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+The Project Gutenberg EBook of Die Verwandlung, by Franz Kafka
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Die Verwandlung
+
+Author: Franz Kafka
+
+Release Date: August 21, 2007 [EBook #22367]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE VERWANDLUNG ***
+
+
+
+
+Produced by Jana Srna, Alexander Bauer and the Online
+Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
+
+
+
+
+
+ DIE VERWANDLUNG
+
+ VON
+
+ FRANZ KAFKA
+
+
+ K U R T  W O L F F  V E R L A G
+
+ L E I P Z I G
+
+
+
+
+ B Ü C H E R E I  »D E R  J Ü N G S T E  T A G«  B A N D  2 2 / 2 3
+
+ GEDRUCKT BEI DIETSCH & BRÜCKNER · WEIMAR
+
+
+
+
+ COPYRIGHT KURT WOLFF VERLAG · LEIPZIG. 1917
+
+
+
+
+I.
+
+
+Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er
+sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag
+auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig
+hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen
+geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen
+Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine vielen, im
+Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten
+ihm hilflos vor den Augen.
+
+»Was ist mit mir geschehen?« dachte er. Es war kein Traum. Sein Zimmer,
+ein richtiges, nur etwas zu kleines Menschenzimmer, lag ruhig zwischen
+den vier wohlbekannten Wänden. Über dem Tisch, auf dem eine
+auseinandergepackte Musterkollektion von Tuchwaren ausgebreitet war --
+Samsa war Reisender --, hing das Bild, das er vor kurzem aus einer
+illustrierten Zeitschrift ausgeschnitten und in einem hübschen,
+vergoldeten Rahmen untergebracht hatte. Es stellte eine Dame dar, die,
+mit einem Pelzhut und einer Pelzboa versehen, aufrecht dasaß und einen
+schweren Pelzmuff, in dem ihr ganzer Unterarm verschwunden war, dem
+Beschauer entgegenhob.
+
+Gregors Blick richtete sich dann zum Fenster, und das trübe Wetter --
+man hörte Regentropfen auf das Fensterblech aufschlagen -- machte ihn
+ganz melancholisch. »Wie wäre es, wenn ich noch ein wenig
+weiterschliefe und alle Narrheiten vergäße,« dachte er, aber das war
+gänzlich undurchführbar, denn er war gewöhnt, auf der rechten Seite zu
+schlafen, konnte sich aber in seinem gegenwärtigen Zustand nicht in
+diese Lage bringen. Mit welcher Kraft er sich auch auf die rechte Seite
+warf, immer wieder schaukelte er in die Rückenlage zurück. Er versuchte
+es wohl hundertmal, schloß die Augen, um die zappelnden Beine nicht
+sehen zu müssen, und ließ erst ab, als er in der Seite einen noch nie
+gefühlten, leichten, dumpfen Schmerz zu fühlen begann.
+
+»Ach Gott,« dachte er, »was für einen anstrengenden Beruf habe ich
+gewählt! Tag aus, Tag ein auf der Reise. Die geschäftlichen Aufregungen
+sind viel größer, als im eigentlichen Geschäft zu Hause, und außerdem
+ist mir noch diese Plage des Reisens auferlegt, die Sorgen um die
+Zuganschlüsse, das unregelmäßige, schlechte Essen, ein immer
+wechselnder, nie andauernder, nie herzlich werdender menschlicher
+Verkehr. Der Teufel soll das alles holen!« Er fühlte ein leichtes Jucken
+oben auf dem Bauch; schob sich auf dem Rücken langsam näher zum
+Bettpfosten, um den Kopf besser heben zu können; fand die juckende
+Stelle, die mit lauter kleinen weißen Pünktchen besetzt war, die er
+nicht zu beurteilen verstand; und wollte mit einem Bein die Stelle
+betasten, zog es aber gleich zurück, denn bei der Berührung umwehten ihn
+Kälteschauer.
+
+Er glitt wieder in seine frühere Lage zurück. »Dies frühzeitige
+Aufstehen«, dachte er, »macht einen ganz blödsinnig. Der Mensch muß
+seinen Schlaf haben. Andere Reisende leben wie Haremsfrauen. Wenn ich
+zum Beispiel im Laufe des Vormittags ins Gasthaus zurückgehe, um die
+erlangten Aufträge zu überschreiben, sitzen diese Herren erst beim
+Frühstück. Das sollte ich bei meinem Chef versuchen; ich würde auf der
+Stelle hinausfliegen. Wer weiß übrigens, ob das nicht sehr gut für mich
+wäre. Wenn ich mich nicht wegen meiner Eltern zurückhielte, ich hätte
+längst gekündigt, ich wäre vor den Chef hingetreten und hätte ihm meine
+Meinung von Grund des Herzens aus gesagt. Vom Pult hätte er fallen
+müssen! Es ist auch eine sonderbare Art, sich auf das Pult zu setzen und
+von der Höhe herab mit dem Angestellten zu reden, der überdies wegen der
+Schwerhörigkeit des Chefs ganz nahe herantreten muß. Nun, die Hoffnung
+ist noch nicht gänzlich aufgegeben, habe ich einmal das Geld beisammen,
+um die Schuld der Eltern an ihn abzuzahlen -- es dürfte noch fünf bis
+sechs Jahre dauern --, mache ich die Sache unbedingt. Dann wird der
+große Schnitt gemacht. Vorläufig allerdings muß ich aufstehen, denn mein
+Zug fährt um fünf.«
+
+Und er sah zur Weckuhr hinüber, die auf dem Kasten tickte. »Himmlischer
+Vater!« dachte er, Es war halb sieben Uhr, und die Zeiger gingen ruhig
+vorwärts, es war sogar halb vorüber, es näherte sich schon dreiviertel.
+Sollte der Wecker nicht geläutet haben? Man sah vom Bett aus, daß er auf
+vier Uhr richtig eingestellt war; gewiß hatte er auch geläutet. Ja, aber
+war es möglich, dieses möbelerschütternde Läuten ruhig zu verschlafen?
+Nun, ruhig hatte er ja nicht geschlafen, aber wahrscheinlich desto
+fester. Was aber sollte er jetzt tun? Der nächste Zug ging um sieben
+Uhr; um den einzuholen, hätte er sich unsinnig beeilen müssen, und die
+Kollektion war noch nicht eingepackt, und er selbst fühlte sich durchaus
+nicht besonders frisch und beweglich. Und selbst wenn er den Zug
+einholte, ein Donnerwetter des Chefs war nicht zu vermeiden, denn der
+Geschäftsdiener hatte beim Fünfuhrzug gewartet und die Meldung von
+seiner Versäumnis längst erstattet. Es war eine Kreatur des Chefs, ohne
+Rückgrat und Verstand. Wie nun, wenn er sich krank meldete? Das wäre
+aber äußerst peinlich und verdächtig, denn Gregor war während seines
+fünfjährigen Dienstes noch nicht einmal krank gewesen. Gewiß würde der
+Chef mit dem Krankenkassenarzt kommen, würde den Eltern wegen des faulen
+Sohnes Vorwürfe machen und alle Einwände durch den Hinweis auf den
+Krankenkassenarzt abschneiden, für den es ja überhaupt nur ganz gesunde,
+aber arbeitsscheue Menschen gibt. Und hätte er übrigens in diesem Falle
+so ganz unrecht? Gregor fühlte sich tatsächlich, abgesehen von einer
+nach dem langen Schlaf wirklich überflüssigen Schläfrigkeit, ganz wohl
+und hatte sogar einen besonders kräftigen Hunger.
+
+Als er dies alles in größter Eile überlegte, ohne sich entschließen zu
+können, das Bett zu verlassen -- gerade schlug der Wecker dreiviertel
+sieben -- klopfte es vorsichtig an die Tür am Kopfende seines Bettes.
+»Gregor,« rief es -- es war die Mutter --, »es ist dreiviertel sieben.
+Wolltest du nicht wegfahren?« Die sanfte Stimme! Gregor erschrak, als er
+seine antwortende Stimme hörte, die wohl unverkennbar seine frühere war,
+in die sich aber, wie von unten her, ein nicht zu unterdrückendes,
+schmerzliches Piepsen mischte, das die Worte förmlich nur im ersten
+Augenblick in ihrer Deutlichkeit beließ, um sie im Nachklang derart zu
+zerstören, daß man nicht wußte, ob man recht gehört hatte. Gregor hatte
+ausführlich antworten und alles erklären wollen, beschränkte sich aber
+bei diesen Umständen darauf, zu sagen: »Ja, ja, danke, Mutter, ich stehe
+schon auf.« Infolge der Holztür war die Veränderung in Gregors Stimme
+draußen wohl nicht zu merken, denn die Mutter beruhigte sich mit dieser
+Erklärung und schlürfte davon. Aber durch das kleine Gespräch waren die
+anderen Familienmitglieder darauf aufmerksam geworden, daß Gregor wider
+Erwarten noch zu Hause war, und schon klopfte an der einen Seitentür der
+Vater, schwach, aber mit der Faust. »Gregor, Gregor,« rief er, »was ist
+denn?« Und nach einer kleinen Weile mahnte er nochmals mit tieferer
+Stimme: »Gregor! Gregor!« An der anderen Seitentür aber klagte leise die
+Schwester: »Gregor? Ist dir nicht wohl? Brauchst du etwas?« Nach beiden
+Seiten hin antwortete Gregor: »Bin schon fertig,« und bemühte sich,
+durch die sorgfältigste Aussprache und durch Einschaltung von langen
+Pausen zwischen den einzelnen Worten seiner Stimme alles Auffallende zu
+nehmen. Der Vater kehrte auch zu seinem Frühstück zurück, die Schwester
+aber flüsterte: »Gregor, mach auf, ich beschwöre dich.« Gregor aber
+dachte gar nicht daran aufzumachen, sondern lobte die vom Reisen her
+übernommene Vorsicht, auch zu Hause alle Türen während der Nacht zu
+versperren.
+
+Zunächst wollte er ruhig und ungestört aufstehen, sich anziehen und vor
+allem frühstücken, und dann erst das Weitere überlegen, denn, das merkte
+er wohl, im Bett würde er mit dem Nachdenken zu keinem vernünftigen Ende
+kommen. Er erinnerte sich, schon öfters im Bett irgendeinen vielleicht
+durch ungeschicktes Liegen erzeugten, leichten Schmerz empfunden zu
+haben, der sich dann beim Aufstehen als reine Einbildung herausstellte,
+und er war gespannt, wie sich seine heutigen Vorstellungen allmählich
+auflösen würden. Daß die Veränderung der Stimme nichts anderes war als
+der Vorbote einer tüchtigen Verkühlung, einer Berufskrankheit der
+Reisenden, daran zweifelte er nicht im geringsten.
+
+Die Decke abzuwerfen war ganz einfach; er brauchte sich nur ein wenig
+aufzublasen und sie fiel von selbst. Aber weiterhin wurde es schwierig,
+besonders weil er so ungemein breit war. Er hätte Arme und Hände
+gebraucht, um sich aufzurichten; statt dessen aber hatte er nur die
+vielen Beinchen, die ununterbrochen in der verschiedensten Bewegung
+waren und die er überdies nicht beherrschen konnte. Wollte er eines
+einmal einknicken, so war es das erste, daß er sich streckte; und gelang
+es ihm endlich, mit diesem Bein das auszuführen, was er wollte, so
+arbeiteten inzwischen alle anderen, wie freigelassen, in höchster,
+schmerzlicher Aufregung. »Nur sich nicht im Bett unnütz aufhalten,«
+sagte sich Gregor.
+
+Zuerst wollte er mit dem unteren Teil seines Körpers aus dem Bett
+hinauskommen, aber dieser untere Teil, den er übrigens noch nicht
+gesehen hatte und von dem er sich auch keine rechte Vorstellung machen
+konnte, erwies sich als zu schwer beweglich; es ging so langsam; und als
+er schließlich, fast wild geworden, mit gesammelter Kraft, ohne
+Rücksicht sich vorwärtsstieß, hatte er die Richtung falsch gewählt,
+schlug an den unteren Bettpfosten heftig an, und der brennende Schmerz,
+den er empfand, belehrte ihn, daß gerade der untere Teil seines Körpers
+augenblicklich vielleicht der empfindlichste war.
+
+Er versuchte es daher, zuerst den Oberkörper aus dem Bett zu bekommen,
+und drehte vorsichtig den Kopf dem Bettrand zu. Dies gelang auch leicht,
+und trotz ihrer Breite und Schwere folgte schließlich die Körpermasse
+langsam der Wendung des Kopfes. Aber als er den Kopf endlich außerhalb
+des Bettes in der freien Luft hielt, bekam er Angst, weiter auf diese
+Weise vorzurücken, denn wenn er sich schließlich so fallen ließ, mußte
+geradezu ein Wunder geschehen wenn der Kopf nicht verletzt werden
+sollte. Und die Besinnung durfte er gerade jetzt um keinen Preis
+verlieren; lieber wollte er im Bett bleiben.
+
+Aber als er wieder nach gleicher Mühe aufseufzend so dalag wie früher,
+und wieder seine Beinchen womöglich noch ärger gegeneinander kämpfen sah
+und keine Möglichkeit fand, in diese Willkür Ruhe und Ordnung zu
+bringen, sagte er sich wieder, daß er unmöglich im Bett bleiben könne
+und daß es das Vernünftigste sei, alles zu opfern, wenn auch nur die
+kleinste Hoffnung bestünde, sich dadurch vom Bett zu befreien.
+Gleichzeitig aber vergaß er nicht, sich zwischendurch daran zu erinnern,
+daß viel besser als verzweifelte Entschlüsse ruhige und ruhigste
+Überlegung sei. In solchen Augenblicken richtete er die Augen möglichst
+scharf auf das Fenster, aber leider war aus dem Anblick des
+Morgennebels, der sogar die andere Seite der engen Straße verhüllte,
+wenig Zuversicht und Munterkeit zu holen. »Schon sieben Uhr,« sagte er
+sich beim neuerlichen Schlagen des Weckers, »schon sieben Uhr und noch
+immer ein solcher Nebel.« Und ein Weilchen lang lag er ruhig mit
+schwachem Atem, als erwarte er vielleicht von der völligen Stille die
+Wiederkehr der wirklichen und selbstverständlichen Verhältnisse.
+
+Dann aber sagte er sich: »Ehe es einviertel acht schlägt, muß ich
+unbedingt das Bett vollständig verlassen haben. Im übrigen wird auch bis
+dahin jemand aus dem Geschäft kommen, um nach mir zu fragen, denn das
+Geschäft wird vor sieben Uhr geöffnet.« Und er machte sich nun daran,
+den Körper in seiner ganzen Länge vollständig gleichmäßig aus dem Bett
+hinauszuschaukeln. Wenn er sich auf diese Weise aus dem Bett fallen
+ließ, blieb der Kopf, den er beim Fall scharf heben wollte,
+voraussichtlich unverletzt. Der Rücken schien hart zu sein; dem würde
+wohl bei dem Fall auf den Teppich nichts geschehen. Das größte Bedenken
+machte ihm die Rücksicht auf den lauten Krach, den es geben müßte und
+der wahrscheinlich hinter allen Türen wenn nicht Schrecken, so doch
+Besorgnisse erregen würde. Das mußte aber gewagt werden.
+
+Als Gregor schon zur Hälfte aus dem Bette ragte -- die neue Methode war
+mehr ein Spiel als eine Anstrengung, er brauchte immer nur ruckweise zu
+schaukeln --, fiel ihm ein, wie einfach alles wäre, wenn man ihm zu
+Hilfe käme. Zwei starke Leute -- er dachte an seinen Vater und das
+Dienstmädchen -- hätten vollständig genügt; sie hätten ihre Arme nur
+unter seinen gewölbten Rücken schieben, ihn so aus dem Bett schälen,
+sich mit der Last niederbeugen und dann bloß vorsichtig dulden müssen,
+daß er den Überschwung auf dem Fußboden vollzog, wo dann die Beinchen
+hoffentlich einen Sinn bekommen würden. Nun, ganz abgesehen davon, daß
+die Türen versperrt waren, hätte er wirklich um Hilfe rufen sollen?
+Trotz aller Not konnte er bei diesem Gedanken ein Lächeln nicht
+unterdrücken.
+
+Schon war er so weit, daß er bei stärkerem Schaukeln kaum das
+Gleichgewicht noch erhielt, und sehr bald mußte er sich nun endgültig
+entscheiden, denn es war in fünf Minuten einviertel acht, -- als es an
+der Wohnungstür läutete. »Das ist jemand aus dem Geschäft,« sagte er
+sich und erstarrte fast, während seine Beinchen nur desto eiliger
+tanzten. Einen Augenblick blieb alles still. »Sie öffnen nicht,« sagte
+sich Gregor, befangen in irgendeiner unsinnigen Hoffnung. Aber dann ging
+natürlich wie immer das Dienstmädchen festen Schrittes zur Tür und
+öffnete. Gregor brauchte nur das erste Grußwort des Besuchers zu hören
+und wußte schon, wer es war -- der Prokurist selbst. Warum war nur
+Gregor dazu verurteilt, bei einer Firma zu dienen, wo man bei der
+kleinsten Versäumnis gleich den größten Verdacht faßte? Waren denn alle
+Angestellten samt und sonders Lumpen, gab es denn unter ihnen keinen
+treuen ergebenen Menschen, den, wenn er auch nur ein paar Morgenstunden
+für das Geschäft nicht ausgenützt hatte, vor Gewissensbissen närrisch
+wurde und geradezu nicht imstande war, das Bett zu verlassen? Genügte es
+wirklich nicht, einen Lehrjungen nachfragen zu lassen -- wenn überhaupt
+diese Fragerei nötig war --, mußte da der Prokurist selbst kommen, und
+mußte dadurch der ganzen unschuldigen Familie gezeigt werden, daß die
+Untersuchung dieser verdächtigen Angelegenheit nur dem Verstand des
+Prokuristen anvertraut werden konnte? Und mehr infolge der Erregung, in
+welche Gregor durch diese Überlegungen versetzt wurde, als infolge eines
+richtigen Entschlusses, schwang er sich mit aller Macht aus dem Bett. Es
+gab einen lauten Schlag, aber ein eigentlicher Krach war es nicht. Ein
+wenig wurde der Fall durch den Teppich abgeschwächt, auch war der Rücken
+elastischer, als Gregor gedacht hatte, daher kam der nicht gar so
+auffallende dumpfe Klang. Nur den Kopf hatte er nicht vorsichtig genug
+gehalten und ihn angeschlagen; er drehte ihn und rieb ihn an dem Teppich
+vor Ärger und Schmerz.
+
+»Da drin ist etwas gefallen,« sagte der Prokurist im Nebenzimmer links.
+Gregor suchte sich vorzustellen, ob nicht auch einmal dem Prokuristen
+etwas Ähnliches passieren könnte, wie heute ihm; die Möglichkeit dessen
+mußte man doch eigentlich zugeben. Aber wie zur rohen Antwort auf diese
+Frage machte jetzt der Prokurist im Nebenzimmer ein paar bestimmte
+Schritte und ließ seine Lackstiefel knarren. Aus dem Nebenzimmer rechts
+flüsterte die Schwester, um Gregor zu verständigen: »Gregor, der
+Prokurist ist da.« »Ich weiß,« sagte Gregor vor sich hin; aber so laut,
+daß es die Schwester hätte hören können, wagte er die Stimme nicht zu
+erheben.
+
+»Gregor,« sagte nun der Vater aus dem Nebenzimmer links, »der Herr
+Prokurist ist gekommen und erkundigt sich, warum du nicht mit dem
+Frühzug weggefahren bist. Wir wissen nicht, was wir ihm sagen sollen.
+Übrigens will er auch mit dir persönlich sprechen. Also bitte mach die
+Tür auf. Er wird die Unordnung im Zimmer zu entschuldigen schon die Güte
+haben.« »Guten Morgen, Herr Samsa,« rief der Prokurist freundlich
+dazwischen. »Ihm ist nicht wohl,« sagte die Mutter zum Prokuristen,
+während der Vater noch an der Tür redete, »ihm ist nicht wohl, glauben
+Sie mir, Herr Prokurist. Wie würde denn Gregor sonst einen Zug
+versäumen! Der Junge hat ja nichts im Kopf als das Geschäft. Ich ärgere
+mich schon fast, daß er abends niemals ausgeht; jetzt war er doch acht
+Tage in der Stadt, aber jeden Abend war er zu Hause. Da sitzt er bei uns
+am Tisch und liest still die Zeitung oder studiert Fahrpläne. Es ist
+schon eine Zerstreuung für ihn, wenn er sich mit Laubsägearbeiten
+beschäftigt. Da hat er zum Beispiel im Laufe von zwei, drei Abenden
+einen kleinen Rahmen geschnitzt; Sie werden staunen, wie hübsch er ist;
+er hängt drin im Zimmer; Sie werden ihn gleich sehen, wenn Gregor
+aufmacht. Ich bin übrigens glücklich, daß Sie da sind, Herr Prokurist;
+wir allein hätten Gregor nicht dazu gebracht, die Tür zu öffnen; er ist
+so hartnäckig; und bestimmt ist ihm nicht wohl, trotzdem er es am Morgen
+geleugnet hat.« »Ich komme gleich,« sagte Gregor langsam und bedächtig
+und rührte sich nicht, um kein Wort der Gespräche zu verlieren. »Anders,
+gnädige Frau, kann ich es mir auch nicht erklären,« sagte der Prokurist,
+»hoffentlich ist es nichts Ernstes. Wenn ich auch andererseits sagen
+muß, daß wir Geschäftsleute -- wie man will, leider oder
+glücklicherweise -- ein leichtes Unwohlsein sehr oft aus geschäftlichen
+Rücksichten einfach überwinden müssen.« »Also kann der Herr Prokurist
+schon zu dir hinein?« fragte der ungeduldige Vater und klopfte wiederum
+an die Tür. »Nein,« sagte Gregor. Im Nebenzimmer links trat eine
+peinliche Stille ein, im Nebenzimmer rechts begann die Schwester zu
+schluchzen.
+
+Warum ging denn die Schwester nicht zu den anderen? Sie war wohl erst
+jetzt aus dem Bett aufgestanden und hatte noch gar nicht angefangen sich
+anzuziehen. Und warum weinte sie denn? Weil er nicht aufstand und den
+Prokuristen nicht hereinließ, weil er in Gefahr war, den Posten zu
+verlieren und weil dann der Chef die Eltern mit den alten Forderungen
+wieder verfolgen würde? Das waren doch vorläufig wohl unnötige Sorgen.
+Noch war Gregor hier und dachte nicht im geringsten daran, seine Familie
+zu verlassen. Augenblicklich lag er wohl da auf dem Teppich, und
+niemand, der seinen Zustand gekannt hätte, hätte im Ernst von ihm
+verlangt, daß er den Prokuristen hereinlasse. Aber wegen dieser kleinen
+Unhöflichkeit, für die sich ja später leicht eine passende Ausrede
+finden würde, konnte Gregor doch nicht gut sofort weggeschickt werden.
+Und Gregor schien es, daß es viel vernünftiger wäre, ihn jetzt in Ruhe
+zu lassen, statt ihn mit Weinen und Zureden zu stören. Aber es war eben
+die Ungewißheit, welche die anderen bedrängte und ihr Benehmen
+entschuldigte.
+
+»Herr Samsa,« rief nun der Prokurist mit erhobener Stimme, »was ist denn
+los? Sie verbarrikadieren sich da in Ihrem Zimmer, antworten bloß mit ja
+und nein, machen Ihren Eltern schwere, unnötige Sorgen und versäumen --
+dies nur nebenbei erwähnt -- Ihre geschäftlichen Pflichten in einer
+eigentlich unerhörten Weise. Ich spreche hier im Namen Ihrer Eltern und
+Ihres Chefs und bitte Sie ganz ernsthaft um eine augenblickliche,
+deutliche Erklärung. Ich staune, ich staune. Ich glaubte Sie als einen
+ruhigen, vernünftigen Menschen zu kennen, und nun scheinen Sie plötzlich
+anfangen zu wollen, mit sonderbaren Launen zu paradieren. Der Chef
+deutete mir zwar heute früh eine mögliche Erklärung für Ihre Versäumnis
+an -- sie betraf das Ihnen seit kurzem anvertraute Inkasso --, aber ich
+legte wahrhaftig fast mein Ehrenwort dafür ein, daß diese Erklärung
+nicht zutreffen könne. Nun aber sehe ich hier Ihren unbegreiflichen
+Starrsinn und verliere ganz und gar jede Lust, mich auch nur im
+geringsten für Sie einzusetzen. Und Ihre Stellung ist durchaus nicht die
+festeste. Ich hatte ursprünglich die Absicht, Ihnen das alles unter vier
+Augen zu sagen, aber da Sie mich hier nutzlos meine Zeit versäumen
+lassen, weiß ich nicht, warum es nicht auch Ihre Herren Eltern erfahren
+sollen. Ihre Leistungen in der letzten Zeit waren also sehr
+unbefriedigend; es ist zwar nicht die Jahreszeit, um besondere Geschäfte
+zu machen, das erkennen wir an; aber eine Jahreszeit, um keine Geschäfte
+zu machen, gibt es überhaupt nicht, Herr Samsa, darf es nicht geben.«
+
+»Aber Herr Prokurist,« rief Gregor außer sich und vergaß in der
+Aufregung alles andere, »ich mache ja sofort, augenblicklich auf. Ein
+leichtes Unwohlsein, ein Schwindelanfall, haben mich verhindert
+aufzustehen. Ich liege noch jetzt im Bett. Jetzt bin ich aber schon
+wieder ganz frisch. Eben steige ich aus dem Bett. Nur einen kleinen
+Augenblick Geduld! Es geht noch nicht so gut, wie ich dachte. Es ist mir
+aber schon wohl. Wie das nur einen Menschen so überfallen kann! Noch
+gestern abend war mir ganz gut, meine Eltern wissen es ja, oder besser,
+schon gestern abend hatte ich eine kleine Vorahnung. Man hätte es mir
+ansehen müssen. Warum habe ich es nur im Geschäfte nicht gemeldet! Aber
+man denkt eben immer, daß man die Krankheit ohne Zuhausebleiben
+überstehen wird. Herr Prokurist! Schonen Sie meine Eltern! Für alle die
+Vorwürfe, die Sie mir jetzt machen, ist ja kein Grund; man hat mir ja
+davon auch kein Wort gesagt. Sie haben vielleicht die letzten Aufträge,
+die ich geschickt habe, nicht gelesen. Übrigens, noch mit dem Achtuhrzug
+fahre ich auf die Reise, die paar Stunden Ruhe haben mich gekräftigt.
+Halten Sie sich nur nicht auf, Herr Prokurist; ich bin gleich selbst im
+Geschäft, und haben Sie die Güte, das zu sagen und mich dem Herrn Chef
+zu empfehlen!«
+
+Und während Gregor dies alles hastig ausstieß und kaum wußte, was er
+sprach, hatte er sich leicht, wohl infolge der im Bett bereits erlangten
+Übung, dem Kasten genähert und versuchte nun, an ihm sich aufzurichten.
+Er wollte tatsächlich die Tür aufmachen, tatsächlich sich sehen lassen
+und mit dem Prokuristen sprechen; er war begierig zu erfahren, was die
+anderen, die jetzt so nach ihm verlangten, bei seinem Anblick sagen
+würden. Würden sie erschrecken, dann hatte Gregor keine Verantwortung
+mehr und konnte ruhig sein. Würden sie aber alles ruhig hinnehmen, dann
+hatte auch er keinen Grund sich aufzuregen, und konnte, wenn er sich
+beeilte, um acht Uhr tatsächlich auf dem Bahnhof sein. Zuerst glitt er
+nun einigemale von dem glatten Kasten ab, aber endlich gab er sich
+einen letzten Schwung und stand aufrecht da; auf die Schmerzen im
+Unterleib achtete er gar nicht mehr, so sehr sie auch brannten. Nun ließ
+er sich gegen die Rücklehne eines nahen Stuhles fallen, an deren Rändern
+er sich mit seinen Beinchen festhielt. Damit hatte er aber auch die
+Herrschaft über sich erlangt und verstummte, denn nun konnte er den
+Prokuristen anhören.
+
+»Haben Sie auch nur ein Wort verstanden?« fragte der Prokurist die
+Eltern, »er macht sich doch wohl nicht einen Narren aus uns?« »Um Gottes
+willen,« rief die Mutter schon unter Weinen, »er ist vielleicht schwer
+krank, und wir quälen ihn. Grete! Grete!« schrie sie dann. »Mutter?«
+rief die Schwester von der anderen Seite. Sie verständigten sich durch
+Gregors Zimmer. »Du mußt augenblicklich zum Arzt. Gregor ist krank.
+Rasch um den Arzt. Hast du Gregor jetzt reden hören?« »Das war eine
+Tierstimme,« sagte der Prokurist, auffallend leise gegenüber dem
+Schreien der Mutter. »Anna! Anna!« rief der Vater durch das Vorzimmer in
+die Küche und klatschte in die Hände, »sofort einen Schlosser holen!«
+Und schon liefen die zwei Mädchen mit rauschenden Röcken durch das
+Vorzimmer -- wie hatte sich die Schwester denn so schnell angezogen? --
+und rissen die Wohnungstüre auf. Man hörte gar nicht die Türe
+zuschlagen; sie hatten sie wohl offen gelassen, wie es in Wohnungen zu
+sein pflegt, in denen ein großes Unglück geschehen ist.
+
+Gregor war aber viel ruhiger geworden. Man verstand zwar also seine
+Worte nicht mehr, trotzdem sie ihm genug klar, klarer als früher,
+vorgekommen waren, vielleicht infolge der Gewöhnung des Ohres. Aber
+immerhin glaubte man nun schon daran, daß es mit ihm nicht ganz in
+Ordnung war, und war bereit, ihm zu helfen. Die Zuversicht und
+Sicherheit, womit die ersten Anordnungen getroffen worden waren, taten
+ihm wohl. Er fühlte sich wieder einbezogen in den menschlichen Kreis und
+erhoffte von beiden, vom Arzt und vom Schlosser, ohne sie eigentlich
+genau zu scheiden, großartige und überraschende Leistungen. Um für die
+sich nähernden entscheidenden Besprechungen eine möglichst klare Stimme
+zu bekommen, hustete er ein wenig ab, allerdings bemüht, dies ganz
+gedämpft zu tun, da möglicherweise auch schon dieses Geräusch anders als
+menschlicher Husten klang, was er selbst zu entscheiden sich nicht mehr
+getraute. Im Nebenzimmer war es inzwischen ganz still geworden.
+Vielleicht saßen die Eltern mit dem Prokuristen beim Tisch und
+tuschelten, vielleicht lehnten alle an der Türe und horchten.
+
+Gregor schob sich langsam mit dem Sessel zur Tür hin, ließ ihn dort los,
+warf sich gegen die Tür, hielt sich an ihr aufrecht -- die Ballen seiner
+Beinchen hatten ein wenig Klebstoff -- und ruhte sich dort einen
+Augenblick lang von der Anstrengung aus. Dann aber machte er sich daran,
+mit dem Mund den Schlüssel im Schloß umzudrehen. Es schien leider, daß
+er keine eigentlichen Zähne hatte, -- womit sollte er gleich den
+Schlüssel fassen? -- aber dafür waren die Kiefer freilich sehr stark,
+mit ihrer Hilfe brachte er auch wirklich den Schlüssel in Bewegung und
+achtete nicht darauf, daß er sich zweifellos irgendeinen Schaden
+zufügte, denn eine braune Flüssigkeit kam ihm aus dem Mund, floß über
+den Schlüssel und tropfte auf den Boden. »Hören Sie nur,« sagte der
+Prokurist im Nebenzimmer, »er dreht den Schlüssel um.« Das war für
+Gregor eine große Aufmunterung; aber alle hätten ihm zurufen sollen,
+auch der Vater und die Mutter: »Frisch, Gregor,« hätten sie rufen
+sollen, »immer nur heran, fest an das Schloß heran!« Und in der
+Vorstellung, daß alle seine Bemühungen mit Spannung verfolgten, verbiß
+er sich mit allem, was er an Kraft aufbringen konnte, besinnungslos in
+den Schlüssel. Je nach dem Fortschreiten der Drehung des Schlüssels
+umtanzte er das Schloß, hielt sich jetzt nur noch mit dem Munde
+aufrecht, und je nach Bedarf hing er sich an den Schlüssel oder drückte
+ihn dann wieder nieder mit der ganzen Last seines Körpers. Der hellere
+Klang des endlich zurückschnappenden Schlosses erweckte Gregor förmlich.
+Aufatmend sagte er sich: »Ich habe also den Schlosser nicht gebraucht,«
+und legte den Kopf auf die Klinke, um die Türe gänzlich zu öffnen.
+
+Da er die Türe auf diese Weise öffnen mußte, war sie eigentlich schon
+recht weit geöffnet, und er selbst noch nicht zu sehen. Er mußte sich
+erst langsam um den einen Türflügel herumdrehen, und zwar sehr
+vorsichtig, wenn er nicht gerade vor dem Eintritt ins Zimmer plump auf
+den Rücken fallen wollte. Er war noch mit jener schwierigen Bewegung
+beschäftigt und hatte nicht Zeit, auf anderes zu achten, da hörte er
+schon den Prokuristen ein lautes »Oh!« ausstoßen -- es klang, wie wenn
+der Wind saust -- und nun sah er ihn auch, wie er, der der Nächste an
+der Türe war, die Hand gegen den offenen Mund drückte und langsam
+zurückwich, als vertreibe ihn eine unsichtbare, gleichmäßig fortwirkende
+Kraft. Die Mutter -- sie stand hier trotz der Anwesenheit des
+Prokuristen mit von der Nacht her noch aufgelösten, hoch sich
+sträubenden Haaren -- sah zuerst mit gefalteten Händen den Vater an,
+ging dann zwei Schritte zu Gregor hin und fiel inmitten ihrer rings um
+sie herum sich ausbreitenden Röcke nieder, das Gesicht ganz unauffindbar
+zu ihrer Brust gesenkt. Der Vater ballte mit feindseligem Ausdruck die
+Faust, als wolle er Gregor in sein Zimmer zurückstoßen, sah sich dann
+unsicher im Wohnzimmer um, beschattete dann mit den Händen die Augen und
+weinte, daß sich seine mächtige Brust schüttelte.
+
+Gregor trat nun gar nicht in das Zimmer, sondern lehnte sich von innen
+an den festgeriegelten Türflügel, so daß sein Leib nur zur Hälfte und
+darüber der seitlich geneigte Kopf zu sehen war, mit dem er zu den
+anderen hinüberlugte. Es war inzwischen viel heller geworden; klar stand
+auf der anderen Straßenseite ein Ausschnitt des gegenüberliegenden,
+endlosen, grauschwarzen Hauses -- es war ein Krankenhaus -- mit seinen
+hart die Front durchbrechenden regelmäßigen Fenstern; der Regen fiel
+noch nieder, aber nur mit großen, einzeln sichtbaren und förmlich auch
+einzelnweise auf die Erde hinuntergeworfenen Tropfen. Das
+Frühstücksgeschirr stand in überreicher Zahl auf dem Tisch, denn für den
+Vater war das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages, die er bei
+der Lektüre verschiedener Zeitungen stundenlang hinzog. Gerade an der
+gegenüberliegenden Wand hing eine Photographie Gregors aus seiner
+Militärzeit, die ihn als Leutnant darstellte, wie er, die Hand am Degen,
+sorglos lächelnd, Respekt für seine Haltung und Uniform verlangte. Die
+Tür zum Vorzimmer war geöffnet, und man sah, da auch die Wohnungstür
+offen war, auf den Vorplatz der Wohnung hinaus und auf den Beginn der
+abwärts führenden Treppe.
+
+»Nun,« sagte Gregor und war sich dessen wohl bewußt, daß er der einzige
+war, der die Ruhe bewahrt hatte, »ich werde mich gleich anziehen, die
+Kollektion zusammenpacken und wegfahren. Wollt ihr, wollt ihr mich
+wegfahren lassen? Nun, Herr Prokurist, Sie sehen, ich bin nicht
+starrköpfig und ich arbeite gern; das Reisen ist beschwerlich, aber ich
+könnte ohne das Reisen nicht leben. Wohin gehen Sie denn, Herr
+Prokurist? Ins Geschäft? Ja? Werden Sie alles wahrheitsgetreu berichten?
+Man kann im Augenblick unfähig sein zu arbeiten, aber dann ist gerade
+der richtige Zeitpunkt, sich an die früheren Leistungen zu erinnern und
+zu bedenken, daß man später, nach Beseitigung des Hindernisses, gewiß
+desto fleißiger und gesammelter arbeiten wird. Ich bin ja dem Herrn Chef
+so sehr verpflichtet, das wissen Sie doch recht gut. Andererseits habe
+ich die Sorge um meine Eltern und die Schwester. Ich bin in der Klemme,
+ich werde mich aber auch wieder herausarbeiten. Machen Sie es mir aber
+nicht schwieriger, als es schon ist. Halten Sie im Geschäft meine
+Partei! Man liebt den Reisenden nicht, ich weiß. Man denkt, er verdient
+ein Heidengeld und führt dabei ein schönes Leben. Man hat eben keine
+besondere Veranlassung, dieses Vorurteil besser zu durchdenken. Sie
+aber, Herr Prokurist, Sie haben einen besseren Überblick über die
+Verhältnisse, als das sonstige Personal, ja sogar, ganz im Vertrauen
+gesagt, einen besseren Überblick, als der Herr Chef selbst, der in
+seiner Eigenschaft als Unternehmer sich in seinem Urteil leicht
+zuungunsten eines Angestellten beirren läßt. Sie wissen auch sehr wohl,
+daß der Reisende, der fast das ganze Jahr außerhalb des Geschäftes ist,
+so leicht ein Opfer von Klatschereien, Zufälligkeiten und grundlosen
+Beschwerden werden kann, gegen die sich zu wehren ihm ganz unmöglich
+ist, da er von ihnen meistens gar nichts erfährt und nur dann, wenn er
+erschöpft eine Reise beendet hat, zu Hause die schlimmen, auf ihre
+Ursachen hin nicht mehr zu durchschauenden Folgen am eigenen Leibe zu
+spüren bekommt. Herr Prokurist, gehen Sie nicht weg, ohne mir ein Wort
+gesagt zu haben, das mir zeigt, daß Sie mir wenigstens zu einem kleinen
+Teil recht geben!«
+
+Aber der Prokurist hatte sich schon bei den ersten Worten Gregors
+abgewendet, und nur über die zuckende Schulter hinweg sah er mit
+aufgeworfenen Lippen nach Gregor zurück. Und während Gregors Rede stand
+er keinen Augenblick still, sondern verzog sich, ohne Gregor aus den
+Augen zu lassen, gegen die Tür, aber ganz allmählich, als bestehe ein
+geheimes Verbot, das Zimmer zu verlassen. Schon war er im Vorzimmer, und
+nach der plötzlichen Bewegung, mit der er zum letztenmal den Fuß aus dem
+Wohnzimmer zog, hätte man glauben können, er habe sich soeben die Sohle
+verbrannt. Im Vorzimmer aber streckte er die rechte Hand weit von sich
+zur Treppe hin, als warte dort auf ihn eine geradezu überirdische
+Erlösung.
