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+The Project Gutenberg EBook of Das rasende Leben, by Kasimir Edschmid
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Das rasende Leben
+ Zwei Novellen
+
+Author: Kasimir Edschmid
+
+Release Date: December 8, 2009 [EBook #30628]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS RASENDE LEBEN ***
+
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+
+Produced by Jens Sadowski
+
+
+
+
+Transcriber's Note:
+Text that was s p a c e d - o u t has been changed to _italics_. Double
+quotation marks have been encoded as » and « and single quotation marks
+as > and <, respectively.
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+
+DAS RASENDE
+LEBEN
+
+ZWEI NOVELLEN
+
+von
+
+KASIMIR EDSCHMID
+
+
+
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+
+LEIPZIG
+
+KURT WOLFF VERLAG
+
+Bücherei »DER JÜNGSTE TAG« Band 20
+
+Gedruckt bei E. Haberland in Leipzig.
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+COPYRIGHT/KURT WOLFF VERLAG, LEIPZIG/1915
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+Diese Novellen reden im hauptsächlichen Sinn nicht
+(wie das vorausgegangene Buch) vom Tod als einer
+letzten Station, nicht von Trauer und vom Verzichte.
+Sie sagen auch nicht: leben. Sie sagen: rasend
+leben. -- -- Mit vierundzwanzig Jahren starb, ein
+ungeheueres zersprungenes Gefäß der Kraft, zu
+früh mein Landsmann und sehr großer toter Bruder
+Georg Büchner. Er stammte aus Darmstadt, liebte
+den Elsaß und ist mir auch sonst seltsam nahe.
+Schrieb Lenz, Danton, Wozzek und die unendliche
+Süßigkeit Leonce und Lenas.
+Ich widme dies Buch des größten
+Lebenswillens seinem großen
+Andenken.
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+
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+DAS BESCHÄMENDE ZIMMER
+
+DEN ABEND war ich bei einem Freunde. Wir waren allein. Wir hatten uns in
+politischen Dingen ausgerast. Wir hatten Tee getrunken, der -- ich glaube
+-- sehr leicht nach dem Haar von Kamelen roch. Er sprach von einer Jagd in
+Turkestan. Darauf sagte ich einiges und beiläufig von Wintertagen bei
+Utrecht. Dann redeten wir lange wieder von Paris. Ich hatte gerade die
+Schattenspiele der Connards erwähnt und wollte anfangen, von dem
+merkwürdigen Effekt zu erzählen, als ich Wolfsberg ohne Bart am Square de
+Vaugirard traf . . . da war mein Freund, der ganz ruhig gesessen hatte, wie
+unter einem lang zurückgehaltenen Entschluß rapid aufgestanden und hatte
+mich durch sein Bad in ein Zimmer geführt, von dessen Existenz ich keine
+Ahnung hatte.
+
+Er hob den Arm. Zwei Lichter am Fuß der Wände füllten sich langsam mit
+prächtigem Licht und strichen in warmen Flutungen und Bündeln die
+honiggelben Seiten hinauf. Dann öffnete er das große Fenster nach der
+Straße und schob eine Jalousie vor das Loch. Sein Profil stand rasch, von
+Abenteuern zerfetzt, aber gütig, vor dem hellen Tuch . . . dann waren nur
+seine Hände da, die grotesk waren in ihrer Röte und noch mehr wie sonst
+denen eines Matrosen ähnlich schienen, wo sie allein von Licht überspielt
+dastanden. Kraft, die in Weichheit gebändigt war, ging von allen seinen
+Bewegungen aus.
+
+Dann öffnete er gegenüber zwischen zwei Schränken das Schiebefenster zum
+Garten. Sommerliche Nacht strich herein. Das Tuch lehnte sich tief aus der
+Füllung. Schatten überschaukelten den Teppich und an den Wänden zog ein
+Klappern hin. Es war ein melancholisches unangenehmes Geräusch. Als ich
+aufsah, lächelte der Freund, wies mit halbgedrehter Hand auf die Bilder,
+die die hohe und breite Mauer in einem Gurt durchschnürten, daß über und
+unter ihnen eine gleiche Fläche glänzender Tapete freiblieb. Sie hingen an
+Stricken, Bändern, Seidenkordeln und Tauen. Einige bedeckten sich fast
+völlig, manche überschnitten sich mit den Rahmen und bildeten in allen
+Stufen und Farben zusammenhängend ein eigentümliches Mosaik.
+
+Wies auf die Bilder und sagte: »Es ist keines darunter, in dem nicht ein
+Erlebnis wühlte. Es ist eine Laune oder ein Experiment. Ich muß es
+abwarten. Ich habe sie hier aufgehängt ohne Auswahl, ohne Ordnung, je wie
+ich hierher zurückkehrte und wie es mir gefiel. Es liegen Jahre in manchem
+eingeschlossen und strömen sich aus.
+
+Oft ist mein ganzes Zimmer hier voll von dem Frühling in Paris. Dieses Bild
+ist die Schaukelnde des Fragonard. Sie hat das eine Bein zurückgezogen, das
+andere zieht in dem trotzigen Aufschwung noch die Volute der
+losgeschnippten Pantoufle nach, und um diese graziöse Entblößung fällt das
+Schwebende der weiten Robe und der Duft der Farbe, der gleich einer Wolke
+darübersteht.
+
+Ich kaufte es eines Abends an einem Tag, da wir morgens nach St. Germain
+gefahren waren. Es war der erste jener bezwingenden Tage, die aufquellen
+aus einer gleichgültigen Nacht und voll sind von der Zärtlichkeit des Blaus
+und der warmen Stille einer Verheißung. Wir standen auf den Dächern der
+Waggons, die starrten von Ruß. In den Gärten brachen die Mandelbäume auf.
+Wir liefen wie ganz junge Hunde die Quere durch den Park. Es gibt in dieser
+Zeit nur eine Seligkeit: fühlen, wie das Spiel der Muskeln um eine Freude
+herum erwacht. Wir lachten und liefen, sprangen über Hürden, öffneten eine
+Holztür mit Lilien . . . und dann wußten wir erst, daß wir Eindringlinge
+seien: als wir gerade hineintraten in das Rondell.
+
+Aus einem Bogengang ließ sich eine Schaukel nieder. Eine Dame saß darin.
+Sie trug ein dünnes hellrosa Kleid. Wir sahen sie vom Rücken. Ihre Arme
+umfingen die beiden Schnüre und zogen sie in einer lässigen Knickung
+zusammen, wobei sie sich etwas nach rechts lehnte. Ihre nach vorn
+vereinigten Hände mußten etwas halten, über das sie den Kopf senkte. Es war
+so still, daß man die Schaukel quietschen hörte, wenn die Dame am vorderen
+Auslauf sich mit dem einen Bein an einem in rotpunktierten Blüten stehenden
+Aprikosenbaum abstieß, während sie das andere hastig zurückzog. Dabei
+senkten sich jedesmal eine Handbreit Spitzen unter dem Brett
+augenblickslang über ein sehr zierliches Bein.
+
+Dann hörte sie uns. Sie glitt von dem Holz. Ihr schmaler weißer Kopf senkte
+sich schräg. Sie raffte mit einer schützenden Bewegung die dünne und kurze
+Matinee. Damit gab sie sich noch mehr preis. Wieder erschien ihre Wade in
+dem glänzenden Strumpf und der noch hellere Schuh. Allein das merkwürdige
+war . . . sie ward nicht rot, nicht verlegen, sagte nur mit einer Stimme,
+die kindlich war, anklagend, alles war und umschloß in Inhalt, Tiefe und
+Modulation dieses >Good morning< -- nur dieses --, schritt langsam, ohne
+wieder herzusehen, in einen Seitenweg.
+
+Wir zogen uns zurück.
+
+Ein Erlebnis wie ein Pastell . . . sagte einer.
+
+Kindlich, dachte ich, niedlich, ästhetisch! Verstehen Sie! Es war kein Herr
+dazugekommen, niemand hatte gerufen, etwas gesagt, nur ein Geräusch: good
+morning.
+
+Aber am Abend im aufheulenden Lärm des Boulevards kaufte ich dies Bild.
+Manchmal hörte ich den Klang der Stimme nachts im ganz Stillen, oft am
+Meer, im Orkan der Versammlungen, im Räderstampfen und in der Explosion der
+Dampfer. Jetzt im Augenblick rieche ich, physisch -- Sie lächeln -- ich
+rieche jeden Geruch jenes Morgens, das Feuchte vom Boden, das Arom der Luft
+zwischen den Knospen, den Aprikosenbaum und das Warme darüber. Sie sehen,
+mit welch wahnsinniger Intensität sich ein Erlebnis einfressen kann, das
+wir zuerst flach empfinden und leicht ablösbar wie die Spur des Atmens an
+einem Spiegel . . . und das bleibt, stärker und nachwirkender wie das
+Ungeheuere im ersten Erblicken eines anderen Erdteils, wie verstörter
+Ehrgeiz und Tod der Schwester. -- -- --
+
+Ich habe stets das gedacht, was mich retten konnte. Darum liebe ich jenes
+Bild. Es ist wenig daran. Eine alte Radierung, zwei alte Menschen, ganz
+dunkel, um die Köpfe nur ein wenig Licht. Ich dachte mir einiges Angenehme
+dazu. Es half mir. Ich lag damals immer zu Bett, krank und mutlos. Ein
+kleines Mädchen schenkte es mir, das abends in den Vorstädten geigte. Ich
+besinne mich vergeblich auf ihre Haltung. Ich weiß keinen Zug mehr von
+ihrem Gesicht. Aber ich weiß, wie sie das Bild auf meine Decke legte und
+ihren grauen baumwollenen Handschuh daneben, der irgendwo dunkler geflickt
+war. -- -- --
+
+Der Goya da kam eines Morgens als Paket in graues Sackpapier eingeschlagen.
+Mag sein, daß ich mißmutig war. Riß es auf, und der Riß fuhr in ihn hinein,
+klaffend bis mitten in die Kampfszene. Genau zwischen Stier, der den Nacken
+zum Stoß einzieht, und Pferdebauch und gerade über den schnelleren Heft der
+Lanze.
+
+Er kam von einem Brasilianer, mit dem ich eine Nacht fuhr von Kowno nach
+der Grenze. Es war Schneesturm. Er sagte mir mit Leidenschaft vieles von
+seiner Heimat: dem fürstlichen Meer des Amazonenstroms, den glühenden
+Nächten, die sie erträglicher machten durch das Genießen unzähliger Kannen
+sehr heißen Kaffees, und dem Gekreisch der Papageienherden.
+
+Der Sturm brach sich an der Böschung, drückte mit blödsinnigen Stößen auf
+den langen Leib des Zuges. Wir wurden warm und zogen zusammen das Fenster
+herunter. Sofort zerbrach es. Die Scheibe spritzte uns ins Gesicht. Wir
+bluteten mit vielen kleinen Wunden. Der Wind knallte das andere Fenster
+hinaus, die Rahmen krachten. Schnee stopfte uns den Mund voll, wenn wir
+sprechen, rufen wollten, wir würgten, konnten nicht atmen. Pse! lachte der
+Brasilianer. Mehr hörte ich nicht.
+
+Hagel klatschte uns gegen das Gesicht, das anschwoll, schmolz daran, und
+fror im gleichen Augenblick in einer Maske von Eis wieder vor. Wir sahen
+aus, als hätten wir Gesichter aus Glas oder von roter Gelatine. Denn wir
+bluteten sehr und lachten.
+
+Es ist auf dem Bild des Stierkampfs nur die unterste Reihe der Zuschauer zu
+erkennen. Doch es scheint: eine Welle von Wut und Ekstase sei das
+Amphitheater in einer Kaskade hinuntergestürzt und habe sich in diesem
+Parkett bäumend gestaut.
+
+Es ist eine schwere Lache Blut auf dem Bild.
+
+Der Stich liegt auf einem alten gelben Papier, das vor Leidenschaft
+knistert, wenn die Sonne durch das kleine Fenster in einer Säule darauf
+steht.
+
+Ich denke gern an diese Nacht.
+
+Aber ich liebe noch mehr jenen Sommer, in dem alle Tage waren wie jene
+Nacht.« (Er hob mit steifem Arm eine breite, weißgerahmte Radierung heraus,
+daß die Schnur sich straff ins Zimmer spannte, und blieb, sie auf der
+hohlen Hand wiegend -- die andere in der Tasche -- stehen.) -- »Man kann
+nicht anders empfinden: Alles ist hier bezwungen von dem bleichen Weg. Sei
+es, daß er zwischen dunklen Hügeln in einer geheimnisvollen Biegung läuft,
+. . . ob dämmrige, schwere Fischerhäuser nebenan der Düne liegen mit
+verglasten Luken und dann der Spuk der Telegraphenstangen ihn begleitet bis
+zu dem Kreuz auf dem Hügel . . . mag sein, daß das alles die geballte
+Atmosphäre gibt von Trauer, Unheil und ganz schwachem süßem Licht am
+Horizont . . . ganz groß und so, daß er all dies missen könnte, ist nur der
+lange weiße Gang des Wegs, der sich langsam mit unheimlichem Wollen,
+steigend, verblassend, in den grauen Himmel über den Dünen wie in
+ungeheure, frevelhafte Übersinnlichkeiten hinausschraubt.
+
+Es ist ein Sujet aus Bornholm von dem jungen Radierer Georgi. Ich traf ihn
+auf einem Petroleumsegler von Kopenhagen nach den Faeroers. Wir waren die
+einzigen Passagiere. Und die einzigen Fremden (wenn wir einen kleinen
+Botaniker, der nach drei Tagen von einem unmöglichen Hügel abstürzte, nicht
+rechnen) auf den Faeroers von Anfang Juli bis in den Oktober hinein, der
+schon Eis brachte von Island her.
+
+Wir lebten jeder in einem anderen Fischerdorf. Er zeichnete. Ich schrieb,
+nein ich fischte, schoß mit einem siebenendigen Kugellazo nach Vögeln und
+liebte die breiten Mädchen. Meistens war Sturm. Er kam und man fühlte ihn
+rund oder blau und so stets wie als könne man ihn packen irgendwo. Oft
+schien es, er flösse aus einer immer breiteren metallenen Hülse, dann stieg
+er auf der See hoch gleich einem Segel und überschwemmte in einer
+plastischen Strömung den Strand.
+
+Häufig lagen wir einen ganzen Tag auf einer Klippe, die in rechtem Winkel
+hinabsauste zum Meer. Wir hatten die Köpfe in den Arm gewühlt. So raste der
+Wind. Ganz hell, fast weiß war der Himmel. Wir konnten nicht aufstehn. Er
+hätte uns hinuntergeweht. Ganz sacht vielleicht, spielend wie ein Stück
+Tuch, locker es aufhebend, kreisend, rasch senkend und dann aufs Wasser
+legend. Wer weiß! Zeitweis hielt ich mit aller Kraft (er machte eine Parade
+als zerknackte er etwas im Armgelenk) einen Block vor den andern, auf den
+er Striche setzte. Wie hinter einer Barrikade verschanzt und in atemloser
+Eile. So raste der Wind.
+
+Ich lag ein anderesmal allein einen Tag in brennender Sonne und dann noch
+eine Nacht auf einem Felsen und wagte _einen_ Tritt nicht zurück, bis
+morgens unten die Mädchen der Fischer vorüberfuhren. Eine trug einen roten
+Rock. Sie winkte. Sie rief: Du bist früh hinaufgestiegen . . . Sie war aus
+Store Dimon. Da tat ich es.
+
+Wir trugen keine Schuhe in dieser Zeit. Bündel Bast lagen um unsere Füße.
+Unsere Insel hatte einen kleinen Strand. Schwarze Felsen lagen um sie herum
+in Aufstiegen von hundert Metern. Unten formten sie kleine in sich selbst
+strudelnde Fjords von hinreißender Elastizität der Linie. Ganz schwarz
+waren sie und am Abend wie Basalt dunkelblau. Manchmal lösten sich hellere
+aus den anderen und wurden Mövenschwärme, die den Himmel zuzogen und das
+Meer überschrien.
+
+Aller acht Tage kam der Dampfer von Edinburgh, der Konserven brachte und
+Tabak. Er legte nur bei gutem Wetter an. Während der großen Sturmzeit kam
+er vier Wochen nicht. Mit dem Glas sahen wir ein paar Amerikaner an der
+Reling stehen, die nach Island fuhren. In dieser Zeit versäumte ich die
+wichtigste Post in meinem Leben. Was lag mir an Post?
+
+Teufel lag mir daran. Merde lag mir daran . . .
+
+Freund! in diesen Tagen fingen wir eine Art Delphin. Größer als ein Mann.
+Aufgesperrt den Rachen mit Lamellen aus samtnem Weiß. Die Augen ganz
+dunkles Violett mit einem rötlichen dünnen Schein drüber von der Sonne, die
+ihm gerade hineinschien. Einer der Fischer mit einer farbigen Mütze, die
+lang, spitz über den Rücken fiel, stieß ihm eine Harpune in den Rachen,
+stieß immer noch nach, als die Augen schon hinstarben, keine Sonne mehr
+brachen und der Leib aufbrandete in drei zuckenden Sprüngen. Der
+scharfgefloßte Schwanz wühlte ein Loch in den Sand, schlug, rasend wie der
+Kolben eines Preßlufthammers, wütenden Takt und machte Wind an dem stillen
+Tag. Seltsames Ding, dieser Schwanz: Porös, wie gewebt aus Gallerte,
+weichem Stahl und etwas, das war, als ob es köstlich sein müsse auf der
+Zunge oder schön in einem merkwürdigen Gefäß und vor allem von einer so
+maßlosen feuchten Fremdheit. Ich glaube, daß ich nie etwas Neueres erlebte,
+etwas Seltsameres sah als die Flosse des Fisches, die mit einer nie
+empfundenen Ekstase auf meine Seele stieß.
+
+Was war mir der wichtigste Brief meines Lebens?
+
+Zut . . . ein Dreck war er mir.
+
+Zwischen Georgis und meinem Dorf lag eine schwierige Klippe. Morgens
+schossen wir, ließen die Echos hinüber- und herüberrollen, grüßten uns so.
+Abends trafen wir uns darauf. Dann sahen wir ins Innere der Insel, das wie
+eine Arena war, in deren Mitte das große, weiße Viereck lag, das Gebäude
+für die einzige Krankheit, die diese Menschen hinfrißt, Männer Frauen,
+Frauen Männer, durcheinander, wie es kam, aus ihren Hütten heraus in dies
+Gebäude, das in das Dunkel noch lange hinausblitzt wie der Bauch eines
+Hais. -- -- --
+
+Um zu diesem tief vorwachsenden holländischen Rahmen zu kommen, von dem ich
+wollte, daß er aus dem siebzehnten Jahrhundert sei . . . vielleicht ein
+wenig früher, aber keine Minute mehr, mußte ich achtundzwanzig
+Seineantiquariate durchsuchen vier Tage lang, dann fand ich ihn . . . und
+sollte dazwischen das Überfahrenwerden eines blonden Kindes erleben, das
+mir jeden Morgen um zehn Uhr auf der ersten Straße des Jardin des Plantes
+ein Lächeln ins Gesicht warf. Es hatte ein Kleid aus schwarzer Seide und
+eine gelbe, schöne Krause an.
+
+Von dem Bild in diesem Rahmen, das Segelboote zeigt, will ich nicht
+erzählen. -- -- --
+
+An dem kältesten Tag, den ich in Deutschland erlebte, stand ich vor dem
+Bildzyklus in der Ecke dort, Hallo . . . ich stand nicht. Ging!
+
+So kalt war es. Ging auf den Holzfliesen. Aber die Kälte brannte mir in die
+Füße. Ich ging rascher und dann sehr rasch. Drei Schritte auf das Bild zu,
+drei kleinere es entlang nach rechts, sechs die ganze Fläche hinunter nach
+links, zurück zur Mitte und drei wieder, langsamer, rückwärts . . . und so
+fortfahrend eilender im Schauen, unheimlich und lautlos gleich der Parade
+des schwarzen Panthers vor seinem Gitter im ersten Käfig in Frankfurt.
+
+Es ist der Isenheimer Altar des Grünewald. Sehen Sie die übersinnliche
+Kraft des Lichtstrahls aus der oberen Ecke und den Leib dieses Leprösen,
+der schon grün ist und überfault und so vegetativ, daß er sich nach Erde
+sehnt und halb schon Erde ist, aber hier aufgefangen steht als qualvoller
+Schrei des Fleisches zwischen Sehnsucht und Hiersein und Bestimmung zum
+Ende. Ganz Kolmar klirrte an diesem Tag vor Kälte.
