nur +durch den unmittelbaren Eindruck der Sache und durch die begleitenden +Umstände anders bestimmt worden sind in Bezug auf das Abendmahl als +in Bezug auf das Fusswaschen. In dem letzten Fall würden wir dann +das Abendmahl nur nicht ganz in demselben Sinn als eine unmittelbare +Einsetzung Christi ansehen können, immer aber doch glauben müssen, dass +sie in seinem Sinn gehandelt haben, wenn wir nicht auch in ihrem <em +class="gesperrt">engsten Berufskreise ihr kanonisches Ansehen aufgeben +wollen</em>“.</p> + +<p>Unsere Abendmahlsfeier beruht in letzter Linie nicht auf einer +ausdrücklichen Verordnung Jesu! <span class="smcap">Grafe</span> +ist also ganz unschuldig! Was er als ehrlicher Historiker in +der Nachfolge anderer Historiker, von der Wucht der Thatsachen +gedrängt, bedächtig und schonungsvoll aussprach, das hat <span +class="smcap">Schleiermacher</span> in seiner Glaubenslehre keck +hingeworfen. Während man aber dem eleganten Spiel des Dialektikers +verständnisvoll zunickte, nahm man es dem ehrsamen Historiker gar +übel, als er ungefähr dasselbe zu sagen wagte. Vielleicht auch haben +die temperamentvollen Gegner <span class="smcap">Grafe</span>'s diese +Seite in ihrem <span class="smcap">Schleiermacher</span> überschlagen +oder sie hielten dafür, dass der betreffende Abschnitt,<span +class="pagenum"><a name="Seite_vii" id="Seite_vii">VII</a></span> +weil er zeitlich schon einige gute Jahrzehnte zurückliegt, auch +in zweideutigen Dingen als rechtgläubig passieren dürfe. Es ist +merkwürdig: In der Theologie darf heutzutage einer fast alles sagen, +was er will, wenn er es nur vornehm und geistreich mit einem gewissen +eleganten Skeptizismus thut. Für den ehrlichen Menschen, der redet, +weil sein Gewissen ihn zwingt, ist man aber unnachsichtlich.</p> + +<p>Die Behauptung, die <span class="smcap">Schleiermacher</span> zum erstenmal vollständig +klar ausgesprochen hat, die dann aber für Jahrzehnte +ganz unter den Tisch fiel, ist dazu angethan, einen im kantischen +Sinn „aus dem dogmatischen Schlummer zu wecken.“ Sie zeigt +nämlich, dass nicht nur die kirchlichen, sondern geradesogut die +wissenschaftlichen Abendmahlsauffassungen dem wirklichen Thatbestand +nicht gerecht werden. Die kirchlichen Auffassungen +setzen voraus, dass Jesus die Feier zur Wiederholung bestimmt +habe, können aber nicht nachweisen, dass er es wirklich angeordnet +hat, da der betreffende Befehl bei den ältesten Zeugen fehlt. +Eine Reihe wissenschaftlicher Auffassungen gehen davon aus, +dass die Feier nicht zur Wiederholung bestimmt war, können +aber dann nicht erklären, warum sie doch schon in der allerersten +Gemeinde aufkam — und das ist doch auch eine unbedingt feststehende +Thatsache.</p> + +<p>Der Zusammenhang zwischen den beiden Feiern, der historischen +und der Gemeindefeier, bleibt also gleich unbegreiflich, +ob man sie durch den Wiederholungsbefehl direkt kausal miteinander +verbindet oder ob man sich mit der Konstatierung der +reinen zeitlichen Aufeinanderfolge begnügt und die Kausalität +dahingestellt sein lässt. <em class="gesperrt"> +<span class="smcap">Schleiermacher</span> ist der Hume der +Kausalitätsfrage im Abendmahlsproblem.</em></p> + +<p>Der Vergleich der verschiedensten und zeitlich so weit auseinanderliegenden +Abendmahlslehren mit der <span class="smcap">Schleiermacher</span>'schen +Ansicht führte mich vor die Frage, was denn das Beharrende +bei diesem steten Wechsel der Auffassungen sei. Ist es nicht +denkbar, dass alle Phasen, in denen sich das Abendmahlsproblem +auswirkt, durch dieselben Gesetze beherrscht sind und dass also +an diesen Gesetzen die wahre historische Auffassung sich zu erproben +hat?</p> + +<p>Nachdem ich daher meine Examensarbeit zu Ende geführt +und die mir in Umrissen schon vorschwebende neue Auffassung +in allgemeinen Strichen angedeutet hatte, machte ich mich daran, +<span class="pagenum"><a name="Seite_viii" id="Seite_viii">VIII</a></span> +alle Epochen der Abendmahlsfrage — die altchristliche, die +mittelalterliche, die reformatorische und die moderne — gründlich +zu studieren, fest entschlossen, nicht eher mit der neuen +Auffassung an die Oeffentlichkeit zu treten, als bis ich sie für alle +Epochen durchgeführt hätte und so die Gewissheit besässe, dass +sie die ganze Geschichte des Abendmahls von der historischen +Feier bis in die neueste Zeit erklärt. Zu dieser Arbeit habe ich +vier Jahre gebraucht. Darum veröffentliche ich, was mir schon im +Herbst 1897, <em class="gesperrt">unabhängig von der modernen Forschung, +feststand</em>, erst im Herbst 1901, im Zusammenhang mit der Darstellung +und Beurteilung der historischen Abendmahlsforschung +im 19. Jahrhundert.</p> + +<p>Ich habe die Stellung des Problems an der wissenschaftlichen +Abendmahlsforschung im 19. Jahrhundert entwickelt, weil uns +diese Periode am nächsten liegt. Man hätte aber geradesogut +jede andere Phase dazu benutzen können, da die Gesetze in allen +dieselben sind.</p> + +<p>Die Absicht dieser Arbeit geht weiter als auf die Aufstellung +einer neuen historischen Abendmahlsauffassung. Sie verfolgt den +praktischen Zweck, <em class="gesperrt">die historische Grundlage unserer +modernen Abendmahlsfeier abzugeben und das Bestehende +geschichtlich zu rechtfertigen.</em> Es ist nämlich +nicht zu leugnen, dass unsere Gemeindefeier, nach dem jetzigen +Stand der Wissenschaft, in der Luft hängt. Wenn der Wiederholungsbefehl +historisch nicht fundiert ist, was soll dann unsere +Wiederholung bedeuten?</p> + +<p>Den Gläubigen zwar ficht diese Sorge vorerst wenig an und +soll ihn wenig berühren. Es ist nicht die Sache der Leute, welche +über die Brücke gehen, sich ängstlich darum zu kümmern, ob +durch die Fluten die Fundamente nicht langsam unterwaschen +worden sind, sondern das liegt den Architekten ob. Diese +müssen, wenn sie eine Senkung auch nur von einem Millimeter +wahrnehmen, unverzüglich einer eventuellen Katastrophe entgegenarbeiten, +sogar wenn den Passanten die Sache vorerst +ganz belanglos scheint. So muss auch die theologische Wissenschaft +auf das Fundament des Glaubens sehen und darauf +achten, ob nicht die historische Grundlage der Institution, +welche gleichsam die Brücke vom Vergänglichen zum Unvergänglichen +bildet, durch den Strom der Zeit unterwaschen ist +und ob nicht durch die historische Weltanschauung eine ganz +<span class="pagenum"><a name="Seite_ix" id="Seite_ix">IX</a></span> +andere Fundierung unserer Abendmahlsfeier notwendig wird als +bisher.</p> + +<p><span class="smcap">Schleiermacher</span> hat gesagt, dass das Bedenken, die Berechtigung +der Wiederholung betreffend, sich leicht in der evangelischen +Kirche lautbarer machen könnte, als bisher der Fall +gewesen. Und wenn dies nun eintritt, was dann? Solange das +Problem der Berechtigung und Notwendigkeit unserer Abendmahlsfeier +wissenschaftlich nicht gelöst ist, kann durch den geringfügigsten +Umstand eine die öffentliche Meinung aufs äusserste +aufregende und unerquickliche dogmatische Erörterung dieser +Frage eintreten, zu der der Fall <span class="smcap">Grafe</span> nur ein kurzes idyllisches +Vorspiel wäre.</p> + +<p>Das Schlimmste dabei wäre, dass diese Erörterung, einmal +in die Oeffentlichkeit gezerrt, notwendig resultatlos bliebe. Denn +der wissenschaftlich denkende Mensch wird diese Frage immer +wieder aufwerfen müssen, während derjenige, der sich mehr auf +den Standpunkt des kirchlichen Glaubens stellt, sie notwendig +niederschlagen wird, in dem richtigen Empfinden, dass solche +theoretische Bedenken eine so heilige und erhebende und durch +den urchristlichen Usus in ihrer Art wieder so geschichtlich fundierte +Feier nicht gefährden dürfen. Der Verteidiger wird sogar +eigentlich die Geschichte auf seiner Seite haben. Denn, wenn +das Abendmahl von Anfang an in der christlichen Gemeinde gefeiert +worden ist, so ist doch diese Thatsache, vollständig objektiv +betrachtet, viel entscheidender als das Fehlen des Wiederholungsbefehls +in zwei alten Berichten. Wir haben es eben mit einer +ganz unerklärlichen Antinomie zu thun, bei der man sich sehr +hüten muss, irgend welche Folgerungen gegen unsere Feier zu +ziehen, besonders wenn man bedenkt, dass man damit ein Stück +des ältesten und heiligsten Bestandes des christlichen Glaubens +angreift. Nehmen wir vorerst lieber an, dass uns der Schlüssel +zur Erklärung der historischen und der urchristlichen Feier und +zum Verständnis ihres Zusammenhangs fehlt.</p> + +<p>Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, gefährliche Fragen in +Angriff zu nehmen, ehe sie die öffentliche urteilslose Meinung in +Unruhe bringen, den Zündstoff zu beseitigen und in der Stille +segensreiche Arbeit zu thun.</p> + +<p>Als <span class="smcap">Schleiermacher</span> in seiner Glaubenslehre die damals +nur in seiner dialektischen Phantasie existierenden Parteien vor +sich beschied, mutete er ihnen zu, sich auf „die Anerkennung des +<span class="pagenum"><a name="Seite_x" id="Seite_x">X</a></span> +kanonischen Ansehens der Apostel in ihrem engsten Berufskreise“ +zu vergleichen. Auf diesen Vergleich kann man aber im +Ernst nicht eingehen. Das Sprüchlein bannt das Gespenst nicht. +Wir wollen den Aposteln die gebührende Ehrfurcht sicher gern +erweisen, aber unsere Abendmahlsfeier auf ihr kanonisches Ansehen +allein gründen, das dürfen wir nicht.</p> + +<p>Rücken wir die Frage ins rechte Licht. Unsere Abendmahlsfeier +entspringt dem Vorgehen der ersten Gemeinde, zu +der die Apostel gehören. In die Geschichte übersetzt, lautet die +Frage nach dem „kanonischen Ansehen der Apostel in ihrem engsten +Berufskreise“ also folgendermassen: Welches waren die Motive, +durch welche die erste Gemeinde bestimmt wurde, eine derartige +im Zusammenhang mit dem letzten Mahl Jesu stehende +Feier zu begehen? War das Willkür oder Notwendigkeit?</p> + +<p>Daran schliesst sich eine zweite Frage, die <span class="smcap">Schleiermacher</span> +unberücksichtigt gelassen hat. Wenn die erste Gemeinde aus +bestimmten Gründen die Feier wiederholt hat, gelten diese auch +noch für uns? Besteht in der historischen Feier als solcher auch +für uns eine direkte Notwendigkeit, dass wir daraus irgendwie +eine Feier ableiten, oder handelt es sich nur um etwas Ueberkommenes?</p> + +<p>Darauf lautet die Antwort der Geschichte: es war eine absolute +Notwendigkeit, dass das Abendmahl trotz des Fehlens des +Wiederholungsbefehls bei der ersten Gemeinde in Aufnahme +kam, und diese Notwendigkeit besteht auch noch für uns zu Recht. +Unsere Feier gründet sich nicht auf die geschichtliche Ueberlieferung +oder auf die unkontrollierbare Autorität bestimmter +Persönlichkeiten, sondern direkt auf die historische Feier. So +ist unser Abendmahl berechtigt, geboten und notwendig von sich +selbst aus.</p> + +<p>Die neue geschichtliche Erkenntnis führt aber nicht nur die +Versöhnung hinsichtlich der Berechtigungsfrage herbei, sondern +auch hinsichtlich der Frage nach der Bedeutung der Feier.</p> + +<p>Niemand kann sich der Einsicht verschliessen, dass unsere +Feier eigentlich sehr dürftig und unlebendig ist, wenn sie nur auf +die Darstellung eines Doppelgleichnisses durch die Reproduktion +einer historischen Situation geht, wo der Pfarrer die Stelle Jesu +und die Gläubigen die Stelle der Jünger einnehmen. Andererseits +stellen die konfessionellen Auffassungen Zumutungen an +ernste Christen, die sie entweder zur Gedankenlosigkeit oder zur +<span class="pagenum"><a name="Seite_xi" id="Seite_xi">XI</a></span> +Gewissenlosigkeit erziehen und den Zweifel und Spott geradezu +herausfordern.</p> + +<p>Könnten beide Auffassungen aus ihrer Sprache heraustreten, +dann würden sie darin übereinkommen, dass der Sinn der Feier +etwas Geheimnisvolles ist, wo der Einzelne mit der feiernden Gemeinschaft +und der Persönlichkeit unseres Herrn in ein besonders +heiliges Verhältnis tritt. Nun zwingen aber die unglücklichen +Einsetzungsworte den Einen durch die rein symbolische Deutung +hinter diesem Geheimnis zurückzubleiben, den Andern durch die +wörtliche Deutung über dieses Geheimnis hinauszugehen und das +Unfassbare zu behaupten. Die Vermittlungsversuche sind am +schlimmsten daran. In der Sache und dem religiösen Gehalt +nach mögen sie richtig sein, aber in der Deutung der Gleichnisse +sind sie gequetscht und gekünstelt, dass ein Mensch mit +ehrlichem Verstand sie nicht zu ertragen vermag. So wie die +„Einsetzungsworte“ liegen und nach der Rolle, die man ihnen +bisher in der Feier zuwies, sind nur die rein symbolische oder +die krass realistische Deutung zulässig. Was dazwischen ist, ist +vom Uebel.</p> + +<p>Auch hier bringt die wahre geschichtliche Erkenntnis die +Befreiung von der unnatürlichen Alternative, indem sie zeigt, +dass die Stellung, die man den Gleichnissen in dem Ganzen der +Feier anwies, geschichtlich falsch ist. Die urchristliche Feier +beruht nicht auf den „Einsetzungsworten“ — dies ist mein Leib, +dies ist mein Blut — obwohl diese Worte bei der historischen +Feier gesprochen worden sind. Also ist auch unsere Auffassung +unabhängig von diesen rätselhaften Gleichnisworten.</p> + +<p>Diese kurzen Andeutungen mögen zeigen, dass diese Arbeit +in einem praktisch aufbauenden und versöhnenden Geiste geschrieben +ist. Zwar wird man, von den gewohnten Auffassungen +herkommend, zunächst mannigfach an dieser Untersuchung Anstoss +nehmen, da sie die Versöhnung nicht durch eine neue Vermengung +oder Verdunkelung, sondern einzig und allein durch +geschichtliche Wahrhaftigkeit und Unbefangenheit herbeiführen +will. <em class="gesperrt">Wir müssen an die Geschichte glauben</em>, d. h. wir +müssen der Zuversicht sein, dass mit dem Fortschritt der geschichtlichen +Erkenntnis zugleich die Vertiefung und Einigung +im Glauben notwendig verbunden ist, obwohl es manchmal vorerst +nicht den Anschein hat. In diesem Glauben habe ich diese +Untersuchung begonnen und zu Ende geführt.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_xii" id="Seite_xii">XII</a></span> + +Diese Arbeit erscheint in drei Heften. <em class="gesperrt">Das erste</em> behandelt +das Problem, wie es sich aus der Forschung des 19. Jahrhunderts +und aus den Berichten ergibt. <em class="gesperrt">Das zweite</em> sucht die +Grundlage der historischen Feier in dem Leben und in den Gedanken +Jesu. Es stellt sich dar als die Skizze einer neuen Auffassung +des Lebens Jesu. Das <em class="gesperrt">dritte</em> behandelt das Abendmahl +in der urchristlichen und in der altchristlichen Epoche und zeigt, +wie sich daraus die römische Messe und das griechische Mysterium +mit gleicher Berechtigung und Notwendigkeit entwickelt +haben. Das erste und das zweite Heft erscheinen miteinander. +Das dritte wird denselben in thunlichster Bälde folgen.</p> + +<p>Zum Schluss fühle ich mich gedrungen, allen meinen Freunden, die +mir bei dieser Arbeit behülflich gewesen sind, den Herrn Pfarrern +<span class="smcap">A. Ernst</span> und <span class="smcap">R. +Will</span> zu Strassburg, <span class="smcap">A. Huck</span> und +<span class="smcap">Ed. Unsinger</span> zu Schiltigheim und dem Herrn +Vikar <span class="smcap">Alfred Erichson</span> in Strassburg, meinen +tiefgefühlten Dank auszusprechen.</p> + +<blockquote> + +<p><em class="gesperrt">Strassburg</em>, im August 1901.</p></blockquote> +</div> +<hr class="full" /> +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_xiii" id="Seite_xiii">XIII</a></span></p> + +<h2><b>Inhaltsangabe des ersten Heftes.</b></h2> + +<table summary="inhalt"> +<tr><td> </td><td>Seite</td></tr> +<tr> +<td><em class="gesperrt">Vorrede zu einer neuen Untersuchung über das Abendmahl</em></td> + + <td class="tdcw"><a href="#Seite_v">V</a>-<a href="#Seite_xiii">XII</a></td> +</tr> +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Erster Teil.</b></td></tr> +<tr> +<td><b>Das Abendmahlsproblem auf Grund der wissenschaftlichen +Forschung des 19. Jahrhunderts</b></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_1">1</a>-<a href="#Seite_44">44</a></td></tr> + +<tr><td class="tdc"><i>Erstes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_1">1</a>-<a href="#Seite_5">5</a></td></tr> +<tr> + +<td colspan="2" class="tdc"><b>Einleitung.</b></td></tr> +<tr> +<td>1. Der Skeptizismus in der Abendmahlsforschung</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_1">1</a>-<a href="#Seite_2">2</a> </td> +</tr> + +<tr><td>2. Der Ansatzpunkt</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_2">2</a>-<a href="#Seite_3">3</a></td></tr> +<tr> + +<td>3. Die Einzelfragen</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_3">3</a>-<a href="#Seite_5">5</a></td> +</tr> + +<tr><td>4. Die vier Typen der Abendmahlsauffassungen</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_5">5</a></td></tr> +<tr> + +<td class="tdc"><i>Zweites Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_5">5</a>-<a href="#Seite_7">7</a></td></tr> + +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Das Vorspiel. Zwingli und Calvin.</b></td> +</tr> + +<tr><td class="tdc"><i>Drittes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_7">7</a>-<a href="#Seite_10">10</a></td></tr> + +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung +des Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung +des Genussmoments.</b></td> + </tr> + +<tr><td>1. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. <span class="smcap">De Wette</span>, +<span class="smcap">Ebrard</span> und <span class="smcap">Rückert</span></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_7">7</a>-<a href="#Seite_8">8</a></td> +</tr> + +<tr> +<td>2. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. <span class="smcap">Th. Keim</span>, <span class="smcap">K. +v. Weizsäcker</span>, <span class="smcap">Willibald Beyschlag</span>, <span class="smcap">H. Holtzmann</span>, <span class="smcap">Paul +Lobstein</span>, <span class="smcap">W. Schmiedel</span></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_8">8</a>-<a href="#Seite_10">10</a></td> </tr> + +<tr> +<td class="tdc"><i>Viertes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_10">10</a></td></tr> + +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Ueberblick über die Auffassungen mit Zugrundelegung +<span class="pagenum"><a name="Seite_xiv" id="Seite_xiv">XIV</a></span>des Genussmoments.</b> +</td></tr> +<tr><td class="tdc"><i>Fünftes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_11">11</a>-<a href="#Seite_21">21</a></td> </tr> + +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des +Genussmoments.</b></td></tr> + +<tr> +<td>1. Die Vorperiode. <span class="smcap">Fr. Strauss</span>, <span class="smcap">Bruno Bauer</span>, <span class="smcap">E. Renan</span> +</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_11">11</a>-<a href="#Seite_13">13</a></td> +</tr> + +<tr><td>2. Die modernen Versuche. <span class="smcap">W. Brandt</span>, <span class="smcap">Fr. Spitta</span>, +<span class="smcap">A. Eichhorn</span></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_13">13</a>-<a href="#Seite_14">14</a></td> </tr> + +<tr> +<td>3. <span class="smcap">W. Brandt</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_14">14</a>-<a href="#Seite_15">15</a></td></tr> + +<tr> +<td>4. <span class="smcap">Fr. Spitta</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_15">15</a>-<a href="#Seite_16">16</a></td></tr> + +<tr> +<td>5. Kritik der Auffassung <span class="smcap">Spitta</span>'s</td> + + <td class="tdc"><a href="#Seite_16">16</a>-<a href="#Seite_18">18</a></td> +</tr> + +<tr><td>6. <span class="smcap">A. Eichhorn</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_18">18</a>-<a href="#Seite_19">19</a></td></tr> + +<tr><td>7. Die neue „Thatsache“</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_19">19</a>-<a href="#Seite_20">20</a></td></tr> + +<tr> +<td>8. Die Skepsis in der Folge der einseitigen Herausarbeitung +des Genussmoments</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_20">20</a></td></tr> + +<tr> +<td>9. Der logische Grund der Skepsis</td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_20">20</a>-<a href="#Seite_21">21</a></td> +</tr> +<tr><td class="tdc"><i>Sechstes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_21">21</a>-<a href="#Seite_26">26</a></td></tr> +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung +des Genussmoments und abgeleiteter Geltendmachung +des Darstellungsmoments.</b></td> +</tr> + +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><span class="smcap">Ad. Harnack</span>, <span class="smcap">Erich Haupt</span>, <span class="smcap">Fr. Schultzen</span>, <span class="smcap">R. A. Hoffmann</span>. +</td></tr> + +<tr><td>1. Allgemeines</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_21">21</a>-<a href="#Seite_22">22</a></td></tr> + +<tr> +<td>2. <span class="smcap">Ad. Harnack</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_22">22</a>-<a href="#Seite_23">23</a></td></tr> +<tr> +<td>3. <span class="smcap">Erich Haupt</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_23">23</a>-<a href="#Seite_24">24</a></td> +</tr> +<tr><td>4. <span class="smcap">Fr. Schultzen</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_24">24</a>-<a href="#Seite_25">25</a></td></tr> +<tr> +<td>5. <span class="smcap">R. A. Hoffmann</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_25">25</a>-<a href="#Seite_26">26</a></td></tr> + +<tr><td class="tdc"><i>Siebentes Kapitel</i></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_26">26</a>-<a href="#Seite_31">31</a></td></tr> + +<tr><td colspan="2" class="tdc"><b>Der gesetzmässige Zusammenhang zwischen den +Einzelfragen.</b></td></tr> + +<tr><td>1. Der Wiederholungsbefehl</td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_26">26</a>-<a href="#Seite_27">27</a></td></tr> + +<tr><td>2. Das Abendmahl und die urchristliche Gemeindemahlzeit</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_27">27</a>-<a href="#Seite_30">30</a></td></tr> + +<tr><td>3. Die Antinomie zwischen der historischen und der urchristlichen +Feier</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_30">30</a>-<a href="#Seite_31">31</a></td></tr> + +<tr> +<td class="tdc"><i>Achtes Kapitel</i> </td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_31">31</a>-<a href="#Seite_37">37</a></td> +</tr> + +<tr><td colspan="2" class="tdc"><b>Die Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des +Darstellungsmoments.</b></td></tr> + + <tr> +<td>1. Das Gefechtsfeld</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_31">31</a>-<a href="#Seite_32">32</a></td></tr> + +<tr> +<td>2. Der Verteidigungsplan. <span class="smcap">P. W. Schmiedel</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_32">32</a>-<a href="#Seite_34">34</a></td> </tr> + +<tr><td>3. Die Offensive. <span class="smcap">Adolf Jülicher</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_34">34</a>-<a href="#Seite_36">36</a></td></tr> + +<tr><td>4. Die Skepsis in den Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung +<span class="pagenum"><a name="Seite_xv" id="Seite_xv">XV</a></span>des Darstellungsmoments +</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_36">36</a>-<a href="#Seite_37">37</a></td></tr> +<tr> +<td class="tdc"><i>Neuntes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_37">37</a>-<a href="#Seite_44">44</a></td></tr> +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Die neue Problemstellung.</b></td></tr> +<tr> +<td>1. Das Ergebnis der Untersuchung</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_37">37</a>-<a href="#Seite_40">40</a></td> </tr> +<tr><td>2. Der neue Weg</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_40">40</a>-<a href="#Seite_44">44</a></td></tr> + <tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Zweiter Teil.</b> </td></tr> +<tr> +<td class="tdc"><b>Das Abendmahlsproblem auf Grund der +historischen Berichte</b></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_45">45</a>-<a href="#Seite_62">62</a></td></tr> + + <tr> +<td class="tdc"><i>Zehntes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_45">45</a>-<a href="#Seite_48">48</a></td></tr> +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Die textkritischen Fragen.</b></td> +</tr> +<tr> +<td>1. Cod. D. Die textkritische Hauptfrage</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_45">45</a>-<a href="#Seite_46">46</a></td> </tr> +<tr> +<td>2. Abweichende Lesarten</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_47">47</a></td></tr> +<tr> +<td>3. Das Ergebnis <span class="err" title="original: des">der</span> Textkritik</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_47">47</a>-<a href="#Seite_48">48</a></td></tr> +<tr> +<td class="tdc"><i>Elftes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_48">48</a>-<a href="#Seite_50">50</a></td></tr> +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Die Eigenart des Markusberichts</b> (Mk 14 <span class="antiqua">22-26</span>).</td></tr> +<tr> +<td class="tdc"><i>Zwölftes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_50">50</a>-<a href="#Seite_56">56</a></td></tr> +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Der Vergleich der Berichte.</b></td> +</tr> + +<tr><td>1. Das Prinzip der Gleichbildung</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_50">50</a></td> </tr> +<tr> +<td>2. Der matthäische Bericht (Mt 26 <span class="antiqua">26-29</span>)</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_50">50</a>-<a href="#Seite_51">51</a></td></tr> +<tr> +<td>3. Der paulinische Bericht (I Kor 11 <span class="antiqua">23-26</span>)</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_51">51</a>-<a href="#Seite_53">53</a></td></tr> +<tr> +<td>4. Der lukanische Bericht (Lk 22 <span class="antiqua">14-20</span>)</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_53">53</a>-<a href="#Seite_55">55</a></td></tr> +<tr> +<td>5. Der justinische Bericht (I Apol 66)</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_55">55</a>-<a href="#Seite_56">56</a></td> </tr> + +<tr> +<td class="tdc"><i>Dreizehntes Kapitel</i> </td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_56">56</a>-<a href="#Seite_62">62</a></td></tr> +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Die Authentie des Markusberichts.</b></td></tr> +<tr> +<td>1. Der Beweis</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_56">56</a>-<a href="#Seite_60">60</a></td> </tr> +<tr> +<td>2. Die Folgerungen aus der Authentie des Markusberichts</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_60">60</a></td></tr> +<tr> +<td>3. Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis im Abendmahl</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_60">60</a>-<a href="#Seite_62">62</a></td></tr> +</table> +</div> +<hr class="full" /> +<div class="chapter"> +<p class="pseudotitle"><span class="pagenum"><a name="Seite_1" id="Seite_1">1</a></span> + +<big><b>Erster Teil.</b></big></p> + +<p class="center"><big><b>Das Abendmahlsproblem auf Grund der wissenschaftlichen +Forschung des 19. Jahrhunderts.</b></big></p> + +<h2>Erstes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Einleitung.</b></p> + +<h3><strong>1. Der Skeptizismus in der Abendmahlsforschung.</strong></h3> + +<p>Es gibt Fragen, welche in dem Denken der Menschheit auftauchen, +das volle geistige Interesse einer Epoche in Anspruch +nehmen und dann wieder zurücktreten, ohne ihre Lösung gefunden +zu haben und ohne dass es klar ist, wie sie ungelöst an +Interesse verlieren konnten.</p> + +<p>Jahrhunderte gehen darüber hin. Dann, durch eine Wendung +in der Geschichte, wird dieselbe Frage wieder in den Vordergrund +geschoben und das Spiel wiederholt sich.</p> + +<p>Zu diesen intermittierenden Vulkanen gehört die <em class="gesperrt">Abendmahlsfrage.</em> +Drei Aktionsperioden sind bis jetzt zu verzeichnen. +Die erste ist die längste. Sie dauert ungefähr zehn Jahrhunderte. +Mit der Dauer steht die Intensität im umgekehrten Verhältnis. +Wir haben keinen feuerspeienden Berg, sondern einen Krater mit +langsamem Lavaausfluss. Einige Erdstösse — die fränkischen +Abendmahlskontroversen — bezeichnen den Schluss der Aktionsperiode.</p> + +<p>Die Art, wie die Frage in der Reformationszeit neu auftaucht, +ist in höchstem Grade überraschend. Man sollte meinen, +dass, in dem gemeinsamen Gegensatz aller reformatorischen Auffassungen +zur römischen Theorie, die innerprotestantischen Gegensätze +gerade in dieser Frage Aussicht hatten, bis auf weiteres latent +zu bleiben. Statt dessen wird gerade die Abendmahlsfrage +der Pol, nach dem sich die Gedanken orientieren. Diese zweite, +dogmatische Periode, war in ihrem eigentlichen Verlauf ebenso +<span class="pagenum"><a name="Seite_2" id="Seite_2">2</a></span> +kurz wie heftig. Sie umfasst kaum drei Jahrzehnte. Dann +wird die Abendmahlsfrage für die Dogmatik eine Frage neben +andern. <span class="smcap">Schleiermacher</span>'s Glaubenslehre, die wissenschaftliche +Begründung der Vermittlungsversuche, behandelt sie fast anhangsweise.</p> + +<p>Die dritte Periode wird durch die historisch-kritische Forschung +heraufgeführt. Wir stehen mitten darin, so aber, dass +die Mittagszeit bereits hinter uns liegt. Schon kündigt sich nämlich +die Erschöpfung an. Nachdem eine Reihe der letzterschienenen +Abhandlungen die Zuversicht, das Problem durch die +historische Kritik lösen zu können, nicht mehr so entschieden zur +Geltung kommen liessen, wie dies früher der Fall war, greift jetzt +eine ausgesprochen skeptische Stimmung Platz, deren Sprache +man in dem Aufsatz <span class="smcap">Eichhorns</span>'s<a name="FNAnker_1_1" id="FNAnker_1_1"></a><a href="#Fussnote_1_1" class="fnanchor">[1]</a> vernehmen kann.</p> + +<p>An diesem Skeptizismus ist etwas unbedingt Berechtigtes. +Er geht nämlich von der Thatsache aus, dass durch die ganze +Forschung des 19. Jahrhunderts die Lösung des Problems ferner +gerückt ist als je. Die Schwierigkeiten sind gerade durch die +historisch-kritische Methode in viel stärkerem Masse hervorgetreten, +als man früher jemals ahnen konnte.</p> + +<p>Unberechtigt daran ist aber die Art, der historischen gewissenhaften +Kritik gegenüber vornehm zu thun und aus der +Thatsache, dass sie bis jetzt in dem Problem nicht zum Ziele geführt +hat, ihre Inferiorität einer excentrischen überkritischen Unkritik +gegenüber zu proklamieren. Statt dessen sollte man eher +nach den Gründen forschen, warum die historische Kritik die +Lösung dieser Frage bisher nicht herbeiführen konnte.</p> + +<h3><strong>2. Der Ansatzpunkt.</strong></h3> + +<p>Das Abendmahlsproblem setzt sich aus einer Reihe von +Einzelfragen zusammen, die in den verschiedenen Auffassungen +verschieden beantwortet und verschieden mit einander in Zusammenhang +gebracht werden. Gewöhnlich dreht sich nun die +Kritik um diese Einzelfragen. Man untersucht, ob die Fassung +der Einsetzungsworte haltbar ist, ob die Exegese der Gleichnisse +richtig ist, wie die betreffende Abhandlung sich zur chronologischen +Frage stellt, auf welche Art sie den behaupteten oder +<span class="pagenum"><a name="Seite_3" id="Seite_3">3</a></span> +verneinten Zusammenhang zwischen Abendmahl und Passah begründet +und dergleichen.</p> + +<p><em class="gesperrt">Der folgenden Untersuchung kommt es mehr auf +die Gesamtauffassung an und auf den Zusammenhang, +in welchem die Einzelfragen unter einander stehen.</em> +Wächst eine Abendmahlsanschauung aus einer Reihe von selbständigen +Entscheidungen über die schwebenden Einzelfragen +heraus, oder sind nicht diese Einzelfragen durch einen inneren +verborgenen Mechanismus so mit einander verbunden, dass mit +der einen zugleich über die andern entschieden wird? Welches +sind die Gesetze, nach denen sich die Einzelfragen im Abendmahlsproblem +gegenseitig bedingen? Das ist die Frage, welche uns +beschäftigt. Nur sie kann uns darüber Aufschluss geben, warum +die historisch-kritische Methode nicht zum Ziele führen konnte.</p> + +<h3><strong>3. Die Einzelfragen.</strong></h3> + +<p>Liegt die Bedeutung der Gleichnisse darin, dass Jesus das +Brot bricht und den Wein im Kelch herumreicht? Oder beruht sie +darin, dass die Jünger dieses Brot essen und diesen Wein trinken?</p> + +<p>Hat er die Worte über Brot und Wein als Gleichnisse gemeint, +oder will er damit andeuten, dass die Jünger seinen Leib +und sein Blut durch den Genuss sich irgendwie aneignen?</p> + +<p>Fand das Mahl im Zusammenhang mit dem Passahmahl statt, +sodass für die Worte Jesu und ihr Verständnis Passahgedanken +vorausgesetzt werden dürfen?</p> + +<p>Erlaubt es die Chronologie der Evangelien, Jesum noch am +Passahabend im Kreise seiner Jünger zu sehen?</p> + +<p>Hat er den Jüngern befohlen, die Feier zu wiederholen?</p> + +<p>Was hat er ihnen zu wiederholen geboten?</p> + +<p>Ist es möglich, dass der „Stifter“ ihnen zumutet, seine +eigenen Worte zu wiederholen, die nur in seinem Munde und +in jenem historischen Momente einen Sinn haben?</p> + +<p>Angenommen, der Wiederholungsbefehl ist nicht historisch, +wie kommen denn die Jünger dazu, die Feier dennoch zu wiederholen?</p> + +<p>Wie ist es möglich, dass im Urchristentum Paulus die +Wiederholung als auf den Herrn zurückgehend in die Darstellung +der historischen Feier einträgt?</p> + +<p>Wie erklärt sich das Fehlen des historischen Berichts im +vierten Evangelium, da doch Kap. 6 die Feier voraussetzt?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_4" id="Seite_4">4</a></span> + +Steht es im allgemeinen nicht so, dass mit der Annahme +des Wiederholungsbefehls das psychologische Verständnis der +historischen Feier unmöglich wird, während unter Voraussetzung +seines Fehlens die Wiederholung in der ersten Gemeinde ganz +unbegreiflich ist?</p> + +<p>Hat sich das Abendmahl an ein Passahmahl angeschlossen, +wie ist dann, mit oder ohne Wiederholungsbefehl, die <em class="gesperrt">tägliche +Feier</em> in der urchristlichen Zeit begreiflich?</p> + +<p>Waren Agape und Herrenmahl getrennt, standen sie in +irgend einem Zusammenhang, oder waren sie identisch?</p> + +<p>Wie verlief überhaupt die Herrenmahlsfeier im Urchristentum? +Wie sind die Angaben der Didache mit den paulinischen +Schilderungen und Forderungen in I Kor 11 zu vereinigen?</p> + +<p>In welchem Verhältnis stehen die Kunde und die Auffassung +der historischen Feier, welche die Didache und Paulus voraussetzen, +zu dem Bilde der historischen Feier in den Synoptikern?</p> + +<p>Wie erklärt sich das gänzliche Zurücktreten des Leidensgedankens +und der Situation der historischen Feier in der +Didache?</p> + +<p>Welche Bedeutung kam dem eschatologischen Moment in +der urchristlichen Abendmahlsfeier zu?</p> + +<p>In welchem Zusammenhang steht das eschatologische +Schlusswort Jesu von dem Neutrinken im Reich des Vaters mit +dem Verlauf der historischen Feier?</p> + +<p>Wie lassen sich die Abweichungen der synoptischen Berichte +erklären?</p> + +<p>Die paulinische Darstellung ist die chronologisch älteste; +der Lukastext nach Cod. D der kürzeste; der Markustext steht +im Zusammenhang mit der einfachsten und glaubwürdigsten +evangelischen Geschichtsdarstellung, und der justinische Bericht +ist möglicherweise unabhängig von unseren Evangelien. Welchem +der vier grundverschiedenen Texte gebührt der Vorzug?</p> + +<p>In welche Verbindung stellte das Urchristentum die Teilnahme +am Herrenmahl mit der Vorstellung von der Erlösung?</p> + +<p>Wir nehmen an, die Reproduktion der Herrenworte bei der +urchristlichen Feier ist eine freie gewesen; die Bedeutung dieser +Worte konnte aber nur eine einzige sein. Wie ist es erklärlich, +dass wir aus der ganzen urchristlichen Zeit, ja eigentlich bis ins +beginnende Mittelalter hinein keine Kunde von Auseinandersetzungen +über den Sinn dieser Worte haben? Die Einsicht, +<span class="pagenum"><a name="Seite_5" id="Seite_5">5</a></span> +dass die Vorstellungen im Urchristentum noch einen gewissen +Grad der Flüssigkeit aufweisen, reicht zur Erklärung der obigen +Thatsache nicht aus.</p> + +<h3><strong>4. Die vier Typen der Abendmahlsauffassungen.</strong></h3> + +<p>Bei der Darstellung der wissenschaftlichen Abendmahlsdebatte +unterscheiden wir zunächst zwei Hauptströmungen. Wir +teilen die Abhandlungen danach ein, ob sie für ihre Auffassung +das <em class="gesperrt">Darstellungs-</em> oder das <em class="gesperrt">Genussmoment</em> zu Grunde +legen. <em class="gesperrt">Unter dem Darstellungsmoment verstehen wir +das Handeln und Reden Jesu während der historischen +Feier; unter dem Genussmoment die Bedeutung des +Essens und Trinkens der Teilnehmer, wie sie sich aus +dem Wesen der Feier ergeben soll.</em> Neben den Darstellungen, +die eines dieser beiden Momente mit Ausserachtlassung des +andern einseitig herausarbeiten, gibt es noch andere, doppelseitige, +die eines der Momente zu Grunde legen, dabei aber dem +zweiten nebensächliche Geltung zugestehen. Wir haben also im +ganzen vier Haupttypen, zwischen denen die mannigfachsten Vermittlungen +möglich sind.</p> + +<ul class="hang"> + +<li>1. <em class="gesperrt">Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des +Darstellungsmoments.</em></li> + +<li>2. <em class="gesperrt">Doppelseitige Auffassungen mit Zugrundelegung +des Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung +des Genussmoments.</em></li> + +<li>3. <em class="gesperrt">Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung +des Genussmoments.</em></li> + +<li>4. <em class="gesperrt">Doppelseitige Auffassungen mit Zugrundelegung +des Genussmoments und abgeleiteter Geltendmachung +des Darstellungsmoments.</em></li></ul> + +<p>Im folgenden werden diese Auffassungen dargestellt in +der Ordnung, wie sie geschichtlich in die Erscheinung getreten +sind.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fussnoten:</h3> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_1_1" id="Fussnote_1_1"></a><a href="#FNAnker_1_1"><span class="label">[1]</span></a> „Das Abendmahl im Neuen Testament“ von <span class="smcap">Albert Eichhorn</span>, +(Leipzig 1898), Hefte zur „Christlichen Welt“ No. 36.</p></div></div> +<hr class="chap" /> + +<h2>Zweites Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Das Vorspiel. Zwingli und Calvin.</b></p> + +<p>Das Verdienst, das Abendmahlsproblem zuerst wissenschaftlich +behandelt zu haben, gebührt <span class="smcap">Zwingli</span>. Die Bedeutung der +historischen Feier beruht nach ihm auf dem symbolischen Handeln +Jesu. Durch das Brechen des Brotes und das Darbieten +<span class="pagenum"><a name="Seite_6" id="Seite_6">6</a></span> +des Weines kündigt der Herr seinen Tod an. Er verordnet die +Wiederholung der Feier, damit die Christen bei dem gebrochenen +Brot und dem vergossenen Wein seines Todes gedenken.</p> + +<p>Die Schwäche dieser Auffassung liegt darin, dass <span class="smcap">Zwingli</span> +den Hauptnachdruck allein auf das Handeln Jesu legt. Er kann +die historische Feier erklären, — <em class="gesperrt">aber nicht die Wiederholung</em>, +bei welcher notwendig der Nachdruck nicht auf dem +Handeln Jesu, sondern auf dem der Teilnehmer, dem Genuss des +Brotes und des Weines, ruht. Es gelingt nicht begreiflich zu +machen, warum die Jünger die Gleichniselemente genossen und +noch viel weniger, warum auch spätere Geschlechter bei der +Wiederholung noch essen und trinken und nicht bloss <em class="gesperrt">anschauen</em>, +um sich an dem erzählten und dargestellten Abendmahlshandeln +Jesu zu erbauen. Dass <span class="smcap">Zwingli</span>'s Lehre dogmatisch nicht befriedigen +konnte, lag in letzter Linie an der Einseitigkeit seiner +wissenschaftlichen Exegese.</p> + +<p>So musste seine Auffassung auch wissenschaftlich durch diejenige +verdrängt werden, welche dem Genuss der Teilnehmer einen +Platz neben dem darstellenden Abendmahlshandeln Jesu anweisen +konnte. Dies leistete die Abendmahlslehre <span class="smcap">Calvin</span>'s.</p> + +<p>Bei ihm liegt die Symbolik zu gleichen Teilen in dem begründet, +was Jesus mit den Elementen vornimmt (Brechen des +Brotes und Ausgiessen des Weines), und in dem, was die Teilnehmer +mit den Elementen beginnen (Essen des Brotes und Trinken +des Weines). In dieser Betonung der Darbietung und der +Aneignung als der beiden Grundmomente des Abendmahls beruht +die wissenschaftliche Stärke der calvinischen Abendmahlslehre. +Die historische Feier kann er weniger gut erklären, als es +<span class="smcap">Zwingli</span> gethan; dafür ist es ihm aber möglich, ihre Wiederholung +als notwendig darzuthun, indem die <em class="gesperrt">Wertung des +Genusses</em>, nicht allein <em class="gesperrt">der Befehl Jesu</em>, den Zusammenhang +zwischen der historischen und der wiederholten Feier +aufrecht erhält.</p> + +<p>Es waren also nicht nur <em class="gesperrt">dogmatische</em>, sondern auch +<em class="gesperrt">wissenschaftliche</em> Interessen, welche den Sieg der calvinischen +Abendmahlsauffassung über die zwinglische bedingten. Die zum +Teil auf wissenschaftlicher Grundlage beruhende Auseinandersetzung +zwischen diesen beiden Ansichten bildete ein kurzes Vorspiel +zu der grossen historischen Abendmahlsdebatte im 19. Jahrhundert.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_7" id="Seite_7">7</a></span> + +Da die doppelseitige Auffassung durch den Sieg <span class="smcap">Calvin</span>'s +über <span class="smcap">Zwingli</span> allgemein verbreitet war, setzte die historische +Forschung die Doppelseitigkeit voraus. Sie betonte hauptsächlich +das Darstellungsmoment, weil die exegetische Anschaulichkeit +dafür sprach. So wurden zunächst die doppelseitigen Auffassungen +mit Zugrundelegung des Darstellungsmoments wissenschaftlich +ausgeprägt.</p> +<hr class="chap" /> + +<h2>Drittes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des +Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung +des Genussmoments.</b></p> + +<h3><strong>1. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. +De Wette, Ebrard und Rückert.</strong></h3> + +<p><span class="smcap">De Wette</span> vertritt die doppelseitige Auffassung in seinen +Kommentaren.<a name="FNAnker_2_2" id="FNAnker_2_2"></a><a href="#Fussnote_2_2" class="fnanchor">[2]</a> Das Brechen und das Essen des Brotes, das +Ausgiessen und das Trinken des Weins bedingen zusammen die +Bedeutung der Elemente bei der Feier. Der Hauptnachdruck +liegt aber auf dem Brechen, dem darstellenden Moment. Die +Betonung des Genussmoments ist mehr nebensächlicher Art.</p> + +<p>Von <span class="smcap">August Ebrard</span><a name="FNAnker_3_3" id="FNAnker_3_3"></a><a href="#Fussnote_3_3" class="fnanchor">[3]</a> wird auf den Genuss der gleiche +Wert gelegt wie auf das Brechen und Ausgiessen. Beide Momente +gehören zusammen und bedingen sich gegenseitig. Jesus +reicht das gebrochene Brot zum Essen und den ausgegossenen +Wein zum Trinken dar.<a name="FNAnker_4_4" id="FNAnker_4_4"></a><a href="#Fussnote_4_4" class="fnanchor">[4]</a></p> + +<p>Bei <span class="smcap">Ebrard</span> ist die energische Betonung des Genussmoments +durch seinen Zusammenhang mit der reformiert-calvinischen Auffassung +begreiflich. Aus rein wissenschaftlichen Gründen findet +sich das stärkere Herausarbeiten desselben Moments bei <span class="smcap">Immanuel +Rückert</span>.<a name="FNAnker_5_5" id="FNAnker_5_5"></a><a href="#Fussnote_5_5" class="fnanchor">[5]</a> Seine klassische Schrift fasst den ganzen Ertrag +der wissenschaftlichen Diskussion der Abendmahlsfrage in +der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammen. Die Handlung + +<span class="pagenum"><a name="Seite_8" id="Seite_8">8</a></span> + +Jesu und der Genuss von seiten der Teilnehmer werden in gleicher +Weise betont. In jedem dieser beiden Momente liegt eine +besondere Symbolik. Jesus bricht das Brot und gibt es zum +Essen, er giesst den Wein ein und bietet ihn zum Trinken dar.<a name="FNAnker_6_6" id="FNAnker_6_6"></a><a href="#Fussnote_6_6" class="fnanchor">[6]</a></p> + +<h3><strong>2. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. +Th. Keim, K. v. Weizsäcker, W. Beyschlag, H. Holtzmann, +P. Lobstein, W. Schmiedel.</strong></h3> + +<p>In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich eine +breite und ruhige Strömung verfolgen, welche beide Momente +mit sich führt, jedoch so, dass das Darstellungsmoment die Grundströmung, +das Genussmoment die Oberströmung bildet. Folgende +Aussprüche geben die Richtung des Stromes an.</p> + +<blockquote> + +<p><span class="smcap">Th. Keim.</span> <em class="gesperrt">Geschichte Jesu von Nazara.</em> 1872 Bd. III S. 232 +bis 290 (Das Nachtmahl Jesu).</p></blockquote> + +<p>„Man hat den Eindruck, dass es sich für Jesus doch um +etwas mehr handelte, als nur um ein sprechendes Sinnbild seines +irgendwie zum Heil der Jünger zu brechenden und zu tötenden +Leibes vor den Gästen aufzustellen, man hat den Eindruck einer +Gabe; diese Gabe liegt erstlich darin, dass er in nachdrücklicher, +in endgültiger Weise als den Zweck seines bevorstehenden Todes +das Heil der Jünger nennt, sodann, dass er im Zusammenhang +damit die Sinnbilder dieses Heils den Erben dieses Heils nicht +nur zum <em class="gesperrt">Anschauen</em>, sondern <em class="gesperrt">geradezu zum Nehmen und +Geniessen</em> übergibt, das Besitztum des Heilstodes und seine +Früchte in ihre Hände deponiert.“ S. 272.</p> + +<blockquote> + +<p><span class="smcap">Karl v. Weizsäcker.</span> <em class="gesperrt">Apostolisches Zeitalter.</em> 1886 S. 596 +bis 602.</p></blockquote> + +<p><span class="smcap">Weizsäcker</span> vertritt eine interessante Differenzierung in der +Symbolik der beiden Akte. Das Brot ist das Sinnbild der <em class="gesperrt">Gegenwart +Christi</em> in der Gemeinde, der Wein aber das Sinnbild +<em class="gesperrt">seines Todes</em>, durch welchen er das neue Passahopfer geworden +ist. S. 598.</p> + +<blockquote> + +<p> +<span class="smcap">W. Beyschlag.</span> <em class="gesperrt">Das Leben Jesu.</em> 1893 Bd. II S. 434-442.</p> +</blockquote> + +<p>„Der Sinn der Abendmahlsstiftung ist vollkommen klar: +Sein Leib, der für uns gebrochen, sein Blut, das für uns vergossen +wird, ist sein Leben, das er für uns in den Tod gibt, — +<span class="pagenum"><a name="Seite_9" id="Seite_9">9</a></span>für uns dahingibt, damit es in uns wirksam werde; damit es, vom +inwendigen Menschen <em class="gesperrt">angeeignet</em>, wie der äussere Mensch +Speise und Trank in sich aufnimmt, ihm Speise und Trank ewigen +Lebens werde, und so die in Ihm gekommene Erlösung, den in +Ihm gekommenen neuen Bund der Gottgemeinschaft in uns vollziehe.“ +S. 439.</p> + +<blockquote> + +<p><span class="smcap">H. Holtzmann.</span> <em class="gesperrt">Biblische Theologie.</em> 1897 Bd. I S. 296-304.</p></blockquote> + +<p>„Geschichtliche Voraussetzung und übereinstimmendes Resultat +der letzten Forschungen ist, dass Jesus seinen Jüngern +Brot und Wein zum Genusse dargereicht und dabei mit Beziehung +auf das gebrochene Brot von seinem Leib, mit Beziehung +auf den ausgegossenen Wein von seinem Blut gesprochen, letzteres +insonderheit zugleich als Bundesblut bezeichnet hat.“ S. 296.</p> + +<blockquote> + +<p><span class="smcap">Paul Lobstein.</span> <em class="gesperrt">La doctrine de la sainte cène.</em> Lausanne +1899.</p></blockquote> + +<p>„Ceci est mon corps“, dit Jésus en rompant le pain qu'il +distribue à ses disciples; „cette coupe est la nouvelle alliance +dans mon sang versé pour vous“, leur dit-il en faisant circuler la +coupe. S. 46. Le pain que Jésus rompt pour les disciples et +qu'il leur distribue, ils doivent s'en nourrir: „De même que je +vous convie à manger de ce pain, ainsi vous êtes appelés à vous +assimiler le fruit de ma mort, les effets salutaires de ce don de +moi-même, de ce corps brisé et livré pour vous.“ S. 47.</p> + +<blockquote> + +<p><span class="smcap">Wilhelm Schmiedel.</span> <em class="gesperrt">Die neuesten Ansichten über den Ursprung +des Abendmahls.</em> Protestantische Monatshefte, III. Jahrgang +Heft 4 1899.</p></blockquote> + +<p>„Das Bedeutsame ist in erster Linie im <em class="gesperrt">Brechen des +Brotes und Ausgiessen</em> des Weines aus dem Krug in den +Becher zu sehen. Die Austeilung dieser Speisen zum Genuss +schliesst sich als etwas zweites an. <em class="gesperrt">Um der Hauptsache +willen wäre es nicht nötig gewesen: aber da man einmal +beim Mahle sass, war es naturgemäss.</em>“ S. 147.</p> + +<p>Die gemeinsamen Grundzüge dieser Darstellungen sind also +folgende: Brot und Wein sind Leib und Blut Christi, weil er an +ihnen seinen Tod und dessen Heilswert versinnbildlicht hat. Dabei +fordert er die Jünger zum Genuss auf; das soll bedeuten, +dass ihnen die Wohlthaten seines Leidens zu gute kommen, wenn +sie verstehen, sich dieselben anzueignen. Die Wiederholung ist +erfolgt zum Teil, weil der religiöse Wert dieser Handlung von<span class="pagenum"><a name="Seite_10" id="Seite_10">10</a></span> +den Teilnehmern eingesehen wurde, zum Teil, weil Jesus durch +einen Befehl oder eine Andeutung dazu aufforderte. Auf den +Zusammenhang mit dem Passah wird Wert gelegt, ohne dass er +jedoch für die Auffassung als absolut notwendig erklärt würde. +Ueberhaupt haben diese Darstellungen etwas Schwankendes. +Sie vereinigen die mannigfachsten Gesichtspunkte mit einander, +sodass es fast unmöglich ist, sie in kurzen Sätzen präcis wiederzugeben.</p> + +<p>Deshalb ist es auch nicht ratsam von ihnen auszugehen, um +die Gesetze des Zusammenhangs zwischen den Einzelfragen aufzustellen. +Die Krisis in diesem Zustand wurde erst durch die +Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments heraufgeführt.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fussnoten:</h3> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_2_2" id="Fussnote_2_2"></a><a href="#FNAnker_2_2"><span class="label">[2]</span></a> Vgl. <span class="smcap">De Wette</span>'s Commentar zu Matthäus (1836) und zu Johannes +(1837).</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_3_3" id="Fussnote_3_3"></a><a href="#FNAnker_3_3"><span class="label">[3]</span></a> „Das Dogma vom heiligen Abendmahl und seine Geschichte“ von +Dr. <span class="smcap">August Ebrard</span>. 2 Bde., 1845.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_4_4" id="Fussnote_4_4"></a><a href="#FNAnker_4_4"><span class="label">[4]</span></a> Vgl. Bd. I S. 79-120.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_5_5" id="Fussnote_5_5"></a><a href="#FNAnker_5_5"><span class="label">[5]</span></a> „Das Abendmahl, sein Wesen und seine Geschichte in der alten +Kirche“ von Dr. <span class="smcap">Leopold Immanuel Rückert</span>, Professor in Jena, 1856.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_6_6" id="Fussnote_6_6"></a><a href="#FNAnker_6_6"><span class="label">[6]</span></a> Vgl. Bd. I S. 61-131.</p></div></div> + +<hr class="chap" /> +<h2>Viertes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><strong>Ueberblick über die Auffassungen mit Zugrundelegung +des Genussmoments.</strong></p> + +<p>Greift man aus der Geschichte der wissenschaftlichen Abendmahlsuntersuchung +die Werke heraus, welche in allgemeiner Weise +das Genussmoment zu Grunde legen, so fügen sich folgende Namen +in bunter, zusammenhangsloser Reihe aneinander: <span class="smcap">David +Fr. Strauss</span>, <span class="smcap">Bruno Bauer</span>, <span class="smcap">E. Renan</span>, <span class="smcap">Adolf Harnack</span>, <span class="smcap">Fr. +Spitta</span>, <span class="smcap">W. Brandt</span>, <span class="smcap">Erich Haupt</span>, <span class="smcap">Friedrich Schultzen</span>, +<span class="smcap">Rich. Ad. Hoffmann</span> und <span class="smcap">Albert Eichhorn</span>. In dieser Reihe +haben wir keine natürliche Kontinuität, wie in der vorher betrachteten. +Bei näherem Zusehen ergeben sich zwei Epochen. +Die erste fällt in die Mitte des Jahrhunderts (<span class="smcap">Fr. Strauss</span>, +<span class="smcap">Bruno Bauer</span>, <span class="smcap">E. Renan</span>). Die zweite beginnt am Anfang der +neunziger Jahre (<span class="smcap">Harnack</span> und <span class="smcap">Spitta</span>) und kommt noch vor +Ablauf des Jahrzehnts zu ihrem naturgemässen Abschluss (<span class="smcap">A. +Eichhorn</span>).</p> + +<p><span class="smcap">Strauss</span>, <span class="smcap">Bruno Bauer</span>, <span class="smcap">E. Renan</span>, <span class="smcap">W. Brandt</span>, <span class="smcap">Spitta</span> +und <span class="smcap">Eichhorn</span> bieten <em class="gesperrt">Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung +des Genussmoments.</em> <span class="smcap">Adolf Harnack</span>, +<span class="smcap">Erich Haupt</span>, <span class="smcap">Friedrich Schultzen</span> und <span class="smcap">R. A. Hoffmann</span> vertreten +die <em class="gesperrt">doppelseitigen Darstellungen</em> mit Zugrundelegung +des Genussmoments und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments.</p> + +<hr class="chap" /> + +<h2>Fünftes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"> +<span class="pagenum"><a name="Seite_11" id="Seite_11">11</a></span> +<b>Die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des +Genussmoments.</b></p> + +<h3><strong>1. Die Vorperiode. Fr. Strauss, Bruno Bauer, E. Renan.</strong></h3> + +<p>Für die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des +Genussmoments gibt es zwei Perioden. Die erste liegt gegen die +Mitte des 19. Jahrhunderts zu, die zweite gegen das Ende. <span class="smcap">Friedrich +Strauss</span> bezeichnet die erste, <span class="smcap">Friedrich Spitta</span> die zweite.</p> + +<p><span class="smcap">Strauss</span><a name="FNAnker_7_7" id="FNAnker_7_7"></a><a href="#Fussnote_7_7" class="fnanchor">[7]</a> führt aus, dass die Uebersetzung „dies bedeutet“, +wenn sie sich auf das, was Jesus mit den Elementen thut, beziehen +soll, bei weitem nicht ausreicht, ja gar nicht im Sinne der +Verfasser der Evangelien gelegen haben kann. „Den Schreibern +unserer Evangelien <em class="gesperrt">war</em> das Brot im Abendmahl der Leib +Christi ... hätte man geschlossen, dass das Brot den Leib bloss +<em class="gesperrt">bedeute</em>, so würden sie sich dadurch nicht befriedigt haben“ +(S. 436 ff.). Es ist kritisch nicht zulässig, dass Jesus seinen gewaltsamen +Tod mit Bestimmtheit vor sich gesehen habe. Daher +kann sich für ihn die Symbolik bei der letzten Mahlzeit mit den +Jüngern gar nicht auf seinen Tod beziehen. Ebenso ist der +Wiederholungsbefehl für unhistorisch zu halten; dafür spricht +das Schweigen der beiden ersten Evangelien und die Erwägung, +dass überhaupt eine Gedächtnisfeier natürlicher aus dem Bedürfnis +der Zurückbleibenden, als aus dem Plan des Scheidenden hervorgeht. +Ein Passahmahl war diese letzte Mahlzeit mit den Jüngern +auch nicht. Das eigentlich Historische an der ganzen Ueberlieferung +ist das eschatologische Schlusswort beim Becher: ich werde +davon nicht mehr trinken, bis ich ihn neu trinken werde mit euch +in meines Vaters Reich. In Jesu Gedanken bezieht es sich auf +den nächsten Passahwein, nicht allgemein auf das Essen und +Trinken. Von Mahlzeiten im messianischen Reich sprach er, gemäss +den Vorstellungen seiner Zeit, öfters, und so mag er erwartet +haben, das in demselben namentlich das Passahmahl mit besonderer +Feierlichkeit werde begangen werden. Wenn er nun versichert, +dieses Mahl nicht mehr in <em class="gesperrt">diesem</em>, sondern erst in <em class="gesperrt">jenem</em> Aeon +zu geniessen, so muss, nach seiner Erwartung, bis zur Feier des +<span class="pagenum"><a name="Seite_12" id="Seite_12">12</a></span>Passah das messianische Reich eintreten. Es ist dabei nicht nötig, +dass Jesus das Erscheinen des Reiches an seinen Tod geknüpft +dachte. Die ganze urchristliche Abendmahlsauffassung erklärt +sich daraus, dass statt des messianischen Reiches und seiner +Passahfeier — <em class="gesperrt">der Tod Jesu eintrat.</em></p> + +<p>Die Gemeinde feierte das Passah. Es war natürlich, dass +sich der Versuch darbieten musste, demselben durch die Beziehung +auf den Tod und das letzte Mahl Jesu (welches kein Passahmahl +gewesen) eine <em class="gesperrt">christliche</em> Deutung zu geben. So erklärt +sich das Eindringen des Leidensgedankens und der Leidensweissagung +in die historischen Abendmahlsberichte. Die Elemente erhielten +eine Beziehung auf den Leib und auf das Blut Christi; +dabei wurde das Wort Jesu, den Genuss des Passahweines betreffend, +allgemein auf das Essen und das Trinken bezogen +und mit Brot und Wein als seinem Leib und Blut in Verbindung +gebracht. So entstand die Vorstellung von dem Wiederholungsbefehl. +Die Neigung, das Gedächtnismahl vom Passah loszulösen +und öfters zu begehen, erklärt das Aufkommen eines derartigen +Wortes.</p> + +<p>Diese geniale Auffassung von <span class="smcap">Fr. Strauss</span> enthält bereits +alle Faktoren, welche die späteren, das Genussmoment einseitig +betonenden Abendmahlsdarstellungen kennzeichnen. Vor allem +kommen hier in Betracht die Loslösung der historischen Feier vom +Passahmahl, das Ausscheiden der Leidensanspielungen aus den +Worten Jesu, die Erklärung der Wiederholung der Feier ohne +Annahme des Wiederholungsbefehles und die Notwendigkeit, alle +als unhistorisch erkannten Züge in den neutestamentlichen Abendmahlsdarstellungen +(Anschluss an das Passahfest, Beziehung auf +den Tod Christi und Wiederholungsbefehl) aus der Entwicklung +der urchristlichen Feier in einem Zeitraum von nicht einmal zwei +Jahrzehnten zu erklären.</p> + +<p>Will man diese Rückbildung nicht durch eine gewagte Geschichtskonstruktion +erweisen, so bleibt nur wissenschaftliche +Skepsis in irgend einer Form übrig. Diesen Weg hat <span class="smcap">Bruno +Bauer</span><a name="FNAnker_8_8" id="FNAnker_8_8"></a><a href="#Fussnote_8_8" class="fnanchor">[8]</a> betreten. Er setzt voraus, dass die Berichte besagen +wollen: <em class="gesperrt">der Herr reichte seinen Jüngern seinen Leib und +sein Blut zum Genuss dar.</em> Der Wiederholungsbefehl ist eine +<span class="pagenum"><a name="Seite_13" id="Seite_13">13</a></span>Zuthat aus späterer Zeit mit abschwächender Tendenz. Man +fühlte, dass man für die historische Feier den Genuss so nicht +aufrecht erhalten könne. Darum hob man die Beziehung auf die +Zukunft, die der Formel an sich zu Grunde liegt, hervor. Jesus +kann seinen Jüngern nicht sein Fleisch und Blut dargereicht +haben,<a name="FNAnker_9_9" id="FNAnker_9_9"></a><a href="#Fussnote_9_9" class="fnanchor">[9]</a> damit sie es assen; also ist der Bericht des Markus Phantasie, +und alle andern Berichte sind Nachbildungen dieser Erfindung.</p> + +<p>Wie sehr gerade die Vollziehung des Genusses Voraussetzung +der <span class="smcap">Bauer</span>'schen Auffassung ist, zeigt sich darin, dass er +dem Matthäus vorwirft, er habe das bei Markus konstatierte Faktum +des Trinkens von seiten der Jünger eigenmächtig in einen +Befehl Jesu umgesetzt, was schon eine Milderung bedeute. Das +eschatologische Schlusswort lässt er unbeachtet und schneidet sich +so den Weg ab, der <span class="smcap">Strauss</span> aus den Schwierigkeiten, welche die +einseitige Betonung des Genussmomentes nach sich zieht, herausführte.</p> + +<p>Nach <span class="smcap">E. Renan</span><a name="FNAnker_10_10" id="FNAnker_10_10"></a><a href="#Fussnote_10_10" class="fnanchor">[10]</a> hat Jesus am letzten Abend die gewöhnliche +gemeinsame Mahlzeit mit dem Brotbrechen im Kreise seiner +Jünger gefeiert. „Dans ce repas, ainsi que dans beaucoup d'autres, +Jésus pratique son rite mystérieux de la fraction du pain.“ Das +eschatologische Schlusswort ist für <span class="smcap">Renan</span> zweifelhaft und ohne +Bedeutung. Die synoptischen Abendmahlsberichte erklären sich +nur aus der Entwicklung der späteren Anschauungen, für welche +das letzte Mahl ein Passahmahl war; dadurch drangen der +Leidensgedanke, die Beziehung der Elemente auf den Leib Jesu +und die Anordnung der Wiederholung in die Darstellung des +letzten Mahles ein.</p> + +<h3><strong>2. Die modernen Versuche. W. Brandt, Fr. Spitta, +A. Eichhorn.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Vergleiche zum <span class="err" title="original: folgenden">Folgenden</span> den verhängnisvollen Vortrag von <span class="smcap">E. Grafe</span> +(Die neuesten Forschungen über die ursprüngliche Abendmahlsfeier. Zeitschrift +für Theologie und Kirche 1895) und die klare Zusammenfassung von +<span class="smcap">Rud. Schäfer</span> (Das Herrenmahl nach Ursprung und Bedeutung 1897).</p></blockquote> + +<p>Erst das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bietet eine +Abhandlung, in der die bei <span class="smcap">Strauss</span>, <span class="smcap">Bauer</span> und <span class="smcap">Renan</span> angedeuteten<span class="pagenum"><a name="Seite_14" id="Seite_14">14</a></span> +Gedanken sich in voller Schärfe und Konsequenz zu einem +einheitlichen Bilde entwickeln. Es ist die epochemachende Arbeit +<span class="smcap">Spitta</span>'s. Die Werke von <span class="smcap">Ad. Harnack</span> und <span class="smcap">W. Brandt</span> +gehen ihr zeitlich in der Hervorhebung des ausschliesslichen +Mahlzeitscharakters der historischen Feier voraus. Da jedoch +<span class="smcap">Harnack</span> schon mehr zu den doppelseitigen Darstellungen mit +Zugrundelegung des Genussmoments überleitet, ist es rätlich, +ihn erst dort zu behandeln. Zudem hat er in der 3. Auflage +seiner Dogmengeschichte (Bd. I S. 64) zu dem Lösungsversuch +<span class="smcap">Spitta</span>'s Stellung genommen und seine eigene Ansicht daraufhin +neu formuliert.</p> + +<h3><strong>3. W. Brandt.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Die evangelische Geschichte und der Ursprung des Christentums. Leipzig +1893 S. 283 ff.</p></blockquote> + +<p>Die Hauptbedeutung der historischen Feier liegt in dem <em class="gesperrt">gemeinschaftlichen +Genuss.</em> Durch das Gleichnis beim Abendmahl +hat Jesus die gemeinsamen Mahlzeiten zum <em class="gesperrt">Symbol der +Gemeinschaft</em> gemacht. In der Bedeutung dieses Symbols ist +der Grund der Wiederholung zu sehen. Eine Anspielung auf +den Tod ist, wenn sie sich in dem Wort, welches das Brotbrechen +begleitete, findet, für das Wesen der Feier bedeutungslos.</p> + +<p>Die Aufnahme des Leidensgedankens und die Eintragung +des Wiederholungsbefehls in unsere Berichte gehen auf eine Verschiebung +in der urchristlichen Feier zurück. Diese ist dadurch +bedingt, dass nach dem Jahre 70 wegen des Fehlens des Lammes +Brot und Becher die vornehmsten Ingredienzen des jüdischen +Passahmahls bildeten; dadurch wurde eine Gleichgestaltung desselben +mit der urchristlichen Herrenmahlsfeier angebahnt. So +erklärt es sich, dass die letztere durch das erstere im äusserlichen +Verlauf und im Gedankengehalt beeinflusst wurde.</p> + +<p>In dieser ansprechenden Skizze finden wir die schon bei +<span class="smcap">Strauss</span> bemerkten Eigentümlichkeiten der das Genussmoment +ausschliesslich betonenden Auffassungen wieder. Der Wiederholungsbefehl +fehlt, und es kommt darauf an, den Leidenshinweis +in unseren Berichten auf die Einwirkung späterer Gemeindevorstellungen +zurückzuführen. Ob der von dem Verfasser angezeigte +Weg wirklich zum Ziele führt, ist fraglich. Sicher ist, dass er +eine grosse Schwierigkeit nicht berücksichtigt hat. Wie konnten +die Jünger die Worte des Meisters in dem oben gebotenen Sinn<span class="pagenum"><a name="Seite_15" id="Seite_15">15</a></span> +verstehen? Wie konnten sie überhaupt begreifen, dass er bei +der Darreichung von Brot und Wein sie aufforderte, seinen +Leib und sein Blut zu geniessen?</p> + +<p>Es ist das unschätzbare Verdienst <span class="smcap">Spitta</span>'s, diese Frage in +den Vordergrund geschoben zu haben.</p> + +<h3><strong>4. Fr. Spitta.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Die urchristlichen Traditionen über Ursprung und Sinn des Abendmahls +(zur Geschichte und Litteratur des Urchristentums). 1893 S. 207 +bis 337.</p></blockquote> + +<p>Der Sinn der Worte Jesu liegt einzig und allein in der Aufforderung +zum Genuss. Das Genossene ist nach seinen Worten +sein Leib und sein Blut, gerade <em class="gesperrt">dadurch, dass es genossen +wird</em>! Das Brechen und Ausgiessen als die darstellende Handlung, +welche den Elementen eine veranschaulichende Beziehung +auf seinen Tod geben soll, lag seinen Gedanken fern. Die historische +Feier war eine <em class="gesperrt">Mahlzeit</em>, bei welcher nach dem gemeinsamen +Inhalt aller Berichte die Jünger auf seine Aufforderung +hin die dargereichte Speise als seinen Leib essen und den eingegossenen +Wein als sein Blut trinken sollten und dies auch +thaten.</p> + +<p><span class="smcap">Strauss</span> und <span class="smcap">Bruno Bauer</span> hatten denselben Thatbestand +als von den Quellen geboten konstatiert, wurden aber von hier +aus gezwungen, die historische Thatsächlichkeit des geschilderten +Vorganges in Frage zu stellen und das Zustandekommen der +Berichte sei es aus der Geschichte des Urchristentums (<span class="smcap">Strauss</span>), +sei es aus der Geschichte der Entstehung der christlichen Ueberlieferung +überhaupt (<span class="smcap">Bruno Bauer</span>) zu erklären. Dass die Jünger +auf die Aufforderung Jesu hin damals seinen Leib und sein Blut +genossen haben sollen, ist für sie eine unvollziehbare Vorstellung.</p> + +<p><span class="smcap">Spitta</span> kann den Vorgang als historisch aufrecht erhalten +durch Zuhülfenahme <em class="gesperrt">eschatologischer Gedankengänge.</em> +Anknüpfend an die Vorstellung des messianischen Bundes, hat +Jesus, wie die übereinstimmenden Züge aller Berichte zeigen, bei +den „Einsetzungsworten“ an das Essen und Trinken beim messianischen +Mahl gedacht. In der prophetischen und in der apokalyptischen, +in der Sapientia- und in der rabbinischen Litteratur +stellt sich die Vollendung des Reiches in dem messianischen Mahl +dar, <em class="gesperrt">wobei die genossene Speise der Messias selbst ist</em>!<span class="pagenum"><a name="Seite_16" id="Seite_16">16</a></span> +Auf Grund dieser Vorstellung konnte Jesus voraussetzen, dass +die Jünger ihn verstehen würden, wenn er sie aufforderte, beim +Essen ihn selbst zu geniessen. Was er ihnen bietet, ist eine Vorwegnahme +des grossen messianischen Mahles der Endzeit. In +diesem Gedanken konnten sie den Leib des Messias essen und +ihn in seinem Blut, dem Saft der Trauben, trinken.</p> + +<p>Das letzte Mahl war kein Passahmahl, der Leidensgedanke +kam für die Symbolik der Elemente nicht in Betracht, und der +Wiederholungsbefehl ist unhistorisch. Diese Anschauungen sind +späterer Art und nur dadurch verständlich, dass infolge des inzwischen +eingetretenen Todes Jesu die Auffassung seiner Worte +bei der letzten Mahlzeit sich notwendig ändern musste. Die Feier +wurde in Analogie zu dem Passahmahl gesetzt, weil jetzt die +Deutung der Worte vom Leib und Blut auf seine Leiden unabweislich +war. Damit drang die Vorstellung einer Stiftung notwendig +mit ein.</p> + +<p>Bei Paulus halten sich die ursprüngliche und die auf das +Leiden bezogene Auffassung noch das Gleichgewicht. I Kor +10 <span class="antiqua">1</span> ff. und I Kor 10 <span class="antiqua">14</span> ff. kennen den Leidensgedanken noch +nicht und betonen das Genussmoment. I Kor 11 <span class="antiqua">23</span> ff. tritt das +neue Moment in Sicht, welches Paulus bei der Bekämpfung der +korinthischen Agapenskandale in die Feier einträgt: <em class="gesperrt">die Feier +hat es mit dem Tode Jesu zu thun.</em></p> + +<p>Das Neue ist also bei <span class="smcap">Spitta</span> die Heranziehung eigentümlich +eschatologischer Gedankengänge, durch welche er eine Feier +als historisch aufrecht erhält, bei der der Meister den zu Tische +Liegenden Brot und Wein reichte mit der Aufforderung, seinen +Leib zu essen und sein Blut zu trinken. In dem Wesen dieser +Feier lag es begründet, dass sie ohne ausgesprochenen Wiederholungsbefehl +Aufnahme in der ersten Gemeinde fand. Von hier +aus scheint es dann nicht unmöglich, in der nun folgenden Entwicklung +das Eintreten der Faktoren begreiflich zu machen, +welche die neuen Züge in der Auffassung und Wertung der Feier +bedingten.</p> + +<h3><strong>5. Kritik der Auffassung Spitta's.</strong></h3> + +<p>Die grosse Bedeutung der Untersuchung <span class="smcap">Spitta</span>'s beruht +darin, dass er die Abendmahlsfrage nach einem einheitlichen Gesichtspunkt +aufgefasst und zu lösen unternommen hat. Alle +Einzelfragen stehen bei ihm in einer gegenseitigen, engen Wechsel<span class="pagenum"><a name="Seite_17" id="Seite_17">17</a></span>verbindung. +Seine Abhandlung bildet eine geschlossene Kette, +bei der jedes Glied nur im Zusammenhang mit den andern in +Betracht kommt. Darin besteht der grosse Fortschritt in seiner +Untersuchung den früheren gegenüber. Die textkritischen und +die exegetischen Erörterungen sind bei ihm sowohl <em class="gesperrt">Grundlage</em> +als auch <em class="gesperrt">Folge</em> der Gesamtauffassung.</p> + +<p>Man hat seine Auffassung eine <em class="gesperrt">eschatologische</em> genannt, +weil er, wie <span class="smcap">Fr. Strauss</span>, den Gedanken der Mahlzeit im messianischen +Reich zu Hülfe nimmt, um die historische Feier verständlich +zu machen. <span class="smcap">Strauss</span> ging dabei vom synoptisch-eschatologischen +Schlusswort aus, in welchem Jesus die Jünger auf +das grosse Mahl der Endzeit verweist, wo er wieder mit ihnen +vereint sein wird. Der eschatologische Charakter der <span class="smcap">Spitta</span>'schen +Auffassung aber beruht nicht auf dem synoptischen Wort, <em class="gesperrt">sondern +auf einer <span class="err" title="original: eschatologichen">eschatologischen</span> Vorstellung vom Endmahl, +welche aus den Apokryphen und der Weisheitslitteratur +zusammengetragen ist.</em> Dabei ergeben sich eine +Reihe schwerer Widersprüche mit dem synoptisch-eschatologischen +Schlusswort.</p> + +<p>Nach <em class="gesperrt">Spitta</em> bietet sich der Messias beim Mahle der Endzeit +den Seinen zur Speise und zum Trank an. Nach den Synoptikern +weist Jesus auf das Endmahl hin, wo er mit ihnen vom +Gewächs des Weinstocks geniesst. Bei <span class="smcap">Spitta</span> will er also +<em class="gesperrt">Speise und Trank</em>, bei den Synoptikern <em class="gesperrt">mitgeniessender +Tischgenosse sein</em>!</p> + +<p>Bei <span class="smcap">Spitta</span> wird der eschatologische Hinweis sowohl <em class="gesperrt">für +die Speise als für den Trank vorausgesetzt.</em> Historisch +ist aber das eschatologische Schlusswort <em class="gesperrt">nur beim Becher</em>!</p> + +<p><span class="smcap">Spitta</span>'s Eschatologie bezieht sich auf die <em class="gesperrt">Aufforderung +zum Genuss</em> des Leibes und Blutes. Das synoptisch-eschatologische +Wort steht damit in keinem Zusammenhang, <em class="gesperrt">sondern +folgt erst auf den Genuss.</em></p> + +<p><span class="smcap">Spitta</span>'s Auffassung ist also ganz unabhängig vom synoptisch-eschatologischen +Schlusswort. Es figuriert auch nicht in seiner kürzesten +Form der Einsetzungsworte, sondern diese lauten einfach:</p> + +<p>„Nehmet, esset, das ist mein Leib.“</p> + +<p>„Trinket alle daraus. Das ist das Blut meines Bundes, das +für viele vergossen wird.“</p> + +<p>Diese Worte konstituieren die Feier, denn „in der Gemeinde +wurde immer daran gedacht, wie er damals darauf hingewiesen,<span class="pagenum"><a name="Seite_18" id="Seite_18">18</a></span> +<em class="gesperrt">er sei jetzt und in alle Ewigkeit</em> die rechte Speise +und Erquickung ihrer Seele“ (S. 289). So wird das synoptisch-eschatologische +Schlusswort zum <em class="gesperrt">wehmütigen Abschiedswort</em>, +welches von dem Jubelklang der eschatologisch siegesgewissen +Stimmung zum Todesgang überleitet.</p> + +<p><em class="gesperrt">Christus die rechte Seelenspeise:</em> dieser Gedanke ist +modern. Die Eschatologie <span class="smcap">Spitta</span>'s zielt dahin, diesen Gedanken +durch eine Zusammenstellung von alttestamentlichen und apokryphischen +Sprüchen in künstlich-antikem Licht spielen zu lassen, +damit er die Aufforderung Jesu zum Genuss seines Leibes und +Blutes für die historische Situation erkläre. Verzichtet man auf +dieses künstliche Licht, dann bleibt nur das skeptische Dunkel. +Das ist bei <span class="smcap">Eichhorn</span> der Fall.</p> + +<h3><strong>6. A. Eichhorn.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Das Abendmahl im Neuen Testament. Hefte zur christlichen Welt +No. 36. 1898.</p></blockquote> + +<p>„Wenn wir unseren Berichten trauen dürfen“, hat Jesus das +erste Abendmahl mit seinen Jüngern so gehalten, dass er ihnen +Brot und Wein ausgeteilt und sie seinen Leib und sein Blut gegessen +und getrunken haben. Aller Nachdruck fällt auf den Genuss. +Eine auf Jesu Handeln sich gründende Symbolik kann bei +der Betonung des Genusses nicht bestehen. <em class="gesperrt">Man darf nicht +sagen, dass das Brechen des Brotes auf das Zerbrechen +des Leibes und das Trinken des Weins auf das Vergiessen +des Bluts</em> hindeutet. Die Handlung, die in Wirklichkeit +vorgenommen wird, ist einfach das Essen und Trinken.</p> + +<p>Ist dies nun der durch die Quellen gebotene Sachverhalt, so +gibt es vorläufig keine Möglichkeit, die historische Feier und das +Aufkommen ihrer Wiederholung zu verstehen. Was auch Jesus +gesagt und gethan haben mag an jenem Abend, <em class="gesperrt">das Kultmahl +der Gemeinde mit dem sakramentalen Essen und +Trinken des Leibes und Blutes Christi</em>, wie es in der +ältesten Christenheit ziemlich von Anfang an sich ausgebildet hat, +<em class="gesperrt">ist von da aus nicht zu verstehen.</em> So wird <span class="smcap">Eichhorn</span>, weil +er bei der eingestandenen Bedeutung des Genussmomentes von +der Heranziehung eschatologischer oder moderner Anschauungen +absieht, notwendig zur Skepsis gedrängt.</p> + +<p>Sie besteht in dem ausgesprochenen Verzicht, auf Grund der +vorhandenen Berichte die historische und die wiederholte Feier<span class="pagenum"><a name="Seite_19" id="Seite_19">19</a></span> +in ihrem Zusammenhang zu begreifen, wenn nicht eine neue, von +unseren Berichten unabhängige Thatsache ein Datum liefert, +welches den Ausgangspunkt der uns unverständlichen Entwicklung +kenntlich macht. — Gelingt es nicht, in der gnostischen Gedankenwelt +ein <em class="gesperrt">sakramentales Essen</em>, welches das Vorbild +des Abendmahls abgeben könnte, nachzuweisen, sodass für die +älteste Christenheit nicht das supranaturale Essen und Trinken +als solches, sondern nur die Ersetzung einer andern übernatürlichen +Substanz durch Christi Leib und Blut neu ist, <em class="gesperrt">dann muss +auf ein Verständnis der historischen Feier und ihrer +Entwicklung zur Gemeindefeier endgültig verzichtet +werden.</em></p> + +<h3><strong>7. Die neue „Thatsache“.</strong></h3> + +<p>Um dem Skeptizismus zu entgehen, postuliert <span class="smcap">Eichhorn</span> +eine neue, über den Bestand unserer Quellen hinausgehende Thatsache. +Seine Vorgänger, die mit ihm die ausschliessliche Betonung +des Genusses gemein haben, ersetzen dieses Postulat +durch eine <em class="gesperrt">angenommene</em> Thatsache.</p> + +<p>D. <span class="smcap">Fr. Strauss</span> erklärt das Aufkommen der Abendmahlsfeier +im Urchristentum, und damit die Entstehung unserer Berichte, +durch das Missverständnis eines von Jesu bei dem letzten +Mahl gesprochenen eschatologischen Wortes von seiten der +Jünger.</p> + +<p><span class="smcap">Bruno Bauer</span> verlegt die ganze Entwicklung, da er sie anders +nicht erklären kann, in die Phantasie des Urevangelisten. +<span class="smcap">Renan</span> behilft sich mit der Annahme eines schon früher von Jesu +geübten, den Jüngern bekannten geheimnisvollen Ritus des Brotbrechens. +<span class="smcap">Spitta</span> bringt eine eigenartige, im Grunde moderne +eschatologische Vorstellung an die synoptischen Berichte heran, +welche mit dem dort gebotenen eschatologischen Schlusswort in +gar keiner Beziehung steht.</p> + +<p><span class="smcap">W. Brandt</span> überträgt moderne Anschauungsweisen in die +Gedankenwelt Jesu und seiner Jünger, ohne diese Uebertragung +aus den Berichten begründen zu können.</p> + +<p>So bildet die Untersuchung <span class="smcap">Eichhorn</span>'s den natürlichen +Schlusspunkt der scheinbar so zusammenhangslosen Reihe der +Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments. +Durch die dialektische Behandlung des Problems entzieht er jeder +künftigen Darstellung von vornherein die Berechtigung, wenn sie<span class="pagenum"><a name="Seite_20" id="Seite_20">20</a></span> +nicht eine neue geschichtliche Thatsache aufbringen kann, die +erklärt, wie die Anschauung aufkam, dass Jesus den Jüngern +zumutete, seinen Leib und sein Blut zu essen und zu trinken.</p> + +<h3><strong>8. Die Skepsis in der Folge der einseitigen Herausarbeitung +des Genussmoments.</strong></h3> + +<p><span class="smcap">Eichhorn</span>'s <em class="gesperrt">Postulat</em> trägt auch nicht weiter als die behaupteten +Thatsachen seiner Vorgänger. Er verlangt, dass die +Vorstellung des supranaturalen Essens und Trinkens in einer +schon vorhandenen religiösen Gedankenwelt nachgewiesen werde. +Die nähere Kenntnis des „Gnostizismus“ könnte nach seiner +Ansicht dazu führen.</p> + +<p>Zugegeben, dass ein solches supranaturales Essen und +Trinken schon existiert hätte, so müsste dargethan werden, wie +man im Urchristentum dazu kam, diesen Gedanken ins Abendmahl +<em class="gesperrt">herüberzunehmen.</em> Inwiefern gab die historische Feier +Ansatzpunkte dazu? Die von <span class="smcap">Eichhorn</span> vorgeschlagene Operation +hängt ganz in der Luft, denn unsere Berichte stehen einem +solchen Beginnen vollständig fremd und ablehnend gegenüber.</p> + +<p>Nun wäre die Umsetzung seines Postulats in eine dementsprechende +historische Thatsache der einzige Ausweg aus der +Skepsis. Gleich beim ersten Schritt zeigt sich aber, dass er völlig +aussichtslos ist. Also muss eine Darstellung, welche von der +Voraussetzung ausgeht, Jesus habe die Seinen bei Brot und +Wein zum Genuss seines Leibes und Blutes aufgefordert, <em class="gesperrt">von +vornherein, unter allen Umständen auf die Lösung des +Problems verzichten! Die konsequente Herausarbeitung +des Genussmoments führt notwendig zur Skepsis: +das ist der Ertrag dieser Darstellungen.</em></p> + +<h3><strong>9. Der logische Grund der Skepsis.</strong></h3> + +<p>Wenn in der wissenschaftlichen Behandlung einer Frage die +Skepsis sich einstellt, so liegt dies immer daran, dass <em class="gesperrt">sich in +den Voraussetzungen eine unbegründete Behauptung +versteckt hat</em>, welche von da aus das menschliche Denken +neckt und in die Irre führt. Die Wissenschaft an sich kann nie +zur Skepsis führen. Mit der Aufdeckung der <em class="gesperrt">unerwiesenen +Voraussetzungsbehauptung</em> ist die Skepsis gehoben.</p> + +<p>Worin besteht diese nun in den obigen Abhandlungen? Der +Fehler kann nicht in der ausschliesslichen Geltendmachung des<span class="pagenum"><a name="Seite_21" id="Seite_21">21</a></span> +Genussmoments beruhen. Dass das Abendmahl von der urchristlichen +Gemeinde als <em class="gesperrt">Mahlzeit</em> übernommen und gefeiert wurde, +dass die Handlung, welche die urchristliche mit der historischen +Feier verbindet, nicht in dem symbolischen <em class="gesperrt">Handeln des +„Stifters“</em>, sondern in der <em class="gesperrt">Handlung der Teilnehmer</em>, dem +Essen und Trinken besteht: diese Thatsachen werden durch die +Quellen geboten und durch das Urchristentum bestätigt.</p> + +<p>Nicht in der <em class="gesperrt">Thatsache</em>, sondern in der <em class="gesperrt">Art</em> der Wertung +des Genussmoments ist der Fehler zu suchen. Sämtliche obige +Darstellungen formulieren sie dahin, dass Jesus die Jünger bei +der Darreichung von Brot und Wein <em class="gesperrt">aufgefordert</em> habe, seinen +Leib zu essen und sein Blut zu trinken. <em class="gesperrt">Die Skepsis beruht +also in der Verbindung des Mahlzeitcharakters der +Feier mit den Gleichnisworten</em>, denn damit ist eine Aussage +gegeben, in der Subjekt und Objekt identisch sind: der Darbietende +ist zugleich der Genossene. Hier hört das Denken auf. <em class="gesperrt">Das +üppige Schlinggewächs historischer und exegetischer +Einfälle ist keine Brücke über den Abgrund des Selbstwiderspruchs!</em></p> + +<p>Statt also von der Konstatierung auszugehen, dass Jesus +den Seinen seinen Leib und sein Blut zum Genuss dargereicht habe, +muss man damit beginnen, diese Voraussetzung selbst zu prüfen. +Ist es wirklich eine aus der urchristlichen Feier und aus den Berichten +unumstösslich feststehende Thatsache, dass Jesus ihnen +dies in irgend einer Form zugemutet hat? Wenn ja, dann ist die +Lösung der Abendmahlsfrage unmöglich, da wir dabei das „wie“ +aus unseren Texten nie erklären können und jede freie Deutung +bei unseren Berichten ohne Rückhalt bleibt.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fussnoten:</h3> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_7_7" id="Fussnote_7_7"></a><a href="#FNAnker_7_7"><span class="label">[7]</span></a> <span class="smcap">David Fr. Strauss</span>, Das Leben Jesu. 1. Ausgabe, Tübingen 1836. +Bd. I, S. 396-442: Das Abendmahl.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_8_8" id="Fussnote_8_8"></a><a href="#FNAnker_8_8"><span class="label">[8]</span></a> <span class="smcap">Bruno Bauer</span>, Kritik der evangelischen Geschichte, 1842. Kritik +der Evangelien, 1850, Bd. III S. 191-213.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_9_9" id="Fussnote_9_9"></a><a href="#FNAnker_9_9"><span class="label">[9]</span></a> Kritik der evangelischen Geschichte, Bd. III S. 241: „Ein Mensch, +der leiblich und individuell dasitzt, kann nicht auf den Gedanken kommen +andern seinen Leib und sein Blut zum Genuss anzubieten.“</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_10_10" id="Fussnote_10_10"></a><a href="#FNAnker_10_10"><span class="label">[10]</span></a> <span class="smcap">E. Renan</span>, La vie de Jésus 1863, S. 385 ff.</p></div></div> + +<hr class="chap" /> + +<h2>Sechstes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des +Genussmoments und abgeleiteter Geltendmachung +des Darstellungsmoments.</b></p> + +<p class="center"><span class="smcap">Ad. Harnack</span>, <span class="smcap">Erich Haupt</span>, <span class="smcap">Fr. Schultzen</span>, <span class="smcap">R. A. Hoffmann</span>.</p> + +<h3><strong>1. Allgemeines.</strong></h3> + +<p>Diese doppelseitige Reihe steht unter dem Einfluss der Auffassungen +mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments. +Während die Richtung, die durch die Namen <span class="smcap">Rückert</span>, <span class="smcap">Lobstein<span class="pagenum"><a name="Seite_22" id="Seite_22">22</a></span></span> +und <span class="smcap">Holtzmann</span> gekennzeichnet wird, von dem Handeln +Jesu ausgehend den Genuss der Teilnehmer zu erklären versuchte, +verfahren die neuen doppelseitigen Auffassungen umgekehrt. +Sie stellen den Genuss in den Vordergrund und suchen +dieses Moment nun so zu formulieren und so zur Geltung zu +bringen, dass auch das auf den Tod hinweisende Handeln Jesu +damit in irgend einer Weise vereinbar ist und daraus seine Erklärung +empfangt. Das Schwergewicht hat sich also von der +einen auf die andere Seite verschoben.</p> + +<p>In letzter Linie sind es exegetische Bedenken, welche die +betreffenden Verfasser dazu führen, auch dem Leidensgedanken +und dem Handeln Jesu Rechnung zu tragen. „<em class="gesperrt">Die Worte sind +mir zu mächtig</em>“, sagt <span class="smcap">Harnack</span> bei der Würdigung der Auffassung +<span class="smcap">Spitta</span>'s, deren Grundgedanke ihm zusagt, während die +Exegese ihn nicht befriedigt. Es ist das Motto auch der übrigen +doppelseitigen Darstellungen.</p> + +<h3><strong>2. Ad. Harnack.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Brot und Wasser: die eucharistischen Elemente bei <span class="smcap">Justin</span> (Texte und +Untersuchungen Bd. VII S. 117 ff. 1891). Theologische Litteraturzeitung +1892 S. 373-378. Dogmengeschichte (3. Aufl.) Bd. I S. 64.</p></blockquote> + +<p>Durch eine Untersuchung, ob Wasser oder ob Wein das +eucharistische Genusselement in der alten Kirche waren, kam +<span class="smcap">Harnack</span> im Jahre 1891 dazu, in entschiedener Weise zu betonen, +dass in jener älteren Zeit die Symbolik sich nicht auf das +Wesen der Elemente habe beziehen können, sondern dass die +ganze Bedeutung der historischen und der urchristlichen Feier +<em class="gesperrt">auf der Mahlzeit als solcher</em> beruht habe.</p> + +<p>Das Abendmahl muss eine wirkliche Mahlzeit gewesen sein; +die in Frage kommende Handlung ist das Essen und Trinken. +Jesu Worte beziehen sich auf den Genuss. „Die wichtigste Funktion +des natürlichen Lebens hat der Herr geheiligt, indem er die +Nahrung als seinen Leib und sein Blut bezeichnet hat. So hat er +sich für die Seinen <em class="gesperrt">auf immer</em> mitten hineingestellt in ihr natürliches +Leben und sie angewiesen, die Erhaltung und das Wachstum +dieses natürlichen Lebens zur Kraft des Wachstums des +geistigen Lebens zu machen.“</p> + +<p>Mit diesem Moment sucht nun <span class="smcap">Harnack</span> +noch ein anderes in Beziehung zu setzen und dadurch diese +allgemeine religiöse <span class="pagenum"><a name="Seite_23" +id="Seite_23">23</a></span>Wertung des Genusses zu spezifizieren. +„Der Herr hat ein Gedächtnismahl seines Todes eingesetzt, <em class="gesperrt">oder +vielmehr</em>, er hat die leibliche Nahrung als sein +Fleisch und sein Blut, d. h. als die Nahrung der Seele, bezeichnet +(durch die Sündenvergebung), <em class="gesperrt">wenn</em> sie mit +Danksagung in Erinnerung seines Todes genossen wird.“</p> + +<p>Dieser Satz ist für <span class="smcap">Harnack</span>'s Auffassung entscheidend. +„Oder vielmehr“, „d. h.“ und „wenn“ sind die Rangiergeleise, +auf denen man von dem allgemeinen, wunderbar tiefen Gedanken +herkommend, „dass der Herr die wichtigste Funktion des natürlichen +Lebens geheiligt habe“, umsetzt, um die Einfahrt zur historischen +Feier, mit dem dort ausgedrückten Leidensgedanken, +zu gewinnen. Der allgemeine Mahlzeitcharakter seiner Auffassung +wird also näher bestimmt durch folgende Sätze:</p> + +<ul> +<li>1. Es handelt sich um eine Stiftung.</li> + +<li>2. Der Wiederholungsbefehl ist irgendwie in der historischen +Situation enthalten.</li> + +<li>3. Die Feier hat eine Beziehung auf den Tod des Stifters.</li></ul> + +<h3><strong>3. Erich Haupt.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Ueber die ursprüngliche Form und Bedeutung der Abendmahlsworte. +Halle, Universitätsprogramm 1894.</p></blockquote> + +<p>Indem Jesus die zu Tische liegenden Jünger bei der Darreichung +des Brotes und des Weines auffordert, seinen Leib und +sein Blut zu geniessen, will er sagen: „Meine Person ist Träger +der Kräfte eines höheren Lebens, welches so angeeignet werden +und so zu einem Bestandteil eurer Personen werden will, wie dies +bei der irdischen Nahrung der Fall ist. Dies gilt aber <em class="gesperrt">ganz besonders</em> +von meinem bevorstehenden Tode; gerade die Dahingabe +meiner <em class="gesperrt">Persönlichkeit</em> wird euch die in ihr beschlossenen +Lebens- und Heilskräfte in vollstem Masse erschliessen und zu +gute kommen lassen.“ Dieser Grundgedanke deckt sich vollständig +mit dem <span class="smcap">Spitta</span>'s. Während aber letzterer ihm im +Munde Jesu eine eschatologische Wendung gab, überträgt +<span class="smcap">Haupt</span> diesen durch den Ausdruck „Persönlichkeit“ als modern +gekennzeichneten Gedankengang auf die historische Feier durch +Zuhülfenahme des Leidensgedankens.</p> + +<p>Die Eschatologie tritt dabei ganz zurück. Jesus hatte bei +dem letzten Mahle auch von dem grossen Mahl der Vollendung +gesprochen. Indem nun das ganze Mahl nachgebildet wurde, +fanden auch diese eschatologischen Gedanken ihre Stelle. So ist<span class="pagenum"><a name="Seite_24" id="Seite_24">24</a></span> +bei <span class="smcap">Haupt</span> das eschatologische Moment nicht zur Erklärung der +Wiederholung benutzt, sondern erst aus der Wiederholung selbst +verständlich.</p> + +<p>Durch die nebenhergehende Geltendmachung des Todesgedankens +für die Erklärung der Feier ist die Beibehaltung des +Wiederholungsbefehls gegeben. In der Nacht des Verrats hat +der Herr das ganze Mahl unter den Gesichtspunkt eines Abschiedsmahls +gestellt. Er will sein <em class="gesperrt">Gedächtnis für die Zeit +der Trennung</em> wachhalten. „Somit ist nicht nur kein Gegengrund +dagegen, dass Jesus die Wiederholung der Handlung +seinen Jüngern anbefohlen hat, sondern ein dahin zielendes Wort +ist sogar aus inneren Gründen <em class="gesperrt">höchst wahrscheinlich.</em>“ Diese +vorsichtige und zurückhaltende Begründung der Beibehaltung +des Wiederholungsbefehls gibt den genauen Gradmesser ab für +die Beeinflussung des zu Grunde gelegten Genussmoments durch +das Darstellungsmoment und den Leidensgedanken.