+
+Gregor sah ein, daß er den Prokuristen in dieser Stimmung auf keinen
+Fall weggehen lassen dürfe, wenn dadurch seine Stellung im Geschäft
+nicht aufs äußerste gefährdet werden sollte. Die Eltern verstanden das
+alles nicht so gut; sie hatten sich in den langen Jahren die Überzeugung
+gebildet, daß Gregor in diesem Geschäft für sein Leben versorgt war, und
+hatten außerdem jetzt mit den augenblicklichen Sorgen so viel zu tun,
+daß ihnen jede Voraussicht abhanden gekommen war. Aber Gregor hatte
+diese Voraussicht. Der Prokurist mußte gehalten, beruhigt, überzeugt und
+schließlich gewonnen werden; die Zukunft Gregors und seiner Familie hing
+doch davon ab! Wäre doch die Schwester hier gewesen! Sie war klug; sie
+hatte schon geweint, als Gregor noch ruhig auf dem Rücken lag. Und gewiß
+hätte der Prokurist, dieser Damenfreund, sich von ihr lenken lassen;
+sie hätte die Wohnungstür zugemacht und ihm im Vorzimmer den Schrecken
+ausgeredet. Aber die Schwester war eben nicht da, Gregor selbst mußte
+handeln. Und ohne daran zu denken, daß er seine gegenwärtigen
+Fähigkeiten, sich zu bewegen, noch gar nicht kannte, ohne auch daran zu
+denken, daß seine Rede möglicher- ja wahrscheinlicherweise wieder nicht
+verstanden worden war, verließ er den Türflügel; schob sich durch die
+Öffnung; wollte zum Prokuristen hingehen, der sich schon am Geländer des
+Vorplatzes lächerlicherweise mit beiden Händen festhielt; fiel aber
+sofort, nach einem Halt suchend, mit einem kleinen Schrei auf seine
+vielen Beinchen nieder. Kaum war das geschehen, fühlte er zum erstenmal
+an diesem Morgen ein körperliches Wohlbehagen; die Beinchen hatten
+festen Boden unter sich; sie gehorchten vollkommen, wie er zu seiner
+Freude merkte; strebten sogar darnach, ihn fortzutragen, wohin er
+wollte; und schon glaubte er, die endgültige Besserung alles Leidens
+stehe unmittelbar bevor. Aber im gleichen Augenblick, als er da
+schaukelnd vor verhaltener Bewegung, gar nicht weit von seiner Mutter
+entfernt, ihr gerade gegenüber auf dem Boden lag, sprang diese, die doch
+so ganz in sich versunken schien, mit einemmale in die Höhe, die Arme
+weit ausgestreckt, die Finger gespreizt, rief: »Hilfe, um Gottes willen
+Hilfe!«, hielt den Kopf geneigt, als wolle sie Gregor besser sehen, lief
+aber, im Widerspruch dazu, sinnlos zurück; hatte vergessen, daß hinter
+ihr der gedeckte Tisch stand; setzte sich, als sie bei ihm angekommen
+war, wie in Zerstreutheit, eilig auf ihn, und schien gar nicht zu
+merken, daß neben ihr aus der umgeworfenen großen Kanne der Kaffee in
+vollem Strome auf den Teppich sich ergoß.
+
+»Mutter, Mutter,« sagte Gregor leise und sah zu ihr hinauf. Der
+Prokurist war ihm für einen Augenblick ganz aus dem Sinn gekommen;
+dagegen konnte er sich nicht versagen, im Anblick des fließenden Kaffees
+mehrmals mit den Kiefern ins Leere zu schnappen. Darüber schrie die
+Mutter neuerdings auf, flüchtete vom Tisch und fiel dem ihr
+entgegeneilenden Vater in die Arme. Aber Gregor hatte jetzt keine Zeit
+für seine Eltern; der Prokurist war schon auf der Treppe; das Kinn auf
+dem Geländer, sah er noch zum letzten Male zurück. Gregor nahm einen
+Anlauf, um ihn möglichst sicher einzuholen; der Prokurist mußte etwas
+ahnen, denn er machte einen Sprung über mehrere Stufen und verschwand;
+»Huh!« aber schrie er noch, es klang durchs ganze Treppenhaus. Leider
+schien nun auch diese Flucht des Prokuristen den Vater, der bisher
+verhältnismäßig gefaßt gewesen war, völlig zu verwirren, denn statt
+selbst dem Prokuristen nachzulaufen oder wenigstens Gregor in der
+Verfolgung nicht zu hindern, packte er mit der Rechten den Stock des
+Prokuristen, den dieser mit Hut und Überzieher auf einem Sessel
+zurückgelassen hatte, holte mit der Linken eine große Zeitung vom Tisch
+und machte sich unter Füßestampfen daran, Gregor durch Schwenken des
+Stockes und der Zeitung in sein Zimmer zurückzutreiben. Kein Bitten
+Gregors half, kein Bitten wurde auch verstanden, er mochte den Kopf noch
+so demütig drehen, der Vater stampfte nur stärker mit den Füßen. Drüben
+hatte die Mutter trotz des kühlen Wetters ein Fenster aufgerissen, und
+hinausgelehnt drückte sie ihr Gesicht weit außerhalb des Fensters in
+ihre Hände. Zwischen Gasse und Treppenhaus entstand eine starke Zugluft,
+die Fenstervorhänge flogen auf, die Zeitungen auf dem Tische rauschten,
+einzelne Blätter wehten über den Boden hin. Unerbittlich drängte der
+Vater und stieß Zischlaute aus, wie ein Wilder. Nun hatte aber Gregor
+noch gar keine Übung im Rückwärtsgehen, es ging wirklich sehr langsam.
+Wenn sich Gregor nur hätte umdrehen dürfen, er wäre gleich in seinem
+Zimmer gewesen, aber er fürchtete sich, den Vater durch die zeitraubende
+Umdrehung ungeduldig zu machen, und jeden Augenblick drohte ihm doch von
+dem Stock in des Vaters Hand der tödliche Schlag auf den Rücken oder auf
+den Kopf. Endlich aber blieb Gregor doch nichts anderes übrig, denn er
+merkte mit Entsetzen, daß er im Rückwärtsgehen nicht einmal die Richtung
+einzuhalten verstand; und so begann er, unter unaufhörlichen ängstlichen
+Seitenblicken nach dem Vater, sich nach Möglichkeit rasch, in
+Wirklichkeit aber doch nur sehr langsam umzudrehen. Vielleicht merkte
+der Vater seinen guten Willen, denn er störte ihn hierbei nicht, sondern
+dirigierte sogar hie und da die Drehbewegung von der Ferne mit der
+Spitze seines Stockes. Wenn nur nicht dieses unerträgliche Zischen des
+Vaters gewesen wäre! Gregor verlor darüber ganz den Kopf. Er war schon
+fast ganz umgedreht, als er sich, immer auf dieses Zischen horchend,
+sogar irrte und sich wieder ein Stück zurückdrehte. Als er aber endlich
+glücklich mit dem Kopf vor der Türöffnung war, zeigte es sich, daß sein
+Körper zu breit war, um ohne weiteres durchzukommen. Dem Vater fiel es
+natürlich in seiner gegenwärtigen Verfassung auch nicht entfernt ein,
+etwa den anderen Türflügel zu öffnen, um für Gregor einen genügenden
+Durchgang zu schaffen. Seine fixe Idee war bloß, daß Gregor so rasch als
+möglich in sein Zimmer müsse. Niemals hätte er auch die umständlichen
+Vorbereitungen gestattet, die Gregor brauchte, um sich aufzurichten und
+vielleicht auf diese Weise durch die Tür zu kommen. Vielleicht trieb er,
+als gäbe es kein Hindernis, Gregor jetzt unter besonderem Lärm
+vorwärts; es klang schon hinter Gregor gar nicht mehr wie die Stimme
+bloß eines einzigen Vaters; nun gab es wirklich keinen Spaß mehr, und
+Gregor drängte sich -- geschehe was wolle -- in die Tür. Die eine Seite
+seines Körpers hob sich, er lag schief in der Türöffnung, seine eine
+Flanke war ganz wundgerieben, an der weißen Tür blieben häßliche Flecke,
+bald steckte er fest und hätte sich allein nicht mehr rühren können, die
+Beinchen auf der einen Seite hingen zitternd oben in der Luft, die auf
+der anderen waren schmerzhaft zu Boden gedrückt -- da gab ihm der Vater
+von hinten einen jetzt wahrhaftig erlösenden starken Stoß, und er flog,
+heftig blutend, weit in sein Zimmer hinein. Die Tür wurde noch mit dem
+Stock zugeschlagen, dann war es endlich still.
+
+
+
+
+II.
+
+
+Erst in der Abenddämmerung erwachte Gregor aus seinem schweren
+ohnmachtähnlichen Schlaf. Er wäre gewiß nicht viel später auch ohne
+Störung erwacht, denn er fühlte sich genügend ausgeruht und
+ausgeschlafen, doch schien es ihm, als hätte ihn ein flüchtiger Schritt
+und ein vorsichtiges Schließen der zum Vorzimmer führenden Tür geweckt.
+Der Schein der elektrischen Straßenbahn lag bleich hier und da auf der
+Zimmerdecke und auf den höheren Teilen der Möbel, aber unten bei Gregor
+war es finster. Langsam schob er sich, noch ungeschickt mit seinen
+Fühlern tastend, die er jetzt erst schätzen lernte, zur Türe hin, um
+nachzusehen, was dort geschehen war. Seine linke Seite schien eine
+einzige lange, unangenehm spannende Narbe, und er mußte auf seinen zwei
+Beinreihen regelrecht hinken. Ein Beinchen war übrigens im Laufe der
+vormittägigen Vorfälle schwer verletzt worden -- es war fast ein
+Wunder, daß nur eines verletzt worden war -- und schleppte leblos nach.
+
+Erst bei der Tür merkte er, was ihn dorthin eigentlich gelockt hatte; es
+war der Geruch von etwas Eßbarem gewesen. Denn dort stand ein Napf mit
+süßer Milch gefüllt, in der kleine Schnitte von Weißbrot schwammen. Fast
+hätte er vor Freude gelacht, denn er hatte noch größeren Hunger als am
+Morgen, und gleich tauchte er seinen Kopf fast bis über die Augen in die
+Milch hinein. Aber bald zog er ihn enttäuscht wieder zurück; nicht nur,
+daß ihm das Essen wegen seiner heiklen linken Seite Schwierigkeiten
+machte -- und er konnte nur essen, wenn der ganze Körper schnaufend
+mitarbeitete --, so schmeckte ihm überdies die Milch, die sonst sein
+Lieblingsgetränk war und die ihm gewiß die Schwester deshalb
+hereingestellt hatte, gar nicht, ja er wandte sich fast mit Widerwillen
+von dem Napf ab und kroch in die Zimmermitte zurück.
+
+Im Wohnzimmer war, wie Gregor durch die Türspalte sah, das Gas
+angezündet, aber während sonst zu dieser Tageszeit der Vater seine
+nachmittags erscheinende Zeitung der Mutter und manchmal auch der
+Schwester mit erhobener Stimme vorzulesen pflegte, hörte man jetzt
+keinen Laut. Nun vielleicht war dieses Vorlesen, von dem ihm die
+Schwester immer erzählte und schrieb, in der letzten Zeit überhaupt aus
+der Übung gekommen. Aber auch ringsherum war es so still, trotzdem doch
+gewiß die Wohnung nicht leer war. »Was für ein stilles Leben die Familie
+doch führte,« sagte sich Gregor und fühlte, während er starr vor sich
+ins Dunkle sah, einen großen Stolz darüber, daß er seinen Eltern und
+seiner Schwester ein solches Leben in einer so schönen Wohnung hatte
+verschaffen können. Wie aber, wenn jetzt alle Ruhe, aller Wohlstand,
+alle Zufriedenheit ein Ende mit Schrecken nehmen sollte? Um sich nicht
+in solche Gedanken zu verlieren, setzte sich Gregor lieber in Bewegung
+und kroch im Zimmer auf und ab.
+
+Einmal während des langen Abends wurde die eine Seitentüre und einmal
+die andere bis zu einer kleinen Spalte geöffnet und rasch wieder
+geschlossen; jemand hatte wohl das Bedürfnis hereinzukommen, aber auch
+wieder zu viele Bedenken. Gregor machte nun unmittelbar bei der
+Wohnzimmertür Halt, entschlossen, den zögernden Besucher doch irgendwie
+hereinzubringen oder doch wenigstens zu erfahren, wer es sei; aber nun
+wurde die Tür nicht mehr geöffnet und Gregor wartete vergebens. Früh,
+als die Türen versperrt waren, hatten alle zu ihm hereinkommen wollen,
+jetzt, da er die eine Tür geöffnet hatte und die anderen offenbar
+während des Tages geöffnet worden waren, kam keiner mehr, und die
+Schlüssel steckten nun auch von außen.
+
+Spät erst in der Nacht wurde das Licht im Wohnzimmer ausgelöscht, und
+nun war leicht festzustellen, daß die Eltern und die Schwester so lange
+wachgeblieben waren, denn wie man genau hören konnte, entfernten sich
+jetzt alle drei auf den Fußspitzen. Nun kam gewiß bis zum Morgen niemand
+mehr zu Gregor herein; er hatte also eine lange Zeit, um ungestört zu
+überlegen, wie er sein Leben jetzt neu ordnen sollte. Aber das hohe
+freie Zimmer, in dem er gezwungen war, flach auf dem Boden zu liegen,
+ängstigte ihn, ohne daß er die Ursache herausfinden konnte, denn es war
+ja sein seit fünf Jahren von ihm bewohntes Zimmer -- und mit einer halb
+unbewußten Wendung und nicht ohne eine leichte Scham eilte er unter das
+Kanapee, wo er sich, trotzdem sein Rücken ein wenig gedrückt wurde und
+trotzdem er den Kopf nicht mehr erheben konnte, gleich sehr behaglich
+fühlte und nur bedauerte, daß sein Körper zu breit war, um vollständig
+unter dem Kanapee untergebracht zu werden.
+
+Dort blieb er die ganze Nacht, die er zum Teil im Halbschlaf, aus dem
+ihn der Hunger immer wieder aufschreckte, verbrachte, zum Teil aber in
+Sorgen und undeutlichen Hoffnungen, die aber alle zu dem Schlusse
+führten, daß er sich vorläufig ruhig verhalten und durch Geduld und
+größte Rücksichtnahme der Familie die Unannehmlichkeiten erträglich
+machen müsse, die er ihr in seinem gegenwärtigen Zustand nun einmal zu
+verursachen gezwungen war.
+
+Schon am frühen Morgen, es war fast noch Nacht, hatte Gregor
+Gelegenheit, die Kraft seiner eben gefaßten Entschlüsse zu prüfen, denn
+vom Vorzimmer her öffnete die Schwester, fast völlig angezogen, die Tür
+und sah mit Spannung herein. Sie fand ihn nicht gleich, aber als sie ihn
+unter dem Kanapee bemerkte -- Gott, er mußte doch irgendwo sein, er
+hatte doch nicht wegfliegen können -- erschrak sie so sehr, daß sie,
+ohne sich beherrschen zu können, die Tür von außen wieder zuschlug. Aber
+als bereue sie ihr Benehmen, öffnete sie die Tür sofort wieder und trat,
+als sei sie bei einem Schwerkranken oder gar bei einem Fremden, auf den
+Fußspitzen herein. Gregor hatte den Kopf bis knapp zum Rande des
+Kanapees vorgeschoben und beobachtete sie. Ob sie wohl bemerken würde,
+daß er die Milch stehen gelassen hatte, und zwar keineswegs aus Mangel
+an Hunger, und ob sie eine andere Speise hereinbringen würde, die ihm
+besser entsprach? Täte sie es nicht von selbst, er wollte lieber
+verhungern, als sie darauf aufmerksam machen, trotzdem es ihn eigentlich
+ungeheuer drängte, unterm Kanapee vorzuschießen, sich der Schwester zu
+Füßen zu werfen und sie um irgend etwas Gutes zum Essen zu bitten. Aber
+die Schwester bemerkte sofort mit Verwunderung den noch vollen Napf, aus
+dem nur ein wenig Milch ringsherum verschüttet war, sie hob ihn gleich
+auf, zwar nicht mit den bloßen Händen, sondern mit einem Fetzen, und
+trug ihn hinaus. Gregor war äußerst neugierig, was sie zum Ersatze
+bringen würde, und er machte sich die verschiedensten Gedanken darüber.
+Niemals aber hätte er erraten können, was die Schwester in ihrer Güte
+wirklich tat. Sie brachte ihm, um seinen Geschmack zu prüfen, eine ganze
+Auswahl, alles auf einer alten Zeitung ausgebreitet. Da war altes
+halbverfaultes Gemüse; Knochen vom Nachtmahl her, die von festgewordener
+weißer Sauce umgeben waren; ein paar Rosinen und Mandeln; ein Käse, den
+Gregor vor zwei Tagen für ungenießbar erklärt hatte; ein trockenes Brot,
+ein mit Butter beschmiertes Brot und ein mit Butter beschmiertes und
+gesalzenes Brot. Außerdem stellte sie zu dem allen noch den
+wahrscheinlich ein für allemal für Gregor bestimmten Napf, in den sie
+Wasser gegossen hatte. Und aus Zartgefühl, da sie wußte, daß Gregor vor
+ihr nicht essen würde, entfernte sie sich eiligst und drehte sogar den
+Schlüssel um, damit nur Gregor merken könne, daß er es sich so behaglich
+machen dürfe, wie er wolle. Gregors Beinchen schwirrten, als es jetzt
+zum Essen ging. Seine Wunden mußten übrigens auch schon vollständig
+geheilt sein, er fühlte keine Behinderung mehr, er staunte darüber und
+dachte daran, wie er vor mehr als einem Monat sich mit dem Messer ganz
+wenig in den Finger geschnitten, und wie ihm diese Wunde noch vorgestern
+genug wehgetan hatte. »Sollte ich jetzt weniger Feingefühl haben?«
+dachte er und saugte schon gierig an dem Käse, zu dem es ihn vor allen
+anderen Speisen sofort und nachdrücklich gezogen hatte. Rasch
+hintereinander und mit vor Befriedigung tränenden Augen verzehrte er den
+Käse, das Gemüse und die Sauce; die frischen Speisen dagegen schmeckten
+ihm nicht, er konnte nicht einmal ihren Geruch vertragen und schleppte
+sogar die Sachen, die er essen wollte, ein Stückchen weiter weg. Er war
+schon längst mit allem fertig und lag nur noch faul auf der gleichen
+Stelle, als die Schwester zum Zeichen, daß er sich zurückziehen solle,
+langsam den Schlüssel umdrehte. Das schreckte ihn sofort auf, trotzdem
+er schon fast schlummerte, und er eilte wieder unter das Kanapee. Aber
+es kostete ihn große Selbstüberwindung, auch nur die kurze Zeit, während
+welcher die Schwester im Zimmer war, unter dem Kanapee zu bleiben, denn
+von dem reichlichen Essen hatte sich sein Leib ein wenig gerundet, und
+er konnte dort in der Enge kaum atmen. Unter kleinen Erstickungsanfällen
+sah er mit etwas hervorgequollenen Augen zu, wie die nichtsahnende
+Schwester mit einem Besen nicht nur die Überbleibsel zusammenkehrte,
+sondern selbst die von Gregor gar nicht berührten Speisen, als seien
+also auch diese nicht mehr zu gebrauchen, und wie sie alles hastig in
+einen Kübel schüttete, den sie mit einem Holzdeckel schloß, worauf sie
+alles hinaustrug. Kaum hatte sie sich umgedreht, zog sich schon Gregor
+unter dem Kanapee hervor und streckte und blähte sich.
+
+Auf diese Weise bekam nun Gregor täglich sein Essen, einmal am Morgen,
+wenn die Eltern und das Dienstmädchen noch schliefen, das zweitemal nach
+dem allgemeinen Mittagessen, denn dann schliefen die Eltern gleichfalls
+noch ein Weilchen, und das Dienstmädchen wurde von der Schwester mit
+irgendeiner Besorgung weggeschickt. Gewiß wollten auch sie nicht, daß
+Gregor verhungere, aber vielleicht hätten sie es nicht ertragen können,
+von seinem Essen mehr als durch Hörensagen zu erfahren, vielleicht
+wollte die Schwester ihnen auch eine möglicherweise nur kleine Trauer
+ersparen, denn tatsächlich litten sie ja gerade genug.
+
+Mit welchen Ausreden man an jenem ersten Vormittag den Arzt und den
+Schlosser wieder aus der Wohnung geschafft hatte, konnte Gregor gar
+nicht erfahren, denn da er nicht verstanden wurde, dachte niemand daran,
+auch die Schwester nicht, daß er die anderen verstehen könne, und so
+mußte er sich, wenn die Schwester in seinem Zimmer war, damit begnügen,
+nur hier und da ihre Seufzer und Anrufe der Heiligen zu hören. Erst
+später, als sie sich ein wenig an alles gewöhnt hatte -- von
+vollständiger Gewöhnung konnte natürlich niemals die Rede sein --,
+erhaschte Gregor manchmal eine Bemerkung, die freundlich gemeint war
+oder so gedeutet werden konnte. »Heute hat es ihm aber geschmeckt,«
+sagte sie, wenn Gregor unter dem Essen tüchtig aufgeräumt hatte, während
+sie im gegenteiligen Fall, der sich allmählich immer häufiger
+wiederholte, fast traurig zu sagen pflegte: »Nun ist wieder alles
+stehengeblieben.«
+
+Während aber Gregor unmittelbar keine Neuigkeit erfahren konnte,
+erhorchte er manches aus den Nebenzimmern, und wo er nun einmal Stimmen
+hörte, lief er gleich zu der betreffenden Tür und drückte sich mit
+ganzem Leib an sie. Besonders in der ersten Zeit gab es kein Gespräch,
+das nicht irgendwie wenn auch nur im geheimen, von ihm handelte. Zwei
+Tage lang waren bei allen Mahlzeiten Beratungen darüber zu hören, wie
+man sich jetzt verhalten solle; aber auch zwischen den Mahlzeiten sprach
+man über das gleiche Thema, denn immer waren zumindest zwei
+Familienmitglieder zu Hause, da wohl niemand allein zu Hause bleiben
+wollte und man die Wohnung doch auf keinen Fall gänzlich verlassen
+konnte. Auch hatte das Dienstmädchen gleich am ersten Tag -- es war
+nicht ganz klar, was und wieviel sie von dem Vorgefallenen wußte --
+kniefällig die Mutter gebeten, sie sofort zu entlassen, und als sie sich
+eine Viertelstunde danach verabschiedete, dankte sie für die Entlassung
+unter Tränen, wie für die größte Wohltat, die man ihr hier erwiesen
+hatte, und gab, ohne daß man es von ihr verlangte, einen fürchterlichen
+Schwur ab, niemandem auch nur das geringste zu verraten.
+
+Nun mußte die Schwester im Verein mit der Mutter auch kochen; allerdings
+machte das nicht viel Mühe, denn man aß fast nichts. Immer wieder hörte
+Gregor, wie der eine den anderen vergebens zum Essen aufforderte und
+keine andere Antwort bekam, als: »Danke ich habe genug« oder etwas
+Ähnliches. Getrunken wurde vielleicht auch nichts. Öfters fragte die
+Schwester den Vater, ob er Bier haben wolle, und herzlich erbot sie
+sich, es selbst zu holen, und als der Vater schwieg, sagte sie, um ihm
+jedes Bedenken zu nehmen, sie könne auch die Hausmeisterin darum
+schicken, aber dann sagte der Vater schließlich ein großes »Nein«, und
+es wurde nicht mehr davon gesprochen.
+
+Schon im Laufe des ersten Tages legte der Vater die ganzen
+Vermögensverhältnisse und Aussichten sowohl der Mutter als auch der
+Schwester dar. Hie und da stand er vom Tische auf und holte aus seiner
+kleinen Wertheimkassa, die er aus dem vor fünf Jahren erfolgten
+Zusammenbruch seines Geschäftes gerettet hatte, irgendeinen Beleg oder
+irgendein Vormerkbuch. Man hörte, wie er das komplizierte Schloß
+aufsperrte und nach Entnahme des Gesuchten wieder verschloß. Diese
+Erklärungen des Vaters waren zum Teil das erste Erfreuliche, was Gregor
+seit seiner Gefangenschaft zu hören bekam. Er war der Meinung gewesen,
+daß dem Vater von jenem Geschäft her nicht das Geringste übriggeblieben
+war, zumindest hatte ihm der Vater nichts Gegenteiliges gesagt, und
+Gregor allerdings hatte ihn auch nicht darum gefragt. Gregors Sorge war
+damals nur gewesen, alles daranzusetzen, um die Familie das
+geschäftliche Unglück, das alle in eine vollständige Hoffnungslosigkeit
+gebracht hatte, möglichst rasch vergessen zu lassen. Und so hatte er
+damals mit ganz besonderem Feuer zu arbeiten angefangen und war fast
+über Nacht aus einem kleinen Kommis ein Reisender geworden, der
+natürlich ganz andere Möglichkeiten des Geldverdienens hatte, und dessen
+Arbeitserfolge sich sofort in Form der Provision zu Bargeld
+verwandelten, das der erstaunten und beglückten Familie zu Hause auf den
+Tisch gelegt werden konnte. Es waren schöne Zeiten gewesen, und niemals
+nachher hatten sie sich, wenigstens in diesem Glanze, wiederholt,
+trotzdem Gregor später so viel Geld verdiente, daß er den Aufwand der
+ganzen Familie zu tragen imstande war und auch trug. Man hatte sich eben
+daran gewöhnt, sowohl die Familie, als auch Gregor, man nahm das Geld
+dankbar an, er lieferte es gern ab, aber eine besondere Wärme wollte
+sich nicht mehr ergeben. Nur die Schwester war Gregor doch noch nahe
+geblieben, und es war sein geheimer Plan, sie, die zum Unterschied von
+Gregor Musik sehr liebte und rührend Violine zu spielen verstand,
+nächstes Jahr, ohne Rücksicht auf die großen Kosten, die das verursachen
+mußte, und die man schon auf andere Weise hereinbringen würde, auf das
+Konservatorium zu schicken. Öfters während der kurzen Aufenthalte
+Gregors in der Stadt wurde in den Gesprächen mit der Schwester das
+Konservatorium erwähnt, aber immer nur als schöner Traum, an dessen
+Verwirklichung nicht zu denken war, und die Eltern hörten nicht einmal
+diese unschuldigen Erwähnungen gern; aber Gregor dachte sehr bestimmt
+daran und beabsichtigte, es am Weihnachtsabend feierlich zu erklären.
+
+Solche in seinem gegenwärtigen Zustand ganz nutzlose Gedanken gingen ihm
+durch den Kopf, während er dort aufrecht an der Türe klebte und horchte.
+Manchmal konnte er vor allgemeiner Müdigkeit gar nicht mehr zuhören und
+ließ den Kopf nachlässig gegen die Tür schlagen, hielt ihn aber sofort
+wieder fest, denn selbst das kleine Geräusch, das er damit verursacht
+hatte, war nebenan gehört worden und hatte alle verstummen lassen. »Was
+er nur wieder treibt,« sagte der Vater nach einer Weile, offenbar zur
+Türe hingewendet, und dann erst wurde das unterbrochene Gespräch
+allmählich wieder aufgenommen.
+
+Gregor erfuhr nun zur Genüge -- denn der Vater pflegte sich in seinen
+Erklärungen öfters zu wiederholen, teils, weil er selbst sich mit diesen
+Dingen schon lange nicht beschäftigt hatte, teils auch, weil die Mutter
+nicht alles gleich beim erstenmal verstand --, daß trotz allen Unglücks
+ein allerdings ganz kleines Vermögen aus der alten Zeit noch vorhanden
+war, das die nicht angerührten Zinsen in der Zwischenzeit ein wenig
+hatten anwachsen lassen. Außerdem aber war das Geld, das Gregor
+allmonatlich nach Hause gebracht hatte -- er selbst hatte nur ein paar
+Gulden für sich behalten --, nicht vollständig aufgebraucht worden und
+hatte sich zu einem kleinen Kapital angesammelt. Gregor, hinter seiner
+Türe, nickte eifrig, erfreut über diese unerwartete Vorsicht und
+Sparsamkeit. Eigentlich hätte er ja mit diesen überschüssigen Geldern
+die Schuld des Vaters gegenüber dem Chef weiter abgetragen haben können,
+und jener Tag, an dem er diesen Posten hätte loswerden können, wäre weit
+näher gewesen, aber jetzt war es zweifellos besser so, wie es der Vater
+eingerichtet hatte.
+
+Nun genügte dieses Geld aber ganz und gar nicht, um die Familie etwa von
+den Zinsen leben zu lassen; es genügte vielleicht, um die Familie ein,
+höchstens zwei Jahre zu erhalten, mehr war es nicht. Es war also bloß
+eine Summe, die man eigentlich nicht angreifen durfte, und die für den
+Notfall zurückgelegt werden mußte; das Geld zum Leben aber mußte man
+verdienen. Nun war aber der Vater ein zwar gesunder, aber alter Mann,
+der schon fünf Jahre nichts gearbeitet hatte und sich jedenfalls nicht
+viel zutrauen durfte; er hatte in diesen fünf Jahren, welche die ersten
+Ferien seines mühevollen und doch erfolglosen Lebens waren, viel Fett
+angesetzt und war dadurch recht schwerfällig geworden. Und die alte
+Mutter sollte nun vielleicht Geld verdienen, die an Asthma litt, der
+eine Wanderung durch die Wohnung schon Anstrengung verursachte, und die
+jeden zweiten Tag in Atembeschwerden auf dem Sofa beim offenen Fenster
+verbrachte? Und die Schwester sollte Geld verdienen, die noch ein Kind
+war mit ihren siebzehn Jahren, und der ihre bisherige Lebensweise so
+sehr zu gönnen war, die daraus bestanden hatte, sich nett zu kleiden,
+lange zu schlafen, in der Wirtschaft mitzuhelfen, an ein paar
+bescheidenen Vergnügungen sich zu beteiligen und vor allem Violine zu
+spielen? Wenn die Rede auf diese Notwendigkeit des Geldverdienens kam,
+ließ zuerst immer Gregor die Türe los und warf sich auf das neben der
+Tür befindliche kühle Ledersofa, denn ihm war ganz heiß vor Beschämung
+und Trauer.
+
+Oft lag er dort die ganzen langen Nächte über, schlief keinen Augenblick
+und scharrte nur stundenlang auf dem Leder. Oder er scheute nicht die
+große Mühe, einen Sessel zum Fenster zu schieben, dann die
+Fensterbrüstung hinaufzukriechen und, in den Sessel gestemmt, sich ans
+Fenster zu lehnen, offenbar nur in irgendeiner Erinnerung an das
+Befreiende, das früher für ihn darin gelegen war, aus dem Fenster zu
+schauen. Denn tatsächlich sah er von Tag zu Tag die auch nur ein wenig
+entfernten Dinge immer undeutlicher; das gegenüberliegende Krankenhaus,
+dessen nur allzu häufigen Anblick er früher verflucht hatte, bekam er
+überhaupt nicht mehr zu Gesicht, und wenn er nicht genau gewußt hätte,
+daß er in der stillen, aber völlig städtischen Charlottenstraße wohnte,
+hätte er glauben können, von seinem Fenster aus in eine Einöde zu
+schauen in welcher der graue Himmel und die graue Erde ununterscheidbar
+sich vereinigten. Nur zweimal hatte die aufmerksame Schwester sehen
+müssen, daß der Sessel beim Fenster stand, als sie schon jedesmal,
+nachdem sie das Zimmer aufgeräumt hatte, den Sessel wieder genau zum
+Fenster hinschob, ja sogar von nun ab den inneren Fensterflügel offen
+ließ.
+
+Hätte Gregor nur mit der Schwester sprechen und ihr für alles danken
+können, was sie für ihn machen mußte, er hätte ihre Dienste leichter
+ertragen; so aber litt er darunter. Die Schwester suchte freilich die
+Peinlichkeit des Ganzen möglichst zu verwischen, und je längere Zeit
+verging, desto besser gelang es ihr natürlich auch, aber auch Gregor
+durchschaute mit der Zeit alles viel genauer. Schon ihr Eintritt war für
+ihn schrecklich. Kaum war sie eingetreten, lief sie, ohne sich Zeit zu
+nehmen, die Türe zu schließen, so sehr sie sonst darauf achtete, jedem
+den Anblick von Gregors Zimmer zu ersparen, geradewegs zum Fenster und
+riß es, als ersticke sie fast, mit hastigen Händen auf, blieb auch,
+selbst wenn es noch so kalt war, ein Weilchen beim Fenster und atmete
+tief. Mit diesem Laufen und Lärmen erschreckte sie Gregor täglich
+zweimal; die ganze Zeit über zitterte er unter dem Kanapee und wußte
+doch sehr gut, daß sie ihn gewiß gerne damit verschont hätte, wenn es
+ihr nur möglich gewesen wäre, sich in einem Zimmer, in dem sich Gregor
+befand, bei geschlossenem Fenster aufzuhalten.
+
+Einmal, es war wohl schon ein Monat seit Gregors Verwandlung vergangen,
+und es war doch schon für die Schwester kein besonderer Grund mehr, über
+Gregors Aussehen in Erstaunen zu geraten, kam sie ein wenig früher als
+sonst und traf Gregor noch an, wie er, unbeweglich und so recht zum
+Erschrecken aufgestellt, aus dem Fenster schaute. Es wäre für Gregor
+nicht unerwartet gewesen, wenn sie nicht eingetreten wäre, da er sie
+durch seine Stellung verhinderte, sofort das Fenster zu öffnen, aber sie
+trat nicht nur nicht ein, sie fuhr sogar zurück und schloß die Tür; ein
+Fremder hätte geradezu denken können, Gregor habe ihr aufgelauert und
+habe sie beißen wollen. Gregor versteckte sich natürlich sofort unter
+dem Kanapee, aber er mußte bis zum Mittag warten, ehe die Schwester
+wiederkam, und sie schien viel unruhiger als sonst. Er erkannte daraus,
+daß ihr sein Anblick noch immer unerträglich war und ihr auch weiterhin
+unerträglich bleiben müsse, und daß sie sich wohl sehr überwinden mußte,
+vor dem Anblick auch nur der kleinen Partie seines Körpers nicht
+davonzulaufen, mit der er unter dem Kanapee hervorragte. Um ihr auch
+diesen Anblick zu ersparen, trug er eines Tages auf seinem Rücken -- er
+brauchte zu dieser Arbeit vier Stunden -- das Leintuch auf das Kanapee
+und ordnete es in einer solchen Weise an, daß er nun gänzlich verdeckt
+war, und daß die Schwester, selbst wenn sie sich bückte, ihn nicht sehen
+konnte. Wäre dieses Leintuch ihrer Meinung nach nicht nötig gewesen,
+dann hätte sie es ja entfernen können, denn daß es nicht zum Vergnügen
+Gregors gehören konnte, sich so ganz und gar abzusperren, war doch klar
+genug, aber sie ließ das Leintuch, so wie es war, und Gregor glaubte
+sogar einen dankbaren Blick erhascht zu haben, als er einmal mit dem
+Kopf vorsichtig das Leintuch ein wenig lüftete, um nachzusehen, wie die
+Schwester die neue Einrichtung aufnahm.
+
+In den ersten vierzehn Tagen konnten es die Eltern nicht über sich
+bringen, zu ihm hereinzukommen, und er hörte oft, wie sie die jetzige
+Arbeit der Schwester völlig anerkannten, während sie sich bisher häufig
+über die Schwester geärgert hatten, weil sie ihnen als ein etwas
+nutzloses Mädchen erschienen war. Nun aber warteten oft beide, der Vater
+und die Mutter, vor Gregors Zimmer, während die Schwester dort
+aufräumte, und kaum war sie herausgekommen, mußte sie ganz genau
+erzählen, wie es in dem Zimmer aussah, was Gregor gegessen hatte, wie er
+sich diesmal benommen hatte, und ob vielleicht eine kleine Besserung zu
+bemerken war. Die Mutter übrigens wollte verhältnismäßig bald Gregor
+besuchen, aber der Vater und die Schwester hielten sie zuerst mit
+Vernunftgründen zurück, denen Gregor sehr aufmerksam zuhörte, und die er
+vollständig billigte. Später aber mußte man sie mit Gewalt zurückhalten,
+und wenn sie dann rief: »Laßt mich doch zu Gregor, er ist ja mein
+unglücklicher Sohn! Begreift ihr es denn nicht, daß ich zu ihm muß?«,
+dann dachte Gregor, daß es vielleicht doch gut wäre, wenn die Mutter
+hereinkäme, nicht jeden Tag natürlich, aber vielleicht einmal in der
+Woche; sie verstand doch alles viel besser als die Schwester, die trotz
+all ihrem Mute doch nur ein Kind war und im letzten Grunde vielleicht
+nur aus kindlichem Leichtsinn eine so schwere Aufgabe übernommen hatte.
