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+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 12660 ***
+
+Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden?
+
+
+Gegen Ersteres und fuͤr Letzteres
+
+
+beantwortet von
+
+Dr. Ludolf Wienbarg
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+Motto: _ceterum ceterumque censeo...._
+
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+Hamburg
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+bei Hoffmann und Campe
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+1834
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+
+
+
+Dem Nestor norddeutscher Patrioten
+
+dem Freunde veredelter Natur und Menschheit
+
+Herrn Baron von Voght
+
+gewidmet.
+
+
+
+
+Verehrungswuͤrdiger Greis!
+
+
+Ich habe nie das Gluͤck Ihrer persoͤnlichen Bekanntschaft genossen, aber
+ich kenne Ihre Schoͤpfungen, die bluͤhenden Spuren Ihrer
+menschenfreundlichen Hand. Bereits als Knabe besuchte ich sehr oft von
+Altona aus das schoͤne Flottbeck. Hier woͤlbt sich keine Ulme, keine
+Buche, die Sie nicht gepflanzt, hier steigt von hundert freundlichen
+Daͤchern kein Rauch in die Luft, der nicht Weihrauch fuͤr Sie waͤre. Das
+wußte ich schon als Knabe und so kam es, daß ich an Ihrem Namen zuerst
+den Begriff und die Bedeutung eines Menschenfreundes, eines Patrioten
+lernte. Eine gluͤcklichere Abstraktion, ein wuͤrdigeres Bild wird selten
+der jugendlichen Seele geboten.
+
+Nehmen Sie, Verehrungswuͤrdiger, diesen Ausdruck meiner fruͤhgefaßten
+und in reiferem Alter nur genaͤhrten und befestigten Achtung guͤtig auf.
+
+_Eutin_, am 1. December 1833.
+
+Ludolf Wienbarg.
+
+
+
+
+Vorwort.
+
+
+Wenn die Patrioten bisher uͤber die Kluft der Staͤnde, die Rohheit und
+Unempfaͤnglichkeit Volkes in Niedersachsen mit Recht bittere Klage
+fuͤhrten, oder im Großen Verbesserungsplaͤne entwarfen, so stand ihnen
+die niedersaͤchsische oder plattdeutsche Volkssprache nur sehr im
+Hintergrunde und kam weder im Guten, noch im Boͤsen so recht in
+Betracht. Ich glaube nachzuweisen, ja mit Haͤnden greiflich zu machen,
+daß sie die Wurzel alles Uebels, der Hemmschuh alles Bessern ist.
+
+Gehe hin, meine kleine Schrift, und spreche! Drei Dinge wuͤnsche ich
+dir, Fluͤgel, Feinde und Freunde. Die Fluͤgel wuͤnsche ich dir, damit du
+dich nach allen Seiten verbreitest, die Feinde und Freunde, damit du
+nach alten Seiten besprochen wirst. —
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+Bekanntlich sprechen die Bewohner Niedersachsens plattdeutsch und
+hochdeutsch; ersteres als Volkssprache, letzteres als Sprache der
+Bildung. Das Hochdeutsche redet man dialektlos, das heißt Aussprache und
+Schreibung stimmen buchstaͤblich uͤberein[1]. Anders in Mittel- und
+Suͤd-Deutschland. Goͤthe sprach das Hochdeutsche wie ein geborner
+Frankfurter, Schiller wie ein Wirtemberger und noch gegenwaͤrtig hoͤrt
+man's der Sprache der Gebildeten Suͤd-Deutschlands ab, in welcher
+Provinz sie zu Hause gehoͤren. Daher kann man wol behaupten, daß mancher
+niedersaͤchsische Handwerker _reiner_ hochdeutsch spricht, als der
+Wuͤrzburger Professor, der Badische Deputirte oder der Bewohner der
+Provinz Meissen selbst, dessen Aussprache doch zu seiner Zeit von
+Gottsched mit dem Privilegium der Klassizitaͤt begabt worden ist. Allein
+man darf nicht vergessen, daß diese Reinheit eine abstrakte und keine
+lebendige ist, da der Norden fein hochdeutsch im eigentlichen Sinn des
+Worts aus Buͤchern, zumal aus der lutherischen Bibeluͤbersetzung
+gelernt, nicht aber wie Mittel- und Suͤd-Deutschland durch lebendig
+uralte Tradition von Mund zu Mund empfangen hat.
+
+Ist doch die hochdeutsche Sprache selbst keine Sprache provinzieller
+Beschraͤnktheit, keine bloße Mundart Alt-Meissens, sondern im hoͤheren
+Sinn ein Kunstwerk des großen Reformators, der aus den beiden
+Hauptdialekten des Nordens und Suͤdens, schon ohnehin im Saͤchsischen
+sich beruͤhrend eine Sprache schuf, die, wenn auch mit Vorwalten des
+suͤddeutschen Elements, jedem deutschen Ohr zugaͤnglich und
+verstaͤndlich sein, die eine gemeinsame Sprache aller Deutschen
+vorbereiten sollte. Aus den edelsten Metallen des unerschoͤpflichen
+deutschen Sprachschachtes gegossen, ward sie in Luthers Haͤnden die
+Glocke, welche die Reformation, den dreißigjaͤhrigen Krieg, die ganze
+neue Geschichte eingelaͤutet hat.
+
+Mehr als den Griechen der Saͤnger der Odyssee und Ilias muß uns
+Deutschen, Katholiken wie Protestanten, der Uebersetzer der Bibel
+gefeiert sein. Die altionische Sprache gehoͤrte nicht dem Dichter,
+sondern der Nation an. Die Sprache der Bibeluͤbersetzung aber mußte sich
+erst geltend machen durch die Gewalt des Genius, sie gehoͤrte Luther an
+in dem Sinn, wie man nur irgend auf diesem Gebiet das Eigentumsrecht
+fuͤr eine Person in Anspruch nehmen darf.
+
+Denkt euch, Luthers Sprache waͤre nicht durchgedrungen. Zerrissen waͤre
+das maͤchtigste Band, das Suͤd und Nord umschlingt. Der Norden wuͤrde
+nichts vom Suͤden, der Suͤden nichts vom Norden wissen.
+
+Die theuersten Namen, die jetzt im Herzen der ganzen Nation
+wiederklingen, wuͤrden hie und da in einem Winkel Deutschlands genannt
+werden und etwa die Eitelkeit ihrer Landsleute aufblaͤhen, alle großen
+Maͤnner, die in unserm Vaterlande die Sprache Luthers geredet, alle
+Genien der ernsten und froͤhlichen Wissenschaft, auf die wir unsern
+Stolz setzen, ja welche die Vorsehung selbst uns zum erhebenden
+Selbstgefuͤhl erweckt zu haben scheint, wuͤrden mit vergeblicher
+Sehnsucht ihre Fluͤgel uͤber Deutschland ausgebreitet haben, waͤren von
+ihrer Geburt an zur Verschrumpfung und Laͤhmung bestimmt gewesen. Es ist
+so viel Ungluͤck seit Luther uͤber dieses arme Land hingegangen, daß man
+zweifeln koͤnnte, ob nur der Name Deutschland, Deutscher, ehre. Luthers
+Schriftsprache, dieses Schwerdt, das Wunden schlug und heilte, uͤber dem
+unsaͤglicher Wirrwarr sich schwebend erhalten hatte.
+
+Das kaiserliche Reichsschwerdt ist zerbrochen, Luthers Sprache ist
+Reichsschwerdt geworden, glanzvoller, schwungreicher, maͤchtiger,
+gefuͤrchteter, als je eins in der Hand eines Hohenstaufens oder
+Habsburgers geblitzt hat.
+
+Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, der Muth hat Dich gestaͤhlt, die
+Freiheit Dich geschliffen, der Kampf Dich erprobt.
+
+Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, rein bist Du von den Blutflecken
+der Religionskriege, rein und gesaͤubert vom Geifer theologischer
+Streithaͤhne, vom Rost des gelehrten und amtlichen Pedantismus.
+
+Fuͤhrt es ihr Soͤhne des Lichts, denn ihr seid unuͤberwindlich mit
+dieser Waffe.
+
+Beruͤhrt es nicht, ihr Kinder der Nacht, denn es ist scharf und faͤhrt
+zuruͤck auf eure eigenen Schaͤdel.
+
+ * * * * *
+
+Man kann Werth und Wuͤrde der deutschen Schriftsprache lebhaft
+anerkennen und dennoch wuͤnschen, daß die ober- und niederdeutschen
+Dialekte sich im Munde des Volkes lebendig erhalten. Ich theile diesen
+Wunsch nicht. Was namentlich die Frage betrift, welche den Gegenstand
+dieser kleinen Schrift ausmacht: „_ist die niedersaͤchsische
+Volkssprache zu pflegen oder auszurotten?_“ so antworte ich aus
+innigster Ueberzeugung und aus Gruͤnden, welche ich darlegen werde: _sie
+ist auszurotten, durch jedes moͤgliche Mittel auszurotten_.
+
+Verstaͤndigen wir uns uͤber etwas sehr Wesentliches. Daß die
+plattdeutsche Sprache der Zeit verfallen und aussterben wird, ist keine
+Frage mehr.
+
+Eine jede Sprache, die nicht Schriftsprache, Sprache der Bildung, des
+gerichtlichen Fortschrittes, der politischen, religioͤsen,
+wissenschaftlichen, artistischen Bewegung ist, muß bei dem Stand und
+Gang unserer Kultur einer Schrift- und Bildungssprache Platz machen, muß
+wie die frisische in Holland, wie die zeltische in Bretagne, die
+baskische in Spanien allmaͤhlig aussterben. Auszusterben ist das
+nothwendige und natuͤrliche Schicksal der plattdeutschen Sprache. Nichts
+kann sie vom Untergang retten. Schreibt plattdeutsche Lustspiele,
+Idyllen, Lieder, Legenden — umsonst; das Volk liest euch nicht — liest
+es nur den Reineke de Vos? — ihr begruͤndet keine plattdeutsche
+Literatur, ihr macht die verbluͤhende Sprachpflanze durch euren
+poetischen Mist nicht bluͤhender — sie wird aussterben. Ihr preiset
+diese Sprache als alt, ehrlich, treu, warm, gemuͤthlich, wohlklingend —
+ihr habt Recht oder nicht — sie wird aussterben. Das ist das
+unerbittliche Gesetz der Notwendigkeit.
+
+Allein, es ist wahr, das Nothwendige ist nicht immer das
+Wuͤnschenswerthe. Gar vieles begiebt sich in Natur und Geschichte mit
+Nothwendigkeit, was nicht bloß die Klage des Thoren, sondern auch den
+gerechteren Schmerz des Weisen erregt. Immer ist es des denkenden
+Menschen wuͤrdig, sich dessen, was geschehen wird und muß, bewußt zu
+werden, immer der sittlichen Kraft und Wuͤrde desselben schaͤdlich und
+unwuͤrdig, sich willen- und wunschlos vor der Nothwendigkeit zu beugen.
+Nicht selten gelingt Aufschub Vertagung, wo auch nicht, der Mensch darf
+sich frei sprechen von Leichtsinn, traͤger Sorglosigkeit, er hat sich
+das Recht und die Beruhigung erworben, _animam salvavi_ auszurufen.
+
+Darum frage ich eigentlich, ist es wuͤnschenswerth, daß Niedersachsens
+alte Sprache sich aus der Reihe der lebendigen verliert; wenn das, soll
+man ihren Untergang der Zeit uͤberlassen oder soll man diesen
+beschleunigen; wenn letzteres, welches sind die Mittel dazu?
+
+ * * * * *
+
+Um die deutsche Gemuͤthlichkeit ist es ein schoͤnes Ding und was kann
+namentlich dem Niedersachsen gemuͤtlicher sein, als seine angeborne
+Sprache. Doch ein schoͤneres Ding ist der muthige Entschluß, die
+Gemuͤthlichkeit einstweilen auszuziehn, wenn sie uns zu _enge_ wird.
+
+Grade das behaupte ich von der und gegen die plattdeutsche Sprache. Sie
+ist dem Verstand der Zeit laͤngst zu enge geworden, ihr Wachsthum hat
+bereits mit dem sechszehnten Jahrhundert aufgehoͤrt, sie kann die
+geistigen und materiellen Fortschritte der Civilisation nicht fassen,
+nicht wiedergeben _und daher verurtheilt sie den bei weitem groͤßten
+Theil der Volksmasse in Norddeutschland, dem sie annoch taͤgliches Organ
+ist, zu einem Zustande der Unmuͤndigkeit, Rohheit und Ideenlosigkeit,
+der vom Zustand der Gebildeten auf die grellste und empoͤrendste Weise
+absticht._
+
+Habe ich Recht ober Unrecht? Steht es nicht so mit dem Volk in Hannover,
+Westphalen, Meklenburg, Holstein u.s.w.? Wurzelt nicht das Hauptuͤbel im
+absoluten Unvermoͤgen der taͤglichen Umgangssprache, den noͤthigsten
+Ideenverkehr zu bewerkstelligen?
+
+Daß ich in beiden Unrecht haͤtte. Aber den Stein, den diese Anklage
+gegen die plattdeutsche Sprache als eine Feindin der Volksbildung, der
+geistigen Thaͤtigkeit erhebt, derselbe gewigtige Stein muß erhoben
+werden von jedem Niedersachsen, jedem Deutschen, dem der materielle und
+geistige Zustand von Millionen Bruͤdern, dem die Gegenwart und die
+Zukunft Deutschlands nicht gleichguͤltig ist.
+
+ * * * * *
+
+Halte ich einen Augenblick inne. Ob diese Schrift auch Leser findet, die
+in hohe aristokratische Privilegien eben in dem geruͤgten Gebrechen,
+eben in dem Umstand, daß die plattdeutsche Sprache seit drei
+Jahrhunderten nichts gelernt, eine Tugend derselben entdecken? Soll ich
+Ruͤcksicht auf solche Leser nehmen? Soll ich die reine Absicht, die mir
+vorschwebt, durch alle Blaͤtter mir verbittern?
+
+Aber es giebt solche, du kennst solche! Wolan denn, mache ich es gleich
+und auf einmal mit ihnen ab.
+
+Ja, ihr Herren, diese Sprache hat nichts gelernt seit dem sechszehnten
+Jahrhundert, sie hat sich mit keiner einzigen Idee, keinem einzigen
+Ausdruck der neuen Geschichte bereichert, sie hat nicht einmal ein Wort
+fuͤr Bildung, nicht einmal ein Wort fuͤr Verfassung — ja, ihr Herren,
+sie ist noch ganz und gar die Sprache des sechszehnten Jahrhunderts, die
+Sprache der Hetzjagden, der Peitschenhiebe, der Hundeloͤcher, die
+Sprache des Bauernkrieges und — spuͤrt ihr nichts vom kurzen Takt der
+Dreschflegel darin, und seht ihr nicht etwas von kurzem Messer,
+geschwungener Sense, geballter Faust als Titelvignette vor den Ausgaben
+plattdeutscher Lexika paradiren? — Taͤuscht euch nicht, sie ist noch
+immer die Sprache des sechszehnten Jahrhunderts und schleppt die
+gebrochenen Ketten sichtbar mit sich umher, und pfluͤgt und ackert jeden
+Fruͤhling und jeden Herbst den alten Grimm in die alten Furchen hinein.
+O sie ist schrecklich treu, schrecklich dumm und gemuͤthlich; aber laßt
+euch sagen, sie hat wenig Religion, nur sehr wenig und sie kennt, wenn
+sie wild wird, den Teufel besser als den lieben Gott. Woruͤber ihr euch
+nicht sehr zu verwundern habt; denn als sie katholisch war, da war das
+Christenthum, die Messe naͤmlich, lateinisch und als sie lutherisch
+wurde, wurde das Christenthum, Predigt und Katechismus hochdeutsch.
+Bedenkt auch nur, betet denn gegenwaͤrtig ein einziger Bauer oder
+Bauernknecht das Vaterunser und den Glauben in der Sprache, worin er
+seinen Gevatter bewillkommt, im Kruge Schnaps und Bier fordert oder dem
+Steuereinnehmer einen derben Fluch zwischen den Zaͤhnen
+hinterherschickt? Wahr ist es also, diese Sprache hat nichts gelernt,
+allein sie hat auch _nichts vergessen_, es sei denn ihre alten Lieder,
+ihren froͤhlichen Gesang und eben das Vaterunser, das sie fruͤher doch,
+wie ich glaube, hat beten koͤnnen.
+
+Nehmt euch ein Bild zu Herzen, das ich euch, — das ich Allen vorhalte.
+
+Eine Sprache, die stagnirt, ist zu vergleichen mit einem See, dem der
+bisherige Quellenzufluß versiegt oder abgeleitet wird. Aus dem Wasser,
+woruͤber der Geist Gottes schwebte, wird Sumpf und Moder, woruͤber die
+unreinen Geister bruͤten. Der Wind mag wehen woher er will, er gleitet
+spurlos uͤber die stuͤrmisch gruͤne Decke hin Der Himmel ist blau und
+heiter oder stuͤrmisch gefaͤrbt, das ruͤhrt ihn nicht, keine Sonne keine
+Wolke spiegelt sich mehr auf der truͤben Flaͤche. Bild der
+Unzufriedenheit, der Gleichguͤltigkeit, der Tuͤcke, der Gefahr. Wehe dem
+Mann, _der im Truͤben fischen will_ und ausgleitet — was helfen ihm
+ruͤstige Arme, Schwimmkunst, er versinkt, er erstickt im tauben Schlamm.
+
+Die Sprache ist das Volk.
+
+ * * * * *
+
+Ja wohl, die Sprache ist das Volk und es gab eine Zeit wo das
+niedersaͤchsische Volk und die niedersaͤchsische Sprache poetisch waren.
+Das ist sehr lange her, die Zeit war heidnisch und der Germane von
+Poesie, Muth, Stolz und Freiheit durchdrungen. Die kuͤhnsten Gedichte
+aus dieser „rauhen Vorzeit,“ wenn gleich schon vom Duft der
+Klostermauern angewittert und durch Moͤnchsfedern auf die Nachwelt
+gekommen, verraten niedersaͤchsischen Dialect.
+
+Ich weiß nicht ob viele meiner Leser sich Begriff und Vorstellung machen
+von der wunderbaren Natur einer Sprache, die einem vermeintlich
+barbarischen und rohen Sittenzustande angehoͤrt. Diese muͤssen mir, und
+wenn nicht mir, Jakob Grimm, dem Linnaͤus der deutschen Sprachgeschichte
+auf's Wort zu glauben, daß keine Sprache gegenwaͤrtig auf dem Erdboden
+gesprochen wird, die an Bau und Kuͤnstlichkeit jener alt-plattdeutschen
+Sprache das Wasser reichte. Die grammatische, innerliche Gediegenheit
+hatte sie mit den aͤltesten Grundsprachen und mit ihrer oberdeutschen
+Schwester gemein und uͤbertraf diese vielleicht an Klang, Kraft und
+Wohllaut. Allein, das Schicksal wollte ihre Schwester erheben und sie
+fallen lassen. Jene hat im Verlauf der Zeit auch unendlich viel von
+ihrer leiblichen Schoͤnheit und jugendlichen Anmuth eingebuͤßt, allein
+sie hat Gewandtheit, Schnelle, Feinheit des Ausdrucks, Begriffsschaͤrfe,
+vermehrte Zahl der Combinationen zum Ersatz dafuͤr eingetauscht. Die
+niedersaͤchsische Sprache dagegen hat ihre Jugend und staͤhlerne Kraft
+verloren; ohne an Verstand und innerer Feinheit zu gewinnen. Ihre
+grammatischen Formen wurden zerstoͤrt und in noch hoͤherem Grade, als
+die der Schwestersprache, aber ohne daß man bemerken konnte, daß der
+scharfe Gaͤrungsprozeß der antiheidnischen neueuropaͤischen
+Bildungsfermente an der Aufloͤsung einigen Antheil genommen, sondern
+ersichtlich und durch dumpfes truͤbes Verwittern, das auch Holz und
+Stein und alles Leblose oder Absterbende allmaͤhlig abnagt und zerfrißt.
+
+Als die althochdeutsche Sprache in die mittelhochdeutsche uͤberging,
+schaute diese als Siegerin auf dem Turnierplatze des deutschen Geistes
+umher, sie war es geworden ohne Kampf. Sprache des maͤchtigsten und
+kunstliebendsten Kaiserhauses, lebte sie im Munde der Fuͤrsten, Ritter,
+Saͤnger mit und ohne Sporn, Saͤnger mit und ohne Krone, welche die
+elegante Literatur ihres Zeitalters begruͤndeten, war sie, was mehr
+sagen will, die Sprache des Nibelungenliedes und anderer deutschen
+Nationalgedichte, welche mit Ausnahme jener aͤltesten Reliquien theils
+nie, theils nur in spaͤterer Uebersetzung im Plattdeutschen
+schriftsaͤssig wurden.
+
+Welcher Bann, frage ich, lag uͤber der niedersaͤchsischen Literatur?
+Derselbe Bann, der uͤber dem Volk und seiner Geschichte lag. Es sollte
+die maͤchtige Naturkraft, die einst diesen Stamm beseelte, stocken und
+starren und als truͤber Bodensatz des germanischen Geistes
+zuruͤckbleiben.
+
+Welche Kette von Hemmnißen, betaͤubenden und zerreißenden
+Ungluͤcksschlaͤgen nur bis zum sechszehnten Jahrhundert!
+
+Karl des Großen Sachsenkrieg, gewaltsam blutige Ausrottung des
+Wodandienstes ohne wahrhafte Anpflanzung der Christusverehrung, Sachsen
+und Slaven stoßen sich hin und her und mischen sich unter einander, die
+alte Sachsenfreiheit schwindet, die Leibeigenschaft nimmt furchtbar
+uͤberhand, der Krumstab zu Bremen ist schwach und gewaͤhrt keinen
+Schutz, das saͤchsische Kaiserhaus uͤbertreibt die Großmuth und
+entaͤußert sich seiner zu Wuͤrde und Glanz so nothwendigen
+Stammbesitzungen, Heinrich der Loͤwe, die welfische Macht geht unter,
+deren Sieg uͤber die hohenstaufische Norddeutschland so gehoben haͤtte
+wie ihre Niederlage Suͤddeutschland emporbrachte, selbst der belebende
+Einfluß der Hansa zeigt sich nur im Sinnlichen, nicht im Geistigen
+wohlthaͤtig, ihr Seehandel nach dem Norden macht sie nur mit Voͤlkern
+und Sitten bekannt, die noch roher waren, als sie selbst; Dagegen
+Suͤd-Deutschlands Handelsstaͤdte, Nuͤrnberg, Augsburg mit dem hoch
+gebildeten Oberitalien in Verkehr standen.
+
+Und nach dem fuͤnfzehnten Jahrhundert! Muß ich nicht Luther selbst und
+die Reformation voranstellen? Darf ich verschweigen, daß die
+_unmittelbaren_ Wirkungen dieser auf Jahrtausende hinaus wirkenden
+Begebenheit, wie fuͤr ganz Deutschland, so insbesondere auch fuͤr
+Niedersachsen nicht gluͤcklich, nicht segenbringend waren? Welch ein
+Gemaͤlde des Innern: rabulistische Theologen, hexenriechende
+Juristen, blutduͤrstige Obrigkeiten, dumpfer Haß, aͤchzende
+Kirchengesaͤnge, furchtbarer Wahnglaube an Zauberei, Bezauberung und
+Teufelsbesessenheit[2]. Welch ein Gemaͤlde des Aeußeren: der
+dreißigjaͤhrige Krieg, Magdeburgs Untergang, Schwedens Besitznahme
+norddeutscher Staͤdte und Provinzen, Hannovers Verwandlung aus fruͤherem
+Reichslehn in einen Familienbesitz englischer Koͤnige, wie schon fruͤher
+und vor Luther Nordalbingien in einen Familienbesitz daͤnischer Koͤnige,
+selbst Brandenburgs steigende Groͤße, die zu guter letzt die Wagschaale
+der Macht und des politischen Einflusses uͤberwiegend auf jene
+nordoͤstlichen Provinzen Deutschlands niedersenkte, die von slavischer
+Stammbevoͤlkerung urspruͤnglich der Wurzelkraft des germanischen Lebens
+entbehrten, aber durch Aussaugen und Anziehen germanischer Saͤfte und
+Kraͤfte sich konsolidirt und ausgebildet hatten.
+
+Lasse ich die schwere Kette fallen, es fehlt ihr so mancher Ring, dessen
+Ergaͤnzung ich dem Geschichtforscher uͤberlasse.
+
+Wie konnte, bei einer solchen Zahl und Reihe von Schicksalen der
+niedersaͤchsische Stamm gedeihen, wie konnte sich eine eigentuͤmliche
+Literatur unter ihm geltend machen[3], wie konnte die Volkssprache
+selbst sich der Entwuͤrdigung und Verschlechterung entziehen? Auf
+welcher Bildungsstufe muͤßte die neuere Zeit Volk und Sprache antreffen,
+wie tief unter der noͤthigsten Fassungskraft, wie selbst ohne Ahnung
+dessen, was zur Begruͤndung und Sicherung eines verbesserten
+Staatslebens elementarisch vorauszusetzen?
+
+ * * * * *
+
+Allein, hoͤre ich Jemand einwerfen, wenn auch die plattdeutsche Sprache
+ganz dem Bilde gleicht, das du von ihr entworfen, wenn sie _selbst_ auch
+unfaͤhig ist, Element der Volksbildung zu sein, so erwartet eigentlich
+auch Niemand dieses Geschaͤft von ihr, das ja von der allgemein
+verbreiteten und verstandenen hochdeutschen Sprache laͤngst uͤbernommen
+und verwaltet wurde.
+
+Antwort: uͤbernommen aber nicht verwaltet. Damit behauptet man einen
+Widerspruch gegen alle Vernunft und Erfahrung. _Selbst die allgemeinste
+Erlernung und Verbreitung der hochdeutschen Sprache uͤbt so lange gar
+keinen oder selbst nachteiligen Einfluß auf die Volksbildung, als neben
+ihr Plattdeutsch die Sprache des gemeinen Lebens bleibt._
+
+Allerdings wird die hochdeutsche Sprache als Organ der Volksbildung
+uͤberall in Niedersachsen angewendet. Es gibt wol wenig Doͤrfer, wo die
+Jugend nicht Gelegenheit findet, das Hochdeutsche ein wenig verstehen,
+ein wenig sprechen, ein wenig lesen und ein wenig schreiben zu lernen.
+Die Leute muͤssen wol. Amtmann, Pfarrer, Bibel, Gesangbuch, Katechismus,
+Kalender sprechen hochdeutsch. Ohnehin sind die Kinder schulpflichtig
+und beim Hobeln setzt es Spaͤhne ab.
+
+Allein, Jedermann weiß, plattdeutsch bleibt ihr Lebenselement. Das
+sprechen sie unter sich, zu Hause, im Felde, vor und nach der Predigt.
+Das kommt ihnen aus dem Herzen, dabei fuͤhlen sie sich wohl und
+vergewissern sich, daß sie in ihrer eigenen Haut stecken, was ihnen,
+sobald sie hochdeutschen, sehr problematisch wird.
+
+Der erste Schulgang macht in der Regel auch die erste Bekanntschaft mit
+der hochdeutschen Sprache. Mit Haͤnden und Fuͤßen straͤubt sich der
+Knabe dagegen. Ich bedaure ihn, er soll nicht bloß seine bisherige
+Freiheit verlieren, unter die Zuchtruthe treten, buchstabiren lernen,
+was auch andern Kindern Herzeleid macht; er soll uͤberdies in einer
+Sprache buchstabiren und lesen lernen, die er nicht kennt, die nicht mit
+ihm aufgewachsen ist, deren Toͤne er nicht beim Spiel, nicht von seiner
+Mutter, seinem Vater, seinen kleinen und großen Freunden zu hoͤren
+gewohnt war. Alles was er von diesem Augenblick an liest, lernt, hoͤrt
+in der Schule und unter den Augen des Lehrers, klingt ihm gelehrt,
+fremd, vornehm und tausend Meilen von seinem Dorf entfernt. Daß der
+rothe Hahn in seiner Fibel _kraͤht_ und der lebendige in seinem Hause
+_krait_, scheint ihm sehr sonderbar. In der Bibel nennen sich alle Leute
+_du_, der Unterlehrer sagt zum Oberlehrer _sie_, er aber ist gewohnt,
+bloß seine Kameraden zu dutzen, Vater, Mutter und andere Erwachsene mit
+_he_ und _se_ anzureden. Kommt an ihn die Reihe zu lesen, laut zu lesen,
+so nimmt er die Woͤrter auf die Zunge und stoͤßt sie heraus wie die
+Scheiben einer Frucht, die er nicht essen mag, weil er sie nicht kennt.
+Was er auswendig lernt, lernt er nicht einwendig. Was ihm allenfalls
+noch Vergnuͤgen macht, ist der gemeinschaftliche Gesang am Schluß der
+Schule und auf Kirchbaͤnken. Von Natur mit einer hellen durchdringenden
+Stimme begabt, wetteifert er mit dem Chor um die hoͤchsten Noten,
+betaͤubt seinen Kopf und findet eine Art Vergnuͤgen und Erholung darin,
+dieselben Verse des Gesangbuches bloß herauszuschreien, die er zu
+anderer Zeit auswendig lernen muß.
+
+Erreicht er das gesetzliche Alter, so wird er konfirmirt. Wer ist froher
+als er. Nun tritt er voͤllig wieder in das plattdeutsche Element
+zuruͤck, dem er als Kind entrissen wurde. Er hat die ersten Forderungen
+des Staates und der Kirche erfuͤllt. Er hat seinen Taufschein durch
+seinen Confirmationsschein eingeloͤs't. Ersteren bekam er ohne seinen
+Willen zum Geschenk, um letzteren mußte er sich, auch wider seinen
+Willen, redlich abplacken.
+
+Auf beide Scheine kann er spaͤter heiraten und Staatsbuͤrger werden.
+
+Was ist die Frucht dieses Unterrichts? Er hat rechnen, lesen und
+schreiben gelernt. Er kann auch lesen und schreiben, aber er lies't und
+schreibt nicht. (Umgekehrt der franzoͤsische Bauer, der kann nicht
+lesen, aber er laͤßt sich vorlesen). Ich frage also, was ist die Frucht
+dieses hochdeutschen Unterrichts? Welchen Einfluß uͤbt derselbe auf sein
+Geschaͤft, auf seine Stellung als Familienvater, Staatsbuͤrger, Glied
+der Kirche, der sichtbaren, wie der unsichtbaren?
+
+Folgen wir ihm, wenn er aus der Kirche kommt. Die Predigt ist
+herabgefallen, der Gesang verrauscht wie ein Platzregen auf seinen
+Sonntagsrock, zu Hause zieht er diesen aus und haͤngt ihn mit allen
+Worten und himmlischen Tropfen, die er nicht nachzaͤhlt, bis zum
+kuͤnftigen Sonntag wieder an den Nagel. Frage: kann er die hochdeutsche
+Predigt hochdeutsch durchdenken, spricht er mit Nachbaren, mit Frau und
+Kindern hochdeutsch vom Inhalt derselben, ist er gewohnt und geuͤbt, ist
+er nur im Stande, den religioͤsen Gedankengang in's Plattdeutsche zu
+uͤbersetzen? Antwort: schwerlich. Frage: hat ihn die Predigt das Herz
+erwaͤrmt, den Verstand erleuchtet? Antwort ein Schweigen. Armer Bauer,
+vor mir bist du sicher, ich lese dir daruͤber den Text nicht. Kannst du
+etwas dafuͤr, daß der Kanzelton nicht die Grundsaite deines Lebens
+beruͤhrt, daß jener Nerv, der von zart und jung auf gewohnt ist, die
+Worte der Liebe, der Herzlichkeit, des Verstaͤndnisses in dein Inn'res
+fortzupflanzen, nicht derselbe ist, der sich vom Klang der hochdeutschen
+Sprache ruͤhren laͤßt. Wer auf der Gefuͤhlsleiter in deine Herzkammer
+herabsteigen will, muß wollene Struͤmpfe und hoͤlzerne Schuh anziehen,
+in schwarzseidenen Struͤmpfen dringt man nicht bis dahin. Wuͤßte man
+nur, begriffe man nur, wie es in deinem einfaͤltigen Kopf zusteht und
+daß die hochdeutschen Woͤrter und die plattdeutschen Woͤrter, die du
+darin hast sich gar nicht gut mit einander vertragen, sich nicht
+verstehn und sich im Grund des Herzens fremd, ja feind sind. Die
+plattdeutschen Woͤrter sind deine Kinder, deine Nachbaren, dein alter
+Vater, deine selige Mutter, die hochdeutschen sind der Schulmeister, der
+Herr Pastor, der Herr Amtmann, vornehme Gaͤste, die dir allzuviel Ehre
+erweisen, in deinem schlechten Hause vorzukehren, mit dir vorlieb zu
+nehmen, Woͤrter in der Perruͤcke, in schwarzem Mantel, welche deine und
+deiner plattdeutschen Wort Familie Behaglichkeit stoͤren, dich in deiner
+Luft beeintraͤchtigen, dir bald von Abgaben, bald von Tod und juͤngsten
+Gericht vorsprechen, Grablieder uͤber deinen Sarg singen werden, ohne
+sich uͤber deine Wiege gebuͤckt und _Eia im Suse_ und andere
+Wiegenlieder gesungen zu haben. Armer Bauer, ich habe dich immer in
+Schutz genommen und diese Schrift, obgleich du sie nicht lesen wirst,
+ist eigentlich nur fuͤr dich und zu deinem Heil und Besten geschrieben.
+Viele Leute aus der Stadt klagen dich an, daß du trotz deiner Einfalt
+verschmizt bist, trotz deiner Rohheit nicht weniger als Kind der Natur
+bist, sie sagen, daß du dir eine und die andere Gewissenlosigkeit gar
+wenig zu Herzen nimmst. Aber ich habe ihnen immer geantwortet, unser
+Bauer hat nicht zu wenig Gewissen, er hat zu viel. Er hat zwei Gewissen,
+ein hochdeutsches und ein plattdeutsches, und das eine ist _ihm_ zu
+fein, das andere _uns_ zu grob und dickhaͤutig. Zu diesem wird ihm in
+seinem eigenen Hause der Flachs gesponnen, jenes webt ihm die Moral und
+die Dogmatik; in dem einen sitzt er wohl und warm und es ist sein Kleid
+und Brusttuch so lange er lebt, in dem andern friert ihn und er haͤlt es
+nur deswegen im Schrank, um damit einmal anstaͤndig unter die Schaar der
+Engel zu treten.
+
+Ist ihm sein Verhaͤltniß zum Staat durch den hochdeutschen Unterricht
+vielleicht klarer geworden, als sein Verhaͤltniß zur Kirche? Erwirbt er
+sich durch das hochdeutsche Medium, das einzige, das ihm Aufschluͤsse
+uͤber eine so wichtige Angelegenheit geben kann, Kenntnisse von seinen
+Rechten und Pflichten im Staats-Verein, ist ihm dadurch ein Gefuͤhl von
+Selbststaͤndigkeit, ein Bewußtsein von den Grenzen der Freiheit und des
+Zwanges, von Gesetz und Willkuͤhr aufgegangen, Gemeinsinn geweckt: sein
+dumpfes egoistisches Selbst zu einem Bruderkreise erweitert, der Wohl
+und Weh an allen Gliedern zugleich und gemeinschaftlich spuͤrt? _Wie_
+das alles? Seine Beamte klaͤren ihn nicht auf und er selber — er liest
+nicht, er nimmt keine Schrift, kein Blatt zur Hand, er laͤßt sich auch
+nicht vorlesen, das ist gelehrt, hochdeutsch, geht uͤber seinen
+Horizont, laͤßt sich nicht weiter besprechen, sein Verstand hat kaum
+einen Begriff, seine Sprache kein analoges Wort dafuͤr. Armer Bauer. Und
+wenn Wunder geschaͤhen und die tausend Stimmen der Zeit, die fuͤr dich
+und an dich gesprochen, dein Ohr nicht erreichen, wenn sie sich
+verwandelten und ergoͤßen in eine goͤttliche Stimme, die vom Himmel
+riefe: Bauer, hebe dein Kreuz auf und wandle — du wuͤrdest liegen
+bleiben und sprechen: das ist hochdeutsch.
+
+Wie er seine Acker vorteilhafter bestellen, seine Geraͤthe brauchbarer
+einrichten, nuͤtzlicher dieses und jenes betreiben, wohlfeiler dieses
+und jenes haben koͤnne, das lehren ihn Blaͤtter und Schriften, von
+Gesellschaften oder Einzelnen herausgegeben, vergebens: er liest sie
+nicht. Schlaͤgt man ihm sonstige Verbesserungen und Veraͤnderungen vor,
+so schuͤttelt er den Kopf und bleibt starrsinnig beim Alten. _Dat geit
+nich, dat wil ik nich, dat kan ik nich, ne dat do ik nich_;
+ungluͤckselige, stupide Worte, wie viele beabsichtigte Wohlthaten macht
+ihr taͤglich scheitern, habt ihr scheitern gemacht. Unseliger Geist der
+Traͤgheit, der hier mit der Sprache Hand in Hand hinschlentert, mit
+dieser vereint, durch diese gestaͤrkt allem Neuen und Bewegenden
+Feindschaft erklaͤrt. Wann erlebt der Menschenfreund, daß dieses
+unsaubere Paar geschieden wird. Wann erscheint die Zeit, wo diese
+Eselsbruͤcke zwischen Gestern und Vorgestern abgebrochen wird, wo die
+einzig; moͤgliche Verbindungsstraße zwischen der heutigen Civilisation
+und dem norddeutschen Bauer, die hochdeutsche Sprache, diesem wahrhaft
+zugaͤnglich gemacht wird? Aermster, ich klage dich ja nicht an, ich
+bedaure dich ja nur.
+
+Oder muß es so sein, muß der deutsche Bauer ein Klotz, ich sage ein
+Klotz bleiben. Ist es sein ewiges Schicksal nur die Plage des Lebens und
+nicht deßen Wohlthaten zu genießen? Wird sich nicht einmal seine
+enggefurchte Stirn menschlich erheitern, ist es unvereinbar mit seinem
+Stande, seinem Loose, gebildeter Mensch zu sein, mit gebildeten Menschen
+auf gleichem Fuß zu leben, sich nicht allein mit Spaten und Pflug,
+sondern auch mit Kopf und Herzen zu beschaͤftigen?
+
+ * * * * *
+
+Das sind sehr exotische Ideen in Niedersachsen! Ich weiß, ich weiß. Ich
+will sie aber aussprechen, ich will sie vertheidigen, ich will das
+Meinige dazu thun, daß _einheimische_ Ideen, Fragen und Wuͤnsche daraus
+werden. Lange genug ist die Bildung ein ausschließliches Vorrecht
+einiger Menschen, gewißer Staͤnde gewesen. Das muß aufhoͤren, gebildet
+sollen alle Menschen sein, gelehrt wer will. Volksbildung, und nicht
+bloß wie bisher Volksunterricht, soll und wird das Ideal, das
+Feldgeschrei der Zeit werden. Unsere Gelehrten, unsere Beamte, unsere
+guten Koͤpfe unter den Schriftstellern werden ihren Hochmuth fahren
+lassen, sich des Volkes erbarmen, und sich einmal erinnern, daß sie
+selber in der Mehrzahl aus dem Volke stammen. Noch im vorigen
+Jahrhundert gab sich so ein Gelehrter, Philosoph, Dichter, der
+vielleicht aus dem dunkelsten Stande geboren war, die laͤcherliche
+Miene, als ob er unmittelbar aus dem Haupt des Gottes der Goͤtter
+entsprungen sei und den Olymp besser kenne, als das Haus der armen Frau:
+die ihn mit Schmerzen geboren und mit Thraͤnen, Sorgen und Entbehrungen
+groß gezogen hatte. Kein Dichter stuͤrmte seinen Schmerz und Unmuth
+uͤber die Erniedrigung des Volks in die Saiten, kein Gelehrter schaͤmte
+und graͤmte sich, die ihm von Natur naͤchsten und liebsten Wesen von
+sich getrennt zu sehn durch eine ungeheure geistige Kluft, welche nur
+die Bildung der alten und neuen Welt auszufuͤllen vermogte. Lessing
+schreibt den Nathan, und beweist, daß der Jude eben so viel Anspruͤche
+habe auf den Himmel als der Christ, aber er schreibt nichts, worin er
+beweist, daß der Bauer, sein Vetter, eben so viel Anspruͤche habe den
+Nathan zu lesen, als der vornehme und gebildete Stadtmensch. Winkelmann
+steht am Fuße des Vatikans und erfuͤllt die Welt mit Orakelspruͤchen
+uͤber die Schoͤnheiten des Apoll von Belvedere, uͤber das goͤttliche
+zornblickende Auge, die geblaͤhten Nasenfluͤgel, die veraͤchtlich
+aufgeworfene Unterlippe, „eben hat er den Pfeil abgesandt nach den
+Kindern der Niobe, noch ist sein Arm erhoben,“ und im selbigen
+Augenblicke vielleicht, als er dieses spricht, hebt sein Vater, ein
+armer Altflicker, gedruͤckt und gebuͤckt uͤber den Leisten hingebogen,
+Pfriem und Nadel in die Hoͤhe, blickt mit geisttodten, stumpfen Augen
+auf einen Kinderschuh und gewaͤhrt den Anblick eines Menschen, gegen den
+gehalten der letzte Sclave des Praiteles, der an die Palaͤste der
+altroͤmischen Großen wie ein Hund angekettete Thuͤrwaͤchter apollinische
+Gestalten waren.