</p> + +<p>Mit derselben Vorsicht äussert <span class="smcap">Haupt</span> sich auch über das Verhältnis +zwischen dem wiederholten Herrenmahl und der Agape. +„Nicht zwei Teile sollen diese gemeinsamen Mahlzeiten haben, +einen profanen, welcher der äusseren Sättigung dient, und einen +religiösen, welcher der Erinnerung an Christi Tod gewidmet ist, +sondern ihre ganze Zusammenkunft soll religiösen Charakter +tragen, und das Herrenmahl <em class="gesperrt">im engeren Sinne</em> ist nur der +<em class="gesperrt">Höhepunkt des Ganzen.</em>“</p> + +<h3><strong>4. Fr. Schultzen.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Das Abendmahl im Neuen Testament. Göttingen 1895.</p></blockquote> + +<p>In dieser Darstellung ist die Hervorhebung des Leidensgedankens +und damit die Bedeutung des darstellenden Moments +im Handeln Jesu aus der Nebenstellung fast bis zur Gleichstellung +mit dem Genussmoment gerückt, wobei aber letzteres +immer noch den Ausgangspunkt bildet. „Es spricht nichts dafür, +dass etwa Jesus nur auf das Essen Gewicht gelegt habe und die +Beziehung auf seinen Tod späterer Zusatz sei. Umgekehrt ist +es aber auch nicht wahrscheinlich, dass Jesus nur eine symbolische +Handlung bei jenem letzten Mahl vorgenommen hat, und +dass die Verbindung mit dem Mahle nur durch den äusseren Anlass +entstanden ist.“ Auch das Brot ist nicht blosses Symbol, +sondern auf <em class="gesperrt">Grund des Symbols</em> zum wenigsten <em class="gesperrt">Repräsentant +und Vermittler</em> des Leibes Jesu.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_25" id="Seite_25">25</a></span> + +Das Genussmoment und das darstellende Moment werden +durch den Begriff <em class="gesperrt">des Opfermahls</em> zusammengehalten. Den +Jüngern waren Jesu Gedanken aus der religiösen Vorstellungswelt +Israels bekannt und fasslich. In dem Begriff des Opfermahls +war die Wiederholung unmittelbar gegeben und ebenso der +Empfang der in ihm gespendeten Gabe. So hat, trotz des Fehlens +des Wiederholungsbefehls, Jesus auch nach dem Bericht des +Markus an eine Wiederholung gedacht, weil er eine Gabe spendet, +die auch für <em class="gesperrt">die fernsten</em> Zeiten Wert hat.</p> + +<p>Wie bei <span class="smcap">Erich Haupt</span> vermögen die eschatologischen Gedanken +auch bei <span class="smcap">Fr. Schultzen</span> sich nur anhangsweise Geltung +zu verschaffen, nachdem die Wiederholung der Feier schon +anderweitig feststeht. „Die Parousiegedanken bei dieser Feier +erklären sich bei der lebhaften Sehnsucht der Gemeinde nach +der Parousie leicht, da das Abendmahl auch nach I Kor 11 <span class="antiqua">26</span> eine +Feier ist, die in der Wiederkunft Christi ihr Ziel erreicht hat.“</p> + +<p>Die Trennung von Mahlzeit und Abendmahl wird bereits für +die Urgemeinde vorausgesetzt. Paulus prägt schon Vorhandenes +schärfer aus. Die später erfolgte Abtrennung der „Eucharistie“ von +dem Mahle erklärt sich viel einfacher, wenn sie bereits ein besonderer +Teil derselben war, als wenn man das ihr besonders +Eigentümliche gar nicht erkennen konnte.</p> + +<h3><strong>5. R. A. Hoffmann.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Die Abendmahlsgedanken Jesu Christi. Königsberg 1896.</p></blockquote> + +<p>Bei <span class="smcap">Hoffmann</span> tritt das Darstellungsmoment noch stärker +hervor als bei <span class="smcap">Schultzen</span>. Es wird geradezu eine zweifache Art +von Teilnehmern vorausgesetzt. Das darstellende Handeln geht +auf die einen, der Genuss ist für die andern bestimmt. „<em class="gesperrt">Vergossen</em> +wurde sein Blut für <em class="gesperrt">das ungläubige Volk</em>, zu <em class="gesperrt">trinken</em> +gab er es den <em class="gesperrt">Seinen.</em>“</p> + +<p>Mit letzterem will er sagen, dass, da das <em class="gesperrt">Blut die Seele +ist</em>, seine Seele in sie übergehen werde, um ihnen zu ihrer bevorstehenden +hohen Mission Kraft zu geben, sie zu stärken, damit +auch sie, wenn der Fall an sie herantritt, <span class="err" title="original: im stande">imstande</span> seien, ihrerseits +ihre Seele als Lösegeld für andere dahinzugeben. Nicht +seinen Leichnam reicht er ihnen dar, sondern seinen lebendigen +Leib als den Träger des ihm innewohnenden göttlichen Geistes.</p> + +<p>„In der urchristlichen Feier kommt, neben dem Essen und +Trinken, auch dem, was Jesus gethan hat, dem Brechen und<span class="pagenum"><a name="Seite_26" id="Seite_26">26</a></span> +Danken — <em class="gesperrt">in entsprechender Wiederholung</em> — Bedeutung +zu.“ Dies war der Standpunkt von <span class="smcap">Schultzen</span>. <span class="smcap">Hoffmann</span> geht +noch weiter. „<em class="gesperrt">Das Wesentliche der ersten Mahlzeit war +ohne weiteres nicht zu wiederholen</em>, eben die Handlung +des Herrn, wie sich in ihr seine überragende Geistesgrösse, seine +Kraft und Leben ausströmende Gegenwart noch zum letztenmal +ihnen dokumentiert hatte“ (S. 106).</p> + +<p>Eine Wiederholung ohne Wiederholungsbefehl ist also <em class="gesperrt">undenkbar.</em> +Der Wiederholungsbefehl muss sich vor allem auf den +Genuss bezogen haben, da Jesus zur Erinnerung an ihn ein +<em class="gesperrt">Mahl</em> eingesetzt hat. Es lässt sich nicht mehr ausmachen, wie +sich in der ersten Zeit das Abendmahl des näheren zur Gemeindemahlzeit +verhalten habe. Für Paulus jedenfalls war die feierliche +Gemeindemahlzeit mit dem Abendmahl untrennbar verbunden.</p> + +<p>Der Eschatologie kommt in der Darstellung <span class="smcap">Hoffmann</span>'s +keine Bedeutung zu.</p> + +<hr class="chap" /> +<h2>Siebentes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Der gesetzmässige Zusammenhang zwischen den Einzelfragen.</b></p> + +<h3><strong>1. Der Wiederholungsbefehl.</strong></h3> + +<p>Die historische Feier ist eine Mahlzeit: darin liegt ihre +Wiederholung von selbst begründet. Wenn Jesus dem Essen +und dem Trinken im gemeinsamen Kreis der Seinigen eine besondere, +irgendwie segensreiche Bedeutung verleiht, so ist hiermit +ohne weiteres die Wiederholung gefordert. Er braucht das nicht +in einem Befehl ausgesprochen zu haben.</p> + +<p>Dies ist der Standpunkt der das Genussmoment ausschliesslich +betonenden Darstellungen. Auch die doppelseitigen Auffassungen, +welche das Genussmoment zu Grunde legen, stimmen +damit überein. Wenn die Jünger Jesum verstanden haben, +mussten sie von selbst diese Feier wiederholen. Sofern hingegen +das <em class="gesperrt">Darstellungsmoment</em> nebenbei betont wird, ist nun aber +die Wiederholung gar nicht selbstverständlich. Was Jesus gethan, +das kann eigentlich nicht wiederholt werden.</p> + +<p>So gehen diese doppelseitigen Darstellungen von dem Gedanken +aus, dass der Wiederholungsbefehl eigentlich überflüssig +ist, kommen aber dann dazu, ihn doch irgendwie als möglich oder +notwendig anzunehmen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_27" id="Seite_27">27</a></span> + +Die Frage bleibt für sie also in der Schwebe. Je stärker +der Leidensgedanke und das Darstellungsmoment für die historische +Feier geltend gemacht werden, mit desto grösserer Entschiedenheit +wird zur Erklärung der eingetretenen Wiederholung +eine darauf hinzielende Anweisung gefordert.</p> + +<h3><strong>2. Das Abendmahl und die urchristliche Gemeindemahlzeit.</strong></h3> + +<p>In der Gemeindefeier steckt ein Doppeltes. Wiederholt wird +eine gemeinsame Mahlzeit. Dabei soll aber in irgend welchem +Masse ein historischer, an sich einzigartiger Moment reproduziert +werden. In welchem Verhältnis steht das wiederholte +„Herrenmahl“ zu den gemeinsamen religiösen Mahlzeiten des Urchristentums?</p> + +<p>Nach den Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des +Genussmoments sind beide <em class="gesperrt">identisch</em>, denn für sie besteht ja +auch die historische Feier nur in der Mahlzeit als solcher. Die +doppelseitigen Darstellungen aber kommen hier in dasselbe Gedränge, +wie mit dem Wiederholungsbefehl. Auch sie, sofern sie +den Mahlzeitcharakter zu Grunde legen, sollten eigentlich die +Identität proklamieren. Nun betonen sie aber daneben auch das +Darstellungsmoment. Dann wird aber die Gemeindefeier zur +Wiederholung einer bestimmten <em class="gesperrt">historischen Situation</em>, +welche nicht mehr durch die <em class="gesperrt">gemeinsame Mahlzeit als solche +reproduziert wird.</em> Das wiederholte Herrenmahl soll also jetzt +von der gemeinsamen religiösen Mahlzeit irgendwie <em class="gesperrt">abheben</em>, +jedoch nur soweit, dass die letzthinige Einheit beider festgehalten +wird. Die Schwierigkeit wächst mit der stärkeren Betonung des +Darstellungsmoments. Man erhält folgende Stufenleiter:</p> + +<p><span class="smcap">W. Brandt</span>: Jesus macht die gemeinsamen Mahlzeiten +zum Symbol der Gemeinschaft. Als nach seinem Tode der +Glaube an ihn neu auflebte, wurde natürlich das vom Herrn +selbst gegebene Symbol der Gemeinschaft besonders gepflegt. +Gemeindemahlzeit und „Herrenmahl“ sind identisch.</p> + +<p><span class="smcap">Fr. Spitta</span>: „Es wurde bei Brot und Wein immer daran +gedacht, wie er damals darauf hingewiesen, dass er jetzt und in +alle Ewigkeit die rechte Speise und Erquickung ihrer Seele sei.“ +Die Didache repräsentiert die urchristliche Feier. Herrenmahl +und Agape waren danach identisch. Es ist verfehlt, Didache +9 und 10 als Einleitungsgebete zur „eigentlichen Abendmahlsfeier“ +auffassen zu wollen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_28" id="Seite_28">28</a></span> + +<span class="smcap">Ad. Harnack</span>: Hier beginnt die Differenzierung. Sie ist in +dem klassischen Satz mit den Rangiergeleisen enthalten. „Der +Herr hat ein Gedächtnismahl seines Todes eingesetzt, <em class="gesperrt">oder +vielmehr</em>, er hat die leibliche Nahrung als sein Fleisch und sein +Blut, d. h. als die Nahrung der Seele bezeichnet (durch die +Sündenvergebung), <em class="gesperrt">wenn</em> sie mit Danksagung in Erinnerung +seines Todes genossen wird. So haben die Apostel seine Stiftung +verstanden.“ Eine Feier, bei der alle diese näheren Bestimmungen +zum Ausdruck kommen sollen, ist aber keine einfache +gemeinsame Mahlzeit mehr, sondern eine <em class="gesperrt">Ceremonie.</em> „Jesus +verhiess ihnen, dass er mit der Kraft seiner Sündenvergebung bei +jeder Mahlzeit sein werde, die sie zu seinem <em class="gesperrt">Gedächtnis</em> halten +würden.“ Wie wurde aber die gemeinsame Mahlzeit als „Gedächtnismahl“ +gekennzeichnet? Durch welche Akte, durch welche +Reden? Wie wurde die Situation des historischen Mahls reproduziert, +wo doch auch das „Abendmahl“ nur ein besonderer +Augenblick im Verlauf der letzten gemeinsamen Mahlzeit gewesen +war?</p> + +<p><span class="smcap">Erich Haupt</span>: „Die ganze Zusammenkunft soll religiösen +Charakter tragen, und das Herrenmahl <em class="gesperrt">in engerem Sinn</em> ist +nur der <em class="gesperrt">Höhepunkt des Ganzen.</em>“ Weil <span class="smcap">Haupt</span> das Darstellungsmoment +stärker betont als <span class="smcap">Harnack</span>, kann er Gemeindemahl +und „Abendmahl“ nicht irgendwie in einander übergehen +lassen, sondern er muss das Abendmahl als eine besondere Situation +auffassen, die den Höhepunkt der ganzen Mahlvereinigung +repräsentiert. Er kann nicht darum herumkommen, die auf +Grund der Stiftung „wiederholte Handlung“ von der religiösen +Mahlzeit sich abheben zu lassen und doch wieder die letzthinige +Einheit beider festzuhalten. So bleibt ihm nur das Verhältnis +der Steigerung.</p> + +<p><span class="smcap">Spitta</span> und <span class="smcap">Harnack</span> bestreiten, dass in Didache 10 <span class="antiqua">6</span> „wenn +einer heilig ist, trete er herzu“ eine besondere Feier beginnt. +<span class="smcap">Haupt</span> muss seine Steigerung auch hier wiederfinden und nimmt +an, dass diese Worte die eigentliche Abendmahlsfeier einleiten. +Das „Herr, komme doch“ bezieht sich auf die Gegenwart des +Herrn im „Sakrament“.</p> + +<p><span class="smcap">Fr. Schultzen</span>: Durch den Begriff des „Opfermahls“ hält +er die beiden auseinanderstrebenden Teile der Feier zusammen. +Er kann sie aber nicht mehr, wie <span class="smcap">Erich Haupt</span>, in das Verhältnis +<span class="pagenum"><a name="Seite_29" id="Seite_29">29</a></span>der Steigerung setzen — dazu ist die Betonung des Darstellungsmoments +bei ihm schon viel zu stark — sondern er muss +die Trennung konstatieren. „In dem Begriff des Opfermahls ist +die Wiederholung der Mahlzeit unmittelbar gegeben und ebenso +der stetige Empfang der gespendeten Gabe“ (S. 74). Wiederholt +wird aber zweitens die Handlung des Veranstalters der Opfermahlzeit, +als Voraussetzung des Empfangs und des Genusses der +Teilnehmer. „Die Gabe, die er ihnen zuwandte, sollte den Erfolg +haben und hat ihn auch wirklich gehabt, <em class="gesperrt">dass sie wiederholten, +was er gethan</em>, und damit auch ferner an dem Segen +seines Opfertods Anteil erhielten“ (S. 96).</p> + +<p>Wie soll man sich aber vorstellen, dass die Jünger beim gemeinsamen +Mahl „wiederholten, was er gethan?“ Das bedeutet +nichts anderes, als dass das Gemeindemahl und das Abendmahl +auf die Trennung angelegt waren. In I Kor 11 macht Paulus +die schon vor ihm angebahnte Scheidung nur stärker geltend. +Dass nachher die Eucharistie vom Mahle gänzlich losgelöst +wurde, „ist nur die geschichtliche Vollendung des schon in der +Stiftung enthaltenen Prozesses“.</p> + +<p><span class="smcap">R. A. Hoffmann</span>: Das Darstellungsmoment tritt so stark +hervor, dass <span class="smcap">Hoffmann</span> auf die Lösung des Problems verzichtet. +„Das Wesentliche der ersten Abendmahlsfeier war ohne weiteres +nicht zu wiederholen, <em class="gesperrt">eben die Handlung des Herrn</em>“ (S. 106). +Auf den von Jesus selbst vorgenommenen Akt kann der Wiederholungsbefehl +nicht gehen. Ihn auf die Handlung der Teilnehmer, +das Essen und Trinken zu beziehen, ist zwar grammatikalisch +sozusagen unmöglich. Da aber nichts anderes übrig +bleibt, müssen wir eben annehmen, Jesus habe zum Mittel der +Erinnerung an ihn „ein Mahl eingesetzt“.</p> + +<p>Wie er das verstanden haben wollte, ist nicht klar. Es ist +stark mit der Möglichkeit zu rechnen, „dass dasjenige, was uns +von den Worten Jesu bei der Einsetzung seines Mahles überliefert +worden ist, nicht alles repräsentiert, was er wirklich zur +Aufklärung über seine uns heutzutage so schwer verständliche +Handlung gesprochen hat“ (S. 115).</p> + +<p>Wie man es mit der Feier im Urchristentum gehalten hat, +darüber ist keine vollständige Klarheit zu gewinnen. Wir wissen +nur, „dass das Abendmahl in der Urgemeinde eine wirkliche +Mahlzeit war, wobei sehr wahrscheinlich ist, dass das Brotbrechen +zugleich Herrenmahl war“ (S. 137).</p> + +<p><em class="gesperrt">Zusammenfassung.</em> Die Untersuchung ergibt folgenden<span class="pagenum"><a name="Seite_30" id="Seite_30">30</a></span> +Satz: <em class="gesperrt">Bei ausschliesslicher Geltendmachung des Genussmoments +sind die Gemeindemahlzeit und das +Abendmahl identisch. Mit der nebenhergehenden Betonung +des Darstellungsmoments wird die Differenzierung +zwischen beiden in steigendem Masse notwendig, +bis zuletzt beide auseinanderfallen.</em></p> + +<h3><strong>3. Die Antinomie zwischen der historischen und der urchristlichen +Feier.</strong></h3> + +<p>Es ist wohl nicht das geringste Verdienst der grossartigen +Abhandlung <span class="smcap">Spitta</span>'s, in voller Schärfe das Prinzip proklamiert +zu haben, dass eine Abendmahlsauffassung nur dann Wert hat, +wenn sie das Wesen der urchristlichen Feier, wie es uns besonders +in der Didache begegnet, erklärt. Dementsprechend +bildet die urchristliche Feier auch den Hauptstützpunkt seiner +Darstellung. Er wird ihr vollkommen gerecht, da seiner Auffassung +zufolge das Abendmahl eine Freudenmahlzeit war. Indem er +von einem Wiederholungsbefehl und von einer Abhebung des +„Abendmahls“ von der Gemeindemahlzeit absieht, stimmt er +vollständig mit der urchristlichen Ueberlieferung überein; diese +weiss ja auch nichts davon, dass die Feier eine auf den Befehl +Jesu erfolgende ausgesprochene Reproduktion jener historischen +Situation sein soll.</p> + +<p>Während <span class="smcap">Spitta</span> so die urchristliche Feier vollkommen erklärt, +vermag er aber der historischen in keiner Weise auch nur annähernd +gerecht zu werden. Das teilt er mit allen Auffassungen, +welche das Genussmoment einseitig herausarbeiten. Inwiefern +die Jünger Jesum verstehen mussten und verstanden haben, als +er sie aufforderte, seinen Leib und sein Blut zu geniessen: das +vermögen sie, ohne unerlaubte Kunstgriffe, in keiner Weise deutlich +zu machen. <em class="gesperrt">Für die historische Situation bleibt ihnen +nur der Skeptizismus übrig</em>, wobei sie sich trösten dürfen, +wenigstens der urchristlichen Feier gerecht zu werden.</p> + +<p>Mit den doppelseitigen Auffassungen steht es folgendermassen: +Je mehr sie das Darstellungsmoment betonen, desto +besser und ansprechender können sie die <em class="gesperrt">historische Feier</em> +erklären, da sie nun den Leidensgedanken und die Symbolik des +Handelns Jesu für die Deutung der Gleichnisse verwerten können. +In demselben Masse aber werden sie <em class="gesperrt">unfähig, die urchristliche +Feier zu erklären.</em> Mit dem Darstellungsmoment ist ja<span class="pagenum"><a name="Seite_31" id="Seite_31">31</a></span> +der Wiederholungsbefehl, die Bedeutung des Leidensgedankens +für die Feier und die Differenzierung zwischen Abendmahl und +Gemeindemahlzeit gegeben. Das alles läuft aber der urchristlichen +Ueberlieferung schnurstracks zuwider. Diese weiss nichts +davon, sondern sie beschränkt sich merkwürdigerweise auf den +Satz: Das Abendmahl ist ein Freudenmahl, bei dem das darstellende +Handeln Jesu in keiner Weise irgendwie reproduziert +wird.</p> + +<p>Die Antinomie ist also unlösbar. <em class="gesperrt">Eine doppelseitige +Auffassung erklärt die historische Feier nur in dem +Masse, als sie die urchristliche nicht erklärt und umgekehrt.</em> +Dieser Satz enthält das Grundresultat der Untersuchung +über die doppelseitigen Darstellungen. Infolge dessen +müssen sie auf die Lösung des Problems verzichten, da keine von +ihnen, und wäre sie noch so geistreich, über diese Antinomie +hinauskommen kann.</p> + +<p>Letztere liegt eben in der bisherigen Problemstellung selbst +begründet, welche die urchristliche Feier als eine <em class="gesperrt">entsprechende +Wiederholung</em> der historischen auffassen will. Nun ist aber +das Wiederholte der Geschichte zufolge dem Ursprünglichen gar +nicht ähnlich. Die historische Feier ist eine <em class="gesperrt">Ceremonie</em> im +Verlauf einer Mahlzeit, die urchristliche ist nur eine <em class="gesperrt">gemeinsame +Mahlzeit</em> ohne entsprechende Wiederholung der Ceremonie. +Damit ist Antinomie unabweisbar gegeben.</p> + +<p>Nun steht aber fest, dass die urchristliche auf die historische +Feier zurückgeht. Also ist das Problem erst dann gelöst, wenn +der Zusammenhang beider erklärt wird, ohne dass deshalb die +Gemeindefeier irgendwie eine entsprechende Nachbildung der +historischen ist. <em class="gesperrt">Die urchristliche Abendmahlsfeier ist +etwas Selbständiges.</em></p> + +<hr class="chap" /> + +<h2>Achtes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Die Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des +Darstellungsmoments.</b></p> + +<h3><strong>1. Das Gefechtsfeld.</strong></h3> + +<p>Die Darstellungen mit ausschliesslicher Betonung des +Genussmoments bedeuteten einen kühnen Vorstoss gegen die +allgemein verbreitete Auffassung, welche durch die Namen <span +class="smcap">Rückert</span>, <span class="pagenum"><a name="Seite_32" +id="Seite_32">32</a></span><span class="smcap">Holtzmann</span> und +<span class="smcap">Lobstein</span> vertreten ist. Es konnte einen +Augenblick scheinen, als hätte die hergebrachte Ansicht durch diesen +unerwarteten, geschlossenen Angriff gegen die Deutung der Gleichnisse +aus dem Handeln Jesu alle ihre Positionen verloren. Jetzt aber, wo die +Lage sich langsam klärt, zeigt sich, dass dies nicht der Fall ist.</p> + +<p>Wohl mussten einige exponierte Stellungen von dem angegriffenen +Teil aufgegeben werden. Dafür hat er sich aber in +eine Position zurückgezogen, die als unüberwindbar gelten darf. +Die Sache steht so, dass der Angreifer darauf verzichten muss, +<em class="gesperrt">diese befestigte Stellung jemals zu erobern</em>, der Angegriffene +aber auf absehbare Zeit nicht an eine <em class="gesperrt">Aktion im freien +Felde</em> denken kann.</p> + +<p>Zu den aufgegebenen Positionen gehört vor allem die Stellung +zur Frage des Passahmahls. Während bis in die 70er und +80er Jahre das letzte Mahl den Synoptikern entsprechend fast +allgemein als Passahmahl aufgefasst wurde, sucht man jetzt diese +Frage aus dem Zusammenhang mit der Gesamtauffassung herauszurücken. +Man begnügt sich mit einer vorsichtigen chronologischen +Erwägung, ob das synoptische Datum wahrscheinlich sei +oder nicht.</p> + +<p>Aehnlich steht es mit dem Wiederholungsbefehl. Auch die +Auffassungen mit Zugrundelegung des Darstellungsmoments +suchen sich von der Notwendigkeit eines auf die Wiederholung +hinweisenden Wortes frei zu machen.</p> + +<p>Zugleich wird das Genussmoment im ganzen doch entschiedener +hervorgehoben als es bisher der Fall war. Es bleibt +jedoch immer in Abhängigkeit vom Darstellungsmoment und +wird erst durch dasselbe verständlich.</p> + +<p>Diese Verschiebungen in der Position kann man am besten +in den successiven Kundgebungen <span class="smcap">Lobstein</span>'s und <span class="smcap">Holtzmann</span>'s +verfolgen, soweit sie die Abendmahlsfrage betreffen. Sie haben +die Verteidigungsstellung eingerichtet.</p> + +<h3><strong>2. Der Verteidigungsplan. P. W. Schmiedel.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Protestantische Monatshefte 1899: Die neuesten Ansichten über den +Ursprung des Abendmahls.</p></blockquote> + +<p>Dem etwas forschen Vorgehen <span class="smcap">Eichhorn</span>'s gegenüber +unternahm es <span class="smcap">Schmiedel</span> darzuthun, wie die Sachen eigentlich +liegen. Er zeigt zunächst, dass die chronologischen Gründe +gegen die Möglichkeit, dass das letzte Mahl ein Passahmahl war,<span class="pagenum"><a name="Seite_33" id="Seite_33">33</a></span> +zusammengenommen allerdings einen grossen Eindruck machen. +Betrachtet man sie aber einen nach dem andern, so verlieren sie +bedeutend an Energie. Die Annahme, dass Jesus das gesetzliche +Passah feierte, ist also nicht von der Hand zu weisen, da die +entschiedenen Aussagen der Synoptiker den chronologischen +Einwürfen wohl das Gleichgewicht halten können.</p> + +<p>Ueberdies lässt sich der Passahgedanke in ansprechender +Weise zur Erklärung der historischen Feier heranziehen, wobei +mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass in Jesu Seele Passah- und +Bundesgedanken zusammenflossen.</p> + +<p>Was die Handlung betrifft, die er vorgenommen haben soll, +ist anzunehmen, dass das <em class="gesperrt">Bedeutsame</em> mindestens in erster +Linie das Brechen des Brotes und <em class="gesperrt">das Ausgiessen des +Weines aus dem Krug in den Becher</em> sei. Das Austeilen +dieser Speisen zum Genuss schliesst sich als etwas <em class="gesperrt">Zweites</em> an. +„<em class="gesperrt">Um der Hauptsache willen wäre es nicht nötig gewesen; +aber da man einmal beim Mahle sass, war es +naturgemäss.</em>“ Es dient demselben Zwecke wie das einem +Bundesopfer oder dem Passahopfer nachfolgende Mahl überhaupt, +der gemeinsamen Aneignung und Pflege des in dem Opfer +vorkommenden Gedankens.</p> + +<p>Die Frage, ob der Wiederholungsbefehl historisch ist oder +nicht, bleibt hier in der Schwebe. Wäre er sicher überliefert, so +wäre er verständlich. Aber ebenso begreiflich ist es, dass Jesus +an eine Wiederholung nicht dachte.</p> + +<p>Der genialen Unbesonnenheit gegenüber ist ruhiges Abwägen +absolut notwendig. S. 148: „Wir müssen noch darauf aufmerksam +machen, wie dringend es sich empfiehlt, auf jeden dem +unsrigen ähnlichen Versuch wohlwollend einzugehen, wenn man +nicht in <em class="gesperrt">unlösbare Schwierigkeiten</em> kommen will.“ Der +hohe Wert dieser Stellung beruht nämlich in der Stütze, die sie +in einer natürlichen Exegese unserer neutestamentlichen Abendmahlsberichte +findet. Durch seine Geltendmachung des Darstellungsmoments +kann <span class="smcap">Schmiedel</span> jeden einzelnen Zug der +historischen Situation, jeden durch die Exegese angedeuteten +Nebengedanken in seiner Gesamtauffassung unterbringen. Es +ist gelungen, <em class="gesperrt">„die Möglichkeit, dass Jesus eine der +Beschreibung ungefähr entsprechende Feier wirklich +gehalten habe“, auf einen sehr hohen Grad der Wahrscheinlichkeit +zu bringen.</em> Die Herleitung der Berichte aus<span class="pagenum"><a name="Seite_34" id="Seite_34">34</a></span> +der späteren Gemeindetheologie, etwa gar mit Benutzung ausserchristlicher +Analogien, wird von selbst gegenstandslos. Jede derartige +Konstruktion muss zuerst den Nachweis erbringen, dass +die von ihr behauptete Umbildung sich in so kurzer Zeit nach +Jesu Tod habe einbürgern können.</p> + +<p><em class="gesperrt">Damit erschöpft sich aber</em> der Wert dieser Verteidigungsstellung: +sie verfügt über sicher schiessende, gut placierte +Geschütze, die aber nicht sehr weit tragen, sodass vor den Augen +der Belagerten die Reiterschwärme der Belagerer sich auf dem +unbestrichenen Terrain vergnügt und unbehelligt tummeln. Es +ist nämlich unmöglich, dass jemals eine mit der <span class="smcap">Schmiedel</span>'schen +verwandte Auffassung erklären könne, wie die von ihnen <em class="gesperrt">bis ins +einzelne verstandene historische Feier</em> im Urchristentum, +etwa noch gar ohne Annahme eines dahinzielenden Befehls +Jesu, <em class="gesperrt">wiederholt worden ist.</em> Denn das Schwergewicht liegt +ja für sie in dem Handeln Jesu. Nun ist dieses Handeln Jesu +in der urchristlichen Feier gar nicht wiederholt worden, weil dies +unmöglich ist. Der Leidensgedanke fehlt ihr ja vollständig. Sie +ist eine Mahlzeit, bei welcher, so viel wir wissen, die Ceremonie +der historischen Feier in keiner Weise reproduziert wurde. Das +Nebensächliche, das Essen, ist also Hauptsache geworden und die +Hauptsache ist in der wiederholten Feier ganz zurückgetreten.</p> + +<p>Ausserhalb des schmalen, von den Festungsgeschützen beherrschten +Terrainstreifens ist also der geringste Reitertrupp +des Angreifers gegen die wohlbewaffnete, aber schwerfällige Besatzung +im Vorteil, wenn sie einen Ausfall wagen sollte. Jede +kecke Konstruktion, von <span class="smcap">Strauss</span> bis auf <span class="smcap">Eichhorn</span>, kann das +Aufkommen und das Wesen der urchristlichen Feier besser erklären, +als die exegetisch gewissenhafte, aus den Berichten destillierte +Auffassung <span class="smcap">Schmiedel</span>'s. Nur halte die erstere sich ausser +Bereich des exegetischen Verteidigungsfeuers, wenn sie nicht +durch den ersten Schuss ausser Gefecht gesetzt sein will. Fürwahr +ein merkwürdiger Kampf, wo es einen nicht Wunder nimmt, +dass jeder als Sieger thut, obwohl der andere unbesiegt ist.</p> + +<h3><strong>3. Die Offensive. Adolf Jülicher.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Zur Geschichte der Abendmahlsfeier in der ältesten Kirche. 1892. +(Theologische Abhandlungen, K. v. <span class="smcap">Weitzsäcker</span> gewidmet.)</p></blockquote> + +<p><span class="smcap">Jülicher</span> berührt sich am nächsten mit <span class="smcap">Zwingli</span>, dessen +Auffassung er ins Moderne übersetzt, indem er auf die gegenwärtige<span class="pagenum"><a name="Seite_35" id="Seite_35">35</a></span> +Form der Fragen Rücksicht nimmt. Es handelt sich um +die einseitige Geltendmachung des Darstellungsmoments.</p> + +<p><em class="gesperrt">Alle auf dem Genussmoment beruhenden Auffassungen +legen Jesu moderne Gedanken unter.</em> Was +er bei jenem Mahle zuletzt so besonders feierlich sagte, muss für +jeden Anwesenden unmittelbar verständlich gewesen sein. Der +Vergleichspunkt muss also in dem liegen, was er vor den Augen +der Jünger mit den Genusselementen vornimmt: in dem Brechen +des Brots und in dem Ausgiessen des Weins. Der Sinn der begleitenden +Worte bezieht sich auf den bevorstehenden Tod. „So +wie dieser Wein alsbald verschwunden sein wird, so wird alsbald +mein Blut vergossen sein, denn mein Tod ist eine beschlossene +Sache; aber“, fügt er tröstend hinzu, „es wird nicht umsonst vergossen, +sondern „für viele“ und — ein bildlicher Ausdruck, der +in dem Gedankenkreis des Passahtages lag — als ein Bundesblut.“ +Nur den Gegenstand des Geniessens vergleicht Jesus hier +und dort mit seinem Leibe, <em class="gesperrt">auf das Geniessen reflektiert +er gar nicht.</em> Höchstens insofern das Genussmoment aus dem +vorhergehenden darstellenden Moment irgend eine Bedeutung +empfängt, kann man ihm problematische Geltung zugestehen. +So hatte die Feier ursprünglich einen wehmütig schmerzlichen +Charakter, welcher nur aus der Situation begriffen werden kann.</p> + +<p>Nun lässt die älteste Ueberlieferung Jesum durch nichts andeuten, +dass er jene sinnvolle Handlung auch künftighin von +seinen Gläubigen vollzogen sehen möchte. Wie hat man aber dann +in der Urkirche aus dieser historischen Feier so schnell eine zu +steter Wiederholung bestimmte Handlung machen können? Zuerst +war es wohl ein inneres Bedürfnis. Passahgedanken und Abschiedserinnerungen +wirkten mit. Bald fand die Wiederholung im +Zusammenhang mit jedem Mahle statt und es kam die Vorstellung +eines ausdrücklichen darauf hinzielenden Gebotes Jesu auf. +„<em class="gesperrt">So weit es irgend ging, wollte man die Situation +von ehedem reproduzieren, nur dass man jetzt auf +das zurückblickte, was damals angekündigt werden +sollte</em>“ (S. 247). Diese Feier wurde nach dem ersten Akt kurz +das Brotbrechen genannt. Bei der Austeilung der sakramentalen +Elemente hat man wohl nicht von jeher die Deutungs- respektive +Einsetzungsworte des Herrn verbotenus wiederholt, denn sonst +würde deren Ueberlieferung nicht so viele Differenzen aufweisen. +Nach I Kor 11 <span class="antiqua">26</span> hat man dabei nie versäumt, den Tod des<span class="pagenum"><a name="Seite_36" id="Seite_36">36</a></span> +Herrn zu verkünden, also immer wieder das erschütternde Ereignis +sich vor Augen zu stellen und seine Notwendigkeit, wie seine +segensreichen Wirkungen zu erörtern; <em class="gesperrt">aber das geschah in +freien Formen.</em></p> + +<h3><strong>4. Die Skepsis in den Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung +des Darstellungsmoments.</strong></h3> + +<p>Die Darstellung <span class="smcap">Jülicher</span>'s bedeutet für die Abendmahlsauffassungen +mit konsequenter Zugrundelegung des Darstellungsmomentes +das, was die Abhandlung <span class="smcap">Eichhorn</span>'s für die das Genussmoment +zu Grunde legenden Auffassungen war. Beide zeigen +durch die Konsequenz ihres Gedankenaufbaus, dass die alleinige +Betonung des von ihnen zu Grunde gelegten Moments notwendig +zum Skeptizismus führt. Dies tritt bei <span class="smcap">Eichhorn</span> darin zu Tage, +dass er die historische Feier, von der urchristlichen Gemeindefeier +aus betrachtet, nicht zu erklären vermag. <span class="smcap">Jülicher</span> kann die +Gemeindefeier von der historischen Feier aus nicht erklären.</p> + +<p>Er hat ganz Recht, wenn er sagt, dass die Zugrundelegung +des Genussmoments die Zuhülfenahme moderner Gedanken zur +Erklärung der historischen Worte Jesu fordere. Heisst es aber +nicht ebenso sehr moderne Gedanken auf vergangene Zeiten übertragen, +<em class="gesperrt">wenn man sich die urchristliche Feier als gewollte, +möglichst genaue Reproduktion der Situation +von ehedem begreiflich machen will</em>? <span class="smcap">Jülicher</span>'s Auffassung +könnte die zwinglische Gemeindefeier erklären — und +da fehlte ihm noch der Wiederholungsbefehl — aber niemals die +urchristliche religiöse <em class="gesperrt">Gemeindemahlzeit.</em></p> + +<p>Die Schwierigkeiten werden gerade durch seine scharfe und +logisch einheitliche Gesamtauffassung mit absoluter Deutlichkeit +herausgearbeitet. Er erlaubt sich nicht zwischen dem Abendmahl +im eigentlichen Sinne und der Gemeindemahlzeit zu unterscheiden. +Mit diesem Spielraum hatten die doppelseitigen Darstellungen +aller Schattierungen operiert und damit die grössten Schwierigkeiten +überwunden. <em class="gesperrt">Die ganze Gemeindefeier ist „Herrenmahlzeit“</em> +— so sagt <span class="smcap">Jülicher</span> und stimmt dabei mit niemand +so vollkommen überein als mit <span class="smcap">Spitta</span> und <span class="smcap">Eichhorn</span>.</p> + +<p>Damit ist aber die Antinomie, welche zum Skeptizismus +führt, notwendig gegeben. Die Gemeindefeier, auf die <span class="smcap">Jülicher</span> +von seiner Auffassung der historischen Feier aus kommt, ist eine +Fiktion, welche der wirklichen urchristlichen Mahlfeier geradezu<span class="pagenum"><a name="Seite_37" id="Seite_37">37</a></span> +widerspricht, da die letztere „keine Reproduktion der Situation +von ehedem“ war. Wie die Wiederholung aufgekommen, vermag +er in keiner Weise darzuthun. „Dass es zunächst wohl ein +inneres Bedürfnis war, bei dem Passahgedanken und Abschiedserinnerungen +mitwirkten“: diese problematische und gewundene +Annahme erklärt für die Wiederholung gar nichts.</p> + +<p>Nun könnte <span class="smcap">Jülicher</span> durch den Wiederholungsbefehl um +die Schwierigkeit herumkommen. Das erlaubt ihm aber sein +exegetisches Gewissen nicht. Obwohl er ihn absolut notwendig +brauchte, verzichtet er darauf, weil er durch die beiden ältesten +Synoptiker nicht bezeugt ist. Seine ansprechende Auffassung ist +aus der exegetischen Betrachtung der Berichte erwachsen. Gerade +die Exegese beraubt ihn aber der einzigen Möglichkeit, die +Wiederholung der von ihm geschilderten Feier im Urchristentum +auch nur einigermassen begreiflich zu machen. Die urchristliche +Feier als Reproduktion der historischen Situation ohne Wiederholungsbefehl +ist einfach undenkbar. Also stehen wir hier vor +einer vollständigen Selbstauflösung. Um das Aufkommen der +urchristlichen Feier zu erklären, müsste <span class="smcap">Jülicher</span> eine unabhängig +von den Berichten gegebene Thatsache postulieren — +wie <span class="smcap">Eichhorn</span> es thut, um das Aufkommen des historischen Berichts +fasslich zu machen.</p> + +<p>Die konsequente Geltendmachung des Darstellungsmoments +führt also zu derselben Skepsis, wie die einseitige Herausarbeitung +des Genussmoments.</p> + +<hr class="chap" /> +<h2>Neuntes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Die neue Problemstellung.</b></p> + +<h3><strong>1. Das Ergebnis der Untersuchung.</strong></h3> + +<p>Die Auffassungen mit einseitiger Betonung des Genussmoments +können nur die <em class="gesperrt">urchristliche</em>, nie die <em class="gesperrt">historische</em> +Feier erklären.</p> + +<p>Die Auffassungen mit einseitiger Betonung des Darstellungsmoments +können nur die <em class="gesperrt">historische</em>, nie die <em class="gesperrt">urchristliche</em> +Feier erklären.</p> + +<p>Die doppelseitigen Auffassungen können die <em class="gesperrt">historische</em> +Feier nur in dem Masse erklären als sie die <em class="gesperrt">urchristliche</em> nicht +erklären, und umgekehrt.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_38" id="Seite_38">38</a></span></p> + +<p>Also vermag keine dieser Auffassungen das Abendmahlsproblem +zu lösen, da dieses gerade verlangt, <em class="gesperrt">dass beide +Feiern in ihrem gegenseitigen Zusammenhang begriffen +werden!</em></p> + +<p>Durch diese Sätze werden nicht bloss die hier besonders +analysierten Auffassungen betroffen. Diese sind nur Typen für +so und so viele andere, die schon veröffentlicht worden sind oder +noch im Zeitenschosse schlummern. Vergangen oder zukünftig: +alle werden sie durch die obigen drei Sätze schon im Vorverfahren +abgethan. Ehe sie überhaupt gehört werden können, +müssen sie zuerst nachweisen, dass sie etwas anderes sind als +eine neue Kombination von Darstellungs- und Genussmoment. +Können sie das nicht, so sind sie von vornherein abgewiesen, +denn dann vermögen sie das Problem nicht zu lösen. Es kommt ja +nicht auf ihr bestimmtes Gepräge oder auf die Art, wie sie sich +historisch und exegetisch darstellen, an, <em class="gesperrt">sondern nur auf das +Verhältnis, in dem das Darstellungs- und das Genussmoment +darin zu einander stehen.</em> Alles andere ist Beiwerk.</p> + +<p>Jede Auffassung ist durch die Formel bedingt, welche das +von ihr angenommene Verhältnis des Darstellungs- zum Genussmoment +ausdrückt. Damit ist ja ihre Stellung zu den Einzelfragen +— dem Wiederholungsbefehl, der Deutung der Gleichnisse, +der Form der angenommenen urchristlichen Feier u.s.w. — +entschieden. <em class="gesperrt">Man kann sie danach geradezu ausrechnen.</em> +Was die Verfasser dann noch von dem Ihrigen an geistreichen +Einfällen, exegetischen Funden und genialen Inkonsequenzen hinzuthun, +das ist alles ohne Belang. Ohne dass sie es wissen, folgen +sie ja einem inneren Zwang. Weil sie <em class="gesperrt">müssen</em>, nehmen sie die +schwersten exegetischen Hindernisse! Weil sie <em class="gesperrt">nicht anders +können</em>, übersehen sie schwerwiegende historische Fragen! +Weil sie die Verschnörkelungen am Erker nach freiem Bedünken +entwerfen dürfen, sind sie — und die andern mit ihnen — geneigt +zu vergessen, dass ihnen der Grundriss des Baues aufgegeben +ist.</p> + +<p>Unter den gegebenen Voraussetzungen gibt es keine neuen +Abendmahlsauffassungen mehr. Ob auch eine aus einer exegetischen +oder historischen Beobachtung hervorwächst, kann sie im +Grunde doch nichts anderes sein, <em class="gesperrt">als die Wiederholung +oder Modifizierung einer schon vorhandenen, nämlich<span class="pagenum"><a name="Seite_39" id="Seite_39">39</a></span> +der, mit welcher sie die Formel über das Verhältnis +der beiden Momente gemein hat.</em> Wollte man sich die +Mühe geben, den Stammbaum der vorhandenen Auffassungen +aufzustellen, so würde es nicht schwer halten, jeder ihre Vorfahren +zu entdecken.</p> + +<p>Die Darstellungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments +sind nur die wissenschaftlich-historische Reproduktion +der altgriechischen Auffassung.</p> + +<p><span class="smcap">Zwingli</span> hat die römische Theorie rationalisiert und ist von +<span class="smcap">Jülicher</span> ins modern-geschichtliche übertragen worden.</p> + +<p>Die doppelseitigen Auffassungen geben die Vermittlungsversuche +zwischen der Messe und dem griechischen Mysterium +und diejenigen der Reformationszeit in historischer Form wieder. +Man kann also ruhig sagen, dass alle möglichen Kombinationen +der beiden Momente schon erschöpft sind.</p> + +<p>Mit „neuen Auffassungen“ ist also nichts gethan; neu daran +ist immer nur der Einfall, nie die Formel — <em class="gesperrt">und auf letztere +kommt es allein an.</em> Darum führt die Detailauseinandersetzung +mit einer solchen neuen Auffassung zu gar nichts. Das für +„richtig“ und das für „falsch“ Befundene hängen ja gesetzmässig +zusammen: eins ist nur insofern richtig, als das andere falsch ist.</p> + +<p>Daran liegt es, dass Arbeiten in der Art, wie sie <span class="smcap">Rud. +Schäfer</span>, <span class="smcap">Clemen</span><a name="FNAnker_11_11" id="FNAnker_11_11"></a><a href="#Fussnote_11_11" class="fnanchor">[11]</a> und <span class="smcap">Schmiedel</span> zu den neuesten Aufstellungen +geliefert haben, trotz aller abwägenden Gewissenhaftigkeit die +Forschung nicht in dem Masse des aufgewandten Scharfsinns vorwärts +bringen. Aus dem, was sie anerkennen, lässt sich keine neue +Auffassung zusammenbauen, und das, was sie auszusetzen haben, +reicht nicht hin, die andere zu verwerfen, wenn man nichts Besseres +an die Stelle zu setzen hat.</p> + +<p>Diejenigen, welche unter den gegebenen Verhältnissen neue +Abendmahlsauffassungen aufstellen, rechnen ein Exempel, das +bisher nie hat wollen aufgehen, zum so und sovielten Male durch. +Ihre Kritiker rechnen das Exempel zum so und sovielten Male +nach. Auf geht es aber darum doch nicht.</p> + +<p><em class="gesperrt">Es kann nie aufgehen.</em> Darum nützt es nichts, immer +mit Eifer und Sammlung von vorn anzufangen. Man muss den +Fehler nicht in der Rechnung, sondern im Ansatz suchen. Die</p> +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_40" id="Seite_40">40</a></span></p> +<p>bisherigen Auffassungen bringen es nicht über dialektische Behauptungen +hinaus, welche als Ganzes aus den geschichtlichen +Thatsachen weder zu beweisen noch zu widerlegen sind.</p> + +<p><em class="gesperrt">Es gilt also sich von der bisherigen Problemstellung +loszumachen.</em></p> + +<p><em class="gesperrt">Wo liegt der Grund des Metaphysischen in der +Abendmahlsfrage?</em></p> + +<h3><strong>2. Der neue Weg.</strong></h3> + +<p>Bisher galt der Satz: Um das Abendmahl zu erklären, muss +man von der Deutung der Gleichnisse <em class="gesperrt">ausgehen</em>, denn diese +konstituieren das Wesen der Feier. So suchte man sie aus dem +Genuss, oder aus dem Handeln, oder aus beiden zusammen zu +deuten — und, wenn man eine plausible Erklärung gefunden +hatte, glaubte man den Schlüssel zum Abendmahl zu besitzen.</p> + +<p>Nun gilt es aber zwei Thüren zu öffnen: der betreffende +Schlüssel passt aber jedesmal nur zu einer. Angenommen <span class="smcap">Spitta</span> +und die andern deuten die Gleichnisse richtig auf das Urchristentum: +der historischen Situation entspricht aber ihre Erklärung +nicht. Angenommen <span class="smcap">Jülicher</span> und die andern deuten sie richtig +aus der historischen Situation: im Sinne des Urchristentums ist +aber ihre Erklärung nicht, denn dort kommt in keiner Weise zum +Ausdruck, dass die Handlung Jesu den Tod versinnbildlichte.</p> + +<p>Man hat aber allen Grund zu fragen, ob die Gleichnisse +aus der sie begleitenden Handlung <em class="gesperrt">so ohne weiteres</em> deutbar +sind. Alle Erklärungen werden ja auf Umwegen erreicht! Wieso +soll das Brechen des Brots die Kreuzigung des Leibes anzeigen? +Ist diese Erklärung etwa deswegen einleuchtender, weil +es die einzige ist, welche die begleitende Handlung offen lässt? +Wer sagt uns, dass es die Jünger so verstanden haben können? +In der urchristlichen und altchristlichen Epoche, ja eigentlich +bis auf <span class="smcap">Zwingli</span> weiss kein Mensch etwas von dieser Deutung.</p> + +<p>Mit dem Wort über dem Kelch steht es noch schlimmer. +Hier muss man nämlich, um dem Gleichnis einen Sinn abzugewinnen, +den Vergleichspunkt zur Handlung <em class="gesperrt">geradezu hinzuerfinden.</em> +Berichtet ist nur das <em class="gesperrt">Herumreichen</em> des Kelches. +Dieses ist aber für das „<em class="gesperrt">Vergiessen des Blutes</em>“ nicht charakteristisch. +Das einzig Erträgliche wäre das „<em class="gesperrt">Ausgiessen in +den Kelch</em>“. <em class="gesperrt">Obwohl nun diese Handlung in keinem +Berichte erwähnt ist</em>, haben es alle exegetischen Deutungen,<span class="pagenum"><a name="Seite_41" id="Seite_41">41</a></span> +welche auf dem Darstellungsmoment beruhen, mit dem „<em class="gesperrt">Ausgiessen</em>“ +des Weines in den Kelch zu thun. Aus der inneren +Zwangslage heraus schaffen sie frei ein <em class="gesperrt">Analogon zum Brotbrechen</em>, +ohne sich darüber zu rechtfertigen, wie sie dazu kommen, +die Situation in unerlaubter Weise zu bereichern.</p> + +<p>Wo steht denn geschrieben, dass Jesus den Wein in den +Kelch vor den Augen der Jünger bedeutungsvoll eingoss, wie +er das Brot brach? Nirgends! Also beruht die exegetische Deutung +des zweiten Gleichnisses <em class="gesperrt">auf reiner Erfindung.</em></p> + +<p>Gestehen wir es offen ein: es fehlt uns jegliche Anleitung +zu einer natürlichen Deutung der Gleichnisse. Ueber Künstelei +haben wir es dabei nicht hinausgebracht. Unser Schlüssel ist +nur ein schlechter Nachschlüssel: er passt zur Not in das eine +Schloss, aber nicht in beide. <em class="gesperrt">Und aus dieser Notdeutung +der Gleichnisse wollen wir die ganze historische und +urchristliche Mahlfeier erklären!</em></p> + +<p>Wenn man in dieser Notlage einmal den noch einzig möglichen +Ausweg ins Auge fasste! Es geht nicht an, <em class="gesperrt">die Feier durch +die Gleichnisse zu erklären.</em> Versuchen wir es mit dem +umgekehrten Verfahren, nämlich <em class="gesperrt">die Gleichnisse aus der +Feier zu erklären</em>!</p> + +<p>Freilich, am Anfang scheint das nur das letzte verzweifelte +Rütteln an der verschlossenen Thür. Aber überlegen wir die Sache +einmal ruhig.</p> + +<p>Beim Abendmahl handelt es sich um die Austeilung von +Seiten Jesu, um den Genuss von Seiten der Jünger und um zwei +Gleichnisse, welche mit dem Vorgang <em class="gesperrt">zusammenfallen.</em> Ich +sage <em class="gesperrt">zusammenfallen</em>! In einer <em class="gesperrt">Situation</em> können Handlungen +und Reden zeitlich zusammenfallen, während sie in dem +Bericht nur in zeitlicher Folge geschildert werden können, weil +die Worte jedes Nebeneinander notwendig in eine Aufeinanderfolge +auseinanderlegen.</p> + +<p>So halten unsere Berichte die Reihenfolge: Austeilung, +Gleichnis, Genuss inne, als hätte Jesus zuerst symbolisch gehandelt, +dann ausgeteilt, dann das erklärende Gleichnis gesprochen, +worauf zuletzt die Jünger verständnisvoll gegessen +hätten.</p> + +<p>Versucht man es aber einmal, sich den berichteten Vorgang +als Scene vorzustellen, so merkt man bald, <em class="gesperrt">dass die säuberliche +chronologische Folge stark illusorisch wird.</em> Man denke<span class="pagenum"><a name="Seite_42" id="Seite_42">42</a></span> +sich die 12 Menschen, die wie auf eine innere Verabredung hin +mit dem Essen des ihnen zugeteilten Stückes warten, bis Jesus +das Gleichniswort gesprochen! Wie unnatürlich, ja unmöglich +diese Scene in der gedachten chronologischen Folge der Handlungen +ist, kann man in Oberammergau sehen, wenn sie ins Leben +übersetzt wird! Es lässt sich kaum etwas Unnatürlicheres und +Geschraubteres denken.</p> + +<p>Für den, welcher eine berichtete Situation mit dem Blick des +Malers in der Wirklichkeit zu schauen vermag, bleiben nur zwei +Möglichkeiten. Entweder hat Jesus jedem Einzelnen das Brot +zugeteilt und dabei für jeden Einzelnen das Gleichniswort wiederholt: +dann ist die chronologische Folge so haltbar. Oder aber, wie +feststeht, er hat allen zusammen Brot ausgeteilt und das Gleichniswort +nur einmal gesprochen: dann ist die chronologische Folge, +mit der wir bisher operierten, illusorisch geworden. Sie besagt +dann nur, dass Jesus im Verlauf der Austeilung des Brotes und +während des Herumreichens des Bechers die Gleichnisworte vom +Leib und vom Blut gesprochen! <em class="gesperrt">Ob zu Anfang, in der Mitte +oder zu Ende, ob vor, während oder nach dem Essen und +Trinken: das ist nicht auszumachen.</em> Unsere Berichte geben +uns darüber keinen Aufschluss.</p> + +<p>Aus der angenommenen <em class="gesperrt">chronologischen</em> Folge haben die +bisherigen Auffassungen ohne weiteres eine <em class="gesperrt">causale</em> gemacht. +Man sagte: Die Austeilung und das dabei vorkommende Brechen +und Ausgiessen begründet das Gleichnis, das Gleichnis soll den +Jüngern die Bedeutung des Genusses erklären, und die Bedeutung +des Genusses macht das Wesen der Feier aus.</p> + +<p>Aus einer angenommenen zeitlichen Folge eine causale zu +machen, das ist ein Fehler, den das menschliche Denken trotz +aller Warnungen immer und immer wieder macht und sich dadurch +die grössten Probleme schafft.</p> + +<p><em class="gesperrt">Nun zeigt die Geschichte, dass gerade diese angenommene +causale Folge das Abendmahlsproblem unlösbar +macht.</em> Andererseits beschränkt sich unsere Kenntnis von +der Situation darauf, dass Jesus im Verlauf der Austeilung die +Gleichnisse gesprochen hat. Also machen wir uns von dem Vorurteil +los, als ob die Gleichnisse die Feier konstituierten, und +fassen das Problem so, <em class="gesperrt">dass die Feier die Gleichnisse erklärt.</em> +Anders ausgedrückt: Man meinte bisher, dass Jesus die +Jünger aufforderte, das dargereichte Brot und den herumgereichten<span class="pagenum"><a name="Seite_43" id="Seite_43">43</a></span> +Wein zu geniessen, <em class="gesperrt">weil er sie als seinen Leib und sein +Blut bezeichnet hatte</em> (wobei freilich niemand sagen kann, +in welchem Sinne sie mit Brot und Wein seinen Leib und sein +Blut assen und tranken).</p> + +<p>Wir aber gehen jetzt davon aus, dass Jesus von dem Brot +und dem Wein, die seine Jünger auf seine Darreichung hin genossen, +sagt, sie wären sein Leib und sein Blut, <em class="gesperrt">gerade im Hinblick +darauf, dass sie es auf seine Darreichung hin geniessen</em>! +Sie essen also nicht seinen Leib und trinken nicht sein +Blut, sondern, <em class="gesperrt">weil sie jenes Brot essen und jenen Wein +trinken</em>, sagt er, es <em class="gesperrt">sei sein Leib und sein Blut</em>! Das Gleichnis +konstituiert also die Feier nicht, sondern es erwächst aus ihr!</p> + +<p>Die Feier ist selbständig! Sie besteht darin, dass Jesus +unter Danksagung seinen Jüngern das Brot bricht und den Kelch +herumreicht und sie davon geniessen. Zum Wesen der Feier gehören +die Gleichnisse nicht, sondern Jesus spricht in diesen geheimnisvollen +Worten die Bedeutung aus, welche die Feier für +<em class="gesperrt">ihn</em> hat!</p> + +<p>Diese zweite Eventualität liegt gerade so gut in den Berichten +wie die erste. Nur ging man immer an ihr vorüber, weil +die chronologische Folge der Handlungen in der schriftstellerischen +Darstellung die Aufmerksamkeit ganz für die erste gefangen +nahm.</p> + +<p>Nun ist aber logisch festgestellt, dass die bisherige Annahme +das Problem vollständig unlösbar macht. Also muss man es +notgedrungen mit der zweiten probieren.</p> + +<p>Ueberdies spricht die Geschichte gerade für die zweite. Es +steht fest, dass die Leidensgleichnisse in der urchristlichen Feier +<em class="gesperrt">keine Rolle</em> spielten. Sie wurden im Verlauf der Feier in keiner +Weise reproduziert! Dafür sprechen Didache und Paulus, denn +wenn sie aus dem alltäglichen Verlauf der Feier bekannt gewesen +wären, bliebe I Kor 11 <span class="antiqua">23</span> unverständlich, da hier dann etwas Bekanntes +in geheimnisthuerischer Weise wiederholt würde! Es +stand also im Urchristentum so: Man wusste wohl, dass diese +Gleichnisse bei der historischen Feier gesprochen worden waren, +die Gemeindefeier leitete sich von dieser historischen Feier ab: +<em class="gesperrt">aber doch fühlte man kein Bedürfnis, die historischen +Gleichnisse Jesu dabei irgendwie zu reproduzieren. +Also war die historische Feier, sofern sie sich in der +<span class="pagenum"><a name="Seite_44" id="Seite_44">44</a></span>Gemeindefeier fortsetzte, von den Gleichnissen unabhängig</em>, +da man sonst auch die Gleichnisse wiederholt hätte. +Das ist durch die Geschichte bezeugt.</p> + +<p>Darum hat es das Abendmahlsproblem gar nicht mehr mit +den beiden unmöglichen Fragen zu thun, wieso Jesus seinen +Jüngern seinen Leib zu essen und sein Blut zu trinken gegeben +habe und wie sie diese Feier später in entsprechender Weise reproduzierten, +sondern das Problem selbst ist ein ganz anderes. +Es heisst nicht mehr: <em class="gesperrt">Was bedeuten die Gleichnisse</em>, damit +wir die Feier erklären können? sondern: <em class="gesperrt">Was bedeutete +die Feier</em>, damit wir die <em class="gesperrt">Gleichnisse</em> erklären können.</p> + +<p><em class="gesperrt">In welchem Sinne war die Austeilung von Brot +und Wein beim letzten Mahl ein so überaus feierlicher +Akt, der sich auf Jesu Tod bezog?</em> — von dieser +Frage hat die Untersuchung auszugehen, indem sie die Gleichnisse +vorerst ganz bei Seite lässt. Es ist der einzige Weg zur +Lösung des Problems.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fussnoten:</h3> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_11_11" id="Fussnote_11_11"></a><a href="#FNAnker_11_11"><span class="label">[11]</span></a> Der Ursprung des heil. Abendmahls von Lic. Dr. <span class="smcap">Karl Clemen</span>. +1898. Hefte zur christl. Welt No. 37.</p></div></div> +</div> +<hr class="full" /> +<div class="chapter"> +<p class="pseudotitle"><big><b>Zweiter Teil.</b></big> +<span class="pagenum"><a name="Seite_45" id="Seite_45">45</a></span></p> + +<p class="pseudotitle"><big><b>Das Abendmahlsproblem auf Grund der historischen +Berichte.</b></big></p> +<hr class="tb" /> +<h2>Zehntes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Die textkritischen Fragen.</b></p> + +<h3><strong>1. Cod. D. Die textkritische Hauptfrage.</strong></h3> + +<p>Es handelt sich um den Lukasbericht (Lk 22 <span class="antiqua">15-20</span>). In +der gewöhnlichen Fassung zeigt er ein eigentümliches Gepräge. +Er bietet zunächst ein Wort über den Passahgenuss in dem zukünftigen +Reiche. Darauf folgt ein ähnliches Wort, den Becher +betreffend, welches mit dem synoptisch-eschatologischen Schlusswort +nach Markus und Matthäus übereinstimmt. Nachdem so +gleichsam ein erster Redegang über das Essen und Trinken abgeschlossen +ist, kommt das Wort über dem gebrochenen Brot +und über dem Wein als Bundesblut; bei letzterem fehlt dann das +bei den beiden älteren Synoptikern den zweiten Akt beschliessende +eschatologische Schlusswort.</p> + +<p>Wir haben also eine merkwürdige Doppelheit: zwei Worte +das Essen, und zwei den Kelch betreffend. Von den beiden auf +das Essen bezogenen Worten handelt nur das zweite von dem +Genuss des Brots, während das erste vom Passah allgemein redet. +Die Doppelheit ist also hier nicht so auffällig, wie in den beiden +das Trinken betreffenden Worten, welche sich beide auf den Kelch +beziehen. Das zweite nimmt sich wie ein Nachtrag zum ersten aus, +da es ohne das eschatologische Schlusswort steht, die Aufforderung +zum Genuss nicht enthält und überhaupt in dieser Form der +Feier keinen abrundenden Abschluss gibt, wie es das altsynoptische +Kelchwort thut.</p> + +<p>Als daher diese eigentümliche Doppelheit in dem Lukasbericht +auffiel, war die natürlichste Korrektur schon gegeben:<span +class="pagenum"><a name="Seite_46" id="Seite_46">46</a></span> das +zweite Kelchwort, da die Aufforderung zum Genuss schon im ersten +enthalten schien, zu streichen, dagegen das zweite Wort über dem Brot, +das in seiner spezifischen Eigenschaft vorher nicht erwähnt war, zu +belassen, weil es die Aufforderung zum Genuss enthält. Es ist die +Korrektur von Cod. D.<a name="FNAnker_12_12" id="FNAnker_12_12"></a><a +href="#Fussnote_12_12" class="fnanchor">[12]</a> Er schliesst mit +den Worten: <span lang="el" title="touto esti to sôma mou">τοῦτό +ἐστι τὸ σῶμά μου</span> (<span class="smcap">V.</span> <span +class="antiqua">19ª</span>).</p> + +<p>Entschliesst man sich einmal zu diesem so natürlichen Abstrich, +so liegt gar kein Grund mehr vor, das Kelchwort mit +seiner Aufforderung zum Trinken sich zwischen die beiden auf +das Essen bezogenen Aussagen eindrängen zu lassen und sie unnatürlich +auseinanderzureissen; man moduliert nach der ursprünglichen +synoptischen Harmonie zurück, sodass das eschatologische +Schlusswort beim Kelch wieder ans Ende kommt. Tritt dementsprechend +<span class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">17</span> und <span class="antiqua">18</span> hinter <span class="antiqua">19ª</span>, so erhält man einen Bericht, der +sich von dem gewöhnlichen nur dadurch unterscheidet, dass er +vor dem Brotwort ein Wort über das Passah bringt, welches dem +eschatologischen Schlusswort über dem Kelch nachgebildet ist. +Dieses Verfahren findet sich bei b c.<a name="FNAnker_13_13" id="FNAnker_13_13"></a><a href="#Fussnote_13_13" class="fnanchor">[13]</a></p> + +<p><em class="gesperrt">Die Entstehung des Abendmahlsberichtes des +Cod. D. beruht auf Reflexion.</em> Ueberhaupt bricht sich die +Ueberzeugung immer mehr Bahn, dass seine Abweichungen durchweg +diesen Charakter tragen. Eine originelle Vorstellung der +historischen Feier schwebt dieser Berichtform gar nicht vor. Daher +betrifft die Grundfrage der Textform des Lukas gar nicht +Cod. D, sondern die gewöhnliche Lesart. Wie kommt Lukas +dazu, den Bericht <em class="gesperrt">so ins Doppelte sich spiegeln zu lassen</em>, +dass der Versuch, diese Doppelheit als auf ein Versehen zurückgehend +zu korrigieren, sich in Cod. D notwendig einstellen musste? +Diese Frage ist aber gar keine textkritische mehr, sondern sie +hängt mit der Entwicklung der Feier im Urchristentum und der +damit gegebenen Verschiebung des Bildes des historischen Mahles +zusammen.<a name="FNAnker_14_14" id="FNAnker_14_14"></a><a href="#Fussnote_14_14" class="fnanchor">[14]</a></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_47" id="Seite_47">47</a></span></p> +<h3><strong>2. Abweichende Lesarten.</strong></h3> + +<p>Die Frage, ob in den einzelnen Fällen <span lang="el" title="eulogêsas">εὐλογήσας</span> oder +<span lang="el" title="eucharistêsas">εὐχαριστήσας</span> zu lesen ist, hat keine Bedeutung. +Die beiden älteren Synoptiker gebrauchen den ersteren, Paulus, Lukas +und Justin den letzteren Ausdruck.</p> + +<p>Der Grund der verschiedenen Lesarten in Mt 26 <span +class="antiqua">26</span> ist leicht einzusehen. Partizipien und +erzählende Verben häufen sich in einer Weise, dass man in keinem +Falle eine schwerfällige und ungriechische Konstruktion vermeiden +kann. Ob man nun liest: <span lang="el" title="labôn ho Iêsous arton +kai eulogêsas eklasen kai dous tois mathêtais eipen">λαβὼν ὁ Ἰησοῦς +ἄρτον καὶ εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ δοὺς τοῖς μαθηταῖς καὶ εἶπεν</span>,<a +name="FNAnker_15_15" id="FNAnker_15_15"></a><a href="#Fussnote_15_15" +class="fnanchor">[15]</a> oder ob man eines der Partizipien auflöst +und die Lesart erhält: <span lang="el" title="labôn ho Iêsous arton kai eulogêsas +eklasen kai edidou tois mathêtais kai eipen">λαβὼν ὁ Ἰησοῦς +ἄρτον καὶ εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ ἐδίδου τοῖς μαθηταῖς καὶ εἶπεν</span><a +name="FNAnker_16_16" id="FNAnker_16_16"></a><a href="#Fussnote_16_16" +class="fnanchor">[16]</a> bleibt sich gleich. Der Satz ist in jedem +Falle formlos, weil er eine Häufung von Handlungen auf einen Moment +enthält, deren zeitlicher und logischer Zusammenhang sich sprachlich +gar nicht wiedergeben lässt. Die Varianten beruhen auf der empfundenen +darstellerischen Schwierigkeit, die jeder auf eine andere Weise zu +überwinden suchte.</p> + +<p>Bei Markus treten die stilistischen Schwierigkeiten nicht so +sehr hervor. Er vermeidet nämlich die namentliche Nennung des +Spenders und der Empfänger, wodurch die matthäische Konstruktion +so besonders ungelenk wird.</p> + +<p>Der paulinische und der justinische Bericht sind von dieser +Schwierigkeit befreit: sie vereinfachen die Situation, indem sie die +Darreichung (<span lang="el" title="edôken">ἔδωκεν</span>) und die Aufforderung zum Genuss +(<span lang="el" title="labete">λάβετε</span>) auslassen.</p> + +<p>Das <span lang="el" title="phagete">φάγετε</span> in Mk 14 <span class="antiqua">22</span><a name="FNAnker_17_17" id="FNAnker_17_17"></a><a href="#Fussnote_17_17" class="fnanchor">[17]</a> ist naive +matthäische Nachbildung. Die alten Zeugen bieten nur <span lang="el" title="labete">λάβετε</span>.</p> + +<p>Der Zusatz <span lang="el" title="kainês">καινῆς</span>, den einige Lesarten bei dem Wort über +dem Becher in Mk 14 <span class="antiqua">24</span><a name="FNAnker_18_18" id="FNAnker_18_18"></a><a href="#Fussnote_18_18" class="fnanchor">[18]</a> bieten, beruht auf naiver Nachbildung +der paulinischen Version.</p> + +<h3><strong>3. Das Ergebnis der Textkritik.</strong></h3> + +<p>Die Verschiedenheit der Lesarten ist nicht darin begründet, +dass die eine mit ihren Wurzeln historisch höher hinaufreicht als +<span class="pagenum"><a name="Seite_48" id="Seite_48">48</a></span> + +die andere. Sie gehen zum Teil aus der Schwierigkeit hervor, +welche die betreffenden Auffassungen haben, sich <em class="gesperrt">stilistisch +darzustellen.</em> Zum Teil entspringen sie der Tendenz, die Berichte +einander <em class="gesperrt">gleichzubilden.</em> Dazu war es aber schon zu +spät: die verschiedenen Typen hatten schon eine zu scharfe historische +Ausprägung erhalten, als dass es den nachbessernden +Versuchen hätte gelingen können, den Einheitstypus herzustellen, +an dem die vorhergehende geschichtliche Epoche sich vergebens +abgearbeitet hatte.</p> + +<p>Den letzten Versuch dieser Gleichbildung bietet der textus +receptus, sofern er den ersten Akt bei Paulus nach Analogie mit +dem matthäischen darstellt und dadurch eine Aufforderung zum +Genuss einträgt (nehmet, esset), die in I Kor 11 <span class="antiqua">24</span> ursprünglich +fehlt.</p> + +<p>Die Aufgabe der Textkritik in der Abendmahlsfrage besteht +darin, dass sie jeden der Berichte in seiner charakteristischen +Eigentümlichkeit darstellt, indem sie ihn von den Spuren der +versuchten litterarischen Gleichbildung mit andern befreit. Diese +Aufgabe, so bescheiden sie scheint, ist von eminenter Tragweite. +<em class="gesperrt">Hätte sich die Gleichbildung der Berichte wirklich +durchgesetzt, so wäre das Abendmahlsproblem unlösbar.</em></p> + +<div class="footnotes"><h3>Fussnoten:</h3> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_12_12" id="Fussnote_12_12"></a><a href="#FNAnker_12_12"><span class="label">[12]</span></a> D, a, ff². Die Ausgabe von <span class="smcap">Westcott</span> und <span class="smcap">Hort</span> hat diese Lesart +adoptiert.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_13_13" id="Fussnote_13_13"></a><a href="#FNAnker_13_13"><span class="label">[13]</span></a> In derselben Absicht lässt syr<sup>cu</sup> Vers <span class="antiqua">20</span> aus und setzt dafür Vers +<span class="antiqua">17</span> und <span class="antiqua">18</span> ein.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_14_14" id="Fussnote_14_14"></a><a href="#FNAnker_14_14"><span class="label">[14]</span></a> Eine eingehende Darlegung der Textfragen, welche den Lukasbericht +betreffen, findet sich in der Abhandlung von <span class="smcap">Erich Haupt</span>.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_15_15" id="Fussnote_15_15"></a><a href="#FNAnker_15_15"><span class="label">[15]</span></a> So <span lang="he" title="Aleph">א</span> +(sed <span lang="el" title="dous">δούς</span> ex <span lang="el" title="edidou">ἐδίδου</span> korrigiert ab <span lang="he" title="Aleph">א</span>ª) BDLZ.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_16_16" id="Fussnote_16_16"></a><a href="#FNAnker_16_16"><span class="label">[16]</span></a> <span lang="el" title="ACGD">ΑϹΓΔ</span>.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_17_17" id="Fussnote_17_17"></a><a href="#FNAnker_17_17"><span class="label">[17]</span></a> Mk 14 <span class="antiqua">22</span>: +zu <span lang="el" title="labete">λάβετε</span> zugesetzt <span lang="el" title="phagete">φάγετε</span> (EFHM²).</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_18_18" id="Fussnote_18_18"></a><a href="#FNAnker_18_18"><span class="label">[18]</span></a> Mk 14 <span class="antiqua">24</span>: +<span lang="el" title="tês diathêkês">τῆς διαθήκης</span> (<span lang="he" title="Aleph">א</span>BCDL).</p></div></div> + +<hr class="chap" /> + +<h2>Elftes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Die Eigenart des Markusberichts</b> (Mk 14 <span class="antiqua">22-26</span>).</p> + +<p>Der erste Akt besteht einzig darin, dass Jesus unter Gebet +das Brot bricht und es herumreicht; zugleich spricht er das +Gleichniswort von seinem Leib. Es fehlt, wie bei Matthäus, das +uns aus Paulus gewohnte <span lang="el" title="hyper hymôn">ὑπὲρ ὑμῶν</span> und über Matthäus hinaus +das <span lang="el" title="phagete">φάγετε</span>.</p> + +<p>Ist so im ersten Akt die <em class="gesperrt">Aufforderung zum Genuss</em> in +Hinsicht auf das Gleichnis nicht ausdrücklich ausgesprochen, <em class="gesperrt">so +fehlt sie im zweiten vollständig.</em> Es wird zuerst berichtet, +dass Jesus allen den Kelch nach dem Gebetswort herumgereicht +habe und alle daraus getrunken haben (Mk 14 <span class="antiqua">23</span>). <em class="gesperrt">Darauf erst</em> +spricht er das Gleichniswort von dem für viele vergossenen Blut +(Mk 14 24).</p> + +<p><span class="smcap">Bruno Bauer</span> war meines Wissens der erste, der darauf hingewiesen, +dass Markus statt der Aufforderung zum Trinken die +<em class="gesperrt">Konstatierung</em> bietet, dass alle getrunken haben. Er sieht<span class="pagenum"><a name="Seite_49" id="Seite_49">49</a></span> +darin nur eine Abschwächung gegen Matthäus, da Markus sich +scheue, die Aufforderung Jesu in vollem Umfang aufrecht zu erhalten.</p> + +<p>Dabei hat aber <span class="smcap">Bruno Bauer</span> nicht bemerkt, +dass mit dieser Konstatierung auch die gewöhnliche chronologische +Folge vom Gleichnis zum Genuss sich verschiebt, wodurch zugleich +das uns geläufige kausale Verhältnis zwischen Gleichnis und Genuss +aufgehoben wird. Diesem Bericht zufolge ist es unmöglich, dass Jesus +oder die Jünger die Bedeutung des Trinkens <em class="gesperrt">aus dem +Gleichnis herleiten</em>, weil dieses ja erst <em class="gesperrt">auf +das Trinken folgt</em>!</p> + +<p>Zu beachten ist ferner, wie das weihevoll (<span lang="el" +title="amên">ἀμήν</span>) und nachdrücklich gesprochene eschatologische +Schlusswort von dem Neutrinken in dem Reich des Vaters sich eng an das +Gleichniswort anschliesst! Es bildet den Höhepunkt der Feier (<span +class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">25</span>), worauf +alsbald der Aufbruch erfolgt.</p> + +<p><em class="gesperrt">Diese eigenartigen Züge des Markusberichts sind +bisher nicht herausgearbeitet worden.</em> Man hat ihn einfach nach den +andern gedeutet. Alle Berichte, so nahm man ohne weiteres an, bieten +dieselbe Thatsache. Beim letzten Mahl hat Jesus den Jüngern Brot und +Wein so dargereicht, dass sie die Elemente irgendwie als seinen Leib +und sein Blut assen und tranken. Das Fehlen des <span lang="el" title="phagete">φάγετε</span> +bei Markus erklärte man daraus, dass es sich von selbst verstehe. Die +Eigentümlichkeit des zweiten Akts hob man nicht einmal hervor, weil man +sie — ohne sich davon Rechenschaft zu geben — nach Matthäus +und den andern interpretierte.</p> + +<p>Diese Annahme, dass der Markusbericht im Grunde dasselbe +besage wie die andern, ist <em class="gesperrt">eine der unbewiesenen +Voraussetzungen</em>, mit denen die bisherigen Abendmahlsauffassungen +operierten. Wenn wir nämlich nur den Markusbericht +hätten, käme niemand auf den Gedanken, dass Jesus +seinen Jüngern Brot und Wein als seinen Leib und sein Blut +ausgeteilt und sie zum Genuss in diesem Sinne aufgefordert habe. +Man würde die zeitliche Folge im ersten Akt nach der des zweiten +auffassen und als Thatbestand feststellen, dass Jesus <em class="gesperrt">im Verlauf +der Austeilung des Brotes das Gleichnis von +seinem Leib und <b>nach</b> der Herumreichung des Bechers +das Gleichnis von seinem Blut gesprochen +habe.</em> Wenn wir aber einen Bericht haben, wo Jesus dem<span class="pagenum"><a name="Seite_50" id="Seite_50">50</a></span> +strikten Wortlaut zufolge weder seinen Leib noch sein Blut +zum Genuss ausgeteilt hat, so dürfen wir ihn nicht, als handle es +sich um eine gewisse Nachlässigkeit und Sparsamkeit im Ausdruck, +nach den andern auslegen, sondern wir müssen ihn mit +ihnen vergleichen und eine Auseinandersetzung herbeiführen. +Daraus ergibt sich dann die Tragweite der Abweichungen. Entweder +handelt es sich um eine absolut <em class="gesperrt">unverständliche +Schilderung</em>, die man, weil sie mit dem feststehenden Thatbestand +absolut keine Verwandtschaft hat, als Kuriosum nicht +weiter zu beachten braucht, oder — <em class="gesperrt">wir haben den authentischen +Bericht vor uns, von dem die Untersuchung +ausgehen muss.</em> Diese Alternative ist nicht zu umgehen, sobald +man sich die Eigenart des Markusberichts klar gemacht hat.</p> + +<hr class="chap" /> + +<h2>Zwölftes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Der Vergleich der Berichte.</b></p> + +<h3><strong>1. Das Prinzip der Gleichbildung.</strong></h3> + +<p>Aeusserlich betrachtet zeigt sich die Eigenart des Markusberichts +darin, dass die beiden Akte an Umfang und Gesichtspunkten +verschieden sind. Der erste ist ganz kurz; er beschränkt +sich auf das Gebetswort, das Brechen zum Austeilen und die Gleichnisrede; +der zweite enthält das Gebetswort, die Austeilung, die +Erwähnung des Genusses, die Gleichnisrede, den Hinweis auf +die Heilsbedeutung des Todes und das eschatologische Schlusswort. +Der Vergleich zeigt, dass bei den andern Berichten die +beiden Akte in steigendem Masse einander <em class="gesperrt">gleichgebildet +werden</em>, sowohl dem Umfang nach, als auch hinsichtlich der Gesichtspunkte, +die sie enthalten. Wir erhalten zwei Parallelakte, +indem die Handlungen und Worte beim Wein genau denen beim +Brot entsprechen.</p> + +<p>Diese Gleichbildung erfolgt entweder so, dass die Momente +des zweiten Akts in den ersten eingetragen werden (Matthäus, +Paulus, Lukas), oder so, dass der zweite Akt nach Analogie des +ersten zusammengezogen wird (Justin).</p> + +<h3><strong>2. Der matthäische Bericht</strong> (Mt 26 <span class="antiqua">26-29</span>).</h3> + +<p>Matthäus befindet sich auf dem Wege zur Gleichbildung. Durch das +<span lang="el" title="phagete">φάγετε</span> ist die ausdrückliche +Erwähnung des Genussmoments in den ersten Akt aufgenommen. + +Da im zweiten an <span class="pagenum"><a name="Seite_51" id="Seite_51">51</a></span>Stelle der Konstatierung ebenfalls die +Aufforderung zum Genuss getreten ist, so entsprechen sich beide Akte in +diesem Punkte vollkommen. <span lang="el" title="labete, phagete· touto +estin to sôma mou. piete ex autou pantes· touto gar estin to haima +mou">λάβετε, φάγετε· τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου. πίετε ἐξ αὐτοῦ πάντες· +τοῦτο γάρ ἐστιν τὸ αἷμά μου</span>. Die Gleichbildung ist aber noch +nicht vollständig vollzogen. Dem ersten Akt fehlt ein dem Wort über die +Bedeutung des vergossenen Bluts entsprechender Hinweis (<span lang="el" +title="to peri pollôn">τὸ περὶ πολλῶν</span>). Auch das eschatologische +Wort, welches das Gleichnis über dem Wein beschliesst, ist beim Brot +noch nicht vertreten.</p> + +<p>Zudem zeigt das im zweiten Akt stehen gebliebene <span lang="el" title="pantes">πάντες</span>, +dass hier eine Konstatierung in eine Aufforderung umgesetzt +worden ist. Bei der Konstatierung muss ja notwendig erwähnt +werden, dass sie alle davon getrunken haben. Bei der Aufforderung +aber ist das <span lang="el" title="pantes">πάντες</span> selbstverständlich, oder — wenn es die +Weihe der Aufforderung nachdrücklich hervorheben soll — wie +kann es dann beim Brot fehlen? Hier wäre es wirklich gefordert, +da Jesus nicht ohne weiteres annehmen kann, dass alle das Stückchen +Brot, das er ihnen darbietet, auch wirklich essen, während +er dem Herumgehen des Kelches mit dem Auge folgt. Bei Paulus, +Lukas und Justin ist dann das <span lang="el" title="pantes">πάντες</span>, als nicht mehr von Belang, +auch wirklich ausgefallen.</p> + +<p>Die Verbindung des eschatologischen Schlussworts mit dem +Kelchwort nach rückwärts, dem Aufbruch zum Leidensweg nach +vorwärts ist bei Matthäus noch gewahrt. Jedoch ist es mit dem +Kelchwort nicht mehr durch das gewaltige <span lang="el" title="amên">ἀμήν</span> in Steigerung +verbunden, so dass es, wie bei Markus, den <em class="gesperrt">Höhepunkt</em> der +ganzen Feier bildet, sondern es ist nur mehr eine mit <span lang="el" title="de">δέ</span> <em class="gesperrt">beigeordnete +Schlussbemerkung</em> (Markus <span lang="el" title="amên legô hymin">ἀμήν λέγω ὑμῖν</span>, Matthäus +<span lang="el" title="legô de hymin">λέγω δέ ὑμῖν</span>).</p> + +<p>So befindet sich die Gleichbildung bei Matthäus noch im +Fluss. Bei Paulus ist sie schon viel weiter fortgeschritten.</p> + +<h3><strong>3. Der paulinische Bericht</strong> (I Kor 11 <span class="antiqua">23-26</span>).</h3> + +<p>Hinter jedem Akt ist abschliessend angefügt: <span lang="el" title="touto poieite +eis tên emên anamnêsin">τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν</span>. Durch Uebernahme eines auf die Bedeutung +des Todes hinweisenden Worts (<span lang="el" title="to hyper hymôn">τὸ ὑπὲρ ὑμῶν</span>) gleicht sich +der erste Akt dem zweiten an. Nur das <span lang="el" title="eklasen">ἔκλασεν</span> hat keine Parallele.</p> + +<p>Bei Markus und Matthäus beschloss das Wort von der Wiedervereinigung +beim Mahl im zukünftigen Reich den Spruch über +dem Becher. Nur scheinbar ist es bei Paulus ausgefallen. Er<span class="pagenum"><a name="Seite_52" id="Seite_52">52</a></span> +setzt es vielmehr als Abschluss <em class="gesperrt">bei beiden Akten voraus:</em> <span lang="el" title="hosakis +gar ean esthiête ton arton touton kai to potêrion pinête, ton thanaton +tou kyriou katangellete, achri ou elthê">ὁσάκις γὰρ ἐὰν ἐσθίητε τόν ἄρτον τοῦτον καὶ τὸ ποτήριον πίνητε, τὸν θάνατον +τοῦ κυρίου καταγγέλλετε, ἄχρι οὗ ἔλθῃ</span> (<span class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">26</span>).</p> + +<p><em class="gesperrt">Bis dass er kommt</em> — darin liegt die Erwartung des +Kommens des Herrn und des Anbruchs des Reiches. Dies +darf man für die Erklärung des <span lang="el" title="touto poieite eis tên emên anamnêsin">τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν</span> +nicht ausser Acht lassen. Danach ist die <span lang="el" title="anamnêsis">ἀνάμνησις</span> doppelseitig: +nach rückwärts eine Erinnerung an den Tod Jesu, nach vorwärts +ein Gedenken an seine Parusie. Die Feier gilt dem Gekreuzigten, +der als Messias bei seiner Ankunft offenbart werden wird, +als welcher er schon jetzt durch die Auferstehung zur Rechten +Gottes erhöht ist.</p> + +<p>Bedenkt man nun, dass die historische Relation des eschatologischen +Schlussworts im zweiten Akt abgefallen ist, dass +aber nach der Vorstellung Pauli beide Akte mit der Erwartung +der Parusie in Zusammenhang stehen, so liegt es nahe, in +dem <span lang="el" title="touto poieite">τοῦτο ποιεῖτε</span>, als Konstatierung oder als Wiederholungsbefehl +gefasst, <em class="gesperrt">die paulinische Form des beiden Akten +beigesetzten eschatologischen Schlussworts zu sehen.</em></p> + +<p>Für den ersten Akt ist dies eine künstliche Angliederung, da +historisch dieser Hinweis nur mit dem Kelchwort in Beziehung steht, wo +der Genuss konstatiert ist; der erste Akt mit seinem <span class="el" +title="eklasen">ἔκλασεν</span> ist gar nicht darauf angelegt. Daraus +entsteht bei Paulus eine unerträgliche grammatikalische Verwirrung. +Die Parallele zu dem <span lang="el" title="hosakis ean pinête">ὁσάκις +ἐὰν πίνητε</span>, das erwartete <span lang="el" title="hosakis ean +esthiête">ὁσάκις ἐὰν ἐσθίητε</span>, fehlt in der Form des <span +lang="el" title="touto poieite">τοῦτο ποιεῖτε</span> von <span +class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">24</span>. Unter dem +<span class="el" title="poiein">ποιεῖν</span> kann also für den ersten +Akt nur das erwähnte <em class="gesperrt">Brechen</em> verstanden sein. +Aus <span class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">25</span> +und <span class="antiqua">26</span> geht aber hervor, dass, dem +<span class="el" title="poiein">ποιεῖν</span> des zweiten Akts +entsprechend, der Genuss, nämlich das Essen, darunter verstanden +werden muss. Grammatikalisch allein berechtigt wäre: so oft ihr +dieses Brot brechet und diesen Kelch trinket; thatsächlich aber +soll es bedeuten: so oft ihr dieses Brot esset. So ist auch das +<span class="el" title="gar">γὰρ</span> zu verstehen, welches +<span class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">26</span> mit +<span class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">24</span> und +<span class="antiqua">25</span> zugleich verbindet, sofern es als +Wiederholung der dort von Jesu gemeinten Handlung das Essen und Trinken +voraussetzt.</p> + +<p>Die Gleichbildung ist also trotz des latenten Widerstandes +des ersten Aktes erreicht. An beide Gleichnisse schliesst sich +das Wort von der Heilsbedeutung des Todes und der eschatologische +Hinweis an.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_53" id="Seite_53">53</a></span> + +Dabei entgeht Paulus durch die Form, in der er diesen Hinweis +bietet, einer grossen Schwierigkeit. Dieses Wort ist in der +ursprünglichen Gestalt ein <em class="gesperrt">Schlusswort.</em> Fügt man es in dieser +Form dem ersten Akt an, so wird die Handlung in der Mitte +auseinander gerissen, da dann Jesus schon beim Brot die Feier +beschliesst. Diese Schwierigkeit hat Lukas gefühlt, als er die paulinische +Vorstellung in den synoptischen Bericht zu übertragen +unternahm.</p> + +<h3><strong>4. Der lukanische Bericht</strong> (Lk 22 <span class="antiqua">14-20</span>).</h3> + +<p>Lukas bringt zuerst das eschatologische Schlusswort in direkter Rede +für beide Akte. Für das Kelchwort lag die Form der älteren Synoptiker +vor. Er nimmt die Matthäusform, weil er die Aufforderung zum Genuss, +welche Paulus nicht bietet, voraussetzt. Durch die Auslassung des +Wortes vom Blut wird folgendes Kelchwort hergestellt Lk 22 <span class="antiqua">17</span> u. +<span class="antiqua">18</span>: <span lang="el" title="kai dexamenos potêrion eucharistêsas eipen· labete +touto kai diamerisate eis heautous· legô gar hymin hoti ou mê piô apo +tou nyn apo tou genêmatos tês ampelou heôs hotou hê basileia tou theou +elthê">καὶ δεξάμενος ποτήριον εὐχαριστήσας εἶπεν· λάβετε τοῦτο καὶ +διαμερίσατε εἰς ἑαυτούς· λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ πίω ἀπὸ τοῦ νῦν ἀπὸ +τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου ἕως ὅτου ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἔλθῃ</span>.</p> + +<p>Der Versuch nimmt sich gut aus; das <span lang="el" +title="diamerisate">διαμερίσατε</span> hat zugesetzt werden müssen, +damit man die später folgende Darreichung des Kelches (<span +class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">20</span>) nicht +vorwegnehme; das eingefügte <span lang="el" title="gar">γὰρ</span> stellt in Verbindung +mit dem <span class="el" title="diamerisate">διαμερίσατε</span> +zur Not einen logischen Gedankenzusammenhang her; das <span +class="el" title="kainon">καινόν</span> (vgl. Mt 26 <span +class="antiqua">29</span>) blieb besser weg, weil dieses +Adjektiv nachher als erklärender Zusatz zu <span class="el" +title="diathêkê">διαθήκη</span> figuriert; der Farbenton der +eschatologischen Aussage ist etwas verblasst (Matthäus <span lang="el" +title="heôs tês hêmeras ekeinês hotan auto pinô meth' hymôn kainon en +tê basileia tou patros mou·">ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης ὅταν αὐτὸ πίνω μεθ' +ὑμῶν καινὸν ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ πατρός μου·</span> Lukas <span lang="el" +title="heôs hotou hê basileia tou theou elthê">ἕως ὅτου ἡ βασιλεία τοῦ +θεοῦ ἔλθῃ</span>).</p> + +<p>Schwieriger war die Formulierung des eschatologischen Schlussworts +für den ersten Akt, da hier kein behauenes Material vorlag und das Wort +über dem Brot seinen Widerstand gegen die aufgezwungene Verbindung mit +irgend einem eschatologischen Hinweis schon bei Paulus hinreichend +bekundet hatte. Ein einziger Ausweg bot sich dar: das eschatologische +Schlusswort, da es einmal für die Handlung des Essens gefordert war, +auf die ganze Mahlzeit zu beziehen. Dieser Fassung kam der Gedanke +zu Hülfe, dass möglicherweise die historische Feier ein Passahmahl +gewesen; das neukonstruierte eschatologische Schlusswort für das +Essen bezieht sich bei Lukas also auf das Passahmahl, das<span +class="pagenum"><a name="Seite_54" id="Seite_54">54</a></span> Jesus +mit den Seinen feiert. <span class="antiqua">15</span> <span lang="el" title="kai +eipen pros autous· epethymia epethymêsa touto to pascha phagein +meth' hymôn pro tou me pathein·">καὶ εἶπεν πρὸς αὐτούς· ἐπιθυμίᾳ +ἐπεθύμησα τοῦτο τὸ πάσχα φαγεῖν μεθ' ὑμῶν πρὸ τοῦ με παθεῖν·</span> <span +class="antiqua">16</span> <span lang="el" title="legô gar hymin hoti ou mê phagô auto +heôs hotou plêrôthê en tê basileia tou theou">λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ +φάγω αὐτὸ ἕως ὅτου πληρωθῇ ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ</span>.</p> + +<p>Die Benutzung des Passahgedankens ermöglicht Lukas, eine Mahlfeier +darzustellen, <em class="gesperrt">bei der sowohl das Essen als das +Trinken einen eschatologischen Hinweis erhalten.</em> Dabei wird aber +die historische Feier auseinandergerissen! Zuerst kommen die beiden +eschatologischen Worte; sie werden in den Verlauf der Passahmahlzeit +gerückt. Das erste bildet zugleich eine stimmungsvolle Einleitung. Von +dem Wort über dem Brot wird dadurch nichts vorausgenommen: nur mit dem +Wort über dem Becher hat es seine Schwierigkeit. Um das Kelchwort, +welches dann bei der eigentlichen historischen Feier eintritt, von +dem vorhergehenden, welches im Rahmen des Passahmahls verlief, genau +abzuheben, wird es in der paulinischen Form berichtet: <span lang="el" +title="to potêrion meta to deipnêsai legôn· touto to potêrion hê +kainê diathêkê en tô haimati mou">τὸ ποτήριον μετὰ τὸ δειπνῆσαι +λέγων· τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ <span class="err" title="original: διαδήκη">διαθήκη</span> ἐν τῷ αἵματί μου</span>: +soweit geht die Uebereinstimmung. Nun ist aber der eschatologische +Hinweis nach Paulus (I Kor 11 <span class="antiqua">24</span> u. <span +class="antiqua">25</span> <span lang="el" title="touto poieite">τοῦτο +ποιεῖτε</span> etc.) schon beim ersten Passah-Kelchwort verbraucht; +deswegen wird hier nach Matthäus zurückmoduliert und <span lang="el" +title="to hyper hymôn ekchynnomenon">τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενον</span> +eingesetzt; aus diesem Grunde war schon an Stelle des paulinischen +<span lang="el" title="en tô emô haimati">ἐν τῷ ἐμῷ αἵματι</span> das +altsynoptische <span lang="el" title="en tô haimati mou">ἐν τῷ αἵματί +μου</span> eingetreten.</p> + +<p>Der erste Akt wird nach Paulus beschrieben; aus den Synoptikern +ist die ausdrückliche Erwähnung der Darbietung (<span lang="el" +title="edôken-didomenon">ἔδωκεν-διδόμενον</span>) eingedrungen. Das +<span lang="el" title="touto poieite">τοῦτο ποιεῖτε</span> ist stehen geblieben, weil das +eschatologische Wort hinsichtlich des Essens sich auf das Passahmahl +allgemein bezieht.</p> + +<p>Der Bericht des Lukas erklärt sich litterarisch einfach als ein +Versuch, die bei Paulus erreichte Gleichbildung der beiden Akte +unter Zuhülfenahme des Zusammenhangs der historischen Feier mit dem +Passahmahl in die synoptische Geschichtserzählung zurückzutragen. +Daraus resultiert dann folgender Verlauf der Feier: Jesus weist zu +Anfang des Passahmahls darauf hin, dass er es erst im Gottesreiche +wieder mit den Jüngern feiern wird. Solches wiederholt er beim ersten +Herumreichen des Kelches. Bei einer Brotdarreichung im Verlaufe +der Feier spricht er das Gleichnis von seinem Leibe, desgleichen +beim Kelch das Gleichnis von seinem Blute. Beide Akte sind absolut +gleich durch die Geltendmachung des Heilswertes der Dahingabe<span +class="pagenum"><a name="Seite_55" id="Seite_55">55</a></span> (<span +class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">19</span> <span lang="el" +title="to hyper hymôn didomenon">τὸ ὑπὲρ ὑμῶν διδόμενον</span>, <span +class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">20</span> <span lang="el" title="to +hyper hymôn ekchynnomenon">τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενων</span>). Auch bei dieser +Gleichbildung geht es ohne stilistische Härte nicht ab, sofern nämlich +im zweiten Akt von einem vergossenen Kelch die Rede ist, während das +Blut gemeint ist.</p> + +<p>Wie bei Paulus werden beide Akte durch das <span lang="el" +title="touto poieite">τοῦτο ποιεῖτε</span> abgeschlossen. Wir +haben also eine bis auf den gemessenen Rythmus in der Sprache sich +erstreckende Gleichbildung. Freilich ist dabei der Schluss der Feier +verloren gegangen. Das stolze Wort von dem Wiedertrinken in des +Vaters Reich ist schon für den Anfang der Passahfeier verbraucht, +statt dass es, wie bei Markus und Matthäus, zum Aufbruch überleitet. +Dafür finden hier die Episoden von der Bezeichnung des Verräters, dem +Rangstreit und der Verwarnung des Petrus ihren Platz (Lk 22 <span +class="antiqua">21-38</span>), wobei die Schilderung des feierlichen +Aufbruchs nach dem Lobgesang (Mk 14 <span class="antiqua">26</span> += Mt 26 <span class="antiqua">30</span>) unterbleibt. „Er +ging nach seiner Gewohnheit an den Oelberg“ (Lk 22 <span +class="antiqua">39</span>: <span lang="el" title="kai exelthôn +eporeuthê kata to ethos eis to oros tôn elaiôn">καὶ ἐξελθὼν ἐπορεύθη +κατὰ τὸ ἔθος εἰς τὸ ὄρος τῶν ἐλαιῶν</span>).</p> + +<p>Eine originelle Auffassung von dem Wesen der historischen Feier liegt +dieser Darstellung nicht zu Grunde. In keinem Falle ist sie aus dem +Bestreben hervorgegangen, die Trennung des „Abendmahls“ von der +gemeinsamen religiösen Mahlzeit, welche bei Paulus angebahnt sein +soll, historisch zu begründen! Dieser formlose Bericht ist nur aus +dem Prinzip <span lang="el" title="parêkolouthêkoti anôthen pasin akribôs kathexês +grapsai">παρηκολουθηκότι ἄνωθεν πᾶσιν ἀκριβῶς καθεξῆς γράψαι</span> (Lk 1 3) +zu erklären.</p> + +<p>Es ist daher nicht zu erwarten, dass durch Streichung oder +Versversetzung aus der lukanischen Darstellung sich ein Bericht +gewinnen lässt, der auf eine originelle ältere Vorstellung der +historischen Feier zurückgeht. Mehr als durch solche Versuche +wird man dem Wert der lukanischen Darstellung gerecht, wenn +man das schriftstellerische Geschick, das ästhetische Feingefühl +und den liturgischen Schwung würdigt, von denen diese Schilderung +Zeugnis gibt.</p> + +<h3><strong>5. Der justinische Bericht</strong> (I Apol. 66).</h3> + +<p>Hier vollzieht sich die Gleichbildung durch Verkürzung des zweiten +Akts nach Analogie des ersten. Die berichtete Feier beschränkt sich +auf zwei rätselhafte Worte Jesu. Nach einem Dankgebet über dem Brot +spricht er: „dies ist mein Leib“, desgleichen beim +Kelch: „dies ist mein Blut“ <span class="pagenum"><a name="Seite_56" +id="Seite_56">56</a></span>(<span lang="el" title="ton +Iêsoun labonta arton eucharistêsanta eipein· touto poiete eis tên +anamnêsin mou, touto esti to sôma mou. kai to potêrion homoiôs +labonta kai eucharistêsanta eipein· touto esti to haima mou">τὸν Ἰησοῦν +λαβόντα ἄρτον εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν· τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἀνάμνησίν +μου, τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου. καὶ τὸ ποτήριον ὁμοίως λαβόντα καὶ +εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν· τοῦτό ἐστι τὸ αἷμά μου</span>).</p> + +<p>Es fehlt das Brechen des Brots, der Hinweis auf den Wert der +Dahingabe und die Hervorhebung des erwarteten oder erfolgten Genusses +im zweiten Akt. Auch das eschatologische Schlusswort ist ausgefallen. +Nur beim ersten Akt findet sich das <span lang="el" title="touto +poieite">τοῦτο ποιεῖτε</span> in der paulinischen Form, wobei aus <span +lang="el" title="tên emên anamnêsin">τὴν ἐμὴν ἀνάμνησίν</span> (I +Kor 11 <span class="antiqua">24</span>) <span lang="el" title="tên +anamnêsin mou">τὴν ἀνάμνησίν μου</span> geworden ist.</p> + +<p>Hier steigert sich aber der Widerstand des ersten Akts +gegen einen derartigen Eintrag bis zur Unerträglichkeit. Worauf +soll sich das <span lang="el" title="poiein">ποιεῖν</span> beziehen? Auf das vorausgehende Gebetswort? +Das Brechen ist nicht erwähnt, der Genuss vorausgesetzt, +aber nicht hervorgehoben. So ist das <span lang="el" title="touto poieite">τοῦτο ποιεῖτε</span> hier für die +grammatikalische Auslegung sinnlos und die Erwähnung desselben +<em class="gesperrt">bei dem ersten Akt allein</em> unverständlich.</p> + +<p>Bei dieser verkürzten Darstellung ist die ganze historische +Situation interesselos geworden. Zwar erwähnt Justin Dial. 41, +70 und 117, dass in der Gemeindefeier auch die Erinnerung an +Jesu Tod mit hereinspielt. In seinem Bericht aber fehlt jede +Andeutung, dass dieses Mahl in der Nacht vor dem Tod stattgefunden +hat.</p> + +<p>Aus dem „justinischen Bericht“ allein wüssten wir also nur, +dass Jesus bei einem Mahle, nachdem er das Dankgebet über +dem Brot gesprochen, seinen Jüngern geboten habe, diesen +Brauch zur Erinnerung an ihn festzuhalten; danach habe er fortfahrend +das gesegnete Brot als seinen Leib und den gesegneten +Kelch als sein Blut bezeichnet.</p> + +<hr class="chap" /> +<h2>Dreizehntes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Die Authentie des Markusberichts.</b></p> + +<h3><strong>1. Der Beweis.</strong></h3> + +<p>Authentisch ist ein Bericht, <em class="gesperrt">welcher in keiner Weise +durch die Vorstellung von der Gemeindefeier beeinflusst +ist.</em> Der Markusbericht ist authentisch, weil sich dieser +Nachweis für ihn führen lässt.