+
+Der Wunsch Gregors, die Mutter zu sehen, ging bald in Erfüllung. Während
+des Tages wollte Gregor schon aus Rücksicht auf seine Eltern sich nicht
+beim Fenster zeigen, kriechen konnte er aber auf den paar Quadratmetern
+des Fußbodens auch nicht viel, das ruhige Liegen ertrug er schon während
+der Nacht schwer, das Essen machte ihm bald nicht mehr das geringste
+Vergnügen, und so nahm er zur Zerstreuung die Gewohnheit an, kreuz und
+quer über Wände und Plafond zu kriechen. Besonders oben an der Decke
+hing er gern; es war ganz anders, als das Liegen auf dem Fußboden; man
+atmete freier; ein leichtes Schwingen ging durch den Körper, und in der
+fast glücklichen Zerstreutheit, in der sich Gregor dort oben befand,
+konnte es geschehen, daß er zu seiner eigenen Überraschung sich losließ
+und auf den Boden klatschte. Aber nun hatte er natürlich seinen Körper
+ganz anders in der Gewalt als früher und beschädigte sich selbst bei
+einem so großen Falle nicht. Die Schwester nun bemerkte sofort die neue
+Unterhaltung, die Gregor für sich gefunden hatte -- er hinterließ ja
+auch beim Kriechen hie und da Spuren seines Klebstoffes --, und da
+setzte sie es sich in den Kopf, Gregor das Kriechen in größtem Ausmaße
+zu ermöglichen und die Möbel, die es verhinderten, also vor allem den
+Kasten und den Schreibtisch, wegzuschaffen. Nun war sie aber nicht
+imstande, dies allein zu tun; den Vater wagte sie nicht um Hilfe zu
+bitten; das Dienstmädchen hätte ihr ganz gewiß nicht geholfen, denn
+dieses etwa sechzehnjährige Mädchen harrte zwar tapfer seit Entlassung
+der früheren Köchin aus, hatte aber um die Vergünstigung gebeten, die
+Küche unaufhörlich versperrt halten zu dürfen und nur auf besonderen
+Anruf öffnen zu müssen; so blieb der Schwester also nichts übrig, als
+einmal in Abwesenheit des Vaters die Mutter zu holen. Mit Ausrufen
+erregter Freude kam die Mutter auch heran, verstummte aber an der Tür
+vor Gregors Zimmer. Zuerst sah natürlich die Schwester nach, ob alles im
+Zimmer in Ordnung war; dann erst ließ sie die Mutter eintreten. Gregor
+hatte in größter Eile das Leintuch noch tiefer und mehr in Falten
+gezogen, das Ganze sah wirklich nur wie ein zufällig über das Kanapee
+geworfenes Leintuch aus. Gregor unterließ auch diesmal, unter dem
+Leintuch zu spionieren; er verzichtete darauf, die Mutter schon diesmal
+zu sehen, und war nur froh, daß sie nun doch gekommen war. »Komm nur,
+man sieht ihn nicht,« sagte die Schwester, und offenbar führte sie die
+Mutter an der Hand. Gregor hörte nun, wie die zwei schwachen Frauen den
+immerhin schweren alten Kasten von seinem Platze rückten, und wie die
+Schwester immerfort den größten Teil der Arbeit für sich beanspruchte,
+ohne auf die Warnungen der Mutter zu hören, welche fürchtete, daß sie
+sich überanstrengen werde. Es dauerte sehr lange. Wohl nach schon
+viertelstündiger Arbeit sagte die Mutter, man solle den Kasten doch
+lieber hier lassen, denn erstens sei er zu schwer, sie würden vor
+Ankunft des Vaters nicht fertig werden und mit dem Kasten in der Mitte
+des Zimmers Gregor jeden Weg verrammeln, zweitens aber sei es doch gar
+nicht sicher, daß Gregor mit der Entfernung der Möbel ein Gefallen
+geschehe. Ihr scheine das Gegenteil der Fall zu sein; ihr bedrücke der
+Anblick der leeren Wand geradezu das Herz; und warum solle nicht auch
+Gregor diese Empfindung haben, da er doch an die Zimmermöbel längst
+gewöhnt sei und sich deshalb im leeren Zimmer verlassen fühlen werde.
+»Und ist es dann nicht so,« schloß die Mutter ganz leise, wie sie
+überhaupt fast flüsterte, als wolle sie vermeiden, daß Gregor, dessen
+genauen Aufenthalt sie ja nicht kannte, auch nur den Klang der Stimme
+höre, denn daß er die Worte nicht verstand, davon war sie überzeugt,
+»und ist es nicht so, als ob wir durch die Entfernung der Möbel zeigten,
+daß wir jede Hoffnung auf Besserung aufgeben und ihn rücksichtslos sich
+selbst überlassen? Ich glaube, es wäre das beste, wir suchen das Zimmer
+genau in dem Zustand zu erhalten, in dem es früher war, damit Gregor,
+wenn er wieder zu uns zurückkommt, alles unverändert findet und um so
+leichter die Zwischenzeit vergessen kann.«
+
+Beim Anhören dieser Worte der Mutter erkannte Gregor, daß der Mangel
+jeder unmittelbaren menschlichen Ansprache, verbunden mit dem
+einförmigen Leben inmitten der Familie, im Laufe dieser zwei Monate
+seinen Verstand hatte verwirren müssen, denn anders konnte er es sich
+nicht erklären, daß er ernsthaft darnach hatte verlangen können, daß
+sein Zimmer ausgeleert würde. Hatte er wirklich Lust, das warme, mit
+ererbten Möbeln gemütlich ausgestattete Zimmer in eine Höhle verwandeln
+zu lassen, in der er dann freilich nach allen Richtungen ungestört würde
+kriechen können, jedoch auch unter gleichzeitigem, schnellen, gänzlichen
+Vergessen seiner menschlichen Vergangenheit? War er doch jetzt schon
+nahe daran, zu vergessen, und nur die seit langem nicht gehörte Stimme
+der Mutter hatte ihn aufgerüttelt. Nichts sollte entfernt werden, alles
+mußte bleiben, die guten Einwirkungen der Möbel auf seinen Zustand
+konnte er nicht entbehren; und wenn die Möbel ihn hinderten, das
+sinnlose Herumkriechen zu betreiben, so war es kein Schaden, sondern ein
+großer Vorteil.
+
+Aber die Schwester war leider anderer Meinung; sie hatte sich,
+allerdings nicht ganz unberechtigt, angewöhnt, bei Besprechung der
+Angelegenheiten Gregors als besonders Sachverständige gegenüber den
+Eltern aufzutreten, und so war auch jetzt der Rat der Mutter für die
+Schwester Grund genug, auf der Entfernung nicht nur des Kastens und des
+Schreibtisches, an die sie zuerst allein gedacht hatte, sondern auf der
+Entfernung sämtlicher Möbel, mit Ausnahme des unentbehrlichen Kanapees,
+zu bestehen. Es war natürlich nicht nur kindlicher Trotz und das in der
+letzten Zeit so unerwartet und schwer erworbene Selbstvertrauen, das sie
+zu dieser Forderung bestimmte; sie hatte doch auch tatsächlich
+beobachtet, daß Gregor viel Raum zum Kriechen brauchte, dagegen die
+Möbel, soweit man sehen konnte, nicht im geringsten benützte. Vielleicht
+aber spielte auch der schwärmerische Sinn der Mädchen ihres Alters mit,
+der bei jeder Gelegenheit seine Befriedigung sucht, und durch den Grete
+jetzt sich dazu verlocken ließ, die Lage Gregors noch
+schreckenerregender machen zu wollen, um dann noch mehr als bis jetzt
+für ihn leisten zu können. Denn in einem Raum, in dem Gregor ganz allein
+die leeren Wände beherrschte, würde wohl kein Mensch außer Grete jemals
+einzutreten sich getrauen.
+
+Und so ließ sie sich von ihrem Entschlusse durch die Mutter nicht
+abbringen, die auch in diesem Zimmer vor lauter Unruhe unsicher schien,
+bald verstummte und der Schwester nach Kräften beim Hinausschaffen des
+Kastens half. Nun, den Kasten konnte Gregor im Notfall noch entbehren,
+aber schon der Schreibtisch mußte bleiben. Und kaum hatten die Frauen
+mit dem Kasten, an dem sie sich ächzend drückten, das Zimmer verlassen,
+als Gregor den Kopf unter dem Kanapee hervorstieß, um zu sehen, wie er
+vorsichtig und möglichst rücksichtsvoll eingreifen könnte. Aber zum
+Unglück war es gerade die Mutter, welche zuerst zurückkehrte, während
+Grete im Nebenzimmer den Kasten umfangen hielt und ihn allein hin und
+her schwang, ohne ihn natürlich von der Stelle zu bringen. Die Mutter
+aber war Gregors Anblick nicht gewöhnt, er hätte sie krank machen
+können, und so eilte Gregor erschrocken im Rückwärtslauf bis an das
+andere Ende des Kanapees, konnte es aber nicht mehr verhindern, daß das
+Leintuch vorne ein wenig sich bewegte. Das genügte, um die Mutter
+aufmerksam zu machen. Sie stockte, stand einen Augenblick still und ging
+dann zu Grete zurück.
+
+Trotzdem sich Gregor immer wieder sagte, daß ja nichts Außergewöhnliches
+geschehe, sondern nur ein paar Möbel umgestellt würden, wirkte doch, wie
+er sich bald eingestehen mußte, dieses Hin- und Hergehen der Frauen,
+ihre kleinen Zurufe, das Kratzen der Möbel auf dem Boden, wie ein
+großer, von allen Seiten genährter Trubel auf ihn, und er mußte sich, so
+fest er Kopf und Beine an sich zog und den Leib bis an den Boden
+drückte, unweigerlich sagen, daß er das Ganze nicht lange aushalten
+werde. Sie räumten ihm sein Zimmer aus; nahmen ihm alles, was ihm lieb
+war; den Kasten, in dem die Laubsäge und andere Werkzeuge lagen, hatten
+sie schon hinausgetragen; lockerten jetzt den schon im Boden fest
+eingegrabenen Schreibtisch, an dem er als Handelsakademiker, als
+Bürgerschüler, ja sogar schon als Volksschüler seine Aufgaben
+geschrieben hatte, -- da hatte er wirklich keine Zeit mehr, die guten
+Absichten zu prüfen, welche die zwei Frauen hatten, deren Existenz er
+übrigens fast vergessen hatte, denn vor Erschöpfung arbeiteten sie schon
+stumm, und man hörte nur das schwere Tappen ihrer Füße.
+
+Und so brach er denn hervor -- die Frauen stützten sich gerade im
+Nebenzimmer an den Schreibtisch, um ein wenig zu verschnaufen --,
+wechselte viermal die Richtung des Laufes, er wußte wirklich nicht, was
+er zuerst retten sollte, da sah er an der im übrigen schon leeren Wand
+auffallend das Bild der in lauter Pelzwerk gekleideten Dame hängen,
+kroch eilends hinauf und preßte sich an das Glas, das ihn festhielt und
+seinem heißen Bauch wohltat. Dieses Bild wenigstens, das Gregor jetzt
+ganz verdeckte, würde nun gewiß niemand wegnehmen. Er verdrehte den Kopf
+nach der Tür des Wohnzimmers, um die Frauen bei ihrer Rückkehr zu
+beobachten.
+
+Sie hatten sich nicht viel Ruhe gegönnt und kamen schon wieder; Grete
+hatte den Arm um die Mutter gelegt und trug sie fast. »Also was nehmen
+wir jetzt?« sagte Grete und sah sich um, Da kreuzten sich ihre Blicke
+mit denen Gregors an der Wand. Wohl nur infolge der Gegenwart der Mutter
+behielt sie ihre Fassung, beugte ihr Gesicht zur Mutter, um diese vom
+Herumschauen abzuhalten, und sagte, allerdings zitternd und unüberlegt:
+»Komm, wollen wir nicht lieber auf einen Augenblick noch ins Wohnzimmer
+zurückgehen?« Die Absicht Gretes war für Gregor klar, sie wollte die
+Mutter in Sicherheit bringen und dann ihn von der Wand hinunterjagen.
+Nun, sie konnte es ja immerhin versuchen! Er saß auf seinem Bild und
+gab es nicht her. Lieber würde er Grete ins Gesicht springen.
+
+Aber Gretes Worte hatten die Mutter erst recht beunruhigt, sie trat zur
+Seite, erblickte den riesigen braunen Fleck auf der geblümten Tapete,
+rief, ehe ihr eigentlich zum Bewußtsein kam, daß das Gregor war, was sie
+sah, mit schreiender, rauher Stimme: »Ach Gott, ach Gott!« und fiel mit
+ausgebreiteten Armen, als gebe sie alles auf, über das Kanapee hin und
+rührte sich nicht. »Du, Gregor!« rief die Schwester mit erhobener Faust
+und eindringlichen Blicken. Es waren seit der Verwandlung die ersten
+Worte, die sie unmittelbar an ihn gerichtet hatte. Sie lief ins
+Nebenzimmer, um irgendeine Essenz zu holen, mit der sie die Mutter aus
+ihrer Ohnmacht wecken könnte; Gregor wollte auch helfen -- zur Rettung
+des Bildes war noch Zeit --; er klebte aber fest an dem Glas und mußte
+sich mit Gewalt losreißen; er lief dann auch ins Nebenzimmer, als könne
+er der Schwester irgendeinen Rat geben, wie in früherer Zeit; mußte aber
+dann untätig hinter ihr stehen; während sie in verschiedenen Fläschchen
+kramte, erschreckte sie noch, als sie sich umdrehte; eine Flasche fiel
+auf den Boden und zerbrach; ein Splitter verletzte Gregor im Gesicht,
+irgendeine ätzende Medizin umfloß ihn; Grete nahm nun, ohne sich länger
+aufzuhalten, so viele Fläschchen, als sie nur halten konnte, und rannte
+mit ihnen zur Mutter hinein; die Tür schlug sie mit dem Fuße zu. Gregor
+war nun von der Mutter abgeschlossen, die durch seine Schuld vielleicht
+dem Tode nahe war; die Tür durfte er nicht öffnen, wollte er die
+Schwester, die bei der Mutter bleiben mußte, nicht verjagen; er hatte
+jetzt nichts zu tun, als zu warten; und von Selbstvorwürfen und
+Besorgnis bedrängt, begann er zu kriechen, überkroch alles, Wände,
+Möbel und Zimmerdecke und fiel endlich in seiner Verzweiflung, als sich
+das ganze Zimmer schon um ihn zu drehen anfing, mitten auf den großen
+Tisch.
+
+Es verging eine kleine Weile, Gregor lag matt da, ringsherum war es
+still, vielleicht war das ein gutes Zeichen. Da läutete es. Das Mädchen
+war natürlich in ihrer Küche eingesperrt und Grete mußte daher öffnen
+gehen. Der Vater war gekommen. »Was ist geschehen?« waren seine ersten
+Worte; Gretes Aussehen hatte ihm wohl alles verraten. Grete antwortete
+mit dumpfer Stimme, offenbar drückte sie ihr Gesicht an des Vaters
+Brust: »Die Mutter war ohnmächtig, aber es geht ihr schon besser. Gregor
+ist ausgebrochen.« »Ich habe es ja erwartet,« sagte der Vater, »ich habe
+es euch ja immer gesagt, aber ihr Frauen wollt nicht hören.« Gregor war
+es klar, daß der Vater Gretes allzukurze Mitteilung schlecht gedeutet
+hatte und annahm, daß Gregor sich irgendeine Gewalttat habe zuschulden
+kommen lassen. Deshalb mußte Gregor den Vater jetzt zu besänftigen
+suchen, denn ihn aufzuklären hatte er weder Zeit noch Möglichkeit. Und
+so flüchtete er sich zur Tür seines Zimmers und drückte sich an sie,
+damit der Vater beim Eintritt vom Vorzimmer her gleich sehen könne, daß
+Gregor die beste Absicht habe, sofort in sein Zimmer zurückzukehren, und
+daß es nicht nötig sei, ihn zurückzutreiben, sondern daß man nur die Tür
+zu öffnen brauchte, und gleich werde er verschwinden.
+
+Aber der Vater war nicht in der Stimmung, solche Feinheiten zu bemerken.
+»Ah!« rief er gleich beim Eintritt in einem Tone, als sei er
+gleichzeitig wütend und froh. Gregor zog den Kopf von der Tür zurück und
+hob ihn gegen den Vater. So hatte er sich den Vater wirklich nicht
+vorgestellt, wie er jetzt dastand; allerdings hatte er in der letzten
+Zeit über dem neuartigen Herumkriechen versäumt, sich so wie früher um
+die Vorgänge in der übrigen Wohnung zu kümmern, und hätte eigentlich
+darauf gefaßt sein müssen, veränderte Verhältnisse anzutreffen.
+Trotzdem, trotzdem, war das noch der Vater? Der gleiche Mann, der müde
+im Bett vergraben lag, wenn früher Gregor zu einer Geschäftsreise
+ausgerückt war; der ihn an Abenden der Heimkehr im Schlafrock im
+Lehnstuhl empfangen hatte; gar nicht recht imstande war, aufzustehen,
+sondern zum Zeichen der Freude nur die Arme gehoben hatte, und der bei
+den seltenen gemeinsamen Spaziergängen an ein paar Sonntagen im Jahr und
+an den höchsten Feiertagen zwischen Gregor und der Mutter, die schon an
+und für sich langsam gingen, immer noch ein wenig langsamer, in seinen
+alten Mantel eingepackt, mit stets vorsichtig aufgesetztem Krückstock
+sich vorwärts arbeitete und, wenn er etwas sagen wollte, fast immer
+stillstand und seine Begleitung um sich versammelte? Nun aber war er
+doch gut aufgerichtet; in eine straffe blaue Uniform mit Goldknöpfen
+gekleidet, wie sie Diener der Bankinstitute tragen; über dem hohen
+steifen Kragen des Rockes entwickelte sich sein starkes Doppelkinn;
+unter den buschigen Augenbrauen drang der Blick der schwarzen Augen
+frisch und aufmerksam hervor; das sonst zerzauste weiße Haar war zu
+einer peinlich genauen, leuchtenden Scheitelfrisur niedergekämmt. Er
+warf seine Mütze, auf der ein Goldmonogramm, wahrscheinlich das einer
+Bank, angebracht war, über das ganze Zimmer im Bogen auf das Kanapee hin
+und ging, die Enden seines langen Uniformrockes zurückgeschlagen, die
+Hände in den Hosentaschen, mit verbissenem Gesicht auf Gregor zu. Er
+wußte wohl selbst nicht, was er vorhatte; immerhin hob er die Füße
+ungewöhnlich hoch, und Gregor staunte über die Riesengröße seiner
+Stiefelsohlen. Doch hielt er sich dabei nicht auf, er wußte ja noch vom
+ersten Tage seines neuen Lebens her, daß der Vater ihm gegenüber nur die
+größte Strenge für angebracht ansah. Und so lief er vor dem Vater her,
+stockte, wenn der Vater stehen blieb, und eilte schon wieder vorwärts,
+wenn sich der Vater nur rührte. So machten sie mehrmals die Runde um das
+Zimmer, ohne daß sich etwas Entscheidendes ereignete, ja ohne daß das
+Ganze infolge seines langsamen Tempos den Anschein einer Verfolgung
+gehabt hätte. Deshalb blieb auch Gregor vorläufig auf dem Fußboden,
+zumal er fürchtete, der Vater könnte eine Flucht auf die Wände oder den
+Plafond für besondere Bosheit halten. Allerdings mußte sich Gregor
+sagen, daß er sogar dieses Laufen nicht lange aushalten würde, denn
+während der Vater einen Schritt machte, mußte er eine Unzahl von
+Bewegungen ausführen. Atemnot begann sich schon bemerkbar zu machen, wie
+er ja auch in seiner früheren Zeit keine ganz vertrauenswürdige Lunge
+besessen hatte. Als er nun so dahintorkelte, um alle Kräfte für den Lauf
+zu sammeln, kaum die Augen offenhielt; in seiner Stumpfheit an eine
+andere Rettung als durch Laufen gar nicht dachte; und fast schon
+vergessen hatte, daß ihm die Wände freistanden, die hier allerdings mit
+sorgfältig geschnitzten Möbeln voll Zacken und Spitzen verstellt waren
+-- da flog knapp neben ihm, leicht geschleudert, irgend etwas nieder und
+rollte vor ihm her. Es war ein Apfel; gleich flog ihm ein zweiter nach;
+Gregor blieb vor Schrecken stehen; ein Weiterlaufen war nutzlos, denn
+der Vater hatte sich entschlossen, ihn zu bombardieren. Aus der
+Obstschale auf der Kredenz hatte er sich die Taschen gefüllt und warf
+nun, ohne vorläufig scharf zu zielen, Apfel für Apfel. Diese kleinen
+roten Äpfel rollten wie elektrisiert auf dem Boden herum und stießen
+aneinander. Ein schwach geworfener Apfel streifte Gregors Rücken, glitt
+aber unschädlich ab. Ein ihm sofort nachfliegender drang dagegen
+förmlich in Gregors Rücken ein; Gregor wollte sich weiterschleppen, als
+könne der überraschende unglaubliche Schmerz mit dem Ortswechsel
+vergehen; doch fühlte er sich wie festgenagelt und streckte sich in
+vollständiger Verwirrung aller Sinne. Nur mit dem letzten Blick sah er
+noch, wie die Tür seines Zimmers aufgerissen wurde, und vor der
+schreienden Schwester die Mutter hervoreilte, im Hemd, denn die
+Schwester hatte sie entkleidet, um ihr in der Ohnmacht Atemfreiheit zu
+verschaffen, wie dann die Mutter auf den Vater zulief und ihr auf dem
+Weg die aufgebundenen Röcke einer nach dem anderen zu Boden glitten, und
+wie sie stolpernd über die Röcke auf den Vater eindrang und ihn
+umarmend, in gänzlicher Vereinigung mit ihm -- nun versagte aber Gregors
+Sehkraft schon -- die Hände an des Vaters Hinterkopf um Schonung von
+Gregors Leben bat.
+
+
+
+
+III.
+
+
+Die schwere Verwundung Gregors, an der er über einen Monat litt -- der
+Apfel blieb, da ihn niemand zu entfernen wagte, als sichtbares Andenken
+im Fleische sitzen --, schien selbst den Vater daran erinnert zu haben,
+daß Gregor trotz seiner gegenwärtigen traurigen und ekelhaften Gestalt
+ein Familienglied war, das man nicht wie einen Feind behandeln durfte,
+sondern dem gegenüber es das Gebot der Familienpflicht war, den
+Widerwillen hinunterzuschlucken und zu dulden, nichts als dulden.
+
+Und wenn nun auch Gregor durch seine Wunde an Beweglichkeit
+wahrscheinlich für immer verloren hatte und vorläufig zur Durchquerung
+seines Zimmers wie ein alter Invalide lange, lange Minuten brauchte --
+an das Kriechen in der Höhe war nicht zu denken --, so bekam er für
+diese Verschlimmerung seines Zustandes einen seiner Meinung nach
+vollständig genügenden Ersatz dadurch, daß immer gegen Abend die
+Wohnzimmertür, die er schon ein bis zwei Stunden vorher scharf zu
+beobachten pflegte, geöffnet wurde, so daß er, im Dunkel seines Zimmers
+liegend, vom Wohnzimmer aus unsichtbar, die ganze Familie beim
+beleuchteten Tische sehen und ihre Reden, gewissermaßen mit allgemeiner
+Erlaubnis, also ganz anders als früher, anhören durfte.
+
+Freilich waren es nicht mehr die lebhaften Unterhaltungen der früheren
+Zeiten, an die Gregor in den kleinen Hotelzimmern stets mit einigem
+Verlangen gedacht hatte, wenn er sich müde in das feuchte Bettzeug hatte
+werfen müssen. Es ging jetzt meist nur sehr still zu. Der Vater schlief
+bald nach dem Nachtessen in seinem Sessel ein; die Mutter und Schwester
+ermahnten einander zur Stille; die Mutter nähte, weit über das Licht
+vorgebeugt, feine Wäsche für ein Modengeschäft; die Schwester, die eine
+Stellung als Verkäuferin angenommen hatte, lernte am Abend Stenographie
+und Französisch, um vielleicht später einmal einen besseren Posten zu
+erreichen. Manchmal wachte der Vater auf, und als wisse er gar nicht,
+daß er geschlafen habe, sagte er zur Mutter: »Wie lange du heute schon
+wieder nähst!« und schlief sofort wieder ein, während Mutter und
+Schwester einander müde zulächelten.
+
+Mit einer Art Eigensinn weigerte sich der Vater, auch zu Hause seine
+Dieneruniform abzulegen; und während der Schlafrock nutzlos am
+Kleiderhaken hing, schlummerte der Vater vollständig angezogen auf
+seinem Platz, als sei er immer zu seinem Dienste bereit und warte auch
+hier auf die Stimme des Vorgesetzten. Infolgedessen verlor die gleich
+anfangs nicht neue Uniform trotz aller Sorgfalt von Mutter und Schwester
+an Reinlichkeit, und Gregor sah oft ganze Abende lang auf dieses über
+und über fleckige, mit seinen stets geputzten Goldknöpfen leuchtende
+Kleid, in dem der alte Mann höchst unbequem und doch ruhig schlief.
+
+Sobald die Uhr zehn schlug, suchte die Mutter durch leise Zusprache den
+Vater zu wecken und dann zu überreden, ins Bett zu gehen, denn hier war
+es doch kein richtiger Schlaf und diesen hatte der Vater, der um sechs
+Uhr seinen Dienst antreten mußte, äußerst nötig. Aber in dem Eigensinn,
+der ihn, seitdem er Diener war, ergriffen hatte, bestand er immer
+darauf, noch länger bei Tisch zu bleiben, trotzdem er regelmäßig
+einschlief, und war dann überdies nur mit der größten Mühe zu bewegen,
+den Sessel mit dem Bett zu vertauschen. Da mochten Mutter und Schwester
+mit kleinen Ermahnungen noch so sehr auf ihn eindringen,
+viertelstundenlang schüttelte er langsam den Kopf, hielt die Augen
+geschlossen und stand nicht auf. Die Mutter zupfte ihn am Ärmel, sagte
+ihm Schmeichelworte ins Ohr, die Schwester verließ ihre Aufgabe, um der
+Mutter zu helfen, aber beim Vater verfing das nicht. Er versank nur noch
+tiefer in seinen Sessel. Erst bis ihn die Frauen unter den Achseln
+faßten, schlug er die Augen auf, sah abwechselnd die Mutter und die
+Schwester an und pflegte zu sagen: »Das ist ein Leben. Das ist die Ruhe
+meiner alten Tage.« Und auf die beiden Frauen gestützt, erhob er sich,
+umständlich, als sei er für sich selbst die größte Last, ließ sich von
+den Frauen bis zur Türe führen, winkte ihnen dort ab und ging nun
+selbständig weiter, während die Mutter ihr Nähzeug, die Schwester ihre
+Feder eiligst hinwarfen, um hinter dem Vater zu laufen und ihm weiter
+behilflich zu sein.
+
+Wer hatte in dieser abgearbeiteten und übermüdeten Familie Zeit, sich um
+Gregor mehr zu kümmern, als unbedingt nötig war? Der Haushalt wurde
+immer mehr eingeschränkt; das Dienstmädchen wurde nun doch entlassen;
+eine riesige knochige Bedienerin mit weißem, den Kopf umflatterndem Haar
+kam des Morgens und des Abends, um die schwerste Arbeit zu leisten;
+alles andere besorgte die Mutter neben ihrer vielen Näharbeit. Es
+geschah sogar, daß verschiedene Familienschmuckstücke, welche früher die
+Mutter und die Schwester überglücklich bei Unterhaltungen und
+Feierlichkeiten getragen hatten, verkauft wurden, wie Gregor am Abend
+aus der allgemeinen Besprechung der erzielten Preise erfuhr. Die größte
+Klage war aber stets, daß man diese für die gegenwärtigen Verhältnisse
+allzugroße Wohnung nicht verlassen konnte, da es nicht auszudenken war,
+wie man Gregor übersiedeln sollte. Aber Gregor sah wohl ein, daß es
+nicht nur die Rücksicht auf ihn war, welche eine Übersiedlung
+verhinderte, denn ihn hätte man doch in einer passenden Kiste mit ein
+paar Luftlöchern leicht transportieren können; was die Familie
+hauptsächlich vom Wohnungswechsel abhielt, war vielmehr die völlige
+Hoffnungslosigkeit und der Gedanke daran, daß sie mit einem Unglück
+geschlagen war, wie niemand sonst im ganzen Verwandten- und
+Bekanntenkreis. Was die Welt von armen Leuten verlangt, erfüllten sie
+bis zum äußersten, der Vater holte den kleinen Bankbeamten das
+Frühstück, die Mutter opferte sich für die Wäsche fremder Leute, die
+Schwester lief nach dem Befehl der Kunden hinter dem Pulte hin und her,
+aber weiter reichten die Kräfte der Familie schon nicht. Und die Wunde
+im Rücken fing Gregor wie neu zu schmerzen an, wenn Mutter und
+Schwester, nachdem sie den Vater zu Bett gebracht hatten, nun
+zurückkehrten, die Arbeit liegen ließen, nahe zusammenrückten, schon
+Wange an Wange saßen; wenn jetzt die Mutter, auf Gregors Zimmer zeigend,
+sagte: »Mach' dort die Tür zu, Grete,« und wenn nun Gregor wieder im
+Dunkel war, während nebenan die Frauen ihre Tränen vermischten oder gar
+tränenlos den Tisch anstarrten.
+
+Die Nächte und Tage verbrachte Gregor fast ganz ohne Schlaf. Manchmal
+dachte er daran, beim nächsten Öffnen der Tür die Angelegenheiten der
+Familie ganz so wie früher wieder in die Hand zu nehmen; in seinen
+Gedanken erschienen wieder nach langer Zeit der Chef und der Prokurist,
+die Kommis und die Lehrjungen, der so begriffsstützige Hausknecht, zwei
+drei Freunde aus anderen Geschäften, ein Stubenmädchen aus einem Hotel
+in der Provinz, eine liebe, flüchtige Erinnerung, eine Kassiererin aus
+einem Hutgeschäft, um die er sich ernsthaft, aber zu langsam beworben
+hatte -- sie alle erschienen untermischt mit Fremden oder schon
+Vergessenen, aber statt ihm und seiner Familie zu helfen, waren sie
+sämtlich unzugänglich, und er war froh, wenn sie verschwanden. Dann aber
+war er wieder gar nicht in der Laune, sich um seine Familie zu sorgen,
+bloß Wut über die schlechte Wartung erfüllte ihn, und trotzdem er sich
+nichts vorstellen konnte, worauf er Appetit gehabt hätte, machte er doch
+Pläne, wie er in die Speisekammer gelangen könnte, um dort zu nehmen,
+was ihm, auch wenn er keinen Hunger hatte, immerhin gebührte. Ohne jetzt
+mehr nachzudenken, womit man Gregor einen besonderen Gefallen machen
+könnte, schob die Schwester eiligst, ehe sie morgens und mittags ins
+Geschäft lief, mit dem Fuß irgendeine beliebige Speise in Gregors Zimmer
+hinein, um sie am Abend, gleichgültig dagegen, ob die Speise vielleicht
+nur gekostet oder -- der häufigste Fall -- gänzlich unberührt war, mit
+einem Schwenken des Besens hinauszukehren. Das Aufräumen des Zimmers,
+das sie nun immer abends besorgte, konnte gar nicht mehr schneller getan
+sein. Schmutzstreifen zogen sich die Wände entlang, hie und da lagen
+Knäuel von Staub und Unrat. In der ersten Zeit stellte sich Gregor bei
+der Ankunft der Schwester in derartige besonders bezeichnende Winkel, um
+ihr durch diese Stellung gewissermaßen einen Vorwurf zu machen. Aber er
+hätte wohl wochenlang dort bleiben können, ohne daß sich die Schwester
+gebessert hätte; sie sah ja den Schmutz genau so wie er, aber sie hatte
+sich eben entschlossen, ihn zu lassen. Dabei wachte sie mit einer an ihr
+ganz neuen Empfindlichkeit, die überhaupt die ganze Familie ergriffen
+hatte, darüber, daß das Aufräumen von Gregors Zimmer ihr vorbehalten
+blieb. Einmal hatte die Mutter Gregors Zimmer einer großen Reinigung
+unterzogen, die ihr nur nach Verbrauch einiger Kübel Wasser gelungen war
+-- die viele Feuchtigkeit kränkte allerdings Gregor auch und er lag
+breit, verbittert und unbeweglich auf dem Kanapee --, aber die Strafe
+blieb für die Mutter nicht aus. Denn kaum hatte am Abend die Schwester
+die Veränderung in Gregors Zimmer bemerkt, als sie, aufs höchste
+beleidigt, ins Wohnzimmer lief und, trotz der beschwörend erhobenen
+Hände der Mutter, in einen Weinkrampf ausbrach, dem die Eltern -- der
+Vater war natürlich aus seinem Sessel aufgeschreckt worden -- zuerst
+erstaunt und hilflos zusahen; bis auch sie sich zu rühren anfingen; der
+Vater rechts der Mutter Vorwürfe machte, daß sie Gregors Zimmer nicht
+der Schwester zur Reinigung überließ; links dagegen die Schwester
+anschrie, sie werde niemals mehr Gregors Zimmer reinigen dürfen; während
+die Mutter den Vater, der sich vor Erregung nicht mehr kannte, ins
+Schlafzimmer zu schleppen suchte; die Schwester, von Schluchzen
+geschüttelt, mit ihren kleinen Fäusten den Tisch bearbeitete; und Gregor
+laut vor Wut darüber zischte, daß es keinem einfiel, die Tür zu
+schließen und ihm diesen Anblick und Lärm zu ersparen.
+
+Aber selbst wenn die Schwester, erschöpft von ihrer Berufsarbeit, dessen
+überdrüssig geworden war, für Gregor, wie früher, zu sorgen, so hätte
+noch keineswegs die Mutter für sie eintreten müssen und Gregor hätte
+doch nicht vernachlässigt zu werden brauchen. Denn nun war die
+Bedienerin da. Diese alte Witwe, die in ihrem langen Leben mit Hilfe
+ihres starken Knochenbaues das Ärgste überstanden haben mochte, hatte
+keinen eigentlichen Abscheu vor Gregor. Ohne irgendwie neugierig zu
+sein, hatte sie zufällig einmal die Tür von Gregors Zimmer aufgemacht
+und war im Anblick Gregors, der, gänzlich überrascht, trotzdem ihn
+niemand jagte, hin- und herzulaufen begann, die Hände im Schoß gefaltet
+staunend stehen geblieben. Seitdem versäumte sie nicht, stets flüchtig
+morgens und abends die Tür ein wenig zu öffnen und zu Gregor
+hineinzuschauen. Anfangs rief sie ihn auch zu sich herbei, mit Worten,
+die sie wahrscheinlich für freundlich hielt, wie »Komm mal herüber,
+alter Mistkäfer!« oder »Seht mal den alten Mistkäfer!« Auf solche
+Ansprachen antwortete Gregor mit nichts, sondern blieb unbeweglich auf
+seinem Platz, als sei die Tür gar nicht geöffnet worden. Hätte man doch
+dieser Bedienerin, statt sie nach ihrer Laune ihn nutzlos stören zu
+lassen, lieber den Befehl gegeben, sein Zimmer täglich zu reinigen!
+Einmal am frühen Morgen -- ein heftiger Regen, vielleicht schon ein
+Zeichen des kommenden Frühjahrs, schlug an die Scheiben -- war Gregor,
+als die Bedienerin mit ihren Redensarten wieder begann, derartig
+erbittert, daß er, wie zum Angriff, allerdings langsam und hinfällig,
+sich gegen sie wendete. Die Bedienerin aber, statt sich zu fürchten, hob
+bloß einen in der Nähe der Tür befindlichen Stuhl hoch empor, und wie
+sie mit groß geöffnetem Munde dastand, war ihre Absicht klar, den Mund
+erst zu schließen, wenn der Sessel in ihrer Hand auf Gregors Rücken
+niederschlagen würde. »Also weiter geht es nicht?« fragte sie, als
+Gregor sich wieder umdrehte, und stellte den Sessel ruhig in die Ecke
+zurück.
+
+Gregor aß nun fast gar nichts mehr. Nur wenn er zufällig an der
+vorbereiteten Speise vorüberkam, nahm er zum Spiel einen Bissen in den
+Mund, hielt ihn dort stundenlang und spie ihn dann meist wieder aus.
+Zuerst dachte er, es sei die Trauer über den Zustand seines Zimmers, die
+ihn vom Essen abhalte, aber gerade mit den Veränderungen des Zimmers
+söhnte er sich sehr bald aus. Man hatte sich angewöhnt, Dinge, die man
+anderswo nicht unterbringen konnte, in dieses Zimmer hineinzustellen,
+und solcher Dinge gab es nun viele, da man ein Zimmer der Wohnung an
+drei Zimmerherren vermietet hatte. Diese ernsten Herren, -- alle drei
+hatten Vollbärte, wie Gregor einmal durch eine Türspalte feststellte --
+waren peinlich auf Ordnung, nicht nur in ihrem Zimmer, sondern, da sie
+sich nun einmal hier eingemietet hatten, in der ganzen Wirtschaft, also
+insbesondere in der Küche, bedacht. Unnützen oder gar schmutzigen Kram
+ertrugen sie nicht. Überdies hatten sie zum größten Teil ihre eigenen
+Einrichtungsstücke mitgebracht. Aus diesem Grunde waren viele Dinge
+überflüssig geworden, die zwar nicht verkäuflich waren, die man aber
+auch nicht wegwerfen wollte. Alle diese wanderten in Gregors Zimmer.
+Ebenso auch die Aschenkiste und die Abfallkiste aus der Küche. Was nur
+im Augenblick unbrauchbar war, schleuderte die Bedienerin, die es immer
+sehr eilig hatte, einfach in Gregors Zimmer; Gregor sah glücklicherweise
+meist nur den betreffenden Gegenstand und die Hand, die ihn hielt. Die
+Bedienerin hatte vielleicht die Absicht, bei Zeit und Gelegenheit die
+Dinge wieder zu holen oder alle insgesamt mit einemmal hinauszuwerfen,
+tatsächlich aber blieben sie dort liegen, wohin sie durch den ersten
+Wurf gekommen waren, wenn nicht Gregor sich durch das Rumpelzeug wand
+und es in Bewegung brachte, zuerst gezwungen, weil kein sonstiger Platz
+zum Kriechen frei war, später aber mit wachsendem Vergnügen, obwohl er
+nach solchen Wanderungen, zum Sterben müde und traurig, wieder
+stundenlang sich nicht rührte.