+
+Volksbildung, o das Wort hat einen griechischen Klang in meinen Ohren
+und ich muß daher fast bezweifeln, ob es auch von meinen Landsleuten
+gehoͤrig verstanden wird. Schulleute und Gelehrte werden schon wissen,
+was ich meine, ich brauche nur die Woͤrter zu nennen: γυμναςτιχα,
+_studia liberalia, id est_, wie mein alter Schuldirektor glossirend
+hinzufuͤgte, _studia libero homine digna_. Fuͤr das groͤßere Publikum
+muß ich mich wol zu einer etwas umstaͤndlichern Erklaͤrung anschicken
+und besonders fuͤr diejenigen, welche nicht begreifen, wie das Volk
+nicht bloß unterrichtet, in Lesen und Schreiben geuͤbt, sondern auch
+gebildet werden solle.
+
+Zur Volksbildung, wie zu jeder Bildung gehoͤrt zweierlei, etwas
+Negatives und etwas Positives. Sage ich aber vorher, daß ich die Saiten
+nicht zu hoch spanne und daß ich so dem natuͤrlichen Muthwillen der
+Knaben die ganze koͤrperliche Gymnastik, und der Gunst der Goͤtter ihren
+Schoͤnheitssinn, ihre musikalische Praxis und dergleichen uͤberlasse. Im
+Negativen ist die Aufgabe der Bildung, die _vis inertiae_ der rohen
+Natur vertreiben und bezwingen zu helfen — das Kapitel ist weitlaͤufig —
+es besteht aber die _vis inertiae_, die Erbsuͤnde des menschlichen
+Geschlechts, darin, daß im Allgemeinen der ungebildete Mensch — was nun
+gar der norddeutsche Bauer — Selbstdenken scheut, Vorurtheile pflegt,
+fremde Meinungen herleiert, Thier der Gewohnheit, tausendstes Echo,
+Sclave von Sclaven ist, besteht, wie schon die Bibel sagt, darin, daß er
+Augen hat zu sehen und nicht sieht, Ohren um zu hoͤren und nicht hoͤrt,
+besteht, um alles kurz zusammenzufassen, darin, daß er sich seines
+eigenen Verstandes, seines eigenen Gefuͤhls, seines eigenen Willens nur
+in den wenigsten Augenblicken des Lebens bewußt wird. — Der weichenden
+Kraft der Traͤgheit folgt, wie eine elastisch nachdruͤckende Feder, die
+allmaͤhlich hervorspringende Kraft der Thaͤtigkeit. Diese soll
+beschaͤftigt werden, _angemessenen_ Stoff finden, eine _bestimmte
+Richtung_ erhalten. Das ist das Geschaͤft der Bildung im Positiven, das
+ist das Saͤen des Weizenkorns, wenn der Acker von Steinen gereinigt, von
+unfruchtbarer traͤger Last befreit, durchbrochen, gepfluͤgt und
+gefurcht. Trieb, Lust und Kraft zum Verarbeiten des Saamenkorns in sich
+spuͤrte. Mensch und Acker, diese beiden uraͤltesten, natuͤrlichsten und
+durch den religioͤsen Stil aller heiligen Urkunden gleichsam geweihten
+Vergleichungsobjekte, sind sich hauptsaͤchlich darin aͤhnlich, daß der
+Schoͤpfer uͤber beide das Wort ausgesprochen hat: erst gepfluͤgt und
+dann gesaͤet — erst den starren traͤgen Zusammenhang der Oberflaͤche,
+der Gemuͤthsdecke durchbrochen, dann hinein mit dem lieben Korn und —
+jedem Feld das seinige nach Art des Beduͤrfnisses, nach Guͤte und
+Beschaffenheit des Bodens[4].
+
+Lehrer, wollt ihr mehr als Lehrer, wollt ihr Bildner des Volks sein,
+lehrt denken, denken und abermals denken. Gedankenlosigkeit fuͤr eine
+Suͤnde, bestraft sie wie einen Fehler, bindet meinetwegen euren
+Schuͤlern ein symbolisches Brett vor den Kopf oder stellt sie mit dem
+Kopf an die bretterne Wand, oder haͤngt ihnen, wie die Englaͤnder thun,
+Eselsohren an, oder setzt sie, wie unsere Alten thaten, mit dem Steiß
+auf hoͤlzerne Esel und vor allen Dingen, huͤtet euch, selbst die Esel zu
+sein.
+
+Ich bin aber gar nicht gesonnen, bloß den Lehrern _ex professo_ die
+Volkserziehung anheim zu stellen — ihnen dieselbe auf den Stuͤcken zu
+laden, sollte ich wol sagen, bedenke ich das Loos so vieler tausend
+braven Maͤnner, die bei kuͤmmerlichem Brod ihre taͤgliche Noth und Sorge
+haben. Nur immer die Lehrer, nur alles auf ihre Kappe, nur alle Sorge,
+allen schlechten Erfolg der Erziehung auf ihren Antheil gewaͤlzt. Das
+ist bequem, bequem freilich, aber nicht patriotisch. Jeder Patriot ist
+gelegentlich und er sucht die Gelegenheit — Erzieher, Bildner der
+Menschen, in deren Umgebung er lebt, hier hebt er einen Stein auf, dort
+ist sein Wort eine Pflugschaar, welche ein Stuͤck harter Kruste
+aufreißt, dort ein Saamenkorn, das sich heimlich und zu einstiger Frucht
+in die Spalten des Gemuͤths einsenkt.
+
+Volksbildung, Wunsch meiner Wuͤnsche, Ideal, nicht traͤumerisches,
+abgoͤttisches, ruͤckwaͤrts gewandtes, aufwaͤrts in den leeren Himmel
+blickendes, ich glaube an Dich; Ideal, das keinem Dichter vielleicht
+Stoff zum Besingen gibt, das vielleicht unter der Wuͤrde des
+Metaphysikers steht, das die scholastische Zunft Ketzerei schilt und der
+Politiker belaͤchelt, Ideal meiner Seele, Ideal aller Patrioten, im
+Namen aller spreche ich es aus, ich glaube doch und noch immerfort an
+Dich.
+
+Laßt ihr gebildeten Niedersachsen die alten Feudalvorurtheile uͤber den
+Stand eurer Bauern die unreifen Ansichten uͤber ihre Bildungsfaͤhigkeit
+fallen und fahren; erstere sind so roh, wie leider der Bauernstand jetzt
+noch selber, letztere so intellektuell hochmuͤthig, wie man nur immer
+von einem Stand exklusiv Gebildeter im und uͤber'm Volk erwarten kann.
+Bedenkt aber, was ich sage. Ein Leibnitz, zehn Jahr mit sich allein im
+dunkeln feuchten Kerker, kann so dumm und albern werden, daß
+Gaͤnsejungen und Kuhhirten ihren Witz an ihm versuchen. Nun, Monaden
+sollen unsere Bauern freilich nicht erfinden, Leibnitze nicht werden,
+aber doch mit denselben Atomen _ihres Hirns_ uͤber die Erscheinungen in
+der Welt, uͤber Natur und Staat ihre Begriffe zusammensetzen, verbinden
+und aufloͤsen, Gedanken bilden, Urtheile faͤllen und uͤberhaupt sollen
+sie geistige Operationen vornehmen, welche in Leibnitzens Kopf schaͤrfer
+oder abstrakt einseitiger durchgefuͤhrt die Lehre von urtheilbaren
+beseelten Weltstaͤubchen zum Resultat hatten.
+
+Doch, das alles wird euch ein mecklenburgischer Bauer besser
+auseinandersetzen — wenn ihr nach einem Hundert oder Zweihundert Jahren
+zu _reveniren_ Gelegenheit finden solltet.
+
+ * * * * *
+
+Im vorherigen Abschnitt habe ich besonders oder ausschließlich nur auf
+die durch die herrschende plattdeutsche Sprache verhinderte und daher
+auch trotz dem Unterricht im Hochdeutschen verfehlte Bildung des
+Landmanns Ruͤcksicht genommen[5]. Es ist aber auch schwer, wenn von der
+gewerbtreibenden Klasse, der großen Bevoͤlkerung _norddeutscher Staͤdte_
+die Rede ist, die Hemmung und Stockung zu verkennen, welche die
+plattdeutsche Sprache, wo sie dem taͤglichen Umgang angehoͤrt, uͤber die
+Koͤpfe verhaͤngt. Man stoͤßt sich da, wo der Block liegt, nur sind die
+Pfaͤhle, welche den engen plattdeutschen Ideenkreis in der Stadt wie auf
+dem Lande begrenzen und umpfloͤcken, hier mehr roh, dort mehr
+spießbuͤrgerlich abgeschaͤlt und hollaͤndisch uͤberpinselt, das ist der
+Unterschied. Doch giebt es besonders aus groͤßeren norddeutschen
+Staͤdten, eine erfreuliche Thatsache zu berichten. Viele aus den
+mittleren achtbaren Staͤnden, Handwerker u.s.w. haben in neuer und
+neuester Zeit angefangen, sich und ihren Familien eine andere Stellung
+zur hochdeutschen Sprache und Kultur zu geben, als von ihren Vaͤtern
+und Vorfahren eingenommen wurde. Ruͤhmlich ist es, was diese fuͤr ihre
+Kinder thun, mit wie viel Opfern sie oft ihren Lieblingen Gelegenheit
+verschaffen, sich fuͤr ihren kuͤnftigen Stand so zu befaͤhigen, daß sie
+nicht, wie jetzt noch die Meisten aus dieser Klasse, mit leeren Haͤnden
+und offenen Maͤulern den Strom der Einsichten, Ideen, Kenntnisse und
+Bestrebungen an sich voruͤberrauschen sehen, der Europa, Amerika, die
+Welt erfuͤllt. Ruͤhmlich und verstaͤndig zugleich, denn es leitet sie
+der richtige Takt in der Beobachtung, daß Besitz und Vermoͤgen in der
+Welt immer mobiler werden, daß im raschen Wechsel der Dinge, außer dem
+blinden Gluͤck, worauf zu rechnen Thorheit waͤre, Verstand und
+Kenntnisse, die aͤchten Magnete sind, um den aus den Taschen der
+Erwerbenden und Genießenden lustig hin und her wandernden Besitz
+anzuziehen, zusammenzuhalten und zu vermehren.
+
+ * * * * *
+
+Waͤhrend der niedersaͤchsische Bauer bis uͤber Kopf und Ohren im
+Plattdeutschen steckt, der Buͤrgersmann aber schon anfaͤngt, sich
+zwangloser, als bisher, des hochdeutschen Mediums zu bedienen, sollte
+man vom Gebildeten _par exellence_, vom Musensohn, vom Beamten des
+Staats und der Kirche u.s.w. aussagen duͤrfen, daß er sich mit voͤlliger
+Freiheit und Lust in hochdeutscher Sprache und Bildung bewegte und vom
+plattdeutschen Idiom nur außer und unter diesem Kreise Gebrauch machte.
+Allein die Sache verhaͤlt sich anders. Ich muß in dieser Hinsicht
+Gedanken aͤußern, Erfahrungen mittheilen, welche meinem Gegenstande eine
+ganz eigentuͤmliche uͤberraschende Wendung geben.
+
+Thatsache ist naͤmlich, daß die plattdeutsche Sprache Haus- und
+Familiensprache in Tausenden von Beamtenfamilien, Lieblingssprache auf
+allen norddeutschen Universitaͤten ist. Diese Sprache also, die ich als
+Schranke alles Strebens und Lebens, als Feindin der Bildung betrachte,
+ist dieses so wenig in den Augen vieler meiner Landsleute, daß sie den
+vertrautesten Umgang mit ihr pflegen, daß sie ihr, der von Kanzel und
+Lehrstuhl und aus guter Gesellschaft laͤngst Vertriebenen, eine
+Freistaͤte am Heerde ihres Hauses gewaͤhren.
+
+Hier im Schooß der Familien erscheint sie als Exponentin der innigsten
+Verhaͤltnisse. In Scherz und Ernst fuͤhrt sie oft das Wort, sie ist
+Vertraute der Gattenliebe, Organ der Kindererziehung, Sprache des
+Herzens, Lehrmeisterin der Sitte und praktischer Lebensklugheit. Hier
+hat sie auch meistens ihre Rohheiten abgelegt, kehrt die beste Seite
+heraus und scheint sich, gleichsam durch ihr Ungluͤck gebessert, des
+Vertrauens wuͤrdig zu machen.
+
+Kommt hinzu, daß ihre Schutzherrn nicht selten Maͤnner von Talent, Geist
+und Namen sind. Beruͤhmte Lebende koͤnnte ich anfuͤhren, ich begnuͤge
+mich den seligen Johann Heinrich Voß zu nennen, der nicht allein in
+Eutin, sondern noch in Heidelberg bis an seinen Tod mit Frau, Familie
+und norddeutschen Gaͤsten am liebsten und oͤftersten plattdeutsch
+sprach.
+
+Das sind Thatsachen. Wie gleiche ich sie aus mit der Behauptung, die
+plattdeutsche Sprache sei Feindin der Bildung, des Ideenwechsels, der
+geistigen Lebendigkeit; jetzt, da ich selbst nicht umhin konnte, Maͤnner
+von Geist und Talent, von Gelehrsamkeit, rastloser Thaͤtigkeit, Maͤnner
+wie Voß als plattdeutsche zu bezeichnen?
+
+Freilich, ich koͤnnte den nachteiligen Einfluß der plattdeutschen
+Sprache eben nur auf das Volk und die Volksbildung beschraͤnken. Ich
+koͤnnte mich etwa, um dem _gebildeten Plattdeutschen_ allen Anstoß aus
+dem Wege zu raͤumen, folgendermaßen daruͤber ausdruͤcken: _absolut dem
+Geiste lethal_ ist das Plattdeutsche nur, wo hochdeutsch, sanskrit und
+boͤhmische Doͤrfer gleich bekannt sind, wie hie und da in Pommern und
+Meklenburg; was denn von den groͤßten Freunden des Plattdeutschen
+zugegeben werden muͤßte, da gar nicht zu laͤugnen, daß an sich und fuͤr
+sich dasselbe nichts Lebendes und Bewegendes enthalte, sondern Todt und
+Stillstand selber sei; _geistig hemmend und laͤhmend_ bleibt aber das
+Plattdeutsche immer noch aus der Stufe der Gesellschaft, wo ihm zwar
+das Hochdeutsche verstaͤndlich naͤher getreten, aber noch als ein
+Fremdes gegenuͤber steht; _ohne schaͤdlichen Einfluß und gleichsam
+indifferent fuͤr Geist und Bildung_ zeigte sich die plattdeutsche
+Sprache, da, wo sie der hochdeutschen nicht als Fremde gegenuͤber steht,
+sondern schwesterlich zur Seite geht.
+
+Allein, ich fuͤrchte, _indifferent_ ist ein Ausdruck, der hier schon aus
+allgemeinen psychologischen Gruͤnden unstatthaft erscheint. Zwei
+Sprachen auf der Zunge sind zwei Seelen im Leibe. Ist die eine Sprache
+die geliebtere, die Herzenssprache, so ist die andere, fuͤr welche
+Zwecke sie auch aufgespahrt wird, um ihren schoͤnsten Anteil am Menschen
+zu kurz gekommen. Sie raͤcht sich, indem sie das nicht zuruͤckgiebt, was
+sie nicht empfaͤngt, sie schließt ihre innerste Weihe nicht auf und
+laͤßt sich wol als aͤußeres Werkzeug mit großer Kunst und Kuͤnstelei,
+aber nicht als zweites Ich mit Liebe und Freiheit gebrauchen.
+
+Der hochdeutschen Sprache verdankt jeder Niedersachse sein veredeltes
+Selbst, ihr der aus dem Volk geborne Redner, Dichter, Schriftsteller
+sein Alles und Ruf und Namen im Kauf. Kann er ihr sein Herz dafuͤr nicht
+zuruͤckschenken, kann er sie nicht zur Sprache seiner haͤuslichen
+Freuden und Leiden machen, muß sie verstummen, sobald er gemuͤthlich
+wird, so steht sein gebildetes und veredeltes Selbst im geheimen
+Kontrast zu seinem intimen Selbst und es wird sich daher auch an seiner
+Bildung, an seinen Gedichten, Reden, Schriften diese Einseitigkeit,
+dieser Widerspruch offenbaren und nachweisen muͤssen.
+
+Menzel hat's bekanntlich an Johann Heinrich Voß unternommen. Die Stelle
+in Menzels Literatur, die Voß betrift, ist bitter, frivol, einseitig,
+aber sie ist bedeutend und hat dieselbe nachwirkende Sensation
+hervorgebracht, wie das Urtheil uͤber Goͤthe, das freilich noch
+einseitiger ausgefallen ist und sich selbst _à la_ Pustkuchen
+laͤcherlich machte. Als ich Menzels Worte zum erstenmal las, fuͤhlt ich
+mich empoͤrt. Zeig dich nur erst als so einen _niedersaͤchsischen
+Bauer_, wie du den Voß zum Spotte nennst, rief ich im Zorn aus; allein
+ich mußte mir einen Augenblick darauf selbst sagen, daß diese Anmuthung
+an einen Suͤddeutschen weder billig noch selbst einladend genug klang
+und daß doch zugleich eben in meinem Ausrufe eine Art von halbem
+Zugestaͤndnisse lag. Wirklich hatte ich schon immer eine Ansicht uͤber
+Voß als Dichter und Uebersetzer gehegt, die bei aller Achtung Vor dessen
+großen, zweifellosen Verdiensten, durchaus nicht nach uͤbertriebener,
+philologischer Bewunderung und niedersaͤchsischem Patriotismus roch. Ich
+fand, daß er dem Genius der deutschen Sprache von Jahr zu Jahr mehr
+Zwang angethan, daß er zu roh und willkuͤhrlich an ihr gezimmert und
+losgehaͤmmert und daß kein Deutscher, selbst Voß nicht, solche Woͤrter,
+Wendungen und Redensarten in den Mund nehmen konnte, wovon seine
+prosaischen und poetischen Schriften voll sind. Gegenwaͤrtig lautet mein
+Urtheil vielleicht noch entschiedener. Ich sehe an Johann Heinrich Voß
+bestaͤtigt, was ich eben aussprach. Die hochdeutsche Sprache hatte seine
+Liebe nicht voͤllig inne, daher erschloß sie ihm nicht ihr eigenes Herz,
+ihre Heimlichkeiten und Geheimnisse, ihre jungfraͤuliche Natur, die
+Bluͤthe ihres Leibes und Geistes, lauter Gaben und Geschenke, die man im
+zaͤrtlichen Umgang freiwillig von der Geliebten eintauscht, nicht aber
+durch Willkuͤhr und Zwang ihr abgewinnen kann.
+
+Indem ich dieses allen Gebildeten in Niedersachsen zu bedenken gebe, bin
+ich keinesweges abgeneigt, einer patriotisch-wohlmeinenden Stimme aus
+ihrer Mitte Aufmerksamkeit zu schenken, welche die Ueberzeugung aͤußert,
+der Gebrauch der plattdeutschen Sprache in den Familien gebildeter
+Niedersachsen, welchen Einfluß er auch uͤbe auf die intellektuellen
+wahren oder ertraͤumten Beduͤrfnisse, auf die verfeinerte Civilisation,
+Bildung oder Verbildung der Zeit — ich schattire absichtlich diese
+Ausdruͤcke mit dem bekannten Pinsel, der ohne Zweifel aus guter aber
+beschraͤnkter Absicht alles was der Gegenwart und der neuesten Zeit
+angehoͤrt gegen die gute alte im Schwarzen und Bedenklichen laßt — der
+Gebrauch sei ein guter und treflicher in Ruͤcksicht auf den Charakter
+der Hausgenossen, weil mit der Sprache der Vaͤter auch ihre alte
+ehrliche und treue Sitte, ihre Herzlichkeit, Gradheit und Biederkeit
+sich auf die Enkel fortpflanze.
+
+Aufrichtig, du mir immer liebe Stimme, wenn da aus schlichtem,
+patriotischem Herzen kommst, ich weiß nicht ob unsere Urgroßvaͤter so
+ganz diesem schmeichelhaften Silbe glichen. Es ist sonderbar damit, man
+spricht immer von der guten alten Zeit und jedes aussterbende Geschlecht
+vermacht die Sage davon an das aufbluͤhende und die gute alte Zeit
+selbst laͤßt sich vor keinem sterblichen Auge sehn und ist immer um
+einige Stieg Jahre aͤlter, als die aͤltesten lebenden Menschen. Ich muß
+laͤcheln, wenn ich an die Verlegenheit wohlmeinender Chronisten und
+Geschichtschreiber denke, wenn sie, um das moralische Maͤhrchen nicht zu
+Schanden werden zu lassen, sorgenvoll spaͤhende Blicke in die
+Vergangenheit werfen, um auch nur einen Zipfel, einen Saum von der
+Schleppe der alten Guten oder guten Alten zu erhaschen. Man gebe nur
+Acht, wie listig sie sich dabei benehmen. Sie lassen ihr nie unmittelbar
+ins Gesicht sehen, sie sagen nicht, nun kommt sie, oder da ist sie; im
+Gegentheil wimmeln die Blaͤtter ihrer Geschichte nicht selten eben
+vorher von klaͤglichen Zustaͤnden, Schwaͤchen, Lastern und
+Erbaͤrmlichkeiten der menschlichen Natur, wenn sie dem Abschluß einer
+auserwaͤhlten, kleinen, glaͤnzenden Periode sich naͤhern; dann aber,
+wenn der Vorhang faͤllt, die grellen Farben sich schwaͤchen, die boͤsen
+Beispiele nicht mehr so lebhaft der Idee von guten Sitten
+entgegenarbeiten, wenn das Bild der Zeit abzieht, dann zeigen sie auf
+ihren bordirten Saum und rufen dem Zuschauer wehmuͤthig zu, da geht sie,
+da geht sie hin die gute alte Zeit und nun werden die jungen Zeiten
+anwachsen, ihre Kinder, die sind aber sehr ausgeartet und werden alte
+Zeit schlechter. Das man die Geschichte der Sitten von einem ganz andern
+Standpunkt und mehr im Großen der Welterscheinungen betrachten muß, das
+ahnen die guten Leute nicht.
+
+Fuͤr jeden Einzelnen ist es freilich immer eine Sache der Pietaͤt und
+ein wohlthuendes Gefuͤhl, sich seine Vorfahren als durchgaͤngig honette
+Leute vorzustellen. Der dunkele Buͤrgerliche oder Baͤuerliche kann
+dieser Vorstellung wenigstens ohne großen geschichtlichen Anstoß und
+Widerspruch nachhaͤngen, er hat hierin einen Vortheil vor den
+beruͤhmtesten Adelsfamilien voraus. So ist in hochdeutschen
+buͤrgerlichen Familien die Vorstellung vom Großvater, Urgroßvater als
+altdeutschen Degenknopf die herschende und die liebste. Schwaͤcher und
+allgemeiner bezeichnet sind die _epitheta ornanti_ fuͤr baͤuerliche
+Vorfahren, Degenknoͤpfe kann man sie schicklicherweise nicht nennen und
+der Bauerwitz ist bis jetzt noch nicht auf den Einfall gekommen, etwa
+die Ausdruͤcke von alten deutschen Piken, Sensen oder Messerscheiden auf
+sie anzuwenden. Ueberhaupt ist zu bemerken, daß das Wort deutsch nur
+hochdeutsch ist, und im originalen plattdeutsch des gemeinen Lebens
+nicht vorkommt, eben so wenig, wie die fruͤherhin angefuͤhrten Woͤrter
+Bildung und Verfassung, so daß die Redensart „das gebildete und
+verfassungsmaͤßige Deutschland“ in plattdeutscher Sprache noch weniger
+als eine Redensart und gar nichts ist.
+
+Nach dieser vorlaͤufigen Verstaͤndigung waͤre zunaͤchst der Hauptsatz
+einzuraͤumen, mancherlei alte Sitte geht durch den Gebrauch der
+plattdeutschen Sprache auf die Glieder der Familie uͤber, und —
+_Folgesatz_ — wird ihnen zeitlebens etwas ausdruͤcken oder anhaͤngen,
+was sich nicht wol mit ihrer sonstigen Bildung vereinigen, sich nicht
+fuͤr die Zeit und heutige Gesellschaft schicken will — das aber — _Nach-
+und Beisatz_ — den Umgang mit dem Volk, das Einwirken auf das Volk zu
+erleichtern geeignet sein mag.
+
+Letzteres betrachte ich in der That fuͤr sein unwichtiges Moment. Man
+sieht hier den Gebrauch der plattdeutschen Sprache in Prediger- und
+Beamtenfamilien unter seinen natuͤrlichsten und vortheilhaftesten
+Gesichtspunkt gestellt. Diese Familien, meistens selbst vom Lande und
+auf dem Lande besitzen und erregen nicht selten das Vertrauen des
+Landmanns und wie es andere Familien zum Beispiel in der Stadt giebt, in
+deren Mitte er sich fuͤr verrathen und verkauft halten wuͤrde, so trift
+er in jenen gleichsam naͤhere und entfernte Anverwandte und sieht in
+deren haͤuslichem Leben wie in einen Spiegel, worin sein eigenes mit
+verschoͤnerten Zuͤgen ihm vertraulich entgegentritt.
+
+Doch ist keiner geringen Anzahl von diesen Familien die hoͤchst
+dringende Warnung zu ertheilen, vor dem allmaͤhligen herabsinken auf die
+baͤuerliche Stufe der Kultur auf der Hut zu sein. Da sich im
+Plattdeutschen einmal nichts Gescheutes sprechen laͤßt, so nimmt die
+plattdeutsche Gemuͤtlichkeit nur zu leicht den Charakter der Traͤgheit
+an. Das Beduͤrfniß bedeutenderer Conversationen, zarterer Beruͤhrungen,
+die nur in einer gebildeten Sprache moͤglich sind, regt sich immer
+schwaͤcher, die einfache Sitte verwandelt sich in rohe, das Herzliche
+ins Laͤppische, das Gerade in's Plumpe, das Derbe in's Ungeschlachte und
+es tritt nur zu oft jener traurige Ruͤckschritt der Civilisation ein,
+den man Verbauerung nennt. Damit ist dem Bauer auch nicht geholfen, der
+Familie, den Kindern noch weniger.
+
+Wer sich also in seiner Neigung und Vorliebe fuͤr das Plattdeutsche im
+Haͤuslichen auf einen Heros der deutschen Literatur wie Johann Heinrich
+Voß oder einen Pfarrer, wie Klaus Harms zu berufen gedenkt, der thut
+wohl, sich zuvoͤrderst die Fragen vorzulegen: bist du des Umschwungs
+deines geistigen Raͤderwerks auch so gewiß und sicher, wie jene, laͤufst
+du keine Gefahr, dich fuͤr die Wissenschaft abzustumpfen, die Bewegung
+der Zeit aus dem Auge zu verlieren; darfst du nicht befuͤrchten, dich
+und deine Familie an den Bettelstab des Gedankens zu bringen, deinen
+Kindern eine unersaͤtzliche Zeit zu rauben, sie unerzogen in die Welt zu
+stoßen und mit deinem ganzen Hause an den untersten Fuß der Civilisation
+herabzugleiten?
+
+Das moͤgten doch immer Fragen sein, die einer aͤngstlich gewissenhafter
+Beantwortung werth sind.
+
+ * * * * *
+
+Aber die plattdeutsche Sprache, ist, wie erwaͤhnt, Lieblingssprache auf
+allen norddeutschen Universitaͤten und das wenigstens wird ihr waͤrmster
+Freund nicht gut heißen koͤnnen.
+
+Hier tritt sie als gefaͤhrlichste Bundesgenossin aller jener
+zahlreichen Uebel und Hemmnisse auf, die sich von Anfang an auf unsere
+Universitaͤten verschworen zu haben scheinen, um die Humanitaͤt im Keim
+zu ersticken. Hier legt sie die idyllische ehrbare Miene ab, wodurch sie
+sich in laͤndlichem Pfarrhause Frau und Toͤchtern empfiehlt, zwanglos
+grob, ungenirt gemuͤtlich wandert sie in den Auditorien aus und ein, den
+Mund immer offen und nur pausirend, wenn der Professor spricht und der
+Student Religionsphilosophie, Metaphysik, Naturlehre und andere
+hochdeutsche _sublimia_ in sein Heft eintraͤgt. Zum Teufel ihr Herren
+_favete linguis!_ wie kommt die Sprache Boͤotiens in Minervens Tempel.
+Ihr koͤnnt freilich antworten, wie kommt Minervens Tempel zu unserer
+Universitaͤt, die nur eine alte wankende Ruine aus dem Mittelalter ist.
+Recht! aber wo euer Fuß hintritt, da soll Athen sein, geweihter Boden
+sein — _soll_, sage ich, denn warum sonst haben die Goͤtter dem
+jugendlichen Fuß die Sehne der Ungeduld und des heiligen Zorns
+verliehen, die mit einem Tritt zerstampft, was das Alter mit beiden
+Haͤnden nicht aus dem Wege schaffen kann, warum anders, als damit ihr
+Schoͤneres, Besseres, Heiligeres aus dem Boden zaubern sollt. Ihr
+versteht mich nicht? Ich verstehe euch auch nicht, ich verstehe die edle
+norddeutsche Jugend nicht, die sich auf dem Musensitz einer Sprache
+bedient, die dem Dunkel des Geistes, der Barbarei vergangener Zeiten
+angehoͤrt. Macht es dieser Jugend Scherz, ihre eigenen Studien, das
+akademische Leben, den duͤrren Scholastizismus und die Pedanterie des
+akademischen Instituts zu parodiren, zu travestiren, so sehe ich
+allerdings weder großen Uebermuth in diesem Scherze, noch verkenne ich,
+wie sehr die plattdeutsche Sprache, ja schon ihr Klang, zu diesem Zweck
+sich eignet[6]; allein Scherz muß Scherz, das heißt fluͤchtig und
+wechselnd bleiben, und wenn derselbe Scherz und dieselbe Travestie drei
+Jahre alt wird, so muß man ein sehr ernsthaftes und langweiliges Gesicht
+dazu machen.
+
+Kann man nicht heiter, gesellig, witzig, selbst wenn Lust und Laune
+danach, derb und spaßhaft im Element des Hochdeutschen sein. Ist die
+Sprache unserer Bauern humoristischer als die Sprache Abrahams a Sancta
+Clara, Lichtenberg, Jean Pauls. O ich kenne die niedersaͤchsischen
+Witze, sie stehen alle in einem kleinen grobloͤschpapiernen Buch mit
+feinen Holzschnitten, das jaͤhrlich in diesem Jahre gedruckt wird. Es
+tritt darin auf „der Ruͤbezahl der Luͤneburger Haide,“ der Repraͤsentant
+des niedersaͤchsischen Volkshumors, der geniale Till und ruͤlpst auf die
+anmuthigste Weise lauter Witze vor sich hin, die aus einer Zeit stammen,
+wo das Volk nur den groben Wanst, dagegen die Ritterschaft den Arm, die
+Geistlichkeit den Kopf des Staatsungeheuers repraͤsentirte.
+
+Oder was zieht ihr vor an der plattdeutschen Sprache? Ich weiß die
+Antwort nur zu gut, „sie macht uns Spaß[7]; sie ist uns gemuͤthlich.“
+Chorus von Goͤttingen, Rostock, Greifswalde, Kiel, sie macht uns Spaß,
+sie ist uns gemuͤthlich, es wird uns wohl dabei! Auch in Jena,
+Heidelberg, Berlin, Bonn, wohin wir kommen und wo unserer zwei bis drei
+beisammen sind, da ist sie mitten unter uns. Sie gehoͤrt mit zum Wesen
+der norddeutschen Landsmannschaft und das waͤre kein braver Holsat oder
+Meklenburger, oder Oldenburger, der nicht wenigstens drei Plattituͤden
+am Leibe haͤtte, plattes (Muͤtze) auf dem Kopf, plattes (Mappe) unter'm
+Arm und das liebe Platt im Munde.
+
+O Jugend, akademische, Bluͤthe der Norddeutschen, sei nicht so duftlos.
+Dufte etwas nach dem Geist der Alten — ich meine nicht deiner eigenen —
+bethaue deine Bluͤthen und Blaͤtter mit etwas Naß aus der Hippokrene,
+durchdringe sie mit etwas Oel aus der Lampe der Philosophie, empfinde,
+fuͤhle wenigstens nur die heiße Thraͤne des Unmuts und des Schmerzes,
+die der Genius deines Vaterlands auf dich herabtraͤufelt.
+
+O Jugend, akademische, ihm ist uͤbel, wenn dir wohl ist. Mephistopheles
+freilich lacht und spoͤttelt dazu und wenn er dich in Auerbachs Keller
+platt und wohlbehaglich sitzen sieht so ruft er seinem Begleiter zu:
+
+ Da siehst du nun, wie leicht sich es leben läßt?
+ Dem Völkchen da wird jeder Tag zum Fest.
+
+Wie hat sich seit den Tagen des Faustus die Welt veraͤndert, was ist
+nicht alles in den letzten 30, in den letzten 13, in den letzten 3
+Jahren geschehen und dieses Voͤlkchen ist noch immer das alte geblieben?
+Wo kommt es her? Wo geht es hin?
+
+Es gibt Ausnahmen, wie sollte es nicht. Aber ich spreche, wie immer in
+dieser Schrift, vom großen Haufen, und der ist auf unsern Universitaͤten
+noch immer der alte Stamm und das Plattdeutsche seine hartnaͤckigste
+Wurzel.
+
+Es hat fast den Anschein, als muͤßte der Bauer erst mit gutem Beispiel
+vorangehn und die Sprache der Bildung gegen den Dialekt der Rohheit
+eintauschen, ehe der Student sich dazu entschließt.
+
+Wie noͤthig thaͤte es Manchem, um auch nur den aͤußern Schein seines
+Standes im Gespraͤch und Umgang mit Gebildeten zu retten. Ich schaͤme
+mich's zu sagen, welche Erfahrungen ich gemacht habe.
+
+Wie noͤthig aber thut es Jedem, sich unablaͤssig in einer Sprache zu
+bewegen, die ihm erst zu der Herrschaft uͤber sein Wissen verhelfen
+soll; wie noͤthig Jedem, sich einer Sprache zu entschlagen, welche diese
+Herrschaft mißgoͤnnt und streitig macht, welche wie das lichtlose dumpfe
+Chaos dicht hinter seiner aufzubauenden Welt lauert.
+
+Ohnehin fordert die hochdeutsche Sprache Uebung, viel Uebung. Sie faͤllt
+Einem nicht so in den Mund, wie dem Franzosen das franzoͤsische. Das
+Talent sich fertig und gelaͤufig auszudruͤcken, ist immer noch ein
+selteneres, am seltensten in Nord-Deutschland. Sprache und Gedanke,
+Sprache und Gelehrsamkeit stehen haͤufig im ungeheuersten
+Mißverhaͤltniß. Fern sei es von mir, den bloßen Fluß der Worte, die
+Geschwaͤtzigkeit als eine Tugend zu preisen. Aber diese Wortangst, diese
+Wortplage, die so viele Sprechende befaͤllt, dieses Stottern, Ringen,
+Raͤdern und Braͤchen, das am Ende oft doch nur etwas Verschrobenes oder
+Triviales zu Tage foͤrdert, das alles deutet bei unsern Gelehrten auf
+eine klaͤgliche Unangemessenheit zwischen todtem Studiren und lebendigem
+Umtausch hin.
+
+Von dieser Seite betrachtet zeigt sich der geruͤgte Uebelstand auf
+norddeutschen Universitaͤten im haͤßlichsten Licht. Der tuͤchtigste Kopf
+kann sich kaum vor der Masse des Fertigen, Vorgedachten, Positiven
+erwehren, das so regelmaͤßig wie der Rinnenguß einer Wassermuͤhle Tag
+fuͤr Tag auf ihn eindringt. Es gehoͤren elastische Denkfibern,
+gluͤckliches Gedaͤchtniß (auch gluͤckliches Vergessen) und vor allem
+Freundesgespraͤche dazu, um die ewige Nothwehr mit Erfolg fortzusetzen
+und das heiligste Gut der Persoͤnlichkeit, das Stoffbeherrschende,
+selbstbewußte, selbstdenkende Ich siegreich davonzutragen. Vor allem
+Freundesgespraͤche, sage ich. Einsames Lernen, stilles Sammeln,
+Betrachten, Denken sind nothwendig; aber wer nicht spricht, erstickt,
+wird verwirrt, chaotisch und das eben ist der geistige Zustand der
+meisten jener Gelehrten, deren Sprechen ich so eben als Sprachangst und
+Sprachplage bezeichnet habe.
+
+Mit welchen Farben soll ich den barocken, laͤcherlich traurigen
+Geisteszustand einer plattdeutschen Studentenmasse schildern. _Ochsen_
+nennt sie selbst die mechanische Arbeit, die sie zum Behuf des Examens
+taͤglich vornimmt. Jeden Tag schiebt sie fleißig ihren Karren Pandekten,
+Dogmatik u.s.w. in die Scheune ihres Gedaͤchtnisses.
+
+Liegt da das taͤgliche Pensum zu Hauf, so spannt sie sich aus, laͤßt's
+liegen, wo es liegt und — wird gemuͤthlich, plattdeutsch.
+
+_Humaniora_, erfrischende, belebende, hoͤher hinantreibende Vortraͤge,
+hoͤrt sie nicht, oder bekommt sie nicht zu hoͤren, da leider an vielen
+Orten die _Humaniora_ nur als Antiquitaͤten gelesen werden.
+
+Klingt es nicht manchmal als Ironie, wenn der Bauer seinen Sohn, oder
+des Amtmanns, Schulzen, einen Studeermakergesellen nennt? — O
+norddeutsche, studirende Jugend, nimm das platt aus dem Munde!
+
+ * * * * *
+
+Bis hierher hatte ich das Niedergeschriebene einem Freunde vorgelesen.
+Ich fragte diesen um sein Urtheil. Ich bin uͤberrascht, sagte er nach
+einigem Zoͤgern: Ich habe uͤber den Einfluß der plattdeutschen Sprache
+bisher nicht weiter nachgedacht, und das moͤgte wohl der Fall mit den
+meisten kuͤnftigen Lesern dieser Bogen sein. Nichts destoweniger habe
+ich diesen Einfluß dunkel und unangenehm empfunden; er macht, besonders
+wenn man aus dem Suͤden zuruͤckkehrt, einen aͤhnlichen Eindruck, wie die
+veraͤnderte Athmosphaͤre, die fahle Luft und das haͤufige Regenwetter
+des Nordens. Man findet sich darein, wie in ein nothwendiges Naturuͤbel.
+Allein mit der Sprache ist es wol ein Anderes. Sie haben Recht, wenn Sie
+einmal fruͤher aͤußerten, man muͤsse sich selbst gegen das Nothwendige,
+das der physischen oder moralischen Ordnung angehoͤrt, in Position
+setzen. Sie haben mir, darf ich sagen, ordentlich die Brust erleichtert,
+indem Sie mich auf einen bestimmten Landesfeind aufmerksam machen, mit
+dessen Vertilgung das Feld fuͤr die norddeutsche Civilisation gewonnen
+scheint. Das wird und muß nach Lesung Ihrer Schrift, das Gefuͤhl aller
+Patrioten sein, denen es in dieser Zeit wie Alpdruͤcken auf dem Herzen
+liegt. O wohl! o wohl! Die plattdeutsche Sprache ist das absolute
+Hemmniß des oͤffentlichen Lebens, der Bildung und Humanitaͤt in
+Niedersachsen. So lange diese Sprache dem gemeinen Leben angehoͤrt,
+werden, wie bisher, Mastochsen, Gaͤnsebruͤste und westphaͤlische
+Schinken die Hauptprodukte unserer Civilisation bleiben. Gegen die
+Civilisation selbst macht die plattdeutsche Sprache nicht allein
+gleichguͤltig, sondern tuͤckisch und feindselig gestimmt. Warum ist das
+nicht laͤngst zur Sprache gebracht, Gegenstand des allgemeinsten und
+lebhaftesten Interesses geworden.
+
+Sie vergessen, sagte ich, daß Voß, Harms, Scheller, Baͤrmann und andere
+wackere Maͤnner die Theilnahme des Publikums fuͤr diese Sprache, selbst
+fuͤr eine Literatur in derselben, haben in Anspruch nehmen wollen.
+
+Ich weiß, erwiederte er, ich habe unter andern den „_Bloottuͤgen_,“ den
+Henrik von Zuͤphten vom Pastor Harms gelesen. Damals dachte ich nichts
+anderes dabei, als daß so ein plattdeutsches Buch unbequem und schwer zu
+lesen und wahrscheinlich noch unbequemer zu schreiben sei.