+
+Ich liebe das Bild, weil es mich plötzlich mit einer überflutenden
+Intuition mehr als durch tausend Bücher wie durch eine klaffende Wunde
+hineinschauen ließ in das aufzischende Herz des Mittelalters. -- -- --«
+
+(Nun hob er den Arm, als wollte er eine Lanze werfen und beschoß mit den
+zitternden Kreisen der elektrischen Taschenlampe ein ganz kleines Bild)
+»Erinnerungen eines Monats in einem schottischen Landhaus. Abends Silber,
+Kerzen, Toaste. Sonst Gehen auf geraden Wegen im Park, Rasen, zwei
+Schwestern, Lilith und Jane, Rudern mit den Brüdern, die auf Ferien aus
+Oxford waren, und zwischen all diesem Frischen endlose Ruhe. Holte mir
+Arbeitslust für ein paar Jahre. Stahl, als ich wegging, von der Diele
+diesen winzigen Stich. Es ist eine Szene mit Affen. Einer trägt das Kostüm
+Voltaires. Steht darunter: the travelling monkey. -- -- --
+
+Weheste und zarteste Erlebnisse, die wahllos ineinanderstürzen, aber binden
+sich an diese Silhouette. Germaine schnitt sie mir, ultramarin auf orange,
+in unserem kleinen Haus an den Tuilerien, als der Sommer dunkel und mit
+Gerüchen durch unsere Gardinen wehte. Niemals in der grenzenlosen Flucht
+der Zeit habe ich den Leib einer Frau mit dieser Hingebung geliebt wie den
+Germaines. Ich ließ sie alle Tänze lernen, die ihren Gliedern neue Linien,
+tiefere Inbrunst und glänzendere Seligkeit geben konnten. Am schönsten war
+sie, wenn sie auf einem Fell abends neben meinen Füßen lag.
+
+Sie trug ein langes weißes Hemd, träumte und färbte die Nägel ihrer Zehen.
+Draußen der dunkle Garten bewegte sich manchmal. In Pausen ging jemand
+vorüber, roter Himmel wuchs über die Rideaux, und wir wußten, wie nah und
+brennend Paris über der Seine sei.
+
+Germaine saß oft tagelang auf ihrem sechsbeinigen Schemel und schnitt
+Silhouetten. Dann nahm ich sie mit ans Meer in ein kleines Nest der
+Bretagne. Tagelang wieder lagen wir da im Sand, ihr Leib an meinem Leib,
+und wenn sie anfing zu zittern, dann ward es Abend, und die Nacht schliefen
+wir in einem Bett, das Boot war, und Germaines Glieder lagen auf den
+schweren roten Decken wie Achat.
+
+Paul Fort sagte von ihr, sie sei rührender als ein Papillon und
+schmerzender als ein Gedicht von Francis Jammes.
+
+Germaine liebte mich, ehe sie mich verließ, aber sie hatte keine Seele.
+Allein sie besaß -- unsagbarstes Wunder -- besaß Knie von ungeheurer Süße,
+kleiner, zärtlicher als die Brust eines schlanken norddeutschen Mädchens
+von dreizehn Jahren. -- -- --
+
+Den Carrière in dem ovalen Rahmen nahm ich aus dem Zimmer des Malers
+Binetti, als er nach dreitägigem Kranksein an Cholera starb. Stunde auf
+Stunde, den ganzen letzten Tag rief er einen seltsamen Namen. Er diktierte
+mir einen Brief, dessen Adresse ich nicht verstand. Binetti schrie. Ich
+habe ihm Wasser gereicht. Habe ihn in Eis gepackt. Ich habe ihn gebadet mit
+einer alten Frau. Binetti schrie den Namen. Ich habe ihn nicht verstanden.
+Am Abend gestikulierte er und formte immer eine merkwürdige Gebärde in die
+Luft. Sein Blick wollte mich zwingen, zu begreifen. Immer wieder machte er
+die Bewegung, und eine maßlose wütende Angst löste sich von seinen Augen
+ab. Er stieß mit der Zunge noch lange wie mit einem Dolch in die Luft,
+rascher, qualvoller, spitzer. Aber ich verstand es nicht.
+
+Der Brief ist das Furchtbarste an Weh. Ich habe die Adresse nie gefunden.
+Es war in Marseille. Der Mond bewarf das Meer von flachen Dächern mit einem
+Licht, daß sie, eine aufflammende Kette von Spiegeln, Feuer in den Himmel
+brannten.
+
+Vom Hafen her heulte das wahnsinnige Schmerzgeschrei eines Arabers die
+Straße herauf.
+
+Ich und Binetti, wir hatten nach Tunis fahren wollen.
+
+Ich trug diesen Brief in der Tasche, und manchmal machte ich die vage Geste
+in die Luft und wunderte mich und erschrak und wollte mich zwingen, es zu
+lassen. Aber sie hatte Macht über mich bekommen und meinen Nachahmungstrieb
+vergewaltigt, und so lief ich, ein Automat der fürchterlichen Gebärde des
+Sterbenden, den Quai entlang. Und ich fühlte, wie ich anfing einen Namen zu
+rufen, der sich langsam rundete wie aus einem zu A hin erhellten O mit
+fremden Palatallauten dahinter. Bis ich mich plötzlich wiederfand und den
+Kopf in die Fäuste geklammert aus dem Hafen rannte. Zwei Sergeanten traten
+mir in den Weg. Ich kam in eine Allee, wo ein Weinen mich nahm und über
+eine Bank warf.
+
+Dies war die einzige Nacht, in der ich sterben wollte. -- --
+
+Den mennigroten Tod aus Wachs über Ihrer linken Schulter . . . nein so
+. . . ja . . . schön . . . schenkte mir der finnische Dichter Karelainen,
+der eigentlich Grönquist heißt. Grönquist ist schwedisch. Karelainen ist
+finnisch, Darin besteht der wesentliche Wert Karelainens, daß er sich
+eindeutig so und nicht anders heißt. Denn seine Verse sind schlecht. Für
+den Adel und die Intelligenz ist das Schwedische die höhere Sprache, und
+sie heißen sich mit solchen Namen. Karelainen stemmte dem aber seine breite
+Brust entgegen, seine feinen Hände dazu und vor allem das helle Wunder
+seines Mezzosoprans und propagierte mit dieser dreifachen Opposition das
+Finnische.
+
+Aber es handelt sich nun keineswegs um Finnland. Wir saßen in einer
+schmutzigen Schenke einer kleinen Stadt an dem litauischen See Ssilkine, in
+dem wir gefischt hatten.
+
+»Die litauischen Weiber sind Klötze Fleisch. Die Liebe der Männer geht über
+sie hin, Unempfindliche, wie eine Welle beim Krebsen oder ein Schlag auf
+den Schenkel. Sie atmen kaum.
+
+Die litauischen Männer haben einen seltsamen Gang. Ihr Blut ist dick und
+ihre Brunst ist die der Zugtiere.
+
+Aber es gibt keinen Treubruch, niemals . . .« sagte Karelainen.
+
+Er sah mich forschend an. Ich schaute an ihm vorbei Da winkte er ungeduldig
+einem Hausierer, der, ein Grubenlicht vor den Bauch geschnallt, in der Ecke
+Spiritus trank, kaufte den roten, wächsernen Tod und schenkte ihn mir.
+
+Er wußte, daß ich jede Nacht bei der jungen Frau des Wirtes war, die
+neunzehn Jahre und ganz weiße Haare hatte und eine Haut, glatt wie ein Aal.
+
+Es ist nicht wahr, daß die Litauerinnen in ihren Betten liegen wie Klötze
+Fleisch . . .
+
+Dann hob Karelainen seine Hand, die flach auf dem Tisch lag, bis auf die
+Kante des schmalen kleinen Fingers, und indem er sie viele Male zart aber
+scharf auf den Tisch hakte, erzählte er, daß es im Finnischen nur drei
+Flüche gebe, deren erster ist »Perkala«, deren zweiter ist »Perrrkala« und
+deren dritter ist ein rasches schneidendes Streichen eines jener Messer,
+deren Griff aus Horn ist und deren Spitze etwas nach der Seite gebogen
+scheint fast wie eine Rosenschere.
+
+Es ist nicht wahr, daß es im Finnischen nur drei Flüche gibt.
+
+Es gibt viele Stufen dazwischen.
+
+Denn hier stehe ich.
+
+Und es ist unwahr, daß es niemals Treubruch gibt in Litauen.
+
+Karelainen war klug. Allein seine Fallen lagen zu plump, weil er zu sehr
+voll war von Eifersucht und Gift. Denn erstlich habe ich nie Angst vor
+Männern und dann in diesem Falle, seine Stimme war -- Mezzosopran.
+
+Im übrigen war er auch darum wütend auf mich, weil ich eine Forelle
+fischte, einen halben Fuß größer als seine längste. Er vergaß mir dies nie.
+
+Auch ist an dem billigen Symbolismus seines Geschenks apriorisch
+ersichtlich, daß er ein mieser Dichter war. -- -- --«
+
+(Nun ging der Freund zögernd und unentschlossen um einen Schnitt herum, der
+eine japanische Marterszene darstellte, und wechselte den Kopf zwischen
+träumerischem Mich-Anschauen und einem Anstarren des Bildes. Dann warf er
+rasch die Schultern herum und dachte aber, eh die entschlossene Bewegung
+beendet war, -- es schien mir -- wieder eine Flut neuer Dinge. Auch sein
+Profil hatte schärfere Linien. Und sagte dann:) »Ja.«
+
+Nur: ja.
+
+Ich sagte auch: »Ja.«
+
+Ich wußte nichts anderes zu sagen. Auch fand ich es heiß und drückend.
+
+Er sah mich sehr fremd und erstaunt an. »Ja« . . . sagte ich.
+
+Da antwortete er ganz kurz: »Gut.« Und dann:
+
+»Auch dies war in Marseille. Viele Städte haben mich geschlagen. Doch mein
+bestes hellstes Blut ließ ich in dieser. Wenn ich im Traum Schiff fahre und
+strande: es ist die Mole von Marseille. Wenn man im Traum (herrlicher
+Rimbaud!) mich amputiert: es ist das gelbe Spital dort im östlichen
+Viertel. Und auch dies, man krönt mich mit allen Insignien meines
+Ehrgeizes: es ist das Stadthaus von Marseille, aus dem ich in das
+Hohngelächter des Erwachens fahre.
+
+So hasse ich diese Stadt . . . Die Pest . . .
+
+Ich fuhr viel damals nach Aix. Es ist nicht weit. An der Universität hatte
+ich einen Bekannten, der über Bakteriologie las. Abends spielten wir zur
+Besänftigung Ecarté zu viert, ein jüdisch-russischer Flieger und ein
+japanischer Schüler meines Freundes, der noch kleiner war, als Japaner
+gewöhnlich scheinen. Er hatte eine sympathische Weichheit der Bewegungen
+und hinter den Augen: Energie. Er besuchte mich oft in Marseille und
+verstand es, was Ecarté allein ermöglicht, beim Kartenspiel entzückend zu
+plaudern. Einmal traf ich ihn mit einer Dame. Doch grüßte er mich nicht.
+
+Auf Karneval waren wir alle zusammen in eines der großen mehrstöckigen
+Cafés gezogen, mußten uns aber bald zerstreuen. Nach einer Weile bekam ich
+Streit mit einem kleinen Kolonialoffizier, dem ich seine Jungfrau abnehmen
+wollte, die ich als Modell des roten Malers Hessemer von Lausanne erkannte
+-- es ist ja nur ein Sprung --, die Kleine hatte ein Kostüm als Nymphe,
+loses Haar mit einem Reif, kurzes Kleid und nackte Beine. Ich faßte sie um
+die Taille, doch sie wollte, halbbetrunken, zu ihrem Leutnant. Sie wollte
+sich losreißen. Da legte der Flieger Blumenthal seine Pranke um ihr Gelenk.
+Jetzt gab es kein Loskommen mehr. Sie riß, warf sich mir schäumend um die
+Brust und biß mich durch den Frack tief in die Schulter,
+
+Blumenthal sah es, ließ sie los, sie riß sich frei. Lief davon, ich folgte.
+Der Leutnant nahm den Flieger auf sich. Ich glaube, er wollte ihn in die
+Tasche stecken. Doch ich verlor die Nymphe.
+
+Auf der Treppe zum dritten Stock sah ich aber eine junge Frau, die ein
+gelbes Kleid trug, das schönste an diesem Abend. Ich griff nach ihr. Sie
+lachte und stieß mir, rückwärts steigend, stets über mir, immer mit dem
+Knie an die Brust. Ich lachte. Plötzlich entlief sie mir.
+
+Ich folgte ihr über ein paar Treppen, und da ich sie küssen wollte, führte
+ich sie in eine Nische gerade unter einen Streif Sternhimmel, der zwischen
+zwei Firsten lag. Sie legte mit Grazie und Wissen zwei halbvolle, leicht
+nach Wein duftende Lippen, die sehr warm waren, auf meinen Mund und
+flüsterte jedesmal -- denn ich tat es öfters -- dazwischen: maman . . .
+Dann lief sie wieder. Ich hinter ihr.
+
+Sie rannte in einen Schminkraum. Ich wartete und sah auf dem Milchglas der
+Tür ihre Silhouette. Sie legte Rot auf. Ich lugte hinter einer Säule. Als
+sie herauskam, trat ich vor, und sie lief wie sehr erschreckt im Spiel
+davon. Wir rannten durch einen Saal, durch Lauben und Séparés, und kamen
+auf einen Korridor, ich wollte sie greifen -- da sah ich an einem hohen
+Fenster gleich einem überraschend aufgestellten Marionettenspiel die Szene:
+Der kleine Japaner gestikulierend . . . ihm gegenüber ein Mann mit stark
+südlichem, fast spanischem Aussehen, in tückischer Haltung. Daneben an die
+Draperie des Fensterbogens gelehnt, bleich, halb leblos, sehr gerade, eine
+Dame.
+
+Ich sah, wie der Japaner den Arm leise hob, wie das Gesicht seines Partners
+zu bluten anfing, und wie der Japaner dessen Arm über den Rücken hochriß
+. . .«
+
+Da geschah etwas Seltsames.
+
+Der Freund stockte, er keuchte. Sein Atem pfiff über die Stimmbänder mit
+einem Ton, als geige jemand über gebrochenes Glas. Ich fuhr auf. Er hob
+befehlend die Hand, ein wenig gebückt. Ich setzte mich wieder.
+
+Er schellte rasch: »Wasser . . .!«
+
+»Verzeihen Sie!« rief er. »Ich habe Sie geblufft . . . es hat mich
+überwältigt . . . ich wollte zuerst nicht erzählen . . . dann mußte ich
+doch. Aber ich travestierte, tauschte alles um . . . Alle Personen sind
+unwahr. Keine ist echt . . . keine Kontur. Glauben Sie es! . . .«
+
+Ich sah ihn kalt an.
+
+»Diese Geschichte ist ganz anders,« sagte er nun. »Ich habe geglaubt, sie
+von mir abtun zu können, wenn ich sie erzählte, aber ich konnte sie nicht
+erzählen. Da phantasierte ich sie. Aber das war noch schlimmer, zu sehen,
+wie etwas hätte werden können . . .«
+
+Er sah starr nach dem Fenster.
+
+Dann brach er in ein häßliches Gelächter aus. Sein Mund zog sich nach dem
+Kinn hinunter wie im Zwang von zwei Fäusten.
+
+Dann drehte er stumm den Schnitt gegen die Wand, verbeugte sich und bat,
+nachdem er die Lichter gelöscht hatte und indem sein Gesicht wieder langsam
+in die alte Form zurückkehrte, ihn hinüber zu begleiten.
+
+Allein ich blieb in der Türe stehen.
+
+Alles stürzte mit verdoppelter Wut, mit erneuter Wucht über mich hin.
+
+Ich fühlte: Abenteuerlichkeit fraß sich in die Wände. Schicksal brannte in
+den Rahmen und wollte heraus. Sehnsüchte ohne Maß, gelebte, nur gestreifte,
+schwellten den Raum, daß er fast barst, und Jahre rasten auf dem
+Sekundenblatt der Pendüle herunter.
+
+Ich sah in diesem Zimmer alles wie in einem glänzenden Kaleidoskop
+verwirrt.
+
+Und als ich über die Schwelle zurücktrat und das Gebeugte im Gang meines
+Freundes sah, ward mir plötzlich das Straffe meiner Brust bewußt und das
+Brutale meiner Haltung, und da wußte ich, daß ich mein Leben gut gelebt
+hatte. Denn dies ist nicht die Frage, ob wir aufleuchtende Dinge erleben
+und in heiß aufklaffenden Abenteuern stehen (wie wäre das klein und
+subaltern), sondern es ist dieses, was dem Geschehenen erst Form gibt und
+Würde: was wir mit den Erlebnissen tun . . . Und ich wußte bei diesem
+Zusammenbruch, was mir immer klar war, das war recht:
+
+Man soll keine Erinnerungen haben. Niemals. Nein! Und am wenigsten noch
+armselig Fetische bilden und seine Erlebnisse in Dinge tun. Man soll keine
+Beichtstühle in seine Wohnungen tun. Sie zwingen in die Knie. Dann oder
+wann.
+
+Man soll die Dinge von sich werfen. Weit. Und die Erlebnisse abstreifen wie
+einen Seifenschaum mit nachlässiger Hand von der Brust am Morgen und am
+Abend und jeden Tag, damit sie uns nicht demütigen einmal früher oder
+später so und so.
+
+Denn der Genuß des Abenteuers ist das ungewiß Beschwebende: Wissen, vieles
+Bunte getan zu haben, aber eine Luft hinter sich zu fühlen ohne Halt und
+ohne Farbe. _Tosendes_ . . . _rasendes Leben_ . . . --
+
+_So ist es._
+
+Aber auch ohne dies war das Zimmer eine Sünde gegen die Kraft: Sein Rausch
+war ein Anreiz im einen, und ein Opiat im andern, und eine Hemmung im
+Ganzen. Denn es lagen in ihm (wie ein Hohn) zusammen das Große und
+Schwache, und das Ungeheure wie das Süße . . . die Erhebungen, zwischen
+deren Polen sich die Skala unserer Erlebnisse bewegt und beglänzt, und die
+in dieser Spaltung, das Eine oder das Andere, maßlos entfernt und fremd
+voneinander und niemals zu packen in einem Griff, unser Leben ausmachen und
+erfüllen und so sind (im täglichen Leben) wie diese beiden Beispiele:
+
+Die Sensation eines Expreß, der eine kleine abendliche Station durchrast --
+und das Erleben eines Ladens mit ausgebreiteten Seiden an einem
+allzuschnellen Frühlingstag auf der Meisengasse zu Straßburg.
+
+DER TÖDLICHE MAI
+
+ALS es nun um Ende der Woche kam, daß der Tod ihm (dem Maler und Offizier)
+die Eingeweide zerriß und er brüllend lag zwei Stunden lang, geschah es,
+daß die Pflegende erstaunte, denn das Geschrei bog sich langsam um in eine
+Stille, und aus der plötzlich sanften Ruhe seines Mundes stiegen jauchzende
+Rufe wie bunte Kugeln mählich in die Höhe und ketteten sich ineinander zu
+Jodlern, wie sie im Sommer der Schweiz tagelang von Berg zu Berg
+hinüberschweben.
+
+Sie trat dicht an ihn heran und wusch ihm mit einem getränkten Lappen den
+Schweiß, der um den Mund herum austrat, aber er sang durch ihre kreisenden
+Handbewegungen weiter, verdrehte die Augen, streckte sich scharf in die
+Länge, legte sich auf die Seite und schwieg.
+
+Nach einer halben Stunde rief er die Pflegende.
+
+Seine Augen lagen tief in den Deckeln der Lider begraben, ein rötliches
+Weiß schimmerte heraus und der halbe Abschnitt der Pupille. Der Mund und
+das Kinn glänzten in leiser Seligkeit, die Stirn war rein und hell trotz
+der Bräune. Die Schläfen waren eingefallen, die Nase angespannt und an den
+Nüstern unbewegt wie über eine Pauke gezogenes Pergament.
+
+»Die Bäume . . .« sagte er. »Die Bäume . . .« und jubelte mit der Hand.
+
+Die Pflegende schauderte. Sie sah, wie der Tod seinen Leib aufwirbelte und
+blähte und empfand zugleich, wie der Raum sich furchtbar unter seiner
+Heiterkeit anfüllte.
+
+Er sang das Wort »Diebäume« im wechselnden Umschwung aller Melodien. Er
+hielt mitten in den Buchstaben ein, ließ den Ton verrollen und schob
+zwischen den bläulichen Lippen rasch und lachend den Rest nach. Er knickte
+die Silben wie Weidengerten, warf die schwachen Vokale glitzernd hoch und
+duckte die saftigen. Manchmal schien das Wort ein explosiver Ton, andermal
+eine verwirrende Skala. Oft bog und verengte er die Laute, ließ sie wie
+Brandblasen aufglühn und zerplatzen und schrie sie plötzlich in gleicher
+Folge wütend hinaus. Er spielte mit dem Wort wie mit einer Beute,
+katzenhaft, tückisch, selig, feig, lind und grenzenlos erbost.
+
+Er klomm die letzte Krise der Krankheit hinauf, das Wort wie einen Säbel
+zwischen den Lippen.
+
+Manchmal warf sich ein Lächeln über sein Gesicht. Trunken spannte er die
+Nasenflügel und sog. Die letzten Stunden der Nacht waren höllisch.
+
+Das Fieber kurbelte an die äußerste Grenze. Der Bauch sackte ein und wand
+sich in Zuckungen. Das Weiß des Auges war über Gelb zu dickem Grün
+geworden.
+
+Er brach blutigen Kot, schüttelte die Hand und sang das Wort
+
+Das Herz war im Brechen. Der Puls lief lächerlich dünn. Seine Zähne stießen
+kleinen Schaum auf den Lippenrand, der sich unmerklich rundete: es war das
+Wort.
+
+Er hing an ihm zäh wie ein Affe, verbissen an einem Trapez. Und es riß ihn
+heraus.
+
+Schlank wie ein Tänzer lief er auf ihm durch die Nacht, das Fieber und den
+blutigen Auswurf.