+
+Da die Zimmerherren manchmal auch ihr Abendessen zu Hause im gemeinsamen
+Wohnzimmer einnahmen, blieb die Wohnzimmertür an manchen Abenden
+geschlossen, aber Gregor verzichtete ganz leicht auf das Öffnen der Tür,
+hatte er doch schon manche Abende, an denen sie geöffnet war, nicht
+ausgenützt, sondern war, ohne daß es die Familie merkte, im dunkelsten
+Winkel seines Zimmers gelegen. Einmal aber hatte die Bedienerin die Tür
+zum Wohnzimmer ein wenig offen gelassen, und sie blieb so offen, auch
+als die Zimmerherren am Abend eintraten und Licht gemacht wurde. Sie
+setzten sich oben an den Tisch, wo in früheren Zeiten der Vater, die
+Mutter und Gregor gesessen hatten, entfalteten die Servietten und nahmen
+Messer und Gabel in die Hand. Sofort erschien in der Tür die Mutter mit
+einer Schüssel Fleisch und knapp hinter ihr die Schwester mit einer
+Schüssel hochgeschichteter Kartoffeln. Das Essen dampfte mit starkem
+Rauch. Die Zimmerherren beugten sich über die vor sie hingestellten
+Schüsseln, als wollten sie sie vor dem Essen prüfen, und tatsächlich
+zerschnitt der, welcher in der Mitte saß und den anderen zwei als
+Autorität zu gelten schien, ein Stück Fleisch noch auf der Schüssel,
+offenbar um festzustellen, ob es mürbe genug sei und ob es nicht etwa in
+die Küche zurückgeschickt werden solle. Er war befriedigt, und Mutter
+und Schwester, die gespannt zugesehen hatten, begannen aufatmend zu
+lächeln.
+
+Die Familie selbst aß in der Küche. Trotzdem kam der Vater, ehe er in
+die Küche ging, in dieses Zimmer herein und machte mit einer einzigen
+Verbeugung, die Kappe in der Hand, einen Rundgang um den Tisch. Die
+Zimmerherren erhoben sich sämtlich und murmelten etwas in ihre Bärte.
+Als sie dann allein waren, aßen sie fast unter vollkommenem
+Stillschweigen. Sonderbar schien es Gregor, daß man aus allen
+mannigfachen Geräuschen des Essens immer wieder ihre kauenden Zähne
+heraushörte, als ob damit Gregor gezeigt werden sollte, daß man Zähne
+brauche, um zu essen, und daß man auch mit den schönsten zahnlosen
+Kiefern nichts ausrichten könne. »Ich habe ja Appetit,« sagte sich
+Gregor sorgenvoll, »aber nicht auf diese Dinge. Wie sich diese
+Zimmerherren nähren, und ich komme um!«
+
+Gerade an diesem Abend -- Gregor erinnerte sich nicht, während der
+ganzen Zeit die Violine gehört zu haben -- ertönte sie von der Küche
+her. Die Zimmerherren hatten schon ihr Nachtmahl beendet, der mittlere
+hatte eine Zeitung hervorgezogen, den zwei anderen je ein Blatt gegeben,
+und nun lasen sie zurückgelehnt und rauchten. Als die Violine zu spielen
+begann, wurden sie aufmerksam, erhoben sich und gingen auf den
+Fußspitzen zur Vorzimmertür, in der sie aneinandergedrängt stehen
+blieben. Man mußte sie von der Küche aus gehört haben, denn der Vater
+rief: »Ist den Herren das Spiel vielleicht unangenehm? Es kann sofort
+eingestellt werden.« »Im Gegenteil,« sagte der mittlere der Herren,
+»möchte das Fräulein nicht zu uns hereinkommen und hier im Zimmer
+spielen, wo es doch viel bequemer und gemütlicher ist?« »O bitte,« rief
+der Vater, als sei er der Violinspieler. Die Herren traten ins Zimmer
+zurück und warteten. Bald kam der Vater mit dem Notenpult, die Mutter
+mit den Noten und die Schwester mit der Violine. Die Schwester bereitete
+alles ruhig zum Spiele vor; die Eltern, die niemals früher Zimmer
+vermietet hatten und deshalb die Höflichkeit gegen die Zimmerherren
+übertrieben, wagten gar nicht, sich auf ihre eigenen Sessel zu setzen;
+der Vater lehnte an der Tür, die rechte Hand zwischen zwei Knöpfe des
+geschlossenen Livreerockes gesteckt; die Mutter aber erhielt von einem
+Herrn einen Sessel angeboten und saß, da sie den Sessel dort ließ, wohin
+ihn der Herr zufällig gestellt hatte, abseits in einem Winkel.
+
+Die Schwester begann zu spielen; Vater und Mutter verfolgten, jeder von
+seiner Seite, aufmerksam die Bewegungen ihrer Hände. Gregor hatte, von
+dem Spiele angezogen, sich ein wenig weiter vorgewagt und war schon mit
+dem Kopf im Wohnzimmer. Er wunderte sich kaum darüber, daß er in letzter
+Zeit so wenig Rücksicht auf die andern nahm; früher war diese
+Rücksichtnahme sein Stolz gewesen. Und dabei hätte er gerade jetzt mehr
+Grund gehabt, sich zu verstecken, denn infolge des Staubes, der in
+seinem Zimmer überall lag und bei der kleinsten Bewegung umherflog, war
+auch er ganz staubbedeckt; Fäden, Haare, Speiseüberreste schleppte er
+auf seinem Rücken und an den Seiten mit sich herum; seine
+Gleichgültigkeit gegen alles war viel zu groß, als daß er sich, wie
+früher mehrmals während des Tages, auf den Rücken gelegt und am Teppich
+gescheuert hätte. Und trotz dieses Zustandes hatte er keine Scheu, ein
+Stück auf dem makellosen Fußboden des Wohnzimmers vorzurücken.
+
+Allerdings achtete auch niemand auf ihn. Die Familie war gänzlich vom
+Violinspiel in Anspruch genommen; die Zimmerherren dagegen, die
+zunächst, die Hände in den Hosentaschen, viel zu nahe hinter dem
+Notenpult der Schwester sich aufgestellt hatten, so daß sie alle in die
+Noten hätte sehen können, was sicher die Schwester stören mußte, zogen
+sich bald unter halblauten Gesprächen mit gesenkten Köpfen zum Fenster
+zurück, wo sie, vom Vater besorgt beobachtet, auch blieben. Es hatte nun
+wirklich den überdeutlichen Anschein, als wären sie in ihrer Annahme,
+ein schönes oder unterhaltendes Violinspiel zu hören, enttäuscht, hätten
+die ganze Vorführung satt und ließen sich nur aus Höflichkeit noch in
+ihrer Ruhe stören. Besonders die Art, wie sie alle aus Nase und Mund den
+Rauch ihrer Zigarren in die Höhe bliesen, ließ auf große Nervosität
+schließen. Und doch spielte die Schwester so schön. Ihr Gesicht war zur
+Seite geneigt, prüfend und traurig folgten ihre Blicke den Notenzeilen.
+Gregor kroch noch ein Stück vorwärts und hielt den Kopf eng an den
+Boden, um möglicherweise ihren Blicken begegnen zu können. War er ein
+Tier, da ihn Musik so ergriff? Ihm war, als zeige sich ihm der Weg zu
+der ersehnten unbekannten Nahrung. Er war entschlossen, bis zur
+Schwester vorzudringen, sie am Rock zu zupfen und ihr dadurch
+anzudeuten, sie möge doch mit ihrer Violine in sein Zimmer kommen, denn
+niemand lohnte hier das Spiel so, wie er es lohnen wollte. Er wollte sie
+nicht mehr aus seinem Zimmer lassen, wenigstens nicht, solange er lebte;
+seine Schreckgestalt sollte ihm zum erstenmal nützlich werden; an allen
+Türen seines Zimmers wollte er gleichzeitig sein und den Angreifern
+entgegenfauchen; die Schwester aber sollte nicht gezwungen, sondern
+freiwillig bei ihm bleiben; sie sollte neben ihm auf dem Kanapee sitzen,
+das Ohr zu ihm herunterneigen, und er wollte ihr dann anvertrauen, daß
+er die feste Absicht gehabt habe, sie auf das Konservatorium zu
+schicken, und daß er dies, wenn nicht das Unglück dazwischen gekommen
+wäre, vergangene Weihnachten -- Weihnachten war doch wohl schon vorüber?
+-- allen gesagt hätte, ohne sich um irgendwelche Widerreden zu kümmern.
+Nach dieser Erklärung würde die Schwester in Tränen der Rührung
+ausbrechen, und Gregor würde sich bis zu ihrer Achsel erheben und ihren
+Hals küssen, den sie, seitdem sie ins Geschäft ging, frei ohne Band oder
+Kragen trug.
+
+»Herr Samsa!« rief der mittlere Herr dem Vater zu und zeigte, ohne ein
+weiteres Wort zu verlieren, mit dem Zeigefinger auf den langsam sich
+vorwärtsbewegenden Gregor. Die Violine verstummte, der mittlere
+Zimmerherr lächelte erst einmal kopfschüttelnd seinen Freunden zu und
+sah dann wieder auf Gregor hin. Der Vater schien es für nötiger zu
+halten, statt Gregor zu vertreiben, vorerst die Zimmerherren zu
+beruhigen, trotzdem diese gar nicht aufgeregt waren und Gregor sie mehr
+als das Violinspiel zu unterhalten schien. Er eilte zu ihnen und suchte
+sie mit ausgebreiteten Armen in ihr Zimmer zu drängen und gleichzeitig
+mit seinem Körper ihnen den Ausblick auf Gregor zu nehmen. Sie wurden
+nun tatsächlich ein wenig böse, man wußte nicht mehr, ob über das
+Benehmen des Vaters oder über die ihnen jetzt aufgehende Erkenntnis,
+ohne es zu wissen, einen solchen Zimmernachbar wie Gregor besessen zu
+haben. Sie verlangten vom Vater Erklärungen, hoben ihrerseits die Arme,
+zupften unruhig an ihren Bärten und wichen nur langsam gegen ihr Zimmer
+zurück. Inzwischen hatte die Schwester die Verlorenheit, in die sie nach
+dem plötzlich abgebrochenen Spiel verfallen war, überwunden, hatte sich,
+nachdem sie eine Zeitlang in den lässig hängenden Händen Violine und
+Bogen gehalten und weiter, als spiele sie noch, in die Noten gesehen
+hatte, mit einem Male aufgerafft, hatte das Instrument auf den Schoß der
+Mutter gelegt, die in Atembeschwerden mit heftig arbeitenden Lungen noch
+auf ihrem Sessel saß, und war in das Nebenzimmer gelaufen, dem sich die
+Zimmerherren unter dem Drängen des Vaters schon schneller näherten. Man
+sah, wie unter den geübten Händen der Schwester die Decken und Polster
+in den Betten in die Höhe flogen und sich ordneten. Noch ehe die Herren
+das Zimmer erreicht hatten, war sie mit dem Aufbetten fertig und
+schlüpfte heraus. Der Vater schien wieder von seinem Eigensinn derartig
+ergriffen, daß er jeden Respekt vergaß, den er seinen Mietern immerhin
+schuldete. Er drängte nur und drängte, bis schon in der Tür des Zimmers
+der mittlere der Herren donnernd mit dem Fuß aufstampfte und dadurch den
+Vater zum Stehen brachte. »Ich erkläre hiermit,« sagte er, hob die Hand
+und suchte mit den Blicken auch die Mutter und die Schwester, »daß ich
+mit Rücksicht auf die in dieser Wohnung und Familie herrschenden
+widerlichen Verhältnisse« -- hierbei spie er kurz entschlossen auf den
+Boden -- »mein Zimmer augenblicklich kündige. Ich werde natürlich auch
+für die Tage, die ich hier gewohnt habe, nicht das Geringste bezahlen,
+dagegen werde ich es mir noch überlegen, ob ich nicht mit irgendwelchen
+-- glauben Sie mir -- sehr leicht zu begründenden Forderungen gegen Sie
+auftreten werde.« Er schwieg und sah gerade vor sich hin, als erwarte er
+etwas. Tatsächlich fielen sofort seine zwei Freunde mit den Worten ein:
+»Auch wir kündigen augenblicklich.« Darauf faßte er die Türklinke und
+schloß mit einem Krach die Tür.
+
+Der Vater wankte mit tastenden Händen zu seinem Sessel und ließ sich
+hineinfallen; es sah aus, als strecke er sich zu seinem gewöhnlichen
+Abendschläfchen, aber das starke Nicken seines wie haltlosen Kopfes
+zeigte, daß er ganz und gar nicht schlief. Gregor war die ganze Zeit
+still auf dem Platz gelegen, auf dem ihn die Zimmerherren ertappt
+hatten. Die Enttäuschung über das Mißlingen seines Planes, vielleicht
+aber auch die durch das viele Hungern verursachte Schwäche machten es
+ihm unmöglich, sich zu bewegen. Er fürchtete mit einer gewissen
+Bestimmtheit schon für den nächsten Augenblick einen allgemeinen über
+ihn sich entladenden Zusammensturz und wartete. Nicht einmal die Violine
+schreckte ihn auf, die, unter den zitternden Fingern der Mutter hervor,
+ihr vom Schoße fiel und einen hallenden Ton von sich gab.
+
+»Liebe Eltern,« sagte die Schwester und schlug zur Einleitung mit der
+Hand auf den Tisch, »so geht es nicht weiter. Wenn ihr das vielleicht
+nicht einsehet, ich sehe es ein. Ich will vor diesem Untier nicht den
+Namen meines Bruders aussprechen und sage daher bloß: wir müssen
+versuchen es loszuwerden. Wir haben das Menschenmögliche versucht, es zu
+pflegen und zu dulden, ich glaube, es kann uns niemand den geringsten
+Vorwurf machen.«
+
+»Sie hat tausendmal recht,« sagte der Vater für sich. Die Mutter, die
+noch immer nicht genug Atem finden konnte, fing mit einem irrsinnigen
+Ausdruck der Augen dumpf in die vorgehaltene Hand zu husten an.
+
+Die Schwester eilte zur Mutter und hielt ihr die Stirn. Der Vater schien
+durch die Worte der Schwester auf bestimmtere Gedanken gebracht zu sein,
+hatte sich aufrecht gesetzt, spielte mit seiner Dienermütze zwischen den
+Tellern, die noch vom Nachtmahl der Zimmerherren her auf dem Tische
+standen, und sah bisweilen auf den stillen Gregor hin.
+
+»Wir müssen es loszuwerden suchen,« sagte die Schwester nun
+ausschließlich zum Vater, denn die Mutter hörte in ihrem Husten nichts,
+»es bringt euch noch beide um, ich sehe es kommen. Wenn man schon so
+schwer arbeiten muß, wie wir alle, kann man nicht noch zu Hause diese
+ewige Quälerei ertragen. Ich kann es auch nicht mehr.« Und sie brach so
+heftig in Weinen aus, daß ihre Tränen auf das Gesicht der Mutter
+niederflossen, von dem sie sie mit mechanischen Handbewegungen wischte.
+
+»Kind,« sagte der Vater mitleidig und mit auffallendem Verständnis, »was
+sollen wir aber tun?«
+
+Die Schwester zuckte nur die Achseln zum Zeichen der Ratlosigkeit, die
+sie nun während des Weinens im Gegensatz zu ihrer früheren Sicherheit
+ergriffen hatte.
+
+»Wenn er uns verstünde,« sagte der Vater halb fragend; die Schwester
+schüttelte aus dem Weinen heraus heftig die Hand zum Zeichen, daß daran
+nicht zu denken sei.
+
+»Wenn er uns verstünde,« wiederholte der Vater und nahm durch Schließen
+der Augen die Überzeugung der Schwester von der Unmöglichkeit dessen in
+sich auf, »dann wäre vielleicht ein Übereinkommen mit ihm möglich. Aber
+so --«
+
+»Weg muß es,« rief die Schwester, »das ist das einzige Mittel, Vater. Du
+mußt bloß den Gedanken loszuwerden suchen, daß es Gregor ist. Daß wir es
+so lange geglaubt haben, das ist ja unser eigentliches Unglück. Aber wie
+kann es denn Gregor sein? Wenn es Gregor wäre, er hätte längst
+eingesehen, daß ein Zusammenleben von Menschen mit einem solchen Tier
+nicht möglich ist, und wäre freiwillig fortgegangen. Wir hätten dann
+keinen Bruder, aber könnten weiter leben und sein Andenken in Ehren
+halten. So aber verfolgt uns dieses Tier, vertreibt die Zimmerherren,
+will offenbar die ganze Wohnung einnehmen und uns auf der Gasse
+übernachten lassen. Sieh nur, Vater,« schrie sie plötzlich auf, »er
+fängt schon wieder an!« Und in einem für Gregor gänzlich
+unverständlichen Schrecken verließ die Schwester sogar die Mutter, stieß
+sich förmlich von ihrem Sessel ab, als wollte sie lieber die Mutter
+opfern, als in Gregors Nähe bleiben, und eilte hinter den Vater, der,
+lediglich durch ihr Benehmen erregt, auch aufstand und die Arme wie zum
+Schutze der Schwester vor ihr halb erhob.
+
+Aber Gregor fiel es doch gar nicht ein, irgend jemandem und gar seiner
+Schwester Angst machen zu wollen. Er hatte bloß angefangen sich
+umzudrehen, um in sein Zimmer zurückzuwandern, und das nahm sich
+allerdings auffallend aus, da er infolge seines leidenden Zustandes bei
+den schwierigen Umdrehungen mit seinem Kopfe nachhelfen mußte, den er
+hierbei viele Male hob und gegen den Boden schlug. Er hielt inne und sah
+sich um. Seine gute Absicht schien erkannt worden zu sein; es war nur
+ein augenblicklicher Schrecken gewesen. Nun sahen ihn alle schweigend
+und traurig an. Die Mutter lag, die Beine ausgestreckt und
+aneinandergedrückt, in ihrem Sessel, die Augen fielen ihr vor Ermattung
+fast zu; der Vater und die Schwester saßen nebeneinander, die Schwester
+hatte ihre Hand um des Vaters Hals gelegt.
+
+»Nun darf ich mich schon vielleicht umdrehen,« dachte Gregor und begann
+seine Arbeit wieder. Er konnte das Schnaufen der Anstrengung nicht
+unterdrücken und mußte auch hie und da ausruhen. Im übrigen drängte ihn
+auch niemand, es war alles ihm selbst überlassen. Als er die Umdrehung
+vollendet hatte, fing er sofort an, geradeaus zurückzuwandern. Er
+staunte über die große Entfernung, die ihn von seinem Zimmer trennte,
+und begriff gar nicht, wie er bei seiner Schwäche vor kurzer Zeit den
+gleichen Weg, fast ohne es zu merken, zurückgelegt hatte. Immerfort nur
+auf rasches Kriechen bedacht, achtete er kaum darauf, daß kein Wort,
+kein Ausruf seiner Familie ihn störte. Erst als er schon in der Tür war,
+wendete er den Kopf, nicht, vollständig, denn er fühlte den Hals steif
+werden, immerhin sah er noch, daß sich hinter ihm nichts verändert
+hatte, nur die Schwester war aufgestanden. Sein letzter Blick streifte
+die Mutter, die nun völlig eingeschlafen war.
+
+Kaum war er innerhalb seines Zimmers, wurde die Tür eiligst zugedrückt,
+festgeriegelt und versperrt. Über den plötzlichen Lärm hinter sich
+erschrak Gregor so, daß ihm die Beinchen einknickten. Es war die
+Schwester, die sich so beeilt hatte. Aufrecht war sie schon da
+gestanden und hatte gewartet, leichtfüßig war sie dann
+vorwärtsgesprungen, Gregor hatte sie gar nicht kommen hören, und ein
+»Endlich!« rief sie den Eltern zu, während sie den Schlüssel im Schloß
+umdrehte.
+
+»Und jetzt?« fragte sich Gregor und sah sich im Dunkeln um. Er machte
+bald die Entdeckung, daß er sich nun überhaupt nicht mehr rühren konnte.
+Er wunderte sich darüber nicht, eher kam es ihm unnatürlich vor, daß er
+sich bis jetzt tatsächlich mit diesen dünnen Beinchen hatte fortbewegen
+können. Im übrigen fühlte er sich verhältnismäßig behaglich. Er hatte
+zwar Schmerzen im ganzen Leib, aber ihm war, als würden sie allmählich
+schwächer und schwächer und würden schließlich ganz vergehen. Den
+verfaulten Apfel in seinem Rücken und die entzündete Umgebung, die ganz
+von weichem Staub bedeckt war, spürte er schon kaum. An seine Familie
+dachte er mit Rührung und Liebe zurück. Seine Meinung darüber, daß er
+verschwinden müsse, war womöglich noch entschiedener, als die seiner
+Schwester. In diesem Zustand leeren und friedlichen Nachdenkens blieb
+er, bis die Turmuhr die dritte Morgenstunde schlug. Den Anfang des
+allgemeinen Hellerwerdens draußen vor dem Fenster erlebte er noch. Dann
+sank sein Kopf ohne seinen Willen gänzlich nieder, und aus seinen
+Nüstern strömte sein letzter Atem schwach hervor.
+
+Als am frühen Morgen die Bedienerin kam -- vor lauter Kraft und Eile
+schlug sie, wie oft man sie auch schon gebeten hatte, das zu vermeiden,
+alle Türen derartig zu, daß in der ganzen Wohnung von ihrem Kommen an
+kein ruhiger Schlaf mehr möglich war --, fand sie bei ihrem gewöhnlichen
+kurzen Besuch bei Gregor zuerst nichts Besonderes. Sie dachte, er liege
+absichtlich so unbeweglich da und spiele den Beleidigten; sie traute
+ihm allen möglichen Verstand zu. Weil sie zufällig den langen Besen in
+der Hand hielt, suchte sie mit ihm Gregor von der Tür aus zu kitzeln.
+Als sich auch da kein Erfolg zeigte, wurde sie ärgerlich und stieß ein
+wenig in Gregor hinein, und erst als sie ihn ohne jeden Widerstand von
+seinem Platze geschoben hatte, wurde sie aufmerksam. Als sie bald den
+wahren Sachverhalt erkannte, machte sie große Augen, pfiff vor sich hin,
+hielt sich aber nicht lange auf, sondern riß die Tür des Schlafzimmers
+auf und rief mit lauter Stimme in das Dunkel hinein: »Sehen Sie nur mal
+an, es ist krepiert; da liegt es, ganz und gar krepiert!«
+
+Das Ehepaar Samsa saß im Ehebett aufrecht da und hatte zu tun, den
+Schrecken über die Bedienerin zu verwinden, ehe es dazu kam, ihre
+Meldung aufzufassen. Dann aber stiegen Herr und Frau Samsa, jeder auf
+seiner Seite, eiligst aus dem Bett, Herr Samsa warf die Decke über seine
+Schultern, Frau Samsa kam nur im Nachthemd hervor; so traten sie in
+Gregors Zimmer. Inzwischen hatte sich auch die Tür des Wohnzimmers
+geöffnet, in dem Grete seit dem Einzug der Zimmerherren schlief; sie war
+völlig angezogen, als hätte sie gar nicht geschlafen, auch ihr bleiches
+Gesicht schien das zu beweisen. »Tot?« sagte Frau Samsa und sah fragend
+zur Bedienerin auf, trotzdem sie doch alles selbst prüfen und sogar ohne
+Prüfung erkennen konnte. »Das will ich meinen,« sagte die Bedienerin und
+stieß zum Beweis Gregors Leiche mit dem Besen noch ein großes Stück
+seitwärts. Frau Samsa machte eine Bewegung, als wolle sie den Besen
+zurückhalten, tat es aber nicht. »Nun,« sagte Herr Samsa, »jetzt können
+wir Gott danken.« Er bekreuzte sich, und die drei Frauen folgten seinem
+Beispiel. Grete, die kein Auge von der Leiche wendete, sagte: »Seht
+nur, wie mager er war. Er hat ja auch schon so lange Zeit nichts
+gegessen. So wie die Speisen hereinkamen, sind sie wieder
+hinausgekommen.« Tatsächlich war Gregors Körper vollständig flach und
+trocken, man erkannte das eigentlich erst jetzt, da er nicht mehr von
+den Beinchen gehoben war und auch sonst nichts den Blick ablenkte.
+
+»Komm, Grete, auf ein Weilchen zu uns herein,« sagte Frau Samsa mit
+einem wehmütigen Lächeln, und Grete ging, nicht ohne nach der Leiche
+zurückzusehen, hinter den Eltern in das Schlafzimmer. Die Bedienerin
+schloß die Tür und öffnete gänzlich das Fenster. Trotz des frühen
+Morgens war der frischen Luft schon etwas Lauigkeit beigemischt. Es war
+eben schon Ende März.
+
+Aus ihrem Zimmer traten die drei Zimmerherren und sahen sich erstaunt
+nach ihrem Frühstück um; man hatte sie vergessen. »Wo ist das
+Frühstück?« fragte der mittlere der Herren mürrisch die Bedienerin.
+Diese aber legte den Finger an den Mund und winkte dann hastig und
+schweigend den Herren zu, sie möchten in Gregors Zimmer kommen. Sie
+kamen auch und standen dann, die Hände in den Taschen ihrer etwas
+abgenützten Röckchen, in dem nun schon ganz hellen Zimmer um Gregors
+Leiche herum.
+
+Da öffnete sich die Tür des Schlafzimmers, und Herr Samsa erschien in
+seiner Livree, an einem Arm seine Frau, am anderen seine Tochter. Alle
+waren ein wenig verweint; Grete drückte bisweilen ihr Gesicht an den Arm
+des Vaters.
+
+»Verlassen Sie sofort meine Wohnung!« sagte Herr Samsa und zeigte auf
+die Tür, ohne die Frauen von sich zu lassen. »Wie meinen Sie das?« sagte
+der mittlere der Herren etwas bestürzt und lächelte süßlich. Die zwei
+anderen hielten die Hände auf dem Rücken und rieben sie ununterbrochen
+aneinander, wie in freudiger Erwartung eines großen Streites, der aber
+für sie günstig ausfallen mußte. »Ich meine es genau so, wie ich es
+sage,« antwortete Herr Samsa und ging in einer Linie mit seinen zwei
+Begleiterinnen auf den Zimmerherrn zu. Dieser stand zuerst still da und
+sah zu Boden, als ob sich die Dinge in seinem Kopf zu einer neuen
+Ordnung zusammenstellten. »Dann gehen wir also,« sagte er dann und sah
+zu Herrn Samsa auf, als verlange er in einer plötzlich ihn überkommenden
+Demut sogar für diesen Entschluß eine neue Genehmigung. Herr Samsa
+nickte ihm bloß mehrmals kurz mit großen Augen zu. Daraufhin ging der
+Herr tatsächlich sofort mit langen Schritten ins Vorzimmer; seine beiden
+Freunde hatten schon ein Weilchen lang mit ganz ruhigen Händen
+aufgehorcht und hüpften ihm jetzt geradezu nach, wie in Angst, Herr
+Samsa könnte vor ihnen ins Vorzimmer eintreten und die Verbindung mit
+ihrem Führer stören. Im Vorzimmer nahmen alle drei die Hüte vom
+Kleiderrechen, zogen ihre Stöcke aus dem Stockbehälter, verbeugten sich
+stumm und verließen die Wohnung. In einem, wie sich zeigte, gänzlich
+unbegründeten Mißtrauen trat Herr Samsa mit den zwei Frauen auf den
+Vorplatz hinaus; an das Geländer gelehnt, sahen sie zu, wie die drei
+Herren zwar langsam, aber ständig die lange Treppe hinunterstiegen, in
+jedem Stockwerk in einer bestimmten Biegung des Treppenhauses
+verschwanden und nach ein paar Augenblicken wieder hervorkamen; je
+tiefer sie gelangten, desto mehr verlor sich das Interesse der Familie
+Samsa für sie, und als ihnen entgegen und dann hoch über sie hinweg ein
+Fleischergeselle mit der Trage auf dem Kopf in stolzer Haltung
+heraufstieg, verließ bald Herr Samsa mit den Frauen das Geländer, und
+alle kehrten, wie erleichtert, in ihre Wohnung zurück.
+
+Sie beschlossen, den heutigen Tag zum Ausruhen und Spazierengehen zu
+verwenden; sie hatten diese Arbeitsunterbrechung nicht nur verdient, sie
+brauchten sie sogar unbedingt. Und so setzten sie sich zum Tisch und
+schrieben drei Entschuldigungsbriefe, Herr Samsa an seine Direktion,
+Frau Samsa an ihren Auftraggeber, und Grete an ihren Prinzipal. Während
+des Schreibens kam die Bedienerin herein, um zu sagen, daß sie fortgehe,
+denn ihre Morgenarbeit war beendet. Die drei Schreibenden nickten zuerst
+bloß, ohne aufzuschauen, erst als die Bedienerin sich immer noch nicht
+entfernen wollte, sah man ärgerlich auf. »Nun?« fragte Herr Samsa. Die
+Bedienerin stand lächelnd in der Tür, als habe sie der Familie ein
+großes Glück zu melden, werde es aber nur dann tun, wenn sie gründlich
+ausgefragt werde. Die fast aufrechte kleine Straußfeder auf ihrem Hut,
+über die sich Herr Samsa schon während ihrer ganzen Dienstzeit ärgerte,
+schwankte leicht nach allen Richtungen. »Also was wollen Sie
+eigentlich?« fragte Frau Samsa, vor welcher die Bedienerin noch am
+meisten Respekt hatte. »Ja,« antwortete die Bedienerin und konnte vor
+freundlichem Lachen nicht gleich weiter reden, »also darüber, wie das
+Zeug von nebenan weggeschafft werden soll, müssen Sie sich keine Sorge
+machen. Es ist schon in Ordnung.« Frau Samsa und Grete beugten sich zu
+ihren Briefen nieder, als wollten sie weiterschreiben; Herr Samsa,
+welcher merkte, daß die Bedienerin nun alles ausführlich zu beschreiben
+anfangen wollte, wehrte dies mit ausgestreckter Hand entschieden ab. Da
+sie aber nicht erzählen durfte, erinnerte sie sich an die große Eile,
+die sie hatte, rief offenbar beleidigt: »Adjes allseits,« drehte sich
+wild um und verließ unter fürchterlichem Türezuschlagen die Wohnung.
+
+»Abends wird sie entlassen,« sagte Herr Samsa, bekam aber weder von
+seiner Frau noch von seiner Tochter eine Antwort, denn die Bedienerin
+schien ihre kaum gewonnene Ruhe wieder gestört zu haben. Sie erhoben
+sich, gingen zum Fenster und blieben dort, sich umschlungen haltend.
+Herr Samsa drehte sich in seinem Sessel nach ihnen um und beobachtete
+sie still ein Weilchen. Dann rief er: »Also kommt doch her. Laßt schon
+endlich die alten Sachen. Und nehmt auch ein wenig Rücksicht auf mich.«
+Gleich folgten ihm die Frauen, eilten zu ihm, liebkosten ihn und
+beendeten rasch ihre Briefe.
+
+Dann verließen alle drei gemeinschaftlich die Wohnung, was sie schon
+seit Monaten nicht getan hatten, und fuhren mit der Elektrischen ins
+Freie vor die Stadt. Der Wagen, in dem sie allein saßen, war ganz von
+warmer Sonne durchschienen. Sie besprachen, bequem auf ihren Sitzen
+zurückgelehnt, die Aussichten für die Zukunft, und es fand sich, daß
+diese bei näherer Betrachtung durchaus nicht schlecht waren, denn aller
+drei Anstellungen waren, worüber sie einander eigentlich noch gar nicht
+ausgefragt hatten, überaus günstig und besonders für später
+vielversprechend. Die größte augenblickliche Besserung der Lage mußte
+sich natürlich leicht durch einen Wohnungswechsel ergeben; sie wollten
+nun eine kleinere und billigere, aber besser gelegene und überhaupt
+praktischere Wohnung nehmen, als es die jetzige, noch von Gregor
+ausgesuchte war. Während sie sich so unterhielten, fiel es Herrn und
+Frau Samsa im Anblick ihrer immer lebhafter werdenden Tochter fast
+gleichzeitig ein, wie sie in der letzten Zeit trotz aller Pflege, die
+ihre Wangen bleich gemacht hatte, zu einem schönen und üppigen Mädchen
+aufgeblüht war. Stiller werdend und fast unbewußt durch Blicke sich
+verständigend, dachten sie daran, daß es nun Zeit sein werde, auch einen
+braven Mann für sie zu suchen. Und es war ihnen wie eine Bestätigung
+ihrer neuen Träume und guten Absichten, als am Ziele ihrer Fahrt die
+Tochter als erste sich erhob und ihren jungen Körper dehnte.
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Die Verwandlung, by Franz Kafka
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE VERWANDLUNG ***
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+Produced by Jana Srna, Alexander Bauer and the Online
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+Updated editions will replace the previous one--the old editions
+will be renamed.
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+Creating the works from public domain print editions means that no
+one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
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+such as creation of derivative works, reports, performances and
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+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
+located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
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+works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
+are removed. Of course, we hope that you will support the Project
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+
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+with the permission of the copyright holder, your use and distribution
+must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
+terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked
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+permission of the copyright holder found at the beginning of this work.
+
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+License terms from this work, or any files containing a part of this
+work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
+
+1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
+electronic work, or any part of this electronic work, without
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+Gutenberg-tm License.
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+The Project Gutenberg EBook of Die Verwandlung, by Franz Kafka
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+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE VERWANDLUNG ***
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+<p class="center gesperrt page-break">BÜCHEREI »DER JÜNGSTE TAG« BAND 22/23</p>
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+<p class="center" style="margin-bottom: 40px;">GEDRUCKT BEI DIETSCH &amp; BRÜCKNER &bull; WEIMAR</p>
+
+
+
+
+<p class="center" style="margin-top: 6em;">COPYRIGHT KURT WOLFF VERLAG &bull; LEIPZIG. 1917</p>
+
+
+
+<h2 class="page-break"><a class="pagenum" name="Page_5" title="5"> </a>I.</h2>
+
+
+<p class="dropcap"><span class="first-word">Als</span> Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen
+Träumen erwachte, fand er sich in seinem
+Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.
+Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken
+und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen
+gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen
+geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke,
+zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten
+konnte. Seine vielen, im Vergleich zu seinem
+sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihm
+hilflos vor den Augen.</p>
+
+<p>»Was ist mit mir geschehen?« dachte er. Es war
+kein Traum. Sein Zimmer, ein richtiges, nur etwas zu
+kleines Menschenzimmer, lag ruhig zwischen den vier
+wohlbekannten Wänden. Über dem Tisch, auf dem eine
+auseinandergepackte Musterkollektion von Tuchwaren
+ausgebreitet war &ndash; Samsa war Reisender&nbsp;&ndash;, hing
+das Bild, das er vor kurzem aus einer illustrierten
+Zeitschrift ausgeschnitten und in einem hübschen, vergoldeten
+Rahmen untergebracht hatte. Es stellte eine
+Dame dar, die, mit einem Pelzhut und einer Pelzboa
+versehen, aufrecht dasaß und einen schweren Pelzmuff,
+in dem ihr ganzer Unterarm verschwunden war, dem
+Beschauer entgegenhob.</p>
+
+<p>Gregors Blick richtete sich dann zum Fenster, und
+das trübe Wetter &ndash; man hörte Regentropfen auf das
+Fensterblech aufschlagen &ndash; machte ihn ganz melancholisch.
+»Wie wäre es, wenn ich noch ein wenig weiterschliefe
+<a class="pagenum" name="Page_6" title="6"> </a>
+und alle Narrheiten vergäße,« dachte er, aber
+das war gänzlich undurchführbar, denn er war gewöhnt,
+auf der rechten Seite zu schlafen, konnte sich aber in
+seinem gegenwärtigen Zustand nicht in diese Lage
+bringen. Mit welcher Kraft er sich auch auf die rechte
+Seite warf, immer wieder schaukelte er in die Rückenlage
+zurück. Er versuchte es wohl hundertmal, schloß
+die Augen, um die zappelnden Beine nicht sehen zu
+müssen, und ließ erst ab, als er in der Seite einen
+noch nie gefühlten, leichten, dumpfen Schmerz zu fühlen
+begann.</p>
+
+<p>»Ach Gott,« dachte er, »was für einen anstrengenden
+Beruf habe ich gewählt! Tag aus, Tag ein auf der
+Reise. Die geschäftlichen Aufregungen sind viel größer,
+als im eigentlichen Geschäft zu Hause, und außerdem ist
+mir noch diese Plage des Reisens auferlegt, die Sorgen
+um die Zuganschlüsse, das unregelmäßige, schlechte
+Essen, ein immer wechselnder, nie andauernder, nie
+herzlich werdender menschlicher Verkehr. Der Teufel
+soll das alles holen!« Er fühlte ein leichtes Jucken
+oben auf dem Bauch; schob sich auf dem Rücken langsam
+näher zum Bettpfosten, um den Kopf besser heben
+zu können; fand die juckende Stelle, die mit lauter
+kleinen weißen Pünktchen besetzt war, die er nicht zu
+beurteilen verstand; und wollte mit einem Bein die
+Stelle betasten, zog es aber gleich zurück, denn bei
+der Berührung umwehten ihn Kälteschauer.</p>
+
+<p>Er glitt wieder in seine frühere Lage zurück. »Dies
+frühzeitige Aufstehen«, dachte er, »macht einen ganz
+blödsinnig. Der Mensch muß seinen Schlaf haben.
+Andere Reisende leben wie Haremsfrauen. Wenn ich
+zum Beispiel im Laufe des Vormittags ins Gasthaus
+zurückgehe, um die erlangten Aufträge zu überschreiben,
+sitzen diese Herren erst beim Frühstück. Das sollte
+<a class="pagenum" name="Page_7" title="7"> </a>
+ich bei meinem Chef versuchen; ich würde auf der Stelle
+hinausfliegen. Wer weiß übrigens, ob das nicht sehr gut
+für mich wäre. Wenn ich mich nicht wegen meiner Eltern
+zurückhielte, ich hätte längst gekündigt, ich wäre vor
+den Chef hingetreten und hätte ihm meine Meinung
+von Grund des Herzens aus gesagt. Vom Pult hätte
+er fallen müssen! Es ist auch eine sonderbare Art, sich
+auf das Pult zu setzen und von der Höhe herab mit
+dem Angestellten zu reden, der überdies wegen der
+Schwerhörigkeit des Chefs ganz nahe herantreten muß.
+Nun, die Hoffnung ist noch nicht gänzlich aufgegeben,
+habe ich einmal das Geld beisammen, um die Schuld
+der Eltern an ihn abzuzahlen &ndash; es dürfte noch fünf
+bis sechs Jahre dauern&nbsp;&ndash;, mache ich die Sache unbedingt.
+Dann wird der große Schnitt gemacht. Vorläufig
+allerdings muß ich aufstehen, denn mein Zug
+fährt um fünf.«</p>
+
+<p>Und er sah zur Weckuhr hinüber, die auf dem
+Kasten tickte. »Himmlischer Vater!« dachte er, Es war
+halb sieben Uhr, und die Zeiger gingen ruhig vorwärts,
+es war sogar halb vorüber, es näherte sich schon dreiviertel.