+
+Was den Henrik von Zuͤphten betrift, bemerkte ich dagegen, so scheint
+mir der Verfasser einen Ungeheuern Mißgriff in der Wahl des Stoffes
+gethan zu haben. Ich schaͤtze die alten Dithmarsen sehr hoch. Sie waren
+ein tapferer, unbezaͤhmlicher, ordentlich nach Freiheit und
+Unabhaͤngigkeit duͤrstender Menschenschlag, Bauern zu Pferde mit dem
+Schwerdt in der Hand, die Schweizer des Nordens oder vielmehr Wittekinds
+und seiner Sachsen ungebeugte und ungebrochene Enkel bis in's
+fuͤnfzehnte und sechszehnte Jahrhundert hinein. Nur weiß ich nicht, ob
+ein lutherischer Pfarrer von Heute, selbst wenn er geborner Dithmarse
+ist, einer so durchaus heidnischen Mannheit Gerechtigkeit widerfahren
+lassen kann; denn obwol die dithmarsische Groͤße und Freiheit in
+christliche Zeiten fiel und die Verehrung der Jungfrau Maria in diesem
+Lande gerade hoͤher getrieben wurde, als, wie es scheint, andeswo im
+Norden, so erhielt doch der hochfahrende und kampflustige Sinn der
+Einwohner durch sie nur eine sehr schwache christliche Faͤrbung und wol
+schwerlich hat die Brust eines mutigen Dithmarsers aus Furcht vor dem
+Himmel, der Geistlichkeit oder eigener Gewissenszartheit christliche
+Demuth dem Muth uͤbergeordnet, wie man solches in den Ritterbuͤchern des
+Mittelalters liest. Doch mag es damit sein, wie es will; ich muß
+bekennen, daß ich uͤberhaupt keinen Geistlichen zum Geschichtschreiber
+wuͤnsche, speziell nicht zum Dithmarsischen. Was mir aber auffiel, war,
+daß Pastor Harms sich grade einen Moment aus der dithmarsischen
+Geschichte gewaͤhlt hatte zur plattdeutschen Darstellung, der auf so
+schneidende Weise mit der altvaͤterischen, derben Bonhommie, die er
+dieser Sprache im Eingang nachruͤhmt, im Kontrast steht: der
+Maͤrtyrertod des ersten lutherischen Predigers in Dithmarsen. Diese
+kalte Wuth, dieser Hohn menschlichen Gefuͤhls, diese Spurlosigkeit alles
+Barmherzigen, womit hier der arme Mann einem langsamen und
+schauderhaften Tode uͤberliefert wird, macht nicht nur an sich einen
+boͤsen Fleck in der dithmarsischen Geschichte aus, sondern erinnert auch
+sehr zur Unzeit, daß diese beste Zucht niedersaͤchsischer Maͤnner, die
+Dithmarsen, von jeher neben ihrer Tapferkeit und eisernen Sitte, mit
+asiatischer Barbarei an Gefuͤhllosigkeit gegen Feind und Freund
+gewetteifert haben, was den allerdings wol auf eine derbe und rohe, aber
+keineswegs auf so eine „alte und gemuͤthliche“ Sprache hindeutet, wie's
+so etwa von einem unserer friedlichen und gutmuͤthigen Philister
+heutiger Zeit verstanden wird. — Fuͤgen Sie noch hinzu, sagte hierauf
+mein Freund, daß das Dithmarsen der Gegenwart, das noch ganz und gar
+plattdeutsch ist, und wo auch noch wirklich das beste platt[8]
+gesprochen wird, weder in moralischer noch in gesellschaftlicher
+Beruͤhrung ein sehr glaͤnzendes Lob auf dasselbe zuzulassen scheint. Die
+Armuth, Trunkfaͤlligkeit, die ungeheure Zahl der veruͤbten Mordbraͤnde
+in Dithmarsen deuten auf einen sehr versunkenen sittlichen und
+buͤrgerlichen Zustand. Eben er, der mit herrlichem Eifer fuͤr die
+Verbreitung religioͤser und moralischer Lebensflammen erfuͤllte Pastor
+Harms hat in patriotischen Schriften seinen Schmerz daruͤber
+ausgesprochen. Was kann er aber, sage ich jetzt mit vollster
+Ueberzeugung, von der Mithuͤlfe einer Sprache erwarten, welche aller
+Mittheilung unbesiegliche Schranken entgegenstellt und das wahre Grab
+des hoͤheren Leben ist. Es staͤnde zu wuͤnschen, daß ein dithmarsischer
+Patriot den nachteiligen Einfluß der Sprache auf die Fortschritte der
+Civilsation und selbst auf die schoͤnere Humanitaͤt einer
+ausgezeichneten Einzelbildung aus der Allgemeinheit Ihrer Schrift
+uͤbertragen moͤge auf Dithmarsen und die Dithmarsen, wie sie sind und
+was sie vermoͤge ihrer Sprache sind und nur sein koͤnnen.
+
+Ihr Wunsch ist der meinige, ich werde ihn, wie uͤberhaupt unser
+Gespraͤch, vor's Publikum bringen, und zwar als integrirenden Theil
+meines Aufsatzes. Denn, glauben Sie mir, ohne Ihr Hinzukommen wuͤrde ich
+mich nie zur Herausgabe desselben bestimmt haben.
+
+Sie scherzen, oder wollen etwas sagen, was mir nicht klar ist.
+
+Hoͤren Sie nur und urtheilen Sie selbst. Ich habe bisher darzustellen
+gesucht, daß die plattdeutsche Sprache sowol an sich unfaͤhig sei, die
+Keime der Civilisation zu fassen als auch, so lange sie taͤgliche
+Umgangssprache in Niedersachsen bliebe, alles Bemuͤhen zur Civilisation
+durch das Mittel der hochdeutschen Sprache vereiteln muͤsse. Ich habe
+diese Wahrheit nicht allein auf die unteren Kreise beschraͤnkt, ich habe
+fuͤhlbar zu machen gesucht, wie ohne unterliegende allgemeine
+Volksbildung, auch die hoͤhere Bildung des Einzelnen gefaͤhrdet sei und
+zum Beispiel die Extreme auf der jetzigen Leiter unserer Kultur, Bauer
+und Student oder Studirter, sich in demselben rohen und bildunglosen
+Medium wieder beruͤhren. Habe ich, wie ich meine und getrost der
+oͤffentlichen Stimme uͤberlasse, dieses mit unabweisbarer
+Handgreiflichkeit nachgewiesen, so werde ich allerdings der
+Uebereinstimmung aller Patrioten in der Behauptung gewiß sein, es sei
+nicht wuͤnschenswerth, daß die ohnehin aussterbende und vermodernde
+plattdeutsche Sprache, gehegt und gepflegt werde, es sey im Gegentheil
+wuͤnschenswerth, daß sie sich je eher je lieber aus dem Reiche der
+Lebendigen verliere. Und somit waͤre denn im verhofften guten Fall hie
+und da eine Meinung, eine Ansicht uͤber das Wuͤnschenswerthe und nicht
+Wuͤnschenswerthe in dieser Angelegenheit oͤffentlich angeregt. Aber
+sagen Sie mir, was ist eine Privat-Meinung, die einen frommen Wunsch zur
+Folge hat, im Angesicht eines oͤffentlichen Gegenstandes, oder
+Widerstandes, der nichts meint und wuͤnscht, der nur so eben sich seiner
+breiten Fuͤße bedient, um seine plumpe und gedankenlose Existenz durch
+alle Meinungen hindurch zu schieben und sich trotz aller Meinungen auf
+den Beinen zu behaupten, bis er etwa von selbst umfaͤllt, Meinungen und
+Ansichten haben wir im Ueberfluß, vortrefliche. Woran fehlt's? Am
+Korporativen der Meinung, welches die oͤffentliche Meinung ist, welche
+die That mit sich fuͤhrt. Wuͤrde ich sonst, wenn ich nicht das
+fruchtlose Hin- und Hermeinen des Publikums zu gut kennte, mir die
+Beantwortung der ironischen Frage aufgelegt haben, ob man den
+wuͤnschenswerthen Untergang der Sprache ruhig sich selbst und der Zeit
+uͤberlassen oder etwas dafuͤr thun, denselben moͤglichst beschleunigen
+solle? Sie sehen aber wol, daß es mir damit nicht Ernst gewesen sein
+kann; denn bringt die wahre und lebhafte Darstellung eines großen Uebels
+nicht unmittelbar und fuͤr sich das Gegenstreben, den Wunsch und das
+Umsehen nach Mitteln zur Abstellung desselben hervor, so ist alles
+weitere Reden und Zureden rein uͤberfluͤssig, falls es nicht, wie bei
+manchen Maaßregeln gegen die Cholera, mit aͤußerm Zwang und
+obrigkeitlichem Befehl verbunden ist.
+
+Ich weiß aber nicht, was mir sagt, daß Sie im Auffassen dieser
+Angelegenheit der Repraͤsentant von sehr vielen Norddeutschen sind. Die
+Wahrheit hat auf Sie ihren vollen Eindruck nicht verfehlt, Sie freuen
+sich, ihren allgemeinen truͤben Mißmuth einem bestimmten Feind
+gegenuͤbergestellt zu sehen, Sie sinnen auf Mittel, ihn anzugreifen, Sie
+halten ein allgemeines lebhaftes und daher wirksames Interesse als
+durchaus in der Sache begruͤndet.
+
+So ist es, erwiederte mein Freund. Und ich glaube, auch darin irren Sie
+nicht, wenn Sie mich nach Ihrem Ausdruck fuͤr den Repraͤsentanten einer
+sehr namhaften Zahl und Klasse von Norddeutschen halten. Bedenken Sie
+nur allein den Stand des Schullehrers, der Jahr aus Jahr ein an der
+plattdeutschen Jugend sich fruchtlos abquaͤlt und gleichsam tagtaͤglich
+Wasser ins Faß der Danaiden schoͤpft. Ihm vor allen wird ihre Schrift
+neuen Muth und Anstoß geben. Das Hauptmittel, davon sind Sie ohne
+Zweifel auch uͤberzeugt, liegt in den Haͤnden dieser Maͤnner.
+
+Aber, fuͤgte er fragend hinzu, welchen Schluß geben Sie ihrer Arbeit?
+Ich denke doch, Sie lassen, wenn auch die zweite Frage billig
+ausfaͤllt, die dritte nicht ganz unbeantwortet. Welche Mittel halten Sie
+fuͤr die Ausrottung der plattdeutschen Sprache fuͤr die wirksamsten? Mir
+und meinen Kollegen, wie gesagt, liegt vorzuͤglich daran.
+
+Ich trug meinem Freunde darauf den folgenden Abschnitt vor, bemerkte
+aber, daß ich von ihm selbst oder von einem Genossen seines Standes
+etwas Erschoͤpfenderes in dieser Hinsicht verhoffte.
+
+ * * * * *
+
+Wer aber soll helfen gegen das Plattdeutsche im Volk? Wie kann dem
+Hochdeutschen geholfen werden?
+
+Wer? Alle Welt, nur der Staat nicht. Was der Staat gegen das
+plattdeutsche und fuͤr das Hochdeutsche thun konnte, hat er gethan,
+indem er jene aus der Kirche verbannt und sie vom Gerichtshofe
+ausschloß.
+
+Wer diese Schrift verbreitet, sie selbst oder ihre Ideen, wer sie
+oͤffentlich angreift oder vertheidigt, wer ihr neue Gesichtspunkte
+hinzufuͤgt, deren es noch so viele giebt, wer die bereits aufgestellten
+modificirt, rektificirt, _der hilft, er mag wollen oder nicht_; denn er
+hilft eine oͤffentliche Meinung bilden. Beleuchtet dieses gedankenlose
+Monstrum, Hannoverisches Platt, Meklenburgisches Platt und wie es sich
+uͤberall nennt, von hinten oder von vorne, von der besten oder von der
+schlechtesten Seite, beleuchtet es nur, und glaubt mir, jedes Licht uͤbt
+eine chemische Zerstoͤrung auf sein Volumen aus. Besprecht es, besprecht
+es nur und seid uͤberzeugt, jedes Wort im Guten oder Boͤsen ist ein
+Zauberbann, der ihm einen Fuß seines Gebietes verengt.
+
+Das ist das Schoͤne mit der guten Sache und der oͤffentlichen Meinung
+und der neuen Zeit; wenn die drei einmal in Bewegung sind und sich auch
+nicht suchen, so verfehlen sie sich doch nicht.
+
+Ja, ich zweifle nicht, die oͤffentliche Meinung wird sich bilden und sie
+wird grollen, wie ich, mit dem Plattdeutschen und das Grollen wird uͤber
+die Koͤpfe unserer Bauern hinfahren und wird — ansteckend sein.
+
+Die Ansteckung ist die Hauptkraft der oͤffentlichen Meinung und das
+Wunderbarste an ihr.
+
+Die wichtigsten Exekutoren der legislativen Gewalt oͤffentlicher Meinung
+sind aber in unserm Fall unstreitig die Schullehrer, insbesondere die
+auf dem Lande. Auf den Grad des Anteils, der Einsicht, des guten Willens
+dieser großen, nuͤtzlichen, im Stillen wirkenden Klasse von
+Staatsbuͤrgern, deren Einfluß auf die Bildung der Landleute bedeutend
+groͤßer ist, als der Pastoraleinfluß, kommt unendlich viel an.
+
+Fassen diese, wie es ihnen zukommt und wie zu erwarten, die Sache der
+Civilisation mit Eifer auf, durchdringen sie sich von der Nothwendigkeit
+einer ununterbrochenen Attake auf das Plattdeutsche, stehen sie, wie es
+ihre Gewohnheit ist, beharrlich auf ihrem Stuͤck, so will ich sehen,
+welche wundergleiche Veraͤnderung dieses schon im Ablauf von zehn Jahren
+in einem Verhaͤltniß von Hoch zu Platt hervorbringen wird.
+
+Ihre Hauptaufgabe waͤre, dahin zu streben, das Hochdeutsche
+_vertraulicher_ und _herzlicher_ zu machen — ein Weg, der nur durch die
+_Fertigkeit_ und _Unbekuͤmmertheit der Zunge_ hindurchgeht. Ihre Arbeit
+ist in der Schule, in den Familien, vor der Kommuͤne. Was die _Schule_
+betrift, so wuͤrde ich den Rath geben, in den ersten Schuljahren die
+Kinder weder zum Schreiben noch zum Lesen anzuhalten, nur zum Sprechen.
+Das Warum leuchtet ein. Auch die Aelteren muͤßten haͤufiger mit Sprech-
+und Denkuͤbungen beschaͤftigt werden — welche Gelegenheit zugleich auf
+den Verstand und durch diesen gegen die plattdeutsche Sprache zu wirken,
+in welcher dem Knaben von Haus aus alle fruͤhere Vorurtheile und
+Dummheiten eingepropft sind. Besondere Ruͤcksicht verdienen die
+Maͤdchen. Ihre Gemuͤther sind weicher, empfaͤnglicher, ihr Organ,
+gewoͤhnlich auch ihr Verstand leichter zu bilden und — sie sollen einmal
+Muͤtter, Hausfrauen, das heißt auf dem Lande, fuͤr das juͤngste
+Geschlecht im Hause alles in allem werden. Auch im _aͤlterlichen Hause_
+bleibt viel zu wirken, besonders auf Hausfrauen und aͤltere Toͤchter;
+der heiterste, zwangloseste Gesellschafter ist hier der beste, er
+bringt bald ein unterhaltendes Buch (kurze und erbauliche Geschichten,
+keine langweilige faselnde), bald einen interessanten Gegenstand zur
+Erzaͤhlung mit, eine Anekdote aus der Zeitgeschichte, oder meinentwegen
+einen Fall aus der Nachbarschaft, dem Dorfe mit, der, wie er versichert,
+sich im Plattdeutschen nicht ausnimmt. _Fuͤr die ganze Komuͤne_ ist er
+wirksam durch Einfuͤhrung periodischer Blaͤtter, Zeitungen, auf
+gemeinschaftliche Kosten zu halten und regelmaͤßig in Versammlung der
+Maͤnner vorzulesen, allenfalls durch aͤltere, der Konfirmation
+entgegengehende Knaben, _als beneidete und ehrenvolle Belohnung_ ihrer
+Fortschritt im Lesen und Sprechen des Hochdeutschen.
+
+Ich deute nur an, aber ich komme mir vor, ich wuͤßte es auch
+auszufuͤhren als Schullehrer auf dem Lande, und Tausende besser als ich.
+
+So viel ist gewiß, waͤre ich Schullehrer, so wuͤrde ich fuͤr's Erste nur
+ein Ziel kennen: mein Dorf zu verhochdeutschen.
+
+Leeres Stroh wuͤrde ich glauben zu dreschen, so lange nicht die Garbe
+der hochdeutschen Sprache und Bildung mir auf dem freien Felde waͤchst.
+
+Eine Buͤrgerkrone wuͤrde ich glauben verdient zu haben, wenn man mir im
+Alter nachruͤhmte: er hat diesen Flecken, sein Dorf, das sonst so
+dunkle, dumpfe, plattdeutsche Nest, mit der Kette der Civilisation in
+Kontakt gesetzt durch Ausrottung der plattdeutschen und Einfuͤhrung der
+Bildungssprache Deutschlands.
+
+
+Fußnoten:
+
+[1] Doch auch mit Ausnahme gewisser oͤrtlicher und provinzieller
+Variationen, wie in Hamburg, Westphalen, Dithmarsen, wo selbst die
+Gebildeten, von deren Aussprache hier eigentlich die Rede ist, sich der
+Lokaltinten nicht enthalten.
+
+[2] Die Hexenprozesse, die mit wenig zahlreichen Ausnahmen erst nach Der
+Reformation und Hauptsaͤchlich im protestantischen Norddeutschland
+gefuͤhrt wurden und denen ein Glaube an den Einfluß boͤser Geister zu
+Grunde lag, den Luther, in melancholischen Anfaͤllen selbst oft mit dem
+persoͤnlich ihm erscheinenden Teufel ringend, nur zu sehr genaͤhrt
+hatte, _diese Hexenprozesse haben Deutschland im 17ten Jahrhundert
+vielleicht mehr Menschen gekostet, als Spanien die Inquisition._
+
+[3] Reineke de Vos ist von hollaͤndischer und franzoͤsischer Abkunft,
+wenn auch die Maͤhrchen von Fuchs und andern Thieren urspruͤnglich in
+Deutschland sowol, als in Frankreich in Schwang gingen. Die
+plattdeutsche Uebersetzung scheint niemals Volksbuch gewesen zu sein,
+obgleich sie sehr gelungen ist; man koͤnnte sie den Schwanengesang
+dieser Sprache nennen.
+
+[4] Wollte ich zu diesem, wie gesagt, naturrohen Bilde ein mehr dem
+Spiel der Phantasie angehoͤriges hinzufuͤgen, so vergliche ich den
+bloßen Lese- und Schreibunterricht unserer Landkinder mit der Unvernunft
+und Thorheit eines Ackermannes, der seinem Acker die Instrumente zur
+Bearbeitung, Spaten und Pflug, zur Selbstbearbeitung hinwirft.
+
+[5] Was koͤnnte ich anfuͤhren, wollte ich von der niedrigsten Klasse
+norddeutscher Staͤdte sprechen, die sich, wie der Hamburger Poͤbel in
+Schnapps und unreinstem Plattdeutsch waͤlzt.
+
+[6] Wo willst Du hin, fragte Jemand einen Meklenburgischen Scholaren,
+der gerade auf den Postwagen stieg. Die Antwort war: Na Rostock, ik will
+mi op de Wissenschaften leggen.
+
+[7] Weniger Spaͤße.
+
+[8] Doch nicht rein, sondern mit friesischen Woͤrtern untermischt.
+
+ * * * * *
+
+Von demselben Verfasser sind bei uns erschienen:
+
+_Wienbarg_, _Dr._ L.,
+ Holland in den Jahren 1831 und 32, 2 Bde. 8,
+ 833-34. 2 Thlr. 16 Gr.
+
+ ---- ---- Jason. Episches Gedicht nach Pindar. Uebersetzt,
+ bevorredet und erlaͤutert; mit einem
+ Zueignungsgedicht an Jason Sabalkansky. 8. 830.
+ 4 Gr.
+
+ ---- ---- Paganini's Leben und Charakter nach Schottky. Mit
+ Paganini's Bildnis. gr. 8. 830. 12 Gr.
+
+
+Unter der Presse befindet sich:
+
+ ---- ---- aͤsthetische Feldzuͤge. Dem jungen Deutschland
+ gewidmet. 8.
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Soll die plattdeutsche Sprache
+gepflegt oder ausgerottet werden?, by Ludolf Wienbarg
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 12660 ***
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+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
+in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES.
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+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
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+No investigation has been made concerning possible copyrights in
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+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
+eBook #12660 (https://www.gutenberg.org/ebooks/12660)
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@@ -0,0 +1,1802 @@
+The Project Gutenberg EBook of Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt
+oder ausgerottet werden?, by Ludolf Wienbarg
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden?
+ Gegen Ersteres und fuͤr Letzteres
+
+Author: Ludolf Wienbarg
+
+Release Date: June 19, 2004 [EBook #12660]
+
+Language: german
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SOLL DIE PLATTDEUTSCHE SPRACHE ***
+
+
+
+
+Produced by Charles Franks and the DP Team
+
+
+
+
+Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden?
+
+
+Gegen Ersteres und fuͤr Letzteres
+
+
+beantwortet von
+
+Dr. Ludolf Wienbarg
+
+
+
+
+Motto: _ceterum ceterumque censeo...._
+
+
+
+
+Hamburg
+
+bei Hoffmann und Campe
+
+1834
+
+
+
+
+Dem Nestor norddeutscher Patrioten
+
+dem Freunde veredelter Natur und Menschheit
+
+Herrn Baron von Voght
+
+gewidmet.
+
+
+
+
+Verehrungswuͤrdiger Greis!
+
+
+Ich habe nie das Gluͤck Ihrer persoͤnlichen Bekanntschaft genossen, aber
+ich kenne Ihre Schoͤpfungen, die bluͤhenden Spuren Ihrer
+menschenfreundlichen Hand. Bereits als Knabe besuchte ich sehr oft von
+Altona aus das schoͤne Flottbeck. Hier woͤlbt sich keine Ulme, keine
+Buche, die Sie nicht gepflanzt, hier steigt von hundert freundlichen
+Daͤchern kein Rauch in die Luft, der nicht Weihrauch fuͤr Sie waͤre. Das
+wußte ich schon als Knabe und so kam es, daß ich an Ihrem Namen zuerst
+den Begriff und die Bedeutung eines Menschenfreundes, eines Patrioten
+lernte. Eine gluͤcklichere Abstraktion, ein wuͤrdigeres Bild wird selten
+der jugendlichen Seele geboten.
+
+Nehmen Sie, Verehrungswuͤrdiger, diesen Ausdruck meiner fruͤhgefaßten
+und in reiferem Alter nur genaͤhrten und befestigten Achtung guͤtig auf.
+
+_Eutin_, am 1. December 1833.
+
+Ludolf Wienbarg.
+
+
+
+
+Vorwort.
+
+
+Wenn die Patrioten bisher uͤber die Kluft der Staͤnde, die Rohheit und
+Unempfaͤnglichkeit Volkes in Niedersachsen mit Recht bittere Klage
+fuͤhrten, oder im Großen Verbesserungsplaͤne entwarfen, so stand ihnen
+die niedersaͤchsische oder plattdeutsche Volkssprache nur sehr im
+Hintergrunde und kam weder im Guten, noch im Boͤsen so recht in
+Betracht. Ich glaube nachzuweisen, ja mit Haͤnden greiflich zu machen,
+daß sie die Wurzel alles Uebels, der Hemmschuh alles Bessern ist.
+
+Gehe hin, meine kleine Schrift, und spreche! Drei Dinge wuͤnsche ich
+dir, Fluͤgel, Feinde und Freunde. Die Fluͤgel wuͤnsche ich dir, damit du
+dich nach allen Seiten verbreitest, die Feinde und Freunde, damit du
+nach alten Seiten besprochen wirst. —
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+Bekanntlich sprechen die Bewohner Niedersachsens plattdeutsch und
+hochdeutsch; ersteres als Volkssprache, letzteres als Sprache der
+Bildung. Das Hochdeutsche redet man dialektlos, das heißt Aussprache und
+Schreibung stimmen buchstaͤblich uͤberein[1]. Anders in Mittel- und
+Suͤd-Deutschland. Goͤthe sprach das Hochdeutsche wie ein geborner
+Frankfurter, Schiller wie ein Wirtemberger und noch gegenwaͤrtig hoͤrt
+man's der Sprache der Gebildeten Suͤd-Deutschlands ab, in welcher
+Provinz sie zu Hause gehoͤren. Daher kann man wol behaupten, daß mancher
+niedersaͤchsische Handwerker _reiner_ hochdeutsch spricht, als der
+Wuͤrzburger Professor, der Badische Deputirte oder der Bewohner der
+Provinz Meissen selbst, dessen Aussprache doch zu seiner Zeit von
+Gottsched mit dem Privilegium der Klassizitaͤt begabt worden ist. Allein
+man darf nicht vergessen, daß diese Reinheit eine abstrakte und keine
+lebendige ist, da der Norden fein hochdeutsch im eigentlichen Sinn des
+Worts aus Buͤchern, zumal aus der lutherischen Bibeluͤbersetzung
+gelernt, nicht aber wie Mittel- und Suͤd-Deutschland durch lebendig
+uralte Tradition von Mund zu Mund empfangen hat.
+
+Ist doch die hochdeutsche Sprache selbst keine Sprache provinzieller
+Beschraͤnktheit, keine bloße Mundart Alt-Meissens, sondern im hoͤheren
+Sinn ein Kunstwerk des großen Reformators, der aus den beiden
+Hauptdialekten des Nordens und Suͤdens, schon ohnehin im Saͤchsischen
+sich beruͤhrend eine Sprache schuf, die, wenn auch mit Vorwalten des
+suͤddeutschen Elements, jedem deutschen Ohr zugaͤnglich und
+verstaͤndlich sein, die eine gemeinsame Sprache aller Deutschen
+vorbereiten sollte. Aus den edelsten Metallen des unerschoͤpflichen
+deutschen Sprachschachtes gegossen, ward sie in Luthers Haͤnden die
+Glocke, welche die Reformation, den dreißigjaͤhrigen Krieg, die ganze
+neue Geschichte eingelaͤutet hat.
+
+Mehr als den Griechen der Saͤnger der Odyssee und Ilias muß uns
+Deutschen, Katholiken wie Protestanten, der Uebersetzer der Bibel
+gefeiert sein. Die altionische Sprache gehoͤrte nicht dem Dichter,
+sondern der Nation an. Die Sprache der Bibeluͤbersetzung aber mußte sich
+erst geltend machen durch die Gewalt des Genius, sie gehoͤrte Luther an
+in dem Sinn, wie man nur irgend auf diesem Gebiet das Eigentumsrecht
+fuͤr eine Person in Anspruch nehmen darf.
+
+Denkt euch, Luthers Sprache waͤre nicht durchgedrungen. Zerrissen waͤre
+das maͤchtigste Band, das Suͤd und Nord umschlingt. Der Norden wuͤrde
+nichts vom Suͤden, der Suͤden nichts vom Norden wissen.
+
+Die theuersten Namen, die jetzt im Herzen der ganzen Nation
+wiederklingen, wuͤrden hie und da in einem Winkel Deutschlands genannt
+werden und etwa die Eitelkeit ihrer Landsleute aufblaͤhen, alle großen
+Maͤnner, die in unserm Vaterlande die Sprache Luthers geredet, alle
+Genien der ernsten und froͤhlichen Wissenschaft, auf die wir unsern
+Stolz setzen, ja welche die Vorsehung selbst uns zum erhebenden
+Selbstgefuͤhl erweckt zu haben scheint, wuͤrden mit vergeblicher
+Sehnsucht ihre Fluͤgel uͤber Deutschland ausgebreitet haben, waͤren von
+ihrer Geburt an zur Verschrumpfung und Laͤhmung bestimmt gewesen. Es ist
+so viel Ungluͤck seit Luther uͤber dieses arme Land hingegangen, daß man
+zweifeln koͤnnte, ob nur der Name Deutschland, Deutscher, ehre. Luthers
+Schriftsprache, dieses Schwerdt, das Wunden schlug und heilte, uͤber dem
+unsaͤglicher Wirrwarr sich schwebend erhalten hatte.
+
+Das kaiserliche Reichsschwerdt ist zerbrochen, Luthers Sprache ist
+Reichsschwerdt geworden, glanzvoller, schwungreicher, maͤchtiger,
+gefuͤrchteter, als je eins in der Hand eines Hohenstaufens oder
+Habsburgers geblitzt hat.
+
+Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, der Muth hat Dich gestaͤhlt, die
+Freiheit Dich geschliffen, der Kampf Dich erprobt.
+
+Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, rein bist Du von den Blutflecken
+der Religionskriege, rein und gesaͤubert vom Geifer theologischer
+Streithaͤhne, vom Rost des gelehrten und amtlichen Pedantismus.
+
+Fuͤhrt es ihr Soͤhne des Lichts, denn ihr seid unuͤberwindlich mit
+dieser Waffe.
+
+Beruͤhrt es nicht, ihr Kinder der Nacht, denn es ist scharf und faͤhrt
+zuruͤck auf eure eigenen Schaͤdel.
+
+ * * * * *
+
+Man kann Werth und Wuͤrde der deutschen Schriftsprache lebhaft
+anerkennen und dennoch wuͤnschen, daß die ober- und niederdeutschen
+Dialekte sich im Munde des Volkes lebendig erhalten. Ich theile diesen
+Wunsch nicht. Was namentlich die Frage betrift, welche den Gegenstand
+dieser kleinen Schrift ausmacht: „_ist die niedersaͤchsische
+Volkssprache zu pflegen oder auszurotten?_“ so antworte ich aus
+innigster Ueberzeugung und aus Gruͤnden, welche ich darlegen werde: _sie
+ist auszurotten, durch jedes moͤgliche Mittel auszurotten_.
+
+Verstaͤndigen wir uns uͤber etwas sehr Wesentliches. Daß die
+plattdeutsche Sprache der Zeit verfallen und aussterben wird, ist keine
+Frage mehr.
+
+Eine jede Sprache, die nicht Schriftsprache, Sprache der Bildung, des
+gerichtlichen Fortschrittes, der politischen, religioͤsen,
+wissenschaftlichen, artistischen Bewegung ist, muß bei dem Stand und
+Gang unserer Kultur einer Schrift- und Bildungssprache Platz machen, muß
+wie die frisische in Holland, wie die zeltische in Bretagne, die
+baskische in Spanien allmaͤhlig aussterben. Auszusterben ist das
+nothwendige und natuͤrliche Schicksal der plattdeutschen Sprache. Nichts
+kann sie vom Untergang retten. Schreibt plattdeutsche Lustspiele,
+Idyllen, Lieder, Legenden — umsonst; das Volk liest euch nicht — liest
+es nur den Reineke de Vos? — ihr begruͤndet keine plattdeutsche
+Literatur, ihr macht die verbluͤhende Sprachpflanze durch euren
+poetischen Mist nicht bluͤhender — sie wird aussterben. Ihr preiset
+diese Sprache als alt, ehrlich, treu, warm, gemuͤthlich, wohlklingend —
+ihr habt Recht oder nicht — sie wird aussterben. Das ist das
+unerbittliche Gesetz der Notwendigkeit.
+
+Allein, es ist wahr, das Nothwendige ist nicht immer das
+Wuͤnschenswerthe. Gar vieles begiebt sich in Natur und Geschichte mit
+Nothwendigkeit, was nicht bloß die Klage des Thoren, sondern auch den
+gerechteren Schmerz des Weisen erregt. Immer ist es des denkenden
+Menschen wuͤrdig, sich dessen, was geschehen wird und muß, bewußt zu
+werden, immer der sittlichen Kraft und Wuͤrde desselben schaͤdlich und
+unwuͤrdig, sich willen- und wunschlos vor der Nothwendigkeit zu beugen.
+Nicht selten gelingt Aufschub Vertagung, wo auch nicht, der Mensch darf
+sich frei sprechen von Leichtsinn, traͤger Sorglosigkeit, er hat sich
+das Recht und die Beruhigung erworben, _animam salvavi_ auszurufen.
+
+Darum frage ich eigentlich, ist es wuͤnschenswerth, daß Niedersachsens
+alte Sprache sich aus der Reihe der lebendigen verliert; wenn das, soll
+man ihren Untergang der Zeit uͤberlassen oder soll man diesen
+beschleunigen; wenn letzteres, welches sind die Mittel dazu?
+
+ * * * * *
+
+Um die deutsche Gemuͤthlichkeit ist es ein schoͤnes Ding und was kann
+namentlich dem Niedersachsen gemuͤtlicher sein, als seine angeborne
+Sprache. Doch ein schoͤneres Ding ist der muthige Entschluß, die
+Gemuͤthlichkeit einstweilen auszuziehn, wenn sie uns zu _enge_ wird.
+
+Grade das behaupte ich von der und gegen die plattdeutsche Sprache. Sie
+ist dem Verstand der Zeit laͤngst zu enge geworden, ihr Wachsthum hat
+bereits mit dem sechszehnten Jahrhundert aufgehoͤrt, sie kann die
+geistigen und materiellen Fortschritte der Civilisation nicht fassen,
+nicht wiedergeben _und daher verurtheilt sie den bei weitem groͤßten
+Theil der Volksmasse in Norddeutschland, dem sie annoch taͤgliches Organ
+ist, zu einem Zustande der Unmuͤndigkeit, Rohheit und Ideenlosigkeit,
+der vom Zustand der Gebildeten auf die grellste und empoͤrendste Weise
+absticht._
+
+Habe ich Recht ober Unrecht? Steht es nicht so mit dem Volk in Hannover,
+Westphalen, Meklenburg, Holstein u.s.w.? Wurzelt nicht das Hauptuͤbel im
+absoluten Unvermoͤgen der taͤglichen Umgangssprache, den noͤthigsten
+Ideenverkehr zu bewerkstelligen?
+
+Daß ich in beiden Unrecht haͤtte. Aber den Stein, den diese Anklage
+gegen die plattdeutsche Sprache als eine Feindin der Volksbildung, der
+geistigen Thaͤtigkeit erhebt, derselbe gewigtige Stein muß erhoben
+werden von jedem Niedersachsen, jedem Deutschen, dem der materielle und
+geistige Zustand von Millionen Bruͤdern, dem die Gegenwart und die
+Zukunft Deutschlands nicht gleichguͤltig ist.
+
+ * * * * *
+
+Halte ich einen Augenblick inne. Ob diese Schrift auch Leser findet, die
+in hohe aristokratische Privilegien eben in dem geruͤgten Gebrechen,
+eben in dem Umstand, daß die plattdeutsche Sprache seit drei
+Jahrhunderten nichts gelernt, eine Tugend derselben entdecken? Soll ich
+Ruͤcksicht auf solche Leser nehmen? Soll ich die reine Absicht, die mir
+vorschwebt, durch alle Blaͤtter mir verbittern?
+
+Aber es giebt solche, du kennst solche! Wolan denn, mache ich es gleich
+und auf einmal mit ihnen ab.
+
+Ja, ihr Herren, diese Sprache hat nichts gelernt seit dem sechszehnten
+Jahrhundert, sie hat sich mit keiner einzigen Idee, keinem einzigen
+Ausdruck der neuen Geschichte bereichert, sie hat nicht einmal ein Wort
+fuͤr Bildung, nicht einmal ein Wort fuͤr Verfassung — ja, ihr Herren,
+sie ist noch ganz und gar die Sprache des sechszehnten Jahrhunderts, die
+Sprache der Hetzjagden, der Peitschenhiebe, der Hundeloͤcher, die
+Sprache des Bauernkrieges und — spuͤrt ihr nichts vom kurzen Takt der
+Dreschflegel darin, und seht ihr nicht etwas von kurzem Messer,
+geschwungener Sense, geballter Faust als Titelvignette vor den Ausgaben
+plattdeutscher Lexika paradiren? — Taͤuscht euch nicht, sie ist noch
+immer die Sprache des sechszehnten Jahrhunderts und schleppt die
+gebrochenen Ketten sichtbar mit sich umher, und pfluͤgt und ackert jeden
+Fruͤhling und jeden Herbst den alten Grimm in die alten Furchen hinein.
+O sie ist schrecklich treu, schrecklich dumm und gemuͤthlich; aber laßt
+euch sagen, sie hat wenig Religion, nur sehr wenig und sie kennt, wenn
+sie wild wird, den Teufel besser als den lieben Gott. Woruͤber ihr euch
+nicht sehr zu verwundern habt; denn als sie katholisch war, da war das
+Christenthum, die Messe naͤmlich, lateinisch und als sie lutherisch
+wurde, wurde das Christenthum, Predigt und Katechismus hochdeutsch.
+Bedenkt auch nur, betet denn gegenwaͤrtig ein einziger Bauer oder
+Bauernknecht das Vaterunser und den Glauben in der Sprache, worin er
+seinen Gevatter bewillkommt, im Kruge Schnaps und Bier fordert oder dem
+Steuereinnehmer einen derben Fluch zwischen den Zaͤhnen
+hinterherschickt? Wahr ist es also, diese Sprache hat nichts gelernt,
+allein sie hat auch _nichts vergessen_, es sei denn ihre alten Lieder,
+ihren froͤhlichen Gesang und eben das Vaterunser, das sie fruͤher doch,
+wie ich glaube, hat beten koͤnnen.
+
+Nehmt euch ein Bild zu Herzen, das ich euch, — das ich Allen vorhalte.
+
+Eine Sprache, die stagnirt, ist zu vergleichen mit einem See, dem der
+bisherige Quellenzufluß versiegt oder abgeleitet wird. Aus dem Wasser,
+woruͤber der Geist Gottes schwebte, wird Sumpf und Moder, woruͤber die
+unreinen Geister bruͤten. Der Wind mag wehen woher er will, er gleitet
+spurlos uͤber die stuͤrmisch gruͤne Decke hin Der Himmel ist blau und
+heiter oder stuͤrmisch gefaͤrbt, das ruͤhrt ihn nicht, keine Sonne keine
+Wolke spiegelt sich mehr auf der truͤben Flaͤche. Bild der
+Unzufriedenheit, der Gleichguͤltigkeit, der Tuͤcke, der Gefahr. Wehe dem
+Mann, _der im Truͤben fischen will_ und ausgleitet — was helfen ihm
+ruͤstige Arme, Schwimmkunst, er versinkt, er erstickt im tauben Schlamm.
+
+Die Sprache ist das Volk.
+
+ * * * * *
+
+Ja wohl, die Sprache ist das Volk und es gab eine Zeit wo das
+niedersaͤchsische Volk und die niedersaͤchsische Sprache poetisch waren.
+Das ist sehr lange her, die Zeit war heidnisch und der Germane von
+Poesie, Muth, Stolz und Freiheit durchdrungen. Die kuͤhnsten Gedichte
+aus dieser „rauhen Vorzeit,“ wenn gleich schon vom Duft der
+Klostermauern angewittert und durch Moͤnchsfedern auf die Nachwelt
+gekommen, verraten niedersaͤchsischen Dialect.
+
+Ich weiß nicht ob viele meiner Leser sich Begriff und Vorstellung machen
+von der wunderbaren Natur einer Sprache, die einem vermeintlich
+barbarischen und rohen Sittenzustande angehoͤrt. Diese muͤssen mir, und
+wenn nicht mir, Jakob Grimm, dem Linnaͤus der deutschen Sprachgeschichte
+auf's Wort zu glauben, daß keine Sprache gegenwaͤrtig auf dem Erdboden
+gesprochen wird, die an Bau und Kuͤnstlichkeit jener alt-plattdeutschen
+Sprache das Wasser reichte. Die grammatische, innerliche Gediegenheit
+hatte sie mit den aͤltesten Grundsprachen und mit ihrer oberdeutschen
+Schwester gemein und uͤbertraf diese vielleicht an Klang, Kraft und
+Wohllaut. Allein, das Schicksal wollte ihre Schwester erheben und sie
+fallen lassen. Jene hat im Verlauf der Zeit auch unendlich viel von
+ihrer leiblichen Schoͤnheit und jugendlichen Anmuth eingebuͤßt, allein
+sie hat Gewandtheit, Schnelle, Feinheit des Ausdrucks, Begriffsschaͤrfe,
+vermehrte Zahl der Combinationen zum Ersatz dafuͤr eingetauscht. Die
+niedersaͤchsische Sprache dagegen hat ihre Jugend und staͤhlerne Kraft
+verloren; ohne an Verstand und innerer Feinheit zu gewinnen. Ihre
+grammatischen Formen wurden zerstoͤrt und in noch hoͤherem Grade, als
+die der Schwestersprache, aber ohne daß man bemerken konnte, daß der
+scharfe Gaͤrungsprozeß der antiheidnischen neueuropaͤischen
+Bildungsfermente an der Aufloͤsung einigen Antheil genommen, sondern
+ersichtlich und durch dumpfes truͤbes Verwittern, das auch Holz und
+Stein und alles Leblose oder Absterbende allmaͤhlig abnagt und zerfrißt.
+
+Als die althochdeutsche Sprache in die mittelhochdeutsche uͤberging,
+schaute diese als Siegerin auf dem Turnierplatze des deutschen Geistes
+umher, sie war es geworden ohne Kampf. Sprache des maͤchtigsten und
+kunstliebendsten Kaiserhauses, lebte sie im Munde der Fuͤrsten, Ritter,
+Saͤnger mit und ohne Sporn, Saͤnger mit und ohne Krone, welche die
+elegante Literatur ihres Zeitalters begruͤndeten, war sie, was mehr
+sagen will, die Sprache des Nibelungenliedes und anderer deutschen
+Nationalgedichte, welche mit Ausnahme jener aͤltesten Reliquien theils
+nie, theils nur in spaͤterer Uebersetzung im Plattdeutschen
+schriftsaͤssig wurden.
+
+Welcher Bann, frage ich, lag uͤber der niedersaͤchsischen Literatur?
+Derselbe Bann, der uͤber dem Volk und seiner Geschichte lag. Es sollte
+die maͤchtige Naturkraft, die einst diesen Stamm beseelte, stocken und
+starren und als truͤber Bodensatz des germanischen Geistes
+zuruͤckbleiben.
+
+Welche Kette von Hemmnißen, betaͤubenden und zerreißenden
+Ungluͤcksschlaͤgen nur bis zum sechszehnten Jahrhundert!
+
+Karl des Großen Sachsenkrieg, gewaltsam blutige Ausrottung des
+Wodandienstes ohne wahrhafte Anpflanzung der Christusverehrung, Sachsen
+und Slaven stoßen sich hin und her und mischen sich unter einander, die
+alte Sachsenfreiheit schwindet, die Leibeigenschaft nimmt furchtbar
+uͤberhand, der Krumstab zu Bremen ist schwach und gewaͤhrt keinen
+Schutz, das saͤchsische Kaiserhaus uͤbertreibt die Großmuth und
+entaͤußert sich seiner zu Wuͤrde und Glanz so nothwendigen
+Stammbesitzungen, Heinrich der Loͤwe, die welfische Macht geht unter,
+deren Sieg uͤber die hohenstaufische Norddeutschland so gehoben haͤtte
+wie ihre Niederlage Suͤddeutschland emporbrachte, selbst der belebende
+Einfluß der Hansa zeigt sich nur im Sinnlichen, nicht im Geistigen
+wohlthaͤtig, ihr Seehandel nach dem Norden macht sie nur mit Voͤlkern
+und Sitten bekannt, die noch roher waren, als sie selbst; Dagegen
+Suͤd-Deutschlands Handelsstaͤdte, Nuͤrnberg, Augsburg mit dem hoch
+gebildeten Oberitalien in Verkehr standen.