+
+Segelte dumpf genesend durch das Aufundabgehen der Gestirne, der tödlichen
+schweren Sonne und den leichteren Aufflug des glänzenderen Mondes wie durch
+ein Spiel mit wechselnden bunten Ballonen hin mit unsäglicher und
+berauschend linder Bewegung.
+
+Schwamm mit beruhigendem Opium in den Adern durch die breite Schwermut der
+ersten Abende und sehr frühen Morgen und das harte massive Dunkel der
+Wolkendämmerungen mit einem Weiß auf der Stirn, das alle erstaunte, und
+einem unmerklichen Flüstern auf den Lippen, die stets bewegt waren gleich
+der Brust einer weich Schlafenden.
+
+Eines Morgens stieß die Sonne in einem langen und schönen Streifen durch
+sein Fenster und fiel hart unter sein Kinn. Da lief eine schwache Erregung
+über ihn, er verdrehte die Augen nach links, warf sie dann nach rechts
+hinüber, starr, daß die Pupillen, nach oben gestemmt und aus den Höhlen
+getreten, in das Innere des Kopfes hinein zu bohren drohten, ließ sie dann
+sanft zurücksinken, schüttelte sich, machte den Mund auf, groß und weit und
+schloß ihn wieder.
+
+Schloß ihn hart und fest, lag nach diesem Signal noch zwei Tage und war
+darauf völlig durch die Gefahr hindurch. Er war mimosenhaft zart und sehr
+scheu in den Stunden des genesenden Körpers und des kommenden Bewußtseins.
+Seine Soldaten kamen zu ihm und gratulierten ihm zu dem Sieg gegen den Tod.
+Er winkte mit der Hand hinauszugehen, erkannte sie kaum. Die Pflegende
+sagte ihm, sie seien traurig, wo sie unter ihm in tausend überschwemmenden
+tödlichen Minuten gestanden hätten, nun, wie er krank, nicht von ihm
+geliebt zu sein. »So . . .« sagte er. Assistenten, Ärzte kamen. Sie
+versicherten ihm alle, daß er ihr Kopfschütteln ignoriert und stramm und
+siegreich über ihren Unglauben in die Gesundung hineingesprungen sei,
+zweibeinig und massiv. Er sah sie verwirrt an.
+
+Apathische Wochen folgten. Der Vorsteher des Genesungsheims erzählte ihm.
+Krieg . . . ja . . . gewiß . . . er freue sich. Er legte den Kopf herum.
+
+»Bücher?«
+
+»Danke . . . nein.«
+
+»Palette . . . Wollen Sie wieder malen? . . . Bedenken der Überanstrengung
+zwar. Allein . . . ich wäre stolz --«
+
+Er schüttelte langsam den Kopf.
+
+Das Gewicht des Körpers nahm geringfügig nur zu. Wenig Interesse füllte ihn
+für den Umkreis der Dinge, noch weniger für sich selbst. Lag eine Schwebe
+zwischen Lebenwollen und Lebenmüssen, der Funktion aller Physis fähig, ein
+Fragezeichen der Bejahung, allen Möglichkeiten neuen Lebens ausgesetzt
+. . . aber ohne Schwung.
+
+Oft trat er abends auf den Balkon des Hauses, der verwachsen und kühl war.
+Die Ebene betäubte ihn anfangs mit ihrer Grenzenlosigkeit, langsam empfand
+er sie aber -- um ein an das Endliche stoßendes Bild zu haben -- als eine
+riesige Kreisbewegung, die um ihn herum, zuerst stark, dann sich im Silber
+der Ferne verzehrend, gegen den Horizont schwinge. An einer Seite hingen
+ein paar Wellenschläge ferner Gebirge, runde Hügel, gleich nach unten
+gekehrten Wolken, zittrig in der Luft. Diese Gegend aus Fläche, Gras und
+Steppe, von brüchiger Luft überstanden, gab ihm das Gefühl, Mittelpunkt
+einer gläsernen Glocke zu sein. Sonne schlief reglos auf Bach und Moos und
+kleinem Gestrüpp. Die Tage hatten katzenhaften Ablauf, stumpf und
+aufreizend in dem währenden Gespanntsein dieser Leblosigkeit.
+
+Da warf ihn eine Wagenfahrt, zu der der Arzt ihn zwang, in die unmittelbare
+Nähe einer wenig entfernten Königsstadt in eine Schloßanlage. Der große
+Dogcart mit den polierten roten Rädern schaukelte einen Nachmittag lang
+über geschwungene Wege und über Brücken. Er erlebte dichtes Dunkel des
+Parks, unendliche Stille um pagodenhafte Pavillons, den raschen
+Vorbeischwung weißer Nebenschlösser. Dann befanden sie sich mitten im
+Gewühl weiter Auffahrten, auf die ganz am Ende der Alleen die Kaskaden
+fesselloser Terrassen herabstürzten. Hier empfand er Weite und Herrlichkeit
+der Welt an sich vorbeiziehn. Der Wagen schwamm an dem langen
+Wasserspielwerk, das von der Fassade bis in den blauen Horizont
+hinunterlief, entlang zwischen Hunderten spazierender Menschen, zwischen
+farbigen Jacken, weichgelben Handschuhen und der Orgie aufgeblasen roter
+Sonnenschirme.
+
+Er kehrte nachdenklich nach Hause zurück.
+
+Am Morgen erwartete er den Aufgang der Sonne von seinem Balkon. Er sah den
+Aufstieg über die schmalen Hügel und die langsame Belichtung der Ebene, die
+sich sinnlos und schwer mit dem Rot anfüllte. Da ging eine unfaßbare
+Sehnsucht nach Glühendem, Rasendem in ihm auf, er bog sich vor Gier nach
+der Stadt. Der Arzt war dafür, er brach auf, durchstreifte Straßen, die
+voll Anmut, Gärten, die voll Jugend waren. Am Abend landete er in einem
+Lokal, das mit jubelnden Tapeten überzogen war. Es war gefüllt mit schönen
+weißen Tischen und Stühlen. Viele bunte Laternen glühten darüber. Der Wind
+bewegte sie leicht. Alle Gesichter waren von schwankendem Rot überströmt.
+Feine Frauen saßen in den Sesseln, zurückgelehnt, lässig und mit Herren
+plaudernd. Es gab Musik. Manchmal lief der Wind heftig durch die
+ausgehängten Fenster und es gab ein Gewoge von Licht, das alle überstürmte.
+Dann hoben sich die Geigen aus der Musik in die Höhe und übergitterten mit
+namenlosen Spitzen den Raum.
+
+Da ergriff ihn das Gewühl des Daseins mit einer tobenden Berauschtheit. Er
+fühlte sich von heißester Erregung in starre Kälte geschleudert und dann
+von neuem beißender Hitze entgegengeworfen. In seiner Brust wütete ein
+Orchester, Orgeln brannten auf, und in langen, grausamen Voluten hoben sich
+die Bläser zu einem furchtbaren Stoß.
+
+Es war zuviel: Man sah einen Offizier die Arme dehnen, die Brust
+herauspressen, einen seltsamen Jodler über das Lokal hinfeuern und die
+Hände auf den Tisch zurückhauen.
+
+Er zerschlug die Lampe und einiges Geschirr.
+
+Der Kellner tat sehr ruhig. Fernersitzende dachten an Zufall und
+Mißgeschick. Er gab dem Kellner märchenhaftes Trinkgeld, nahm die Mütze und
+ging breitspurig, säbelschleifend hinaus.
+
+Draußen begann er sofort zu weinen. Toll tanzten die wunderbaren Frauen,
+die er wie zum erstenmal wieder sah (wieviele er gemalt hatte, wußte er
+nicht mehr, denn Dasein dünkte ihm noch neues Leben nach halbem Tod) vor
+seinen Augen, die Seiden, die Funken der Lichter. Unbegreiflich schluchzend
+empfand er die Wärme der Nacht, flüsternd . . . »le . . . ben . . .« --
+
+Dann ballte er die Fäuste, und als er von der kleinen Station nach dem
+Landhaus fuhr, stand sein Kopf scharf und sehr entschlossen auf seinem
+Körper.
+
+Es kamen rasche Tage. Er rieb sich den Buckel an der blitzenden Scheibe der
+Stadt. Freude umgab ihn lind. Trieb und Wonne füllten golden seine Adern.
+Säfte rannen über seine Haut. Leben umspielte ihn reich. Es war die Rede,
+daß er zur Front zurückkehre. Er nickte.
+
+Er nickte. Es war gut.
+
+Der Mond kam abends aus der Ebene durchsichtig und schön wie aus dem
+weichen Munde eines Glasbläsers gebildet, und gleichsam von seinem Atem
+gehoben, so schlank und zart überflog er die stumme und dunkle Festlichkeit
+des Himmels.
+
+Bald gab es tagelangen Sturm. Böen überschütteten die Steppe. Wolken
+schlugen übereinander mit Geheul. Schwere Regen knallten an den Fenstern.
+Geduckt sprang brüllender Wind in jede Spalte und zersprang dort in Fetzen
+von niederreißendem Radau. Nachts, wenn die Regenschwaden vom Sturm schräg
+herabgehauen auf die Ebene knatterten, schien es, Tausende von Eskadronen
+überritten die Steppe und die Bäuche aller Pferde schlügen langgestreckt
+zwischen den rasenden Sprüngen in einem Takt gegen die Erde.
+
+Da zog er rocklos durch das Haus, probte die Muskeln, steckte Lichter an
+und sang mit jubelnd gesteigerter Stimme.
+
+Er sagte (als der Wind eine Pause einschob) »Sehen Sie die Kassiopeia?« zur
+Pflegenden, zog sie in die Fensternische, hob die Flügel, deutete nach oben
+und lachte, als der Staunenden ein Nebelstreifen glitzernden Regen ins Haar
+schmiß.
+
+Später einmal kam, heiß und verstaubt, ein schmaler Zug die Ebene herunter.
+Er tauchte grau und wie ein Punkt auf und wurde ein dünnes Gerinnsel durch
+das vergilbte Gras. Sie defilierten am Haus auf die Entfernung von zwanzig
+Metern.
+
+Zuerst ging ein großer Mann, braun mit Narben von Hieben durch das Gesicht.
+Sein Kleid war Polichinell. Enganliegend mit Dreiecken gemustert
+zitronengelb und weiches Blau. Der Hals war unbedeckt und gefurcht. Seine
+Beine traten wie ein Pferd einen nach vorne ausbiegenden Trab, der stets
+Silhouetten vor dem vergrauten Horizont spannte und von trauriger Müdigkeit
+war. Hinter ihm kam ein Elefant, ein Dromedar und ein Wagen voll von
+farbigen Kindern.
+
+Er trug zwei Stangen über der Schulter, um deren Spitzen ein Netz geknotet
+war, in dessen Maschen ein kläffender Hund saß und ein perlweißer Fasan.
+
+Es war so süß langweilig in diesen Tagen, daß die Insassen des Hauses alle
+staunend und lachend hinausliefen, die Taschen umwandten, Geld über die
+Menschen warfen und in Eile Stühle aufschlugen. O Rausch eines unerwarteten
+Zirkus.
+
+Es gab eine glänzende Vorstellung.
+
+Der lange Führer wirbelte in die heiße Luft, mit Fahnen in der Hand,
+Sprünge und Verrenkungen, strahlend und bunt.
+
+Alle Soldaten suchten auf dem Dromedar zu reiten; Die farbigen Kinder
+warteten gespannt, bis ein zufälliger Blick auf ihnen zu ruhen begann,
+sprangen in die Höhe, überschlugen sich grotesk, setzten sich fest auf die
+Hintern und streckten bettelnd die Hand vor.
+
+Der Elefant rückte verlegen auf seinen Beinen, verengte den Raum unter sich
+und ließ sich endlich mit seiner Rückseite auf einem Fünfzigliterfaß nieder
+und zog die Vorderbeine hoch wie ein Pudel.
+
+Der Führer gab ihm eine Mandoline in den Rüssel und band ihm ein rosa Band
+an die Spitze des Ohrs. Sein Gesicht blieb unbewegt und verächtlich wie bei
+seinen Sprüngen.
+
+Indem fuhr auf der anderen Seite des Hauses ein Wagen an. Der Maler sprang
+heraus mit zwei geschossenen Lapins und die Augen voll Träumerei von
+Frauen, mit denen ihn die Einsamkeit der Heide überfallen hatte. Er trat in
+das Haus und schaute durch das Fenster.
+
+Da schwoll sein Gesicht hochrot, er blies die Backen auf vor Zorn, und
+einen dumpfen Laut ausschreiend, sprang er heraus. In seiner Hand lag ein
+Säbel. Er machte einige Sätze und schlug dann die flache Klinge mit einem
+sirrenden Ton dem Elefanten ausgestreckten Arms klatschend auf das Blatt.
+
+Das Tier sprang auf. Es stand. Es spreizte langsam die Beine, schob die
+Ohren zurück und hob den langen Rüssel ganz wagrecht.
+
+Da ließ er, während alle anderen starr gebannt steif zuschauten, den Stahl
+fallen und strich andächtig und bewundernd den Rüssel mit der Hand entlang
+und hob ihn hoch, daß das weißliche Rosa des Mauls, das gleich einer
+fremden von Überreife angefaulten Frucht zwischen der harten Seltsamkeit
+der elfenbeinenen Hauer lag, aufklaffte. Dahinein legte er die Hand. Der
+Pulcinell brachte unter Bücklingen Zucker und legte sie in den untersten
+Rüssel. Der Elefant bog sie mit schlangenhafter Windung in das Maul.
+
+Dann warf er wie einen Springbrunnen den Rüssel hoch und schoß überraschend
+und plötzlich einen so ungeheuren dunklen und wilden Schrei gegen die
+Menschen, daß sie einen Augenblick alle schwiegen.
+
+»So . . . gefällst du«, sagte der Maler und steckte den Säbel ein.
+
+Das Gesicht des Führers blieb über den Verbeugungen unbewegt und
+verächtlich wie bei seinen Sprüngen.
+
+Es lag den Abend ein gewaltiger Druck auf der Landschaft.
+
+Sie waren, als die Sonne sank, heiß und verstaubt, ein schmaler Zug, die
+Ebene hinuntergezogen. Sie flossen ein dünnes Gerinnsel durch das vergilbte
+Gras und verschwanden grau und wie ein Punkt.
+
+Am späten Mittag saß die Pflegende bei dem Maler, der auf einem
+Schaukelstuhl lang lag und rauchte. Sie schwiegen lange Zeit.
+
+»Können Sie sich den Urwald vorstellen«, fragte er. Sie lächelte: »Nein --«
+
+». . . den Rand des Urwalds, Schwester. Ein Elefant reißt Lianen
+auseinander, erscheint. Die Sonne schwingt auf, rot. Er schreit ihr
+entgegen . . . Und hier: o Müdigkeit . . . o Müdigkeit . . .«
+
+Sie sah nachdenklich auf ihn. Dann stach sie eine Nadel durch ein
+Fliederblatt und sagte langsam: »Es ist Ihre Sehnsucht, Wald, ich weiß es.
+Ich weiß, daß Sie sich stets daran klammerten, als Ihre Krise war! Sie
+wissen nichts?«
+
+Er wußte es nicht.
+
+Er schüttelte den Kopf, lächelte und verneinte.
+
+Da sagte sie leis: »Die Bäu . . . me.«
+
+Wieder kam das Lächeln über sein Gesicht Aber ihr war, als ob es Gewalt
+bekomme über den Inhalt des Gesichts und als ob es sich einforme wie eine
+fressende Säure. Seine gespannten Muskeln waren einem sekundenhaften
+Verfall unterworfen. Sie schwanden unter der Haut.
+
+Ganz weiß hob er den Kopf: »Habe ich . . . ha -- -- -- be ich . . .«
+
+Von schwerem Entsetzen geschüttelt wand er die Arme durch die Luft. Seine
+Augen wurden rund, kugelhaft und fast wie Glas und starrten über die Ebene.
+Er keuchte und deutete vor sich: »Geben Sie mir diesen Stein.«
+
+Ihm schien die Schwelle eines seltsamen Unterbewußtseins durchstoßen. Er
+hatte alle die Wochen nur ein Leben gehabt, das seine Wurzeln hatte in
+seiner letzten Krankheit. Wohl wußte er die Dinge und Vorgänge der Zeit und
+seines Lebens auch vorher. Aber in diesem Augenblick schien es ihm, daß
+eine dünne Haut darüber gewesen sei und daß ihm die Erkenntnis nach deren
+Platzen nun erst neu, groß und unendlich furchtbar wieder zuströme.
+
+Er nahm den Stein, den ihm die Pflegende reichte. Er war sehr schwer und
+kantig. Er drückte seine Hände hinein, hielt ihn an die Stirn, hob und
+prüfte ihn und legte ihn fest auf das Knie. Er empfand, wie die Angst vor
+der plötzlichen Leere um ihn herum schwinde und wie das Gewicht des realen
+Steins ihn wieder an das natürliche Leben und die geliebte Erde
+(prometheisch) zurückriß.
+
+Dann warf er den Stein weg und sagte:
+
+»Schwester, Sie kennen das nicht. Sie kennen das nicht, daß der Himmel
+plötzlich ein Abgrund scheint und entflieht und die Erde unter Ihnen sanft
+entweicht und am Horizont ein Strudel unermeßlich aufgeht und beginnt Sie
+aufzusaugen, der Sie sich schon langsam zu drehen scheinen. Schwester,
+bleiben Sie sitzen. Es könnte mich sehr stören, wenn Sie sich bewegten.
+Hören Sie: ich war niemals feig . . . nie . . .«
+
+Sie bewegte ihr stilles Gesicht hin und her.
+
+»Sie denken an meine Auszeichnungen,« schrie er sie an. »Nein. Sagen Sie
+nichts. Daran sollen Sie nicht denken. Das liegt außerhalb meiner
+Betrachtung. Bleiben Sie sitzen. Sie sollen an meine Seele und Ihren Mut
+denken. Können Sie das? He -- -- --«
+
+Sie sagte, ihr sei das Leben keine so besondere Sache, daß sie nicht auch
+dies vermöge.
+
+Da fing er an zu weinen, wurde sehr still und flüsterte: »Sie haben
+unrecht, Schwester . . . es ist alles . . . al . . . es -- --«
+
+Er schluchzte mit einem zerreißend stillen Laut.
+
+Darauf begann er wieder zu sprechen, kalt und hart.
+
+Seine Stimme flog aus seinem Munde, als sei sie durch ihn, beziehungslos zu
+den Lippen, die sie formten, aus irgendeiner dunklen Ferne geflossen. Sein
+Kopf hob sich bleich und edel über der Kante des Stuhls, und die Haut der
+Schläfen zitterte über dem blauen Geäder.
+
+»Mitteldeutschland . . . Schwester, beim zweiten Rücktransport von der
+Front nach der Passion von fünf durchlegenen Lazaretten . . .
+Mitteldeutschland im Westen . . . und es war Mai . . . das ist fabelhaft.
+Der Rhein war nicht fern. Himmel seidig und bebte vor Blau.
+
+Wir waren da fast alles Offiziere im letzten Stadium des Genesens aus böser
+Erkrankung wie hier fast . . . nur anders, süßer -- unbeschreiblicher. Es
+war ein modernes Schloß mit säuligen Bogen und Wiener Keramik, mein Gott.
+Dahinter Wälder und überall herum schweifige Hügel und Täler, leicht
+gesenkt. Es gab eine phantastische Hygiene. Marmor, weißes Gemöbel,
+Staubsektoren, Sonnenfenster, Duschen von oben, Duschen von unten. Es gab
+einen unendlichen von Weite ausgedehnten blauen Tanzsaal mit einem großen
+glänzenden Flügel. Pariser Millionäre hatten diesen strenglinigen Tempel
+gebaut und ihn einer südamerikanischen Tänzerin gegeben, die da die
+schönsten Mädchen Europas in die gleitende Form körperlicher Musik hinein
+erzog. Die Mädchen waren in einer nahen Stadt damals.
+
+Die Kirschblüte kam. Die unzähligen Bäume beschwebten sich weiß. Es flaggte
+drei Tage. Dann ging das flaumige Strahlen in einem wahnsinnigen Wind zum
+Teufel. Ich liebe diese Blüte nicht. Sie ist zu weich. Kennen Sie
+worpswedische Maler?
+
+Nein, -- ja, Schwester, was soll Ihnen Kunst, was soll Ihnen Bildnis?
+
+O Nebensache, o Nebensache! Leben ist hundsföttisch mehr, ich weiß.
+
+Nun ebenso schwach, so zag, ekelhaft überfein ist diese Blüte wie Zweige,
+gemalt von diesen Menschen, hypertrophierten Empfindungsdestillatoren des
+Seins. Leben ist breiter, saftiger, spritzender, Schwester: Weinernte am
+Rhein, Heringsfang in Holland, bürgerliches Schmausen im Elsaß . . .
+
+Dann brachen alle Apfelbäume aus. Unten die Blüten ein wenig rot, oben
+kräftig weiß. Die Hügelkette war zum Platzen voll von ihnen. Manchmal
+standen sie wie Haine zusammen. Ich liebe sie.
+
+Es roch, Schwester --«
+
+Er warf das Gesicht zurück in einer wahnsinnigen Spannung: »Ich fürchte
+mich,« flüsterte er.
+
+Sie legte ihre Hand auf seine.
+
+Aber er schüttelte sie ab: »Lassen Sie das --.«
+
+Sie ließ es. Sie setzte sich näher zu ihm. Seine Stimme fing wieder an:
+
+»Abends sanken Herden von Nachtigallen in die Bäume und verwüsteten die
+Nacht mit Süßigkeit.