</p> + +<p>Worauf beruht die <em class="gesperrt">Gleichbildung der beiden Akte</em>, +welche alle andern Berichte, wenn auch der Art und dem Grad +nach verschieden, im Unterschied zu Markus aufweisen? Auf dem +Einfluss, welchen die altchristliche Feier auf die Vorstellung der<span class="pagenum"><a name="Seite_57" id="Seite_57">57</a></span> +historischen ausübt. Die Gemeindefeier war eine Mahlzeit, bei der +dem Essen dieselbe Bedeutung zukam wie dem Trinken. Ganz +natürlich übertrug sich dies auf die historische Feier. Man wusste +also nicht anders, als dass Jesus beim Brot und beim Wein in +genau entsprechender Weise gehandelt und geredet haben musste, +sofern in der abgeleiteten Feier die gleiche Wertung des Essens +wie des Trinkens konstatiert wurde. So war die Gleichbildung +der beiden Akte für die historische Feier von der urchristlichen +gefordert.</p> + +<p>Besässen wir nun den Markusbericht nicht, so würden wir +an der Gleichheit der beiden Akte nichts Besonderes finden, da +dies auch unserem Empfinden als das Natürlichste erscheint. +Alle modernen Rekonstruktionsversuche der „ursprünglichen +Einsetzungsworte“ vertreten die Gleichbildung ebenfalls. Wir +sind also auch geneigt, die Gleichheit der beiden Akte ohne +weiteres für selbstverständlich zu halten.</p> + +<p>Nun zeigt aber der Markusbericht, dass die Gleichheit der +beiden Akte nicht selbstverständlich ist. Also muss man entweder +für die Ungleichheit derselben bei ihm oder für die Gleichheit +bei den andern eine Erklärung suchen. Dabei ergibt sich, +dass man wohl die andern aus dem Markusbericht ableiten kann, +<em class="gesperrt">nicht aber umgekehrt.</em> Matthäus und Paulus — der Lukasbericht +ist ein rein litterarisches Produkt — stellen die Feier +nach dem zweiten Akt des Markus dar, Justin nach dem ersten. +Bringt man bei jedem die Gleichbildung der beiden Akte entsprechend +in Abrechnung, wozu die grammatikalischen Härten +und Unmöglichkeiten Anweisung geben, <em class="gesperrt">so erhält man jedesmal +den Markusbericht.</em></p> + +<p>Dabei zeigt sich in der Gleichbildung der beiden Akte noch +eine gewisse Entwicklung. Dass sie bei Matthäus noch nicht vollständig +durchgeführt ist, lässt erkennen, dass die Gleichheit der +Akte nicht das Ursprüngliche ist. Also muss sie ihren Grund in +der historischen Anschauung der alten Zeit haben, welche diese +Berichte <em class="gesperrt">formuliert</em> hat. Da dieser allein in dem Mahlzeitcharakter +der Essen und Trinken gleichwertenden Gemeindefeier +gegeben sein kann, steht fest, <em class="gesperrt">dass diese Berichte durch +das Medium der altchristlichen Auffassung der Gemeindefeier +hindurchgegangen sind. Markus steht +ausserhalb dieses Prozesses, weil er die Gleichbildung +nicht aufweist; also ist er authentisch.</em></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_58" id="Seite_58">58</a></span> + +Dass die Vorstellung der historischen Feier bei Paulus und +Justin in einem sehr hohen Masse durch die Auffassung der Gemeindefeier +bedingt ist, liegt auf der Hand. Der historische Bericht +ist bei ihnen ja nur Mittel zum Zweck. Er soll eine bestimmte +Anschauung von der Gemeindefeier vertreten. Die Art, +wie sie beide in Verbindung setzen, geht weit über unsere Begriffe +hinaus. Wir verstehen die Gemeindefeier immer nur als +eine entsprechende <em class="gesperrt">Wiederholung</em> der historischen, sofern sie +aus der letzteren begründet wird. Paulus und Justin setzen beide +gleich, indem sie die Gemeindefeier mit der historischen Feier +gegeben sein lassen. Dabei entstehen dann Gedankengänge, die +für uns ganz überraschend sind.</p> + +<p>Es handelt sich um I Kor 11 <span class="antiqua">26</span>. In +<span class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">24</span> und <span +class="antiqua">25</span> vollzieht Jesus die Einsetzung. Wer redet +in <span class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">26</span>? +Das <span lang="el" title="gar">γὰρ</span>, sofern es sich zum Vorhergehenden begründend +verhält, schliesst den Subjektswechsel aus. Der Ausdruck <span lang="el" title="ton +thanaton tou kyriou">τὸν θάνατον τοῦ κυρίου</span> zeigt aber an, dass die +historische Situation verlassen ist und Paulus von der Gemeindefeier +redet. Dazu passt aber das <span lang="el" title="gar">γὰρ</span> +nicht, denn was für die Gemeindefeier gilt, ist nicht eine <em +class="gesperrt">Begründung</em> zu den Worten Jesu, sondern eine <em +class="gesperrt">Folgerung</em> aus dem historischen Spruch. In diesem +Satz vollzieht also Paulus den Uebergang von der historischen Feier +zur Gemeindefeier so, dass er beide für einen Augenblick gleichsam +zusammenschiebt.</p> + +<p>Darum schmilzt er zwei Sätze, von denen der erste der historischen +Situation, der zweite der Darlegung über die Gemeindefeier +angehört, ineinander.</p> + +<ul class="hang"> + +<li>1. Jesus zu den Jüngern im Anschluss an die Gleichnisse: +„denn (<span lang="el" title="gar">γὰρ</span>) so oft ihr von diesem Brot esset und von diesem +Wein trinket, verkündet ihr meinen Tod, bis dass ich +komme.“</li> + +<li>2. Paulus der Gemeinde das Wesen ihrer Feier aus der historischen +erklärend: „Darum (<span lang="el" title="hôste">ὥστε</span>), so oft ihr von diesem +Brot esset und von diesem Wein trinket, verkündet ihr des +Herrn Tod, bis dass er komme.“</li></ul> + +<p>Justin bietet ein Seitenstück zu diesem schillernden Uebergang. +Er fasst in der berühmten Darlegung I Apol. 65 und 66 die +historische Feier und die Gemeindefeier in einem gemeinsamen +Ausdruck zusammen, indem er sie bezeichnet als: <span lang="el" +title="hê di' euchês logou tou par' autou">ἡ δι' εὐχῆς λόγου τοῦ +παρ' αὐτοῦ</span> (sc. Jesu) <span lang="el" title="eucharistêtheisa +trophê">εὐχαριστηθεῖσα τροφή</span>. Dieser Ausdruck bekundet eine +Gleichsetzung der beiden Feiern, die<span class="pagenum"><a +name="Seite_59" id="Seite_59">59</a></span> weit über unseren Begriff +der entsprechenden Wiederholung hinausgeht. Die Speise bei der +Gemeindefeier ist, wie bei der historischen, durch Jesu Gebetswort +geheiligt. Ein Unterschied besteht also nicht.</p> + +<p>Was die Gleichbildung der beiden Akte anzeigt, wird durch die +Argumentierung, mit welcher Paulus und Justin die Gemeindefeier +mit der historischen Feier verbinden, bestätigt: Sie sehen +die historische Feier nur in der Beleuchtung der Gemeindefeier.</p> + +<p>Solange die Textvergleichung ausschliesslich auf die Entdeckung +der wahrscheinlichsten und ansprechendsten Form der +<em class="gesperrt">Einsetzungsworte</em> ausging, bestand die Vorstellung der Möglichkeit +einer paulinischen oder justinischen Sondertradition zu +Recht, da beide „die Einsetzungsworte“ in sowohl unter sich unabhängigen +als von den beiden älteren Synoptikern grundverschiedenen +Fassungen boten. Prüft man aber die <em class="gesperrt">Berichte als +Berichte</em>, frägt man sie, ohne den verlockenden Anpreisungen +ihrer „Einsetzungsworte“ Gehör zu geben, was sie von dem Verlauf +und dem Wesen des gesamten historischen Vorgangs, bei +welchem diese Gleichnisse geredet wurden, wissen, dann ist es +mit der Scheinoriginalität aus. Es zeigt sich, dass sie sich die +historische Feier der ihnen geläufigen Gemeindefeier entsprechend +vorstellen, nur dass Jesus dabei Speise und Trank austeilt +und die bekannten Gleichnisse redet. Also geht auch ihre +Fassung „der Einsetzungsworte“ nicht auf eine paulinische oder +justinische Sondertradition zurück, sondern sie ist geschichtlich +aus der vorausgesetzten Gemeindefeier zu erklären. Paulus und +Justin differieren in ihren „Einsetzungsworten“, weil und insofern +die justinische von der paulinischen Gemeindefeier differiert. +Zwischen beiden muss in der Auffassung der Feier eine Wandlung +eingetreten sein.</p> + +<p>So führt die neue Problemstellung eine neue Auffassung der +Authentie mit sich, welche sich nicht mehr auf <em class="gesperrt">Meinungen, +sondern auf Gesetze</em> gründet. Als authentisch gilt nicht +mehr die kürzeste oder scheinbar klarste Relation „der Einsetzungsworte“, +<em class="gesperrt">sondern die Darstellung des gesamten +historischen</em> Vorgangs, für welche eine Beeinflussung durch +die Gemeindefeier nicht nachgewiesen werden kann, ob uns nun +die betreffende „Einsetzungsformel“ zusagt oder nicht.</p> + +<p>Bisher galt es für interessant, mit einer gewissen skeptischen +Nonchalance die Behauptung hinzuwerfen, dass wir über die<span class="pagenum"><a name="Seite_60" id="Seite_60">60</a></span> +Authentie der Berichte niemals etwas wissen können. Selbst +wenn unter unseren Berichten ein authentischer sich befände, so +hätten wir doch kein Mittel, ihn unter den andern herauszufinden. +Durch die neue Auffassung der Authentie ist diese Skepsis abgethan. +Wir besitzen einen authentischen Bericht. Wer es bestreiten +will, muss nachweisen, dass der Markusbericht ein durch +die andern Darstellungen desavouiertes Phantasieprodukt ist. +Authentisch oder sinnlos: das ist die einzig offene Alternative.</p> + +<h3><strong>2. Die Folgerungen aus der Authentie des Markusberichts.</strong></h3> + +<p>Die neue Auffassung der Authentie bezeichnet den ersten +Erfolg der neuen Problemstellung. Er öffnet dem neuen Lösungsversuch +den Weg. Jesus forderte die Jünger auf, seinen Leib zu +essen und sein Blut zu trinken: dieser angenommene gemeinsame +Thatbestand aller Berichte schien den Weg zu versperren. Durch +die Authentie des Markusberichts wird aber dieser Scheinthatbestand +ausser Kraft gesetzt. Es ist historisch bestätigt, was aus +der Kritik der modernen Auffassungen geschlossen wurde: Jesus +hat seine Jünger nicht aufgefordert, seinen Leib und sein Blut zu +geniessen, sondern er hat die Gleichnisworte im Verlauf, nicht +vor dem Genuss gesprochen. Das Kelchwort kommt erst, nachdem +alle getrunken haben!</p> + +<p>Also haben wir einen Bericht, bei dem das Wesen der Feier +nicht auf den Gleichnissen, sondern auf dem feierlichen Vorgang +beruht. Das hatte die neue Problemstellung gefordert. Nun ist +es Thatsache geworden. <em class="gesperrt">Also ist das Abendmahlsproblem +für die historische Kritik lösbar.</em></p> + +<h3><strong>3. Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis im Abendmahl.</strong></h3> + +<p>Die Bedeutung der Darreichung der Genusselemente bleibt +vorerst rätselhaft. Nur das Negative ist klar, dass nämlich die +Gleichnisse nicht aus der symbolischen Handlung des Brechens +und aus dem vorausgesetzten Ausgiessen des Weins an sich erklärt +werden dürfen. Das darstellende Moment spielt in den Berichten +keine Rolle und verschwindet zuletzt ganz, wie der justinische +Text zeigt, wo das Brechen nicht einmal mehr erwähnt +wird.</p> + +<p>Wollte man die Gleichnisse nach dem authentischen Markustext +deuten, so müsste man das erste aus dem Brechen, das zweite<span class="pagenum"><a name="Seite_61" id="Seite_61">61</a></span> +aus der Thatsache, dass alle Jünger getrunken haben, erklären. +Man bekäme also zwei ganz verschieden geartete Gleichnisse.</p> + +<p>Die Gleichnisse vom Leib und Blut müssen aber irgendwie +den Leidensgedanken enthalten. Dass Jesus damit das Geheimnis +seines Leidens zum letztenmal ausgesprochen hat, ist in den +Umständen dieses letzten Zusammenseins gegeben. Wenn wir +also die Gleichnisse nicht richtig zu verstehen vermögen, kann +dies nur daran liegen, dass wir das <em class="gesperrt">Geheimnis des Leidensgedankens</em> +falsch auffassen.</p> + +<p>Nun ist es die Eigentümlichkeit aller modern-historischen +Abendmahlsauffassungen, dass sie in der Feier <em class="gesperrt">den eschatologischen +Gedanken</em> nicht zur Geltung bringen. Sie verwenden +das Wort von dem Neutrinken in des Vaters Reich nicht +als eine das Wesen jenes letzten Mahls mitkonstituierende Aussage, +sondern machen daraus bestenfalls ein Anhangswort.</p> + +<p>Im Markustext nimmt es aber eine Hauptstellung ein. Es ist das mit +erhobener Stimme feierlich und eindringlich gesprochene Schlusswort +der Feier. Dabei hängt es mit dem Wort vom vergossenen Blut eng und +unzertrennlich zusammen, so dass es mit ihm einen einzigen Gedanken zu +bilden scheint. <em class="gesperrt">Diese enge Verbindung zwischen dem +Todes- und Wiederkunftsgedanken ist charakteristisch für den zweiten +Akt der Situation bei Markus.</em></p> + +<p>Demselben Zusammenhang begegnen wir aber auch bei +Paulus und zwar in beiden Akten. Nach ihm — und er beruft +sich dabei ausdrücklich auf den historischen Hergang — besteht +die Bedeutung des Essens und Trinkens irgendwie in der Verkündigung +des Todes des Herrn zugleich mit der Erwartung +seiner Parusie. „So oft ihr dieses Brot esset und diesen +Wein trinket, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis dass er +komme.“</p> + +<p>In der authentischen Relation der historischen Feier und in +der ältesten Relation der Gemeindefeier haben wir also beidemal +eine organische Verbindung zwischen dem Leidensgedanken und +der eschatologischen Erwartung. Es ist daher falsch, das Wesen +der Feier in der letzten Aussprache des Todesgedankens allein +zu finden. <em class="gesperrt">Nicht von seinem Tod, sondern von seinem +Tod und der baldigen Wiedervereinigung mit ihnen +beim Mahle im neuen Reich</em> hat Jesus zu den Seinen geredet. +Das Geheimnis seines Todes, welches bei dieser Feier in +<span class="pagenum"><a name="Seite_62" id="Seite_62">62</a></span> +der ergreifendsten und erhebendsten Weise zum letztenmal von +Jesus ausgesprochen wurde, enthält den Leidensgedanken im +engsten Zusammenhang mit der eschatologischen Erwartung.</p> + +<p>Die modern-historischen Abendmahlsauffassungen sind also +unhistorisch, weil der Leidensgedanke, mit dem sie operieren, +keinen Zusammenhang mit der Eschatologie aufweist. Darum +können sie den wesentlichen Grundzug der historischen Feier +und der ältesten Gemeindefeier nicht zum Ausdruck bringen. +Um das Wesen des letzten Mahles zu begreifen, bedarf es daher +eines Einblicks in den eschatologischen Charakter des Leidensgeheimnisses +Jesu. Diesen kann man nicht aus der Feier selbst +gewinnen, da Jesus dort das Geheimnis im Gleichnis ausspricht. +Das Gleichnis aber vermögen wir nicht zu deuten.</p> + +<p><em class="gesperrt">Beim letzten Mahl handelt Jesus als Messias, +und zwar als leidender Messias.</em> Wenn wir sein Handeln +nicht verstehen, so liegt dies mithin daran, dass wir sein Messianitäts- +und Leidensgeheimnis falsch verstehen. Das Abendmahl +kann nur aus dem Zusammenhang des Lebens Jesu begriffen +werden. Unsere Abendmahlsauffassungen sind falsch — <em class="gesperrt">also +ist die Auffassung des Lebens Jesu, welche uns dazu +geführt hat, auch falsch.</em></p> + +<p>Das Abendmahlsproblem ist das Problem des Lebens Jesu! +Eine neue Abendmahlsauffassung kann nur aus einer neuen Auffassung +des Lebens Jesu hervorwachsen, welche das Messianitäts- +und Leidensgeheimnis so enthält, dass sein feierliches Handeln +beim letzten Mahle begreiflich und verständlich wird. <em class="gesperrt">Ein neues +Leben Jesu:</em> das ist der einzige Weg zur Lösung des Abendmahlsproblems.</p> +</div> +<hr class="full" /> +<div class="transnote"> +<h2> +<a id="Anmerkungen_zur_Transkription"></a>Anmerkungen zur Transkription:</h2> + +<p>Die erste +Zeile entspricht dem Original, die zweite Zeile enthält die Korrektur.</p> + +<p>S. <a href="#Seite_xv">XV</a>:</p> +<ul> +<li>3. Das Ergebnis des Textkritik</li> + +<li>3. Das Ergebnis <span class="u">der</span> Textkritik</li> +</ul> +<p>S. <a href="#Seite_13">13</a>:</p> + + <ul><li>Vergleiche zum folgenden den verhängnisvollen Vortrag</li> + <li>Vergleiche zum <span class="u">Folgenden</span> den verhängnisvollen Vortrag</li></ul> +<p>S. <a href="#Seite_17">17</a>:</p> +<ul> +<li>sondern +auf einer eschatologichen Vorstellung vom Endmahl</li> + +<li>sondern +auf einer <span class="u">eschatologischen</span> Vorstellung vom Endmahl</li> +</ul> + +<p>S. <a href="#Seite_25">25</a>:</p> +<ul><li>wenn der Fall an sie herantritt, im stande seien, ihrerseits +ihre Seele</li> +<li>wenn der Fall an sie herantritt, <span class="u">imstande</span> seien, ihrerseits +ihre Seele</li></ul> + +<p>S. <a href="#Seite_54">54</a>: </p> +<ul> +<li>τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαδήκη ἐν τῷ αἵματί μου</li> + +<li>τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ <span class="u">διαθήκη</span> ἐν τῷ αἵματί μου</li> +</ul> +</div> + +<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 44366 ***</div> +</body> +</html> diff --git a/44366-h/images/cover.jpg b/44366-h/images/cover.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..31f350c --- /dev/null +++ b/44366-h/images/cover.jpg diff --git a/44366-h/images/image.jpg b/44366-h/images/image.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..a40a71a --- /dev/null +++ b/44366-h/images/image.jpg diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. 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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Das Abendmahl im Zusammenhang mit dem Leben Jesu und der Geschichte des Urchristentums + Erstes Heft. Das Abendmahlsproblem auf Grund der + wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts und der + historischen Berichte. + +Author: Albert Schweitzer + +Release Date: December 5, 2013 [EBook #44366] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS ABENDMAHL IM ZUSAMMENHANG *** + + + + +Produced by Jana Srna, Michael Waddell, Eleni Christofaki +and the Online Distributed Proofreading Team at +http://www.pgdp.net + + + + + + + + + +Anmerkungen zur Transkription: + +Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; +lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine Liste +der vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes. Folgende +Zeichen sind für die verschiedene Schriftformen benutzt: + + _Kleinschrift_ + =fett gedruckter Text= + +kursiv gedruckter Text+ + ~gesperrt gedruckter Text~ + ^{hochgestellter Text} + + + + + Das Abendmahl + + im + + Zusammenhang mit dem Leben Jesu + + und der + + Geschichte des Urchristentums + + von + + Lic. Dr. Albert Schweitzer + + in Strassburg i. E. + + + Erstes Heft. + + Das Abendmahlsproblem + + auf Grund + der wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts + und der historischen Berichte. + + [Illustration] + + =Tübingen= und =Leipzig=. + Verlag von ~J. C. B. Mohr~ (Paul Siebeck). + 1901. + + + + + +Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen behält sich die + Verlagsbuchhandlung vor.+ + + + C. A. Wagner's Universitätsbuchdruckerei in Freiburg i. B. + + + + + Seinem Lehrer + + Herrn Prof. D. Dr. =H. J. Holtzmann= + + gewidmet + + in aufrichtiger Verehrung und treuer Anhänglichkeit + + von seinem dankbaren Schüler + + =Albert Schweitzer=. + + + + +=~Vorrede~ zu einer neuen Untersuchung über das Abendmahl.= + + +Der Anstoss zu der vorliegenden Arbeit ging von SCHLEIERMACHER aus. +Im Jahre 1897 erhielt ich nämlich als Thema für meine schriftliche +Examensarbeit folgende Aufgabe gestellt: Die Abendmahlslehre +SCHLEIERMACHER's soll dargestellt und mit den im neuen Testament und in +den Bekenntnisschriften niedergelegten Auffassungen verglichen werden. + +Ich hatte mich bis dahin mit der Abendmahlsfrage gar nicht beschäftigt +und war über die neuesten Forschungen in keiner Weise orientiert, +hatte auch keine Zeit dies nachzuholen, weil die Arbeit innerhalb acht +Wochen abgeliefert werden musste. So war ich einzig auf die Texte und +die bekenntnismässigen Formulierungen der verschiedenen Konfessionen +angewiesen. + +Die SCHLEIERMACHER'sche Dialektik ersetzte mir aber alles. Sie +zergliedert nämlich das Problem so, dass es als Ganzes und zugleich in +allen Details vor einem steht. Man braucht nur geschichtlich Ernst zu +machen mit dem dialektischen Spiel, das er mit vollendeter Kunst zur +Beruhigung und Versöhnung der Geister und zugleich zu seinem eigenen +ästhetischen Ergötzen aufführt, dann ist man genau auf dem Standpunkt +der modernen historischen Forschung angekommen. + +Ein Satz besonders ist hier entscheidend. In § 139 _3_ der +Glaubenslehre redet er vom äusseren Verlauf unserer Feier und +zeigt, wie wir uns bei der Reproduktion der historischen Umstände +naturgemäss auf das Wesentliche beschränken müssen. Wollte man z. +B. einen bedeutenden Nachdruck auf den Zusammenhang, in welchem das +historische Mahl mit dem Passahmahl stand, legen, so würde man alsbald +zur Folgerung gedrängt werden, »dass das Abendmahl jetzt nicht mehr +das sein könne, als was es Christus gestiftet habe und also auch +wohl nicht könne von ihm als eine selbständige und immer dauernde +Institution für die Kirche verordnet sein«. »Dieses Bedenken«, so fährt +er dann fort, »liegt so nahe, ~dass es sich leicht in der evangelischen +Kirche lautbarer machen kann, als bisher der Fall gewesen~, und +veranlasst natürlich die Frage, worauf unser Glaube in dieser Sache +eigentlich beruhe. Schwerlich wird sich behaupten lassen, dass aus +den uns aufbewahrten Worten Christi ~diese Absicht ganz bestimmt +hervorgehe.~ Vielmehr enthalten einige unserer Erzählungen gar ~keinen +solchen Befehl~ (Markus und Matthäus), und in den andern ist er nur +unbestimmt ausgedrückt (Lukas und Paulus); und da die Apostel aus den +Worten Christi beim Fusswaschen keinen solchen Befehl entnommen haben, +so ~hätten sie auch Recht gehabt, aus dem Abendmahl ebensowenig eine +bestimmte und allgemeine Institution zu machen!~ Da nun aber offenbar +ist, dass sie das eine gethan haben und das andere nicht, so können +wir uns an das halten, ~was sie eingerichtet haben,~, ohne dass wir +zu entscheiden brauchten, ob Christus ihnen über das Abendmahl noch +andere ausdrückliche Anweisungen gegeben, oder ob sie dieselben aus +seinen Worten gefolgert oder nur durch den unmittelbaren Eindruck der +Sache und durch die begleitenden Umstände anders bestimmt worden sind +in Bezug auf das Abendmahl als in Bezug auf das Fusswaschen. In dem +letzten Fall würden wir dann das Abendmahl nur nicht ganz in demselben +Sinn als eine unmittelbare Einsetzung Christi ansehen können, immer +aber doch glauben müssen, dass sie in seinem Sinn gehandelt haben, wenn +wir nicht auch in ihrem ~engsten Berufskreise ihr kanonisches Ansehen +aufgeben wollen~«. + +Unsere Abendmahlsfeier beruht in letzter Linie nicht auf einer +ausdrücklichen Verordnung Jesu! GRAFE ist also ganz unschuldig! Was er +als ehrlicher Historiker in der Nachfolge anderer Historiker, von der +Wucht der Thatsachen gedrängt, bedächtig und schonungsvoll aussprach, +das hat SCHLEIERMACHER in seiner Glaubenslehre keck hingeworfen. +Während man aber dem eleganten Spiel des Dialektikers verständnisvoll +zunickte, nahm man es dem ehrsamen Historiker gar übel, als er ungefähr +dasselbe zu sagen wagte. Vielleicht auch haben die temperamentvollen +Gegner GRAFE's diese Seite in ihrem SCHLEIERMACHER überschlagen oder +sie hielten dafür, dass der betreffende Abschnitt, weil er zeitlich +schon einige gute Jahrzehnte zurückliegt, auch in zweideutigen Dingen +als rechtgläubig passieren dürfe. Es ist merkwürdig: In der Theologie +darf heutzutage einer fast alles sagen, was er will, wenn er es nur +vornehm und geistreich mit einem gewissen eleganten Skeptizismus thut. +Für den ehrlichen Menschen, der redet, weil sein Gewissen ihn zwingt, +ist man aber unnachsichtlich. + +Die Behauptung, die SCHLEIERMACHER zum erstenmal vollständig klar +ausgesprochen hat, die dann aber für Jahrzehnte ganz unter den +Tisch fiel, ist dazu angethan, einen im kantischen Sinn »aus dem +dogmatischen Schlummer zu wecken«. Sie zeigt nämlich, dass nicht +nur die kirchlichen, sondern geradesogut die wissenschaftlichen +Abendmahlsauffassungen dem wirklichen Thatbestand nicht gerecht werden. +Die kirchlichen Auffassungen setzen voraus, dass Jesus die Feier zur +Wiederholung bestimmt habe, können aber nicht nachweisen, dass er es +wirklich angeordnet hat, da der betreffende Befehl bei den ältesten +Zeugen fehlt. Eine Reihe wissenschaftlicher Auffassungen gehen davon +aus, dass die Feier nicht zur Wiederholung bestimmt war, können aber +dann nicht erklären, warum sie doch schon in der allerersten Gemeinde +aufkam — und das ist doch auch eine unbedingt feststehende Thatsache. + +Der Zusammenhang zwischen den beiden Feiern, der historischen und der +Gemeindefeier, bleibt also gleich unbegreiflich, ob man sie durch den +Wiederholungsbefehl direkt kausal miteinander verbindet oder ob man +sich mit der Konstatierung der reinen zeitlichen Aufeinanderfolge +begnügt und die Kausalität dahingestellt sein lässt. ~SCHLEIERMACHER +ist der Hume der Kausalitätsfrage im Abendmahlsproblem.~ + +Der Vergleich der verschiedensten und zeitlich so weit +auseinanderliegenden Abendmahlslehren mit der SCHLEIERMACHER'schen +Ansicht führte mich vor die Frage, was denn das Beharrende bei diesem +steten Wechsel der Auffassungen sei. Ist es nicht denkbar, dass alle +Phasen, in denen sich das Abendmahlsproblem auswirkt, durch dieselben +Gesetze beherrscht sind und dass also an diesen Gesetzen die wahre +historische Auffassung sich zu erproben hat? + +Nachdem ich daher meine Examensarbeit zu Ende geführt und die mir +in Umrissen schon vorschwebende neue Auffassung in allgemeinen +Strichen angedeutet hatte, machte ich mich daran, alle Epochen +der Abendmahlsfrage — die altchristliche, die mittelalterliche, +die reformatorische und die moderne — gründlich zu studieren, +fest entschlossen, nicht eher mit der neuen Auffassung an die +Oeffentlichkeit zu treten, als bis ich sie für alle Epochen +durchgeführt hätte und so die Gewissheit besässe, dass sie die ganze +Geschichte des Abendmahls von der historischen Feier bis in die +neueste Zeit erklärt. Zu dieser Arbeit habe ich vier Jahre gebraucht. +Darum veröffentliche ich, was mir schon im Herbst 1897, ~unabhängig +von der modernen Forschung, feststand~, erst im Herbst 1901, im +Zusammenhang mit der Darstellung und Beurteilung der historischen +Abendmahlsforschung im 19. Jahrhundert. + +Ich habe die Stellung des Problems an der wissenschaftlichen +Abendmahlsforschung im 19. Jahrhundert entwickelt, weil uns diese +Periode am nächsten liegt. Man hätte aber geradesogut jede andere Phase +dazu benutzen können, da die Gesetze in allen dieselben sind. + +Die Absicht dieser Arbeit geht weiter als auf die Aufstellung einer +neuen historischen Abendmahlsauffassung. Sie verfolgt den praktischen +Zweck, ~die historische Grundlage unserer modernen Abendmahlsfeier +abzugeben und das Bestehende geschichtlich zu rechtfertigen.~ Es ist +nämlich nicht zu leugnen, dass unsere Gemeindefeier, nach dem jetzigen +Stand der Wissenschaft, in der Luft hängt. Wenn der Wiederholungsbefehl +historisch nicht fundiert ist, was soll dann unsere Wiederholung +bedeuten? + +Den Gläubigen zwar ficht diese Sorge vorerst wenig an und soll ihn +wenig berühren. Es ist nicht die Sache der Leute, welche über die +Brücke gehen, sich ängstlich darum zu kümmern, ob durch die Fluten die +Fundamente nicht langsam unterwaschen worden sind, sondern das liegt +den Architekten ob. Diese müssen, wenn sie eine Senkung auch nur von +einem Millimeter wahrnehmen, unverzüglich einer eventuellen Katastrophe +entgegenarbeiten, sogar wenn den Passanten die Sache vorerst ganz +belanglos scheint. So muss auch die theologische Wissenschaft auf +das Fundament des Glaubens sehen und darauf achten, ob nicht die +historische Grundlage der Institution, welche gleichsam die Brücke vom +Vergänglichen zum Unvergänglichen bildet, durch den Strom der Zeit +unterwaschen ist und ob nicht durch die historische Weltanschauung eine +ganz andere Fundierung unserer Abendmahlsfeier notwendig wird als +bisher. + +SCHLEIERMACHER hat gesagt, dass das Bedenken, die Berechtigung der +Wiederholung betreffend, sich leicht in der evangelischen Kirche +lautbarer machen könnte, als bisher der Fall gewesen. Und wenn dies +nun eintritt, was dann? Solange das Problem der Berechtigung und +Notwendigkeit unserer Abendmahlsfeier wissenschaftlich nicht gelöst +ist, kann durch den geringfügigsten Umstand eine die öffentliche +Meinung aufs äusserste aufregende und unerquickliche dogmatische +Erörterung dieser Frage eintreten, zu der der Fall GRAFE nur ein kurzes +idyllisches Vorspiel wäre. + +Das Schlimmste dabei wäre, dass diese Erörterung, einmal in die +Oeffentlichkeit gezerrt, notwendig resultatlos bliebe. Denn der +wissenschaftlich denkende Mensch wird diese Frage immer wieder +aufwerfen müssen, während derjenige, der sich mehr auf den Standpunkt +des kirchlichen Glaubens stellt, sie notwendig niederschlagen wird, +in dem richtigen Empfinden, dass solche theoretische Bedenken eine +so heilige und erhebende und durch den urchristlichen Usus in +ihrer Art wieder so geschichtlich fundierte Feier nicht gefährden +dürfen. Der Verteidiger wird sogar eigentlich die Geschichte auf +seiner Seite haben. Denn, wenn das Abendmahl von Anfang an in der +christlichen Gemeinde gefeiert worden ist, so ist doch diese Thatsache, +vollständig objektiv betrachtet, viel entscheidender als das Fehlen +des Wiederholungsbefehls in zwei alten Berichten. Wir haben es eben +mit einer ganz unerklärlichen Antinomie zu thun, bei der man sich sehr +hüten muss, irgend welche Folgerungen gegen unsere Feier zu ziehen, +besonders wenn man bedenkt, dass man damit ein Stück des ältesten +und heiligsten Bestandes des christlichen Glaubens angreift. Nehmen +wir vorerst lieber an, dass uns der Schlüssel zur Erklärung der +historischen und der urchristlichen Feier und zum Verständnis ihres +Zusammenhangs fehlt. + +Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, gefährliche Fragen in Angriff zu +nehmen, ehe sie die öffentliche urteilslose Meinung in Unruhe bringen, +den Zündstoff zu beseitigen und in der Stille segensreiche Arbeit zu +thun. + +Als SCHLEIERMACHER in seiner Glaubenslehre die damals nur in seiner +dialektischen Phantasie existierenden Parteien vor sich beschied, +mutete er ihnen zu, sich auf »die Anerkennung des kanonischen Ansehens +der Apostel in ihrem engsten Berufskreise« zu vergleichen. Auf diesen +Vergleich kann man aber im Ernst nicht eingehen. Das Sprüchlein bannt +das Gespenst nicht. Wir wollen den Aposteln die gebührende Ehrfurcht +sicher gern erweisen, aber unsere Abendmahlsfeier auf ihr kanonisches +Ansehen allein gründen, das dürfen wir nicht. + +Rücken wir die Frage ins rechte Licht. Unsere Abendmahlsfeier +entspringt dem Vorgehen der ersten Gemeinde, zu der die Apostel +gehören. In die Geschichte übersetzt, lautet die Frage nach dem +»kanonischen Ansehen der Apostel in ihrem engsten Berufskreise« also +folgendermassen: Welches waren die Motive, durch welche die erste +Gemeinde bestimmt wurde, eine derartige im Zusammenhang mit dem letzten +Mahl Jesu stehende Feier zu begehen? War das Willkür oder Notwendigkeit? + +Daran schliesst sich eine zweite Frage, die SCHLEIERMACHER +unberücksichtigt gelassen hat. Wenn die erste Gemeinde aus bestimmten +Gründen die Feier wiederholt hat, gelten diese auch noch für uns? +Besteht in der historischen Feier als solcher auch für uns eine direkte +Notwendigkeit, dass wir daraus irgendwie eine Feier ableiten, oder +handelt es sich nur um etwas Ueberkommenes? + +Darauf lautet die Antwort der Geschichte: es war eine absolute +Notwendigkeit, dass das Abendmahl trotz des Fehlens des +Wiederholungsbefehls bei der ersten Gemeinde in Aufnahme kam, und +diese Notwendigkeit besteht auch noch für uns zu Recht. Unsere Feier +gründet sich nicht auf die geschichtliche Ueberlieferung oder auf die +unkontrollierbare Autorität bestimmter Persönlichkeiten, sondern direkt +auf die historische Feier. So ist unser Abendmahl berechtigt, geboten +und notwendig von sich selbst aus. + +Die neue geschichtliche Erkenntnis führt aber nicht nur die Versöhnung +hinsichtlich der Berechtigungsfrage herbei, sondern auch hinsichtlich +der Frage nach der Bedeutung der Feier. + +Niemand kann sich der Einsicht verschliessen, dass unsere Feier +eigentlich sehr dürftig und unlebendig ist, wenn sie nur auf die +Darstellung eines Doppelgleichnisses durch die Reproduktion einer +historischen Situation geht, wo der Pfarrer die Stelle Jesu und die +Gläubigen die Stelle der Jünger einnehmen. Andererseits stellen die +konfessionellen Auffassungen Zumutungen an ernste Christen, die sie +entweder zur Gedankenlosigkeit oder zur Gewissenlosigkeit erziehen und +den Zweifel und Spott geradezu herausfordern. + +Könnten beide Auffassungen aus ihrer Sprache heraustreten, dann +würden sie darin übereinkommen, dass der Sinn der Feier etwas +Geheimnisvolles ist, wo der Einzelne mit der feiernden Gemeinschaft +und der Persönlichkeit unseres Herrn in ein besonders heiliges +Verhältnis tritt. Nun zwingen aber die unglücklichen Einsetzungsworte +den Einen durch die rein symbolische Deutung hinter diesem Geheimnis +zurückzubleiben, den Andern durch die wörtliche Deutung über dieses +Geheimnis hinauszugehen und das Unfassbare zu behaupten. Die +Vermittlungsversuche sind am schlimmsten daran. In der Sache und dem +religiösen Gehalt nach mögen sie richtig sein, aber in der Deutung +der Gleichnisse sind sie gequetscht und gekünstelt, dass ein Mensch +mit ehrlichem Verstand sie nicht zu ertragen vermag. So wie die +»Einsetzungsworte« liegen und nach der Rolle, die man ihnen bisher +in der Feier zuwies, sind nur die rein symbolische oder die krass +realistische Deutung zulässig. Was dazwischen ist, ist vom Uebel. + +Auch hier bringt die wahre geschichtliche Erkenntnis die Befreiung +von der unnatürlichen Alternative, indem sie zeigt, dass die +Stellung, die man den Gleichnissen in dem Ganzen der Feier anwies, +geschichtlich falsch ist. Die urchristliche Feier beruht nicht auf +den »Einsetzungsworten« — dies ist mein Leib, dies ist mein Blut — +obwohl diese Worte bei der historischen Feier gesprochen worden sind. +Also ist auch unsere Auffassung unabhängig von diesen rätselhaften +Gleichnisworten. + +Diese kurzen Andeutungen mögen zeigen, dass diese Arbeit in einem +praktisch aufbauenden und versöhnenden Geiste geschrieben ist. +Zwar wird man, von den gewohnten Auffassungen herkommend, zunächst +mannigfach an dieser Untersuchung Anstoss nehmen, da sie die Versöhnung +nicht durch eine neue Vermengung oder Verdunkelung, sondern einzig +und allein durch geschichtliche Wahrhaftigkeit und Unbefangenheit +herbeiführen will. ~Wir müssen an die Geschichte glauben~, d. +h. wir müssen der Zuversicht sein, dass mit dem Fortschritt der +geschichtlichen Erkenntnis zugleich die Vertiefung und Einigung im +Glauben notwendig verbunden ist, obwohl es manchmal vorerst nicht den +Anschein hat. In diesem Glauben habe ich diese Untersuchung begonnen +und zu Ende geführt. + +Diese Arbeit erscheint in drei Heften. ~Das erste~ behandelt das +Problem, wie es sich aus der Forschung des 19. Jahrhunderts und aus den +Berichten ergibt. ~Das zweite~ sucht die Grundlage der historischen +Feier in dem Leben und in den Gedanken Jesu. Es stellt sich dar als die +Skizze einer neuen Auffassung des Lebens Jesu. Das ~dritte~ behandelt +das Abendmahl in der urchristlichen und in der altchristlichen Epoche +und zeigt, wie sich daraus die römische Messe und das griechische +Mysterium mit gleicher Berechtigung und Notwendigkeit entwickelt haben. +Das erste und das zweite Heft erscheinen miteinander. Das dritte wird +denselben in thunlichster Bälde folgen. + +Zum Schluss fühle ich mich gedrungen, allen meinen Freunden, die mir +bei dieser Arbeit behülflich gewesen sind, den Herrn Pfarrern A. ERNST +und R. WILL zu Strassburg, A. HUCK und ED. UNSINGER zu Schiltigheim und +dem Herrn Vikar ALFRED ERICHSON in Strassburg, meinen tiefgefühlten +Dank auszusprechen. + + ~Strassburg~, im August 1901. + + + + +=Inhaltsangabe des ersten Heftes.= + + + Seite + + ~Vorrede zu einer neuen Untersuchung über das Abendmahl~ V-XII + + + =Erster Teil.= + + =Das Abendmahlsproblem auf Grund der wissenschaftlichen Forschung des + 19. Jahrhunderts= 1-44 + + + +Erstes Kapitel+ 1-5 + + =Einleitung.= + + 1. Der Skeptizismus in der Abendmahlsforschung 1-2 + + 2. Der Ansatzpunkt 2-3 + + 3. Die Einzelfragen 3-5 + + 4. Die vier Typen der Abendmahlsauffassungen 5 + + + +Zweites Kapitel+ 5-7 + + =Das Vorspiel. Zwingli und Calvin.= + + + +Drittes Kapitel+ 7-10 + + =Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des + Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung des Genussmoments.= + + 1. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. DE WETTE, EBRARD und RÜCKERT + 7-8 + + 2. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. TH. KEIM, K. V. WEIZSÄCKER, + WILLIBALD BEYSCHLAG, H. HOLTZMANN, PAUL LOBSTEIN, W. SCHMIEDEL + 8-10 + + + +Viertes Kapitel+ 10 + + =Ueberblick über die Auffassungen mit Zugrundelegung des + Genussmoments.= + + + +Fünftes Kapitel+ 11-21 + + =Die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.= + + 1. Die Vorperiode. FR. STRAUSS, BRUNO BAUER, E. RENAN 11-13 + + 2. Die modernen Versuche. W. BRANDT, FR. SPITTA, A. EICHHORN 13-14 + + 3. W. BRANDT 14-15 + + 4. FR. SPITTA 15-16 + + 5. Kritik der Auffassung SPITTA's 16-18 + + 6. A. EICHHORN 18-19 + + 7. Die neue »Thatsache« 19-20 + + 8. Die Skepsis in der Folge der einseitigen Herausarbeitung des + Genussmoments 20 + + 9. Der logische Grund der Skepsis 20-21 + + + +Sechstes Kapitel+ 21-26 + + =Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments + und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments.= + + AD. HARNACK, ERICH HAUPT, FR. SCHULTZEN, R. A. HOFFMANN. + + 1. Allgemeines 21-22 + + 2. AD. HARNACK 22-23 + + 3. ERICH HAUPT 23-24 + + 4. FR. SCHULTZEN 24-25 + + 5. R. A. HOFFMANN 25-26 + + + +Siebentes Kapitel+ 26-31 + + =Der gesetzmässige Zusammenhang zwischen den Einzelfragen.= + + 1. Der Wiederholungsbefehl 26-27 + + 2. Das Abendmahl und die urchristliche Gemeindemahlzeit 27-30 + + 3. Die Antinomie zwischen der historischen und der urchristlichen Feier + 30-31 + + + +Achtes Kapitel+ 31-37 + + =Die Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des + Darstellungsmoments.= + + 1. Das Gefechtsfeld 31-32 + + 2. Der Verteidigungsplan. P. W. SCHMIEDEL 32-34 + + 3. Die Offensive. ADOLF JÜLICHER 34-36 + + 4. Die Skepsis in den Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des + Darstellungsmoments 36-37 + + + +Neuntes Kapitel+ 37-44 + + =Die neue Problemstellung.= + + 1. Das Ergebnis der Untersuchung 37-40 + + 2. Der neue Weg 40-44 + + + =Zweiter Teil.= + + =Das Abendmahlsproblem auf Grund der historischen Berichte= 45-62 + + + +Zehntes Kapitel+ 45-48 + + =Die textkritischen Fragen.= + + 1. Cod. D. Die textkritische Hauptfrage 45-46 + + 2. Abweichende Lesarten 47 + + 3. Das Ergebnis der Textkritik 47-48 + + + +Elftes Kapitel+ 48-50 + + =Die Eigenart des Markusberichts= (Mk 14 _22-26_). + + + +Zwölftes Kapitel+ 50-56 + + =Der Vergleich der Berichte.= + + 1. Das Prinzip der Gleichbildung 50 + + 2. Der matthäische Bericht (Mt 26 _26-29_) 50-51 + + 3. Der paulinische Bericht (I Kor 11 _23-26_) 51-53 + + 4. Der lukanische Bericht (Lk 22 _14-20_) 53-55 + + 5. Der justinische Bericht (I Apol 66) 55-56 + + + +Dreizehntes Kapitel+ 56-62 + + =Die Authentie des Markusberichts.= + + 1. Der Beweis 56-60 + + 2. Die Folgerungen aus der Authentie des Markusberichts 60 + + 3. Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis im Abendmahl 60-62 + + + + +=Erster Teil.= + +=Das Abendmahlsproblem auf Grund der wissenschaftlichen Forschung des +19. Jahrhunderts.= + + +Erstes Kapitel. + +=Einleitung.= + + +=1. Der Skeptizismus in der Abendmahlsforschung.= + +Es gibt Fragen, welche in dem Denken der Menschheit auftauchen, das +volle geistige Interesse einer Epoche in Anspruch nehmen und dann +wieder zurücktreten, ohne ihre Lösung gefunden zu haben und ohne dass +es klar ist, wie sie ungelöst an Interesse verlieren konnten. + +Jahrhunderte gehen darüber hin. Dann, durch eine Wendung in der +Geschichte, wird dieselbe Frage wieder in den Vordergrund geschoben und +das Spiel wiederholt sich. + +Zu diesen intermittierenden Vulkanen gehört die ~Abendmahlsfrage.~ +Drei Aktionsperioden sind bis jetzt zu verzeichnen. Die erste ist die +längste. Sie dauert ungefähr zehn Jahrhunderte. Mit der Dauer steht die +Intensität im umgekehrten Verhältnis. Wir haben keinen feuerspeienden +Berg, sondern einen Krater mit langsamem Lavaausfluss. Einige Erdstösse +— die fränkischen Abendmahlskontroversen — bezeichnen den Schluss der +Aktionsperiode. + +Die Art, wie die Frage in der Reformationszeit neu auftaucht, ist +in höchstem Grade überraschend. Man sollte meinen, dass, in dem +gemeinsamen Gegensatz aller reformatorischen Auffassungen zur römischen +Theorie, die innerprotestantischen Gegensätze gerade in dieser +Frage Aussicht hatten, bis auf weiteres latent zu bleiben. Statt +dessen wird gerade die Abendmahlsfrage der Pol, nach dem sich die +Gedanken orientieren. Diese zweite, dogmatische Periode, war in ihrem +eigentlichen Verlauf ebenso kurz wie heftig. Sie umfasst kaum drei +Jahrzehnte. Dann wird die Abendmahlsfrage für die Dogmatik eine Frage +neben andern. SCHLEIERMACHER's Glaubenslehre, die wissenschaftliche +Begründung der Vermittlungsversuche, behandelt sie fast anhangsweise. + +Die dritte Periode wird durch die historisch-kritische Forschung +heraufgeführt. Wir stehen mitten darin, so aber, dass die Mittagszeit +bereits hinter uns liegt. Schon kündigt sich nämlich die Erschöpfung +an. Nachdem eine Reihe der letzterschienenen Abhandlungen die +Zuversicht, das Problem durch die historische Kritik lösen zu können, +nicht mehr so entschieden zur Geltung kommen liessen, wie dies früher +der Fall war, greift jetzt eine ausgesprochen skeptische Stimmung +Platz, deren Sprache man in dem Aufsatz EICHHORNS's[1] vernehmen kann. + +An diesem Skeptizismus ist etwas unbedingt Berechtigtes. Er geht +nämlich von der Thatsache aus, dass durch die ganze Forschung des 19. +Jahrhunderts die Lösung des Problems ferner gerückt ist als je. Die +Schwierigkeiten sind gerade durch die historisch-kritische Methode in +viel stärkerem Masse hervorgetreten, als man früher jemals ahnen konnte. + +Unberechtigt daran ist aber die Art, der historischen gewissenhaften +Kritik gegenüber vornehm zu thun und aus der Thatsache, dass sie bis +jetzt in dem Problem nicht zum Ziele geführt hat, ihre Inferiorität +einer excentrischen überkritischen Unkritik gegenüber zu proklamieren. +Statt dessen sollte man eher nach den Gründen forschen, warum die +historische Kritik die Lösung dieser Frage bisher nicht herbeiführen +konnte. + + +=2. Der Ansatzpunkt.= + +Das Abendmahlsproblem setzt sich aus einer Reihe von Einzelfragen +zusammen, die in den verschiedenen Auffassungen verschieden beantwortet +und verschieden mit einander in Zusammenhang gebracht werden. +Gewöhnlich dreht sich nun die Kritik um diese Einzelfragen. Man +untersucht, ob die Fassung der Einsetzungsworte haltbar ist, ob die +Exegese der Gleichnisse richtig ist, wie die betreffende Abhandlung +sich zur chronologischen Frage stellt, auf welche Art sie den +behaupteten oder verneinten Zusammenhang zwischen Abendmahl und Passah +begründet und dergleichen. + +~Der folgenden Untersuchung kommt es mehr auf die Gesamtauffassung +an und auf den Zusammenhang, in welchem die Einzelfragen unter +einander stehen.~ Wächst eine Abendmahlsanschauung aus einer Reihe von +selbständigen Entscheidungen über die schwebenden Einzelfragen heraus, +oder sind nicht diese Einzelfragen durch einen inneren verborgenen +Mechanismus so mit einander verbunden, dass mit der einen zugleich über +die andern entschieden wird? Welches sind die Gesetze, nach denen sich +die Einzelfragen im Abendmahlsproblem gegenseitig bedingen? Das ist +die Frage, welche uns beschäftigt. Nur sie kann uns darüber Aufschluss +geben, warum die historisch-kritische Methode nicht zum Ziele führen +konnte. + + +=3. Die Einzelfragen.= + +Liegt die Bedeutung der Gleichnisse darin, dass Jesus das Brot bricht +und den Wein im Kelch herumreicht? Oder beruht sie darin, dass die +Jünger dieses Brot essen und diesen Wein trinken? + +Hat er die Worte über Brot und Wein als Gleichnisse gemeint, oder will +er damit andeuten, dass die Jünger seinen Leib und sein Blut durch den +Genuss sich irgendwie aneignen? + +Fand das Mahl im Zusammenhang mit dem Passahmahl statt, sodass für die +Worte Jesu und ihr Verständnis Passahgedanken vorausgesetzt werden +dürfen? + +Erlaubt es die Chronologie der Evangelien, Jesum noch am Passahabend im +Kreise seiner Jünger zu sehen? + +Hat er den Jüngern befohlen, die Feier zu wiederholen? + +Was hat er ihnen zu wiederholen geboten? + +Ist es möglich, dass der »Stifter« ihnen zumutet, seine eigenen Worte +zu wiederholen, die nur in seinem Munde und in jenem historischen +Momente einen Sinn haben? + +Angenommen, der Wiederholungsbefehl ist nicht historisch, wie kommen +denn die Jünger dazu, die Feier dennoch zu wiederholen? + +Wie ist es möglich, dass im Urchristentum Paulus die Wiederholung als +auf den Herrn zurückgehend in die Darstellung der historischen Feier +einträgt? + +Wie erklärt sich das Fehlen des historischen Berichts im vierten +Evangelium, da doch Kap. 6 die Feier voraussetzt? + +Steht es im allgemeinen nicht so, dass mit der Annahme des +Wiederholungsbefehls das psychologische Verständnis der historischen +Feier unmöglich wird, während unter Voraussetzung seines Fehlens die +Wiederholung in der ersten Gemeinde ganz unbegreiflich ist? + +Hat sich das Abendmahl an ein Passahmahl angeschlossen, wie ist +dann, mit oder ohne Wiederholungsbefehl, die ~tägliche Feier~ in der +urchristlichen Zeit begreiflich? + +Waren Agape und Herrenmahl getrennt, standen sie in irgend einem +Zusammenhang, oder waren sie identisch? + +Wie verlief überhaupt die Herrenmahlsfeier im Urchristentum? Wie +sind die Angaben der Didache mit den paulinischen Schilderungen und +Forderungen in I Kor 11 zu vereinigen? + +In welchem Verhältnis stehen die Kunde und die Auffassung der +historischen Feier, welche die Didache und Paulus voraussetzen, zu dem +Bilde der historischen Feier in den Synoptikern? + +Wie erklärt sich das gänzliche Zurücktreten des Leidensgedankens und +der Situation der historischen Feier in der Didache? + +Welche Bedeutung kam dem eschatologischen Moment in der urchristlichen +Abendmahlsfeier zu? + +In welchem Zusammenhang steht das eschatologische Schlusswort Jesu von +dem Neutrinken im Reich des Vaters mit dem Verlauf der historischen +Feier? + +Wie lassen sich die Abweichungen der synoptischen Berichte erklären? + +Die paulinische Darstellung ist die chronologisch älteste; der +Lukastext nach Cod. D der kürzeste; der Markustext steht im +Zusammenhang mit der einfachsten und glaubwürdigsten evangelischen +Geschichtsdarstellung, und der justinische Bericht ist möglicherweise +unabhängig von unseren Evangelien. Welchem der vier grundverschiedenen +Texte gebührt der Vorzug? + +In welche Verbindung stellte das Urchristentum die Teilnahme am +Herrenmahl mit der Vorstellung von der Erlösung? + +Wir nehmen an, die Reproduktion der Herrenworte bei der urchristlichen +Feier ist eine freie gewesen; die Bedeutung dieser Worte konnte aber +nur eine einzige sein. Wie ist es erklärlich, dass wir aus der ganzen +urchristlichen Zeit, ja eigentlich bis ins beginnende Mittelalter +hinein keine Kunde von Auseinandersetzungen über den Sinn dieser Worte +haben? Die Einsicht, dass die Vorstellungen im Urchristentum noch +einen gewissen Grad der Flüssigkeit aufweisen, reicht zur Erklärung der +obigen Thatsache nicht aus. + + +=4. Die vier Typen der Abendmahlsauffassungen.= + +Bei der Darstellung der wissenschaftlichen Abendmahlsdebatte +unterscheiden wir zunächst zwei Hauptströmungen. Wir teilen die +Abhandlungen danach ein, ob sie für ihre Auffassung das ~Darstellungs-~ +oder das ~Genussmoment~ zu Grunde legen. ~Unter dem Darstellungsmoment +verstehen wir das Handeln und Reden Jesu während der historischen +Feier; unter dem Genussmoment die Bedeutung des Essens und Trinkens +der Teilnehmer, wie sie sich aus dem Wesen der Feier ergeben soll.~ +Neben den Darstellungen, die eines dieser beiden Momente mit +Ausserachtlassung des andern einseitig herausarbeiten, gibt es noch +andere, doppelseitige, die eines der Momente zu Grunde legen, dabei +aber dem zweiten nebensächliche Geltung zugestehen. Wir haben also im +ganzen vier Haupttypen, zwischen denen die mannigfachsten Vermittlungen +möglich sind. + + 1. ~Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des + Darstellungsmoments.~ + + 2. ~Doppelseitige Auffassungen mit Zugrundelegung des + Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung des + Genussmoments.~ + + 3. ~Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.~ + + 4. ~Doppelseitige Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments + und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments.~ + +Im folgenden werden diese Auffassungen dargestellt in der Ordnung, wie +sie geschichtlich in die Erscheinung getreten sind. + + +Fussnoten: + +[1] »Das Abendmahl im Neuen Testament« von ALBERT EICHHORN, (Leipzig +1898), Hefte zur »Christlichen Welt« No. 36. + + + + +Zweites Kapitel. + +=Das Vorspiel. Zwingli und Calvin.= + + +Das Verdienst, das Abendmahlsproblem zuerst wissenschaftlich behandelt +zu haben, gebührt ZWINGLI. Die Bedeutung der historischen Feier beruht +nach ihm auf dem symbolischen Handeln Jesu. Durch das Brechen des +Brotes und das Darbieten des Weines kündigt der Herr seinen Tod an. +Er verordnet die Wiederholung der Feier, damit die Christen bei dem +gebrochenen Brot und dem vergossenen Wein seines Todes gedenken. + +Die Schwäche dieser Auffassung liegt darin, dass ZWINGLI den +Hauptnachdruck allein auf das Handeln Jesu legt. Er kann die +historische Feier erklären, — ~aber nicht die Wiederholung~, bei +welcher notwendig der Nachdruck nicht auf dem Handeln Jesu, sondern +auf dem der Teilnehmer, dem Genuss des Brotes und des Weines, +ruht. Es gelingt nicht begreiflich zu machen, warum die Jünger +die Gleichniselemente genossen und noch viel weniger, warum auch +spätere Geschlechter bei der Wiederholung noch essen und trinken und +nicht bloss ~anschauen~, um sich an dem erzählten und dargestellten +Abendmahlshandeln Jesu zu erbauen. Dass ZWINGLI's Lehre dogmatisch +nicht befriedigen konnte, lag in letzter Linie an der Einseitigkeit +seiner wissenschaftlichen Exegese. + +So musste seine Auffassung auch wissenschaftlich durch diejenige +verdrängt werden, welche dem Genuss der Teilnehmer einen Platz neben +dem darstellenden Abendmahlshandeln Jesu anweisen konnte. Dies leistete +die Abendmahlslehre CALVIN's. + +Bei ihm liegt die Symbolik zu gleichen Teilen in dem begründet, was +Jesus mit den Elementen vornimmt (Brechen des Brotes und Ausgiessen +des Weines), und in dem, was die Teilnehmer mit den Elementen beginnen +(Essen des Brotes und Trinken des Weines). In dieser Betonung der +Darbietung und der Aneignung als der beiden Grundmomente des Abendmahls +beruht die wissenschaftliche Stärke der calvinischen Abendmahlslehre. +Die historische Feier kann er weniger gut erklären, als es ZWINGLI +gethan; dafür ist es ihm aber möglich, ihre Wiederholung als notwendig +darzuthun, indem die ~Wertung des Genusses~, nicht allein ~der Befehl +Jesu~, den Zusammenhang zwischen der historischen und der wiederholten +Feier aufrecht erhält. + +Es waren also nicht nur ~dogmatische~, sondern auch ~wissenschaftliche~ +Interessen, welche den Sieg der calvinischen Abendmahlsauffassung +über die zwinglische bedingten. Die zum Teil auf wissenschaftlicher +Grundlage beruhende Auseinandersetzung zwischen diesen beiden +Ansichten bildete ein kurzes Vorspiel zu der grossen historischen +Abendmahlsdebatte im 19. Jahrhundert. + +Da die doppelseitige Auffassung durch den Sieg CALVIN's über +ZWINGLI allgemein verbreitet war, setzte die historische Forschung +die Doppelseitigkeit voraus. Sie betonte hauptsächlich das +Darstellungsmoment, weil die exegetische Anschaulichkeit dafür sprach. +So wurden zunächst die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung +des Darstellungsmoments wissenschaftlich ausgeprägt. + + + + +Drittes Kapitel. + +=Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des +Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung des Genussmoments.= + + +=1. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. De Wette, Ebrard und +Rückert.= + +DE WETTE vertritt die doppelseitige Auffassung in seinen +Kommentaren.[2] Das Brechen und das Essen des Brotes, das Ausgiessen +und das Trinken des Weins bedingen zusammen die Bedeutung der Elemente +bei der Feier. Der Hauptnachdruck liegt aber auf dem Brechen, dem +darstellenden Moment. Die Betonung des Genussmoments ist mehr +nebensächlicher Art. + +Von AUGUST EBRARD[3] wird auf den Genuss der gleiche Wert gelegt wie +auf das Brechen und Ausgiessen. Beide Momente gehören zusammen und +bedingen sich gegenseitig. Jesus reicht das gebrochene Brot zum Essen +und den ausgegossenen Wein zum Trinken dar.[4] + +Bei EBRARD ist die energische Betonung des Genussmoments durch seinen +Zusammenhang mit der reformiert-calvinischen Auffassung begreiflich. +Aus rein wissenschaftlichen Gründen findet sich das stärkere +Herausarbeiten desselben Moments bei IMMANUEL RÜCKERT.[5] Seine +klassische Schrift fasst den ganzen Ertrag der wissenschaftlichen +Diskussion der Abendmahlsfrage in der ersten Hälfte des 19. +Jahrhunderts zusammen. Die Handlung Jesu und der Genuss von seiten +der Teilnehmer werden in gleicher Weise betont. In jedem dieser beiden +Momente liegt eine besondere Symbolik. Jesus bricht das Brot und gibt +es zum Essen, er giesst den Wein ein und bietet ihn zum Trinken dar.[6] + + +=2. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Th. Keim, K. v. Weizsäcker, +W. Beyschlag, H. Holtzmann, P. Lobstein, W. Schmiedel.= + +In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich eine breite und +ruhige Strömung verfolgen, welche beide Momente mit sich führt, jedoch +so, dass das Darstellungsmoment die Grundströmung, das Genussmoment die +Oberströmung bildet. Folgende Aussprüche geben die Richtung des Stromes +an. + + TH. KEIM. ~Geschichte Jesu von Nazara.~ 1872 Bd. III S. 232 bis 290 + (Das Nachtmahl Jesu). + +»Man hat den Eindruck, dass es sich für Jesus doch um etwas mehr +handelte, als nur um ein sprechendes Sinnbild seines irgendwie zum +Heil der Jünger zu brechenden und zu tötenden Leibes vor den Gästen +aufzustellen, man hat den Eindruck einer Gabe; diese Gabe liegt +erstlich darin, dass er in nachdrücklicher, in endgültiger Weise als +den Zweck seines bevorstehenden Todes das Heil der Jünger nennt, +sodann, dass er im Zusammenhang damit die Sinnbilder dieses Heils den +Erben dieses Heils nicht nur zum ~Anschauen~, sondern ~geradezu zum +Nehmen und Geniessen~ übergibt, das Besitztum des Heilstodes und seine +Früchte in ihre Hände deponiert.« S. 272. + + KARL V. WEIZSÄCKER. ~Apostolisches Zeitalter.~ 1886 S. 596 bis 602. + +WEIZSÄCKER vertritt eine interessante Differenzierung in der Symbolik +der beiden Akte. Das Brot ist das Sinnbild der ~Gegenwart Christi~ in +der Gemeinde, der Wein aber das Sinnbild ~seines Todes~, durch welchen +er das neue Passahopfer geworden ist. S. 598. + + W. BEYSCHLAG. ~Das Leben Jesu.~ 1893 Bd. II S. 434-442. + +»Der Sinn der Abendmahlsstiftung ist vollkommen klar: Sein Leib, +der für uns gebrochen, sein Blut, das für uns vergossen wird, ist +sein Leben, das er für uns in den Tod gibt, — für uns dahingibt, +damit es in uns wirksam werde; damit es, vom inwendigen Menschen +~angeeignet~, wie der äussere Mensch Speise und Trank in sich aufnimmt, +ihm Speise und Trank ewigen Lebens werde, und so die in Ihm gekommene +Erlösung, den in Ihm gekommenen neuen Bund der Gottgemeinschaft in uns +vollziehe.« S. 439. + + H. HOLTZMANN. ~Biblische Theologie.~ 1897 Bd. I S. 296-304. + +»Geschichtliche Voraussetzung und übereinstimmendes Resultat der +letzten Forschungen ist, dass Jesus seinen Jüngern Brot und Wein zum +Genusse dargereicht und dabei mit Beziehung auf das gebrochene Brot von +seinem Leib, mit Beziehung auf den ausgegossenen Wein von seinem Blut +gesprochen, letzteres insonderheit zugleich als Bundesblut bezeichnet +hat.« S. 296. + + PAUL LOBSTEIN. ~La doctrine de la sainte cène.~ Lausanne 1899. + +»Ceci est mon corps«, dit Jésus en rompant le pain qu'il distribue à +ses disciples; »cette coupe est la nouvelle alliance dans mon sang +versé pour vous«, leur dit-il en faisant circuler la coupe. S. 46. Le +pain que Jésus rompt pour les disciples et qu'il leur distribue, ils +doivent s'en nourrir: »De même que je vous convie à manger de ce pain, +ainsi vous êtes appelés à vous assimiler le fruit de ma mort, les +effets salutaires de ce don de moi-même, de ce corps brisé et livré +pour vous.« S. 47. + + WILHELM SCHMIEDEL. ~Die neuesten Ansichten über den Ursprung des + Abendmahls.~ Protestantische Monatshefte, III. Jahrgang Heft 4 1899. + +»Das Bedeutsame ist in erster Linie im ~Brechen des Brotes und +Ausgiessen~ des Weines aus dem Krug in den Becher zu sehen. Die +Austeilung dieser Speisen zum Genuss schliesst sich als etwas zweites +an. ~Um der Hauptsache willen wäre es nicht nötig gewesen: aber da man +einmal beim Mahle sass, war es naturgemäss.~« S. 147. + +Die gemeinsamen Grundzüge dieser Darstellungen sind also folgende: +Brot und Wein sind Leib und Blut Christi, weil er an ihnen seinen +Tod und dessen Heilswert versinnbildlicht hat. Dabei fordert er die +Jünger zum Genuss auf; das soll bedeuten, dass ihnen die Wohlthaten +seines Leidens zu gute kommen, wenn sie verstehen, sich dieselben +anzueignen. Die Wiederholung ist erfolgt zum Teil, weil der religiöse +Wert dieser Handlung von den Teilnehmern eingesehen wurde, zum Teil, +weil Jesus durch einen Befehl oder eine Andeutung dazu aufforderte. Auf +den Zusammenhang mit dem Passah wird Wert gelegt, ohne dass er jedoch +für die Auffassung als absolut notwendig erklärt würde. Ueberhaupt +haben diese Darstellungen etwas Schwankendes. Sie vereinigen die +mannigfachsten Gesichtspunkte mit einander, sodass es fast unmöglich +ist, sie in kurzen Sätzen präcis wiederzugeben. + +Deshalb ist es auch nicht ratsam von ihnen auszugehen, um die Gesetze +des Zusammenhangs zwischen den Einzelfragen aufzustellen. Die Krisis in +diesem Zustand wurde erst durch die Auffassungen mit Zugrundelegung des +Genussmoments heraufgeführt. + + +Fussnoten: + +[2] Vgl. DE WETTE's Commentar zu Matthäus (1836) und zu Johannes (1837). + +[3] »Das Dogma vom heiligen Abendmahl und seine Geschichte« von Dr. +AUGUST EBRARD. 2 Bde., 1845. + +[4] Vgl. Bd. I S. 79-120. + +[5] »Das Abendmahl, sein Wesen und seine Geschichte in der alten +Kirche« von Dr. LEOPOLD IMMANUEL RÜCKERT, Professor in Jena, 1856. + +[6] Vgl. Bd. I S. 61-131. + + + + +Viertes Kapitel. + +=Ueberblick über die Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments.= + + +Greift man aus der Geschichte der wissenschaftlichen +Abendmahlsuntersuchung die Werke heraus, welche in allgemeiner Weise +das Genussmoment zu Grunde legen, so fügen sich folgende Namen in +bunter, zusammenhangsloser Reihe aneinander: DAVID FR. STRAUSS, BRUNO +BAUER, E. RENAN, ADOLF HARNACK, FR. SPITTA, W. BRANDT, ERICH HAUPT, +FRIEDRICH SCHULTZEN, RICH. AD. HOFFMANN und ALBERT EICHHORN. In dieser +Reihe haben wir keine natürliche Kontinuität, wie in der vorher +betrachteten. Bei näherem Zusehen ergeben sich zwei Epochen. Die erste +fällt in die Mitte des Jahrhunderts (FR. STRAUSS, BRUNO BAUER, E. +RENAN). Die zweite beginnt am Anfang der neunziger Jahre (HARNACK und +SPITTA) und kommt noch vor Ablauf des Jahrzehnts zu ihrem naturgemässen +Abschluss (A. EICHHORN). + +STRAUSS, BRUNO BAUER, E. RENAN, W. BRANDT, SPITTA und EICHHORN bieten +~Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.~ ADOLF +HARNACK, ERICH HAUPT, FRIEDRICH SCHULTZEN und R. A. HOFFMANN vertreten +die ~doppelseitigen Darstellungen~ mit Zugrundelegung des Genussmoments +und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments. + + + + +Fünftes Kapitel. + +=Die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.= + + +=1. Die Vorperiode. Fr. Strauss, Bruno Bauer, E. Renan.= + +Für die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments +gibt es zwei Perioden. Die erste liegt gegen die Mitte des 19. +Jahrhunderts zu, die zweite gegen das Ende. FRIEDRICH STRAUSS +bezeichnet die erste, FRIEDRICH SPITTA die zweite. + +STRAUSS[7] führt aus, dass die Uebersetzung »dies bedeutet«, wenn +sie sich auf das, was Jesus mit den Elementen thut, beziehen soll, +bei weitem nicht ausreicht, ja gar nicht im Sinne der Verfasser der +Evangelien gelegen haben kann. »Den Schreibern unserer Evangelien ~war~ +das Brot im Abendmahl der Leib Christi ... hätte man geschlossen, +dass das Brot den Leib bloss ~bedeute~, so würden sie sich dadurch +nicht befriedigt haben« (S. 436 ff.). Es ist kritisch nicht zulässig, +dass Jesus seinen gewaltsamen Tod mit Bestimmtheit vor sich gesehen +habe. Daher kann sich für ihn die Symbolik bei der letzten Mahlzeit +mit den Jüngern gar nicht auf seinen Tod beziehen. Ebenso ist der +Wiederholungsbefehl für unhistorisch zu halten; dafür spricht das +Schweigen der beiden ersten Evangelien und die Erwägung, dass +überhaupt eine Gedächtnisfeier natürlicher aus dem Bedürfnis der +Zurückbleibenden, als aus dem Plan des Scheidenden hervorgeht. Ein +Passahmahl war diese letzte Mahlzeit mit den Jüngern auch nicht. +Das eigentlich Historische an der ganzen Ueberlieferung ist das +eschatologische Schlusswort beim Becher: ich werde davon nicht mehr +trinken, bis ich ihn neu trinken werde mit euch in meines Vaters Reich. +In Jesu Gedanken bezieht es sich auf den nächsten Passahwein, nicht +allgemein auf das Essen und Trinken. Von Mahlzeiten im messianischen +Reich sprach er, gemäss den Vorstellungen seiner Zeit, öfters, und so +mag er erwartet haben, das in demselben namentlich das Passahmahl mit +besonderer Feierlichkeit werde begangen werden. Wenn er nun versichert, +dieses Mahl nicht mehr in ~diesem~, sondern erst in ~jenem~ Aeon zu +geniessen, so muss, nach seiner Erwartung, bis zur Feier des Passah +das messianische Reich eintreten. Es ist dabei nicht nötig, dass Jesus +das Erscheinen des Reiches an seinen Tod geknüpft dachte. Die ganze +urchristliche Abendmahlsauffassung erklärt sich daraus, dass statt des +messianischen Reiches und seiner Passahfeier — ~der Tod Jesu eintrat.~ + +Die Gemeinde feierte das Passah. Es war natürlich, dass sich der +Versuch darbieten musste, demselben durch die Beziehung auf den Tod +und das letzte Mahl Jesu (welches kein Passahmahl gewesen) eine +~christliche~ Deutung zu geben. So erklärt sich das Eindringen des +Leidensgedankens und der Leidensweissagung in die historischen +Abendmahlsberichte. Die Elemente erhielten eine Beziehung auf den +Leib und auf das Blut Christi; dabei wurde das Wort Jesu, den Genuss +des Passahweines betreffend, allgemein auf das Essen und das Trinken +bezogen und mit Brot und Wein als seinem Leib und Blut in Verbindung +gebracht. So entstand die Vorstellung von dem Wiederholungsbefehl. +Die Neigung, das Gedächtnismahl vom Passah loszulösen und öfters zu +begehen, erklärt das Aufkommen eines derartigen Wortes. + +Diese geniale Auffassung von FR. STRAUSS enthält bereits alle +Faktoren, welche die späteren, das Genussmoment einseitig betonenden +Abendmahlsdarstellungen kennzeichnen. Vor allem kommen hier in +Betracht die Loslösung der historischen Feier vom Passahmahl, das +Ausscheiden der Leidensanspielungen aus den Worten Jesu, die Erklärung +der Wiederholung der Feier ohne Annahme des Wiederholungsbefehles +und die Notwendigkeit, alle als unhistorisch erkannten Züge in +den neutestamentlichen Abendmahlsdarstellungen (Anschluss an das +Passahfest, Beziehung auf den Tod Christi und Wiederholungsbefehl) aus +der Entwicklung der urchristlichen Feier in einem Zeitraum von nicht +einmal zwei Jahrzehnten zu erklären. + +Will man diese Rückbildung nicht durch eine gewagte +Geschichtskonstruktion erweisen, so bleibt nur wissenschaftliche +Skepsis in irgend einer Form übrig. Diesen Weg hat BRUNO BAUER[8] +betreten. Er setzt voraus, dass die Berichte besagen wollen: ~der +Herr reichte seinen Jüngern seinen Leib und sein Blut zum Genuss +dar.~ Der Wiederholungsbefehl ist eine Zuthat aus späterer Zeit mit +abschwächender Tendenz. Man fühlte, dass man für die historische +Feier den Genuss so nicht aufrecht erhalten könne. Darum hob man +die Beziehung auf die Zukunft, die der Formel an sich zu Grunde +liegt, hervor. Jesus kann seinen Jüngern nicht sein Fleisch und Blut +dargereicht haben,[9] damit sie es assen; also ist der Bericht des +Markus Phantasie, und alle andern Berichte sind Nachbildungen dieser +Erfindung. + +Wie sehr gerade die Vollziehung des Genusses Voraussetzung der +BAUER'schen Auffassung ist, zeigt sich darin, dass er dem Matthäus +vorwirft, er habe das bei Markus konstatierte Faktum des Trinkens von +seiten der Jünger eigenmächtig in einen Befehl Jesu umgesetzt, was +schon eine Milderung bedeute. Das eschatologische Schlusswort lässt +er unbeachtet und schneidet sich so den Weg ab, der STRAUSS aus den +Schwierigkeiten, welche die einseitige Betonung des Genussmomentes nach +sich zieht, herausführte. + +Nach E. RENAN[10] hat Jesus am letzten Abend die gewöhnliche gemeinsame +Mahlzeit mit dem Brotbrechen im Kreise seiner Jünger gefeiert. »Dans +ce repas, ainsi que dans beaucoup d'autres, Jésus pratique son rite +mystérieux de la fraction du pain.« Das eschatologische Schlusswort +ist für RENAN zweifelhaft und ohne Bedeutung. Die synoptischen +Abendmahlsberichte erklären sich nur aus der Entwicklung der späteren +Anschauungen, für welche das letzte Mahl ein Passahmahl war; dadurch +drangen der Leidensgedanke, die Beziehung der Elemente auf den Leib +Jesu und die Anordnung der Wiederholung in die Darstellung des letzten +Mahles ein. + + +=2. Die modernen Versuche. W. Brandt, Fr. Spitta, A. Eichhorn.= + + Vergleiche zum Folgenden den verhängnisvollen Vortrag von E. GRAFE + (Die neuesten Forschungen über die ursprüngliche Abendmahlsfeier. + Zeitschrift für Theologie und Kirche 1895) und die klare + Zusammenfassung von RUD. SCHÄFER (Das Herrenmahl nach Ursprung und + Bedeutung 1897). + +Erst das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bietet eine Abhandlung, +in der die bei STRAUSS, BAUER und RENAN angedeuteten Gedanken +sich in voller Schärfe und Konsequenz zu einem einheitlichen Bilde +entwickeln. Es ist die epochemachende Arbeit SPITTA's. Die Werke von +AD. HARNACK und W. BRANDT gehen ihr zeitlich in der Hervorhebung des +ausschliesslichen Mahlzeitscharakters der historischen Feier voraus. +Da jedoch HARNACK schon mehr zu den doppelseitigen Darstellungen +mit Zugrundelegung des Genussmoments überleitet, ist es rätlich, +ihn erst dort zu behandeln. Zudem hat er in der 3. Auflage seiner +Dogmengeschichte (Bd. I S. 64) zu dem Lösungsversuch SPITTA's Stellung +genommen und seine eigene Ansicht daraufhin neu formuliert. + + +=3. W. Brandt.= + + Die evangelische Geschichte und der Ursprung des Christentums. + Leipzig 1893 S. 283 ff. + +Die Hauptbedeutung der historischen Feier liegt in dem +~gemeinschaftlichen Genuss.~ Durch das Gleichnis beim Abendmahl hat +Jesus die gemeinsamen Mahlzeiten zum ~Symbol der Gemeinschaft~ gemacht. +In der Bedeutung dieses Symbols ist der Grund der Wiederholung zu +sehen. Eine Anspielung auf den Tod ist, wenn sie sich in dem Wort, +welches das Brotbrechen begleitete, findet, für das Wesen der Feier +bedeutungslos. + +Die Aufnahme des Leidensgedankens und die Eintragung des +Wiederholungsbefehls in unsere Berichte gehen auf eine Verschiebung +in der urchristlichen Feier zurück. Diese ist dadurch bedingt, dass +nach dem Jahre 70 wegen des Fehlens des Lammes Brot und Becher +die vornehmsten Ingredienzen des jüdischen Passahmahls bildeten; +dadurch wurde eine Gleichgestaltung desselben mit der urchristlichen +Herrenmahlsfeier angebahnt. So erklärt es sich, dass die letztere durch +das erstere im äusserlichen Verlauf und im Gedankengehalt beeinflusst +wurde. + +In dieser ansprechenden Skizze finden wir die schon bei STRAUSS +bemerkten Eigentümlichkeiten der das Genussmoment ausschliesslich +betonenden Auffassungen wieder. Der Wiederholungsbefehl fehlt, und +es kommt darauf an, den Leidenshinweis in unseren Berichten auf die +Einwirkung späterer Gemeindevorstellungen zurückzuführen. Ob der von +dem Verfasser angezeigte Weg wirklich zum Ziele führt, ist fraglich. +Sicher ist, dass er eine grosse Schwierigkeit nicht berücksichtigt hat. +Wie konnten die Jünger die Worte des Meisters in dem oben gebotenen +Sinn verstehen? Wie konnten sie überhaupt begreifen, dass er bei der +Darreichung von Brot und Wein sie aufforderte, seinen Leib und sein +Blut zu geniessen? + +Es ist das unschätzbare Verdienst SPITTA's, diese Frage in den +Vordergrund geschoben zu haben. + + +=4. Fr. Spitta.= + + Die urchristlichen Traditionen über Ursprung und Sinn des + Abendmahls (zur Geschichte und Litteratur des Urchristentums). 1893 + S. 207 bis 337. + +Der Sinn der Worte Jesu liegt einzig und allein in der Aufforderung zum +Genuss. Das Genossene ist nach seinen Worten sein Leib und sein Blut, +gerade ~dadurch, dass es genossen wird~! Das Brechen und Ausgiessen als +die darstellende Handlung, welche den Elementen eine veranschaulichende +Beziehung auf seinen Tod geben soll, lag seinen Gedanken fern. Die +historische Feier war eine ~Mahlzeit~, bei welcher nach dem gemeinsamen +Inhalt aller Berichte die Jünger auf seine Aufforderung hin die +dargereichte Speise als seinen Leib essen und den eingegossenen Wein +als sein Blut trinken sollten und dies auch thaten. + +STRAUSS und BRUNO BAUER hatten denselben Thatbestand als von den +Quellen geboten konstatiert, wurden aber von hier aus gezwungen, die +historische Thatsächlichkeit des geschilderten Vorganges in Frage zu +stellen und das Zustandekommen der Berichte sei es aus der Geschichte +des Urchristentums (STRAUSS), sei es aus der Geschichte der Entstehung +der christlichen Ueberlieferung überhaupt (BRUNO BAUER) zu erklären. +Dass die Jünger auf die Aufforderung Jesu hin damals seinen Leib und +sein Blut genossen haben sollen, ist für sie eine unvollziehbare +Vorstellung. + +SPITTA kann den Vorgang als historisch aufrecht erhalten durch +Zuhülfenahme ~eschatologischer Gedankengänge.~ Anknüpfend +an die Vorstellung des messianischen Bundes, hat Jesus, wie +die übereinstimmenden Züge aller Berichte zeigen, bei den +»Einsetzungsworten« an das Essen und Trinken beim messianischen +Mahl gedacht. In der prophetischen und in der apokalyptischen, in +der Sapientia- und in der rabbinischen Litteratur stellt sich die +Vollendung des Reiches in dem messianischen Mahl dar, ~wobei die +genossene Speise der Messias selbst ist~! Auf Grund dieser Vorstellung +konnte Jesus voraussetzen, dass die Jünger ihn verstehen würden, wenn +er sie aufforderte, beim Essen ihn selbst zu geniessen. Was er ihnen +bietet, ist eine Vorwegnahme des grossen messianischen Mahles der +Endzeit. In diesem Gedanken konnten sie den Leib des Messias essen und +ihn in seinem Blut, dem Saft der Trauben, trinken. + +Das letzte Mahl war kein Passahmahl, der Leidensgedanke kam für die +Symbolik der Elemente nicht in Betracht, und der Wiederholungsbefehl +ist unhistorisch. Diese Anschauungen sind späterer Art und nur dadurch +verständlich, dass infolge des inzwischen eingetretenen Todes Jesu +die Auffassung seiner Worte bei der letzten Mahlzeit sich notwendig +ändern musste. Die Feier wurde in Analogie zu dem Passahmahl gesetzt, +weil jetzt die Deutung der Worte vom Leib und Blut auf seine Leiden +unabweislich war. Damit drang die Vorstellung einer Stiftung notwendig +mit ein. + +Bei Paulus halten sich die ursprüngliche und die auf das Leiden +bezogene Auffassung noch das Gleichgewicht. I Kor 10 _1_ ff. und I +Kor 10 _14_ ff. kennen den Leidensgedanken noch nicht und betonen das +Genussmoment. I Kor 11 _23_ ff. tritt das neue Moment in Sicht, welches +Paulus bei der Bekämpfung der korinthischen Agapenskandale in die Feier +einträgt: ~die Feier hat es mit dem Tode Jesu zu thun.~ + +Das Neue ist also bei SPITTA die Heranziehung eigentümlich +eschatologischer Gedankengänge, durch welche er eine Feier als +historisch aufrecht erhält, bei der der Meister den zu Tische Liegenden +Brot und Wein reichte mit der Aufforderung, seinen Leib zu essen und +sein Blut zu trinken. In dem Wesen dieser Feier lag es begründet, dass +sie ohne ausgesprochenen Wiederholungsbefehl Aufnahme in der ersten +Gemeinde fand. Von hier aus scheint es dann nicht unmöglich, in der nun +folgenden Entwicklung das Eintreten der Faktoren begreiflich zu machen, +welche die neuen Züge in der Auffassung und Wertung der Feier bedingten. + + +=5. Kritik der Auffassung Spitta's.= + +Die grosse Bedeutung der Untersuchung SPITTA's beruht darin, dass er +die Abendmahlsfrage nach einem einheitlichen Gesichtspunkt aufgefasst +und zu lösen unternommen hat. Alle Einzelfragen stehen bei ihm in +einer gegenseitigen, engen Wechselverbindung. Seine Abhandlung bildet +eine geschlossene Kette, bei der jedes Glied nur im Zusammenhang mit +den andern in Betracht kommt. Darin besteht der grosse Fortschritt in +seiner Untersuchung den früheren gegenüber. Die textkritischen und die +exegetischen Erörterungen sind bei ihm sowohl ~Grundlage~ als auch +~Folge~ der Gesamtauffassung. + +Man hat seine Auffassung eine ~eschatologische~ genannt, weil er, wie +FR. STRAUSS, den Gedanken der Mahlzeit im messianischen Reich zu Hülfe +nimmt, um die historische Feier verständlich zu machen. STRAUSS ging +dabei vom synoptisch-eschatologischen Schlusswort aus, in welchem +Jesus die Jünger auf das grosse Mahl der Endzeit verweist, wo er +wieder mit ihnen vereint sein wird. Der eschatologische Charakter +der SPITTA'schen Auffassung aber beruht nicht auf dem synoptischen +Wort, ~sondern auf einer eschatologischen Vorstellung vom Endmahl, +welche aus den Apokryphen und der Weisheitslitteratur zusammengetragen +ist.~ Dabei ergeben sich eine Reihe schwerer Widersprüche mit dem +synoptisch-eschatologischen Schlusswort. + +Nach ~Spitta~ bietet sich der Messias beim Mahle der Endzeit den Seinen +zur Speise und zum Trank an. Nach den Synoptikern weist Jesus auf das +Endmahl hin, wo er mit ihnen vom Gewächs des Weinstocks geniesst. +Bei SPITTA will er also ~Speise und Trank~, bei den Synoptikern +~mitgeniessender Tischgenosse sein~! + +Bei SPITTA wird der eschatologische Hinweis sowohl ~für die Speise als +für den Trank vorausgesetzt.~ Historisch ist aber das eschatologische +Schlusswort ~nur beim Becher~! + +SPITTA's Eschatologie bezieht sich auf die ~Aufforderung zum Genuss~ +des Leibes und Blutes. Das synoptisch-eschatologische Wort steht damit +in keinem Zusammenhang, ~sondern folgt erst auf den Genuss.~ + +SPITTA's Auffassung ist also ganz unabhängig vom +synoptisch-eschatologischen Schlusswort. Es figuriert auch nicht in +seiner kürzesten Form der Einsetzungsworte, sondern diese lauten +einfach: + +»Nehmet, esset, das ist mein Leib.« + +»Trinket alle daraus. Das ist das Blut meines Bundes, das für viele +vergossen wird.« + +Diese Worte konstituieren die Feier, denn »in der Gemeinde wurde immer +daran gedacht, wie er damals darauf hingewiesen, ~er sei jetzt und in +alle Ewigkeit~ die rechte Speise und Erquickung ihrer Seele« (S. 289). +So wird das synoptisch-eschatologische Schlusswort zum ~wehmütigen +Abschiedswort~, welches von dem Jubelklang der eschatologisch +siegesgewissen Stimmung zum Todesgang überleitet. + +~Christus die rechte Seelenspeise:~ dieser Gedanke ist modern. +Die Eschatologie SPITTA's zielt dahin, diesen Gedanken durch eine +Zusammenstellung von alttestamentlichen und apokryphischen Sprüchen in +künstlich-antikem Licht spielen zu lassen, damit er die Aufforderung +Jesu zum Genuss seines Leibes und Blutes für die historische Situation +erkläre. Verzichtet man auf dieses künstliche Licht, dann bleibt nur +das skeptische Dunkel. Das ist bei EICHHORN der Fall. + + +=6. A. Eichhorn.= + + Das Abendmahl im Neuen Testament. Hefte zur christlichen Welt No. + 36. 1898. + +»Wenn wir unseren Berichten trauen dürfen«, hat Jesus das erste +Abendmahl mit seinen Jüngern so gehalten, dass er ihnen Brot und Wein +ausgeteilt und sie seinen Leib und sein Blut gegessen und getrunken +haben. Aller Nachdruck fällt auf den Genuss. Eine auf Jesu Handeln sich +gründende Symbolik kann bei der Betonung des Genusses nicht bestehen. +~Man darf nicht sagen, dass das Brechen des Brotes auf das Zerbrechen +des Leibes und das Trinken des Weins auf das Vergiessen des Bluts~ +hindeutet. Die Handlung, die in Wirklichkeit vorgenommen wird, ist +einfach das Essen und Trinken. + +Ist dies nun der durch die Quellen gebotene Sachverhalt, so gibt es +vorläufig keine Möglichkeit, die historische Feier und das Aufkommen +ihrer Wiederholung zu verstehen. Was auch Jesus gesagt und gethan haben +mag an jenem Abend, ~das Kultmahl der Gemeinde mit dem sakramentalen +Essen und Trinken des Leibes und Blutes Christi~, wie es in der +ältesten Christenheit ziemlich von Anfang an sich ausgebildet hat, +~ist von da aus nicht zu verstehen.~ So wird EICHHORN, weil er bei +der eingestandenen Bedeutung des Genussmomentes von der Heranziehung +eschatologischer oder moderner Anschauungen absieht, notwendig zur +Skepsis gedrängt. + +Sie besteht in dem ausgesprochenen Verzicht, auf Grund der vorhandenen +Berichte die historische und die wiederholte Feier in ihrem +Zusammenhang zu begreifen, wenn nicht eine neue, von unseren Berichten +unabhängige Thatsache ein Datum liefert, welches den Ausgangspunkt +der uns unverständlichen Entwicklung kenntlich macht. — Gelingt es +nicht, in der gnostischen Gedankenwelt ein ~sakramentales Essen~, +welches das Vorbild des Abendmahls abgeben könnte, nachzuweisen, +sodass für die älteste Christenheit nicht das supranaturale Essen +und Trinken als solches, sondern nur die Ersetzung einer andern +übernatürlichen Substanz durch Christi Leib und Blut neu ist, ~dann +muss auf ein Verständnis der historischen Feier und ihrer Entwicklung +zur Gemeindefeier endgültig verzichtet werden.~ + + +=7. Die neue »Thatsache«.= + +Um dem Skeptizismus zu entgehen, postuliert EICHHORN eine neue, über +den Bestand unserer Quellen hinausgehende Thatsache. Seine Vorgänger, +die mit ihm die ausschliessliche Betonung des Genusses gemein haben, +ersetzen dieses Postulat durch eine ~angenommene~ Thatsache. + +D. FR. STRAUSS erklärt das Aufkommen der Abendmahlsfeier im +Urchristentum, und damit die Entstehung unserer Berichte, durch das +Missverständnis eines von Jesu bei dem letzten Mahl gesprochenen +eschatologischen Wortes von seiten der Jünger. + +BRUNO BAUER verlegt die ganze Entwicklung, da er sie anders nicht +erklären kann, in die Phantasie des Urevangelisten. RENAN behilft +sich mit der Annahme eines schon früher von Jesu geübten, den Jüngern +bekannten geheimnisvollen Ritus des Brotbrechens. SPITTA bringt +eine eigenartige, im Grunde moderne eschatologische Vorstellung +an die synoptischen Berichte heran, welche mit dem dort gebotenen +eschatologischen Schlusswort in gar keiner Beziehung steht. + +W. BRANDT überträgt moderne Anschauungsweisen in die Gedankenwelt Jesu +und seiner Jünger, ohne diese Uebertragung aus den Berichten begründen +zu können. + +So bildet die Untersuchung EICHHORN's den natürlichen Schlusspunkt der +scheinbar so zusammenhangslosen Reihe der Auffassungen mit einseitiger +Herausarbeitung des Genussmoments. Durch die dialektische Behandlung +des Problems entzieht er jeder künftigen Darstellung von vornherein +die Berechtigung, wenn sie nicht eine neue geschichtliche Thatsache +aufbringen kann, die erklärt, wie die Anschauung aufkam, dass Jesus den +Jüngern zumutete, seinen Leib und sein Blut zu essen und zu trinken. + + +=8. Die Skepsis in der Folge der einseitigen Herausarbeitung des +Genussmoments.= + +EICHHORN's ~Postulat~ trägt auch nicht weiter als die behaupteten +Thatsachen seiner Vorgänger. Er verlangt, dass die Vorstellung +des supranaturalen Essens und Trinkens in einer schon vorhandenen +religiösen Gedankenwelt nachgewiesen werde. Die nähere Kenntnis des +»Gnostizismus« könnte nach seiner Ansicht dazu führen. + +Zugegeben, dass ein solches supranaturales Essen und Trinken schon +existiert hätte, so müsste dargethan werden, wie man im Urchristentum +dazu kam, diesen Gedanken ins Abendmahl ~herüberzunehmen.~ Inwiefern +gab die historische Feier Ansatzpunkte dazu? Die von EICHHORN +vorgeschlagene Operation hängt ganz in der Luft, denn unsere Berichte +stehen einem solchen Beginnen vollständig fremd und ablehnend gegenüber. + +Nun wäre die Umsetzung seines Postulats in eine dementsprechende +historische Thatsache der einzige Ausweg aus der Skepsis. Gleich beim +ersten Schritt zeigt sich aber, dass er völlig aussichtslos ist. Also +muss eine Darstellung, welche von der Voraussetzung ausgeht, Jesus +habe die Seinen bei Brot und Wein zum Genuss seines Leibes und Blutes +aufgefordert, ~von vornherein, unter allen Umständen auf die Lösung des +Problems verzichten! Die konsequente Herausarbeitung des Genussmoments +führt notwendig zur Skepsis: das ist der Ertrag dieser Darstellungen.~ + + +=9. Der logische Grund der Skepsis.= + +Wenn in der wissenschaftlichen Behandlung einer Frage die Skepsis sich +einstellt, so liegt dies immer daran, dass ~sich in den Voraussetzungen +eine unbegründete Behauptung versteckt hat~, welche von da aus das +menschliche Denken neckt und in die Irre führt. Die Wissenschaft an +sich kann nie zur Skepsis führen. Mit der Aufdeckung der ~unerwiesenen +Voraussetzungsbehauptung~ ist die Skepsis gehoben. + +Worin besteht diese nun in den obigen Abhandlungen? Der Fehler kann +nicht in der ausschliesslichen Geltendmachung des Genussmoments +beruhen. Dass das Abendmahl von der urchristlichen Gemeinde als +~Mahlzeit~ übernommen und gefeiert wurde, dass die Handlung, welche +die urchristliche mit der historischen Feier verbindet, nicht in dem +symbolischen ~Handeln des »Stifters«~, sondern in der ~Handlung der +Teilnehmer~, dem Essen und Trinken besteht: diese Thatsachen werden +durch die Quellen geboten und durch das Urchristentum bestätigt. + +Nicht in der ~Thatsache~, sondern in der ~Art~ der Wertung des +Genussmoments ist der Fehler zu suchen. Sämtliche obige Darstellungen +formulieren sie dahin, dass Jesus die Jünger bei der Darreichung von +Brot und Wein ~aufgefordert~ habe, seinen Leib zu essen und sein +Blut zu trinken. ~Die Skepsis beruht also in der Verbindung des +Mahlzeitcharakters der Feier mit den Gleichnisworten~, denn damit ist +eine Aussage gegeben, in der Subjekt und Objekt identisch sind: der +Darbietende ist zugleich der Genossene. Hier hört das Denken auf. ~Das +üppige Schlinggewächs historischer und exegetischer Einfälle ist keine +Brücke über den Abgrund des Selbstwiderspruchs!~ + +Statt also von der Konstatierung auszugehen, dass Jesus den Seinen +seinen Leib und sein Blut zum Genuss dargereicht habe, muss man damit +beginnen, diese Voraussetzung selbst zu prüfen. Ist es wirklich eine +aus der urchristlichen Feier und aus den Berichten unumstösslich +feststehende Thatsache, dass Jesus ihnen dies in irgend einer Form +zugemutet hat? Wenn ja, dann ist die Lösung der Abendmahlsfrage +unmöglich, da wir dabei das »wie« aus unseren Texten nie erklären +können und jede freie Deutung bei unseren Berichten ohne Rückhalt +bleibt. + + +Fussnoten: + +[7] DAVID FR. STRAUSS, Das Leben Jesu. 1. Ausgabe, Tübingen 1836. Bd. +I, S. 396-442: Das Abendmahl. + +[8] BRUNO BAUER, Kritik der evangelischen Geschichte, 1842. Kritik der +Evangelien, 1850, Bd. III S. 191-213. + +[9] Kritik der evangelischen Geschichte, Bd. III S. 241: »Ein Mensch, +der leiblich und individuell dasitzt, kann nicht auf den Gedanken +kommen andern seinen Leib und sein Blut zum Genuss anzubieten.« + +[10] E. RENAN, La vie de Jésus 1863, S. 385 ff. + + + + +Sechstes Kapitel. + +=Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments +und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments.= + +AD. HARNACK, ERICH HAUPT, FR. SCHULTZEN, R. A. HOFFMANN. + + +=1. Allgemeines.= + +Diese doppelseitige Reihe steht unter dem Einfluss der Auffassungen mit +einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments. Während die Richtung, +die durch die Namen RÜCKERT, LOBSTEIN und HOLTZMANN gekennzeichnet +wird, von dem Handeln Jesu ausgehend den Genuss der Teilnehmer zu +erklären versuchte, verfahren die neuen doppelseitigen Auffassungen +umgekehrt. Sie stellen den Genuss in den Vordergrund und suchen dieses +Moment nun so zu formulieren und so zur Geltung zu bringen, dass auch +das auf den Tod hinweisende Handeln Jesu damit in irgend einer Weise +vereinbar ist und daraus seine Erklärung empfangt. Das Schwergewicht +hat sich also von der einen auf die andere Seite verschoben. + +In letzter Linie sind es exegetische Bedenken, welche die betreffenden +Verfasser dazu führen, auch dem Leidensgedanken und dem Handeln Jesu +Rechnung zu tragen. »~Die Worte sind mir zu mächtig~«, sagt HARNACK bei +der Würdigung der Auffassung SPITTA's, deren Grundgedanke ihm zusagt, +während die Exegese ihn nicht befriedigt. Es ist das Motto auch der +übrigen doppelseitigen Darstellungen. + + +=2. Ad. Harnack.= + + Brot und Wasser: die eucharistischen Elemente bei JUSTIN (Texte + und Untersuchungen Bd. VII S. 117 ff. 1891). Theologische + Litteraturzeitung 1892 S. 373-378. Dogmengeschichte (3. Aufl.) Bd. + I S. 64. + +Durch eine Untersuchung, ob Wasser oder ob Wein das eucharistische +Genusselement in der alten Kirche waren, kam HARNACK im Jahre 1891 +dazu, in entschiedener Weise zu betonen, dass in jener älteren Zeit +die Symbolik sich nicht auf das Wesen der Elemente habe beziehen +können, sondern dass die ganze Bedeutung der historischen und der +urchristlichen Feier ~auf der Mahlzeit als solcher~ beruht habe. + +Das Abendmahl muss eine wirkliche Mahlzeit gewesen sein; die in Frage +kommende Handlung ist das Essen und Trinken. Jesu Worte beziehen sich +auf den Genuss. »Die wichtigste Funktion des natürlichen Lebens hat +der Herr geheiligt, indem er die Nahrung als seinen Leib und sein +Blut bezeichnet hat. So hat er sich für die Seinen ~auf immer~ mitten +hineingestellt in ihr natürliches Leben und sie angewiesen, die +Erhaltung und das Wachstum dieses natürlichen Lebens zur Kraft des +Wachstums des geistigen Lebens zu machen.« + +Mit diesem Moment sucht nun HARNACK noch ein anderes in Beziehung zu +setzen und dadurch diese allgemeine religiöse Wertung des Genusses +zu spezifizieren. »Der Herr hat ein Gedächtnismahl seines Todes +eingesetzt, ~oder vielmehr~, er hat die leibliche Nahrung als sein +Fleisch und sein Blut, d. h. als die Nahrung der Seele, bezeichnet +(durch die Sündenvergebung), ~wenn~ sie mit Danksagung in Erinnerung +seines Todes genossen wird.« + +Dieser Satz ist für HARNACK's Auffassung entscheidend. »Oder vielmehr«, +»d. h.« und »wenn« sind die Rangiergeleise, auf denen man von dem +allgemeinen, wunderbar tiefen Gedanken herkommend, »dass der Herr die +wichtigste Funktion des natürlichen Lebens geheiligt habe«, umsetzt, +um die Einfahrt zur historischen Feier, mit dem dort ausgedrückten +Leidensgedanken, zu gewinnen. Der allgemeine Mahlzeitcharakter seiner +Auffassung wird also näher bestimmt durch folgende Sätze: + + 1. Es handelt sich um eine Stiftung. + + 2. Der Wiederholungsbefehl ist irgendwie in der historischen + Situation enthalten. + + 3. Die Feier hat eine Beziehung auf den Tod des Stifters. + + +=3. Erich Haupt.= + + Ueber die ursprüngliche Form und Bedeutung der Abendmahlsworte. + Halle, Universitätsprogramm 1894. + +Indem Jesus die zu Tische liegenden Jünger bei der Darreichung +des Brotes und des Weines auffordert, seinen Leib und sein Blut +zu geniessen, will er sagen: »Meine Person ist Träger der Kräfte +eines höheren Lebens, welches so angeeignet werden und so zu einem +Bestandteil eurer Personen werden will, wie dies bei der irdischen +Nahrung der Fall ist. Dies gilt aber ~ganz besonders~ von meinem +bevorstehenden Tode; gerade die Dahingabe meiner ~Persönlichkeit~ wird +euch die in ihr beschlossenen Lebens- und Heilskräfte in vollstem Masse +erschliessen und zu gute kommen lassen.« Dieser Grundgedanke deckt sich +vollständig mit dem SPITTA's. Während aber letzterer ihm im Munde Jesu +eine eschatologische Wendung gab, überträgt HAUPT diesen durch den +Ausdruck »Persönlichkeit« als modern gekennzeichneten Gedankengang auf +die historische Feier durch Zuhülfenahme des Leidensgedankens. + +Die Eschatologie tritt dabei ganz zurück. Jesus hatte bei dem letzten +Mahle auch von dem grossen Mahl der Vollendung gesprochen. Indem nun +das ganze Mahl nachgebildet wurde, fanden auch diese eschatologischen +Gedanken ihre Stelle. So ist bei HAUPT das eschatologische Moment +nicht zur Erklärung der Wiederholung benutzt, sondern erst aus der +Wiederholung selbst verständlich. + +Durch die nebenhergehende Geltendmachung des Todesgedankens für die +Erklärung der Feier ist die Beibehaltung des Wiederholungsbefehls +gegeben. In der Nacht des Verrats hat der Herr das ganze Mahl unter den +Gesichtspunkt eines Abschiedsmahls gestellt. Er will sein ~Gedächtnis +für die Zeit der Trennung~ wachhalten. »Somit ist nicht nur kein +Gegengrund dagegen, dass Jesus die Wiederholung der Handlung seinen +Jüngern anbefohlen hat, sondern ein dahin zielendes Wort ist sogar +aus inneren Gründen ~höchst wahrscheinlich.