+
+Und nach dem fuͤnfzehnten Jahrhundert! Muß ich nicht Luther selbst und
+die Reformation voranstellen? Darf ich verschweigen, daß die
+_unmittelbaren_ Wirkungen dieser auf Jahrtausende hinaus wirkenden
+Begebenheit, wie fuͤr ganz Deutschland, so insbesondere auch fuͤr
+Niedersachsen nicht gluͤcklich, nicht segenbringend waren? Welch ein
+Gemaͤlde des Innern: rabulistische Theologen, hexenriechende
+Juristen, blutduͤrstige Obrigkeiten, dumpfer Haß, aͤchzende
+Kirchengesaͤnge, furchtbarer Wahnglaube an Zauberei, Bezauberung und
+Teufelsbesessenheit[2]. Welch ein Gemaͤlde des Aeußeren: der
+dreißigjaͤhrige Krieg, Magdeburgs Untergang, Schwedens Besitznahme
+norddeutscher Staͤdte und Provinzen, Hannovers Verwandlung aus fruͤherem
+Reichslehn in einen Familienbesitz englischer Koͤnige, wie schon fruͤher
+und vor Luther Nordalbingien in einen Familienbesitz daͤnischer Koͤnige,
+selbst Brandenburgs steigende Groͤße, die zu guter letzt die Wagschaale
+der Macht und des politischen Einflusses uͤberwiegend auf jene
+nordoͤstlichen Provinzen Deutschlands niedersenkte, die von slavischer
+Stammbevoͤlkerung urspruͤnglich der Wurzelkraft des germanischen Lebens
+entbehrten, aber durch Aussaugen und Anziehen germanischer Saͤfte und
+Kraͤfte sich konsolidirt und ausgebildet hatten.
+
+Lasse ich die schwere Kette fallen, es fehlt ihr so mancher Ring, dessen
+Ergaͤnzung ich dem Geschichtforscher uͤberlasse.
+
+Wie konnte, bei einer solchen Zahl und Reihe von Schicksalen der
+niedersaͤchsische Stamm gedeihen, wie konnte sich eine eigentuͤmliche
+Literatur unter ihm geltend machen[3], wie konnte die Volkssprache
+selbst sich der Entwuͤrdigung und Verschlechterung entziehen? Auf
+welcher Bildungsstufe muͤßte die neuere Zeit Volk und Sprache antreffen,
+wie tief unter der noͤthigsten Fassungskraft, wie selbst ohne Ahnung
+dessen, was zur Begruͤndung und Sicherung eines verbesserten
+Staatslebens elementarisch vorauszusetzen?
+
+ * * * * *
+
+Allein, hoͤre ich Jemand einwerfen, wenn auch die plattdeutsche Sprache
+ganz dem Bilde gleicht, das du von ihr entworfen, wenn sie _selbst_ auch
+unfaͤhig ist, Element der Volksbildung zu sein, so erwartet eigentlich
+auch Niemand dieses Geschaͤft von ihr, das ja von der allgemein
+verbreiteten und verstandenen hochdeutschen Sprache laͤngst uͤbernommen
+und verwaltet wurde.
+
+Antwort: uͤbernommen aber nicht verwaltet. Damit behauptet man einen
+Widerspruch gegen alle Vernunft und Erfahrung. _Selbst die allgemeinste
+Erlernung und Verbreitung der hochdeutschen Sprache uͤbt so lange gar
+keinen oder selbst nachteiligen Einfluß auf die Volksbildung, als neben
+ihr Plattdeutsch die Sprache des gemeinen Lebens bleibt._
+
+Allerdings wird die hochdeutsche Sprache als Organ der Volksbildung
+uͤberall in Niedersachsen angewendet. Es gibt wol wenig Doͤrfer, wo die
+Jugend nicht Gelegenheit findet, das Hochdeutsche ein wenig verstehen,
+ein wenig sprechen, ein wenig lesen und ein wenig schreiben zu lernen.
+Die Leute muͤssen wol. Amtmann, Pfarrer, Bibel, Gesangbuch, Katechismus,
+Kalender sprechen hochdeutsch. Ohnehin sind die Kinder schulpflichtig
+und beim Hobeln setzt es Spaͤhne ab.
+
+Allein, Jedermann weiß, plattdeutsch bleibt ihr Lebenselement. Das
+sprechen sie unter sich, zu Hause, im Felde, vor und nach der Predigt.
+Das kommt ihnen aus dem Herzen, dabei fuͤhlen sie sich wohl und
+vergewissern sich, daß sie in ihrer eigenen Haut stecken, was ihnen,
+sobald sie hochdeutschen, sehr problematisch wird.
+
+Der erste Schulgang macht in der Regel auch die erste Bekanntschaft mit
+der hochdeutschen Sprache. Mit Haͤnden und Fuͤßen straͤubt sich der
+Knabe dagegen. Ich bedaure ihn, er soll nicht bloß seine bisherige
+Freiheit verlieren, unter die Zuchtruthe treten, buchstabiren lernen,
+was auch andern Kindern Herzeleid macht; er soll uͤberdies in einer
+Sprache buchstabiren und lesen lernen, die er nicht kennt, die nicht mit
+ihm aufgewachsen ist, deren Toͤne er nicht beim Spiel, nicht von seiner
+Mutter, seinem Vater, seinen kleinen und großen Freunden zu hoͤren
+gewohnt war. Alles was er von diesem Augenblick an liest, lernt, hoͤrt
+in der Schule und unter den Augen des Lehrers, klingt ihm gelehrt,
+fremd, vornehm und tausend Meilen von seinem Dorf entfernt. Daß der
+rothe Hahn in seiner Fibel _kraͤht_ und der lebendige in seinem Hause
+_krait_, scheint ihm sehr sonderbar. In der Bibel nennen sich alle Leute
+_du_, der Unterlehrer sagt zum Oberlehrer _sie_, er aber ist gewohnt,
+bloß seine Kameraden zu dutzen, Vater, Mutter und andere Erwachsene mit
+_he_ und _se_ anzureden. Kommt an ihn die Reihe zu lesen, laut zu lesen,
+so nimmt er die Woͤrter auf die Zunge und stoͤßt sie heraus wie die
+Scheiben einer Frucht, die er nicht essen mag, weil er sie nicht kennt.
+Was er auswendig lernt, lernt er nicht einwendig. Was ihm allenfalls
+noch Vergnuͤgen macht, ist der gemeinschaftliche Gesang am Schluß der
+Schule und auf Kirchbaͤnken. Von Natur mit einer hellen durchdringenden
+Stimme begabt, wetteifert er mit dem Chor um die hoͤchsten Noten,
+betaͤubt seinen Kopf und findet eine Art Vergnuͤgen und Erholung darin,
+dieselben Verse des Gesangbuches bloß herauszuschreien, die er zu
+anderer Zeit auswendig lernen muß.
+
+Erreicht er das gesetzliche Alter, so wird er konfirmirt. Wer ist froher
+als er. Nun tritt er voͤllig wieder in das plattdeutsche Element
+zuruͤck, dem er als Kind entrissen wurde. Er hat die ersten Forderungen
+des Staates und der Kirche erfuͤllt. Er hat seinen Taufschein durch
+seinen Confirmationsschein eingeloͤs't. Ersteren bekam er ohne seinen
+Willen zum Geschenk, um letzteren mußte er sich, auch wider seinen
+Willen, redlich abplacken.
+
+Auf beide Scheine kann er spaͤter heiraten und Staatsbuͤrger werden.
+
+Was ist die Frucht dieses Unterrichts? Er hat rechnen, lesen und
+schreiben gelernt. Er kann auch lesen und schreiben, aber er lies't und
+schreibt nicht. (Umgekehrt der franzoͤsische Bauer, der kann nicht
+lesen, aber er laͤßt sich vorlesen). Ich frage also, was ist die Frucht
+dieses hochdeutschen Unterrichts? Welchen Einfluß uͤbt derselbe auf sein
+Geschaͤft, auf seine Stellung als Familienvater, Staatsbuͤrger, Glied
+der Kirche, der sichtbaren, wie der unsichtbaren?
+
+Folgen wir ihm, wenn er aus der Kirche kommt. Die Predigt ist
+herabgefallen, der Gesang verrauscht wie ein Platzregen auf seinen
+Sonntagsrock, zu Hause zieht er diesen aus und haͤngt ihn mit allen
+Worten und himmlischen Tropfen, die er nicht nachzaͤhlt, bis zum
+kuͤnftigen Sonntag wieder an den Nagel. Frage: kann er die hochdeutsche
+Predigt hochdeutsch durchdenken, spricht er mit Nachbaren, mit Frau und
+Kindern hochdeutsch vom Inhalt derselben, ist er gewohnt und geuͤbt, ist
+er nur im Stande, den religioͤsen Gedankengang in's Plattdeutsche zu
+uͤbersetzen? Antwort: schwerlich. Frage: hat ihn die Predigt das Herz
+erwaͤrmt, den Verstand erleuchtet? Antwort ein Schweigen. Armer Bauer,
+vor mir bist du sicher, ich lese dir daruͤber den Text nicht. Kannst du
+etwas dafuͤr, daß der Kanzelton nicht die Grundsaite deines Lebens
+beruͤhrt, daß jener Nerv, der von zart und jung auf gewohnt ist, die
+Worte der Liebe, der Herzlichkeit, des Verstaͤndnisses in dein Inn'res
+fortzupflanzen, nicht derselbe ist, der sich vom Klang der hochdeutschen
+Sprache ruͤhren laͤßt. Wer auf der Gefuͤhlsleiter in deine Herzkammer
+herabsteigen will, muß wollene Struͤmpfe und hoͤlzerne Schuh anziehen,
+in schwarzseidenen Struͤmpfen dringt man nicht bis dahin. Wuͤßte man
+nur, begriffe man nur, wie es in deinem einfaͤltigen Kopf zusteht und
+daß die hochdeutschen Woͤrter und die plattdeutschen Woͤrter, die du
+darin hast sich gar nicht gut mit einander vertragen, sich nicht
+verstehn und sich im Grund des Herzens fremd, ja feind sind. Die
+plattdeutschen Woͤrter sind deine Kinder, deine Nachbaren, dein alter
+Vater, deine selige Mutter, die hochdeutschen sind der Schulmeister, der
+Herr Pastor, der Herr Amtmann, vornehme Gaͤste, die dir allzuviel Ehre
+erweisen, in deinem schlechten Hause vorzukehren, mit dir vorlieb zu
+nehmen, Woͤrter in der Perruͤcke, in schwarzem Mantel, welche deine und
+deiner plattdeutschen Wort Familie Behaglichkeit stoͤren, dich in deiner
+Luft beeintraͤchtigen, dir bald von Abgaben, bald von Tod und juͤngsten
+Gericht vorsprechen, Grablieder uͤber deinen Sarg singen werden, ohne
+sich uͤber deine Wiege gebuͤckt und _Eia im Suse_ und andere
+Wiegenlieder gesungen zu haben. Armer Bauer, ich habe dich immer in
+Schutz genommen und diese Schrift, obgleich du sie nicht lesen wirst,
+ist eigentlich nur fuͤr dich und zu deinem Heil und Besten geschrieben.
+Viele Leute aus der Stadt klagen dich an, daß du trotz deiner Einfalt
+verschmizt bist, trotz deiner Rohheit nicht weniger als Kind der Natur
+bist, sie sagen, daß du dir eine und die andere Gewissenlosigkeit gar
+wenig zu Herzen nimmst. Aber ich habe ihnen immer geantwortet, unser
+Bauer hat nicht zu wenig Gewissen, er hat zu viel. Er hat zwei Gewissen,
+ein hochdeutsches und ein plattdeutsches, und das eine ist _ihm_ zu
+fein, das andere _uns_ zu grob und dickhaͤutig. Zu diesem wird ihm in
+seinem eigenen Hause der Flachs gesponnen, jenes webt ihm die Moral und
+die Dogmatik; in dem einen sitzt er wohl und warm und es ist sein Kleid
+und Brusttuch so lange er lebt, in dem andern friert ihn und er haͤlt es
+nur deswegen im Schrank, um damit einmal anstaͤndig unter die Schaar der
+Engel zu treten.
+
+Ist ihm sein Verhaͤltniß zum Staat durch den hochdeutschen Unterricht
+vielleicht klarer geworden, als sein Verhaͤltniß zur Kirche? Erwirbt er
+sich durch das hochdeutsche Medium, das einzige, das ihm Aufschluͤsse
+uͤber eine so wichtige Angelegenheit geben kann, Kenntnisse von seinen
+Rechten und Pflichten im Staats-Verein, ist ihm dadurch ein Gefuͤhl von
+Selbststaͤndigkeit, ein Bewußtsein von den Grenzen der Freiheit und des
+Zwanges, von Gesetz und Willkuͤhr aufgegangen, Gemeinsinn geweckt: sein
+dumpfes egoistisches Selbst zu einem Bruderkreise erweitert, der Wohl
+und Weh an allen Gliedern zugleich und gemeinschaftlich spuͤrt? _Wie_
+das alles? Seine Beamte klaͤren ihn nicht auf und er selber — er liest
+nicht, er nimmt keine Schrift, kein Blatt zur Hand, er laͤßt sich auch
+nicht vorlesen, das ist gelehrt, hochdeutsch, geht uͤber seinen
+Horizont, laͤßt sich nicht weiter besprechen, sein Verstand hat kaum
+einen Begriff, seine Sprache kein analoges Wort dafuͤr. Armer Bauer. Und
+wenn Wunder geschaͤhen und die tausend Stimmen der Zeit, die fuͤr dich
+und an dich gesprochen, dein Ohr nicht erreichen, wenn sie sich
+verwandelten und ergoͤßen in eine goͤttliche Stimme, die vom Himmel
+riefe: Bauer, hebe dein Kreuz auf und wandle — du wuͤrdest liegen
+bleiben und sprechen: das ist hochdeutsch.
+
+Wie er seine Acker vorteilhafter bestellen, seine Geraͤthe brauchbarer
+einrichten, nuͤtzlicher dieses und jenes betreiben, wohlfeiler dieses
+und jenes haben koͤnne, das lehren ihn Blaͤtter und Schriften, von
+Gesellschaften oder Einzelnen herausgegeben, vergebens: er liest sie
+nicht. Schlaͤgt man ihm sonstige Verbesserungen und Veraͤnderungen vor,
+so schuͤttelt er den Kopf und bleibt starrsinnig beim Alten. _Dat geit
+nich, dat wil ik nich, dat kan ik nich, ne dat do ik nich_;
+ungluͤckselige, stupide Worte, wie viele beabsichtigte Wohlthaten macht
+ihr taͤglich scheitern, habt ihr scheitern gemacht. Unseliger Geist der
+Traͤgheit, der hier mit der Sprache Hand in Hand hinschlentert, mit
+dieser vereint, durch diese gestaͤrkt allem Neuen und Bewegenden
+Feindschaft erklaͤrt. Wann erlebt der Menschenfreund, daß dieses
+unsaubere Paar geschieden wird. Wann erscheint die Zeit, wo diese
+Eselsbruͤcke zwischen Gestern und Vorgestern abgebrochen wird, wo die
+einzig; moͤgliche Verbindungsstraße zwischen der heutigen Civilisation
+und dem norddeutschen Bauer, die hochdeutsche Sprache, diesem wahrhaft
+zugaͤnglich gemacht wird? Aermster, ich klage dich ja nicht an, ich
+bedaure dich ja nur.
+
+Oder muß es so sein, muß der deutsche Bauer ein Klotz, ich sage ein
+Klotz bleiben. Ist es sein ewiges Schicksal nur die Plage des Lebens und
+nicht deßen Wohlthaten zu genießen? Wird sich nicht einmal seine
+enggefurchte Stirn menschlich erheitern, ist es unvereinbar mit seinem
+Stande, seinem Loose, gebildeter Mensch zu sein, mit gebildeten Menschen
+auf gleichem Fuß zu leben, sich nicht allein mit Spaten und Pflug,
+sondern auch mit Kopf und Herzen zu beschaͤftigen?
+
+ * * * * *
+
+Das sind sehr exotische Ideen in Niedersachsen! Ich weiß, ich weiß. Ich
+will sie aber aussprechen, ich will sie vertheidigen, ich will das
+Meinige dazu thun, daß _einheimische_ Ideen, Fragen und Wuͤnsche daraus
+werden. Lange genug ist die Bildung ein ausschließliches Vorrecht
+einiger Menschen, gewißer Staͤnde gewesen. Das muß aufhoͤren, gebildet
+sollen alle Menschen sein, gelehrt wer will. Volksbildung, und nicht
+bloß wie bisher Volksunterricht, soll und wird das Ideal, das
+Feldgeschrei der Zeit werden. Unsere Gelehrten, unsere Beamte, unsere
+guten Koͤpfe unter den Schriftstellern werden ihren Hochmuth fahren
+lassen, sich des Volkes erbarmen, und sich einmal erinnern, daß sie
+selber in der Mehrzahl aus dem Volke stammen. Noch im vorigen
+Jahrhundert gab sich so ein Gelehrter, Philosoph, Dichter, der
+vielleicht aus dem dunkelsten Stande geboren war, die laͤcherliche
+Miene, als ob er unmittelbar aus dem Haupt des Gottes der Goͤtter
+entsprungen sei und den Olymp besser kenne, als das Haus der armen Frau:
+die ihn mit Schmerzen geboren und mit Thraͤnen, Sorgen und Entbehrungen
+groß gezogen hatte. Kein Dichter stuͤrmte seinen Schmerz und Unmuth
+uͤber die Erniedrigung des Volks in die Saiten, kein Gelehrter schaͤmte
+und graͤmte sich, die ihm von Natur naͤchsten und liebsten Wesen von
+sich getrennt zu sehn durch eine ungeheure geistige Kluft, welche nur
+die Bildung der alten und neuen Welt auszufuͤllen vermogte. Lessing
+schreibt den Nathan, und beweist, daß der Jude eben so viel Anspruͤche
+habe auf den Himmel als der Christ, aber er schreibt nichts, worin er
+beweist, daß der Bauer, sein Vetter, eben so viel Anspruͤche habe den
+Nathan zu lesen, als der vornehme und gebildete Stadtmensch. Winkelmann
+steht am Fuße des Vatikans und erfuͤllt die Welt mit Orakelspruͤchen
+uͤber die Schoͤnheiten des Apoll von Belvedere, uͤber das goͤttliche
+zornblickende Auge, die geblaͤhten Nasenfluͤgel, die veraͤchtlich
+aufgeworfene Unterlippe, „eben hat er den Pfeil abgesandt nach den
+Kindern der Niobe, noch ist sein Arm erhoben,“ und im selbigen
+Augenblicke vielleicht, als er dieses spricht, hebt sein Vater, ein
+armer Altflicker, gedruͤckt und gebuͤckt uͤber den Leisten hingebogen,
+Pfriem und Nadel in die Hoͤhe, blickt mit geisttodten, stumpfen Augen
+auf einen Kinderschuh und gewaͤhrt den Anblick eines Menschen, gegen den
+gehalten der letzte Sclave des Praiteles, der an die Palaͤste der
+altroͤmischen Großen wie ein Hund angekettete Thuͤrwaͤchter apollinische
+Gestalten waren.
+
+Volksbildung, o das Wort hat einen griechischen Klang in meinen Ohren
+und ich muß daher fast bezweifeln, ob es auch von meinen Landsleuten
+gehoͤrig verstanden wird. Schulleute und Gelehrte werden schon wissen,
+was ich meine, ich brauche nur die Woͤrter zu nennen: γυμναςτιχα,
+_studia liberalia, id est_, wie mein alter Schuldirektor glossirend
+hinzufuͤgte, _studia libero homine digna_. Fuͤr das groͤßere Publikum
+muß ich mich wol zu einer etwas umstaͤndlichern Erklaͤrung anschicken
+und besonders fuͤr diejenigen, welche nicht begreifen, wie das Volk
+nicht bloß unterrichtet, in Lesen und Schreiben geuͤbt, sondern auch
+gebildet werden solle.
+
+Zur Volksbildung, wie zu jeder Bildung gehoͤrt zweierlei, etwas
+Negatives und etwas Positives. Sage ich aber vorher, daß ich die Saiten
+nicht zu hoch spanne und daß ich so dem natuͤrlichen Muthwillen der
+Knaben die ganze koͤrperliche Gymnastik, und der Gunst der Goͤtter ihren
+Schoͤnheitssinn, ihre musikalische Praxis und dergleichen uͤberlasse. Im
+Negativen ist die Aufgabe der Bildung, die _vis inertiae_ der rohen
+Natur vertreiben und bezwingen zu helfen — das Kapitel ist weitlaͤufig —
+es besteht aber die _vis inertiae_, die Erbsuͤnde des menschlichen
+Geschlechts, darin, daß im Allgemeinen der ungebildete Mensch — was nun
+gar der norddeutsche Bauer — Selbstdenken scheut, Vorurtheile pflegt,
+fremde Meinungen herleiert, Thier der Gewohnheit, tausendstes Echo,
+Sclave von Sclaven ist, besteht, wie schon die Bibel sagt, darin, daß er
+Augen hat zu sehen und nicht sieht, Ohren um zu hoͤren und nicht hoͤrt,
+besteht, um alles kurz zusammenzufassen, darin, daß er sich seines
+eigenen Verstandes, seines eigenen Gefuͤhls, seines eigenen Willens nur
+in den wenigsten Augenblicken des Lebens bewußt wird. — Der weichenden
+Kraft der Traͤgheit folgt, wie eine elastisch nachdruͤckende Feder, die
+allmaͤhlich hervorspringende Kraft der Thaͤtigkeit. Diese soll
+beschaͤftigt werden, _angemessenen_ Stoff finden, eine _bestimmte
+Richtung_ erhalten. Das ist das Geschaͤft der Bildung im Positiven, das
+ist das Saͤen des Weizenkorns, wenn der Acker von Steinen gereinigt, von
+unfruchtbarer traͤger Last befreit, durchbrochen, gepfluͤgt und
+gefurcht. Trieb, Lust und Kraft zum Verarbeiten des Saamenkorns in sich
+spuͤrte. Mensch und Acker, diese beiden uraͤltesten, natuͤrlichsten und
+durch den religioͤsen Stil aller heiligen Urkunden gleichsam geweihten
+Vergleichungsobjekte, sind sich hauptsaͤchlich darin aͤhnlich, daß der
+Schoͤpfer uͤber beide das Wort ausgesprochen hat: erst gepfluͤgt und
+dann gesaͤet — erst den starren traͤgen Zusammenhang der Oberflaͤche,
+der Gemuͤthsdecke durchbrochen, dann hinein mit dem lieben Korn und —
+jedem Feld das seinige nach Art des Beduͤrfnisses, nach Guͤte und
+Beschaffenheit des Bodens[4].
+
+Lehrer, wollt ihr mehr als Lehrer, wollt ihr Bildner des Volks sein,
+lehrt denken, denken und abermals denken. Gedankenlosigkeit fuͤr eine
+Suͤnde, bestraft sie wie einen Fehler, bindet meinetwegen euren
+Schuͤlern ein symbolisches Brett vor den Kopf oder stellt sie mit dem
+Kopf an die bretterne Wand, oder haͤngt ihnen, wie die Englaͤnder thun,
+Eselsohren an, oder setzt sie, wie unsere Alten thaten, mit dem Steiß
+auf hoͤlzerne Esel und vor allen Dingen, huͤtet euch, selbst die Esel zu
+sein.
+
+Ich bin aber gar nicht gesonnen, bloß den Lehrern _ex professo_ die
+Volkserziehung anheim zu stellen — ihnen dieselbe auf den Stuͤcken zu
+laden, sollte ich wol sagen, bedenke ich das Loos so vieler tausend
+braven Maͤnner, die bei kuͤmmerlichem Brod ihre taͤgliche Noth und Sorge
+haben. Nur immer die Lehrer, nur alles auf ihre Kappe, nur alle Sorge,
+allen schlechten Erfolg der Erziehung auf ihren Antheil gewaͤlzt. Das
+ist bequem, bequem freilich, aber nicht patriotisch. Jeder Patriot ist
+gelegentlich und er sucht die Gelegenheit — Erzieher, Bildner der
+Menschen, in deren Umgebung er lebt, hier hebt er einen Stein auf, dort
+ist sein Wort eine Pflugschaar, welche ein Stuͤck harter Kruste
+aufreißt, dort ein Saamenkorn, das sich heimlich und zu einstiger Frucht
+in die Spalten des Gemuͤths einsenkt.
+
+Volksbildung, Wunsch meiner Wuͤnsche, Ideal, nicht traͤumerisches,
+abgoͤttisches, ruͤckwaͤrts gewandtes, aufwaͤrts in den leeren Himmel
+blickendes, ich glaube an Dich; Ideal, das keinem Dichter vielleicht
+Stoff zum Besingen gibt, das vielleicht unter der Wuͤrde des
+Metaphysikers steht, das die scholastische Zunft Ketzerei schilt und der
+Politiker belaͤchelt, Ideal meiner Seele, Ideal aller Patrioten, im
+Namen aller spreche ich es aus, ich glaube doch und noch immerfort an
+Dich.
+
+Laßt ihr gebildeten Niedersachsen die alten Feudalvorurtheile uͤber den
+Stand eurer Bauern die unreifen Ansichten uͤber ihre Bildungsfaͤhigkeit
+fallen und fahren; erstere sind so roh, wie leider der Bauernstand jetzt
+noch selber, letztere so intellektuell hochmuͤthig, wie man nur immer
+von einem Stand exklusiv Gebildeter im und uͤber'm Volk erwarten kann.
+Bedenkt aber, was ich sage. Ein Leibnitz, zehn Jahr mit sich allein im
+dunkeln feuchten Kerker, kann so dumm und albern werden, daß
+Gaͤnsejungen und Kuhhirten ihren Witz an ihm versuchen. Nun, Monaden
+sollen unsere Bauern freilich nicht erfinden, Leibnitze nicht werden,
+aber doch mit denselben Atomen _ihres Hirns_ uͤber die Erscheinungen in
+der Welt, uͤber Natur und Staat ihre Begriffe zusammensetzen, verbinden
+und aufloͤsen, Gedanken bilden, Urtheile faͤllen und uͤberhaupt sollen
+sie geistige Operationen vornehmen, welche in Leibnitzens Kopf schaͤrfer
+oder abstrakt einseitiger durchgefuͤhrt die Lehre von urtheilbaren
+beseelten Weltstaͤubchen zum Resultat hatten.
+
+Doch, das alles wird euch ein mecklenburgischer Bauer besser
+auseinandersetzen — wenn ihr nach einem Hundert oder Zweihundert Jahren
+zu _reveniren_ Gelegenheit finden solltet.
+
+ * * * * *
+
+Im vorherigen Abschnitt habe ich besonders oder ausschließlich nur auf
+die durch die herrschende plattdeutsche Sprache verhinderte und daher
+auch trotz dem Unterricht im Hochdeutschen verfehlte Bildung des
+Landmanns Ruͤcksicht genommen[5]. Es ist aber auch schwer, wenn von der
+gewerbtreibenden Klasse, der großen Bevoͤlkerung _norddeutscher Staͤdte_
+die Rede ist, die Hemmung und Stockung zu verkennen, welche die
+plattdeutsche Sprache, wo sie dem taͤglichen Umgang angehoͤrt, uͤber die
+Koͤpfe verhaͤngt. Man stoͤßt sich da, wo der Block liegt, nur sind die
+Pfaͤhle, welche den engen plattdeutschen Ideenkreis in der Stadt wie auf
+dem Lande begrenzen und umpfloͤcken, hier mehr roh, dort mehr
+spießbuͤrgerlich abgeschaͤlt und hollaͤndisch uͤberpinselt, das ist der
+Unterschied. Doch giebt es besonders aus groͤßeren norddeutschen
+Staͤdten, eine erfreuliche Thatsache zu berichten. Viele aus den
+mittleren achtbaren Staͤnden, Handwerker u.s.w. haben in neuer und
+neuester Zeit angefangen, sich und ihren Familien eine andere Stellung
+zur hochdeutschen Sprache und Kultur zu geben, als von ihren Vaͤtern
+und Vorfahren eingenommen wurde. Ruͤhmlich ist es, was diese fuͤr ihre
+Kinder thun, mit wie viel Opfern sie oft ihren Lieblingen Gelegenheit
+verschaffen, sich fuͤr ihren kuͤnftigen Stand so zu befaͤhigen, daß sie
+nicht, wie jetzt noch die Meisten aus dieser Klasse, mit leeren Haͤnden
+und offenen Maͤulern den Strom der Einsichten, Ideen, Kenntnisse und
+Bestrebungen an sich voruͤberrauschen sehen, der Europa, Amerika, die
+Welt erfuͤllt. Ruͤhmlich und verstaͤndig zugleich, denn es leitet sie
+der richtige Takt in der Beobachtung, daß Besitz und Vermoͤgen in der
+Welt immer mobiler werden, daß im raschen Wechsel der Dinge, außer dem
+blinden Gluͤck, worauf zu rechnen Thorheit waͤre, Verstand und
+Kenntnisse, die aͤchten Magnete sind, um den aus den Taschen der
+Erwerbenden und Genießenden lustig hin und her wandernden Besitz
+anzuziehen, zusammenzuhalten und zu vermehren.
+
+ * * * * *
+
+Waͤhrend der niedersaͤchsische Bauer bis uͤber Kopf und Ohren im
+Plattdeutschen steckt, der Buͤrgersmann aber schon anfaͤngt, sich
+zwangloser, als bisher, des hochdeutschen Mediums zu bedienen, sollte
+man vom Gebildeten _par exellence_, vom Musensohn, vom Beamten des
+Staats und der Kirche u.s.w. aussagen duͤrfen, daß er sich mit voͤlliger
+Freiheit und Lust in hochdeutscher Sprache und Bildung bewegte und vom
+plattdeutschen Idiom nur außer und unter diesem Kreise Gebrauch machte.
+Allein die Sache verhaͤlt sich anders. Ich muß in dieser Hinsicht
+Gedanken aͤußern, Erfahrungen mittheilen, welche meinem Gegenstande eine
+ganz eigentuͤmliche uͤberraschende Wendung geben.
+
+Thatsache ist naͤmlich, daß die plattdeutsche Sprache Haus- und
+Familiensprache in Tausenden von Beamtenfamilien, Lieblingssprache auf
+allen norddeutschen Universitaͤten ist. Diese Sprache also, die ich als
+Schranke alles Strebens und Lebens, als Feindin der Bildung betrachte,
+ist dieses so wenig in den Augen vieler meiner Landsleute, daß sie den
+vertrautesten Umgang mit ihr pflegen, daß sie ihr, der von Kanzel und
+Lehrstuhl und aus guter Gesellschaft laͤngst Vertriebenen, eine
+Freistaͤte am Heerde ihres Hauses gewaͤhren.
+
+Hier im Schooß der Familien erscheint sie als Exponentin der innigsten
+Verhaͤltnisse. In Scherz und Ernst fuͤhrt sie oft das Wort, sie ist
+Vertraute der Gattenliebe, Organ der Kindererziehung, Sprache des
+Herzens, Lehrmeisterin der Sitte und praktischer Lebensklugheit. Hier
+hat sie auch meistens ihre Rohheiten abgelegt, kehrt die beste Seite
+heraus und scheint sich, gleichsam durch ihr Ungluͤck gebessert, des
+Vertrauens wuͤrdig zu machen.
+
+Kommt hinzu, daß ihre Schutzherrn nicht selten Maͤnner von Talent, Geist
+und Namen sind. Beruͤhmte Lebende koͤnnte ich anfuͤhren, ich begnuͤge
+mich den seligen Johann Heinrich Voß zu nennen, der nicht allein in
+Eutin, sondern noch in Heidelberg bis an seinen Tod mit Frau, Familie
+und norddeutschen Gaͤsten am liebsten und oͤftersten plattdeutsch
+sprach.
+
+Das sind Thatsachen. Wie gleiche ich sie aus mit der Behauptung, die
+plattdeutsche Sprache sei Feindin der Bildung, des Ideenwechsels, der
+geistigen Lebendigkeit; jetzt, da ich selbst nicht umhin konnte, Maͤnner
+von Geist und Talent, von Gelehrsamkeit, rastloser Thaͤtigkeit, Maͤnner
+wie Voß als plattdeutsche zu bezeichnen?
+
+Freilich, ich koͤnnte den nachteiligen Einfluß der plattdeutschen
+Sprache eben nur auf das Volk und die Volksbildung beschraͤnken. Ich
+koͤnnte mich etwa, um dem _gebildeten Plattdeutschen_ allen Anstoß aus
+dem Wege zu raͤumen, folgendermaßen daruͤber ausdruͤcken: _absolut dem
+Geiste lethal_ ist das Plattdeutsche nur, wo hochdeutsch, sanskrit und
+boͤhmische Doͤrfer gleich bekannt sind, wie hie und da in Pommern und
+Meklenburg; was denn von den groͤßten Freunden des Plattdeutschen
+zugegeben werden muͤßte, da gar nicht zu laͤugnen, daß an sich und fuͤr
+sich dasselbe nichts Lebendes und Bewegendes enthalte, sondern Todt und
+Stillstand selber sei; _geistig hemmend und laͤhmend_ bleibt aber das
+Plattdeutsche immer noch aus der Stufe der Gesellschaft, wo ihm zwar
+das Hochdeutsche verstaͤndlich naͤher getreten, aber noch als ein
+Fremdes gegenuͤber steht; _ohne schaͤdlichen Einfluß und gleichsam
+indifferent fuͤr Geist und Bildung_ zeigte sich die plattdeutsche
+Sprache, da, wo sie der hochdeutschen nicht als Fremde gegenuͤber steht,
+sondern schwesterlich zur Seite geht.
+
+Allein, ich fuͤrchte, _indifferent_ ist ein Ausdruck, der hier schon aus
+allgemeinen psychologischen Gruͤnden unstatthaft erscheint. Zwei
+Sprachen auf der Zunge sind zwei Seelen im Leibe. Ist die eine Sprache
+die geliebtere, die Herzenssprache, so ist die andere, fuͤr welche
+Zwecke sie auch aufgespahrt wird, um ihren schoͤnsten Anteil am Menschen
+zu kurz gekommen. Sie raͤcht sich, indem sie das nicht zuruͤckgiebt, was
+sie nicht empfaͤngt, sie schließt ihre innerste Weihe nicht auf und
+laͤßt sich wol als aͤußeres Werkzeug mit großer Kunst und Kuͤnstelei,
+aber nicht als zweites Ich mit Liebe und Freiheit gebrauchen.
+
+Der hochdeutschen Sprache verdankt jeder Niedersachse sein veredeltes
+Selbst, ihr der aus dem Volk geborne Redner, Dichter, Schriftsteller
+sein Alles und Ruf und Namen im Kauf. Kann er ihr sein Herz dafuͤr nicht
+zuruͤckschenken, kann er sie nicht zur Sprache seiner haͤuslichen
+Freuden und Leiden machen, muß sie verstummen, sobald er gemuͤthlich
+wird, so steht sein gebildetes und veredeltes Selbst im geheimen
+Kontrast zu seinem intimen Selbst und es wird sich daher auch an seiner
+Bildung, an seinen Gedichten, Reden, Schriften diese Einseitigkeit,
+dieser Widerspruch offenbaren und nachweisen muͤssen.
+
+Menzel hat's bekanntlich an Johann Heinrich Voß unternommen. Die Stelle
+in Menzels Literatur, die Voß betrift, ist bitter, frivol, einseitig,
+aber sie ist bedeutend und hat dieselbe nachwirkende Sensation
+hervorgebracht, wie das Urtheil uͤber Goͤthe, das freilich noch
+einseitiger ausgefallen ist und sich selbst _à la_ Pustkuchen
+laͤcherlich machte. Als ich Menzels Worte zum erstenmal las, fuͤhlt ich
+mich empoͤrt. Zeig dich nur erst als so einen _niedersaͤchsischen
+Bauer_, wie du den Voß zum Spotte nennst, rief ich im Zorn aus; allein
+ich mußte mir einen Augenblick darauf selbst sagen, daß diese Anmuthung
+an einen Suͤddeutschen weder billig noch selbst einladend genug klang
+und daß doch zugleich eben in meinem Ausrufe eine Art von halbem
+Zugestaͤndnisse lag. Wirklich hatte ich schon immer eine Ansicht uͤber
+Voß als Dichter und Uebersetzer gehegt, die bei aller Achtung Vor dessen
+großen, zweifellosen Verdiensten, durchaus nicht nach uͤbertriebener,
+philologischer Bewunderung und niedersaͤchsischem Patriotismus roch. Ich
+fand, daß er dem Genius der deutschen Sprache von Jahr zu Jahr mehr
+Zwang angethan, daß er zu roh und willkuͤhrlich an ihr gezimmert und
+losgehaͤmmert und daß kein Deutscher, selbst Voß nicht, solche Woͤrter,
+Wendungen und Redensarten in den Mund nehmen konnte, wovon seine
+prosaischen und poetischen Schriften voll sind. Gegenwaͤrtig lautet mein
+Urtheil vielleicht noch entschiedener. Ich sehe an Johann Heinrich Voß
+bestaͤtigt, was ich eben aussprach. Die hochdeutsche Sprache hatte seine
+Liebe nicht voͤllig inne, daher erschloß sie ihm nicht ihr eigenes Herz,
+ihre Heimlichkeiten und Geheimnisse, ihre jungfraͤuliche Natur, die
+Bluͤthe ihres Leibes und Geistes, lauter Gaben und Geschenke, die man im
+zaͤrtlichen Umgang freiwillig von der Geliebten eintauscht, nicht aber
+durch Willkuͤhr und Zwang ihr abgewinnen kann.
+
+Indem ich dieses allen Gebildeten in Niedersachsen zu bedenken gebe, bin
+ich keinesweges abgeneigt, einer patriotisch-wohlmeinenden Stimme aus
+ihrer Mitte Aufmerksamkeit zu schenken, welche die Ueberzeugung aͤußert,
+der Gebrauch der plattdeutschen Sprache in den Familien gebildeter
+Niedersachsen, welchen Einfluß er auch uͤbe auf die intellektuellen
+wahren oder ertraͤumten Beduͤrfnisse, auf die verfeinerte Civilisation,
+Bildung oder Verbildung der Zeit — ich schattire absichtlich diese
+Ausdruͤcke mit dem bekannten Pinsel, der ohne Zweifel aus guter aber
+beschraͤnkter Absicht alles was der Gegenwart und der neuesten Zeit
+angehoͤrt gegen die gute alte im Schwarzen und Bedenklichen laßt — der
+Gebrauch sei ein guter und treflicher in Ruͤcksicht auf den Charakter
+der Hausgenossen, weil mit der Sprache der Vaͤter auch ihre alte
+ehrliche und treue Sitte, ihre Herzlichkeit, Gradheit und Biederkeit
+sich auf die Enkel fortpflanze.
+
+Aufrichtig, du mir immer liebe Stimme, wenn da aus schlichtem,
+patriotischem Herzen kommst, ich weiß nicht ob unsere Urgroßvaͤter so
+ganz diesem schmeichelhaften Silbe glichen. Es ist sonderbar damit, man
+spricht immer von der guten alten Zeit und jedes aussterbende Geschlecht
+vermacht die Sage davon an das aufbluͤhende und die gute alte Zeit
+selbst laͤßt sich vor keinem sterblichen Auge sehn und ist immer um
+einige Stieg Jahre aͤlter, als die aͤltesten lebenden Menschen. Ich muß
+laͤcheln, wenn ich an die Verlegenheit wohlmeinender Chronisten und
+Geschichtschreiber denke, wenn sie, um das moralische Maͤhrchen nicht zu
+Schanden werden zu lassen, sorgenvoll spaͤhende Blicke in die
+Vergangenheit werfen, um auch nur einen Zipfel, einen Saum von der
+Schleppe der alten Guten oder guten Alten zu erhaschen. Man gebe nur
+Acht, wie listig sie sich dabei benehmen. Sie lassen ihr nie unmittelbar
+ins Gesicht sehen, sie sagen nicht, nun kommt sie, oder da ist sie; im
+Gegentheil wimmeln die Blaͤtter ihrer Geschichte nicht selten eben
+vorher von klaͤglichen Zustaͤnden, Schwaͤchen, Lastern und
+Erbaͤrmlichkeiten der menschlichen Natur, wenn sie dem Abschluß einer
+auserwaͤhlten, kleinen, glaͤnzenden Periode sich naͤhern; dann aber,
+wenn der Vorhang faͤllt, die grellen Farben sich schwaͤchen, die boͤsen
+Beispiele nicht mehr so lebhaft der Idee von guten Sitten
+entgegenarbeiten, wenn das Bild der Zeit abzieht, dann zeigen sie auf
+ihren bordirten Saum und rufen dem Zuschauer wehmuͤthig zu, da geht sie,
+da geht sie hin die gute alte Zeit und nun werden die jungen Zeiten
+anwachsen, ihre Kinder, die sind aber sehr ausgeartet und werden alte
+Zeit schlechter. Das man die Geschichte der Sitten von einem ganz andern
+Standpunkt und mehr im Großen der Welterscheinungen betrachten muß, das
+ahnen die guten Leute nicht.