+
+Niemand weiß das, der es nicht sah: Sie werfen ihren Hals hoch, daß er
+plötzlich mit Gesang, der nicht Ton wurde, rasend gefüllt steht gleich
+einer runden Trommel, eine glühende Blase, größer schier als ihr Leib, an
+der sie wie an Montgolfieren in die weiche Unendlichkeit verschweben
+könnten -- und dann werfen sie die stählerne Wärme der langen aufblitzenden
+Laute ergreifendsten Verzücktseins in die entzündete Dunkelheit.
+
+Wir hatten einen blonden Kameraden aus Bornholm. Er wurde verrückt, als
+nach einem Gewitter aus einem nassen Fliederbusch ein Dutzend Nachtigallen
+plötzlich mit Gesang aufklirrend sein Gleichgewicht zu schwer
+erschütterten.
+
+Ja, daß Schönheit tausendfach mehr tötet als Haß und Wut, Sie sollen es
+wissen. Was sage ich Ihnen, Schwester. Wo will ich hin . . . hören -- hören
+Sie mich? . . .«
+
+»Sie erzählen die Verzücktheit des Lebens . . .« sagte die Schwester innig
+und bewegt.
+
+»Ich erzähle die Verzücktheit des Lebens. Ja. O Rausch, o Sonne, o Ruhm, o
+Süßigkeit . . .« Er stemmte die Fäuste im äußersten Schmerz und
+schwärmerisch gegen die Brust.
+
+»An einem Abend kamen dreißig Damen, ein Fürst und viele Herren. Es hatte
+eine märchenhafte Art. Sie trugen seidige Kleider, Schwester, o von so
+feinen Firmen, die Sie nicht kennen. Und es gab wie Glas schimmernde Namen
+und schwermütige Profile.
+
+Es gab Lampione.
+
+Es gab Mond.
+
+Unter den Apfelbäumen war eine Lichtung. Der Hügel schob sich leicht und
+schräg gegen den Horizont.
+
+Wir saßen alle auf Stühlen, die auf der Wiese standen. Der Fürst hatte
+einen Säbel in einer Hand, in der anderen Blüten.
+
+Dann kamen die Mädchen, Jungfrauen im Alter bis gegen Zwanzig, die kein
+Mann berührt hatte und die nur wenige sahen, die sich, weibliche Narzisse,
+nur in der entrollten Geschmeidigkeit sälelang ins Uferlose gestellter
+Spiegel in ihren Körpern empfanden. Sie trugen kleine Tuniken, die wie
+nichts waren, und tanzten auf dieser schrägen Ebene uns gegenüber zwischen
+den Bäumen, tanzten mit Hüften, fließend wie die glatten Sprünge der
+Leoparden, Beinen . . . stumm vor Berauschtheit, und Armen, die sie im
+wilden Entsetzen der Schönheit in den Mond hinein schwangen.
+
+Alle gingen dann zurück zum Schloß, ich stieg zum höchsten Hügel . . .«
+
+Er hielt ein. Sein Blick tauchte verschleiert in die Tiefe des späten
+Mittags. Seine Worte fielen dann, als er wieder anhub, heftig, immer
+schärfer und in monotoner Geschwindigkeit. Sie fielen, als stünde einer im
+Licht in voller Rüstung und schlüge im riesigen Kreisschwung beider Arme
+zwei Schwerter pfeifend immer rascher durch die Luft.
+
+Er sagte:
+
+»Es war still geworden, fast tonlos. Manchmal allein in langen brausenden
+Linien stürzten schwere Hummeln auf die weiße Ebene der Bäume. Es war lau,
+weich, Wasserdampf schwebte in der Luft. Das ließ die Ferne vibrieren und
+die Sterne hatten davon etwas feuchten Schimmer. Hügel schob glatt über
+Hügel, Linie über Linie schwingend, in die Rheinebene. Bäume sprangen
+Abhänge hinauf, in der Nacht hin und her, und standen näher, tänzerisch
+zueinandergeneigt. Oben hing der Mond.
+
+Diese Nacht war ungeheuerlich in ihrer Üppigkeit. In ihrer nassen Glut. In
+ihrem unheimlich gesteigerten stummen Gebrüll nach Dasein und trunkenster
+Fülle des Lebens.
+
+Schwester: ich dachte da mit einemmal blitzhaft an die wüstesten und
+größten Dinge meines Lebens.
+
+Ich wußte um Grate im bayrischen Gebirg, die ich spielerisch als Knabe
+überrannt hatte. Ich sah den schweren Wahnsinn der afrikanischen Hetzen.
+Sah den zerschlagenen beuligen Kopf im Dirnenhaus des Genuesischen
+Hafenviertels im Augenblick des Erwachens verzerrt in schmutzigen Kissen.
+Ich wußte um das aufschreiende Werben fetzender Granaten, die trunkene
+Explosion der Abendschlacht. Ich sah ein Segelboot kentern im Starnberger
+See, sah den großen Verzicht eines feinen Mädchenauges (o weinen, weinen),
+sah den verwesten Leichnam des Freundes aus der Konfirmation im Park
+erhängt, sah das Sterben Maria Anderssons, die ich geliebt habe, die Schöne
+und Tanzende, wie einen bunten Vogel. Ich wußte um den Augenblick, der
+bewegungslos in der Pupille des Persers hing, als er in einer Pariser
+Spielspelunke den Dolch mir über die Achsel in den Rücken schlug -- --
+
+Was wissen Sie, Schwester, was einem Mann schwer und Gefahr ist . . .
+
+Aber ich wußte in dieser Minute: daß ich lächelnd dies alles wiederholen
+würde, daß ich singend wie ein Engel van Dycks gegen tausend Mündungen
+Kanonen gehen könne . . . statt dieser Minute . . . daß dies alles Erlebte
+eine kleine Prüfung, ein verächtlicher Vergleich und ein Geringes und
+Unwirkliches an Schwere sei gegen diesen _einen_ Augenblick des Erlebens.
+
+Denn es kam, daß ich vor der tobenden Süßigkeit der Nacht, in der das Leben
+dunkel rauschte wie ein verschlossener Schwarm von Bienen, daß ich vor der
+ungeheuerlichen Berauschtheit des Daseins mich hinwarf und weinte und
+grenzenlos den Tod zu fürchten begann.
+
+Den Tod, der mir eine gemeine Sache, Oberfläche und sehr gering zu schätzen
+erschien, wo er mir nahe war wie eine Kugel, ein Gift oder ein Dolch
+. . . und es mir blieb . . . in dieser Form . . . auch späterhin. In dieser
+Form . . . in dieser Form.
+
+Ich weinte.
+
+Und da schwamm aus dem Schloß das hungrige Begehren einer Geige, hob sich,
+klirrte wie ein scharfer Käfer, raste um die Hügel, hieb sich verzweifelt
+sehnsuchtsvoll in die starke Brunst der weißen Bäume und kreiste den
+Horizont ein in zuckende Tiraden.
+
+Und ich spürte die Hand, welche sie führte, fühlte mit gleichem Gefühl das
+weiche Fleisch des jungen Mädchens, das sie spielte, die rasche Berührung
+ihrer Brust, ihres streifenden Beines, das erzitternde weiche Fleisch mit
+dem silbernen Flaum, die mädchenhafte Weise des wiegenden Gangs, die
+königliche Süßigkeit . . . und ich brüllte, Schwester! Ich lief in den Hain
+und brüllte: -- Nicht sterben! -- brüllte ich. Riß kleine Zweige und
+zerkaute sie, bohrte das Gesicht in überschäumte Äste, betete, fluchte,
+weinte . . . es gab keinen Gott, der dies löste.
+
+Ich begriff es nicht: Den Tod belächeln, das Leben fürchten . . .
+
+Aber überall war Tod. Die Blüten brannten furchtbar an den unteren Flächen.
+Tausendfach schwoll Blut in der Luft. Eine riesige Spinne krampfte
+schnürend das Getanz der Apfelbäume zusammen, sie zitterten unter
+entsetztem Schrecken. Regenbogen schnellten durch die Nacht. Mord saß
+dunkel im Geäst. Ich ängstete auf der Stirn. Der Mond war mild. Aber die
+Sterne bogen sich herum und blitzten kalt wie die Spitzen unzähliger
+hingehaltener Schwerter.
+
+Und das Schweigen dehnte sich, als ob es zerreißen müsse, und die
+Stummheit, die volle maßlose Trunkenheit der Nacht kam in Bewegung, drehte
+einmal um und begann zu kreisen und ward ganz fern am Himmel ein dunkler
+Strudel, der sog und sog --
+
+Ich schrie. Hell. Entsetzt und außer mir . . . Ich wollte nicht sterben.
+
+Wollte nicht sterben. Nein . . schrie --
+
+Schwester, ich habe nachher noch, eh ich herkam, vor meinem Typhus, den Tod
+gekannt in vielen Phasen, nahe an mir vorbei oder sich zurückwerfend vor
+mir im letzten Moment des Anlaufs. Ich stand in ihm wie der Mittelpunkt
+einer Explosion zahlloser Schrapnells.
+
+Ich lüge nicht. Ich hob die Hand, ihn zu zerdrücken.
+
+Ich hob die Hand, verächtlich, und schlug nach seinem Gesicht --
+
+Aber in jener Nacht, da . . . da erkannte ich tiefer den Tod in der
+ungeheuerlichsten Schwellung des Lebens.
+
+Ich lief ins Schloß, kroch in eine Ecke und fürchtete mich.
+
+Ich wurde verachtet, geschmäht, verlacht. Man tat das Äußerste zur
+Erklärung des Unbegreiflichen im zivilen Dasein: man zweifelte an meiner
+Zurechnungsfähigkeit. Man hätte mich anspeien können.
+
+Ich hätte gebettelt: Leben . . . leben . . .
+
+So ist es.
+
+Schwester -- aber ich weiß, ich weiß nun mehr, unerträglich mehr wie alle
+anderen Menschen. Ich weiß: ungeheure Taten mögen geschehen, endloser Ruhm
+errafft werden von Dichtern, Feldherrn, Musikanten und Malern . . . im
+letzten Ziel ist Tod. Andere wissen das nicht, ahnen es, haben aber nicht
+die Schärfe ewigverkündlichen Wissens und Umsichfühlens.
+
+Wie ist die Welt bunt! Leichte Karussells laufen über die Jahrmärkte.
+Flieger erschwimmen die betäubende Höhe der Gestirne, gewiegt vom Nichts.
+Kapellen spielen in Theatern und Gärten. Mädchen tragen Schürzen im Hause
+und Bänder zum Ball. Und die Pferde . . . auch die Hunde sind schön und von
+Andacht . . . Städte erleuchten sich abends mit sanftem Gas.
+
+Wie kann ich dieses Beschwingte fürder noch spüren, den feinen Reiz und die
+breite Schönheit, wenn ich den Tod darin sehe jederzeit? Und muß sie doch
+lieben grenzenloser als immer und brennender wie jeder, weil ich weiß, daß
+das Leben so schwer und so gewaltig hoch das Letzte ist. Aber meine
+glühende Liebe wird stets auf den Tod stoßen, und so werde ich hin und her
+geschleudert sein, ahasverisch und in einem verzehrenden Tosen, zwischen
+ungeheuerer Anbetung und tödlicher Erkenntnis.
+
+Ich werde in unmenschlichen Spannungen leben müssen, denn das Spannungslose
+saugt mich auf. Ich werde lächeln und, von Gefahr und höchstem Erleben zu
+anderen springend, mich bewegen wie aus dem Arm von unzähligen Frauen in
+den von neuen Namenlosen. Es ist eine tolle übersinnliche Liebe zum Leben
+dies, Schwester.
+
+Ich werde nicht mehr ruhen können.
+
+Denn Gefahr ist ein kleiner Augenblick und Sterben darin eine strahlende
+Sekunde. Schönheit der Welt aber dem Wissenden eine unendliche Qual und
+Bedrohung und ewige Leere.
+
+Ich möchte nicht, daß Sie an diese Erkenntnis streiften, Schwester, weil
+Sie ein schönes und ruhiges Gesicht haben.
+
+Ich bin von Freude geschwellt für den Augenblick, wo ich hier abziehe. Denn
+alles da ist trostlos und müd und ohne Heroischkeit.
+
+Sehn Sie, es ist furchtbar, wenn ich müßig in die Ferne schaue . . .
+Schwester, liebe Schwester . . . wie der Horizont sich dann zusammenzieht,
+wie Hügel hineinschwanken und gleichsam in einem Rachen verschwinden.
+Manchmal blinkt es silbern. Nun hebt sich die Ebene. Taumelnd gurgelt die
+Welt in den Strudel. Die Leere . . . die Leere --
+
+Glauben Sie nichts. Ich weiß, daß das eine Vision ist, daß wir fest stehen
+und unerschütterlich, wie wir es glauben. Aber ich empfinde alles im
+Gleichnis, und oft ist Gleichnis uns die nächste und verwirrend deutlichste
+Realität. Ich sehe vieles im Bilde, weil ich in einer übersteigerten
+Sekunde über das Leben und gewöhnte Maß hinaus _erkannt_ habe.«
+
+Er schwieg und schloß die Augen.
+
+Er sagte noch: »_Wo ich das Grauen vor dem Tod am zerschmetterndsten
+empfunden habe, an dieser Stelle, meine ich, muß die ungeheuerlichste Kraft
+des Lebens sitzen --_
+
+Darum rief ich, wie ich sterben sollte, nach diesen Bäumen.«
+
+Er sann nach. Und plötzlich schien Furchtbares auf ihn zu stürzen.
+
+Aber bald formte sich sein verzerrter Mund in lächelnde Ruhe, und er
+flüsterte halb singend, somnambul: »Die Bäu . . . me --«
+
+Dann schüttelte er kurz den Kopf, lächelte rasch und sagte: ». . . Liebe
+Schwester -- müssen Sie nicht bei all diesem auch dem Tode näher sein als
+dem Leben?«
+
+»Nein,« sagte die Pflegende unendlich mild und fest, »es ist das
+Gegenteil.«
+
+Er sah sie staunend an.
+
+Dann aber war es, als rase das entsetzliche Erleben in einer letzten
+grauenhaften Spannung noch einmal in ihm hoch.
+
+Er warf die Hände in die Luft und rannte hinaus.
+
+Die Pflegende ging ans Fenster und lehnte sich ruhig hinaus. Sie sah ihn
+eilig hinauslaufen und in den Hof einbiegen.
+
+Dort stolperte er über eine Gießkanne, schwebte kurz in der Luft und
+taumelte dann zur Seite. Er fiel, die Hände vorgestreckt, in einen Hügel
+und bohrte auch sein Gesicht hinein.
+
+Es war Kuhdünger aus den Ställen vom Morgen her.
+
+Der Hügel dampfte in einer weißen Wolke warm und schön.
+
+Er aber tat den Kopf nicht gleich zurück, sondern ließ ihn wenige
+Herzschläge lang da noch liegen, denn er fühlte in einem wunderbaren
+Gefühl, daß diese Lage unschön sei und schmutzig vielleicht und auch wohl
+manchem großen Ekel machend, aber (was viel größer sei) tief und warm und
+so unendlich voll Dasein.
+
+Die Pflegende am Fenster hob ihr Gesicht ein wenig höher und dachte: O
+diese Hölle in _einer_ Brust. Er wird das Leben furchtbar packen wie eine
+unendliche Geliebte. Wie ich ihn lieben muß.
+
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Das rasende Leben, by Kasimir Edschmid
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS RASENDE LEBEN ***
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+Produced by Jens Sadowski
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+The Project Gutenberg eBook of Das rasende Leben by Kasimir Edschmid (German).
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+The Project Gutenberg EBook of Das rasende Leben, by Kasimir Edschmid
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+with this eBook or online at www.gutenberg.org
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+Title: Das rasende Leben
+ Zwei Novellen
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+Author: Kasimir Edschmid
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+Release Date: December 8, 2009 [EBook #30628]
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+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS RASENDE LEBEN ***
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+Produced by Jens Sadowski
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+Transcriber's Note:
+Text that was s&nbsp;p&nbsp;a&nbsp;c&nbsp;e&nbsp;d&nbsp;-&nbsp;o&nbsp;u&nbsp;t has been changed to <i>italics</i>.
+</p>
+
+
+<h1>
+<span style="font-size:xx-large">DAS RASENDE<br />
+LEBEN</span>
+<br />
+<br />
+<span style="font-size:small">ZWEI NOVELLEN<br/>
+<br />
+von</span><br/>
+<br />
+<span style="font-size:large">KASIMIR EDSCHMID</span>
+</h1>
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+
+<p class="center">LEIPZIG<br />
+<br /><br /><br /><br /><br /><br />
+KURT WOLFF VERLAG
+</p>
+
+<p class="center" style="page-break-before:always">
+Bücherei »DER JÜNGSTE TAG« Band 20<br />
+Gedruckt bei E. Haberland in Leipzig.
+</p>
+
+
+
+
+
+
+<p class="center">
+<br /><br /><br /><br /><br /><br />
+<br /><br /><br /><br /><br /><br />
+<br /><br /><br /><br /><br /><br />
+<br /><br /><br /><br />
+<span style="font-size:small">
+COPYRIGHT/KURT WOLFF VERLAG, LEIPZIG/1915
+</span></p>
+
+<p class="center" style="page-break-before:always">
+Diese Novellen reden im hauptsächlichen Sinn nicht<br />
+(wie das vorausgegangene Buch) vom Tod als einer<br />
+letzten Station, nicht von Trauer und vom Verzichte.<br />
+Sie sagen auch nicht: leben. Sie sagen: rasend<br />
+leben. &mdash; &mdash; Mit vierundzwanzig Jahren starb, ein<br />
+ungeheueres zersprungenes Gefäß der Kraft, zu<br />
+früh mein Landsmann und sehr großer toter Bruder<br />
+Georg Büchner. Er stammte aus Darmstadt, liebte<br />
+den Elsaß und ist mir auch sonst seltsam nahe.<br />
+Schrieb Lenz, Danton, Wozzek und die unendliche<br />
+Süßigkeit Leonce und Lenas.<br />
+Ich widme dies Buch des größten<br />
+Lebenswillens seinem großen<br />
+Andenken.
+
+
+</p>
+<h2 class="chapter">DAS BESCHÄMENDE ZIMMER</h2>
+
+<p class="first">DEN ABEND war ich bei einem Freunde. Wir
+waren allein. Wir hatten uns in politischen Dingen
+ausgerast. Wir hatten Tee getrunken, der &mdash; ich
+glaube &mdash; sehr leicht nach dem Haar von Kamelen roch.
+Er sprach von einer Jagd in Turkestan. Darauf sagte
+ich einiges und beiläufig von Wintertagen bei Utrecht.
+Dann redeten wir lange wieder von Paris. Ich hatte gerade
+die Schattenspiele der Connards erwähnt und wollte
+anfangen, von dem merkwürdigen Effekt zu erzählen,
+als ich Wolfsberg ohne Bart am Square de Vaugirard
+traf .&nbsp;.&nbsp;. da war mein Freund, der ganz ruhig gesessen
+hatte, wie unter einem lang zurückgehaltenen Entschluß
+rapid aufgestanden und hatte mich durch sein Bad in
+ein Zimmer geführt, von dessen Existenz ich keine
+Ahnung hatte.
+
+</p><p>Er hob den Arm. Zwei Lichter am Fuß der Wände
+füllten sich langsam mit prächtigem Licht und strichen in
+warmen Flutungen und Bündeln die honiggelben Seiten
+hinauf. Dann öffnete er das große Fenster nach der
+Straße und schob eine Jalousie vor das Loch. Sein Profil
+stand rasch, von Abenteuern zerfetzt, aber gütig, vor
+dem hellen Tuch .&nbsp;.&nbsp;. dann waren nur seine Hände da,
+die grotesk waren in ihrer Röte und noch mehr wie
+sonst denen eines Matrosen ähnlich schienen, wo sie allein
+von Licht überspielt dastanden. Kraft, die in Weichheit
+gebändigt war, ging von allen seinen Bewegungen aus.
+
+</p><p>Dann öffnete er gegenüber zwischen zwei Schränken
+das Schiebefenster zum Garten. Sommerliche Nacht
+strich herein. Das Tuch lehnte sich tief aus der Füllung.
+Schatten überschaukelten den Teppich und an den Wänden
+zog ein Klappern hin. Es war ein melancholisches
+unangenehmes Geräusch. Als ich aufsah, lächelte der
+Freund, wies mit halbgedrehter Hand auf die Bilder,
+die die hohe und breite Mauer in einem Gurt durchschnürten,
+daß über und unter ihnen eine gleiche Fläche
+glänzender Tapete freiblieb. Sie hingen an Stricken, Bändern,
+Seidenkordeln und Tauen. Einige bedeckten sich
+fast völlig, manche überschnitten sich mit den Rahmen
+und bildeten in allen Stufen und Farben zusammenhängend
+ein eigentümliches Mosaik.
+
+</p><p>Wies auf die Bilder und sagte: &bdquo;Es ist keines darunter,
+in dem nicht ein Erlebnis wühlte. Es ist eine
+Laune oder ein Experiment. Ich muß es abwarten. Ich
+habe sie hier aufgehängt ohne Auswahl, ohne Ordnung,
+je wie ich hierher zurückkehrte und wie es mir gefiel.
+Es liegen Jahre in manchem eingeschlossen und strömen
+sich aus.