+Sollte der Wecker nicht geläutet haben? Man
+sah vom Bett aus, daß er auf vier Uhr richtig eingestellt
+war; gewiß hatte er auch geläutet. Ja, aber war
+es möglich, dieses möbelerschütternde Läuten ruhig zu
+verschlafen? Nun, ruhig hatte er ja nicht geschlafen,
+aber wahrscheinlich desto fester. Was aber sollte er
+jetzt tun? Der nächste Zug ging um sieben Uhr; um
+den einzuholen, hätte er sich unsinnig beeilen müssen,
+und die Kollektion war noch nicht eingepackt, und er
+selbst fühlte sich durchaus nicht besonders frisch und
+beweglich. Und selbst wenn er den Zug einholte, ein
+Donnerwetter des Chefs war nicht zu vermeiden, denn
+der Geschäftsdiener hatte beim Fünfuhrzug gewartet
+<a class="pagenum" name="Page_8" title="8"> </a>
+und die Meldung von seiner Versäumnis längst erstattet.
+Es war eine Kreatur des Chefs, ohne Rückgrat und
+Verstand. Wie nun, wenn er sich krank meldete? Das
+wäre aber äußerst peinlich und verdächtig, denn Gregor
+war während seines fünfjährigen Dienstes noch nicht
+einmal krank gewesen. Gewiß würde der Chef mit dem
+Krankenkassenarzt kommen, würde den Eltern wegen
+des faulen Sohnes Vorwürfe machen und alle Einwände
+durch den Hinweis auf den Krankenkassenarzt abschneiden,
+für den es ja überhaupt nur ganz gesunde,
+aber arbeitsscheue Menschen gibt. Und hätte er übrigens
+in diesem Falle so ganz unrecht? Gregor fühlte sich
+tatsächlich, abgesehen von einer nach dem langen Schlaf
+wirklich überflüssigen Schläfrigkeit, ganz wohl und hatte
+sogar einen besonders kräftigen Hunger.</p>
+
+<p>Als er dies alles in größter Eile überlegte, ohne sich
+entschließen zu können, das Bett zu verlassen &ndash; gerade
+schlug der Wecker dreiviertel sieben &ndash; klopfte
+es vorsichtig an die Tür am Kopfende seines Bettes.
+»Gregor,« rief es &ndash; es war die Mutter&nbsp;&ndash;, »es ist
+dreiviertel sieben. Wolltest du nicht wegfahren?« Die
+sanfte Stimme! Gregor erschrak, als er seine antwortende
+Stimme hörte, die wohl unverkennbar seine
+frühere war, in die sich aber, wie von unten her, ein
+nicht zu unterdrückendes, schmerzliches Piepsen mischte,
+das die Worte förmlich nur im ersten Augenblick in
+ihrer Deutlichkeit beließ, um sie im Nachklang derart
+zu zerstören, daß man nicht wußte, ob man recht gehört
+hatte. Gregor hatte ausführlich antworten und
+alles erklären wollen, beschränkte sich aber bei diesen
+Umständen darauf, zu sagen: »Ja, ja, danke, Mutter,
+ich stehe schon auf.« Infolge der Holztür war die Veränderung
+in Gregors Stimme draußen wohl nicht zu
+merken, denn die Mutter beruhigte sich mit dieser Erklärung
+<a class="pagenum" name="Page_9" title="9"> </a>
+und schlürfte davon. Aber durch das kleine
+Gespräch waren die anderen Familienmitglieder darauf
+aufmerksam geworden, daß Gregor wider Erwarten
+noch zu Hause war, und schon klopfte an der einen
+Seitentür der Vater, schwach, aber mit der Faust.
+»Gregor, Gregor,« rief er, »was ist denn?« Und nach
+einer kleinen Weile mahnte er nochmals mit tieferer
+Stimme: »Gregor! Gregor!« An der anderen Seitentür
+aber klagte leise die Schwester: »Gregor? Ist dir
+nicht wohl? Brauchst du etwas?« Nach beiden Seiten
+hin antwortete Gregor: »Bin schon fertig,« und bemühte
+sich, durch die sorgfältigste Aussprache und
+durch Einschaltung von langen Pausen zwischen den
+einzelnen Worten seiner Stimme alles Auffallende zu
+nehmen. Der Vater kehrte auch zu seinem Frühstück
+zurück, die Schwester aber flüsterte: »Gregor, mach auf,
+ich beschwöre dich.« Gregor aber dachte gar nicht daran
+aufzumachen, sondern lobte die vom Reisen her übernommene
+Vorsicht, auch zu Hause alle Türen während
+der Nacht zu versperren.</p>
+
+<p>Zunächst wollte er ruhig und ungestört aufstehen,
+sich anziehen und vor allem frühstücken, und dann
+erst das Weitere überlegen, denn, das merkte er wohl,
+im Bett würde er mit dem Nachdenken zu keinem
+vernünftigen Ende kommen. Er erinnerte sich, schon
+öfters im Bett irgendeinen vielleicht durch ungeschicktes
+Liegen erzeugten, leichten Schmerz empfunden zu haben,
+der sich dann beim Aufstehen als reine Einbildung
+herausstellte, und er war gespannt, wie sich seine
+heutigen Vorstellungen allmählich auflösen würden.
+Daß die Veränderung der Stimme nichts anderes war
+als der Vorbote einer tüchtigen Verkühlung, einer Berufskrankheit
+der Reisenden, daran zweifelte er nicht
+im geringsten.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_10" title="10"> </a>
+Die Decke abzuwerfen war ganz einfach; er brauchte
+sich nur ein wenig aufzublasen und sie fiel von selbst.
+Aber weiterhin wurde es schwierig, besonders weil er
+so ungemein breit war. Er hätte Arme und Hände
+gebraucht, um sich aufzurichten; statt dessen aber hatte
+er nur die vielen Beinchen, die ununterbrochen in der
+verschiedensten Bewegung waren und die er überdies
+nicht beherrschen konnte. Wollte er eines einmal einknicken,
+so war es das erste, daß er sich streckte; und
+gelang es ihm endlich, mit diesem Bein das auszuführen,
+was er wollte, so arbeiteten inzwischen alle
+anderen, wie freigelassen, in höchster, schmerzlicher
+Aufregung. »Nur sich nicht im Bett unnütz aufhalten,«
+sagte sich Gregor.</p>
+
+<p>Zuerst wollte er mit dem unteren Teil seines Körpers
+aus dem Bett hinauskommen, aber dieser untere
+Teil, den er übrigens noch nicht gesehen hatte und von
+dem er sich auch keine rechte Vorstellung machen konnte,
+erwies sich als zu schwer beweglich; es ging so langsam;
+und als er schließlich, fast wild geworden, mit
+gesammelter Kraft, ohne Rücksicht sich vorwärtsstieß,
+hatte er die Richtung falsch gewählt, schlug an den
+unteren Bettpfosten heftig an, und der brennende
+Schmerz, den er empfand, belehrte ihn, daß gerade
+der untere Teil seines Körpers augenblicklich vielleicht
+der empfindlichste war.</p>
+
+<p>Er versuchte es daher, zuerst den Oberkörper aus
+dem Bett zu bekommen, und drehte vorsichtig den
+Kopf dem Bettrand zu. Dies gelang auch leicht, und
+trotz ihrer Breite und Schwere folgte schließlich die
+Körpermasse langsam der Wendung des Kopfes. Aber
+als er den Kopf endlich außerhalb des Bettes in der
+freien Luft hielt, bekam er Angst, weiter auf diese
+Weise vorzurücken, denn wenn er sich schließlich so
+<a class="pagenum" name="Page_11" title="11"> </a>
+fallen ließ, mußte geradezu ein Wunder geschehen
+wenn der Kopf nicht verletzt werden sollte. Und die
+Besinnung durfte er gerade jetzt um keinen Preis verlieren;
+lieber wollte er im Bett bleiben.</p>
+
+<p>Aber als er wieder nach gleicher Mühe aufseufzend
+so dalag wie früher, und wieder seine Beinchen womöglich
+noch ärger gegeneinander kämpfen sah und
+keine Möglichkeit fand, in diese Willkür Ruhe und
+Ordnung zu bringen, sagte er sich wieder, daß er
+unmöglich im Bett bleiben könne und daß es das
+Vernünftigste sei, alles zu opfern, wenn auch nur die
+kleinste Hoffnung bestünde, sich dadurch vom Bett zu
+befreien. Gleichzeitig aber vergaß er nicht, sich zwischendurch
+daran zu erinnern, daß viel besser als verzweifelte
+Entschlüsse ruhige und ruhigste Überlegung sei. In
+solchen Augenblicken richtete er die Augen möglichst
+scharf auf das Fenster, aber leider war aus dem Anblick
+des Morgennebels, der sogar die andere Seite der
+engen Straße verhüllte, wenig Zuversicht und Munterkeit
+zu holen. »Schon sieben Uhr,« sagte er sich beim
+neuerlichen Schlagen des Weckers, »schon sieben Uhr
+und noch immer ein solcher Nebel.« Und ein Weilchen
+lang lag er ruhig mit schwachem Atem, als erwarte er
+vielleicht von der völligen Stille die Wiederkehr der
+wirklichen und selbstverständlichen Verhältnisse.</p>
+
+<p>Dann aber sagte er sich: »Ehe es einviertel acht
+schlägt, muß ich unbedingt das Bett vollständig verlassen
+haben. Im übrigen wird auch bis dahin jemand aus dem
+Geschäft kommen, um nach mir zu fragen, denn das
+Geschäft wird vor sieben Uhr geöffnet.« Und er machte
+sich nun daran, den Körper in seiner ganzen Länge
+vollständig gleichmäßig aus dem Bett hinauszuschaukeln.
+Wenn er sich auf diese Weise aus dem Bett fallen
+ließ, blieb der Kopf, den er beim Fall scharf heben
+<a class="pagenum" name="Page_12" title="12"> </a>
+wollte, voraussichtlich unverletzt. Der Rücken schien
+hart zu sein; dem würde wohl bei dem Fall auf den
+Teppich nichts geschehen. Das größte Bedenken machte
+ihm die Rücksicht auf den lauten Krach, den es geben
+müßte und der wahrscheinlich hinter allen Türen wenn
+nicht Schrecken, so doch Besorgnisse erregen würde.
+Das mußte aber gewagt werden.</p>
+
+<p>Als Gregor schon zur Hälfte aus dem Bette ragte
+&ndash; die neue Methode war mehr ein Spiel als eine
+Anstrengung, er brauchte immer nur ruckweise zu
+schaukeln&nbsp;&ndash;, fiel ihm ein, wie einfach alles wäre, wenn
+man ihm zu Hilfe käme. Zwei starke Leute &ndash; er
+dachte an seinen Vater und das Dienstmädchen &ndash;
+hätten vollständig genügt; sie hätten ihre Arme nur
+unter seinen gewölbten Rücken schieben, ihn so aus
+dem Bett schälen, sich mit der Last niederbeugen und
+dann bloß vorsichtig dulden müssen, daß er den Überschwung
+auf dem Fußboden vollzog, wo dann die
+Beinchen hoffentlich einen Sinn bekommen würden.
+Nun, ganz abgesehen davon, daß die Türen versperrt
+waren, hätte er wirklich um Hilfe rufen sollen? Trotz
+aller Not konnte er bei diesem Gedanken ein Lächeln
+nicht unterdrücken.</p>
+
+<p>Schon war er so weit, daß er bei stärkerem Schaukeln
+kaum das Gleichgewicht noch erhielt, und sehr
+bald mußte er sich nun endgültig entscheiden, denn es
+war in fünf Minuten einviertel acht, &ndash; als es an der
+Wohnungstür läutete. »Das ist jemand aus dem Geschäft,«
+sagte er sich und erstarrte fast, während seine
+Beinchen nur desto eiliger tanzten. Einen Augenblick
+blieb alles still. »Sie öffnen nicht,« sagte sich Gregor,
+befangen in irgendeiner unsinnigen Hoffnung. Aber
+dann ging natürlich wie immer das Dienstmädchen
+festen Schrittes zur Tür und öffnete. Gregor brauchte
+<a class="pagenum" name="Page_13" title="13"> </a>
+nur das erste Grußwort des Besuchers zu hören und
+wußte schon, wer es war &ndash; der Prokurist selbst. Warum
+war nur Gregor dazu verurteilt, bei einer Firma zu
+dienen, wo man bei der kleinsten Versäumnis gleich
+den größten Verdacht faßte? Waren denn alle Angestellten
+samt und sonders Lumpen, gab es denn
+unter ihnen keinen treuen ergebenen Menschen, den,
+wenn er auch nur ein paar Morgenstunden für das
+Geschäft nicht ausgenützt hatte, vor Gewissensbissen
+närrisch wurde und geradezu nicht imstande war, das
+Bett zu verlassen? Genügte es wirklich nicht, einen
+Lehrjungen nachfragen zu lassen &ndash; wenn überhaupt
+diese Fragerei nötig war&nbsp;&ndash;, mußte da der Prokurist
+selbst kommen, und mußte dadurch der ganzen unschuldigen
+Familie gezeigt werden, daß die Untersuchung
+dieser verdächtigen Angelegenheit nur dem
+Verstand des Prokuristen anvertraut werden konnte?
+Und mehr infolge der Erregung, in welche Gregor
+durch diese Überlegungen versetzt wurde, als infolge
+eines richtigen Entschlusses, schwang er sich mit aller
+Macht aus dem Bett. Es gab einen lauten Schlag, aber
+ein eigentlicher Krach war es nicht. Ein wenig wurde
+der Fall durch den Teppich abgeschwächt, auch war
+der Rücken elastischer, als Gregor gedacht hatte, daher
+kam der nicht gar so auffallende dumpfe Klang. Nur
+den Kopf hatte er nicht vorsichtig genug gehalten und
+ihn angeschlagen; er drehte ihn und rieb ihn an dem
+Teppich vor Ärger und Schmerz.</p>
+
+<p>»Da drin ist etwas gefallen,« sagte der Prokurist im
+Nebenzimmer links. Gregor suchte sich vorzustellen,
+ob nicht auch einmal dem Prokuristen etwas Ähnliches
+passieren könnte, wie heute ihm; die Möglichkeit dessen
+mußte man doch eigentlich zugeben. Aber wie zur rohen
+Antwort auf diese Frage machte jetzt der Prokurist
+<a class="pagenum" name="Page_14" title="14"> </a>
+im Nebenzimmer ein paar bestimmte Schritte und ließ
+seine Lackstiefel knarren. Aus dem Nebenzimmer rechts
+flüsterte die Schwester, um Gregor zu verständigen:
+»Gregor, der Prokurist ist da.« »Ich weiß,« sagte
+Gregor vor sich hin; aber so laut, daß es die Schwester
+hätte hören können, wagte er die Stimme nicht zu erheben.</p>
+
+<p>»Gregor,« sagte nun der Vater aus dem Nebenzimmer
+links, »der Herr Prokurist ist gekommen und
+erkundigt sich, warum du nicht mit dem Frühzug weggefahren
+bist. Wir wissen nicht, was wir ihm sagen
+sollen. Übrigens will er auch mit dir persönlich sprechen.
+Also bitte mach die Tür auf. Er wird die Unordnung
+im Zimmer zu entschuldigen schon die Güte haben.«
+»Guten Morgen, Herr Samsa,« rief der Prokurist freundlich
+dazwischen. »Ihm ist nicht wohl,« sagte die Mutter
+zum Prokuristen, während der Vater noch an der Tür
+redete, »ihm ist nicht wohl, glauben Sie mir, Herr Prokurist.
+Wie würde denn Gregor sonst einen Zug versäumen!
+Der Junge hat ja nichts im Kopf als das
+Geschäft. Ich ärgere mich schon fast, daß er abends
+niemals ausgeht; jetzt war er doch acht Tage in der
+Stadt, aber jeden Abend war er zu Hause. Da sitzt
+er bei uns am Tisch und liest still die Zeitung oder
+studiert Fahrpläne. Es ist schon eine Zerstreuung
+für ihn, wenn er sich mit Laubsägearbeiten beschäftigt.
+Da hat er zum Beispiel im Laufe von zwei, drei
+Abenden einen kleinen Rahmen geschnitzt; Sie werden
+staunen, wie hübsch er ist; er hängt drin im Zimmer;
+Sie werden ihn gleich sehen, wenn Gregor aufmacht.
+Ich bin übrigens glücklich, daß Sie da sind, Herr Prokurist;
+wir allein hätten Gregor nicht dazu gebracht,
+die Tür zu öffnen; er ist so hartnäckig; und bestimmt
+ist ihm nicht wohl, trotzdem er es am Morgen geleugnet
+<a class="pagenum" name="Page_15" title="15"> </a>
+hat.« »Ich komme gleich,« sagte Gregor langsam
+und bedächtig und rührte sich nicht, um kein Wort
+der Gespräche zu verlieren. »Anders, gnädige Frau,
+kann ich es mir auch nicht erklären,« sagte der Prokurist,
+»hoffentlich ist es nichts Ernstes. Wenn ich auch
+andererseits sagen muß, daß wir Geschäftsleute &ndash; wie
+man will, leider oder glücklicherweise &ndash; ein leichtes
+Unwohlsein sehr oft aus geschäftlichen Rücksichten einfach
+überwinden müssen.« »Also kann der Herr Prokurist
+schon zu dir hinein?« fragte der ungeduldige
+Vater und klopfte wiederum an die Tür. »Nein,« sagte
+Gregor. Im Nebenzimmer links trat eine peinliche Stille
+ein, im Nebenzimmer rechts begann die Schwester zu
+schluchzen.</p>
+
+<p>Warum ging denn die Schwester nicht zu den anderen?
+Sie war wohl erst jetzt aus dem Bett aufgestanden
+und hatte noch gar nicht angefangen sich anzuziehen.
+Und warum weinte sie denn? Weil er nicht aufstand
+und den Prokuristen nicht hereinließ, weil er in Gefahr
+war, den Posten zu verlieren und weil dann der Chef
+die Eltern mit den alten Forderungen wieder verfolgen
+würde? Das waren doch vorläufig wohl unnötige Sorgen.
+Noch war Gregor hier und dachte nicht im geringsten
+daran, seine Familie zu verlassen. Augenblicklich lag
+er wohl da auf dem Teppich, und niemand, der seinen
+Zustand gekannt hätte, hätte im Ernst von ihm verlangt,
+daß er den Prokuristen hereinlasse. Aber wegen dieser
+kleinen Unhöflichkeit, für die sich ja später leicht eine
+passende Ausrede finden würde, konnte Gregor doch
+nicht gut sofort weggeschickt werden. Und Gregor schien
+es, daß es viel vernünftiger wäre, ihn jetzt in Ruhe zu
+lassen, statt ihn mit Weinen und Zureden zu stören.
+Aber es war eben die Ungewißheit, welche die anderen
+bedrängte und ihr Benehmen entschuldigte.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_16" title="16"> </a>
+»Herr Samsa,« rief nun der Prokurist mit erhobener
+Stimme, »was ist denn los? Sie verbarrikadieren sich
+da in Ihrem Zimmer, antworten bloß mit ja und nein,
+machen Ihren Eltern schwere, unnötige Sorgen und
+versäumen &ndash; dies nur nebenbei erwähnt &ndash; Ihre geschäftlichen
+Pflichten in einer eigentlich unerhörten Weise.
+Ich spreche hier im Namen Ihrer Eltern und Ihres
+Chefs und bitte Sie ganz ernsthaft um eine augenblickliche,
+deutliche Erklärung. Ich staune, ich staune. Ich
+glaubte Sie als einen ruhigen, vernünftigen Menschen
+zu kennen, und nun scheinen Sie plötzlich anfangen
+zu wollen, mit sonderbaren Launen zu paradieren. Der
+Chef deutete mir zwar heute früh eine mögliche Erklärung
+für Ihre Versäumnis an &ndash; sie betraf das Ihnen
+seit kurzem anvertraute Inkasso&nbsp;&ndash;, aber ich legte wahrhaftig
+fast mein Ehrenwort dafür ein, daß diese Erklärung
+nicht zutreffen könne. Nun aber sehe ich hier
+Ihren unbegreiflichen Starrsinn und verliere ganz und
+gar jede Lust, mich auch nur im geringsten für Sie
+einzusetzen. Und Ihre Stellung ist durchaus nicht die
+festeste. Ich hatte ursprünglich die Absicht, Ihnen das
+alles unter vier Augen zu sagen, aber da Sie mich
+hier nutzlos meine Zeit versäumen lassen, weiß ich
+nicht, warum es nicht auch Ihre Herren Eltern erfahren
+sollen. Ihre Leistungen in der letzten Zeit waren also
+sehr unbefriedigend; es ist zwar nicht die Jahreszeit,
+um besondere Geschäfte zu machen, das erkennen wir
+an; aber eine Jahreszeit, um keine Geschäfte zu machen,
+gibt es überhaupt nicht, Herr Samsa, darf es nicht
+geben.«</p>
+
+<p>»Aber Herr Prokurist,« rief Gregor außer sich und
+vergaß in der Aufregung alles andere, »ich mache ja
+sofort, augenblicklich auf. Ein leichtes Unwohlsein, ein
+Schwindelanfall, haben mich verhindert aufzustehen. Ich
+<a class="pagenum" name="Page_17" title="17"> </a>
+liege noch jetzt im Bett. Jetzt bin ich aber schon wieder
+ganz frisch. Eben steige ich aus dem Bett. Nur einen
+kleinen Augenblick Geduld! Es geht noch nicht so gut,
+wie ich dachte. Es ist mir aber schon wohl. Wie das
+nur einen Menschen so überfallen kann! Noch gestern
+abend war mir ganz gut, meine Eltern wissen es ja,
+oder besser, schon gestern abend hatte ich eine kleine
+Vorahnung. Man hätte es mir ansehen müssen. Warum
+habe ich es nur im Geschäfte nicht gemeldet! Aber man
+denkt eben immer, daß man die Krankheit ohne Zuhausebleiben
+überstehen wird. Herr Prokurist! Schonen
+Sie meine Eltern! Für alle die Vorwürfe, die Sie mir
+jetzt machen, ist ja kein Grund; man hat mir ja davon
+auch kein Wort gesagt. Sie haben vielleicht die letzten
+Aufträge, die ich geschickt habe, nicht gelesen. Übrigens,
+noch mit dem Achtuhrzug fahre ich auf die Reise, die
+paar Stunden Ruhe haben mich gekräftigt. Halten Sie
+sich nur nicht auf, Herr Prokurist; ich bin gleich selbst
+im Geschäft, und haben Sie die Güte, das zu sagen
+und mich dem Herrn Chef zu empfehlen!«</p>
+
+<p>Und während Gregor dies alles hastig ausstieß und
+kaum wußte, was er sprach, hatte er sich leicht, wohl
+infolge der im Bett bereits erlangten Übung, dem Kasten
+genähert und versuchte nun, an ihm sich aufzurichten.
+Er wollte tatsächlich die Tür aufmachen, tatsächlich sich
+sehen lassen und mit dem Prokuristen sprechen; er war
+begierig zu erfahren, was die anderen, die jetzt so nach
+ihm verlangten, bei seinem Anblick sagen würden.
+Würden sie erschrecken, dann hatte Gregor keine Verantwortung
+mehr und konnte ruhig sein. Würden sie
+aber alles ruhig hinnehmen, dann hatte auch er keinen
+Grund sich aufzuregen, und konnte, wenn er sich beeilte,
+um acht Uhr tatsächlich auf dem Bahnhof sein.
+Zuerst glitt er nun einigemale von dem glatten Kasten
+<a class="pagenum" name="Page_18" title="18"> </a>
+ab, aber endlich gab er sich einen letzten Schwung und
+stand aufrecht da; auf die Schmerzen im Unterleib
+achtete er gar nicht mehr, so sehr sie auch brannten. Nun
+ließ er sich gegen die Rücklehne eines nahen Stuhles fallen,
+an deren Rändern er sich mit seinen Beinchen festhielt.
+Damit hatte er aber auch die Herrschaft über sich
+erlangt und verstummte, denn nun konnte er den Prokuristen
+anhören.</p>
+
+<p>»Haben Sie auch nur ein Wort verstanden?« fragte
+der Prokurist die Eltern, »er macht sich doch wohl
+nicht einen Narren aus uns?« »Um Gottes willen,«
+rief die Mutter schon unter Weinen, »er ist vielleicht
+schwer krank, und wir quälen ihn. Grete! Grete!«
+schrie sie dann. »Mutter?« rief die Schwester von der
+anderen Seite. Sie verständigten sich durch Gregors
+Zimmer. »Du mußt augenblicklich zum Arzt. Gregor
+ist krank. Rasch um den Arzt. Hast du Gregor jetzt
+reden hören?« »Das war eine Tierstimme,« sagte der
+Prokurist, auffallend leise gegenüber dem Schreien der
+Mutter. »Anna! Anna!« rief der Vater durch das Vorzimmer
+in die Küche und klatschte in die Hände, »sofort
+einen Schlosser holen!« Und schon liefen die zwei
+Mädchen mit rauschenden Röcken durch das Vorzimmer
+&ndash; wie hatte sich die Schwester denn so schnell angezogen?
+&ndash; und rissen die Wohnungstüre auf. Man
+hörte gar nicht die Türe zuschlagen; sie hatten sie wohl
+offen gelassen, wie es in Wohnungen zu sein pflegt, in
+denen ein großes Unglück geschehen ist.</p>
+
+<p>Gregor war aber viel ruhiger geworden. Man verstand
+zwar also seine Worte nicht mehr, trotzdem sie
+ihm genug klar, klarer als früher, vorgekommen waren,
+vielleicht infolge der Gewöhnung des Ohres. Aber
+immerhin glaubte man nun schon daran, daß es mit
+ihm nicht ganz in Ordnung war, und war bereit, ihm
+<a class="pagenum" name="Page_19" title="19"> </a>
+zu helfen. Die Zuversicht und Sicherheit, womit die
+ersten Anordnungen getroffen worden waren, taten
+ihm wohl. Er fühlte sich wieder einbezogen in den
+menschlichen Kreis und erhoffte von beiden, vom Arzt
+und vom Schlosser, ohne sie eigentlich genau zu scheiden,
+großartige und überraschende Leistungen. Um für
+die sich nähernden entscheidenden Besprechungen eine
+möglichst klare Stimme zu bekommen, hustete er ein
+wenig ab, allerdings bemüht, dies ganz gedämpft zu
+tun, da möglicherweise auch schon dieses Geräusch
+anders als menschlicher Husten klang, was er selbst zu
+entscheiden sich nicht mehr getraute. Im Nebenzimmer
+war es inzwischen ganz still geworden. Vielleicht
+saßen die Eltern mit dem Prokuristen beim Tisch und
+tuschelten, vielleicht lehnten alle an der Türe und
+horchten.</p>
+
+<p>Gregor schob sich langsam mit dem Sessel zur Tür
+hin, ließ ihn dort los, warf sich gegen die Tür, hielt
+sich an ihr aufrecht &ndash; die Ballen seiner Beinchen hatten
+ein wenig Klebstoff &ndash; und ruhte sich dort einen Augenblick
+lang von der Anstrengung aus. Dann aber machte
+er sich daran, mit dem Mund den Schlüssel im Schloß
+umzudrehen. Es schien leider, daß er keine eigentlichen
+Zähne hatte, &ndash; womit sollte er gleich den Schlüssel
+fassen? &ndash; aber dafür waren die Kiefer freilich sehr
+stark, mit ihrer Hilfe brachte er auch wirklich den
+Schlüssel in Bewegung und achtete nicht darauf, daß
+er sich zweifellos irgendeinen Schaden zufügte, denn
+eine braune Flüssigkeit kam ihm aus dem Mund, floß
+über den Schlüssel und tropfte auf den Boden. »Hören
+Sie nur,« sagte der Prokurist im Nebenzimmer, »er
+dreht den Schlüssel um.« Das war für Gregor eine
+große Aufmunterung; aber alle hätten ihm zurufen
+sollen, auch der Vater und die Mutter: »Frisch, Gregor,«
+<a class="pagenum" name="Page_20" title="20"> </a>
+hätten sie rufen sollen, »immer nur heran, fest an
+das Schloß heran!« Und in der Vorstellung, daß alle
+seine Bemühungen mit Spannung verfolgten, verbiß er
+sich mit allem, was er an Kraft aufbringen konnte, besinnungslos
+in den Schlüssel. Je nach dem Fortschreiten
+der Drehung des Schlüssels umtanzte er das Schloß,
+hielt sich jetzt nur noch mit dem Munde aufrecht, und
+je nach Bedarf hing er sich an den Schlüssel oder drückte
+ihn dann wieder nieder mit der ganzen Last seines
+Körpers. Der hellere Klang des endlich zurückschnappenden
+Schlosses erweckte Gregor förmlich. Aufatmend
+sagte er sich: »Ich habe also den Schlosser nicht gebraucht,«
+und legte den Kopf auf die Klinke, um die
+Türe gänzlich zu öffnen.</p>
+
+<p>Da er die Türe auf diese Weise öffnen mußte, war
+sie eigentlich schon recht weit geöffnet, und er selbst
+noch nicht zu sehen. Er mußte sich erst langsam um
+den einen Türflügel herumdrehen, und zwar sehr vorsichtig,
+wenn er nicht gerade vor dem Eintritt ins
+Zimmer plump auf den Rücken fallen wollte. Er war
+noch mit jener schwierigen Bewegung beschäftigt und
+hatte nicht Zeit, auf anderes zu achten, da hörte er
+schon den Prokuristen ein lautes »Oh!« ausstoßen &ndash;
+es klang, wie wenn der Wind saust &ndash; und nun sah
+er ihn auch, wie er, der der Nächste an der Türe war,
+die Hand gegen den offenen Mund drückte und langsam
+zurückwich, als vertreibe ihn eine unsichtbare,
+gleichmäßig fortwirkende Kraft. Die Mutter &ndash; sie stand
+hier trotz der Anwesenheit des Prokuristen mit von
+der Nacht her noch aufgelösten, hoch sich sträubenden
+Haaren &ndash; sah zuerst mit gefalteten Händen den Vater
+an, ging dann zwei Schritte zu Gregor hin und fiel
+inmitten ihrer rings um sie herum sich ausbreitenden
+Röcke nieder, das Gesicht ganz unauffindbar zu ihrer
+<a class="pagenum" name="Page_21" title="21"> </a>
+Brust gesenkt. Der Vater ballte mit feindseligem
+Ausdruck die Faust, als wolle er Gregor in sein
+Zimmer zurückstoßen, sah sich dann unsicher im
+Wohnzimmer um, beschattete dann mit den Händen
+die Augen und weinte, daß sich seine mächtige Brust
+schüttelte.</p>
+
+<p>Gregor trat nun gar nicht in das Zimmer, sondern
+lehnte sich von innen an den festgeriegelten Türflügel,
+so daß sein Leib nur zur Hälfte und darüber der seitlich
+geneigte Kopf zu sehen war, mit dem er zu den
+anderen hinüberlugte. Es war inzwischen viel heller
+geworden; klar stand auf der anderen Straßenseite
+ein Ausschnitt des gegenüberliegenden, endlosen, grauschwarzen
+Hauses &ndash; es war ein Krankenhaus &ndash; mit
+seinen hart die Front durchbrechenden regelmäßigen
+Fenstern; der Regen fiel noch nieder, aber nur mit
+großen, einzeln sichtbaren und förmlich auch einzelnweise
+auf die Erde hinuntergeworfenen Tropfen. Das
+Frühstücksgeschirr stand in überreicher Zahl auf dem
+Tisch, denn für den Vater war das Frühstück die
+wichtigste Mahlzeit des Tages, die er bei der Lektüre
+verschiedener Zeitungen stundenlang hinzog. Gerade
+an der gegenüberliegenden Wand hing eine Photographie
+Gregors aus seiner Militärzeit, die ihn als
+Leutnant darstellte, wie er, die Hand am Degen, sorglos
+lächelnd, Respekt für seine Haltung und Uniform
+verlangte. Die Tür zum Vorzimmer war geöffnet, und
+man sah, da auch die Wohnungstür offen war, auf
+den Vorplatz der Wohnung hinaus und auf den Beginn
+der abwärts führenden Treppe.</p>
+
+<p>»Nun,« sagte Gregor und war sich dessen wohl
+bewußt, daß er der einzige war, der die Ruhe bewahrt
+hatte, »ich werde mich gleich anziehen, die Kollektion
+zusammenpacken und wegfahren. Wollt ihr, wollt ihr
+<a class="pagenum" name="Page_22" title="22"> </a>
+mich wegfahren lassen? Nun, Herr Prokurist, Sie sehen,
+ich bin nicht starrköpfig und ich arbeite gern; das Reisen
+ist beschwerlich, aber ich könnte ohne das Reisen nicht
+leben. Wohin gehen Sie denn, Herr Prokurist? Ins Geschäft?
+Ja? Werden Sie alles wahrheitsgetreu berichten?
+Man kann im Augenblick unfähig sein zu arbeiten,
+aber dann ist gerade der richtige Zeitpunkt, sich an die
+früheren Leistungen zu erinnern und zu bedenken, daß
+man später, nach Beseitigung des Hindernisses, gewiß
+desto fleißiger und gesammelter arbeiten wird. Ich bin
+ja dem Herrn Chef so sehr verpflichtet, das wissen
+Sie doch recht gut. Andererseits habe ich die Sorge
+um meine Eltern und die Schwester. Ich bin in der
+Klemme, ich werde mich aber auch wieder herausarbeiten.
+Machen Sie es mir aber nicht schwieriger, als
+es schon ist. Halten Sie im Geschäft meine Partei! Man
+liebt den Reisenden nicht, ich weiß. Man denkt, er
+verdient ein Heidengeld und führt dabei ein schönes
+Leben. Man hat eben keine besondere Veranlassung,
+dieses Vorurteil besser zu durchdenken. Sie aber, Herr
+Prokurist, Sie haben einen besseren Überblick über
+die Verhältnisse, als das sonstige Personal, ja sogar,
+ganz im Vertrauen gesagt, einen besseren Überblick,
+als der Herr Chef selbst, der in seiner Eigenschaft als
+Unternehmer sich in seinem Urteil leicht zuungunsten
+eines Angestellten beirren läßt. Sie wissen auch sehr
+wohl, daß der Reisende, der fast das ganze Jahr außerhalb
+des Geschäftes ist, so leicht ein Opfer von Klatschereien,
+Zufälligkeiten und grundlosen Beschwerden
+werden kann, gegen die sich zu wehren ihm ganz unmöglich
+ist, da er von ihnen meistens gar nichts erfährt
+und nur dann, wenn er erschöpft eine Reise
+beendet hat, zu Hause die schlimmen, auf ihre Ursachen
+hin nicht mehr zu durchschauenden Folgen am eigenen
+<a class="pagenum" name="Page_23" title="23"> </a>
+Leibe zu spüren bekommt. Herr Prokurist, gehen Sie
+nicht weg, ohne mir ein Wort gesagt zu haben, das
+mir zeigt, daß Sie mir wenigstens zu einem kleinen
+Teil recht geben!«</p>
+
+<p>Aber der Prokurist hatte sich schon bei den ersten
+Worten Gregors abgewendet, und nur über die zuckende
+Schulter hinweg sah er mit aufgeworfenen Lippen nach
+Gregor zurück. Und während Gregors Rede stand er
+keinen Augenblick still, sondern verzog sich, ohne
+Gregor aus den Augen zu lassen, gegen die Tür,
+aber ganz allmählich, als bestehe ein geheimes Verbot,
+das Zimmer zu verlassen. Schon war er im Vorzimmer,
+und nach der plötzlichen Bewegung, mit der er zum
+letztenmal den Fuß aus dem Wohnzimmer zog, hätte
+man glauben können, er habe sich soeben die Sohle
+verbrannt. Im Vorzimmer aber streckte er die rechte
+Hand weit von sich zur Treppe hin, als warte dort
+auf ihn eine geradezu überirdische Erlösung.</p>
+
+<p>Gregor sah ein, daß er den Prokuristen in dieser
+Stimmung auf keinen Fall weggehen lassen dürfe, wenn
+dadurch seine Stellung im Geschäft nicht aufs äußerste
+gefährdet werden sollte. Die Eltern verstanden das
+alles nicht so gut; sie hatten sich in den langen Jahren
+die Überzeugung gebildet, daß Gregor in diesem Geschäft
+für sein Leben versorgt war, und hatten außerdem
+jetzt mit den augenblicklichen Sorgen so viel zu
+tun, daß ihnen jede Voraussicht abhanden gekommen
+war. Aber Gregor hatte diese Voraussicht. Der Prokurist
+mußte gehalten, beruhigt, überzeugt und schließlich
+gewonnen werden; die Zukunft Gregors und seiner
+Familie hing doch davon ab! Wäre doch die Schwester
+hier gewesen! Sie war klug; sie hatte schon geweint,
+als Gregor noch ruhig auf dem Rücken lag. Und gewiß
+hätte der Prokurist, dieser Damenfreund, sich von ihr
+<a class="pagenum" name="Page_24" title="24"> </a>
+lenken lassen; sie hätte die Wohnungstür zugemacht
+und ihm im Vorzimmer den Schrecken ausgeredet.
+Aber die Schwester war eben nicht da, Gregor selbst
+mußte handeln. Und ohne daran zu denken, daß er
+seine gegenwärtigen Fähigkeiten, sich zu bewegen, noch
+gar nicht kannte, ohne auch daran zu denken, daß
+seine Rede möglicher- ja wahrscheinlicherweise wieder
+nicht verstanden worden war, verließ er den Türflügel;
+schob sich durch die Öffnung; wollte zum Prokuristen
+hingehen, der sich schon am Geländer des Vorplatzes
+lächerlicherweise mit beiden Händen festhielt; fiel aber
+sofort, nach einem Halt suchend, mit einem kleinen Schrei
+auf seine vielen Beinchen nieder. Kaum war das geschehen,
+fühlte er zum erstenmal an diesem Morgen
+ein körperliches Wohlbehagen; die Beinchen hatten
+festen Boden unter sich; sie gehorchten vollkommen,
+wie er zu seiner Freude merkte; strebten sogar darnach,
+ihn fortzutragen, wohin er wollte; und schon glaubte
+er, die endgültige Besserung alles Leidens stehe unmittelbar
+bevor. Aber im gleichen Augenblick, als er
+da schaukelnd vor verhaltener Bewegung, gar nicht
+weit von seiner Mutter entfernt, ihr gerade gegenüber
+auf dem Boden lag, sprang diese, die doch so ganz
+in sich versunken schien, mit einemmale in die Höhe,
+die Arme weit ausgestreckt, die Finger gespreizt, rief:
+»Hilfe, um Gottes willen Hilfe!«, hielt den Kopf geneigt,
+als wolle sie Gregor besser sehen, lief aber, im
+Widerspruch dazu, sinnlos zurück; hatte vergessen,
+daß hinter ihr der gedeckte Tisch stand; setzte sich,
+als sie bei ihm angekommen war, wie in Zerstreutheit,
+eilig auf ihn, und schien gar nicht zu merken,
+daß neben ihr aus der umgeworfenen großen Kanne
+der Kaffee in vollem Strome auf den Teppich sich ergoß.</p>
+
+<p>»Mutter, Mutter,« sagte Gregor leise und sah zu
+<a class="pagenum" name="Page_25" title="25"> </a>
+ihr hinauf. Der Prokurist war ihm für einen Augenblick
+ganz aus dem Sinn gekommen; dagegen konnte
+er sich nicht versagen, im Anblick des fließenden Kaffees
+mehrmals mit den Kiefern ins Leere zu schnappen.