+
+Fuͤr jeden Einzelnen ist es freilich immer eine Sache der Pietaͤt und
+ein wohlthuendes Gefuͤhl, sich seine Vorfahren als durchgaͤngig honette
+Leute vorzustellen. Der dunkele Buͤrgerliche oder Baͤuerliche kann
+dieser Vorstellung wenigstens ohne großen geschichtlichen Anstoß und
+Widerspruch nachhaͤngen, er hat hierin einen Vortheil vor den
+beruͤhmtesten Adelsfamilien voraus. So ist in hochdeutschen
+buͤrgerlichen Familien die Vorstellung vom Großvater, Urgroßvater als
+altdeutschen Degenknopf die herschende und die liebste. Schwaͤcher und
+allgemeiner bezeichnet sind die _epitheta ornanti_ fuͤr baͤuerliche
+Vorfahren, Degenknoͤpfe kann man sie schicklicherweise nicht nennen und
+der Bauerwitz ist bis jetzt noch nicht auf den Einfall gekommen, etwa
+die Ausdruͤcke von alten deutschen Piken, Sensen oder Messerscheiden auf
+sie anzuwenden. Ueberhaupt ist zu bemerken, daß das Wort deutsch nur
+hochdeutsch ist, und im originalen plattdeutsch des gemeinen Lebens
+nicht vorkommt, eben so wenig, wie die fruͤherhin angefuͤhrten Woͤrter
+Bildung und Verfassung, so daß die Redensart „das gebildete und
+verfassungsmaͤßige Deutschland“ in plattdeutscher Sprache noch weniger
+als eine Redensart und gar nichts ist.
+
+Nach dieser vorlaͤufigen Verstaͤndigung waͤre zunaͤchst der Hauptsatz
+einzuraͤumen, mancherlei alte Sitte geht durch den Gebrauch der
+plattdeutschen Sprache auf die Glieder der Familie uͤber, und —
+_Folgesatz_ — wird ihnen zeitlebens etwas ausdruͤcken oder anhaͤngen,
+was sich nicht wol mit ihrer sonstigen Bildung vereinigen, sich nicht
+fuͤr die Zeit und heutige Gesellschaft schicken will — das aber — _Nach-
+und Beisatz_ — den Umgang mit dem Volk, das Einwirken auf das Volk zu
+erleichtern geeignet sein mag.
+
+Letzteres betrachte ich in der That fuͤr sein unwichtiges Moment. Man
+sieht hier den Gebrauch der plattdeutschen Sprache in Prediger- und
+Beamtenfamilien unter seinen natuͤrlichsten und vortheilhaftesten
+Gesichtspunkt gestellt. Diese Familien, meistens selbst vom Lande und
+auf dem Lande besitzen und erregen nicht selten das Vertrauen des
+Landmanns und wie es andere Familien zum Beispiel in der Stadt giebt, in
+deren Mitte er sich fuͤr verrathen und verkauft halten wuͤrde, so trift
+er in jenen gleichsam naͤhere und entfernte Anverwandte und sieht in
+deren haͤuslichem Leben wie in einen Spiegel, worin sein eigenes mit
+verschoͤnerten Zuͤgen ihm vertraulich entgegentritt.
+
+Doch ist keiner geringen Anzahl von diesen Familien die hoͤchst
+dringende Warnung zu ertheilen, vor dem allmaͤhligen herabsinken auf die
+baͤuerliche Stufe der Kultur auf der Hut zu sein. Da sich im
+Plattdeutschen einmal nichts Gescheutes sprechen laͤßt, so nimmt die
+plattdeutsche Gemuͤtlichkeit nur zu leicht den Charakter der Traͤgheit
+an. Das Beduͤrfniß bedeutenderer Conversationen, zarterer Beruͤhrungen,
+die nur in einer gebildeten Sprache moͤglich sind, regt sich immer
+schwaͤcher, die einfache Sitte verwandelt sich in rohe, das Herzliche
+ins Laͤppische, das Gerade in's Plumpe, das Derbe in's Ungeschlachte und
+es tritt nur zu oft jener traurige Ruͤckschritt der Civilisation ein,
+den man Verbauerung nennt. Damit ist dem Bauer auch nicht geholfen, der
+Familie, den Kindern noch weniger.
+
+Wer sich also in seiner Neigung und Vorliebe fuͤr das Plattdeutsche im
+Haͤuslichen auf einen Heros der deutschen Literatur wie Johann Heinrich
+Voß oder einen Pfarrer, wie Klaus Harms zu berufen gedenkt, der thut
+wohl, sich zuvoͤrderst die Fragen vorzulegen: bist du des Umschwungs
+deines geistigen Raͤderwerks auch so gewiß und sicher, wie jene, laͤufst
+du keine Gefahr, dich fuͤr die Wissenschaft abzustumpfen, die Bewegung
+der Zeit aus dem Auge zu verlieren; darfst du nicht befuͤrchten, dich
+und deine Familie an den Bettelstab des Gedankens zu bringen, deinen
+Kindern eine unersaͤtzliche Zeit zu rauben, sie unerzogen in die Welt zu
+stoßen und mit deinem ganzen Hause an den untersten Fuß der Civilisation
+herabzugleiten?
+
+Das moͤgten doch immer Fragen sein, die einer aͤngstlich gewissenhafter
+Beantwortung werth sind.
+
+ * * * * *
+
+Aber die plattdeutsche Sprache, ist, wie erwaͤhnt, Lieblingssprache auf
+allen norddeutschen Universitaͤten und das wenigstens wird ihr waͤrmster
+Freund nicht gut heißen koͤnnen.
+
+Hier tritt sie als gefaͤhrlichste Bundesgenossin aller jener
+zahlreichen Uebel und Hemmnisse auf, die sich von Anfang an auf unsere
+Universitaͤten verschworen zu haben scheinen, um die Humanitaͤt im Keim
+zu ersticken. Hier legt sie die idyllische ehrbare Miene ab, wodurch sie
+sich in laͤndlichem Pfarrhause Frau und Toͤchtern empfiehlt, zwanglos
+grob, ungenirt gemuͤtlich wandert sie in den Auditorien aus und ein, den
+Mund immer offen und nur pausirend, wenn der Professor spricht und der
+Student Religionsphilosophie, Metaphysik, Naturlehre und andere
+hochdeutsche _sublimia_ in sein Heft eintraͤgt. Zum Teufel ihr Herren
+_favete linguis!_ wie kommt die Sprache Boͤotiens in Minervens Tempel.
+Ihr koͤnnt freilich antworten, wie kommt Minervens Tempel zu unserer
+Universitaͤt, die nur eine alte wankende Ruine aus dem Mittelalter ist.
+Recht! aber wo euer Fuß hintritt, da soll Athen sein, geweihter Boden
+sein — _soll_, sage ich, denn warum sonst haben die Goͤtter dem
+jugendlichen Fuß die Sehne der Ungeduld und des heiligen Zorns
+verliehen, die mit einem Tritt zerstampft, was das Alter mit beiden
+Haͤnden nicht aus dem Wege schaffen kann, warum anders, als damit ihr
+Schoͤneres, Besseres, Heiligeres aus dem Boden zaubern sollt. Ihr
+versteht mich nicht? Ich verstehe euch auch nicht, ich verstehe die edle
+norddeutsche Jugend nicht, die sich auf dem Musensitz einer Sprache
+bedient, die dem Dunkel des Geistes, der Barbarei vergangener Zeiten
+angehoͤrt. Macht es dieser Jugend Scherz, ihre eigenen Studien, das
+akademische Leben, den duͤrren Scholastizismus und die Pedanterie des
+akademischen Instituts zu parodiren, zu travestiren, so sehe ich
+allerdings weder großen Uebermuth in diesem Scherze, noch verkenne ich,
+wie sehr die plattdeutsche Sprache, ja schon ihr Klang, zu diesem Zweck
+sich eignet[6]; allein Scherz muß Scherz, das heißt fluͤchtig und
+wechselnd bleiben, und wenn derselbe Scherz und dieselbe Travestie drei
+Jahre alt wird, so muß man ein sehr ernsthaftes und langweiliges Gesicht
+dazu machen.
+
+Kann man nicht heiter, gesellig, witzig, selbst wenn Lust und Laune
+danach, derb und spaßhaft im Element des Hochdeutschen sein. Ist die
+Sprache unserer Bauern humoristischer als die Sprache Abrahams a Sancta
+Clara, Lichtenberg, Jean Pauls. O ich kenne die niedersaͤchsischen
+Witze, sie stehen alle in einem kleinen grobloͤschpapiernen Buch mit
+feinen Holzschnitten, das jaͤhrlich in diesem Jahre gedruckt wird. Es
+tritt darin auf „der Ruͤbezahl der Luͤneburger Haide,“ der Repraͤsentant
+des niedersaͤchsischen Volkshumors, der geniale Till und ruͤlpst auf die
+anmuthigste Weise lauter Witze vor sich hin, die aus einer Zeit stammen,
+wo das Volk nur den groben Wanst, dagegen die Ritterschaft den Arm, die
+Geistlichkeit den Kopf des Staatsungeheuers repraͤsentirte.
+
+Oder was zieht ihr vor an der plattdeutschen Sprache? Ich weiß die
+Antwort nur zu gut, „sie macht uns Spaß[7]; sie ist uns gemuͤthlich.“
+Chorus von Goͤttingen, Rostock, Greifswalde, Kiel, sie macht uns Spaß,
+sie ist uns gemuͤthlich, es wird uns wohl dabei! Auch in Jena,
+Heidelberg, Berlin, Bonn, wohin wir kommen und wo unserer zwei bis drei
+beisammen sind, da ist sie mitten unter uns. Sie gehoͤrt mit zum Wesen
+der norddeutschen Landsmannschaft und das waͤre kein braver Holsat oder
+Meklenburger, oder Oldenburger, der nicht wenigstens drei Plattituͤden
+am Leibe haͤtte, plattes (Muͤtze) auf dem Kopf, plattes (Mappe) unter'm
+Arm und das liebe Platt im Munde.
+
+O Jugend, akademische, Bluͤthe der Norddeutschen, sei nicht so duftlos.
+Dufte etwas nach dem Geist der Alten — ich meine nicht deiner eigenen —
+bethaue deine Bluͤthen und Blaͤtter mit etwas Naß aus der Hippokrene,
+durchdringe sie mit etwas Oel aus der Lampe der Philosophie, empfinde,
+fuͤhle wenigstens nur die heiße Thraͤne des Unmuts und des Schmerzes,
+die der Genius deines Vaterlands auf dich herabtraͤufelt.
+
+O Jugend, akademische, ihm ist uͤbel, wenn dir wohl ist. Mephistopheles
+freilich lacht und spoͤttelt dazu und wenn er dich in Auerbachs Keller
+platt und wohlbehaglich sitzen sieht so ruft er seinem Begleiter zu:
+
+ Da siehst du nun, wie leicht sich es leben läßt?
+ Dem Völkchen da wird jeder Tag zum Fest.
+
+Wie hat sich seit den Tagen des Faustus die Welt veraͤndert, was ist
+nicht alles in den letzten 30, in den letzten 13, in den letzten 3
+Jahren geschehen und dieses Voͤlkchen ist noch immer das alte geblieben?
+Wo kommt es her? Wo geht es hin?
+
+Es gibt Ausnahmen, wie sollte es nicht. Aber ich spreche, wie immer in
+dieser Schrift, vom großen Haufen, und der ist auf unsern Universitaͤten
+noch immer der alte Stamm und das Plattdeutsche seine hartnaͤckigste
+Wurzel.
+
+Es hat fast den Anschein, als muͤßte der Bauer erst mit gutem Beispiel
+vorangehn und die Sprache der Bildung gegen den Dialekt der Rohheit
+eintauschen, ehe der Student sich dazu entschließt.
+
+Wie noͤthig thaͤte es Manchem, um auch nur den aͤußern Schein seines
+Standes im Gespraͤch und Umgang mit Gebildeten zu retten. Ich schaͤme
+mich's zu sagen, welche Erfahrungen ich gemacht habe.
+
+Wie noͤthig aber thut es Jedem, sich unablaͤssig in einer Sprache zu
+bewegen, die ihm erst zu der Herrschaft uͤber sein Wissen verhelfen
+soll; wie noͤthig Jedem, sich einer Sprache zu entschlagen, welche diese
+Herrschaft mißgoͤnnt und streitig macht, welche wie das lichtlose dumpfe
+Chaos dicht hinter seiner aufzubauenden Welt lauert.
+
+Ohnehin fordert die hochdeutsche Sprache Uebung, viel Uebung. Sie faͤllt
+Einem nicht so in den Mund, wie dem Franzosen das franzoͤsische. Das
+Talent sich fertig und gelaͤufig auszudruͤcken, ist immer noch ein
+selteneres, am seltensten in Nord-Deutschland. Sprache und Gedanke,
+Sprache und Gelehrsamkeit stehen haͤufig im ungeheuersten
+Mißverhaͤltniß. Fern sei es von mir, den bloßen Fluß der Worte, die
+Geschwaͤtzigkeit als eine Tugend zu preisen. Aber diese Wortangst, diese
+Wortplage, die so viele Sprechende befaͤllt, dieses Stottern, Ringen,
+Raͤdern und Braͤchen, das am Ende oft doch nur etwas Verschrobenes oder
+Triviales zu Tage foͤrdert, das alles deutet bei unsern Gelehrten auf
+eine klaͤgliche Unangemessenheit zwischen todtem Studiren und lebendigem
+Umtausch hin.
+
+Von dieser Seite betrachtet zeigt sich der geruͤgte Uebelstand auf
+norddeutschen Universitaͤten im haͤßlichsten Licht. Der tuͤchtigste Kopf
+kann sich kaum vor der Masse des Fertigen, Vorgedachten, Positiven
+erwehren, das so regelmaͤßig wie der Rinnenguß einer Wassermuͤhle Tag
+fuͤr Tag auf ihn eindringt. Es gehoͤren elastische Denkfibern,
+gluͤckliches Gedaͤchtniß (auch gluͤckliches Vergessen) und vor allem
+Freundesgespraͤche dazu, um die ewige Nothwehr mit Erfolg fortzusetzen
+und das heiligste Gut der Persoͤnlichkeit, das Stoffbeherrschende,
+selbstbewußte, selbstdenkende Ich siegreich davonzutragen. Vor allem
+Freundesgespraͤche, sage ich. Einsames Lernen, stilles Sammeln,
+Betrachten, Denken sind nothwendig; aber wer nicht spricht, erstickt,
+wird verwirrt, chaotisch und das eben ist der geistige Zustand der
+meisten jener Gelehrten, deren Sprechen ich so eben als Sprachangst und
+Sprachplage bezeichnet habe.
+
+Mit welchen Farben soll ich den barocken, laͤcherlich traurigen
+Geisteszustand einer plattdeutschen Studentenmasse schildern. _Ochsen_
+nennt sie selbst die mechanische Arbeit, die sie zum Behuf des Examens
+taͤglich vornimmt. Jeden Tag schiebt sie fleißig ihren Karren Pandekten,
+Dogmatik u.s.w. in die Scheune ihres Gedaͤchtnisses.
+
+Liegt da das taͤgliche Pensum zu Hauf, so spannt sie sich aus, laͤßt's
+liegen, wo es liegt und — wird gemuͤthlich, plattdeutsch.
+
+_Humaniora_, erfrischende, belebende, hoͤher hinantreibende Vortraͤge,
+hoͤrt sie nicht, oder bekommt sie nicht zu hoͤren, da leider an vielen
+Orten die _Humaniora_ nur als Antiquitaͤten gelesen werden.
+
+Klingt es nicht manchmal als Ironie, wenn der Bauer seinen Sohn, oder
+des Amtmanns, Schulzen, einen Studeermakergesellen nennt? — O
+norddeutsche, studirende Jugend, nimm das platt aus dem Munde!
+
+ * * * * *
+
+Bis hierher hatte ich das Niedergeschriebene einem Freunde vorgelesen.
+Ich fragte diesen um sein Urtheil. Ich bin uͤberrascht, sagte er nach
+einigem Zoͤgern: Ich habe uͤber den Einfluß der plattdeutschen Sprache
+bisher nicht weiter nachgedacht, und das moͤgte wohl der Fall mit den
+meisten kuͤnftigen Lesern dieser Bogen sein. Nichts destoweniger habe
+ich diesen Einfluß dunkel und unangenehm empfunden; er macht, besonders
+wenn man aus dem Suͤden zuruͤckkehrt, einen aͤhnlichen Eindruck, wie die
+veraͤnderte Athmosphaͤre, die fahle Luft und das haͤufige Regenwetter
+des Nordens. Man findet sich darein, wie in ein nothwendiges Naturuͤbel.
+Allein mit der Sprache ist es wol ein Anderes. Sie haben Recht, wenn Sie
+einmal fruͤher aͤußerten, man muͤsse sich selbst gegen das Nothwendige,
+das der physischen oder moralischen Ordnung angehoͤrt, in Position
+setzen. Sie haben mir, darf ich sagen, ordentlich die Brust erleichtert,
+indem Sie mich auf einen bestimmten Landesfeind aufmerksam machen, mit
+dessen Vertilgung das Feld fuͤr die norddeutsche Civilisation gewonnen
+scheint. Das wird und muß nach Lesung Ihrer Schrift, das Gefuͤhl aller
+Patrioten sein, denen es in dieser Zeit wie Alpdruͤcken auf dem Herzen
+liegt. O wohl! o wohl! Die plattdeutsche Sprache ist das absolute
+Hemmniß des oͤffentlichen Lebens, der Bildung und Humanitaͤt in
+Niedersachsen. So lange diese Sprache dem gemeinen Leben angehoͤrt,
+werden, wie bisher, Mastochsen, Gaͤnsebruͤste und westphaͤlische
+Schinken die Hauptprodukte unserer Civilisation bleiben. Gegen die
+Civilisation selbst macht die plattdeutsche Sprache nicht allein
+gleichguͤltig, sondern tuͤckisch und feindselig gestimmt. Warum ist das
+nicht laͤngst zur Sprache gebracht, Gegenstand des allgemeinsten und
+lebhaftesten Interesses geworden.
+
+Sie vergessen, sagte ich, daß Voß, Harms, Scheller, Baͤrmann und andere
+wackere Maͤnner die Theilnahme des Publikums fuͤr diese Sprache, selbst
+fuͤr eine Literatur in derselben, haben in Anspruch nehmen wollen.
+
+Ich weiß, erwiederte er, ich habe unter andern den „_Bloottuͤgen_,“ den
+Henrik von Zuͤphten vom Pastor Harms gelesen. Damals dachte ich nichts
+anderes dabei, als daß so ein plattdeutsches Buch unbequem und schwer zu
+lesen und wahrscheinlich noch unbequemer zu schreiben sei.
+
+Was den Henrik von Zuͤphten betrift, bemerkte ich dagegen, so scheint
+mir der Verfasser einen Ungeheuern Mißgriff in der Wahl des Stoffes
+gethan zu haben. Ich schaͤtze die alten Dithmarsen sehr hoch. Sie waren
+ein tapferer, unbezaͤhmlicher, ordentlich nach Freiheit und
+Unabhaͤngigkeit duͤrstender Menschenschlag, Bauern zu Pferde mit dem
+Schwerdt in der Hand, die Schweizer des Nordens oder vielmehr Wittekinds
+und seiner Sachsen ungebeugte und ungebrochene Enkel bis in's
+fuͤnfzehnte und sechszehnte Jahrhundert hinein. Nur weiß ich nicht, ob
+ein lutherischer Pfarrer von Heute, selbst wenn er geborner Dithmarse
+ist, einer so durchaus heidnischen Mannheit Gerechtigkeit widerfahren
+lassen kann; denn obwol die dithmarsische Groͤße und Freiheit in
+christliche Zeiten fiel und die Verehrung der Jungfrau Maria in diesem
+Lande gerade hoͤher getrieben wurde, als, wie es scheint, andeswo im
+Norden, so erhielt doch der hochfahrende und kampflustige Sinn der
+Einwohner durch sie nur eine sehr schwache christliche Faͤrbung und wol
+schwerlich hat die Brust eines mutigen Dithmarsers aus Furcht vor dem
+Himmel, der Geistlichkeit oder eigener Gewissenszartheit christliche
+Demuth dem Muth uͤbergeordnet, wie man solches in den Ritterbuͤchern des
+Mittelalters liest. Doch mag es damit sein, wie es will; ich muß
+bekennen, daß ich uͤberhaupt keinen Geistlichen zum Geschichtschreiber
+wuͤnsche, speziell nicht zum Dithmarsischen. Was mir aber auffiel, war,
+daß Pastor Harms sich grade einen Moment aus der dithmarsischen
+Geschichte gewaͤhlt hatte zur plattdeutschen Darstellung, der auf so
+schneidende Weise mit der altvaͤterischen, derben Bonhommie, die er
+dieser Sprache im Eingang nachruͤhmt, im Kontrast steht: der
+Maͤrtyrertod des ersten lutherischen Predigers in Dithmarsen. Diese
+kalte Wuth, dieser Hohn menschlichen Gefuͤhls, diese Spurlosigkeit alles
+Barmherzigen, womit hier der arme Mann einem langsamen und
+schauderhaften Tode uͤberliefert wird, macht nicht nur an sich einen
+boͤsen Fleck in der dithmarsischen Geschichte aus, sondern erinnert auch
+sehr zur Unzeit, daß diese beste Zucht niedersaͤchsischer Maͤnner, die
+Dithmarsen, von jeher neben ihrer Tapferkeit und eisernen Sitte, mit
+asiatischer Barbarei an Gefuͤhllosigkeit gegen Feind und Freund
+gewetteifert haben, was den allerdings wol auf eine derbe und rohe, aber
+keineswegs auf so eine „alte und gemuͤthliche“ Sprache hindeutet, wie's
+so etwa von einem unserer friedlichen und gutmuͤthigen Philister
+heutiger Zeit verstanden wird. — Fuͤgen Sie noch hinzu, sagte hierauf
+mein Freund, daß das Dithmarsen der Gegenwart, das noch ganz und gar
+plattdeutsch ist, und wo auch noch wirklich das beste platt[8]
+gesprochen wird, weder in moralischer noch in gesellschaftlicher
+Beruͤhrung ein sehr glaͤnzendes Lob auf dasselbe zuzulassen scheint. Die
+Armuth, Trunkfaͤlligkeit, die ungeheure Zahl der veruͤbten Mordbraͤnde
+in Dithmarsen deuten auf einen sehr versunkenen sittlichen und
+buͤrgerlichen Zustand. Eben er, der mit herrlichem Eifer fuͤr die
+Verbreitung religioͤser und moralischer Lebensflammen erfuͤllte Pastor
+Harms hat in patriotischen Schriften seinen Schmerz daruͤber
+ausgesprochen. Was kann er aber, sage ich jetzt mit vollster
+Ueberzeugung, von der Mithuͤlfe einer Sprache erwarten, welche aller
+Mittheilung unbesiegliche Schranken entgegenstellt und das wahre Grab
+des hoͤheren Leben ist. Es staͤnde zu wuͤnschen, daß ein dithmarsischer
+Patriot den nachteiligen Einfluß der Sprache auf die Fortschritte der
+Civilsation und selbst auf die schoͤnere Humanitaͤt einer
+ausgezeichneten Einzelbildung aus der Allgemeinheit Ihrer Schrift
+uͤbertragen moͤge auf Dithmarsen und die Dithmarsen, wie sie sind und
+was sie vermoͤge ihrer Sprache sind und nur sein koͤnnen.
+
+Ihr Wunsch ist der meinige, ich werde ihn, wie uͤberhaupt unser
+Gespraͤch, vor's Publikum bringen, und zwar als integrirenden Theil
+meines Aufsatzes. Denn, glauben Sie mir, ohne Ihr Hinzukommen wuͤrde ich
+mich nie zur Herausgabe desselben bestimmt haben.
+
+Sie scherzen, oder wollen etwas sagen, was mir nicht klar ist.
+
+Hoͤren Sie nur und urtheilen Sie selbst. Ich habe bisher darzustellen
+gesucht, daß die plattdeutsche Sprache sowol an sich unfaͤhig sei, die
+Keime der Civilisation zu fassen als auch, so lange sie taͤgliche
+Umgangssprache in Niedersachsen bliebe, alles Bemuͤhen zur Civilisation
+durch das Mittel der hochdeutschen Sprache vereiteln muͤsse. Ich habe
+diese Wahrheit nicht allein auf die unteren Kreise beschraͤnkt, ich habe
+fuͤhlbar zu machen gesucht, wie ohne unterliegende allgemeine
+Volksbildung, auch die hoͤhere Bildung des Einzelnen gefaͤhrdet sei und
+zum Beispiel die Extreme auf der jetzigen Leiter unserer Kultur, Bauer
+und Student oder Studirter, sich in demselben rohen und bildunglosen
+Medium wieder beruͤhren. Habe ich, wie ich meine und getrost der
+oͤffentlichen Stimme uͤberlasse, dieses mit unabweisbarer
+Handgreiflichkeit nachgewiesen, so werde ich allerdings der
+Uebereinstimmung aller Patrioten in der Behauptung gewiß sein, es sei
+nicht wuͤnschenswerth, daß die ohnehin aussterbende und vermodernde
+plattdeutsche Sprache, gehegt und gepflegt werde, es sey im Gegentheil
+wuͤnschenswerth, daß sie sich je eher je lieber aus dem Reiche der
+Lebendigen verliere. Und somit waͤre denn im verhofften guten Fall hie
+und da eine Meinung, eine Ansicht uͤber das Wuͤnschenswerthe und nicht
+Wuͤnschenswerthe in dieser Angelegenheit oͤffentlich angeregt. Aber
+sagen Sie mir, was ist eine Privat-Meinung, die einen frommen Wunsch zur
+Folge hat, im Angesicht eines oͤffentlichen Gegenstandes, oder
+Widerstandes, der nichts meint und wuͤnscht, der nur so eben sich seiner
+breiten Fuͤße bedient, um seine plumpe und gedankenlose Existenz durch
+alle Meinungen hindurch zu schieben und sich trotz aller Meinungen auf
+den Beinen zu behaupten, bis er etwa von selbst umfaͤllt, Meinungen und
+Ansichten haben wir im Ueberfluß, vortrefliche. Woran fehlt's? Am
+Korporativen der Meinung, welches die oͤffentliche Meinung ist, welche
+die That mit sich fuͤhrt. Wuͤrde ich sonst, wenn ich nicht das
+fruchtlose Hin- und Hermeinen des Publikums zu gut kennte, mir die
+Beantwortung der ironischen Frage aufgelegt haben, ob man den
+wuͤnschenswerthen Untergang der Sprache ruhig sich selbst und der Zeit
+uͤberlassen oder etwas dafuͤr thun, denselben moͤglichst beschleunigen
+solle? Sie sehen aber wol, daß es mir damit nicht Ernst gewesen sein
+kann; denn bringt die wahre und lebhafte Darstellung eines großen Uebels
+nicht unmittelbar und fuͤr sich das Gegenstreben, den Wunsch und das
+Umsehen nach Mitteln zur Abstellung desselben hervor, so ist alles
+weitere Reden und Zureden rein uͤberfluͤssig, falls es nicht, wie bei
+manchen Maaßregeln gegen die Cholera, mit aͤußerm Zwang und
+obrigkeitlichem Befehl verbunden ist.
+
+Ich weiß aber nicht, was mir sagt, daß Sie im Auffassen dieser
+Angelegenheit der Repraͤsentant von sehr vielen Norddeutschen sind. Die
+Wahrheit hat auf Sie ihren vollen Eindruck nicht verfehlt, Sie freuen
+sich, ihren allgemeinen truͤben Mißmuth einem bestimmten Feind
+gegenuͤbergestellt zu sehen, Sie sinnen auf Mittel, ihn anzugreifen, Sie
+halten ein allgemeines lebhaftes und daher wirksames Interesse als
+durchaus in der Sache begruͤndet.
+
+So ist es, erwiederte mein Freund. Und ich glaube, auch darin irren Sie
+nicht, wenn Sie mich nach Ihrem Ausdruck fuͤr den Repraͤsentanten einer
+sehr namhaften Zahl und Klasse von Norddeutschen halten. Bedenken Sie
+nur allein den Stand des Schullehrers, der Jahr aus Jahr ein an der
+plattdeutschen Jugend sich fruchtlos abquaͤlt und gleichsam tagtaͤglich
+Wasser ins Faß der Danaiden schoͤpft. Ihm vor allen wird ihre Schrift
+neuen Muth und Anstoß geben. Das Hauptmittel, davon sind Sie ohne
+Zweifel auch uͤberzeugt, liegt in den Haͤnden dieser Maͤnner.
+
+Aber, fuͤgte er fragend hinzu, welchen Schluß geben Sie ihrer Arbeit?
+Ich denke doch, Sie lassen, wenn auch die zweite Frage billig
+ausfaͤllt, die dritte nicht ganz unbeantwortet. Welche Mittel halten Sie
+fuͤr die Ausrottung der plattdeutschen Sprache fuͤr die wirksamsten? Mir
+und meinen Kollegen, wie gesagt, liegt vorzuͤglich daran.
+
+Ich trug meinem Freunde darauf den folgenden Abschnitt vor, bemerkte
+aber, daß ich von ihm selbst oder von einem Genossen seines Standes
+etwas Erschoͤpfenderes in dieser Hinsicht verhoffte.
+
+ * * * * *
+
+Wer aber soll helfen gegen das Plattdeutsche im Volk? Wie kann dem
+Hochdeutschen geholfen werden?
+
+Wer? Alle Welt, nur der Staat nicht. Was der Staat gegen das
+plattdeutsche und fuͤr das Hochdeutsche thun konnte, hat er gethan,
+indem er jene aus der Kirche verbannt und sie vom Gerichtshofe
+ausschloß.
+
+Wer diese Schrift verbreitet, sie selbst oder ihre Ideen, wer sie
+oͤffentlich angreift oder vertheidigt, wer ihr neue Gesichtspunkte
+hinzufuͤgt, deren es noch so viele giebt, wer die bereits aufgestellten
+modificirt, rektificirt, _der hilft, er mag wollen oder nicht_; denn er
+hilft eine oͤffentliche Meinung bilden. Beleuchtet dieses gedankenlose
+Monstrum, Hannoverisches Platt, Meklenburgisches Platt und wie es sich
+uͤberall nennt, von hinten oder von vorne, von der besten oder von der
+schlechtesten Seite, beleuchtet es nur, und glaubt mir, jedes Licht uͤbt
+eine chemische Zerstoͤrung auf sein Volumen aus. Besprecht es, besprecht
+es nur und seid uͤberzeugt, jedes Wort im Guten oder Boͤsen ist ein
+Zauberbann, der ihm einen Fuß seines Gebietes verengt.
+
+Das ist das Schoͤne mit der guten Sache und der oͤffentlichen Meinung
+und der neuen Zeit; wenn die drei einmal in Bewegung sind und sich auch
+nicht suchen, so verfehlen sie sich doch nicht.
+
+Ja, ich zweifle nicht, die oͤffentliche Meinung wird sich bilden und sie
+wird grollen, wie ich, mit dem Plattdeutschen und das Grollen wird uͤber
+die Koͤpfe unserer Bauern hinfahren und wird — ansteckend sein.
+
+Die Ansteckung ist die Hauptkraft der oͤffentlichen Meinung und das
+Wunderbarste an ihr.
+
+Die wichtigsten Exekutoren der legislativen Gewalt oͤffentlicher Meinung
+sind aber in unserm Fall unstreitig die Schullehrer, insbesondere die
+auf dem Lande. Auf den Grad des Anteils, der Einsicht, des guten Willens
+dieser großen, nuͤtzlichen, im Stillen wirkenden Klasse von
+Staatsbuͤrgern, deren Einfluß auf die Bildung der Landleute bedeutend
+groͤßer ist, als der Pastoraleinfluß, kommt unendlich viel an.
+
+Fassen diese, wie es ihnen zukommt und wie zu erwarten, die Sache der
+Civilisation mit Eifer auf, durchdringen sie sich von der Nothwendigkeit
+einer ununterbrochenen Attake auf das Plattdeutsche, stehen sie, wie es
+ihre Gewohnheit ist, beharrlich auf ihrem Stuͤck, so will ich sehen,
+welche wundergleiche Veraͤnderung dieses schon im Ablauf von zehn Jahren
+in einem Verhaͤltniß von Hoch zu Platt hervorbringen wird.
+
+Ihre Hauptaufgabe waͤre, dahin zu streben, das Hochdeutsche
+_vertraulicher_ und _herzlicher_ zu machen — ein Weg, der nur durch die
+_Fertigkeit_ und _Unbekuͤmmertheit der Zunge_ hindurchgeht. Ihre Arbeit
+ist in der Schule, in den Familien, vor der Kommuͤne. Was die _Schule_
+betrift, so wuͤrde ich den Rath geben, in den ersten Schuljahren die
+Kinder weder zum Schreiben noch zum Lesen anzuhalten, nur zum Sprechen.
+Das Warum leuchtet ein. Auch die Aelteren muͤßten haͤufiger mit Sprech-
+und Denkuͤbungen beschaͤftigt werden — welche Gelegenheit zugleich auf
+den Verstand und durch diesen gegen die plattdeutsche Sprache zu wirken,
+in welcher dem Knaben von Haus aus alle fruͤhere Vorurtheile und
+Dummheiten eingepropft sind. Besondere Ruͤcksicht verdienen die
+Maͤdchen. Ihre Gemuͤther sind weicher, empfaͤnglicher, ihr Organ,
+gewoͤhnlich auch ihr Verstand leichter zu bilden und — sie sollen einmal
+Muͤtter, Hausfrauen, das heißt auf dem Lande, fuͤr das juͤngste
+Geschlecht im Hause alles in allem werden. Auch im _aͤlterlichen Hause_
+bleibt viel zu wirken, besonders auf Hausfrauen und aͤltere Toͤchter;
+der heiterste, zwangloseste Gesellschafter ist hier der beste, er
+bringt bald ein unterhaltendes Buch (kurze und erbauliche Geschichten,
+keine langweilige faselnde), bald einen interessanten Gegenstand zur
+Erzaͤhlung mit, eine Anekdote aus der Zeitgeschichte, oder meinentwegen
+einen Fall aus der Nachbarschaft, dem Dorfe mit, der, wie er versichert,
+sich im Plattdeutschen nicht ausnimmt. _Fuͤr die ganze Komuͤne_ ist er
+wirksam durch Einfuͤhrung periodischer Blaͤtter, Zeitungen, auf
+gemeinschaftliche Kosten zu halten und regelmaͤßig in Versammlung der
+Maͤnner vorzulesen, allenfalls durch aͤltere, der Konfirmation
+entgegengehende Knaben, _als beneidete und ehrenvolle Belohnung_ ihrer
+Fortschritt im Lesen und Sprechen des Hochdeutschen.
+
+Ich deute nur an, aber ich komme mir vor, ich wuͤßte es auch
+auszufuͤhren als Schullehrer auf dem Lande, und Tausende besser als ich.
+
+So viel ist gewiß, waͤre ich Schullehrer, so wuͤrde ich fuͤr's Erste nur
+ein Ziel kennen: mein Dorf zu verhochdeutschen.
+
+Leeres Stroh wuͤrde ich glauben zu dreschen, so lange nicht die Garbe
+der hochdeutschen Sprache und Bildung mir auf dem freien Felde waͤchst.
+
+Eine Buͤrgerkrone wuͤrde ich glauben verdient zu haben, wenn man mir im
+Alter nachruͤhmte: er hat diesen Flecken, sein Dorf, das sonst so
+dunkle, dumpfe, plattdeutsche Nest, mit der Kette der Civilisation in
+Kontakt gesetzt durch Ausrottung der plattdeutschen und Einfuͤhrung der
+Bildungssprache Deutschlands.
+
+
+Fußnoten:
+
+[1] Doch auch mit Ausnahme gewisser oͤrtlicher und provinzieller
+Variationen, wie in Hamburg, Westphalen, Dithmarsen, wo selbst die
+Gebildeten, von deren Aussprache hier eigentlich die Rede ist, sich der
+Lokaltinten nicht enthalten.
+
+[2] Die Hexenprozesse, die mit wenig zahlreichen Ausnahmen erst nach Der
+Reformation und Hauptsaͤchlich im protestantischen Norddeutschland
+gefuͤhrt wurden und denen ein Glaube an den Einfluß boͤser Geister zu
+Grunde lag, den Luther, in melancholischen Anfaͤllen selbst oft mit dem
+persoͤnlich ihm erscheinenden Teufel ringend, nur zu sehr genaͤhrt
+hatte, _diese Hexenprozesse haben Deutschland im 17ten Jahrhundert
+vielleicht mehr Menschen gekostet, als Spanien die Inquisition._
+
+[3] Reineke de Vos ist von hollaͤndischer und franzoͤsischer Abkunft,
+wenn auch die Maͤhrchen von Fuchs und andern Thieren urspruͤnglich in
+Deutschland sowol, als in Frankreich in Schwang gingen. Die
+plattdeutsche Uebersetzung scheint niemals Volksbuch gewesen zu sein,
+obgleich sie sehr gelungen ist; man koͤnnte sie den Schwanengesang
+dieser Sprache nennen.
+
+[4] Wollte ich zu diesem, wie gesagt, naturrohen Bilde ein mehr dem
+Spiel der Phantasie angehoͤriges hinzufuͤgen, so vergliche ich den
+bloßen Lese- und Schreibunterricht unserer Landkinder mit der Unvernunft
+und Thorheit eines Ackermannes, der seinem Acker die Instrumente zur
+Bearbeitung, Spaten und Pflug, zur Selbstbearbeitung hinwirft.
+
+[5] Was koͤnnte ich anfuͤhren, wollte ich von der niedrigsten Klasse
+norddeutscher Staͤdte sprechen, die sich, wie der Hamburger Poͤbel in
+Schnapps und unreinstem Plattdeutsch waͤlzt.
+
+[6] Wo willst Du hin, fragte Jemand einen Meklenburgischen Scholaren,
+der gerade auf den Postwagen stieg. Die Antwort war: Na Rostock, ik will
+mi op de Wissenschaften leggen.
+
+[7] Weniger Spaͤße.
+
+[8] Doch nicht rein, sondern mit friesischen Woͤrtern untermischt.
+
+ * * * * *
+
+Von demselben Verfasser sind bei uns erschienen:
+
+_Wienbarg_, _Dr._ L.,
+ Holland in den Jahren 1831 und 32, 2 Bde. 8,
+ 833-34. 2 Thlr. 16 Gr.
+
+ ---- ---- Jason. Episches Gedicht nach Pindar. Uebersetzt,
+ bevorredet und erlaͤutert; mit einem
+ Zueignungsgedicht an Jason Sabalkansky. 8. 830.
+ 4 Gr.
+
+ ---- ---- Paganini's Leben und Charakter nach Schottky. Mit
+ Paganini's Bildnis. gr. 8. 830. 12 Gr.
+
+
+Unter der Presse befindet sich:
+
+ ---- ---- aͤsthetische Feldzuͤge. Dem jungen Deutschland
+ gewidmet. 8.
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Soll die plattdeutsche Sprache
+gepflegt oder ausgerottet werden?, by Ludolf Wienbarg
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SOLL DIE PLATTDEUTSCHE SPRACHE ***
+
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+Produced by Charles Franks and the DP Team
+
+Updated editions will replace the previous one--the old editions
+will be renamed.
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+Creating the works from public domain print editions means that no
+one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
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+set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
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+Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
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+do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
+rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose
+such as creation of derivative works, reports, performances and
+research. They may be modified and printed and given away--you may do
+practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
+subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
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+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
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+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
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+ money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
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+is also defective, you may demand a refund in writing without further
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+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
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+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
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+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
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+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
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+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at https://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit https://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including including checks, online payments and credit card
+donations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ https://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
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index 0000000..c5afe5e
--- /dev/null
+++ b/old/12660-8.txt
@@ -0,0 +1,1786 @@
+The Project Gutenberg EBook of Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt
+oder ausgerottet werden?, by Ludolf Wienbarg
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden?
+ Gegen Ersteres und für Letzteres
+
+Author: Ludolf Wienbarg
+
+Release Date: June 19, 2004 [EBook #12660]
+
+Language: german
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SOLL DIE PLATTDEUTSCHE SPRACHE ***
+
+
+
+
+Produced by Charles Franks and the DP Team
+
+
+
+
+Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden?
+
+
+Gegen Ersteres und für Letzteres
+
+
+beantwortet von
+
+Dr. Ludolf Wienbarg
+
+
+
+
+Motto: _ceterum ceterumque censeo...._
+
+
+
+
+Hamburg
+
+bei Hoffmann und Campe
+
+1834
+
+
+
+
+Dem Nestor norddeutscher Patrioten
+
+dem Freunde veredelter Natur und Menschheit
+
+Herrn Baron von Voght
+
+gewidmet.
+
+
+
+
+Verehrungswürdiger Greis!
+
+
+Ich habe nie das Glück Ihrer persönlichen Bekanntschaft genossen,
+aber ich kenne Ihre Schöpfungen, die blühenden Spuren Ihrer
+menschenfreundlichen Hand. Bereits als Knabe besuchte ich sehr oft von
+Altona aus das schöne Flottbeck. Hier wölbt sich keine Ulme, keine
+Buche, die Sie nicht gepflanzt, hier steigt von hundert freundlichen
+Dächern kein Rauch in die Luft, der nicht Weihrauch für Sie wäre. Das
+wußte ich schon als Knabe und so kam es, daß ich an Ihrem Namen zuerst
+den Begriff und die Bedeutung eines Menschenfreundes, eines Patrioten
+lernte. Eine glücklichere Abstraktion, ein würdigeres Bild wird selten
+der jugendlichen Seele geboten.
+
+Nehmen Sie, Verehrungswürdiger, diesen Ausdruck meiner frühgefaßten und
+in reiferem Alter nur genährten und befestigten Achtung gütig auf.
+
+_Eutin_, am 1. December 1833.
+
+Ludolf Wienbarg.
+
+
+
+
+Vorwort.
+
+
+Wenn die Patrioten bisher über die Kluft der Stände, die Rohheit und
+Unempfänglichkeit Volkes in Niedersachsen mit Recht bittere Klage
+führten, oder im Großen Verbesserungspläne entwarfen, so stand ihnen die
+niedersächsische oder plattdeutsche Volkssprache nur sehr im
+Hintergrunde und kam weder im Guten, noch im Bösen so recht in Betracht.
+Ich glaube nachzuweisen, ja mit Händen greiflich zu machen, daß sie die
+Wurzel alles Uebels, der Hemmschuh alles Bessern ist.