+
+</p><p>Oft ist mein ganzes Zimmer hier voll von dem Frühling
+in Paris. Dieses Bild ist die Schaukelnde des Fragonard.
+Sie hat das eine Bein zurückgezogen, das andere
+zieht in dem trotzigen Aufschwung noch die Volute der
+losgeschnippten Pantoufle nach, und um diese graziöse
+Entblößung fällt das Schwebende der weiten Robe und
+der Duft der Farbe, der gleich einer Wolke darübersteht.
+
+</p><p>Ich kaufte es eines Abends an einem Tag, da wir
+morgens nach St. Germain gefahren waren. Es war der
+erste jener bezwingenden Tage, die aufquellen aus einer
+gleichgültigen Nacht und voll sind von der Zärtlichkeit
+des Blaus und der warmen Stille einer Verheißung. Wir
+standen auf den Dächern der Waggons, die starrten von
+Ruß. In den Gärten brachen
+die Mandelbäume auf. Wir liefen wie ganz junge Hunde die
+Quere durch den Park. Es gibt in dieser Zeit nur eine Seligkeit:
+fühlen, wie das Spiel der Muskeln um eine Freude herum
+erwacht. Wir lachten und liefen, sprangen über Hürden, öffneten
+eine Holztür mit Lilien .&nbsp;.&nbsp;. und dann wußten wir erst,
+daß wir Eindringlinge seien: als wir gerade hineintraten in das
+Rondell.
+
+</p><p>Aus einem Bogengang ließ sich eine Schaukel nieder. Eine
+Dame saß darin. Sie trug ein dünnes hellrosa Kleid. Wir sahen
+sie vom Rücken. Ihre Arme umfingen die beiden Schnüre und
+zogen sie in einer lässigen Knickung zusammen, wobei sie sich
+etwas nach rechts lehnte. Ihre nach vorn vereinigten Hände
+mußten etwas halten, über das sie den Kopf senkte. Es war
+so still, daß man die Schaukel quietschen hörte, wenn die
+Dame am vorderen Auslauf sich mit dem einen Bein an einem
+in rotpunktierten Blüten stehenden Aprikosenbaum abstieß,
+während sie das andere hastig zurückzog. Dabei senkten sich
+jedesmal eine Handbreit Spitzen unter dem Brett augenblickslang
+über ein sehr zierliches Bein.
+
+</p><p>Dann hörte sie uns. Sie glitt von dem Holz. Ihr schmaler
+weißer Kopf senkte sich schräg. Sie raffte mit einer schützenden
+Bewegung die dünne und kurze Matinee. Damit gab
+sie sich noch mehr preis. Wieder erschien ihre Wade in dem
+glänzenden Strumpf und der noch hellere Schuh. Allein das
+merkwürdige war .&nbsp;.&nbsp;. sie ward nicht rot, nicht verlegen, sagte
+nur mit einer Stimme, die kindlich war, anklagend, alles war
+und umschloß in Inhalt, Tiefe und Modulation dieses &sbquo;Good
+morning&lsquo; &mdash; nur dieses &mdash;, schritt langsam, ohne
+wieder herzusehen, in einen Seitenweg.
+
+</p><p>Wir zogen uns zurück.
+
+</p><p>Ein Erlebnis wie ein Pastell .&nbsp;.&nbsp;. sagte einer.
+
+</p><p>Kindlich, dachte ich, niedlich, ästhetisch! Verstehen Sie!
+Es war kein Herr dazugekommen, niemand hatte gerufen,
+etwas gesagt, nur ein Geräusch: good morning.
+
+</p><p>Aber am Abend im aufheulenden Lärm des Boulevards
+kaufte ich dies Bild. Manchmal hörte ich den Klang
+der Stimme nachts im ganz Stillen, oft am Meer, im
+Orkan der Versammlungen, im Räderstampfen und in der
+Explosion der Dampfer. Jetzt im Augenblick rieche ich,
+physisch &mdash; Sie lächeln &mdash; ich rieche jeden Geruch jenes
+Morgens, das Feuchte vom Boden, das Arom der Luft
+zwischen den Knospen, den Aprikosenbaum und das
+Warme darüber. Sie sehen, mit welch wahnsinniger Intensität
+sich ein Erlebnis einfressen kann, das wir zuerst
+flach empfinden und leicht ablösbar wie die Spur des
+Atmens an einem Spiegel .&nbsp;.&nbsp;. und das bleibt, stärker und
+nachwirkender wie das Ungeheuere im ersten Erblicken
+eines anderen Erdteils, wie verstörter Ehrgeiz und Tod
+der Schwester. &mdash; &mdash; &mdash;
+
+</p><p>Ich habe stets das gedacht, was mich retten konnte.
+Darum liebe ich jenes Bild. Es ist wenig daran. Eine
+alte Radierung, zwei alte Menschen, ganz dunkel, um
+die Köpfe nur ein wenig Licht. Ich dachte mir einiges
+Angenehme dazu. Es half mir. Ich lag damals immer
+zu Bett, krank und mutlos. Ein kleines Mädchen schenkte
+es mir, das abends in den Vorstädten geigte. Ich besinne
+mich vergeblich auf ihre Haltung. Ich weiß keinen Zug
+mehr von ihrem Gesicht. Aber ich weiß, wie sie das
+Bild auf meine Decke legte und ihren grauen baumwollenen
+Handschuh daneben, der irgendwo dunkler geflickt
+war. &mdash; &mdash; &mdash;
+
+</p><p>Der Goya da kam eines Morgens als Paket in graues
+Sackpapier eingeschlagen. Mag sein, daß ich mißmutig
+war. Riß es auf, und der Riß fuhr in ihn hinein, klaffend
+bis mitten in die Kampfszene. Genau zwischen Stier,
+der den Nacken zum Stoß einzieht, und Pferdebauch und
+gerade über den schnelleren Heft der Lanze.
+
+</p><p>Er kam von einem Brasilianer, mit dem ich eine Nacht
+fuhr von Kowno nach der Grenze. Es war Schneesturm.
+Er sagte mir mit Leidenschaft vieles von seiner Heimat:
+dem fürstlichen Meer des Amazonenstroms, den glühenden
+Nächten, die sie erträglicher machten durch das Genießen
+unzähliger Kannen sehr heißen Kaffees, und dem
+Gekreisch der Papageienherden.
+
+</p><p>Der Sturm brach sich an der Böschung, drückte mit
+blödsinnigen Stößen auf den langen Leib des Zuges.
+Wir wurden warm und zogen zusammen das Fenster
+herunter. Sofort zerbrach es. Die Scheibe spritzte uns
+ins Gesicht. Wir bluteten mit vielen kleinen Wunden.
+Der Wind knallte das andere Fenster hinaus, die
+Rahmen krachten. Schnee stopfte uns den Mund voll,
+wenn wir sprechen, rufen wollten, wir würgten, konnten
+nicht atmen. Pse! lachte der Brasilianer. Mehr hörte
+ich nicht.
+
+</p><p>Hagel klatschte uns gegen das Gesicht, das anschwoll,
+schmolz daran, und fror im gleichen Augenblick in einer
+Maske von Eis wieder vor. Wir sahen aus, als hätten
+wir Gesichter aus Glas oder von roter Gelatine. Denn
+wir bluteten sehr und lachten.
+
+</p><p>Es ist auf dem Bild des Stierkampfs nur die unterste
+Reihe der Zuschauer zu erkennen. Doch es scheint: eine
+Welle von Wut und Ekstase sei das Amphitheater in
+einer Kaskade hinuntergestürzt und habe sich in diesem
+Parkett bäumend gestaut.
+
+</p><p>Es ist eine schwere Lache Blut auf dem Bild.
+
+</p><p>Der Stich liegt auf einem alten gelben Papier, das
+vor Leidenschaft knistert, wenn die Sonne durch das
+kleine Fenster in einer Säule darauf steht.
+
+</p><p>Ich denke gern an diese Nacht.
+
+</p><p>Aber ich liebe noch mehr jenen Sommer, in dem alle
+Tage waren wie jene Nacht.&ldquo; (Er hob mit steifem Arm
+eine breite, weißgerahmte Radierung heraus, daß die
+Schnur sich straff ins Zimmer spannte, und blieb, sie auf
+der hohlen Hand wiegend &mdash; die andere in der Tasche &mdash;
+stehen.) &mdash; &bdquo;Man kann nicht anders empfinden: Alles
+ist hier bezwungen von dem bleichen Weg. Sei es, daß
+er zwischen dunklen Hügeln in einer geheimnisvollen
+Biegung läuft, .&nbsp;.&nbsp;. ob dämmrige, schwere Fischerhäuser
+nebenan der Düne liegen mit verglasten Luken und
+dann der Spuk der Telegraphenstangen ihn begleitet bis
+zu dem Kreuz auf dem Hügel .&nbsp;.&nbsp;. mag sein, daß das
+alles die geballte Atmosphäre gibt von Trauer, Unheil
+und ganz schwachem süßem Licht am Horizont .&nbsp;.&nbsp;. ganz
+groß und so, daß er all dies missen könnte, ist nur der
+lange weiße Gang des Wegs, der sich langsam mit unheimlichem
+Wollen, steigend, verblassend, in den grauen
+Himmel über den Dünen wie in ungeheure, frevelhafte
+Übersinnlichkeiten hinausschraubt.
+
+</p><p>Es ist ein Sujet aus Bornholm von dem jungen Radierer
+Georgi. Ich traf ihn auf einem Petroleumsegler
+von Kopenhagen nach den Faeroers. Wir waren die
+einzigen Passagiere. Und die einzigen Fremden (wenn
+wir einen kleinen Botaniker, der nach drei Tagen von
+einem unmöglichen Hügel abstürzte, nicht rechnen) auf
+den Faeroers von Anfang Juli bis in den Oktober hinein,
+der schon Eis brachte von Island her.
+
+</p><p>Wir lebten jeder in einem anderen Fischerdorf. Er
+zeichnete. Ich schrieb, nein ich fischte, schoß mit einem
+siebenendigen Kugellazo nach Vögeln und liebte die breiten
+Mädchen. Meistens war Sturm. Er kam und man
+fühlte ihn rund oder blau und so stets wie als könne
+man ihn packen irgendwo. Oft schien es, er flösse aus
+einer immer breiteren metallenen Hülse, dann stieg er
+auf der See hoch gleich einem Segel und überschwemmte
+in einer plastischen Strömung den Strand.
+
+</p><p>Häufig lagen wir einen ganzen Tag auf einer Klippe,
+die in rechtem Winkel hinabsauste zum Meer. Wir
+hatten die Köpfe in den Arm gewühlt. So raste der
+Wind. Ganz hell, fast weiß war der Himmel. Wir
+konnten nicht aufstehn. Er hätte uns hinuntergeweht.
+Ganz sacht vielleicht, spielend wie ein Stück Tuch, locker
+es aufhebend, kreisend, rasch senkend und dann aufs
+Wasser legend. Wer weiß! Zeitweis hielt ich mit aller
+Kraft (er machte eine Parade als zerknackte er etwas
+im Armgelenk) einen Block vor den andern, auf den er
+Striche setzte. Wie hinter einer Barrikade verschanzt
+und in atemloser Eile. So raste der Wind.
+
+</p><p>Ich lag ein anderesmal allein einen Tag in brennender
+Sonne und dann noch eine Nacht auf einem Felsen und
+wagte <i>einen</i> Tritt nicht zurück, bis morgens unten die
+Mädchen der Fischer vorüberfuhren. Eine trug einen
+roten Rock. Sie winkte. Sie rief: Du bist früh hinaufgestiegen
+.&nbsp;.&nbsp;. Sie war aus Store Dimon. Da tat ich es.
+
+</p><p>Wir trugen keine Schuhe in dieser Zeit. Bündel Bast
+lagen um unsere Füße. Unsere Insel hatte einen kleinen
+Strand. Schwarze Felsen lagen um sie herum in Aufstiegen
+von hundert Metern. Unten formten sie kleine
+in sich selbst strudelnde Fjords von hinreißender Elastizität
+der Linie. Ganz schwarz waren sie und am Abend
+wie Basalt dunkelblau. Manchmal lösten sich hellere
+aus den anderen und wurden Mövenschwärme, die
+den Himmel zuzogen und das Meer überschrien.
+
+</p><p>Aller acht Tage kam der Dampfer von Edinburgh, der
+Konserven brachte und Tabak. Er legte nur bei gutem
+Wetter an. Während der großen Sturmzeit kam er vier
+Wochen nicht. Mit dem Glas sahen wir ein paar Amerikaner
+an der Reling stehen, die nach Island fuhren. In
+dieser Zeit versäumte ich die wichtigste Post in meinem
+Leben. Was lag mir an Post?
+
+</p><p>Teufel lag mir daran. Merde lag mir daran .&nbsp;.&nbsp;.
+
+</p><p>Freund! in diesen Tagen fingen wir eine Art Delphin.
+Größer als ein Mann. Aufgesperrt den Rachen mit Lamellen
+aus samtnem Weiß. Die Augen ganz dunkles
+Violett mit einem rötlichen dünnen Schein drüber von
+der Sonne, die ihm gerade hineinschien. Einer der Fischer
+mit einer farbigen Mütze, die lang, spitz über den Rücken
+fiel, stieß ihm eine Harpune in den Rachen, stieß immer
+noch nach, als die Augen schon hinstarben, keine Sonne
+mehr brachen und der Leib aufbrandete in drei zuckenden
+Sprüngen. Der scharfgefloßte Schwanz wühlte ein
+Loch in den Sand, schlug, rasend wie der Kolben eines
+Preßlufthammers, wütenden Takt und machte Wind an
+dem stillen Tag. Seltsames Ding, dieser Schwanz: Porös,
+wie gewebt aus Gallerte, weichem Stahl und etwas, das
+war, als ob es köstlich sein müsse auf der Zunge oder
+schön in einem merkwürdigen Gefäß und vor allem von
+einer so maßlosen feuchten Fremdheit. Ich glaube, daß
+ich nie etwas Neueres erlebte, etwas Seltsameres sah als
+die Flosse des Fisches, die mit einer nie empfundenen
+Ekstase auf meine Seele stieß.
+
+</p><p>Was war mir der wichtigste Brief meines Lebens?
+
+</p><p>Zut .&nbsp;.&nbsp;. ein Dreck war er mir.
+
+</p><p>Zwischen Georgis und meinem Dorf lag eine schwierige
+Klippe. Morgens schossen wir, ließen die Echos hinüber-
+und herüberrollen, grüßten uns so. Abends trafen
+wir uns darauf. Dann sahen wir ins Innere der Insel,
+das wie eine Arena war, in deren Mitte das große, weiße
+Viereck lag, das Gebäude für die einzige Krankheit,
+die diese Menschen hinfrißt, Männer Frauen, Frauen
+Männer, durcheinander, wie es kam, aus ihren Hütten
+heraus in dies Gebäude, das in das Dunkel noch lange
+hinausblitzt wie der Bauch eines Hais. &mdash; &mdash; &mdash;
+
+</p><p>Um zu diesem tief vorwachsenden holländischen Rahmen
+zu kommen, von dem ich wollte, daß er aus dem
+siebzehnten Jahrhundert sei .&nbsp;.&nbsp;. vielleicht ein wenig früher,
+aber keine Minute mehr, mußte ich achtundzwanzig
+Seineantiquariate durchsuchen vier Tage lang, dann fand
+ich ihn .&nbsp;.&nbsp;. und sollte dazwischen das Überfahrenwerden
+eines blonden Kindes erleben, das mir jeden
+Morgen um zehn Uhr auf der ersten Straße des Jardin
+des Plantes ein Lächeln ins Gesicht warf. Es hatte ein Kleid
+aus schwarzer Seide und eine gelbe, schöne Krause an.
+
+</p><p>Von dem Bild in diesem Rahmen, das Segelboote zeigt,
+will ich nicht erzählen. &mdash; &mdash; &mdash;
+
+</p><p>An dem kältesten Tag, den ich in Deutschland erlebte,
+stand ich vor dem Bildzyklus in der Ecke dort,
+Hallo .&nbsp;.&nbsp;. ich stand nicht. Ging!
+
+</p><p>So kalt war es. Ging auf den Holzfliesen. Aber die
+Kälte brannte mir in die Füße. Ich ging rascher und
+dann sehr rasch. Drei Schritte auf das Bild zu, drei
+kleinere es entlang nach rechts, sechs die ganze Fläche
+hinunter nach links, zurück zur Mitte und drei wieder,
+langsamer, rückwärts .&nbsp;.&nbsp;. und so fortfahrend eilender
+im Schauen, unheimlich und lautlos gleich der Parade
+des schwarzen Panthers vor seinem Gitter im ersten
+Käfig in Frankfurt.
+
+</p><p>Es ist der Isenheimer Altar des Grünewald. Sehen
+Sie die übersinnliche Kraft des Lichtstrahls aus der oberen
+Ecke und den Leib dieses Leprösen, der schon grün ist
+und überfault und so vegetativ, daß er sich nach Erde
+sehnt und halb schon Erde ist, aber hier aufgefangen
+steht als qualvoller Schrei des Fleisches zwischen Sehnsucht
+und Hiersein und Bestimmung zum Ende. Ganz
+Kolmar klirrte an diesem Tag vor Kälte.
+
+</p><p>Ich liebe das Bild, weil es mich plötzlich mit einer überflutenden
+Intuition mehr als durch tausend Bücher wie
+durch eine klaffende Wunde hineinschauen ließ in das
+aufzischende Herz des Mittelalters. &mdash; &mdash; &mdash;&ldquo;
+
+</p><p>(Nun hob er den Arm, als wollte er eine Lanze werfen
+und beschoß mit den zitternden Kreisen der elektrischen
+Taschenlampe ein ganz kleines Bild) &bdquo;Erinnerungen eines
+Monats in einem schottischen Landhaus. Abends Silber,
+Kerzen, Toaste. Sonst Gehen auf geraden Wegen im
+Park, Rasen, zwei Schwestern, Lilith und Jane, Rudern
+mit den Brüdern, die auf Ferien aus Oxford waren, und
+zwischen all diesem Frischen endlose Ruhe. Holte mir
+Arbeitslust für ein paar Jahre. Stahl, als ich wegging, von
+der Diele diesen winzigen Stich. Es ist eine Szene mit
+Affen. Einer trägt das Kostüm Voltaires. Steht darunter:
+the travelling monkey. &mdash; &mdash; &mdash;
+
+</p><p>Weheste und zarteste Erlebnisse, die wahllos ineinanderstürzen,
+aber binden sich an diese Silhouette. Germaine
+schnitt sie mir, ultramarin auf orange, in unserem
+kleinen Haus an den Tuilerien, als der Sommer dunkel
+und mit Gerüchen durch unsere Gardinen wehte. Niemals
+in der grenzenlosen Flucht der Zeit habe ich den
+Leib einer Frau mit dieser Hingebung geliebt wie den
+Germaines. Ich ließ sie alle Tänze lernen, die ihren Gliedern
+neue Linien, tiefere Inbrunst und glänzendere Seligkeit
+geben konnten. Am schönsten war sie, wenn sie auf
+einem Fell abends neben meinen Füßen lag.
+
+</p><p>Sie trug ein langes weißes Hemd, träumte und färbte
+die Nägel ihrer Zehen. Draußen der dunkle Garten bewegte
+sich manchmal. In Pausen ging jemand vorüber,
+roter Himmel wuchs über die Rideaux, und wir wußten,
+wie nah und brennend Paris über der Seine sei.
+
+</p><p>Germaine saß oft tagelang auf ihrem sechsbeinigen
+Schemel und schnitt Silhouetten. Dann nahm ich sie mit
+ans Meer in
+ein kleines Nest der Bretagne. Tagelang wieder lagen wir da
+im Sand, ihr Leib an meinem Leib, und wenn sie anfing zu
+zittern, dann ward es Abend, und die Nacht schliefen wir in
+einem Bett, das Boot war, und Germaines Glieder lagen auf
+den schweren roten Decken wie Achat.
+
+</p><p>Paul Fort sagte von ihr, sie sei rührender als ein Papillon und
+schmerzender als ein Gedicht von Francis Jammes.
+
+</p><p>Germaine liebte mich, ehe sie mich verließ, aber sie hatte keine
+Seele. Allein sie besaß &mdash; unsagbarstes Wunder &mdash; besaß
+Knie von ungeheurer Süße, kleiner, zärtlicher als die Brust
+eines schlanken norddeutschen Mädchens von dreizehn
+Jahren. &mdash; &mdash; &mdash;
+
+</p><p>Den Carrière in dem ovalen Rahmen nahm ich aus dem
+Zimmer des Malers Binetti, als er nach dreitägigem Kranksein
+an Cholera starb. Stunde auf Stunde, den ganzen letzten Tag
+rief er einen seltsamen Namen. Er diktierte mir einen Brief,
+dessen Adresse ich nicht verstand. Binetti schrie. Ich habe ihm
+Wasser gereicht. Habe ihn in Eis gepackt. Ich habe ihn gebadet
+mit einer alten Frau. Binetti schrie den Namen. Ich habe ihn
+nicht verstanden. Am Abend gestikulierte er und formte
+immer eine merkwürdige Gebärde in die Luft. Sein Blick
+wollte mich zwingen, zu begreifen. Immer wieder machte er
+die Bewegung, und eine maßlose wütende Angst löste sich von
+seinen Augen ab. Er stieß mit der Zunge noch lange wie mit einem
+Dolch in die Luft, rascher, qualvoller, spitzer. Aber ich verstand
+es nicht.