~« Diese vorsichtige und +zurückhaltende Begründung der Beibehaltung des Wiederholungsbefehls +gibt den genauen Gradmesser ab für die Beeinflussung des zu Grunde +gelegten Genussmoments durch das Darstellungsmoment und den +Leidensgedanken. + +Mit derselben Vorsicht äussert HAUPT sich auch über das Verhältnis +zwischen dem wiederholten Herrenmahl und der Agape. »Nicht zwei Teile +sollen diese gemeinsamen Mahlzeiten haben, einen profanen, welcher der +äusseren Sättigung dient, und einen religiösen, welcher der Erinnerung +an Christi Tod gewidmet ist, sondern ihre ganze Zusammenkunft soll +religiösen Charakter tragen, und das Herrenmahl ~im engeren Sinne~ ist +nur der ~Höhepunkt des Ganzen.~« + + +=4. Fr. Schultzen.= + + Das Abendmahl im Neuen Testament. Göttingen 1895. + +In dieser Darstellung ist die Hervorhebung des Leidensgedankens und +damit die Bedeutung des darstellenden Moments im Handeln Jesu aus der +Nebenstellung fast bis zur Gleichstellung mit dem Genussmoment gerückt, +wobei aber letzteres immer noch den Ausgangspunkt bildet. »Es spricht +nichts dafür, dass etwa Jesus nur auf das Essen Gewicht gelegt habe und +die Beziehung auf seinen Tod späterer Zusatz sei. Umgekehrt ist es aber +auch nicht wahrscheinlich, dass Jesus nur eine symbolische Handlung bei +jenem letzten Mahl vorgenommen hat, und dass die Verbindung mit dem +Mahle nur durch den äusseren Anlass entstanden ist.« Auch das Brot ist +nicht blosses Symbol, sondern auf ~Grund des Symbols~ zum wenigsten +~Repräsentant und Vermittler~ des Leibes Jesu. + +Das Genussmoment und das darstellende Moment werden durch den Begriff +~des Opfermahls~ zusammengehalten. Den Jüngern waren Jesu Gedanken +aus der religiösen Vorstellungswelt Israels bekannt und fasslich. In +dem Begriff des Opfermahls war die Wiederholung unmittelbar gegeben +und ebenso der Empfang der in ihm gespendeten Gabe. So hat, trotz des +Fehlens des Wiederholungsbefehls, Jesus auch nach dem Bericht des +Markus an eine Wiederholung gedacht, weil er eine Gabe spendet, die +auch für ~die fernsten~ Zeiten Wert hat. + +Wie bei ERICH HAUPT vermögen die eschatologischen Gedanken auch +bei FR. SCHULTZEN sich nur anhangsweise Geltung zu verschaffen, +nachdem die Wiederholung der Feier schon anderweitig feststeht. »Die +Parousiegedanken bei dieser Feier erklären sich bei der lebhaften +Sehnsucht der Gemeinde nach der Parousie leicht, da das Abendmahl auch +nach I Kor 11 _26_ eine Feier ist, die in der Wiederkunft Christi ihr +Ziel erreicht hat.« + +Die Trennung von Mahlzeit und Abendmahl wird bereits für die Urgemeinde +vorausgesetzt. Paulus prägt schon Vorhandenes schärfer aus. Die später +erfolgte Abtrennung der »Eucharistie« von dem Mahle erklärt sich viel +einfacher, wenn sie bereits ein besonderer Teil derselben war, als wenn +man das ihr besonders Eigentümliche gar nicht erkennen konnte. + + +=5. R. A. Hoffmann.= + + Die Abendmahlsgedanken Jesu Christi. Königsberg 1896. + +Bei HOFFMANN tritt das Darstellungsmoment noch stärker hervor als +bei SCHULTZEN. Es wird geradezu eine zweifache Art von Teilnehmern +vorausgesetzt. Das darstellende Handeln geht auf die einen, der Genuss +ist für die andern bestimmt. »~Vergossen~ wurde sein Blut für ~das +ungläubige Volk~, zu ~trinken~ gab er es den ~Seinen.~« + +Mit letzterem will er sagen, dass, da das ~Blut die Seele ist~, seine +Seele in sie übergehen werde, um ihnen zu ihrer bevorstehenden hohen +Mission Kraft zu geben, sie zu stärken, damit auch sie, wenn der Fall +an sie herantritt, imstande seien, ihrerseits ihre Seele als Lösegeld +für andere dahinzugeben. Nicht seinen Leichnam reicht er ihnen dar, +sondern seinen lebendigen Leib als den Träger des ihm innewohnenden +göttlichen Geistes. + +»In der urchristlichen Feier kommt, neben dem Essen und Trinken, +auch dem, was Jesus gethan hat, dem Brechen und Danken — ~in +entsprechender Wiederholung~ — Bedeutung zu.« Dies war der Standpunkt +von SCHULTZEN. HOFFMANN geht noch weiter. »~Das Wesentliche der ersten +Mahlzeit war ohne weiteres nicht zu wiederholen~, eben die Handlung des +Herrn, wie sich in ihr seine überragende Geistesgrösse, seine Kraft und +Leben ausströmende Gegenwart noch zum letztenmal ihnen dokumentiert +hatte« (S. 106). + +Eine Wiederholung ohne Wiederholungsbefehl ist also ~undenkbar.~ Der +Wiederholungsbefehl muss sich vor allem auf den Genuss bezogen haben, +da Jesus zur Erinnerung an ihn ein ~Mahl~ eingesetzt hat. Es lässt sich +nicht mehr ausmachen, wie sich in der ersten Zeit das Abendmahl des +näheren zur Gemeindemahlzeit verhalten habe. Für Paulus jedenfalls war +die feierliche Gemeindemahlzeit mit dem Abendmahl untrennbar verbunden. + +Der Eschatologie kommt in der Darstellung HOFFMANN's keine Bedeutung zu. + + + + +Siebentes Kapitel. + +=Der gesetzmässige Zusammenhang zwischen den Einzelfragen.= + + +=1. Der Wiederholungsbefehl.= + +Die historische Feier ist eine Mahlzeit: darin liegt ihre Wiederholung +von selbst begründet. Wenn Jesus dem Essen und dem Trinken im +gemeinsamen Kreis der Seinigen eine besondere, irgendwie segensreiche +Bedeutung verleiht, so ist hiermit ohne weiteres die Wiederholung +gefordert. Er braucht das nicht in einem Befehl ausgesprochen zu haben. + +Dies ist der Standpunkt der das Genussmoment ausschliesslich betonenden +Darstellungen. Auch die doppelseitigen Auffassungen, welche das +Genussmoment zu Grunde legen, stimmen damit überein. Wenn die Jünger +Jesum verstanden haben, mussten sie von selbst diese Feier wiederholen. +Sofern hingegen das ~Darstellungsmoment~ nebenbei betont wird, ist nun +aber die Wiederholung gar nicht selbstverständlich. Was Jesus gethan, +das kann eigentlich nicht wiederholt werden. + +So gehen diese doppelseitigen Darstellungen von dem Gedanken aus, dass +der Wiederholungsbefehl eigentlich überflüssig ist, kommen aber dann +dazu, ihn doch irgendwie als möglich oder notwendig anzunehmen. + +Die Frage bleibt für sie also in der Schwebe. Je stärker der +Leidensgedanke und das Darstellungsmoment für die historische Feier +geltend gemacht werden, mit desto grösserer Entschiedenheit wird zur +Erklärung der eingetretenen Wiederholung eine darauf hinzielende +Anweisung gefordert. + + +=2. Das Abendmahl und die urchristliche Gemeindemahlzeit.= + +In der Gemeindefeier steckt ein Doppeltes. Wiederholt wird eine +gemeinsame Mahlzeit. Dabei soll aber in irgend welchem Masse ein +historischer, an sich einzigartiger Moment reproduziert werden. +In welchem Verhältnis steht das wiederholte »Herrenmahl« zu den +gemeinsamen religiösen Mahlzeiten des Urchristentums? + +Nach den Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments +sind beide ~identisch~, denn für sie besteht ja auch die historische +Feier nur in der Mahlzeit als solcher. Die doppelseitigen Darstellungen +aber kommen hier in dasselbe Gedränge, wie mit dem Wiederholungsbefehl. +Auch sie, sofern sie den Mahlzeitcharakter zu Grunde legen, sollten +eigentlich die Identität proklamieren. Nun betonen sie aber daneben +auch das Darstellungsmoment. Dann wird aber die Gemeindefeier zur +Wiederholung einer bestimmten ~historischen Situation~, welche nicht +mehr durch die ~gemeinsame Mahlzeit als solche reproduziert wird.~ Das +wiederholte Herrenmahl soll also jetzt von der gemeinsamen religiösen +Mahlzeit irgendwie ~abheben~, jedoch nur soweit, dass die letzthinige +Einheit beider festgehalten wird. Die Schwierigkeit wächst mit der +stärkeren Betonung des Darstellungsmoments. Man erhält folgende +Stufenleiter: + +W. BRANDT: Jesus macht die gemeinsamen Mahlzeiten zum Symbol der +Gemeinschaft. Als nach seinem Tode der Glaube an ihn neu auflebte, +wurde natürlich das vom Herrn selbst gegebene Symbol der Gemeinschaft +besonders gepflegt. Gemeindemahlzeit und »Herrenmahl« sind identisch. + +FR. SPITTA: »Es wurde bei Brot und Wein immer daran gedacht, wie +er damals darauf hingewiesen, dass er jetzt und in alle Ewigkeit +die rechte Speise und Erquickung ihrer Seele sei.« Die Didache +repräsentiert die urchristliche Feier. Herrenmahl und Agape +waren danach identisch. Es ist verfehlt, Didache 9 und 10 als +Einleitungsgebete zur »eigentlichen Abendmahlsfeier« auffassen zu +wollen. + +AD. HARNACK: Hier beginnt die Differenzierung. Sie ist in dem +klassischen Satz mit den Rangiergeleisen enthalten. »Der Herr hat +ein Gedächtnismahl seines Todes eingesetzt, ~oder vielmehr~, er hat +die leibliche Nahrung als sein Fleisch und sein Blut, d. h. als die +Nahrung der Seele bezeichnet (durch die Sündenvergebung), ~wenn~ sie +mit Danksagung in Erinnerung seines Todes genossen wird. So haben +die Apostel seine Stiftung verstanden.« Eine Feier, bei der alle +diese näheren Bestimmungen zum Ausdruck kommen sollen, ist aber keine +einfache gemeinsame Mahlzeit mehr, sondern eine ~Ceremonie.~ »Jesus +verhiess ihnen, dass er mit der Kraft seiner Sündenvergebung bei jeder +Mahlzeit sein werde, die sie zu seinem ~Gedächtnis~ halten würden.« Wie +wurde aber die gemeinsame Mahlzeit als »Gedächtnismahl« gekennzeichnet? +Durch welche Akte, durch welche Reden? Wie wurde die Situation des +historischen Mahls reproduziert, wo doch auch das »Abendmahl« nur ein +besonderer Augenblick im Verlauf der letzten gemeinsamen Mahlzeit +gewesen war? + +ERICH HAUPT: »Die ganze Zusammenkunft soll religiösen Charakter tragen, +und das Herrenmahl ~in engerem Sinn~ ist nur der ~Höhepunkt des +Ganzen.~« Weil HAUPT das Darstellungsmoment stärker betont als HARNACK, +kann er Gemeindemahl und »Abendmahl« nicht irgendwie in einander +übergehen lassen, sondern er muss das Abendmahl als eine besondere +Situation auffassen, die den Höhepunkt der ganzen Mahlvereinigung +repräsentiert. Er kann nicht darum herumkommen, die auf Grund der +Stiftung »wiederholte Handlung« von der religiösen Mahlzeit sich +abheben zu lassen und doch wieder die letzthinige Einheit beider +festzuhalten. So bleibt ihm nur das Verhältnis der Steigerung. + +SPITTA und HARNACK bestreiten, dass in Didache 10 _6_ »wenn einer +heilig ist, trete er herzu« eine besondere Feier beginnt. HAUPT muss +seine Steigerung auch hier wiederfinden und nimmt an, dass diese Worte +die eigentliche Abendmahlsfeier einleiten. Das »Herr, komme doch« +bezieht sich auf die Gegenwart des Herrn im »Sakrament«. + +FR. SCHULTZEN: Durch den Begriff des »Opfermahls« hält er die beiden +auseinanderstrebenden Teile der Feier zusammen. Er kann sie aber nicht +mehr, wie ERICH HAUPT, in das Verhältnis der Steigerung setzen — dazu +ist die Betonung des Darstellungsmoments bei ihm schon viel zu stark +— sondern er muss die Trennung konstatieren. »In dem Begriff des +Opfermahls ist die Wiederholung der Mahlzeit unmittelbar gegeben und +ebenso der stetige Empfang der gespendeten Gabe« (S. 74). Wiederholt +wird aber zweitens die Handlung des Veranstalters der Opfermahlzeit, +als Voraussetzung des Empfangs und des Genusses der Teilnehmer. »Die +Gabe, die er ihnen zuwandte, sollte den Erfolg haben und hat ihn auch +wirklich gehabt, ~dass sie wiederholten, was er gethan~, und damit auch +ferner an dem Segen seines Opfertods Anteil erhielten« (S. 96). + +Wie soll man sich aber vorstellen, dass die Jünger beim gemeinsamen +Mahl »wiederholten, was er gethan?« Das bedeutet nichts anderes, als +dass das Gemeindemahl und das Abendmahl auf die Trennung angelegt +waren. In I Kor 11 macht Paulus die schon vor ihm angebahnte Scheidung +nur stärker geltend. Dass nachher die Eucharistie vom Mahle gänzlich +losgelöst wurde, »ist nur die geschichtliche Vollendung des schon in +der Stiftung enthaltenen Prozesses«. + +R. A. HOFFMANN: Das Darstellungsmoment tritt so stark hervor, dass +HOFFMANN auf die Lösung des Problems verzichtet. »Das Wesentliche +der ersten Abendmahlsfeier war ohne weiteres nicht zu wiederholen, +~eben die Handlung des Herrn~« (S. 106). Auf den von Jesus selbst +vorgenommenen Akt kann der Wiederholungsbefehl nicht gehen. Ihn auf +die Handlung der Teilnehmer, das Essen und Trinken zu beziehen, ist +zwar grammatikalisch sozusagen unmöglich. Da aber nichts anderes übrig +bleibt, müssen wir eben annehmen, Jesus habe zum Mittel der Erinnerung +an ihn »ein Mahl eingesetzt«. + +Wie er das verstanden haben wollte, ist nicht klar. Es ist stark mit +der Möglichkeit zu rechnen, »dass dasjenige, was uns von den Worten +Jesu bei der Einsetzung seines Mahles überliefert worden ist, nicht +alles repräsentiert, was er wirklich zur Aufklärung über seine uns +heutzutage so schwer verständliche Handlung gesprochen hat« (S. 115). + +Wie man es mit der Feier im Urchristentum gehalten hat, darüber ist +keine vollständige Klarheit zu gewinnen. Wir wissen nur, »dass das +Abendmahl in der Urgemeinde eine wirkliche Mahlzeit war, wobei sehr +wahrscheinlich ist, dass das Brotbrechen zugleich Herrenmahl war« (S. +137). + +~Zusammenfassung.~ Die Untersuchung ergibt folgenden Satz: ~Bei +ausschliesslicher Geltendmachung des Genussmoments sind die +Gemeindemahlzeit und das Abendmahl identisch. Mit der nebenhergehenden +Betonung des Darstellungsmoments wird die Differenzierung +zwischen beiden in steigendem Masse notwendig, bis zuletzt beide +auseinanderfallen.~ + + +=3. Die Antinomie zwischen der historischen und der urchristlichen +Feier.= + +Es ist wohl nicht das geringste Verdienst der grossartigen Abhandlung +SPITTA's, in voller Schärfe das Prinzip proklamiert zu haben, dass +eine Abendmahlsauffassung nur dann Wert hat, wenn sie das Wesen der +urchristlichen Feier, wie es uns besonders in der Didache begegnet, +erklärt. Dementsprechend bildet die urchristliche Feier auch den +Hauptstützpunkt seiner Darstellung. Er wird ihr vollkommen gerecht, +da seiner Auffassung zufolge das Abendmahl eine Freudenmahlzeit war. +Indem er von einem Wiederholungsbefehl und von einer Abhebung des +»Abendmahls« von der Gemeindemahlzeit absieht, stimmt er vollständig +mit der urchristlichen Ueberlieferung überein; diese weiss ja auch +nichts davon, dass die Feier eine auf den Befehl Jesu erfolgende +ausgesprochene Reproduktion jener historischen Situation sein soll. + +Während SPITTA so die urchristliche Feier vollkommen erklärt, vermag +er aber der historischen in keiner Weise auch nur annähernd gerecht zu +werden. Das teilt er mit allen Auffassungen, welche das Genussmoment +einseitig herausarbeiten. Inwiefern die Jünger Jesum verstehen mussten +und verstanden haben, als er sie aufforderte, seinen Leib und sein Blut +zu geniessen: das vermögen sie, ohne unerlaubte Kunstgriffe, in keiner +Weise deutlich zu machen. ~Für die historische Situation bleibt ihnen +nur der Skeptizismus übrig~, wobei sie sich trösten dürfen, wenigstens +der urchristlichen Feier gerecht zu werden. + +Mit den doppelseitigen Auffassungen steht es folgendermassen: +Je mehr sie das Darstellungsmoment betonen, desto besser und +ansprechender können sie die ~historische Feier~ erklären, da sie +nun den Leidensgedanken und die Symbolik des Handelns Jesu für die +Deutung der Gleichnisse verwerten können. In demselben Masse aber +werden sie ~unfähig, die urchristliche Feier zu erklären.~ Mit dem +Darstellungsmoment ist ja der Wiederholungsbefehl, die Bedeutung +des Leidensgedankens für die Feier und die Differenzierung zwischen +Abendmahl und Gemeindemahlzeit gegeben. Das alles läuft aber der +urchristlichen Ueberlieferung schnurstracks zuwider. Diese weiss nichts +davon, sondern sie beschränkt sich merkwürdigerweise auf den Satz: Das +Abendmahl ist ein Freudenmahl, bei dem das darstellende Handeln Jesu in +keiner Weise irgendwie reproduziert wird. + +Die Antinomie ist also unlösbar. ~Eine doppelseitige Auffassung erklärt +die historische Feier nur in dem Masse, als sie die urchristliche +nicht erklärt und umgekehrt.~ Dieser Satz enthält das Grundresultat +der Untersuchung über die doppelseitigen Darstellungen. Infolge dessen +müssen sie auf die Lösung des Problems verzichten, da keine von ihnen, +und wäre sie noch so geistreich, über diese Antinomie hinauskommen kann. + +Letztere liegt eben in der bisherigen Problemstellung selbst begründet, +welche die urchristliche Feier als eine ~entsprechende Wiederholung~ +der historischen auffassen will. Nun ist aber das Wiederholte +der Geschichte zufolge dem Ursprünglichen gar nicht ähnlich. Die +historische Feier ist eine ~Ceremonie~ im Verlauf einer Mahlzeit, die +urchristliche ist nur eine ~gemeinsame Mahlzeit~ ohne entsprechende +Wiederholung der Ceremonie. Damit ist Antinomie unabweisbar gegeben. + +Nun steht aber fest, dass die urchristliche auf die historische +Feier zurückgeht. Also ist das Problem erst dann gelöst, wenn der +Zusammenhang beider erklärt wird, ohne dass deshalb die Gemeindefeier +irgendwie eine entsprechende Nachbildung der historischen ist. ~Die +urchristliche Abendmahlsfeier ist etwas Selbständiges.~ + + + + +Achtes Kapitel. + +=Die Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des +Darstellungsmoments.= + + +=1. Das Gefechtsfeld.= + +Die Darstellungen mit ausschliesslicher Betonung des Genussmoments +bedeuteten einen kühnen Vorstoss gegen die allgemein verbreitete +Auffassung, welche durch die Namen RÜCKERT, HOLTZMANN und LOBSTEIN +vertreten ist. Es konnte einen Augenblick scheinen, als hätte die +hergebrachte Ansicht durch diesen unerwarteten, geschlossenen Angriff +gegen die Deutung der Gleichnisse aus dem Handeln Jesu alle ihre +Positionen verloren. Jetzt aber, wo die Lage sich langsam klärt, zeigt +sich, dass dies nicht der Fall ist. + +Wohl mussten einige exponierte Stellungen von dem angegriffenen +Teil aufgegeben werden. Dafür hat er sich aber in eine Position +zurückgezogen, die als unüberwindbar gelten darf. Die Sache steht so, +dass der Angreifer darauf verzichten muss, ~diese befestigte Stellung +jemals zu erobern~, der Angegriffene aber auf absehbare Zeit nicht an +eine ~Aktion im freien Felde~ denken kann. + +Zu den aufgegebenen Positionen gehört vor allem die Stellung zur +Frage des Passahmahls. Während bis in die 70er und 80er Jahre das +letzte Mahl den Synoptikern entsprechend fast allgemein als Passahmahl +aufgefasst wurde, sucht man jetzt diese Frage aus dem Zusammenhang +mit der Gesamtauffassung herauszurücken. Man begnügt sich mit einer +vorsichtigen chronologischen Erwägung, ob das synoptische Datum +wahrscheinlich sei oder nicht. + +Aehnlich steht es mit dem Wiederholungsbefehl. Auch die Auffassungen +mit Zugrundelegung des Darstellungsmoments suchen sich von der +Notwendigkeit eines auf die Wiederholung hinweisenden Wortes frei zu +machen. + +Zugleich wird das Genussmoment im ganzen doch entschiedener +hervorgehoben als es bisher der Fall war. Es bleibt jedoch immer in +Abhängigkeit vom Darstellungsmoment und wird erst durch dasselbe +verständlich. + +Diese Verschiebungen in der Position kann man am besten in den +successiven Kundgebungen LOBSTEIN's und HOLTZMANN's verfolgen, soweit +sie die Abendmahlsfrage betreffen. Sie haben die Verteidigungsstellung +eingerichtet. + + +=2. Der Verteidigungsplan. P. W. Schmiedel.= + + Protestantische Monatshefte 1899: Die neuesten Ansichten über den + Ursprung des Abendmahls. + +Dem etwas forschen Vorgehen EICHHORN's gegenüber unternahm es SCHMIEDEL +darzuthun, wie die Sachen eigentlich liegen. Er zeigt zunächst, dass +die chronologischen Gründe gegen die Möglichkeit, dass das letzte Mahl +ein Passahmahl war, zusammengenommen allerdings einen grossen Eindruck +machen. Betrachtet man sie aber einen nach dem andern, so verlieren sie +bedeutend an Energie. Die Annahme, dass Jesus das gesetzliche Passah +feierte, ist also nicht von der Hand zu weisen, da die entschiedenen +Aussagen der Synoptiker den chronologischen Einwürfen wohl das +Gleichgewicht halten können. + +Ueberdies lässt sich der Passahgedanke in ansprechender Weise zur +Erklärung der historischen Feier heranziehen, wobei mit der Möglichkeit +zu rechnen ist, dass in Jesu Seele Passah- und Bundesgedanken +zusammenflossen. + +Was die Handlung betrifft, die er vorgenommen haben soll, ist +anzunehmen, dass das ~Bedeutsame~ mindestens in erster Linie das +Brechen des Brotes und ~das Ausgiessen des Weines aus dem Krug in den +Becher~ sei. Das Austeilen dieser Speisen zum Genuss schliesst sich +als etwas ~Zweites~ an. »~Um der Hauptsache willen wäre es nicht nötig +gewesen; aber da man einmal beim Mahle sass, war es naturgemäss.~« Es +dient demselben Zwecke wie das einem Bundesopfer oder dem Passahopfer +nachfolgende Mahl überhaupt, der gemeinsamen Aneignung und Pflege des +in dem Opfer vorkommenden Gedankens. + +Die Frage, ob der Wiederholungsbefehl historisch ist oder nicht, +bleibt hier in der Schwebe. Wäre er sicher überliefert, so wäre er +verständlich. Aber ebenso begreiflich ist es, dass Jesus an eine +Wiederholung nicht dachte. + +Der genialen Unbesonnenheit gegenüber ist ruhiges Abwägen absolut +notwendig. S. 148: »Wir müssen noch darauf aufmerksam machen, wie +dringend es sich empfiehlt, auf jeden dem unsrigen ähnlichen Versuch +wohlwollend einzugehen, wenn man nicht in ~unlösbare Schwierigkeiten~ +kommen will.« Der hohe Wert dieser Stellung beruht nämlich in der +Stütze, die sie in einer natürlichen Exegese unserer neutestamentlichen +Abendmahlsberichte findet. Durch seine Geltendmachung des +Darstellungsmoments kann SCHMIEDEL jeden einzelnen Zug der historischen +Situation, jeden durch die Exegese angedeuteten Nebengedanken in seiner +Gesamtauffassung unterbringen. Es ist gelungen, ~»die Möglichkeit, +dass Jesus eine der Beschreibung ungefähr entsprechende Feier wirklich +gehalten habe«, auf einen sehr hohen Grad der Wahrscheinlichkeit +zu bringen.~ Die Herleitung der Berichte aus der späteren +Gemeindetheologie, etwa gar mit Benutzung ausserchristlicher Analogien, +wird von selbst gegenstandslos. Jede derartige Konstruktion muss zuerst +den Nachweis erbringen, dass die von ihr behauptete Umbildung sich in +so kurzer Zeit nach Jesu Tod habe einbürgern können. + +~Damit erschöpft sich aber~ der Wert dieser Verteidigungsstellung: +sie verfügt über sicher schiessende, gut placierte Geschütze, die +aber nicht sehr weit tragen, sodass vor den Augen der Belagerten die +Reiterschwärme der Belagerer sich auf dem unbestrichenen Terrain +vergnügt und unbehelligt tummeln. Es ist nämlich unmöglich, dass jemals +eine mit der SCHMIEDEL'schen verwandte Auffassung erklären könne, wie +die von ihnen ~bis ins einzelne verstandene historische Feier~ im +Urchristentum, etwa noch gar ohne Annahme eines dahinzielenden Befehls +Jesu, ~wiederholt worden ist.~ Denn das Schwergewicht liegt ja für sie +in dem Handeln Jesu. Nun ist dieses Handeln Jesu in der urchristlichen +Feier gar nicht wiederholt worden, weil dies unmöglich ist. Der +Leidensgedanke fehlt ihr ja vollständig. Sie ist eine Mahlzeit, bei +welcher, so viel wir wissen, die Ceremonie der historischen Feier in +keiner Weise reproduziert wurde. Das Nebensächliche, das Essen, ist +also Hauptsache geworden und die Hauptsache ist in der wiederholten +Feier ganz zurückgetreten. + +Ausserhalb des schmalen, von den Festungsgeschützen beherrschten +Terrainstreifens ist also der geringste Reitertrupp des Angreifers +gegen die wohlbewaffnete, aber schwerfällige Besatzung im Vorteil, wenn +sie einen Ausfall wagen sollte. Jede kecke Konstruktion, von STRAUSS +bis auf EICHHORN, kann das Aufkommen und das Wesen der urchristlichen +Feier besser erklären, als die exegetisch gewissenhafte, aus den +Berichten destillierte Auffassung SCHMIEDEL's. Nur halte die erstere +sich ausser Bereich des exegetischen Verteidigungsfeuers, wenn sie +nicht durch den ersten Schuss ausser Gefecht gesetzt sein will. Fürwahr +ein merkwürdiger Kampf, wo es einen nicht Wunder nimmt, dass jeder als +Sieger thut, obwohl der andere unbesiegt ist. + + +=3. Die Offensive. Adolf Jülicher.= + + Zur Geschichte der Abendmahlsfeier in der ältesten Kirche. 1892. + (Theologische Abhandlungen, K. v. WEITZSÄCKER gewidmet.) + +JÜLICHER berührt sich am nächsten mit ZWINGLI, dessen Auffassung er +ins Moderne übersetzt, indem er auf die gegenwärtige Form der Fragen +Rücksicht nimmt. Es handelt sich um die einseitige Geltendmachung des +Darstellungsmoments. + +~Alle auf dem Genussmoment beruhenden Auffassungen legen Jesu moderne +Gedanken unter.~ Was er bei jenem Mahle zuletzt so besonders feierlich +sagte, muss für jeden Anwesenden unmittelbar verständlich gewesen +sein. Der Vergleichspunkt muss also in dem liegen, was er vor den +Augen der Jünger mit den Genusselementen vornimmt: in dem Brechen des +Brots und in dem Ausgiessen des Weins. Der Sinn der begleitenden Worte +bezieht sich auf den bevorstehenden Tod. »So wie dieser Wein alsbald +verschwunden sein wird, so wird alsbald mein Blut vergossen sein, +denn mein Tod ist eine beschlossene Sache; aber«, fügt er tröstend +hinzu, »es wird nicht umsonst vergossen, sondern »für viele« und — +ein bildlicher Ausdruck, der in dem Gedankenkreis des Passahtages lag +— als ein Bundesblut.« Nur den Gegenstand des Geniessens vergleicht +Jesus hier und dort mit seinem Leibe, ~auf das Geniessen reflektiert er +gar nicht.~ Höchstens insofern das Genussmoment aus dem vorhergehenden +darstellenden Moment irgend eine Bedeutung empfängt, kann man ihm +problematische Geltung zugestehen. So hatte die Feier ursprünglich +einen wehmütig schmerzlichen Charakter, welcher nur aus der Situation +begriffen werden kann. + +Nun lässt die älteste Ueberlieferung Jesum durch nichts andeuten, +dass er jene sinnvolle Handlung auch künftighin von seinen Gläubigen +vollzogen sehen möchte. Wie hat man aber dann in der Urkirche aus +dieser historischen Feier so schnell eine zu steter Wiederholung +bestimmte Handlung machen können? Zuerst war es wohl ein inneres +Bedürfnis. Passahgedanken und Abschiedserinnerungen wirkten mit. Bald +fand die Wiederholung im Zusammenhang mit jedem Mahle statt und es kam +die Vorstellung eines ausdrücklichen darauf hinzielenden Gebotes Jesu +auf. »~So weit es irgend ging, wollte man die Situation von ehedem +reproduzieren, nur dass man jetzt auf das zurückblickte, was damals +angekündigt werden sollte~« (S. 247). Diese Feier wurde nach dem ersten +Akt kurz das Brotbrechen genannt. Bei der Austeilung der sakramentalen +Elemente hat man wohl nicht von jeher die Deutungs- respektive +Einsetzungsworte des Herrn verbotenus wiederholt, denn sonst würde +deren Ueberlieferung nicht so viele Differenzen aufweisen. Nach I Kor +11 _26_ hat man dabei nie versäumt, den Tod des Herrn zu verkünden, +also immer wieder das erschütternde Ereignis sich vor Augen zu stellen +und seine Notwendigkeit, wie seine segensreichen Wirkungen zu erörtern; +~aber das geschah in freien Formen.~ + + +=4. Die Skepsis in den Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des +Darstellungsmoments.= + +Die Darstellung JÜLICHER's bedeutet für die Abendmahlsauffassungen +mit konsequenter Zugrundelegung des Darstellungsmomentes das, +was die Abhandlung EICHHORN's für die das Genussmoment zu Grunde +legenden Auffassungen war. Beide zeigen durch die Konsequenz ihres +Gedankenaufbaus, dass die alleinige Betonung des von ihnen zu Grunde +gelegten Moments notwendig zum Skeptizismus führt. Dies tritt bei +EICHHORN darin zu Tage, dass er die historische Feier, von der +urchristlichen Gemeindefeier aus betrachtet, nicht zu erklären vermag. +JÜLICHER kann die Gemeindefeier von der historischen Feier aus nicht +erklären. + +Er hat ganz Recht, wenn er sagt, dass die Zugrundelegung des +Genussmoments die Zuhülfenahme moderner Gedanken zur Erklärung der +historischen Worte Jesu fordere. Heisst es aber nicht ebenso sehr +moderne Gedanken auf vergangene Zeiten übertragen, ~wenn man sich die +urchristliche Feier als gewollte, möglichst genaue Reproduktion der +Situation von ehedem begreiflich machen will~? JÜLICHER's Auffassung +könnte die zwinglische Gemeindefeier erklären — und da fehlte ihm noch +der Wiederholungsbefehl — aber niemals die urchristliche religiöse +~Gemeindemahlzeit.~ + +Die Schwierigkeiten werden gerade durch seine scharfe und +logisch einheitliche Gesamtauffassung mit absoluter Deutlichkeit +herausgearbeitet. Er erlaubt sich nicht zwischen dem Abendmahl im +eigentlichen Sinne und der Gemeindemahlzeit zu unterscheiden. Mit +diesem Spielraum hatten die doppelseitigen Darstellungen aller +Schattierungen operiert und damit die grössten Schwierigkeiten +überwunden. ~Die ganze Gemeindefeier ist »Herrenmahlzeit«~ — so sagt +JÜLICHER und stimmt dabei mit niemand so vollkommen überein als mit +SPITTA und EICHHORN. + +Damit ist aber die Antinomie, welche zum Skeptizismus führt, notwendig +gegeben. Die Gemeindefeier, auf die JÜLICHER von seiner Auffassung +der historischen Feier aus kommt, ist eine Fiktion, welche der +wirklichen urchristlichen Mahlfeier geradezu widerspricht, da die +letztere »keine Reproduktion der Situation von ehedem« war. Wie die +Wiederholung aufgekommen, vermag er in keiner Weise darzuthun. »Dass +es zunächst wohl ein inneres Bedürfnis war, bei dem Passahgedanken und +Abschiedserinnerungen mitwirkten«: diese problematische und gewundene +Annahme erklärt für die Wiederholung gar nichts. + +Nun könnte JÜLICHER durch den Wiederholungsbefehl um die Schwierigkeit +herumkommen. Das erlaubt ihm aber sein exegetisches Gewissen nicht. +Obwohl er ihn absolut notwendig brauchte, verzichtet er darauf, +weil er durch die beiden ältesten Synoptiker nicht bezeugt ist. +Seine ansprechende Auffassung ist aus der exegetischen Betrachtung +der Berichte erwachsen. Gerade die Exegese beraubt ihn aber der +einzigen Möglichkeit, die Wiederholung der von ihm geschilderten +Feier im Urchristentum auch nur einigermassen begreiflich zu machen. +Die urchristliche Feier als Reproduktion der historischen Situation +ohne Wiederholungsbefehl ist einfach undenkbar. Also stehen wir +hier vor einer vollständigen Selbstauflösung. Um das Aufkommen der +urchristlichen Feier zu erklären, müsste JÜLICHER eine unabhängig von +den Berichten gegebene Thatsache postulieren — wie EICHHORN es thut, +um das Aufkommen des historischen Berichts fasslich zu machen. + +Die konsequente Geltendmachung des Darstellungsmoments führt also zu +derselben Skepsis, wie die einseitige Herausarbeitung des Genussmoments. + + + + +Neuntes Kapitel. + +=Die neue Problemstellung.= + + +=1. Das Ergebnis der Untersuchung.= + +Die Auffassungen mit einseitiger Betonung des Genussmoments können nur +die ~urchristliche~, nie die ~historische~ Feier erklären. + +Die Auffassungen mit einseitiger Betonung des Darstellungsmoments +können nur die ~historische~, nie die ~urchristliche~ Feier erklären. + +Die doppelseitigen Auffassungen können die ~historische~ Feier nur in +dem Masse erklären als sie die ~urchristliche~ nicht erklären, und +umgekehrt. + +Also vermag keine dieser Auffassungen das Abendmahlsproblem zu lösen, +da dieses gerade verlangt, ~dass beide Feiern in ihrem gegenseitigen +Zusammenhang begriffen werden!~ + +Durch diese Sätze werden nicht bloss die hier besonders analysierten +Auffassungen betroffen. Diese sind nur Typen für so und so viele +andere, die schon veröffentlicht worden sind oder noch im Zeitenschosse +schlummern. Vergangen oder zukünftig: alle werden sie durch die obigen +drei Sätze schon im Vorverfahren abgethan. Ehe sie überhaupt gehört +werden können, müssen sie zuerst nachweisen, dass sie etwas anderes +sind als eine neue Kombination von Darstellungs- und Genussmoment. +Können sie das nicht, so sind sie von vornherein abgewiesen, denn +dann vermögen sie das Problem nicht zu lösen. Es kommt ja nicht auf +ihr bestimmtes Gepräge oder auf die Art, wie sie sich historisch und +exegetisch darstellen, an, ~sondern nur auf das Verhältnis, in dem das +Darstellungs- und das Genussmoment darin zu einander stehen.~ Alles +andere ist Beiwerk. + +Jede Auffassung ist durch die Formel bedingt, welche das von +ihr angenommene Verhältnis des Darstellungs- zum Genussmoment +ausdrückt. Damit ist ja ihre Stellung zu den Einzelfragen — dem +Wiederholungsbefehl, der Deutung der Gleichnisse, der Form der +angenommenen urchristlichen Feier u.s.w. — entschieden. ~Man kann +sie danach geradezu ausrechnen.~ Was die Verfasser dann noch von dem +Ihrigen an geistreichen Einfällen, exegetischen Funden und genialen +Inkonsequenzen hinzuthun, das ist alles ohne Belang. Ohne dass sie es +wissen, folgen sie ja einem inneren Zwang. Weil sie ~müssen~, nehmen +sie die schwersten exegetischen Hindernisse! Weil sie ~nicht anders +können~, übersehen sie schwerwiegende historische Fragen! Weil sie die +Verschnörkelungen am Erker nach freiem Bedünken entwerfen dürfen, sind +sie — und die andern mit ihnen — geneigt zu vergessen, dass ihnen der +Grundriss des Baues aufgegeben ist. + +Unter den gegebenen Voraussetzungen gibt es keine neuen +Abendmahlsauffassungen mehr. Ob auch eine aus einer exegetischen +oder historischen Beobachtung hervorwächst, kann sie im Grunde doch +nichts anderes sein, ~als die Wiederholung oder Modifizierung einer +schon vorhandenen, nämlich der, mit welcher sie die Formel über das +Verhältnis der beiden Momente gemein hat.~ Wollte man sich die Mühe +geben, den Stammbaum der vorhandenen Auffassungen aufzustellen, so +würde es nicht schwer halten, jeder ihre Vorfahren zu entdecken. + +Die Darstellungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments +sind nur die wissenschaftlich-historische Reproduktion der +altgriechischen Auffassung. + +ZWINGLI hat die römische Theorie rationalisiert und ist von JÜLICHER +ins modern-geschichtliche übertragen worden. + +Die doppelseitigen Auffassungen geben die Vermittlungsversuche +zwischen der Messe und dem griechischen Mysterium und diejenigen der +Reformationszeit in historischer Form wieder. Man kann also ruhig +sagen, dass alle möglichen Kombinationen der beiden Momente schon +erschöpft sind. + +Mit »neuen Auffassungen« ist also nichts gethan; neu daran ist immer +nur der Einfall, nie die Formel — ~und auf letztere kommt es allein +an.~ Darum führt die Detailauseinandersetzung mit einer solchen neuen +Auffassung zu gar nichts. Das für »richtig« und das für »falsch« +Befundene hängen ja gesetzmässig zusammen: eins ist nur insofern +richtig, als das andere falsch ist. + +Daran liegt es, dass Arbeiten in der Art, wie sie RUD. SCHÄFER, +CLEMEN[11] und SCHMIEDEL zu den neuesten Aufstellungen geliefert haben, +trotz aller abwägenden Gewissenhaftigkeit die Forschung nicht in dem +Masse des aufgewandten Scharfsinns vorwärts bringen. Aus dem, was sie +anerkennen, lässt sich keine neue Auffassung zusammenbauen, und das, +was sie auszusetzen haben, reicht nicht hin, die andere zu verwerfen, +wenn man nichts Besseres an die Stelle zu setzen hat. + +Diejenigen, welche unter den gegebenen Verhältnissen neue +Abendmahlsauffassungen aufstellen, rechnen ein Exempel, das bisher nie +hat wollen aufgehen, zum so und sovielten Male durch. Ihre Kritiker +rechnen das Exempel zum so und sovielten Male nach. Auf geht es aber +darum doch nicht. + +~Es kann nie aufgehen.~ Darum nützt es nichts, immer mit Eifer und +Sammlung von vorn anzufangen. Man muss den Fehler nicht in der +Rechnung, sondern im Ansatz suchen. Die bisherigen Auffassungen +bringen es nicht über dialektische Behauptungen hinaus, welche als +Ganzes aus den geschichtlichen Thatsachen weder zu beweisen noch zu +widerlegen sind. + +~Es gilt also sich von der bisherigen Problemstellung loszumachen.~ + +~Wo liegt der Grund des Metaphysischen in der Abendmahlsfrage?~ + + +=2. Der neue Weg.= + +Bisher galt der Satz: Um das Abendmahl zu erklären, muss man von der +Deutung der Gleichnisse ~ausgehen~, denn diese konstituieren das Wesen +der Feier. So suchte man sie aus dem Genuss, oder aus dem Handeln, oder +aus beiden zusammen zu deuten — und, wenn man eine plausible Erklärung +gefunden hatte, glaubte man den Schlüssel zum Abendmahl zu besitzen. + +Nun gilt es aber zwei Thüren zu öffnen: der betreffende Schlüssel passt +aber jedesmal nur zu einer. Angenommen SPITTA und die andern deuten die +Gleichnisse richtig auf das Urchristentum: der historischen Situation +entspricht aber ihre Erklärung nicht. Angenommen JÜLICHER und die +andern deuten sie richtig aus der historischen Situation: im Sinne des +Urchristentums ist aber ihre Erklärung nicht, denn dort kommt in keiner +Weise zum Ausdruck, dass die Handlung Jesu den Tod versinnbildlichte. + +Man hat aber allen Grund zu fragen, ob die Gleichnisse aus der sie +begleitenden Handlung ~so ohne weiteres~ deutbar sind. Alle Erklärungen +werden ja auf Umwegen erreicht! Wieso soll das Brechen des Brots die +Kreuzigung des Leibes anzeigen? Ist diese Erklärung etwa deswegen +einleuchtender, weil es die einzige ist, welche die begleitende +Handlung offen lässt? Wer sagt uns, dass es die Jünger so verstanden +haben können? In der urchristlichen und altchristlichen Epoche, ja +eigentlich bis auf ZWINGLI weiss kein Mensch etwas von dieser Deutung. + +Mit dem Wort über dem Kelch steht es noch schlimmer. Hier muss man +nämlich, um dem Gleichnis einen Sinn abzugewinnen, den Vergleichspunkt +zur Handlung ~geradezu hinzuerfinden.~ Berichtet ist nur das +~Herumreichen~ des Kelches. Dieses ist aber für das »~Vergiessen +des Blutes~« nicht charakteristisch. Das einzig Erträgliche wäre +das »~Ausgiessen in den Kelch~«. ~Obwohl nun diese Handlung in +keinem Berichte erwähnt ist~, haben es alle exegetischen Deutungen, +welche auf dem Darstellungsmoment beruhen, mit dem »~Ausgiessen~« +des Weines in den Kelch zu thun. Aus der inneren Zwangslage heraus +schaffen sie frei ein ~Analogon zum Brotbrechen~, ohne sich darüber zu +rechtfertigen, wie sie dazu kommen, die Situation in unerlaubter Weise +zu bereichern. + +Wo steht denn geschrieben, dass Jesus den Wein in den Kelch vor den +Augen der Jünger bedeutungsvoll eingoss, wie er das Brot brach? +Nirgends! Also beruht die exegetische Deutung des zweiten Gleichnisses +~auf reiner Erfindung.~ + +Gestehen wir es offen ein: es fehlt uns jegliche Anleitung zu einer +natürlichen Deutung der Gleichnisse. Ueber Künstelei haben wir es +dabei nicht hinausgebracht. Unser Schlüssel ist nur ein schlechter +Nachschlüssel: er passt zur Not in das eine Schloss, aber nicht in +beide. ~Und aus dieser Notdeutung der Gleichnisse wollen wir die ganze +historische und urchristliche Mahlfeier erklären!~ + +Wenn man in dieser Notlage einmal den noch einzig möglichen Ausweg ins +Auge fasste! Es geht nicht an, ~die Feier durch die Gleichnisse zu +erklären.~ Versuchen wir es mit dem umgekehrten Verfahren, nämlich ~die +Gleichnisse aus der Feier zu erklären~! + +Freilich, am Anfang scheint das nur das letzte verzweifelte Rütteln an +der verschlossenen Thür. Aber überlegen wir die Sache einmal ruhig. + +Beim Abendmahl handelt es sich um die Austeilung von Seiten Jesu, um +den Genuss von Seiten der Jünger und um zwei Gleichnisse, welche mit +dem Vorgang ~zusammenfallen.~ Ich sage ~zusammenfallen~! In einer +~Situation~ können Handlungen und Reden zeitlich zusammenfallen, +während sie in dem Bericht nur in zeitlicher Folge geschildert +werden können, weil die Worte jedes Nebeneinander notwendig in eine +Aufeinanderfolge auseinanderlegen. + +So halten unsere Berichte die Reihenfolge: Austeilung, Gleichnis, +Genuss inne, als hätte Jesus zuerst symbolisch gehandelt, dann +ausgeteilt, dann das erklärende Gleichnis gesprochen, worauf zuletzt +die Jünger verständnisvoll gegessen hätten. + +Versucht man es aber einmal, sich den berichteten Vorgang als Scene +vorzustellen, so merkt man bald, ~dass die säuberliche chronologische +Folge stark illusorisch wird.~ Man denke sich die 12 Menschen, +die wie auf eine innere Verabredung hin mit dem Essen des ihnen +zugeteilten Stückes warten, bis Jesus das Gleichniswort gesprochen! Wie +unnatürlich, ja unmöglich diese Scene in der gedachten chronologischen +Folge der Handlungen ist, kann man in Oberammergau sehen, wenn sie ins +Leben übersetzt wird! Es lässt sich kaum etwas Unnatürlicheres und +Geschraubteres denken. + +Für den, welcher eine berichtete Situation mit dem Blick des Malers in +der Wirklichkeit zu schauen vermag, bleiben nur zwei Möglichkeiten. +Entweder hat Jesus jedem Einzelnen das Brot zugeteilt und dabei +für jeden Einzelnen das Gleichniswort wiederholt: dann ist die +chronologische Folge so haltbar. Oder aber, wie feststeht, er hat allen +zusammen Brot ausgeteilt und das Gleichniswort nur einmal gesprochen: +dann ist die chronologische Folge, mit der wir bisher operierten, +illusorisch geworden. Sie besagt dann nur, dass Jesus im Verlauf der +Austeilung des Brotes und während des Herumreichens des Bechers die +Gleichnisworte vom Leib und vom Blut gesprochen! ~Ob zu Anfang, in der +Mitte oder zu Ende, ob vor, während oder nach dem Essen und Trinken: +das ist nicht auszumachen.~ Unsere Berichte geben uns darüber keinen +Aufschluss. + +Aus der angenommenen ~chronologischen~ Folge haben die bisherigen +Auffassungen ohne weiteres eine ~causale~ gemacht. Man sagte: Die +Austeilung und das dabei vorkommende Brechen und Ausgiessen begründet +das Gleichnis, das Gleichnis soll den Jüngern die Bedeutung des +Genusses erklären, und die Bedeutung des Genusses macht das Wesen der +Feier aus. + +Aus einer angenommenen zeitlichen Folge eine causale zu machen, das ist +ein Fehler, den das menschliche Denken trotz aller Warnungen immer und +immer wieder macht und sich dadurch die grössten Probleme schafft. + +~Nun zeigt die Geschichte, dass gerade diese angenommene causale Folge +das Abendmahlsproblem unlösbar macht.~ Andererseits beschränkt sich +unsere Kenntnis von der Situation darauf, dass Jesus im Verlauf der +Austeilung die Gleichnisse gesprochen hat. Also machen wir uns von dem +Vorurteil los, als ob die Gleichnisse die Feier konstituierten, und +fassen das Problem so, ~dass die Feier die Gleichnisse erklärt.~ Anders +ausgedrückt: Man meinte bisher, dass Jesus die Jünger aufforderte, das +dargereichte Brot und den herumgereichten Wein zu geniessen, ~weil er +sie als seinen Leib und sein Blut bezeichnet hatte~ (wobei freilich +niemand sagen kann, in welchem Sinne sie mit Brot und Wein seinen Leib +und sein Blut assen und tranken). + +Wir aber gehen jetzt davon aus, dass Jesus von dem Brot und dem Wein, +die seine Jünger auf seine Darreichung hin genossen, sagt, sie wären +sein Leib und sein Blut, ~gerade im Hinblick darauf, dass sie es auf +seine Darreichung hin geniessen~! Sie essen also nicht seinen Leib und +trinken nicht sein Blut, sondern, ~weil sie jenes Brot essen und jenen +Wein trinken~, sagt er, es ~sei sein Leib und sein Blut~! Das Gleichnis +konstituiert also die Feier nicht, sondern es erwächst aus ihr! + +Die Feier ist selbständig! Sie besteht darin, dass Jesus unter +Danksagung seinen Jüngern das Brot bricht und den Kelch herumreicht und +sie davon geniessen. Zum Wesen der Feier gehören die Gleichnisse nicht, +sondern Jesus spricht in diesen geheimnisvollen Worten die Bedeutung +aus, welche die Feier für ~ihn~ hat! + +Diese zweite Eventualität liegt gerade so gut in den Berichten wie +die erste. Nur ging man immer an ihr vorüber, weil die chronologische +Folge der Handlungen in der schriftstellerischen Darstellung die +Aufmerksamkeit ganz für die erste gefangen nahm. + +Nun ist aber logisch festgestellt, dass die bisherige Annahme das +Problem vollständig unlösbar macht. Also muss man es notgedrungen mit +der zweiten probieren. + +Ueberdies spricht die Geschichte gerade für die zweite. Es steht fest, +dass die Leidensgleichnisse in der urchristlichen Feier ~keine Rolle~ +spielten. Sie wurden im Verlauf der Feier in keiner Weise reproduziert! +Dafür sprechen Didache und Paulus, denn wenn sie aus dem alltäglichen +Verlauf der Feier bekannt gewesen wären, bliebe I Kor 11 _23_ +unverständlich, da hier dann etwas Bekanntes in geheimnisthuerischer +Weise wiederholt würde! Es stand also im Urchristentum so: Man wusste +wohl, dass diese Gleichnisse bei der historischen Feier gesprochen +worden waren, die Gemeindefeier leitete sich von dieser historischen +Feier ab: ~aber doch fühlte man kein Bedürfnis, die historischen +Gleichnisse Jesu dabei irgendwie zu reproduzieren. Also war die +historische Feier, sofern sie sich in der Gemeindefeier fortsetzte, +von den Gleichnissen unabhängig~, da man sonst auch die Gleichnisse +wiederholt hätte. Das ist durch die Geschichte bezeugt. + +Darum hat es das Abendmahlsproblem gar nicht mehr mit den beiden +unmöglichen Fragen zu thun, wieso Jesus seinen Jüngern seinen Leib zu +essen und sein Blut zu trinken gegeben habe und wie sie diese Feier +später in entsprechender Weise reproduzierten, sondern das Problem +selbst ist ein ganz anderes. Es heisst nicht mehr: ~Was bedeuten die +Gleichnisse~, damit wir die Feier erklären können? sondern: ~Was +bedeutete die Feier~, damit wir die ~Gleichnisse~ erklären können. + +~In welchem Sinne war die Austeilung von Brot und Wein beim letzten +Mahl ein so überaus feierlicher Akt, der sich auf Jesu Tod bezog?~ — +von dieser Frage hat die Untersuchung auszugehen, indem sie die +Gleichnisse vorerst ganz bei Seite lässt. Es ist der einzige Weg zur +Lösung des Problems. + + +Fussnoten: + +[11] Der Ursprung des heil. Abendmahls von Lic. Dr. KARL CLEMEN. 1898. +Hefte zur christl. Welt No. 37. + + + + +Zweiter Teil. + +=Das Abendmahlsproblem auf Grund der historischen Berichte.= + + + + +Zehntes Kapitel. + +=Die textkritischen Fragen.= + + +=1. Cod. D. Die textkritische Hauptfrage.= + +Es handelt sich um den Lukasbericht (Lk 22 _15-20_). In der +gewöhnlichen Fassung zeigt er ein eigentümliches Gepräge. Er bietet +zunächst ein Wort über den Passahgenuss in dem zukünftigen Reiche. +Darauf folgt ein ähnliches Wort, den Becher betreffend, welches mit +dem synoptisch-eschatologischen Schlusswort nach Markus und Matthäus +übereinstimmt. Nachdem so gleichsam ein erster Redegang über das Essen +und Trinken abgeschlossen ist, kommt das Wort über dem gebrochenen +Brot und über dem Wein als Bundesblut; bei letzterem fehlt dann das +bei den beiden älteren Synoptikern den zweiten Akt beschliessende +eschatologische Schlusswort. + +Wir haben also eine merkwürdige Doppelheit: zwei Worte das Essen, und +zwei den Kelch betreffend. Von den beiden auf das Essen bezogenen +Worten handelt nur das zweite von dem Genuss des Brots, während das +erste vom Passah allgemein redet. Die Doppelheit ist also hier nicht so +auffällig, wie in den beiden das Trinken betreffenden Worten, welche +sich beide auf den Kelch beziehen. Das zweite nimmt sich wie ein +Nachtrag zum ersten aus, da es ohne das eschatologische Schlusswort +steht, die Aufforderung zum Genuss nicht enthält und überhaupt in +dieser Form der Feier keinen abrundenden Abschluss gibt, wie es das +altsynoptische Kelchwort thut. + +Als daher diese eigentümliche Doppelheit in dem Lukasbericht auffiel, +war die natürlichste Korrektur schon gegeben: das zweite Kelchwort, +da die Aufforderung zum Genuss schon im ersten enthalten schien, +zu streichen, dagegen das zweite Wort über dem Brot, das in seiner +spezifischen Eigenschaft vorher nicht erwähnt war, zu belassen, weil +es die Aufforderung zum Genuss enthält. Es ist die Korrektur von Cod. +D.[12] Er schliesst mit den Worten: τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου (V. _19ª_). + +Entschliesst man sich einmal zu diesem so natürlichen Abstrich, so +liegt gar kein Grund mehr vor, das Kelchwort mit seiner Aufforderung +zum Trinken sich zwischen die beiden auf das Essen bezogenen Aussagen +eindrängen zu lassen und sie unnatürlich auseinanderzureissen; man +moduliert nach der ursprünglichen synoptischen Harmonie zurück, sodass +das eschatologische Schlusswort beim Kelch wieder ans Ende kommt. Tritt +dementsprechend V. _17_ und _18_ hinter _19ª_, so erhält man einen +Bericht, der sich von dem gewöhnlichen nur dadurch unterscheidet, +dass er vor dem Brotwort ein Wort über das Passah bringt, welches dem +eschatologischen Schlusswort über dem Kelch nachgebildet ist. Dieses +Verfahren findet sich bei b c.[13] + +~Die Entstehung des Abendmahlsberichtes des Cod. D. beruht auf +Reflexion.~ Ueberhaupt bricht sich die Ueberzeugung immer mehr +Bahn, dass seine Abweichungen durchweg diesen Charakter tragen. +Eine originelle Vorstellung der historischen Feier schwebt dieser +Berichtform gar nicht vor. Daher betrifft die Grundfrage der Textform +des Lukas gar nicht Cod. D, sondern die gewöhnliche Lesart. Wie kommt +Lukas dazu, den Bericht ~so ins Doppelte sich spiegeln zu lassen~, +dass der Versuch, diese Doppelheit als auf ein Versehen zurückgehend +zu korrigieren, sich in Cod. D notwendig einstellen musste? Diese +Frage ist aber gar keine textkritische mehr, sondern sie hängt mit +der Entwicklung der Feier im Urchristentum und der damit gegebenen +Verschiebung des Bildes des historischen Mahles zusammen.[14] + + +=2. Abweichende Lesarten.= + +Die Frage, ob in den einzelnen Fällen εὐλογήσας oder εὐχαριστήσας +zu lesen ist, hat keine Bedeutung. Die beiden älteren Synoptiker +gebrauchen den ersteren, Paulus, Lukas und Justin den letzteren +Ausdruck. + +Der Grund der verschiedenen Lesarten in Mt 26 _26_ ist leicht +einzusehen. Partizipien und erzählende Verben häufen sich in einer +Weise, dass man in keinem Falle eine schwerfällige und ungriechische +Konstruktion vermeiden kann. Ob man nun liest: λαβὼν ὁ Ἰησοῦς ἄρτον καὶ +εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ δοὺς τοῖς μαθηταῖς καὶ εἶπεν,[15] oder ob man +eines der Partizipien auflöst und die Lesart erhält: λαβὼν ὁ Ἰησοῦς +ἄρτον καὶ εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ ἐδίδου τοῖς μαθηταῖς καὶ εἶπεν[16] +bleibt sich gleich. Der Satz ist in jedem Falle formlos, weil er eine +Häufung von Handlungen auf einen Moment enthält, deren zeitlicher und +logischer Zusammenhang sich sprachlich gar nicht wiedergeben lässt. Die +Varianten beruhen auf der empfundenen darstellerischen Schwierigkeit, +die jeder auf eine andere Weise zu überwinden suchte. + +Bei Markus treten die stilistischen Schwierigkeiten nicht so sehr +hervor. Er vermeidet nämlich die namentliche Nennung des Spenders +und der Empfänger, wodurch die matthäische Konstruktion so besonders +ungelenk wird. + +Der paulinische und der justinische Bericht sind von dieser +Schwierigkeit befreit: sie vereinfachen die Situation, indem sie die +Darreichung (ἔδωκεν) und die Aufforderung zum Genuss (λάβετε) auslassen. + +Das φάγετε in Mk 14 _22_[17] ist naive matthäische Nachbildung. Die +alten Zeugen bieten nur λάβετε. + +Der Zusatz καινῆς, den einige Lesarten bei dem Wort über dem Becher in +Mk 14 _24_[18] bieten, beruht auf naiver Nachbildung der paulinischen +Version. + + +=3. Das Ergebnis der Textkritik.= + +Die Verschiedenheit der Lesarten ist nicht darin begründet, dass +die eine mit ihren Wurzeln historisch höher hinaufreicht als die +andere. Sie gehen zum Teil aus der Schwierigkeit hervor, welche die +betreffenden Auffassungen haben, sich ~stilistisch darzustellen.~ +Zum Teil entspringen sie der Tendenz, die Berichte einander +~gleichzubilden.~ Dazu war es aber schon zu spät: die verschiedenen +Typen hatten schon eine zu scharfe historische Ausprägung erhalten, +als dass es den nachbessernden Versuchen hätte gelingen können, den +Einheitstypus herzustellen, an dem die vorhergehende geschichtliche +Epoche sich vergebens abgearbeitet hatte. + +Den letzten Versuch dieser Gleichbildung bietet der textus receptus, +sofern er den ersten Akt bei Paulus nach Analogie mit dem matthäischen +darstellt und dadurch eine Aufforderung zum Genuss einträgt (nehmet, +esset), die in I Kor 11 _24_ ursprünglich fehlt. + +Die Aufgabe der Textkritik in der Abendmahlsfrage besteht darin, dass +sie jeden der Berichte in seiner charakteristischen Eigentümlichkeit +darstellt, indem sie ihn von den Spuren der versuchten litterarischen +Gleichbildung mit andern befreit. Diese Aufgabe, so bescheiden sie +scheint, ist von eminenter Tragweite. ~Hätte sich die Gleichbildung der +Berichte wirklich durchgesetzt, so wäre das Abendmahlsproblem unlösbar.~ + + +Fussnoten: + +[12] D, a, ff². Die Ausgabe von WESTCOTT und HORT hat diese Lesart +adoptiert. + +[13] In derselben Absicht lässt syr^{cu} Vers _20_ aus und setzt dafür +Vers _17_ und _18_ ein. + +[14] Eine eingehende Darlegung der Textfragen, welche den Lukasbericht +betreffen, findet sich in der Abhandlung von ERICH HAUPT. + +[15] So א (sed δούς ex ἐδίδου korrigiert ab אª) BDLZ. + +[16] ΑϹΓΔ. + +[17] Mk 14 _22_: zu λάβετε zugesetzt φάγετε (EFHM²). + +[18] Mk 14 _24_: τῆς διαθήκης (אBCDL). + + + + +Elftes Kapitel. + +=Die Eigenart des Markusberichts= (Mk 14 _22-26_). + + +Der erste Akt besteht einzig darin, dass Jesus unter Gebet das Brot +bricht und es herumreicht; zugleich spricht er das Gleichniswort von +seinem Leib. Es fehlt, wie bei Matthäus, das uns aus Paulus gewohnte +ὑπὲρ ὑμῶν und über Matthäus hinaus das φάγετε. + +Ist so im ersten Akt die ~Aufforderung zum Genuss~ in Hinsicht auf das +Gleichnis nicht ausdrücklich ausgesprochen, ~so fehlt sie im zweiten +vollständig.~ Es wird zuerst berichtet, dass Jesus allen den Kelch nach +dem Gebetswort herumgereicht habe und alle daraus getrunken haben (Mk +14 _23_). ~Darauf erst~ spricht er das Gleichniswort von dem für viele +vergossenen Blut (Mk 14 24). + +BRUNO BAUER war meines Wissens der erste, der darauf hingewiesen, dass +Markus statt der Aufforderung zum Trinken die ~Konstatierung~ bietet, +dass alle getrunken haben. Er sieht darin nur eine Abschwächung gegen +Matthäus, da Markus sich scheue, die Aufforderung Jesu in vollem Umfang +aufrecht zu erhalten. + +Dabei hat aber BRUNO BAUER nicht bemerkt, dass mit dieser Konstatierung +auch die gewöhnliche chronologische Folge vom Gleichnis zum Genuss +sich verschiebt, wodurch zugleich das uns geläufige kausale Verhältnis +zwischen Gleichnis und Genuss aufgehoben wird. Diesem Bericht zufolge +ist es unmöglich, dass Jesus oder die Jünger die Bedeutung des Trinkens +~aus dem Gleichnis herleiten~, weil dieses ja erst ~auf das Trinken +folgt~! + +Zu beachten ist ferner, wie das weihevoll (ἀμήν) und nachdrücklich +gesprochene eschatologische Schlusswort von dem Neutrinken in dem Reich +des Vaters sich eng an das Gleichniswort anschliesst! Es bildet den +Höhepunkt der Feier (V. _25_), worauf alsbald der Aufbruch erfolgt. + +~Diese eigenartigen Züge des Markusberichts sind bisher nicht +herausgearbeitet worden.~ Man hat ihn einfach nach den andern gedeutet. +Alle Berichte, so nahm man ohne weiteres an, bieten dieselbe Thatsache. +Beim letzten Mahl hat Jesus den Jüngern Brot und Wein so dargereicht, +dass sie die Elemente irgendwie als seinen Leib und sein Blut assen und +tranken. Das Fehlen des φάγετε bei Markus erklärte man daraus, dass +es sich von selbst verstehe. Die Eigentümlichkeit des zweiten Akts hob +man nicht einmal hervor, weil man sie — ohne sich davon Rechenschaft +zu geben — nach Matthäus und den andern interpretierte. + +Diese Annahme, dass der Markusbericht im Grunde dasselbe besage wie +die andern, ist ~eine der unbewiesenen Voraussetzungen~, mit denen die +bisherigen Abendmahlsauffassungen operierten. Wenn wir nämlich nur den +Markusbericht hätten, käme niemand auf den Gedanken, dass Jesus seinen +Jüngern Brot und Wein als seinen Leib und sein Blut ausgeteilt und sie +zum Genuss in diesem Sinne aufgefordert habe. Man würde die zeitliche +Folge im ersten Akt nach der des zweiten auffassen und als Thatbestand +feststellen, dass Jesus ~im Verlauf der Austeilung des Brotes das +Gleichnis von seinem Leib und =nach= der Herumreichung des Bechers +das Gleichnis von seinem Blut gesprochen habe.~ Wenn wir aber einen +Bericht haben, wo Jesus dem strikten Wortlaut zufolge weder seinen +Leib noch sein Blut zum Genuss ausgeteilt hat, so dürfen wir ihn nicht, +als handle es sich um eine gewisse Nachlässigkeit und Sparsamkeit im +Ausdruck, nach den andern auslegen, sondern wir müssen ihn mit ihnen +vergleichen und eine Auseinandersetzung herbeiführen. Daraus ergibt +sich dann die Tragweite der Abweichungen. Entweder handelt es sich +um eine absolut ~unverständliche Schilderung~, die man, weil sie mit +dem feststehenden Thatbestand absolut keine Verwandtschaft hat, als +Kuriosum nicht weiter zu beachten braucht, oder — ~wir haben den +authentischen Bericht vor uns, von dem die Untersuchung ausgehen muss.~ +Diese Alternative ist nicht zu umgehen, sobald man sich die Eigenart +des Markusberichts klar gemacht hat. + + + + +Zwölftes Kapitel. + +=Der Vergleich der Berichte.= + + +=1. Das Prinzip der Gleichbildung.= + +Aeusserlich betrachtet zeigt sich die Eigenart des Markusberichts +darin, dass die beiden Akte an Umfang und Gesichtspunkten verschieden +sind. Der erste ist ganz kurz; er beschränkt sich auf das Gebetswort, +das Brechen zum Austeilen und die Gleichnisrede; der zweite enthält +das Gebetswort, die Austeilung, die Erwähnung des Genusses, die +Gleichnisrede, den Hinweis auf die Heilsbedeutung des Todes und +das eschatologische Schlusswort. Der Vergleich zeigt, dass bei +den andern Berichten die beiden Akte in steigendem Masse einander +~gleichgebildet werden~, sowohl dem Umfang nach, als auch hinsichtlich +der Gesichtspunkte, die sie enthalten. Wir erhalten zwei Parallelakte, +indem die Handlungen und Worte beim Wein genau denen beim Brot +entsprechen. + +Diese Gleichbildung erfolgt entweder so, dass die Momente des zweiten +Akts in den ersten eingetragen werden (Matthäus, Paulus, Lukas), oder +so, dass der zweite Akt nach Analogie des ersten zusammengezogen wird +(Justin). + + +=2. Der matthäische Bericht= (Mt 26 _26-29_). + +Matthäus befindet sich auf dem Wege zur Gleichbildung. Durch das φάγετε +ist die ausdrückliche Erwähnung des Genussmoments in den ersten Akt +aufgenommen. Da im zweiten an Stelle der Konstatierung ebenfalls die +Aufforderung zum Genuss getreten ist, so entsprechen sich beide Akte +in diesem Punkte vollkommen. λάβετε, φάγετε· τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου. +πίετε ἐξ αὐτοῦ πάντες· τοῦτο γάρ ἐστιν τὸ αἷμά μου. Die Gleichbildung +ist aber noch nicht vollständig vollzogen. Dem ersten Akt fehlt ein dem +Wort über die Bedeutung des vergossenen Bluts entsprechender Hinweis +(τὸ περὶ πολλῶν). Auch das eschatologische Wort, welches das Gleichnis +über dem Wein beschliesst, ist beim Brot noch nicht vertreten. + +Zudem zeigt das im zweiten Akt stehen gebliebene πάντες, dass hier +eine Konstatierung in eine Aufforderung umgesetzt worden ist. Bei +der Konstatierung muss ja notwendig erwähnt werden, dass sie alle +davon getrunken haben. Bei der Aufforderung aber ist das πάντες +selbstverständlich, oder — wenn es die Weihe der Aufforderung +nachdrücklich hervorheben soll — wie kann es dann beim Brot fehlen? +Hier wäre es wirklich gefordert, da Jesus nicht ohne weiteres annehmen +kann, dass alle das Stückchen Brot, das er ihnen darbietet, auch +wirklich essen, während er dem Herumgehen des Kelches mit dem Auge +folgt. Bei Paulus, Lukas und Justin ist dann das πάντες, als nicht mehr +von Belang, auch wirklich ausgefallen. + +Die Verbindung des eschatologischen Schlussworts mit dem Kelchwort nach +rückwärts, dem Aufbruch zum Leidensweg nach vorwärts ist bei Matthäus +noch gewahrt. Jedoch ist es mit dem Kelchwort nicht mehr durch das +gewaltige ἀμήν in Steigerung verbunden, so dass es, wie bei Markus, den +~Höhepunkt~ der ganzen Feier bildet, sondern es ist nur mehr eine mit +δέ ~beigeordnete Schlussbemerkung~ (Markus ἀμήν λέγω ὑμῖν, Matthäus +λέγω δέ ὑμῖν). + +So befindet sich die Gleichbildung bei Matthäus noch im Fluss. Bei +Paulus ist sie schon viel weiter fortgeschritten. + + +=3. Der paulinische Bericht= (I Kor 11 _23-26_). + +Hinter jedem Akt ist abschliessend angefügt: τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν +ἐμὴν ἀνάμνησιν. Durch Uebernahme eines auf die Bedeutung des Todes +hinweisenden Worts (τὸ ὑπὲρ ὑμῶν) gleicht sich der erste Akt dem +zweiten an. Nur das ἔκλασεν hat keine Parallele. + +Bei Markus und Matthäus beschloss das Wort von der Wiedervereinigung +beim Mahl im zukünftigen Reich den Spruch über dem Becher. Nur +scheinbar ist es bei Paulus ausgefallen. Er setzt es vielmehr als +Abschluss ~bei beiden Akten voraus:~ ὁσάκις γὰρ ἐὰν ἐσθίητε τόν ἄρτον +τοῦτον καὶ τὸ ποτήριον πίνητε, τὸν θάνατον τοῦ κυρίου καταγγέλλετε, +ἄχρι οὗ ἔλθῃ (V. _26_). + +~Bis dass er kommt~ — darin liegt die Erwartung des Kommens des Herrn +und des Anbruchs des Reiches. Dies darf man für die Erklärung des τοῦτο +ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν nicht ausser Acht lassen. Danach ist +die ἀνάμνησις doppelseitig: nach rückwärts eine Erinnerung an den Tod +Jesu, nach vorwärts ein Gedenken an seine Parusie. Die Feier gilt dem +Gekreuzigten, der als Messias bei seiner Ankunft offenbart werden wird, +als welcher er schon jetzt durch die Auferstehung zur Rechten Gottes +erhöht ist. + +Bedenkt man nun, dass die historische Relation des eschatologischen +Schlussworts im zweiten Akt abgefallen ist, dass aber nach der +Vorstellung Pauli beide Akte mit der Erwartung der Parusie in +Zusammenhang stehen, so liegt es nahe, in dem τοῦτο ποιεῖτε, als +Konstatierung oder als Wiederholungsbefehl gefasst, ~die paulinische +Form des beiden Akten beigesetzten eschatologischen Schlussworts zu +sehen.~ + +Für den ersten Akt ist dies eine künstliche Angliederung, da historisch +dieser Hinweis nur mit dem Kelchwort in Beziehung steht, wo der +Genuss konstatiert ist; der erste Akt mit seinem ἔκλασεν ist gar +nicht darauf angelegt. Daraus entsteht bei Paulus eine unerträgliche +grammatikalische Verwirrung. Die Parallele zu dem ὁσάκις ἐὰν πίνητε, +das erwartete ὁσάκις ἐὰν ἐσθίητε, fehlt in der Form des τοῦτο ποιεῖτε +von V. _24_. Unter dem ποιεῖν kann also für den ersten Akt nur das +erwähnte ~Brechen~ verstanden sein. Aus V. _25_ und _26_ geht aber +hervor, dass, dem ποιεῖν des zweiten Akts entsprechend, der Genuss, +nämlich das Essen, darunter verstanden werden muss. Grammatikalisch +allein berechtigt wäre: so oft ihr dieses Brot brechet und diesen Kelch +trinket; thatsächlich aber soll es bedeuten: so oft ihr dieses Brot +esset. So ist auch das γάρ zu verstehen, welches V. _26_ mit V. _24_ +und _25_ zugleich verbindet, sofern es als Wiederholung der dort von +Jesu gemeinten Handlung das Essen und Trinken voraussetzt. + +Die Gleichbildung ist also trotz des latenten Widerstandes des ersten +Aktes erreicht. An beide Gleichnisse schliesst sich das Wort von der +Heilsbedeutung des Todes und der eschatologische Hinweis an. + +Dabei entgeht Paulus durch die Form, in der er diesen Hinweis bietet, +einer grossen Schwierigkeit. Dieses Wort ist in der ursprünglichen +Gestalt ein ~Schlusswort.~ Fügt man es in dieser Form dem ersten Akt +an, so wird die Handlung in der Mitte auseinander gerissen, da dann +Jesus schon beim Brot die Feier beschliesst. Diese Schwierigkeit hat +Lukas gefühlt, als er die paulinische Vorstellung in den synoptischen +Bericht zu übertragen unternahm. + + +=4. Der lukanische Bericht= (Lk 22 _14-20_). + +Lukas bringt zuerst das eschatologische Schlusswort in direkter Rede +für beide Akte. Für das Kelchwort lag die Form der älteren Synoptiker +vor. Er nimmt die Matthäusform, weil er die Aufforderung zum Genuss, +welche Paulus nicht bietet, voraussetzt. Durch die Auslassung des +Wortes vom Blut wird folgendes Kelchwort hergestellt Lk 22 _17_ u. +_18_: καὶ δεξάμενος ποτήριον εὐχαριστήσας εἶπεν· λάβετε τοῦτο καὶ +διαμερίσατε εἰς ἑαυτούς· λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ πίω ἀπὸ τοῦ νῦν ἀπὸ +τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου ἕως ὅτου ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἔλθῃ. + +Der Versuch nimmt sich gut aus; das διαμερίσατε hat zugesetzt werden +müssen, damit man die später folgende Darreichung des Kelches (V. +_20_) nicht vorwegnehme; das eingefügte γάρ stellt in Verbindung mit +dem διαμερίσατε zur Not einen logischen Gedankenzusammenhang her; +das καινόν (vgl. Mt 26 _29_) blieb besser weg, weil dieses Adjektiv +nachher als erklärender Zusatz zu διαθήκη figuriert; der Farbenton der +eschatologischen Aussage ist etwas verblasst (Matthäus ἕως τῆς ἡμέρας +ἐκείνης ὅταν αὐτὸ πίνω μεθ' ὑμῶν καινὸν ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ πατρός μου· +Lukas ἕως ὅτου ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἔλθῃ). + +Schwieriger war die Formulierung des eschatologischen Schlussworts für +den ersten Akt, da hier kein behauenes Material vorlag und das Wort +über dem Brot seinen Widerstand gegen die aufgezwungene Verbindung mit +irgend einem eschatologischen Hinweis schon bei Paulus hinreichend +bekundet hatte. Ein einziger Ausweg bot sich dar: das eschatologische +Schlusswort, da es einmal für die Handlung des Essens gefordert war, +auf die ganze Mahlzeit zu beziehen. Dieser Fassung kam der Gedanke +zu Hülfe, dass möglicherweise die historische Feier ein Passahmahl +gewesen; das neukonstruierte eschatologische Schlusswort für das Essen +bezieht sich bei Lukas also auf das Passahmahl, das Jesus mit den +Seinen feiert. _15_ καὶ εἶπεν πρὸς αὐτούς· ἐπιθυμίᾳ ἐπεθύμησα τοῦτο τὸ +πάσχα φαγεῖν μεθ' ὑμῶν πρὸ τοῦ με παθεῖν· _16_ λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ +φάγω αὐτὸ ἕως ὅτου πληρωθῇ ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ. + +Die Benutzung des Passahgedankens ermöglicht Lukas, eine Mahlfeier +darzustellen, ~bei der sowohl das Essen als das Trinken einen +eschatologischen Hinweis erhalten.~ Dabei wird aber die historische +Feier auseinandergerissen! Zuerst kommen die beiden eschatologischen +Worte; sie werden in den Verlauf der Passahmahlzeit gerückt. Das erste +bildet zugleich eine stimmungsvolle Einleitung. Von dem Wort über dem +Brot wird dadurch nichts vorausgenommen: nur mit dem Wort über dem +Becher hat es seine Schwierigkeit. Um das Kelchwort, welches dann bei +der eigentlichen historischen Feier eintritt, von dem vorhergehenden, +welches im Rahmen des Passahmahls verlief, genau abzuheben, wird es +in der paulinischen Form berichtet: τὸ ποτήριον μετὰ τὸ δειπνῆσαι +λέγων· τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐν τῷ αἵματί μου: soweit +geht die Uebereinstimmung. Nun ist aber der eschatologische Hinweis +nach Paulus (I Kor 11 _24_ u. _25_ τοῦτο ποιεῖτε etc.) schon beim +ersten Passah-Kelchwort verbraucht; deswegen wird hier nach Matthäus +zurückmoduliert und τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενον eingesetzt; aus diesem +Grunde war schon an Stelle des paulinischen ἐν τῷ ἐμῷ αἵματι das +altsynoptische ἐν τῷ αἵματί μου eingetreten. + +Der erste Akt wird nach Paulus beschrieben; aus den Synoptikern ist die +ausdrückliche Erwähnung der Darbietung (ἔδωκεν-διδόμενον) eingedrungen. +Das τοῦτο ποιεῖτε ist stehen geblieben, weil das eschatologische Wort +hinsichtlich des Essens sich auf das Passahmahl allgemein bezieht. + +Der Bericht des Lukas erklärt sich litterarisch einfach als ein +Versuch, die bei Paulus erreichte Gleichbildung der beiden Akte +unter Zuhülfenahme des Zusammenhangs der historischen Feier mit dem +Passahmahl in die synoptische Geschichtserzählung zurückzutragen. +Daraus resultiert dann folgender Verlauf der Feier: Jesus weist zu +Anfang des Passahmahls darauf hin, dass er es erst im Gottesreiche +wieder mit den Jüngern feiern wird. Solches wiederholt er beim ersten +Herumreichen des Kelches. Bei einer Brotdarreichung im Verlaufe der +Feier spricht er das Gleichnis von seinem Leibe, desgleichen beim Kelch +das Gleichnis von seinem Blute. Beide Akte sind absolut gleich durch +die Geltendmachung des Heilswertes der Dahingabe (V. _19_ τὸ ὑπὲρ +ὑμῶν διδόμενον, V. _20_ τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενων). Auch bei dieser +Gleichbildung geht es ohne stilistische Härte nicht ab, sofern nämlich +im zweiten Akt von einem vergossenen Kelch die Rede ist, während das +Blut gemeint ist. + +Wie bei Paulus werden beide Akte durch das τοῦτο ποιεῖτε abgeschlossen. +Wir haben also eine bis auf den gemessenen Rythmus in der Sprache sich +erstreckende Gleichbildung. Freilich ist dabei der Schluss der Feier +verloren gegangen. Das stolze Wort von dem Wiedertrinken in des Vaters +Reich ist schon für den Anfang der Passahfeier verbraucht, statt dass +es, wie bei Markus und Matthäus, zum Aufbruch überleitet. Dafür finden +hier die Episoden von der Bezeichnung des Verräters, dem Rangstreit +und der Verwarnung des Petrus ihren Platz (Lk 22 _21-38_), wobei die +Schilderung des feierlichen Aufbruchs nach dem Lobgesang (Mk 14 _26_ += Mt 26 _30_) unterbleibt. »Er ging nach seiner Gewohnheit an den +Oelberg« (Lk 22 _39_: καὶ ἐξελθὼν ἐπορεύθη κατὰ τὸ ἔθος εἰς τὸ ὄρος τῶν +ἐλαιῶν). + +Eine originelle Auffassung von dem Wesen der historischen Feier liegt +dieser Darstellung nicht zu Grunde. In keinem Falle ist sie aus dem +Bestreben hervorgegangen, die Trennung des »Abendmahls« von der +gemeinsamen religiösen Mahlzeit, welche bei Paulus angebahnt sein +soll, historisch zu begründen! Dieser formlose Bericht ist nur aus dem +Prinzip παρηκολουθηκότι ἄνωθεν πᾶσιν ἀκριβῶς καθεξῆς γράψαι(Lk 1 3) zu +erklären. + +Es ist daher nicht zu erwarten, dass durch Streichung oder +Versversetzung aus der lukanischen Darstellung sich ein Bericht +gewinnen lässt, der auf eine originelle ältere Vorstellung der +historischen Feier zurückgeht. Mehr als durch solche Versuche wird +man dem Wert der lukanischen Darstellung gerecht, wenn man das +schriftstellerische Geschick, das ästhetische Feingefühl und den +liturgischen Schwung würdigt, von denen diese Schilderung Zeugnis gibt. + + +=5. Der justinische Bericht= (I Apol. 66). + +Hier vollzieht sich die Gleichbildung durch Verkürzung des zweiten Akts +nach Analogie des ersten. Die berichtete Feier beschränkt sich auf zwei +rätselhafte Worte Jesu. Nach einem Dankgebet über dem Brot spricht er: +»dies ist mein Leib«, desgleichen beim Kelch: »dies ist mein Blut« +(τὸν Ἰησοῦν λαβόντα ἄρτον εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν· τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν +ἀνάμνησίν μου, τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου. καὶ τὸ ποτήριον ὁμοίως λαβόντα +καὶ εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν· τοῦτό ἐστι τὸ αἷμά μου). + +Es fehlt das Brechen des Brots, der Hinweis auf den Wert der Dahingabe +und die Hervorhebung des erwarteten oder erfolgten Genusses im zweiten +Akt. Auch das eschatologische Schlusswort ist ausgefallen. Nur beim +ersten Akt findet sich das τοῦτο ποιεῖτε in der paulinischen Form, +wobei aus τὴν ἐμὴν ἀνάμνησίν (I Kor 11 _24_) τὴν ἀνάμνησίν μου geworden +ist. + +Hier steigert sich aber der Widerstand des ersten Akts gegen einen +derartigen Eintrag bis zur Unerträglichkeit. Worauf soll sich das +ποιεῖν beziehen? Auf das vorausgehende Gebetswort? Das Brechen ist +nicht erwähnt, der Genuss vorausgesetzt, aber nicht hervorgehoben. So +ist das τοῦτο ποιεῖτε hier für die grammatikalische Auslegung sinnlos +und die Erwähnung desselben ~bei dem ersten Akt allein~ unverständlich. + +Bei dieser verkürzten Darstellung ist die ganze historische Situation +interesselos geworden. Zwar erwähnt Justin Dial. 41, 70 und 117, dass +in der Gemeindefeier auch die Erinnerung an Jesu Tod mit hereinspielt. +In seinem Bericht aber fehlt jede Andeutung, dass dieses Mahl in der +Nacht vor dem Tod stattgefunden hat. + +Aus dem »justinischen Bericht« allein wüssten wir also nur, dass Jesus +bei einem Mahle, nachdem er das Dankgebet über dem Brot gesprochen, +seinen Jüngern geboten habe, diesen Brauch zur Erinnerung an ihn +festzuhalten; danach habe er fortfahrend das gesegnete Brot als seinen +Leib und den gesegneten Kelch als sein Blut bezeichnet. + + + + +Dreizehntes Kapitel. + +=Die Authentie des Markusberichts.= + + +=1. Der Beweis.= + +Authentisch ist ein Bericht, ~welcher in keiner Weise durch die +Vorstellung von der Gemeindefeier beeinflusst ist.~ Der Markusbericht +ist authentisch, weil sich dieser Nachweis für ihn führen lässt. + +Worauf beruht die ~Gleichbildung der beiden Akte~, welche alle +andern Berichte, wenn auch der Art und dem Grad nach verschieden, +im Unterschied zu Markus aufweisen? Auf dem Einfluss, welchen die +altchristliche Feier auf die Vorstellung der historischen ausübt. Die +Gemeindefeier war eine Mahlzeit, bei der dem Essen dieselbe Bedeutung +zukam wie dem Trinken. Ganz natürlich übertrug sich dies auf die +historische Feier. Man wusste also nicht anders, als dass Jesus beim +Brot und beim Wein in genau entsprechender Weise gehandelt und geredet +haben musste, sofern in der abgeleiteten Feier die gleiche Wertung des +Essens wie des Trinkens konstatiert wurde. So war die Gleichbildung der +beiden Akte für die historische Feier von der urchristlichen gefordert. + +Besässen wir nun den Markusbericht nicht, so würden wir an der +Gleichheit der beiden Akte nichts Besonderes finden, da dies auch +unserem Empfinden als das Natürlichste erscheint. Alle modernen +Rekonstruktionsversuche der »ursprünglichen Einsetzungsworte« vertreten +die Gleichbildung ebenfalls. Wir sind also auch geneigt, die Gleichheit +der beiden Akte ohne weiteres für selbstverständlich zu halten. + +Nun zeigt aber der Markusbericht, dass die Gleichheit der beiden +Akte nicht selbstverständlich ist. Also muss man entweder für die +Ungleichheit derselben bei ihm oder für die Gleichheit bei den andern +eine Erklärung suchen. Dabei ergibt sich, dass man wohl die andern +aus dem Markusbericht ableiten kann, ~nicht aber umgekehrt.~ Matthäus +und Paulus — der Lukasbericht ist ein rein litterarisches Produkt +— stellen die Feier nach dem zweiten Akt des Markus dar, Justin +nach dem ersten. Bringt man bei jedem die Gleichbildung der beiden +Akte entsprechend in Abrechnung, wozu die grammatikalischen Härten +und Unmöglichkeiten Anweisung geben, ~so erhält man jedesmal den +Markusbericht.~ + +Dabei zeigt sich in der Gleichbildung der beiden Akte noch eine +gewisse Entwicklung. Dass sie bei Matthäus noch nicht vollständig +durchgeführt ist, lässt erkennen, dass die Gleichheit der Akte nicht +das Ursprüngliche ist. Also muss sie ihren Grund in der historischen +Anschauung der alten Zeit haben, welche diese Berichte ~formuliert~ +hat. Da dieser allein in dem Mahlzeitcharakter der Essen und Trinken +gleichwertenden Gemeindefeier gegeben sein kann, steht fest, ~dass +diese Berichte durch das Medium der altchristlichen Auffassung der +Gemeindefeier hindurchgegangen sind. Markus steht ausserhalb dieses +Prozesses, weil er die Gleichbildung nicht aufweist; also ist er +authentisch.~ + +Dass die Vorstellung der historischen Feier bei Paulus und Justin +in einem sehr hohen Masse durch die Auffassung der Gemeindefeier +bedingt ist, liegt auf der Hand. Der historische Bericht ist bei ihnen +ja nur Mittel zum Zweck. Er soll eine bestimmte Anschauung von der +Gemeindefeier vertreten. Die Art, wie sie beide in Verbindung setzen, +geht weit über unsere Begriffe hinaus. Wir verstehen die Gemeindefeier +immer nur als eine entsprechende ~Wiederholung~ der historischen, +sofern sie aus der letzteren begründet wird. Paulus und Justin setzen +beide gleich, indem sie die Gemeindefeier mit der historischen Feier +gegeben sein lassen. Dabei entstehen dann Gedankengänge, die für uns +ganz überraschend sind. + +Es handelt sich um I Kor 11 _26_. In V. _24_ und _25_ vollzieht Jesus +die Einsetzung. Wer redet in V. _26_? Das γάρ, sofern es sich zum +Vorhergehenden begründend verhält, schliesst den Subjektswechsel aus. +Der Ausdruck τὸν θάνατον τοῦ κυρίου zeigt aber an, dass die historische +Situation verlassen ist und Paulus von der Gemeindefeier redet. Dazu +passt aber das γάρ nicht, denn was für die Gemeindefeier gilt, ist +nicht eine ~Begründung~ zu den Worten Jesu, sondern eine ~Folgerung~ +aus dem historischen Spruch. In diesem Satz vollzieht also Paulus den +Uebergang von der historischen Feier zur Gemeindefeier so, dass er +beide für einen Augenblick gleichsam zusammenschiebt. + +Darum schmilzt er zwei Sätze, von denen der erste der historischen +Situation, der zweite der Darlegung über die Gemeindefeier angehört, +ineinander. + + 1. Jesus zu den Jüngern im Anschluss an die Gleichnisse: »denn + (γάρ) so oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Wein + trinket, verkündet ihr meinen Tod, bis dass ich komme.« + + 2. Paulus der Gemeinde das Wesen ihrer Feier aus der historischen + erklärend: »Darum (ὥστε), so oft ihr von diesem Brot esset und + von diesem Wein trinket, verkündet ihr des Herrn Tod, bis dass er + komme.« + +Justin bietet ein Seitenstück zu diesem schillernden Uebergang. Er +fasst in der berühmten Darlegung I Apol. 65 und 66 die historische +Feier und die Gemeindefeier in einem gemeinsamen Ausdruck zusammen, +indem er sie bezeichnet als: ἡ δι' εὐχῆς λόγου τοῦ παρ' αὐτοῦ (sc. +Jesu) εὐχαριστηθεῖσα τροφή. Dieser Ausdruck bekundet eine Gleichsetzung +der beiden Feiern, die weit über unseren Begriff der entsprechenden +Wiederholung hinausgeht. Die Speise bei der Gemeindefeier ist, wie bei +der historischen, durch Jesu Gebetswort geheiligt. Ein Unterschied +besteht also nicht. + +Was die Gleichbildung der beiden Akte anzeigt, wird durch die +Argumentierung, mit welcher Paulus und Justin die Gemeindefeier mit +der historischen Feier verbinden, bestätigt: Sie sehen die historische +Feier nur in der Beleuchtung der Gemeindefeier. + +Solange die Textvergleichung ausschliesslich auf die Entdeckung der +wahrscheinlichsten und ansprechendsten Form der ~Einsetzungsworte~ +ausging, bestand die Vorstellung der Möglichkeit einer paulinischen +oder justinischen Sondertradition zu Recht, da beide »die +Einsetzungsworte« in sowohl unter sich unabhängigen als von den beiden +älteren Synoptikern grundverschiedenen Fassungen boten. Prüft man aber +die ~Berichte als Berichte~, frägt man sie, ohne den verlockenden +Anpreisungen ihrer »Einsetzungsworte« Gehör zu geben, was sie von +dem Verlauf und dem Wesen des gesamten historischen Vorgangs, bei +welchem diese Gleichnisse geredet wurden, wissen, dann ist es mit der +Scheinoriginalität aus. Es zeigt sich, dass sie sich die historische +Feier der ihnen geläufigen Gemeindefeier entsprechend vorstellen, +nur dass Jesus dabei Speise und Trank austeilt und die bekannten +Gleichnisse redet. Also geht auch ihre Fassung »der Einsetzungsworte« +nicht auf eine paulinische oder justinische Sondertradition zurück, +sondern sie ist geschichtlich aus der vorausgesetzten Gemeindefeier zu +erklären. Paulus und Justin differieren in ihren »Einsetzungsworten«, +weil und insofern die justinische von der paulinischen Gemeindefeier +differiert. Zwischen beiden muss in der Auffassung der Feier eine +Wandlung eingetreten sein. + +So führt die neue Problemstellung eine neue Auffassung der Authentie +mit sich, welche sich nicht mehr auf ~Meinungen, sondern auf Gesetze~ +gründet. Als authentisch gilt nicht mehr die kürzeste oder scheinbar +klarste Relation »der Einsetzungsworte«, ~sondern die Darstellung des +gesamten historischen~ Vorgangs, für welche eine Beeinflussung durch +die Gemeindefeier nicht nachgewiesen werden kann, ob uns nun die +betreffende »Einsetzungsformel« zusagt oder nicht. + +Bisher galt es für interessant, mit einer gewissen skeptischen +Nonchalance die Behauptung hinzuwerfen, dass wir über die Authentie +der Berichte niemals etwas wissen können. Selbst wenn unter unseren +Berichten ein authentischer sich befände, so hätten wir doch kein +Mittel, ihn unter den andern herauszufinden. Durch die neue Auffassung +der Authentie ist diese Skepsis abgethan. Wir besitzen einen +authentischen Bericht. Wer es bestreiten will, muss nachweisen, dass +der Markusbericht ein durch die andern Darstellungen desavouiertes +Phantasieprodukt ist. Authentisch oder sinnlos: das ist die einzig +offene Alternative. + + +=2. Die Folgerungen aus der Authentie des Markusberichts.= + +Die neue Auffassung der Authentie bezeichnet den ersten Erfolg der +neuen Problemstellung. Er öffnet dem neuen Lösungsversuch den Weg. +Jesus forderte die Jünger auf, seinen Leib zu essen und sein Blut zu +trinken: dieser angenommene gemeinsame Thatbestand aller Berichte +schien den Weg zu versperren. Durch die Authentie des Markusberichts +wird aber dieser Scheinthatbestand ausser Kraft gesetzt. Es ist +historisch bestätigt, was aus der Kritik der modernen Auffassungen +geschlossen wurde: Jesus hat seine Jünger nicht aufgefordert, seinen +Leib und sein Blut zu geniessen, sondern er hat die Gleichnisworte im +Verlauf, nicht vor dem Genuss gesprochen. Das Kelchwort kommt erst, +nachdem alle getrunken haben! + +Also haben wir einen Bericht, bei dem das Wesen der Feier nicht auf den +Gleichnissen, sondern auf dem feierlichen Vorgang beruht. Das hatte die +neue Problemstellung gefordert. Nun ist es Thatsache geworden. ~Also +ist das Abendmahlsproblem für die historische Kritik lösbar.~ + + +=3. Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis im Abendmahl.= + +Die Bedeutung der Darreichung der Genusselemente bleibt vorerst +rätselhaft. Nur das Negative ist klar, dass nämlich die Gleichnisse +nicht aus der symbolischen Handlung des Brechens und aus dem +vorausgesetzten Ausgiessen des Weins an sich erklärt werden dürfen. +Das darstellende Moment spielt in den Berichten keine Rolle und +verschwindet zuletzt ganz, wie der justinische Text zeigt, wo das +Brechen nicht einmal mehr erwähnt wird. + +Wollte man die Gleichnisse nach dem authentischen Markustext deuten, so +müsste man das erste aus dem Brechen, das zweite aus der Thatsache, +dass alle Jünger getrunken haben, erklären. Man bekäme also zwei ganz +verschieden geartete Gleichnisse. + +Die Gleichnisse vom Leib und Blut müssen aber irgendwie den +Leidensgedanken enthalten. Dass Jesus damit das Geheimnis seines +Leidens zum letztenmal ausgesprochen hat, ist in den Umständen dieses +letzten Zusammenseins gegeben. Wenn wir also die Gleichnisse nicht +richtig zu verstehen vermögen, kann dies nur daran liegen, dass wir das +~Geheimnis des Leidensgedankens~ falsch auffassen. + +Nun ist es die Eigentümlichkeit aller modern-historischen +Abendmahlsauffassungen, dass sie in der Feier ~den eschatologischen +Gedanken~ nicht zur Geltung bringen. Sie verwenden das Wort von dem +Neutrinken in des Vaters Reich nicht als eine das Wesen jenes letzten +Mahls mitkonstituierende Aussage, sondern machen daraus bestenfalls ein +Anhangswort. + +Im Markustext nimmt es aber eine Hauptstellung ein. Es ist das mit +erhobener Stimme feierlich und eindringlich gesprochene Schlusswort +der Feier. Dabei hängt es mit dem Wort vom vergossenen Blut eng und +unzertrennlich zusammen, so dass es mit ihm einen einzigen Gedanken +zu bilden scheint. ~Diese enge Verbindung zwischen dem Todes- und +Wiederkunftsgedanken ist charakteristisch für den zweiten Akt der +Situation bei Markus.~ + +Demselben Zusammenhang begegnen wir aber auch bei Paulus und zwar in +beiden Akten. Nach ihm — und er beruft sich dabei ausdrücklich auf den +historischen Hergang — besteht die Bedeutung des Essens und Trinkens +irgendwie in der Verkündigung des Todes des Herrn zugleich mit der +Erwartung seiner Parusie. »So oft ihr dieses Brot esset und diesen Wein +trinket, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis dass er komme.« + +In der authentischen Relation der historischen Feier und in der +ältesten Relation der Gemeindefeier haben wir also beidemal +eine organische Verbindung zwischen dem Leidensgedanken und der +eschatologischen Erwartung. Es ist daher falsch, das Wesen der Feier +in der letzten Aussprache des Todesgedankens allein zu finden. +~Nicht von seinem Tod, sondern von seinem Tod und der baldigen +Wiedervereinigung mit ihnen beim Mahle im neuen Reich~ hat Jesus zu +den Seinen geredet. Das Geheimnis seines Todes, welches bei dieser +Feier in der ergreifendsten und erhebendsten Weise zum letztenmal +von Jesus ausgesprochen wurde, enthält den Leidensgedanken im engsten +Zusammenhang mit der eschatologischen Erwartung. + +Die modern-historischen Abendmahlsauffassungen sind also unhistorisch, +weil der Leidensgedanke, mit dem sie operieren, keinen Zusammenhang +mit der Eschatologie aufweist. Darum können sie den wesentlichen +Grundzug der historischen Feier und der ältesten Gemeindefeier nicht +zum Ausdruck bringen. Um das Wesen des letzten Mahles zu begreifen, +bedarf es daher eines Einblicks in den eschatologischen Charakter des +Leidensgeheimnisses Jesu. Diesen kann man nicht aus der Feier selbst +gewinnen, da Jesus dort das Geheimnis im Gleichnis ausspricht. Das +Gleichnis aber vermögen wir nicht zu deuten. + +~Beim letzten Mahl handelt Jesus als Messias, und zwar als leidender +Messias.~ Wenn wir sein Handeln nicht verstehen, so liegt dies mithin +daran, dass wir sein Messianitäts- und Leidensgeheimnis falsch +verstehen. Das Abendmahl kann nur aus dem Zusammenhang des Lebens Jesu +begriffen werden. Unsere Abendmahlsauffassungen sind falsch — ~also +ist die Auffassung des Lebens Jesu, welche uns dazu geführt hat, auch +falsch.~ + +Das Abendmahlsproblem ist das Problem des Lebens Jesu! Eine neue +Abendmahlsauffassung kann nur aus einer neuen Auffassung des Lebens +Jesu hervorwachsen, welche das Messianitäts- und Leidensgeheimnis so +enthält, dass sein feierliches Handeln beim letzten Mahle begreiflich +und verständlich wird. ~Ein neues Leben Jesu:~ das ist der einzige Weg +zur Lösung des Abendmahlsproblems. + + + + +Anmerkungen zur Transkription: + +Die erste Zeile entspricht dem Original, die zweite Zeile enthält die +Korrektur. + + +S. XV: + + 3. Das Ergebnis des Textkritik + 3. Das Ergebnis der Textkritik + +S. 13: + + Vergleiche zum folgenden den verhängnisvollen Vortrag + Vergleiche zum Folgenden den verhängnisvollen Vortrag + +S. 17: + + sondern auf einer eschatologichen Vorstellung vom Endmahl + sondern auf einer eschatologischen Vorstellung vom Endmahl + +S. 25: + + wenn der Fall an sie herantritt, im stande seien, ihrerseits ihre Seele + wenn der Fall an sie herantritt, imstande seien, ihrerseits ihre Seele + +S. 54: + + τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαδήκη ἐν τῷ αἵματί μου + τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐν τῷ αἵματί μου + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Das Abendmahl im Zusammenhang mit dem +Leben Jesu und der Geschichte des Urc, by Albert Schweitzer + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS ABENDMAHL IM ZUSAMMENHANG *** + +***** This file should be named 44366-0.txt or 44366-0.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/4/4/3/6/44366/ + +Produced by Jana Srna, Michael Waddell, Eleni Christofaki +and the Online Distributed Proofreading Team at +http://www.pgdp.net + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. 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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Das Abendmahl im Zusammenhang mit dem Leben Jesu und der Geschichte des Urchristentums + Erstes Heft. Das Abendmahlsproblem auf Grund der + wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts und der + historischen Berichte. + +Author: Albert Schweitzer + +Release Date: December 5, 2013 [EBook #44366] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS ABENDMAHL IM ZUSAMMENHANG *** + + + + +Produced by Jana Srna, Michael Waddell, Eleni Christofaki +and the Online Distributed Proofreading Team at +http://www.pgdp.net + + + + + + + + + +Anmerkungen zur Transkription: + +Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden bernommen; +lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine Liste +der vorgenommenen nderungen findet sich am Ende des Textes. Folgende +Zeichen sind fr die verschiedene Schriftformen benutzt: + + _Kleinschrift_ + =fett gedruckter Text= + +kursiv gedruckter Text+ + ~gesperrt gedruckter Text~ + ^{hochgestellter Text} + + + + + Das Abendmahl + + im + + Zusammenhang mit dem Leben Jesu + + und der + + Geschichte des Urchristentums + + von + + Lic. Dr. Albert Schweitzer + + in Strassburg i. E. + + + Erstes Heft. + + Das Abendmahlsproblem + + auf Grund + der wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts + und der historischen Berichte. + + [Illustration] + + =Tbingen= und =Leipzig=. + Verlag von ~J. C. B. Mohr~ (Paul Siebeck). + 1901. + + + + + +Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen behlt sich die + Verlagsbuchhandlung vor.+ + + + C. A. Wagner's Universittsbuchdruckerei in Freiburg i. B. + + + + + Seinem Lehrer + + Herrn Prof. D. Dr. =H. J. Holtzmann= + + gewidmet + + in aufrichtiger Verehrung und treuer Anhnglichkeit + + von seinem dankbaren Schler + + =Albert Schweitzer=. + + + + +=~Vorrede~ zu einer neuen Untersuchung ber das Abendmahl.