+
+Gehe hin, meine kleine Schrift, und spreche! Drei Dinge wünsche ich
+dir, Flügel, Feinde und Freunde. Die Flügel wünsche ich dir, damit du
+dich nach allen Seiten verbreitest, die Feinde und Freunde, damit du
+nach alten Seiten besprochen wirst.--
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+Bekanntlich sprechen die Bewohner Niedersachsens plattdeutsch und
+hochdeutsch; ersteres als Volkssprache, letzteres als Sprache der
+Bildung. Das Hochdeutsche redet man dialektlos, das heißt Aussprache und
+Schreibung stimmen buchstäblich überein[1]. Anders in Mittel- und
+Süd-Deutschland. Göthe sprach das Hochdeutsche wie ein geborner
+Frankfurter, Schiller wie ein Wirtemberger und noch gegenwärtig hört
+man's der Sprache der Gebildeten Süd-Deutschlands ab, in welcher Provinz
+sie zu Hause gehören. Daher kann man wol behaupten, daß mancher
+niedersächsische Handwerker _reiner_ hochdeutsch spricht, als der
+Würzburger Professor, der Badische Deputirte oder der Bewohner der
+Provinz Meissen selbst, dessen Aussprache doch zu seiner Zeit von
+Gottsched mit dem Privilegium der Klassizität begabt worden ist. Allein
+man darf nicht vergessen, daß diese Reinheit eine abstrakte und keine
+lebendige ist, da der Norden fein hochdeutsch im eigentlichen Sinn des
+Worts aus Büchern, zumal aus der lutherischen Bibelübersetzung gelernt,
+nicht aber wie Mittel- und Süd-Deutschland durch lebendig uralte
+Tradition von Mund zu Mund empfangen hat.
+
+Ist doch die hochdeutsche Sprache selbst keine Sprache provinzieller
+Beschränktheit, keine bloße Mundart Alt-Meissens, sondern im höheren
+Sinn ein Kunstwerk des großen Reformators, der aus den beiden
+Hauptdialekten des Nordens und Südens, schon ohnehin im Sächsischen sich
+berührend eine Sprache schuf, die, wenn auch mit Vorwalten des
+süddeutschen Elements, jedem deutschen Ohr zugänglich und verständlich
+sein, die eine gemeinsame Sprache aller Deutschen vorbereiten sollte.
+Aus den edelsten Metallen des unerschöpflichen deutschen Sprachschachtes
+gegossen, ward sie in Luthers Händen die Glocke, welche die Reformation,
+den dreißigjährigen Krieg, die ganze neue Geschichte eingeläutet hat.
+
+Mehr als den Griechen der Sänger der Odyssee und Ilias muß uns
+Deutschen, Katholiken wie Protestanten, der Uebersetzer der Bibel
+gefeiert sein. Die altionische Sprache gehörte nicht dem Dichter,
+sondern der Nation an. Die Sprache der Bibelübersetzung aber mußte sich
+erst geltend machen durch die Gewalt des Genius, sie gehörte Luther an
+in dem Sinn, wie man nur irgend auf diesem Gebiet das Eigentumsrecht für
+eine Person in Anspruch nehmen darf.
+
+Denkt euch, Luthers Sprache wäre nicht durchgedrungen. Zerrissen wäre
+das mächtigste Band, das Süd und Nord umschlingt. Der Norden würde
+nichts vom Süden, der Süden nichts vom Norden wissen.
+
+Die theuersten Namen, die jetzt im Herzen der ganzen Nation
+wiederklingen, würden hie und da in einem Winkel Deutschlands genannt
+werden und etwa die Eitelkeit ihrer Landsleute aufblähen, alle großen
+Männer, die in unserm Vaterlande die Sprache Luthers geredet, alle
+Genien der ernsten und fröhlichen Wissenschaft, auf die wir unsern Stolz
+setzen, ja welche die Vorsehung selbst uns zum erhebenden Selbstgefühl
+erweckt zu haben scheint, würden mit vergeblicher Sehnsucht ihre Flügel
+über Deutschland ausgebreitet haben, wären von ihrer Geburt an zur
+Verschrumpfung und Lähmung bestimmt gewesen. Es ist so viel Unglück seit
+Luther über dieses arme Land hingegangen, daß man zweifeln könnte, ob
+nur der Name Deutschland, Deutscher, ehre. Luthers Schriftsprache,
+dieses Schwerdt, das Wunden schlug und heilte, über dem unsäglicher
+Wirrwarr sich schwebend erhalten hatte.
+
+Das kaiserliche Reichsschwerdt ist zerbrochen, Luthers Sprache ist
+Reichsschwerdt geworden, glanzvoller, schwungreicher, mächtiger,
+gefürchteter, als je eins in der Hand eines Hohenstaufens oder
+Habsburgers geblitzt hat.
+
+Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, der Muth hat Dich gestählt, die
+Freiheit Dich geschliffen, der Kampf Dich erprobt.
+
+Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, rein bist Du von den Blutflecken
+der Religionskriege, rein und gesäubert vom Geifer theologischer
+Streithähne, vom Rost des gelehrten und amtlichen Pedantismus.
+
+Führt es ihr Söhne des Lichts, denn ihr seid unüberwindlich mit dieser
+Waffe.
+
+Berührt es nicht, ihr Kinder der Nacht, denn es ist scharf und fährt
+zurück auf eure eigenen Schädel.
+
+ * * * * *
+
+Man kann Werth und Würde der deutschen Schriftsprache lebhaft anerkennen
+und dennoch wünschen, daß die ober- und niederdeutschen Dialekte sich im
+Munde des Volkes lebendig erhalten. Ich theile diesen Wunsch nicht. Was
+namentlich die Frage betrift, welche den Gegenstand dieser kleinen
+Schrift ausmacht: "_ist die niedersächsische Volkssprache zu pflegen
+oder auszurotten?_" so antworte ich aus innigster Ueberzeugung und aus
+Gründen, welche ich darlegen werde: _sie ist auszurotten, durch jedes
+mögliche Mittel auszurotten_.
+
+Verständigen wir uns über etwas sehr Wesentliches. Daß die plattdeutsche
+Sprache der Zeit verfallen und aussterben wird, ist keine Frage mehr.
+
+Eine jede Sprache, die nicht Schriftsprache, Sprache der Bildung, des
+gerichtlichen Fortschrittes, der politischen, religiösen,
+wissenschaftlichen, artistischen Bewegung ist, muß bei dem Stand und
+Gang unserer Kultur einer Schrift- und Bildungssprache Platz machen, muß
+wie die frisische in Holland, wie die zeltische in Bretagne, die
+baskische in Spanien allmählig aussterben. Auszusterben ist das
+nothwendige und natürliche Schicksal der plattdeutschen Sprache. Nichts
+kann sie vom Untergang retten. Schreibt plattdeutsche Lustspiele,
+Idyllen, Lieder, Legenden--umsonst; das Volk liest euch nicht--liest es
+nur den Reineke de Vos?--ihr begründet keine plattdeutsche Literatur,
+ihr macht die verblühende Sprachpflanze durch euren poetischen Mist
+nicht blühender--sie wird aussterben. Ihr preiset diese Sprache als alt,
+ehrlich, treu, warm, gemüthlich, wohlklingend--ihr habt Recht oder
+nicht--sie wird aussterben. Das ist das unerbittliche Gesetz der
+Notwendigkeit.
+
+Allein, es ist wahr, das Nothwendige ist nicht immer das
+Wünschenswerthe. Gar vieles begiebt sich in Natur und Geschichte mit
+Nothwendigkeit, was nicht bloß die Klage des Thoren, sondern auch den
+gerechteren Schmerz des Weisen erregt. Immer ist es des denkenden
+Menschen würdig, sich dessen, was geschehen wird und muß, bewußt zu
+werden, immer der sittlichen Kraft und Würde desselben schädlich und
+unwürdig, sich willen- und wunschlos vor der Nothwendigkeit zu beugen.
+Nicht selten gelingt Aufschub Vertagung, wo auch nicht, der Mensch darf
+sich frei sprechen von Leichtsinn, träger Sorglosigkeit, er hat sich das
+Recht und die Beruhigung erworben, _animam salvavi_ auszurufen.
+
+Darum frage ich eigentlich, ist es wünschenswerth, daß Niedersachsens
+alte Sprache sich aus der Reihe der lebendigen verliert; wenn das, soll
+man ihren Untergang der Zeit überlassen oder soll man diesen
+beschleunigen; wenn letzteres, welches sind die Mittel dazu?
+
+ * * * * *
+
+Um die deutsche Gemüthlichkeit ist es ein schönes Ding und was kann
+namentlich dem Niedersachsen gemütlicher sein, als seine angeborne
+Sprache. Doch ein schöneres Ding ist der muthige Entschluß, die
+Gemüthlichkeit einstweilen auszuziehn, wenn sie uns zu _enge_ wird.
+
+Grade das behaupte ich von der und gegen die plattdeutsche Sprache. Sie
+ist dem Verstand der Zeit längst zu enge geworden, ihr Wachsthum hat
+bereits mit dem sechszehnten Jahrhundert aufgehört, sie kann die
+geistigen und materiellen Fortschritte der Civilisation nicht fassen,
+nicht wiedergeben _und daher verurtheilt sie den bei weitem größten
+Theil der Volksmasse in Norddeutschland, dem sie annoch tägliches Organ
+ist, zu einem Zustande der Unmündigkeit, Rohheit und Ideenlosigkeit, der
+vom Zustand der Gebildeten auf die grellste und empörendste Weise
+absticht._
+
+Habe ich Recht ober Unrecht? Steht es nicht so mit dem Volk in Hannover,
+Westphalen, Meklenburg, Holstein u.s.w.? Wurzelt nicht das Hauptübel im
+absoluten Unvermögen der täglichen Umgangssprache, den nöthigsten
+Ideenverkehr zu bewerkstelligen?
+
+Daß ich in beiden Unrecht hätte. Aber den Stein, den diese Anklage gegen
+die plattdeutsche Sprache als eine Feindin der Volksbildung, der
+geistigen Thätigkeit erhebt, derselbe gewigtige Stein muß erhoben werden
+von jedem Niedersachsen, jedem Deutschen, dem der materielle und
+geistige Zustand von Millionen Brüdern, dem die Gegenwart und die
+Zukunft Deutschlands nicht gleichgültig ist.
+
+ * * * * *
+
+Halte ich einen Augenblick inne. Ob diese Schrift auch Leser findet, die
+in hohe aristokratische Privilegien eben in dem gerügten Gebrechen, eben
+in dem Umstand, daß die plattdeutsche Sprache seit drei Jahrhunderten
+nichts gelernt, eine Tugend derselben entdecken? Soll ich Rücksicht auf
+solche Leser nehmen? Soll ich die reine Absicht, die mir vorschwebt,
+durch alle Blätter mir verbittern?
+
+Aber es giebt solche, du kennst solche! Wolan denn, mache ich es gleich
+und auf einmal mit ihnen ab.
+
+Ja, ihr Herren, diese Sprache hat nichts gelernt seit dem sechszehnten
+Jahrhundert, sie hat sich mit keiner einzigen Idee, keinem einzigen
+Ausdruck der neuen Geschichte bereichert, sie hat nicht einmal ein Wort
+für Bildung, nicht einmal ein Wort für Verfassung--ja, ihr Herren, sie
+ist noch ganz und gar die Sprache des sechszehnten Jahrhunderts, die
+Sprache der Hetzjagden, der Peitschenhiebe, der Hundelöcher, die Sprache
+des Bauernkrieges und--spürt ihr nichts vom kurzen Takt der
+Dreschflegel darin, und seht ihr nicht etwas von kurzem Messer,
+geschwungener Sense, geballter Faust als Titelvignette vor den Ausgaben
+plattdeutscher Lexika paradiren?--Täuscht euch nicht, sie ist noch immer
+die Sprache des sechszehnten Jahrhunderts und schleppt die gebrochenen
+Ketten sichtbar mit sich umher, und pflügt und ackert jeden Frühling und
+jeden Herbst den alten Grimm in die alten Furchen hinein. O sie ist
+schrecklich treu, schrecklich dumm und gemüthlich; aber laßt euch sagen,
+sie hat wenig Religion, nur sehr wenig und sie kennt, wenn sie wild
+wird, den Teufel besser als den lieben Gott. Worüber ihr euch nicht sehr
+zu verwundern habt; denn als sie katholisch war, da war das
+Christenthum, die Messe nämlich, lateinisch und als sie lutherisch
+wurde, wurde das Christenthum, Predigt und Katechismus hochdeutsch.
+Bedenkt auch nur, betet denn gegenwärtig ein einziger Bauer oder
+Bauernknecht das Vaterunser und den Glauben in der Sprache, worin er
+seinen Gevatter bewillkommt, im Kruge Schnaps und Bier fordert oder dem
+Steuereinnehmer einen derben Fluch zwischen den Zähnen hinterherschickt?
+Wahr ist es also, diese Sprache hat nichts gelernt, allein sie hat auch
+_nichts vergessen_, es sei denn ihre alten Lieder, ihren fröhlichen
+Gesang und eben das Vaterunser, das sie früher doch, wie ich glaube, hat
+beten können.
+
+Nehmt euch ein Bild zu Herzen, das ich euch,--das ich Allen vorhalte.
+
+Eine Sprache, die stagnirt, ist zu vergleichen mit einem See, dem der
+bisherige Quellenzufluß versiegt oder abgeleitet wird. Aus dem Wasser,
+worüber der Geist Gottes schwebte, wird Sumpf und Moder, worüber die
+unreinen Geister brüten. Der Wind mag wehen woher er will, er gleitet
+spurlos über die stürmisch grüne Decke hin Der Himmel ist blau und
+heiter oder stürmisch gefärbt, das rührt ihn nicht, keine Sonne keine
+Wolke spiegelt sich mehr auf der trüben Fläche. Bild der
+Unzufriedenheit, der Gleichgültigkeit, der Tücke, der Gefahr. Wehe dem
+Mann, _der im Trüben fischen will_ und ausgleitet--was helfen ihm
+rüstige Arme, Schwimmkunst, er versinkt, er erstickt im tauben Schlamm.
+
+Die Sprache ist das Volk.
+
+ * * * * *
+
+Ja wohl, die Sprache ist das Volk und es gab eine Zeit wo das
+niedersächsische Volk und die niedersächsische Sprache poetisch waren.
+Das ist sehr lange her, die Zeit war heidnisch und der Germane von
+Poesie, Muth, Stolz und Freiheit durchdrungen. Die kühnsten Gedichte aus
+dieser "rauhen Vorzeit," wenn gleich schon vom Duft der Klostermauern
+angewittert und durch Mönchsfedern auf die Nachwelt gekommen, verraten
+niedersächsischen Dialect.
+
+Ich weiß nicht ob viele meiner Leser sich Begriff und Vorstellung machen
+von der wunderbaren Natur einer Sprache, die einem vermeintlich
+barbarischen und rohen Sittenzustande angehört. Diese müssen mir, und
+wenn nicht mir, Jakob Grimm, dem Linnäus der deutschen Sprachgeschichte
+auf's Wort zu glauben, daß keine Sprache gegenwärtig auf dem Erdboden
+gesprochen wird, die an Bau und Künstlichkeit jener alt-plattdeutschen
+Sprache das Wasser reichte. Die grammatische, innerliche Gediegenheit
+hatte sie mit den ältesten Grundsprachen und mit ihrer oberdeutschen
+Schwester gemein und übertraf diese vielleicht an Klang, Kraft und
+Wohllaut. Allein, das Schicksal wollte ihre Schwester erheben und sie
+fallen lassen. Jene hat im Verlauf der Zeit auch unendlich viel von
+ihrer leiblichen Schönheit und jugendlichen Anmuth eingebüßt, allein sie
+hat Gewandtheit, Schnelle, Feinheit des Ausdrucks, Begriffsschärfe,
+vermehrte Zahl der Combinationen zum Ersatz dafür eingetauscht. Die
+niedersächsische Sprache dagegen hat ihre Jugend und stählerne Kraft
+verloren; ohne an Verstand und innerer Feinheit zu gewinnen. Ihre
+grammatischen Formen wurden zerstört und in noch höherem Grade, als die
+der Schwestersprache, aber ohne daß man bemerken konnte, daß der scharfe
+Gärungsprozeß der antiheidnischen neueuropäischen Bildungsfermente an
+der Auflösung einigen Antheil genommen, sondern ersichtlich und durch
+dumpfes trübes Verwittern, das auch Holz und Stein und alles Leblose
+oder Absterbende allmählig abnagt und zerfrißt.
+
+Als die althochdeutsche Sprache in die mittelhochdeutsche überging,
+schaute diese als Siegerin auf dem Turnierplatze des deutschen Geistes
+umher, sie war es geworden ohne Kampf. Sprache des mächtigsten und
+kunstliebendsten Kaiserhauses, lebte sie im Munde der Fürsten, Ritter,
+Sänger mit und ohne Sporn, Sänger mit und ohne Krone, welche die
+elegante Literatur ihres Zeitalters begründeten, war sie, was mehr sagen
+will, die Sprache des Nibelungenliedes und anderer deutschen
+Nationalgedichte, welche mit Ausnahme jener ältesten Reliquien theils
+nie, theils nur in späterer Uebersetzung im Plattdeutschen schriftsässig
+wurden.
+
+Welcher Bann, frage ich, lag über der niedersächsischen Literatur?
+Derselbe Bann, der über dem Volk und seiner Geschichte lag. Es sollte
+die mächtige Naturkraft, die einst diesen Stamm beseelte, stocken und
+starren und als trüber Bodensatz des germanischen Geistes zurückbleiben.
+
+Welche Kette von Hemmnißen, betäubenden und zerreißenden
+Unglücksschlägen nur bis zum sechszehnten Jahrhundert!
+
+Karl des Großen Sachsenkrieg, gewaltsam blutige Ausrottung des
+Wodandienstes ohne wahrhafte Anpflanzung der Christusverehrung, Sachsen
+und Slaven stoßen sich hin und her und mischen sich unter einander, die
+alte Sachsenfreiheit schwindet, die Leibeigenschaft nimmt furchtbar
+überhand, der Krumstab zu Bremen ist schwach und gewährt keinen Schutz,
+das sächsische Kaiserhaus übertreibt die Großmuth und entäußert sich
+seiner zu Würde und Glanz so nothwendigen Stammbesitzungen, Heinrich der
+Löwe, die welfische Macht geht unter, deren Sieg über die
+hohenstaufische Norddeutschland so gehoben hätte wie ihre Niederlage
+Süddeutschland emporbrachte, selbst der belebende Einfluß der Hansa
+zeigt sich nur im Sinnlichen, nicht im Geistigen wohlthätig, ihr
+Seehandel nach dem Norden macht sie nur mit Völkern und Sitten bekannt,
+die noch roher waren, als sie selbst; Dagegen Süd-Deutschlands
+Handelsstädte, Nürnberg, Augsburg mit dem hoch gebildeten Oberitalien
+in Verkehr standen.
+
+Und nach dem fünfzehnten Jahrhundert! Muß ich nicht Luther selbst und
+die Reformation voranstellen? Darf ich verschweigen, daß die
+_unmittelbaren_ Wirkungen dieser auf Jahrtausende hinaus wirkenden
+Begebenheit, wie für ganz Deutschland, so insbesondere auch für
+Niedersachsen nicht glücklich, nicht segenbringend waren? Welch ein
+Gemälde des Innern: rabulistische Theologen, hexenriechende
+Juristen, blutdürstige Obrigkeiten, dumpfer Haß, ächzende
+Kirchengesänge, furchtbarer Wahnglaube an Zauberei, Bezauberung und
+Teufelsbesessenheit[2]. Welch ein Gemälde des Aeußeren: der
+dreißigjährige Krieg, Magdeburgs Untergang, Schwedens Besitznahme
+norddeutscher Städte und Provinzen, Hannovers Verwandlung aus früherem
+Reichslehn in einen Familienbesitz englischer Könige, wie schon früher
+und vor Luther Nordalbingien in einen Familienbesitz dänischer Könige,
+selbst Brandenburgs steigende Größe, die zu guter letzt die Wagschaale
+der Macht und des politischen Einflusses überwiegend auf jene
+nordöstlichen Provinzen Deutschlands niedersenkte, die von slavischer
+Stammbevölkerung ursprünglich der Wurzelkraft des germanischen Lebens
+entbehrten, aber durch Aussaugen und Anziehen germanischer Säfte und
+Kräfte sich konsolidirt und ausgebildet hatten.
+
+Lasse ich die schwere Kette fallen, es fehlt ihr so mancher Ring, dessen
+Ergänzung ich dem Geschichtforscher überlasse.
+
+Wie konnte, bei einer solchen Zahl und Reihe von Schicksalen der
+niedersächsische Stamm gedeihen, wie konnte sich eine eigentümliche
+Literatur unter ihm geltend machen[3], wie konnte die Volkssprache
+selbst sich der Entwürdigung und Verschlechterung entziehen? Auf welcher
+Bildungsstufe müßte die neuere Zeit Volk und Sprache antreffen, wie tief
+unter der nöthigsten Fassungskraft, wie selbst ohne Ahnung dessen, was
+zur Begründung und Sicherung eines verbesserten Staatslebens
+elementarisch vorauszusetzen?
+
+ * * * * *
+
+Allein, höre ich Jemand einwerfen, wenn auch die plattdeutsche Sprache
+ganz dem Bilde gleicht, das du von ihr entworfen, wenn sie _selbst_ auch
+unfähig ist, Element der Volksbildung zu sein, so erwartet eigentlich
+auch Niemand dieses Geschäft von ihr, das ja von der allgemein
+verbreiteten und verstandenen hochdeutschen Sprache längst übernommen
+und verwaltet wurde.
+
+Antwort: übernommen aber nicht verwaltet. Damit behauptet man einen
+Widerspruch gegen alle Vernunft und Erfahrung. _Selbst die allgemeinste
+Erlernung und Verbreitung der hochdeutschen Sprache übt so lange gar
+keinen oder selbst nachteiligen Einfluß auf die Volksbildung, als neben
+ihr Plattdeutsch die Sprache des gemeinen Lebens bleibt._
+
+Allerdings wird die hochdeutsche Sprache als Organ der Volksbildung
+überall in Niedersachsen angewendet. Es gibt wol wenig Dörfer, wo die
+Jugend nicht Gelegenheit findet, das Hochdeutsche ein wenig verstehen,
+ein wenig sprechen, ein wenig lesen und ein wenig schreiben zu lernen.
+Die Leute müssen wol. Amtmann, Pfarrer, Bibel, Gesangbuch, Katechismus,
+Kalender sprechen hochdeutsch. Ohnehin sind die Kinder schulpflichtig
+und beim Hobeln setzt es Spähne ab.
+
+Allein, Jedermann weiß, plattdeutsch bleibt ihr Lebenselement. Das
+sprechen sie unter sich, zu Hause, im Felde, vor und nach der Predigt.
+Das kommt ihnen aus dem Herzen, dabei fühlen sie sich wohl und
+vergewissern sich, daß sie in ihrer eigenen Haut stecken, was ihnen,
+sobald sie hochdeutschen, sehr problematisch wird.
+
+Der erste Schulgang macht in der Regel auch die erste Bekanntschaft mit
+der hochdeutschen Sprache. Mit Händen und Füßen sträubt sich der Knabe
+dagegen. Ich bedaure ihn, er soll nicht bloß seine bisherige Freiheit
+verlieren, unter die Zuchtruthe treten, buchstabiren lernen, was auch
+andern Kindern Herzeleid macht; er soll überdies in einer Sprache
+buchstabiren und lesen lernen, die er nicht kennt, die nicht mit ihm
+aufgewachsen ist, deren Töne er nicht beim Spiel, nicht von seiner
+Mutter, seinem Vater, seinen kleinen und großen Freunden zu hören
+gewohnt war. Alles was er von diesem Augenblick an liest, lernt, hört in
+der Schule und unter den Augen des Lehrers, klingt ihm gelehrt, fremd,
+vornehm und tausend Meilen von seinem Dorf entfernt. Daß der rothe Hahn
+in seiner Fibel _kräht_ und der lebendige in seinem Hause _krait_,
+scheint ihm sehr sonderbar. In der Bibel nennen sich alle Leute _du_,
+der Unterlehrer sagt zum Oberlehrer _sie_, er aber ist gewohnt, bloß
+seine Kameraden zu dutzen, Vater, Mutter und andere Erwachsene mit _he_
+und _se_ anzureden. Kommt an ihn die Reihe zu lesen, laut zu lesen, so
+nimmt er die Wörter auf die Zunge und stößt sie heraus wie die Scheiben
+einer Frucht, die er nicht essen mag, weil er sie nicht kennt. Was er
+auswendig lernt, lernt er nicht einwendig. Was ihm allenfalls noch
+Vergnügen macht, ist der gemeinschaftliche Gesang am Schluß der Schule
+und auf Kirchbänken. Von Natur mit einer hellen durchdringenden Stimme
+begabt, wetteifert er mit dem Chor um die höchsten Noten, betäubt seinen
+Kopf und findet eine Art Vergnügen und Erholung darin, dieselben Verse
+des Gesangbuches bloß herauszuschreien, die er zu anderer Zeit auswendig
+lernen muß.
+
+Erreicht er das gesetzliche Alter, so wird er konfirmirt. Wer ist froher
+als er. Nun tritt er völlig wieder in das plattdeutsche Element zurück,
+dem er als Kind entrissen wurde. Er hat die ersten Forderungen des
+Staates und der Kirche erfüllt. Er hat seinen Taufschein durch seinen
+Confirmationsschein eingelös't. Ersteren bekam er ohne seinen Willen zum
+Geschenk, um letzteren mußte er sich, auch wider seinen Willen, redlich
+abplacken.
+
+Auf beide Scheine kann er später heiraten und Staatsbürger werden.
+
+Was ist die Frucht dieses Unterrichts? Er hat rechnen, lesen und
+schreiben gelernt. Er kann auch lesen und schreiben, aber er lies't und
+schreibt nicht. (Umgekehrt der französische Bauer, der kann nicht lesen,
+aber er läßt sich vorlesen). Ich frage also, was ist die Frucht dieses
+hochdeutschen Unterrichts? Welchen Einfluß übt derselbe auf sein
+Geschäft, auf seine Stellung als Familienvater, Staatsbürger, Glied der
+Kirche, der sichtbaren, wie der unsichtbaren?
+
+Folgen wir ihm, wenn er aus der Kirche kommt. Die Predigt ist
+herabgefallen, der Gesang verrauscht wie ein Platzregen auf seinen
+Sonntagsrock, zu Hause zieht er diesen aus und hängt ihn mit allen
+Worten und himmlischen Tropfen, die er nicht nachzählt, bis zum
+künftigen Sonntag wieder an den Nagel. Frage: kann er die hochdeutsche
+Predigt hochdeutsch durchdenken, spricht er mit Nachbaren, mit Frau und
+Kindern hochdeutsch vom Inhalt derselben, ist er gewohnt und geübt, ist
+er nur im Stande, den religiösen Gedankengang in's Plattdeutsche zu
+übersetzen? Antwort: schwerlich. Frage: hat ihn die Predigt das Herz
+erwärmt, den Verstand erleuchtet? Antwort ein Schweigen. Armer Bauer,
+vor mir bist du sicher, ich lese dir darüber den Text nicht. Kannst du
+etwas dafür, daß der Kanzelton nicht die Grundsaite deines Lebens
+berührt, daß jener Nerv, der von zart und jung auf gewohnt ist, die
+Worte der Liebe, der Herzlichkeit, des Verständnisses in dein Inn'res
+fortzupflanzen, nicht derselbe ist, der sich vom Klang der hochdeutschen
+Sprache rühren läßt. Wer auf der Gefühlsleiter in deine Herzkammer
+herabsteigen will, muß wollene Strümpfe und hölzerne Schuh anziehen, in
+schwarzseidenen Strümpfen dringt man nicht bis dahin. Wüßte man nur,
+begriffe man nur, wie es in deinem einfältigen Kopf zusteht und daß die
+hochdeutschen Wörter und die plattdeutschen Wörter, die du darin hast
+sich gar nicht gut mit einander vertragen, sich nicht verstehn und sich
+im Grund des Herzens fremd, ja feind sind. Die plattdeutschen Wörter
+sind deine Kinder, deine Nachbaren, dein alter Vater, deine selige
+Mutter, die hochdeutschen sind der Schulmeister, der Herr Pastor, der
+Herr Amtmann, vornehme Gäste, die dir allzuviel Ehre erweisen, in deinem
+schlechten Hause vorzukehren, mit dir vorlieb zu nehmen, Wörter in der
+Perrücke, in schwarzem Mantel, welche deine und deiner plattdeutschen
+Wort Familie Behaglichkeit stören, dich in deiner Luft beeinträchtigen,
+dir bald von Abgaben, bald von Tod und jüngsten Gericht vorsprechen,
+Grablieder über deinen Sarg singen werden, ohne sich über deine Wiege
+gebückt und _Eia im Suse_ und andere Wiegenlieder gesungen zu haben.
+Armer Bauer, ich habe dich immer in Schutz genommen und diese Schrift,
+obgleich du sie nicht lesen wirst, ist eigentlich nur für dich und zu
+deinem Heil und Besten geschrieben. Viele Leute aus der Stadt klagen
+dich an, daß du trotz deiner Einfalt verschmizt bist, trotz deiner
+Rohheit nicht weniger als Kind der Natur bist, sie sagen, daß du dir
+eine und die andere Gewissenlosigkeit gar wenig zu Herzen nimmst. Aber
+ich habe ihnen immer geantwortet, unser Bauer hat nicht zu wenig
+Gewissen, er hat zu viel. Er hat zwei Gewissen, ein hochdeutsches und
+ein plattdeutsches, und das eine ist _ihm_ zu fein, das andere _uns_ zu
+grob und dickhäutig. Zu diesem wird ihm in seinem eigenen Hause der
+Flachs gesponnen, jenes webt ihm die Moral und die Dogmatik; in dem
+einen sitzt er wohl und warm und es ist sein Kleid und Brusttuch so
+lange er lebt, in dem andern friert ihn und er hält es nur deswegen im
+Schrank, um damit einmal anständig unter die Schaar der Engel zu treten.
+
+Ist ihm sein Verhältniß zum Staat durch den hochdeutschen Unterricht
+vielleicht klarer geworden, als sein Verhältniß zur Kirche? Erwirbt er
+sich durch das hochdeutsche Medium, das einzige, das ihm Aufschlüsse
+über eine so wichtige Angelegenheit geben kann, Kenntnisse von seinen
+Rechten und Pflichten im Staats-Verein, ist ihm dadurch ein Gefühl von
+Selbstständigkeit, ein Bewußtsein von den Grenzen der Freiheit und des
+Zwanges, von Gesetz und Willkühr aufgegangen, Gemeinsinn geweckt: sein
+dumpfes egoistisches Selbst zu einem Bruderkreise erweitert, der Wohl
+und Weh an allen Gliedern zugleich und gemeinschaftlich spürt? _Wie_ das
+alles? Seine Beamte klären ihn nicht auf und er selber--er liest nicht,
+er nimmt keine Schrift, kein Blatt zur Hand, er läßt sich auch nicht
+vorlesen, das ist gelehrt, hochdeutsch, geht über seinen Horizont, läßt
+sich nicht weiter besprechen, sein Verstand hat kaum einen Begriff,
+seine Sprache kein analoges Wort dafür. Armer Bauer. Und wenn Wunder
+geschähen und die tausend Stimmen der Zeit, die für dich und an dich
+gesprochen, dein Ohr nicht erreichen, wenn sie sich verwandelten und
+ergößen in eine göttliche Stimme, die vom Himmel riefe: Bauer, hebe dein
+Kreuz auf und wandle--du würdest liegen bleiben und sprechen: das ist
+hochdeutsch.
+
+Wie er seine Acker vorteilhafter bestellen, seine Geräthe brauchbarer
+einrichten, nützlicher dieses und jenes betreiben, wohlfeiler dieses und
+jenes haben könne, das lehren ihn Blätter und Schriften, von
+Gesellschaften oder Einzelnen herausgegeben, vergebens: er liest sie
+nicht. Schlägt man ihm sonstige Verbesserungen und Veränderungen vor, so
+schüttelt er den Kopf und bleibt starrsinnig beim Alten. _Dat geit nich,
+dat wil ik nich, dat kan ik nich, ne dat do ik nich_; unglückselige,
+stupide Worte, wie viele beabsichtigte Wohlthaten macht ihr täglich
+scheitern, habt ihr scheitern gemacht. Unseliger Geist der Trägheit, der
+hier mit der Sprache Hand in Hand hinschlentert, mit dieser vereint,
+durch diese gestärkt allem Neuen und Bewegenden Feindschaft erklärt.
+Wann erlebt der Menschenfreund, daß dieses unsaubere Paar geschieden
+wird. Wann erscheint die Zeit, wo diese Eselsbrücke zwischen Gestern und
+Vorgestern abgebrochen wird, wo die einzig; mögliche Verbindungsstraße
+zwischen der heutigen Civilisation und dem norddeutschen Bauer, die
+hochdeutsche Sprache, diesem wahrhaft zugänglich gemacht wird? Aermster,
+ich klage dich ja nicht an, ich bedaure dich ja nur.
+
+Oder muß es so sein, muß der deutsche Bauer ein Klotz, ich sage ein
+Klotz bleiben. Ist es sein ewiges Schicksal nur die Plage des Lebens und
+nicht deßen Wohlthaten zu genießen? Wird sich nicht einmal seine
+enggefurchte Stirn menschlich erheitern, ist es unvereinbar mit seinem
+Stande, seinem Loose, gebildeter Mensch zu sein, mit gebildeten Menschen
+auf gleichem Fuß zu leben, sich nicht allein mit Spaten und Pflug,
+sondern auch mit Kopf und Herzen zu beschäftigen?
+
+ * * * * *
+
+Das sind sehr exotische Ideen in Niedersachsen! Ich weiß, ich weiß. Ich
+will sie aber aussprechen, ich will sie vertheidigen, ich will das
+Meinige dazu thun, daß _einheimische_ Ideen, Fragen und Wünsche daraus
+werden. Lange genug ist die Bildung ein ausschließliches Vorrecht
+einiger Menschen, gewißer Stände gewesen. Das muß aufhören, gebildet
+sollen alle Menschen sein, gelehrt wer will. Volksbildung, und nicht
+bloß wie bisher Volksunterricht, soll und wird das Ideal, das
+Feldgeschrei der Zeit werden. Unsere Gelehrten, unsere Beamte, unsere
+guten Köpfe unter den Schriftstellern werden ihren Hochmuth fahren
+lassen, sich des Volkes erbarmen, und sich einmal erinnern, daß sie
+selber in der Mehrzahl aus dem Volke stammen. Noch im vorigen
+Jahrhundert gab sich so ein Gelehrter, Philosoph, Dichter, der
+vielleicht aus dem dunkelsten Stande geboren war, die lächerliche Miene,
+als ob er unmittelbar aus dem Haupt des Gottes der Götter entsprungen
+sei und den Olymp besser kenne, als das Haus der armen Frau: die ihn mit
+Schmerzen geboren und mit Thränen, Sorgen und Entbehrungen groß gezogen
+hatte. Kein Dichter stürmte seinen Schmerz und Unmuth über die
+Erniedrigung des Volks in die Saiten, kein Gelehrter schämte und grämte
+sich, die ihm von Natur nächsten und liebsten Wesen von sich getrennt zu
+sehn durch eine ungeheure geistige Kluft, welche nur die Bildung der
+alten und neuen Welt auszufüllen vermogte. Lessing schreibt den Nathan,
+und beweist, daß der Jude eben so viel Ansprüche habe auf den Himmel als
+der Christ, aber er schreibt nichts, worin er beweist, daß der Bauer,
+sein Vetter, eben so viel Ansprüche habe den Nathan zu lesen, als der
+vornehme und gebildete Stadtmensch. Winkelmann steht am Fuße des
+Vatikans und erfüllt die Welt mit Orakelsprüchen über die Schönheiten
+des Apoll von Belvedere, über das göttliche zornblickende Auge, die
+geblähten Nasenflügel, die verächtlich aufgeworfene Unterlippe, "eben
+hat er den Pfeil abgesandt nach den Kindern der Niobe, noch ist sein Arm
+erhoben," und im selbigen Augenblicke vielleicht, als er dieses spricht,
+hebt sein Vater, ein armer Altflicker, gedrückt und gebückt über den
+Leisten hingebogen, Pfriem und Nadel in die Höhe, blickt mit
+geisttodten, stumpfen Augen auf einen Kinderschuh und gewährt den
+Anblick eines Menschen, gegen den gehalten der letzte Sclave des
+Praiteles, der an die Paläste der altrömischen Großen wie ein Hund
+angekettete Thürwächter apollinische Gestalten waren.
+
+Volksbildung, o das Wort hat einen griechischen Klang in meinen Ohren
+und ich muß daher fast bezweifeln, ob es auch von meinen Landsleuten
+gehörig verstanden wird. Schulleute und Gelehrte werden schon wissen,
+was ich meine, ich brauche nur die Wörter zu nennen: [Griechisch:
+gymnasticha], _studia liberalia, id est_, wie mein alter Schuldirektor
+glossirend hinzufügte, _studia libero homine digna_. Für das größere
+Publikum muß ich mich wol zu einer etwas umständlichern Erklärung
+anschicken und besonders für diejenigen, welche nicht begreifen, wie das
+Volk nicht bloß unterrichtet, in Lesen und Schreiben geübt, sondern auch
+gebildet werden solle.
+
+Zur Volksbildung, wie zu jeder Bildung gehört zweierlei, etwas Negatives
+und etwas Positives. Sage ich aber vorher, daß ich die Saiten nicht zu
+hoch spanne und daß ich so dem natürlichen Muthwillen der Knaben die
+ganze körperliche Gymnastik, und der Gunst der Götter ihren
+Schönheitssinn, ihre musikalische Praxis und dergleichen überlasse. Im
+Negativen ist die Aufgabe der Bildung, die _vis inertiae_ der rohen
+Natur vertreiben und bezwingen zu helfen--das Kapitel ist weitläufig--es
+besteht aber die _vis inertiae_, die Erbsünde des menschlichen
+Geschlechts, darin, daß im Allgemeinen der ungebildete Mensch--was nun
+gar der norddeutsche Bauer--Selbstdenken scheut, Vorurtheile pflegt,
+fremde Meinungen herleiert, Thier der Gewohnheit, tausendstes Echo,
+Sclave von Sclaven ist, besteht, wie schon die Bibel sagt, darin, daß er
+Augen hat zu sehen und nicht sieht, Ohren um zu hören und nicht hört,
+besteht, um alles kurz zusammenzufassen, darin, daß er sich seines
+eigenen Verstandes, seines eigenen Gefühls, seines eigenen Willens nur
+in den wenigsten Augenblicken des Lebens bewußt wird.--Der weichenden
+Kraft der Trägheit folgt, wie eine elastisch nachdrückende Feder, die
+allmählich hervorspringende Kraft der Thätigkeit. Diese soll beschäftigt
+werden, _angemessenen_ Stoff finden, eine _bestimmte Richtung_ erhalten.
+Das ist das Geschäft der Bildung im Positiven, das ist das Säen des
+Weizenkorns, wenn der Acker von Steinen gereinigt, von unfruchtbarer
+träger Last befreit, durchbrochen, gepflügt und gefurcht. Trieb, Lust
+und Kraft zum Verarbeiten des Saamenkorns in sich spürte. Mensch und
+Acker, diese beiden urältesten, natürlichsten und durch den religiösen
+Stil aller heiligen Urkunden gleichsam geweihten Vergleichungsobjekte,
+sind sich hauptsächlich darin ähnlich, daß der Schöpfer über beide das
+Wort ausgesprochen hat: erst gepflügt und dann gesäet--erst den starren
+trägen Zusammenhang der Oberfläche, der Gemüthsdecke durchbrochen, dann
+hinein mit dem lieben Korn und--jedem Feld das seinige nach Art des
+Bedürfnisses, nach Güte und Beschaffenheit des Bodens[4].
+
+Lehrer, wollt ihr mehr als Lehrer, wollt ihr Bildner des Volks sein,
+lehrt denken, denken und abermals denken. Gedankenlosigkeit für eine
+Sünde, bestraft sie wie einen Fehler, bindet meinetwegen euren Schülern
+ein symbolisches Brett vor den Kopf oder stellt sie mit dem Kopf an die
+bretterne Wand, oder hängt ihnen, wie die Engländer thun, Eselsohren an,
+oder setzt sie, wie unsere Alten thaten, mit dem Steiß auf hölzerne Esel
+und vor allen Dingen, hütet euch, selbst die Esel zu sein.
+
+Ich bin aber gar nicht gesonnen, bloß den Lehrern _ex professo_ die
+Volkserziehung anheim zu stellen--ihnen dieselbe auf den Stücken zu
+laden, sollte ich wol sagen, bedenke ich das Loos so vieler tausend
+braven Männer, die bei kümmerlichem Brod ihre tägliche Noth und Sorge
+haben. Nur immer die Lehrer, nur alles auf ihre Kappe, nur alle Sorge,
+allen schlechten Erfolg der Erziehung auf ihren Antheil gewälzt. Das ist
+bequem, bequem freilich, aber nicht patriotisch. Jeder Patriot ist
+gelegentlich und er sucht die Gelegenheit--Erzieher, Bildner der
+Menschen, in deren Umgebung er lebt, hier hebt er einen Stein auf, dort
+ist sein Wort eine Pflugschaar, welche ein Stück harter Kruste aufreißt,
+dort ein Saamenkorn, das sich heimlich und zu einstiger Frucht in die
+Spalten des Gemüths einsenkt.
+
+Volksbildung, Wunsch meiner Wünsche, Ideal, nicht träumerisches,
+abgöttisches, rückwärts gewandtes, aufwärts in den leeren Himmel
+blickendes, ich glaube an Dich; Ideal, das keinem Dichter vielleicht
+Stoff zum Besingen gibt, das vielleicht unter der Würde des
+Metaphysikers steht, das die scholastische Zunft Ketzerei schilt und der
+Politiker belächelt, Ideal meiner Seele, Ideal aller Patrioten, im Namen
+aller spreche ich es aus, ich glaube doch und noch immerfort an Dich.