+
+</p><p>Der Brief ist das Furchtbarste an Weh. Ich habe die Adresse
+nie gefunden. Es war in Marseille. Der Mond bewarf das Meer
+von flachen Dächern mit einem Licht, daß sie, eine aufflammende
+Kette von Spiegeln, Feuer in den Himmel brannten.
+
+
+</p><p>Vom Hafen her heulte das wahnsinnige Schmerzgeschrei
+eines Arabers die Straße herauf.
+
+</p><p>Ich und Binetti, wir hatten nach Tunis fahren wollen.
+
+</p><p>Ich trug diesen Brief in der Tasche, und manchmal
+machte ich die vage Geste in die Luft und wunderte
+mich und erschrak und wollte mich zwingen, es zu lassen.
+Aber sie hatte Macht über mich bekommen und meinen
+Nachahmungstrieb vergewaltigt, und so lief ich, ein Automat
+der fürchterlichen Gebärde des Sterbenden, den Quai
+entlang. Und ich fühlte, wie ich anfing einen Namen zu
+rufen, der sich langsam rundete wie aus einem zu A hin
+erhellten O mit fremden Palatallauten dahinter. Bis ich
+mich plötzlich wiederfand und den Kopf in die Fäuste
+geklammert aus dem Hafen rannte. Zwei Sergeanten
+traten mir in den Weg. Ich kam in eine Allee, wo ein
+Weinen mich nahm und über eine Bank warf.
+
+</p><p>Dies war die einzige Nacht, in der ich sterben wollte. &mdash; &mdash;
+
+</p><p>Den mennigroten Tod aus Wachs über Ihrer linken
+Schulter .&nbsp;.&nbsp;. nein so .&nbsp;.&nbsp;. ja .&nbsp;.&nbsp;. schön .&nbsp;.&nbsp;. schenkte mir der
+finnische Dichter Karelainen, der eigentlich Grönquist
+heißt. Grönquist ist schwedisch. Karelainen ist finnisch,
+Darin besteht der wesentliche Wert Karelainens, daß er
+sich eindeutig so und nicht anders heißt. Denn seine Verse
+sind schlecht. Für den Adel und die Intelligenz ist das
+Schwedische die höhere Sprache, und sie heißen sich mit
+solchen Namen. Karelainen stemmte dem aber seine
+breite Brust entgegen, seine feinen Hände dazu und vor
+allem das helle Wunder seines Mezzosoprans und propagierte
+mit dieser dreifachen Opposition das Finnische.
+
+</p><p>Aber es handelt sich nun keineswegs um Finnland.
+Wir saßen in einer schmutzigen Schenke einer kleinen
+Stadt an dem litauischen See Ssilkine, in dem wir gefischt
+hatten.
+
+</p><p>&bdquo;Die litauischen Weiber sind Klötze Fleisch. Die Liebe
+der Männer geht über sie hin, Unempfindliche, wie eine
+Welle beim Krebsen oder ein Schlag auf den Schenkel.
+Sie atmen kaum.
+
+</p><p>Die litauischen Männer haben einen seltsamen Gang.
+Ihr Blut ist dick und ihre Brunst ist die der Zugtiere.
+
+</p><p>Aber es gibt keinen Treubruch, niemals .&nbsp;.&nbsp;.&ldquo; sagte
+Karelainen.
+
+</p><p>Er sah mich forschend an. Ich schaute an ihm vorbei
+Da winkte er ungeduldig einem Hausierer, der, ein
+Grubenlicht vor den Bauch geschnallt, in der Ecke Spiritus
+trank, kaufte den roten, wächsernen Tod und schenkte
+ihn mir.
+
+</p><p>Er wußte, daß ich jede Nacht bei der jungen Frau des
+Wirtes war, die neunzehn Jahre und ganz weiße Haare
+hatte und eine Haut, glatt wie ein Aal.
+
+</p><p>Es ist nicht wahr, daß die Litauerinnen in ihren Betten
+liegen wie Klötze Fleisch .&nbsp;.&nbsp;.
+
+</p><p>Dann hob Karelainen seine Hand, die flach auf dem
+Tisch lag, bis auf die Kante des schmalen kleinen Fingers,
+und indem er sie viele Male zart aber scharf auf den
+Tisch hakte, erzählte er, daß es im Finnischen nur drei
+Flüche gebe, deren erster ist &bdquo;Perkala&ldquo;, deren zweiter
+ist &bdquo;Perrrkala&ldquo; und deren dritter ist ein rasches schneidendes
+Streichen eines jener Messer, deren Griff aus
+Horn ist und deren Spitze etwas nach der Seite gebogen
+scheint fast wie eine Rosenschere.
+
+</p><p>Es ist nicht wahr, daß es im Finnischen nur drei
+Flüche gibt.
+
+</p><p>Es gibt viele Stufen dazwischen.
+
+</p><p>Denn hier stehe ich.
+
+</p><p>Und es ist unwahr, daß es niemals Treubruch gibt in
+Litauen.
+
+</p><p>Karelainen war klug. Allein seine Fallen lagen zu
+plump, weil er zu sehr voll war von Eifersucht und Gift.
+Denn erstlich habe ich nie Angst vor Männern und dann
+in diesem Falle, seine Stimme war &mdash; Mezzosopran.
+
+</p><p>Im übrigen war er auch darum wütend auf mich, weil
+ich eine Forelle fischte, einen halben Fuß größer als seine
+längste. Er vergaß mir dies nie.
+
+</p><p>Auch ist an dem billigen Symbolismus seines Geschenks
+apriorisch ersichtlich, daß er ein mieser Dichter
+war. &mdash; &mdash; &mdash;&ldquo;
+
+</p><p>(Nun ging der Freund zögernd und unentschlossen
+um einen Schnitt herum, der eine japanische Marterszene
+darstellte, und wechselte den Kopf zwischen träumerischem
+Mich-Anschauen und einem Anstarren des Bildes.
+Dann warf er rasch die Schultern herum und dachte
+aber, eh die entschlossene Bewegung beendet war, &mdash; es
+schien mir &mdash; wieder eine Flut neuer Dinge. Auch sein
+Profil hatte schärfere Linien. Und sagte dann:) &bdquo;Ja.&ldquo;
+
+</p><p>Nur: ja.
+
+</p><p>Ich sagte auch: &bdquo;Ja.&ldquo;
+
+</p><p>Ich wußte nichts anderes zu sagen. Auch fand ich es
+heiß und drückend.
+
+</p><p>Er sah mich sehr fremd und erstaunt an. &bdquo;Ja&ldquo; .&nbsp;.&nbsp;.
+sagte ich.
+
+</p><p>Da antwortete er ganz kurz: &bdquo;Gut.&ldquo; Und dann:
+
+</p><p>&bdquo;Auch dies war in Marseille. Viele Städte haben mich
+geschlagen. Doch mein bestes hellstes Blut ließ ich in
+dieser. Wenn ich im Traum Schiff fahre und strande:
+es ist die Mole von Marseille. Wenn man im Traum
+(herrlicher Rimbaud!) mich amputiert: es ist das gelbe
+Spital dort im östlichen Viertel. Und auch dies, man
+krönt mich mit allen Insignien meines Ehrgeizes: es ist
+das Stadthaus von Marseille, aus dem ich in das Hohngelächter
+des Erwachens fahre.
+
+</p><p>So hasse ich diese Stadt .&nbsp;.&nbsp;. Die Pest .&nbsp;.&nbsp;.
+
+</p><p>Ich fuhr viel damals nach Aix. Es ist nicht weit. An
+der Universität hatte ich einen Bekannten, der über
+Bakteriologie las. Abends spielten wir zur Besänftigung
+Ecarté zu viert, ein jüdisch-russischer Flieger und ein
+japanischer Schüler meines Freundes, der noch kleiner
+war, als Japaner gewöhnlich scheinen. Er hatte eine
+sympathische Weichheit der Bewegungen und hinter den
+Augen: Energie. Er besuchte mich oft in Marseille und
+verstand es, was Ecarté allein ermöglicht, beim Kartenspiel
+entzückend zu plaudern. Einmal traf ich ihn mit
+einer Dame. Doch grüßte er mich nicht.
+
+</p><p>Auf Karneval waren wir alle zusammen in eines der
+großen mehrstöckigen Cafés gezogen, mußten uns aber
+bald zerstreuen. Nach einer Weile bekam ich Streit mit
+einem kleinen Kolonialoffizier, dem ich seine Jungfrau
+abnehmen wollte, die ich als Modell des roten Malers
+Hessemer von Lausanne erkannte &mdash; es ist ja nur ein
+Sprung &mdash;, die Kleine hatte ein Kostüm als Nymphe,
+loses Haar mit einem Reif, kurzes Kleid und nackte
+Beine. Ich faßte sie um die Taille, doch sie wollte, halbbetrunken,
+zu ihrem Leutnant. Sie wollte sich losreißen.
+Da legte der Flieger Blumenthal seine Pranke um ihr
+Gelenk. Jetzt gab es kein Loskommen mehr. Sie riß,
+warf sich mir schäumend um die Brust und biß mich
+durch den Frack tief in die Schulter,
+
+</p><p>Blumenthal sah es, ließ sie los, sie riß sich frei. Lief
+davon, ich folgte. Der Leutnant nahm den Flieger auf
+sich. Ich glaube, er wollte ihn in die Tasche stecken. Doch
+ich verlor die Nymphe.
+
+</p><p>Auf der Treppe zum dritten Stock sah ich aber eine
+junge Frau, die ein gelbes Kleid trug, das schönste an
+diesem Abend. Ich griff nach ihr. Sie lachte und stieß
+mir, rückwärts steigend, stets über mir, immer mit dem
+Knie an die Brust. Ich lachte. Plötzlich entlief sie mir.
+
+</p><p>Ich folgte ihr über ein paar Treppen, und da ich sie
+küssen wollte, führte ich sie in eine Nische gerade unter
+einen Streif Sternhimmel, der zwischen zwei Firsten lag.
+Sie legte mit Grazie und Wissen zwei halbvolle, leicht
+nach Wein duftende Lippen, die sehr warm waren, auf
+meinen Mund und flüsterte jedesmal &mdash; denn ich tat es
+öfters &mdash; dazwischen: maman .&nbsp;.&nbsp;. Dann lief sie wieder.
+Ich hinter ihr.
+
+</p><p>Sie rannte in einen Schminkraum. Ich wartete und sah
+auf dem Milchglas der Tür ihre Silhouette. Sie legte Rot
+auf. Ich lugte hinter einer Säule. Als sie herauskam,
+trat ich vor, und sie lief wie sehr erschreckt im Spiel davon.
+Wir rannten durch einen Saal, durch Lauben und
+Séparés, und kamen auf einen Korridor, ich wollte sie
+greifen &mdash; da sah ich an einem hohen Fenster gleich einem
+überraschend aufgestellten Marionettenspiel die Szene:
+Der kleine Japaner gestikulierend .&nbsp;.&nbsp;. ihm gegenüber ein
+Mann mit stark südlichem, fast spanischem Aussehen, in
+tückischer Haltung. Daneben an die Draperie des Fensterbogens
+gelehnt, bleich, halb leblos, sehr gerade, eine
+Dame.
+
+</p><p>Ich sah, wie der Japaner den Arm leise hob, wie das
+Gesicht seines Partners zu bluten anfing, und wie der
+Japaner dessen Arm über den Rücken hochriß .&nbsp;.&nbsp;.&ldquo;
+
+</p><p>Da geschah etwas Seltsames.
+
+</p><p>Der Freund stockte, er keuchte. Sein Atem pfiff über
+die Stimmbänder mit einem Ton, als geige jemand
+über gebrochenes Glas. Ich fuhr auf. Er hob befehlend
+die Hand, ein wenig gebückt. Ich setzte mich wieder.
+
+</p><p>Er schellte rasch: &bdquo;Wasser .&nbsp;.&nbsp;.!&ldquo;
+
+</p><p>&bdquo;Verzeihen Sie!&ldquo; rief er. &bdquo;Ich habe Sie geblufft .&nbsp;.&nbsp;. es
+hat mich überwältigt .&nbsp;.&nbsp;. ich wollte zuerst nicht erzählen
+.&nbsp;.&nbsp;. dann mußte ich doch. Aber ich travestierte, tauschte
+alles um .&nbsp;.&nbsp;. Alle Personen sind unwahr. Keine ist echt
+.&nbsp;.&nbsp;. keine Kontur. Glauben Sie es! .&nbsp;.&nbsp;.&ldquo;
+
+</p><p>Ich sah ihn kalt an.
+
+</p><p>&bdquo;Diese Geschichte ist ganz anders,&ldquo; sagte er nun. &bdquo;Ich
+habe geglaubt, sie von mir abtun zu können, wenn ich
+sie erzählte, aber ich konnte sie nicht erzählen. Da phantasierte
+ich sie. Aber das war noch schlimmer, zu sehen,
+wie etwas hätte werden können .&nbsp;.&nbsp;.&ldquo;
+
+</p><p>Er sah starr nach dem Fenster.
+
+</p><p>Dann brach er in ein häßliches Gelächter aus. Sein
+Mund zog sich nach dem Kinn hinunter wie im Zwang
+von zwei Fäusten.
+
+</p><p>Dann drehte er stumm den Schnitt gegen die Wand,
+verbeugte sich und bat, nachdem er die Lichter gelöscht
+hatte und indem sein Gesicht wieder langsam in die alte
+Form zurückkehrte, ihn hinüber zu begleiten.
+
+</p><p>Allein ich blieb in der Türe stehen.
+
+</p><p>Alles stürzte mit verdoppelter Wut, mit erneuter Wucht
+über mich hin.
+
+</p><p>Ich fühlte: Abenteuerlichkeit fraß sich in die Wände.
+Schicksal brannte in den Rahmen und wollte heraus.
+Sehnsüchte ohne Maß, gelebte, nur gestreifte, schwellten
+den Raum, daß er fast barst, und Jahre rasten auf dem
+Sekundenblatt der Pendüle herunter.
+
+</p><p>Ich sah in diesem Zimmer alles wie in einem glänzenden
+Kaleidoskop verwirrt.
+
+</p><p>Und als ich über die Schwelle zurücktrat und das Gebeugte
+im Gang meines Freundes sah, ward mir plötzlich
+das Straffe meiner Brust bewußt und das Brutale meiner
+Haltung, und da wußte ich, daß ich mein Leben gut gelebt
+hatte. Denn dies ist nicht die Frage, ob wir aufleuchtende
+Dinge erleben und in heiß aufklaffenden Abenteuern stehen
+(wie wäre das klein und subaltern), sondern es ist dieses,
+was dem Geschehenen erst Form gibt und Würde: was
+wir mit den Erlebnissen tun .&nbsp;.&nbsp;. Und ich wußte bei diesem
+Zusammenbruch, was mir immer klar war, das war recht:
+
+</p><p>Man soll keine Erinnerungen haben. Niemals. Nein!
+Und am wenigsten noch armselig Fetische bilden und seine
+Erlebnisse in Dinge tun. Man soll keine Beichtstühle in
+seine Wohnungen tun. Sie zwingen in die Knie. Dann
+oder wann.
+
+</p><p>Man soll die Dinge von sich werfen. Weit. Und die
+Erlebnisse abstreifen wie einen Seifenschaum mit nachlässiger
+Hand von der Brust am Morgen und am Abend
+und jeden Tag, damit sie uns nicht demütigen einmal
+früher oder später so und so.
+
+</p><p>Denn der Genuß des Abenteuers ist das ungewiß
+Beschwebende: Wissen, vieles Bunte getan zu haben, aber
+eine Luft hinter sich zu fühlen ohne Halt und ohne Farbe.
+<i>Tosendes</i> .&nbsp;.&nbsp;. <i>rasendes Leben</i> .&nbsp;.&nbsp;. &mdash;
+
+<i>So ist es.</i>
+
+</p><p>Aber auch ohne dies war das Zimmer eine Sünde
+gegen die Kraft: Sein Rausch war ein Anreiz im einen,
+und ein Opiat im andern, und eine Hemmung im Ganzen.
+Denn es lagen in ihm (wie ein Hohn) zusammen das
+Große und Schwache, und das Ungeheure wie das Süße
+.&nbsp;.&nbsp;. die Erhebungen, zwischen deren Polen sich die Skala
+unserer Erlebnisse bewegt und beglänzt, und die in dieser
+Spaltung, das Eine oder das Andere, maßlos entfernt und
+fremd voneinander und niemals zu packen in einem Griff,
+unser Leben ausmachen und erfüllen und so sind (im täglichen
+Leben) wie diese beiden Beispiele:
+
+</p><p>Die Sensation eines Expreß, der eine kleine abendliche
+Station durchrast &mdash; und das Erleben eines Ladens mit
+ausgebreiteten Seiden an einem allzuschnellen Frühlingstag
+auf der Meisengasse zu Straßburg.
+
+</p>
+<h2 class="chapter">DER TÖDLICHE MAI</h2>
+
+<p class="first">ALS es nun um Ende der Woche kam, daß der
+Tod ihm (dem Maler und Offizier) die Eingeweide
+zerriß und er brüllend lag zwei Stunden
+lang, geschah es, daß die Pflegende erstaunte, denn das
+Geschrei bog sich langsam um in eine Stille, und aus der
+plötzlich sanften Ruhe seines Mundes stiegen jauchzende
+Rufe wie bunte Kugeln mählich in die Höhe und ketteten
+sich ineinander zu Jodlern, wie sie im Sommer der Schweiz
+tagelang von Berg zu Berg hinüberschweben.
+
+</p><p>Sie trat dicht an ihn heran und wusch ihm mit einem
+getränkten Lappen den Schweiß, der um den Mund herum
+austrat, aber er sang durch ihre kreisenden Handbewegungen
+weiter, verdrehte die Augen, streckte sich
+scharf in die Länge, legte sich auf die Seite und schwieg.
+
+</p><p>Nach einer halben Stunde rief er die Pflegende.
+
+</p><p>Seine Augen lagen tief in den Deckeln der Lider begraben,
+ein rötliches Weiß schimmerte heraus und der
+halbe Abschnitt der Pupille. Der Mund und das Kinn
+glänzten in leiser Seligkeit, die Stirn war rein und hell
+trotz der Bräune. Die Schläfen waren eingefallen, die
+Nase angespannt und an den Nüstern unbewegt wie
+über eine Pauke gezogenes Pergament.
+
+</p><p>&bdquo;Die Bäume .&nbsp;.&nbsp;.&ldquo; sagte er. &bdquo;Die Bäume .&nbsp;.&nbsp;.&ldquo; und
+jubelte mit der Hand.
+
+</p><p>Die Pflegende schauderte. Sie sah, wie der Tod seinen
+Leib aufwirbelte und blähte und empfand zugleich, wie
+der Raum sich furchtbar unter seiner Heiterkeit anfüllte.
+
+</p><p>Er sang das Wort &bdquo;Diebäume&ldquo; im wechselnden Umschwung
+aller Melodien. Er hielt mitten in den Buchstaben
+ein, ließ den Ton verrollen und schob zwischen
+den bläulichen Lippen rasch und lachend den Rest nach.
+Er knickte die Silben wie Weidengerten, warf die schwachen
+Vokale glitzernd hoch und duckte die saftigen. Manchmal
+schien das Wort ein explosiver Ton, andermal eine
+verwirrende Skala. Oft bog und verengte er die Laute,
+ließ sie wie Brandblasen aufglühn und zerplatzen und
+schrie sie plötzlich in gleicher Folge wütend hinaus. Er
+spielte mit dem Wort wie mit einer Beute, katzenhaft,
+tückisch, selig, feig, lind und grenzenlos erbost.
+
+</p><p>Er klomm die letzte Krise der Krankheit hinauf, das
+Wort wie einen Säbel zwischen den Lippen.
+
+</p><p>Manchmal warf sich ein Lächeln über sein Gesicht.
+Trunken spannte er die Nasenflügel und sog. Die letzten
+Stunden der Nacht waren höllisch.
+
+</p><p>Das Fieber kurbelte an die äußerste Grenze. Der
+Bauch sackte ein und wand sich in Zuckungen. Das Weiß
+des Auges war über Gelb zu dickem Grün geworden.
+
+</p><p>Er brach blutigen Kot, schüttelte die Hand und sang
+das Wort
+
+</p><p>Das Herz war im Brechen. Der Puls lief lächerlich
+dünn. Seine Zähne stießen kleinen Schaum auf den
+Lippenrand, der sich unmerklich rundete: es war das Wort.
+
+</p><p>Er hing an ihm zäh wie ein Affe, verbissen an einem
+Trapez. Und es riß ihn heraus.
+
+</p><p>Schlank wie ein Tänzer lief er auf ihm durch die Nacht,
+das Fieber und den blutigen Auswurf.
+
+</p><p>Segelte dumpf genesend durch das Aufundabgehen der
+Gestirne, der tödlichen schweren Sonne und den leichteren
+Aufflug des glänzenderen Mondes wie durch ein
+Spiel mit wechselnden bunten Ballonen hin mit unsäglicher
+und berauschend linder Bewegung.
+
+</p><p>Schwamm mit beruhigendem Opium in den Adern
+durch die breite Schwermut der ersten Abende und sehr
+frühen Morgen und das harte massive Dunkel der Wolkendämmerungen
+mit einem Weiß auf der Stirn, das alle
+erstaunte, und einem unmerklichen Flüstern auf den Lippen,
+die stets bewegt waren gleich der Brust einer weich
+Schlafenden.