= + + +Der Anstoss zu der vorliegenden Arbeit ging von SCHLEIERMACHER aus. +Im Jahre 1897 erhielt ich nmlich als Thema fr meine schriftliche +Examensarbeit folgende Aufgabe gestellt: Die Abendmahlslehre +SCHLEIERMACHER's soll dargestellt und mit den im neuen Testament und in +den Bekenntnisschriften niedergelegten Auffassungen verglichen werden. + +Ich hatte mich bis dahin mit der Abendmahlsfrage gar nicht beschftigt +und war ber die neuesten Forschungen in keiner Weise orientiert, +hatte auch keine Zeit dies nachzuholen, weil die Arbeit innerhalb acht +Wochen abgeliefert werden musste. So war ich einzig auf die Texte und +die bekenntnismssigen Formulierungen der verschiedenen Konfessionen +angewiesen. + +Die SCHLEIERMACHER'sche Dialektik ersetzte mir aber alles. Sie +zergliedert nmlich das Problem so, dass es als Ganzes und zugleich in +allen Details vor einem steht. Man braucht nur geschichtlich Ernst zu +machen mit dem dialektischen Spiel, das er mit vollendeter Kunst zur +Beruhigung und Vershnung der Geister und zugleich zu seinem eigenen +sthetischen Ergtzen auffhrt, dann ist man genau auf dem Standpunkt +der modernen historischen Forschung angekommen. + +Ein Satz besonders ist hier entscheidend. In 139 _3_ der +Glaubenslehre redet er vom usseren Verlauf unserer Feier und +zeigt, wie wir uns bei der Reproduktion der historischen Umstnde +naturgemss auf das Wesentliche beschrnken mssen. Wollte man z. +B. einen bedeutenden Nachdruck auf den Zusammenhang, in welchem das +historische Mahl mit dem Passahmahl stand, legen, so wrde man alsbald +zur Folgerung gedrngt werden, dass das Abendmahl jetzt nicht mehr +das sein knne, als was es Christus gestiftet habe und also auch +wohl nicht knne von ihm als eine selbstndige und immer dauernde +Institution fr die Kirche verordnet sein. Dieses Bedenken, so fhrt +er dann fort, liegt so nahe, ~dass es sich leicht in der evangelischen +Kirche lautbarer machen kann, als bisher der Fall gewesen~, und +veranlasst natrlich die Frage, worauf unser Glaube in dieser Sache +eigentlich beruhe. Schwerlich wird sich behaupten lassen, dass aus +den uns aufbewahrten Worten Christi ~diese Absicht ganz bestimmt +hervorgehe.~ Vielmehr enthalten einige unserer Erzhlungen gar ~keinen +solchen Befehl~ (Markus und Matthus), und in den andern ist er nur +unbestimmt ausgedrckt (Lukas und Paulus); und da die Apostel aus den +Worten Christi beim Fusswaschen keinen solchen Befehl entnommen haben, +so ~htten sie auch Recht gehabt, aus dem Abendmahl ebensowenig eine +bestimmte und allgemeine Institution zu machen!~ Da nun aber offenbar +ist, dass sie das eine gethan haben und das andere nicht, so knnen +wir uns an das halten, ~was sie eingerichtet haben,~, ohne dass wir +zu entscheiden brauchten, ob Christus ihnen ber das Abendmahl noch +andere ausdrckliche Anweisungen gegeben, oder ob sie dieselben aus +seinen Worten gefolgert oder nur durch den unmittelbaren Eindruck der +Sache und durch die begleitenden Umstnde anders bestimmt worden sind +in Bezug auf das Abendmahl als in Bezug auf das Fusswaschen. In dem +letzten Fall wrden wir dann das Abendmahl nur nicht ganz in demselben +Sinn als eine unmittelbare Einsetzung Christi ansehen knnen, immer +aber doch glauben mssen, dass sie in seinem Sinn gehandelt haben, wenn +wir nicht auch in ihrem ~engsten Berufskreise ihr kanonisches Ansehen +aufgeben wollen~. + +Unsere Abendmahlsfeier beruht in letzter Linie nicht auf einer +ausdrcklichen Verordnung Jesu! GRAFE ist also ganz unschuldig! Was er +als ehrlicher Historiker in der Nachfolge anderer Historiker, von der +Wucht der Thatsachen gedrngt, bedchtig und schonungsvoll aussprach, +das hat SCHLEIERMACHER in seiner Glaubenslehre keck hingeworfen. +Whrend man aber dem eleganten Spiel des Dialektikers verstndnisvoll +zunickte, nahm man es dem ehrsamen Historiker gar bel, als er ungefhr +dasselbe zu sagen wagte. Vielleicht auch haben die temperamentvollen +Gegner GRAFE's diese Seite in ihrem SCHLEIERMACHER berschlagen oder +sie hielten dafr, dass der betreffende Abschnitt, weil er zeitlich +schon einige gute Jahrzehnte zurckliegt, auch in zweideutigen Dingen +als rechtglubig passieren drfe. Es ist merkwrdig: In der Theologie +darf heutzutage einer fast alles sagen, was er will, wenn er es nur +vornehm und geistreich mit einem gewissen eleganten Skeptizismus thut. +Fr den ehrlichen Menschen, der redet, weil sein Gewissen ihn zwingt, +ist man aber unnachsichtlich. + +Die Behauptung, die SCHLEIERMACHER zum erstenmal vollstndig klar +ausgesprochen hat, die dann aber fr Jahrzehnte ganz unter den +Tisch fiel, ist dazu angethan, einen im kantischen Sinn aus dem +dogmatischen Schlummer zu wecken. Sie zeigt nmlich, dass nicht +nur die kirchlichen, sondern geradesogut die wissenschaftlichen +Abendmahlsauffassungen dem wirklichen Thatbestand nicht gerecht werden. +Die kirchlichen Auffassungen setzen voraus, dass Jesus die Feier zur +Wiederholung bestimmt habe, knnen aber nicht nachweisen, dass er es +wirklich angeordnet hat, da der betreffende Befehl bei den ltesten +Zeugen fehlt. Eine Reihe wissenschaftlicher Auffassungen gehen davon +aus, dass die Feier nicht zur Wiederholung bestimmt war, knnen aber +dann nicht erklren, warum sie doch schon in der allerersten Gemeinde +aufkam -- und das ist doch auch eine unbedingt feststehende Thatsache. + +Der Zusammenhang zwischen den beiden Feiern, der historischen und der +Gemeindefeier, bleibt also gleich unbegreiflich, ob man sie durch den +Wiederholungsbefehl direkt kausal miteinander verbindet oder ob man +sich mit der Konstatierung der reinen zeitlichen Aufeinanderfolge +begngt und die Kausalitt dahingestellt sein lsst. ~SCHLEIERMACHER +ist der Hume der Kausalittsfrage im Abendmahlsproblem.~ + +Der Vergleich der verschiedensten und zeitlich so weit +auseinanderliegenden Abendmahlslehren mit der SCHLEIERMACHER'schen +Ansicht fhrte mich vor die Frage, was denn das Beharrende bei diesem +steten Wechsel der Auffassungen sei. Ist es nicht denkbar, dass alle +Phasen, in denen sich das Abendmahlsproblem auswirkt, durch dieselben +Gesetze beherrscht sind und dass also an diesen Gesetzen die wahre +historische Auffassung sich zu erproben hat? + +Nachdem ich daher meine Examensarbeit zu Ende gefhrt und die mir +in Umrissen schon vorschwebende neue Auffassung in allgemeinen +Strichen angedeutet hatte, machte ich mich daran, alle Epochen +der Abendmahlsfrage -- die altchristliche, die mittelalterliche, +die reformatorische und die moderne -- grndlich zu studieren, +fest entschlossen, nicht eher mit der neuen Auffassung an die +Oeffentlichkeit zu treten, als bis ich sie fr alle Epochen +durchgefhrt htte und so die Gewissheit bessse, dass sie die ganze +Geschichte des Abendmahls von der historischen Feier bis in die +neueste Zeit erklrt. Zu dieser Arbeit habe ich vier Jahre gebraucht. +Darum verffentliche ich, was mir schon im Herbst 1897, ~unabhngig +von der modernen Forschung, feststand~, erst im Herbst 1901, im +Zusammenhang mit der Darstellung und Beurteilung der historischen +Abendmahlsforschung im 19. Jahrhundert. + +Ich habe die Stellung des Problems an der wissenschaftlichen +Abendmahlsforschung im 19. Jahrhundert entwickelt, weil uns diese +Periode am nchsten liegt. Man htte aber geradesogut jede andere Phase +dazu benutzen knnen, da die Gesetze in allen dieselben sind. + +Die Absicht dieser Arbeit geht weiter als auf die Aufstellung einer +neuen historischen Abendmahlsauffassung. Sie verfolgt den praktischen +Zweck, ~die historische Grundlage unserer modernen Abendmahlsfeier +abzugeben und das Bestehende geschichtlich zu rechtfertigen.~ Es ist +nmlich nicht zu leugnen, dass unsere Gemeindefeier, nach dem jetzigen +Stand der Wissenschaft, in der Luft hngt. Wenn der Wiederholungsbefehl +historisch nicht fundiert ist, was soll dann unsere Wiederholung +bedeuten? + +Den Glubigen zwar ficht diese Sorge vorerst wenig an und soll ihn +wenig berhren. Es ist nicht die Sache der Leute, welche ber die +Brcke gehen, sich ngstlich darum zu kmmern, ob durch die Fluten die +Fundamente nicht langsam unterwaschen worden sind, sondern das liegt +den Architekten ob. Diese mssen, wenn sie eine Senkung auch nur von +einem Millimeter wahrnehmen, unverzglich einer eventuellen Katastrophe +entgegenarbeiten, sogar wenn den Passanten die Sache vorerst ganz +belanglos scheint. So muss auch die theologische Wissenschaft auf +das Fundament des Glaubens sehen und darauf achten, ob nicht die +historische Grundlage der Institution, welche gleichsam die Brcke vom +Vergnglichen zum Unvergnglichen bildet, durch den Strom der Zeit +unterwaschen ist und ob nicht durch die historische Weltanschauung eine +ganz andere Fundierung unserer Abendmahlsfeier notwendig wird als +bisher. + +SCHLEIERMACHER hat gesagt, dass das Bedenken, die Berechtigung der +Wiederholung betreffend, sich leicht in der evangelischen Kirche +lautbarer machen knnte, als bisher der Fall gewesen. Und wenn dies +nun eintritt, was dann? Solange das Problem der Berechtigung und +Notwendigkeit unserer Abendmahlsfeier wissenschaftlich nicht gelst +ist, kann durch den geringfgigsten Umstand eine die ffentliche +Meinung aufs usserste aufregende und unerquickliche dogmatische +Errterung dieser Frage eintreten, zu der der Fall GRAFE nur ein kurzes +idyllisches Vorspiel wre. + +Das Schlimmste dabei wre, dass diese Errterung, einmal in die +Oeffentlichkeit gezerrt, notwendig resultatlos bliebe. Denn der +wissenschaftlich denkende Mensch wird diese Frage immer wieder +aufwerfen mssen, whrend derjenige, der sich mehr auf den Standpunkt +des kirchlichen Glaubens stellt, sie notwendig niederschlagen wird, +in dem richtigen Empfinden, dass solche theoretische Bedenken eine +so heilige und erhebende und durch den urchristlichen Usus in +ihrer Art wieder so geschichtlich fundierte Feier nicht gefhrden +drfen. Der Verteidiger wird sogar eigentlich die Geschichte auf +seiner Seite haben. Denn, wenn das Abendmahl von Anfang an in der +christlichen Gemeinde gefeiert worden ist, so ist doch diese Thatsache, +vollstndig objektiv betrachtet, viel entscheidender als das Fehlen +des Wiederholungsbefehls in zwei alten Berichten. Wir haben es eben +mit einer ganz unerklrlichen Antinomie zu thun, bei der man sich sehr +hten muss, irgend welche Folgerungen gegen unsere Feier zu ziehen, +besonders wenn man bedenkt, dass man damit ein Stck des ltesten +und heiligsten Bestandes des christlichen Glaubens angreift. Nehmen +wir vorerst lieber an, dass uns der Schlssel zur Erklrung der +historischen und der urchristlichen Feier und zum Verstndnis ihres +Zusammenhangs fehlt. + +Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, gefhrliche Fragen in Angriff zu +nehmen, ehe sie die ffentliche urteilslose Meinung in Unruhe bringen, +den Zndstoff zu beseitigen und in der Stille segensreiche Arbeit zu +thun. + +Als SCHLEIERMACHER in seiner Glaubenslehre die damals nur in seiner +dialektischen Phantasie existierenden Parteien vor sich beschied, +mutete er ihnen zu, sich auf die Anerkennung des kanonischen Ansehens +der Apostel in ihrem engsten Berufskreise zu vergleichen. Auf diesen +Vergleich kann man aber im Ernst nicht eingehen. Das Sprchlein bannt +das Gespenst nicht. Wir wollen den Aposteln die gebhrende Ehrfurcht +sicher gern erweisen, aber unsere Abendmahlsfeier auf ihr kanonisches +Ansehen allein grnden, das drfen wir nicht. + +Rcken wir die Frage ins rechte Licht. Unsere Abendmahlsfeier +entspringt dem Vorgehen der ersten Gemeinde, zu der die Apostel +gehren. In die Geschichte bersetzt, lautet die Frage nach dem +kanonischen Ansehen der Apostel in ihrem engsten Berufskreise also +folgendermassen: Welches waren die Motive, durch welche die erste +Gemeinde bestimmt wurde, eine derartige im Zusammenhang mit dem letzten +Mahl Jesu stehende Feier zu begehen? War das Willkr oder Notwendigkeit? + +Daran schliesst sich eine zweite Frage, die SCHLEIERMACHER +unbercksichtigt gelassen hat. Wenn die erste Gemeinde aus bestimmten +Grnden die Feier wiederholt hat, gelten diese auch noch fr uns? +Besteht in der historischen Feier als solcher auch fr uns eine direkte +Notwendigkeit, dass wir daraus irgendwie eine Feier ableiten, oder +handelt es sich nur um etwas Ueberkommenes? + +Darauf lautet die Antwort der Geschichte: es war eine absolute +Notwendigkeit, dass das Abendmahl trotz des Fehlens des +Wiederholungsbefehls bei der ersten Gemeinde in Aufnahme kam, und +diese Notwendigkeit besteht auch noch fr uns zu Recht. Unsere Feier +grndet sich nicht auf die geschichtliche Ueberlieferung oder auf die +unkontrollierbare Autoritt bestimmter Persnlichkeiten, sondern direkt +auf die historische Feier. So ist unser Abendmahl berechtigt, geboten +und notwendig von sich selbst aus. + +Die neue geschichtliche Erkenntnis fhrt aber nicht nur die Vershnung +hinsichtlich der Berechtigungsfrage herbei, sondern auch hinsichtlich +der Frage nach der Bedeutung der Feier. + +Niemand kann sich der Einsicht verschliessen, dass unsere Feier +eigentlich sehr drftig und unlebendig ist, wenn sie nur auf die +Darstellung eines Doppelgleichnisses durch die Reproduktion einer +historischen Situation geht, wo der Pfarrer die Stelle Jesu und die +Glubigen die Stelle der Jnger einnehmen. Andererseits stellen die +konfessionellen Auffassungen Zumutungen an ernste Christen, die sie +entweder zur Gedankenlosigkeit oder zur Gewissenlosigkeit erziehen und +den Zweifel und Spott geradezu herausfordern. + +Knnten beide Auffassungen aus ihrer Sprache heraustreten, dann +wrden sie darin bereinkommen, dass der Sinn der Feier etwas +Geheimnisvolles ist, wo der Einzelne mit der feiernden Gemeinschaft +und der Persnlichkeit unseres Herrn in ein besonders heiliges +Verhltnis tritt. Nun zwingen aber die unglcklichen Einsetzungsworte +den Einen durch die rein symbolische Deutung hinter diesem Geheimnis +zurckzubleiben, den Andern durch die wrtliche Deutung ber dieses +Geheimnis hinauszugehen und das Unfassbare zu behaupten. Die +Vermittlungsversuche sind am schlimmsten daran. In der Sache und dem +religisen Gehalt nach mgen sie richtig sein, aber in der Deutung +der Gleichnisse sind sie gequetscht und geknstelt, dass ein Mensch +mit ehrlichem Verstand sie nicht zu ertragen vermag. So wie die +Einsetzungsworte liegen und nach der Rolle, die man ihnen bisher +in der Feier zuwies, sind nur die rein symbolische oder die krass +realistische Deutung zulssig. Was dazwischen ist, ist vom Uebel. + +Auch hier bringt die wahre geschichtliche Erkenntnis die Befreiung +von der unnatrlichen Alternative, indem sie zeigt, dass die +Stellung, die man den Gleichnissen in dem Ganzen der Feier anwies, +geschichtlich falsch ist. Die urchristliche Feier beruht nicht auf +den Einsetzungsworten -- dies ist mein Leib, dies ist mein Blut -- +obwohl diese Worte bei der historischen Feier gesprochen worden sind. +Also ist auch unsere Auffassung unabhngig von diesen rtselhaften +Gleichnisworten. + +Diese kurzen Andeutungen mgen zeigen, dass diese Arbeit in einem +praktisch aufbauenden und vershnenden Geiste geschrieben ist. +Zwar wird man, von den gewohnten Auffassungen herkommend, zunchst +mannigfach an dieser Untersuchung Anstoss nehmen, da sie die Vershnung +nicht durch eine neue Vermengung oder Verdunkelung, sondern einzig +und allein durch geschichtliche Wahrhaftigkeit und Unbefangenheit +herbeifhren will. ~Wir mssen an die Geschichte glauben~, d. +h. wir mssen der Zuversicht sein, dass mit dem Fortschritt der +geschichtlichen Erkenntnis zugleich die Vertiefung und Einigung im +Glauben notwendig verbunden ist, obwohl es manchmal vorerst nicht den +Anschein hat. In diesem Glauben habe ich diese Untersuchung begonnen +und zu Ende gefhrt. + +Diese Arbeit erscheint in drei Heften. ~Das erste~ behandelt das +Problem, wie es sich aus der Forschung des 19. Jahrhunderts und aus den +Berichten ergibt. ~Das zweite~ sucht die Grundlage der historischen +Feier in dem Leben und in den Gedanken Jesu. Es stellt sich dar als die +Skizze einer neuen Auffassung des Lebens Jesu. Das ~dritte~ behandelt +das Abendmahl in der urchristlichen und in der altchristlichen Epoche +und zeigt, wie sich daraus die rmische Messe und das griechische +Mysterium mit gleicher Berechtigung und Notwendigkeit entwickelt haben. +Das erste und das zweite Heft erscheinen miteinander. Das dritte wird +denselben in thunlichster Blde folgen. + +Zum Schluss fhle ich mich gedrungen, allen meinen Freunden, die mir +bei dieser Arbeit behlflich gewesen sind, den Herrn Pfarrern A. ERNST +und R. WILL zu Strassburg, A. HUCK und ED. UNSINGER zu Schiltigheim und +dem Herrn Vikar ALFRED ERICHSON in Strassburg, meinen tiefgefhlten +Dank auszusprechen. + + ~Strassburg~, im August 1901. + + + + +=Inhaltsangabe des ersten Heftes.= + + + Seite + + ~Vorrede zu einer neuen Untersuchung ber das Abendmahl~ V-XII + + + =Erster Teil.= + + =Das Abendmahlsproblem auf Grund der wissenschaftlichen Forschung des + 19. Jahrhunderts= 1-44 + + + +Erstes Kapitel+ 1-5 + + =Einleitung.= + + 1. Der Skeptizismus in der Abendmahlsforschung 1-2 + + 2. Der Ansatzpunkt 2-3 + + 3. Die Einzelfragen 3-5 + + 4. Die vier Typen der Abendmahlsauffassungen 5 + + + +Zweites Kapitel+ 5-7 + + =Das Vorspiel. Zwingli und Calvin.= + + + +Drittes Kapitel+ 7-10 + + =Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des + Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung des Genussmoments.= + + 1. Die erste Hlfte des 19. Jahrhunderts. DE WETTE, EBRARD und RCKERT + 7-8 + + 2. Die zweite Hlfte des 19. Jahrhunderts. TH. KEIM, K. V. WEIZSCKER, + WILLIBALD BEYSCHLAG, H. HOLTZMANN, PAUL LOBSTEIN, W. SCHMIEDEL + 8-10 + + + +Viertes Kapitel+ 10 + + =Ueberblick ber die Auffassungen mit Zugrundelegung des + Genussmoments.= + + + +Fnftes Kapitel+ 11-21 + + =Die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.= + + 1. Die Vorperiode. FR. STRAUSS, BRUNO BAUER, E. RENAN 11-13 + + 2. Die modernen Versuche. W. BRANDT, FR. SPITTA, A. EICHHORN 13-14 + + 3. W. BRANDT 14-15 + + 4. FR. SPITTA 15-16 + + 5. Kritik der Auffassung SPITTA's 16-18 + + 6. A. EICHHORN 18-19 + + 7. Die neue Thatsache 19-20 + + 8. Die Skepsis in der Folge der einseitigen Herausarbeitung des + Genussmoments 20 + + 9. Der logische Grund der Skepsis 20-21 + + + +Sechstes Kapitel+ 21-26 + + =Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments + und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments.= + + AD. HARNACK, ERICH HAUPT, FR. SCHULTZEN, R. A. HOFFMANN. + + 1. Allgemeines 21-22 + + 2. AD. HARNACK 22-23 + + 3. ERICH HAUPT 23-24 + + 4. FR. SCHULTZEN 24-25 + + 5. R. A. HOFFMANN 25-26 + + + +Siebentes Kapitel+ 26-31 + + =Der gesetzmssige Zusammenhang zwischen den Einzelfragen.= + + 1. Der Wiederholungsbefehl 26-27 + + 2. Das Abendmahl und die urchristliche Gemeindemahlzeit 27-30 + + 3. Die Antinomie zwischen der historischen und der urchristlichen Feier + 30-31 + + + +Achtes Kapitel+ 31-37 + + =Die Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des + Darstellungsmoments.= + + 1. Das Gefechtsfeld 31-32 + + 2. Der Verteidigungsplan. P. W. SCHMIEDEL 32-34 + + 3. Die Offensive. ADOLF JLICHER 34-36 + + 4. Die Skepsis in den Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des + Darstellungsmoments 36-37 + + + +Neuntes Kapitel+ 37-44 + + =Die neue Problemstellung.= + + 1. Das Ergebnis der Untersuchung 37-40 + + 2. Der neue Weg 40-44 + + + =Zweiter Teil.= + + =Das Abendmahlsproblem auf Grund der historischen Berichte= 45-62 + + + +Zehntes Kapitel+ 45-48 + + =Die textkritischen Fragen.= + + 1. Cod. D. Die textkritische Hauptfrage 45-46 + + 2. Abweichende Lesarten 47 + + 3. Das Ergebnis der Textkritik 47-48 + + + +Elftes Kapitel+ 48-50 + + =Die Eigenart des Markusberichts= (Mk 14 _22-26_). + + + +Zwlftes Kapitel+ 50-56 + + =Der Vergleich der Berichte.= + + 1. Das Prinzip der Gleichbildung 50 + + 2. Der matthische Bericht (Mt 26 _26-29_) 50-51 + + 3. Der paulinische Bericht (I Kor 11 _23-26_) 51-53 + + 4. Der lukanische Bericht (Lk 22 _14-20_) 53-55 + + 5. Der justinische Bericht (I Apol 66) 55-56 + + + +Dreizehntes Kapitel+ 56-62 + + =Die Authentie des Markusberichts.= + + 1. Der Beweis 56-60 + + 2. Die Folgerungen aus der Authentie des Markusberichts 60 + + 3. Das Messianitts- und Leidensgeheimnis im Abendmahl 60-62 + + + + +=Erster Teil.= + +=Das Abendmahlsproblem auf Grund der wissenschaftlichen Forschung des +19. Jahrhunderts.= + + +Erstes Kapitel. + +=Einleitung.= + + +=1. Der Skeptizismus in der Abendmahlsforschung.= + +Es gibt Fragen, welche in dem Denken der Menschheit auftauchen, das +volle geistige Interesse einer Epoche in Anspruch nehmen und dann +wieder zurcktreten, ohne ihre Lsung gefunden zu haben und ohne dass +es klar ist, wie sie ungelst an Interesse verlieren konnten. + +Jahrhunderte gehen darber hin. Dann, durch eine Wendung in der +Geschichte, wird dieselbe Frage wieder in den Vordergrund geschoben und +das Spiel wiederholt sich. + +Zu diesen intermittierenden Vulkanen gehrt die ~Abendmahlsfrage.~ +Drei Aktionsperioden sind bis jetzt zu verzeichnen. Die erste ist die +lngste. Sie dauert ungefhr zehn Jahrhunderte. Mit der Dauer steht die +Intensitt im umgekehrten Verhltnis. Wir haben keinen feuerspeienden +Berg, sondern einen Krater mit langsamem Lavaausfluss. Einige Erdstsse +-- die frnkischen Abendmahlskontroversen -- bezeichnen den Schluss der +Aktionsperiode. + +Die Art, wie die Frage in der Reformationszeit neu auftaucht, ist +in hchstem Grade berraschend. Man sollte meinen, dass, in dem +gemeinsamen Gegensatz aller reformatorischen Auffassungen zur rmischen +Theorie, die innerprotestantischen Gegenstze gerade in dieser +Frage Aussicht hatten, bis auf weiteres latent zu bleiben. Statt +dessen wird gerade die Abendmahlsfrage der Pol, nach dem sich die +Gedanken orientieren. Diese zweite, dogmatische Periode, war in ihrem +eigentlichen Verlauf ebenso kurz wie heftig. Sie umfasst kaum drei +Jahrzehnte. Dann wird die Abendmahlsfrage fr die Dogmatik eine Frage +neben andern. SCHLEIERMACHER's Glaubenslehre, die wissenschaftliche +Begrndung der Vermittlungsversuche, behandelt sie fast anhangsweise. + +Die dritte Periode wird durch die historisch-kritische Forschung +heraufgefhrt. Wir stehen mitten darin, so aber, dass die Mittagszeit +bereits hinter uns liegt. Schon kndigt sich nmlich die Erschpfung +an. Nachdem eine Reihe der letzterschienenen Abhandlungen die +Zuversicht, das Problem durch die historische Kritik lsen zu knnen, +nicht mehr so entschieden zur Geltung kommen liessen, wie dies frher +der Fall war, greift jetzt eine ausgesprochen skeptische Stimmung +Platz, deren Sprache man in dem Aufsatz EICHHORNS's[1] vernehmen kann. + +An diesem Skeptizismus ist etwas unbedingt Berechtigtes. Er geht +nmlich von der Thatsache aus, dass durch die ganze Forschung des 19. +Jahrhunderts die Lsung des Problems ferner gerckt ist als je. Die +Schwierigkeiten sind gerade durch die historisch-kritische Methode in +viel strkerem Masse hervorgetreten, als man frher jemals ahnen konnte. + +Unberechtigt daran ist aber die Art, der historischen gewissenhaften +Kritik gegenber vornehm zu thun und aus der Thatsache, dass sie bis +jetzt in dem Problem nicht zum Ziele gefhrt hat, ihre Inferioritt +einer excentrischen berkritischen Unkritik gegenber zu proklamieren. +Statt dessen sollte man eher nach den Grnden forschen, warum die +historische Kritik die Lsung dieser Frage bisher nicht herbeifhren +konnte. + + +=2. Der Ansatzpunkt.= + +Das Abendmahlsproblem setzt sich aus einer Reihe von Einzelfragen +zusammen, die in den verschiedenen Auffassungen verschieden beantwortet +und verschieden mit einander in Zusammenhang gebracht werden. +Gewhnlich dreht sich nun die Kritik um diese Einzelfragen. Man +untersucht, ob die Fassung der Einsetzungsworte haltbar ist, ob die +Exegese der Gleichnisse richtig ist, wie die betreffende Abhandlung +sich zur chronologischen Frage stellt, auf welche Art sie den +behaupteten oder verneinten Zusammenhang zwischen Abendmahl und Passah +begrndet und dergleichen. + +~Der folgenden Untersuchung kommt es mehr auf die Gesamtauffassung +an und auf den Zusammenhang, in welchem die Einzelfragen unter +einander stehen.~ Wchst eine Abendmahlsanschauung aus einer Reihe von +selbstndigen Entscheidungen ber die schwebenden Einzelfragen heraus, +oder sind nicht diese Einzelfragen durch einen inneren verborgenen +Mechanismus so mit einander verbunden, dass mit der einen zugleich ber +die andern entschieden wird? Welches sind die Gesetze, nach denen sich +die Einzelfragen im Abendmahlsproblem gegenseitig bedingen? Das ist +die Frage, welche uns beschftigt. Nur sie kann uns darber Aufschluss +geben, warum die historisch-kritische Methode nicht zum Ziele fhren +konnte. + + +=3. Die Einzelfragen.= + +Liegt die Bedeutung der Gleichnisse darin, dass Jesus das Brot bricht +und den Wein im Kelch herumreicht? Oder beruht sie darin, dass die +Jnger dieses Brot essen und diesen Wein trinken? + +Hat er die Worte ber Brot und Wein als Gleichnisse gemeint, oder will +er damit andeuten, dass die Jnger seinen Leib und sein Blut durch den +Genuss sich irgendwie aneignen? + +Fand das Mahl im Zusammenhang mit dem Passahmahl statt, sodass fr die +Worte Jesu und ihr Verstndnis Passahgedanken vorausgesetzt werden +drfen? + +Erlaubt es die Chronologie der Evangelien, Jesum noch am Passahabend im +Kreise seiner Jnger zu sehen? + +Hat er den Jngern befohlen, die Feier zu wiederholen? + +Was hat er ihnen zu wiederholen geboten? + +Ist es mglich, dass der Stifter ihnen zumutet, seine eigenen Worte +zu wiederholen, die nur in seinem Munde und in jenem historischen +Momente einen Sinn haben? + +Angenommen, der Wiederholungsbefehl ist nicht historisch, wie kommen +denn die Jnger dazu, die Feier dennoch zu wiederholen? + +Wie ist es mglich, dass im Urchristentum Paulus die Wiederholung als +auf den Herrn zurckgehend in die Darstellung der historischen Feier +eintrgt? + +Wie erklrt sich das Fehlen des historischen Berichts im vierten +Evangelium, da doch Kap. 6 die Feier voraussetzt? + +Steht es im allgemeinen nicht so, dass mit der Annahme des +Wiederholungsbefehls das psychologische Verstndnis der historischen +Feier unmglich wird, whrend unter Voraussetzung seines Fehlens die +Wiederholung in der ersten Gemeinde ganz unbegreiflich ist? + +Hat sich das Abendmahl an ein Passahmahl angeschlossen, wie ist +dann, mit oder ohne Wiederholungsbefehl, die ~tgliche Feier~ in der +urchristlichen Zeit begreiflich? + +Waren Agape und Herrenmahl getrennt, standen sie in irgend einem +Zusammenhang, oder waren sie identisch? + +Wie verlief berhaupt die Herrenmahlsfeier im Urchristentum? Wie +sind die Angaben der Didache mit den paulinischen Schilderungen und +Forderungen in I Kor 11 zu vereinigen? + +In welchem Verhltnis stehen die Kunde und die Auffassung der +historischen Feier, welche die Didache und Paulus voraussetzen, zu dem +Bilde der historischen Feier in den Synoptikern? + +Wie erklrt sich das gnzliche Zurcktreten des Leidensgedankens und +der Situation der historischen Feier in der Didache? + +Welche Bedeutung kam dem eschatologischen Moment in der urchristlichen +Abendmahlsfeier zu? + +In welchem Zusammenhang steht das eschatologische Schlusswort Jesu von +dem Neutrinken im Reich des Vaters mit dem Verlauf der historischen +Feier? + +Wie lassen sich die Abweichungen der synoptischen Berichte erklren? + +Die paulinische Darstellung ist die chronologisch lteste; der +Lukastext nach Cod. D der krzeste; der Markustext steht im +Zusammenhang mit der einfachsten und glaubwrdigsten evangelischen +Geschichtsdarstellung, und der justinische Bericht ist mglicherweise +unabhngig von unseren Evangelien. Welchem der vier grundverschiedenen +Texte gebhrt der Vorzug? + +In welche Verbindung stellte das Urchristentum die Teilnahme am +Herrenmahl mit der Vorstellung von der Erlsung? + +Wir nehmen an, die Reproduktion der Herrenworte bei der urchristlichen +Feier ist eine freie gewesen; die Bedeutung dieser Worte konnte aber +nur eine einzige sein. Wie ist es erklrlich, dass wir aus der ganzen +urchristlichen Zeit, ja eigentlich bis ins beginnende Mittelalter +hinein keine Kunde von Auseinandersetzungen ber den Sinn dieser Worte +haben? Die Einsicht, dass die Vorstellungen im Urchristentum noch +einen gewissen Grad der Flssigkeit aufweisen, reicht zur Erklrung der +obigen Thatsache nicht aus. + + +=4. Die vier Typen der Abendmahlsauffassungen.= + +Bei der Darstellung der wissenschaftlichen Abendmahlsdebatte +unterscheiden wir zunchst zwei Hauptstrmungen. Wir teilen die +Abhandlungen danach ein, ob sie fr ihre Auffassung das ~Darstellungs-~ +oder das ~Genussmoment~ zu Grunde legen. ~Unter dem Darstellungsmoment +verstehen wir das Handeln und Reden Jesu whrend der historischen +Feier; unter dem Genussmoment die Bedeutung des Essens und Trinkens +der Teilnehmer, wie sie sich aus dem Wesen der Feier ergeben soll.~ +Neben den Darstellungen, die eines dieser beiden Momente mit +Ausserachtlassung des andern einseitig herausarbeiten, gibt es noch +andere, doppelseitige, die eines der Momente zu Grunde legen, dabei +aber dem zweiten nebenschliche Geltung zugestehen. Wir haben also im +ganzen vier Haupttypen, zwischen denen die mannigfachsten Vermittlungen +mglich sind. + + 1. ~Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des + Darstellungsmoments.~ + + 2. ~Doppelseitige Auffassungen mit Zugrundelegung des + Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung des + Genussmoments.~ + + 3. ~Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.~ + + 4. ~Doppelseitige Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments + und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments.~ + +Im folgenden werden diese Auffassungen dargestellt in der Ordnung, wie +sie geschichtlich in die Erscheinung getreten sind. + + +Fussnoten: + +[1] Das Abendmahl im Neuen Testament von ALBERT EICHHORN, (Leipzig +1898), Hefte zur Christlichen Welt No. 36. + + + + +Zweites Kapitel. + +=Das Vorspiel. Zwingli und Calvin.= + + +Das Verdienst, das Abendmahlsproblem zuerst wissenschaftlich behandelt +zu haben, gebhrt ZWINGLI. Die Bedeutung der historischen Feier beruht +nach ihm auf dem symbolischen Handeln Jesu. Durch das Brechen des +Brotes und das Darbieten des Weines kndigt der Herr seinen Tod an. +Er verordnet die Wiederholung der Feier, damit die Christen bei dem +gebrochenen Brot und dem vergossenen Wein seines Todes gedenken. + +Die Schwche dieser Auffassung liegt darin, dass ZWINGLI den +Hauptnachdruck allein auf das Handeln Jesu legt. Er kann die +historische Feier erklren, -- ~aber nicht die Wiederholung~, bei +welcher notwendig der Nachdruck nicht auf dem Handeln Jesu, sondern +auf dem der Teilnehmer, dem Genuss des Brotes und des Weines, +ruht. Es gelingt nicht begreiflich zu machen, warum die Jnger +die Gleichniselemente genossen und noch viel weniger, warum auch +sptere Geschlechter bei der Wiederholung noch essen und trinken und +nicht bloss ~anschauen~, um sich an dem erzhlten und dargestellten +Abendmahlshandeln Jesu zu erbauen. Dass ZWINGLI's Lehre dogmatisch +nicht befriedigen konnte, lag in letzter Linie an der Einseitigkeit +seiner wissenschaftlichen Exegese. + +So musste seine Auffassung auch wissenschaftlich durch diejenige +verdrngt werden, welche dem Genuss der Teilnehmer einen Platz neben +dem darstellenden Abendmahlshandeln Jesu anweisen konnte. Dies leistete +die Abendmahlslehre CALVIN's. + +Bei ihm liegt die Symbolik zu gleichen Teilen in dem begrndet, was +Jesus mit den Elementen vornimmt (Brechen des Brotes und Ausgiessen +des Weines), und in dem, was die Teilnehmer mit den Elementen beginnen +(Essen des Brotes und Trinken des Weines). In dieser Betonung der +Darbietung und der Aneignung als der beiden Grundmomente des Abendmahls +beruht die wissenschaftliche Strke der calvinischen Abendmahlslehre. +Die historische Feier kann er weniger gut erklren, als es ZWINGLI +gethan; dafr ist es ihm aber mglich, ihre Wiederholung als notwendig +darzuthun, indem die ~Wertung des Genusses~, nicht allein ~der Befehl +Jesu~, den Zusammenhang zwischen der historischen und der wiederholten +Feier aufrecht erhlt. + +Es waren also nicht nur ~dogmatische~, sondern auch ~wissenschaftliche~ +Interessen, welche den Sieg der calvinischen Abendmahlsauffassung +ber die zwinglische bedingten. Die zum Teil auf wissenschaftlicher +Grundlage beruhende Auseinandersetzung zwischen diesen beiden +Ansichten bildete ein kurzes Vorspiel zu der grossen historischen +Abendmahlsdebatte im 19. Jahrhundert. + +Da die doppelseitige Auffassung durch den Sieg CALVIN's ber +ZWINGLI allgemein verbreitet war, setzte die historische Forschung +die Doppelseitigkeit voraus. Sie betonte hauptschlich das +Darstellungsmoment, weil die exegetische Anschaulichkeit dafr sprach. +So wurden zunchst die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung +des Darstellungsmoments wissenschaftlich ausgeprgt. + + + + +Drittes Kapitel. + +=Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des +Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung des Genussmoments.= + + +=1. Die erste Hlfte des 19. Jahrhunderts. De Wette, Ebrard und +Rckert.= + +DE WETTE vertritt die doppelseitige Auffassung in seinen +Kommentaren.[2] Das Brechen und das Essen des Brotes, das Ausgiessen +und das Trinken des Weins bedingen zusammen die Bedeutung der Elemente +bei der Feier. Der Hauptnachdruck liegt aber auf dem Brechen, dem +darstellenden Moment. Die Betonung des Genussmoments ist mehr +nebenschlicher Art. + +Von AUGUST EBRARD[3] wird auf den Genuss der gleiche Wert gelegt wie +auf das Brechen und Ausgiessen. Beide Momente gehren zusammen und +bedingen sich gegenseitig. Jesus reicht das gebrochene Brot zum Essen +und den ausgegossenen Wein zum Trinken dar.[4] + +Bei EBRARD ist die energische Betonung des Genussmoments durch seinen +Zusammenhang mit der reformiert-calvinischen Auffassung begreiflich. +Aus rein wissenschaftlichen Grnden findet sich das strkere +Herausarbeiten desselben Moments bei IMMANUEL RCKERT.[5] Seine +klassische Schrift fasst den ganzen Ertrag der wissenschaftlichen +Diskussion der Abendmahlsfrage in der ersten Hlfte des 19. +Jahrhunderts zusammen. Die Handlung Jesu und der Genuss von seiten +der Teilnehmer werden in gleicher Weise betont. In jedem dieser beiden +Momente liegt eine besondere Symbolik. Jesus bricht das Brot und gibt +es zum Essen, er giesst den Wein ein und bietet ihn zum Trinken dar.[6] + + +=2. Die zweite Hlfte des 19. Jahrhunderts. Th. Keim, K. v. Weizscker, +W. Beyschlag, H. Holtzmann, P. Lobstein, W. Schmiedel.= + +In der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts lsst sich eine breite und +ruhige Strmung verfolgen, welche beide Momente mit sich fhrt, jedoch +so, dass das Darstellungsmoment die Grundstrmung, das Genussmoment die +Oberstrmung bildet. Folgende Aussprche geben die Richtung des Stromes +an. + + TH. KEIM. ~Geschichte Jesu von Nazara.~ 1872 Bd. III S. 232 bis 290 + (Das Nachtmahl Jesu). + +Man hat den Eindruck, dass es sich fr Jesus doch um etwas mehr +handelte, als nur um ein sprechendes Sinnbild seines irgendwie zum +Heil der Jnger zu brechenden und zu ttenden Leibes vor den Gsten +aufzustellen, man hat den Eindruck einer Gabe; diese Gabe liegt +erstlich darin, dass er in nachdrcklicher, in endgltiger Weise als +den Zweck seines bevorstehenden Todes das Heil der Jnger nennt, +sodann, dass er im Zusammenhang damit die Sinnbilder dieses Heils den +Erben dieses Heils nicht nur zum ~Anschauen~, sondern ~geradezu zum +Nehmen und Geniessen~ bergibt, das Besitztum des Heilstodes und seine +Frchte in ihre Hnde deponiert. S. 272. + + KARL V. WEIZSCKER. ~Apostolisches Zeitalter.~ 1886 S. 596 bis 602. + +WEIZSCKER vertritt eine interessante Differenzierung in der Symbolik +der beiden Akte. Das Brot ist das Sinnbild der ~Gegenwart Christi~ in +der Gemeinde, der Wein aber das Sinnbild ~seines Todes~, durch welchen +er das neue Passahopfer geworden ist. S. 598. + + W. BEYSCHLAG. ~Das Leben Jesu.~ 1893 Bd. II S. 434-442. + +Der Sinn der Abendmahlsstiftung ist vollkommen klar: Sein Leib, +der fr uns gebrochen, sein Blut, das fr uns vergossen wird, ist +sein Leben, das er fr uns in den Tod gibt, -- fr uns dahingibt, +damit es in uns wirksam werde; damit es, vom inwendigen Menschen +~angeeignet~, wie der ussere Mensch Speise und Trank in sich aufnimmt, +ihm Speise und Trank ewigen Lebens werde, und so die in Ihm gekommene +Erlsung, den in Ihm gekommenen neuen Bund der Gottgemeinschaft in uns +vollziehe. S. 439. + + H. HOLTZMANN. ~Biblische Theologie.~ 1897 Bd. I S. 296-304. + +Geschichtliche Voraussetzung und bereinstimmendes Resultat der +letzten Forschungen ist, dass Jesus seinen Jngern Brot und Wein zum +Genusse dargereicht und dabei mit Beziehung auf das gebrochene Brot von +seinem Leib, mit Beziehung auf den ausgegossenen Wein von seinem Blut +gesprochen, letzteres insonderheit zugleich als Bundesblut bezeichnet +hat. S. 296. + + PAUL LOBSTEIN. ~La doctrine de la sainte cne.~ Lausanne 1899. + +Ceci est mon corps, dit Jsus en rompant le pain qu'il distribue +ses disciples; cette coupe est la nouvelle alliance dans mon sang +vers pour vous, leur dit-il en faisant circuler la coupe. S. 46. Le +pain que Jsus rompt pour les disciples et qu'il leur distribue, ils +doivent s'en nourrir: De mme que je vous convie manger de ce pain, +ainsi vous tes appels vous assimiler le fruit de ma mort, les +effets salutaires de ce don de moi-mme, de ce corps bris et livr +pour vous. S. 47. + + WILHELM SCHMIEDEL. ~Die neuesten Ansichten ber den Ursprung des + Abendmahls.~ Protestantische Monatshefte, III. Jahrgang Heft 4 1899. + +Das Bedeutsame ist in erster Linie im ~Brechen des Brotes und +Ausgiessen~ des Weines aus dem Krug in den Becher zu sehen. Die +Austeilung dieser Speisen zum Genuss schliesst sich als etwas zweites +an. ~Um der Hauptsache willen wre es nicht ntig gewesen: aber da man +einmal beim Mahle sass, war es naturgemss.~ S. 147. + +Die gemeinsamen Grundzge dieser Darstellungen sind also folgende: +Brot und Wein sind Leib und Blut Christi, weil er an ihnen seinen +Tod und dessen Heilswert versinnbildlicht hat. Dabei fordert er die +Jnger zum Genuss auf; das soll bedeuten, dass ihnen die Wohlthaten +seines Leidens zu gute kommen, wenn sie verstehen, sich dieselben +anzueignen. Die Wiederholung ist erfolgt zum Teil, weil der religise +Wert dieser Handlung von den Teilnehmern eingesehen wurde, zum Teil, +weil Jesus durch einen Befehl oder eine Andeutung dazu aufforderte. Auf +den Zusammenhang mit dem Passah wird Wert gelegt, ohne dass er jedoch +fr die Auffassung als absolut notwendig erklrt wrde. Ueberhaupt +haben diese Darstellungen etwas Schwankendes. Sie vereinigen die +mannigfachsten Gesichtspunkte mit einander, sodass es fast unmglich +ist, sie in kurzen Stzen prcis wiederzugeben. + +Deshalb ist es auch nicht ratsam von ihnen auszugehen, um die Gesetze +des Zusammenhangs zwischen den Einzelfragen aufzustellen. Die Krisis in +diesem Zustand wurde erst durch die Auffassungen mit Zugrundelegung des +Genussmoments heraufgefhrt. + + +Fussnoten: + +[2] Vgl. DE WETTE's Commentar zu Matthus (1836) und zu Johannes (1837). + +[3] Das Dogma vom heiligen Abendmahl und seine Geschichte von Dr. +AUGUST EBRARD. 2 Bde., 1845. + +[4] Vgl. Bd. I S. 79-120. + +[5] Das Abendmahl, sein Wesen und seine Geschichte in der alten +Kirche von Dr. LEOPOLD IMMANUEL RCKERT, Professor in Jena, 1856. + +[6] Vgl. Bd. I S. 61-131. + + + + +Viertes Kapitel. + +=Ueberblick ber die Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments.= + + +Greift man aus der Geschichte der wissenschaftlichen +Abendmahlsuntersuchung die Werke heraus, welche in allgemeiner Weise +das Genussmoment zu Grunde legen, so fgen sich folgende Namen in +bunter, zusammenhangsloser Reihe aneinander: DAVID FR. STRAUSS, BRUNO +BAUER, E. RENAN, ADOLF HARNACK, FR. SPITTA, W. BRANDT, ERICH HAUPT, +FRIEDRICH SCHULTZEN, RICH. AD. HOFFMANN und ALBERT EICHHORN. In dieser +Reihe haben wir keine natrliche Kontinuitt, wie in der vorher +betrachteten. Bei nherem Zusehen ergeben sich zwei Epochen. Die erste +fllt in die Mitte des Jahrhunderts (FR. STRAUSS, BRUNO BAUER, E. +RENAN). Die zweite beginnt am Anfang der neunziger Jahre (HARNACK und +SPITTA) und kommt noch vor Ablauf des Jahrzehnts zu ihrem naturgemssen +Abschluss (A. EICHHORN). + +STRAUSS, BRUNO BAUER, E. RENAN, W. BRANDT, SPITTA und EICHHORN bieten +~Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.~ ADOLF +HARNACK, ERICH HAUPT, FRIEDRICH SCHULTZEN und R. A. HOFFMANN vertreten +die ~doppelseitigen Darstellungen~ mit Zugrundelegung des Genussmoments +und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments. + + + + +Fnftes Kapitel. + +=Die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.= + + +=1. Die Vorperiode. Fr. Strauss, Bruno Bauer, E. Renan.= + +Fr die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments +gibt es zwei Perioden. Die erste liegt gegen die Mitte des 19. +Jahrhunderts zu, die zweite gegen das Ende. FRIEDRICH STRAUSS +bezeichnet die erste, FRIEDRICH SPITTA die zweite. + +STRAUSS[7] fhrt aus, dass die Uebersetzung dies bedeutet, wenn +sie sich auf das, was Jesus mit den Elementen thut, beziehen soll, +bei weitem nicht ausreicht, ja gar nicht im Sinne der Verfasser der +Evangelien gelegen haben kann. Den Schreibern unserer Evangelien ~war~ +das Brot im Abendmahl der Leib Christi ... htte man geschlossen, +dass das Brot den Leib bloss ~bedeute~, so wrden sie sich dadurch +nicht befriedigt haben (S. 436 ff.). Es ist kritisch nicht zulssig, +dass Jesus seinen gewaltsamen Tod mit Bestimmtheit vor sich gesehen +habe. Daher kann sich fr ihn die Symbolik bei der letzten Mahlzeit +mit den Jngern gar nicht auf seinen Tod beziehen. Ebenso ist der +Wiederholungsbefehl fr unhistorisch zu halten; dafr spricht das +Schweigen der beiden ersten Evangelien und die Erwgung, dass +berhaupt eine Gedchtnisfeier natrlicher aus dem Bedrfnis der +Zurckbleibenden, als aus dem Plan des Scheidenden hervorgeht. Ein +Passahmahl war diese letzte Mahlzeit mit den Jngern auch nicht. +Das eigentlich Historische an der ganzen Ueberlieferung ist das +eschatologische Schlusswort beim Becher: ich werde davon nicht mehr +trinken, bis ich ihn neu trinken werde mit euch in meines Vaters Reich. +In Jesu Gedanken bezieht es sich auf den nchsten Passahwein, nicht +allgemein auf das Essen und Trinken. Von Mahlzeiten im messianischen +Reich sprach er, gemss den Vorstellungen seiner Zeit, fters, und so +mag er erwartet haben, das in demselben namentlich das Passahmahl mit +besonderer Feierlichkeit werde begangen werden. Wenn er nun versichert, +dieses Mahl nicht mehr in ~diesem~, sondern erst in ~jenem~ Aeon zu +geniessen, so muss, nach seiner Erwartung, bis zur Feier des Passah +das messianische Reich eintreten. Es ist dabei nicht ntig, dass Jesus +das Erscheinen des Reiches an seinen Tod geknpft dachte. Die ganze +urchristliche Abendmahlsauffassung erklrt sich daraus, dass statt des +messianischen Reiches und seiner Passahfeier -- ~der Tod Jesu eintrat.~ + +Die Gemeinde feierte das Passah. Es war natrlich, dass sich der +Versuch darbieten musste, demselben durch die Beziehung auf den Tod +und das letzte Mahl Jesu (welches kein Passahmahl gewesen) eine +~christliche~ Deutung zu geben. So erklrt sich das Eindringen des +Leidensgedankens und der Leidensweissagung in die historischen +Abendmahlsberichte. Die Elemente erhielten eine Beziehung auf den +Leib und auf das Blut Christi; dabei wurde das Wort Jesu, den Genuss +des Passahweines betreffend, allgemein auf das Essen und das Trinken +bezogen und mit Brot und Wein als seinem Leib und Blut in Verbindung +gebracht. So entstand die Vorstellung von dem Wiederholungsbefehl. +Die Neigung, das Gedchtnismahl vom Passah loszulsen und fters zu +begehen, erklrt das Aufkommen eines derartigen Wortes. + +Diese geniale Auffassung von FR. STRAUSS enthlt bereits alle +Faktoren, welche die spteren, das Genussmoment einseitig betonenden +Abendmahlsdarstellungen kennzeichnen. Vor allem kommen hier in +Betracht die Loslsung der historischen Feier vom Passahmahl, das +Ausscheiden der Leidensanspielungen aus den Worten Jesu, die Erklrung +der Wiederholung der Feier ohne Annahme des Wiederholungsbefehles +und die Notwendigkeit, alle als unhistorisch erkannten Zge in +den neutestamentlichen Abendmahlsdarstellungen (Anschluss an das +Passahfest, Beziehung auf den Tod Christi und Wiederholungsbefehl) aus +der Entwicklung der urchristlichen Feier in einem Zeitraum von nicht +einmal zwei Jahrzehnten zu erklren. + +Will man diese Rckbildung nicht durch eine gewagte +Geschichtskonstruktion erweisen, so bleibt nur wissenschaftliche +Skepsis in irgend einer Form brig. Diesen Weg hat BRUNO BAUER[8] +betreten. Er setzt voraus, dass die Berichte besagen wollen: ~der +Herr reichte seinen Jngern seinen Leib und sein Blut zum Genuss +dar.~ Der Wiederholungsbefehl ist eine Zuthat aus spterer Zeit mit +abschwchender Tendenz. Man fhlte, dass man fr die historische +Feier den Genuss so nicht aufrecht erhalten knne. Darum hob man +die Beziehung auf die Zukunft, die der Formel an sich zu Grunde +liegt, hervor. Jesus kann seinen Jngern nicht sein Fleisch und Blut +dargereicht haben,[9] damit sie es assen; also ist der Bericht des +Markus Phantasie, und alle andern Berichte sind Nachbildungen dieser +Erfindung. + +Wie sehr gerade die Vollziehung des Genusses Voraussetzung der +BAUER'schen Auffassung ist, zeigt sich darin, dass er dem Matthus +vorwirft, er habe das bei Markus konstatierte Faktum des Trinkens von +seiten der Jnger eigenmchtig in einen Befehl Jesu umgesetzt, was +schon eine Milderung bedeute. Das eschatologische Schlusswort lsst +er unbeachtet und schneidet sich so den Weg ab, der STRAUSS aus den +Schwierigkeiten, welche die einseitige Betonung des Genussmomentes nach +sich zieht, herausfhrte. + +Nach E. RENAN[10] hat Jesus am letzten Abend die gewhnliche gemeinsame +Mahlzeit mit dem Brotbrechen im Kreise seiner Jnger gefeiert. Dans +ce repas, ainsi que dans beaucoup d'autres, Jsus pratique son rite +mystrieux de la fraction du pain. Das eschatologische Schlusswort +ist fr RENAN zweifelhaft und ohne Bedeutung. Die synoptischen +Abendmahlsberichte erklren sich nur aus der Entwicklung der spteren +Anschauungen, fr welche das letzte Mahl ein Passahmahl war; dadurch +drangen der Leidensgedanke, die Beziehung der Elemente auf den Leib +Jesu und die Anordnung der Wiederholung in die Darstellung des letzten +Mahles ein. + + +=2. Die modernen Versuche. W. Brandt, Fr. Spitta, A. Eichhorn.= + + Vergleiche zum Folgenden den verhngnisvollen Vortrag von E. GRAFE + (Die neuesten Forschungen ber die ursprngliche Abendmahlsfeier. + Zeitschrift fr Theologie und Kirche 1895) und die klare + Zusammenfassung von RUD. SCHFER (Das Herrenmahl nach Ursprung und + Bedeutung 1897). + +Erst das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bietet eine Abhandlung, +in der die bei STRAUSS, BAUER und RENAN angedeuteten Gedanken +sich in voller Schrfe und Konsequenz zu einem einheitlichen Bilde +entwickeln. Es ist die epochemachende Arbeit SPITTA's. Die Werke von +AD. HARNACK und W. BRANDT gehen ihr zeitlich in der Hervorhebung des +ausschliesslichen Mahlzeitscharakters der historischen Feier voraus. +Da jedoch HARNACK schon mehr zu den doppelseitigen Darstellungen +mit Zugrundelegung des Genussmoments berleitet, ist es rtlich, +ihn erst dort zu behandeln. Zudem hat er in der 3. Auflage seiner +Dogmengeschichte (Bd. I S. 64) zu dem Lsungsversuch SPITTA's Stellung +genommen und seine eigene Ansicht daraufhin neu formuliert. + + +=3. W. Brandt.= + + Die evangelische Geschichte und der Ursprung des Christentums. + Leipzig 1893 S. 283 ff. + +Die Hauptbedeutung der historischen Feier liegt in dem +~gemeinschaftlichen Genuss.~ Durch das Gleichnis beim Abendmahl hat +Jesus die gemeinsamen Mahlzeiten zum ~Symbol der Gemeinschaft~ gemacht. +In der Bedeutung dieses Symbols ist der Grund der Wiederholung zu +sehen. Eine Anspielung auf den Tod ist, wenn sie sich in dem Wort, +welches das Brotbrechen begleitete, findet, fr das Wesen der Feier +bedeutungslos. + +Die Aufnahme des Leidensgedankens und die Eintragung des +Wiederholungsbefehls in unsere Berichte gehen auf eine Verschiebung +in der urchristlichen Feier zurck. Diese ist dadurch bedingt, dass +nach dem Jahre 70 wegen des Fehlens des Lammes Brot und Becher +die vornehmsten Ingredienzen des jdischen Passahmahls bildeten; +dadurch wurde eine Gleichgestaltung desselben mit der urchristlichen +Herrenmahlsfeier angebahnt. So erklrt es sich, dass die letztere durch +das erstere im usserlichen Verlauf und im Gedankengehalt beeinflusst +wurde. + +In dieser ansprechenden Skizze finden wir die schon bei STRAUSS +bemerkten Eigentmlichkeiten der das Genussmoment ausschliesslich +betonenden Auffassungen wieder. Der Wiederholungsbefehl fehlt, und +es kommt darauf an, den Leidenshinweis in unseren Berichten auf die +Einwirkung spterer Gemeindevorstellungen zurckzufhren. Ob der von +dem Verfasser angezeigte Weg wirklich zum Ziele fhrt, ist fraglich. +Sicher ist, dass er eine grosse Schwierigkeit nicht bercksichtigt hat. +Wie konnten die Jnger die Worte des Meisters in dem oben gebotenen +Sinn verstehen? Wie konnten sie berhaupt begreifen, dass er bei der +Darreichung von Brot und Wein sie aufforderte, seinen Leib und sein +Blut zu geniessen? + +Es ist das unschtzbare Verdienst SPITTA's, diese Frage in den +Vordergrund geschoben zu haben. + + +=4. Fr. Spitta.= + + Die urchristlichen Traditionen ber Ursprung und Sinn des + Abendmahls (zur Geschichte und Litteratur des Urchristentums). 1893 + S. 207 bis 337. + +Der Sinn der Worte Jesu liegt einzig und allein in der Aufforderung zum +Genuss. Das Genossene ist nach seinen Worten sein Leib und sein Blut, +gerade ~dadurch, dass es genossen wird~! Das Brechen und Ausgiessen als +die darstellende Handlung, welche den Elementen eine veranschaulichende +Beziehung auf seinen Tod geben soll, lag seinen Gedanken fern. Die +historische Feier war eine ~Mahlzeit~, bei welcher nach dem gemeinsamen +Inhalt aller Berichte die Jnger auf seine Aufforderung hin die +dargereichte Speise als seinen Leib essen und den eingegossenen Wein +als sein Blut trinken sollten und dies auch thaten. + +STRAUSS und BRUNO BAUER hatten denselben Thatbestand als von den +Quellen geboten konstatiert, wurden aber von hier aus gezwungen, die +historische Thatschlichkeit des geschilderten Vorganges in Frage zu +stellen und das Zustandekommen der Berichte sei es aus der Geschichte +des Urchristentums (STRAUSS), sei es aus der Geschichte der Entstehung +der christlichen Ueberlieferung berhaupt (BRUNO BAUER) zu erklren. +Dass die Jnger auf die Aufforderung Jesu hin damals seinen Leib und +sein Blut genossen haben sollen, ist fr sie eine unvollziehbare +Vorstellung. + +SPITTA kann den Vorgang als historisch aufrecht erhalten durch +Zuhlfenahme ~eschatologischer Gedankengnge.~ Anknpfend +an die Vorstellung des messianischen Bundes, hat Jesus, wie +die bereinstimmenden Zge aller Berichte zeigen, bei den +Einsetzungsworten an das Essen und Trinken beim messianischen +Mahl gedacht. In der prophetischen und in der apokalyptischen, in +der Sapientia- und in der rabbinischen Litteratur stellt sich die +Vollendung des Reiches in dem messianischen Mahl dar, ~wobei die +genossene Speise der Messias selbst ist~! Auf Grund dieser Vorstellung +konnte Jesus voraussetzen, dass die Jnger ihn verstehen wrden, wenn +er sie aufforderte, beim Essen ihn selbst zu geniessen. Was er ihnen +bietet, ist eine Vorwegnahme des grossen messianischen Mahles der +Endzeit. In diesem Gedanken konnten sie den Leib des Messias essen und +ihn in seinem Blut, dem Saft der Trauben, trinken. + +Das letzte Mahl war kein Passahmahl, der Leidensgedanke kam fr die +Symbolik der Elemente nicht in Betracht, und der Wiederholungsbefehl +ist unhistorisch. Diese Anschauungen sind spterer Art und nur dadurch +verstndlich, dass infolge des inzwischen eingetretenen Todes Jesu +die Auffassung seiner Worte bei der letzten Mahlzeit sich notwendig +ndern musste. Die Feier wurde in Analogie zu dem Passahmahl gesetzt, +weil jetzt die Deutung der Worte vom Leib und Blut auf seine Leiden +unabweislich war. Damit drang die Vorstellung einer Stiftung notwendig +mit ein. + +Bei Paulus halten sich die ursprngliche und die auf das Leiden +bezogene Auffassung noch das Gleichgewicht. I Kor 10 _1_ ff. und I +Kor 10 _14_ ff. kennen den Leidensgedanken noch nicht und betonen das +Genussmoment. I Kor 11 _23_ ff. tritt das neue Moment in Sicht, welches +Paulus bei der Bekmpfung der korinthischen Agapenskandale in die Feier +eintrgt: ~die Feier hat es mit dem Tode Jesu zu thun.~ + +Das Neue ist also bei SPITTA die Heranziehung eigentmlich +eschatologischer Gedankengnge, durch welche er eine Feier als +historisch aufrecht erhlt, bei der der Meister den zu Tische Liegenden +Brot und Wein reichte mit der Aufforderung, seinen Leib zu essen und +sein Blut zu trinken. In dem Wesen dieser Feier lag es begrndet, dass +sie ohne ausgesprochenen Wiederholungsbefehl Aufnahme in der ersten +Gemeinde fand. Von hier aus scheint es dann nicht unmglich, in der nun +folgenden Entwicklung das Eintreten der Faktoren begreiflich zu machen, +welche die neuen Zge in der Auffassung und Wertung der Feier bedingten. + + +=5. Kritik der Auffassung Spitta's.= + +Die grosse Bedeutung der Untersuchung SPITTA's beruht darin, dass er +die Abendmahlsfrage nach einem einheitlichen Gesichtspunkt aufgefasst +und zu lsen unternommen hat. Alle Einzelfragen stehen bei ihm in +einer gegenseitigen, engen Wechselverbindung. Seine Abhandlung bildet +eine geschlossene Kette, bei der jedes Glied nur im Zusammenhang mit +den andern in Betracht kommt. Darin besteht der grosse Fortschritt in +seiner Untersuchung den frheren gegenber. Die textkritischen und die +exegetischen Errterungen sind bei ihm sowohl ~Grundlage~ als auch +~Folge~ der Gesamtauffassung. + +Man hat seine Auffassung eine ~eschatologische~ genannt, weil er, wie +FR. STRAUSS, den Gedanken der Mahlzeit im messianischen Reich zu Hlfe +nimmt, um die historische Feier verstndlich zu machen. STRAUSS ging +dabei vom synoptisch-eschatologischen Schlusswort aus, in welchem +Jesus die Jnger auf das grosse Mahl der Endzeit verweist, wo er +wieder mit ihnen vereint sein wird. Der eschatologische Charakter +der SPITTA'schen Auffassung aber beruht nicht auf dem synoptischen +Wort, ~sondern auf einer eschatologischen Vorstellung vom Endmahl, +welche aus den Apokryphen und der Weisheitslitteratur zusammengetragen +ist.~ Dabei ergeben sich eine Reihe schwerer Widersprche mit dem +synoptisch-eschatologischen Schlusswort. + +Nach ~Spitta~ bietet sich der Messias beim Mahle der Endzeit den Seinen +zur Speise und zum Trank an. Nach den Synoptikern weist Jesus auf das +Endmahl hin, wo er mit ihnen vom Gewchs des Weinstocks geniesst. +Bei SPITTA will er also ~Speise und Trank~, bei den Synoptikern +~mitgeniessender Tischgenosse sein~! + +Bei SPITTA wird der eschatologische Hinweis sowohl ~fr die Speise als +fr den Trank vorausgesetzt.~ Historisch ist aber das eschatologische +Schlusswort ~nur beim Becher~! + +SPITTA's Eschatologie bezieht sich auf die ~Aufforderung zum Genuss~ +des Leibes und Blutes. Das synoptisch-eschatologische Wort steht damit +in keinem Zusammenhang, ~sondern folgt erst auf den Genuss.~ + +SPITTA's Auffassung ist also ganz unabhngig vom +synoptisch-eschatologischen Schlusswort. Es figuriert auch nicht in +seiner krzesten Form der Einsetzungsworte, sondern diese lauten +einfach: + +Nehmet, esset, das ist mein Leib. + +Trinket alle daraus. Das ist das Blut meines Bundes, das fr viele +vergossen wird. + +Diese Worte konstituieren die Feier, denn in der Gemeinde wurde immer +daran gedacht, wie er damals darauf hingewiesen, ~er sei jetzt und in +alle Ewigkeit~ die rechte Speise und Erquickung ihrer Seele (S. 289). +So wird das synoptisch-eschatologische Schlusswort zum ~wehmtigen +Abschiedswort~, welches von dem Jubelklang der eschatologisch +siegesgewissen Stimmung zum Todesgang berleitet. + +~Christus die rechte Seelenspeise:~ dieser Gedanke ist modern. +Die Eschatologie SPITTA's zielt dahin, diesen Gedanken durch eine +Zusammenstellung von alttestamentlichen und apokryphischen Sprchen in +knstlich-antikem Licht spielen zu lassen, damit er die Aufforderung +Jesu zum Genuss seines Leibes und Blutes fr die historische Situation +erklre. Verzichtet man auf dieses knstliche Licht, dann bleibt nur +das skeptische Dunkel. Das ist bei EICHHORN der Fall. + + +=6. A. Eichhorn.= + + Das Abendmahl im Neuen Testament. Hefte zur christlichen Welt No. + 36. 1898. + +Wenn wir unseren Berichten trauen drfen, hat Jesus das erste +Abendmahl mit seinen Jngern so gehalten, dass er ihnen Brot und Wein +ausgeteilt und sie seinen Leib und sein Blut gegessen und getrunken +haben. Aller Nachdruck fllt auf den Genuss. Eine auf Jesu Handeln sich +grndende Symbolik kann bei der Betonung des Genusses nicht bestehen. +~Man darf nicht sagen, dass das Brechen des Brotes auf das Zerbrechen +des Leibes und das Trinken des Weins auf das Vergiessen des Bluts~ +hindeutet. Die Handlung, die in Wirklichkeit vorgenommen wird, ist +einfach das Essen und Trinken. + +Ist dies nun der durch die Quellen gebotene Sachverhalt, so gibt es +vorlufig keine Mglichkeit, die historische Feier und das Aufkommen +ihrer Wiederholung zu verstehen. Was auch Jesus gesagt und gethan haben +mag an jenem Abend, ~das Kultmahl der Gemeinde mit dem sakramentalen +Essen und Trinken des Leibes und Blutes Christi~, wie es in der +ltesten Christenheit ziemlich von Anfang an sich ausgebildet hat, +~ist von da aus nicht zu verstehen.~ So wird EICHHORN, weil er bei +der eingestandenen Bedeutung des Genussmomentes von der Heranziehung +eschatologischer oder moderner Anschauungen absieht, notwendig zur +Skepsis gedrngt. + +Sie besteht in dem ausgesprochenen Verzicht, auf Grund der vorhandenen +Berichte die historische und die wiederholte Feier in ihrem +Zusammenhang zu begreifen, wenn nicht eine neue, von unseren Berichten +unabhngige Thatsache ein Datum liefert, welches den Ausgangspunkt +der uns unverstndlichen Entwicklung kenntlich macht. -- Gelingt es +nicht, in der gnostischen Gedankenwelt ein ~sakramentales Essen~, +welches das Vorbild des Abendmahls abgeben knnte, nachzuweisen, +sodass fr die lteste Christenheit nicht das supranaturale Essen +und Trinken als solches, sondern nur die Ersetzung einer andern +bernatrlichen Substanz durch Christi Leib und Blut neu ist, ~dann +muss auf ein Verstndnis der historischen Feier und ihrer Entwicklung +zur Gemeindefeier endgltig verzichtet werden.~ + + +=7. Die neue Thatsache.= + +Um dem Skeptizismus zu entgehen, postuliert EICHHORN eine neue, ber +den Bestand unserer Quellen hinausgehende Thatsache. Seine Vorgnger, +die mit ihm die ausschliessliche Betonung des Genusses gemein haben, +ersetzen dieses Postulat durch eine ~angenommene~ Thatsache. + +D. FR. STRAUSS erklrt das Aufkommen der Abendmahlsfeier im +Urchristentum, und damit die Entstehung unserer Berichte, durch das +Missverstndnis eines von Jesu bei dem letzten Mahl gesprochenen +eschatologischen Wortes von seiten der Jnger. + +BRUNO BAUER verlegt die ganze Entwicklung, da er sie anders nicht +erklren kann, in die Phantasie des Urevangelisten. RENAN behilft +sich mit der Annahme eines schon frher von Jesu gebten, den Jngern +bekannten geheimnisvollen Ritus des Brotbrechens. SPITTA bringt +eine eigenartige, im Grunde moderne eschatologische Vorstellung +an die synoptischen Berichte heran, welche mit dem dort gebotenen +eschatologischen Schlusswort in gar keiner Beziehung steht. + +W. BRANDT bertrgt moderne Anschauungsweisen in die Gedankenwelt Jesu +und seiner Jnger, ohne diese Uebertragung aus den Berichten begrnden +zu knnen. + +So bildet die Untersuchung EICHHORN's den natrlichen Schlusspunkt der +scheinbar so zusammenhangslosen Reihe der Auffassungen mit einseitiger +Herausarbeitung des Genussmoments. Durch die dialektische Behandlung +des Problems entzieht er jeder knftigen Darstellung von vornherein +die Berechtigung, wenn sie nicht eine neue geschichtliche Thatsache +aufbringen kann, die erklrt, wie die Anschauung aufkam, dass Jesus den +Jngern zumutete, seinen Leib und sein Blut zu essen und zu trinken. + + +=8. Die Skepsis in der Folge der einseitigen Herausarbeitung des +Genussmoments.= + +EICHHORN's ~Postulat~ trgt auch nicht weiter als die behaupteten +Thatsachen seiner Vorgnger. Er verlangt, dass die Vorstellung +des supranaturalen Essens und Trinkens in einer schon vorhandenen +religisen Gedankenwelt nachgewiesen werde. Die nhere Kenntnis des +Gnostizismus knnte nach seiner Ansicht dazu fhren. + +Zugegeben, dass ein solches supranaturales Essen und Trinken schon +existiert htte, so msste dargethan werden, wie man im Urchristentum +dazu kam, diesen Gedanken ins Abendmahl ~herberzunehmen.~ Inwiefern +gab die historische Feier Ansatzpunkte dazu? Die von EICHHORN +vorgeschlagene Operation hngt ganz in der Luft, denn unsere Berichte +stehen einem solchen Beginnen vollstndig fremd und ablehnend gegenber. + +Nun wre die Umsetzung seines Postulats in eine dementsprechende +historische Thatsache der einzige Ausweg aus der Skepsis. Gleich beim +ersten Schritt zeigt sich aber, dass er vllig aussichtslos ist. Also +muss eine Darstellung, welche von der Voraussetzung ausgeht, Jesus +habe die Seinen bei Brot und Wein zum Genuss seines Leibes und Blutes +aufgefordert, ~von vornherein, unter allen Umstnden auf die Lsung des +Problems verzichten! Die konsequente Herausarbeitung des Genussmoments +fhrt notwendig zur Skepsis: das ist der Ertrag dieser Darstellungen.~ + + +=9. Der logische Grund der Skepsis.= + +Wenn in der wissenschaftlichen Behandlung einer Frage die Skepsis sich +einstellt, so liegt dies immer daran, dass ~sich in den Voraussetzungen +eine unbegrndete Behauptung versteckt hat~, welche von da aus das +menschliche Denken neckt und in die Irre fhrt. Die Wissenschaft an +sich kann nie zur Skepsis fhren. Mit der Aufdeckung der ~unerwiesenen +Voraussetzungsbehauptung~ ist die Skepsis gehoben. + +Worin besteht diese nun in den obigen Abhandlungen? Der Fehler kann +nicht in der ausschliesslichen Geltendmachung des Genussmoments +beruhen. Dass das Abendmahl von der urchristlichen Gemeinde als +~Mahlzeit~ bernommen und gefeiert wurde, dass die Handlung, welche +die urchristliche mit der historischen Feier verbindet, nicht in dem +symbolischen ~Handeln des Stifters~, sondern in der ~Handlung der +Teilnehmer~, dem Essen und Trinken besteht: diese Thatsachen werden +durch die Quellen geboten und durch das Urchristentum besttigt. + +Nicht in der ~Thatsache~, sondern in der ~Art~ der Wertung des +Genussmoments ist der Fehler zu suchen. Smtliche obige Darstellungen +formulieren sie dahin, dass Jesus die Jnger bei der Darreichung von +Brot und Wein ~aufgefordert~ habe, seinen Leib zu essen und sein +Blut zu trinken. ~Die Skepsis beruht also in der Verbindung des +Mahlzeitcharakters der Feier mit den Gleichnisworten~, denn damit ist +eine Aussage gegeben, in der Subjekt und Objekt identisch sind: der +Darbietende ist zugleich der Genossene. Hier hrt das Denken auf. ~Das +ppige Schlinggewchs historischer und exegetischer Einflle ist keine +Brcke ber den Abgrund des Selbstwiderspruchs!~ + +Statt also von der Konstatierung auszugehen, dass Jesus den Seinen +seinen Leib und sein Blut zum Genuss dargereicht habe, muss man damit +beginnen, diese Voraussetzung selbst zu prfen. Ist es wirklich eine +aus der urchristlichen Feier und aus den Berichten unumstsslich +feststehende Thatsache, dass Jesus ihnen dies in irgend einer Form +zugemutet hat? Wenn ja, dann ist die Lsung der Abendmahlsfrage +unmglich, da wir dabei das wie aus unseren Texten nie erklren +knnen und jede freie Deutung bei unseren Berichten ohne Rckhalt +bleibt. + + +Fussnoten: + +[7] DAVID FR. STRAUSS, Das Leben Jesu. 1. Ausgabe, Tbingen 1836. Bd. +I, S. 396-442: Das Abendmahl. + +[8] BRUNO BAUER, Kritik der evangelischen Geschichte, 1842. Kritik der +Evangelien, 1850, Bd. III S. 191-213. + +[9] Kritik der evangelischen Geschichte, Bd. III S. 241: Ein Mensch, +der leiblich und individuell dasitzt, kann nicht auf den Gedanken +kommen andern seinen Leib und sein Blut zum Genuss anzubieten. + +[10] E. RENAN, La vie de Jsus 1863, S. 385 ff. + + + + +Sechstes Kapitel. + +=Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments +und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments.= + +AD. HARNACK, ERICH HAUPT, FR. SCHULTZEN, R. A. HOFFMANN. + + +=1. Allgemeines.= + +Diese doppelseitige Reihe steht unter dem Einfluss der Auffassungen mit +einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments. Whrend die Richtung, +die durch die Namen RCKERT, LOBSTEIN und HOLTZMANN gekennzeichnet +wird, von dem Handeln Jesu ausgehend den Genuss der Teilnehmer zu +erklren versuchte, verfahren die neuen doppelseitigen Auffassungen +umgekehrt. Sie stellen den Genuss in den Vordergrund und suchen dieses +Moment nun so zu formulieren und so zur Geltung zu bringen, dass auch +das auf den Tod hinweisende Handeln Jesu damit in irgend einer Weise +vereinbar ist und daraus seine Erklrung empfangt. Das Schwergewicht +hat sich also von der einen auf die andere Seite verschoben. + +In letzter Linie sind es exegetische Bedenken, welche die betreffenden +Verfasser dazu fhren, auch dem Leidensgedanken und dem Handeln Jesu +Rechnung zu tragen. ~Die Worte sind mir zu mchtig~, sagt HARNACK bei +der Wrdigung der Auffassung SPITTA's, deren Grundgedanke ihm zusagt, +whrend die Exegese ihn nicht befriedigt. Es ist das Motto auch der +brigen doppelseitigen Darstellungen. + + +=2. Ad. Harnack.= + + Brot und Wasser: die eucharistischen Elemente bei JUSTIN (Texte + und Untersuchungen Bd. VII S. 117 ff. 1891). Theologische + Litteraturzeitung 1892 S. 373-378. Dogmengeschichte (3. Aufl.) Bd. + I S. 64. + +Durch eine Untersuchung, ob Wasser oder ob Wein das eucharistische +Genusselement in der alten Kirche waren, kam HARNACK im Jahre 1891 +dazu, in entschiedener Weise zu betonen, dass in jener lteren Zeit +die Symbolik sich nicht auf das Wesen der Elemente habe beziehen +knnen, sondern dass die ganze Bedeutung der historischen und der +urchristlichen Feier ~auf der Mahlzeit als solcher~ beruht habe. + +Das Abendmahl muss eine wirkliche Mahlzeit gewesen sein; die in Frage +kommende Handlung ist das Essen und Trinken. Jesu Worte beziehen sich +auf den Genuss. Die wichtigste Funktion des natrlichen Lebens hat +der Herr geheiligt, indem er die Nahrung als seinen Leib und sein +Blut bezeichnet hat. So hat er sich fr die Seinen ~auf immer~ mitten +hineingestellt in ihr natrliches Leben und sie angewiesen, die +Erhaltung und das Wachstum dieses natrlichen Lebens zur Kraft des +Wachstums des geistigen Lebens zu machen. + +Mit diesem Moment sucht nun HARNACK noch ein anderes in Beziehung zu +setzen und dadurch diese allgemeine religise Wertung des Genusses +zu spezifizieren. Der Herr hat ein Gedchtnismahl seines Todes +eingesetzt, ~oder vielmehr~, er hat die leibliche Nahrung als sein +Fleisch und sein Blut, d. h. als die Nahrung der Seele, bezeichnet +(durch die Sndenvergebung), ~wenn~ sie mit Danksagung in Erinnerung +seines Todes genossen wird. + +Dieser Satz ist fr HARNACK's Auffassung entscheidend. Oder vielmehr, +d. h. und wenn sind die Rangiergeleise, auf denen man von dem +allgemeinen, wunderbar tiefen Gedanken herkommend, dass der Herr die +wichtigste Funktion des natrlichen Lebens geheiligt habe, umsetzt, +um die Einfahrt zur historischen Feier, mit dem dort ausgedrckten +Leidensgedanken, zu gewinnen. Der allgemeine Mahlzeitcharakter seiner +Auffassung wird also nher bestimmt durch folgende Stze: + + 1. Es handelt sich um eine Stiftung. + + 2. Der Wiederholungsbefehl ist irgendwie in der historischen + Situation enthalten. + + 3. Die Feier hat eine Beziehung auf den Tod des Stifters. + + +=3. Erich Haupt.= + + Ueber die ursprngliche Form und Bedeutung der Abendmahlsworte. + Halle, Universittsprogramm 1894. + +Indem Jesus die zu Tische liegenden Jnger bei der Darreichung +des Brotes und des Weines auffordert, seinen Leib und sein Blut +zu geniessen, will er sagen: Meine Person ist Trger der Krfte +eines hheren Lebens, welches so angeeignet werden und so zu einem +Bestandteil eurer Personen werden will, wie dies bei der irdischen +Nahrung der Fall ist. Dies gilt aber ~ganz besonders~ von meinem +bevorstehenden Tode; gerade die Dahingabe meiner ~Persnlichkeit~ wird +euch die in ihr beschlossenen Lebens- und Heilskrfte in vollstem Masse +erschliessen und zu gute kommen lassen. Dieser Grundgedanke deckt sich +vollstndig mit dem SPITTA's. Whrend aber letzterer ihm im Munde Jesu +eine eschatologische Wendung gab, bertrgt HAUPT diesen durch den +Ausdruck Persnlichkeit als modern gekennzeichneten Gedankengang auf +die historische Feier durch Zuhlfenahme des Leidensgedankens. + +Die Eschatologie tritt dabei ganz zurck. Jesus hatte bei dem letzten +Mahle auch von dem grossen Mahl der Vollendung gesprochen. Indem nun +das ganze Mahl nachgebildet wurde, fanden auch diese eschatologischen +Gedanken ihre Stelle. So ist bei HAUPT das eschatologische Moment +nicht zur Erklrung der Wiederholung benutzt, sondern erst aus der +Wiederholung selbst verstndlich. + +Durch die nebenhergehende Geltendmachung des Todesgedankens fr die +Erklrung der Feier ist die Beibehaltung des Wiederholungsbefehls +gegeben. In der Nacht des Verrats hat der Herr das ganze Mahl unter den +Gesichtspunkt eines Abschiedsmahls gestellt. Er will sein ~Gedchtnis +fr die Zeit der Trennung~ wachhalten. Somit ist nicht nur kein +Gegengrund dagegen, dass Jesus die Wiederholung der Handlung seinen +Jngern anbefohlen hat, sondern ein dahin zielendes Wort ist sogar +aus inneren Grnden ~hchst wahrscheinlich.~ Diese vorsichtige und +zurckhaltende Begrndung der Beibehaltung des Wiederholungsbefehls +gibt den genauen Gradmesser ab fr die Beeinflussung des zu Grunde +gelegten Genussmoments durch das Darstellungsmoment und den +Leidensgedanken. + +Mit derselben Vorsicht ussert HAUPT sich auch ber das Verhltnis +zwischen dem wiederholten Herrenmahl und der Agape. Nicht zwei Teile +sollen diese gemeinsamen Mahlzeiten haben, einen profanen, welcher der +usseren Sttigung dient, und einen religisen, welcher der Erinnerung +an Christi Tod gewidmet ist, sondern ihre ganze Zusammenkunft soll +religisen Charakter tragen, und das Herrenmahl ~im engeren Sinne~ ist +nur der ~Hhepunkt des Ganzen.~ + + +=4. Fr. Schultzen.= + + Das Abendmahl im Neuen Testament. Gttingen 1895. + +In dieser Darstellung ist die Hervorhebung des Leidensgedankens und +damit die Bedeutung des darstellenden Moments im Handeln Jesu aus der +Nebenstellung fast bis zur Gleichstellung mit dem Genussmoment gerckt, +wobei aber letzteres immer noch den Ausgangspunkt bildet. Es spricht +nichts dafr, dass etwa Jesus nur auf das Essen Gewicht gelegt habe und +die Beziehung auf seinen Tod spterer Zusatz sei. Umgekehrt ist es aber +auch nicht wahrscheinlich, dass Jesus nur eine symbolische Handlung bei +jenem letzten Mahl vorgenommen hat, und dass die Verbindung mit dem +Mahle nur durch den usseren Anlass entstanden ist. Auch das Brot ist +nicht blosses Symbol, sondern auf ~Grund des Symbols~ zum wenigsten +~Reprsentant und Vermittler~ des Leibes Jesu. + +Das Genussmoment und das darstellende Moment werden durch den Begriff +~des Opfermahls~ zusammengehalten. Den Jngern waren Jesu Gedanken +aus der religisen Vorstellungswelt Israels bekannt und fasslich. In +dem Begriff des Opfermahls war die Wiederholung unmittelbar gegeben +und ebenso der Empfang der in ihm gespendeten Gabe. So hat, trotz des +Fehlens des Wiederholungsbefehls, Jesus auch nach dem Bericht des +Markus an eine Wiederholung gedacht, weil er eine Gabe spendet, die +auch fr ~die fernsten~ Zeiten Wert hat. + +Wie bei ERICH HAUPT vermgen die eschatologischen Gedanken auch +bei FR. SCHULTZEN sich nur anhangsweise Geltung zu verschaffen, +nachdem die Wiederholung der Feier schon anderweitig feststeht. Die +Parousiegedanken bei dieser Feier erklren sich bei der lebhaften +Sehnsucht der Gemeinde nach der Parousie leicht, da das Abendmahl auch +nach I Kor 11 _26_ eine Feier ist, die in der Wiederkunft Christi ihr +Ziel erreicht hat. + +Die Trennung von Mahlzeit und Abendmahl wird bereits fr die Urgemeinde +vorausgesetzt. Paulus prgt schon Vorhandenes schrfer aus. Die spter +erfolgte Abtrennung der Eucharistie von dem Mahle erklrt sich viel +einfacher, wenn sie bereits ein besonderer Teil derselben war, als wenn +man das ihr besonders Eigentmliche gar nicht erkennen konnte. + + +=5. R. A. Hoffmann.= + + Die Abendmahlsgedanken Jesu Christi. Knigsberg 1896. + +Bei HOFFMANN tritt das Darstellungsmoment noch strker hervor als +bei SCHULTZEN. Es wird geradezu eine zweifache Art von Teilnehmern +vorausgesetzt. Das darstellende Handeln geht auf die einen, der Genuss +ist fr die andern bestimmt. ~Vergossen~ wurde sein Blut fr ~das +unglubige Volk~, zu ~trinken~ gab er es den ~Seinen.~ + +Mit letzterem will er sagen, dass, da das ~Blut die Seele ist~, seine +Seele in sie bergehen werde, um ihnen zu ihrer bevorstehenden hohen +Mission Kraft zu geben, sie zu strken, damit auch sie, wenn der Fall +an sie herantritt, imstande seien, ihrerseits ihre Seele als Lsegeld +fr andere dahinzugeben. Nicht seinen Leichnam reicht er ihnen dar, +sondern seinen lebendigen Leib als den Trger des ihm innewohnenden +gttlichen Geistes. + +In der urchristlichen Feier kommt, neben dem Essen und Trinken, +auch dem, was Jesus gethan hat, dem Brechen und Danken -- ~in +entsprechender Wiederholung~ -- Bedeutung zu. Dies war der Standpunkt +von SCHULTZEN. HOFFMANN geht noch weiter. ~Das Wesentliche der ersten +Mahlzeit war ohne weiteres nicht zu wiederholen~, eben die Handlung des +Herrn, wie sich in ihr seine berragende Geistesgrsse, seine Kraft und +Leben ausstrmende Gegenwart noch zum letztenmal ihnen dokumentiert +hatte (S. 106). + +Eine Wiederholung ohne Wiederholungsbefehl ist also ~undenkbar.~ Der +Wiederholungsbefehl muss sich vor allem auf den Genuss bezogen haben, +da Jesus zur Erinnerung an ihn ein ~Mahl~ eingesetzt hat. Es lsst sich +nicht mehr ausmachen, wie sich in der ersten Zeit das Abendmahl des +nheren zur Gemeindemahlzeit verhalten habe. Fr Paulus jedenfalls war +die feierliche Gemeindemahlzeit mit dem Abendmahl untrennbar verbunden. + +Der Eschatologie kommt in der Darstellung HOFFMANN's keine Bedeutung zu. + + + + +Siebentes Kapitel. + +=Der gesetzmssige Zusammenhang zwischen den Einzelfragen.= + + +=1. Der Wiederholungsbefehl.= + +Die historische Feier ist eine Mahlzeit: darin liegt ihre Wiederholung +von selbst begrndet. Wenn Jesus dem Essen und dem Trinken im +gemeinsamen Kreis der Seinigen eine besondere, irgendwie segensreiche +Bedeutung verleiht, so ist hiermit ohne weiteres die Wiederholung +gefordert. Er braucht das nicht in einem Befehl ausgesprochen zu haben. + +Dies ist der Standpunkt der das Genussmoment ausschliesslich betonenden +Darstellungen. Auch die doppelseitigen Auffassungen, welche das +Genussmoment zu Grunde legen, stimmen damit berein. Wenn die Jnger +Jesum verstanden haben, mussten sie von selbst diese Feier wiederholen. +Sofern hingegen das ~Darstellungsmoment~ nebenbei betont wird, ist nun +aber die Wiederholung gar nicht selbstverstndlich. Was Jesus gethan, +das kann eigentlich nicht wiederholt werden. + +So gehen diese doppelseitigen Darstellungen von dem Gedanken aus, dass +der Wiederholungsbefehl eigentlich berflssig ist, kommen aber dann +dazu, ihn doch irgendwie als mglich oder notwendig anzunehmen. + +Die Frage bleibt fr sie also in der Schwebe. Je strker der +Leidensgedanke und das Darstellungsmoment fr die historische Feier +geltend gemacht werden, mit desto grsserer Entschiedenheit wird zur +Erklrung der eingetretenen Wiederholung eine darauf hinzielende +Anweisung gefordert. + + +=2. Das Abendmahl und die urchristliche Gemeindemahlzeit.= + +In der Gemeindefeier steckt ein Doppeltes. Wiederholt wird eine +gemeinsame Mahlzeit. Dabei soll aber in irgend welchem Masse ein +historischer, an sich einzigartiger Moment reproduziert werden. +In welchem Verhltnis steht das wiederholte Herrenmahl zu den +gemeinsamen religisen Mahlzeiten des Urchristentums? + +Nach den Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments +sind beide ~identisch~, denn fr sie besteht ja auch die historische +Feier nur in der Mahlzeit als solcher. Die doppelseitigen Darstellungen +aber kommen hier in dasselbe Gedrnge, wie mit dem Wiederholungsbefehl. +Auch sie, sofern sie den Mahlzeitcharakter zu Grunde legen, sollten +eigentlich die Identitt proklamieren. Nun betonen sie aber daneben +auch das Darstellungsmoment. Dann wird aber die Gemeindefeier zur +Wiederholung einer bestimmten ~historischen Situation~, welche nicht +mehr durch die ~gemeinsame Mahlzeit als solche reproduziert wird.~ Das +wiederholte Herrenmahl soll also jetzt von der gemeinsamen religisen +Mahlzeit irgendwie ~abheben~, jedoch nur soweit, dass die letzthinige +Einheit beider festgehalten wird. Die Schwierigkeit wchst mit der +strkeren Betonung des Darstellungsmoments. Man erhlt folgende +Stufenleiter: + +W. BRANDT: Jesus macht die gemeinsamen Mahlzeiten zum Symbol der +Gemeinschaft. Als nach seinem Tode der Glaube an ihn neu auflebte, +wurde natrlich das vom Herrn selbst gegebene Symbol der Gemeinschaft +besonders gepflegt. Gemeindemahlzeit und Herrenmahl sind identisch. + +FR. SPITTA: Es wurde bei Brot und Wein immer daran gedacht, wie +er damals darauf hingewiesen, dass er jetzt und in alle Ewigkeit +die rechte Speise und Erquickung ihrer Seele sei. Die Didache +reprsentiert die urchristliche Feier. Herrenmahl und Agape +waren danach identisch. Es ist verfehlt, Didache 9 und 10 als +Einleitungsgebete zur eigentlichen Abendmahlsfeier auffassen zu +wollen. + +AD. HARNACK: Hier beginnt die Differenzierung. Sie ist in dem +klassischen Satz mit den Rangiergeleisen enthalten. Der Herr hat +ein Gedchtnismahl seines Todes eingesetzt, ~oder vielmehr~, er hat +die leibliche Nahrung als sein Fleisch und sein Blut, d. h. als die +Nahrung der Seele bezeichnet (durch die Sndenvergebung), ~wenn~ sie +mit Danksagung in Erinnerung seines Todes genossen wird. So haben +die Apostel seine Stiftung verstanden. Eine Feier, bei der alle +diese nheren Bestimmungen zum Ausdruck kommen sollen, ist aber keine +einfache gemeinsame Mahlzeit mehr, sondern eine ~Ceremonie.~ Jesus +verhiess ihnen, dass er mit der Kraft seiner Sndenvergebung bei jeder +Mahlzeit sein werde, die sie zu seinem ~Gedchtnis~ halten wrden. Wie +wurde aber die gemeinsame Mahlzeit als Gedchtnismahl gekennzeichnet? +Durch welche Akte, durch welche Reden? Wie wurde die Situation des +historischen Mahls reproduziert, wo doch auch das Abendmahl nur ein +besonderer Augenblick im Verlauf der letzten gemeinsamen Mahlzeit +gewesen war? + +ERICH HAUPT: Die ganze Zusammenkunft soll religisen Charakter tragen, +und das Herrenmahl ~in engerem Sinn~ ist nur der ~Hhepunkt des +Ganzen.~ Weil HAUPT das Darstellungsmoment strker betont als HARNACK, +kann er Gemeindemahl und Abendmahl nicht irgendwie in einander +bergehen lassen, sondern er muss das Abendmahl als eine besondere +Situation auffassen, die den Hhepunkt der ganzen Mahlvereinigung +reprsentiert. Er kann nicht darum herumkommen, die auf Grund der +Stiftung wiederholte Handlung von der religisen Mahlzeit sich +abheben zu lassen und doch wieder die letzthinige Einheit beider +festzuhalten. So bleibt ihm nur das Verhltnis der Steigerung. + +SPITTA und HARNACK bestreiten, dass in Didache 10 _6_ wenn einer +heilig ist, trete er herzu eine besondere Feier beginnt. HAUPT muss +seine Steigerung auch hier wiederfinden und nimmt an, dass diese Worte +die eigentliche Abendmahlsfeier einleiten. Das Herr, komme doch +bezieht sich auf die Gegenwart des Herrn im Sakrament. + +FR. SCHULTZEN: Durch den Begriff des Opfermahls hlt er die beiden +auseinanderstrebenden Teile der Feier zusammen. Er kann sie aber nicht +mehr, wie ERICH HAUPT, in das Verhltnis der Steigerung setzen -- dazu +ist die Betonung des Darstellungsmoments bei ihm schon viel zu stark +-- sondern er muss die Trennung konstatieren. In dem Begriff des +Opfermahls ist die Wiederholung der Mahlzeit unmittelbar gegeben und +ebenso der stetige Empfang der gespendeten Gabe (S. 74). Wiederholt +wird aber zweitens die Handlung des Veranstalters der Opfermahlzeit, +als Voraussetzung des Empfangs und des Genusses der Teilnehmer. Die +Gabe, die er ihnen zuwandte, sollte den Erfolg haben und hat ihn auch +wirklich gehabt, ~dass sie wiederholten, was er gethan~, und damit auch +ferner an dem Segen seines Opfertods Anteil erhielten (S. 96). + +Wie soll man sich aber vorstellen, dass die Jnger beim gemeinsamen +Mahl wiederholten, was er gethan? Das bedeutet nichts anderes, als +dass das Gemeindemahl und das Abendmahl auf die Trennung angelegt +waren. In I Kor 11 macht Paulus die schon vor ihm angebahnte Scheidung +nur strker geltend. Dass nachher die Eucharistie vom Mahle gnzlich +losgelst wurde, ist nur die geschichtliche Vollendung des schon in +der Stiftung enthaltenen Prozesses. + +R. A. HOFFMANN: Das Darstellungsmoment tritt so stark hervor, dass +HOFFMANN auf die Lsung des Problems verzichtet. Das Wesentliche +der ersten Abendmahlsfeier war ohne weiteres nicht zu wiederholen, +~eben die Handlung des Herrn~ (S. 106). Auf den von Jesus selbst +vorgenommenen Akt kann der Wiederholungsbefehl nicht gehen. Ihn auf +die Handlung der Teilnehmer, das Essen und Trinken zu beziehen, ist +zwar grammatikalisch sozusagen unmglich. Da aber nichts anderes brig +bleibt, mssen wir eben annehmen, Jesus habe zum Mittel der Erinnerung +an ihn ein Mahl eingesetzt. + +Wie er das verstanden haben wollte, ist nicht klar. Es ist stark mit +der Mglichkeit zu rechnen, dass dasjenige, was uns von den Worten +Jesu bei der Einsetzung seines Mahles berliefert worden ist, nicht +alles reprsentiert, was er wirklich zur Aufklrung ber seine uns +heutzutage so schwer verstndliche Handlung gesprochen hat (S. 115). + +Wie man es mit der Feier im Urchristentum gehalten hat, darber ist +keine vollstndige Klarheit zu gewinnen. Wir wissen nur, dass das +Abendmahl in der Urgemeinde eine wirkliche Mahlzeit war, wobei sehr +wahrscheinlich ist, dass das Brotbrechen zugleich Herrenmahl war (S. +137). + +~Zusammenfassung.~ Die Untersuchung ergibt folgenden Satz: ~Bei +ausschliesslicher Geltendmachung des Genussmoments sind die +Gemeindemahlzeit und das Abendmahl identisch. Mit der nebenhergehenden +Betonung des Darstellungsmoments wird die Differenzierung +zwischen beiden in steigendem Masse notwendig, bis zuletzt beide +auseinanderfallen.~ + + +=3. Die Antinomie zwischen der historischen und der urchristlichen +Feier.= + +Es ist wohl nicht das geringste Verdienst der grossartigen Abhandlung +SPITTA's, in voller Schrfe das Prinzip proklamiert zu haben, dass +eine Abendmahlsauffassung nur dann Wert hat, wenn sie das Wesen der +urchristlichen Feier, wie es uns besonders in der Didache begegnet, +erklrt. Dementsprechend bildet die urchristliche Feier auch den +Hauptsttzpunkt seiner Darstellung. Er wird ihr vollkommen gerecht, +da seiner Auffassung zufolge das Abendmahl eine Freudenmahlzeit war. +Indem er von einem Wiederholungsbefehl und von einer Abhebung des +Abendmahls von der Gemeindemahlzeit absieht, stimmt er vollstndig +mit der urchristlichen Ueberlieferung berein; diese weiss ja auch +nichts davon, dass die Feier eine auf den Befehl Jesu erfolgende +ausgesprochene Reproduktion jener historischen Situation sein soll. + +Whrend SPITTA so die urchristliche Feier vollkommen erklrt, vermag +er aber der historischen in keiner Weise auch nur annhernd gerecht zu +werden. Das teilt er mit allen Auffassungen, welche das Genussmoment +einseitig herausarbeiten. Inwiefern die Jnger Jesum verstehen mussten +und verstanden haben, als er sie aufforderte, seinen Leib und sein Blut +zu geniessen: das vermgen sie, ohne unerlaubte Kunstgriffe, in keiner +Weise deutlich zu machen. ~Fr die historische Situation bleibt ihnen +nur der Skeptizismus brig~, wobei sie sich trsten drfen, wenigstens +der urchristlichen Feier gerecht zu werden. + +Mit den doppelseitigen Auffassungen steht es folgendermassen: +Je mehr sie das Darstellungsmoment betonen, desto besser und +ansprechender knnen sie die ~historische Feier~ erklren, da sie +nun den Leidensgedanken und die Symbolik des Handelns Jesu fr die +Deutung der Gleichnisse verwerten knnen. In demselben Masse aber +werden sie ~unfhig, die urchristliche Feier zu erklren.~ Mit dem +Darstellungsmoment ist ja der Wiederholungsbefehl, die Bedeutung +des Leidensgedankens fr die Feier und die Differenzierung zwischen +Abendmahl und Gemeindemahlzeit gegeben. Das alles luft aber der +urchristlichen Ueberlieferung schnurstracks zuwider. Diese weiss nichts +davon, sondern sie beschrnkt sich merkwrdigerweise auf den Satz: Das +Abendmahl ist ein Freudenmahl, bei dem das darstellende Handeln Jesu in +keiner Weise irgendwie reproduziert wird. + +Die Antinomie ist also unlsbar. ~Eine doppelseitige Auffassung erklrt +die historische Feier nur in dem Masse, als sie die urchristliche +nicht erklrt und umgekehrt.~ Dieser Satz enthlt das Grundresultat +der Untersuchung ber die doppelseitigen Darstellungen. Infolge dessen +mssen sie auf die Lsung des Problems verzichten, da keine von ihnen, +und wre sie noch so geistreich, ber diese Antinomie hinauskommen kann. + +Letztere liegt eben in der bisherigen Problemstellung selbst begrndet, +welche die urchristliche Feier als eine ~entsprechende Wiederholung~ +der historischen auffassen will. Nun ist aber das Wiederholte +der Geschichte zufolge dem Ursprnglichen gar nicht hnlich. Die +historische Feier ist eine ~Ceremonie~ im Verlauf einer Mahlzeit, die +urchristliche ist nur eine ~gemeinsame Mahlzeit~ ohne entsprechende +Wiederholung der Ceremonie. Damit ist Antinomie unabweisbar gegeben. + +Nun steht aber fest, dass die urchristliche auf die historische +Feier zurckgeht. Also ist das Problem erst dann gelst, wenn der +Zusammenhang beider erklrt wird, ohne dass deshalb die Gemeindefeier +irgendwie eine entsprechende Nachbildung der historischen ist. ~Die +urchristliche Abendmahlsfeier ist etwas Selbstndiges.~ + + + + +Achtes Kapitel. + +=Die Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des +Darstellungsmoments.= + + +=1. Das Gefechtsfeld.= + +Die Darstellungen mit ausschliesslicher Betonung des Genussmoments +bedeuteten einen khnen Vorstoss gegen die allgemein verbreitete +Auffassung, welche durch die Namen RCKERT, HOLTZMANN und LOBSTEIN +vertreten ist. Es konnte einen Augenblick scheinen, als htte die +hergebrachte Ansicht durch diesen unerwarteten, geschlossenen Angriff +gegen die Deutung der Gleichnisse aus dem Handeln Jesu alle ihre +Positionen verloren. Jetzt aber, wo die Lage sich langsam klrt, zeigt +sich, dass dies nicht der Fall ist. + +Wohl mussten einige exponierte Stellungen von dem angegriffenen +Teil aufgegeben werden. Dafr hat er sich aber in eine Position +zurckgezogen, die als unberwindbar gelten darf. Die Sache steht so, +dass der Angreifer darauf verzichten muss, ~diese befestigte Stellung +jemals zu erobern~, der Angegriffene aber auf absehbare Zeit nicht an +eine ~Aktion im freien Felde~ denken kann. + +Zu den aufgegebenen Positionen gehrt vor allem die Stellung zur +Frage des Passahmahls. Whrend bis in die 70er und 80er Jahre das +letzte Mahl den Synoptikern entsprechend fast allgemein als Passahmahl +aufgefasst wurde, sucht man jetzt diese Frage aus dem Zusammenhang +mit der Gesamtauffassung herauszurcken. Man begngt sich mit einer +vorsichtigen chronologischen Erwgung, ob das synoptische Datum +wahrscheinlich sei oder nicht. + +Aehnlich steht es mit dem Wiederholungsbefehl. Auch die Auffassungen +mit Zugrundelegung des Darstellungsmoments suchen sich von der +Notwendigkeit eines auf die Wiederholung hinweisenden Wortes frei zu +machen. + +Zugleich wird das Genussmoment im ganzen doch entschiedener +hervorgehoben als es bisher der Fall war. Es bleibt jedoch immer in +Abhngigkeit vom Darstellungsmoment und wird erst durch dasselbe +verstndlich. + +Diese Verschiebungen in der Position kann man am besten in den +successiven Kundgebungen LOBSTEIN's und HOLTZMANN's verfolgen, soweit +sie die Abendmahlsfrage betreffen. Sie haben die Verteidigungsstellung +eingerichtet. + + +=2. Der Verteidigungsplan. P. W. Schmiedel.= + + Protestantische Monatshefte 1899: Die neuesten Ansichten ber den + Ursprung des Abendmahls. + +Dem etwas forschen Vorgehen EICHHORN's gegenber unternahm es SCHMIEDEL +darzuthun, wie die Sachen eigentlich liegen. Er zeigt zunchst, dass +die chronologischen Grnde gegen die Mglichkeit, dass das letzte Mahl +ein Passahmahl war, zusammengenommen allerdings einen grossen Eindruck +machen. Betrachtet man sie aber einen nach dem andern, so verlieren sie +bedeutend an Energie. Die Annahme, dass Jesus das gesetzliche Passah +feierte, ist also nicht von der Hand zu weisen, da die entschiedenen +Aussagen der Synoptiker den chronologischen Einwrfen wohl das +Gleichgewicht halten knnen. + +Ueberdies lsst sich der Passahgedanke in ansprechender Weise zur +Erklrung der historischen Feier heranziehen, wobei mit der Mglichkeit +zu rechnen ist, dass in Jesu Seele Passah- und Bundesgedanken +zusammenflossen. + +Was die Handlung betrifft, die er vorgenommen haben soll, ist +anzunehmen, dass das ~Bedeutsame~ mindestens in erster Linie das +Brechen des Brotes und ~das Ausgiessen des Weines aus dem Krug in den +Becher~ sei. Das Austeilen dieser Speisen zum Genuss schliesst sich +als etwas ~Zweites~ an. ~Um der Hauptsache willen wre es nicht ntig +gewesen; aber da man einmal beim Mahle sass, war es naturgemss.