+
+Laßt ihr gebildeten Niedersachsen die alten Feudalvorurtheile über den
+Stand eurer Bauern die unreifen Ansichten über ihre Bildungsfähigkeit
+fallen und fahren; erstere sind so roh, wie leider der Bauernstand jetzt
+noch selber, letztere so intellektuell hochmüthig, wie man nur immer von
+einem Stand exklusiv Gebildeter im und über'm Volk erwarten kann.
+Bedenkt aber, was ich sage. Ein Leibnitz, zehn Jahr mit sich allein im
+dunkeln feuchten Kerker, kann so dumm und albern werden, daß
+Gänsejungen und Kuhhirten ihren Witz an ihm versuchen. Nun, Monaden
+sollen unsere Bauern freilich nicht erfinden, Leibnitze nicht werden,
+aber doch mit denselben Atomen _ihres Hirns_ über die Erscheinungen in
+der Welt, über Natur und Staat ihre Begriffe zusammensetzen, verbinden
+und auflösen, Gedanken bilden, Urtheile fällen und überhaupt sollen sie
+geistige Operationen vornehmen, welche in Leibnitzens Kopf schärfer oder
+abstrakt einseitiger durchgeführt die Lehre von urtheilbaren beseelten
+Weltstäubchen zum Resultat hatten.
+
+Doch, das alles wird euch ein mecklenburgischer Bauer besser
+auseinandersetzen--wenn ihr nach einem Hundert oder Zweihundert Jahren
+zu _reveniren_ Gelegenheit finden solltet.
+
+ * * * * *
+
+Im vorherigen Abschnitt habe ich besonders oder ausschließlich nur auf
+die durch die herrschende plattdeutsche Sprache verhinderte und daher
+auch trotz dem Unterricht im Hochdeutschen verfehlte Bildung des
+Landmanns Rücksicht genommen[5]. Es ist aber auch schwer, wenn von der
+gewerbtreibenden Klasse, der großen Bevölkerung _norddeutscher Städte_
+die Rede ist, die Hemmung und Stockung zu verkennen, welche die
+plattdeutsche Sprache, wo sie dem täglichen Umgang angehört, über die
+Köpfe verhängt. Man stößt sich da, wo der Block liegt, nur sind die
+Pfähle, welche den engen plattdeutschen Ideenkreis in der Stadt wie auf
+dem Lande begrenzen und umpflöcken, hier mehr roh, dort mehr
+spießbürgerlich abgeschält und holländisch überpinselt, das ist der
+Unterschied. Doch giebt es besonders aus größeren norddeutschen Städten,
+eine erfreuliche Thatsache zu berichten. Viele aus den mittleren
+achtbaren Ständen, Handwerker u.s.w. haben in neuer und neuester Zeit
+angefangen, sich und ihren Familien eine andere Stellung zur
+hochdeutschen Sprache und Kultur zu geben, als von ihren Vätern und
+Vorfahren eingenommen wurde. Rühmlich ist es, was diese für ihre Kinder
+thun, mit wie viel Opfern sie oft ihren Lieblingen Gelegenheit
+verschaffen, sich für ihren künftigen Stand so zu befähigen, daß sie
+nicht, wie jetzt noch die Meisten aus dieser Klasse, mit leeren Händen
+und offenen Mäulern den Strom der Einsichten, Ideen, Kenntnisse und
+Bestrebungen an sich vorüberrauschen sehen, der Europa, Amerika, die
+Welt erfüllt. Rühmlich und verständig zugleich, denn es leitet sie der
+richtige Takt in der Beobachtung, daß Besitz und Vermögen in der Welt
+immer mobiler werden, daß im raschen Wechsel der Dinge, außer dem
+blinden Glück, worauf zu rechnen Thorheit wäre, Verstand und Kenntnisse,
+die ächten Magnete sind, um den aus den Taschen der Erwerbenden und
+Genießenden lustig hin und her wandernden Besitz anzuziehen,
+zusammenzuhalten und zu vermehren.
+
+ * * * * *
+
+Während der niedersächsische Bauer bis über Kopf und Ohren im
+Plattdeutschen steckt, der Bürgersmann aber schon anfängt, sich
+zwangloser, als bisher, des hochdeutschen Mediums zu bedienen, sollte
+man vom Gebildeten _par exellence_, vom Musensohn, vom Beamten des
+Staats und der Kirche u.s.w. aussagen dürfen, daß er sich mit völliger
+Freiheit und Lust in hochdeutscher Sprache und Bildung bewegte und vom
+plattdeutschen Idiom nur außer und unter diesem Kreise Gebrauch machte.
+Allein die Sache verhält sich anders. Ich muß in dieser Hinsicht
+Gedanken äußern, Erfahrungen mittheilen, welche meinem Gegenstande eine
+ganz eigentümliche überraschende Wendung geben.
+
+Thatsache ist nämlich, daß die plattdeutsche Sprache Haus- und
+Familiensprache in Tausenden von Beamtenfamilien, Lieblingssprache auf
+allen norddeutschen Universitäten ist. Diese Sprache also, die ich als
+Schranke alles Strebens und Lebens, als Feindin der Bildung betrachte,
+ist dieses so wenig in den Augen vieler meiner Landsleute, daß sie den
+vertrautesten Umgang mit ihr pflegen, daß sie ihr, der von Kanzel und
+Lehrstuhl und aus guter Gesellschaft längst Vertriebenen, eine
+Freistäte am Heerde ihres Hauses gewähren.
+
+Hier im Schooß der Familien erscheint sie als Exponentin der innigsten
+Verhältnisse. In Scherz und Ernst führt sie oft das Wort, sie ist
+Vertraute der Gattenliebe, Organ der Kindererziehung, Sprache des
+Herzens, Lehrmeisterin der Sitte und praktischer Lebensklugheit. Hier
+hat sie auch meistens ihre Rohheiten abgelegt, kehrt die beste Seite
+heraus und scheint sich, gleichsam durch ihr Unglück gebessert, des
+Vertrauens würdig zu machen.
+
+Kommt hinzu, daß ihre Schutzherrn nicht selten Männer von Talent, Geist
+und Namen sind. Berühmte Lebende könnte ich anführen, ich begnüge mich
+den seligen Johann Heinrich Voß zu nennen, der nicht allein in Eutin,
+sondern noch in Heidelberg bis an seinen Tod mit Frau, Familie und
+norddeutschen Gästen am liebsten und öftersten plattdeutsch sprach.
+
+Das sind Thatsachen. Wie gleiche ich sie aus mit der Behauptung, die
+plattdeutsche Sprache sei Feindin der Bildung, des Ideenwechsels, der
+geistigen Lebendigkeit; jetzt, da ich selbst nicht umhin konnte, Männer
+von Geist und Talent, von Gelehrsamkeit, rastloser Thätigkeit, Männer
+wie Voß als plattdeutsche zu bezeichnen?
+
+Freilich, ich könnte den nachteiligen Einfluß der plattdeutschen Sprache
+eben nur auf das Volk und die Volksbildung beschränken. Ich könnte mich
+etwa, um dem _gebildeten Plattdeutschen_ allen Anstoß aus dem Wege zu
+räumen, folgendermaßen darüber ausdrücken: _absolut dem Geiste lethal_
+ist das Plattdeutsche nur, wo hochdeutsch, sanskrit und böhmische Dörfer
+gleich bekannt sind, wie hie und da in Pommern und Meklenburg; was denn
+von den größten Freunden des Plattdeutschen zugegeben werden müßte, da
+gar nicht zu läugnen, daß an sich und für sich dasselbe nichts Lebendes
+und Bewegendes enthalte, sondern Todt und Stillstand selber sei;
+_geistig hemmend und lähmend_ bleibt aber das Plattdeutsche immer noch
+aus der Stufe der Gesellschaft, wo ihm zwar das Hochdeutsche
+verständlich näher getreten, aber noch als ein Fremdes gegenüber steht;
+_ohne schädlichen Einfluß und gleichsam indifferent für Geist und
+Bildung_ zeigte sich die plattdeutsche Sprache, da, wo sie der
+hochdeutschen nicht als Fremde gegenüber steht, sondern schwesterlich
+zur Seite geht.
+
+Allein, ich fürchte, _indifferent_ ist ein Ausdruck, der hier schon aus
+allgemeinen psychologischen Gründen unstatthaft erscheint. Zwei Sprachen
+auf der Zunge sind zwei Seelen im Leibe. Ist die eine Sprache die
+geliebtere, die Herzenssprache, so ist die andere, für welche Zwecke sie
+auch aufgespahrt wird, um ihren schönsten Anteil am Menschen zu kurz
+gekommen. Sie rächt sich, indem sie das nicht zurückgiebt, was sie nicht
+empfängt, sie schließt ihre innerste Weihe nicht auf und läßt sich wol
+als äußeres Werkzeug mit großer Kunst und Künstelei, aber nicht als
+zweites Ich mit Liebe und Freiheit gebrauchen.
+
+Der hochdeutschen Sprache verdankt jeder Niedersachse sein veredeltes
+Selbst, ihr der aus dem Volk geborne Redner, Dichter, Schriftsteller
+sein Alles und Ruf und Namen im Kauf. Kann er ihr sein Herz dafür nicht
+zurückschenken, kann er sie nicht zur Sprache seiner häuslichen Freuden
+und Leiden machen, muß sie verstummen, sobald er gemüthlich wird, so
+steht sein gebildetes und veredeltes Selbst im geheimen Kontrast zu
+seinem intimen Selbst und es wird sich daher auch an seiner Bildung, an
+seinen Gedichten, Reden, Schriften diese Einseitigkeit, dieser
+Widerspruch offenbaren und nachweisen müssen.
+
+Menzel hat's bekanntlich an Johann Heinrich Voß unternommen. Die Stelle
+in Menzels Literatur, die Voß betrift, ist bitter, frivol, einseitig,
+aber sie ist bedeutend und hat dieselbe nachwirkende Sensation
+hervorgebracht, wie das Urtheil über Göthe, das freilich noch
+einseitiger ausgefallen ist und sich selbst _à la_ Pustkuchen lächerlich
+machte. Als ich Menzels Worte zum erstenmal las, fühlt ich mich empört.
+Zeig dich nur erst als so einen _niedersächsischen Bauer_, wie du den
+Voß zum Spotte nennst, rief ich im Zorn aus; allein ich mußte mir einen
+Augenblick darauf selbst sagen, daß diese Anmuthung an einen
+Süddeutschen weder billig noch selbst einladend genug klang und daß doch
+zugleich eben in meinem Ausrufe eine Art von halbem Zugeständnisse lag.
+Wirklich hatte ich schon immer eine Ansicht über Voß als Dichter und
+Uebersetzer gehegt, die bei aller Achtung Vor dessen großen,
+zweifellosen Verdiensten, durchaus nicht nach übertriebener,
+philologischer Bewunderung und niedersächsischem Patriotismus roch. Ich
+fand, daß er dem Genius der deutschen Sprache von Jahr zu Jahr mehr
+Zwang angethan, daß er zu roh und willkührlich an ihr gezimmert und
+losgehämmert und daß kein Deutscher, selbst Voß nicht, solche Wörter,
+Wendungen und Redensarten in den Mund nehmen konnte, wovon seine
+prosaischen und poetischen Schriften voll sind. Gegenwärtig lautet mein
+Urtheil vielleicht noch entschiedener. Ich sehe an Johann Heinrich Voß
+bestätigt, was ich eben aussprach. Die hochdeutsche Sprache hatte seine
+Liebe nicht völlig inne, daher erschloß sie ihm nicht ihr eigenes Herz,
+ihre Heimlichkeiten und Geheimnisse, ihre jungfräuliche Natur, die
+Blüthe ihres Leibes und Geistes, lauter Gaben und Geschenke, die man im
+zärtlichen Umgang freiwillig von der Geliebten eintauscht, nicht aber
+durch Willkühr und Zwang ihr abgewinnen kann.
+
+Indem ich dieses allen Gebildeten in Niedersachsen zu bedenken gebe, bin
+ich keinesweges abgeneigt, einer patriotisch-wohlmeinenden Stimme aus
+ihrer Mitte Aufmerksamkeit zu schenken, welche die Ueberzeugung äußert,
+der Gebrauch der plattdeutschen Sprache in den Familien gebildeter
+Niedersachsen, welchen Einfluß er auch übe auf die intellektuellen
+wahren oder erträumten Bedürfnisse, auf die verfeinerte Civilisation,
+Bildung oder Verbildung der Zeit--ich schattire absichtlich diese
+Ausdrücke mit dem bekannten Pinsel, der ohne Zweifel aus guter aber
+beschränkter Absicht alles was der Gegenwart und der neuesten Zeit
+angehört gegen die gute alte im Schwarzen und Bedenklichen laßt--der
+Gebrauch sei ein guter und treflicher in Rücksicht auf den Charakter
+der Hausgenossen, weil mit der Sprache der Väter auch ihre alte
+ehrliche und treue Sitte, ihre Herzlichkeit, Gradheit und Biederkeit
+sich auf die Enkel fortpflanze.
+
+Aufrichtig, du mir immer liebe Stimme, wenn da aus schlichtem,
+patriotischem Herzen kommst, ich weiß nicht ob unsere Urgroßväter so
+ganz diesem schmeichelhaften Silbe glichen. Es ist sonderbar damit, man
+spricht immer von der guten alten Zeit und jedes aussterbende Geschlecht
+vermacht die Sage davon an das aufblühende und die gute alte Zeit selbst
+läßt sich vor keinem sterblichen Auge sehn und ist immer um einige Stieg
+Jahre älter, als die ältesten lebenden Menschen. Ich muß lächeln, wenn
+ich an die Verlegenheit wohlmeinender Chronisten und Geschichtschreiber
+denke, wenn sie, um das moralische Mährchen nicht zu Schanden werden zu
+lassen, sorgenvoll spähende Blicke in die Vergangenheit werfen, um auch
+nur einen Zipfel, einen Saum von der Schleppe der alten Guten oder guten
+Alten zu erhaschen. Man gebe nur Acht, wie listig sie sich dabei
+benehmen. Sie lassen ihr nie unmittelbar ins Gesicht sehen, sie sagen
+nicht, nun kommt sie, oder da ist sie; im Gegentheil wimmeln die Blätter
+ihrer Geschichte nicht selten eben vorher von kläglichen Zuständen,
+Schwächen, Lastern und Erbärmlichkeiten der menschlichen Natur, wenn sie
+dem Abschluß einer auserwählten, kleinen, glänzenden Periode sich
+nähern; dann aber, wenn der Vorhang fällt, die grellen Farben sich
+schwächen, die bösen Beispiele nicht mehr so lebhaft der Idee von guten
+Sitten entgegenarbeiten, wenn das Bild der Zeit abzieht, dann zeigen sie
+auf ihren bordirten Saum und rufen dem Zuschauer wehmüthig zu, da geht
+sie, da geht sie hin die gute alte Zeit und nun werden die jungen Zeiten
+anwachsen, ihre Kinder, die sind aber sehr ausgeartet und werden alte
+Zeit schlechter. Das man die Geschichte der Sitten von einem ganz andern
+Standpunkt und mehr im Großen der Welterscheinungen betrachten muß, das
+ahnen die guten Leute nicht.
+
+Für jeden Einzelnen ist es freilich immer eine Sache der Pietät und ein
+wohlthuendes Gefühl, sich seine Vorfahren als durchgängig honette Leute
+vorzustellen. Der dunkele Bürgerliche oder Bäuerliche kann dieser
+Vorstellung wenigstens ohne großen geschichtlichen Anstoß und
+Widerspruch nachhängen, er hat hierin einen Vortheil vor den
+berühmtesten Adelsfamilien voraus. So ist in hochdeutschen bürgerlichen
+Familien die Vorstellung vom Großvater, Urgroßvater als altdeutschen
+Degenknopf die herschende und die liebste. Schwächer und allgemeiner
+bezeichnet sind die _epitheta ornanti_ für bäuerliche Vorfahren,
+Degenknöpfe kann man sie schicklicherweise nicht nennen und der
+Bauerwitz ist bis jetzt noch nicht auf den Einfall gekommen, etwa die
+Ausdrücke von alten deutschen Piken, Sensen oder Messerscheiden auf sie
+anzuwenden. Ueberhaupt ist zu bemerken, daß das Wort deutsch nur
+hochdeutsch ist, und im originalen plattdeutsch des gemeinen Lebens
+nicht vorkommt, eben so wenig, wie die früherhin angeführten Wörter
+Bildung und Verfassung, so daß die Redensart "das gebildete und
+verfassungsmäßige Deutschland" in plattdeutscher Sprache noch weniger
+als eine Redensart und gar nichts ist.
+
+Nach dieser vorläufigen Verständigung wäre zunächst der Hauptsatz
+einzuräumen, mancherlei alte Sitte geht durch den Gebrauch der
+plattdeutschen Sprache auf die Glieder der Familie über,
+und--_Folgesatz_--wird ihnen zeitlebens etwas ausdrücken oder anhängen,
+was sich nicht wol mit ihrer sonstigen Bildung vereinigen, sich nicht
+für die Zeit und heutige Gesellschaft schicken will--das aber--_Nach-
+und Beisatz_--den Umgang mit dem Volk, das Einwirken auf das Volk zu
+erleichtern geeignet sein mag.
+
+Letzteres betrachte ich in der That für sein unwichtiges Moment. Man
+sieht hier den Gebrauch der plattdeutschen Sprache in Prediger- und
+Beamtenfamilien unter seinen natürlichsten und vortheilhaftesten
+Gesichtspunkt gestellt. Diese Familien, meistens selbst vom Lande und
+auf dem Lande besitzen und erregen nicht selten das Vertrauen des
+Landmanns und wie es andere Familien zum Beispiel in der Stadt giebt, in
+deren Mitte er sich für verrathen und verkauft halten würde, so trift er
+in jenen gleichsam nähere und entfernte Anverwandte und sieht in deren
+häuslichem Leben wie in einen Spiegel, worin sein eigenes mit
+verschönerten Zügen ihm vertraulich entgegentritt.
+
+Doch ist keiner geringen Anzahl von diesen Familien die höchst dringende
+Warnung zu ertheilen, vor dem allmähligen herabsinken auf die bäuerliche
+Stufe der Kultur auf der Hut zu sein. Da sich im Plattdeutschen einmal
+nichts Gescheutes sprechen läßt, so nimmt die plattdeutsche
+Gemütlichkeit nur zu leicht den Charakter der Trägheit an. Das Bedürfniß
+bedeutenderer Conversationen, zarterer Berührungen, die nur in einer
+gebildeten Sprache möglich sind, regt sich immer schwächer, die einfache
+Sitte verwandelt sich in rohe, das Herzliche ins Läppische, das Gerade
+in's Plumpe, das Derbe in's Ungeschlachte und es tritt nur zu oft jener
+traurige Rückschritt der Civilisation ein, den man Verbauerung nennt.
+Damit ist dem Bauer auch nicht geholfen, der Familie, den Kindern noch
+weniger.
+
+Wer sich also in seiner Neigung und Vorliebe für das Plattdeutsche im
+Häuslichen auf einen Heros der deutschen Literatur wie Johann Heinrich
+Voß oder einen Pfarrer, wie Klaus Harms zu berufen gedenkt, der thut
+wohl, sich zuvörderst die Fragen vorzulegen: bist du des Umschwungs
+deines geistigen Räderwerks auch so gewiß und sicher, wie jene, läufst
+du keine Gefahr, dich für die Wissenschaft abzustumpfen, die Bewegung
+der Zeit aus dem Auge zu verlieren; darfst du nicht befürchten, dich und
+deine Familie an den Bettelstab des Gedankens zu bringen, deinen Kindern
+eine unersätzliche Zeit zu rauben, sie unerzogen in die Welt zu stoßen
+und mit deinem ganzen Hause an den untersten Fuß der Civilisation
+herabzugleiten?
+
+Das mögten doch immer Fragen sein, die einer ängstlich gewissenhafter
+Beantwortung werth sind.
+
+ * * * * *
+
+Aber die plattdeutsche Sprache, ist, wie erwähnt, Lieblingssprache auf
+allen norddeutschen Universitäten und das wenigstens wird ihr wärmster
+Freund nicht gut heißen können.
+
+Hier tritt sie als gefährlichste Bundesgenossin aller jener zahlreichen
+Uebel und Hemmnisse auf, die sich von Anfang an auf unsere Universitäten
+verschworen zu haben scheinen, um die Humanität im Keim zu ersticken.
+Hier legt sie die idyllische ehrbare Miene ab, wodurch sie sich in
+ländlichem Pfarrhause Frau und Töchtern empfiehlt, zwanglos grob,
+ungenirt gemütlich wandert sie in den Auditorien aus und ein, den Mund
+immer offen und nur pausirend, wenn der Professor spricht und der
+Student Religionsphilosophie, Metaphysik, Naturlehre und andere
+hochdeutsche _sublimia_ in sein Heft einträgt. Zum Teufel ihr Herren
+_favete linguis!_ wie kommt die Sprache Böotiens in Minervens Tempel.
+Ihr könnt freilich antworten, wie kommt Minervens Tempel zu unserer
+Universität, die nur eine alte wankende Ruine aus dem Mittelalter ist.
+Recht! aber wo euer Fuß hintritt, da soll Athen sein, geweihter Boden
+sein--_soll_, sage ich, denn warum sonst haben die Götter dem
+jugendlichen Fuß die Sehne der Ungeduld und des heiligen Zorns
+verliehen, die mit einem Tritt zerstampft, was das Alter mit beiden
+Händen nicht aus dem Wege schaffen kann, warum anders, als damit ihr
+Schöneres, Besseres, Heiligeres aus dem Boden zaubern sollt. Ihr
+versteht mich nicht? Ich verstehe euch auch nicht, ich verstehe die edle
+norddeutsche Jugend nicht, die sich auf dem Musensitz einer Sprache
+bedient, die dem Dunkel des Geistes, der Barbarei vergangener Zeiten
+angehört. Macht es dieser Jugend Scherz, ihre eigenen Studien, das
+akademische Leben, den dürren Scholastizismus und die Pedanterie des
+akademischen Instituts zu parodiren, zu travestiren, so sehe ich
+allerdings weder großen Uebermuth in diesem Scherze, noch verkenne ich,
+wie sehr die plattdeutsche Sprache, ja schon ihr Klang, zu diesem Zweck
+sich eignet[6]; allein Scherz muß Scherz, das heißt flüchtig und
+wechselnd bleiben, und wenn derselbe Scherz und dieselbe Travestie drei
+Jahre alt wird, so muß man ein sehr ernsthaftes und langweiliges Gesicht
+dazu machen.
+
+Kann man nicht heiter, gesellig, witzig, selbst wenn Lust und Laune
+danach, derb und spaßhaft im Element des Hochdeutschen sein. Ist die
+Sprache unserer Bauern humoristischer als die Sprache Abrahams a Sancta
+Clara, Lichtenberg, Jean Pauls. O ich kenne die niedersächsischen Witze,
+sie stehen alle in einem kleinen groblöschpapiernen Buch mit feinen
+Holzschnitten, das jährlich in diesem Jahre gedruckt wird. Es tritt
+darin auf "der Rübezahl der Lüneburger Haide," der Repräsentant des
+niedersächsischen Volkshumors, der geniale Till und rülpst auf die
+anmuthigste Weise lauter Witze vor sich hin, die aus einer Zeit stammen,
+wo das Volk nur den groben Wanst, dagegen die Ritterschaft den Arm, die
+Geistlichkeit den Kopf des Staatsungeheuers repräsentirte.
+
+Oder was zieht ihr vor an der plattdeutschen Sprache? Ich weiß die
+Antwort nur zu gut, "sie macht uns Spaß[7]; sie ist uns gemüthlich."
+Chorus von Göttingen, Rostock, Greifswalde, Kiel, sie macht uns Spaß,
+sie ist uns gemüthlich, es wird uns wohl dabei! Auch in Jena,
+Heidelberg, Berlin, Bonn, wohin wir kommen und wo unserer zwei bis drei
+beisammen sind, da ist sie mitten unter uns. Sie gehört mit zum Wesen
+der norddeutschen Landsmannschaft und das wäre kein braver Holsat oder
+Meklenburger, oder Oldenburger, der nicht wenigstens drei Plattitüden am
+Leibe hätte, plattes (Mütze) auf dem Kopf, plattes (Mappe) unter'm Arm
+und das liebe Platt im Munde.
+
+O Jugend, akademische, Blüthe der Norddeutschen, sei nicht so duftlos.
+Dufte etwas nach dem Geist der Alten--ich meine nicht deiner
+eigenen--bethaue deine Blüthen und Blätter mit etwas Naß aus der
+Hippokrene, durchdringe sie mit etwas Oel aus der Lampe der Philosophie,
+empfinde, fühle wenigstens nur die heiße Thräne des Unmuts und des
+Schmerzes, die der Genius deines Vaterlands auf dich herabträufelt.
+
+O Jugend, akademische, ihm ist übel, wenn dir wohl ist. Mephistopheles
+freilich lacht und spöttelt dazu und wenn er dich in Auerbachs Keller
+platt und wohlbehaglich sitzen sieht so ruft er seinem Begleiter zu:
+
+ Da siehst du nun, wie leicht sich es leben läßt?
+ Dem Völkchen da wird jeder Tag zum Fest.
+
+Wie hat sich seit den Tagen des Faustus die Welt verändert, was ist
+nicht alles in den letzten 30, in den letzten 13, in den letzten 3
+Jahren geschehen und dieses Völkchen ist noch immer das alte geblieben?
+Wo kommt es her? Wo geht es hin?
+
+Es gibt Ausnahmen, wie sollte es nicht. Aber ich spreche, wie immer in
+dieser Schrift, vom großen Haufen, und der ist auf unsern Universitäten
+noch immer der alte Stamm und das Plattdeutsche seine hartnäckigste
+Wurzel.
+
+Es hat fast den Anschein, als müßte der Bauer erst mit gutem Beispiel
+vorangehn und die Sprache der Bildung gegen den Dialekt der Rohheit
+eintauschen, ehe der Student sich dazu entschließt.
+
+Wie nöthig thäte es Manchem, um auch nur den äußern Schein seines
+Standes im Gespräch und Umgang mit Gebildeten zu retten. Ich schäme
+mich's zu sagen, welche Erfahrungen ich gemacht habe.
+
+Wie nöthig aber thut es Jedem, sich unablässig in einer Sprache zu
+bewegen, die ihm erst zu der Herrschaft über sein Wissen verhelfen soll;
+wie nöthig Jedem, sich einer Sprache zu entschlagen, welche diese
+Herrschaft mißgönnt und streitig macht, welche wie das lichtlose dumpfe
+Chaos dicht hinter seiner aufzubauenden Welt lauert.
+
+Ohnehin fordert die hochdeutsche Sprache Uebung, viel Uebung. Sie fällt
+Einem nicht so in den Mund, wie dem Franzosen das französische. Das
+Talent sich fertig und geläufig auszudrücken, ist immer noch ein
+selteneres, am seltensten in Nord-Deutschland. Sprache und Gedanke,
+Sprache und Gelehrsamkeit stehen häufig im ungeheuersten Mißverhältniß.
+Fern sei es von mir, den bloßen Fluß der Worte, die Geschwätzigkeit als
+eine Tugend zu preisen. Aber diese Wortangst, diese Wortplage, die so
+viele Sprechende befällt, dieses Stottern, Ringen, Rädern und Brächen,
+das am Ende oft doch nur etwas Verschrobenes oder Triviales zu Tage
+fördert, das alles deutet bei unsern Gelehrten auf eine klägliche
+Unangemessenheit zwischen todtem Studiren und lebendigem Umtausch hin.
+
+Von dieser Seite betrachtet zeigt sich der gerügte Uebelstand auf
+norddeutschen Universitäten im häßlichsten Licht. Der tüchtigste Kopf
+kann sich kaum vor der Masse des Fertigen, Vorgedachten, Positiven
+erwehren, das so regelmäßig wie der Rinnenguß einer Wassermühle Tag für
+Tag auf ihn eindringt. Es gehören elastische Denkfibern, glückliches
+Gedächtniß (auch glückliches Vergessen) und vor allem Freundesgespräche
+dazu, um die ewige Nothwehr mit Erfolg fortzusetzen und das heiligste
+Gut der Persönlichkeit, das Stoffbeherrschende, selbstbewußte,
+selbstdenkende Ich siegreich davonzutragen. Vor allem Freundesgespräche,
+sage ich. Einsames Lernen, stilles Sammeln, Betrachten, Denken sind
+nothwendig; aber wer nicht spricht, erstickt, wird verwirrt, chaotisch
+und das eben ist der geistige Zustand der meisten jener Gelehrten, deren
+Sprechen ich so eben als Sprachangst und Sprachplage bezeichnet habe.
+
+Mit welchen Farben soll ich den barocken, lächerlich traurigen
+Geisteszustand einer plattdeutschen Studentenmasse schildern. _Ochsen_
+nennt sie selbst die mechanische Arbeit, die sie zum Behuf des Examens
+täglich vornimmt. Jeden Tag schiebt sie fleißig ihren Karren Pandekten,
+Dogmatik u.s.w. in die Scheune ihres Gedächtnisses.
+
+Liegt da das tägliche Pensum zu Hauf, so spannt sie sich aus, läßt's
+liegen, wo es liegt und--wird gemüthlich, plattdeutsch.
+
+_Humaniora_, erfrischende, belebende, höher hinantreibende Vorträge,
+hört sie nicht, oder bekommt sie nicht zu hören, da leider an vielen
+Orten die _Humaniora_ nur als Antiquitäten gelesen werden.
+
+Klingt es nicht manchmal als Ironie, wenn der Bauer seinen Sohn, oder
+des Amtmanns, Schulzen, einen Studeermakergesellen nennt?--O
+norddeutsche, studirende Jugend, nimm das platt aus dem Munde!
+
+ * * * * *
+
+Bis hierher hatte ich das Niedergeschriebene einem Freunde vorgelesen.
+Ich fragte diesen um sein Urtheil. Ich bin überrascht, sagte er nach
+einigem Zögern: Ich habe über den Einfluß der plattdeutschen Sprache
+bisher nicht weiter nachgedacht, und das mögte wohl der Fall mit den
+meisten künftigen Lesern dieser Bogen sein. Nichts destoweniger habe ich
+diesen Einfluß dunkel und unangenehm empfunden; er macht, besonders wenn
+man aus dem Süden zurückkehrt, einen ähnlichen Eindruck, wie die
+veränderte Athmosphäre, die fahle Luft und das häufige Regenwetter des
+Nordens. Man findet sich darein, wie in ein nothwendiges Naturübel.
+Allein mit der Sprache ist es wol ein Anderes. Sie haben Recht, wenn Sie
+einmal früher äußerten, man müsse sich selbst gegen das Nothwendige, das
+der physischen oder moralischen Ordnung angehört, in Position setzen.
+Sie haben mir, darf ich sagen, ordentlich die Brust erleichtert, indem
+Sie mich auf einen bestimmten Landesfeind aufmerksam machen, mit dessen
+Vertilgung das Feld für die norddeutsche Civilisation gewonnen scheint.
+Das wird und muß nach Lesung Ihrer Schrift, das Gefühl aller Patrioten
+sein, denen es in dieser Zeit wie Alpdrücken auf dem Herzen liegt. O
+wohl! o wohl! Die plattdeutsche Sprache ist das absolute Hemmniß des
+öffentlichen Lebens, der Bildung und Humanität in Niedersachsen. So
+lange diese Sprache dem gemeinen Leben angehört, werden, wie bisher,
+Mastochsen, Gänsebrüste und westphälische Schinken die Hauptprodukte
+unserer Civilisation bleiben. Gegen die Civilisation selbst macht die
+plattdeutsche Sprache nicht allein gleichgültig, sondern tückisch und
+feindselig gestimmt. Warum ist das nicht längst zur Sprache gebracht,
+Gegenstand des allgemeinsten und lebhaftesten Interesses geworden.
+
+Sie vergessen, sagte ich, daß Voß, Harms, Scheller, Bärmann und andere
+wackere Männer die Theilnahme des Publikums für diese Sprache, selbst
+für eine Literatur in derselben, haben in Anspruch nehmen wollen.
+
+Ich weiß, erwiederte er, ich habe unter andern den "_Bloottügen_," den
+Henrik von Züphten vom Pastor Harms gelesen. Damals dachte ich nichts
+anderes dabei, als daß so ein plattdeutsches Buch unbequem und schwer zu
+lesen und wahrscheinlich noch unbequemer zu schreiben sei.
+
+Was den Henrik von Züphten betrift, bemerkte ich dagegen, so scheint mir
+der Verfasser einen Ungeheuern Mißgriff in der Wahl des Stoffes gethan
+zu haben. Ich schätze die alten Dithmarsen sehr hoch. Sie waren ein
+tapferer, unbezähmlicher, ordentlich nach Freiheit und Unabhängigkeit
+dürstender Menschenschlag, Bauern zu Pferde mit dem Schwerdt in der
+Hand, die Schweizer des Nordens oder vielmehr Wittekinds und seiner
+Sachsen ungebeugte und ungebrochene Enkel bis in's fünfzehnte und
+sechszehnte Jahrhundert hinein. Nur weiß ich nicht, ob ein lutherischer
+Pfarrer von Heute, selbst wenn er geborner Dithmarse ist, einer so
+durchaus heidnischen Mannheit Gerechtigkeit widerfahren lassen kann;
+denn obwol die dithmarsische Größe und Freiheit in christliche Zeiten
+fiel und die Verehrung der Jungfrau Maria in diesem Lande gerade höher
+getrieben wurde, als, wie es scheint, andeswo im Norden, so erhielt doch
+der hochfahrende und kampflustige Sinn der Einwohner durch sie nur eine
+sehr schwache christliche Färbung und wol schwerlich hat die Brust eines
+mutigen Dithmarsers aus Furcht vor dem Himmel, der Geistlichkeit oder
+eigener Gewissenszartheit christliche Demuth dem Muth übergeordnet, wie
+man solches in den Ritterbüchern des Mittelalters liest. Doch mag es
+damit sein, wie es will; ich muß bekennen, daß ich überhaupt keinen
+Geistlichen zum Geschichtschreiber wünsche, speziell nicht zum
+Dithmarsischen. Was mir aber auffiel, war, daß Pastor Harms sich grade
+einen Moment aus der dithmarsischen Geschichte gewählt hatte zur
+plattdeutschen Darstellung, der auf so schneidende Weise mit der
+altväterischen, derben Bonhommie, die er dieser Sprache im Eingang
+nachrühmt, im Kontrast steht: der Märtyrertod des ersten lutherischen
+Predigers in Dithmarsen. Diese kalte Wuth, dieser Hohn menschlichen
+Gefühls, diese Spurlosigkeit alles Barmherzigen, womit hier der arme
+Mann einem langsamen und schauderhaften Tode überliefert wird, macht
+nicht nur an sich einen bösen Fleck in der dithmarsischen Geschichte
+aus, sondern erinnert auch sehr zur Unzeit, daß diese beste Zucht
+niedersächsischer Männer, die Dithmarsen, von jeher neben ihrer
+Tapferkeit und eisernen Sitte, mit asiatischer Barbarei an
+Gefühllosigkeit gegen Feind und Freund gewetteifert haben, was den
+allerdings wol auf eine derbe und rohe, aber keineswegs auf so eine
+"alte und gemüthliche" Sprache hindeutet, wie's so etwa von einem
+unserer friedlichen und gutmüthigen Philister heutiger Zeit verstanden
+wird.--Fügen Sie noch hinzu, sagte hierauf mein Freund, daß das
+Dithmarsen der Gegenwart, das noch ganz und gar plattdeutsch ist, und wo
+auch noch wirklich das beste platt[8] gesprochen wird, weder in
+moralischer noch in gesellschaftlicher Berührung ein sehr glänzendes Lob
+auf dasselbe zuzulassen scheint. Die Armuth, Trunkfälligkeit, die
+ungeheure Zahl der verübten Mordbrände in Dithmarsen deuten auf einen
+sehr versunkenen sittlichen und bürgerlichen Zustand. Eben er, der mit
+herrlichem Eifer für die Verbreitung religiöser und moralischer
+Lebensflammen erfüllte Pastor Harms hat in patriotischen Schriften
+seinen Schmerz darüber ausgesprochen. Was kann er aber, sage ich jetzt
+mit vollster Ueberzeugung, von der Mithülfe einer Sprache erwarten,
+welche aller Mittheilung unbesiegliche Schranken entgegenstellt und das
+wahre Grab des höheren Leben ist. Es stände zu wünschen, daß ein
+dithmarsischer Patriot den nachteiligen Einfluß der Sprache auf die
+Fortschritte der Civilsation und selbst auf die schönere Humanität einer
+ausgezeichneten Einzelbildung aus der Allgemeinheit Ihrer Schrift
+übertragen möge auf Dithmarsen und die Dithmarsen, wie sie sind und was
+sie vermöge ihrer Sprache sind und nur sein können.
+
+Ihr Wunsch ist der meinige, ich werde ihn, wie überhaupt unser
+Gespräch, vor's Publikum bringen, und zwar als integrirenden Theil
+meines Aufsatzes. Denn, glauben Sie mir, ohne Ihr Hinzukommen würde ich
+mich nie zur Herausgabe desselben bestimmt haben.
+
+Sie scherzen, oder wollen etwas sagen, was mir nicht klar ist.
+
+Hören Sie nur und urtheilen Sie selbst. Ich habe bisher darzustellen
+gesucht, daß die plattdeutsche Sprache sowol an sich unfähig sei, die
+Keime der Civilisation zu fassen als auch, so lange sie tägliche
+Umgangssprache in Niedersachsen bliebe, alles Bemühen zur Civilisation
+durch das Mittel der hochdeutschen Sprache vereiteln müsse. Ich habe
+diese Wahrheit nicht allein auf die unteren Kreise beschränkt, ich habe
+fühlbar zu machen gesucht, wie ohne unterliegende allgemeine
+Volksbildung, auch die höhere Bildung des Einzelnen gefährdet sei und
+zum Beispiel die Extreme auf der jetzigen Leiter unserer Kultur, Bauer
+und Student oder Studirter, sich in demselben rohen und bildunglosen
+Medium wieder berühren. Habe ich, wie ich meine und getrost der
+öffentlichen Stimme überlasse, dieses mit unabweisbarer
+Handgreiflichkeit nachgewiesen, so werde ich allerdings der
+Uebereinstimmung aller Patrioten in der Behauptung gewiß sein, es sei
+nicht wünschenswerth, daß die ohnehin aussterbende und vermodernde
+plattdeutsche Sprache, gehegt und gepflegt werde, es sey im Gegentheil
+wünschenswerth, daß sie sich je eher je lieber aus dem Reiche der
+Lebendigen verliere. Und somit wäre denn im verhofften guten Fall hie
+und da eine Meinung, eine Ansicht über das Wünschenswerthe und nicht
+Wünschenswerthe in dieser Angelegenheit öffentlich angeregt. Aber sagen
+Sie mir, was ist eine Privat-Meinung, die einen frommen Wunsch zur Folge
+hat, im Angesicht eines öffentlichen Gegenstandes, oder Widerstandes,
+der nichts meint und wünscht, der nur so eben sich seiner breiten Füße
+bedient, um seine plumpe und gedankenlose Existenz durch alle Meinungen
+hindurch zu schieben und sich trotz aller Meinungen auf den Beinen zu
+behaupten, bis er etwa von selbst umfällt, Meinungen und Ansichten haben
+wir im Ueberfluß, vortrefliche. Woran fehlt's? Am Korporativen der
+Meinung, welches die öffentliche Meinung ist, welche die That mit sich
+führt. Würde ich sonst, wenn ich nicht das fruchtlose Hin- und Hermeinen
+des Publikums zu gut kennte, mir die Beantwortung der ironischen Frage
+aufgelegt haben, ob man den wünschenswerthen Untergang der Sprache ruhig
+sich selbst und der Zeit überlassen oder etwas dafür thun, denselben
+möglichst beschleunigen solle? Sie sehen aber wol, daß es mir damit
+nicht Ernst gewesen sein kann; denn bringt die wahre und lebhafte
+Darstellung eines großen Uebels nicht unmittelbar und für sich das
+Gegenstreben, den Wunsch und das Umsehen nach Mitteln zur Abstellung
+desselben hervor, so ist alles weitere Reden und Zureden rein
+überflüssig, falls es nicht, wie bei manchen Maaßregeln gegen die
+Cholera, mit äußerm Zwang und obrigkeitlichem Befehl verbunden ist.
+
+Ich weiß aber nicht, was mir sagt, daß Sie im Auffassen dieser
+Angelegenheit der Repräsentant von sehr vielen Norddeutschen sind. Die
+Wahrheit hat auf Sie ihren vollen Eindruck nicht verfehlt, Sie freuen
+sich, ihren allgemeinen trüben Mißmuth einem bestimmten Feind
+gegenübergestellt zu sehen, Sie sinnen auf Mittel, ihn anzugreifen, Sie
+halten ein allgemeines lebhaftes und daher wirksames Interesse als
+durchaus in der Sache begründet.
+
+So ist es, erwiederte mein Freund. Und ich glaube, auch darin irren Sie
+nicht, wenn Sie mich nach Ihrem Ausdruck für den Repräsentanten einer
+sehr namhaften Zahl und Klasse von Norddeutschen halten. Bedenken Sie
+nur allein den Stand des Schullehrers, der Jahr aus Jahr ein an der
+plattdeutschen Jugend sich fruchtlos abquält und gleichsam tagtäglich
+Wasser ins Faß der Danaiden schöpft. Ihm vor allen wird ihre Schrift
+neuen Muth und Anstoß geben. Das Hauptmittel, davon sind Sie ohne
+Zweifel auch überzeugt, liegt in den Händen dieser Männer.