+
+</p><p>Eines Morgens stieß die Sonne in einem langen und
+schönen Streifen durch sein Fenster und fiel hart unter
+sein Kinn. Da lief eine schwache Erregung über ihn, er
+verdrehte die Augen nach links, warf sie dann nach rechts
+hinüber, starr, daß die Pupillen, nach oben gestemmt und
+aus den Höhlen getreten, in das Innere des Kopfes hinein
+zu bohren drohten, ließ sie dann sanft zurücksinken,
+schüttelte sich, machte den Mund auf, groß und weit und
+schloß ihn wieder.
+
+</p><p>Schloß ihn hart und fest, lag nach diesem Signal noch
+zwei Tage und war darauf völlig durch die Gefahr hindurch.
+Er war mimosenhaft zart und sehr scheu in den Stunden
+des genesenden Körpers und des kommenden Bewußtseins.
+Seine Soldaten kamen zu ihm und gratulierten
+ihm zu dem Sieg gegen den Tod. Er winkte mit der Hand
+hinauszugehen, erkannte sie kaum. Die Pflegende sagte
+ihm, sie seien traurig, wo sie unter ihm in tausend überschwemmenden
+tödlichen Minuten gestanden hätten, nun,
+wie er krank, nicht von ihm geliebt zu sein. &bdquo;So .&nbsp;.&nbsp;.&ldquo;
+sagte er. Assistenten, Ärzte kamen. Sie versicherten
+ihm alle, daß er ihr Kopfschütteln ignoriert und stramm
+und siegreich über ihren Unglauben in die Gesundung
+hineingesprungen sei, zweibeinig und massiv. Er sah sie
+verwirrt an.
+
+</p><p>Apathische Wochen folgten. Der Vorsteher des Genesungsheims
+erzählte ihm. Krieg .&nbsp;.&nbsp;. ja .&nbsp;.&nbsp;. gewiß .&nbsp;.&nbsp;.
+er freue sich. Er legte den Kopf herum.
+
+</p><p>&bdquo;Bücher?&ldquo;
+
+</p><p>&bdquo;Danke .&nbsp;.&nbsp;. nein.&ldquo;
+
+</p><p>&bdquo;Palette .&nbsp;.&nbsp;. Wollen Sie wieder malen? .&nbsp;.&nbsp;. Bedenken
+der Überanstrengung zwar. Allein .&nbsp;.&nbsp;. ich wäre stolz &mdash;&ldquo;
+
+</p><p>Er schüttelte langsam den Kopf.
+
+</p><p>Das Gewicht des Körpers nahm geringfügig nur zu.
+Wenig Interesse füllte ihn für den Umkreis der Dinge,
+noch weniger für sich selbst. Lag eine Schwebe zwischen
+Lebenwollen und Lebenmüssen, der Funktion aller Physis
+fähig, ein Fragezeichen der Bejahung, allen Möglichkeiten
+neuen Lebens ausgesetzt .&nbsp;.&nbsp;. aber ohne Schwung.
+
+</p><p>Oft trat er abends auf den Balkon des Hauses, der
+verwachsen und kühl war. Die Ebene betäubte ihn anfangs
+mit ihrer Grenzenlosigkeit, langsam empfand er sie
+aber &mdash; um ein an das Endliche stoßendes Bild zu haben &mdash;
+als eine riesige Kreisbewegung, die um ihn herum, zuerst
+stark, dann sich im Silber der Ferne verzehrend, gegen
+den Horizont schwinge. An einer Seite hingen ein paar
+Wellenschläge ferner Gebirge, runde Hügel, gleich nach
+unten gekehrten Wolken, zittrig in der Luft. Diese Gegend
+aus Fläche, Gras und Steppe, von brüchiger Luft
+überstanden, gab ihm das Gefühl, Mittelpunkt einer gläsernen
+Glocke zu sein. Sonne schlief reglos auf Bach und
+Moos und kleinem Gestrüpp. Die Tage hatten katzenhaften
+Ablauf, stumpf und aufreizend in dem währenden
+Gespanntsein dieser Leblosigkeit.
+
+</p><p>Da warf ihn eine Wagenfahrt, zu der der Arzt ihn
+zwang, in die unmittelbare Nähe einer wenig entfernten
+Königsstadt in eine Schloßanlage. Der große Dogcart
+mit den polierten roten Rädern schaukelte einen Nachmittag
+lang über geschwungene Wege und über Brücken.
+Er erlebte dichtes Dunkel des Parks, unendliche Stille
+um pagodenhafte Pavillons, den raschen Vorbeischwung
+weißer Nebenschlösser. Dann befanden sie sich mitten im
+Gewühl weiter Auffahrten, auf die ganz am Ende der
+Alleen die Kaskaden fesselloser Terrassen herabstürzten.
+Hier empfand er Weite und Herrlichkeit der Welt an
+sich vorbeiziehn. Der Wagen schwamm an dem langen
+Wasserspielwerk, das von der Fassade bis in den blauen
+Horizont hinunterlief, entlang zwischen Hunderten spazierender
+Menschen, zwischen farbigen Jacken, weichgelben
+Handschuhen und der Orgie aufgeblasen roter
+Sonnenschirme.
+
+</p><p>Er kehrte nachdenklich nach Hause zurück.
+
+</p><p>Am Morgen erwartete er den Aufgang der Sonne von
+seinem Balkon. Er sah den Aufstieg über die schmalen
+Hügel und die langsame Belichtung der Ebene, die sich
+sinnlos und schwer mit dem Rot anfüllte. Da ging eine
+unfaßbare Sehnsucht nach Glühendem, Rasendem in ihm
+auf, er bog sich vor Gier nach der Stadt. Der Arzt war
+dafür, er brach auf, durchstreifte Straßen, die voll Anmut,
+Gärten, die voll Jugend waren. Am Abend landete
+er in einem Lokal, das mit jubelnden Tapeten überzogen
+war. Es war gefüllt mit schönen weißen Tischen und
+Stühlen. Viele bunte Laternen glühten darüber. Der
+Wind bewegte sie leicht. Alle Gesichter waren von
+schwankendem Rot überströmt. Feine Frauen saßen in
+den Sesseln, zurückgelehnt, lässig und mit Herren plaudernd.
+Es gab Musik. Manchmal lief der Wind heftig
+durch die ausgehängten Fenster und es gab ein Gewoge
+von Licht, das alle überstürmte. Dann hoben sich die
+Geigen aus der Musik in die Höhe und übergitterten
+mit namenlosen Spitzen den Raum.
+
+</p><p>Da ergriff ihn das Gewühl des Daseins mit einer
+tobenden Berauschtheit. Er fühlte sich von heißester
+Erregung in starre Kälte geschleudert und dann von
+neuem beißender Hitze entgegengeworfen. In seiner
+Brust wütete ein Orchester, Orgeln brannten auf, und in
+langen, grausamen Voluten hoben sich die Bläser zu
+einem furchtbaren Stoß.
+
+</p><p>Es war zuviel: Man sah einen Offizier die Arme dehnen,
+die Brust herauspressen, einen seltsamen Jodler über das
+Lokal hinfeuern und die Hände auf den Tisch zurückhauen.
+
+</p><p>Er zerschlug die Lampe und einiges Geschirr.
+
+</p><p>Der Kellner tat sehr ruhig. Fernersitzende dachten
+an Zufall und Mißgeschick. Er gab dem Kellner märchenhaftes
+Trinkgeld, nahm die Mütze und ging breitspurig,
+säbelschleifend hinaus.
+
+</p><p>Draußen begann er sofort zu weinen. Toll tanzten die
+wunderbaren Frauen, die er wie zum erstenmal wieder
+sah (wieviele er gemalt hatte, wußte er nicht mehr, denn
+Dasein dünkte ihm noch neues Leben nach halbem Tod)
+vor seinen Augen, die Seiden, die Funken der Lichter.
+Unbegreiflich schluchzend empfand er die Wärme der
+Nacht, flüsternd .&nbsp;.&nbsp;. &bdquo;le .&nbsp;.&nbsp;. ben .&nbsp;.&nbsp;.&ldquo; &mdash;
+
+</p><p>Dann ballte er die Fäuste, und als er von der kleinen
+Station nach dem Landhaus fuhr, stand sein Kopf scharf
+und sehr entschlossen auf seinem Körper.
+
+</p><p>Es kamen rasche Tage. Er rieb sich den Buckel an der
+blitzenden Scheibe der Stadt. Freude umgab ihn lind.
+Trieb und Wonne füllten golden seine Adern. Säfte
+rannen über seine Haut. Leben umspielte ihn reich. Es
+war die Rede, daß er zur Front zurückkehre. Er nickte.
+
+</p><p>Er nickte. Es war gut.
+
+</p><p>Der Mond kam abends aus der Ebene durchsichtig
+und schön wie aus dem weichen Munde eines Glasbläsers
+gebildet, und gleichsam von seinem Atem gehoben, so
+schlank und zart überflog er die stumme und dunkle Festlichkeit
+des Himmels.
+
+</p><p>Bald gab es tagelangen Sturm. Böen überschütteten
+die Steppe. Wolken schlugen übereinander mit Geheul.
+Schwere Regen knallten an den Fenstern. Geduckt sprang
+brüllender Wind in jede Spalte und zersprang dort in
+Fetzen von niederreißendem Radau. Nachts, wenn die
+Regenschwaden vom Sturm schräg herabgehauen auf die
+Ebene knatterten, schien es, Tausende von Eskadronen
+überritten die Steppe und die Bäuche aller Pferde schlügen
+langgestreckt zwischen den rasenden Sprüngen in
+einem Takt gegen die Erde.
+
+</p><p>Da zog er rocklos durch das Haus, probte die Muskeln,
+steckte Lichter an und sang mit jubelnd gesteigerter Stimme.
+
+</p><p>Er sagte (als der Wind eine Pause einschob) &bdquo;Sehen
+Sie die Kassiopeia?&ldquo; zur Pflegenden, zog sie in die
+Fensternische, hob die Flügel, deutete nach oben und
+lachte, als der Staunenden ein Nebelstreifen glitzernden
+Regen ins Haar schmiß.
+
+</p><p>Später einmal kam, heiß und verstaubt, ein schmaler
+Zug die Ebene herunter. Er tauchte grau und wie ein
+Punkt auf und wurde ein dünnes Gerinnsel durch das
+vergilbte Gras. Sie defilierten am Haus auf die Entfernung
+von zwanzig Metern.
+
+</p><p>Zuerst ging ein großer Mann, braun mit Narben von
+Hieben durch das Gesicht. Sein Kleid war Polichinell.
+Enganliegend mit Dreiecken gemustert zitronengelb und
+weiches Blau. Der Hals war unbedeckt und gefurcht.
+Seine Beine traten wie ein Pferd einen nach vorne ausbiegenden
+Trab, der stets Silhouetten vor dem vergrauten
+Horizont spannte und von trauriger Müdigkeit war.
+Hinter ihm kam ein Elefant, ein Dromedar und ein
+Wagen voll von farbigen Kindern.
+
+</p><p>Er trug zwei Stangen über der Schulter, um deren
+Spitzen ein Netz geknotet war, in dessen Maschen ein
+kläffender Hund saß und ein perlweißer Fasan.
+
+</p><p>Es war so süß langweilig in diesen Tagen, daß die Insassen
+des Hauses alle staunend und lachend hinausliefen,
+die Taschen umwandten, Geld über die Menschen
+warfen und in Eile Stühle aufschlugen. O Rausch eines
+unerwarteten Zirkus.
+
+</p><p>Es gab eine glänzende Vorstellung.
+
+</p><p>Der lange Führer wirbelte in die heiße Luft, mit
+Fahnen in der Hand, Sprünge und Verrenkungen, strahlend
+und bunt.
+
+</p><p>Alle Soldaten suchten auf dem Dromedar zu reiten;
+Die farbigen Kinder warteten gespannt, bis ein zufälliger
+Blick auf ihnen zu ruhen begann, sprangen in die Höhe,
+überschlugen sich grotesk, setzten sich fest auf die Hintern
+und streckten bettelnd die Hand vor.
+
+</p><p>Der Elefant rückte verlegen auf seinen Beinen, verengte
+den Raum unter sich und ließ sich endlich mit seiner
+Rückseite auf einem Fünfzigliterfaß nieder und zog die
+Vorderbeine hoch wie ein Pudel.
+
+</p><p>Der Führer gab ihm eine Mandoline in den Rüssel
+und band ihm ein rosa Band an die Spitze des Ohrs.
+Sein Gesicht blieb unbewegt und verächtlich wie bei seinen
+Sprüngen.
+
+</p><p>Indem fuhr auf der anderen Seite des Hauses ein
+Wagen an. Der Maler sprang heraus mit zwei geschossenen
+Lapins und die Augen voll Träumerei von
+Frauen, mit denen ihn die Einsamkeit der Heide überfallen
+hatte. Er trat in das Haus und schaute durch das
+Fenster.
+
+</p><p>Da schwoll sein Gesicht hochrot, er blies die Backen
+auf vor Zorn, und einen dumpfen Laut ausschreiend,
+sprang er heraus. In seiner Hand lag ein Säbel. Er machte
+einige Sätze und schlug dann die flache Klinge mit einem
+sirrenden Ton dem Elefanten ausgestreckten Arms klatschend
+auf das Blatt.
+
+</p><p>Das Tier sprang auf. Es stand. Es spreizte langsam
+die Beine, schob die Ohren zurück und hob den langen
+Rüssel ganz wagrecht.
+
+</p><p>Da ließ er, während alle anderen starr gebannt steif zuschauten,
+den Stahl fallen und strich andächtig und bewundernd den
+Rüssel mit der Hand entlang und hob ihn hoch, daß das
+weißliche Rosa des Mauls, das gleich einer fremden von Überreife
+angefaulten Frucht zwischen der harten Seltsamkeit der elfenbeinenen
+Hauer lag, aufklaffte. Dahinein legte er die Hand.
+Der Pulcinell brachte unter Bücklingen Zucker und legte sie
+in den untersten Rüssel. Der Elefant bog sie mit schlangenhafter
+Windung in das Maul.
+
+</p><p>Dann warf er wie einen Springbrunnen den Rüssel hoch und
+schoß überraschend und plötzlich einen so ungeheuren dunklen
+und wilden Schrei gegen die Menschen, daß sie einen Augenblick
+alle schwiegen.
+
+</p><p>&bdquo;So .&nbsp;.&nbsp;. gefällst du&ldquo;, sagte der Maler und steckte den Säbel
+ein.
+
+</p><p>Das Gesicht des Führers blieb über den Verbeugungen unbewegt
+und verächtlich wie bei seinen Sprüngen.
+
+</p><p>Es lag den Abend ein gewaltiger Druck auf der Landschaft.
+
+</p><p>Sie waren, als die Sonne sank, heiß und verstaubt, ein schmaler
+Zug, die Ebene hinuntergezogen. Sie flossen ein dünnes Gerinnsel
+durch das vergilbte Gras und verschwanden grau und
+wie ein Punkt.
+
+</p><p>Am späten Mittag saß die Pflegende bei dem Maler, der auf
+einem Schaukelstuhl lang lag und rauchte. Sie schwiegen lange
+Zeit.
+
+</p><p>&bdquo;Können Sie sich den Urwald vorstellen&ldquo;, fragte er. Sie lächelte:
+&bdquo;Nein &mdash;&ldquo;
+
+</p><p>&bdquo;.&nbsp;.&nbsp;. den Rand des Urwalds, Schwester. Ein Elefant reißt
+Lianen auseinander, erscheint. Die Sonne schwingt auf, rot.
+Er schreit ihr entgegen .&nbsp;.&nbsp;. Und hier: o Müdigkeit .&nbsp;.&nbsp;. o Müdigkeit
+.&nbsp;.&nbsp;.&ldquo;
+
+</p><p>Sie sah nachdenklich auf ihn. Dann stach sie eine
+Nadel durch ein Fliederblatt und sagte langsam: &bdquo;Es
+ist Ihre Sehnsucht, Wald, ich weiß es. Ich weiß, daß Sie
+sich stets daran klammerten, als Ihre Krise war! Sie
+wissen nichts?&ldquo;
+
+</p><p>Er wußte es nicht.
+
+</p><p>Er schüttelte den Kopf, lächelte und verneinte.
+
+</p><p>Da sagte sie leis: &bdquo;Die Bäu .&nbsp;.&nbsp;. me.&ldquo;
+
+</p><p>Wieder kam das Lächeln über sein Gesicht Aber ihr
+war, als ob es Gewalt bekomme über den Inhalt des
+Gesichts und als ob es sich einforme wie eine fressende
+Säure. Seine gespannten Muskeln waren einem sekundenhaften
+Verfall unterworfen. Sie schwanden unter
+der Haut.
+
+</p><p>Ganz weiß hob er den Kopf: &bdquo;Habe ich .&nbsp;.&nbsp;. ha &mdash; &mdash; &mdash; be
+ich .&nbsp;.&nbsp;.&ldquo;
+
+</p><p>Von schwerem Entsetzen geschüttelt wand er die
+Arme durch die Luft. Seine Augen wurden rund, kugelhaft
+und fast wie Glas und starrten über die Ebene. Er
+keuchte und deutete vor sich: &bdquo;Geben Sie mir diesen
+Stein.&ldquo;
+
+</p><p>Ihm schien die Schwelle eines seltsamen Unterbewußtseins
+durchstoßen. Er hatte alle die Wochen nur ein Leben
+gehabt, das seine Wurzeln hatte in seiner letzten
+Krankheit. Wohl wußte er die Dinge und Vorgänge der
+Zeit und seines Lebens auch vorher. Aber in diesem
+Augenblick schien es ihm, daß eine dünne Haut darüber
+gewesen sei und daß ihm die Erkenntnis nach deren
+Platzen nun erst neu, groß und unendlich furchtbar
+wieder zuströme.
+
+</p><p>Er nahm den Stein, den ihm die Pflegende reichte. Er
+war sehr schwer und kantig. Er drückte seine Hände
+hinein, hielt ihn an die Stirn, hob und prüfte ihn und
+legte ihn fest auf das Knie. Er empfand, wie die Angst
+vor der plötzlichen Leere um ihn herum schwinde und
+wie das Gewicht des realen Steins ihn wieder an das
+natürliche Leben und die geliebte Erde (prometheisch)
+zurückriß.
+
+</p><p>Dann warf er den Stein weg und sagte:
+
+</p><p>&bdquo;Schwester, Sie kennen das nicht. Sie kennen das nicht,
+daß der Himmel plötzlich ein Abgrund scheint und entflieht
+und die Erde unter Ihnen sanft entweicht und am
+Horizont ein Strudel unermeßlich aufgeht und beginnt
+Sie aufzusaugen, der Sie sich schon langsam zu drehen
+scheinen. Schwester, bleiben Sie sitzen. Es könnte mich
+sehr stören, wenn Sie sich bewegten. Hören Sie: ich war
+niemals feig .&nbsp;.&nbsp;. nie .&nbsp;.&nbsp;.&ldquo;
+
+</p><p>Sie bewegte ihr stilles Gesicht hin und her.
+
+</p><p>&bdquo;Sie denken an meine Auszeichnungen,&ldquo; schrie er sie
+an. &bdquo;Nein. Sagen Sie nichts. Daran sollen Sie nicht
+denken. Das liegt außerhalb meiner Betrachtung. Bleiben
+Sie sitzen. Sie sollen an meine Seele und Ihren Mut
+denken. Können Sie das? He &mdash; &mdash; &mdash;&ldquo;
+
+</p><p>Sie sagte, ihr sei das Leben keine so besondere Sache,
+daß sie nicht auch dies vermöge.
+
+</p><p>Da fing er an zu weinen, wurde sehr still und flüsterte:
+&bdquo;Sie haben unrecht, Schwester .&nbsp;.&nbsp;. es ist alles .&nbsp;.&nbsp;. al .&nbsp;.&nbsp;.
+es &mdash; &mdash;&ldquo;
+
+</p><p>Er schluchzte mit einem zerreißend stillen Laut.
+
+</p><p>Darauf begann er wieder zu sprechen, kalt und hart.
+
+</p><p>Seine Stimme flog aus seinem Munde, als sei sie durch
+ihn, beziehungslos zu den Lippen, die sie formten, aus
+irgendeiner dunklen Ferne geflossen. Sein Kopf hob
+sich bleich und edel über der Kante des Stuhls, und die
+Haut der Schläfen zitterte über dem blauen Geäder.
+
+</p><p>&bdquo;Mitteldeutschland .&nbsp;.&nbsp;. Schwester, beim zweiten Rücktransport
+von der Front nach der Passion von fünf durchlegenen
+Lazaretten .&nbsp;.&nbsp;. Mitteldeutschland im Westen .&nbsp;.&nbsp;.
+und es war Mai .&nbsp;.&nbsp;. das ist fabelhaft. Der Rhein war
+nicht fern. Himmel seidig und bebte vor Blau.
+
+</p><p>Wir waren da fast alles Offiziere im letzten Stadium
+des Genesens aus böser Erkrankung wie hier fast .&nbsp;.&nbsp;.
+nur anders, süßer &mdash; unbeschreiblicher. Es war ein modernes
+Schloß mit säuligen Bogen und Wiener Keramik,
+mein Gott. Dahinter Wälder und überall herum schweifige
+Hügel und Täler, leicht gesenkt. Es gab eine phantastische
+Hygiene. Marmor, weißes Gemöbel, Staubsektoren,
+Sonnenfenster, Duschen von oben, Duschen
+von unten. Es gab einen unendlichen von Weite ausgedehnten
+blauen Tanzsaal mit einem großen glänzenden
+Flügel. Pariser Millionäre hatten diesen strenglinigen
+Tempel gebaut und ihn einer südamerikanischen Tänzerin
+gegeben, die da die schönsten Mädchen Europas in die
+gleitende Form körperlicher Musik hinein erzog. Die
+Mädchen waren in einer nahen Stadt damals.