+Darüber schrie die Mutter neuerdings auf, flüchtete
+vom Tisch und fiel dem ihr entgegeneilenden Vater
+in die Arme. Aber Gregor hatte jetzt keine Zeit für
+seine Eltern; der Prokurist war schon auf der Treppe;
+das Kinn auf dem Geländer, sah er noch zum letzten
+Male zurück. Gregor nahm einen Anlauf, um ihn möglichst
+sicher einzuholen; der Prokurist mußte etwas
+ahnen, denn er machte einen Sprung über mehrere
+Stufen und verschwand; »Huh!« aber schrie er noch,
+es klang durchs ganze Treppenhaus. Leider schien nun
+auch diese Flucht des Prokuristen den Vater, der bisher
+verhältnismäßig gefaßt gewesen war, völlig zu verwirren,
+denn statt selbst dem Prokuristen nachzulaufen
+oder wenigstens Gregor in der Verfolgung nicht zu
+hindern, packte er mit der Rechten den Stock des Prokuristen,
+den dieser mit Hut und Überzieher auf einem
+Sessel zurückgelassen hatte, holte mit der Linken eine
+große Zeitung vom Tisch und machte sich unter Füßestampfen
+daran, Gregor durch Schwenken des Stockes
+und der Zeitung in sein Zimmer zurückzutreiben. Kein
+Bitten Gregors half, kein Bitten wurde auch verstanden,
+er mochte den Kopf noch so demütig drehen, der
+Vater stampfte nur stärker mit den Füßen. Drüben
+hatte die Mutter trotz des kühlen Wetters ein Fenster
+aufgerissen, und hinausgelehnt drückte sie ihr Gesicht
+weit außerhalb des Fensters in ihre Hände. Zwischen
+Gasse und Treppenhaus entstand eine starke Zugluft,
+die Fenstervorhänge flogen auf, die Zeitungen auf dem
+Tische rauschten, einzelne Blätter wehten über den
+Boden hin. Unerbittlich drängte der Vater und stieß
+<a class="pagenum" name="Page_26" title="26"> </a>
+Zischlaute aus, wie ein Wilder. Nun hatte aber Gregor
+noch gar keine Übung im Rückwärtsgehen, es ging
+wirklich sehr langsam. Wenn sich Gregor nur hätte
+umdrehen dürfen, er wäre gleich in seinem Zimmer
+gewesen, aber er fürchtete sich, den Vater durch die
+zeitraubende Umdrehung ungeduldig zu machen, und
+jeden Augenblick drohte ihm doch von dem Stock in
+des Vaters Hand der tödliche Schlag auf den Rücken
+oder auf den Kopf. Endlich aber blieb Gregor doch
+nichts anderes übrig, denn er merkte mit Entsetzen,
+daß er im Rückwärtsgehen nicht einmal die Richtung
+einzuhalten verstand; und so begann er, unter unaufhörlichen
+ängstlichen Seitenblicken nach dem Vater, sich
+nach Möglichkeit rasch, in Wirklichkeit aber doch nur
+sehr langsam umzudrehen. Vielleicht merkte der Vater
+seinen guten Willen, denn er störte ihn hierbei nicht,
+sondern dirigierte sogar hie und da die Drehbewegung
+von der Ferne mit der Spitze seines Stockes. Wenn
+nur nicht dieses unerträgliche Zischen des Vaters gewesen
+wäre! Gregor verlor darüber ganz den Kopf.
+Er war schon fast ganz umgedreht, als er sich, immer
+auf dieses Zischen horchend, sogar irrte und sich wieder
+ein Stück zurückdrehte. Als er aber endlich glücklich
+mit dem Kopf vor der Türöffnung war, zeigte es
+sich, daß sein Körper zu breit war, um ohne weiteres
+durchzukommen. Dem Vater fiel es natürlich in seiner
+gegenwärtigen Verfassung auch nicht entfernt ein, etwa
+den anderen Türflügel zu öffnen, um für Gregor einen
+genügenden Durchgang zu schaffen. Seine fixe Idee
+war bloß, daß Gregor so rasch als möglich in sein
+Zimmer müsse. Niemals hätte er auch die umständlichen
+Vorbereitungen gestattet, die Gregor brauchte,
+um sich aufzurichten und vielleicht auf diese Weise
+durch die Tür zu kommen. Vielleicht trieb er, als gäbe
+<a class="pagenum" name="Page_27" title="27"> </a>
+es kein Hindernis, Gregor jetzt unter besonderem Lärm
+vorwärts; es klang schon hinter Gregor gar nicht mehr
+wie die Stimme bloß eines einzigen Vaters; nun gab es
+wirklich keinen Spaß mehr, und Gregor drängte sich &ndash;
+geschehe was wolle &ndash; in die Tür. Die eine Seite seines
+Körpers hob sich, er lag schief in der Türöffnung, seine
+eine Flanke war ganz wundgerieben, an der weißen
+Tür blieben häßliche Flecke, bald steckte er fest und
+hätte sich allein nicht mehr rühren können, die Beinchen
+auf der einen Seite hingen zitternd oben in der
+Luft, die auf der anderen waren schmerzhaft zu Boden
+gedrückt &ndash; da gab ihm der Vater von hinten einen
+jetzt wahrhaftig erlösenden starken Stoß, und er flog,
+heftig blutend, weit in sein Zimmer hinein. Die Tür
+wurde noch mit dem Stock zugeschlagen, dann war es
+endlich still.</p>
+
+
+
+<h2>II.</h2>
+
+
+<p>Erst in der Abenddämmerung erwachte Gregor aus
+seinem schweren ohnmachtähnlichen Schlaf. Er wäre
+gewiß nicht viel später auch ohne Störung erwacht,
+denn er fühlte sich genügend ausgeruht und ausgeschlafen,
+doch schien es ihm, als hätte ihn ein flüchtiger
+Schritt und ein vorsichtiges Schließen der zum Vorzimmer
+führenden Tür geweckt. Der Schein der elektrischen
+Straßenbahn lag bleich hier und da auf der
+Zimmerdecke und auf den höheren Teilen der Möbel,
+aber unten bei Gregor war es finster. Langsam schob
+er sich, noch ungeschickt mit seinen Fühlern tastend,
+die er jetzt erst schätzen lernte, zur Türe hin, um
+nachzusehen, was dort geschehen war. Seine linke Seite
+schien eine einzige lange, unangenehm spannende Narbe,
+und er mußte auf seinen zwei Beinreihen regelrecht
+hinken. Ein Beinchen war übrigens im Laufe der vormittägigen
+<a class="pagenum" name="Page_28" title="28"> </a>
+Vorfälle schwer verletzt worden &ndash; es war
+fast ein Wunder, daß nur eines verletzt worden war &ndash;
+und schleppte leblos nach.</p>
+
+<p>Erst bei der Tür merkte er, was ihn dorthin eigentlich
+gelockt hatte; es war der Geruch von etwas Eßbarem
+gewesen. Denn dort stand ein Napf mit süßer
+Milch gefüllt, in der kleine Schnitte von Weißbrot
+schwammen. Fast hätte er vor Freude gelacht, denn
+er hatte noch größeren Hunger als am Morgen, und
+gleich tauchte er seinen Kopf fast bis über die Augen
+in die Milch hinein. Aber bald zog er ihn enttäuscht
+wieder zurück; nicht nur, daß ihm das Essen wegen
+seiner heiklen linken Seite Schwierigkeiten machte &ndash;
+und er konnte nur essen, wenn der ganze Körper
+schnaufend mitarbeitete&nbsp;&ndash;, so schmeckte ihm überdies
+die Milch, die sonst sein Lieblingsgetränk war und
+die ihm gewiß die Schwester deshalb hereingestellt
+hatte, gar nicht, ja er wandte sich fast mit Widerwillen
+von dem Napf ab und kroch in die Zimmermitte zurück.</p>
+
+<p>Im Wohnzimmer war, wie Gregor durch die Türspalte
+sah, das Gas angezündet, aber während sonst
+zu dieser Tageszeit der Vater seine nachmittags erscheinende
+Zeitung der Mutter und manchmal auch
+der Schwester mit erhobener Stimme vorzulesen pflegte,
+hörte man jetzt keinen Laut. Nun vielleicht war dieses
+Vorlesen, von dem ihm die Schwester immer erzählte
+und schrieb, in der letzten Zeit überhaupt aus der
+Übung gekommen. Aber auch ringsherum war es so
+still, trotzdem doch gewiß die Wohnung nicht leer war.
+»Was für ein stilles Leben die Familie doch führte,«
+sagte sich Gregor und fühlte, während er starr vor
+sich ins Dunkle sah, einen großen Stolz darüber, daß
+er seinen Eltern und seiner Schwester ein solches
+Leben in einer so schönen Wohnung hatte verschaffen
+<a class="pagenum" name="Page_29" title="29"> </a>
+können. Wie aber, wenn jetzt alle Ruhe, aller Wohlstand,
+alle Zufriedenheit ein Ende mit Schrecken nehmen
+sollte? Um sich nicht in solche Gedanken zu verlieren,
+setzte sich Gregor lieber in Bewegung und kroch im
+Zimmer auf und ab.</p>
+
+<p>Einmal während des langen Abends wurde die eine
+Seitentüre und einmal die andere bis zu einer kleinen
+Spalte geöffnet und rasch wieder geschlossen; jemand
+hatte wohl das Bedürfnis hereinzukommen, aber auch
+wieder zu viele Bedenken. Gregor machte nun unmittelbar
+bei der Wohnzimmertür Halt, entschlossen, den
+zögernden Besucher doch irgendwie hereinzubringen
+oder doch wenigstens zu erfahren, wer es sei; aber
+nun wurde die Tür nicht mehr geöffnet und Gregor
+wartete vergebens. Früh, als die Türen versperrt waren,
+hatten alle zu ihm hereinkommen wollen, jetzt, da er
+die eine Tür geöffnet hatte und die anderen offenbar
+während des Tages geöffnet worden waren, kam keiner
+mehr, und die Schlüssel steckten nun auch von außen.</p>
+
+<p>Spät erst in der Nacht wurde das Licht im Wohnzimmer
+ausgelöscht, und nun war leicht festzustellen,
+daß die Eltern und die Schwester so lange wachgeblieben
+waren, denn wie man genau hören konnte,
+entfernten sich jetzt alle drei auf den Fußspitzen. Nun
+kam gewiß bis zum Morgen niemand mehr zu Gregor
+herein; er hatte also eine lange Zeit, um ungestört zu
+überlegen, wie er sein Leben jetzt neu ordnen sollte.
+Aber das hohe freie Zimmer, in dem er gezwungen
+war, flach auf dem Boden zu liegen, ängstigte ihn,
+ohne daß er die Ursache herausfinden konnte, denn
+es war ja sein seit fünf Jahren von ihm bewohntes
+Zimmer &ndash; und mit einer halb unbewußten Wendung
+und nicht ohne eine leichte Scham eilte er unter das
+Kanapee, wo er sich, trotzdem sein Rücken ein wenig
+<a class="pagenum" name="Page_30" title="30"> </a>
+gedrückt wurde und trotzdem er den Kopf nicht mehr
+erheben konnte, gleich sehr behaglich fühlte und nur
+bedauerte, daß sein Körper zu breit war, um vollständig
+unter dem Kanapee untergebracht zu werden.</p>
+
+<p>Dort blieb er die ganze Nacht, die er zum Teil im
+Halbschlaf, aus dem ihn der Hunger immer wieder
+aufschreckte, verbrachte, zum Teil aber in Sorgen und
+undeutlichen Hoffnungen, die aber alle zu dem Schlusse
+führten, daß er sich vorläufig ruhig verhalten und durch
+Geduld und größte Rücksichtnahme der Familie die
+Unannehmlichkeiten erträglich machen müsse, die er ihr
+in seinem gegenwärtigen Zustand nun einmal zu verursachen
+gezwungen war.</p>
+
+<p>Schon am frühen Morgen, es war fast noch Nacht,
+hatte Gregor Gelegenheit, die Kraft seiner eben gefaßten
+Entschlüsse zu prüfen, denn vom Vorzimmer
+her öffnete die Schwester, fast völlig angezogen, die
+Tür und sah mit Spannung herein. Sie fand ihn nicht
+gleich, aber als sie ihn unter dem Kanapee bemerkte
+&ndash; Gott, er mußte doch irgendwo sein, er hatte doch
+nicht wegfliegen können &ndash; erschrak sie so sehr, daß
+sie, ohne sich beherrschen zu können, die Tür von
+außen wieder zuschlug. Aber als bereue sie ihr Benehmen,
+öffnete sie die Tür sofort wieder und trat,
+als sei sie bei einem Schwerkranken oder gar bei einem
+Fremden, auf den Fußspitzen herein. Gregor hatte den
+Kopf bis knapp zum Rande des Kanapees vorgeschoben
+und beobachtete sie. Ob sie wohl bemerken würde,
+daß er die Milch stehen gelassen hatte, und zwar
+keineswegs aus Mangel an Hunger, und ob sie eine
+andere Speise hereinbringen würde, die ihm besser
+entsprach? Täte sie es nicht von selbst, er wollte lieber
+verhungern, als sie darauf aufmerksam machen, trotzdem
+es ihn eigentlich ungeheuer drängte, unterm Kanapee
+<a class="pagenum" name="Page_31" title="31"> </a>
+vorzuschießen, sich der Schwester zu Füßen zu werfen
+und sie um irgend etwas Gutes zum Essen zu bitten.
+Aber die Schwester bemerkte sofort mit Verwunderung
+den noch vollen Napf, aus dem nur ein wenig
+Milch ringsherum verschüttet war, sie hob ihn gleich
+auf, zwar nicht mit den bloßen Händen, sondern mit
+einem Fetzen, und trug ihn hinaus. Gregor war äußerst
+neugierig, was sie zum Ersatze bringen würde, und
+er machte sich die verschiedensten Gedanken darüber.
+Niemals aber hätte er erraten können, was die Schwester
+in ihrer Güte wirklich tat. Sie brachte ihm, um seinen
+Geschmack zu prüfen, eine ganze Auswahl, alles auf
+einer alten Zeitung ausgebreitet. Da war altes halbverfaultes
+Gemüse; Knochen vom Nachtmahl her, die
+von festgewordener weißer Sauce umgeben waren;
+ein paar Rosinen und Mandeln; ein Käse, den Gregor
+vor zwei Tagen für ungenießbar erklärt hatte; ein
+trockenes Brot, ein mit Butter beschmiertes Brot und
+ein mit Butter beschmiertes und gesalzenes Brot. Außerdem
+stellte sie zu dem allen noch den wahrscheinlich
+ein für allemal für Gregor bestimmten Napf, in den
+sie Wasser gegossen hatte. Und aus Zartgefühl, da
+sie wußte, daß Gregor vor ihr nicht essen würde, entfernte
+sie sich eiligst und drehte sogar den Schlüssel
+um, damit nur Gregor merken könne, daß er es sich
+so behaglich machen dürfe, wie er wolle. Gregors
+Beinchen schwirrten, als es jetzt zum Essen ging. Seine
+Wunden mußten übrigens auch schon vollständig geheilt
+sein, er fühlte keine Behinderung mehr, er staunte
+darüber und dachte daran, wie er vor mehr als einem
+Monat sich mit dem Messer ganz wenig in den Finger
+geschnitten, und wie ihm diese Wunde noch vorgestern
+genug wehgetan hatte. »Sollte ich jetzt weniger Feingefühl
+haben?« dachte er und saugte schon gierig an
+<a class="pagenum" name="Page_32" title="32"> </a>
+dem Käse, zu dem es ihn vor allen anderen Speisen
+sofort und nachdrücklich gezogen hatte. Rasch hintereinander
+und mit vor Befriedigung tränenden Augen
+verzehrte er den Käse, das Gemüse und die Sauce;
+die frischen Speisen dagegen schmeckten ihm nicht, er
+konnte nicht einmal ihren Geruch vertragen und schleppte
+sogar die Sachen, die er essen wollte, ein Stückchen
+weiter weg. Er war schon längst mit allem fertig und
+lag nur noch faul auf der gleichen Stelle, als die
+Schwester zum Zeichen, daß er sich zurückziehen solle,
+langsam den Schlüssel umdrehte. Das schreckte ihn
+sofort auf, trotzdem er schon fast schlummerte, und
+er eilte wieder unter das Kanapee. Aber es kostete
+ihn große Selbstüberwindung, auch nur die kurze Zeit,
+während welcher die Schwester im Zimmer war, unter
+dem Kanapee zu bleiben, denn von dem reichlichen
+Essen hatte sich sein Leib ein wenig gerundet, und er
+konnte dort in der Enge kaum atmen. Unter kleinen
+Erstickungsanfällen sah er mit etwas hervorgequollenen
+Augen zu, wie die nichtsahnende Schwester mit einem
+Besen nicht nur die Überbleibsel zusammenkehrte, sondern
+selbst die von Gregor gar nicht berührten Speisen,
+als seien also auch diese nicht mehr zu gebrauchen,
+und wie sie alles hastig in einen Kübel schüttete, den
+sie mit einem Holzdeckel schloß, worauf sie alles hinaustrug.
+Kaum hatte sie sich umgedreht, zog sich schon
+Gregor unter dem Kanapee hervor und streckte und
+blähte sich.</p>
+
+<p>Auf diese Weise bekam nun Gregor täglich sein
+Essen, einmal am Morgen, wenn die Eltern und das
+Dienstmädchen noch schliefen, das zweitemal nach dem
+allgemeinen Mittagessen, denn dann schliefen die Eltern
+gleichfalls noch ein Weilchen, und das Dienstmädchen
+wurde von der Schwester mit irgendeiner Besorgung
+<a class="pagenum" name="Page_33" title="33"> </a>
+weggeschickt. Gewiß wollten auch sie nicht, daß Gregor
+verhungere, aber vielleicht hätten sie es nicht ertragen
+können, von seinem Essen mehr als durch Hörensagen
+zu erfahren, vielleicht wollte die Schwester ihnen
+auch eine möglicherweise nur kleine Trauer ersparen,
+denn tatsächlich litten sie ja gerade genug.</p>
+
+<p>Mit welchen Ausreden man an jenem ersten Vormittag
+den Arzt und den Schlosser wieder aus der
+Wohnung geschafft hatte, konnte Gregor gar nicht erfahren,
+denn da er nicht verstanden wurde, dachte niemand
+daran, auch die Schwester nicht, daß er die
+anderen verstehen könne, und so mußte er sich, wenn
+die Schwester in seinem Zimmer war, damit begnügen,
+nur hier und da ihre Seufzer und Anrufe der Heiligen
+zu hören. Erst später, als sie sich ein wenig an alles
+gewöhnt hatte &ndash; von vollständiger Gewöhnung konnte
+natürlich niemals die Rede sein&nbsp;&ndash;, erhaschte Gregor
+manchmal eine Bemerkung, die freundlich gemeint war
+oder so gedeutet werden konnte. »Heute hat es ihm
+aber geschmeckt,« sagte sie, wenn Gregor unter dem
+Essen tüchtig aufgeräumt hatte, während sie im gegenteiligen
+Fall, der sich allmählich immer häufiger wiederholte,
+fast traurig zu sagen pflegte: »Nun ist wieder
+alles stehengeblieben.«</p>
+
+<p>Während aber Gregor unmittelbar keine Neuigkeit
+erfahren konnte, erhorchte er manches aus den Nebenzimmern,
+und wo er nun einmal Stimmen hörte, lief er
+gleich zu der betreffenden Tür und drückte sich mit
+ganzem Leib an sie. Besonders in der ersten Zeit gab
+es kein Gespräch, das nicht irgendwie wenn auch nur
+im geheimen, von ihm handelte. Zwei Tage lang waren
+bei allen Mahlzeiten Beratungen darüber zu hören, wie
+man sich jetzt verhalten solle; aber auch zwischen den
+Mahlzeiten sprach man über das gleiche Thema, denn
+<a class="pagenum" name="Page_34" title="34"> </a>
+immer waren zumindest zwei Familienmitglieder zu
+Hause, da wohl niemand allein zu Hause bleiben wollte
+und man die Wohnung doch auf keinen Fall gänzlich
+verlassen konnte. Auch hatte das Dienstmädchen gleich
+am ersten Tag &ndash; es war nicht ganz klar, was und
+wieviel sie von dem Vorgefallenen wußte &ndash; kniefällig
+die Mutter gebeten, sie sofort zu entlassen, und
+als sie sich eine Viertelstunde danach verabschiedete,
+dankte sie für die Entlassung unter Tränen, wie für
+die größte Wohltat, die man ihr hier erwiesen hatte,
+und gab, ohne daß man es von ihr verlangte, einen
+fürchterlichen Schwur ab, niemandem auch nur das
+geringste zu verraten.</p>
+
+<p>Nun mußte die Schwester im Verein mit der Mutter
+auch kochen; allerdings machte das nicht viel Mühe,
+denn man aß fast nichts. Immer wieder hörte Gregor,
+wie der eine den anderen vergebens zum Essen aufforderte
+und keine andere Antwort bekam, als: »Danke
+ich habe genug« oder etwas Ähnliches. Getrunken
+wurde vielleicht auch nichts. Öfters fragte die Schwester
+den Vater, ob er Bier haben wolle, und herzlich erbot
+sie sich, es selbst zu holen, und als der Vater schwieg,
+sagte sie, um ihm jedes Bedenken zu nehmen, sie
+könne auch die Hausmeisterin darum schicken, aber
+dann sagte der Vater schließlich ein großes »Nein«,
+und es wurde nicht mehr davon gesprochen.</p>
+
+<p>Schon im Laufe des ersten Tages legte der Vater
+die ganzen Vermögensverhältnisse und Aussichten sowohl
+der Mutter als auch der Schwester dar. Hie
+und da stand er vom Tische auf und holte aus seiner
+kleinen Wertheimkassa, die er aus dem vor fünf Jahren
+erfolgten Zusammenbruch seines Geschäftes gerettet
+hatte, irgendeinen Beleg oder irgendein Vormerkbuch.
+Man hörte, wie er das komplizierte Schloß aufsperrte
+<a class="pagenum" name="Page_35" title="35"> </a>
+und nach Entnahme des Gesuchten wieder verschloß.
+Diese Erklärungen des Vaters waren zum Teil das
+erste Erfreuliche, was Gregor seit seiner Gefangenschaft
+zu hören bekam. Er war der Meinung gewesen,
+daß dem Vater von jenem Geschäft her nicht das Geringste
+übriggeblieben war, zumindest hatte ihm der
+Vater nichts Gegenteiliges gesagt, und Gregor allerdings
+hatte ihn auch nicht darum gefragt. Gregors
+Sorge war damals nur gewesen, alles daranzusetzen,
+um die Familie das geschäftliche Unglück, das alle in
+eine vollständige Hoffnungslosigkeit gebracht hatte, möglichst
+rasch vergessen zu lassen. Und so hatte er damals
+mit ganz besonderem Feuer zu arbeiten angefangen
+und war fast über Nacht aus einem kleinen Kommis
+ein Reisender geworden, der natürlich ganz andere
+Möglichkeiten des Geldverdienens hatte, und dessen
+Arbeitserfolge sich sofort in Form der Provision zu
+Bargeld verwandelten, das der erstaunten und beglückten
+Familie zu Hause auf den Tisch gelegt werden konnte.
+Es waren schöne Zeiten gewesen, und niemals nachher
+hatten sie sich, wenigstens in diesem Glanze, wiederholt,
+trotzdem Gregor später so viel Geld verdiente, daß
+er den Aufwand der ganzen Familie zu tragen imstande
+war und auch trug. Man hatte sich eben daran
+gewöhnt, sowohl die Familie, als auch Gregor, man
+nahm das Geld dankbar an, er lieferte es gern ab,
+aber eine besondere Wärme wollte sich nicht mehr ergeben.
+Nur die Schwester war Gregor doch noch nahe
+geblieben, und es war sein geheimer Plan, sie, die
+zum Unterschied von Gregor Musik sehr liebte und
+rührend Violine zu spielen verstand, nächstes Jahr,
+ohne Rücksicht auf die großen Kosten, die das verursachen
+mußte, und die man schon auf andere Weise
+hereinbringen würde, auf das Konservatorium zu
+<a class="pagenum" name="Page_36" title="36"> </a>
+schicken. Öfters während der kurzen Aufenthalte Gregors
+in der Stadt wurde in den Gesprächen mit der
+Schwester das Konservatorium erwähnt, aber immer
+nur als schöner Traum, an dessen Verwirklichung nicht
+zu denken war, und die Eltern hörten nicht einmal
+diese unschuldigen Erwähnungen gern; aber Gregor
+dachte sehr bestimmt daran und beabsichtigte, es am
+Weihnachtsabend feierlich zu erklären.</p>
+
+<p>Solche in seinem gegenwärtigen Zustand ganz nutzlose
+Gedanken gingen ihm durch den Kopf, während
+er dort aufrecht an der Türe klebte und horchte.
+Manchmal konnte er vor allgemeiner Müdigkeit gar
+nicht mehr zuhören und ließ den Kopf nachlässig gegen
+die Tür schlagen, hielt ihn aber sofort wieder fest,
+denn selbst das kleine Geräusch, das er damit verursacht
+hatte, war nebenan gehört worden und hatte alle
+verstummen lassen. »Was er nur wieder treibt,« sagte
+der Vater nach einer Weile, offenbar zur Türe hingewendet,
+und dann erst wurde das unterbrochene
+Gespräch allmählich wieder aufgenommen.</p>
+
+<p>Gregor erfuhr nun zur Genüge &ndash; denn der Vater
+pflegte sich in seinen Erklärungen öfters zu wiederholen,
+teils, weil er selbst sich mit diesen Dingen schon lange
+nicht beschäftigt hatte, teils auch, weil die Mutter nicht
+alles gleich beim erstenmal verstand&nbsp;&ndash;, daß trotz
+allen Unglücks ein allerdings ganz kleines Vermögen
+aus der alten Zeit noch vorhanden war, das die nicht
+angerührten Zinsen in der Zwischenzeit ein wenig hatten
+anwachsen lassen. Außerdem aber war das Geld, das
+Gregor allmonatlich nach Hause gebracht hatte &ndash; er
+selbst hatte nur ein paar Gulden für sich behalten&nbsp;&ndash;,
+nicht vollständig aufgebraucht worden und hatte sich
+zu einem kleinen Kapital angesammelt. Gregor, hinter
+seiner Türe, nickte eifrig, erfreut über diese unerwartete
+<a class="pagenum" name="Page_37" title="37"> </a>
+Vorsicht und Sparsamkeit. Eigentlich hätte er
+ja mit diesen überschüssigen Geldern die Schuld des
+Vaters gegenüber dem Chef weiter abgetragen haben
+können, und jener Tag, an dem er diesen Posten hätte
+loswerden können, wäre weit näher gewesen, aber jetzt
+war es zweifellos besser so, wie es der Vater eingerichtet
+hatte.</p>
+
+<p>Nun genügte dieses Geld aber ganz und gar nicht,
+um die Familie etwa von den Zinsen leben zu lassen;
+es genügte vielleicht, um die Familie ein, höchstens
+zwei Jahre zu erhalten, mehr war es nicht. Es war
+also bloß eine Summe, die man eigentlich nicht angreifen
+durfte, und die für den Notfall zurückgelegt
+werden mußte; das Geld zum Leben aber mußte man
+verdienen. Nun war aber der Vater ein zwar gesunder,
+aber alter Mann, der schon fünf Jahre nichts
+gearbeitet hatte und sich jedenfalls nicht viel zutrauen
+durfte; er hatte in diesen fünf Jahren, welche die ersten
+Ferien seines mühevollen und doch erfolglosen Lebens
+waren, viel Fett angesetzt und war dadurch recht
+schwerfällig geworden. Und die alte Mutter sollte nun
+vielleicht Geld verdienen, die an Asthma litt, der eine
+Wanderung durch die Wohnung schon Anstrengung
+verursachte, und die jeden zweiten Tag in Atembeschwerden
+auf dem Sofa beim offenen Fenster
+verbrachte? Und die Schwester sollte Geld verdienen,
+die noch ein Kind war mit ihren siebzehn Jahren, und
+der ihre bisherige Lebensweise so sehr zu gönnen war,
+die daraus bestanden hatte, sich nett zu kleiden, lange
+zu schlafen, in der Wirtschaft mitzuhelfen, an ein paar
+bescheidenen Vergnügungen sich zu beteiligen und vor
+allem Violine zu spielen? Wenn die Rede auf diese
+Notwendigkeit des Geldverdienens kam, ließ zuerst
+immer Gregor die Türe los und warf sich auf das
+<a class="pagenum" name="Page_38" title="38"> </a>
+neben der Tür befindliche kühle Ledersofa, denn ihm
+war ganz heiß vor Beschämung und Trauer.</p>
+
+<p>Oft lag er dort die ganzen langen Nächte über,
+schlief keinen Augenblick und scharrte nur stundenlang
+auf dem Leder. Oder er scheute nicht die große Mühe,
+einen Sessel zum Fenster zu schieben, dann die Fensterbrüstung
+hinaufzukriechen und, in den Sessel gestemmt,
+sich ans Fenster zu lehnen, offenbar nur in irgendeiner
+Erinnerung an das Befreiende, das früher für ihn darin
+gelegen war, aus dem Fenster zu schauen. Denn tatsächlich
+sah er von Tag zu Tag die auch nur ein
+wenig entfernten Dinge immer undeutlicher; das gegenüberliegende
+Krankenhaus, dessen nur allzu häufigen
+Anblick er früher verflucht hatte, bekam er überhaupt
+nicht mehr zu Gesicht, und wenn er nicht genau gewußt
+hätte, daß er in der stillen, aber völlig städtischen
+Charlottenstraße wohnte, hätte er glauben können,
+von seinem Fenster aus in eine Einöde zu schauen
+in welcher der graue Himmel und die graue Erde
+ununterscheidbar sich vereinigten. Nur zweimal hatte
+die aufmerksame Schwester sehen müssen, daß der
+Sessel beim Fenster stand, als sie schon jedesmal,
+nachdem sie das Zimmer aufgeräumt hatte, den Sessel
+wieder genau zum Fenster hinschob, ja sogar von nun
+ab den inneren Fensterflügel offen ließ.</p>
+
+<p>Hätte Gregor nur mit der Schwester sprechen und
+ihr für alles danken können, was sie für ihn machen
+mußte, er hätte ihre Dienste leichter ertragen; so aber
+litt er darunter. Die Schwester suchte freilich die Peinlichkeit
+des Ganzen möglichst zu verwischen, und je
+längere Zeit verging, desto besser gelang es ihr natürlich
+auch, aber auch Gregor durchschaute mit der Zeit
+alles viel genauer. Schon ihr Eintritt war für ihn schrecklich.
+Kaum war sie eingetreten, lief sie, ohne sich Zeit
+<a class="pagenum" name="Page_39" title="39"> </a>
+zu nehmen, die Türe zu schließen, so sehr sie sonst
+darauf achtete, jedem den Anblick von Gregors Zimmer
+zu ersparen, geradewegs zum Fenster und riß
+es, als ersticke sie fast, mit hastigen Händen auf, blieb
+auch, selbst wenn es noch so kalt war, ein Weilchen
+beim Fenster und atmete tief. Mit diesem Laufen und
+Lärmen erschreckte sie Gregor täglich zweimal; die
+ganze Zeit über zitterte er unter dem Kanapee und
+wußte doch sehr gut, daß sie ihn gewiß gerne damit
+verschont hätte, wenn es ihr nur möglich gewesen wäre,
+sich in einem Zimmer, in dem sich Gregor befand, bei
+geschlossenem Fenster aufzuhalten.</p>
+
+<p>Einmal, es war wohl schon ein Monat seit Gregors
+Verwandlung vergangen, und es war doch schon für
+die Schwester kein besonderer Grund mehr, über Gregors
+Aussehen in Erstaunen zu geraten, kam sie ein
+wenig früher als sonst und traf Gregor noch an, wie
+er, unbeweglich und so recht zum Erschrecken aufgestellt,
+aus dem Fenster schaute. Es wäre für Gregor nicht
+unerwartet gewesen, wenn sie nicht eingetreten wäre,
+da er sie durch seine Stellung verhinderte, sofort das
+Fenster zu öffnen, aber sie trat nicht nur nicht ein,
+sie fuhr sogar zurück und schloß die Tür; ein Fremder
+hätte geradezu denken können, Gregor habe ihr
+aufgelauert und habe sie beißen wollen. Gregor versteckte
+sich natürlich sofort unter dem Kanapee, aber
+er mußte bis zum Mittag warten, ehe die Schwester
+wiederkam, und sie schien viel unruhiger als sonst.
+Er erkannte daraus, daß ihr sein Anblick noch immer
+unerträglich war und ihr auch weiterhin unerträglich
+bleiben müsse, und daß sie sich wohl sehr überwinden
+mußte, vor dem Anblick auch nur der kleinen Partie
+seines Körpers nicht davonzulaufen, mit der er unter
+dem Kanapee hervorragte. Um ihr auch diesen Anblick
+<a class="pagenum" name="Page_40" title="40"> </a>
+zu ersparen, trug er eines Tages auf seinem
+Rücken &ndash; er brauchte zu dieser Arbeit vier Stunden
+&ndash; das Leintuch auf das Kanapee und ordnete es in
+einer solchen Weise an, daß er nun gänzlich verdeckt
+war, und daß die Schwester, selbst wenn sie sich
+bückte, ihn nicht sehen konnte. Wäre dieses Leintuch
+ihrer Meinung nach nicht nötig gewesen, dann hätte
+sie es ja entfernen können, denn daß es nicht zum
+Vergnügen Gregors gehören konnte, sich so ganz und
+gar abzusperren, war doch klar genug, aber sie ließ
+das Leintuch, so wie es war, und Gregor glaubte sogar
+einen dankbaren Blick erhascht zu haben, als er
+einmal mit dem Kopf vorsichtig das Leintuch ein wenig
+lüftete, um nachzusehen, wie die Schwester die neue
+Einrichtung aufnahm.</p>
+
+<p>In den ersten vierzehn Tagen konnten es die Eltern
+nicht über sich bringen, zu ihm hereinzukommen, und
+er hörte oft, wie sie die jetzige Arbeit der Schwester
+völlig anerkannten, während sie sich bisher häufig über
+die Schwester geärgert hatten, weil sie ihnen als ein
+etwas nutzloses Mädchen erschienen war. Nun aber
+warteten oft beide, der Vater und die Mutter, vor
+Gregors Zimmer, während die Schwester dort aufräumte,
+und kaum war sie herausgekommen, mußte
+sie ganz genau erzählen, wie es in dem Zimmer aussah,
+was Gregor gegessen hatte, wie er sich diesmal
+benommen hatte, und ob vielleicht eine kleine Besserung
+zu bemerken war. Die Mutter übrigens wollte
+verhältnismäßig bald Gregor besuchen, aber der Vater
+und die Schwester hielten sie zuerst mit Vernunftgründen
+zurück, denen Gregor sehr aufmerksam zuhörte,
+und die er vollständig billigte. Später aber mußte
+man sie mit Gewalt zurückhalten, und wenn sie dann
+rief: »Laßt mich doch zu Gregor, er ist ja mein unglücklicher
+<a class="pagenum" name="Page_41" title="41"> </a>
+Sohn! Begreift ihr es denn nicht, daß ich zu
+ihm muß?«, dann dachte Gregor, daß es vielleicht doch
+gut wäre, wenn die Mutter hereinkäme, nicht jeden Tag
+natürlich, aber vielleicht einmal in der Woche; sie verstand
+doch alles viel besser als die Schwester, die trotz
+all ihrem Mute doch nur ein Kind war und im letzten
+Grunde vielleicht nur aus kindlichem Leichtsinn eine so
+schwere Aufgabe übernommen hatte.</p>
+
+<p>Der Wunsch Gregors, die Mutter zu sehen, ging
+bald in Erfüllung. Während des Tages wollte Gregor
+schon aus Rücksicht auf seine Eltern sich nicht beim
+Fenster zeigen, kriechen konnte er aber auf den paar
+Quadratmetern des Fußbodens auch nicht viel, das
+ruhige Liegen ertrug er schon während der Nacht
+schwer, das Essen machte ihm bald nicht mehr das
+geringste Vergnügen, und so nahm er zur Zerstreuung
+die Gewohnheit an, kreuz und quer über Wände und
+Plafond zu kriechen. Besonders oben an der Decke
+hing er gern; es war ganz anders, als das Liegen
+auf dem Fußboden; man atmete freier; ein leichtes
+Schwingen ging durch den Körper, und in der fast
+glücklichen Zerstreutheit, in der sich Gregor dort oben
+befand, konnte es geschehen, daß er zu seiner eigenen
+Überraschung sich losließ und auf den Boden klatschte.
+Aber nun hatte er natürlich seinen Körper ganz anders
+in der Gewalt als früher und beschädigte sich selbst
+bei einem so großen Falle nicht. Die Schwester nun
+bemerkte sofort die neue Unterhaltung, die Gregor für
+sich gefunden hatte &ndash; er hinterließ ja auch beim Kriechen
+hie und da Spuren seines Klebstoffes&nbsp;&ndash;, und da
+setzte sie es sich in den Kopf, Gregor das Kriechen in
+größtem Ausmaße zu ermöglichen und die Möbel, die
+es verhinderten, also vor allem den Kasten und den
+Schreibtisch, wegzuschaffen. Nun war sie aber nicht
+<a class="pagenum" name="Page_42" title="42"> </a>
+imstande, dies allein zu tun; den Vater wagte sie
+nicht um Hilfe zu bitten; das Dienstmädchen hätte ihr
+ganz gewiß nicht geholfen, denn dieses etwa sechzehnjährige
+Mädchen harrte zwar tapfer seit Entlassung
+der früheren Köchin aus, hatte aber um die Vergünstigung
+gebeten, die Küche unaufhörlich versperrt halten
+zu dürfen und nur auf besonderen Anruf öffnen zu
+müssen; so blieb der Schwester also nichts übrig, als
+einmal in Abwesenheit des Vaters die Mutter zu holen.