~ Es +dient demselben Zwecke wie das einem Bundesopfer oder dem Passahopfer +nachfolgende Mahl berhaupt, der gemeinsamen Aneignung und Pflege des +in dem Opfer vorkommenden Gedankens. + +Die Frage, ob der Wiederholungsbefehl historisch ist oder nicht, +bleibt hier in der Schwebe. Wre er sicher berliefert, so wre er +verstndlich. Aber ebenso begreiflich ist es, dass Jesus an eine +Wiederholung nicht dachte. + +Der genialen Unbesonnenheit gegenber ist ruhiges Abwgen absolut +notwendig. S. 148: Wir mssen noch darauf aufmerksam machen, wie +dringend es sich empfiehlt, auf jeden dem unsrigen hnlichen Versuch +wohlwollend einzugehen, wenn man nicht in ~unlsbare Schwierigkeiten~ +kommen will. Der hohe Wert dieser Stellung beruht nmlich in der +Sttze, die sie in einer natrlichen Exegese unserer neutestamentlichen +Abendmahlsberichte findet. Durch seine Geltendmachung des +Darstellungsmoments kann SCHMIEDEL jeden einzelnen Zug der historischen +Situation, jeden durch die Exegese angedeuteten Nebengedanken in seiner +Gesamtauffassung unterbringen. Es ist gelungen, ~die Mglichkeit, +dass Jesus eine der Beschreibung ungefhr entsprechende Feier wirklich +gehalten habe, auf einen sehr hohen Grad der Wahrscheinlichkeit +zu bringen.~ Die Herleitung der Berichte aus der spteren +Gemeindetheologie, etwa gar mit Benutzung ausserchristlicher Analogien, +wird von selbst gegenstandslos. Jede derartige Konstruktion muss zuerst +den Nachweis erbringen, dass die von ihr behauptete Umbildung sich in +so kurzer Zeit nach Jesu Tod habe einbrgern knnen. + +~Damit erschpft sich aber~ der Wert dieser Verteidigungsstellung: +sie verfgt ber sicher schiessende, gut placierte Geschtze, die +aber nicht sehr weit tragen, sodass vor den Augen der Belagerten die +Reiterschwrme der Belagerer sich auf dem unbestrichenen Terrain +vergngt und unbehelligt tummeln. Es ist nmlich unmglich, dass jemals +eine mit der SCHMIEDEL'schen verwandte Auffassung erklren knne, wie +die von ihnen ~bis ins einzelne verstandene historische Feier~ im +Urchristentum, etwa noch gar ohne Annahme eines dahinzielenden Befehls +Jesu, ~wiederholt worden ist.~ Denn das Schwergewicht liegt ja fr sie +in dem Handeln Jesu. Nun ist dieses Handeln Jesu in der urchristlichen +Feier gar nicht wiederholt worden, weil dies unmglich ist. Der +Leidensgedanke fehlt ihr ja vollstndig. Sie ist eine Mahlzeit, bei +welcher, so viel wir wissen, die Ceremonie der historischen Feier in +keiner Weise reproduziert wurde. Das Nebenschliche, das Essen, ist +also Hauptsache geworden und die Hauptsache ist in der wiederholten +Feier ganz zurckgetreten. + +Ausserhalb des schmalen, von den Festungsgeschtzen beherrschten +Terrainstreifens ist also der geringste Reitertrupp des Angreifers +gegen die wohlbewaffnete, aber schwerfllige Besatzung im Vorteil, wenn +sie einen Ausfall wagen sollte. Jede kecke Konstruktion, von STRAUSS +bis auf EICHHORN, kann das Aufkommen und das Wesen der urchristlichen +Feier besser erklren, als die exegetisch gewissenhafte, aus den +Berichten destillierte Auffassung SCHMIEDEL's. Nur halte die erstere +sich ausser Bereich des exegetischen Verteidigungsfeuers, wenn sie +nicht durch den ersten Schuss ausser Gefecht gesetzt sein will. Frwahr +ein merkwrdiger Kampf, wo es einen nicht Wunder nimmt, dass jeder als +Sieger thut, obwohl der andere unbesiegt ist. + + +=3. Die Offensive. Adolf Jlicher.= + + Zur Geschichte der Abendmahlsfeier in der ltesten Kirche. 1892. + (Theologische Abhandlungen, K. v. WEITZSCKER gewidmet.) + +JLICHER berhrt sich am nchsten mit ZWINGLI, dessen Auffassung er +ins Moderne bersetzt, indem er auf die gegenwrtige Form der Fragen +Rcksicht nimmt. Es handelt sich um die einseitige Geltendmachung des +Darstellungsmoments. + +~Alle auf dem Genussmoment beruhenden Auffassungen legen Jesu moderne +Gedanken unter.~ Was er bei jenem Mahle zuletzt so besonders feierlich +sagte, muss fr jeden Anwesenden unmittelbar verstndlich gewesen +sein. Der Vergleichspunkt muss also in dem liegen, was er vor den +Augen der Jnger mit den Genusselementen vornimmt: in dem Brechen des +Brots und in dem Ausgiessen des Weins. Der Sinn der begleitenden Worte +bezieht sich auf den bevorstehenden Tod. So wie dieser Wein alsbald +verschwunden sein wird, so wird alsbald mein Blut vergossen sein, +denn mein Tod ist eine beschlossene Sache; aber, fgt er trstend +hinzu, es wird nicht umsonst vergossen, sondern fr viele und -- +ein bildlicher Ausdruck, der in dem Gedankenkreis des Passahtages lag +-- als ein Bundesblut. Nur den Gegenstand des Geniessens vergleicht +Jesus hier und dort mit seinem Leibe, ~auf das Geniessen reflektiert er +gar nicht.~ Hchstens insofern das Genussmoment aus dem vorhergehenden +darstellenden Moment irgend eine Bedeutung empfngt, kann man ihm +problematische Geltung zugestehen. So hatte die Feier ursprnglich +einen wehmtig schmerzlichen Charakter, welcher nur aus der Situation +begriffen werden kann. + +Nun lsst die lteste Ueberlieferung Jesum durch nichts andeuten, +dass er jene sinnvolle Handlung auch knftighin von seinen Glubigen +vollzogen sehen mchte. Wie hat man aber dann in der Urkirche aus +dieser historischen Feier so schnell eine zu steter Wiederholung +bestimmte Handlung machen knnen? Zuerst war es wohl ein inneres +Bedrfnis. Passahgedanken und Abschiedserinnerungen wirkten mit. Bald +fand die Wiederholung im Zusammenhang mit jedem Mahle statt und es kam +die Vorstellung eines ausdrcklichen darauf hinzielenden Gebotes Jesu +auf. ~So weit es irgend ging, wollte man die Situation von ehedem +reproduzieren, nur dass man jetzt auf das zurckblickte, was damals +angekndigt werden sollte~ (S. 247). Diese Feier wurde nach dem ersten +Akt kurz das Brotbrechen genannt. Bei der Austeilung der sakramentalen +Elemente hat man wohl nicht von jeher die Deutungs- respektive +Einsetzungsworte des Herrn verbotenus wiederholt, denn sonst wrde +deren Ueberlieferung nicht so viele Differenzen aufweisen. Nach I Kor +11 _26_ hat man dabei nie versumt, den Tod des Herrn zu verknden, +also immer wieder das erschtternde Ereignis sich vor Augen zu stellen +und seine Notwendigkeit, wie seine segensreichen Wirkungen zu errtern; +~aber das geschah in freien Formen.~ + + +=4. Die Skepsis in den Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des +Darstellungsmoments.= + +Die Darstellung JLICHER's bedeutet fr die Abendmahlsauffassungen +mit konsequenter Zugrundelegung des Darstellungsmomentes das, +was die Abhandlung EICHHORN's fr die das Genussmoment zu Grunde +legenden Auffassungen war. Beide zeigen durch die Konsequenz ihres +Gedankenaufbaus, dass die alleinige Betonung des von ihnen zu Grunde +gelegten Moments notwendig zum Skeptizismus fhrt. Dies tritt bei +EICHHORN darin zu Tage, dass er die historische Feier, von der +urchristlichen Gemeindefeier aus betrachtet, nicht zu erklren vermag. +JLICHER kann die Gemeindefeier von der historischen Feier aus nicht +erklren. + +Er hat ganz Recht, wenn er sagt, dass die Zugrundelegung des +Genussmoments die Zuhlfenahme moderner Gedanken zur Erklrung der +historischen Worte Jesu fordere. Heisst es aber nicht ebenso sehr +moderne Gedanken auf vergangene Zeiten bertragen, ~wenn man sich die +urchristliche Feier als gewollte, mglichst genaue Reproduktion der +Situation von ehedem begreiflich machen will~? JLICHER's Auffassung +knnte die zwinglische Gemeindefeier erklren -- und da fehlte ihm noch +der Wiederholungsbefehl -- aber niemals die urchristliche religise +~Gemeindemahlzeit.~ + +Die Schwierigkeiten werden gerade durch seine scharfe und +logisch einheitliche Gesamtauffassung mit absoluter Deutlichkeit +herausgearbeitet. Er erlaubt sich nicht zwischen dem Abendmahl im +eigentlichen Sinne und der Gemeindemahlzeit zu unterscheiden. Mit +diesem Spielraum hatten die doppelseitigen Darstellungen aller +Schattierungen operiert und damit die grssten Schwierigkeiten +berwunden. ~Die ganze Gemeindefeier ist Herrenmahlzeit~ -- so sagt +JLICHER und stimmt dabei mit niemand so vollkommen berein als mit +SPITTA und EICHHORN. + +Damit ist aber die Antinomie, welche zum Skeptizismus fhrt, notwendig +gegeben. Die Gemeindefeier, auf die JLICHER von seiner Auffassung +der historischen Feier aus kommt, ist eine Fiktion, welche der +wirklichen urchristlichen Mahlfeier geradezu widerspricht, da die +letztere keine Reproduktion der Situation von ehedem war. Wie die +Wiederholung aufgekommen, vermag er in keiner Weise darzuthun. Dass +es zunchst wohl ein inneres Bedrfnis war, bei dem Passahgedanken und +Abschiedserinnerungen mitwirkten: diese problematische und gewundene +Annahme erklrt fr die Wiederholung gar nichts. + +Nun knnte JLICHER durch den Wiederholungsbefehl um die Schwierigkeit +herumkommen. Das erlaubt ihm aber sein exegetisches Gewissen nicht. +Obwohl er ihn absolut notwendig brauchte, verzichtet er darauf, +weil er durch die beiden ltesten Synoptiker nicht bezeugt ist. +Seine ansprechende Auffassung ist aus der exegetischen Betrachtung +der Berichte erwachsen. Gerade die Exegese beraubt ihn aber der +einzigen Mglichkeit, die Wiederholung der von ihm geschilderten +Feier im Urchristentum auch nur einigermassen begreiflich zu machen. +Die urchristliche Feier als Reproduktion der historischen Situation +ohne Wiederholungsbefehl ist einfach undenkbar. Also stehen wir +hier vor einer vollstndigen Selbstauflsung. Um das Aufkommen der +urchristlichen Feier zu erklren, msste JLICHER eine unabhngig von +den Berichten gegebene Thatsache postulieren -- wie EICHHORN es thut, +um das Aufkommen des historischen Berichts fasslich zu machen. + +Die konsequente Geltendmachung des Darstellungsmoments fhrt also zu +derselben Skepsis, wie die einseitige Herausarbeitung des Genussmoments. + + + + +Neuntes Kapitel. + +=Die neue Problemstellung.= + + +=1. Das Ergebnis der Untersuchung.= + +Die Auffassungen mit einseitiger Betonung des Genussmoments knnen nur +die ~urchristliche~, nie die ~historische~ Feier erklren. + +Die Auffassungen mit einseitiger Betonung des Darstellungsmoments +knnen nur die ~historische~, nie die ~urchristliche~ Feier erklren. + +Die doppelseitigen Auffassungen knnen die ~historische~ Feier nur in +dem Masse erklren als sie die ~urchristliche~ nicht erklren, und +umgekehrt. + +Also vermag keine dieser Auffassungen das Abendmahlsproblem zu lsen, +da dieses gerade verlangt, ~dass beide Feiern in ihrem gegenseitigen +Zusammenhang begriffen werden!~ + +Durch diese Stze werden nicht bloss die hier besonders analysierten +Auffassungen betroffen. Diese sind nur Typen fr so und so viele +andere, die schon verffentlicht worden sind oder noch im Zeitenschosse +schlummern. Vergangen oder zuknftig: alle werden sie durch die obigen +drei Stze schon im Vorverfahren abgethan. Ehe sie berhaupt gehrt +werden knnen, mssen sie zuerst nachweisen, dass sie etwas anderes +sind als eine neue Kombination von Darstellungs- und Genussmoment. +Knnen sie das nicht, so sind sie von vornherein abgewiesen, denn +dann vermgen sie das Problem nicht zu lsen. Es kommt ja nicht auf +ihr bestimmtes Geprge oder auf die Art, wie sie sich historisch und +exegetisch darstellen, an, ~sondern nur auf das Verhltnis, in dem das +Darstellungs- und das Genussmoment darin zu einander stehen.~ Alles +andere ist Beiwerk. + +Jede Auffassung ist durch die Formel bedingt, welche das von +ihr angenommene Verhltnis des Darstellungs- zum Genussmoment +ausdrckt. Damit ist ja ihre Stellung zu den Einzelfragen -- dem +Wiederholungsbefehl, der Deutung der Gleichnisse, der Form der +angenommenen urchristlichen Feier u.s.w. -- entschieden. ~Man kann +sie danach geradezu ausrechnen.~ Was die Verfasser dann noch von dem +Ihrigen an geistreichen Einfllen, exegetischen Funden und genialen +Inkonsequenzen hinzuthun, das ist alles ohne Belang. Ohne dass sie es +wissen, folgen sie ja einem inneren Zwang. Weil sie ~mssen~, nehmen +sie die schwersten exegetischen Hindernisse! Weil sie ~nicht anders +knnen~, bersehen sie schwerwiegende historische Fragen! Weil sie die +Verschnrkelungen am Erker nach freiem Bednken entwerfen drfen, sind +sie -- und die andern mit ihnen -- geneigt zu vergessen, dass ihnen der +Grundriss des Baues aufgegeben ist. + +Unter den gegebenen Voraussetzungen gibt es keine neuen +Abendmahlsauffassungen mehr. Ob auch eine aus einer exegetischen +oder historischen Beobachtung hervorwchst, kann sie im Grunde doch +nichts anderes sein, ~als die Wiederholung oder Modifizierung einer +schon vorhandenen, nmlich der, mit welcher sie die Formel ber das +Verhltnis der beiden Momente gemein hat.~ Wollte man sich die Mhe +geben, den Stammbaum der vorhandenen Auffassungen aufzustellen, so +wrde es nicht schwer halten, jeder ihre Vorfahren zu entdecken. + +Die Darstellungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments +sind nur die wissenschaftlich-historische Reproduktion der +altgriechischen Auffassung. + +ZWINGLI hat die rmische Theorie rationalisiert und ist von JLICHER +ins modern-geschichtliche bertragen worden. + +Die doppelseitigen Auffassungen geben die Vermittlungsversuche +zwischen der Messe und dem griechischen Mysterium und diejenigen der +Reformationszeit in historischer Form wieder. Man kann also ruhig +sagen, dass alle mglichen Kombinationen der beiden Momente schon +erschpft sind. + +Mit neuen Auffassungen ist also nichts gethan; neu daran ist immer +nur der Einfall, nie die Formel -- ~und auf letztere kommt es allein +an.~ Darum fhrt die Detailauseinandersetzung mit einer solchen neuen +Auffassung zu gar nichts. Das fr richtig und das fr falsch +Befundene hngen ja gesetzmssig zusammen: eins ist nur insofern +richtig, als das andere falsch ist. + +Daran liegt es, dass Arbeiten in der Art, wie sie RUD. SCHFER, +CLEMEN[11] und SCHMIEDEL zu den neuesten Aufstellungen geliefert haben, +trotz aller abwgenden Gewissenhaftigkeit die Forschung nicht in dem +Masse des aufgewandten Scharfsinns vorwrts bringen. Aus dem, was sie +anerkennen, lsst sich keine neue Auffassung zusammenbauen, und das, +was sie auszusetzen haben, reicht nicht hin, die andere zu verwerfen, +wenn man nichts Besseres an die Stelle zu setzen hat. + +Diejenigen, welche unter den gegebenen Verhltnissen neue +Abendmahlsauffassungen aufstellen, rechnen ein Exempel, das bisher nie +hat wollen aufgehen, zum so und sovielten Male durch. Ihre Kritiker +rechnen das Exempel zum so und sovielten Male nach. Auf geht es aber +darum doch nicht. + +~Es kann nie aufgehen.~ Darum ntzt es nichts, immer mit Eifer und +Sammlung von vorn anzufangen. Man muss den Fehler nicht in der +Rechnung, sondern im Ansatz suchen. Die bisherigen Auffassungen +bringen es nicht ber dialektische Behauptungen hinaus, welche als +Ganzes aus den geschichtlichen Thatsachen weder zu beweisen noch zu +widerlegen sind. + +~Es gilt also sich von der bisherigen Problemstellung loszumachen.~ + +~Wo liegt der Grund des Metaphysischen in der Abendmahlsfrage?~ + + +=2. Der neue Weg.= + +Bisher galt der Satz: Um das Abendmahl zu erklren, muss man von der +Deutung der Gleichnisse ~ausgehen~, denn diese konstituieren das Wesen +der Feier. So suchte man sie aus dem Genuss, oder aus dem Handeln, oder +aus beiden zusammen zu deuten -- und, wenn man eine plausible Erklrung +gefunden hatte, glaubte man den Schlssel zum Abendmahl zu besitzen. + +Nun gilt es aber zwei Thren zu ffnen: der betreffende Schlssel passt +aber jedesmal nur zu einer. Angenommen SPITTA und die andern deuten die +Gleichnisse richtig auf das Urchristentum: der historischen Situation +entspricht aber ihre Erklrung nicht. Angenommen JLICHER und die +andern deuten sie richtig aus der historischen Situation: im Sinne des +Urchristentums ist aber ihre Erklrung nicht, denn dort kommt in keiner +Weise zum Ausdruck, dass die Handlung Jesu den Tod versinnbildlichte. + +Man hat aber allen Grund zu fragen, ob die Gleichnisse aus der sie +begleitenden Handlung ~so ohne weiteres~ deutbar sind. Alle Erklrungen +werden ja auf Umwegen erreicht! Wieso soll das Brechen des Brots die +Kreuzigung des Leibes anzeigen? Ist diese Erklrung etwa deswegen +einleuchtender, weil es die einzige ist, welche die begleitende +Handlung offen lsst? Wer sagt uns, dass es die Jnger so verstanden +haben knnen? In der urchristlichen und altchristlichen Epoche, ja +eigentlich bis auf ZWINGLI weiss kein Mensch etwas von dieser Deutung. + +Mit dem Wort ber dem Kelch steht es noch schlimmer. Hier muss man +nmlich, um dem Gleichnis einen Sinn abzugewinnen, den Vergleichspunkt +zur Handlung ~geradezu hinzuerfinden.~ Berichtet ist nur das +~Herumreichen~ des Kelches. Dieses ist aber fr das ~Vergiessen +des Blutes~ nicht charakteristisch. Das einzig Ertrgliche wre +das ~Ausgiessen in den Kelch~. ~Obwohl nun diese Handlung in +keinem Berichte erwhnt ist~, haben es alle exegetischen Deutungen, +welche auf dem Darstellungsmoment beruhen, mit dem ~Ausgiessen~ +des Weines in den Kelch zu thun. Aus der inneren Zwangslage heraus +schaffen sie frei ein ~Analogon zum Brotbrechen~, ohne sich darber zu +rechtfertigen, wie sie dazu kommen, die Situation in unerlaubter Weise +zu bereichern. + +Wo steht denn geschrieben, dass Jesus den Wein in den Kelch vor den +Augen der Jnger bedeutungsvoll eingoss, wie er das Brot brach? +Nirgends! Also beruht die exegetische Deutung des zweiten Gleichnisses +~auf reiner Erfindung.~ + +Gestehen wir es offen ein: es fehlt uns jegliche Anleitung zu einer +natrlichen Deutung der Gleichnisse. Ueber Knstelei haben wir es +dabei nicht hinausgebracht. Unser Schlssel ist nur ein schlechter +Nachschlssel: er passt zur Not in das eine Schloss, aber nicht in +beide. ~Und aus dieser Notdeutung der Gleichnisse wollen wir die ganze +historische und urchristliche Mahlfeier erklren!~ + +Wenn man in dieser Notlage einmal den noch einzig mglichen Ausweg ins +Auge fasste! Es geht nicht an, ~die Feier durch die Gleichnisse zu +erklren.~ Versuchen wir es mit dem umgekehrten Verfahren, nmlich ~die +Gleichnisse aus der Feier zu erklren~! + +Freilich, am Anfang scheint das nur das letzte verzweifelte Rtteln an +der verschlossenen Thr. Aber berlegen wir die Sache einmal ruhig. + +Beim Abendmahl handelt es sich um die Austeilung von Seiten Jesu, um +den Genuss von Seiten der Jnger und um zwei Gleichnisse, welche mit +dem Vorgang ~zusammenfallen.~ Ich sage ~zusammenfallen~! In einer +~Situation~ knnen Handlungen und Reden zeitlich zusammenfallen, +whrend sie in dem Bericht nur in zeitlicher Folge geschildert +werden knnen, weil die Worte jedes Nebeneinander notwendig in eine +Aufeinanderfolge auseinanderlegen. + +So halten unsere Berichte die Reihenfolge: Austeilung, Gleichnis, +Genuss inne, als htte Jesus zuerst symbolisch gehandelt, dann +ausgeteilt, dann das erklrende Gleichnis gesprochen, worauf zuletzt +die Jnger verstndnisvoll gegessen htten. + +Versucht man es aber einmal, sich den berichteten Vorgang als Scene +vorzustellen, so merkt man bald, ~dass die suberliche chronologische +Folge stark illusorisch wird.~ Man denke sich die 12 Menschen, +die wie auf eine innere Verabredung hin mit dem Essen des ihnen +zugeteilten Stckes warten, bis Jesus das Gleichniswort gesprochen! Wie +unnatrlich, ja unmglich diese Scene in der gedachten chronologischen +Folge der Handlungen ist, kann man in Oberammergau sehen, wenn sie ins +Leben bersetzt wird! Es lsst sich kaum etwas Unnatrlicheres und +Geschraubteres denken. + +Fr den, welcher eine berichtete Situation mit dem Blick des Malers in +der Wirklichkeit zu schauen vermag, bleiben nur zwei Mglichkeiten. +Entweder hat Jesus jedem Einzelnen das Brot zugeteilt und dabei +fr jeden Einzelnen das Gleichniswort wiederholt: dann ist die +chronologische Folge so haltbar. Oder aber, wie feststeht, er hat allen +zusammen Brot ausgeteilt und das Gleichniswort nur einmal gesprochen: +dann ist die chronologische Folge, mit der wir bisher operierten, +illusorisch geworden. Sie besagt dann nur, dass Jesus im Verlauf der +Austeilung des Brotes und whrend des Herumreichens des Bechers die +Gleichnisworte vom Leib und vom Blut gesprochen! ~Ob zu Anfang, in der +Mitte oder zu Ende, ob vor, whrend oder nach dem Essen und Trinken: +das ist nicht auszumachen.~ Unsere Berichte geben uns darber keinen +Aufschluss. + +Aus der angenommenen ~chronologischen~ Folge haben die bisherigen +Auffassungen ohne weiteres eine ~causale~ gemacht. Man sagte: Die +Austeilung und das dabei vorkommende Brechen und Ausgiessen begrndet +das Gleichnis, das Gleichnis soll den Jngern die Bedeutung des +Genusses erklren, und die Bedeutung des Genusses macht das Wesen der +Feier aus. + +Aus einer angenommenen zeitlichen Folge eine causale zu machen, das ist +ein Fehler, den das menschliche Denken trotz aller Warnungen immer und +immer wieder macht und sich dadurch die grssten Probleme schafft. + +~Nun zeigt die Geschichte, dass gerade diese angenommene causale Folge +das Abendmahlsproblem unlsbar macht.~ Andererseits beschrnkt sich +unsere Kenntnis von der Situation darauf, dass Jesus im Verlauf der +Austeilung die Gleichnisse gesprochen hat. Also machen wir uns von dem +Vorurteil los, als ob die Gleichnisse die Feier konstituierten, und +fassen das Problem so, ~dass die Feier die Gleichnisse erklrt.~ Anders +ausgedrckt: Man meinte bisher, dass Jesus die Jnger aufforderte, das +dargereichte Brot und den herumgereichten Wein zu geniessen, ~weil er +sie als seinen Leib und sein Blut bezeichnet hatte~ (wobei freilich +niemand sagen kann, in welchem Sinne sie mit Brot und Wein seinen Leib +und sein Blut assen und tranken). + +Wir aber gehen jetzt davon aus, dass Jesus von dem Brot und dem Wein, +die seine Jnger auf seine Darreichung hin genossen, sagt, sie wren +sein Leib und sein Blut, ~gerade im Hinblick darauf, dass sie es auf +seine Darreichung hin geniessen~! Sie essen also nicht seinen Leib und +trinken nicht sein Blut, sondern, ~weil sie jenes Brot essen und jenen +Wein trinken~, sagt er, es ~sei sein Leib und sein Blut~! Das Gleichnis +konstituiert also die Feier nicht, sondern es erwchst aus ihr! + +Die Feier ist selbstndig! Sie besteht darin, dass Jesus unter +Danksagung seinen Jngern das Brot bricht und den Kelch herumreicht und +sie davon geniessen. Zum Wesen der Feier gehren die Gleichnisse nicht, +sondern Jesus spricht in diesen geheimnisvollen Worten die Bedeutung +aus, welche die Feier fr ~ihn~ hat! + +Diese zweite Eventualitt liegt gerade so gut in den Berichten wie +die erste. Nur ging man immer an ihr vorber, weil die chronologische +Folge der Handlungen in der schriftstellerischen Darstellung die +Aufmerksamkeit ganz fr die erste gefangen nahm. + +Nun ist aber logisch festgestellt, dass die bisherige Annahme das +Problem vollstndig unlsbar macht. Also muss man es notgedrungen mit +der zweiten probieren. + +Ueberdies spricht die Geschichte gerade fr die zweite. Es steht fest, +dass die Leidensgleichnisse in der urchristlichen Feier ~keine Rolle~ +spielten. Sie wurden im Verlauf der Feier in keiner Weise reproduziert! +Dafr sprechen Didache und Paulus, denn wenn sie aus dem alltglichen +Verlauf der Feier bekannt gewesen wren, bliebe I Kor 11 _23_ +unverstndlich, da hier dann etwas Bekanntes in geheimnisthuerischer +Weise wiederholt wrde! Es stand also im Urchristentum so: Man wusste +wohl, dass diese Gleichnisse bei der historischen Feier gesprochen +worden waren, die Gemeindefeier leitete sich von dieser historischen +Feier ab: ~aber doch fhlte man kein Bedrfnis, die historischen +Gleichnisse Jesu dabei irgendwie zu reproduzieren. Also war die +historische Feier, sofern sie sich in der Gemeindefeier fortsetzte, +von den Gleichnissen unabhngig~, da man sonst auch die Gleichnisse +wiederholt htte. Das ist durch die Geschichte bezeugt. + +Darum hat es das Abendmahlsproblem gar nicht mehr mit den beiden +unmglichen Fragen zu thun, wieso Jesus seinen Jngern seinen Leib zu +essen und sein Blut zu trinken gegeben habe und wie sie diese Feier +spter in entsprechender Weise reproduzierten, sondern das Problem +selbst ist ein ganz anderes. Es heisst nicht mehr: ~Was bedeuten die +Gleichnisse~, damit wir die Feier erklren knnen? sondern: ~Was +bedeutete die Feier~, damit wir die ~Gleichnisse~ erklren knnen. + +~In welchem Sinne war die Austeilung von Brot und Wein beim letzten +Mahl ein so beraus feierlicher Akt, der sich auf Jesu Tod bezog?~ -- +von dieser Frage hat die Untersuchung auszugehen, indem sie die +Gleichnisse vorerst ganz bei Seite lsst. Es ist der einzige Weg zur +Lsung des Problems. + + +Fussnoten: + +[11] Der Ursprung des heil. Abendmahls von Lic. Dr. KARL CLEMEN. 1898. +Hefte zur christl. Welt No. 37. + + + + +Zweiter Teil. + +=Das Abendmahlsproblem auf Grund der historischen Berichte.= + + + + +Zehntes Kapitel. + +=Die textkritischen Fragen.= + + +=1. Cod. D. Die textkritische Hauptfrage.= + +Es handelt sich um den Lukasbericht (Lk 22 _15-20_). In der +gewhnlichen Fassung zeigt er ein eigentmliches Geprge. Er bietet +zunchst ein Wort ber den Passahgenuss in dem zuknftigen Reiche. +Darauf folgt ein hnliches Wort, den Becher betreffend, welches mit +dem synoptisch-eschatologischen Schlusswort nach Markus und Matthus +bereinstimmt. Nachdem so gleichsam ein erster Redegang ber das Essen +und Trinken abgeschlossen ist, kommt das Wort ber dem gebrochenen +Brot und ber dem Wein als Bundesblut; bei letzterem fehlt dann das +bei den beiden lteren Synoptikern den zweiten Akt beschliessende +eschatologische Schlusswort. + +Wir haben also eine merkwrdige Doppelheit: zwei Worte das Essen, und +zwei den Kelch betreffend. Von den beiden auf das Essen bezogenen +Worten handelt nur das zweite von dem Genuss des Brots, whrend das +erste vom Passah allgemein redet. Die Doppelheit ist also hier nicht so +auffllig, wie in den beiden das Trinken betreffenden Worten, welche +sich beide auf den Kelch beziehen. Das zweite nimmt sich wie ein +Nachtrag zum ersten aus, da es ohne das eschatologische Schlusswort +steht, die Aufforderung zum Genuss nicht enthlt und berhaupt in +dieser Form der Feier keinen abrundenden Abschluss gibt, wie es das +altsynoptische Kelchwort thut. + +Als daher diese eigentmliche Doppelheit in dem Lukasbericht auffiel, +war die natrlichste Korrektur schon gegeben: das zweite Kelchwort, +da die Aufforderung zum Genuss schon im ersten enthalten schien, +zu streichen, dagegen das zweite Wort ber dem Brot, das in seiner +spezifischen Eigenschaft vorher nicht erwhnt war, zu belassen, weil +es die Aufforderung zum Genuss enthlt. Es ist die Korrektur von Cod. +D.[12] Er schliesst mit den Worten: [touto esti to sma mou] (V. _19_). + +Entschliesst man sich einmal zu diesem so natrlichen Abstrich, so +liegt gar kein Grund mehr vor, das Kelchwort mit seiner Aufforderung +zum Trinken sich zwischen die beiden auf das Essen bezogenen Aussagen +eindrngen zu lassen und sie unnatrlich auseinanderzureissen; man +moduliert nach der ursprnglichen synoptischen Harmonie zurck, sodass +das eschatologische Schlusswort beim Kelch wieder ans Ende kommt. Tritt +dementsprechend V. _17_ und _18_ hinter _19_, so erhlt man einen +Bericht, der sich von dem gewhnlichen nur dadurch unterscheidet, +dass er vor dem Brotwort ein Wort ber das Passah bringt, welches dem +eschatologischen Schlusswort ber dem Kelch nachgebildet ist. Dieses +Verfahren findet sich bei b c.[13] + +~Die Entstehung des Abendmahlsberichtes des Cod. D. beruht auf +Reflexion.~ Ueberhaupt bricht sich die Ueberzeugung immer mehr +Bahn, dass seine Abweichungen durchweg diesen Charakter tragen. +Eine originelle Vorstellung der historischen Feier schwebt dieser +Berichtform gar nicht vor. Daher betrifft die Grundfrage der Textform +des Lukas gar nicht Cod. D, sondern die gewhnliche Lesart. Wie kommt +Lukas dazu, den Bericht ~so ins Doppelte sich spiegeln zu lassen~, +dass der Versuch, diese Doppelheit als auf ein Versehen zurckgehend +zu korrigieren, sich in Cod. D notwendig einstellen musste? Diese +Frage ist aber gar keine textkritische mehr, sondern sie hngt mit +der Entwicklung der Feier im Urchristentum und der damit gegebenen +Verschiebung des Bildes des historischen Mahles zusammen.[14] + + +=2. Abweichende Lesarten.= + +Die Frage, ob in den einzelnen Fllen [eulogsas] oder [eucharistsas] +zu lesen ist, hat keine Bedeutung. Die beiden lteren Synoptiker +gebrauchen den ersteren, Paulus, Lukas und Justin den letzteren +Ausdruck. + +Der Grund der verschiedenen Lesarten in Mt 26 _26_ ist leicht +einzusehen. Partizipien und erzhlende Verben hufen sich in einer +Weise, dass man in keinem Falle eine schwerfllige und ungriechische +Konstruktion vermeiden kann. Ob man nun liest: [labn ho Isous arton +kai eulogsas eklasen kai dous tois mathtais eipen],[15] oder ob man +eines der Partizipien auflst und die Lesart erhlt: [labn ho Isous +arton kai eulogsas eklasen kai edidou tois mathtais kai eipen][16] +bleibt sich gleich. Der Satz ist in jedem Falle formlos, weil er eine +Hufung von Handlungen auf einen Moment enthlt, deren zeitlicher und +logischer Zusammenhang sich sprachlich gar nicht wiedergeben lsst. Die +Varianten beruhen auf der empfundenen darstellerischen Schwierigkeit, +die jeder auf eine andere Weise zu berwinden suchte. + +Bei Markus treten die stilistischen Schwierigkeiten nicht so sehr +hervor. Er vermeidet nmlich die namentliche Nennung des Spenders +und der Empfnger, wodurch die matthische Konstruktion so besonders +ungelenk wird. + +Der paulinische und der justinische Bericht sind von dieser +Schwierigkeit befreit: sie vereinfachen die Situation, indem sie die +Darreichung ([edken]) und die Aufforderung zum Genuss ([labete]) +auslassen. + +Das [phagete] in Mk 14 _22_[17] ist naive matthische Nachbildung. Die +alten Zeugen bieten nur [labete]. + +Der Zusatz [kains], den einige Lesarten bei dem Wort ber dem +Becher in Mk 14 _24_[18] bieten, beruht auf naiver Nachbildung der +paulinischen Version. + + +=3. Das Ergebnis der Textkritik.= + +Die Verschiedenheit der Lesarten ist nicht darin begrndet, dass +die eine mit ihren Wurzeln historisch hher hinaufreicht als die +andere. Sie gehen zum Teil aus der Schwierigkeit hervor, welche die +betreffenden Auffassungen haben, sich ~stilistisch darzustellen.~ +Zum Teil entspringen sie der Tendenz, die Berichte einander +~gleichzubilden.~ Dazu war es aber schon zu spt: die verschiedenen +Typen hatten schon eine zu scharfe historische Ausprgung erhalten, +als dass es den nachbessernden Versuchen htte gelingen knnen, den +Einheitstypus herzustellen, an dem die vorhergehende geschichtliche +Epoche sich vergebens abgearbeitet hatte. + +Den letzten Versuch dieser Gleichbildung bietet der textus receptus, +sofern er den ersten Akt bei Paulus nach Analogie mit dem matthischen +darstellt und dadurch eine Aufforderung zum Genuss eintrgt (nehmet, +esset), die in I Kor 11 _24_ ursprnglich fehlt. + +Die Aufgabe der Textkritik in der Abendmahlsfrage besteht darin, dass +sie jeden der Berichte in seiner charakteristischen Eigentmlichkeit +darstellt, indem sie ihn von den Spuren der versuchten litterarischen +Gleichbildung mit andern befreit. Diese Aufgabe, so bescheiden sie +scheint, ist von eminenter Tragweite. ~Htte sich die Gleichbildung der +Berichte wirklich durchgesetzt, so wre das Abendmahlsproblem unlsbar.~ + + +Fussnoten: + +[12] D, a, ff. Die Ausgabe von WESTCOTT und HORT hat diese Lesart +adoptiert. + +[13] In derselben Absicht lsst syr^{cu} Vers _20_ aus und setzt dafr +Vers _17_ und _18_ ein. + +[14] Eine eingehende Darlegung der Textfragen, welche den Lukasbericht +betreffen, findet sich in der Abhandlung von ERICH HAUPT. + +[15] So [Aleph] (sed [dous] ex [edidou] korrigiert ab [Aleph]) BDLZ. + +[16] [ACGD]. + +[17] Mk 14 _22_: zu [labete] zugesetzt [phagete] (EFHM). + +[18] Mk 14 _24_: [ts diathks] ([Aleph]BCDL). + + + + +Elftes Kapitel. + +=Die Eigenart des Markusberichts= (Mk 14 _22-26_). + + +Der erste Akt besteht einzig darin, dass Jesus unter Gebet das Brot +bricht und es herumreicht; zugleich spricht er das Gleichniswort von +seinem Leib. Es fehlt, wie bei Matthus, das uns aus Paulus gewohnte +[hyper hymn] und ber Matthus hinaus das [phagete]. + +Ist so im ersten Akt die ~Aufforderung zum Genuss~ in Hinsicht auf das +Gleichnis nicht ausdrcklich ausgesprochen, ~so fehlt sie im zweiten +vollstndig.~ Es wird zuerst berichtet, dass Jesus allen den Kelch nach +dem Gebetswort herumgereicht habe und alle daraus getrunken haben (Mk +14 _23_). ~Darauf erst~ spricht er das Gleichniswort von dem fr viele +vergossenen Blut (Mk 14 24). + +BRUNO BAUER war meines Wissens der erste, der darauf hingewiesen, dass +Markus statt der Aufforderung zum Trinken die ~Konstatierung~ bietet, +dass alle getrunken haben. Er sieht darin nur eine Abschwchung gegen +Matthus, da Markus sich scheue, die Aufforderung Jesu in vollem Umfang +aufrecht zu erhalten. + +Dabei hat aber BRUNO BAUER nicht bemerkt, dass mit dieser Konstatierung +auch die gewhnliche chronologische Folge vom Gleichnis zum Genuss +sich verschiebt, wodurch zugleich das uns gelufige kausale Verhltnis +zwischen Gleichnis und Genuss aufgehoben wird. Diesem Bericht zufolge +ist es unmglich, dass Jesus oder die Jnger die Bedeutung des Trinkens +~aus dem Gleichnis herleiten~, weil dieses ja erst ~auf das Trinken +folgt~! + +Zu beachten ist ferner, wie das weihevoll ([amn]) und nachdrcklich +gesprochene eschatologische Schlusswort von dem Neutrinken in dem Reich +des Vaters sich eng an das Gleichniswort anschliesst! Es bildet den +Hhepunkt der Feier (V. _25_), worauf alsbald der Aufbruch erfolgt. + +~Diese eigenartigen Zge des Markusberichts sind bisher nicht +herausgearbeitet worden.~ Man hat ihn einfach nach den andern gedeutet. +Alle Berichte, so nahm man ohne weiteres an, bieten dieselbe Thatsache. +Beim letzten Mahl hat Jesus den Jngern Brot und Wein so dargereicht, +dass sie die Elemente irgendwie als seinen Leib und sein Blut assen und +tranken. Das Fehlen des [phagete] bei Markus erklrte man daraus, dass +es sich von selbst verstehe. Die Eigentmlichkeit des zweiten Akts hob +man nicht einmal hervor, weil man sie -- ohne sich davon Rechenschaft +zu geben -- nach Matthus und den andern interpretierte. + +Diese Annahme, dass der Markusbericht im Grunde dasselbe besage wie +die andern, ist ~eine der unbewiesenen Voraussetzungen~, mit denen die +bisherigen Abendmahlsauffassungen operierten. Wenn wir nmlich nur den +Markusbericht htten, kme niemand auf den Gedanken, dass Jesus seinen +Jngern Brot und Wein als seinen Leib und sein Blut ausgeteilt und sie +zum Genuss in diesem Sinne aufgefordert habe. Man wrde die zeitliche +Folge im ersten Akt nach der des zweiten auffassen und als Thatbestand +feststellen, dass Jesus ~im Verlauf der Austeilung des Brotes das +Gleichnis von seinem Leib und =nach= der Herumreichung des Bechers +das Gleichnis von seinem Blut gesprochen habe.~ Wenn wir aber einen +Bericht haben, wo Jesus dem strikten Wortlaut zufolge weder seinen +Leib noch sein Blut zum Genuss ausgeteilt hat, so drfen wir ihn nicht, +als handle es sich um eine gewisse Nachlssigkeit und Sparsamkeit im +Ausdruck, nach den andern auslegen, sondern wir mssen ihn mit ihnen +vergleichen und eine Auseinandersetzung herbeifhren. Daraus ergibt +sich dann die Tragweite der Abweichungen. Entweder handelt es sich +um eine absolut ~unverstndliche Schilderung~, die man, weil sie mit +dem feststehenden Thatbestand absolut keine Verwandtschaft hat, als +Kuriosum nicht weiter zu beachten braucht, oder -- ~wir haben den +authentischen Bericht vor uns, von dem die Untersuchung ausgehen muss.~ +Diese Alternative ist nicht zu umgehen, sobald man sich die Eigenart +des Markusberichts klar gemacht hat. + + + + +Zwlftes Kapitel. + +=Der Vergleich der Berichte.= + + +=1. Das Prinzip der Gleichbildung.= + +Aeusserlich betrachtet zeigt sich die Eigenart des Markusberichts +darin, dass die beiden Akte an Umfang und Gesichtspunkten verschieden +sind. Der erste ist ganz kurz; er beschrnkt sich auf das Gebetswort, +das Brechen zum Austeilen und die Gleichnisrede; der zweite enthlt +das Gebetswort, die Austeilung, die Erwhnung des Genusses, die +Gleichnisrede, den Hinweis auf die Heilsbedeutung des Todes und +das eschatologische Schlusswort. Der Vergleich zeigt, dass bei +den andern Berichten die beiden Akte in steigendem Masse einander +~gleichgebildet werden~, sowohl dem Umfang nach, als auch hinsichtlich +der Gesichtspunkte, die sie enthalten. Wir erhalten zwei Parallelakte, +indem die Handlungen und Worte beim Wein genau denen beim Brot +entsprechen. + +Diese Gleichbildung erfolgt entweder so, dass die Momente des zweiten +Akts in den ersten eingetragen werden (Matthus, Paulus, Lukas), oder +so, dass der zweite Akt nach Analogie des ersten zusammengezogen wird +(Justin). + + +=2. Der matthische Bericht= (Mt 26 _26-29_). + +Matthus befindet sich auf dem Wege zur Gleichbildung. Durch das +[phagete] ist die ausdrckliche Erwhnung des Genussmoments in den +ersten Akt aufgenommen. Da im zweiten an Stelle der Konstatierung +ebenfalls die Aufforderung zum Genuss getreten ist, so entsprechen +sich beide Akte in diesem Punkte vollkommen. [labete, phagete touto +estin to sma mou. piete ex autou pantes touto gar estin to haima +mou.] Die Gleichbildung ist aber noch nicht vollstndig vollzogen. Dem +ersten Akt fehlt ein dem Wort ber die Bedeutung des vergossenen Bluts +entsprechender Hinweis ([to peri polln]). Auch das eschatologische +Wort, welches das Gleichnis ber dem Wein beschliesst, ist beim Brot +noch nicht vertreten. + +Zudem zeigt das im zweiten Akt stehen gebliebene [pantes], dass hier +eine Konstatierung in eine Aufforderung umgesetzt worden ist. Bei +der Konstatierung muss ja notwendig erwhnt werden, dass sie alle +davon getrunken haben. Bei der Aufforderung aber ist das [pantes] +selbstverstndlich, oder -- wenn es die Weihe der Aufforderung +nachdrcklich hervorheben soll -- wie kann es dann beim Brot fehlen? +Hier wre es wirklich gefordert, da Jesus nicht ohne weiteres annehmen +kann, dass alle das Stckchen Brot, das er ihnen darbietet, auch +wirklich essen, whrend er dem Herumgehen des Kelches mit dem Auge +folgt. Bei Paulus, Lukas und Justin ist dann das [pantes], als nicht +mehr von Belang, auch wirklich ausgefallen. + +Die Verbindung des eschatologischen Schlussworts mit dem Kelchwort nach +rckwrts, dem Aufbruch zum Leidensweg nach vorwrts ist bei Matthus +noch gewahrt. Jedoch ist es mit dem Kelchwort nicht mehr durch das +gewaltige [amn] in Steigerung verbunden, so dass es, wie bei Markus, +den ~Hhepunkt~ der ganzen Feier bildet, sondern es ist nur mehr eine +mit [de] ~beigeordnete Schlussbemerkung~ (Markus [amn leg hymin], +Matthus [leg de hymin]). + +So befindet sich die Gleichbildung bei Matthus noch im Fluss. Bei +Paulus ist sie schon viel weiter fortgeschritten. + + +=3. Der paulinische Bericht= (I Kor 11 _23-26_). + +Hinter jedem Akt ist abschliessend angefgt: [touto poieite eis tn +emn anamnsin]. Durch Uebernahme eines auf die Bedeutung des Todes +hinweisenden Worts ([to hyper hymn]) gleicht sich der erste Akt dem +zweiten an. Nur das [eklasen] hat keine Parallele. + +Bei Markus und Matthus beschloss das Wort von der Wiedervereinigung +beim Mahl im zuknftigen Reich den Spruch ber dem Becher. Nur +scheinbar ist es bei Paulus ausgefallen. Er setzt es vielmehr als +Abschluss ~bei beiden Akten voraus:~ [hosakis gar ean esthite +ton arton touton kai to potrion pinte, ton thanaton tou kyriou +katangellete, achri ou elth] (V. _26_). + +~Bis dass er kommt~ -- darin liegt die Erwartung des Kommens des Herrn +und des Anbruchs des Reiches. Dies darf man fr die Erklrung des +[touto poieite eis tn emn anamnsin] nicht ausser Acht lassen. Danach +ist die [anamnsis] doppelseitig: nach rckwrts eine Erinnerung an den +Tod Jesu, nach vorwrts ein Gedenken an seine Parusie. Die Feier gilt +dem Gekreuzigten, der als Messias bei seiner Ankunft offenbart werden +wird, als welcher er schon jetzt durch die Auferstehung zur Rechten +Gottes erhht ist. + +Bedenkt man nun, dass die historische Relation des eschatologischen +Schlussworts im zweiten Akt abgefallen ist, dass aber nach der +Vorstellung Pauli beide Akte mit der Erwartung der Parusie in +Zusammenhang stehen, so liegt es nahe, in dem [touto poieite], als +Konstatierung oder als Wiederholungsbefehl gefasst, ~die paulinische +Form des beiden Akten beigesetzten eschatologischen Schlussworts zu +sehen.~ + +Fr den ersten Akt ist dies eine knstliche Angliederung, da historisch +dieser Hinweis nur mit dem Kelchwort in Beziehung steht, wo der +Genuss konstatiert ist; der erste Akt mit seinem [eklasen] ist gar +nicht darauf angelegt. Daraus entsteht bei Paulus eine unertrgliche +grammatikalische Verwirrung. Die Parallele zu dem [hosakis ean pinte], +das erwartete [hosakis ean esthite], fehlt in der Form des [touto +poieite] von V. _24_. Unter dem [poiein] kann also fr den ersten +Akt nur das erwhnte ~Brechen~ verstanden sein. Aus V. _25_ und _26_ +geht aber hervor, dass, dem [poiein] des zweiten Akts entsprechend, +der Genuss, nmlich das Essen, darunter verstanden werden muss. +Grammatikalisch allein berechtigt wre: so oft ihr dieses Brot brechet +und diesen Kelch trinket; thatschlich aber soll es bedeuten: so oft +ihr dieses Brot esset. So ist auch das [gar] zu verstehen, welches +V. _26_ mit V. _24_ und _25_ zugleich verbindet, sofern es als +Wiederholung der dort von Jesu gemeinten Handlung das Essen und Trinken +voraussetzt. + +Die Gleichbildung ist also trotz des latenten Widerstandes des ersten +Aktes erreicht. An beide Gleichnisse schliesst sich das Wort von der +Heilsbedeutung des Todes und der eschatologische Hinweis an. + +Dabei entgeht Paulus durch die Form, in der er diesen Hinweis bietet, +einer grossen Schwierigkeit. Dieses Wort ist in der ursprnglichen +Gestalt ein ~Schlusswort.~ Fgt man es in dieser Form dem ersten Akt +an, so wird die Handlung in der Mitte auseinander gerissen, da dann +Jesus schon beim Brot die Feier beschliesst. Diese Schwierigkeit hat +Lukas gefhlt, als er die paulinische Vorstellung in den synoptischen +Bericht zu bertragen unternahm. + + +=4. Der lukanische Bericht= (Lk 22 _14-20_). + +Lukas bringt zuerst das eschatologische Schlusswort in direkter Rede +fr beide Akte. Fr das Kelchwort lag die Form der lteren Synoptiker +vor. Er nimmt die Matthusform, weil er die Aufforderung zum Genuss, +welche Paulus nicht bietet, voraussetzt. Durch die Auslassung des +Wortes vom Blut wird folgendes Kelchwort hergestellt Lk 22 _17_ u. +_18_: [kai dexamenos potrion eucharistsas eipen labete touto kai +diamerisate eis heautous leg gar hymin hoti ou m pi apo tou nyn apo +tou genmatos ts ampelou hes hotou h basileia tou theou elth]. + +Der Versuch nimmt sich gut aus; das [diamerisate] hat zugesetzt werden +mssen, damit man die spter folgende Darreichung des Kelches (V. +_20_) nicht vorwegnehme; das eingefgte [gar] stellt in Verbindung mit +dem [diamerisate] zur Not einen logischen Gedankenzusammenhang her; +das [kainon] (vgl. Mt 26 _29_) blieb besser weg, weil dieses Adjektiv +nachher als erklrender Zusatz zu [diathk] figuriert; der Farbenton +der eschatologischen Aussage ist etwas verblasst (Matthus [hes ts +hmeras ekeins hotan auto pin meth' hymn kainon en t basileia tou +patros mou] Lukas [hes hotou h basileia tou theou elth]). + +Schwieriger war die Formulierung des eschatologischen Schlussworts fr +den ersten Akt, da hier kein behauenes Material vorlag und das Wort +ber dem Brot seinen Widerstand gegen die aufgezwungene Verbindung mit +irgend einem eschatologischen Hinweis schon bei Paulus hinreichend +bekundet hatte. Ein einziger Ausweg bot sich dar: das eschatologische +Schlusswort, da es einmal fr die Handlung des Essens gefordert war, +auf die ganze Mahlzeit zu beziehen. Dieser Fassung kam der Gedanke +zu Hlfe, dass mglicherweise die historische Feier ein Passahmahl +gewesen; das neukonstruierte eschatologische Schlusswort fr das Essen +bezieht sich bei Lukas also auf das Passahmahl, das Jesus mit den +Seinen feiert. _15_ [kai eipen pros autous epithymia epethymsa touto +to pascha phagein meth' hymn pro tou me pathein] _16_ [leg gar hymin +hoti ou m phag auto hes hotou plrth en t basileia tou theou]. + +Die Benutzung des Passahgedankens ermglicht Lukas, eine Mahlfeier +darzustellen, ~bei der sowohl das Essen als das Trinken einen +eschatologischen Hinweis erhalten.~ Dabei wird aber die historische +Feier auseinandergerissen! Zuerst kommen die beiden eschatologischen +Worte; sie werden in den Verlauf der Passahmahlzeit gerckt. Das erste +bildet zugleich eine stimmungsvolle Einleitung. Von dem Wort ber dem +Brot wird dadurch nichts vorausgenommen: nur mit dem Wort ber dem +Becher hat es seine Schwierigkeit. Um das Kelchwort, welches dann bei +der eigentlichen historischen Feier eintritt, von dem vorhergehenden, +welches im Rahmen des Passahmahls verlief, genau abzuheben, wird es +in der paulinischen Form berichtet: [to potrion meta to deipnsai +legn touto to potrion h kain diathk en t haimati mou]: soweit +geht die Uebereinstimmung. Nun ist aber der eschatologische Hinweis +nach Paulus (I Kor 11 _24_ u. _25_ [touto poieite] etc.) schon beim +ersten Passah-Kelchwort verbraucht; deswegen wird hier nach Matthus +zurckmoduliert und [to hyper hymn ekchynnomenon] eingesetzt; aus +diesem Grunde war schon an Stelle des paulinischen [en t em haimati] +das altsynoptische [en t haimati mou] eingetreten. + +Der erste Akt wird nach Paulus beschrieben; aus den Synoptikern ist +die ausdrckliche Erwhnung der Darbietung ([edken-didomenon]) +eingedrungen. Das [touto poieite] ist stehen geblieben, weil das +eschatologische Wort hinsichtlich des Essens sich auf das Passahmahl +allgemein bezieht. + +Der Bericht des Lukas erklrt sich litterarisch einfach als ein +Versuch, die bei Paulus erreichte Gleichbildung der beiden Akte +unter Zuhlfenahme des Zusammenhangs der historischen Feier mit dem +Passahmahl in die synoptische Geschichtserzhlung zurckzutragen. +Daraus resultiert dann folgender Verlauf der Feier: Jesus weist zu +Anfang des Passahmahls darauf hin, dass er es erst im Gottesreiche +wieder mit den Jngern feiern wird. Solches wiederholt er beim ersten +Herumreichen des Kelches. Bei einer Brotdarreichung im Verlaufe der +Feier spricht er das Gleichnis von seinem Leibe, desgleichen beim +Kelch das Gleichnis von seinem Blute. Beide Akte sind absolut gleich +durch die Geltendmachung des Heilswertes der Dahingabe (V. _19_ [to +hyper hymn didomenon], V. _20_ [to hyper hymn ekchynnomenon]). Auch +bei dieser Gleichbildung geht es ohne stilistische Hrte nicht ab, +sofern nmlich im zweiten Akt von einem vergossenen Kelch die Rede ist, +whrend das Blut gemeint ist. + +Wie bei Paulus werden beide Akte durch das [touto poieite] +abgeschlossen. Wir haben also eine bis auf den gemessenen Rythmus +in der Sprache sich erstreckende Gleichbildung. Freilich ist dabei +der Schluss der Feier verloren gegangen. Das stolze Wort von dem +Wiedertrinken in des Vaters Reich ist schon fr den Anfang der +Passahfeier verbraucht, statt dass es, wie bei Markus und Matthus, zum +Aufbruch berleitet. Dafr finden hier die Episoden von der Bezeichnung +des Verrters, dem Rangstreit und der Verwarnung des Petrus ihren Platz +(Lk 22 _21-38_), wobei die Schilderung des feierlichen Aufbruchs nach +dem Lobgesang (Mk 14 _26_ = Mt 26 _30_) unterbleibt. Er ging nach +seiner Gewohnheit an den Oelberg (Lk 22 _39_: [kai exelthn eporeuth +kata to ethos eis to oros tn elain]). + +Eine originelle Auffassung von dem Wesen der historischen Feier liegt +dieser Darstellung nicht zu Grunde. In keinem Falle ist sie aus dem +Bestreben hervorgegangen, die Trennung des Abendmahls von der +gemeinsamen religisen Mahlzeit, welche bei Paulus angebahnt sein +soll, historisch zu begrnden! Dieser formlose Bericht ist nur aus dem +Prinzip [parkolouthkoti anthen pasin akribs kathexs grapsai](Lk 1 +3) zu erklren. + +Es ist daher nicht zu erwarten, dass durch Streichung oder +Versversetzung aus der lukanischen Darstellung sich ein Bericht +gewinnen lsst, der auf eine originelle ltere Vorstellung der +historischen Feier zurckgeht. Mehr als durch solche Versuche wird +man dem Wert der lukanischen Darstellung gerecht, wenn man das +schriftstellerische Geschick, das sthetische Feingefhl und den +liturgischen Schwung wrdigt, von denen diese Schilderung Zeugnis gibt. + + +=5. Der justinische Bericht= (I Apol. 66). + +Hier vollzieht sich die Gleichbildung durch Verkrzung des zweiten Akts +nach Analogie des ersten. Die berichtete Feier beschrnkt sich auf zwei +rtselhafte Worte Jesu. Nach einem Dankgebet ber dem Brot spricht er: +dies ist mein Leib, desgleichen beim Kelch: dies ist mein Blut +([ton Isoun labonta arton eucharistsanta eipein touto poiete eis tn +anamnsin mou, touto esti to sma mou. kai to potrion homois labonta +kai eucharistsanta eipein touto esti to haima mou]). + +Es fehlt das Brechen des Brots, der Hinweis auf den Wert der Dahingabe +und die Hervorhebung des erwarteten oder erfolgten Genusses im zweiten +Akt. Auch das eschatologische Schlusswort ist ausgefallen. Nur beim +ersten Akt findet sich das [touto poieite] in der paulinischen Form, +wobei aus [tn emn anamnsin] (I Kor 11 _24_) [tn anamnsin mou] +geworden ist. + +Hier steigert sich aber der Widerstand des ersten Akts gegen einen +derartigen Eintrag bis zur Unertrglichkeit. Worauf soll sich das +[poiein] beziehen? Auf das vorausgehende Gebetswort? Das Brechen ist +nicht erwhnt, der Genuss vorausgesetzt, aber nicht hervorgehoben. So +ist das [touto poieite] hier fr die grammatikalische Auslegung sinnlos +und die Erwhnung desselben ~bei dem ersten Akt allein~ unverstndlich. + +Bei dieser verkrzten Darstellung ist die ganze historische Situation +interesselos geworden. Zwar erwhnt Justin Dial. 41, 70 und 117, dass +in der Gemeindefeier auch die Erinnerung an Jesu Tod mit hereinspielt. +In seinem Bericht aber fehlt jede Andeutung, dass dieses Mahl in der +Nacht vor dem Tod stattgefunden hat. + +Aus dem justinischen Bericht allein wssten wir also nur, dass Jesus +bei einem Mahle, nachdem er das Dankgebet ber dem Brot gesprochen, +seinen Jngern geboten habe, diesen Brauch zur Erinnerung an ihn +festzuhalten; danach habe er fortfahrend das gesegnete Brot als seinen +Leib und den gesegneten Kelch als sein Blut bezeichnet. + + + + +Dreizehntes Kapitel. + +=Die Authentie des Markusberichts.= + + +=1. Der Beweis.= + +Authentisch ist ein Bericht, ~welcher in keiner Weise durch die +Vorstellung von der Gemeindefeier beeinflusst ist.~ Der Markusbericht +ist authentisch, weil sich dieser Nachweis fr ihn fhren lsst. + +Worauf beruht die ~Gleichbildung der beiden Akte~, welche alle +andern Berichte, wenn auch der Art und dem Grad nach verschieden, +im Unterschied zu Markus aufweisen? Auf dem Einfluss, welchen die +altchristliche Feier auf die Vorstellung der historischen ausbt. Die +Gemeindefeier war eine Mahlzeit, bei der dem Essen dieselbe Bedeutung +zukam wie dem Trinken. Ganz natrlich bertrug sich dies auf die +historische Feier. Man wusste also nicht anders, als dass Jesus beim +Brot und beim Wein in genau entsprechender Weise gehandelt und geredet +haben musste, sofern in der abgeleiteten Feier die gleiche Wertung des +Essens wie des Trinkens konstatiert wurde. So war die Gleichbildung der +beiden Akte fr die historische Feier von der urchristlichen gefordert. + +Besssen wir nun den Markusbericht nicht, so wrden wir an der +Gleichheit der beiden Akte nichts Besonderes finden, da dies auch +unserem Empfinden als das Natrlichste erscheint. Alle modernen +Rekonstruktionsversuche der ursprnglichen Einsetzungsworte vertreten +die Gleichbildung ebenfalls. Wir sind also auch geneigt, die Gleichheit +der beiden Akte ohne weiteres fr selbstverstndlich zu halten. + +Nun zeigt aber der Markusbericht, dass die Gleichheit der beiden +Akte nicht selbstverstndlich ist. Also muss man entweder fr die +Ungleichheit derselben bei ihm oder fr die Gleichheit bei den andern +eine Erklrung suchen. Dabei ergibt sich, dass man wohl die andern +aus dem Markusbericht ableiten kann, ~nicht aber umgekehrt.~ Matthus +und Paulus -- der Lukasbericht ist ein rein litterarisches Produkt +-- stellen die Feier nach dem zweiten Akt des Markus dar, Justin +nach dem ersten. Bringt man bei jedem die Gleichbildung der beiden +Akte entsprechend in Abrechnung, wozu die grammatikalischen Hrten +und Unmglichkeiten Anweisung geben, ~so erhlt man jedesmal den +Markusbericht.~ + +Dabei zeigt sich in der Gleichbildung der beiden Akte noch eine +gewisse Entwicklung. Dass sie bei Matthus noch nicht vollstndig +durchgefhrt ist, lsst erkennen, dass die Gleichheit der Akte nicht +das Ursprngliche ist. Also muss sie ihren Grund in der historischen +Anschauung der alten Zeit haben, welche diese Berichte ~formuliert~ +hat. Da dieser allein in dem Mahlzeitcharakter der Essen und Trinken +gleichwertenden Gemeindefeier gegeben sein kann, steht fest, ~dass +diese Berichte durch das Medium der altchristlichen Auffassung der +Gemeindefeier hindurchgegangen sind. Markus steht ausserhalb dieses +Prozesses, weil er die Gleichbildung nicht aufweist; also ist er +authentisch.~ + +Dass die Vorstellung der historischen Feier bei Paulus und Justin +in einem sehr hohen Masse durch die Auffassung der Gemeindefeier +bedingt ist, liegt auf der Hand. Der historische Bericht ist bei ihnen +ja nur Mittel zum Zweck. Er soll eine bestimmte Anschauung von der +Gemeindefeier vertreten. Die Art, wie sie beide in Verbindung setzen, +geht weit ber unsere Begriffe hinaus. Wir verstehen die Gemeindefeier +immer nur als eine entsprechende ~Wiederholung~ der historischen, +sofern sie aus der letzteren begrndet wird. Paulus und Justin setzen +beide gleich, indem sie die Gemeindefeier mit der historischen Feier +gegeben sein lassen. Dabei entstehen dann Gedankengnge, die fr uns +ganz berraschend sind. + +Es handelt sich um I Kor 11 _26_. In V. _24_ und _25_ vollzieht Jesus +die Einsetzung. Wer redet in V. _26_? Das [gar], sofern es sich zum +Vorhergehenden begrndend verhlt, schliesst den Subjektswechsel +aus. Der Ausdruck [ton thanaton tou kyriou] zeigt aber an, dass die +historische Situation verlassen ist und Paulus von der Gemeindefeier +redet. Dazu passt aber das [gar] nicht, denn was fr die Gemeindefeier +gilt, ist nicht eine ~Begrndung~ zu den Worten Jesu, sondern eine +~Folgerung~ aus dem historischen Spruch. In diesem Satz vollzieht also +Paulus den Uebergang von der historischen Feier zur Gemeindefeier so, +dass er beide fr einen Augenblick gleichsam zusammenschiebt. + +Darum schmilzt er zwei Stze, von denen der erste der historischen +Situation, der zweite der Darlegung ber die Gemeindefeier angehrt, +ineinander. + + 1. Jesus zu den Jngern im Anschluss an die Gleichnisse: denn + ([gar]) so oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Wein + trinket, verkndet ihr meinen Tod, bis dass ich komme. + + 2. Paulus der Gemeinde das Wesen ihrer Feier aus der historischen + erklrend: Darum ([hste]), so oft ihr von diesem Brot esset und + von diesem Wein trinket, verkndet ihr des Herrn Tod, bis dass er + komme. + +Justin bietet ein Seitenstck zu diesem schillernden Uebergang. Er +fasst in der berhmten Darlegung I Apol. 65 und 66 die historische +Feier und die Gemeindefeier in einem gemeinsamen Ausdruck zusammen, +indem er sie bezeichnet als: [h di' euchs logou tou par' autou] +(sc. Jesu) [eucharisttheisa troph]. Dieser Ausdruck bekundet eine +Gleichsetzung der beiden Feiern, die weit ber unseren Begriff +der entsprechenden Wiederholung hinausgeht. Die Speise bei der +Gemeindefeier ist, wie bei der historischen, durch Jesu Gebetswort +geheiligt. Ein Unterschied besteht also nicht. + +Was die Gleichbildung der beiden Akte anzeigt, wird durch die +Argumentierung, mit welcher Paulus und Justin die Gemeindefeier mit +der historischen Feier verbinden, besttigt: Sie sehen die historische +Feier nur in der Beleuchtung der Gemeindefeier. + +Solange die Textvergleichung ausschliesslich auf die Entdeckung der +wahrscheinlichsten und ansprechendsten Form der ~Einsetzungsworte~ +ausging, bestand die Vorstellung der Mglichkeit einer paulinischen +oder justinischen Sondertradition zu Recht, da beide die +Einsetzungsworte in sowohl unter sich unabhngigen als von den beiden +lteren Synoptikern grundverschiedenen Fassungen boten. Prft man aber +die ~Berichte als Berichte~, frgt man sie, ohne den verlockenden +Anpreisungen ihrer Einsetzungsworte Gehr zu geben, was sie von +dem Verlauf und dem Wesen des gesamten historischen Vorgangs, bei +welchem diese Gleichnisse geredet wurden, wissen, dann ist es mit der +Scheinoriginalitt aus. Es zeigt sich, dass sie sich die historische +Feier der ihnen gelufigen Gemeindefeier entsprechend vorstellen, +nur dass Jesus dabei Speise und Trank austeilt und die bekannten +Gleichnisse redet. Also geht auch ihre Fassung der Einsetzungsworte +nicht auf eine paulinische oder justinische Sondertradition zurck, +sondern sie ist geschichtlich aus der vorausgesetzten Gemeindefeier zu +erklren. Paulus und Justin differieren in ihren Einsetzungsworten, +weil und insofern die justinische von der paulinischen Gemeindefeier +differiert. Zwischen beiden muss in der Auffassung der Feier eine +Wandlung eingetreten sein. + +So fhrt die neue Problemstellung eine neue Auffassung der Authentie +mit sich, welche sich nicht mehr auf ~Meinungen, sondern auf Gesetze~ +grndet. Als authentisch gilt nicht mehr die krzeste oder scheinbar +klarste Relation der Einsetzungsworte, ~sondern die Darstellung des +gesamten historischen~ Vorgangs, fr welche eine Beeinflussung durch +die Gemeindefeier nicht nachgewiesen werden kann, ob uns nun die +betreffende Einsetzungsformel zusagt oder nicht. + +Bisher galt es fr interessant, mit einer gewissen skeptischen +Nonchalance die Behauptung hinzuwerfen, dass wir ber die Authentie +der Berichte niemals etwas wissen knnen. Selbst wenn unter unseren +Berichten ein authentischer sich befnde, so htten wir doch kein +Mittel, ihn unter den andern herauszufinden. Durch die neue Auffassung +der Authentie ist diese Skepsis abgethan. Wir besitzen einen +authentischen Bericht. Wer es bestreiten will, muss nachweisen, dass +der Markusbericht ein durch die andern Darstellungen desavouiertes +Phantasieprodukt ist. Authentisch oder sinnlos: das ist die einzig +offene Alternative. + + +=2. Die Folgerungen aus der Authentie des Markusberichts.= + +Die neue Auffassung der Authentie bezeichnet den ersten Erfolg der +neuen Problemstellung. Er ffnet dem neuen Lsungsversuch den Weg. +Jesus forderte die Jnger auf, seinen Leib zu essen und sein Blut zu +trinken: dieser angenommene gemeinsame Thatbestand aller Berichte +schien den Weg zu versperren. Durch die Authentie des Markusberichts +wird aber dieser Scheinthatbestand ausser Kraft gesetzt. Es ist +historisch besttigt, was aus der Kritik der modernen Auffassungen +geschlossen wurde: Jesus hat seine Jnger nicht aufgefordert, seinen +Leib und sein Blut zu geniessen, sondern er hat die Gleichnisworte im +Verlauf, nicht vor dem Genuss gesprochen. Das Kelchwort kommt erst, +nachdem alle getrunken haben! + +Also haben wir einen Bericht, bei dem das Wesen der Feier nicht auf den +Gleichnissen, sondern auf dem feierlichen Vorgang beruht. Das hatte die +neue Problemstellung gefordert. Nun ist es Thatsache geworden. ~Also +ist das Abendmahlsproblem fr die historische Kritik lsbar.~ + + +=3. Das Messianitts- und Leidensgeheimnis im Abendmahl.= + +Die Bedeutung der Darreichung der Genusselemente bleibt vorerst +rtselhaft. Nur das Negative ist klar, dass nmlich die Gleichnisse +nicht aus der symbolischen Handlung des Brechens und aus dem +vorausgesetzten Ausgiessen des Weins an sich erklrt werden drfen. +Das darstellende Moment spielt in den Berichten keine Rolle und +verschwindet zuletzt ganz, wie der justinische Text zeigt, wo das +Brechen nicht einmal mehr erwhnt wird. + +Wollte man die Gleichnisse nach dem authentischen Markustext deuten, so +msste man das erste aus dem Brechen, das zweite aus der Thatsache, +dass alle Jnger getrunken haben, erklren. Man bekme also zwei ganz +verschieden geartete Gleichnisse. + +Die Gleichnisse vom Leib und Blut mssen aber irgendwie den +Leidensgedanken enthalten. Dass Jesus damit das Geheimnis seines +Leidens zum letztenmal ausgesprochen hat, ist in den Umstnden dieses +letzten Zusammenseins gegeben. Wenn wir also die Gleichnisse nicht +richtig zu verstehen vermgen, kann dies nur daran liegen, dass wir das +~Geheimnis des Leidensgedankens~ falsch auffassen. + +Nun ist es die Eigentmlichkeit aller modern-historischen +Abendmahlsauffassungen, dass sie in der Feier ~den eschatologischen +Gedanken~ nicht zur Geltung bringen. Sie verwenden das Wort von dem +Neutrinken in des Vaters Reich nicht als eine das Wesen jenes letzten +Mahls mitkonstituierende Aussage, sondern machen daraus bestenfalls ein +Anhangswort. + +Im Markustext nimmt es aber eine Hauptstellung ein. Es ist das mit +erhobener Stimme feierlich und eindringlich gesprochene Schlusswort +der Feier. Dabei hngt es mit dem Wort vom vergossenen Blut eng und +unzertrennlich zusammen, so dass es mit ihm einen einzigen Gedanken +zu bilden scheint. ~Diese enge Verbindung zwischen dem Todes- und +Wiederkunftsgedanken ist charakteristisch fr den zweiten Akt der +Situation bei Markus.~ + +Demselben Zusammenhang begegnen wir aber auch bei Paulus und zwar in +beiden Akten. Nach ihm -- und er beruft sich dabei ausdrcklich auf den +historischen Hergang -- besteht die Bedeutung des Essens und Trinkens +irgendwie in der Verkndigung des Todes des Herrn zugleich mit der +Erwartung seiner Parusie. So oft ihr dieses Brot esset und diesen Wein +trinket, verkndigt ihr den Tod des Herrn, bis dass er komme. + +In der authentischen Relation der historischen Feier und in der +ltesten Relation der Gemeindefeier haben wir also beidemal +eine organische Verbindung zwischen dem Leidensgedanken und der +eschatologischen Erwartung. Es ist daher falsch, das Wesen der Feier +in der letzten Aussprache des Todesgedankens allein zu finden. +~Nicht von seinem Tod, sondern von seinem Tod und der baldigen +Wiedervereinigung mit ihnen beim Mahle im neuen Reich~ hat Jesus zu +den Seinen geredet. Das Geheimnis seines Todes, welches bei dieser +Feier in der ergreifendsten und erhebendsten Weise zum letztenmal +von Jesus ausgesprochen wurde, enthlt den Leidensgedanken im engsten +Zusammenhang mit der eschatologischen Erwartung. + +Die modern-historischen Abendmahlsauffassungen sind also unhistorisch, +weil der Leidensgedanke, mit dem sie operieren, keinen Zusammenhang +mit der Eschatologie aufweist. Darum knnen sie den wesentlichen +Grundzug der historischen Feier und der ltesten Gemeindefeier nicht +zum Ausdruck bringen. Um das Wesen des letzten Mahles zu begreifen, +bedarf es daher eines Einblicks in den eschatologischen Charakter des +Leidensgeheimnisses Jesu. Diesen kann man nicht aus der Feier selbst +gewinnen, da Jesus dort das Geheimnis im Gleichnis ausspricht. Das +Gleichnis aber vermgen wir nicht zu deuten. + +~Beim letzten Mahl handelt Jesus als Messias, und zwar als leidender +Messias.~ Wenn wir sein Handeln nicht verstehen, so liegt dies mithin +daran, dass wir sein Messianitts- und Leidensgeheimnis falsch +verstehen. Das Abendmahl kann nur aus dem Zusammenhang des Lebens Jesu +begriffen werden. Unsere Abendmahlsauffassungen sind falsch -- ~also +ist die Auffassung des Lebens Jesu, welche uns dazu gefhrt hat, auch +falsch.~ + +Das Abendmahlsproblem ist das Problem des Lebens Jesu! Eine neue +Abendmahlsauffassung kann nur aus einer neuen Auffassung des Lebens +Jesu hervorwachsen, welche das Messianitts- und Leidensgeheimnis so +enthlt, dass sein feierliches Handeln beim letzten Mahle begreiflich +und verstndlich wird. ~Ein neues Leben Jesu:~ das ist der einzige Weg +zur Lsung des Abendmahlsproblems. + + + + +Anmerkungen zur Transkription: + +Die erste Zeile entspricht dem Original, die zweite Zeile enthlt die +Korrektur. + + +S. XV: + + 3. Das Ergebnis des Textkritik + 3. Das Ergebnis der Textkritik + +S. 13: + + Vergleiche zum folgenden den verhngnisvollen Vortrag + Vergleiche zum Folgenden den verhngnisvollen Vortrag + +S. 17: + + sondern auf einer eschatologichen Vorstellung vom Endmahl + sondern auf einer eschatologischen Vorstellung vom Endmahl + +S. 25: + + wenn der Fall an sie herantritt, im stande seien, ihrerseits ihre Seele + wenn der Fall an sie herantritt, imstande seien, ihrerseits ihre Seele + +S. 54: + + touto to potrion h kain diadk en t haimati mou + touto to potrion h kain diathk en t haimati mou + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Das Abendmahl im Zusammenhang mit dem +Leben Jesu und der Geschichte des Urchristentums, by Albert Schweitzer + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS ABENDMAHL IM ZUSAMMENHANG *** + +***** This file should be named 44366-8.txt or 44366-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/4/4/3/6/44366/ + +Produced by Jana Srna, Michael Waddell, Eleni Christofaki +and the Online Distributed Proofreading Team at +http://www.pgdp.net + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. 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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Das Abendmahl im Zusammenhang mit dem Leben Jesu und der Geschichte des Urchristentums + Erstes Heft. Das Abendmahlsproblem auf Grund der + wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts und der + historischen Berichte. + +Author: Albert Schweitzer + +Release Date: December 5, 2013 [EBook #44366] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS ABENDMAHL IM ZUSAMMENHANG *** + + + + +Produced by Jana Srna, Michael Waddell, Eleni Christofaki +and the Online Distributed Proofreading Team at +http://www.pgdp.net + + + + + + +</pre> + + +<div class="transnote"> +<h3>Anmerkungen zur Transkription:</h3> + +<p>Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; +lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine <a href="#Anmerkungen_zur_Transkription">Liste</a> der +vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes.</p> +</div> +<hr class="full" /> + +<div class="title"> +<h1> +Das Abendmahl<br /> +<br /> +<small>im</small><br /> +<br /> +Zusammenhang mit dem Leben Jesu<br /> +<br /> +<small>und der</small><br /> +<br /> +Geschichte des Urchristentums</h1> +<p class="center p2"> +<small>von</small><br /> +<br /> +<b>Lic. Dr. Albert Schweitzer</b><br /> +<br /> +<small>in Strassburg i. E.</small></p> +<hr class="tb" /> +<p class="center p2"> +Erstes Heft.<br /> +<br /> +<big><b>Das Abendmahlsproblem</b></big><br /> +<br /> +auf Grund<br /> +der wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts<br /> +und der historischen Berichte.</p> +<div class="figcenter"> +<img src="images/image.jpg" width="100" height="123" alt="illustration" /> + +</div> + +<p class="center p4"> +<b>Tübingen</b> und <b>Leipzig</b>.</p> +<p class="center"> +Verlag von <em class="gesperrt">J. C. B. Mohr</em> (Paul Siebeck).</p> +<p class="center">1901. +</p> +</div> + +<hr class="full" /> +<div class="frontpage"> +<hr class="tb" /> +<p class="center"> +<i>Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen behält sich<br /> +die Verlagsbuchhandlung vor.</i></p> +<hr class="tb" /> +<p class="p6 center"> +C. A. Wagner's Universitätsbuchdruckerei in Freiburg i. B. +</p> +</div> + +<hr class="full" /> +<div class="frontpage"> +<p class="center"> +Seinem Lehrer</p> +<p class="center"> +Herrn Prof. D. Dr. <b>H. J. Holtzmann</b><br /> +<br /> +<small>gewidmet</small><br /> +<br /> +in aufrichtiger Verehrung und treuer Anhänglichkeit<br /> +<br /> +von seinem dankbaren Schüler<br /> +<br /> +<b>Albert Schweitzer</b>. +</p> +</div> +<hr class="full" /> +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_v" id="Seite_v">V</a></span></p> + +<h2><strong><em class="gesperrt">Vorrede</em> zu einer neuen Untersuchung über das Abendmahl.</strong></h2> + +<p class="p2">Der Anstoss zu der vorliegenden Arbeit ging von <span class="smcap">Schleiermacher</span> +aus. Im Jahre 1897 erhielt ich nämlich als Thema für +meine schriftliche Examensarbeit folgende Aufgabe gestellt: Die +Abendmahlslehre <span class="smcap">Schleiermacher</span>'s soll dargestellt und mit +den im neuen Testament und in den Bekenntnisschriften niedergelegten +Auffassungen verglichen werden.</p> + +<p>Ich hatte mich bis dahin mit der Abendmahlsfrage gar nicht +beschäftigt und war über die neuesten Forschungen in keiner +Weise orientiert, hatte auch keine Zeit dies nachzuholen, weil die +Arbeit innerhalb acht Wochen abgeliefert werden musste. So +war ich einzig auf die Texte und die bekenntnismässigen Formulierungen +der verschiedenen Konfessionen angewiesen.</p> + +<p>Die <span class="smcap">Schleiermacher</span>'sche Dialektik ersetzte mir aber alles. +Sie zergliedert nämlich das Problem so, dass es als Ganzes und +zugleich in allen Details vor einem steht. Man braucht nur geschichtlich +Ernst zu machen mit dem dialektischen Spiel, das er +mit vollendeter Kunst zur Beruhigung und Versöhnung der +Geister und zugleich zu seinem eigenen ästhetischen Ergötzen +aufführt, dann ist man genau auf dem Standpunkt der modernen +historischen Forschung angekommen.</p> + +<p>Ein Satz besonders ist hier entscheidend. In § 139 <span +class="antiqua">3</span> der Glaubenslehre redet er vom äusseren +Verlauf unserer Feier und zeigt, wie wir uns bei der Reproduktion der +historischen Umstände naturgemäss auf das Wesentliche beschränken +müssen. Wollte man z. B. einen bedeutenden Nachdruck auf den +Zusammenhang, in welchem das historische Mahl mit dem Passahmahl +stand, legen, so würde man alsbald zur Folgerung gedrängt werden, +„dass das Abendmahl jetzt nicht mehr das sein könne, +als was es Christus +<span class="pagenum"><a name="Seite_vi" id="Seite_vi">VI</a></span> gestiftet habe und also auch wohl nicht +könne von ihm als eine selbständige und immer dauernde Institution für +die Kirche verordnet sein“. „Dieses Bedenken“, so +fährt er dann fort, „liegt so nahe, <em class="gesperrt">dass +es sich leicht in der evangelischen Kirche lautbarer machen kann, als +bisher der Fall gewesen</em>, und veranlasst natürlich die Frage, +worauf unser Glaube in dieser Sache eigentlich beruhe. Schwerlich wird +sich behaupten lassen, dass aus den uns aufbewahrten Worten Christi <em +class="gesperrt">diese Absicht ganz bestimmt hervorgehe.</em> Vielmehr +enthalten einige unserer Erzählungen gar <em class="gesperrt">keinen +solchen Befehl</em> (Markus und Matthäus), und in den andern ist er nur +unbestimmt ausgedrückt (Lukas und Paulus); und da die Apostel aus den +Worten Christi beim Fusswaschen keinen solchen Befehl entnommen haben, +so <em class="gesperrt">hätten sie auch Recht gehabt, aus dem Abendmahl +ebensowenig eine bestimmte und allgemeine Institution zu machen!</em> +Da nun aber offenbar ist, dass sie das eine gethan haben und das andere +nicht, so können wir uns an das halten, <em class="gesperrt">was sie +eingerichtet haben,</em>, ohne dass wir zu entscheiden brauchten, ob +Christus ihnen über das Abendmahl noch andere ausdrückliche Anweisungen +gegeben, oder ob sie dieselben aus seinen Worten gefolgert oder nur +durch den unmittelbaren Eindruck der Sache und durch die begleitenden +Umstände anders bestimmt worden sind in Bezug auf das Abendmahl als +in Bezug auf das Fusswaschen. In dem letzten Fall würden wir dann +das Abendmahl nur nicht ganz in demselben Sinn als eine unmittelbare +Einsetzung Christi ansehen können, immer aber doch glauben müssen, dass +sie in seinem Sinn gehandelt haben, wenn wir nicht auch in ihrem <em +class="gesperrt">engsten Berufskreise ihr kanonisches Ansehen aufgeben +wollen</em>“.</p> + +<p>Unsere Abendmahlsfeier beruht in letzter Linie nicht auf einer +ausdrücklichen Verordnung Jesu! <span class="smcap">Grafe</span> +ist also ganz unschuldig! Was er als ehrlicher Historiker in +der Nachfolge anderer Historiker, von der Wucht der Thatsachen +gedrängt, bedächtig und schonungsvoll aussprach, das hat <span +class="smcap">Schleiermacher</span> in seiner Glaubenslehre keck +hingeworfen. Während man aber dem eleganten Spiel des Dialektikers +verständnisvoll zunickte, nahm man es dem ehrsamen Historiker gar +übel, als er ungefähr dasselbe zu sagen wagte. Vielleicht auch haben +die temperamentvollen Gegner <span class="smcap">Grafe</span>'s diese +Seite in ihrem <span class="smcap">Schleiermacher</span> überschlagen +oder sie hielten dafür, dass der betreffende Abschnitt,<span +class="pagenum"><a name="Seite_vii" id="Seite_vii">VII</a></span> +weil er zeitlich schon einige gute Jahrzehnte zurückliegt, auch +in zweideutigen Dingen als rechtgläubig passieren dürfe. Es ist +merkwürdig: In der Theologie darf heutzutage einer fast alles sagen, +was er will, wenn er es nur vornehm und geistreich mit einem gewissen +eleganten Skeptizismus thut. Für den ehrlichen Menschen, der redet, +weil sein Gewissen ihn zwingt, ist man aber unnachsichtlich.</p> + +<p>Die Behauptung, die <span class="smcap">Schleiermacher</span> zum erstenmal vollständig +klar ausgesprochen hat, die dann aber für Jahrzehnte +ganz unter den Tisch fiel, ist dazu angethan, einen im kantischen +Sinn „aus dem dogmatischen Schlummer zu wecken.“ Sie zeigt +nämlich, dass nicht nur die kirchlichen, sondern geradesogut die +wissenschaftlichen Abendmahlsauffassungen dem wirklichen Thatbestand +nicht gerecht werden. Die kirchlichen Auffassungen +setzen voraus, dass Jesus die Feier zur Wiederholung bestimmt +habe, können aber nicht nachweisen, dass er es wirklich angeordnet +hat, da der betreffende Befehl bei den ältesten Zeugen fehlt. +Eine Reihe wissenschaftlicher Auffassungen gehen davon aus, +dass die Feier nicht zur Wiederholung bestimmt war, können +aber dann nicht erklären, warum sie doch schon in der allerersten +Gemeinde aufkam — und das ist doch auch eine unbedingt feststehende +Thatsache.</p> + +<p>Der Zusammenhang zwischen den beiden Feiern, der historischen +und der Gemeindefeier, bleibt also gleich unbegreiflich, +ob man sie durch den Wiederholungsbefehl direkt kausal miteinander +verbindet oder ob man sich mit der Konstatierung der +reinen zeitlichen Aufeinanderfolge begnügt und die Kausalität +dahingestellt sein lässt. <em class="gesperrt"> +<span class="smcap">Schleiermacher</span> ist der Hume der +Kausalitätsfrage im Abendmahlsproblem.</em></p> + +<p>Der Vergleich der verschiedensten und zeitlich so weit auseinanderliegenden +Abendmahlslehren mit der <span class="smcap">Schleiermacher</span>'schen +Ansicht führte mich vor die Frage, was denn das Beharrende +bei diesem steten Wechsel der Auffassungen sei. Ist es nicht +denkbar, dass alle Phasen, in denen sich das Abendmahlsproblem +auswirkt, durch dieselben Gesetze beherrscht sind und dass also +an diesen Gesetzen die wahre historische Auffassung sich zu erproben +hat?</p> + +<p>Nachdem ich daher meine Examensarbeit zu Ende geführt +und die mir in Umrissen schon vorschwebende neue Auffassung +in allgemeinen Strichen angedeutet hatte, machte ich mich daran, +<span class="pagenum"><a name="Seite_viii" id="Seite_viii">VIII</a></span> +alle Epochen der Abendmahlsfrage — die altchristliche, die +mittelalterliche, die reformatorische und die moderne — gründlich +zu studieren, fest entschlossen, nicht eher mit der neuen +Auffassung an die Oeffentlichkeit zu treten, als bis ich sie für alle +Epochen durchgeführt hätte und so die Gewissheit besässe, dass +sie die ganze Geschichte des Abendmahls von der historischen +Feier bis in die neueste Zeit erklärt. Zu dieser Arbeit habe ich +vier Jahre gebraucht. Darum veröffentliche ich, was mir schon im +Herbst 1897, <em class="gesperrt">unabhängig von der modernen Forschung, +feststand</em>, erst im Herbst 1901, im Zusammenhang mit der Darstellung +und Beurteilung der historischen Abendmahlsforschung +im 19. Jahrhundert.</p> + +<p>Ich habe die Stellung des Problems an der wissenschaftlichen +Abendmahlsforschung im 19. Jahrhundert entwickelt, weil uns +diese Periode am nächsten liegt. Man hätte aber geradesogut +jede andere Phase dazu benutzen können, da die Gesetze in allen +dieselben sind.</p> + +<p>Die Absicht dieser Arbeit geht weiter als auf die Aufstellung +einer neuen historischen Abendmahlsauffassung. Sie verfolgt den +praktischen Zweck, <em class="gesperrt">die historische Grundlage unserer +modernen Abendmahlsfeier abzugeben und das Bestehende +geschichtlich zu rechtfertigen.</em> Es ist nämlich +nicht zu leugnen, dass unsere Gemeindefeier, nach dem jetzigen +Stand der Wissenschaft, in der Luft hängt. Wenn der Wiederholungsbefehl +historisch nicht fundiert ist, was soll dann unsere +Wiederholung bedeuten?</p> + +<p>Den Gläubigen zwar ficht diese Sorge vorerst wenig an und +soll ihn wenig berühren. Es ist nicht die Sache der Leute, welche +über die Brücke gehen, sich ängstlich darum zu kümmern, ob +durch die Fluten die Fundamente nicht langsam unterwaschen +worden sind, sondern das liegt den Architekten ob. Diese +müssen, wenn sie eine Senkung auch nur von einem Millimeter +wahrnehmen, unverzüglich einer eventuellen Katastrophe entgegenarbeiten, +sogar wenn den Passanten die Sache vorerst +ganz belanglos scheint. So muss auch die theologische Wissenschaft +auf das Fundament des Glaubens sehen und darauf +achten, ob nicht die historische Grundlage der Institution, +welche gleichsam die Brücke vom Vergänglichen zum Unvergänglichen +bildet, durch den Strom der Zeit unterwaschen ist +und ob nicht durch die historische Weltanschauung eine ganz +<span class="pagenum"><a name="Seite_ix" id="Seite_ix">IX</a></span> +andere Fundierung unserer Abendmahlsfeier notwendig wird als +bisher.</p> + +<p><span class="smcap">Schleiermacher</span> hat gesagt, dass das Bedenken, die Berechtigung +der Wiederholung betreffend, sich leicht in der evangelischen +Kirche lautbarer machen könnte, als bisher der Fall +gewesen. Und wenn dies nun eintritt, was dann? Solange das +Problem der Berechtigung und Notwendigkeit unserer Abendmahlsfeier +wissenschaftlich nicht gelöst ist, kann durch den geringfügigsten +Umstand eine die öffentliche Meinung aufs äusserste +aufregende und unerquickliche dogmatische Erörterung dieser +Frage eintreten, zu der der Fall <span class="smcap">Grafe</span> nur ein kurzes idyllisches +Vorspiel wäre.</p> + +<p>Das Schlimmste dabei wäre, dass diese Erörterung, einmal +in die Oeffentlichkeit gezerrt, notwendig resultatlos bliebe. Denn +der wissenschaftlich denkende Mensch wird diese Frage immer +wieder aufwerfen müssen, während derjenige, der sich mehr auf +den Standpunkt des kirchlichen Glaubens stellt, sie notwendig +niederschlagen wird, in dem richtigen Empfinden, dass solche +theoretische Bedenken eine so heilige und erhebende und durch +den urchristlichen Usus in ihrer Art wieder so geschichtlich fundierte +Feier nicht gefährden dürfen. Der Verteidiger wird sogar +eigentlich die Geschichte auf seiner Seite haben. Denn, wenn +das Abendmahl von Anfang an in der christlichen Gemeinde gefeiert +worden ist, so ist doch diese Thatsache, vollständig objektiv +betrachtet, viel entscheidender als das Fehlen des Wiederholungsbefehls +in zwei alten Berichten. Wir haben es eben mit einer +ganz unerklärlichen Antinomie zu thun, bei der man sich sehr +hüten muss, irgend welche Folgerungen gegen unsere Feier zu +ziehen, besonders wenn man bedenkt, dass man damit ein Stück +des ältesten und heiligsten Bestandes des christlichen Glaubens +angreift. Nehmen wir vorerst lieber an, dass uns der Schlüssel +zur Erklärung der historischen und der urchristlichen Feier und +zum Verständnis ihres Zusammenhangs fehlt.</p> + +<p>Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, gefährliche Fragen in +Angriff zu nehmen, ehe sie die öffentliche urteilslose Meinung in +Unruhe bringen, den Zündstoff zu beseitigen und in der Stille +segensreiche Arbeit zu thun.</p> + +<p>Als <span class="smcap">Schleiermacher</span> in seiner Glaubenslehre die damals +nur in seiner dialektischen Phantasie existierenden Parteien vor +sich beschied, mutete er ihnen zu, sich auf „die Anerkennung des +<span class="pagenum"><a name="Seite_x" id="Seite_x">X</a></span> +kanonischen Ansehens der Apostel in ihrem engsten Berufskreise“ +zu vergleichen. Auf diesen Vergleich kann man aber im +Ernst nicht eingehen. Das Sprüchlein bannt das Gespenst nicht. +Wir wollen den Aposteln die gebührende Ehrfurcht sicher gern +erweisen, aber unsere Abendmahlsfeier auf ihr kanonisches Ansehen +allein gründen, das dürfen wir nicht.</p> + +<p>Rücken wir die Frage ins rechte Licht. Unsere Abendmahlsfeier +entspringt dem Vorgehen der ersten Gemeinde, zu +der die Apostel gehören. In die Geschichte übersetzt, lautet die +Frage nach dem „kanonischen Ansehen der Apostel in ihrem engsten +Berufskreise“ also folgendermassen: Welches waren die Motive, +durch welche die erste Gemeinde bestimmt wurde, eine derartige +im Zusammenhang mit dem letzten Mahl Jesu stehende +Feier zu begehen? War das Willkür oder Notwendigkeit?</p> + +<p>Daran schliesst sich eine zweite Frage, die <span class="smcap">Schleiermacher</span> +unberücksichtigt gelassen hat. Wenn die erste Gemeinde aus +bestimmten Gründen die Feier wiederholt hat, gelten diese auch +noch für uns? Besteht in der historischen Feier als solcher auch +für uns eine direkte Notwendigkeit, dass wir daraus irgendwie +eine Feier ableiten, oder handelt es sich nur um etwas Ueberkommenes?</p> + +<p>Darauf lautet die Antwort der Geschichte: es war eine absolute +Notwendigkeit, dass das Abendmahl trotz des Fehlens des +Wiederholungsbefehls bei der ersten Gemeinde in Aufnahme +kam, und diese Notwendigkeit besteht auch noch für uns zu Recht. +Unsere Feier gründet sich nicht auf die geschichtliche Ueberlieferung +oder auf die unkontrollierbare Autorität bestimmter +Persönlichkeiten, sondern direkt auf die historische Feier. So +ist unser Abendmahl berechtigt, geboten und notwendig von sich +selbst aus.</p> + +<p>Die neue geschichtliche Erkenntnis führt aber nicht nur die +Versöhnung hinsichtlich der Berechtigungsfrage herbei, sondern +auch hinsichtlich der Frage nach der Bedeutung der Feier.</p> + +<p>Niemand kann sich der Einsicht verschliessen, dass unsere +Feier eigentlich sehr dürftig und unlebendig ist, wenn sie nur auf +die Darstellung eines Doppelgleichnisses durch die Reproduktion +einer historischen Situation geht, wo der Pfarrer die Stelle Jesu +und die Gläubigen die Stelle der Jünger einnehmen. Andererseits +stellen die konfessionellen Auffassungen Zumutungen an +ernste Christen, die sie entweder zur Gedankenlosigkeit oder zur +<span class="pagenum"><a name="Seite_xi" id="Seite_xi">XI</a></span> +Gewissenlosigkeit erziehen und den Zweifel und Spott geradezu +herausfordern.</p> + +<p>Könnten beide Auffassungen aus ihrer Sprache heraustreten, +dann würden sie darin übereinkommen, dass der Sinn der Feier +etwas Geheimnisvolles ist, wo der Einzelne mit der feiernden Gemeinschaft +und der Persönlichkeit unseres Herrn in ein besonders +heiliges Verhältnis tritt. Nun zwingen aber die unglücklichen +Einsetzungsworte den Einen durch die rein symbolische Deutung +hinter diesem Geheimnis zurückzubleiben, den Andern durch die +wörtliche Deutung über dieses Geheimnis hinauszugehen und das +Unfassbare zu behaupten. Die Vermittlungsversuche sind am +schlimmsten daran. In der Sache und dem religiösen Gehalt +nach mögen sie richtig sein, aber in der Deutung der Gleichnisse +sind sie gequetscht und gekünstelt, dass ein Mensch mit +ehrlichem Verstand sie nicht zu ertragen vermag. So wie die +„Einsetzungsworte“ liegen und nach der Rolle, die man ihnen +bisher in der Feier zuwies, sind nur die rein symbolische oder +die krass realistische Deutung zulässig. Was dazwischen ist, ist +vom Uebel.</p> + +<p>Auch hier bringt die wahre geschichtliche Erkenntnis die +Befreiung von der unnatürlichen Alternative, indem sie zeigt, +dass die Stellung, die man den Gleichnissen in dem Ganzen der +Feier anwies, geschichtlich falsch ist. Die urchristliche Feier +beruht nicht auf den „Einsetzungsworten“ — dies ist mein Leib, +dies ist mein Blut — obwohl diese Worte bei der historischen +Feier gesprochen worden sind. Also ist auch unsere Auffassung +unabhängig von diesen rätselhaften Gleichnisworten.</p> + +<p>Diese kurzen Andeutungen mögen zeigen, dass diese Arbeit +in einem praktisch aufbauenden und versöhnenden Geiste geschrieben +ist. Zwar wird man, von den gewohnten Auffassungen +herkommend, zunächst mannigfach an dieser Untersuchung Anstoss +nehmen, da sie die Versöhnung nicht durch eine neue Vermengung +oder Verdunkelung, sondern einzig und allein durch +geschichtliche Wahrhaftigkeit und Unbefangenheit herbeiführen +will. <em class="gesperrt">Wir müssen an die Geschichte glauben</em>, d. h. wir +müssen der Zuversicht sein, dass mit dem Fortschritt der geschichtlichen +Erkenntnis zugleich die Vertiefung und Einigung +im Glauben notwendig verbunden ist, obwohl es manchmal vorerst +nicht den Anschein hat. In diesem Glauben habe ich diese +Untersuchung begonnen und zu Ende geführt.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_xii" id="Seite_xii">XII</a></span> + +Diese Arbeit erscheint in drei Heften. <em class="gesperrt">Das erste</em> behandelt +das Problem, wie es sich aus der Forschung des 19. Jahrhunderts +und aus den Berichten ergibt. <em class="gesperrt">Das zweite</em> sucht die +Grundlage der historischen Feier in dem Leben und in den Gedanken +Jesu. Es stellt sich dar als die Skizze einer neuen Auffassung +des Lebens Jesu. Das <em class="gesperrt">dritte</em> behandelt das Abendmahl +in der urchristlichen und in der altchristlichen Epoche und zeigt, +wie sich daraus die römische Messe und das griechische Mysterium +mit gleicher Berechtigung und Notwendigkeit entwickelt +haben. Das erste und das zweite Heft erscheinen miteinander. +Das dritte wird denselben in thunlichster Bälde folgen.</p> + +<p>Zum Schluss fühle ich mich gedrungen, allen meinen Freunden, die +mir bei dieser Arbeit behülflich gewesen sind, den Herrn Pfarrern +<span class="smcap">A. Ernst</span> und <span class="smcap">R. +Will</span> zu Strassburg, <span class="smcap">A. Huck</span> und +<span class="smcap">Ed. Unsinger</span> zu Schiltigheim und dem Herrn +Vikar <span class="smcap">Alfred Erichson</span> in Strassburg, meinen +tiefgefühlten Dank auszusprechen.</p> + +<blockquote> + +<p><em class="gesperrt">Strassburg</em>, im August 1901.</p></blockquote> +</div> +<hr class="full" /> +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_xiii" id="Seite_xiii">XIII</a></span></p> + +<h2><b>Inhaltsangabe des ersten Heftes.</b></h2> + +<table summary="inhalt"> +<tr><td> </td><td>Seite</td></tr> +<tr> +<td><em class="gesperrt">Vorrede zu einer neuen Untersuchung über das Abendmahl</em></td> + + <td class="tdcw"><a href="#Seite_v">V</a>-<a href="#Seite_xiii">XII</a></td> +</tr> +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Erster Teil.</b></td></tr> +<tr> +<td><b>Das Abendmahlsproblem auf Grund der wissenschaftlichen +Forschung des 19. Jahrhunderts</b></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_1">1</a>-<a href="#Seite_44">44</a></td></tr> + +<tr><td class="tdc"><i>Erstes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_1">1</a>-<a href="#Seite_5">5</a></td></tr> +<tr> + +<td colspan="2" class="tdc"><b>Einleitung.</b></td></tr> +<tr> +<td>1. Der Skeptizismus in der Abendmahlsforschung</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_1">1</a>-<a href="#Seite_2">2</a> </td> +</tr> + +<tr><td>2. Der Ansatzpunkt</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_2">2</a>-<a href="#Seite_3">3</a></td></tr> +<tr> + +<td>3. Die Einzelfragen</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_3">3</a>-<a href="#Seite_5">5</a></td> +</tr> + +<tr><td>4. Die vier Typen der Abendmahlsauffassungen</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_5">5</a></td></tr> +<tr> + +<td class="tdc"><i>Zweites Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_5">5</a>-<a href="#Seite_7">7</a></td></tr> + +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Das Vorspiel. Zwingli und Calvin.</b></td> +</tr> + +<tr><td class="tdc"><i>Drittes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_7">7</a>-<a href="#Seite_10">10</a></td></tr> + +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung +des Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung +des Genussmoments.</b></td> + </tr> + +<tr><td>1. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. <span class="smcap">De Wette</span>, +<span class="smcap">Ebrard</span> und <span class="smcap">Rückert</span></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_7">7</a>-<a href="#Seite_8">8</a></td> +</tr> + +<tr> +<td>2. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. <span class="smcap">Th. Keim</span>, <span class="smcap">K. +v. Weizsäcker</span>, <span class="smcap">Willibald Beyschlag</span>, <span class="smcap">H. Holtzmann</span>, <span class="smcap">Paul +Lobstein</span>, <span class="smcap">W. Schmiedel</span></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_8">8</a>-<a href="#Seite_10">10</a></td> </tr> + +<tr> +<td class="tdc"><i>Viertes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_10">10</a></td></tr> + +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Ueberblick über die Auffassungen mit Zugrundelegung +<span class="pagenum"><a name="Seite_xiv" id="Seite_xiv">XIV</a></span>des Genussmoments.</b> +</td></tr> +<tr><td class="tdc"><i>Fünftes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_11">11</a>-<a href="#Seite_21">21</a></td> </tr> + +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des +Genussmoments.</b></td></tr> + +<tr> +<td>1. Die Vorperiode. <span class="smcap">Fr. Strauss</span>, <span class="smcap">Bruno Bauer</span>, <span class="smcap">E. Renan</span> +</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_11">11</a>-<a href="#Seite_13">13</a></td> +</tr> + +<tr><td>2. Die modernen Versuche. <span class="smcap">W. Brandt</span>, <span class="smcap">Fr. Spitta</span>, +<span class="smcap">A. Eichhorn</span></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_13">13</a>-<a href="#Seite_14">14</a></td> </tr> + +<tr> +<td>3. <span class="smcap">W. Brandt</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_14">14</a>-<a href="#Seite_15">15</a></td></tr> + +<tr> +<td>4. <span class="smcap">Fr. Spitta</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_15">15</a>-<a href="#Seite_16">16</a></td></tr> + +<tr> +<td>5. Kritik der Auffassung <span class="smcap">Spitta</span>'s</td> + + <td class="tdc"><a href="#Seite_16">16</a>-<a href="#Seite_18">18</a></td> +</tr> + +<tr><td>6. <span class="smcap">A. Eichhorn</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_18">18</a>-<a href="#Seite_19">19</a></td></tr> + +<tr><td>7. Die neue „Thatsache“</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_19">19</a>-<a href="#Seite_20">20</a></td></tr> + +<tr> +<td>8. Die Skepsis in der Folge der einseitigen Herausarbeitung +des Genussmoments</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_20">20</a></td></tr> + +<tr> +<td>9. Der logische Grund der Skepsis</td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_20">20</a>-<a href="#Seite_21">21</a></td> +</tr> +<tr><td class="tdc"><i>Sechstes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_21">21</a>-<a href="#Seite_26">26</a></td></tr> +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung +des Genussmoments und abgeleiteter Geltendmachung +des Darstellungsmoments.</b></td> +</tr> + +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><span class="smcap">Ad. Harnack</span>, <span class="smcap">Erich Haupt</span>, <span class="smcap">Fr. Schultzen</span>, <span class="smcap">R. A. Hoffmann</span>. +</td></tr> + +<tr><td>1. Allgemeines</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_21">21</a>-<a href="#Seite_22">22</a></td></tr> + +<tr> +<td>2. <span class="smcap">Ad. Harnack</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_22">22</a>-<a href="#Seite_23">23</a></td></tr> +<tr> +<td>3. <span class="smcap">Erich Haupt</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_23">23</a>-<a href="#Seite_24">24</a></td> +</tr> +<tr><td>4. <span class="smcap">Fr. Schultzen</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_24">24</a>-<a href="#Seite_25">25</a></td></tr> +<tr> +<td>5. <span class="smcap">R. A. Hoffmann</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_25">25</a>-<a href="#Seite_26">26</a></td></tr> + +<tr><td class="tdc"><i>Siebentes Kapitel</i></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_26">26</a>-<a href="#Seite_31">31</a></td></tr> + +<tr><td colspan="2" class="tdc"><b>Der gesetzmässige Zusammenhang zwischen den +Einzelfragen.</b></td></tr> + +<tr><td>1. Der Wiederholungsbefehl</td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_26">26</a>-<a href="#Seite_27">27</a></td></tr> + +<tr><td>2. Das Abendmahl und die urchristliche Gemeindemahlzeit</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_27">27</a>-<a href="#Seite_30">30</a></td></tr> + +<tr><td>3. Die Antinomie zwischen der historischen und der urchristlichen +Feier</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_30">30</a>-<a href="#Seite_31">31</a></td></tr> + +<tr> +<td class="tdc"><i>Achtes Kapitel</i> </td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_31">31</a>-<a href="#Seite_37">37</a></td> +</tr> + +<tr><td colspan="2" class="tdc"><b>Die Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des +Darstellungsmoments.</b></td></tr> + + <tr> +<td>1. Das Gefechtsfeld</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_31">31</a>-<a href="#Seite_32">32</a></td></tr> + +<tr> +<td>2. Der Verteidigungsplan. <span class="smcap">P. W. Schmiedel</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_32">32</a>-<a href="#Seite_34">34</a></td> </tr> + +<tr><td>3. Die Offensive. <span class="smcap">Adolf Jülicher</span></td> + <td class="tdc"><a href="#Seite_34">34</a>-<a href="#Seite_36">36</a></td></tr> + +<tr><td>4. Die Skepsis in den Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung +<span class="pagenum"><a name="Seite_xv" id="Seite_xv">XV</a></span>des Darstellungsmoments +</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_36">36</a>-<a href="#Seite_37">37</a></td></tr> +<tr> +<td class="tdc"><i>Neuntes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_37">37</a>-<a href="#Seite_44">44</a></td></tr> +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Die neue Problemstellung.</b></td></tr> +<tr> +<td>1. Das Ergebnis der Untersuchung</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_37">37</a>-<a href="#Seite_40">40</a></td> </tr> +<tr><td>2. Der neue Weg</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_40">40</a>-<a href="#Seite_44">44</a></td></tr> + <tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Zweiter Teil.</b> </td></tr> +<tr> +<td class="tdc"><b>Das Abendmahlsproblem auf Grund der +historischen Berichte</b></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_45">45</a>-<a href="#Seite_62">62</a></td></tr> + + <tr> +<td class="tdc"><i>Zehntes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_45">45</a>-<a href="#Seite_48">48</a></td></tr> +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Die textkritischen Fragen.</b></td> +</tr> +<tr> +<td>1. Cod. D. Die textkritische Hauptfrage</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_45">45</a>-<a href="#Seite_46">46</a></td> </tr> +<tr> +<td>2. Abweichende Lesarten</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_47">47</a></td></tr> +<tr> +<td>3. Das Ergebnis <span class="err" title="original: des">der</span> Textkritik</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_47">47</a>-<a href="#Seite_48">48</a></td></tr> +<tr> +<td class="tdc"><i>Elftes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_48">48</a>-<a href="#Seite_50">50</a></td></tr> +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Die Eigenart des Markusberichts</b> (Mk 14 <span class="antiqua">22-26</span>).</td></tr> +<tr> +<td class="tdc"><i>Zwölftes Kapitel</i></td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_50">50</a>-<a href="#Seite_56">56</a></td></tr> +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Der Vergleich der Berichte.</b></td> +</tr> + +<tr><td>1. Das Prinzip der Gleichbildung</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_50">50</a></td> </tr> +<tr> +<td>2. Der matthäische Bericht (Mt 26 <span class="antiqua">26-29</span>)</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_50">50</a>-<a href="#Seite_51">51</a></td></tr> +<tr> +<td>3. Der paulinische Bericht (I Kor 11 <span class="antiqua">23-26</span>)</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_51">51</a>-<a href="#Seite_53">53</a></td></tr> +<tr> +<td>4. Der lukanische Bericht (Lk 22 <span class="antiqua">14-20</span>)</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_53">53</a>-<a href="#Seite_55">55</a></td></tr> +<tr> +<td>5. Der justinische Bericht (I Apol 66)</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_55">55</a>-<a href="#Seite_56">56</a></td> </tr> + +<tr> +<td class="tdc"><i>Dreizehntes Kapitel</i> </td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_56">56</a>-<a href="#Seite_62">62</a></td></tr> +<tr> +<td colspan="2" class="tdc"><b>Die Authentie des Markusberichts.</b></td></tr> +<tr> +<td>1. Der Beweis</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_56">56</a>-<a href="#Seite_60">60</a></td> </tr> +<tr> +<td>2. Die Folgerungen aus der Authentie des Markusberichts</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_60">60</a></td></tr> +<tr> +<td>3. Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis im Abendmahl</td> +<td class="tdc"><a href="#Seite_60">60</a>-<a href="#Seite_62">62</a></td></tr> +</table> +</div> +<hr class="full" /> +<div class="chapter"> +<p class="pseudotitle"><span class="pagenum"><a name="Seite_1" id="Seite_1">1</a></span> + +<big><b>Erster Teil.</b></big></p> + +<p class="center"><big><b>Das Abendmahlsproblem auf Grund der wissenschaftlichen +Forschung des 19. Jahrhunderts.</b></big></p> + +<h2>Erstes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Einleitung.</b></p> + +<h3><strong>1. Der Skeptizismus in der Abendmahlsforschung.</strong></h3> + +<p>Es gibt Fragen, welche in dem Denken der Menschheit auftauchen, +das volle geistige Interesse einer Epoche in Anspruch +nehmen und dann wieder zurücktreten, ohne ihre Lösung gefunden +zu haben und ohne dass es klar ist, wie sie ungelöst an +Interesse verlieren konnten.</p> + +<p>Jahrhunderte gehen darüber hin. Dann, durch eine Wendung +in der Geschichte, wird dieselbe Frage wieder in den Vordergrund +geschoben und das Spiel wiederholt sich.</p> + +<p>Zu diesen intermittierenden Vulkanen gehört die <em class="gesperrt">Abendmahlsfrage.</em> +Drei Aktionsperioden sind bis jetzt zu verzeichnen. +Die erste ist die längste. Sie dauert ungefähr zehn Jahrhunderte. +Mit der Dauer steht die Intensität im umgekehrten Verhältnis. +Wir haben keinen feuerspeienden Berg, sondern einen Krater mit +langsamem Lavaausfluss. Einige Erdstösse — die fränkischen +Abendmahlskontroversen — bezeichnen den Schluss der Aktionsperiode.</p> + +<p>Die Art, wie die Frage in der Reformationszeit neu auftaucht, +ist in höchstem Grade überraschend. Man sollte meinen, +dass, in dem gemeinsamen Gegensatz aller reformatorischen Auffassungen +zur römischen Theorie, die innerprotestantischen Gegensätze +gerade in dieser Frage Aussicht hatten, bis auf weiteres latent +zu bleiben. Statt dessen wird gerade die Abendmahlsfrage +der Pol, nach dem sich die Gedanken orientieren. Diese zweite, +dogmatische Periode, war in ihrem eigentlichen Verlauf ebenso +<span class="pagenum"><a name="Seite_2" id="Seite_2">2</a></span> +kurz wie heftig. Sie umfasst kaum drei Jahrzehnte. Dann +wird die Abendmahlsfrage für die Dogmatik eine Frage neben +andern. <span class="smcap">Schleiermacher</span>'s Glaubenslehre, die wissenschaftliche +Begründung der Vermittlungsversuche, behandelt sie fast anhangsweise.</p> + +<p>Die dritte Periode wird durch die historisch-kritische Forschung +heraufgeführt. Wir stehen mitten darin, so aber, dass +die Mittagszeit bereits hinter uns liegt. Schon kündigt sich nämlich +die Erschöpfung an. Nachdem eine Reihe der letzterschienenen +Abhandlungen die Zuversicht, das Problem durch die +historische Kritik lösen zu können, nicht mehr so entschieden zur +Geltung kommen liessen, wie dies früher der Fall war, greift jetzt +eine ausgesprochen skeptische Stimmung Platz, deren Sprache +man in dem Aufsatz <span class="smcap">Eichhorns</span>'s<a name="FNAnker_1_1" id="FNAnker_1_1"></a><a href="#Fussnote_1_1" class="fnanchor">[1]</a> vernehmen kann.</p> + +<p>An diesem Skeptizismus ist etwas unbedingt Berechtigtes. +Er geht nämlich von der Thatsache aus, dass durch die ganze +Forschung des 19. Jahrhunderts die Lösung des Problems ferner +gerückt ist als je. Die Schwierigkeiten sind gerade durch die +historisch-kritische Methode in viel stärkerem Masse hervorgetreten, +als man früher jemals ahnen konnte.</p> + +<p>Unberechtigt daran ist aber die Art, der historischen gewissenhaften +Kritik gegenüber vornehm zu thun und aus der +Thatsache, dass sie bis jetzt in dem Problem nicht zum Ziele geführt +hat, ihre Inferiorität einer excentrischen überkritischen Unkritik +gegenüber zu proklamieren. Statt dessen sollte man eher +nach den Gründen forschen, warum die historische Kritik die +Lösung dieser Frage bisher nicht herbeiführen konnte.</p> + +<h3><strong>2. Der Ansatzpunkt.</strong></h3> + +<p>Das Abendmahlsproblem setzt sich aus einer Reihe von +Einzelfragen zusammen, die in den verschiedenen Auffassungen +verschieden beantwortet und verschieden mit einander in Zusammenhang +gebracht werden. Gewöhnlich dreht sich nun die +Kritik um diese Einzelfragen. Man untersucht, ob die Fassung +der Einsetzungsworte haltbar ist, ob die Exegese der Gleichnisse +richtig ist, wie die betreffende Abhandlung sich zur chronologischen +Frage stellt, auf welche Art sie den behaupteten oder +<span class="pagenum"><a name="Seite_3" id="Seite_3">3</a></span> +verneinten Zusammenhang zwischen Abendmahl und Passah begründet +und dergleichen.</p> + +<p><em class="gesperrt">Der folgenden Untersuchung kommt es mehr auf +die Gesamtauffassung an und auf den Zusammenhang, +in welchem die Einzelfragen unter einander stehen.</em> +Wächst eine Abendmahlsanschauung aus einer Reihe von selbständigen +Entscheidungen über die schwebenden Einzelfragen +heraus, oder sind nicht diese Einzelfragen durch einen inneren +verborgenen Mechanismus so mit einander verbunden, dass mit +der einen zugleich über die andern entschieden wird? Welches +sind die Gesetze, nach denen sich die Einzelfragen im Abendmahlsproblem +gegenseitig bedingen? Das ist die Frage, welche uns +beschäftigt. Nur sie kann uns darüber Aufschluss geben, warum +die historisch-kritische Methode nicht zum Ziele führen konnte.</p> + +<h3><strong>3. Die Einzelfragen.</strong></h3> + +<p>Liegt die Bedeutung der Gleichnisse darin, dass Jesus das +Brot bricht und den Wein im Kelch herumreicht? Oder beruht sie +darin, dass die Jünger dieses Brot essen und diesen Wein trinken?</p> + +<p>Hat er die Worte über Brot und Wein als Gleichnisse gemeint, +oder will er damit andeuten, dass die Jünger seinen Leib +und sein Blut durch den Genuss sich irgendwie aneignen?</p> + +<p>Fand das Mahl im Zusammenhang mit dem Passahmahl statt, +sodass für die Worte Jesu und ihr Verständnis Passahgedanken +vorausgesetzt werden dürfen?</p> + +<p>Erlaubt es die Chronologie der Evangelien, Jesum noch am +Passahabend im Kreise seiner Jünger zu sehen?</p> + +<p>Hat er den Jüngern befohlen, die Feier zu wiederholen?</p> + +<p>Was hat er ihnen zu wiederholen geboten?</p> + +<p>Ist es möglich, dass der „Stifter“ ihnen zumutet, seine +eigenen Worte zu wiederholen, die nur in seinem Munde und +in jenem historischen Momente einen Sinn haben?</p> + +<p>Angenommen, der Wiederholungsbefehl ist nicht historisch, +wie kommen denn die Jünger dazu, die Feier dennoch zu wiederholen?</p> + +<p>Wie ist es möglich, dass im Urchristentum Paulus die +Wiederholung als auf den Herrn zurückgehend in die Darstellung +der historischen Feier einträgt?</p> + +<p>Wie erklärt sich das Fehlen des historischen Berichts im +vierten Evangelium, da doch Kap. 6 die Feier voraussetzt?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_4" id="Seite_4">4</a></span> + +Steht es im allgemeinen nicht so, dass mit der Annahme +des Wiederholungsbefehls das psychologische Verständnis der +historischen Feier unmöglich wird, während unter Voraussetzung +seines Fehlens die Wiederholung in der ersten Gemeinde ganz +unbegreiflich ist?</p> + +<p>Hat sich das Abendmahl an ein Passahmahl angeschlossen, +wie ist dann, mit oder ohne Wiederholungsbefehl, die <em class="gesperrt">tägliche +Feier</em> in der urchristlichen Zeit begreiflich?</p> + +<p>Waren Agape und Herrenmahl getrennt, standen sie in +irgend einem Zusammenhang, oder waren sie identisch?</p> + +<p>Wie verlief überhaupt die Herrenmahlsfeier im Urchristentum? +Wie sind die Angaben der Didache mit den paulinischen +Schilderungen und Forderungen in I Kor 11 zu vereinigen?</p> + +<p>In welchem Verhältnis stehen die Kunde und die Auffassung +der historischen Feier, welche die Didache und Paulus voraussetzen, +zu dem Bilde der historischen Feier in den Synoptikern?</p> + +<p>Wie erklärt sich das gänzliche Zurücktreten des Leidensgedankens +und der Situation der historischen Feier in der +Didache?</p> + +<p>Welche Bedeutung kam dem eschatologischen Moment in +der urchristlichen Abendmahlsfeier zu?</p> + +<p>In welchem Zusammenhang steht das eschatologische +Schlusswort Jesu von dem Neutrinken im Reich des Vaters mit +dem Verlauf der historischen Feier?</p> + +<p>Wie lassen sich die Abweichungen der synoptischen Berichte +erklären?</p> + +<p>Die paulinische Darstellung ist die chronologisch älteste; +der Lukastext nach Cod. D der kürzeste; der Markustext steht +im Zusammenhang mit der einfachsten und glaubwürdigsten +evangelischen Geschichtsdarstellung, und der justinische Bericht +ist möglicherweise unabhängig von unseren Evangelien. Welchem +der vier grundverschiedenen Texte gebührt der Vorzug?</p> + +<p>In welche Verbindung stellte das Urchristentum die Teilnahme +am Herrenmahl mit der Vorstellung von der Erlösung?</p> + +<p>Wir nehmen an, die Reproduktion der Herrenworte bei der +urchristlichen Feier ist eine freie gewesen; die Bedeutung dieser +Worte konnte aber nur eine einzige sein. Wie ist es erklärlich, +dass wir aus der ganzen urchristlichen Zeit, ja eigentlich bis ins +beginnende Mittelalter hinein keine Kunde von Auseinandersetzungen +über den Sinn dieser Worte haben? Die Einsicht, +<span class="pagenum"><a name="Seite_5" id="Seite_5">5</a></span> +dass die Vorstellungen im Urchristentum noch einen gewissen +Grad der Flüssigkeit aufweisen, reicht zur Erklärung der obigen +Thatsache nicht aus.</p> + +<h3><strong>4. Die vier Typen der Abendmahlsauffassungen.</strong></h3> + +<p>Bei der Darstellung der wissenschaftlichen Abendmahlsdebatte +unterscheiden wir zunächst zwei Hauptströmungen. Wir +teilen die Abhandlungen danach ein, ob sie für ihre Auffassung +das <em class="gesperrt">Darstellungs-</em> oder das <em class="gesperrt">Genussmoment</em> zu Grunde +legen. <em class="gesperrt">Unter dem Darstellungsmoment verstehen wir +das Handeln und Reden Jesu während der historischen +Feier; unter dem Genussmoment die Bedeutung des +Essens und Trinkens der Teilnehmer, wie sie sich aus +dem Wesen der Feier ergeben soll.</em> Neben den Darstellungen, +die eines dieser beiden Momente mit Ausserachtlassung des +andern einseitig herausarbeiten, gibt es noch andere, doppelseitige, +die eines der Momente zu Grunde legen, dabei aber dem +zweiten nebensächliche Geltung zugestehen. Wir haben also im +ganzen vier Haupttypen, zwischen denen die mannigfachsten Vermittlungen +möglich sind.</p> + +<ul class="hang"> + +<li>1. <em class="gesperrt">Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des +Darstellungsmoments.</em></li> + +<li>2. <em class="gesperrt">Doppelseitige Auffassungen mit Zugrundelegung +des Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung +des Genussmoments.</em></li> + +<li>3. <em class="gesperrt">Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung +des Genussmoments.</em></li> + +<li>4. <em class="gesperrt">Doppelseitige Auffassungen mit Zugrundelegung +des Genussmoments und abgeleiteter Geltendmachung +des Darstellungsmoments.</em></li></ul> + +<p>Im folgenden werden diese Auffassungen dargestellt in +der Ordnung, wie sie geschichtlich in die Erscheinung getreten +sind.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fussnoten:</h3> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_1_1" id="Fussnote_1_1"></a><a href="#FNAnker_1_1"><span class="label">[1]</span></a> „Das Abendmahl im Neuen Testament“ von <span class="smcap">Albert Eichhorn</span>, +(Leipzig 1898), Hefte zur „Christlichen Welt“ No. 36.</p></div></div> +<hr class="chap" /> + +<h2>Zweites Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Das Vorspiel. Zwingli und Calvin.</b></p> + +<p>Das Verdienst, das Abendmahlsproblem zuerst wissenschaftlich +behandelt zu haben, gebührt <span class="smcap">Zwingli</span>. Die Bedeutung der +historischen Feier beruht nach ihm auf dem symbolischen Handeln +Jesu. Durch das Brechen des Brotes und das Darbieten +<span class="pagenum"><a name="Seite_6" id="Seite_6">6</a></span> +des Weines kündigt der Herr seinen Tod an. Er verordnet die +Wiederholung der Feier, damit die Christen bei dem gebrochenen +Brot und dem vergossenen Wein seines Todes gedenken.</p> + +<p>Die Schwäche dieser Auffassung liegt darin, dass <span class="smcap">Zwingli</span> +den Hauptnachdruck allein auf das Handeln Jesu legt. Er kann +die historische Feier erklären, — <em class="gesperrt">aber nicht die Wiederholung</em>, +bei welcher notwendig der Nachdruck nicht auf dem +Handeln Jesu, sondern auf dem der Teilnehmer, dem Genuss des +Brotes und des Weines, ruht. Es gelingt nicht begreiflich zu +machen, warum die Jünger die Gleichniselemente genossen und +noch viel weniger, warum auch spätere Geschlechter bei der +Wiederholung noch essen und trinken und nicht bloss <em class="gesperrt">anschauen</em>, +um sich an dem erzählten und dargestellten Abendmahlshandeln +Jesu zu erbauen. Dass <span class="smcap">Zwingli</span>'s Lehre dogmatisch nicht befriedigen +konnte, lag in letzter Linie an der Einseitigkeit seiner +wissenschaftlichen Exegese.</p> + +<p>So musste seine Auffassung auch wissenschaftlich durch diejenige +verdrängt werden, welche dem Genuss der Teilnehmer einen +Platz neben dem darstellenden Abendmahlshandeln Jesu anweisen +konnte. Dies leistete die Abendmahlslehre <span class="smcap">Calvin</span>'s.</p> + +<p>Bei ihm liegt die Symbolik zu gleichen Teilen in dem begründet, +was Jesus mit den Elementen vornimmt (Brechen des +Brotes und Ausgiessen des Weines), und in dem, was die Teilnehmer +mit den Elementen beginnen (Essen des Brotes und Trinken +des Weines). In dieser Betonung der Darbietung und der +Aneignung als der beiden Grundmomente des Abendmahls beruht +die wissenschaftliche Stärke der calvinischen Abendmahlslehre. +Die historische Feier kann er weniger gut erklären, als es +<span class="smcap">Zwingli</span> gethan; dafür ist es ihm aber möglich, ihre Wiederholung +als notwendig darzuthun, indem die <em class="gesperrt">Wertung des +Genusses</em>, nicht allein <em class="gesperrt">der Befehl Jesu</em>, den Zusammenhang +zwischen der historischen und der wiederholten Feier +aufrecht erhält.</p> + +<p>Es waren also nicht nur <em class="gesperrt">dogmatische</em>, sondern auch +<em class="gesperrt">wissenschaftliche</em> Interessen, welche den Sieg der calvinischen +Abendmahlsauffassung über die zwinglische bedingten. Die zum +Teil auf wissenschaftlicher Grundlage beruhende Auseinandersetzung +zwischen diesen beiden Ansichten bildete ein kurzes Vorspiel +zu der grossen historischen Abendmahlsdebatte im 19. Jahrhundert.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_7" id="Seite_7">7</a></span> + +Da die doppelseitige Auffassung durch den Sieg <span class="smcap">Calvin</span>'s +über <span class="smcap">Zwingli</span> allgemein verbreitet war, setzte die historische +Forschung die Doppelseitigkeit voraus. Sie betonte hauptsächlich +das Darstellungsmoment, weil die exegetische Anschaulichkeit +dafür sprach. So wurden zunächst die doppelseitigen Auffassungen +mit Zugrundelegung des Darstellungsmoments wissenschaftlich +ausgeprägt.</p> +<hr class="chap" /> + +<h2>Drittes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des +Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung +des Genussmoments.</b></p> + +<h3><strong>1. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. +De Wette, Ebrard und Rückert.</strong></h3> + +<p><span class="smcap">De Wette</span> vertritt die doppelseitige Auffassung in seinen +Kommentaren.<a name="FNAnker_2_2" id="FNAnker_2_2"></a><a href="#Fussnote_2_2" class="fnanchor">[2]</a> Das Brechen und das Essen des Brotes, das +Ausgiessen und das Trinken des Weins bedingen zusammen die +Bedeutung der Elemente bei der Feier. Der Hauptnachdruck +liegt aber auf dem Brechen, dem darstellenden Moment. Die +Betonung des Genussmoments ist mehr nebensächlicher Art.</p> + +<p>Von <span class="smcap">August Ebrard</span><a name="FNAnker_3_3" id="FNAnker_3_3"></a><a href="#Fussnote_3_3" class="fnanchor">[3]</a> wird auf den Genuss der gleiche +Wert gelegt wie auf das Brechen und Ausgiessen. Beide Momente +gehören zusammen und bedingen sich gegenseitig. Jesus +reicht das gebrochene Brot zum Essen und den ausgegossenen +Wein zum Trinken dar.<a name="FNAnker_4_4" id="FNAnker_4_4"></a><a href="#Fussnote_4_4" class="fnanchor">[4]</a></p> + +<p>Bei <span class="smcap">Ebrard</span> ist die energische Betonung des Genussmoments +durch seinen Zusammenhang mit der reformiert-calvinischen Auffassung +begreiflich. Aus rein wissenschaftlichen Gründen findet +sich das stärkere Herausarbeiten desselben Moments bei <span class="smcap">Immanuel +Rückert</span>.<a name="FNAnker_5_5" id="FNAnker_5_5"></a><a href="#Fussnote_5_5" class="fnanchor">[5]</a> Seine klassische Schrift fasst den ganzen Ertrag +der wissenschaftlichen Diskussion der Abendmahlsfrage in +der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammen. Die Handlung + +<span class="pagenum"><a name="Seite_8" id="Seite_8">8</a></span> + +Jesu und der Genuss von seiten der Teilnehmer werden in gleicher +Weise betont. In jedem dieser beiden Momente liegt eine +besondere Symbolik. Jesus bricht das Brot und gibt es zum +Essen, er giesst den Wein ein und bietet ihn zum Trinken dar.<a name="FNAnker_6_6" id="FNAnker_6_6"></a><a href="#Fussnote_6_6" class="fnanchor">[6]</a></p> + +<h3><strong>2. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. +Th. Keim, K. v. Weizsäcker, W. Beyschlag, H. Holtzmann, +P. Lobstein, W. Schmiedel.</strong></h3> + +<p>In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich eine +breite und ruhige Strömung verfolgen, welche beide Momente +mit sich führt, jedoch so, dass das Darstellungsmoment die Grundströmung, +das Genussmoment die Oberströmung bildet. Folgende +Aussprüche geben die Richtung des Stromes an.</p> + +<blockquote> + +<p><span class="smcap">Th. Keim.</span> <em class="gesperrt">Geschichte Jesu von Nazara.</em> 1872 Bd. III S. 232 +bis 290 (Das Nachtmahl Jesu).</p></blockquote> + +<p>„Man hat den Eindruck, dass es sich für Jesus doch um +etwas mehr handelte, als nur um ein sprechendes Sinnbild seines +irgendwie zum Heil der Jünger zu brechenden und zu tötenden +Leibes vor den Gästen aufzustellen, man hat den Eindruck einer +Gabe; diese Gabe liegt erstlich darin, dass er in nachdrücklicher, +in endgültiger Weise als den Zweck seines bevorstehenden Todes +das Heil der Jünger nennt, sodann, dass er im Zusammenhang +damit die Sinnbilder dieses Heils den Erben dieses Heils nicht +nur zum <em class="gesperrt">Anschauen</em>, sondern <em class="gesperrt">geradezu zum Nehmen und +Geniessen</em> übergibt, das Besitztum des Heilstodes und seine +Früchte in ihre Hände deponiert.“ S. 272.</p> + +<blockquote> + +<p><span class="smcap">Karl v. Weizsäcker.</span> <em class="gesperrt">Apostolisches Zeitalter.</em> 1886 S. 596 +bis 602.</p></blockquote> + +<p><span class="smcap">Weizsäcker</span> vertritt eine interessante Differenzierung in der +Symbolik der beiden Akte. Das Brot ist das Sinnbild der <em class="gesperrt">Gegenwart +Christi</em> in der Gemeinde, der Wein aber das Sinnbild +<em class="gesperrt">seines Todes</em>, durch welchen er das neue Passahopfer geworden +ist. S. 598.</p> + +<blockquote> + +<p> +<span class="smcap">W. Beyschlag.</span> <em class="gesperrt">Das Leben Jesu.</em> 1893 Bd. II S. 434-442.</p> +</blockquote> + +<p>„Der Sinn der Abendmahlsstiftung ist vollkommen klar: +Sein Leib, der für uns gebrochen, sein Blut, das für uns vergossen +wird, ist sein Leben, das er für uns in den Tod gibt, — +<span class="pagenum"><a name="Seite_9" id="Seite_9">9</a></span>für uns dahingibt, damit es in uns wirksam werde; damit es, vom +inwendigen Menschen <em class="gesperrt">angeeignet</em>, wie der äussere Mensch +Speise und Trank in sich aufnimmt, ihm Speise und Trank ewigen +Lebens werde, und so die in Ihm gekommene Erlösung, den in +Ihm gekommenen neuen Bund der Gottgemeinschaft in uns vollziehe.“ +S. 439.</p> + +<blockquote> + +<p><span class="smcap">H. Holtzmann.</span> <em class="gesperrt">Biblische Theologie.</em> 1897 Bd. I S. 296-304.</p></blockquote> + +<p>„Geschichtliche Voraussetzung und übereinstimmendes Resultat +der letzten Forschungen ist, dass Jesus seinen Jüngern +Brot und Wein zum Genusse dargereicht und dabei mit Beziehung +auf das gebrochene Brot von seinem Leib, mit Beziehung +auf den ausgegossenen Wein von seinem Blut gesprochen, letzteres +insonderheit zugleich als Bundesblut bezeichnet hat.“ S. 296.</p> + +<blockquote> + +<p><span class="smcap">Paul Lobstein.</span> <em class="gesperrt">La doctrine de la sainte cène.</em> Lausanne +1899.</p></blockquote> + +<p>„Ceci est mon corps“, dit Jésus en rompant le pain qu'il +distribue à ses disciples; „cette coupe est la nouvelle alliance +dans mon sang versé pour vous“, leur dit-il en faisant circuler la +coupe. S. 46. Le pain que Jésus rompt pour les disciples et +qu'il leur distribue, ils doivent s'en nourrir: „De même que je +vous convie à manger de ce pain, ainsi vous êtes appelés à vous +assimiler le fruit de ma mort, les effets salutaires de ce don de +moi-même, de ce corps brisé et livré pour vous.“ S. 47.</p> + +<blockquote> + +<p><span class="smcap">Wilhelm Schmiedel.</span> <em class="gesperrt">Die neuesten Ansichten über den Ursprung +des Abendmahls.</em> Protestantische Monatshefte, III. Jahrgang +Heft 4 1899.</p></blockquote> + +<p>„Das Bedeutsame ist in erster Linie im <em class="gesperrt">Brechen des +Brotes und Ausgiessen</em> des Weines aus dem Krug in den +Becher zu sehen. Die Austeilung dieser Speisen zum Genuss +schliesst sich als etwas zweites an. <em class="gesperrt">Um der Hauptsache +willen wäre es nicht nötig gewesen: aber da man einmal +beim Mahle sass, war es naturgemäss.</em>“ S. 147.</p> + +<p>Die gemeinsamen Grundzüge dieser Darstellungen sind also +folgende: Brot und Wein sind Leib und Blut Christi, weil er an +ihnen seinen Tod und dessen Heilswert versinnbildlicht hat. Dabei +fordert er die Jünger zum Genuss auf; das soll bedeuten, +dass ihnen die Wohlthaten seines Leidens zu gute kommen, wenn +sie verstehen, sich dieselben anzueignen. Die Wiederholung ist +erfolgt zum Teil, weil der religiöse Wert dieser Handlung von<span class="pagenum"><a name="Seite_10" id="Seite_10">10</a></span> +den Teilnehmern eingesehen wurde, zum Teil, weil Jesus durch +einen Befehl oder eine Andeutung dazu aufforderte. Auf den +Zusammenhang mit dem Passah wird Wert gelegt, ohne dass er +jedoch für die Auffassung als absolut notwendig erklärt würde. +Ueberhaupt haben diese Darstellungen etwas Schwankendes. +Sie vereinigen die mannigfachsten Gesichtspunkte mit einander, +sodass es fast unmöglich ist, sie in kurzen Sätzen präcis wiederzugeben.</p> + +<p>Deshalb ist es auch nicht ratsam von ihnen auszugehen, um +die Gesetze des Zusammenhangs zwischen den Einzelfragen aufzustellen. +Die Krisis in diesem Zustand wurde erst durch die +Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments heraufgeführt.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fussnoten:</h3> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_2_2" id="Fussnote_2_2"></a><a href="#FNAnker_2_2"><span class="label">[2]</span></a> Vgl. <span class="smcap">De Wette</span>'s Commentar zu Matthäus (1836) und zu Johannes +(1837).</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_3_3" id="Fussnote_3_3"></a><a href="#FNAnker_3_3"><span class="label">[3]</span></a> „Das Dogma vom heiligen Abendmahl und seine Geschichte“ von +Dr. <span class="smcap">August Ebrard</span>. 2 Bde., 1845.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_4_4" id="Fussnote_4_4"></a><a href="#FNAnker_4_4"><span class="label">[4]</span></a> Vgl. Bd. I S. 79-120.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_5_5" id="Fussnote_5_5"></a><a href="#FNAnker_5_5"><span class="label">[5]</span></a> „Das Abendmahl, sein Wesen und seine Geschichte in der alten +Kirche“ von Dr. <span class="smcap">Leopold Immanuel Rückert</span>, Professor in Jena, 1856.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_6_6" id="Fussnote_6_6"></a><a href="#FNAnker_6_6"><span class="label">[6]</span></a> Vgl. Bd. I S. 61-131.</p></div></div> + +<hr class="chap" /> +<h2>Viertes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><strong>Ueberblick über die Auffassungen mit Zugrundelegung +des Genussmoments.</strong></p> + +<p>Greift man aus der Geschichte der wissenschaftlichen Abendmahlsuntersuchung +die Werke heraus, welche in allgemeiner Weise +das Genussmoment zu Grunde legen, so fügen sich folgende Namen +in bunter, zusammenhangsloser Reihe aneinander: <span class="smcap">David +Fr. Strauss</span>, <span class="smcap">Bruno Bauer</span>, <span class="smcap">E. Renan</span>, <span class="smcap">Adolf Harnack</span>, <span class="smcap">Fr. +Spitta</span>, <span class="smcap">W. Brandt</span>, <span class="smcap">Erich Haupt</span>, <span class="smcap">Friedrich Schultzen</span>, +<span class="smcap">Rich. Ad. Hoffmann</span> und <span class="smcap">Albert Eichhorn</span>. In dieser Reihe +haben wir keine natürliche Kontinuität, wie in der vorher betrachteten. +Bei näherem Zusehen ergeben sich zwei Epochen. +Die erste fällt in die Mitte des Jahrhunderts (<span class="smcap">Fr. Strauss</span>, +<span class="smcap">Bruno Bauer</span>, <span class="smcap">E. Renan</span>). Die zweite beginnt am Anfang der +neunziger Jahre (<span class="smcap">Harnack</span> und <span class="smcap">Spitta</span>) und kommt noch vor +Ablauf des Jahrzehnts zu ihrem naturgemässen Abschluss (<span class="smcap">A. +Eichhorn</span>).</p> + +<p><span class="smcap">Strauss</span>, <span class="smcap">Bruno Bauer</span>, <span class="smcap">E. Renan</span>, <span class="smcap">W. Brandt</span>, <span class="smcap">Spitta</span> +und <span class="smcap">Eichhorn</span> bieten <em class="gesperrt">Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung +des Genussmoments.</em> <span class="smcap">Adolf Harnack</span>, +<span class="smcap">Erich Haupt</span>, <span class="smcap">Friedrich Schultzen</span> und <span class="smcap">R. A. Hoffmann</span> vertreten +die <em class="gesperrt">doppelseitigen Darstellungen</em> mit Zugrundelegung +des Genussmoments und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments.</p> + +<hr class="chap" /> + +<h2>Fünftes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"> +<span class="pagenum"><a name="Seite_11" id="Seite_11">11</a></span> +<b>Die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des +Genussmoments.</b></p> + +<h3><strong>1. Die Vorperiode. Fr. Strauss, Bruno Bauer, E. Renan.</strong></h3> + +<p>Für die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des +Genussmoments gibt es zwei Perioden. Die erste liegt gegen die +Mitte des 19. Jahrhunderts zu, die zweite gegen das Ende. <span class="smcap">Friedrich +Strauss</span> bezeichnet die erste, <span class="smcap">Friedrich Spitta</span> die zweite.</p> + +<p><span class="smcap">Strauss</span><a name="FNAnker_7_7" id="FNAnker_7_7"></a><a href="#Fussnote_7_7" class="fnanchor">[7]</a> führt aus, dass die Uebersetzung „dies bedeutet“, +wenn sie sich auf das, was Jesus mit den Elementen thut, beziehen +soll, bei weitem nicht ausreicht, ja gar nicht im Sinne der +Verfasser der Evangelien gelegen haben kann. „Den Schreibern +unserer Evangelien <em class="gesperrt">war</em> das Brot im Abendmahl der Leib +Christi ... hätte man geschlossen, dass das Brot den Leib bloss +<em class="gesperrt">bedeute</em>, so würden sie sich dadurch nicht befriedigt haben“ +(S. 436 ff.). Es ist kritisch nicht zulässig, dass Jesus seinen gewaltsamen +Tod mit Bestimmtheit vor sich gesehen habe. Daher +kann sich für ihn die Symbolik bei der letzten Mahlzeit mit den +Jüngern gar nicht auf seinen Tod beziehen. Ebenso ist der +Wiederholungsbefehl für unhistorisch zu halten; dafür spricht +das Schweigen der beiden ersten Evangelien und die Erwägung, +dass überhaupt eine Gedächtnisfeier natürlicher aus dem Bedürfnis +der Zurückbleibenden, als aus dem Plan des Scheidenden hervorgeht. +Ein Passahmahl war diese letzte Mahlzeit mit den Jüngern +auch nicht. Das eigentlich Historische an der ganzen Ueberlieferung +ist das eschatologische Schlusswort beim Becher: ich werde +davon nicht mehr trinken, bis ich ihn neu trinken werde mit euch +in meines Vaters Reich. In Jesu Gedanken bezieht es sich auf +den nächsten Passahwein, nicht allgemein auf das Essen und +Trinken. Von Mahlzeiten im messianischen Reich sprach er, gemäss +den Vorstellungen seiner Zeit, öfters, und so mag er erwartet +haben, das in demselben namentlich das Passahmahl mit besonderer +Feierlichkeit werde begangen werden. Wenn er nun versichert, +dieses Mahl nicht mehr in <em class="gesperrt">diesem</em>, sondern erst in <em class="gesperrt">jenem</em> Aeon +zu geniessen, so muss, nach seiner Erwartung, bis zur Feier des +<span class="pagenum"><a name="Seite_12" id="Seite_12">12</a></span>Passah das messianische Reich eintreten. Es ist dabei nicht nötig, +dass Jesus das Erscheinen des Reiches an seinen Tod geknüpft +dachte. Die ganze urchristliche Abendmahlsauffassung erklärt +sich daraus, dass statt des messianischen Reiches und seiner +Passahfeier — <em class="gesperrt">der Tod Jesu eintrat.</em></p> + +<p>Die Gemeinde feierte das Passah. Es war natürlich, dass +sich der Versuch darbieten musste, demselben durch die Beziehung +auf den Tod und das letzte Mahl Jesu (welches kein Passahmahl +gewesen) eine <em class="gesperrt">christliche</em> Deutung zu geben. So erklärt +sich das Eindringen des Leidensgedankens und der Leidensweissagung +in die historischen Abendmahlsberichte. Die Elemente erhielten +eine Beziehung auf den Leib und auf das Blut Christi; +dabei wurde das Wort Jesu, den Genuss des Passahweines betreffend, +allgemein auf das Essen und das Trinken bezogen +und mit Brot und Wein als seinem Leib und Blut in Verbindung +gebracht. So entstand die Vorstellung von dem Wiederholungsbefehl. +Die Neigung, das Gedächtnismahl vom Passah loszulösen +und öfters zu begehen, erklärt das Aufkommen eines derartigen +Wortes.</p> + +<p>Diese geniale Auffassung von <span class="smcap">Fr. Strauss</span> enthält bereits +alle Faktoren, welche die späteren, das Genussmoment einseitig +betonenden Abendmahlsdarstellungen kennzeichnen. Vor allem +kommen hier in Betracht die Loslösung der historischen Feier vom +Passahmahl, das Ausscheiden der Leidensanspielungen aus den +Worten Jesu, die Erklärung der Wiederholung der Feier ohne +Annahme des Wiederholungsbefehles und die Notwendigkeit, alle +als unhistorisch erkannten Züge in den neutestamentlichen Abendmahlsdarstellungen +(Anschluss an das Passahfest, Beziehung auf +den Tod Christi und Wiederholungsbefehl) aus der Entwicklung +der urchristlichen Feier in einem Zeitraum von nicht einmal zwei +Jahrzehnten zu erklären.</p> + +<p>Will man diese Rückbildung nicht durch eine gewagte Geschichtskonstruktion +erweisen, so bleibt nur wissenschaftliche +Skepsis in irgend einer Form übrig. Diesen Weg hat <span class="smcap">Bruno +Bauer</span><a name="FNAnker_8_8" id="FNAnker_8_8"></a><a href="#Fussnote_8_8" class="fnanchor">[8]</a> betreten. Er setzt voraus, dass die Berichte besagen +wollen: <em class="gesperrt">der Herr reichte seinen Jüngern seinen Leib und +sein Blut zum Genuss dar.</em> Der Wiederholungsbefehl ist eine +<span class="pagenum"><a name="Seite_13" id="Seite_13">13</a></span>Zuthat aus späterer Zeit mit abschwächender Tendenz. Man +fühlte, dass man für die historische Feier den Genuss so nicht +aufrecht erhalten könne. Darum hob man die Beziehung auf die +Zukunft, die der Formel an sich zu Grunde liegt, hervor. Jesus +kann seinen Jüngern nicht sein Fleisch und Blut dargereicht +haben,<a name="FNAnker_9_9" id="FNAnker_9_9"></a><a href="#Fussnote_9_9" class="fnanchor">[9]</a> damit sie es assen; also ist der Bericht des Markus Phantasie, +und alle andern Berichte sind Nachbildungen dieser Erfindung.</p> + +<p>Wie sehr gerade die Vollziehung des Genusses Voraussetzung +der <span class="smcap">Bauer</span>'schen Auffassung ist, zeigt sich darin, dass er +dem Matthäus vorwirft, er habe das bei Markus konstatierte Faktum +des Trinkens von seiten der Jünger eigenmächtig in einen +Befehl Jesu umgesetzt, was schon eine Milderung bedeute. Das +eschatologische Schlusswort lässt er unbeachtet und schneidet sich +so den Weg ab, der <span class="smcap">Strauss</span> aus den Schwierigkeiten, welche die +einseitige Betonung des Genussmomentes nach sich zieht, herausführte.</p> + +<p>Nach <span class="smcap">E. Renan</span><a name="FNAnker_10_10" id="FNAnker_10_10"></a><a href="#Fussnote_10_10" class="fnanchor">[10]</a> hat Jesus am letzten Abend die gewöhnliche +gemeinsame Mahlzeit mit dem Brotbrechen im Kreise seiner +Jünger gefeiert. „Dans ce repas, ainsi que dans beaucoup d'autres, +Jésus pratique son rite mystérieux de la fraction du pain.“ Das +eschatologische Schlusswort ist für <span class="smcap">Renan</span> zweifelhaft und ohne +Bedeutung. Die synoptischen Abendmahlsberichte erklären sich +nur aus der Entwicklung der späteren Anschauungen, für welche +das letzte Mahl ein Passahmahl war; dadurch drangen der +Leidensgedanke, die Beziehung der Elemente auf den Leib Jesu +und die Anordnung der Wiederholung in die Darstellung des +letzten Mahles ein.</p> + +<h3><strong>2. Die modernen Versuche. W. Brandt, Fr. Spitta, +A. Eichhorn.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Vergleiche zum <span class="err" title="original: folgenden">Folgenden</span> den verhängnisvollen Vortrag von <span class="smcap">E. Grafe</span> +(Die neuesten Forschungen über die ursprüngliche Abendmahlsfeier. Zeitschrift +für Theologie und Kirche 1895) und die klare Zusammenfassung von +<span class="smcap">Rud. Schäfer</span> (Das Herrenmahl nach Ursprung und Bedeutung 1897).</p></blockquote> + +<p>Erst das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bietet eine +Abhandlung, in der die bei <span class="smcap">Strauss</span>, <span class="smcap">Bauer</span> und <span class="smcap">Renan</span> angedeuteten<span class="pagenum"><a name="Seite_14" id="Seite_14">14</a></span> +Gedanken sich in voller Schärfe und Konsequenz zu einem +einheitlichen Bilde entwickeln. Es ist die epochemachende Arbeit +<span class="smcap">Spitta</span>'s. Die Werke von <span class="smcap">Ad. Harnack</span> und <span class="smcap">W. Brandt</span> +gehen ihr zeitlich in der Hervorhebung des ausschliesslichen +Mahlzeitscharakters der historischen Feier voraus. Da jedoch +<span class="smcap">Harnack</span> schon mehr zu den doppelseitigen Darstellungen mit +Zugrundelegung des Genussmoments überleitet, ist es rätlich, +ihn erst dort zu behandeln. Zudem hat er in der 3. Auflage +seiner Dogmengeschichte (Bd. I S. 64) zu dem Lösungsversuch +<span class="smcap">Spitta</span>'s Stellung genommen und seine eigene Ansicht daraufhin +neu formuliert.</p> + +<h3><strong>3. W. Brandt.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Die evangelische Geschichte und der Ursprung des Christentums. Leipzig +1893 S. 283 ff.</p></blockquote> + +<p>Die Hauptbedeutung der historischen Feier liegt in dem <em class="gesperrt">gemeinschaftlichen +Genuss.</em> Durch das Gleichnis beim Abendmahl +hat Jesus die gemeinsamen Mahlzeiten zum <em class="gesperrt">Symbol der +Gemeinschaft</em> gemacht. In der Bedeutung dieses Symbols ist +der Grund der Wiederholung zu sehen. Eine Anspielung auf +den Tod ist, wenn sie sich in dem Wort, welches das Brotbrechen +begleitete, findet, für das Wesen der Feier bedeutungslos.</p> + +<p>Die Aufnahme des Leidensgedankens und die Eintragung +des Wiederholungsbefehls in unsere Berichte gehen auf eine Verschiebung +in der urchristlichen Feier zurück. Diese ist dadurch +bedingt, dass nach dem Jahre 70 wegen des Fehlens des Lammes +Brot und Becher die vornehmsten Ingredienzen des jüdischen +Passahmahls bildeten; dadurch wurde eine Gleichgestaltung desselben +mit der urchristlichen Herrenmahlsfeier angebahnt. So +erklärt es sich, dass die letztere durch das erstere im äusserlichen +Verlauf und im Gedankengehalt beeinflusst wurde.</p> + +<p>In dieser ansprechenden Skizze finden wir die schon bei +<span class="smcap">Strauss</span> bemerkten Eigentümlichkeiten der das Genussmoment +ausschliesslich betonenden Auffassungen wieder. Der Wiederholungsbefehl +fehlt, und es kommt darauf an, den Leidenshinweis +in unseren Berichten auf die Einwirkung späterer Gemeindevorstellungen +zurückzuführen. Ob der von dem Verfasser angezeigte +Weg wirklich zum Ziele führt, ist fraglich. Sicher ist, dass er +eine grosse Schwierigkeit nicht berücksichtigt hat. Wie konnten +die Jünger die Worte des Meisters in dem oben gebotenen Sinn<span class="pagenum"><a name="Seite_15" id="Seite_15">15</a></span> +verstehen? Wie konnten sie überhaupt begreifen, dass er bei +der Darreichung von Brot und Wein sie aufforderte, seinen +Leib und sein Blut zu geniessen?</p> + +<p>Es ist das unschätzbare Verdienst <span class="smcap">Spitta</span>'s, diese Frage in +den Vordergrund geschoben zu haben.</p> + +<h3><strong>4. Fr. Spitta.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Die urchristlichen Traditionen über Ursprung und Sinn des Abendmahls +(zur Geschichte und Litteratur des Urchristentums). 1893 S. 207 +bis 337.</p></blockquote> + +<p>Der Sinn der Worte Jesu liegt einzig und allein in der Aufforderung +zum Genuss. Das Genossene ist nach seinen Worten +sein Leib und sein Blut, gerade <em class="gesperrt">dadurch, dass es genossen +wird</em>! Das Brechen und Ausgiessen als die darstellende Handlung, +welche den Elementen eine veranschaulichende Beziehung +auf seinen Tod geben soll, lag seinen Gedanken fern. Die historische +Feier war eine <em class="gesperrt">Mahlzeit</em>, bei welcher nach dem gemeinsamen +Inhalt aller Berichte die Jünger auf seine Aufforderung +hin die dargereichte Speise als seinen Leib essen und den eingegossenen +Wein als sein Blut trinken sollten und dies auch +thaten.</p> + +<p><span class="smcap">Strauss</span> und <span class="smcap">Bruno Bauer</span> hatten denselben Thatbestand +als von den Quellen geboten konstatiert, wurden aber von hier +aus gezwungen, die historische Thatsächlichkeit des geschilderten +Vorganges in Frage zu stellen und das Zustandekommen der +Berichte sei es aus der Geschichte des Urchristentums (<span class="smcap">Strauss</span>), +sei es aus der Geschichte der Entstehung der christlichen Ueberlieferung +überhaupt (<span class="smcap">Bruno Bauer</span>) zu erklären. Dass die Jünger +auf die Aufforderung Jesu hin damals seinen Leib und sein Blut +genossen haben sollen, ist für sie eine unvollziehbare Vorstellung.</p> + +<p><span class="smcap">Spitta</span> kann den Vorgang als historisch aufrecht erhalten +durch Zuhülfenahme <em class="gesperrt">eschatologischer Gedankengänge.</em> +Anknüpfend an die Vorstellung des messianischen Bundes, hat +Jesus, wie die übereinstimmenden Züge aller Berichte zeigen, bei +den „Einsetzungsworten“ an das Essen und Trinken beim messianischen +Mahl gedacht. In der prophetischen und in der apokalyptischen, +in der Sapientia- und in der rabbinischen Litteratur +stellt sich die Vollendung des Reiches in dem messianischen Mahl +dar, <em class="gesperrt">wobei die genossene Speise der Messias selbst ist</em>!<span class="pagenum"><a name="Seite_16" id="Seite_16">16</a></span> +Auf Grund dieser Vorstellung konnte Jesus voraussetzen, dass +die Jünger ihn verstehen würden, wenn er sie aufforderte, beim +Essen ihn selbst zu geniessen. Was er ihnen bietet, ist eine Vorwegnahme +des grossen messianischen Mahles der Endzeit. In +diesem Gedanken konnten sie den Leib des Messias essen und +ihn in seinem Blut, dem Saft der Trauben, trinken.</p> + +<p>Das letzte Mahl war kein Passahmahl, der Leidensgedanke +kam für die Symbolik der Elemente nicht in Betracht, und der +Wiederholungsbefehl ist unhistorisch. Diese Anschauungen sind +späterer Art und nur dadurch verständlich, dass infolge des inzwischen +eingetretenen Todes Jesu die Auffassung seiner Worte +bei der letzten Mahlzeit sich notwendig ändern musste. Die Feier +wurde in Analogie zu dem Passahmahl gesetzt, weil jetzt die +Deutung der Worte vom Leib und Blut auf seine Leiden unabweislich +war. Damit drang die Vorstellung einer Stiftung notwendig +mit ein.</p> + +<p>Bei Paulus halten sich die ursprüngliche und die auf das +Leiden bezogene Auffassung noch das Gleichgewicht. I Kor +10 <span class="antiqua">1</span> ff. und I Kor 10 <span class="antiqua">14</span> ff. kennen den Leidensgedanken noch +nicht und betonen das Genussmoment. I Kor 11 <span class="antiqua">23</span> ff. tritt das +neue Moment in Sicht, welches Paulus bei der Bekämpfung der +korinthischen Agapenskandale in die Feier einträgt: <em class="gesperrt">die Feier +hat es mit dem Tode Jesu zu thun.</em></p> + +<p>Das Neue ist also bei <span class="smcap">Spitta</span> die Heranziehung eigentümlich +eschatologischer Gedankengänge, durch welche er eine Feier +als historisch aufrecht erhält, bei der der Meister den zu Tische +Liegenden Brot und Wein reichte mit der Aufforderung, seinen +Leib zu essen und sein Blut zu trinken. In dem Wesen dieser +Feier lag es begründet, dass sie ohne ausgesprochenen Wiederholungsbefehl +Aufnahme in der ersten Gemeinde fand. Von hier +aus scheint es dann nicht unmöglich, in der nun folgenden Entwicklung +das Eintreten der Faktoren begreiflich zu machen, +welche die neuen Züge in der Auffassung und Wertung der Feier +bedingten.</p> + +<h3><strong>5. Kritik der Auffassung Spitta's.</strong></h3> + +<p>Die grosse Bedeutung der Untersuchung <span class="smcap">Spitta</span>'s beruht +darin, dass er die Abendmahlsfrage nach einem einheitlichen Gesichtspunkt +aufgefasst und zu lösen unternommen hat. Alle +Einzelfragen stehen bei ihm in einer gegenseitigen, engen Wechsel<span class="pagenum"><a name="Seite_17" id="Seite_17">17</a></span>verbindung. +Seine Abhandlung bildet eine geschlossene Kette, +bei der jedes Glied nur im Zusammenhang mit den andern in +Betracht kommt. Darin besteht der grosse Fortschritt in seiner +Untersuchung den früheren gegenüber. Die textkritischen und +die exegetischen Erörterungen sind bei ihm sowohl <em class="gesperrt">Grundlage</em> +als auch <em class="gesperrt">Folge</em> der Gesamtauffassung.</p> + +<p>Man hat seine Auffassung eine <em class="gesperrt">eschatologische</em> genannt, +weil er, wie <span class="smcap">Fr. Strauss</span>, den Gedanken der Mahlzeit im messianischen +Reich zu Hülfe nimmt, um die historische Feier verständlich +zu machen. <span class="smcap">Strauss</span> ging dabei vom synoptisch-eschatologischen +Schlusswort aus, in welchem Jesus die Jünger auf +das grosse Mahl der Endzeit verweist, wo er wieder mit ihnen +vereint sein wird. Der eschatologische Charakter der <span class="smcap">Spitta</span>'schen +Auffassung aber beruht nicht auf dem synoptischen Wort, <em class="gesperrt">sondern +auf einer <span class="err" title="original: eschatologichen">eschatologischen</span> Vorstellung vom Endmahl, +welche aus den Apokryphen und der Weisheitslitteratur +zusammengetragen ist.</em> Dabei ergeben sich eine +Reihe schwerer Widersprüche mit dem synoptisch-eschatologischen +Schlusswort.</p> + +<p>Nach <em class="gesperrt">Spitta</em> bietet sich der Messias beim Mahle der Endzeit +den Seinen zur Speise und zum Trank an. Nach den Synoptikern +weist Jesus auf das Endmahl hin, wo er mit ihnen vom +Gewächs des Weinstocks geniesst. Bei <span class="smcap">Spitta</span> will er also +<em class="gesperrt">Speise und Trank</em>, bei den Synoptikern <em class="gesperrt">mitgeniessender +Tischgenosse sein</em>!</p> + +<p>Bei <span class="smcap">Spitta</span> wird der eschatologische Hinweis sowohl <em class="gesperrt">für +die Speise als für den Trank vorausgesetzt.</em> Historisch +ist aber das eschatologische Schlusswort <em class="gesperrt">nur beim Becher</em>!</p> + +<p><span class="smcap">Spitta</span>'s Eschatologie bezieht sich auf die <em class="gesperrt">Aufforderung +zum Genuss</em> des Leibes und Blutes. Das synoptisch-eschatologische +Wort steht damit in keinem Zusammenhang, <em class="gesperrt">sondern +folgt erst auf den Genuss.</em></p> + +<p><span class="smcap">Spitta</span>'s Auffassung ist also ganz unabhängig vom synoptisch-eschatologischen +Schlusswort. Es figuriert auch nicht in seiner kürzesten +Form der Einsetzungsworte, sondern diese lauten einfach:</p> + +<p>„Nehmet, esset, das ist mein Leib.“</p> + +<p>„Trinket alle daraus. Das ist das Blut meines Bundes, das +für viele vergossen wird.“</p> + +<p>Diese Worte konstituieren die Feier, denn „in der Gemeinde +wurde immer daran gedacht, wie er damals darauf hingewiesen,<span class="pagenum"><a name="Seite_18" id="Seite_18">18</a></span> +<em class="gesperrt">er sei jetzt und in alle Ewigkeit</em> die rechte Speise +und Erquickung ihrer Seele“ (S. 289). So wird das synoptisch-eschatologische +Schlusswort zum <em class="gesperrt">wehmütigen Abschiedswort</em>, +welches von dem Jubelklang der eschatologisch siegesgewissen +Stimmung zum Todesgang überleitet.</p> + +<p><em class="gesperrt">Christus die rechte Seelenspeise:</em> dieser Gedanke ist +modern. Die Eschatologie <span class="smcap">Spitta</span>'s zielt dahin, diesen Gedanken +durch eine Zusammenstellung von alttestamentlichen und apokryphischen +Sprüchen in künstlich-antikem Licht spielen zu lassen, +damit er die Aufforderung Jesu zum Genuss seines Leibes und +Blutes für die historische Situation erkläre. Verzichtet man auf +dieses künstliche Licht, dann bleibt nur das skeptische Dunkel. +Das ist bei <span class="smcap">Eichhorn</span> der Fall.</p> + +<h3><strong>6. A. Eichhorn.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Das Abendmahl im Neuen Testament. Hefte zur christlichen Welt +No. 36. 1898.</p></blockquote> + +<p>„Wenn wir unseren Berichten trauen dürfen“, hat Jesus das +erste Abendmahl mit seinen Jüngern so gehalten, dass er ihnen +Brot und Wein ausgeteilt und sie seinen Leib und sein Blut gegessen +und getrunken haben. Aller Nachdruck fällt auf den Genuss. +Eine auf Jesu Handeln sich gründende Symbolik kann bei +der Betonung des Genusses nicht bestehen. <em class="gesperrt">Man darf nicht +sagen, dass das Brechen des Brotes auf das Zerbrechen +des Leibes und das Trinken des Weins auf das Vergiessen +des Bluts</em> hindeutet. Die Handlung, die in Wirklichkeit +vorgenommen wird, ist einfach das Essen und Trinken.</p> + +<p>Ist dies nun der durch die Quellen gebotene Sachverhalt, so +gibt es vorläufig keine Möglichkeit, die historische Feier und das +Aufkommen ihrer Wiederholung zu verstehen. Was auch Jesus +gesagt und gethan haben mag an jenem Abend, <em class="gesperrt">das Kultmahl +der Gemeinde mit dem sakramentalen Essen und +Trinken des Leibes und Blutes Christi</em>, wie es in der +ältesten Christenheit ziemlich von Anfang an sich ausgebildet hat, +<em class="gesperrt">ist von da aus nicht zu verstehen.</em> So wird <span class="smcap">Eichhorn</span>, weil +er bei der eingestandenen Bedeutung des Genussmomentes von +der Heranziehung eschatologischer oder moderner Anschauungen +absieht, notwendig zur Skepsis gedrängt.</p> + +<p>Sie besteht in dem ausgesprochenen Verzicht, auf Grund der +vorhandenen Berichte die historische und die wiederholte Feier<span class="pagenum"><a name="Seite_19" id="Seite_19">19</a></span> +in ihrem Zusammenhang zu begreifen, wenn nicht eine neue, von +unseren Berichten unabhängige Thatsache ein Datum liefert, +welches den Ausgangspunkt der uns unverständlichen Entwicklung +kenntlich macht. — Gelingt es nicht, in der gnostischen Gedankenwelt +ein <em class="gesperrt">sakramentales Essen</em>, welches das Vorbild +des Abendmahls abgeben könnte, nachzuweisen, sodass für die +älteste Christenheit nicht das supranaturale Essen und Trinken +als solches, sondern nur die Ersetzung einer andern übernatürlichen +Substanz durch Christi Leib und Blut neu ist, <em class="gesperrt">dann muss +auf ein Verständnis der historischen Feier und ihrer +Entwicklung zur Gemeindefeier endgültig verzichtet +werden.</em></p> + +<h3><strong>7. Die neue „Thatsache“.</strong></h3> + +<p>Um dem Skeptizismus zu entgehen, postuliert <span class="smcap">Eichhorn</span> +eine neue, über den Bestand unserer Quellen hinausgehende Thatsache. +Seine Vorgänger, die mit ihm die ausschliessliche Betonung +des Genusses gemein haben, ersetzen dieses Postulat +durch eine <em class="gesperrt">angenommene</em> Thatsache.</p> + +<p>D. <span class="smcap">Fr. Strauss</span> erklärt das Aufkommen der Abendmahlsfeier +im Urchristentum, und damit die Entstehung unserer Berichte, +durch das Missverständnis eines von Jesu bei dem letzten +Mahl gesprochenen eschatologischen Wortes von seiten der +Jünger.</p> + +<p><span class="smcap">Bruno Bauer</span> verlegt die ganze Entwicklung, da er sie anders +nicht erklären kann, in die Phantasie des Urevangelisten. +<span class="smcap">Renan</span> behilft sich mit der Annahme eines schon früher von Jesu +geübten, den Jüngern bekannten geheimnisvollen Ritus des Brotbrechens. +<span class="smcap">Spitta</span> bringt eine eigenartige, im Grunde moderne +eschatologische Vorstellung an die synoptischen Berichte heran, +welche mit dem dort gebotenen eschatologischen Schlusswort in +gar keiner Beziehung steht.</p> + +<p><span class="smcap">W. Brandt</span> überträgt moderne Anschauungsweisen in die +Gedankenwelt Jesu und seiner Jünger, ohne diese Uebertragung +aus den Berichten begründen zu können.</p> + +<p>So bildet die Untersuchung <span class="smcap">Eichhorn</span>'s den natürlichen +Schlusspunkt der scheinbar so zusammenhangslosen Reihe der +Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments. +Durch die dialektische Behandlung des Problems entzieht er jeder +künftigen Darstellung von vornherein die Berechtigung, wenn sie<span class="pagenum"><a name="Seite_20" id="Seite_20">20</a></span> +nicht eine neue geschichtliche Thatsache aufbringen kann, die +erklärt, wie die Anschauung aufkam, dass Jesus den Jüngern +zumutete, seinen Leib und sein Blut zu essen und zu trinken.</p> + +<h3><strong>8. Die Skepsis in der Folge der einseitigen Herausarbeitung +des Genussmoments.</strong></h3> + +<p><span class="smcap">Eichhorn</span>'s <em class="gesperrt">Postulat</em> trägt auch nicht weiter als die behaupteten +Thatsachen seiner Vorgänger. Er verlangt, dass die +Vorstellung des supranaturalen Essens und Trinkens in einer +schon vorhandenen religiösen Gedankenwelt nachgewiesen werde. +Die nähere Kenntnis des „Gnostizismus“ könnte nach seiner +Ansicht dazu führen.</p> + +<p>Zugegeben, dass ein solches supranaturales Essen und +Trinken schon existiert hätte, so müsste dargethan werden, wie +man im Urchristentum dazu kam, diesen Gedanken ins Abendmahl +<em class="gesperrt">herüberzunehmen.</em> Inwiefern gab die historische Feier +Ansatzpunkte dazu? Die von <span class="smcap">Eichhorn</span> vorgeschlagene Operation +hängt ganz in der Luft, denn unsere Berichte stehen einem +solchen Beginnen vollständig fremd und ablehnend gegenüber.</p> + +<p>Nun wäre die Umsetzung seines Postulats in eine dementsprechende +historische Thatsache der einzige Ausweg aus der +Skepsis. Gleich beim ersten Schritt zeigt sich aber, dass er völlig +aussichtslos ist. Also muss eine Darstellung, welche von der +Voraussetzung ausgeht, Jesus habe die Seinen bei Brot und +Wein zum Genuss seines Leibes und Blutes aufgefordert, <em class="gesperrt">von +vornherein, unter allen Umständen auf die Lösung des +Problems verzichten! Die konsequente Herausarbeitung +des Genussmoments führt notwendig zur Skepsis: +das ist der Ertrag dieser Darstellungen.</em></p> + +<h3><strong>9. Der logische Grund der Skepsis.</strong></h3> + +<p>Wenn in der wissenschaftlichen Behandlung einer Frage die +Skepsis sich einstellt, so liegt dies immer daran, dass <em class="gesperrt">sich in +den Voraussetzungen eine unbegründete Behauptung +versteckt hat</em>, welche von da aus das menschliche Denken +neckt und in die Irre führt. Die Wissenschaft an sich kann nie +zur Skepsis führen. Mit der Aufdeckung der <em class="gesperrt">unerwiesenen +Voraussetzungsbehauptung</em> ist die Skepsis gehoben.</p> + +<p>Worin besteht diese nun in den obigen Abhandlungen? Der +Fehler kann nicht in der ausschliesslichen Geltendmachung des<span class="pagenum"><a name="Seite_21" id="Seite_21">21</a></span> +Genussmoments beruhen. Dass das Abendmahl von der urchristlichen +Gemeinde als <em class="gesperrt">Mahlzeit</em> übernommen und gefeiert wurde, +dass die Handlung, welche die urchristliche mit der historischen +Feier verbindet, nicht in dem symbolischen <em class="gesperrt">Handeln des +„Stifters“</em>, sondern in der <em class="gesperrt">Handlung der Teilnehmer</em>, dem +Essen und Trinken besteht: diese Thatsachen werden durch die +Quellen geboten und durch das Urchristentum bestätigt.</p> + +<p>Nicht in der <em class="gesperrt">Thatsache</em>, sondern in der <em class="gesperrt">Art</em> der Wertung +des Genussmoments ist der Fehler zu suchen. Sämtliche obige +Darstellungen formulieren sie dahin, dass Jesus die Jünger bei +der Darreichung von Brot und Wein <em class="gesperrt">aufgefordert</em> habe, seinen +Leib zu essen und sein Blut zu trinken. <em class="gesperrt">Die Skepsis beruht +also in der Verbindung des Mahlzeitcharakters der +Feier mit den Gleichnisworten</em>, denn damit ist eine Aussage +gegeben, in der Subjekt und Objekt identisch sind: der Darbietende +ist zugleich der Genossene. Hier hört das Denken auf. <em class="gesperrt">Das +üppige Schlinggewächs historischer und exegetischer +Einfälle ist keine Brücke über den Abgrund des Selbstwiderspruchs!</em></p> + +<p>Statt also von der Konstatierung auszugehen, dass Jesus +den Seinen seinen Leib und sein Blut zum Genuss dargereicht habe, +muss man damit beginnen, diese Voraussetzung selbst zu prüfen. +Ist es wirklich eine aus der urchristlichen Feier und aus den Berichten +unumstösslich feststehende Thatsache, dass Jesus ihnen +dies in irgend einer Form zugemutet hat? Wenn ja, dann ist die +Lösung der Abendmahlsfrage unmöglich, da wir dabei das „wie“ +aus unseren Texten nie erklären können und jede freie Deutung +bei unseren Berichten ohne Rückhalt bleibt.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fussnoten:</h3> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_7_7" id="Fussnote_7_7"></a><a href="#FNAnker_7_7"><span class="label">[7]</span></a> <span class="smcap">David Fr. Strauss</span>, Das Leben Jesu. 1. Ausgabe, Tübingen 1836. +Bd. I, S. 396-442: Das Abendmahl.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_8_8" id="Fussnote_8_8"></a><a href="#FNAnker_8_8"><span class="label">[8]</span></a> <span class="smcap">Bruno Bauer</span>, Kritik der evangelischen Geschichte, 1842. Kritik +der Evangelien, 1850, Bd. III S. 191-213.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_9_9" id="Fussnote_9_9"></a><a href="#FNAnker_9_9"><span class="label">[9]</span></a> Kritik der evangelischen Geschichte, Bd. III S. 241: „Ein Mensch, +der leiblich und individuell dasitzt, kann nicht auf den Gedanken kommen +andern seinen Leib und sein Blut zum Genuss anzubieten.“</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_10_10" id="Fussnote_10_10"></a><a href="#FNAnker_10_10"><span class="label">[10]</span></a> <span class="smcap">E. Renan</span>, La vie de Jésus 1863, S. 385 ff.</p></div></div> + +<hr class="chap" /> + +<h2>Sechstes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des +Genussmoments und abgeleiteter Geltendmachung +des Darstellungsmoments.</b></p> + +<p class="center"><span class="smcap">Ad. Harnack</span>, <span class="smcap">Erich Haupt</span>, <span class="smcap">Fr. Schultzen</span>, <span class="smcap">R. A. Hoffmann</span>.</p> + +<h3><strong>1. Allgemeines.</strong></h3> + +<p>Diese doppelseitige Reihe steht unter dem Einfluss der Auffassungen +mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments. +Während die Richtung, die durch die Namen <span class="smcap">Rückert</span>, <span class="smcap">Lobstein<span class="pagenum"><a name="Seite_22" id="Seite_22">22</a></span></span> +und <span class="smcap">Holtzmann</span> gekennzeichnet wird, von dem Handeln +Jesu ausgehend den Genuss der Teilnehmer zu erklären versuchte, +verfahren die neuen doppelseitigen Auffassungen umgekehrt. +Sie stellen den Genuss in den Vordergrund und suchen +dieses Moment nun so zu formulieren und so zur Geltung zu +bringen, dass auch das auf den Tod hinweisende Handeln Jesu +damit in irgend einer Weise vereinbar ist und daraus seine Erklärung +empfangt. Das Schwergewicht hat sich also von der +einen auf die andere Seite verschoben.</p> + +<p>In letzter Linie sind es exegetische Bedenken, welche die +betreffenden Verfasser dazu führen, auch dem Leidensgedanken +und dem Handeln Jesu Rechnung zu tragen. „<em class="gesperrt">Die Worte sind +mir zu mächtig</em>“, sagt <span class="smcap">Harnack</span> bei der Würdigung der Auffassung +<span class="smcap">Spitta</span>'s, deren Grundgedanke ihm zusagt, während die +Exegese ihn nicht befriedigt. Es ist das Motto auch der übrigen +doppelseitigen Darstellungen.</p> + +<h3><strong>2. Ad. Harnack.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Brot und Wasser: die eucharistischen Elemente bei <span class="smcap">Justin</span> (Texte und +Untersuchungen Bd. VII S. 117 ff. 1891). Theologische Litteraturzeitung +1892 S. 373-378. Dogmengeschichte (3. Aufl.) Bd. I S. 64.</p></blockquote> + +<p>Durch eine Untersuchung, ob Wasser oder ob Wein das +eucharistische Genusselement in der alten Kirche waren, kam +<span class="smcap">Harnack</span> im Jahre 1891 dazu, in entschiedener Weise zu betonen, +dass in jener älteren Zeit die Symbolik sich nicht auf das +Wesen der Elemente habe beziehen können, sondern dass die +ganze Bedeutung der historischen und der urchristlichen Feier +<em class="gesperrt">auf der Mahlzeit als solcher</em> beruht habe.</p> + +<p>Das Abendmahl muss eine wirkliche Mahlzeit gewesen sein; +die in Frage kommende Handlung ist das Essen und Trinken. +Jesu Worte beziehen sich auf den Genuss. „Die wichtigste Funktion +des natürlichen Lebens hat der Herr geheiligt, indem er die +Nahrung als seinen Leib und sein Blut bezeichnet hat. So hat er +sich für die Seinen <em class="gesperrt">auf immer</em> mitten hineingestellt in ihr natürliches +Leben und sie angewiesen, die Erhaltung und das Wachstum +dieses natürlichen Lebens zur Kraft des Wachstums des +geistigen Lebens zu machen.“</p> + +<p>Mit diesem Moment sucht nun <span class="smcap">Harnack</span> +noch ein anderes in Beziehung zu setzen und dadurch diese +allgemeine religiöse <span class="pagenum"><a name="Seite_23" +id="Seite_23">23</a></span>Wertung des Genusses zu spezifizieren. +„Der Herr hat ein Gedächtnismahl seines Todes eingesetzt, <em class="gesperrt">oder +vielmehr</em>, er hat die leibliche Nahrung als sein +Fleisch und sein Blut, d. h. als die Nahrung der Seele, bezeichnet +(durch die Sündenvergebung), <em class="gesperrt">wenn</em> sie mit +Danksagung in Erinnerung seines Todes genossen wird.“</p> + +<p>Dieser Satz ist für <span class="smcap">Harnack</span>'s Auffassung entscheidend. +„Oder vielmehr“, „d. h.“ und „wenn“ sind die Rangiergeleise, +auf denen man von dem allgemeinen, wunderbar tiefen Gedanken +herkommend, „dass der Herr die wichtigste Funktion des natürlichen +Lebens geheiligt habe“, umsetzt, um die Einfahrt zur historischen +Feier, mit dem dort ausgedrückten Leidensgedanken, +zu gewinnen. Der allgemeine Mahlzeitcharakter seiner Auffassung +wird also näher bestimmt durch folgende Sätze:</p> + +<ul> +<li>1. Es handelt sich um eine Stiftung.</li> + +<li>2. Der Wiederholungsbefehl ist irgendwie in der historischen +Situation enthalten.</li> + +<li>3. Die Feier hat eine Beziehung auf den Tod des Stifters.</li></ul> + +<h3><strong>3. Erich Haupt.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Ueber die ursprüngliche Form und Bedeutung der Abendmahlsworte. +Halle, Universitätsprogramm 1894.</p></blockquote> + +<p>Indem Jesus die zu Tische liegenden Jünger bei der Darreichung +des Brotes und des Weines auffordert, seinen Leib und +sein Blut zu geniessen, will er sagen: „Meine Person ist Träger +der Kräfte eines höheren Lebens, welches so angeeignet werden +und so zu einem Bestandteil eurer Personen werden will, wie dies +bei der irdischen Nahrung der Fall ist. Dies gilt aber <em class="gesperrt">ganz besonders</em> +von meinem bevorstehenden Tode; gerade die Dahingabe +meiner <em class="gesperrt">Persönlichkeit</em> wird euch die in ihr beschlossenen +Lebens- und Heilskräfte in vollstem Masse erschliessen und zu +gute kommen lassen.“ Dieser Grundgedanke deckt sich vollständig +mit dem <span class="smcap">Spitta</span>'s. Während aber letzterer ihm im +Munde Jesu eine eschatologische Wendung gab, überträgt +<span class="smcap">Haupt</span> diesen durch den Ausdruck „Persönlichkeit“ als modern +gekennzeichneten Gedankengang auf die historische Feier durch +Zuhülfenahme des Leidensgedankens.</p> + +<p>Die Eschatologie tritt dabei ganz zurück. Jesus hatte bei +dem letzten Mahle auch von dem grossen Mahl der Vollendung +gesprochen. Indem nun das ganze Mahl nachgebildet wurde, +fanden auch diese eschatologischen Gedanken ihre Stelle. So ist<span class="pagenum"><a name="Seite_24" id="Seite_24">24</a></span> +bei <span class="smcap">Haupt</span> das eschatologische Moment nicht zur Erklärung der +Wiederholung benutzt, sondern erst aus der Wiederholung selbst +verständlich.</p> + +<p>Durch die nebenhergehende Geltendmachung des Todesgedankens +für die Erklärung der Feier ist die Beibehaltung des +Wiederholungsbefehls gegeben. In der Nacht des Verrats hat +der Herr das ganze Mahl unter den Gesichtspunkt eines Abschiedsmahls +gestellt. Er will sein <em class="gesperrt">Gedächtnis für die Zeit +der Trennung</em> wachhalten. „Somit ist nicht nur kein Gegengrund +dagegen, dass Jesus die Wiederholung der Handlung +seinen Jüngern anbefohlen hat, sondern ein dahin zielendes Wort +ist sogar aus inneren Gründen <em class="gesperrt">höchst wahrscheinlich.</em>“ Diese +vorsichtige und zurückhaltende Begründung der Beibehaltung +des Wiederholungsbefehls gibt den genauen Gradmesser ab für +die Beeinflussung des zu Grunde gelegten Genussmoments durch +das Darstellungsmoment und den Leidensgedanken.</p> + +<p>Mit derselben Vorsicht äussert <span class="smcap">Haupt</span> sich auch über das Verhältnis +zwischen dem wiederholten Herrenmahl und der Agape. +„Nicht zwei Teile sollen diese gemeinsamen Mahlzeiten haben, +einen profanen, welcher der äusseren Sättigung dient, und einen +religiösen, welcher der Erinnerung an Christi Tod gewidmet ist, +sondern ihre ganze Zusammenkunft soll religiösen Charakter +tragen, und das Herrenmahl <em class="gesperrt">im engeren Sinne</em> ist nur der +<em class="gesperrt">Höhepunkt des Ganzen.</em>“</p> + +<h3><strong>4. Fr. Schultzen.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Das Abendmahl im Neuen Testament. Göttingen 1895.</p></blockquote> + +<p>In dieser Darstellung ist die Hervorhebung des Leidensgedankens +und damit die Bedeutung des darstellenden Moments +im Handeln Jesu aus der Nebenstellung fast bis zur Gleichstellung +mit dem Genussmoment gerückt, wobei aber letzteres +immer noch den Ausgangspunkt bildet. „Es spricht nichts dafür, +dass etwa Jesus nur auf das Essen Gewicht gelegt habe und die +Beziehung auf seinen Tod späterer Zusatz sei. Umgekehrt ist +es aber auch nicht wahrscheinlich, dass Jesus nur eine symbolische +Handlung bei jenem letzten Mahl vorgenommen hat, und +dass die Verbindung mit dem Mahle nur durch den äusseren Anlass +entstanden ist.“ Auch das Brot ist nicht blosses Symbol, +sondern auf <em class="gesperrt">Grund des Symbols</em> zum wenigsten <em class="gesperrt">Repräsentant +und Vermittler</em> des Leibes Jesu.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_25" id="Seite_25">25</a></span> + +Das Genussmoment und das darstellende Moment werden +durch den Begriff <em class="gesperrt">des Opfermahls</em> zusammengehalten. Den +Jüngern waren Jesu Gedanken aus der religiösen Vorstellungswelt +Israels bekannt und fasslich. In dem Begriff des Opfermahls +war die Wiederholung unmittelbar gegeben und ebenso der +Empfang der in ihm gespendeten Gabe. So hat, trotz des Fehlens +des Wiederholungsbefehls, Jesus auch nach dem Bericht des +Markus an eine Wiederholung gedacht, weil er eine Gabe spendet, +die auch für <em class="gesperrt">die fernsten</em> Zeiten Wert hat.</p> + +<p>Wie bei <span class="smcap">Erich Haupt</span> vermögen die eschatologischen Gedanken +auch bei <span class="smcap">Fr. Schultzen</span> sich nur anhangsweise Geltung +zu verschaffen, nachdem die Wiederholung der Feier schon +anderweitig feststeht. „Die Parousiegedanken bei dieser Feier +erklären sich bei der lebhaften Sehnsucht der Gemeinde nach +der Parousie leicht, da das Abendmahl auch nach I Kor 11 <span class="antiqua">26</span> eine +Feier ist, die in der Wiederkunft Christi ihr Ziel erreicht hat.“</p> + +<p>Die Trennung von Mahlzeit und Abendmahl wird bereits für +die Urgemeinde vorausgesetzt. Paulus prägt schon Vorhandenes +schärfer aus. Die später erfolgte Abtrennung der „Eucharistie“ von +dem Mahle erklärt sich viel einfacher, wenn sie bereits ein besonderer +Teil derselben war, als wenn man das ihr besonders +Eigentümliche gar nicht erkennen konnte.</p> + +<h3><strong>5. R. A. Hoffmann.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Die Abendmahlsgedanken Jesu Christi. Königsberg 1896.</p></blockquote> + +<p>Bei <span class="smcap">Hoffmann</span> tritt das Darstellungsmoment noch stärker +hervor als bei <span class="smcap">Schultzen</span>. Es wird geradezu eine zweifache Art +von Teilnehmern vorausgesetzt. Das darstellende Handeln geht +auf die einen, der Genuss ist für die andern bestimmt. „<em class="gesperrt">Vergossen</em> +wurde sein Blut für <em class="gesperrt">das ungläubige Volk</em>, zu <em class="gesperrt">trinken</em> +gab er es den <em class="gesperrt">Seinen.</em>“</p> + +<p>Mit letzterem will er sagen, dass, da das <em class="gesperrt">Blut die Seele +ist</em>, seine Seele in sie übergehen werde, um ihnen zu ihrer bevorstehenden +hohen Mission Kraft zu geben, sie zu stärken, damit +auch sie, wenn der Fall an sie herantritt, <span class="err" title="original: im stande">imstande</span> seien, ihrerseits +ihre Seele als Lösegeld für andere dahinzugeben. Nicht +seinen Leichnam reicht er ihnen dar, sondern seinen lebendigen +Leib als den Träger des ihm innewohnenden göttlichen Geistes.</p> + +<p>„In der urchristlichen Feier kommt, neben dem Essen und +Trinken, auch dem, was Jesus gethan hat, dem Brechen und<span class="pagenum"><a name="Seite_26" id="Seite_26">26</a></span> +Danken — <em class="gesperrt">in entsprechender Wiederholung</em> — Bedeutung +zu.“ Dies war der Standpunkt von <span class="smcap">Schultzen</span>. <span class="smcap">Hoffmann</span> geht +noch weiter. „<em class="gesperrt">Das Wesentliche der ersten Mahlzeit war +ohne weiteres nicht zu wiederholen</em>, eben die Handlung +des Herrn, wie sich in ihr seine überragende Geistesgrösse, seine +Kraft und Leben ausströmende Gegenwart noch zum letztenmal +ihnen dokumentiert hatte“ (S. 106).</p> + +<p>Eine Wiederholung ohne Wiederholungsbefehl ist also <em class="gesperrt">undenkbar.</em> +Der Wiederholungsbefehl muss sich vor allem auf den +Genuss bezogen haben, da Jesus zur Erinnerung an ihn ein +<em class="gesperrt">Mahl</em> eingesetzt hat. Es lässt sich nicht mehr ausmachen, wie +sich in der ersten Zeit das Abendmahl des näheren zur Gemeindemahlzeit +verhalten habe. Für Paulus jedenfalls war die feierliche +Gemeindemahlzeit mit dem Abendmahl untrennbar verbunden.</p> + +<p>Der Eschatologie kommt in der Darstellung <span class="smcap">Hoffmann</span>'s +keine Bedeutung zu.</p> + +<hr class="chap" /> +<h2>Siebentes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Der gesetzmässige Zusammenhang zwischen den Einzelfragen.</b></p> + +<h3><strong>1. Der Wiederholungsbefehl.</strong></h3> + +<p>Die historische Feier ist eine Mahlzeit: darin liegt ihre +Wiederholung von selbst begründet. Wenn Jesus dem Essen +und dem Trinken im gemeinsamen Kreis der Seinigen eine besondere, +irgendwie segensreiche Bedeutung verleiht, so ist hiermit +ohne weiteres die Wiederholung gefordert. Er braucht das nicht +in einem Befehl ausgesprochen zu haben.</p> + +<p>Dies ist der Standpunkt der das Genussmoment ausschliesslich +betonenden Darstellungen. Auch die doppelseitigen Auffassungen, +welche das Genussmoment zu Grunde legen, stimmen +damit überein. Wenn die Jünger Jesum verstanden haben, +mussten sie von selbst diese Feier wiederholen. Sofern hingegen +das <em class="gesperrt">Darstellungsmoment</em> nebenbei betont wird, ist nun aber +die Wiederholung gar nicht selbstverständlich. Was Jesus gethan, +das kann eigentlich nicht wiederholt werden.</p> + +<p>So gehen diese doppelseitigen Darstellungen von dem Gedanken +aus, dass der Wiederholungsbefehl eigentlich überflüssig +ist, kommen aber dann dazu, ihn doch irgendwie als möglich oder +notwendig anzunehmen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_27" id="Seite_27">27</a></span> + +Die Frage bleibt für sie also in der Schwebe. Je stärker +der Leidensgedanke und das Darstellungsmoment für die historische +Feier geltend gemacht werden, mit desto grösserer Entschiedenheit +wird zur Erklärung der eingetretenen Wiederholung +eine darauf hinzielende Anweisung gefordert.</p> + +<h3><strong>2. Das Abendmahl und die urchristliche Gemeindemahlzeit.</strong></h3> + +<p>In der Gemeindefeier steckt ein Doppeltes. Wiederholt wird +eine gemeinsame Mahlzeit. Dabei soll aber in irgend welchem +Masse ein historischer, an sich einzigartiger Moment reproduziert +werden. In welchem Verhältnis steht das wiederholte +„Herrenmahl“ zu den gemeinsamen religiösen Mahlzeiten des Urchristentums?</p> + +<p>Nach den Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des +Genussmoments sind beide <em class="gesperrt">identisch</em>, denn für sie besteht ja +auch die historische Feier nur in der Mahlzeit als solcher. Die +doppelseitigen Darstellungen aber kommen hier in dasselbe Gedränge, +wie mit dem Wiederholungsbefehl. Auch sie, sofern sie +den Mahlzeitcharakter zu Grunde legen, sollten eigentlich die +Identität proklamieren. Nun betonen sie aber daneben auch das +Darstellungsmoment. Dann wird aber die Gemeindefeier zur +Wiederholung einer bestimmten <em class="gesperrt">historischen Situation</em>, +welche nicht mehr durch die <em class="gesperrt">gemeinsame Mahlzeit als solche +reproduziert wird.</em> Das wiederholte Herrenmahl soll also jetzt +von der gemeinsamen religiösen Mahlzeit irgendwie <em class="gesperrt">abheben</em>, +jedoch nur soweit, dass die letzthinige Einheit beider festgehalten +wird. Die Schwierigkeit wächst mit der stärkeren Betonung des +Darstellungsmoments. Man erhält folgende Stufenleiter:</p> + +<p><span class="smcap">W. Brandt</span>: Jesus macht die gemeinsamen Mahlzeiten +zum Symbol der Gemeinschaft. Als nach seinem Tode der +Glaube an ihn neu auflebte, wurde natürlich das vom Herrn +selbst gegebene Symbol der Gemeinschaft besonders gepflegt. +Gemeindemahlzeit und „Herrenmahl“ sind identisch.</p> + +<p><span class="smcap">Fr. Spitta</span>: „Es wurde bei Brot und Wein immer daran +gedacht, wie er damals darauf hingewiesen, dass er jetzt und in +alle Ewigkeit die rechte Speise und Erquickung ihrer Seele sei.“ +Die Didache repräsentiert die urchristliche Feier. Herrenmahl +und Agape waren danach identisch. Es ist verfehlt, Didache +9 und 10 als Einleitungsgebete zur „eigentlichen Abendmahlsfeier“ +auffassen zu wollen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_28" id="Seite_28">28</a></span> + +<span class="smcap">Ad. Harnack</span>: Hier beginnt die Differenzierung. Sie ist in +dem klassischen Satz mit den Rangiergeleisen enthalten. „Der +Herr hat ein Gedächtnismahl seines Todes eingesetzt, <em class="gesperrt">oder +vielmehr</em>, er hat die leibliche Nahrung als sein Fleisch und sein +Blut, d. h. als die Nahrung der Seele bezeichnet (durch die +Sündenvergebung), <em class="gesperrt">wenn</em> sie mit Danksagung in Erinnerung +seines Todes genossen wird. So haben die Apostel seine Stiftung +verstanden.“ Eine Feier, bei der alle diese näheren Bestimmungen +zum Ausdruck kommen sollen, ist aber keine einfache +gemeinsame Mahlzeit mehr, sondern eine <em class="gesperrt">Ceremonie.</em> „Jesus +verhiess ihnen, dass er mit der Kraft seiner Sündenvergebung bei +jeder Mahlzeit sein werde, die sie zu seinem <em class="gesperrt">Gedächtnis</em> halten +würden.“ Wie wurde aber die gemeinsame Mahlzeit als „Gedächtnismahl“ +gekennzeichnet? Durch welche Akte, durch welche +Reden? Wie wurde die Situation des historischen Mahls reproduziert, +wo doch auch das „Abendmahl“ nur ein besonderer +Augenblick im Verlauf der letzten gemeinsamen Mahlzeit gewesen +war?</p> + +<p><span class="smcap">Erich Haupt</span>: „Die ganze Zusammenkunft soll religiösen +Charakter tragen, und das Herrenmahl <em class="gesperrt">in engerem Sinn</em> ist +nur der <em class="gesperrt">Höhepunkt des Ganzen.</em>“ Weil <span class="smcap">Haupt</span> das Darstellungsmoment +stärker betont als <span class="smcap">Harnack</span>, kann er Gemeindemahl +und „Abendmahl“ nicht irgendwie in einander übergehen +lassen, sondern er muss das Abendmahl als eine besondere Situation +auffassen, die den Höhepunkt der ganzen Mahlvereinigung +repräsentiert. Er kann nicht darum herumkommen, die auf +Grund der Stiftung „wiederholte Handlung“ von der religiösen +Mahlzeit sich abheben zu lassen und doch wieder die letzthinige +Einheit beider festzuhalten. So bleibt ihm nur das Verhältnis +der Steigerung.</p> + +<p><span class="smcap">Spitta</span> und <span class="smcap">Harnack</span> bestreiten, dass in Didache 10 <span class="antiqua">6</span> „wenn +einer heilig ist, trete er herzu“ eine besondere Feier beginnt. +<span class="smcap">Haupt</span> muss seine Steigerung auch hier wiederfinden und nimmt +an, dass diese Worte die eigentliche Abendmahlsfeier einleiten. +Das „Herr, komme doch“ bezieht sich auf die Gegenwart des +Herrn im „Sakrament“.</p> + +<p><span class="smcap">Fr. Schultzen</span>: Durch den Begriff des „Opfermahls“ hält +er die beiden auseinanderstrebenden Teile der Feier zusammen. +Er kann sie aber nicht mehr, wie <span class="smcap">Erich Haupt</span>, in das Verhältnis +<span class="pagenum"><a name="Seite_29" id="Seite_29">29</a></span>der Steigerung setzen — dazu ist die Betonung des Darstellungsmoments +bei ihm schon viel zu stark — sondern er muss +die Trennung konstatieren. „In dem Begriff des Opfermahls ist +die Wiederholung der Mahlzeit unmittelbar gegeben und ebenso +der stetige Empfang der gespendeten Gabe“ (S. 74). Wiederholt +wird aber zweitens die Handlung des Veranstalters der Opfermahlzeit, +als Voraussetzung des Empfangs und des Genusses der +Teilnehmer. „Die Gabe, die er ihnen zuwandte, sollte den Erfolg +haben und hat ihn auch wirklich gehabt, <em class="gesperrt">dass sie wiederholten, +was er gethan</em>, und damit auch ferner an dem Segen +seines Opfertods Anteil erhielten“ (S. 96).</p> + +<p>Wie soll man sich aber vorstellen, dass die Jünger beim gemeinsamen +Mahl „wiederholten, was er gethan?“ Das bedeutet +nichts anderes, als dass das Gemeindemahl und das Abendmahl +auf die Trennung angelegt waren. In I Kor 11 macht Paulus +die schon vor ihm angebahnte Scheidung nur stärker geltend. +Dass nachher die Eucharistie vom Mahle gänzlich losgelöst +wurde, „ist nur die geschichtliche Vollendung des schon in der +Stiftung enthaltenen Prozesses“.</p> + +<p><span class="smcap">R. A. Hoffmann</span>: Das Darstellungsmoment tritt so stark +hervor, dass <span class="smcap">Hoffmann</span> auf die Lösung des Problems verzichtet. +„Das Wesentliche der ersten Abendmahlsfeier war ohne weiteres +nicht zu wiederholen, <em class="gesperrt">eben die Handlung des Herrn</em>“ (S. 106). +Auf den von Jesus selbst vorgenommenen Akt kann der Wiederholungsbefehl +nicht gehen. Ihn auf die Handlung der Teilnehmer, +das Essen und Trinken zu beziehen, ist zwar grammatikalisch +sozusagen unmöglich. Da aber nichts anderes übrig +bleibt, müssen wir eben annehmen, Jesus habe zum Mittel der +Erinnerung an ihn „ein Mahl eingesetzt“.</p> + +<p>Wie er das verstanden haben wollte, ist nicht klar. Es ist +stark mit der Möglichkeit zu rechnen, „dass dasjenige, was uns +von den Worten Jesu bei der Einsetzung seines Mahles überliefert +worden ist, nicht alles repräsentiert, was er wirklich zur +Aufklärung über seine uns heutzutage so schwer verständliche +Handlung gesprochen hat“ (S. 115).</p> + +<p>Wie man es mit der Feier im Urchristentum gehalten hat, +darüber ist keine vollständige Klarheit zu gewinnen. Wir wissen +nur, „dass das Abendmahl in der Urgemeinde eine wirkliche +Mahlzeit war, wobei sehr wahrscheinlich ist, dass das Brotbrechen +zugleich Herrenmahl war“ (S. 137).</p> + +<p><em class="gesperrt">Zusammenfassung.</em> Die Untersuchung ergibt folgenden<span class="pagenum"><a name="Seite_30" id="Seite_30">30</a></span> +Satz: <em class="gesperrt">Bei ausschliesslicher Geltendmachung des Genussmoments +sind die Gemeindemahlzeit und das +Abendmahl identisch. Mit der nebenhergehenden Betonung +des Darstellungsmoments wird die Differenzierung +zwischen beiden in steigendem Masse notwendig, +bis zuletzt beide auseinanderfallen.</em></p> + +<h3><strong>3. Die Antinomie zwischen der historischen und der urchristlichen +Feier.</strong></h3> + +<p>Es ist wohl nicht das geringste Verdienst der grossartigen +Abhandlung <span class="smcap">Spitta</span>'s, in voller Schärfe das Prinzip proklamiert +zu haben, dass eine Abendmahlsauffassung nur dann Wert hat, +wenn sie das Wesen der urchristlichen Feier, wie es uns besonders +in der Didache begegnet, erklärt. Dementsprechend +bildet die urchristliche Feier auch den Hauptstützpunkt seiner +Darstellung. Er wird ihr vollkommen gerecht, da seiner Auffassung +zufolge das Abendmahl eine Freudenmahlzeit war. Indem er +von einem Wiederholungsbefehl und von einer Abhebung des +„Abendmahls“ von der Gemeindemahlzeit absieht, stimmt er +vollständig mit der urchristlichen Ueberlieferung überein; diese +weiss ja auch nichts davon, dass die Feier eine auf den Befehl +Jesu erfolgende ausgesprochene Reproduktion jener historischen +Situation sein soll.</p> + +<p>Während <span class="smcap">Spitta</span> so die urchristliche Feier vollkommen erklärt, +vermag er aber der historischen in keiner Weise auch nur annähernd +gerecht zu werden. Das teilt er mit allen Auffassungen, +welche das Genussmoment einseitig herausarbeiten. Inwiefern +die Jünger Jesum verstehen mussten und verstanden haben, als +er sie aufforderte, seinen Leib und sein Blut zu geniessen: das +vermögen sie, ohne unerlaubte Kunstgriffe, in keiner Weise deutlich +zu machen. <em class="gesperrt">Für die historische Situation bleibt ihnen +nur der Skeptizismus übrig</em>, wobei sie sich trösten dürfen, +wenigstens der urchristlichen Feier gerecht zu werden.</p> + +<p>Mit den doppelseitigen Auffassungen steht es folgendermassen: +Je mehr sie das Darstellungsmoment betonen, desto +besser und ansprechender können sie die <em class="gesperrt">historische Feier</em> +erklären, da sie nun den Leidensgedanken und die Symbolik des +Handelns Jesu für die Deutung der Gleichnisse verwerten können. +In demselben Masse aber werden sie <em class="gesperrt">unfähig, die urchristliche +Feier zu erklären.