+
+</p><p>Die Kirschblüte kam. Die unzähligen Bäume beschwebten
+sich weiß. Es flaggte drei Tage. Dann ging
+das flaumige Strahlen in einem wahnsinnigen Wind zum
+Teufel. Ich liebe diese Blüte nicht. Sie ist zu weich.
+Kennen Sie worpswedische Maler?
+
+</p><p>Nein, &mdash; ja, Schwester, was soll Ihnen Kunst, was soll
+Ihnen Bildnis?
+
+</p><p>O Nebensache, o Nebensache! Leben ist hundsföttisch
+mehr, ich weiß.
+
+</p><p>Nun ebenso schwach, so zag, ekelhaft überfein ist
+diese Blüte wie Zweige, gemalt von diesen Menschen,
+hypertrophierten Empfindungsdestillatoren des Seins. Leben
+ist breiter, saftiger, spritzender, Schwester: Weinernte
+am Rhein, Heringsfang in Holland, bürgerliches Schmausen
+im Elsaß .&nbsp;.&nbsp;.
+
+</p><p>Dann brachen alle Apfelbäume aus. Unten die Blüten
+ein wenig rot, oben kräftig weiß. Die Hügelkette war
+zum Platzen voll von ihnen. Manchmal standen sie wie
+Haine zusammen. Ich liebe sie.
+
+</p><p>Es roch, Schwester &mdash;&ldquo;
+
+</p><p>Er warf das Gesicht zurück in einer wahnsinnigen
+Spannung: &bdquo;Ich fürchte mich,&ldquo; flüsterte er.
+
+</p><p>Sie legte ihre Hand auf seine.
+
+</p><p>Aber er schüttelte sie ab: &bdquo;Lassen Sie das &mdash;.&ldquo;
+
+</p><p>Sie ließ es. Sie setzte sich näher zu ihm. Seine Stimme
+fing wieder an:
+
+</p><p>&bdquo;Abends sanken Herden von Nachtigallen in die
+Bäume und verwüsteten die Nacht mit Süßigkeit.
+
+</p><p>Niemand weiß das, der es nicht sah: Sie werfen ihren
+Hals hoch, daß er plötzlich mit Gesang, der nicht Ton
+wurde, rasend gefüllt steht gleich einer runden Trommel,
+eine glühende Blase, größer schier als ihr Leib, an der
+sie wie an Montgolfieren in die weiche Unendlichkeit verschweben
+könnten &mdash; und dann werfen sie die stählerne
+Wärme der langen aufblitzenden Laute ergreifendsten
+Verzücktseins in die entzündete Dunkelheit.
+
+</p><p>Wir hatten einen blonden Kameraden aus Bornholm.
+Er wurde verrückt, als nach einem Gewitter aus einem
+nassen Fliederbusch ein Dutzend Nachtigallen plötzlich
+mit Gesang aufklirrend sein Gleichgewicht zu schwer
+erschütterten.
+
+</p><p>Ja, daß Schönheit tausendfach mehr tötet als Haß und
+Wut, Sie sollen es wissen. Was sage ich Ihnen, Schwester.
+Wo will ich hin .&nbsp;.&nbsp;. hören &mdash; hören Sie mich? .&nbsp;.&nbsp;.&ldquo;
+
+</p><p>&bdquo;Sie erzählen die Verzücktheit des Lebens .&nbsp;.&nbsp;.&ldquo; sagte
+die Schwester innig und bewegt.
+
+</p><p>&bdquo;Ich erzähle die Verzücktheit des Lebens. Ja. O Rausch,
+o Sonne, o Ruhm, o Süßigkeit .&nbsp;.&nbsp;.&ldquo; Er stemmte die Fäuste
+im äußersten Schmerz und schwärmerisch gegen die Brust.
+
+</p><p>&bdquo;An einem Abend kamen dreißig Damen, ein Fürst
+und viele Herren. Es hatte eine märchenhafte Art. Sie
+trugen seidige Kleider, Schwester, o von so feinen Firmen,
+die Sie nicht kennen. Und es gab wie Glas schimmernde
+Namen und schwermütige Profile.
+
+</p><p>Es gab Lampione.
+
+</p><p>Es gab Mond.
+
+</p><p>Unter den Apfelbäumen war eine Lichtung. Der Hügel
+schob sich leicht und schräg gegen den Horizont.
+
+</p><p>Wir saßen alle auf Stühlen, die auf der Wiese standen.
+Der Fürst hatte einen Säbel in einer Hand, in der anderen
+Blüten.
+
+</p><p>Dann kamen die Mädchen, Jungfrauen im Alter bis gegen
+Zwanzig, die kein Mann berührt hatte und die nur wenige
+sahen, die sich, weibliche Narzisse, nur in der entrollten
+Geschmeidigkeit sälelang ins Uferlose gestellter Spiegel
+in ihren Körpern empfanden. Sie trugen kleine Tuniken,
+die wie nichts waren, und tanzten auf dieser schrägen
+Ebene uns gegenüber zwischen den Bäumen, tanzten
+mit Hüften, fließend wie die glatten Sprünge der Leoparden,
+Beinen .&nbsp;.&nbsp;. stumm vor Berauschtheit, und Armen,
+die sie im wilden Entsetzen der Schönheit in den Mond
+hinein schwangen.
+
+</p><p>Alle gingen dann zurück zum Schloß, ich stieg zum
+höchsten Hügel .&nbsp;.&nbsp;.&ldquo;
+
+</p><p>Er hielt ein. Sein Blick tauchte verschleiert in die Tiefe
+des späten Mittags. Seine Worte fielen dann, als er
+wieder anhub, heftig, immer schärfer und in monotoner
+Geschwindigkeit. Sie fielen, als stünde einer im Licht in
+voller Rüstung und schlüge im riesigen Kreisschwung
+beider Arme zwei Schwerter pfeifend immer rascher durch
+die Luft.
+
+</p><p>Er sagte:
+
+</p><p>&bdquo;Es war still geworden, fast tonlos. Manchmal allein
+in langen brausenden Linien stürzten schwere Hummeln
+auf die weiße Ebene der Bäume. Es war lau, weich,
+Wasserdampf schwebte in der Luft. Das ließ die Ferne
+vibrieren und die Sterne hatten davon etwas feuchten
+Schimmer. Hügel schob glatt über Hügel, Linie über Linie
+schwingend, in die Rheinebene. Bäume sprangen Abhänge
+hinauf, in der Nacht hin und her, und standen
+näher, tänzerisch zueinandergeneigt. Oben hing der Mond.
+
+</p><p>Diese Nacht war ungeheuerlich in ihrer Üppigkeit. In
+ihrer nassen Glut. In ihrem unheimlich gesteigerten stummen
+Gebrüll nach Dasein und trunkenster Fülle des
+Lebens.
+
+</p><p>Schwester: ich dachte da mit einemmal blitzhaft an
+die wüstesten und größten Dinge meines Lebens.
+
+</p><p>Ich wußte um Grate im bayrischen Gebirg, die ich
+spielerisch als Knabe überrannt hatte. Ich sah den schweren
+Wahnsinn der afrikanischen Hetzen. Sah den zerschlagenen
+beuligen Kopf im Dirnenhaus des Genuesischen
+Hafenviertels im Augenblick des Erwachens verzerrt
+in schmutzigen Kissen. Ich wußte um das aufschreiende
+Werben fetzender Granaten, die trunkene Explosion
+der Abendschlacht. Ich sah ein Segelboot kentern im
+Starnberger See, sah den großen Verzicht eines feinen
+Mädchenauges (o weinen, weinen), sah den verwesten
+Leichnam des Freundes aus der Konfirmation im Park
+erhängt, sah das Sterben Maria Anderssons, die ich geliebt
+habe, die Schöne und Tanzende, wie einen bunten
+Vogel. Ich wußte um den Augenblick, der bewegungslos
+in der Pupille des Persers hing, als er in einer Pariser
+Spielspelunke den Dolch mir über die Achsel in den
+Rücken schlug &mdash; &mdash;
+
+</p><p>Was wissen Sie, Schwester, was einem Mann schwer
+und Gefahr ist .&nbsp;.&nbsp;.
+
+</p><p>Aber ich wußte in dieser Minute: daß ich lächelnd dies
+alles wiederholen würde, daß ich singend wie ein Engel
+van Dycks gegen tausend Mündungen Kanonen gehen
+könne .&nbsp;.&nbsp;. statt dieser Minute .&nbsp;.&nbsp;. daß dies alles Erlebte
+eine kleine Prüfung, ein verächtlicher Vergleich und ein
+Geringes und Unwirkliches an Schwere sei gegen diesen
+<i>einen</i> Augenblick des Erlebens.
+
+</p><p>Denn es kam, daß ich vor der tobenden Süßigkeit der
+Nacht, in der das Leben dunkel rauschte wie ein verschlossener
+Schwarm von Bienen, daß ich vor der ungeheuerlichen
+Berauschtheit des Daseins mich hinwarf und
+weinte und grenzenlos den Tod zu fürchten begann.
+
+</p><p>Den Tod, der mir eine gemeine Sache, Oberfläche und
+sehr gering zu schätzen erschien, wo er mir nahe war
+wie eine Kugel, ein Gift oder ein Dolch .&nbsp;.&nbsp;. und es mir
+blieb .&nbsp;.&nbsp;. in dieser Form .&nbsp;.&nbsp;. auch späterhin. In dieser
+Form .&nbsp;.&nbsp;. in dieser Form.
+
+</p><p>Ich weinte.
+
+</p><p>Und da schwamm aus dem Schloß das hungrige Begehren
+einer Geige, hob sich, klirrte wie ein scharfer
+Käfer, raste um die Hügel, hieb sich verzweifelt sehnsuchtsvoll
+in die starke Brunst der weißen Bäume und
+kreiste den Horizont ein in zuckende Tiraden.
+
+</p><p>Und ich spürte die Hand, welche sie führte, fühlte mit
+gleichem Gefühl das weiche Fleisch des jungen Mädchens,
+das sie spielte, die rasche Berührung ihrer Brust, ihres
+streifenden Beines, das erzitternde weiche Fleisch mit
+dem silbernen Flaum, die mädchenhafte Weise des wiegenden
+Gangs, die königliche Süßigkeit .&nbsp;.&nbsp;. und ich
+brüllte, Schwester! Ich lief in den Hain und brüllte: &mdash;
+Nicht sterben! &mdash; brüllte ich. Riß kleine Zweige und zerkaute
+sie, bohrte das Gesicht in überschäumte Äste,
+betete, fluchte, weinte .&nbsp;.&nbsp;. es gab keinen Gott, der dies löste.
+
+</p><p>Ich begriff es nicht: Den Tod belächeln, das Leben
+fürchten .&nbsp;.&nbsp;.
+
+</p><p>Aber überall war Tod. Die Blüten brannten furchtbar
+an den unteren Flächen. Tausendfach schwoll Blut in der
+Luft. Eine riesige Spinne krampfte schnürend das Getanz
+der Apfelbäume zusammen, sie zitterten unter entsetztem
+Schrecken. Regenbogen schnellten durch die Nacht.
+Mord saß dunkel im Geäst. Ich ängstete auf der Stirn.
+Der Mond war mild. Aber die Sterne bogen sich herum
+und blitzten kalt wie die Spitzen unzähliger hingehaltener
+Schwerter.
+
+</p><p>Und das Schweigen dehnte sich, als ob es zerreißen
+müsse, und die Stummheit, die volle maßlose Trunkenheit
+der Nacht kam in Bewegung, drehte einmal um und
+begann zu kreisen und ward ganz fern am Himmel ein
+dunkler Strudel, der sog und sog &mdash;
+
+</p><p>Ich schrie. Hell. Entsetzt und außer mir .&nbsp;.&nbsp;. Ich wollte
+nicht sterben.
+
+</p><p>Wollte nicht sterben. Nein . . schrie &mdash;
+
+</p><p>Schwester, ich habe nachher noch, eh ich herkam, vor
+meinem Typhus, den Tod gekannt in vielen Phasen,
+nahe an mir vorbei oder sich zurückwerfend vor mir im
+letzten Moment des Anlaufs. Ich stand in ihm wie der
+Mittelpunkt einer Explosion zahlloser Schrapnells.
+
+</p><p>Ich lüge nicht. Ich hob die Hand, ihn zu zerdrücken.
+
+</p><p>Ich hob die Hand, verächtlich, und schlug nach seinem
+Gesicht &mdash;
+
+</p><p>Aber in jener Nacht, da .&nbsp;.&nbsp;. da erkannte ich tiefer
+den Tod in der ungeheuerlichsten Schwellung des Lebens.
+
+</p><p>Ich lief ins Schloß, kroch in eine Ecke und fürchtete mich.
+
+</p><p>Ich wurde verachtet, geschmäht, verlacht. Man tat das
+Äußerste zur Erklärung des Unbegreiflichen im zivilen
+Dasein: man zweifelte an meiner Zurechnungsfähigkeit.
+Man hätte mich anspeien können.
+
+</p><p>Ich hätte gebettelt: Leben .&nbsp;.&nbsp;. leben .&nbsp;.&nbsp;.
+
+</p><p>So ist es.
+
+</p><p>Schwester &mdash; aber ich weiß, ich weiß nun mehr, unerträglich
+mehr wie alle anderen Menschen. Ich weiß: ungeheure
+Taten mögen geschehen, endloser Ruhm errafft
+werden von Dichtern, Feldherrn, Musikanten und Malern
+.&nbsp;.&nbsp;. im letzten Ziel ist Tod. Andere wissen das
+nicht, ahnen es, haben aber nicht die Schärfe ewigverkündlichen
+Wissens und Umsichfühlens.
+
+</p><p>Wie ist die Welt bunt! Leichte Karussells laufen über
+die Jahrmärkte. Flieger erschwimmen die betäubende Höhe
+der Gestirne, gewiegt vom Nichts. Kapellen spielen in
+Theatern und Gärten. Mädchen tragen Schürzen im Hause
+und Bänder zum Ball. Und die Pferde .&nbsp;.&nbsp;. auch die Hunde
+sind schön und von Andacht .&nbsp;.&nbsp;. Städte erleuchten sich
+abends mit sanftem Gas.
+
+</p><p>Wie kann ich dieses Beschwingte fürder noch spüren,
+den feinen Reiz und die breite Schönheit, wenn ich den
+Tod darin sehe jederzeit? Und muß sie doch lieben grenzenloser
+als immer und brennender wie jeder, weil ich weiß,
+daß das Leben so schwer und so gewaltig hoch das Letzte
+ist. Aber meine glühende Liebe wird stets auf den Tod
+stoßen, und so werde ich hin und her geschleudert sein,
+ahasverisch und in einem verzehrenden Tosen, zwischen
+ungeheuerer Anbetung und tödlicher Erkenntnis.
+
+</p><p>Ich werde in unmenschlichen Spannungen leben müssen,
+denn das Spannungslose saugt mich auf. Ich werde
+lächeln und, von Gefahr und höchstem Erleben zu anderen
+springend, mich bewegen wie aus dem Arm von
+unzähligen Frauen in den von neuen Namenlosen. Es
+ist eine tolle übersinnliche Liebe zum Leben dies, Schwester.
+
+</p><p>Ich werde nicht mehr ruhen können.
+
+</p><p>Denn Gefahr ist ein kleiner Augenblick und Sterben
+darin eine strahlende Sekunde. Schönheit der Welt aber
+dem Wissenden eine unendliche Qual und Bedrohung
+und ewige Leere.
+
+</p><p>Ich möchte nicht, daß Sie an diese Erkenntnis streiften,
+Schwester, weil Sie ein schönes und ruhiges Gesicht haben.
+
+</p><p>Ich bin von Freude geschwellt für den Augenblick, wo
+ich hier abziehe. Denn alles da ist trostlos und müd und
+ohne Heroischkeit.
+
+</p><p>Sehn Sie, es ist furchtbar, wenn ich müßig in die Ferne
+schaue .&nbsp;.&nbsp;. Schwester, liebe Schwester .&nbsp;.&nbsp;. wie der Horizont
+sich dann zusammenzieht, wie Hügel hineinschwanken
+und gleichsam in einem Rachen verschwinden. Manchmal
+blinkt es silbern. Nun hebt sich die Ebene. Taumelnd
+gurgelt die Welt in den Strudel. Die Leere .&nbsp;.&nbsp;. die Leere &mdash;
+
+</p><p>Glauben Sie nichts. Ich weiß, daß das eine Vision ist,
+daß wir fest stehen und unerschütterlich, wie wir es
+glauben. Aber ich empfinde alles im Gleichnis, und oft
+ist Gleichnis uns die nächste und verwirrend deutlichste
+Realität. Ich sehe vieles im Bilde, weil ich in einer übersteigerten
+Sekunde über das Leben und gewöhnte Maß
+hinaus <i>erkannt</i> habe.&ldquo;
+
+</p><p>Er schwieg und schloß die Augen.
+
+</p><p>Er sagte noch: &bdquo;<i>Wo ich das Grauen vor dem Tod
+am zerschmetterndsten empfunden habe, an dieser
+Stelle, meine ich, muß die ungeheuerlichste
+Kraft des Lebens sitzen &mdash;</i>
+
+</p><p>Darum rief ich, wie ich sterben sollte, nach diesen
+Bäumen.&ldquo;
+
+</p><p>Er sann nach. Und plötzlich schien Furchtbares auf
+ihn zu stürzen.
+
+</p><p>Aber bald formte sich sein verzerrter Mund in lächelnde
+Ruhe, und er flüsterte halb singend, somnambul: &bdquo;Die
+Bäu .&nbsp;.&nbsp;. me &mdash;&ldquo;
+
+</p><p>Dann schüttelte er kurz den Kopf, lächelte rasch und
+sagte: &bdquo;.&nbsp;.&nbsp;. Liebe Schwester &mdash; müssen Sie nicht bei all
+diesem auch dem Tode näher sein als dem Leben?&ldquo;
+
+</p><p>&bdquo;Nein,&ldquo; sagte die Pflegende unendlich mild und fest,
+&bdquo;es ist das Gegenteil.&ldquo;
+
+</p><p>Er sah sie staunend an.
+
+</p><p>Dann aber war es, als rase das entsetzliche Erleben
+in einer letzten grauenhaften Spannung noch einmal in
+ihm hoch.
+
+</p><p>Er warf die Hände in die Luft und rannte hinaus.
+
+</p><p>Die Pflegende ging ans Fenster und lehnte sich ruhig
+hinaus. Sie sah ihn eilig hinauslaufen und in den Hof
+einbiegen.
+
+</p><p>Dort stolperte er über eine Gießkanne, schwebte kurz
+in der Luft und taumelte dann zur Seite. Er fiel, die
+Hände vorgestreckt, in einen Hügel und bohrte auch sein
+Gesicht hinein.
+
+</p><p>Es war Kuhdünger aus den Ställen vom Morgen her.
+
+</p><p>Der Hügel dampfte in einer weißen Wolke warm und
+schön.
+
+</p><p>Er aber tat den Kopf nicht gleich zurück, sondern ließ
+ihn wenige Herzschläge lang da noch liegen, denn er
+fühlte in einem wunderbaren Gefühl, daß diese Lage
+unschön sei und schmutzig vielleicht und auch wohl manchem
+großen Ekel machend, aber (was viel größer sei)
+tief und warm und so unendlich voll Dasein.
+
+</p><p>Die Pflegende am Fenster hob ihr Gesicht ein wenig
+höher und dachte: O diese Hölle in <i>einer</i> Brust. Er wird
+das Leben furchtbar packen wie eine unendliche Geliebte.
+Wie ich ihn lieben muß.
+
+</p>
+
+
+
+
+
+
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Das rasende Leben, by Kasimir Edschmid
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS RASENDE LEBEN ***
+
+***** This file should be named 30628-h.htm or 30628-h.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ https://www.gutenberg.org/3/0/6/2/30628/
+
+Produced by Jens Sadowski
+
+Updated editions will replace the previous one--the old editions
+will be renamed.
+
+Creating the works from public domain print editions means that no
+one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
+permission and without paying copyright royalties. Special rules,
+set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
+copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
+protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project
+Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
+charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you
+do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
+rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose
+such as creation of derivative works, reports, performances and
+research. They may be modified and printed and given away--you may do
+practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
+subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
+
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+
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+If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
+Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
+terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
+entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.
+
+1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
+used on or associated in any way with an electronic work by people who
+agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
+located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
+copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
+works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
+are removed. Of course, we hope that you will support the Project
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+Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.
+
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+what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in
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+through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
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+
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+ money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
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+ of receipt of the work.
+
+- You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg-tm works.
+
+1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
+electronic work or group of works on different terms than are set
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+both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
+Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the
+Foundation as set forth in Section 3 below.
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+1.F.
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+receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
+is also defective, you may demand a refund in writing without further
+opportunities to fix the problem.
+
+1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
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+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
+If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
+law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
+interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
+the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
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+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
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+with this agreement, and any volunteers associated with the production,
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+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at https://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit https://pglaf.org
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+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including including checks, online payments and credit card
+donations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ https://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
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+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
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+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
+this eBook outside of the United States should confirm copyright
+status under the laws that apply to them.
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