+Mit Ausrufen erregter Freude kam die Mutter auch
+heran, verstummte aber an der Tür vor Gregors Zimmer.
+Zuerst sah natürlich die Schwester nach, ob alles
+im Zimmer in Ordnung war; dann erst ließ sie die
+Mutter eintreten. Gregor hatte in größter Eile das
+Leintuch noch tiefer und mehr in Falten gezogen, das
+Ganze sah wirklich nur wie ein zufällig über das
+Kanapee geworfenes Leintuch aus. Gregor unterließ
+auch diesmal, unter dem Leintuch zu spionieren; er
+verzichtete darauf, die Mutter schon diesmal zu sehen,
+und war nur froh, daß sie nun doch gekommen war.
+»Komm nur, man sieht ihn nicht,« sagte die Schwester,
+und offenbar führte sie die Mutter an der Hand. Gregor
+hörte nun, wie die zwei schwachen Frauen den
+immerhin schweren alten Kasten von seinem Platze
+rückten, und wie die Schwester immerfort den größten
+Teil der Arbeit für sich beanspruchte, ohne auf die
+Warnungen der Mutter zu hören, welche fürchtete, daß
+sie sich überanstrengen werde. Es dauerte sehr lange.
+Wohl nach schon viertelstündiger Arbeit sagte die
+Mutter, man solle den Kasten doch lieber hier lassen,
+denn erstens sei er zu schwer, sie würden vor Ankunft
+des Vaters nicht fertig werden und mit dem
+Kasten in der Mitte des Zimmers Gregor jeden Weg
+verrammeln, zweitens aber sei es doch gar nicht sicher,
+<a class="pagenum" name="Page_43" title="43"> </a>
+daß Gregor mit der Entfernung der Möbel ein Gefallen
+geschehe. Ihr scheine das Gegenteil der Fall zu
+sein; ihr bedrücke der Anblick der leeren Wand geradezu
+das Herz; und warum solle nicht auch Gregor diese
+Empfindung haben, da er doch an die Zimmermöbel
+längst gewöhnt sei und sich deshalb im leeren Zimmer
+verlassen fühlen werde. »Und ist es dann nicht so,«
+schloß die Mutter ganz leise, wie sie überhaupt fast
+flüsterte, als wolle sie vermeiden, daß Gregor, dessen
+genauen Aufenthalt sie ja nicht kannte, auch nur den
+Klang der Stimme höre, denn daß er die Worte nicht
+verstand, davon war sie überzeugt, »und ist es nicht
+so, als ob wir durch die Entfernung der Möbel zeigten,
+daß wir jede Hoffnung auf Besserung aufgeben und
+ihn rücksichtslos sich selbst überlassen? Ich glaube, es
+wäre das beste, wir suchen das Zimmer genau in dem
+Zustand zu erhalten, in dem es früher war, damit
+Gregor, wenn er wieder zu uns zurückkommt, alles
+unverändert findet und um so leichter die Zwischenzeit
+vergessen kann.«</p>
+
+<p>Beim Anhören dieser Worte der Mutter erkannte
+Gregor, daß der Mangel jeder unmittelbaren menschlichen
+Ansprache, verbunden mit dem einförmigen Leben
+inmitten der Familie, im Laufe dieser zwei Monate
+seinen Verstand hatte verwirren müssen, denn anders
+konnte er es sich nicht erklären, daß er ernsthaft darnach
+hatte verlangen können, daß sein Zimmer ausgeleert
+würde. Hatte er wirklich Lust, das warme, mit
+ererbten Möbeln gemütlich ausgestattete Zimmer in
+eine Höhle verwandeln zu lassen, in der er dann freilich
+nach allen Richtungen ungestört würde kriechen
+können, jedoch auch unter gleichzeitigem, schnellen,
+gänzlichen Vergessen seiner menschlichen Vergangenheit?
+War er doch jetzt schon nahe daran, zu vergessen,
+<a class="pagenum" name="Page_44" title="44"> </a>
+und nur die seit langem nicht gehörte Stimme der
+Mutter hatte ihn aufgerüttelt. Nichts sollte entfernt
+werden, alles mußte bleiben, die guten Einwirkungen
+der Möbel auf seinen Zustand konnte er nicht entbehren;
+und wenn die Möbel ihn hinderten, das sinnlose
+Herumkriechen zu betreiben, so war es kein Schaden,
+sondern ein großer Vorteil.</p>
+
+<p>Aber die Schwester war leider anderer Meinung;
+sie hatte sich, allerdings nicht ganz unberechtigt, angewöhnt,
+bei Besprechung der Angelegenheiten Gregors
+als besonders Sachverständige gegenüber den Eltern
+aufzutreten, und so war auch jetzt der Rat der Mutter
+für die Schwester Grund genug, auf der Entfernung
+nicht nur des Kastens und des Schreibtisches, an die
+sie zuerst allein gedacht hatte, sondern auf der Entfernung
+sämtlicher Möbel, mit Ausnahme des unentbehrlichen
+Kanapees, zu bestehen. Es war natürlich
+nicht nur kindlicher Trotz und das in der letzten Zeit
+so unerwartet und schwer erworbene Selbstvertrauen,
+das sie zu dieser Forderung bestimmte; sie hatte doch
+auch tatsächlich beobachtet, daß Gregor viel Raum zum
+Kriechen brauchte, dagegen die Möbel, soweit man sehen
+konnte, nicht im geringsten benützte. Vielleicht aber
+spielte auch der schwärmerische Sinn der Mädchen ihres
+Alters mit, der bei jeder Gelegenheit seine Befriedigung
+sucht, und durch den Grete jetzt sich dazu verlocken
+ließ, die Lage Gregors noch schreckenerregender
+machen zu wollen, um dann noch mehr als bis jetzt
+für ihn leisten zu können. Denn in einem Raum, in dem
+Gregor ganz allein die leeren Wände beherrschte, würde
+wohl kein Mensch außer Grete jemals einzutreten sich
+getrauen.</p>
+
+<p>Und so ließ sie sich von ihrem Entschlusse durch
+die Mutter nicht abbringen, die auch in diesem Zimmer
+<a class="pagenum" name="Page_45" title="45"> </a>
+vor lauter Unruhe unsicher schien, bald verstummte
+und der Schwester nach Kräften beim Hinausschaffen
+des Kastens half. Nun, den Kasten konnte Gregor im
+Notfall noch entbehren, aber schon der Schreibtisch
+mußte bleiben. Und kaum hatten die Frauen mit dem
+Kasten, an dem sie sich ächzend drückten, das Zimmer
+verlassen, als Gregor den Kopf unter dem Kanapee
+hervorstieß, um zu sehen, wie er vorsichtig und möglichst
+rücksichtsvoll eingreifen könnte. Aber zum Unglück
+war es gerade die Mutter, welche zuerst zurückkehrte,
+während Grete im Nebenzimmer den Kasten
+umfangen hielt und ihn allein hin und her schwang,
+ohne ihn natürlich von der Stelle zu bringen. Die
+Mutter aber war Gregors Anblick nicht gewöhnt, er
+hätte sie krank machen können, und so eilte Gregor
+erschrocken im Rückwärtslauf bis an das andere Ende
+des Kanapees, konnte es aber nicht mehr verhindern,
+daß das Leintuch vorne ein wenig sich bewegte. Das
+genügte, um die Mutter aufmerksam zu machen. Sie
+stockte, stand einen Augenblick still und ging dann
+zu Grete zurück.</p>
+
+<p>Trotzdem sich Gregor immer wieder sagte, daß ja
+nichts Außergewöhnliches geschehe, sondern nur ein paar
+Möbel umgestellt würden, wirkte doch, wie er sich bald
+eingestehen mußte, dieses Hin- und Hergehen der
+Frauen, ihre kleinen Zurufe, das Kratzen der Möbel
+auf dem Boden, wie ein großer, von allen Seiten genährter
+Trubel auf ihn, und er mußte sich, so fest er
+Kopf und Beine an sich zog und den Leib bis an den
+Boden drückte, unweigerlich sagen, daß er das Ganze
+nicht lange aushalten werde. Sie räumten ihm sein
+Zimmer aus; nahmen ihm alles, was ihm lieb war;
+den Kasten, in dem die Laubsäge und andere Werkzeuge
+lagen, hatten sie schon hinausgetragen; lockerten
+<a class="pagenum" name="Page_46" title="46"> </a>
+jetzt den schon im Boden fest eingegrabenen Schreibtisch,
+an dem er als Handelsakademiker, als Bürgerschüler,
+ja sogar schon als Volksschüler seine Aufgaben
+geschrieben hatte, &ndash; da hatte er wirklich keine Zeit
+mehr, die guten Absichten zu prüfen, welche die zwei
+Frauen hatten, deren Existenz er übrigens fast vergessen
+hatte, denn vor Erschöpfung arbeiteten sie schon stumm,
+und man hörte nur das schwere Tappen ihrer Füße.</p>
+
+<p>Und so brach er denn hervor &ndash; die Frauen stützten
+sich gerade im Nebenzimmer an den Schreibtisch, um
+ein wenig zu verschnaufen&nbsp;&ndash;, wechselte viermal die
+Richtung des Laufes, er wußte wirklich nicht, was er
+zuerst retten sollte, da sah er an der im übrigen schon
+leeren Wand auffallend das Bild der in lauter Pelzwerk
+gekleideten Dame hängen, kroch eilends hinauf
+und preßte sich an das Glas, das ihn festhielt und
+seinem heißen Bauch wohltat. Dieses Bild wenigstens,
+das Gregor jetzt ganz verdeckte, würde nun gewiß
+niemand wegnehmen. Er verdrehte den Kopf nach der
+Tür des Wohnzimmers, um die Frauen bei ihrer Rückkehr
+zu beobachten.</p>
+
+<p>Sie hatten sich nicht viel Ruhe gegönnt und kamen
+schon wieder; Grete hatte den Arm um die Mutter
+gelegt und trug sie fast. »Also was nehmen wir jetzt?«
+sagte Grete und sah sich um, Da kreuzten sich ihre
+Blicke mit denen Gregors an der Wand. Wohl nur
+infolge der Gegenwart der Mutter behielt sie ihre
+Fassung, beugte ihr Gesicht zur Mutter, um diese vom
+Herumschauen abzuhalten, und sagte, allerdings zitternd
+und unüberlegt: »Komm, wollen wir nicht lieber auf
+einen Augenblick noch ins Wohnzimmer zurückgehen?«
+Die Absicht Gretes war für Gregor klar, sie wollte
+die Mutter in Sicherheit bringen und dann ihn von
+der Wand hinunterjagen. Nun, sie konnte es ja immerhin
+<a class="pagenum" name="Page_47" title="47"> </a>
+versuchen! Er saß auf seinem Bild und gab es
+nicht her. Lieber würde er Grete ins Gesicht springen.</p>
+
+<p>Aber Gretes Worte hatten die Mutter erst recht
+beunruhigt, sie trat zur Seite, erblickte den riesigen
+braunen Fleck auf der geblümten Tapete, rief, ehe ihr
+eigentlich zum Bewußtsein kam, daß das Gregor war,
+was sie sah, mit schreiender, rauher Stimme: »Ach
+Gott, ach Gott!« und fiel mit ausgebreiteten Armen,
+als gebe sie alles auf, über das Kanapee hin und rührte
+sich nicht. »Du, Gregor!« rief die Schwester mit erhobener
+Faust und eindringlichen Blicken. Es waren seit der
+Verwandlung die ersten Worte, die sie unmittelbar an
+ihn gerichtet hatte. Sie lief ins Nebenzimmer, um
+irgendeine Essenz zu holen, mit der sie die Mutter
+aus ihrer Ohnmacht wecken könnte; Gregor wollte
+auch helfen &ndash; zur Rettung des Bildes war noch Zeit&nbsp;&ndash;;
+er klebte aber fest an dem Glas und mußte sich
+mit Gewalt losreißen; er lief dann auch ins Nebenzimmer,
+als könne er der Schwester irgendeinen Rat
+geben, wie in früherer Zeit; mußte aber dann untätig
+hinter ihr stehen; während sie in verschiedenen Fläschchen
+kramte, erschreckte sie noch, als sie sich umdrehte;
+eine Flasche fiel auf den Boden und zerbrach; ein
+Splitter verletzte Gregor im Gesicht, irgendeine ätzende
+Medizin umfloß ihn; Grete nahm nun, ohne sich länger
+aufzuhalten, so viele Fläschchen, als sie nur halten
+konnte, und rannte mit ihnen zur Mutter hinein; die Tür
+schlug sie mit dem Fuße zu. Gregor war nun von der
+Mutter abgeschlossen, die durch seine Schuld vielleicht
+dem Tode nahe war; die Tür durfte er nicht öffnen,
+wollte er die Schwester, die bei der Mutter bleiben
+mußte, nicht verjagen; er hatte jetzt nichts zu tun,
+als zu warten; und von Selbstvorwürfen und Besorgnis
+bedrängt, begann er zu kriechen, überkroch alles,
+<a class="pagenum" name="Page_48" title="48"> </a>
+Wände, Möbel und Zimmerdecke und fiel endlich in
+seiner Verzweiflung, als sich das ganze Zimmer schon
+um ihn zu drehen anfing, mitten auf den großen Tisch.</p>
+
+<p>Es verging eine kleine Weile, Gregor lag matt da,
+ringsherum war es still, vielleicht war das ein gutes
+Zeichen. Da läutete es. Das Mädchen war natürlich
+in ihrer Küche eingesperrt und Grete mußte daher
+öffnen gehen. Der Vater war gekommen. »Was ist
+geschehen?« waren seine ersten Worte; Gretes Aussehen
+hatte ihm wohl alles verraten. Grete antwortete
+mit dumpfer Stimme, offenbar drückte sie ihr Gesicht
+an des Vaters Brust: »Die Mutter war ohnmächtig,
+aber es geht ihr schon besser. Gregor ist ausgebrochen.«
+»Ich habe es ja erwartet,« sagte der Vater, »ich habe
+es euch ja immer gesagt, aber ihr Frauen wollt nicht
+hören.« Gregor war es klar, daß der Vater Gretes
+allzukurze Mitteilung schlecht gedeutet hatte und annahm,
+daß Gregor sich irgendeine Gewalttat habe zuschulden
+kommen lassen. Deshalb mußte Gregor den
+Vater jetzt zu besänftigen suchen, denn ihn aufzuklären
+hatte er weder Zeit noch Möglichkeit. Und so
+flüchtete er sich zur Tür seines Zimmers und drückte
+sich an sie, damit der Vater beim Eintritt vom Vorzimmer
+her gleich sehen könne, daß Gregor die beste
+Absicht habe, sofort in sein Zimmer zurückzukehren,
+und daß es nicht nötig sei, ihn zurückzutreiben, sondern
+daß man nur die Tür zu öffnen brauchte, und gleich
+werde er verschwinden.</p>
+
+<p>Aber der Vater war nicht in der Stimmung, solche
+Feinheiten zu bemerken. »Ah!« rief er gleich beim
+Eintritt in einem Tone, als sei er gleichzeitig wütend
+und froh. Gregor zog den Kopf von der Tür zurück
+und hob ihn gegen den Vater. So hatte er sich den
+Vater wirklich nicht vorgestellt, wie er jetzt dastand;
+<a class="pagenum" name="Page_49" title="49"> </a>
+allerdings hatte er in der letzten Zeit über dem neuartigen
+Herumkriechen versäumt, sich so wie früher um
+die Vorgänge in der übrigen Wohnung zu kümmern,
+und hätte eigentlich darauf gefaßt sein müssen, veränderte
+Verhältnisse anzutreffen. Trotzdem, trotzdem,
+war das noch der Vater? Der gleiche Mann, der
+müde im Bett vergraben lag, wenn früher Gregor
+zu einer Geschäftsreise ausgerückt war; der ihn an
+Abenden der Heimkehr im Schlafrock im Lehnstuhl
+empfangen hatte; gar nicht recht imstande war, aufzustehen,
+sondern zum Zeichen der Freude nur die Arme
+gehoben hatte, und der bei den seltenen gemeinsamen
+Spaziergängen an ein paar Sonntagen im Jahr und an
+den höchsten Feiertagen zwischen Gregor und der
+Mutter, die schon an und für sich langsam gingen, immer
+noch ein wenig langsamer, in seinen alten Mantel eingepackt,
+mit stets vorsichtig aufgesetztem Krückstock
+sich vorwärts arbeitete und, wenn er etwas sagen wollte,
+fast immer stillstand und seine Begleitung um sich versammelte?
+Nun aber war er doch gut aufgerichtet; in
+eine straffe blaue Uniform mit Goldknöpfen gekleidet,
+wie sie Diener der Bankinstitute tragen; über dem hohen
+steifen Kragen des Rockes entwickelte sich sein starkes
+Doppelkinn; unter den buschigen Augenbrauen drang
+der Blick der schwarzen Augen frisch und aufmerksam
+hervor; das sonst zerzauste weiße Haar war zu einer
+peinlich genauen, leuchtenden Scheitelfrisur niedergekämmt.
+Er warf seine Mütze, auf der ein Goldmonogramm,
+wahrscheinlich das einer Bank, angebracht war,
+über das ganze Zimmer im Bogen auf das Kanapee
+hin und ging, die Enden seines langen Uniformrockes
+zurückgeschlagen, die Hände in den Hosentaschen, mit
+verbissenem Gesicht auf Gregor zu. Er wußte wohl
+selbst nicht, was er vorhatte; immerhin hob er die
+<a class="pagenum" name="Page_50" title="50"> </a>
+Füße ungewöhnlich hoch, und Gregor staunte über die
+Riesengröße seiner Stiefelsohlen. Doch hielt er sich
+dabei nicht auf, er wußte ja noch vom ersten Tage
+seines neuen Lebens her, daß der Vater ihm gegenüber
+nur die größte Strenge für angebracht ansah. Und
+so lief er vor dem Vater her, stockte, wenn der Vater
+stehen blieb, und eilte schon wieder vorwärts, wenn
+sich der Vater nur rührte. So machten sie mehrmals
+die Runde um das Zimmer, ohne daß sich etwas Entscheidendes
+ereignete, ja ohne daß das Ganze infolge
+seines langsamen Tempos den Anschein einer Verfolgung
+gehabt hätte. Deshalb blieb auch Gregor vorläufig
+auf dem Fußboden, zumal er fürchtete, der
+Vater könnte eine Flucht auf die Wände oder den
+Plafond für besondere Bosheit halten. Allerdings mußte
+sich Gregor sagen, daß er sogar dieses Laufen nicht
+lange aushalten würde, denn während der Vater einen
+Schritt machte, mußte er eine Unzahl von Bewegungen
+ausführen. Atemnot begann sich schon bemerkbar zu
+machen, wie er ja auch in seiner früheren Zeit keine
+ganz vertrauenswürdige Lunge besessen hatte. Als er
+nun so dahintorkelte, um alle Kräfte für den Lauf
+zu sammeln, kaum die Augen offenhielt; in seiner
+Stumpfheit an eine andere Rettung als durch Laufen
+gar nicht dachte; und fast schon vergessen hatte, daß
+ihm die Wände freistanden, die hier allerdings mit
+sorgfältig geschnitzten Möbeln voll Zacken und Spitzen
+verstellt waren &ndash; da flog knapp neben ihm, leicht geschleudert,
+irgend etwas nieder und rollte vor ihm her.
+Es war ein Apfel; gleich flog ihm ein zweiter nach;
+Gregor blieb vor Schrecken stehen; ein Weiterlaufen
+war nutzlos, denn der Vater hatte sich entschlossen,
+ihn zu bombardieren. Aus der Obstschale auf der
+Kredenz hatte er sich die Taschen gefüllt und warf
+<a class="pagenum" name="Page_51" title="51"> </a>
+nun, ohne vorläufig scharf zu zielen, Apfel für Apfel.
+Diese kleinen roten Äpfel rollten wie elektrisiert auf
+dem Boden herum und stießen aneinander. Ein schwach
+geworfener Apfel streifte Gregors Rücken, glitt aber
+unschädlich ab. Ein ihm sofort nachfliegender drang
+dagegen förmlich in Gregors Rücken ein; Gregor wollte
+sich weiterschleppen, als könne der überraschende unglaubliche
+Schmerz mit dem Ortswechsel vergehen;
+doch fühlte er sich wie festgenagelt und streckte sich
+in vollständiger Verwirrung aller Sinne. Nur mit dem
+letzten Blick sah er noch, wie die Tür seines Zimmers
+aufgerissen wurde, und vor der schreienden Schwester
+die Mutter hervoreilte, im Hemd, denn die Schwester
+hatte sie entkleidet, um ihr in der Ohnmacht Atemfreiheit
+zu verschaffen, wie dann die Mutter auf den
+Vater zulief und ihr auf dem Weg die aufgebundenen
+Röcke einer nach dem anderen zu Boden glitten, und
+wie sie stolpernd über die Röcke auf den Vater eindrang
+und ihn umarmend, in gänzlicher Vereinigung
+mit ihm &ndash; nun versagte aber Gregors Sehkraft schon
+&ndash; die Hände an des Vaters Hinterkopf um Schonung
+von Gregors Leben bat.</p>
+
+
+
+<h2>III.</h2>
+
+
+<p>Die schwere Verwundung Gregors, an der er über
+einen Monat litt &ndash; der Apfel blieb, da ihn niemand
+zu entfernen wagte, als sichtbares Andenken im Fleische
+sitzen&nbsp;&ndash;, schien selbst den Vater daran erinnert zu
+haben, daß Gregor trotz seiner gegenwärtigen traurigen
+und ekelhaften Gestalt ein Familienglied war, das
+man nicht wie einen Feind behandeln durfte, sondern
+dem gegenüber es das Gebot der Familienpflicht war,
+den Widerwillen hinunterzuschlucken und zu dulden,
+nichts als dulden.</p>
+
+<p><a class="pagenum" name="Page_52" title="52"> </a>
+Und wenn nun auch Gregor durch seine Wunde
+an Beweglichkeit wahrscheinlich für immer verloren hatte
+und vorläufig zur Durchquerung seines Zimmers wie
+ein alter Invalide lange, lange Minuten brauchte &ndash; an
+das Kriechen in der Höhe war nicht zu denken&nbsp;&ndash;, so
+bekam er für diese Verschlimmerung seines Zustandes
+einen seiner Meinung nach vollständig genügenden Ersatz
+dadurch, daß immer gegen Abend die Wohnzimmertür,
+die er schon ein bis zwei Stunden vorher
+scharf zu beobachten pflegte, geöffnet wurde, so daß
+er, im Dunkel seines Zimmers liegend, vom Wohnzimmer
+aus unsichtbar, die ganze Familie beim beleuchteten
+Tische sehen und ihre Reden, gewissermaßen
+mit allgemeiner Erlaubnis, also ganz anders als früher,
+anhören durfte.</p>
+
+<p>Freilich waren es nicht mehr die lebhaften Unterhaltungen
+der früheren Zeiten, an die Gregor in den
+kleinen Hotelzimmern stets mit einigem Verlangen gedacht
+hatte, wenn er sich müde in das feuchte Bettzeug
+hatte werfen müssen. Es ging jetzt meist nur sehr still
+zu. Der Vater schlief bald nach dem Nachtessen in
+seinem Sessel ein; die Mutter und Schwester ermahnten
+einander zur Stille; die Mutter nähte, weit über das
+Licht vorgebeugt, feine Wäsche für ein Modengeschäft;
+die Schwester, die eine Stellung als Verkäuferin angenommen
+hatte, lernte am Abend Stenographie und
+Französisch, um vielleicht später einmal einen besseren
+Posten zu erreichen. Manchmal wachte der Vater auf,
+und als wisse er gar nicht, daß er geschlafen habe,
+sagte er zur Mutter: »Wie lange du heute schon
+wieder nähst!« und schlief sofort wieder ein, während
+Mutter und Schwester einander müde zulächelten.</p>
+
+<p>Mit einer Art Eigensinn weigerte sich der Vater,
+auch zu Hause seine Dieneruniform abzulegen; und
+<a class="pagenum" name="Page_53" title="53"> </a>
+während der Schlafrock nutzlos am Kleiderhaken hing,
+schlummerte der Vater vollständig angezogen auf seinem
+Platz, als sei er immer zu seinem Dienste bereit und
+warte auch hier auf die Stimme des Vorgesetzten. Infolgedessen
+verlor die gleich anfangs nicht neue Uniform
+trotz aller Sorgfalt von Mutter und Schwester
+an Reinlichkeit, und Gregor sah oft ganze Abende
+lang auf dieses über und über fleckige, mit seinen
+stets geputzten Goldknöpfen leuchtende Kleid, in dem
+der alte Mann höchst unbequem und doch ruhig schlief.</p>
+
+<p>Sobald die Uhr zehn schlug, suchte die Mutter
+durch leise Zusprache den Vater zu wecken und dann
+zu überreden, ins Bett zu gehen, denn hier war es
+doch kein richtiger Schlaf und diesen hatte der Vater,
+der um sechs Uhr seinen Dienst antreten mußte, äußerst
+nötig. Aber in dem Eigensinn, der ihn, seitdem er
+Diener war, ergriffen hatte, bestand er immer darauf,
+noch länger bei Tisch zu bleiben, trotzdem er regelmäßig
+einschlief, und war dann überdies nur mit der
+größten Mühe zu bewegen, den Sessel mit dem Bett
+zu vertauschen. Da mochten Mutter und Schwester
+mit kleinen Ermahnungen noch so sehr auf ihn eindringen,
+viertelstundenlang schüttelte er langsam den
+Kopf, hielt die Augen geschlossen und stand nicht
+auf. Die Mutter zupfte ihn am Ärmel, sagte ihm
+Schmeichelworte ins Ohr, die Schwester verließ ihre
+Aufgabe, um der Mutter zu helfen, aber beim Vater
+verfing das nicht. Er versank nur noch tiefer in seinen
+Sessel. Erst bis ihn die Frauen unter den Achseln
+faßten, schlug er die Augen auf, sah abwechselnd die
+Mutter und die Schwester an und pflegte zu sagen:
+»Das ist ein Leben. Das ist die Ruhe meiner alten
+Tage.« Und auf die beiden Frauen gestützt, erhob
+er sich, umständlich, als sei er für sich selbst die größte
+<a class="pagenum" name="Page_54" title="54"> </a>
+Last, ließ sich von den Frauen bis zur Türe führen,
+winkte ihnen dort ab und ging nun selbständig weiter,
+während die Mutter ihr Nähzeug, die Schwester ihre
+Feder eiligst hinwarfen, um hinter dem Vater zu laufen
+und ihm weiter behilflich zu sein.</p>
+
+<p>Wer hatte in dieser abgearbeiteten und übermüdeten
+Familie Zeit, sich um Gregor mehr zu kümmern, als
+unbedingt nötig war? Der Haushalt wurde immer mehr
+eingeschränkt; das Dienstmädchen wurde nun doch entlassen;
+eine riesige knochige Bedienerin mit weißem,
+den Kopf umflatterndem Haar kam des Morgens und
+des Abends, um die schwerste Arbeit zu leisten; alles
+andere besorgte die Mutter neben ihrer vielen Näharbeit.
+Es geschah sogar, daß verschiedene Familienschmuckstücke,
+welche früher die Mutter und die
+Schwester überglücklich bei Unterhaltungen und Feierlichkeiten
+getragen hatten, verkauft wurden, wie Gregor
+am Abend aus der allgemeinen Besprechung der
+erzielten Preise erfuhr. Die größte Klage war aber
+stets, daß man diese für die gegenwärtigen Verhältnisse
+allzugroße Wohnung nicht verlassen konnte, da
+es nicht auszudenken war, wie man Gregor übersiedeln
+sollte. Aber Gregor sah wohl ein, daß es nicht
+nur die Rücksicht auf ihn war, welche eine Übersiedlung
+verhinderte, denn ihn hätte man doch in einer
+passenden Kiste mit ein paar Luftlöchern leicht transportieren
+können; was die Familie hauptsächlich vom
+Wohnungswechsel abhielt, war vielmehr die völlige
+Hoffnungslosigkeit und der Gedanke daran, daß sie
+mit einem Unglück geschlagen war, wie niemand sonst
+im ganzen Verwandten- und Bekanntenkreis. Was die
+Welt von armen Leuten verlangt, erfüllten sie bis
+zum äußersten, der Vater holte den kleinen Bankbeamten
+das Frühstück, die Mutter opferte sich für die
+<a class="pagenum" name="Page_55" title="55"> </a>
+Wäsche fremder Leute, die Schwester lief nach dem
+Befehl der Kunden hinter dem Pulte hin und her, aber
+weiter reichten die Kräfte der Familie schon nicht. Und
+die Wunde im Rücken fing Gregor wie neu zu schmerzen
+an, wenn Mutter und Schwester, nachdem sie
+den Vater zu Bett gebracht hatten, nun zurückkehrten,
+die Arbeit liegen ließen, nahe zusammenrückten, schon
+Wange an Wange saßen; wenn jetzt die Mutter, auf
+Gregors Zimmer zeigend, sagte: »Mach' dort die Tür
+zu, Grete,« und wenn nun Gregor wieder im Dunkel
+war, während nebenan die Frauen ihre Tränen vermischten
+oder gar tränenlos den Tisch anstarrten.</p>
+
+<p>Die Nächte und Tage verbrachte Gregor fast ganz
+ohne Schlaf. Manchmal dachte er daran, beim nächsten
+Öffnen der Tür die Angelegenheiten der Familie ganz
+so wie früher wieder in die Hand zu nehmen; in
+seinen Gedanken erschienen wieder nach langer Zeit
+der Chef und der Prokurist, die Kommis und die Lehrjungen,
+der so begriffsstützige Hausknecht, zwei drei
+Freunde aus anderen Geschäften, ein Stubenmädchen
+aus einem Hotel in der Provinz, eine liebe, flüchtige
+Erinnerung, eine Kassiererin aus einem Hutgeschäft,
+um die er sich ernsthaft, aber zu langsam beworben
+hatte &ndash; sie alle erschienen untermischt mit Fremden
+oder schon Vergessenen, aber statt ihm und seiner
+Familie zu helfen, waren sie sämtlich unzugänglich, und
+er war froh, wenn sie verschwanden. Dann aber war
+er wieder gar nicht in der Laune, sich um seine Familie
+zu sorgen, bloß Wut über die schlechte Wartung erfüllte
+ihn, und trotzdem er sich nichts vorstellen konnte,
+worauf er Appetit gehabt hätte, machte er doch Pläne,
+wie er in die Speisekammer gelangen könnte, um dort
+zu nehmen, was ihm, auch wenn er keinen Hunger
+hatte, immerhin gebührte. Ohne jetzt mehr nachzudenken,
+<a class="pagenum" name="Page_56" title="56"> </a>
+womit man Gregor einen besonderen Gefallen machen
+könnte, schob die Schwester eiligst, ehe sie morgens
+und mittags ins Geschäft lief, mit dem Fuß irgendeine
+beliebige Speise in Gregors Zimmer hinein, um sie
+am Abend, gleichgültig dagegen, ob die Speise vielleicht
+nur gekostet oder &ndash; der häufigste Fall &ndash; gänzlich
+unberührt war, mit einem Schwenken des Besens
+hinauszukehren. Das Aufräumen des Zimmers, das sie
+nun immer abends besorgte, konnte gar nicht mehr
+schneller getan sein. Schmutzstreifen zogen sich die
+Wände entlang, hie und da lagen Knäuel von Staub
+und Unrat. In der ersten Zeit stellte sich Gregor bei
+der Ankunft der Schwester in derartige besonders bezeichnende
+Winkel, um ihr durch diese Stellung gewissermaßen
+einen Vorwurf zu machen. Aber er hätte
+wohl wochenlang dort bleiben können, ohne daß sich
+die Schwester gebessert hätte; sie sah ja den Schmutz
+genau so wie er, aber sie hatte sich eben entschlossen,
+ihn zu lassen. Dabei wachte sie mit einer an ihr ganz
+neuen Empfindlichkeit, die überhaupt die ganze Familie
+ergriffen hatte, darüber, daß das Aufräumen von Gregors
+Zimmer ihr vorbehalten blieb. Einmal hatte die
+Mutter Gregors Zimmer einer großen Reinigung unterzogen,
+die ihr nur nach Verbrauch einiger Kübel
+Wasser gelungen war &ndash; die viele Feuchtigkeit kränkte
+allerdings Gregor auch und er lag breit, verbittert und
+unbeweglich auf dem Kanapee&nbsp;&ndash;, aber die Strafe
+blieb für die Mutter nicht aus. Denn kaum hatte am
+Abend die Schwester die Veränderung in Gregors
+Zimmer bemerkt, als sie, aufs höchste beleidigt, ins
+Wohnzimmer lief und, trotz der beschwörend erhobenen
+Hände der Mutter, in einen Weinkrampf ausbrach,
+dem die Eltern &ndash; der Vater war natürlich aus seinem
+Sessel aufgeschreckt worden &ndash; zuerst erstaunt und hilflos
+<a class="pagenum" name="Page_57" title="57"> </a>
+zusahen; bis auch sie sich zu rühren anfingen; der
+Vater rechts der Mutter Vorwürfe machte, daß sie
+Gregors Zimmer nicht der Schwester zur Reinigung
+überließ; links dagegen die Schwester anschrie, sie werde
+niemals mehr Gregors Zimmer reinigen dürfen; während
+die Mutter den Vater, der sich vor Erregung nicht
+mehr kannte, ins Schlafzimmer zu schleppen suchte;
+die Schwester, von Schluchzen geschüttelt, mit ihren
+kleinen Fäusten den Tisch bearbeitete; und Gregor
+laut vor Wut darüber zischte, daß es keinem einfiel,
+die Tür zu schließen und ihm diesen Anblick und
+Lärm zu ersparen.</p>
+
+<p>Aber selbst wenn die Schwester, erschöpft von ihrer
+Berufsarbeit, dessen überdrüssig geworden war, für
+Gregor, wie früher, zu sorgen, so hätte noch keineswegs
+die Mutter für sie eintreten müssen und Gregor
+hätte doch nicht vernachlässigt zu werden brauchen. Denn
+nun war die Bedienerin da. Diese alte Witwe, die in
+ihrem langen Leben mit Hilfe ihres starken Knochenbaues
+das Ärgste überstanden haben mochte, hatte
+keinen eigentlichen Abscheu vor Gregor. Ohne irgendwie
+neugierig zu sein, hatte sie zufällig einmal die
+Tür von Gregors Zimmer aufgemacht und war im
+Anblick Gregors, der, gänzlich überrascht, trotzdem
+ihn niemand jagte, hin- und herzulaufen begann, die
+Hände im Schoß gefaltet staunend stehen geblieben.
+Seitdem versäumte sie nicht, stets flüchtig morgens und
+abends die Tür ein wenig zu öffnen und zu Gregor
+hineinzuschauen. Anfangs rief sie ihn auch zu sich
+herbei, mit Worten, die sie wahrscheinlich für freundlich
+hielt, wie »Komm mal herüber, alter Mistkäfer!«
+oder »Seht mal den alten Mistkäfer!« Auf solche Ansprachen
+antwortete Gregor mit nichts, sondern blieb
+unbeweglich auf seinem Platz, als sei die Tür gar nicht
+<a class="pagenum" name="Page_58" title="58"> </a>
+geöffnet worden. Hätte man doch dieser Bedienerin,
+statt sie nach ihrer Laune ihn nutzlos stören zu lassen,
+lieber den Befehl gegeben, sein Zimmer täglich zu
+reinigen! Einmal am frühen Morgen &ndash; ein heftiger
+Regen, vielleicht schon ein Zeichen des kommenden
+Frühjahrs, schlug an die Scheiben &ndash; war Gregor, als
+die Bedienerin mit ihren Redensarten wieder begann,
+derartig erbittert, daß er, wie zum Angriff, allerdings
+langsam und hinfällig, sich gegen sie wendete. Die Bedienerin
+aber, statt sich zu fürchten, hob bloß einen
+in der Nähe der Tür befindlichen Stuhl hoch empor,
+und wie sie mit groß geöffnetem Munde dastand, war
+ihre Absicht klar, den Mund erst zu schließen, wenn
+der Sessel in ihrer Hand auf Gregors Rücken niederschlagen
+würde. »Also weiter geht es nicht?« fragte
+sie, als Gregor sich wieder umdrehte, und stellte den
+Sessel ruhig in die Ecke zurück.</p>
+
+<p>Gregor aß nun fast gar nichts mehr. Nur wenn er
+zufällig an der vorbereiteten Speise vorüberkam, nahm
+er zum Spiel einen Bissen in den Mund, hielt ihn
+dort stundenlang und spie ihn dann meist wieder aus.
+Zuerst dachte er, es sei die Trauer über den Zustand
+seines Zimmers, die ihn vom Essen abhalte, aber gerade
+mit den Veränderungen des Zimmers söhnte er
+sich sehr bald aus. Man hatte sich angewöhnt, Dinge,
+die man anderswo nicht unterbringen konnte, in dieses
+Zimmer hineinzustellen, und solcher Dinge gab es nun
+viele, da man ein Zimmer der Wohnung an drei Zimmerherren
+vermietet hatte. Diese ernsten Herren, &ndash; alle
+drei hatten Vollbärte, wie Gregor einmal durch eine
+Türspalte feststellte &ndash; waren peinlich auf Ordnung,
+nicht nur in ihrem Zimmer, sondern, da sie sich nun
+einmal hier eingemietet hatten, in der ganzen Wirtschaft,
+also insbesondere in der Küche, bedacht. Unnützen
+<a class="pagenum" name="Page_59" title="59"> </a>
+oder gar schmutzigen Kram ertrugen sie nicht.
+Überdies hatten sie zum größten Teil ihre eigenen Einrichtungsstücke
+mitgebracht. Aus diesem Grunde waren
+viele Dinge überflüssig geworden, die zwar nicht verkäuflich
+waren, die man aber auch nicht wegwerfen
+wollte. Alle diese wanderten in Gregors Zimmer.