</em> Mit dem Darstellungsmoment ist ja<span class="pagenum"><a name="Seite_31" id="Seite_31">31</a></span> +der Wiederholungsbefehl, die Bedeutung des Leidensgedankens +für die Feier und die Differenzierung zwischen Abendmahl und +Gemeindemahlzeit gegeben. Das alles läuft aber der urchristlichen +Ueberlieferung schnurstracks zuwider. Diese weiss nichts +davon, sondern sie beschränkt sich merkwürdigerweise auf den +Satz: Das Abendmahl ist ein Freudenmahl, bei dem das darstellende +Handeln Jesu in keiner Weise irgendwie reproduziert +wird.</p> + +<p>Die Antinomie ist also unlösbar. <em class="gesperrt">Eine doppelseitige +Auffassung erklärt die historische Feier nur in dem +Masse, als sie die urchristliche nicht erklärt und umgekehrt.</em> +Dieser Satz enthält das Grundresultat der Untersuchung +über die doppelseitigen Darstellungen. Infolge dessen +müssen sie auf die Lösung des Problems verzichten, da keine von +ihnen, und wäre sie noch so geistreich, über diese Antinomie +hinauskommen kann.</p> + +<p>Letztere liegt eben in der bisherigen Problemstellung selbst +begründet, welche die urchristliche Feier als eine <em class="gesperrt">entsprechende +Wiederholung</em> der historischen auffassen will. Nun ist aber +das Wiederholte der Geschichte zufolge dem Ursprünglichen gar +nicht ähnlich. Die historische Feier ist eine <em class="gesperrt">Ceremonie</em> im +Verlauf einer Mahlzeit, die urchristliche ist nur eine <em class="gesperrt">gemeinsame +Mahlzeit</em> ohne entsprechende Wiederholung der Ceremonie. +Damit ist Antinomie unabweisbar gegeben.</p> + +<p>Nun steht aber fest, dass die urchristliche auf die historische +Feier zurückgeht. Also ist das Problem erst dann gelöst, wenn +der Zusammenhang beider erklärt wird, ohne dass deshalb die +Gemeindefeier irgendwie eine entsprechende Nachbildung der +historischen ist. <em class="gesperrt">Die urchristliche Abendmahlsfeier ist +etwas Selbständiges.</em></p> + +<hr class="chap" /> + +<h2>Achtes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Die Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des +Darstellungsmoments.</b></p> + +<h3><strong>1. Das Gefechtsfeld.</strong></h3> + +<p>Die Darstellungen mit ausschliesslicher Betonung des +Genussmoments bedeuteten einen kühnen Vorstoss gegen die +allgemein verbreitete Auffassung, welche durch die Namen <span +class="smcap">Rückert</span>, <span class="pagenum"><a name="Seite_32" +id="Seite_32">32</a></span><span class="smcap">Holtzmann</span> und +<span class="smcap">Lobstein</span> vertreten ist. Es konnte einen +Augenblick scheinen, als hätte die hergebrachte Ansicht durch diesen +unerwarteten, geschlossenen Angriff gegen die Deutung der Gleichnisse +aus dem Handeln Jesu alle ihre Positionen verloren. Jetzt aber, wo die +Lage sich langsam klärt, zeigt sich, dass dies nicht der Fall ist.</p> + +<p>Wohl mussten einige exponierte Stellungen von dem angegriffenen +Teil aufgegeben werden. Dafür hat er sich aber in +eine Position zurückgezogen, die als unüberwindbar gelten darf. +Die Sache steht so, dass der Angreifer darauf verzichten muss, +<em class="gesperrt">diese befestigte Stellung jemals zu erobern</em>, der Angegriffene +aber auf absehbare Zeit nicht an eine <em class="gesperrt">Aktion im freien +Felde</em> denken kann.</p> + +<p>Zu den aufgegebenen Positionen gehört vor allem die Stellung +zur Frage des Passahmahls. Während bis in die 70er und +80er Jahre das letzte Mahl den Synoptikern entsprechend fast +allgemein als Passahmahl aufgefasst wurde, sucht man jetzt diese +Frage aus dem Zusammenhang mit der Gesamtauffassung herauszurücken. +Man begnügt sich mit einer vorsichtigen chronologischen +Erwägung, ob das synoptische Datum wahrscheinlich sei +oder nicht.</p> + +<p>Aehnlich steht es mit dem Wiederholungsbefehl. Auch die +Auffassungen mit Zugrundelegung des Darstellungsmoments +suchen sich von der Notwendigkeit eines auf die Wiederholung +hinweisenden Wortes frei zu machen.</p> + +<p>Zugleich wird das Genussmoment im ganzen doch entschiedener +hervorgehoben als es bisher der Fall war. Es bleibt +jedoch immer in Abhängigkeit vom Darstellungsmoment und +wird erst durch dasselbe verständlich.</p> + +<p>Diese Verschiebungen in der Position kann man am besten +in den successiven Kundgebungen <span class="smcap">Lobstein</span>'s und <span class="smcap">Holtzmann</span>'s +verfolgen, soweit sie die Abendmahlsfrage betreffen. Sie haben +die Verteidigungsstellung eingerichtet.</p> + +<h3><strong>2. Der Verteidigungsplan. P. W. Schmiedel.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Protestantische Monatshefte 1899: Die neuesten Ansichten über den +Ursprung des Abendmahls.</p></blockquote> + +<p>Dem etwas forschen Vorgehen <span class="smcap">Eichhorn</span>'s gegenüber +unternahm es <span class="smcap">Schmiedel</span> darzuthun, wie die Sachen eigentlich +liegen. Er zeigt zunächst, dass die chronologischen Gründe +gegen die Möglichkeit, dass das letzte Mahl ein Passahmahl war,<span class="pagenum"><a name="Seite_33" id="Seite_33">33</a></span> +zusammengenommen allerdings einen grossen Eindruck machen. +Betrachtet man sie aber einen nach dem andern, so verlieren sie +bedeutend an Energie. Die Annahme, dass Jesus das gesetzliche +Passah feierte, ist also nicht von der Hand zu weisen, da die +entschiedenen Aussagen der Synoptiker den chronologischen +Einwürfen wohl das Gleichgewicht halten können.</p> + +<p>Ueberdies lässt sich der Passahgedanke in ansprechender +Weise zur Erklärung der historischen Feier heranziehen, wobei +mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass in Jesu Seele Passah- und +Bundesgedanken zusammenflossen.</p> + +<p>Was die Handlung betrifft, die er vorgenommen haben soll, +ist anzunehmen, dass das <em class="gesperrt">Bedeutsame</em> mindestens in erster +Linie das Brechen des Brotes und <em class="gesperrt">das Ausgiessen des +Weines aus dem Krug in den Becher</em> sei. Das Austeilen +dieser Speisen zum Genuss schliesst sich als etwas <em class="gesperrt">Zweites</em> an. +„<em class="gesperrt">Um der Hauptsache willen wäre es nicht nötig gewesen; +aber da man einmal beim Mahle sass, war es +naturgemäss.</em>“ Es dient demselben Zwecke wie das einem +Bundesopfer oder dem Passahopfer nachfolgende Mahl überhaupt, +der gemeinsamen Aneignung und Pflege des in dem Opfer +vorkommenden Gedankens.</p> + +<p>Die Frage, ob der Wiederholungsbefehl historisch ist oder +nicht, bleibt hier in der Schwebe. Wäre er sicher überliefert, so +wäre er verständlich. Aber ebenso begreiflich ist es, dass Jesus +an eine Wiederholung nicht dachte.</p> + +<p>Der genialen Unbesonnenheit gegenüber ist ruhiges Abwägen +absolut notwendig. S. 148: „Wir müssen noch darauf aufmerksam +machen, wie dringend es sich empfiehlt, auf jeden dem +unsrigen ähnlichen Versuch wohlwollend einzugehen, wenn man +nicht in <em class="gesperrt">unlösbare Schwierigkeiten</em> kommen will.“ Der +hohe Wert dieser Stellung beruht nämlich in der Stütze, die sie +in einer natürlichen Exegese unserer neutestamentlichen Abendmahlsberichte +findet. Durch seine Geltendmachung des Darstellungsmoments +kann <span class="smcap">Schmiedel</span> jeden einzelnen Zug der +historischen Situation, jeden durch die Exegese angedeuteten +Nebengedanken in seiner Gesamtauffassung unterbringen. Es +ist gelungen, <em class="gesperrt">„die Möglichkeit, dass Jesus eine der +Beschreibung ungefähr entsprechende Feier wirklich +gehalten habe“, auf einen sehr hohen Grad der Wahrscheinlichkeit +zu bringen.</em> Die Herleitung der Berichte aus<span class="pagenum"><a name="Seite_34" id="Seite_34">34</a></span> +der späteren Gemeindetheologie, etwa gar mit Benutzung ausserchristlicher +Analogien, wird von selbst gegenstandslos. Jede derartige +Konstruktion muss zuerst den Nachweis erbringen, dass +die von ihr behauptete Umbildung sich in so kurzer Zeit nach +Jesu Tod habe einbürgern können.</p> + +<p><em class="gesperrt">Damit erschöpft sich aber</em> der Wert dieser Verteidigungsstellung: +sie verfügt über sicher schiessende, gut placierte +Geschütze, die aber nicht sehr weit tragen, sodass vor den Augen +der Belagerten die Reiterschwärme der Belagerer sich auf dem +unbestrichenen Terrain vergnügt und unbehelligt tummeln. Es +ist nämlich unmöglich, dass jemals eine mit der <span class="smcap">Schmiedel</span>'schen +verwandte Auffassung erklären könne, wie die von ihnen <em class="gesperrt">bis ins +einzelne verstandene historische Feier</em> im Urchristentum, +etwa noch gar ohne Annahme eines dahinzielenden Befehls +Jesu, <em class="gesperrt">wiederholt worden ist.</em> Denn das Schwergewicht liegt +ja für sie in dem Handeln Jesu. Nun ist dieses Handeln Jesu +in der urchristlichen Feier gar nicht wiederholt worden, weil dies +unmöglich ist. Der Leidensgedanke fehlt ihr ja vollständig. Sie +ist eine Mahlzeit, bei welcher, so viel wir wissen, die Ceremonie +der historischen Feier in keiner Weise reproduziert wurde. Das +Nebensächliche, das Essen, ist also Hauptsache geworden und die +Hauptsache ist in der wiederholten Feier ganz zurückgetreten.</p> + +<p>Ausserhalb des schmalen, von den Festungsgeschützen beherrschten +Terrainstreifens ist also der geringste Reitertrupp +des Angreifers gegen die wohlbewaffnete, aber schwerfällige Besatzung +im Vorteil, wenn sie einen Ausfall wagen sollte. Jede +kecke Konstruktion, von <span class="smcap">Strauss</span> bis auf <span class="smcap">Eichhorn</span>, kann das +Aufkommen und das Wesen der urchristlichen Feier besser erklären, +als die exegetisch gewissenhafte, aus den Berichten destillierte +Auffassung <span class="smcap">Schmiedel</span>'s. Nur halte die erstere sich ausser +Bereich des exegetischen Verteidigungsfeuers, wenn sie nicht +durch den ersten Schuss ausser Gefecht gesetzt sein will. Fürwahr +ein merkwürdiger Kampf, wo es einen nicht Wunder nimmt, +dass jeder als Sieger thut, obwohl der andere unbesiegt ist.</p> + +<h3><strong>3. Die Offensive. Adolf Jülicher.</strong></h3> + +<blockquote> + +<p>Zur Geschichte der Abendmahlsfeier in der ältesten Kirche. 1892. +(Theologische Abhandlungen, K. v. <span class="smcap">Weitzsäcker</span> gewidmet.)</p></blockquote> + +<p><span class="smcap">Jülicher</span> berührt sich am nächsten mit <span class="smcap">Zwingli</span>, dessen +Auffassung er ins Moderne übersetzt, indem er auf die gegenwärtige<span class="pagenum"><a name="Seite_35" id="Seite_35">35</a></span> +Form der Fragen Rücksicht nimmt. Es handelt sich um +die einseitige Geltendmachung des Darstellungsmoments.</p> + +<p><em class="gesperrt">Alle auf dem Genussmoment beruhenden Auffassungen +legen Jesu moderne Gedanken unter.</em> Was +er bei jenem Mahle zuletzt so besonders feierlich sagte, muss für +jeden Anwesenden unmittelbar verständlich gewesen sein. Der +Vergleichspunkt muss also in dem liegen, was er vor den Augen +der Jünger mit den Genusselementen vornimmt: in dem Brechen +des Brots und in dem Ausgiessen des Weins. Der Sinn der begleitenden +Worte bezieht sich auf den bevorstehenden Tod. „So +wie dieser Wein alsbald verschwunden sein wird, so wird alsbald +mein Blut vergossen sein, denn mein Tod ist eine beschlossene +Sache; aber“, fügt er tröstend hinzu, „es wird nicht umsonst vergossen, +sondern „für viele“ und — ein bildlicher Ausdruck, der +in dem Gedankenkreis des Passahtages lag — als ein Bundesblut.“ +Nur den Gegenstand des Geniessens vergleicht Jesus hier +und dort mit seinem Leibe, <em class="gesperrt">auf das Geniessen reflektiert +er gar nicht.</em> Höchstens insofern das Genussmoment aus dem +vorhergehenden darstellenden Moment irgend eine Bedeutung +empfängt, kann man ihm problematische Geltung zugestehen. +So hatte die Feier ursprünglich einen wehmütig schmerzlichen +Charakter, welcher nur aus der Situation begriffen werden kann.</p> + +<p>Nun lässt die älteste Ueberlieferung Jesum durch nichts andeuten, +dass er jene sinnvolle Handlung auch künftighin von +seinen Gläubigen vollzogen sehen möchte. Wie hat man aber dann +in der Urkirche aus dieser historischen Feier so schnell eine zu +steter Wiederholung bestimmte Handlung machen können? Zuerst +war es wohl ein inneres Bedürfnis. Passahgedanken und Abschiedserinnerungen +wirkten mit. Bald fand die Wiederholung im +Zusammenhang mit jedem Mahle statt und es kam die Vorstellung +eines ausdrücklichen darauf hinzielenden Gebotes Jesu auf. +„<em class="gesperrt">So weit es irgend ging, wollte man die Situation +von ehedem reproduzieren, nur dass man jetzt auf +das zurückblickte, was damals angekündigt werden +sollte</em>“ (S. 247). Diese Feier wurde nach dem ersten Akt kurz +das Brotbrechen genannt. Bei der Austeilung der sakramentalen +Elemente hat man wohl nicht von jeher die Deutungs- respektive +Einsetzungsworte des Herrn verbotenus wiederholt, denn sonst +würde deren Ueberlieferung nicht so viele Differenzen aufweisen. +Nach I Kor 11 <span class="antiqua">26</span> hat man dabei nie versäumt, den Tod des<span class="pagenum"><a name="Seite_36" id="Seite_36">36</a></span> +Herrn zu verkünden, also immer wieder das erschütternde Ereignis +sich vor Augen zu stellen und seine Notwendigkeit, wie seine +segensreichen Wirkungen zu erörtern; <em class="gesperrt">aber das geschah in +freien Formen.</em></p> + +<h3><strong>4. Die Skepsis in den Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung +des Darstellungsmoments.</strong></h3> + +<p>Die Darstellung <span class="smcap">Jülicher</span>'s bedeutet für die Abendmahlsauffassungen +mit konsequenter Zugrundelegung des Darstellungsmomentes +das, was die Abhandlung <span class="smcap">Eichhorn</span>'s für die das Genussmoment +zu Grunde legenden Auffassungen war. Beide zeigen +durch die Konsequenz ihres Gedankenaufbaus, dass die alleinige +Betonung des von ihnen zu Grunde gelegten Moments notwendig +zum Skeptizismus führt. Dies tritt bei <span class="smcap">Eichhorn</span> darin zu Tage, +dass er die historische Feier, von der urchristlichen Gemeindefeier +aus betrachtet, nicht zu erklären vermag. <span class="smcap">Jülicher</span> kann die +Gemeindefeier von der historischen Feier aus nicht erklären.</p> + +<p>Er hat ganz Recht, wenn er sagt, dass die Zugrundelegung +des Genussmoments die Zuhülfenahme moderner Gedanken zur +Erklärung der historischen Worte Jesu fordere. Heisst es aber +nicht ebenso sehr moderne Gedanken auf vergangene Zeiten übertragen, +<em class="gesperrt">wenn man sich die urchristliche Feier als gewollte, +möglichst genaue Reproduktion der Situation +von ehedem begreiflich machen will</em>? <span class="smcap">Jülicher</span>'s Auffassung +könnte die zwinglische Gemeindefeier erklären — und +da fehlte ihm noch der Wiederholungsbefehl — aber niemals die +urchristliche religiöse <em class="gesperrt">Gemeindemahlzeit.</em></p> + +<p>Die Schwierigkeiten werden gerade durch seine scharfe und +logisch einheitliche Gesamtauffassung mit absoluter Deutlichkeit +herausgearbeitet. Er erlaubt sich nicht zwischen dem Abendmahl +im eigentlichen Sinne und der Gemeindemahlzeit zu unterscheiden. +Mit diesem Spielraum hatten die doppelseitigen Darstellungen +aller Schattierungen operiert und damit die grössten Schwierigkeiten +überwunden. <em class="gesperrt">Die ganze Gemeindefeier ist „Herrenmahlzeit“</em> +— so sagt <span class="smcap">Jülicher</span> und stimmt dabei mit niemand +so vollkommen überein als mit <span class="smcap">Spitta</span> und <span class="smcap">Eichhorn</span>.</p> + +<p>Damit ist aber die Antinomie, welche zum Skeptizismus +führt, notwendig gegeben. Die Gemeindefeier, auf die <span class="smcap">Jülicher</span> +von seiner Auffassung der historischen Feier aus kommt, ist eine +Fiktion, welche der wirklichen urchristlichen Mahlfeier geradezu<span class="pagenum"><a name="Seite_37" id="Seite_37">37</a></span> +widerspricht, da die letztere „keine Reproduktion der Situation +von ehedem“ war. Wie die Wiederholung aufgekommen, vermag +er in keiner Weise darzuthun. „Dass es zunächst wohl ein +inneres Bedürfnis war, bei dem Passahgedanken und Abschiedserinnerungen +mitwirkten“: diese problematische und gewundene +Annahme erklärt für die Wiederholung gar nichts.</p> + +<p>Nun könnte <span class="smcap">Jülicher</span> durch den Wiederholungsbefehl um +die Schwierigkeit herumkommen. Das erlaubt ihm aber sein +exegetisches Gewissen nicht. Obwohl er ihn absolut notwendig +brauchte, verzichtet er darauf, weil er durch die beiden ältesten +Synoptiker nicht bezeugt ist. Seine ansprechende Auffassung ist +aus der exegetischen Betrachtung der Berichte erwachsen. Gerade +die Exegese beraubt ihn aber der einzigen Möglichkeit, die +Wiederholung der von ihm geschilderten Feier im Urchristentum +auch nur einigermassen begreiflich zu machen. Die urchristliche +Feier als Reproduktion der historischen Situation ohne Wiederholungsbefehl +ist einfach undenkbar. Also stehen wir hier vor +einer vollständigen Selbstauflösung. Um das Aufkommen der +urchristlichen Feier zu erklären, müsste <span class="smcap">Jülicher</span> eine unabhängig +von den Berichten gegebene Thatsache postulieren — +wie <span class="smcap">Eichhorn</span> es thut, um das Aufkommen des historischen Berichts +fasslich zu machen.</p> + +<p>Die konsequente Geltendmachung des Darstellungsmoments +führt also zu derselben Skepsis, wie die einseitige Herausarbeitung +des Genussmoments.</p> + +<hr class="chap" /> +<h2>Neuntes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Die neue Problemstellung.</b></p> + +<h3><strong>1. Das Ergebnis der Untersuchung.</strong></h3> + +<p>Die Auffassungen mit einseitiger Betonung des Genussmoments +können nur die <em class="gesperrt">urchristliche</em>, nie die <em class="gesperrt">historische</em> +Feier erklären.</p> + +<p>Die Auffassungen mit einseitiger Betonung des Darstellungsmoments +können nur die <em class="gesperrt">historische</em>, nie die <em class="gesperrt">urchristliche</em> +Feier erklären.</p> + +<p>Die doppelseitigen Auffassungen können die <em class="gesperrt">historische</em> +Feier nur in dem Masse erklären als sie die <em class="gesperrt">urchristliche</em> nicht +erklären, und umgekehrt.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_38" id="Seite_38">38</a></span></p> + +<p>Also vermag keine dieser Auffassungen das Abendmahlsproblem +zu lösen, da dieses gerade verlangt, <em class="gesperrt">dass beide +Feiern in ihrem gegenseitigen Zusammenhang begriffen +werden!</em></p> + +<p>Durch diese Sätze werden nicht bloss die hier besonders +analysierten Auffassungen betroffen. Diese sind nur Typen für +so und so viele andere, die schon veröffentlicht worden sind oder +noch im Zeitenschosse schlummern. Vergangen oder zukünftig: +alle werden sie durch die obigen drei Sätze schon im Vorverfahren +abgethan. Ehe sie überhaupt gehört werden können, +müssen sie zuerst nachweisen, dass sie etwas anderes sind als +eine neue Kombination von Darstellungs- und Genussmoment. +Können sie das nicht, so sind sie von vornherein abgewiesen, +denn dann vermögen sie das Problem nicht zu lösen. Es kommt ja +nicht auf ihr bestimmtes Gepräge oder auf die Art, wie sie sich +historisch und exegetisch darstellen, an, <em class="gesperrt">sondern nur auf das +Verhältnis, in dem das Darstellungs- und das Genussmoment +darin zu einander stehen.</em> Alles andere ist Beiwerk.</p> + +<p>Jede Auffassung ist durch die Formel bedingt, welche das +von ihr angenommene Verhältnis des Darstellungs- zum Genussmoment +ausdrückt. Damit ist ja ihre Stellung zu den Einzelfragen +— dem Wiederholungsbefehl, der Deutung der Gleichnisse, +der Form der angenommenen urchristlichen Feier u.s.w. — +entschieden. <em class="gesperrt">Man kann sie danach geradezu ausrechnen.</em> +Was die Verfasser dann noch von dem Ihrigen an geistreichen +Einfällen, exegetischen Funden und genialen Inkonsequenzen hinzuthun, +das ist alles ohne Belang. Ohne dass sie es wissen, folgen +sie ja einem inneren Zwang. Weil sie <em class="gesperrt">müssen</em>, nehmen sie die +schwersten exegetischen Hindernisse! Weil sie <em class="gesperrt">nicht anders +können</em>, übersehen sie schwerwiegende historische Fragen! +Weil sie die Verschnörkelungen am Erker nach freiem Bedünken +entwerfen dürfen, sind sie — und die andern mit ihnen — geneigt +zu vergessen, dass ihnen der Grundriss des Baues aufgegeben +ist.</p> + +<p>Unter den gegebenen Voraussetzungen gibt es keine neuen +Abendmahlsauffassungen mehr. Ob auch eine aus einer exegetischen +oder historischen Beobachtung hervorwächst, kann sie im +Grunde doch nichts anderes sein, <em class="gesperrt">als die Wiederholung +oder Modifizierung einer schon vorhandenen, nämlich<span class="pagenum"><a name="Seite_39" id="Seite_39">39</a></span> +der, mit welcher sie die Formel über das Verhältnis +der beiden Momente gemein hat.</em> Wollte man sich die +Mühe geben, den Stammbaum der vorhandenen Auffassungen +aufzustellen, so würde es nicht schwer halten, jeder ihre Vorfahren +zu entdecken.</p> + +<p>Die Darstellungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments +sind nur die wissenschaftlich-historische Reproduktion +der altgriechischen Auffassung.</p> + +<p><span class="smcap">Zwingli</span> hat die römische Theorie rationalisiert und ist von +<span class="smcap">Jülicher</span> ins modern-geschichtliche übertragen worden.</p> + +<p>Die doppelseitigen Auffassungen geben die Vermittlungsversuche +zwischen der Messe und dem griechischen Mysterium +und diejenigen der Reformationszeit in historischer Form wieder. +Man kann also ruhig sagen, dass alle möglichen Kombinationen +der beiden Momente schon erschöpft sind.</p> + +<p>Mit „neuen Auffassungen“ ist also nichts gethan; neu daran +ist immer nur der Einfall, nie die Formel — <em class="gesperrt">und auf letztere +kommt es allein an.</em> Darum führt die Detailauseinandersetzung +mit einer solchen neuen Auffassung zu gar nichts. Das für +„richtig“ und das für „falsch“ Befundene hängen ja gesetzmässig +zusammen: eins ist nur insofern richtig, als das andere falsch ist.</p> + +<p>Daran liegt es, dass Arbeiten in der Art, wie sie <span class="smcap">Rud. +Schäfer</span>, <span class="smcap">Clemen</span><a name="FNAnker_11_11" id="FNAnker_11_11"></a><a href="#Fussnote_11_11" class="fnanchor">[11]</a> und <span class="smcap">Schmiedel</span> zu den neuesten Aufstellungen +geliefert haben, trotz aller abwägenden Gewissenhaftigkeit die +Forschung nicht in dem Masse des aufgewandten Scharfsinns vorwärts +bringen. Aus dem, was sie anerkennen, lässt sich keine neue +Auffassung zusammenbauen, und das, was sie auszusetzen haben, +reicht nicht hin, die andere zu verwerfen, wenn man nichts Besseres +an die Stelle zu setzen hat.</p> + +<p>Diejenigen, welche unter den gegebenen Verhältnissen neue +Abendmahlsauffassungen aufstellen, rechnen ein Exempel, das +bisher nie hat wollen aufgehen, zum so und sovielten Male durch. +Ihre Kritiker rechnen das Exempel zum so und sovielten Male +nach. Auf geht es aber darum doch nicht.</p> + +<p><em class="gesperrt">Es kann nie aufgehen.</em> Darum nützt es nichts, immer +mit Eifer und Sammlung von vorn anzufangen. Man muss den +Fehler nicht in der Rechnung, sondern im Ansatz suchen. Die</p> +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_40" id="Seite_40">40</a></span></p> +<p>bisherigen Auffassungen bringen es nicht über dialektische Behauptungen +hinaus, welche als Ganzes aus den geschichtlichen +Thatsachen weder zu beweisen noch zu widerlegen sind.</p> + +<p><em class="gesperrt">Es gilt also sich von der bisherigen Problemstellung +loszumachen.</em></p> + +<p><em class="gesperrt">Wo liegt der Grund des Metaphysischen in der +Abendmahlsfrage?</em></p> + +<h3><strong>2. Der neue Weg.</strong></h3> + +<p>Bisher galt der Satz: Um das Abendmahl zu erklären, muss +man von der Deutung der Gleichnisse <em class="gesperrt">ausgehen</em>, denn diese +konstituieren das Wesen der Feier. So suchte man sie aus dem +Genuss, oder aus dem Handeln, oder aus beiden zusammen zu +deuten — und, wenn man eine plausible Erklärung gefunden +hatte, glaubte man den Schlüssel zum Abendmahl zu besitzen.</p> + +<p>Nun gilt es aber zwei Thüren zu öffnen: der betreffende +Schlüssel passt aber jedesmal nur zu einer. Angenommen <span class="smcap">Spitta</span> +und die andern deuten die Gleichnisse richtig auf das Urchristentum: +der historischen Situation entspricht aber ihre Erklärung +nicht. Angenommen <span class="smcap">Jülicher</span> und die andern deuten sie richtig +aus der historischen Situation: im Sinne des Urchristentums ist +aber ihre Erklärung nicht, denn dort kommt in keiner Weise zum +Ausdruck, dass die Handlung Jesu den Tod versinnbildlichte.</p> + +<p>Man hat aber allen Grund zu fragen, ob die Gleichnisse +aus der sie begleitenden Handlung <em class="gesperrt">so ohne weiteres</em> deutbar +sind. Alle Erklärungen werden ja auf Umwegen erreicht! Wieso +soll das Brechen des Brots die Kreuzigung des Leibes anzeigen? +Ist diese Erklärung etwa deswegen einleuchtender, weil +es die einzige ist, welche die begleitende Handlung offen lässt? +Wer sagt uns, dass es die Jünger so verstanden haben können? +In der urchristlichen und altchristlichen Epoche, ja eigentlich +bis auf <span class="smcap">Zwingli</span> weiss kein Mensch etwas von dieser Deutung.</p> + +<p>Mit dem Wort über dem Kelch steht es noch schlimmer. +Hier muss man nämlich, um dem Gleichnis einen Sinn abzugewinnen, +den Vergleichspunkt zur Handlung <em class="gesperrt">geradezu hinzuerfinden.</em> +Berichtet ist nur das <em class="gesperrt">Herumreichen</em> des Kelches. +Dieses ist aber für das „<em class="gesperrt">Vergiessen des Blutes</em>“ nicht charakteristisch. +Das einzig Erträgliche wäre das „<em class="gesperrt">Ausgiessen in +den Kelch</em>“. <em class="gesperrt">Obwohl nun diese Handlung in keinem +Berichte erwähnt ist</em>, haben es alle exegetischen Deutungen,<span class="pagenum"><a name="Seite_41" id="Seite_41">41</a></span> +welche auf dem Darstellungsmoment beruhen, mit dem „<em class="gesperrt">Ausgiessen</em>“ +des Weines in den Kelch zu thun. Aus der inneren +Zwangslage heraus schaffen sie frei ein <em class="gesperrt">Analogon zum Brotbrechen</em>, +ohne sich darüber zu rechtfertigen, wie sie dazu kommen, +die Situation in unerlaubter Weise zu bereichern.</p> + +<p>Wo steht denn geschrieben, dass Jesus den Wein in den +Kelch vor den Augen der Jünger bedeutungsvoll eingoss, wie +er das Brot brach? Nirgends! Also beruht die exegetische Deutung +des zweiten Gleichnisses <em class="gesperrt">auf reiner Erfindung.</em></p> + +<p>Gestehen wir es offen ein: es fehlt uns jegliche Anleitung +zu einer natürlichen Deutung der Gleichnisse. Ueber Künstelei +haben wir es dabei nicht hinausgebracht. Unser Schlüssel ist +nur ein schlechter Nachschlüssel: er passt zur Not in das eine +Schloss, aber nicht in beide. <em class="gesperrt">Und aus dieser Notdeutung +der Gleichnisse wollen wir die ganze historische und +urchristliche Mahlfeier erklären!</em></p> + +<p>Wenn man in dieser Notlage einmal den noch einzig möglichen +Ausweg ins Auge fasste! Es geht nicht an, <em class="gesperrt">die Feier durch +die Gleichnisse zu erklären.</em> Versuchen wir es mit dem +umgekehrten Verfahren, nämlich <em class="gesperrt">die Gleichnisse aus der +Feier zu erklären</em>!</p> + +<p>Freilich, am Anfang scheint das nur das letzte verzweifelte +Rütteln an der verschlossenen Thür. Aber überlegen wir die Sache +einmal ruhig.</p> + +<p>Beim Abendmahl handelt es sich um die Austeilung von +Seiten Jesu, um den Genuss von Seiten der Jünger und um zwei +Gleichnisse, welche mit dem Vorgang <em class="gesperrt">zusammenfallen.</em> Ich +sage <em class="gesperrt">zusammenfallen</em>! In einer <em class="gesperrt">Situation</em> können Handlungen +und Reden zeitlich zusammenfallen, während sie in dem +Bericht nur in zeitlicher Folge geschildert werden können, weil +die Worte jedes Nebeneinander notwendig in eine Aufeinanderfolge +auseinanderlegen.</p> + +<p>So halten unsere Berichte die Reihenfolge: Austeilung, +Gleichnis, Genuss inne, als hätte Jesus zuerst symbolisch gehandelt, +dann ausgeteilt, dann das erklärende Gleichnis gesprochen, +worauf zuletzt die Jünger verständnisvoll gegessen +hätten.</p> + +<p>Versucht man es aber einmal, sich den berichteten Vorgang +als Scene vorzustellen, so merkt man bald, <em class="gesperrt">dass die säuberliche +chronologische Folge stark illusorisch wird.</em> Man denke<span class="pagenum"><a name="Seite_42" id="Seite_42">42</a></span> +sich die 12 Menschen, die wie auf eine innere Verabredung hin +mit dem Essen des ihnen zugeteilten Stückes warten, bis Jesus +das Gleichniswort gesprochen! Wie unnatürlich, ja unmöglich +diese Scene in der gedachten chronologischen Folge der Handlungen +ist, kann man in Oberammergau sehen, wenn sie ins Leben +übersetzt wird! Es lässt sich kaum etwas Unnatürlicheres und +Geschraubteres denken.</p> + +<p>Für den, welcher eine berichtete Situation mit dem Blick des +Malers in der Wirklichkeit zu schauen vermag, bleiben nur zwei +Möglichkeiten. Entweder hat Jesus jedem Einzelnen das Brot +zugeteilt und dabei für jeden Einzelnen das Gleichniswort wiederholt: +dann ist die chronologische Folge so haltbar. Oder aber, wie +feststeht, er hat allen zusammen Brot ausgeteilt und das Gleichniswort +nur einmal gesprochen: dann ist die chronologische Folge, +mit der wir bisher operierten, illusorisch geworden. Sie besagt +dann nur, dass Jesus im Verlauf der Austeilung des Brotes und +während des Herumreichens des Bechers die Gleichnisworte vom +Leib und vom Blut gesprochen! <em class="gesperrt">Ob zu Anfang, in der Mitte +oder zu Ende, ob vor, während oder nach dem Essen und +Trinken: das ist nicht auszumachen.</em> Unsere Berichte geben +uns darüber keinen Aufschluss.</p> + +<p>Aus der angenommenen <em class="gesperrt">chronologischen</em> Folge haben die +bisherigen Auffassungen ohne weiteres eine <em class="gesperrt">causale</em> gemacht. +Man sagte: Die Austeilung und das dabei vorkommende Brechen +und Ausgiessen begründet das Gleichnis, das Gleichnis soll den +Jüngern die Bedeutung des Genusses erklären, und die Bedeutung +des Genusses macht das Wesen der Feier aus.</p> + +<p>Aus einer angenommenen zeitlichen Folge eine causale zu +machen, das ist ein Fehler, den das menschliche Denken trotz +aller Warnungen immer und immer wieder macht und sich dadurch +die grössten Probleme schafft.</p> + +<p><em class="gesperrt">Nun zeigt die Geschichte, dass gerade diese angenommene +causale Folge das Abendmahlsproblem unlösbar +macht.</em> Andererseits beschränkt sich unsere Kenntnis von +der Situation darauf, dass Jesus im Verlauf der Austeilung die +Gleichnisse gesprochen hat. Also machen wir uns von dem Vorurteil +los, als ob die Gleichnisse die Feier konstituierten, und +fassen das Problem so, <em class="gesperrt">dass die Feier die Gleichnisse erklärt.</em> +Anders ausgedrückt: Man meinte bisher, dass Jesus die +Jünger aufforderte, das dargereichte Brot und den herumgereichten<span class="pagenum"><a name="Seite_43" id="Seite_43">43</a></span> +Wein zu geniessen, <em class="gesperrt">weil er sie als seinen Leib und sein +Blut bezeichnet hatte</em> (wobei freilich niemand sagen kann, +in welchem Sinne sie mit Brot und Wein seinen Leib und sein +Blut assen und tranken).</p> + +<p>Wir aber gehen jetzt davon aus, dass Jesus von dem Brot +und dem Wein, die seine Jünger auf seine Darreichung hin genossen, +sagt, sie wären sein Leib und sein Blut, <em class="gesperrt">gerade im Hinblick +darauf, dass sie es auf seine Darreichung hin geniessen</em>! +Sie essen also nicht seinen Leib und trinken nicht sein +Blut, sondern, <em class="gesperrt">weil sie jenes Brot essen und jenen Wein +trinken</em>, sagt er, es <em class="gesperrt">sei sein Leib und sein Blut</em>! Das Gleichnis +konstituiert also die Feier nicht, sondern es erwächst aus ihr!</p> + +<p>Die Feier ist selbständig! Sie besteht darin, dass Jesus +unter Danksagung seinen Jüngern das Brot bricht und den Kelch +herumreicht und sie davon geniessen. Zum Wesen der Feier gehören +die Gleichnisse nicht, sondern Jesus spricht in diesen geheimnisvollen +Worten die Bedeutung aus, welche die Feier für +<em class="gesperrt">ihn</em> hat!</p> + +<p>Diese zweite Eventualität liegt gerade so gut in den Berichten +wie die erste. Nur ging man immer an ihr vorüber, weil +die chronologische Folge der Handlungen in der schriftstellerischen +Darstellung die Aufmerksamkeit ganz für die erste gefangen +nahm.</p> + +<p>Nun ist aber logisch festgestellt, dass die bisherige Annahme +das Problem vollständig unlösbar macht. Also muss man es +notgedrungen mit der zweiten probieren.</p> + +<p>Ueberdies spricht die Geschichte gerade für die zweite. Es +steht fest, dass die Leidensgleichnisse in der urchristlichen Feier +<em class="gesperrt">keine Rolle</em> spielten. Sie wurden im Verlauf der Feier in keiner +Weise reproduziert! Dafür sprechen Didache und Paulus, denn +wenn sie aus dem alltäglichen Verlauf der Feier bekannt gewesen +wären, bliebe I Kor 11 <span class="antiqua">23</span> unverständlich, da hier dann etwas Bekanntes +in geheimnisthuerischer Weise wiederholt würde! Es +stand also im Urchristentum so: Man wusste wohl, dass diese +Gleichnisse bei der historischen Feier gesprochen worden waren, +die Gemeindefeier leitete sich von dieser historischen Feier ab: +<em class="gesperrt">aber doch fühlte man kein Bedürfnis, die historischen +Gleichnisse Jesu dabei irgendwie zu reproduzieren. +Also war die historische Feier, sofern sie sich in der +<span class="pagenum"><a name="Seite_44" id="Seite_44">44</a></span>Gemeindefeier fortsetzte, von den Gleichnissen unabhängig</em>, +da man sonst auch die Gleichnisse wiederholt hätte. +Das ist durch die Geschichte bezeugt.</p> + +<p>Darum hat es das Abendmahlsproblem gar nicht mehr mit +den beiden unmöglichen Fragen zu thun, wieso Jesus seinen +Jüngern seinen Leib zu essen und sein Blut zu trinken gegeben +habe und wie sie diese Feier später in entsprechender Weise reproduzierten, +sondern das Problem selbst ist ein ganz anderes. +Es heisst nicht mehr: <em class="gesperrt">Was bedeuten die Gleichnisse</em>, damit +wir die Feier erklären können? sondern: <em class="gesperrt">Was bedeutete +die Feier</em>, damit wir die <em class="gesperrt">Gleichnisse</em> erklären können.</p> + +<p><em class="gesperrt">In welchem Sinne war die Austeilung von Brot +und Wein beim letzten Mahl ein so überaus feierlicher +Akt, der sich auf Jesu Tod bezog?</em> — von dieser +Frage hat die Untersuchung auszugehen, indem sie die Gleichnisse +vorerst ganz bei Seite lässt. Es ist der einzige Weg zur +Lösung des Problems.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fussnoten:</h3> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_11_11" id="Fussnote_11_11"></a><a href="#FNAnker_11_11"><span class="label">[11]</span></a> Der Ursprung des heil. Abendmahls von Lic. Dr. <span class="smcap">Karl Clemen</span>. +1898. Hefte zur christl. Welt No. 37.</p></div></div> +</div> +<hr class="full" /> +<div class="chapter"> +<p class="pseudotitle"><big><b>Zweiter Teil.</b></big> +<span class="pagenum"><a name="Seite_45" id="Seite_45">45</a></span></p> + +<p class="pseudotitle"><big><b>Das Abendmahlsproblem auf Grund der historischen +Berichte.</b></big></p> +<hr class="tb" /> +<h2>Zehntes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Die textkritischen Fragen.</b></p> + +<h3><strong>1. Cod. D. Die textkritische Hauptfrage.</strong></h3> + +<p>Es handelt sich um den Lukasbericht (Lk 22 <span class="antiqua">15-20</span>). In +der gewöhnlichen Fassung zeigt er ein eigentümliches Gepräge. +Er bietet zunächst ein Wort über den Passahgenuss in dem zukünftigen +Reiche. Darauf folgt ein ähnliches Wort, den Becher +betreffend, welches mit dem synoptisch-eschatologischen Schlusswort +nach Markus und Matthäus übereinstimmt. Nachdem so +gleichsam ein erster Redegang über das Essen und Trinken abgeschlossen +ist, kommt das Wort über dem gebrochenen Brot +und über dem Wein als Bundesblut; bei letzterem fehlt dann das +bei den beiden älteren Synoptikern den zweiten Akt beschliessende +eschatologische Schlusswort.</p> + +<p>Wir haben also eine merkwürdige Doppelheit: zwei Worte +das Essen, und zwei den Kelch betreffend. Von den beiden auf +das Essen bezogenen Worten handelt nur das zweite von dem +Genuss des Brots, während das erste vom Passah allgemein redet. +Die Doppelheit ist also hier nicht so auffällig, wie in den beiden +das Trinken betreffenden Worten, welche sich beide auf den Kelch +beziehen. Das zweite nimmt sich wie ein Nachtrag zum ersten aus, +da es ohne das eschatologische Schlusswort steht, die Aufforderung +zum Genuss nicht enthält und überhaupt in dieser Form der +Feier keinen abrundenden Abschluss gibt, wie es das altsynoptische +Kelchwort thut.</p> + +<p>Als daher diese eigentümliche Doppelheit in dem Lukasbericht +auffiel, war die natürlichste Korrektur schon gegeben:<span +class="pagenum"><a name="Seite_46" id="Seite_46">46</a></span> das +zweite Kelchwort, da die Aufforderung zum Genuss schon im ersten +enthalten schien, zu streichen, dagegen das zweite Wort über dem Brot, +das in seiner spezifischen Eigenschaft vorher nicht erwähnt war, zu +belassen, weil es die Aufforderung zum Genuss enthält. Es ist die +Korrektur von Cod. D.<a name="FNAnker_12_12" id="FNAnker_12_12"></a><a +href="#Fussnote_12_12" class="fnanchor">[12]</a> Er schliesst mit +den Worten: <span lang="el" title="touto esti to sôma mou">τοῦτό +ἐστι τὸ σῶμά μου</span> (<span class="smcap">V.</span> <span +class="antiqua">19ª</span>).</p> + +<p>Entschliesst man sich einmal zu diesem so natürlichen Abstrich, +so liegt gar kein Grund mehr vor, das Kelchwort mit +seiner Aufforderung zum Trinken sich zwischen die beiden auf +das Essen bezogenen Aussagen eindrängen zu lassen und sie unnatürlich +auseinanderzureissen; man moduliert nach der ursprünglichen +synoptischen Harmonie zurück, sodass das eschatologische +Schlusswort beim Kelch wieder ans Ende kommt. Tritt dementsprechend +<span class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">17</span> und <span class="antiqua">18</span> hinter <span class="antiqua">19ª</span>, so erhält man einen Bericht, der +sich von dem gewöhnlichen nur dadurch unterscheidet, dass er +vor dem Brotwort ein Wort über das Passah bringt, welches dem +eschatologischen Schlusswort über dem Kelch nachgebildet ist. +Dieses Verfahren findet sich bei b c.<a name="FNAnker_13_13" id="FNAnker_13_13"></a><a href="#Fussnote_13_13" class="fnanchor">[13]</a></p> + +<p><em class="gesperrt">Die Entstehung des Abendmahlsberichtes des +Cod. D. beruht auf Reflexion.</em> Ueberhaupt bricht sich die +Ueberzeugung immer mehr Bahn, dass seine Abweichungen durchweg +diesen Charakter tragen. Eine originelle Vorstellung der +historischen Feier schwebt dieser Berichtform gar nicht vor. Daher +betrifft die Grundfrage der Textform des Lukas gar nicht +Cod. D, sondern die gewöhnliche Lesart. Wie kommt Lukas +dazu, den Bericht <em class="gesperrt">so ins Doppelte sich spiegeln zu lassen</em>, +dass der Versuch, diese Doppelheit als auf ein Versehen zurückgehend +zu korrigieren, sich in Cod. D notwendig einstellen musste? +Diese Frage ist aber gar keine textkritische mehr, sondern sie +hängt mit der Entwicklung der Feier im Urchristentum und der +damit gegebenen Verschiebung des Bildes des historischen Mahles +zusammen.<a name="FNAnker_14_14" id="FNAnker_14_14"></a><a href="#Fussnote_14_14" class="fnanchor">[14]</a></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_47" id="Seite_47">47</a></span></p> +<h3><strong>2. Abweichende Lesarten.</strong></h3> + +<p>Die Frage, ob in den einzelnen Fällen <span lang="el" title="eulogêsas">εὐλογήσας</span> oder +<span lang="el" title="eucharistêsas">εὐχαριστήσας</span> zu lesen ist, hat keine Bedeutung. +Die beiden älteren Synoptiker gebrauchen den ersteren, Paulus, Lukas +und Justin den letzteren Ausdruck.</p> + +<p>Der Grund der verschiedenen Lesarten in Mt 26 <span +class="antiqua">26</span> ist leicht einzusehen. Partizipien und +erzählende Verben häufen sich in einer Weise, dass man in keinem +Falle eine schwerfällige und ungriechische Konstruktion vermeiden +kann. Ob man nun liest: <span lang="el" title="labôn ho Iêsous arton +kai eulogêsas eklasen kai dous tois mathêtais eipen">λαβὼν ὁ Ἰησοῦς +ἄρτον καὶ εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ δοὺς τοῖς μαθηταῖς καὶ εἶπεν</span>,<a +name="FNAnker_15_15" id="FNAnker_15_15"></a><a href="#Fussnote_15_15" +class="fnanchor">[15]</a> oder ob man eines der Partizipien auflöst +und die Lesart erhält: <span lang="el" title="labôn ho Iêsous arton kai eulogêsas +eklasen kai edidou tois mathêtais kai eipen">λαβὼν ὁ Ἰησοῦς +ἄρτον καὶ εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ ἐδίδου τοῖς μαθηταῖς καὶ εἶπεν</span><a +name="FNAnker_16_16" id="FNAnker_16_16"></a><a href="#Fussnote_16_16" +class="fnanchor">[16]</a> bleibt sich gleich. Der Satz ist in jedem +Falle formlos, weil er eine Häufung von Handlungen auf einen Moment +enthält, deren zeitlicher und logischer Zusammenhang sich sprachlich +gar nicht wiedergeben lässt. Die Varianten beruhen auf der empfundenen +darstellerischen Schwierigkeit, die jeder auf eine andere Weise zu +überwinden suchte.</p> + +<p>Bei Markus treten die stilistischen Schwierigkeiten nicht so +sehr hervor. Er vermeidet nämlich die namentliche Nennung des +Spenders und der Empfänger, wodurch die matthäische Konstruktion +so besonders ungelenk wird.</p> + +<p>Der paulinische und der justinische Bericht sind von dieser +Schwierigkeit befreit: sie vereinfachen die Situation, indem sie die +Darreichung (<span lang="el" title="edôken">ἔδωκεν</span>) und die Aufforderung zum Genuss +(<span lang="el" title="labete">λάβετε</span>) auslassen.</p> + +<p>Das <span lang="el" title="phagete">φάγετε</span> in Mk 14 <span class="antiqua">22</span><a name="FNAnker_17_17" id="FNAnker_17_17"></a><a href="#Fussnote_17_17" class="fnanchor">[17]</a> ist naive +matthäische Nachbildung. Die alten Zeugen bieten nur <span lang="el" title="labete">λάβετε</span>.</p> + +<p>Der Zusatz <span lang="el" title="kainês">καινῆς</span>, den einige Lesarten bei dem Wort über +dem Becher in Mk 14 <span class="antiqua">24</span><a name="FNAnker_18_18" id="FNAnker_18_18"></a><a href="#Fussnote_18_18" class="fnanchor">[18]</a> bieten, beruht auf naiver Nachbildung +der paulinischen Version.</p> + +<h3><strong>3. Das Ergebnis der Textkritik.</strong></h3> + +<p>Die Verschiedenheit der Lesarten ist nicht darin begründet, +dass die eine mit ihren Wurzeln historisch höher hinaufreicht als +<span class="pagenum"><a name="Seite_48" id="Seite_48">48</a></span> + +die andere. Sie gehen zum Teil aus der Schwierigkeit hervor, +welche die betreffenden Auffassungen haben, sich <em class="gesperrt">stilistisch +darzustellen.</em> Zum Teil entspringen sie der Tendenz, die Berichte +einander <em class="gesperrt">gleichzubilden.</em> Dazu war es aber schon zu +spät: die verschiedenen Typen hatten schon eine zu scharfe historische +Ausprägung erhalten, als dass es den nachbessernden +Versuchen hätte gelingen können, den Einheitstypus herzustellen, +an dem die vorhergehende geschichtliche Epoche sich vergebens +abgearbeitet hatte.</p> + +<p>Den letzten Versuch dieser Gleichbildung bietet der textus +receptus, sofern er den ersten Akt bei Paulus nach Analogie mit +dem matthäischen darstellt und dadurch eine Aufforderung zum +Genuss einträgt (nehmet, esset), die in I Kor 11 <span class="antiqua">24</span> ursprünglich +fehlt.</p> + +<p>Die Aufgabe der Textkritik in der Abendmahlsfrage besteht +darin, dass sie jeden der Berichte in seiner charakteristischen +Eigentümlichkeit darstellt, indem sie ihn von den Spuren der +versuchten litterarischen Gleichbildung mit andern befreit. Diese +Aufgabe, so bescheiden sie scheint, ist von eminenter Tragweite. +<em class="gesperrt">Hätte sich die Gleichbildung der Berichte wirklich +durchgesetzt, so wäre das Abendmahlsproblem unlösbar.</em></p> + +<div class="footnotes"><h3>Fussnoten:</h3> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_12_12" id="Fussnote_12_12"></a><a href="#FNAnker_12_12"><span class="label">[12]</span></a> D, a, ff². Die Ausgabe von <span class="smcap">Westcott</span> und <span class="smcap">Hort</span> hat diese Lesart +adoptiert.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_13_13" id="Fussnote_13_13"></a><a href="#FNAnker_13_13"><span class="label">[13]</span></a> In derselben Absicht lässt syr<sup>cu</sup> Vers <span class="antiqua">20</span> aus und setzt dafür Vers +<span class="antiqua">17</span> und <span class="antiqua">18</span> ein.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_14_14" id="Fussnote_14_14"></a><a href="#FNAnker_14_14"><span class="label">[14]</span></a> Eine eingehende Darlegung der Textfragen, welche den Lukasbericht +betreffen, findet sich in der Abhandlung von <span class="smcap">Erich Haupt</span>.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_15_15" id="Fussnote_15_15"></a><a href="#FNAnker_15_15"><span class="label">[15]</span></a> So <span lang="he" title="Aleph">א</span> +(sed <span lang="el" title="dous">δούς</span> ex <span lang="el" title="edidou">ἐδίδου</span> korrigiert ab <span lang="he" title="Aleph">א</span>ª) BDLZ.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_16_16" id="Fussnote_16_16"></a><a href="#FNAnker_16_16"><span class="label">[16]</span></a> <span lang="el" title="ACGD">ΑϹΓΔ</span>.</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_17_17" id="Fussnote_17_17"></a><a href="#FNAnker_17_17"><span class="label">[17]</span></a> Mk 14 <span class="antiqua">22</span>: +zu <span lang="el" title="labete">λάβετε</span> zugesetzt <span lang="el" title="phagete">φάγετε</span> (EFHM²).</p></div> + +<div class="footnote"> + +<p><a name="Fussnote_18_18" id="Fussnote_18_18"></a><a href="#FNAnker_18_18"><span class="label">[18]</span></a> Mk 14 <span class="antiqua">24</span>: +<span lang="el" title="tês diathêkês">τῆς διαθήκης</span> (<span lang="he" title="Aleph">א</span>BCDL).</p></div></div> + +<hr class="chap" /> + +<h2>Elftes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Die Eigenart des Markusberichts</b> (Mk 14 <span class="antiqua">22-26</span>).</p> + +<p>Der erste Akt besteht einzig darin, dass Jesus unter Gebet +das Brot bricht und es herumreicht; zugleich spricht er das +Gleichniswort von seinem Leib. Es fehlt, wie bei Matthäus, das +uns aus Paulus gewohnte <span lang="el" title="hyper hymôn">ὑπὲρ ὑμῶν</span> und über Matthäus hinaus +das <span lang="el" title="phagete">φάγετε</span>.</p> + +<p>Ist so im ersten Akt die <em class="gesperrt">Aufforderung zum Genuss</em> in +Hinsicht auf das Gleichnis nicht ausdrücklich ausgesprochen, <em class="gesperrt">so +fehlt sie im zweiten vollständig.</em> Es wird zuerst berichtet, +dass Jesus allen den Kelch nach dem Gebetswort herumgereicht +habe und alle daraus getrunken haben (Mk 14 <span class="antiqua">23</span>). <em class="gesperrt">Darauf erst</em> +spricht er das Gleichniswort von dem für viele vergossenen Blut +(Mk 14 24).</p> + +<p><span class="smcap">Bruno Bauer</span> war meines Wissens der erste, der darauf hingewiesen, +dass Markus statt der Aufforderung zum Trinken die +<em class="gesperrt">Konstatierung</em> bietet, dass alle getrunken haben. Er sieht<span class="pagenum"><a name="Seite_49" id="Seite_49">49</a></span> +darin nur eine Abschwächung gegen Matthäus, da Markus sich +scheue, die Aufforderung Jesu in vollem Umfang aufrecht zu erhalten.</p> + +<p>Dabei hat aber <span class="smcap">Bruno Bauer</span> nicht bemerkt, +dass mit dieser Konstatierung auch die gewöhnliche chronologische +Folge vom Gleichnis zum Genuss sich verschiebt, wodurch zugleich +das uns geläufige kausale Verhältnis zwischen Gleichnis und Genuss +aufgehoben wird. Diesem Bericht zufolge ist es unmöglich, dass Jesus +oder die Jünger die Bedeutung des Trinkens <em class="gesperrt">aus dem +Gleichnis herleiten</em>, weil dieses ja erst <em class="gesperrt">auf +das Trinken folgt</em>!</p> + +<p>Zu beachten ist ferner, wie das weihevoll (<span lang="el" +title="amên">ἀμήν</span>) und nachdrücklich gesprochene eschatologische +Schlusswort von dem Neutrinken in dem Reich des Vaters sich eng an das +Gleichniswort anschliesst! Es bildet den Höhepunkt der Feier (<span +class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">25</span>), worauf +alsbald der Aufbruch erfolgt.</p> + +<p><em class="gesperrt">Diese eigenartigen Züge des Markusberichts sind +bisher nicht herausgearbeitet worden.</em> Man hat ihn einfach nach den +andern gedeutet. Alle Berichte, so nahm man ohne weiteres an, bieten +dieselbe Thatsache. Beim letzten Mahl hat Jesus den Jüngern Brot und +Wein so dargereicht, dass sie die Elemente irgendwie als seinen Leib +und sein Blut assen und tranken. Das Fehlen des <span lang="el" title="phagete">φάγετε</span> +bei Markus erklärte man daraus, dass es sich von selbst verstehe. Die +Eigentümlichkeit des zweiten Akts hob man nicht einmal hervor, weil man +sie — ohne sich davon Rechenschaft zu geben — nach Matthäus +und den andern interpretierte.</p> + +<p>Diese Annahme, dass der Markusbericht im Grunde dasselbe +besage wie die andern, ist <em class="gesperrt">eine der unbewiesenen +Voraussetzungen</em>, mit denen die bisherigen Abendmahlsauffassungen +operierten. Wenn wir nämlich nur den Markusbericht +hätten, käme niemand auf den Gedanken, dass Jesus +seinen Jüngern Brot und Wein als seinen Leib und sein Blut +ausgeteilt und sie zum Genuss in diesem Sinne aufgefordert habe. +Man würde die zeitliche Folge im ersten Akt nach der des zweiten +auffassen und als Thatbestand feststellen, dass Jesus <em class="gesperrt">im Verlauf +der Austeilung des Brotes das Gleichnis von +seinem Leib und <b>nach</b> der Herumreichung des Bechers +das Gleichnis von seinem Blut gesprochen +habe.</em> Wenn wir aber einen Bericht haben, wo Jesus dem<span class="pagenum"><a name="Seite_50" id="Seite_50">50</a></span> +strikten Wortlaut zufolge weder seinen Leib noch sein Blut +zum Genuss ausgeteilt hat, so dürfen wir ihn nicht, als handle es +sich um eine gewisse Nachlässigkeit und Sparsamkeit im Ausdruck, +nach den andern auslegen, sondern wir müssen ihn mit +ihnen vergleichen und eine Auseinandersetzung herbeiführen. +Daraus ergibt sich dann die Tragweite der Abweichungen. Entweder +handelt es sich um eine absolut <em class="gesperrt">unverständliche +Schilderung</em>, die man, weil sie mit dem feststehenden Thatbestand +absolut keine Verwandtschaft hat, als Kuriosum nicht +weiter zu beachten braucht, oder — <em class="gesperrt">wir haben den authentischen +Bericht vor uns, von dem die Untersuchung +ausgehen muss.</em> Diese Alternative ist nicht zu umgehen, sobald +man sich die Eigenart des Markusberichts klar gemacht hat.</p> + +<hr class="chap" /> + +<h2>Zwölftes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Der Vergleich der Berichte.</b></p> + +<h3><strong>1. Das Prinzip der Gleichbildung.</strong></h3> + +<p>Aeusserlich betrachtet zeigt sich die Eigenart des Markusberichts +darin, dass die beiden Akte an Umfang und Gesichtspunkten +verschieden sind. Der erste ist ganz kurz; er beschränkt +sich auf das Gebetswort, das Brechen zum Austeilen und die Gleichnisrede; +der zweite enthält das Gebetswort, die Austeilung, die +Erwähnung des Genusses, die Gleichnisrede, den Hinweis auf +die Heilsbedeutung des Todes und das eschatologische Schlusswort. +Der Vergleich zeigt, dass bei den andern Berichten die +beiden Akte in steigendem Masse einander <em class="gesperrt">gleichgebildet +werden</em>, sowohl dem Umfang nach, als auch hinsichtlich der Gesichtspunkte, +die sie enthalten. Wir erhalten zwei Parallelakte, +indem die Handlungen und Worte beim Wein genau denen beim +Brot entsprechen.</p> + +<p>Diese Gleichbildung erfolgt entweder so, dass die Momente +des zweiten Akts in den ersten eingetragen werden (Matthäus, +Paulus, Lukas), oder so, dass der zweite Akt nach Analogie des +ersten zusammengezogen wird (Justin).</p> + +<h3><strong>2. Der matthäische Bericht</strong> (Mt 26 <span class="antiqua">26-29</span>).</h3> + +<p>Matthäus befindet sich auf dem Wege zur Gleichbildung. Durch das +<span lang="el" title="phagete">φάγετε</span> ist die ausdrückliche +Erwähnung des Genussmoments in den ersten Akt aufgenommen. + +Da im zweiten an <span class="pagenum"><a name="Seite_51" id="Seite_51">51</a></span>Stelle der Konstatierung ebenfalls die +Aufforderung zum Genuss getreten ist, so entsprechen sich beide Akte in +diesem Punkte vollkommen. <span lang="el" title="labete, phagete· touto +estin to sôma mou. piete ex autou pantes· touto gar estin to haima +mou">λάβετε, φάγετε· τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου. πίετε ἐξ αὐτοῦ πάντες· +τοῦτο γάρ ἐστιν τὸ αἷμά μου</span>. Die Gleichbildung ist aber noch +nicht vollständig vollzogen. Dem ersten Akt fehlt ein dem Wort über die +Bedeutung des vergossenen Bluts entsprechender Hinweis (<span lang="el" +title="to peri pollôn">τὸ περὶ πολλῶν</span>). Auch das eschatologische +Wort, welches das Gleichnis über dem Wein beschliesst, ist beim Brot +noch nicht vertreten.</p> + +<p>Zudem zeigt das im zweiten Akt stehen gebliebene <span lang="el" title="pantes">πάντες</span>, +dass hier eine Konstatierung in eine Aufforderung umgesetzt +worden ist. Bei der Konstatierung muss ja notwendig erwähnt +werden, dass sie alle davon getrunken haben. Bei der Aufforderung +aber ist das <span lang="el" title="pantes">πάντες</span> selbstverständlich, oder — wenn es die +Weihe der Aufforderung nachdrücklich hervorheben soll — wie +kann es dann beim Brot fehlen? Hier wäre es wirklich gefordert, +da Jesus nicht ohne weiteres annehmen kann, dass alle das Stückchen +Brot, das er ihnen darbietet, auch wirklich essen, während +er dem Herumgehen des Kelches mit dem Auge folgt. Bei Paulus, +Lukas und Justin ist dann das <span lang="el" title="pantes">πάντες</span>, als nicht mehr von Belang, +auch wirklich ausgefallen.</p> + +<p>Die Verbindung des eschatologischen Schlussworts mit dem +Kelchwort nach rückwärts, dem Aufbruch zum Leidensweg nach +vorwärts ist bei Matthäus noch gewahrt. Jedoch ist es mit dem +Kelchwort nicht mehr durch das gewaltige <span lang="el" title="amên">ἀμήν</span> in Steigerung +verbunden, so dass es, wie bei Markus, den <em class="gesperrt">Höhepunkt</em> der +ganzen Feier bildet, sondern es ist nur mehr eine mit <span lang="el" title="de">δέ</span> <em class="gesperrt">beigeordnete +Schlussbemerkung</em> (Markus <span lang="el" title="amên legô hymin">ἀμήν λέγω ὑμῖν</span>, Matthäus +<span lang="el" title="legô de hymin">λέγω δέ ὑμῖν</span>).</p> + +<p>So befindet sich die Gleichbildung bei Matthäus noch im +Fluss. Bei Paulus ist sie schon viel weiter fortgeschritten.</p> + +<h3><strong>3. Der paulinische Bericht</strong> (I Kor 11 <span class="antiqua">23-26</span>).</h3> + +<p>Hinter jedem Akt ist abschliessend angefügt: <span lang="el" title="touto poieite +eis tên emên anamnêsin">τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν</span>. Durch Uebernahme eines auf die Bedeutung +des Todes hinweisenden Worts (<span lang="el" title="to hyper hymôn">τὸ ὑπὲρ ὑμῶν</span>) gleicht sich +der erste Akt dem zweiten an. Nur das <span lang="el" title="eklasen">ἔκλασεν</span> hat keine Parallele.</p> + +<p>Bei Markus und Matthäus beschloss das Wort von der Wiedervereinigung +beim Mahl im zukünftigen Reich den Spruch über +dem Becher. Nur scheinbar ist es bei Paulus ausgefallen. Er<span class="pagenum"><a name="Seite_52" id="Seite_52">52</a></span> +setzt es vielmehr als Abschluss <em class="gesperrt">bei beiden Akten voraus:</em> <span lang="el" title="hosakis +gar ean esthiête ton arton touton kai to potêrion pinête, ton thanaton +tou kyriou katangellete, achri ou elthê">ὁσάκις γὰρ ἐὰν ἐσθίητε τόν ἄρτον τοῦτον καὶ τὸ ποτήριον πίνητε, τὸν θάνατον +τοῦ κυρίου καταγγέλλετε, ἄχρι οὗ ἔλθῃ</span> (<span class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">26</span>).</p> + +<p><em class="gesperrt">Bis dass er kommt</em> — darin liegt die Erwartung des +Kommens des Herrn und des Anbruchs des Reiches. Dies +darf man für die Erklärung des <span lang="el" title="touto poieite eis tên emên anamnêsin">τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν</span> +nicht ausser Acht lassen. Danach ist die <span lang="el" title="anamnêsis">ἀνάμνησις</span> doppelseitig: +nach rückwärts eine Erinnerung an den Tod Jesu, nach vorwärts +ein Gedenken an seine Parusie. Die Feier gilt dem Gekreuzigten, +der als Messias bei seiner Ankunft offenbart werden wird, +als welcher er schon jetzt durch die Auferstehung zur Rechten +Gottes erhöht ist.</p> + +<p>Bedenkt man nun, dass die historische Relation des eschatologischen +Schlussworts im zweiten Akt abgefallen ist, dass +aber nach der Vorstellung Pauli beide Akte mit der Erwartung +der Parusie in Zusammenhang stehen, so liegt es nahe, in +dem <span lang="el" title="touto poieite">τοῦτο ποιεῖτε</span>, als Konstatierung oder als Wiederholungsbefehl +gefasst, <em class="gesperrt">die paulinische Form des beiden Akten +beigesetzten eschatologischen Schlussworts zu sehen.</em></p> + +<p>Für den ersten Akt ist dies eine künstliche Angliederung, da +historisch dieser Hinweis nur mit dem Kelchwort in Beziehung steht, wo +der Genuss konstatiert ist; der erste Akt mit seinem <span class="el" +title="eklasen">ἔκλασεν</span> ist gar nicht darauf angelegt. Daraus +entsteht bei Paulus eine unerträgliche grammatikalische Verwirrung. +Die Parallele zu dem <span lang="el" title="hosakis ean pinête">ὁσάκις +ἐὰν πίνητε</span>, das erwartete <span lang="el" title="hosakis ean +esthiête">ὁσάκις ἐὰν ἐσθίητε</span>, fehlt in der Form des <span +lang="el" title="touto poieite">τοῦτο ποιεῖτε</span> von <span +class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">24</span>. Unter dem +<span class="el" title="poiein">ποιεῖν</span> kann also für den ersten +Akt nur das erwähnte <em class="gesperrt">Brechen</em> verstanden sein. +Aus <span class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">25</span> +und <span class="antiqua">26</span> geht aber hervor, dass, dem +<span class="el" title="poiein">ποιεῖν</span> des zweiten Akts +entsprechend, der Genuss, nämlich das Essen, darunter verstanden +werden muss. Grammatikalisch allein berechtigt wäre: so oft ihr +dieses Brot brechet und diesen Kelch trinket; thatsächlich aber +soll es bedeuten: so oft ihr dieses Brot esset. So ist auch das +<span class="el" title="gar">γὰρ</span> zu verstehen, welches +<span class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">26</span> mit +<span class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">24</span> und +<span class="antiqua">25</span> zugleich verbindet, sofern es als +Wiederholung der dort von Jesu gemeinten Handlung das Essen und Trinken +voraussetzt.</p> + +<p>Die Gleichbildung ist also trotz des latenten Widerstandes +des ersten Aktes erreicht. An beide Gleichnisse schliesst sich +das Wort von der Heilsbedeutung des Todes und der eschatologische +Hinweis an.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_53" id="Seite_53">53</a></span> + +Dabei entgeht Paulus durch die Form, in der er diesen Hinweis +bietet, einer grossen Schwierigkeit. Dieses Wort ist in der +ursprünglichen Gestalt ein <em class="gesperrt">Schlusswort.</em> Fügt man es in dieser +Form dem ersten Akt an, so wird die Handlung in der Mitte +auseinander gerissen, da dann Jesus schon beim Brot die Feier +beschliesst. Diese Schwierigkeit hat Lukas gefühlt, als er die paulinische +Vorstellung in den synoptischen Bericht zu übertragen +unternahm.</p> + +<h3><strong>4. Der lukanische Bericht</strong> (Lk 22 <span class="antiqua">14-20</span>).</h3> + +<p>Lukas bringt zuerst das eschatologische Schlusswort in direkter Rede +für beide Akte. Für das Kelchwort lag die Form der älteren Synoptiker +vor. Er nimmt die Matthäusform, weil er die Aufforderung zum Genuss, +welche Paulus nicht bietet, voraussetzt. Durch die Auslassung des +Wortes vom Blut wird folgendes Kelchwort hergestellt Lk 22 <span class="antiqua">17</span> u. +<span class="antiqua">18</span>: <span lang="el" title="kai dexamenos potêrion eucharistêsas eipen· labete +touto kai diamerisate eis heautous· legô gar hymin hoti ou mê piô apo +tou nyn apo tou genêmatos tês ampelou heôs hotou hê basileia tou theou +elthê">καὶ δεξάμενος ποτήριον εὐχαριστήσας εἶπεν· λάβετε τοῦτο καὶ +διαμερίσατε εἰς ἑαυτούς· λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ πίω ἀπὸ τοῦ νῦν ἀπὸ +τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου ἕως ὅτου ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἔλθῃ</span>.</p> + +<p>Der Versuch nimmt sich gut aus; das <span lang="el" +title="diamerisate">διαμερίσατε</span> hat zugesetzt werden müssen, +damit man die später folgende Darreichung des Kelches (<span +class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">20</span>) nicht +vorwegnehme; das eingefügte <span lang="el" title="gar">γὰρ</span> stellt in Verbindung +mit dem <span class="el" title="diamerisate">διαμερίσατε</span> +zur Not einen logischen Gedankenzusammenhang her; das <span +class="el" title="kainon">καινόν</span> (vgl. Mt 26 <span +class="antiqua">29</span>) blieb besser weg, weil dieses +Adjektiv nachher als erklärender Zusatz zu <span class="el" +title="diathêkê">διαθήκη</span> figuriert; der Farbenton der +eschatologischen Aussage ist etwas verblasst (Matthäus <span lang="el" +title="heôs tês hêmeras ekeinês hotan auto pinô meth' hymôn kainon en +tê basileia tou patros mou·">ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης ὅταν αὐτὸ πίνω μεθ' +ὑμῶν καινὸν ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ πατρός μου·</span> Lukas <span lang="el" +title="heôs hotou hê basileia tou theou elthê">ἕως ὅτου ἡ βασιλεία τοῦ +θεοῦ ἔλθῃ</span>).</p> + +<p>Schwieriger war die Formulierung des eschatologischen Schlussworts +für den ersten Akt, da hier kein behauenes Material vorlag und das Wort +über dem Brot seinen Widerstand gegen die aufgezwungene Verbindung mit +irgend einem eschatologischen Hinweis schon bei Paulus hinreichend +bekundet hatte. Ein einziger Ausweg bot sich dar: das eschatologische +Schlusswort, da es einmal für die Handlung des Essens gefordert war, +auf die ganze Mahlzeit zu beziehen. Dieser Fassung kam der Gedanke +zu Hülfe, dass möglicherweise die historische Feier ein Passahmahl +gewesen; das neukonstruierte eschatologische Schlusswort für das +Essen bezieht sich bei Lukas also auf das Passahmahl, das<span +class="pagenum"><a name="Seite_54" id="Seite_54">54</a></span> Jesus +mit den Seinen feiert. <span class="antiqua">15</span> <span lang="el" title="kai +eipen pros autous· epethymia epethymêsa touto to pascha phagein +meth' hymôn pro tou me pathein·">καὶ εἶπεν πρὸς αὐτούς· ἐπιθυμίᾳ +ἐπεθύμησα τοῦτο τὸ πάσχα φαγεῖν μεθ' ὑμῶν πρὸ τοῦ με παθεῖν·</span> <span +class="antiqua">16</span> <span lang="el" title="legô gar hymin hoti ou mê phagô auto +heôs hotou plêrôthê en tê basileia tou theou">λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ +φάγω αὐτὸ ἕως ὅτου πληρωθῇ ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ</span>.</p> + +<p>Die Benutzung des Passahgedankens ermöglicht Lukas, eine Mahlfeier +darzustellen, <em class="gesperrt">bei der sowohl das Essen als das +Trinken einen eschatologischen Hinweis erhalten.</em> Dabei wird aber +die historische Feier auseinandergerissen! Zuerst kommen die beiden +eschatologischen Worte; sie werden in den Verlauf der Passahmahlzeit +gerückt. Das erste bildet zugleich eine stimmungsvolle Einleitung. Von +dem Wort über dem Brot wird dadurch nichts vorausgenommen: nur mit dem +Wort über dem Becher hat es seine Schwierigkeit. Um das Kelchwort, +welches dann bei der eigentlichen historischen Feier eintritt, von +dem vorhergehenden, welches im Rahmen des Passahmahls verlief, genau +abzuheben, wird es in der paulinischen Form berichtet: <span lang="el" +title="to potêrion meta to deipnêsai legôn· touto to potêrion hê +kainê diathêkê en tô haimati mou">τὸ ποτήριον μετὰ τὸ δειπνῆσαι +λέγων· τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ <span class="err" title="original: διαδήκη">διαθήκη</span> ἐν τῷ αἵματί μου</span>: +soweit geht die Uebereinstimmung. Nun ist aber der eschatologische +Hinweis nach Paulus (I Kor 11 <span class="antiqua">24</span> u. <span +class="antiqua">25</span> <span lang="el" title="touto poieite">τοῦτο +ποιεῖτε</span> etc.) schon beim ersten Passah-Kelchwort verbraucht; +deswegen wird hier nach Matthäus zurückmoduliert und <span lang="el" +title="to hyper hymôn ekchynnomenon">τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενον</span> +eingesetzt; aus diesem Grunde war schon an Stelle des paulinischen +<span lang="el" title="en tô emô haimati">ἐν τῷ ἐμῷ αἵματι</span> das +altsynoptische <span lang="el" title="en tô haimati mou">ἐν τῷ αἵματί +μου</span> eingetreten.</p> + +<p>Der erste Akt wird nach Paulus beschrieben; aus den Synoptikern +ist die ausdrückliche Erwähnung der Darbietung (<span lang="el" +title="edôken-didomenon">ἔδωκεν-διδόμενον</span>) eingedrungen. Das +<span lang="el" title="touto poieite">τοῦτο ποιεῖτε</span> ist stehen geblieben, weil das +eschatologische Wort hinsichtlich des Essens sich auf das Passahmahl +allgemein bezieht.</p> + +<p>Der Bericht des Lukas erklärt sich litterarisch einfach als ein +Versuch, die bei Paulus erreichte Gleichbildung der beiden Akte +unter Zuhülfenahme des Zusammenhangs der historischen Feier mit dem +Passahmahl in die synoptische Geschichtserzählung zurückzutragen. +Daraus resultiert dann folgender Verlauf der Feier: Jesus weist zu +Anfang des Passahmahls darauf hin, dass er es erst im Gottesreiche +wieder mit den Jüngern feiern wird. Solches wiederholt er beim ersten +Herumreichen des Kelches. Bei einer Brotdarreichung im Verlaufe +der Feier spricht er das Gleichnis von seinem Leibe, desgleichen +beim Kelch das Gleichnis von seinem Blute. Beide Akte sind absolut +gleich durch die Geltendmachung des Heilswertes der Dahingabe<span +class="pagenum"><a name="Seite_55" id="Seite_55">55</a></span> (<span +class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">19</span> <span lang="el" +title="to hyper hymôn didomenon">τὸ ὑπὲρ ὑμῶν διδόμενον</span>, <span +class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">20</span> <span lang="el" title="to +hyper hymôn ekchynnomenon">τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενων</span>). Auch bei dieser +Gleichbildung geht es ohne stilistische Härte nicht ab, sofern nämlich +im zweiten Akt von einem vergossenen Kelch die Rede ist, während das +Blut gemeint ist.</p> + +<p>Wie bei Paulus werden beide Akte durch das <span lang="el" +title="touto poieite">τοῦτο ποιεῖτε</span> abgeschlossen. Wir +haben also eine bis auf den gemessenen Rythmus in der Sprache sich +erstreckende Gleichbildung. Freilich ist dabei der Schluss der Feier +verloren gegangen. Das stolze Wort von dem Wiedertrinken in des +Vaters Reich ist schon für den Anfang der Passahfeier verbraucht, +statt dass es, wie bei Markus und Matthäus, zum Aufbruch überleitet. +Dafür finden hier die Episoden von der Bezeichnung des Verräters, dem +Rangstreit und der Verwarnung des Petrus ihren Platz (Lk 22 <span +class="antiqua">21-38</span>), wobei die Schilderung des feierlichen +Aufbruchs nach dem Lobgesang (Mk 14 <span class="antiqua">26</span> += Mt 26 <span class="antiqua">30</span>) unterbleibt. „Er +ging nach seiner Gewohnheit an den Oelberg“ (Lk 22 <span +class="antiqua">39</span>: <span lang="el" title="kai exelthôn +eporeuthê kata to ethos eis to oros tôn elaiôn">καὶ ἐξελθὼν ἐπορεύθη +κατὰ τὸ ἔθος εἰς τὸ ὄρος τῶν ἐλαιῶν</span>).</p> + +<p>Eine originelle Auffassung von dem Wesen der historischen Feier liegt +dieser Darstellung nicht zu Grunde. In keinem Falle ist sie aus dem +Bestreben hervorgegangen, die Trennung des „Abendmahls“ von der +gemeinsamen religiösen Mahlzeit, welche bei Paulus angebahnt sein +soll, historisch zu begründen! Dieser formlose Bericht ist nur aus +dem Prinzip <span lang="el" title="parêkolouthêkoti anôthen pasin akribôs kathexês +grapsai">παρηκολουθηκότι ἄνωθεν πᾶσιν ἀκριβῶς καθεξῆς γράψαι</span> (Lk 1 3) +zu erklären.</p> + +<p>Es ist daher nicht zu erwarten, dass durch Streichung oder +Versversetzung aus der lukanischen Darstellung sich ein Bericht +gewinnen lässt, der auf eine originelle ältere Vorstellung der +historischen Feier zurückgeht. Mehr als durch solche Versuche +wird man dem Wert der lukanischen Darstellung gerecht, wenn +man das schriftstellerische Geschick, das ästhetische Feingefühl +und den liturgischen Schwung würdigt, von denen diese Schilderung +Zeugnis gibt.</p> + +<h3><strong>5. Der justinische Bericht</strong> (I Apol. 66).</h3> + +<p>Hier vollzieht sich die Gleichbildung durch Verkürzung des zweiten +Akts nach Analogie des ersten. Die berichtete Feier beschränkt sich +auf zwei rätselhafte Worte Jesu. Nach einem Dankgebet über dem Brot +spricht er: „dies ist mein Leib“, desgleichen beim +Kelch: „dies ist mein Blut“ <span class="pagenum"><a name="Seite_56" +id="Seite_56">56</a></span>(<span lang="el" title="ton +Iêsoun labonta arton eucharistêsanta eipein· touto poiete eis tên +anamnêsin mou, touto esti to sôma mou. kai to potêrion homoiôs +labonta kai eucharistêsanta eipein· touto esti to haima mou">τὸν Ἰησοῦν +λαβόντα ἄρτον εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν· τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἀνάμνησίν +μου, τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου. καὶ τὸ ποτήριον ὁμοίως λαβόντα καὶ +εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν· τοῦτό ἐστι τὸ αἷμά μου</span>).</p> + +<p>Es fehlt das Brechen des Brots, der Hinweis auf den Wert der +Dahingabe und die Hervorhebung des erwarteten oder erfolgten Genusses +im zweiten Akt. Auch das eschatologische Schlusswort ist ausgefallen. +Nur beim ersten Akt findet sich das <span lang="el" title="touto +poieite">τοῦτο ποιεῖτε</span> in der paulinischen Form, wobei aus <span +lang="el" title="tên emên anamnêsin">τὴν ἐμὴν ἀνάμνησίν</span> (I +Kor 11 <span class="antiqua">24</span>) <span lang="el" title="tên +anamnêsin mou">τὴν ἀνάμνησίν μου</span> geworden ist.</p> + +<p>Hier steigert sich aber der Widerstand des ersten Akts +gegen einen derartigen Eintrag bis zur Unerträglichkeit. Worauf +soll sich das <span lang="el" title="poiein">ποιεῖν</span> beziehen? Auf das vorausgehende Gebetswort? +Das Brechen ist nicht erwähnt, der Genuss vorausgesetzt, +aber nicht hervorgehoben. So ist das <span lang="el" title="touto poieite">τοῦτο ποιεῖτε</span> hier für die +grammatikalische Auslegung sinnlos und die Erwähnung desselben +<em class="gesperrt">bei dem ersten Akt allein</em> unverständlich.</p> + +<p>Bei dieser verkürzten Darstellung ist die ganze historische +Situation interesselos geworden. Zwar erwähnt Justin Dial. 41, +70 und 117, dass in der Gemeindefeier auch die Erinnerung an +Jesu Tod mit hereinspielt. In seinem Bericht aber fehlt jede +Andeutung, dass dieses Mahl in der Nacht vor dem Tod stattgefunden +hat.</p> + +<p>Aus dem „justinischen Bericht“ allein wüssten wir also nur, +dass Jesus bei einem Mahle, nachdem er das Dankgebet über +dem Brot gesprochen, seinen Jüngern geboten habe, diesen +Brauch zur Erinnerung an ihn festzuhalten; danach habe er fortfahrend +das gesegnete Brot als seinen Leib und den gesegneten +Kelch als sein Blut bezeichnet.</p> + +<hr class="chap" /> +<h2>Dreizehntes Kapitel.</h2> + +<p class="pseudotitle"><b>Die Authentie des Markusberichts.</b></p> + +<h3><strong>1. Der Beweis.</strong></h3> + +<p>Authentisch ist ein Bericht, <em class="gesperrt">welcher in keiner Weise +durch die Vorstellung von der Gemeindefeier beeinflusst +ist.</em> Der Markusbericht ist authentisch, weil sich dieser +Nachweis für ihn führen lässt.</p> + +<p>Worauf beruht die <em class="gesperrt">Gleichbildung der beiden Akte</em>, +welche alle andern Berichte, wenn auch der Art und dem Grad +nach verschieden, im Unterschied zu Markus aufweisen? Auf dem +Einfluss, welchen die altchristliche Feier auf die Vorstellung der<span class="pagenum"><a name="Seite_57" id="Seite_57">57</a></span> +historischen ausübt. Die Gemeindefeier war eine Mahlzeit, bei der +dem Essen dieselbe Bedeutung zukam wie dem Trinken. Ganz +natürlich übertrug sich dies auf die historische Feier. Man wusste +also nicht anders, als dass Jesus beim Brot und beim Wein in +genau entsprechender Weise gehandelt und geredet haben musste, +sofern in der abgeleiteten Feier die gleiche Wertung des Essens +wie des Trinkens konstatiert wurde. So war die Gleichbildung +der beiden Akte für die historische Feier von der urchristlichen +gefordert.</p> + +<p>Besässen wir nun den Markusbericht nicht, so würden wir +an der Gleichheit der beiden Akte nichts Besonderes finden, da +dies auch unserem Empfinden als das Natürlichste erscheint. +Alle modernen Rekonstruktionsversuche der „ursprünglichen +Einsetzungsworte“ vertreten die Gleichbildung ebenfalls. Wir +sind also auch geneigt, die Gleichheit der beiden Akte ohne +weiteres für selbstverständlich zu halten.</p> + +<p>Nun zeigt aber der Markusbericht, dass die Gleichheit der +beiden Akte nicht selbstverständlich ist. Also muss man entweder +für die Ungleichheit derselben bei ihm oder für die Gleichheit +bei den andern eine Erklärung suchen. Dabei ergibt sich, +dass man wohl die andern aus dem Markusbericht ableiten kann, +<em class="gesperrt">nicht aber umgekehrt.</em> Matthäus und Paulus — der Lukasbericht +ist ein rein litterarisches Produkt — stellen die Feier +nach dem zweiten Akt des Markus dar, Justin nach dem ersten. +Bringt man bei jedem die Gleichbildung der beiden Akte entsprechend +in Abrechnung, wozu die grammatikalischen Härten +und Unmöglichkeiten Anweisung geben, <em class="gesperrt">so erhält man jedesmal +den Markusbericht.</em></p> + +<p>Dabei zeigt sich in der Gleichbildung der beiden Akte noch +eine gewisse Entwicklung. Dass sie bei Matthäus noch nicht vollständig +durchgeführt ist, lässt erkennen, dass die Gleichheit der +Akte nicht das Ursprüngliche ist. Also muss sie ihren Grund in +der historischen Anschauung der alten Zeit haben, welche diese +Berichte <em class="gesperrt">formuliert</em> hat. Da dieser allein in dem Mahlzeitcharakter +der Essen und Trinken gleichwertenden Gemeindefeier +gegeben sein kann, steht fest, <em class="gesperrt">dass diese Berichte durch +das Medium der altchristlichen Auffassung der Gemeindefeier +hindurchgegangen sind. Markus steht +ausserhalb dieses Prozesses, weil er die Gleichbildung +nicht aufweist; also ist er authentisch.</em></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_58" id="Seite_58">58</a></span> + +Dass die Vorstellung der historischen Feier bei Paulus und +Justin in einem sehr hohen Masse durch die Auffassung der Gemeindefeier +bedingt ist, liegt auf der Hand. Der historische Bericht +ist bei ihnen ja nur Mittel zum Zweck. Er soll eine bestimmte +Anschauung von der Gemeindefeier vertreten. Die Art, +wie sie beide in Verbindung setzen, geht weit über unsere Begriffe +hinaus. Wir verstehen die Gemeindefeier immer nur als +eine entsprechende <em class="gesperrt">Wiederholung</em> der historischen, sofern sie +aus der letzteren begründet wird. Paulus und Justin setzen beide +gleich, indem sie die Gemeindefeier mit der historischen Feier +gegeben sein lassen. Dabei entstehen dann Gedankengänge, die +für uns ganz überraschend sind.</p> + +<p>Es handelt sich um I Kor 11 <span class="antiqua">26</span>. In +<span class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">24</span> und <span +class="antiqua">25</span> vollzieht Jesus die Einsetzung. Wer redet +in <span class="smcap">V.</span> <span class="antiqua">26</span>? +Das <span lang="el" title="gar">γὰρ</span>, sofern es sich zum Vorhergehenden begründend +verhält, schliesst den Subjektswechsel aus. Der Ausdruck <span lang="el" title="ton +thanaton tou kyriou">τὸν θάνατον τοῦ κυρίου</span> zeigt aber an, dass die +historische Situation verlassen ist und Paulus von der Gemeindefeier +redet. Dazu passt aber das <span lang="el" title="gar">γὰρ</span> +nicht, denn was für die Gemeindefeier gilt, ist nicht eine <em +class="gesperrt">Begründung</em> zu den Worten Jesu, sondern eine <em +class="gesperrt">Folgerung</em> aus dem historischen Spruch. In diesem +Satz vollzieht also Paulus den Uebergang von der historischen Feier +zur Gemeindefeier so, dass er beide für einen Augenblick gleichsam +zusammenschiebt.</p> + +<p>Darum schmilzt er zwei Sätze, von denen der erste der historischen +Situation, der zweite der Darlegung über die Gemeindefeier +angehört, ineinander.</p> + +<ul class="hang"> + +<li>1. Jesus zu den Jüngern im Anschluss an die Gleichnisse: +„denn (<span lang="el" title="gar">γὰρ</span>) so oft ihr von diesem Brot esset und von diesem +Wein trinket, verkündet ihr meinen Tod, bis dass ich +komme.“</li> + +<li>2. Paulus der Gemeinde das Wesen ihrer Feier aus der historischen +erklärend: „Darum (<span lang="el" title="hôste">ὥστε</span>), so oft ihr von diesem +Brot esset und von diesem Wein trinket, verkündet ihr des +Herrn Tod, bis dass er komme.“</li></ul> + +<p>Justin bietet ein Seitenstück zu diesem schillernden Uebergang. +Er fasst in der berühmten Darlegung I Apol. 65 und 66 die +historische Feier und die Gemeindefeier in einem gemeinsamen +Ausdruck zusammen, indem er sie bezeichnet als: <span lang="el" +title="hê di' euchês logou tou par' autou">ἡ δι' εὐχῆς λόγου τοῦ +παρ' αὐτοῦ</span> (sc. Jesu) <span lang="el" title="eucharistêtheisa +trophê">εὐχαριστηθεῖσα τροφή</span>. Dieser Ausdruck bekundet eine +Gleichsetzung der beiden Feiern, die<span class="pagenum"><a +name="Seite_59" id="Seite_59">59</a></span> weit über unseren Begriff +der entsprechenden Wiederholung hinausgeht. Die Speise bei der +Gemeindefeier ist, wie bei der historischen, durch Jesu Gebetswort +geheiligt. Ein Unterschied besteht also nicht.</p> + +<p>Was die Gleichbildung der beiden Akte anzeigt, wird durch die +Argumentierung, mit welcher Paulus und Justin die Gemeindefeier +mit der historischen Feier verbinden, bestätigt: Sie sehen +die historische Feier nur in der Beleuchtung der Gemeindefeier.</p> + +<p>Solange die Textvergleichung ausschliesslich auf die Entdeckung +der wahrscheinlichsten und ansprechendsten Form der +<em class="gesperrt">Einsetzungsworte</em> ausging, bestand die Vorstellung der Möglichkeit +einer paulinischen oder justinischen Sondertradition zu +Recht, da beide „die Einsetzungsworte“ in sowohl unter sich unabhängigen +als von den beiden älteren Synoptikern grundverschiedenen +Fassungen boten. Prüft man aber die <em class="gesperrt">Berichte als +Berichte</em>, frägt man sie, ohne den verlockenden Anpreisungen +ihrer „Einsetzungsworte“ Gehör zu geben, was sie von dem Verlauf +und dem Wesen des gesamten historischen Vorgangs, bei +welchem diese Gleichnisse geredet wurden, wissen, dann ist es +mit der Scheinoriginalität aus. Es zeigt sich, dass sie sich die +historische Feier der ihnen geläufigen Gemeindefeier entsprechend +vorstellen, nur dass Jesus dabei Speise und Trank austeilt +und die bekannten Gleichnisse redet. Also geht auch ihre +Fassung „der Einsetzungsworte“ nicht auf eine paulinische oder +justinische Sondertradition zurück, sondern sie ist geschichtlich +aus der vorausgesetzten Gemeindefeier zu erklären. Paulus und +Justin differieren in ihren „Einsetzungsworten“, weil und insofern +die justinische von der paulinischen Gemeindefeier differiert. +Zwischen beiden muss in der Auffassung der Feier eine Wandlung +eingetreten sein.</p> + +<p>So führt die neue Problemstellung eine neue Auffassung der +Authentie mit sich, welche sich nicht mehr auf <em class="gesperrt">Meinungen, +sondern auf Gesetze</em> gründet. Als authentisch gilt nicht +mehr die kürzeste oder scheinbar klarste Relation „der Einsetzungsworte“, +<em class="gesperrt">sondern die Darstellung des gesamten +historischen</em> Vorgangs, für welche eine Beeinflussung durch +die Gemeindefeier nicht nachgewiesen werden kann, ob uns nun +die betreffende „Einsetzungsformel“ zusagt oder nicht.</p> + +<p>Bisher galt es für interessant, mit einer gewissen skeptischen +Nonchalance die Behauptung hinzuwerfen, dass wir über die<span class="pagenum"><a name="Seite_60" id="Seite_60">60</a></span> +Authentie der Berichte niemals etwas wissen können. Selbst +wenn unter unseren Berichten ein authentischer sich befände, so +hätten wir doch kein Mittel, ihn unter den andern herauszufinden. +Durch die neue Auffassung der Authentie ist diese Skepsis abgethan. +Wir besitzen einen authentischen Bericht. Wer es bestreiten +will, muss nachweisen, dass der Markusbericht ein durch +die andern Darstellungen desavouiertes Phantasieprodukt ist. +Authentisch oder sinnlos: das ist die einzig offene Alternative.</p> + +<h3><strong>2. Die Folgerungen aus der Authentie des Markusberichts.</strong></h3> + +<p>Die neue Auffassung der Authentie bezeichnet den ersten +Erfolg der neuen Problemstellung. Er öffnet dem neuen Lösungsversuch +den Weg. Jesus forderte die Jünger auf, seinen Leib zu +essen und sein Blut zu trinken: dieser angenommene gemeinsame +Thatbestand aller Berichte schien den Weg zu versperren. Durch +die Authentie des Markusberichts wird aber dieser Scheinthatbestand +ausser Kraft gesetzt. Es ist historisch bestätigt, was aus +der Kritik der modernen Auffassungen geschlossen wurde: Jesus +hat seine Jünger nicht aufgefordert, seinen Leib und sein Blut zu +geniessen, sondern er hat die Gleichnisworte im Verlauf, nicht +vor dem Genuss gesprochen. Das Kelchwort kommt erst, nachdem +alle getrunken haben!</p> + +<p>Also haben wir einen Bericht, bei dem das Wesen der Feier +nicht auf den Gleichnissen, sondern auf dem feierlichen Vorgang +beruht. Das hatte die neue Problemstellung gefordert. Nun ist +es Thatsache geworden. <em class="gesperrt">Also ist das Abendmahlsproblem +für die historische Kritik lösbar.</em></p> + +<h3><strong>3. Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis im Abendmahl.</strong></h3> + +<p>Die Bedeutung der Darreichung der Genusselemente bleibt +vorerst rätselhaft. Nur das Negative ist klar, dass nämlich die +Gleichnisse nicht aus der symbolischen Handlung des Brechens +und aus dem vorausgesetzten Ausgiessen des Weins an sich erklärt +werden dürfen. Das darstellende Moment spielt in den Berichten +keine Rolle und verschwindet zuletzt ganz, wie der justinische +Text zeigt, wo das Brechen nicht einmal mehr erwähnt +wird.</p> + +<p>Wollte man die Gleichnisse nach dem authentischen Markustext +deuten, so müsste man das erste aus dem Brechen, das zweite<span class="pagenum"><a name="Seite_61" id="Seite_61">61</a></span> +aus der Thatsache, dass alle Jünger getrunken haben, erklären. +Man bekäme also zwei ganz verschieden geartete Gleichnisse.</p> + +<p>Die Gleichnisse vom Leib und Blut müssen aber irgendwie +den Leidensgedanken enthalten. Dass Jesus damit das Geheimnis +seines Leidens zum letztenmal ausgesprochen hat, ist in den +Umständen dieses letzten Zusammenseins gegeben. Wenn wir +also die Gleichnisse nicht richtig zu verstehen vermögen, kann +dies nur daran liegen, dass wir das <em class="gesperrt">Geheimnis des Leidensgedankens</em> +falsch auffassen.</p> + +<p>Nun ist es die Eigentümlichkeit aller modern-historischen +Abendmahlsauffassungen, dass sie in der Feier <em class="gesperrt">den eschatologischen +Gedanken</em> nicht zur Geltung bringen. Sie verwenden +das Wort von dem Neutrinken in des Vaters Reich nicht +als eine das Wesen jenes letzten Mahls mitkonstituierende Aussage, +sondern machen daraus bestenfalls ein Anhangswort.</p> + +<p>Im Markustext nimmt es aber eine Hauptstellung ein. Es ist das mit +erhobener Stimme feierlich und eindringlich gesprochene Schlusswort +der Feier. Dabei hängt es mit dem Wort vom vergossenen Blut eng und +unzertrennlich zusammen, so dass es mit ihm einen einzigen Gedanken zu +bilden scheint. <em class="gesperrt">Diese enge Verbindung zwischen dem +Todes- und Wiederkunftsgedanken ist charakteristisch für den zweiten +Akt der Situation bei Markus.</em></p> + +<p>Demselben Zusammenhang begegnen wir aber auch bei +Paulus und zwar in beiden Akten. Nach ihm — und er beruft +sich dabei ausdrücklich auf den historischen Hergang — besteht +die Bedeutung des Essens und Trinkens irgendwie in der Verkündigung +des Todes des Herrn zugleich mit der Erwartung +seiner Parusie. „So oft ihr dieses Brot esset und diesen +Wein trinket, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis dass er +komme.“</p> + +<p>In der authentischen Relation der historischen Feier und in +der ältesten Relation der Gemeindefeier haben wir also beidemal +eine organische Verbindung zwischen dem Leidensgedanken und +der eschatologischen Erwartung. Es ist daher falsch, das Wesen +der Feier in der letzten Aussprache des Todesgedankens allein +zu finden. <em class="gesperrt">Nicht von seinem Tod, sondern von seinem +Tod und der baldigen Wiedervereinigung mit ihnen +beim Mahle im neuen Reich</em> hat Jesus zu den Seinen geredet. +Das Geheimnis seines Todes, welches bei dieser Feier in +<span class="pagenum"><a name="Seite_62" id="Seite_62">62</a></span> +der ergreifendsten und erhebendsten Weise zum letztenmal von +Jesus ausgesprochen wurde, enthält den Leidensgedanken im +engsten Zusammenhang mit der eschatologischen Erwartung.</p> + +<p>Die modern-historischen Abendmahlsauffassungen sind also +unhistorisch, weil der Leidensgedanke, mit dem sie operieren, +keinen Zusammenhang mit der Eschatologie aufweist. Darum +können sie den wesentlichen Grundzug der historischen Feier +und der ältesten Gemeindefeier nicht zum Ausdruck bringen. +Um das Wesen des letzten Mahles zu begreifen, bedarf es daher +eines Einblicks in den eschatologischen Charakter des Leidensgeheimnisses +Jesu. Diesen kann man nicht aus der Feier selbst +gewinnen, da Jesus dort das Geheimnis im Gleichnis ausspricht. +Das Gleichnis aber vermögen wir nicht zu deuten.</p> + +<p><em class="gesperrt">Beim letzten Mahl handelt Jesus als Messias, +und zwar als leidender Messias.</em> Wenn wir sein Handeln +nicht verstehen, so liegt dies mithin daran, dass wir sein Messianitäts- +und Leidensgeheimnis falsch verstehen. Das Abendmahl +kann nur aus dem Zusammenhang des Lebens Jesu begriffen +werden. Unsere Abendmahlsauffassungen sind falsch — <em class="gesperrt">also +ist die Auffassung des Lebens Jesu, welche uns dazu +geführt hat, auch falsch.</em></p> + +<p>Das Abendmahlsproblem ist das Problem des Lebens Jesu! +Eine neue Abendmahlsauffassung kann nur aus einer neuen Auffassung +des Lebens Jesu hervorwachsen, welche das Messianitäts- +und Leidensgeheimnis so enthält, dass sein feierliches Handeln +beim letzten Mahle begreiflich und verständlich wird. <em class="gesperrt">Ein neues +Leben Jesu:</em> das ist der einzige Weg zur Lösung des Abendmahlsproblems.</p> +</div> +<hr class="full" /> +<div class="transnote"> +<h2> +<a id="Anmerkungen_zur_Transkription"></a>Anmerkungen zur Transkription:</h2> + +<p>Die erste +Zeile entspricht dem Original, die zweite Zeile enthält die Korrektur.</p> + +<p>S. <a href="#Seite_xv">XV</a>:</p> +<ul> +<li>3. Das Ergebnis des Textkritik</li> + +<li>3. Das Ergebnis <span class="u">der</span> Textkritik</li> +</ul> +<p>S. <a href="#Seite_13">13</a>:</p> + + <ul><li>Vergleiche zum folgenden den verhängnisvollen Vortrag</li> + <li>Vergleiche zum <span class="u">Folgenden</span> den verhängnisvollen Vortrag</li></ul> +<p>S. <a href="#Seite_17">17</a>:</p> +<ul> +<li>sondern +auf einer eschatologichen Vorstellung vom Endmahl</li> + +<li>sondern +auf einer <span class="u">eschatologischen</span> Vorstellung vom Endmahl</li> +</ul> + +<p>S. <a href="#Seite_25">25</a>:</p> +<ul><li>wenn der Fall an sie herantritt, im stande seien, ihrerseits +ihre Seele</li> +<li>wenn der Fall an sie herantritt, <span class="u">imstande</span> seien, ihrerseits +ihre Seele</li></ul> + +<p>S. <a href="#Seite_54">54</a>: </p> +<ul> +<li>τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαδήκη ἐν τῷ αἵματί μου</li> + +<li>τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ <span class="u">διαθήκη</span> ἐν τῷ αἵματί μου</li> +</ul> +</div> + + + + + + + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Das Abendmahl im Zusammenhang mit dem +Leben Jesu und der Geschichte des Urc, by Albert Schweitzer + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS ABENDMAHL IM ZUSAMMENHANG *** + +***** This file should be named 44366-h.htm or 44366-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/4/4/3/6/44366/ + +Produced by Jana Srna, Michael Waddell, Eleni Christofaki +and the Online Distributed Proofreading Team at +http://www.pgdp.net + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. 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Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm +concept of a library of electronic works that could be freely shared +with anyone. For forty years, he produced and distributed Project +Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. +unless a copyright notice is included. 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