+Ebenso auch die Aschenkiste und die Abfallkiste aus
+der Küche. Was nur im Augenblick unbrauchbar war,
+schleuderte die Bedienerin, die es immer sehr eilig hatte,
+einfach in Gregors Zimmer; Gregor sah glücklicherweise
+meist nur den betreffenden Gegenstand und die
+Hand, die ihn hielt. Die Bedienerin hatte vielleicht die
+Absicht, bei Zeit und Gelegenheit die Dinge wieder zu
+holen oder alle insgesamt mit einemmal hinauszuwerfen,
+tatsächlich aber blieben sie dort liegen, wohin sie durch
+den ersten Wurf gekommen waren, wenn nicht Gregor
+sich durch das Rumpelzeug wand und es in Bewegung
+brachte, zuerst gezwungen, weil kein sonstiger Platz
+zum Kriechen frei war, später aber mit wachsendem
+Vergnügen, obwohl er nach solchen Wanderungen,
+zum Sterben müde und traurig, wieder stundenlang
+sich nicht rührte.</p>
+
+<p>Da die Zimmerherren manchmal auch ihr Abendessen
+zu Hause im gemeinsamen Wohnzimmer einnahmen,
+blieb die Wohnzimmertür an manchen Abenden geschlossen,
+aber Gregor verzichtete ganz leicht auf das
+Öffnen der Tür, hatte er doch schon manche Abende,
+an denen sie geöffnet war, nicht ausgenützt, sondern
+war, ohne daß es die Familie merkte, im dunkelsten
+Winkel seines Zimmers gelegen. Einmal aber hatte
+die Bedienerin die Tür zum Wohnzimmer ein wenig
+offen gelassen, und sie blieb so offen, auch als die
+Zimmerherren am Abend eintraten und Licht gemacht
+wurde. Sie setzten sich oben an den Tisch, wo in
+<a class="pagenum" name="Page_60" title="60"> </a>
+früheren Zeiten der Vater, die Mutter und Gregor gesessen
+hatten, entfalteten die Servietten und nahmen
+Messer und Gabel in die Hand. Sofort erschien in
+der Tür die Mutter mit einer Schüssel Fleisch und
+knapp hinter ihr die Schwester mit einer Schüssel hochgeschichteter
+Kartoffeln. Das Essen dampfte mit starkem
+Rauch. Die Zimmerherren beugten sich über die vor
+sie hingestellten Schüsseln, als wollten sie sie vor dem
+Essen prüfen, und tatsächlich zerschnitt der, welcher in
+der Mitte saß und den anderen zwei als Autorität zu
+gelten schien, ein Stück Fleisch noch auf der Schüssel,
+offenbar um festzustellen, ob es mürbe genug sei und
+ob es nicht etwa in die Küche zurückgeschickt werden
+solle. Er war befriedigt, und Mutter und Schwester, die
+gespannt zugesehen hatten, begannen aufatmend zu
+lächeln.</p>
+
+<p>Die Familie selbst aß in der Küche. Trotzdem kam
+der Vater, ehe er in die Küche ging, in dieses Zimmer
+herein und machte mit einer einzigen Verbeugung, die
+Kappe in der Hand, einen Rundgang um den Tisch.
+Die Zimmerherren erhoben sich sämtlich und murmelten
+etwas in ihre Bärte. Als sie dann allein waren, aßen
+sie fast unter vollkommenem Stillschweigen. Sonderbar
+schien es Gregor, daß man aus allen mannigfachen Geräuschen
+des Essens immer wieder ihre kauenden Zähne
+heraushörte, als ob damit Gregor gezeigt werden sollte,
+daß man Zähne brauche, um zu essen, und daß man
+auch mit den schönsten zahnlosen Kiefern nichts ausrichten
+könne. »Ich habe ja Appetit,« sagte sich Gregor
+sorgenvoll, »aber nicht auf diese Dinge. Wie sich diese
+Zimmerherren nähren, und ich komme um!«</p>
+
+<p>Gerade an diesem Abend &ndash; Gregor erinnerte sich
+nicht, während der ganzen Zeit die Violine gehört zu
+haben &ndash; ertönte sie von der Küche her. Die Zimmerherren
+<a class="pagenum" name="Page_61" title="61"> </a>
+hatten schon ihr Nachtmahl beendet, der mittlere
+hatte eine Zeitung hervorgezogen, den zwei anderen
+je ein Blatt gegeben, und nun lasen sie zurückgelehnt
+und rauchten. Als die Violine zu spielen begann, wurden
+sie aufmerksam, erhoben sich und gingen auf den
+Fußspitzen zur Vorzimmertür, in der sie aneinandergedrängt
+stehen blieben. Man mußte sie von der
+Küche aus gehört haben, denn der Vater rief: »Ist
+den Herren das Spiel vielleicht unangenehm? Es kann
+sofort eingestellt werden.« »Im Gegenteil,« sagte der
+mittlere der Herren, »möchte das Fräulein nicht zu uns
+hereinkommen und hier im Zimmer spielen, wo es doch
+viel bequemer und gemütlicher ist?« »O bitte,« rief
+der Vater, als sei er der Violinspieler. Die Herren
+traten ins Zimmer zurück und warteten. Bald kam
+der Vater mit dem Notenpult, die Mutter mit den
+Noten und die Schwester mit der Violine. Die Schwester
+bereitete alles ruhig zum Spiele vor; die Eltern, die
+niemals früher Zimmer vermietet hatten und deshalb
+die Höflichkeit gegen die Zimmerherren übertrieben,
+wagten gar nicht, sich auf ihre eigenen Sessel zu setzen;
+der Vater lehnte an der Tür, die rechte Hand zwischen
+zwei Knöpfe des geschlossenen Livreerockes gesteckt;
+die Mutter aber erhielt von einem Herrn einen Sessel
+angeboten und saß, da sie den Sessel dort ließ, wohin
+ihn der Herr zufällig gestellt hatte, abseits in einem
+Winkel.</p>
+
+<p>Die Schwester begann zu spielen; Vater und Mutter
+verfolgten, jeder von seiner Seite, aufmerksam die
+Bewegungen ihrer Hände. Gregor hatte, von dem
+Spiele angezogen, sich ein wenig weiter vorgewagt und
+war schon mit dem Kopf im Wohnzimmer. Er wunderte
+sich kaum darüber, daß er in letzter Zeit so
+wenig Rücksicht auf die andern nahm; früher war
+<a class="pagenum" name="Page_62" title="62"> </a>
+diese Rücksichtnahme sein Stolz gewesen. Und dabei
+hätte er gerade jetzt mehr Grund gehabt, sich zu verstecken,
+denn infolge des Staubes, der in seinem
+Zimmer überall lag und bei der kleinsten Bewegung
+umherflog, war auch er ganz staubbedeckt; Fäden,
+Haare, Speiseüberreste schleppte er auf seinem Rücken
+und an den Seiten mit sich herum; seine Gleichgültigkeit
+gegen alles war viel zu groß, als daß er sich, wie
+früher mehrmals während des Tages, auf den Rücken
+gelegt und am Teppich gescheuert hätte. Und trotz
+dieses Zustandes hatte er keine Scheu, ein Stück auf
+dem makellosen Fußboden des Wohnzimmers vorzurücken.</p>
+
+<p>Allerdings achtete auch niemand auf ihn. Die Familie
+war gänzlich vom Violinspiel in Anspruch genommen;
+die Zimmerherren dagegen, die zunächst, die Hände
+in den Hosentaschen, viel zu nahe hinter dem Notenpult
+der Schwester sich aufgestellt hatten, so daß sie
+alle in die Noten hätte sehen können, was sicher die
+Schwester stören mußte, zogen sich bald unter halblauten
+Gesprächen mit gesenkten Köpfen zum Fenster
+zurück, wo sie, vom Vater besorgt beobachtet, auch
+blieben. Es hatte nun wirklich den überdeutlichen Anschein,
+als wären sie in ihrer Annahme, ein schönes
+oder unterhaltendes Violinspiel zu hören, enttäuscht,
+hätten die ganze Vorführung satt und ließen sich nur
+aus Höflichkeit noch in ihrer Ruhe stören. Besonders
+die Art, wie sie alle aus Nase und Mund den Rauch
+ihrer Zigarren in die Höhe bliesen, ließ auf große
+Nervosität schließen. Und doch spielte die Schwester
+so schön. Ihr Gesicht war zur Seite geneigt, prüfend
+und traurig folgten ihre Blicke den Notenzeilen. Gregor
+kroch noch ein Stück vorwärts und hielt den Kopf
+eng an den Boden, um möglicherweise ihren Blicken
+<a class="pagenum" name="Page_63" title="63"> </a>
+begegnen zu können. War er ein Tier, da ihn Musik
+so ergriff? Ihm war, als zeige sich ihm der Weg zu
+der ersehnten unbekannten Nahrung. Er war entschlossen,
+bis zur Schwester vorzudringen, sie am Rock
+zu zupfen und ihr dadurch anzudeuten, sie möge doch
+mit ihrer Violine in sein Zimmer kommen, denn niemand
+lohnte hier das Spiel so, wie er es lohnen
+wollte. Er wollte sie nicht mehr aus seinem Zimmer
+lassen, wenigstens nicht, solange er lebte; seine Schreckgestalt
+sollte ihm zum erstenmal nützlich werden; an
+allen Türen seines Zimmers wollte er gleichzeitig sein
+und den Angreifern entgegenfauchen; die Schwester
+aber sollte nicht gezwungen, sondern freiwillig bei ihm
+bleiben; sie sollte neben ihm auf dem Kanapee sitzen,
+das Ohr zu ihm herunterneigen, und er wollte ihr dann
+anvertrauen, daß er die feste Absicht gehabt habe, sie
+auf das Konservatorium zu schicken, und daß er dies,
+wenn nicht das Unglück dazwischen gekommen wäre,
+vergangene Weihnachten &ndash; Weihnachten war doch wohl
+schon vorüber? &ndash; allen gesagt hätte, ohne sich um
+irgendwelche Widerreden zu kümmern. Nach dieser
+Erklärung würde die Schwester in Tränen der Rührung
+ausbrechen, und Gregor würde sich bis zu ihrer Achsel
+erheben und ihren Hals küssen, den sie, seitdem sie
+ins Geschäft ging, frei ohne Band oder Kragen trug.</p>
+
+<p>»Herr Samsa!« rief der mittlere Herr dem Vater zu
+und zeigte, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, mit
+dem Zeigefinger auf den langsam sich vorwärtsbewegenden
+Gregor. Die Violine verstummte, der mittlere
+Zimmerherr lächelte erst einmal kopfschüttelnd seinen
+Freunden zu und sah dann wieder auf Gregor hin.
+Der Vater schien es für nötiger zu halten, statt Gregor
+zu vertreiben, vorerst die Zimmerherren zu beruhigen,
+trotzdem diese gar nicht aufgeregt waren und
+<a class="pagenum" name="Page_64" title="64"> </a>
+Gregor sie mehr als das Violinspiel zu unterhalten
+schien. Er eilte zu ihnen und suchte sie mit ausgebreiteten
+Armen in ihr Zimmer zu drängen und gleichzeitig
+mit seinem Körper ihnen den Ausblick auf Gregor zu
+nehmen. Sie wurden nun tatsächlich ein wenig böse,
+man wußte nicht mehr, ob über das Benehmen des
+Vaters oder über die ihnen jetzt aufgehende Erkenntnis,
+ohne es zu wissen, einen solchen Zimmernachbar
+wie Gregor besessen zu haben. Sie verlangten vom
+Vater Erklärungen, hoben ihrerseits die Arme, zupften
+unruhig an ihren Bärten und wichen nur langsam gegen
+ihr Zimmer zurück. Inzwischen hatte die Schwester die
+Verlorenheit, in die sie nach dem plötzlich abgebrochenen
+Spiel verfallen war, überwunden, hatte sich, nachdem
+sie eine Zeitlang in den lässig hängenden Händen
+Violine und Bogen gehalten und weiter, als spiele sie
+noch, in die Noten gesehen hatte, mit einem Male
+aufgerafft, hatte das Instrument auf den Schoß der
+Mutter gelegt, die in Atembeschwerden mit heftig
+arbeitenden Lungen noch auf ihrem Sessel saß, und war
+in das Nebenzimmer gelaufen, dem sich die Zimmerherren
+unter dem Drängen des Vaters schon schneller
+näherten. Man sah, wie unter den geübten Händen
+der Schwester die Decken und Polster in den Betten
+in die Höhe flogen und sich ordneten. Noch ehe die
+Herren das Zimmer erreicht hatten, war sie mit dem
+Aufbetten fertig und schlüpfte heraus. Der Vater schien
+wieder von seinem Eigensinn derartig ergriffen, daß er
+jeden Respekt vergaß, den er seinen Mietern immerhin
+schuldete. Er drängte nur und drängte, bis schon in
+der Tür des Zimmers der mittlere der Herren donnernd
+mit dem Fuß aufstampfte und dadurch den Vater zum
+Stehen brachte. »Ich erkläre hiermit,« sagte er, hob die
+Hand und suchte mit den Blicken auch die Mutter und
+<a class="pagenum" name="Page_65" title="65"> </a>
+die Schwester, »daß ich mit Rücksicht auf die in dieser
+Wohnung und Familie herrschenden widerlichen Verhältnisse«
+&ndash; hierbei spie er kurz entschlossen auf den
+Boden &ndash; »mein Zimmer augenblicklich kündige. Ich
+werde natürlich auch für die Tage, die ich hier gewohnt
+habe, nicht das Geringste bezahlen, dagegen werde
+ich es mir noch überlegen, ob ich nicht mit irgendwelchen
+&ndash; glauben Sie mir &ndash; sehr leicht zu begründenden
+Forderungen gegen Sie auftreten werde.« Er schwieg
+und sah gerade vor sich hin, als erwarte er etwas.
+Tatsächlich fielen sofort seine zwei Freunde mit den
+Worten ein: »Auch wir kündigen augenblicklich.« Darauf
+faßte er die Türklinke und schloß mit einem Krach
+die Tür.</p>
+
+<p>Der Vater wankte mit tastenden Händen zu seinem
+Sessel und ließ sich hineinfallen; es sah aus, als
+strecke er sich zu seinem gewöhnlichen Abendschläfchen,
+aber das starke Nicken seines wie haltlosen Kopfes
+zeigte, daß er ganz und gar nicht schlief. Gregor war
+die ganze Zeit still auf dem Platz gelegen, auf dem ihn
+die Zimmerherren ertappt hatten. Die Enttäuschung
+über das Mißlingen seines Planes, vielleicht aber auch
+die durch das viele Hungern verursachte Schwäche
+machten es ihm unmöglich, sich zu bewegen. Er fürchtete
+mit einer gewissen Bestimmtheit schon für den nächsten
+Augenblick einen allgemeinen über ihn sich entladenden
+Zusammensturz und wartete. Nicht einmal die
+Violine schreckte ihn auf, die, unter den zitternden
+Fingern der Mutter hervor, ihr vom Schoße fiel und
+einen hallenden Ton von sich gab.</p>
+
+<p>»Liebe Eltern,« sagte die Schwester und schlug zur
+Einleitung mit der Hand auf den Tisch, »so geht es
+nicht weiter. Wenn ihr das vielleicht nicht einsehet,
+ich sehe es ein. Ich will vor diesem Untier nicht den
+<a class="pagenum" name="Page_66" title="66"> </a>
+Namen meines Bruders aussprechen und sage daher
+bloß: wir müssen versuchen es loszuwerden. Wir haben
+das Menschenmögliche versucht, es zu pflegen und zu
+dulden, ich glaube, es kann uns niemand den geringsten
+Vorwurf machen.«</p>
+
+<p>»Sie hat tausendmal recht,« sagte der Vater für
+sich. Die Mutter, die noch immer nicht genug Atem
+finden konnte, fing mit einem irrsinnigen Ausdruck
+der Augen dumpf in die vorgehaltene Hand zu
+husten an.</p>
+
+<p>Die Schwester eilte zur Mutter und hielt ihr die
+Stirn. Der Vater schien durch die Worte der Schwester
+auf bestimmtere Gedanken gebracht zu sein, hatte sich
+aufrecht gesetzt, spielte mit seiner Dienermütze zwischen
+den Tellern, die noch vom Nachtmahl der Zimmerherren
+her auf dem Tische standen, und sah bisweilen auf den
+stillen Gregor hin.</p>
+
+<p>»Wir müssen es loszuwerden suchen,« sagte die
+Schwester nun ausschließlich zum Vater, denn die
+Mutter hörte in ihrem Husten nichts, »es bringt euch
+noch beide um, ich sehe es kommen. Wenn man schon
+so schwer arbeiten muß, wie wir alle, kann man nicht
+noch zu Hause diese ewige Quälerei ertragen. Ich kann
+es auch nicht mehr.« Und sie brach so heftig in Weinen
+aus, daß ihre Tränen auf das Gesicht der Mutter niederflossen,
+von dem sie sie mit mechanischen Handbewegungen
+wischte.</p>
+
+<p>»Kind,« sagte der Vater mitleidig und mit auffallendem
+Verständnis, »was sollen wir aber tun?«</p>
+
+<p>Die Schwester zuckte nur die Achseln zum Zeichen
+der Ratlosigkeit, die sie nun während des Weinens im
+Gegensatz zu ihrer früheren Sicherheit ergriffen hatte.</p>
+
+<p>»Wenn er uns verstünde,« sagte der Vater halb
+fragend; die Schwester schüttelte aus dem Weinen
+<a class="pagenum" name="Page_67" title="67"> </a>
+heraus heftig die Hand zum Zeichen, daß daran nicht
+zu denken sei.</p>
+
+<p>»Wenn er uns verstünde,« wiederholte der Vater
+und nahm durch Schließen der Augen die Überzeugung
+der Schwester von der Unmöglichkeit dessen in sich
+auf, »dann wäre vielleicht ein Übereinkommen mit ihm
+möglich. Aber so&nbsp;&ndash;«</p>
+
+<p>»Weg muß es,« rief die Schwester, »das ist das
+einzige Mittel, Vater. Du mußt bloß den Gedanken
+loszuwerden suchen, daß es Gregor ist. Daß wir es
+so lange geglaubt haben, das ist ja unser eigentliches
+Unglück. Aber wie kann es denn Gregor sein? Wenn
+es Gregor wäre, er hätte längst eingesehen, daß ein
+Zusammenleben von Menschen mit einem solchen Tier
+nicht möglich ist, und wäre freiwillig fortgegangen.
+Wir hätten dann keinen Bruder, aber könnten weiter
+leben und sein Andenken in Ehren halten. So aber
+verfolgt uns dieses Tier, vertreibt die Zimmerherren,
+will offenbar die ganze Wohnung einnehmen und uns
+auf der Gasse übernachten lassen. Sieh nur, Vater,«
+schrie sie plötzlich auf, »er fängt schon wieder an!«
+Und in einem für Gregor gänzlich unverständlichen
+Schrecken verließ die Schwester sogar die Mutter, stieß
+sich förmlich von ihrem Sessel ab, als wollte sie lieber
+die Mutter opfern, als in Gregors Nähe bleiben,
+und eilte hinter den Vater, der, lediglich durch ihr
+Benehmen erregt, auch aufstand und die Arme wie
+zum Schutze der Schwester vor ihr halb erhob.</p>
+
+<p>Aber Gregor fiel es doch gar nicht ein, irgend jemandem
+und gar seiner Schwester Angst machen zu
+wollen. Er hatte bloß angefangen sich umzudrehen, um
+in sein Zimmer zurückzuwandern, und das nahm sich
+allerdings auffallend aus, da er infolge seines leidenden
+Zustandes bei den schwierigen Umdrehungen mit
+<a class="pagenum" name="Page_68" title="68"> </a>
+seinem Kopfe nachhelfen mußte, den er hierbei viele
+Male hob und gegen den Boden schlug. Er hielt inne
+und sah sich um. Seine gute Absicht schien erkannt
+worden zu sein; es war nur ein augenblicklicher
+Schrecken gewesen. Nun sahen ihn alle schweigend
+und traurig an. Die Mutter lag, die Beine ausgestreckt
+und aneinandergedrückt, in ihrem Sessel, die Augen
+fielen ihr vor Ermattung fast zu; der Vater und die
+Schwester saßen nebeneinander, die Schwester hatte
+ihre Hand um des Vaters Hals gelegt.</p>
+
+<p>»Nun darf ich mich schon vielleicht umdrehen,« dachte
+Gregor und begann seine Arbeit wieder. Er konnte
+das Schnaufen der Anstrengung nicht unterdrücken und
+mußte auch hie und da ausruhen. Im übrigen drängte
+ihn auch niemand, es war alles ihm selbst überlassen.
+Als er die Umdrehung vollendet hatte, fing er sofort
+an, geradeaus zurückzuwandern. Er staunte über die
+große Entfernung, die ihn von seinem Zimmer trennte,
+und begriff gar nicht, wie er bei seiner Schwäche vor
+kurzer Zeit den gleichen Weg, fast ohne es zu merken,
+zurückgelegt hatte. Immerfort nur auf rasches Kriechen
+bedacht, achtete er kaum darauf, daß kein Wort, kein
+Ausruf seiner Familie ihn störte. Erst als er schon
+in der Tür war, wendete er den Kopf, nicht, vollständig,
+denn er fühlte den Hals steif werden, immerhin
+sah er noch, daß sich hinter ihm nichts verändert
+hatte, nur die Schwester war aufgestanden. Sein
+letzter Blick streifte die Mutter, die nun völlig eingeschlafen
+war.</p>
+
+<p>Kaum war er innerhalb seines Zimmers, wurde die
+Tür eiligst zugedrückt, festgeriegelt und versperrt. Über
+den plötzlichen Lärm hinter sich erschrak Gregor so,
+daß ihm die Beinchen einknickten. Es war die Schwester,
+die sich so beeilt hatte. Aufrecht war sie schon da gestanden
+<a class="pagenum" name="Page_69" title="69"> </a>
+und hatte gewartet, leichtfüßig war sie dann
+vorwärtsgesprungen, Gregor hatte sie gar nicht kommen
+hören, und ein »Endlich!« rief sie den Eltern zu,
+während sie den Schlüssel im Schloß umdrehte.</p>
+
+<p>»Und jetzt?« fragte sich Gregor und sah sich im
+Dunkeln um. Er machte bald die Entdeckung, daß
+er sich nun überhaupt nicht mehr rühren konnte. Er
+wunderte sich darüber nicht, eher kam es ihm unnatürlich
+vor, daß er sich bis jetzt tatsächlich mit diesen
+dünnen Beinchen hatte fortbewegen können. Im übrigen
+fühlte er sich verhältnismäßig behaglich. Er hatte zwar
+Schmerzen im ganzen Leib, aber ihm war, als würden
+sie allmählich schwächer und schwächer und würden
+schließlich ganz vergehen. Den verfaulten Apfel in seinem
+Rücken und die entzündete Umgebung, die ganz von
+weichem Staub bedeckt war, spürte er schon kaum.
+An seine Familie dachte er mit Rührung und Liebe
+zurück. Seine Meinung darüber, daß er verschwinden
+müsse, war womöglich noch entschiedener, als die seiner
+Schwester. In diesem Zustand leeren und friedlichen
+Nachdenkens blieb er, bis die Turmuhr die dritte Morgenstunde
+schlug. Den Anfang des allgemeinen Hellerwerdens
+draußen vor dem Fenster erlebte er noch.
+Dann sank sein Kopf ohne seinen Willen gänzlich nieder,
+und aus seinen Nüstern strömte sein letzter Atem
+schwach hervor.</p>
+
+<p>Als am frühen Morgen die Bedienerin kam &ndash; vor
+lauter Kraft und Eile schlug sie, wie oft man sie auch
+schon gebeten hatte, das zu vermeiden, alle Türen derartig
+zu, daß in der ganzen Wohnung von ihrem
+Kommen an kein ruhiger Schlaf mehr möglich war&nbsp;&ndash;,
+fand sie bei ihrem gewöhnlichen kurzen Besuch bei
+Gregor zuerst nichts Besonderes. Sie dachte, er liege
+absichtlich so unbeweglich da und spiele den Beleidigten;
+<a class="pagenum" name="Page_70" title="70"> </a>
+sie traute ihm allen möglichen Verstand zu. Weil sie
+zufällig den langen Besen in der Hand hielt, suchte
+sie mit ihm Gregor von der Tür aus zu kitzeln. Als
+sich auch da kein Erfolg zeigte, wurde sie ärgerlich
+und stieß ein wenig in Gregor hinein, und erst als sie
+ihn ohne jeden Widerstand von seinem Platze geschoben
+hatte, wurde sie aufmerksam. Als sie bald
+den wahren Sachverhalt erkannte, machte sie große
+Augen, pfiff vor sich hin, hielt sich aber nicht lange
+auf, sondern riß die Tür des Schlafzimmers auf und
+rief mit lauter Stimme in das Dunkel hinein: »Sehen Sie
+nur mal an, es ist krepiert; da liegt es, ganz und gar
+krepiert!«</p>
+
+<p>Das Ehepaar Samsa saß im Ehebett aufrecht da
+und hatte zu tun, den Schrecken über die Bedienerin
+zu verwinden, ehe es dazu kam, ihre Meldung aufzufassen.
+Dann aber stiegen Herr und Frau Samsa,
+jeder auf seiner Seite, eiligst aus dem Bett, Herr
+Samsa warf die Decke über seine Schultern, Frau Samsa
+kam nur im Nachthemd hervor; so traten sie in Gregors
+Zimmer. Inzwischen hatte sich auch die Tür des
+Wohnzimmers geöffnet, in dem Grete seit dem Einzug
+der Zimmerherren schlief; sie war völlig angezogen,
+als hätte sie gar nicht geschlafen, auch ihr bleiches Gesicht
+schien das zu beweisen. »Tot?« sagte Frau Samsa
+und sah fragend zur Bedienerin auf, trotzdem sie doch
+alles selbst prüfen und sogar ohne Prüfung erkennen
+konnte. »Das will ich meinen,« sagte die Bedienerin
+und stieß zum Beweis Gregors Leiche mit dem Besen
+noch ein großes Stück seitwärts. Frau Samsa machte
+eine Bewegung, als wolle sie den Besen zurückhalten,
+tat es aber nicht. »Nun,« sagte Herr Samsa, »jetzt
+können wir Gott danken.« Er bekreuzte sich, und
+die drei Frauen folgten seinem Beispiel. Grete, die
+<a class="pagenum" name="Page_71" title="71"> </a>
+kein Auge von der Leiche wendete, sagte: »Seht nur,
+wie mager er war. Er hat ja auch schon so lange Zeit
+nichts gegessen. So wie die Speisen hereinkamen, sind
+sie wieder hinausgekommen.« Tatsächlich war Gregors
+Körper vollständig flach und trocken, man erkannte
+das eigentlich erst jetzt, da er nicht mehr von den
+Beinchen gehoben war und auch sonst nichts den Blick
+ablenkte.</p>
+
+<p>»Komm, Grete, auf ein Weilchen zu uns herein,«
+sagte Frau Samsa mit einem wehmütigen Lächeln, und
+Grete ging, nicht ohne nach der Leiche zurückzusehen,
+hinter den Eltern in das Schlafzimmer. Die Bedienerin
+schloß die Tür und öffnete gänzlich das Fenster. Trotz
+des frühen Morgens war der frischen Luft schon etwas
+Lauigkeit beigemischt. Es war eben schon Ende März.</p>
+
+<p>Aus ihrem Zimmer traten die drei Zimmerherren
+und sahen sich erstaunt nach ihrem Frühstück um; man
+hatte sie vergessen. »Wo ist das Frühstück?« fragte
+der mittlere der Herren mürrisch die Bedienerin. Diese
+aber legte den Finger an den Mund und winkte dann
+hastig und schweigend den Herren zu, sie möchten in
+Gregors Zimmer kommen. Sie kamen auch und standen
+dann, die Hände in den Taschen ihrer etwas abgenützten
+Röckchen, in dem nun schon ganz hellen
+Zimmer um Gregors Leiche herum.</p>
+
+<p>Da öffnete sich die Tür des Schlafzimmers, und
+Herr Samsa erschien in seiner Livree, an einem Arm
+seine Frau, am anderen seine Tochter. Alle waren ein
+wenig verweint; Grete drückte bisweilen ihr Gesicht
+an den Arm des Vaters.</p>
+
+<p>»Verlassen Sie sofort meine Wohnung!« sagte Herr
+Samsa und zeigte auf die Tür, ohne die Frauen von
+sich zu lassen. »Wie meinen Sie das?« sagte der
+mittlere der Herren etwas bestürzt und lächelte süßlich.
+<a class="pagenum" name="Page_72" title="72"> </a>
+Die zwei anderen hielten die Hände auf dem Rücken
+und rieben sie ununterbrochen aneinander, wie in
+freudiger Erwartung eines großen Streites, der aber
+für sie günstig ausfallen mußte. »Ich meine es genau
+so, wie ich es sage,« antwortete Herr Samsa und ging
+in einer Linie mit seinen zwei Begleiterinnen auf den
+Zimmerherrn zu. Dieser stand zuerst still da und sah
+zu Boden, als ob sich die Dinge in seinem Kopf zu
+einer neuen Ordnung zusammenstellten. »Dann gehen
+wir also,« sagte er dann und sah zu Herrn Samsa
+auf, als verlange er in einer plötzlich ihn überkommenden
+Demut sogar für diesen Entschluß eine neue Genehmigung.
+Herr Samsa nickte ihm bloß mehrmals kurz
+mit großen Augen zu. Daraufhin ging der Herr tatsächlich
+sofort mit langen Schritten ins Vorzimmer;
+seine beiden Freunde hatten schon ein Weilchen lang
+mit ganz ruhigen Händen aufgehorcht und hüpften ihm
+jetzt geradezu nach, wie in Angst, Herr Samsa könnte
+vor ihnen ins Vorzimmer eintreten und die Verbindung
+mit ihrem Führer stören. Im Vorzimmer nahmen
+alle drei die Hüte vom Kleiderrechen, zogen ihre Stöcke
+aus dem Stockbehälter, verbeugten sich stumm und
+verließen die Wohnung. In einem, wie sich zeigte,
+gänzlich unbegründeten Mißtrauen trat Herr Samsa
+mit den zwei Frauen auf den Vorplatz hinaus; an das
+Geländer gelehnt, sahen sie zu, wie die drei Herren
+zwar langsam, aber ständig die lange Treppe hinunterstiegen,
+in jedem Stockwerk in einer bestimmten Biegung
+des Treppenhauses verschwanden und nach ein
+paar Augenblicken wieder hervorkamen; je tiefer sie
+gelangten, desto mehr verlor sich das Interesse der
+Familie Samsa für sie, und als ihnen entgegen und
+dann hoch über sie hinweg ein Fleischergeselle mit der
+Trage auf dem Kopf in stolzer Haltung heraufstieg,
+<a class="pagenum" name="Page_73" title="73"> </a>
+verließ bald Herr Samsa mit den Frauen das Geländer,
+und alle kehrten, wie erleichtert, in ihre Wohnung
+zurück.</p>
+
+<p>Sie beschlossen, den heutigen Tag zum Ausruhen
+und Spazierengehen zu verwenden; sie hatten diese
+Arbeitsunterbrechung nicht nur verdient, sie brauchten
+sie sogar unbedingt. Und so setzten sie sich zum Tisch
+und schrieben drei Entschuldigungsbriefe, Herr Samsa
+an seine Direktion, Frau Samsa an ihren Auftraggeber,
+und Grete an ihren Prinzipal. Während des Schreibens
+kam die Bedienerin herein, um zu sagen, daß sie fortgehe,
+denn ihre Morgenarbeit war beendet. Die drei
+Schreibenden nickten zuerst bloß, ohne aufzuschauen,
+erst als die Bedienerin sich immer noch nicht entfernen
+wollte, sah man ärgerlich auf. »Nun?« fragte Herr
+Samsa. Die Bedienerin stand lächelnd in der Tür, als
+habe sie der Familie ein großes Glück zu melden, werde
+es aber nur dann tun, wenn sie gründlich ausgefragt
+werde. Die fast aufrechte kleine Straußfeder auf ihrem
+Hut, über die sich Herr Samsa schon während ihrer
+ganzen Dienstzeit ärgerte, schwankte leicht nach allen
+Richtungen. »Also was wollen Sie eigentlich?« fragte
+Frau Samsa, vor welcher die Bedienerin noch am meisten
+Respekt hatte. »Ja,« antwortete die Bedienerin und
+konnte vor freundlichem Lachen nicht gleich weiter
+reden, »also darüber, wie das Zeug von nebenan weggeschafft
+werden soll, müssen Sie sich keine Sorge
+machen. Es ist schon in Ordnung.« Frau Samsa und
+Grete beugten sich zu ihren Briefen nieder, als wollten
+sie weiterschreiben; Herr Samsa, welcher merkte, daß
+die Bedienerin nun alles ausführlich zu beschreiben
+anfangen wollte, wehrte dies mit ausgestreckter Hand
+entschieden ab. Da sie aber nicht erzählen durfte, erinnerte
+sie sich an die große Eile, die sie hatte, rief
+<a class="pagenum" name="Page_74" title="74"> </a>
+offenbar beleidigt: »Adjes allseits,« drehte sich wild um
+und verließ unter fürchterlichem Türezuschlagen die
+Wohnung.</p>
+
+<p>»Abends wird sie entlassen,« sagte Herr Samsa, bekam
+aber weder von seiner Frau noch von seiner
+Tochter eine Antwort, denn die Bedienerin schien
+ihre kaum gewonnene Ruhe wieder gestört zu haben.
+Sie erhoben sich, gingen zum Fenster und blieben
+dort, sich umschlungen haltend. Herr Samsa drehte
+sich in seinem Sessel nach ihnen um und beobachtete
+sie still ein Weilchen. Dann rief er: »Also kommt doch
+her. Laßt schon endlich die alten Sachen. Und nehmt
+auch ein wenig Rücksicht auf mich.« Gleich folgten ihm
+die Frauen, eilten zu ihm, liebkosten ihn und beendeten
+rasch ihre Briefe.</p>
+
+<p class="page-break-after">Dann verließen alle drei gemeinschaftlich die Wohnung,
+was sie schon seit Monaten nicht getan hatten,
+und fuhren mit der Elektrischen ins Freie vor die Stadt.
+Der Wagen, in dem sie allein saßen, war ganz von
+warmer Sonne durchschienen. Sie besprachen, bequem
+auf ihren Sitzen zurückgelehnt, die Aussichten für die
+Zukunft, und es fand sich, daß diese bei näherer Betrachtung
+durchaus nicht schlecht waren, denn aller drei
+Anstellungen waren, worüber sie einander eigentlich
+noch gar nicht ausgefragt hatten, überaus günstig und
+besonders für später vielversprechend. Die größte
+augenblickliche Besserung der Lage mußte sich natürlich
+leicht durch einen Wohnungswechsel ergeben; sie
+wollten nun eine kleinere und billigere, aber besser
+gelegene und überhaupt praktischere Wohnung nehmen,
+als es die jetzige, noch von Gregor ausgesuchte war.
+Während sie sich so unterhielten, fiel es Herrn und
+Frau Samsa im Anblick ihrer immer lebhafter werdenden
+Tochter fast gleichzeitig ein, wie sie in der letzten
+<a class="pagenum" name="Page_75" title="75"> </a>
+Zeit trotz aller Pflege, die ihre Wangen bleich gemacht
+hatte, zu einem schönen und üppigen Mädchen aufgeblüht
+war. Stiller werdend und fast unbewußt durch
+Blicke sich verständigend, dachten sie daran, daß es
+nun Zeit sein werde, auch einen braven Mann für sie
+zu suchen. Und es war ihnen wie eine Bestätigung
+ihrer neuen Träume und guten Absichten, als am
+Ziele ihrer Fahrt die Tochter als erste sich erhob und
+ihren jungen Körper dehnte.</p>
+
+
+
+
+
+
+
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Die Verwandlung, by Franz Kafka
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE VERWANDLUNG ***
+
+***** This file should be named 22367-h.htm or 22367-h.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ http://www.gutenberg.org/2/2/3/6/22367/
+
+Produced by Jana Srna, Alexander Bauer and the Online
+Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
+
+Updated editions will replace the previous one--the old editions
+will be renamed.
+
+Creating the works from public domain print editions means that no
+one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
+permission and without paying copyright royalties. Special rules,
+set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
+copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
+protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project
+Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
+charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you
+do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
+rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose
+such as creation of derivative works, reports, performances and
+research. They may be modified and printed and given away--you may do
+practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
+subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
+
+
+
+*** START: FULL LICENSE ***
+
+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
+PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
+
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+distribution of electronic works, by using or distributing this work
+(or any other work associated in any way with the phrase "Project
+Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
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+Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
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+entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.
+
+1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
+used on or associated in any way with an electronic work by people who
+agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
+located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
+copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
+works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
+are removed. Of course, we hope that you will support the Project
+Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
+freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
+this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
+the work. You can easily comply with the terms of this agreement by
+keeping this work in the same format with its attached full Project
+Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.
+
+1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
+what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in
+a constant state of change. If you are outside the United States, check
+the laws of your country in addition to the terms of this agreement
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+States.
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+Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
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+work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
+through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
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+1.E.9.
+
+1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
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+must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
+terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked
+to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
+permission of the copyright holder found at the beginning of this work.
+
+1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
+License terms from this work, or any files containing a part of this
+work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
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+1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
+electronic work, or any part of this electronic work, without
+prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
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+Gutenberg-tm License.
+
+1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
+compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
+word processing or hypertext form. However, if you provide access to or
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+"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
+posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
+you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
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+ has agreed to donate royalties under this paragraph to the
+ Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments
+ must be paid within 60 days following each date on which you
+ prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
+ returns. Royalty payments should be clearly marked as such and
+ sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
+ address specified in Section 4, "Information about donations to
+ the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
+
+- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
+ you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
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+- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
+ money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days
+ of receipt of the work.
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+- You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg-tm works.
+
+1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
+electronic work or group of works on different terms than are set
+forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
+both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
+Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the
+Foundation as set forth in Section 3 below.
+
+1.F.
+
+1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
+effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
+public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
+collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
+works, and the medium on which they may be stored, may contain
+"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
+corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
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+of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
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+PROVIDED IN PARAGRAPH F3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
+TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
+LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
+INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
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+
+1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
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+1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
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+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
+If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
+law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
+interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
+the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
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+1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
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+with this agreement, and any volunteers associated with the production,
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+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at http://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit http://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations.
+To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ http://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
+
+
+</pre>
+
+</body>
+</html>
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