+
+Aber, fügte er fragend hinzu, welchen Schluß geben Sie ihrer Arbeit? Ich
+denke doch, Sie lassen, wenn auch die zweite Frage billig ausfällt, die
+dritte nicht ganz unbeantwortet. Welche Mittel halten Sie für die
+Ausrottung der plattdeutschen Sprache für die wirksamsten? Mir und
+meinen Kollegen, wie gesagt, liegt vorzüglich daran.
+
+Ich trug meinem Freunde darauf den folgenden Abschnitt vor, bemerkte
+aber, daß ich von ihm selbst oder von einem Genossen seines Standes
+etwas Erschöpfenderes in dieser Hinsicht verhoffte.
+
+ * * * * *
+
+Wer aber soll helfen gegen das Plattdeutsche im Volk? Wie kann dem
+Hochdeutschen geholfen werden?
+
+Wer? Alle Welt, nur der Staat nicht. Was der Staat gegen das
+plattdeutsche und für das Hochdeutsche thun konnte, hat er gethan, indem
+er jene aus der Kirche verbannt und sie vom Gerichtshofe ausschloß.
+
+Wer diese Schrift verbreitet, sie selbst oder ihre Ideen, wer sie
+öffentlich angreift oder vertheidigt, wer ihr neue Gesichtspunkte
+hinzufügt, deren es noch so viele giebt, wer die bereits aufgestellten
+modificirt, rektificirt, _der hilft, er mag wollen oder nicht_; denn er
+hilft eine öffentliche Meinung bilden. Beleuchtet dieses gedankenlose
+Monstrum, Hannoverisches Platt, Meklenburgisches Platt und wie es sich
+überall nennt, von hinten oder von vorne, von der besten oder von der
+schlechtesten Seite, beleuchtet es nur, und glaubt mir, jedes Licht übt
+eine chemische Zerstörung auf sein Volumen aus. Besprecht es, besprecht
+es nur und seid überzeugt, jedes Wort im Guten oder Bösen ist ein
+Zauberbann, der ihm einen Fuß seines Gebietes verengt.
+
+Das ist das Schöne mit der guten Sache und der öffentlichen Meinung und
+der neuen Zeit; wenn die drei einmal in Bewegung sind und sich auch
+nicht suchen, so verfehlen sie sich doch nicht.
+
+Ja, ich zweifle nicht, die öffentliche Meinung wird sich bilden und sie
+wird grollen, wie ich, mit dem Plattdeutschen und das Grollen wird über
+die Köpfe unserer Bauern hinfahren und wird--ansteckend sein.
+
+Die Ansteckung ist die Hauptkraft der öffentlichen Meinung und das
+Wunderbarste an ihr.
+
+Die wichtigsten Exekutoren der legislativen Gewalt öffentlicher Meinung
+sind aber in unserm Fall unstreitig die Schullehrer, insbesondere die
+auf dem Lande. Auf den Grad des Anteils, der Einsicht, des guten Willens
+dieser großen, nützlichen, im Stillen wirkenden Klasse von
+Staatsbürgern, deren Einfluß auf die Bildung der Landleute bedeutend
+größer ist, als der Pastoraleinfluß, kommt unendlich viel an.
+
+Fassen diese, wie es ihnen zukommt und wie zu erwarten, die Sache der
+Civilisation mit Eifer auf, durchdringen sie sich von der Nothwendigkeit
+einer ununterbrochenen Attake auf das Plattdeutsche, stehen sie, wie es
+ihre Gewohnheit ist, beharrlich auf ihrem Stück, so will ich sehen,
+welche wundergleiche Veränderung dieses schon im Ablauf von zehn Jahren
+in einem Verhältniß von Hoch zu Platt hervorbringen wird.
+
+Ihre Hauptaufgabe wäre, dahin zu streben, das Hochdeutsche
+_vertraulicher_ und _herzlicher_ zu machen--ein Weg, der nur durch die
+_Fertigkeit_ und _Unbekümmertheit der Zunge_ hindurchgeht. Ihre Arbeit
+ist in der Schule, in den Familien, vor der Kommüne. Was die _Schule_
+betrift, so würde ich den Rath geben, in den ersten Schuljahren die
+Kinder weder zum Schreiben noch zum Lesen anzuhalten, nur zum Sprechen.
+Das Warum leuchtet ein. Auch die Aelteren müßten häufiger mit Sprech-
+und Denkübungen beschäftigt werden--welche Gelegenheit zugleich auf den
+Verstand und durch diesen gegen die plattdeutsche Sprache zu wirken, in
+welcher dem Knaben von Haus aus alle frühere Vorurtheile und Dummheiten
+eingepropft sind. Besondere Rücksicht verdienen die Mädchen. Ihre
+Gemüther sind weicher, empfänglicher, ihr Organ, gewöhnlich auch ihr
+Verstand leichter zu bilden und--sie sollen einmal Mütter, Hausfrauen,
+das heißt auf dem Lande, für das jüngste Geschlecht im Hause alles in
+allem werden. Auch im _älterlichen Hause_ bleibt viel zu wirken,
+besonders auf Hausfrauen und ältere Töchter; der heiterste, zwangloseste
+Gesellschafter ist hier der beste, er bringt bald ein unterhaltendes
+Buch (kurze und erbauliche Geschichten, keine langweilige faselnde),
+bald einen interessanten Gegenstand zur Erzählung mit, eine Anekdote aus
+der Zeitgeschichte, oder meinentwegen einen Fall aus der Nachbarschaft,
+dem Dorfe mit, der, wie er versichert, sich im Plattdeutschen nicht
+ausnimmt. _Für die ganze Komüne_ ist er wirksam durch Einführung
+periodischer Blätter, Zeitungen, auf gemeinschaftliche Kosten zu halten
+und regelmäßig in Versammlung der Männer vorzulesen, allenfalls durch
+ältere, der Konfirmation entgegengehende Knaben, _als beneidete und
+ehrenvolle Belohnung_ ihrer Fortschritt im Lesen und Sprechen des
+Hochdeutschen.
+
+Ich deute nur an, aber ich komme mir vor, ich wüßte es auch auszuführen
+als Schullehrer auf dem Lande, und Tausende besser als ich.
+
+So viel ist gewiß, wäre ich Schullehrer, so würde ich für's Erste nur
+ein Ziel kennen: mein Dorf zu verhochdeutschen.
+
+Leeres Stroh würde ich glauben zu dreschen, so lange nicht die Garbe der
+hochdeutschen Sprache und Bildung mir auf dem freien Felde wächst.
+
+Eine Bürgerkrone würde ich glauben verdient zu haben, wenn man mir im
+Alter nachrühmte: er hat diesen Flecken, sein Dorf, das sonst so dunkle,
+dumpfe, plattdeutsche Nest, mit der Kette der Civilisation in Kontakt
+gesetzt durch Ausrottung der plattdeutschen und Einführung der
+Bildungssprache Deutschlands.
+
+
+Fußnoten:
+
+[1] Doch auch mit Ausnahme gewisser örtlicher und provinzieller
+Variationen, wie in Hamburg, Westphalen, Dithmarsen, wo selbst die
+Gebildeten, von deren Aussprache hier eigentlich die Rede ist, sich der
+Lokaltinten nicht enthalten.
+
+[2] Die Hexenprozesse, die mit wenig zahlreichen Ausnahmen erst nach Der
+Reformation und Hauptsächlich im protestantischen Norddeutschland
+geführt wurden und denen ein Glaube an den Einfluß böser Geister zu
+Grunde lag, den Luther, in melancholischen Anfällen selbst oft mit dem
+persönlich ihm erscheinenden Teufel ringend, nur zu sehr genährt hatte,
+_diese Hexenprozesse haben Deutschland im 17ten Jahrhundert vielleicht
+mehr Menschen gekostet, als Spanien die Inquisition._
+
+[3] Reineke de Vos ist von holländischer und französischer Abkunft, wenn
+auch die Mährchen von Fuchs und andern Thieren ursprünglich in
+Deutschland sowol, als in Frankreich in Schwang gingen. Die
+plattdeutsche Uebersetzung scheint niemals Volksbuch gewesen zu sein,
+obgleich sie sehr gelungen ist; man könnte sie den Schwanengesang dieser
+Sprache nennen.
+
+[4] Wollte ich zu diesem, wie gesagt, naturrohen Bilde ein mehr dem
+Spiel der Phantasie angehöriges hinzufügen, so vergliche ich den bloßen
+Lese- und Schreibunterricht unserer Landkinder mit der Unvernunft und
+Thorheit eines Ackermannes, der seinem Acker die Instrumente zur
+Bearbeitung, Spaten und Pflug, zur Selbstbearbeitung hinwirft.
+
+[5] Was könnte ich anführen, wollte ich von der niedrigsten Klasse
+norddeutscher Städte sprechen, die sich, wie der Hamburger Pöbel in
+Schnapps und unreinstem Plattdeutsch wälzt.
+
+[6] Wo willst Du hin, fragte Jemand einen Meklenburgischen Scholaren,
+der gerade auf den Postwagen stieg. Die Antwort war: Na Rostock, ik will
+mi op de Wissenschaften leggen.
+
+[7] Weniger Späße.
+
+[8] Doch nicht rein, sondern mit friesischen Wörtern untermischt.
+
+ * * * * *
+
+Von demselben Verfasser sind bei uns erschienen:
+
+_Wienbarg_, _Dr._ L.,
+ Holland in den Jahren 1831 und 32, 2 Bde. 8,
+ 833-34. 2 Thlr. 16 Gr.
+
+ ---- ---- Jason. Episches Gedicht nach Pindar. Uebersetzt,
+ bevorredet und erläutert; mit einem
+ Zueignungsgedicht an Jason Sabalkansky. 8. 830.
+ 4 Gr.
+
+ ---- ---- Paganini's Leben und Charakter nach Schottky. Mit
+ Paganini's Bildnis. gr. 8. 830. 12 Gr.
+
+
+Unter der Presse befindet sich:
+
+ ---- ---- ästhetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland
+ gewidmet. 8.
+
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Soll die plattdeutsche Sprache
+gepflegt oder ausgerottet werden?, by Ludolf Wienbarg
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SOLL DIE PLATTDEUTSCHE SPRACHE ***
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+works. See paragraph 1.E below.
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@@ -0,0 +1,1786 @@
+The Project Gutenberg EBook of Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt
+oder ausgerottet werden?, by Ludolf Wienbarg
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden?
+ Gegen Ersteres und fuer Letzteres
+
+Author: Ludolf Wienbarg
+
+Release Date: June 19, 2004 [EBook #12660]
+
+Language: german
+
+Character set encoding: ASCII
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SOLL DIE PLATTDEUTSCHE SPRACHE ***
+
+
+
+
+Produced by Charles Franks and the DP Team
+
+
+
+
+Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden?
+
+
+Gegen Ersteres und fuer Letzteres
+
+
+beantwortet von
+
+Dr. Ludolf Wienbarg
+
+
+
+
+Motto: _ceterum ceterumque censeo...._
+
+
+
+
+Hamburg
+
+bei Hoffmann und Campe
+
+1834
+
+
+
+
+Dem Nestor norddeutscher Patrioten
+
+dem Freunde veredelter Natur und Menschheit
+
+Herrn Baron von Voght
+
+gewidmet.
+
+
+
+
+Verehrungswuerdiger Greis!
+
+
+Ich habe nie das Glueck Ihrer persoenlichen Bekanntschaft genossen,
+aber ich kenne Ihre Schoepfungen, die bluehenden Spuren Ihrer
+menschenfreundlichen Hand. Bereits als Knabe besuchte ich sehr oft von
+Altona aus das schoene Flottbeck. Hier woelbt sich keine Ulme, keine
+Buche, die Sie nicht gepflanzt, hier steigt von hundert freundlichen
+Daechern kein Rauch in die Luft, der nicht Weihrauch fuer Sie waere. Das
+wusste ich schon als Knabe und so kam es, dass ich an Ihrem Namen zuerst
+den Begriff und die Bedeutung eines Menschenfreundes, eines Patrioten
+lernte. Eine gluecklichere Abstraktion, ein wuerdigeres Bild wird selten
+der jugendlichen Seele geboten.
+
+Nehmen Sie, Verehrungswuerdiger, diesen Ausdruck meiner fruehgefassten und
+in reiferem Alter nur genaehrten und befestigten Achtung guetig auf.
+
+_Eutin_, am 1. December 1833.
+
+Ludolf Wienbarg.
+
+
+
+
+Vorwort.
+
+
+Wenn die Patrioten bisher ueber die Kluft der Staende, die Rohheit und
+Unempfaenglichkeit Volkes in Niedersachsen mit Recht bittere Klage
+fuehrten, oder im Grossen Verbesserungsplaene entwarfen, so stand ihnen die
+niedersaechsische oder plattdeutsche Volkssprache nur sehr im
+Hintergrunde und kam weder im Guten, noch im Boesen so recht in Betracht.
+Ich glaube nachzuweisen, ja mit Haenden greiflich zu machen, dass sie die
+Wurzel alles Uebels, der Hemmschuh alles Bessern ist.
+
+Gehe hin, meine kleine Schrift, und spreche! Drei Dinge wuensche ich
+dir, Fluegel, Feinde und Freunde. Die Fluegel wuensche ich dir, damit du
+dich nach allen Seiten verbreitest, die Feinde und Freunde, damit du
+nach alten Seiten besprochen wirst.--
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+Bekanntlich sprechen die Bewohner Niedersachsens plattdeutsch und
+hochdeutsch; ersteres als Volkssprache, letzteres als Sprache der
+Bildung. Das Hochdeutsche redet man dialektlos, das heisst Aussprache und
+Schreibung stimmen buchstaeblich ueberein[1]. Anders in Mittel- und
+Sued-Deutschland. Goethe sprach das Hochdeutsche wie ein geborner
+Frankfurter, Schiller wie ein Wirtemberger und noch gegenwaertig hoert
+man's der Sprache der Gebildeten Sued-Deutschlands ab, in welcher Provinz
+sie zu Hause gehoeren. Daher kann man wol behaupten, dass mancher
+niedersaechsische Handwerker _reiner_ hochdeutsch spricht, als der
+Wuerzburger Professor, der Badische Deputirte oder der Bewohner der
+Provinz Meissen selbst, dessen Aussprache doch zu seiner Zeit von
+Gottsched mit dem Privilegium der Klassizitaet begabt worden ist. Allein
+man darf nicht vergessen, dass diese Reinheit eine abstrakte und keine
+lebendige ist, da der Norden fein hochdeutsch im eigentlichen Sinn des
+Worts aus Buechern, zumal aus der lutherischen Bibeluebersetzung gelernt,
+nicht aber wie Mittel- und Sued-Deutschland durch lebendig uralte
+Tradition von Mund zu Mund empfangen hat.
+
+Ist doch die hochdeutsche Sprache selbst keine Sprache provinzieller
+Beschraenktheit, keine blosse Mundart Alt-Meissens, sondern im hoeheren
+Sinn ein Kunstwerk des grossen Reformators, der aus den beiden
+Hauptdialekten des Nordens und Suedens, schon ohnehin im Saechsischen sich
+beruehrend eine Sprache schuf, die, wenn auch mit Vorwalten des
+sueddeutschen Elements, jedem deutschen Ohr zugaenglich und verstaendlich
+sein, die eine gemeinsame Sprache aller Deutschen vorbereiten sollte.
+Aus den edelsten Metallen des unerschoepflichen deutschen Sprachschachtes
+gegossen, ward sie in Luthers Haenden die Glocke, welche die Reformation,
+den dreissigjaehrigen Krieg, die ganze neue Geschichte eingelaeutet hat.
+
+Mehr als den Griechen der Saenger der Odyssee und Ilias muss uns
+Deutschen, Katholiken wie Protestanten, der Uebersetzer der Bibel
+gefeiert sein. Die altionische Sprache gehoerte nicht dem Dichter,
+sondern der Nation an. Die Sprache der Bibeluebersetzung aber musste sich
+erst geltend machen durch die Gewalt des Genius, sie gehoerte Luther an
+in dem Sinn, wie man nur irgend auf diesem Gebiet das Eigentumsrecht fuer
+eine Person in Anspruch nehmen darf.
+
+Denkt euch, Luthers Sprache waere nicht durchgedrungen. Zerrissen waere
+das maechtigste Band, das Sued und Nord umschlingt. Der Norden wuerde
+nichts vom Sueden, der Sueden nichts vom Norden wissen.
+
+Die theuersten Namen, die jetzt im Herzen der ganzen Nation
+wiederklingen, wuerden hie und da in einem Winkel Deutschlands genannt
+werden und etwa die Eitelkeit ihrer Landsleute aufblaehen, alle grossen
+Maenner, die in unserm Vaterlande die Sprache Luthers geredet, alle
+Genien der ernsten und froehlichen Wissenschaft, auf die wir unsern Stolz
+setzen, ja welche die Vorsehung selbst uns zum erhebenden Selbstgefuehl
+erweckt zu haben scheint, wuerden mit vergeblicher Sehnsucht ihre Fluegel
+ueber Deutschland ausgebreitet haben, waeren von ihrer Geburt an zur
+Verschrumpfung und Laehmung bestimmt gewesen. Es ist so viel Unglueck seit
+Luther ueber dieses arme Land hingegangen, dass man zweifeln koennte, ob
+nur der Name Deutschland, Deutscher, ehre. Luthers Schriftsprache,
+dieses Schwerdt, das Wunden schlug und heilte, ueber dem unsaeglicher
+Wirrwarr sich schwebend erhalten hatte.
+
+Das kaiserliche Reichsschwerdt ist zerbrochen, Luthers Sprache ist
+Reichsschwerdt geworden, glanzvoller, schwungreicher, maechtiger,
+gefuerchteter, als je eins in der Hand eines Hohenstaufens oder
+Habsburgers geblitzt hat.
+
+Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, der Muth hat Dich gestaehlt, die
+Freiheit Dich geschliffen, der Kampf Dich erprobt.
+
+Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, rein bist Du von den Blutflecken
+der Religionskriege, rein und gesaeubert vom Geifer theologischer
+Streithaehne, vom Rost des gelehrten und amtlichen Pedantismus.
+
+Fuehrt es ihr Soehne des Lichts, denn ihr seid unueberwindlich mit dieser
+Waffe.
+
+Beruehrt es nicht, ihr Kinder der Nacht, denn es ist scharf und faehrt
+zurueck auf eure eigenen Schaedel.
+
+ * * * * *
+
+Man kann Werth und Wuerde der deutschen Schriftsprache lebhaft anerkennen
+und dennoch wuenschen, dass die ober- und niederdeutschen Dialekte sich im
+Munde des Volkes lebendig erhalten. Ich theile diesen Wunsch nicht. Was
+namentlich die Frage betrift, welche den Gegenstand dieser kleinen
+Schrift ausmacht: "_ist die niedersaechsische Volkssprache zu pflegen
+oder auszurotten?_" so antworte ich aus innigster Ueberzeugung und aus
+Gruenden, welche ich darlegen werde: _sie ist auszurotten, durch jedes
+moegliche Mittel auszurotten_.
+
+Verstaendigen wir uns ueber etwas sehr Wesentliches. Dass die plattdeutsche
+Sprache der Zeit verfallen und aussterben wird, ist keine Frage mehr.
+
+Eine jede Sprache, die nicht Schriftsprache, Sprache der Bildung, des
+gerichtlichen Fortschrittes, der politischen, religioesen,
+wissenschaftlichen, artistischen Bewegung ist, muss bei dem Stand und
+Gang unserer Kultur einer Schrift- und Bildungssprache Platz machen, muss
+wie die frisische in Holland, wie die zeltische in Bretagne, die
+baskische in Spanien allmaehlig aussterben. Auszusterben ist das
+nothwendige und natuerliche Schicksal der plattdeutschen Sprache. Nichts
+kann sie vom Untergang retten. Schreibt plattdeutsche Lustspiele,
+Idyllen, Lieder, Legenden--umsonst; das Volk liest euch nicht--liest es
+nur den Reineke de Vos?--ihr begruendet keine plattdeutsche Literatur,
+ihr macht die verbluehende Sprachpflanze durch euren poetischen Mist
+nicht bluehender--sie wird aussterben. Ihr preiset diese Sprache als alt,
+ehrlich, treu, warm, gemuethlich, wohlklingend--ihr habt Recht oder
+nicht--sie wird aussterben. Das ist das unerbittliche Gesetz der
+Notwendigkeit.
+
+Allein, es ist wahr, das Nothwendige ist nicht immer das
+Wuenschenswerthe. Gar vieles begiebt sich in Natur und Geschichte mit
+Nothwendigkeit, was nicht bloss die Klage des Thoren, sondern auch den
+gerechteren Schmerz des Weisen erregt. Immer ist es des denkenden
+Menschen wuerdig, sich dessen, was geschehen wird und muss, bewusst zu
+werden, immer der sittlichen Kraft und Wuerde desselben schaedlich und
+unwuerdig, sich willen- und wunschlos vor der Nothwendigkeit zu beugen.
+Nicht selten gelingt Aufschub Vertagung, wo auch nicht, der Mensch darf
+sich frei sprechen von Leichtsinn, traeger Sorglosigkeit, er hat sich das
+Recht und die Beruhigung erworben, _animam salvavi_ auszurufen.
+
+Darum frage ich eigentlich, ist es wuenschenswerth, dass Niedersachsens
+alte Sprache sich aus der Reihe der lebendigen verliert; wenn das, soll
+man ihren Untergang der Zeit ueberlassen oder soll man diesen
+beschleunigen; wenn letzteres, welches sind die Mittel dazu?
+
+ * * * * *
+
+Um die deutsche Gemuethlichkeit ist es ein schoenes Ding und was kann
+namentlich dem Niedersachsen gemuetlicher sein, als seine angeborne
+Sprache. Doch ein schoeneres Ding ist der muthige Entschluss, die
+Gemuethlichkeit einstweilen auszuziehn, wenn sie uns zu _enge_ wird.
+
+Grade das behaupte ich von der und gegen die plattdeutsche Sprache. Sie
+ist dem Verstand der Zeit laengst zu enge geworden, ihr Wachsthum hat
+bereits mit dem sechszehnten Jahrhundert aufgehoert, sie kann die
+geistigen und materiellen Fortschritte der Civilisation nicht fassen,
+nicht wiedergeben _und daher verurtheilt sie den bei weitem groessten
+Theil der Volksmasse in Norddeutschland, dem sie annoch taegliches Organ
+ist, zu einem Zustande der Unmuendigkeit, Rohheit und Ideenlosigkeit, der
+vom Zustand der Gebildeten auf die grellste und empoerendste Weise
+absticht._
+
+Habe ich Recht ober Unrecht? Steht es nicht so mit dem Volk in Hannover,
+Westphalen, Meklenburg, Holstein u.s.w.? Wurzelt nicht das Hauptuebel im
+absoluten Unvermoegen der taeglichen Umgangssprache, den noethigsten
+Ideenverkehr zu bewerkstelligen?
+
+Dass ich in beiden Unrecht haette. Aber den Stein, den diese Anklage gegen
+die plattdeutsche Sprache als eine Feindin der Volksbildung, der
+geistigen Thaetigkeit erhebt, derselbe gewigtige Stein muss erhoben werden
+von jedem Niedersachsen, jedem Deutschen, dem der materielle und
+geistige Zustand von Millionen Bruedern, dem die Gegenwart und die
+Zukunft Deutschlands nicht gleichgueltig ist.
+
+ * * * * *
+
+Halte ich einen Augenblick inne. Ob diese Schrift auch Leser findet, die
+in hohe aristokratische Privilegien eben in dem geruegten Gebrechen, eben
+in dem Umstand, dass die plattdeutsche Sprache seit drei Jahrhunderten
+nichts gelernt, eine Tugend derselben entdecken? Soll ich Ruecksicht auf
+solche Leser nehmen? Soll ich die reine Absicht, die mir vorschwebt,
+durch alle Blaetter mir verbittern?
+
+Aber es giebt solche, du kennst solche! Wolan denn, mache ich es gleich
+und auf einmal mit ihnen ab.
+
+Ja, ihr Herren, diese Sprache hat nichts gelernt seit dem sechszehnten
+Jahrhundert, sie hat sich mit keiner einzigen Idee, keinem einzigen
+Ausdruck der neuen Geschichte bereichert, sie hat nicht einmal ein Wort
+fuer Bildung, nicht einmal ein Wort fuer Verfassung--ja, ihr Herren, sie
+ist noch ganz und gar die Sprache des sechszehnten Jahrhunderts, die
+Sprache der Hetzjagden, der Peitschenhiebe, der Hundeloecher, die Sprache
+des Bauernkrieges und--spuert ihr nichts vom kurzen Takt der
+Dreschflegel darin, und seht ihr nicht etwas von kurzem Messer,
+geschwungener Sense, geballter Faust als Titelvignette vor den Ausgaben
+plattdeutscher Lexika paradiren?--Taeuscht euch nicht, sie ist noch immer
+die Sprache des sechszehnten Jahrhunderts und schleppt die gebrochenen
+Ketten sichtbar mit sich umher, und pfluegt und ackert jeden Fruehling und
+jeden Herbst den alten Grimm in die alten Furchen hinein. O sie ist
+schrecklich treu, schrecklich dumm und gemuethlich; aber lasst euch sagen,
+sie hat wenig Religion, nur sehr wenig und sie kennt, wenn sie wild
+wird, den Teufel besser als den lieben Gott. Worueber ihr euch nicht sehr
+zu verwundern habt; denn als sie katholisch war, da war das
+Christenthum, die Messe naemlich, lateinisch und als sie lutherisch
+wurde, wurde das Christenthum, Predigt und Katechismus hochdeutsch.
+Bedenkt auch nur, betet denn gegenwaertig ein einziger Bauer oder
+Bauernknecht das Vaterunser und den Glauben in der Sprache, worin er
+seinen Gevatter bewillkommt, im Kruge Schnaps und Bier fordert oder dem
+Steuereinnehmer einen derben Fluch zwischen den Zaehnen hinterherschickt?
+Wahr ist es also, diese Sprache hat nichts gelernt, allein sie hat auch
+_nichts vergessen_, es sei denn ihre alten Lieder, ihren froehlichen
+Gesang und eben das Vaterunser, das sie frueher doch, wie ich glaube, hat
+beten koennen.
+
+Nehmt euch ein Bild zu Herzen, das ich euch,--das ich Allen vorhalte.
+
+Eine Sprache, die stagnirt, ist zu vergleichen mit einem See, dem der
+bisherige Quellenzufluss versiegt oder abgeleitet wird. Aus dem Wasser,
+worueber der Geist Gottes schwebte, wird Sumpf und Moder, worueber die
+unreinen Geister brueten. Der Wind mag wehen woher er will, er gleitet
+spurlos ueber die stuermisch gruene Decke hin Der Himmel ist blau und
+heiter oder stuermisch gefaerbt, das ruehrt ihn nicht, keine Sonne keine
+Wolke spiegelt sich mehr auf der trueben Flaeche. Bild der
+Unzufriedenheit, der Gleichgueltigkeit, der Tuecke, der Gefahr. Wehe dem
+Mann, _der im Trueben fischen will_ und ausgleitet--was helfen ihm
+ruestige Arme, Schwimmkunst, er versinkt, er erstickt im tauben Schlamm.
+
+Die Sprache ist das Volk.
+
+ * * * * *
+
+Ja wohl, die Sprache ist das Volk und es gab eine Zeit wo das
+niedersaechsische Volk und die niedersaechsische Sprache poetisch waren.
+Das ist sehr lange her, die Zeit war heidnisch und der Germane von
+Poesie, Muth, Stolz und Freiheit durchdrungen. Die kuehnsten Gedichte aus
+dieser "rauhen Vorzeit," wenn gleich schon vom Duft der Klostermauern
+angewittert und durch Moenchsfedern auf die Nachwelt gekommen, verraten
+niedersaechsischen Dialect.
+
+Ich weiss nicht ob viele meiner Leser sich Begriff und Vorstellung machen
+von der wunderbaren Natur einer Sprache, die einem vermeintlich
+barbarischen und rohen Sittenzustande angehoert. Diese muessen mir, und
+wenn nicht mir, Jakob Grimm, dem Linnaeus der deutschen Sprachgeschichte
+auf's Wort zu glauben, dass keine Sprache gegenwaertig auf dem Erdboden
+gesprochen wird, die an Bau und Kuenstlichkeit jener alt-plattdeutschen
+Sprache das Wasser reichte. Die grammatische, innerliche Gediegenheit
+hatte sie mit den aeltesten Grundsprachen und mit ihrer oberdeutschen
+Schwester gemein und uebertraf diese vielleicht an Klang, Kraft und
+Wohllaut. Allein, das Schicksal wollte ihre Schwester erheben und sie
+fallen lassen. Jene hat im Verlauf der Zeit auch unendlich viel von
+ihrer leiblichen Schoenheit und jugendlichen Anmuth eingebuesst, allein sie
+hat Gewandtheit, Schnelle, Feinheit des Ausdrucks, Begriffsschaerfe,
+vermehrte Zahl der Combinationen zum Ersatz dafuer eingetauscht. Die
+niedersaechsische Sprache dagegen hat ihre Jugend und staehlerne Kraft
+verloren; ohne an Verstand und innerer Feinheit zu gewinnen. Ihre
+grammatischen Formen wurden zerstoert und in noch hoeherem Grade, als die
+der Schwestersprache, aber ohne dass man bemerken konnte, dass der scharfe
+Gaerungsprozess der antiheidnischen neueuropaeischen Bildungsfermente an
+der Aufloesung einigen Antheil genommen, sondern ersichtlich und durch
+dumpfes truebes Verwittern, das auch Holz und Stein und alles Leblose
+oder Absterbende allmaehlig abnagt und zerfrisst.
+
+Als die althochdeutsche Sprache in die mittelhochdeutsche ueberging,
+schaute diese als Siegerin auf dem Turnierplatze des deutschen Geistes
+umher, sie war es geworden ohne Kampf. Sprache des maechtigsten und
+kunstliebendsten Kaiserhauses, lebte sie im Munde der Fuersten, Ritter,
+Saenger mit und ohne Sporn, Saenger mit und ohne Krone, welche die
+elegante Literatur ihres Zeitalters begruendeten, war sie, was mehr sagen
+will, die Sprache des Nibelungenliedes und anderer deutschen
+Nationalgedichte, welche mit Ausnahme jener aeltesten Reliquien theils
+nie, theils nur in spaeterer Uebersetzung im Plattdeutschen schriftsaessig
+wurden.
+
+Welcher Bann, frage ich, lag ueber der niedersaechsischen Literatur?
+Derselbe Bann, der ueber dem Volk und seiner Geschichte lag. Es sollte
+die maechtige Naturkraft, die einst diesen Stamm beseelte, stocken und
+starren und als trueber Bodensatz des germanischen Geistes zurueckbleiben.
+
+Welche Kette von Hemmnissen, betaeubenden und zerreissenden
+Ungluecksschlaegen nur bis zum sechszehnten Jahrhundert!
+
+Karl des Grossen Sachsenkrieg, gewaltsam blutige Ausrottung des
+Wodandienstes ohne wahrhafte Anpflanzung der Christusverehrung, Sachsen
+und Slaven stossen sich hin und her und mischen sich unter einander, die
+alte Sachsenfreiheit schwindet, die Leibeigenschaft nimmt furchtbar
+ueberhand, der Krumstab zu Bremen ist schwach und gewaehrt keinen Schutz,
+das saechsische Kaiserhaus uebertreibt die Grossmuth und entaeussert sich
+seiner zu Wuerde und Glanz so nothwendigen Stammbesitzungen, Heinrich der
+Loewe, die welfische Macht geht unter, deren Sieg ueber die
+hohenstaufische Norddeutschland so gehoben haette wie ihre Niederlage
+Sueddeutschland emporbrachte, selbst der belebende Einfluss der Hansa
+zeigt sich nur im Sinnlichen, nicht im Geistigen wohlthaetig, ihr
+Seehandel nach dem Norden macht sie nur mit Voelkern und Sitten bekannt,
+die noch roher waren, als sie selbst; Dagegen Sued-Deutschlands
+Handelsstaedte, Nuernberg, Augsburg mit dem hoch gebildeten Oberitalien
+in Verkehr standen.
+
+Und nach dem fuenfzehnten Jahrhundert! Muss ich nicht Luther selbst und
+die Reformation voranstellen? Darf ich verschweigen, dass die
+_unmittelbaren_ Wirkungen dieser auf Jahrtausende hinaus wirkenden
+Begebenheit, wie fuer ganz Deutschland, so insbesondere auch fuer
+Niedersachsen nicht gluecklich, nicht segenbringend waren? Welch ein
+Gemaelde des Innern: rabulistische Theologen, hexenriechende
+Juristen, blutduerstige Obrigkeiten, dumpfer Hass, aechzende
+Kirchengesaenge, furchtbarer Wahnglaube an Zauberei, Bezauberung und
+Teufelsbesessenheit[2]. Welch ein Gemaelde des Aeusseren: der
+dreissigjaehrige Krieg, Magdeburgs Untergang, Schwedens Besitznahme
+norddeutscher Staedte und Provinzen, Hannovers Verwandlung aus frueherem
+Reichslehn in einen Familienbesitz englischer Koenige, wie schon frueher
+und vor Luther Nordalbingien in einen Familienbesitz daenischer Koenige,
+selbst Brandenburgs steigende Groesse, die zu guter letzt die Wagschaale
+der Macht und des politischen Einflusses ueberwiegend auf jene
+nordoestlichen Provinzen Deutschlands niedersenkte, die von slavischer
+Stammbevoelkerung urspruenglich der Wurzelkraft des germanischen Lebens
+entbehrten, aber durch Aussaugen und Anziehen germanischer Saefte und
+Kraefte sich konsolidirt und ausgebildet hatten.
+
+Lasse ich die schwere Kette fallen, es fehlt ihr so mancher Ring, dessen
+Ergaenzung ich dem Geschichtforscher ueberlasse.
+
+Wie konnte, bei einer solchen Zahl und Reihe von Schicksalen der
+niedersaechsische Stamm gedeihen, wie konnte sich eine eigentuemliche
+Literatur unter ihm geltend machen[3], wie konnte die Volkssprache
+selbst sich der Entwuerdigung und Verschlechterung entziehen? Auf welcher
+Bildungsstufe muesste die neuere Zeit Volk und Sprache antreffen, wie tief
+unter der noethigsten Fassungskraft, wie selbst ohne Ahnung dessen, was
+zur Begruendung und Sicherung eines verbesserten Staatslebens
+elementarisch vorauszusetzen?
+
+ * * * * *
+
+Allein, hoere ich Jemand einwerfen, wenn auch die plattdeutsche Sprache
+ganz dem Bilde gleicht, das du von ihr entworfen, wenn sie _selbst_ auch
+unfaehig ist, Element der Volksbildung zu sein, so erwartet eigentlich
+auch Niemand dieses Geschaeft von ihr, das ja von der allgemein
+verbreiteten und verstandenen hochdeutschen Sprache laengst uebernommen
+und verwaltet wurde.
+
+Antwort: uebernommen aber nicht verwaltet. Damit behauptet man einen
+Widerspruch gegen alle Vernunft und Erfahrung. _Selbst die allgemeinste
+Erlernung und Verbreitung der hochdeutschen Sprache uebt so lange gar
+keinen oder selbst nachteiligen Einfluss auf die Volksbildung, als neben
+ihr Plattdeutsch die Sprache des gemeinen Lebens bleibt._
+
+Allerdings wird die hochdeutsche Sprache als Organ der Volksbildung
+ueberall in Niedersachsen angewendet. Es gibt wol wenig Doerfer, wo die
+Jugend nicht Gelegenheit findet, das Hochdeutsche ein wenig verstehen,
+ein wenig sprechen, ein wenig lesen und ein wenig schreiben zu lernen.
+Die Leute muessen wol. Amtmann, Pfarrer, Bibel, Gesangbuch, Katechismus,
+Kalender sprechen hochdeutsch. Ohnehin sind die Kinder schulpflichtig
+und beim Hobeln setzt es Spaehne ab.
+
+Allein, Jedermann weiss, plattdeutsch bleibt ihr Lebenselement. Das
+sprechen sie unter sich, zu Hause, im Felde, vor und nach der Predigt.
+Das kommt ihnen aus dem Herzen, dabei fuehlen sie sich wohl und
+vergewissern sich, dass sie in ihrer eigenen Haut stecken, was ihnen,
+sobald sie hochdeutschen, sehr problematisch wird.
+
+Der erste Schulgang macht in der Regel auch die erste Bekanntschaft mit
+der hochdeutschen Sprache. Mit Haenden und Fuessen straeubt sich der Knabe
+dagegen. Ich bedaure ihn, er soll nicht bloss seine bisherige Freiheit
+verlieren, unter die Zuchtruthe treten, buchstabiren lernen, was auch
+andern Kindern Herzeleid macht; er soll ueberdies in einer Sprache
+buchstabiren und lesen lernen, die er nicht kennt, die nicht mit ihm
+aufgewachsen ist, deren Toene er nicht beim Spiel, nicht von seiner
+Mutter, seinem Vater, seinen kleinen und grossen Freunden zu hoeren
+gewohnt war. Alles was er von diesem Augenblick an liest, lernt, hoert in
+der Schule und unter den Augen des Lehrers, klingt ihm gelehrt, fremd,
+vornehm und tausend Meilen von seinem Dorf entfernt. Dass der rothe Hahn
+in seiner Fibel _kraeht_ und der lebendige in seinem Hause _krait_,
+scheint ihm sehr sonderbar. In der Bibel nennen sich alle Leute _du_,
+der Unterlehrer sagt zum Oberlehrer _sie_, er aber ist gewohnt, bloss
+seine Kameraden zu dutzen, Vater, Mutter und andere Erwachsene mit _he_
+und _se_ anzureden. Kommt an ihn die Reihe zu lesen, laut zu lesen, so
+nimmt er die Woerter auf die Zunge und stoesst sie heraus wie die Scheiben
+einer Frucht, die er nicht essen mag, weil er sie nicht kennt. Was er
+auswendig lernt, lernt er nicht einwendig. Was ihm allenfalls noch
+Vergnuegen macht, ist der gemeinschaftliche Gesang am Schluss der Schule
+und auf Kirchbaenken. Von Natur mit einer hellen durchdringenden Stimme
+begabt, wetteifert er mit dem Chor um die hoechsten Noten, betaeubt seinen
+Kopf und findet eine Art Vergnuegen und Erholung darin, dieselben Verse
+des Gesangbuches bloss herauszuschreien, die er zu anderer Zeit auswendig
+lernen muss.
+
+Erreicht er das gesetzliche Alter, so wird er konfirmirt. Wer ist froher
+als er. Nun tritt er voellig wieder in das plattdeutsche Element zurueck,
+dem er als Kind entrissen wurde. Er hat die ersten Forderungen des
+Staates und der Kirche erfuellt. Er hat seinen Taufschein durch seinen
+Confirmationsschein eingeloes't. Ersteren bekam er ohne seinen Willen zum
+Geschenk, um letzteren musste er sich, auch wider seinen Willen, redlich
+abplacken.
+
+Auf beide Scheine kann er spaeter heiraten und Staatsbuerger werden.
+
+Was ist die Frucht dieses Unterrichts? Er hat rechnen, lesen und
+schreiben gelernt. Er kann auch lesen und schreiben, aber er lies't und
+schreibt nicht. (Umgekehrt der franzoesische Bauer, der kann nicht lesen,
+aber er laesst sich vorlesen). Ich frage also, was ist die Frucht dieses
+hochdeutschen Unterrichts? Welchen Einfluss uebt derselbe auf sein
+Geschaeft, auf seine Stellung als Familienvater, Staatsbuerger, Glied der
+Kirche, der sichtbaren, wie der unsichtbaren?
+
+Folgen wir ihm, wenn er aus der Kirche kommt. Die Predigt ist
+herabgefallen, der Gesang verrauscht wie ein Platzregen auf seinen
+Sonntagsrock, zu Hause zieht er diesen aus und haengt ihn mit allen
+Worten und himmlischen Tropfen, die er nicht nachzaehlt, bis zum
+kuenftigen Sonntag wieder an den Nagel. Frage: kann er die hochdeutsche
+Predigt hochdeutsch durchdenken, spricht er mit Nachbaren, mit Frau und
+Kindern hochdeutsch vom Inhalt derselben, ist er gewohnt und geuebt, ist
+er nur im Stande, den religioesen Gedankengang in's Plattdeutsche zu
+uebersetzen? Antwort: schwerlich. Frage: hat ihn die Predigt das Herz
+erwaermt, den Verstand erleuchtet? Antwort ein Schweigen. Armer Bauer,
+vor mir bist du sicher, ich lese dir darueber den Text nicht. Kannst du
+etwas dafuer, dass der Kanzelton nicht die Grundsaite deines Lebens
+beruehrt, dass jener Nerv, der von zart und jung auf gewohnt ist, die
+Worte der Liebe, der Herzlichkeit, des Verstaendnisses in dein Inn'res
+fortzupflanzen, nicht derselbe ist, der sich vom Klang der hochdeutschen
+Sprache ruehren laesst. Wer auf der Gefuehlsleiter in deine Herzkammer
+herabsteigen will, muss wollene Struempfe und hoelzerne Schuh anziehen, in
+schwarzseidenen Struempfen dringt man nicht bis dahin. Wuesste man nur,
+begriffe man nur, wie es in deinem einfaeltigen Kopf zusteht und dass die
+hochdeutschen Woerter und die plattdeutschen Woerter, die du darin hast
+sich gar nicht gut mit einander vertragen, sich nicht verstehn und sich
+im Grund des Herzens fremd, ja feind sind. Die plattdeutschen Woerter
+sind deine Kinder, deine Nachbaren, dein alter Vater, deine selige
+Mutter, die hochdeutschen sind der Schulmeister, der Herr Pastor, der
+Herr Amtmann, vornehme Gaeste, die dir allzuviel Ehre erweisen, in deinem
+schlechten Hause vorzukehren, mit dir vorlieb zu nehmen, Woerter in der
+Perruecke, in schwarzem Mantel, welche deine und deiner plattdeutschen
+Wort Familie Behaglichkeit stoeren, dich in deiner Luft beeintraechtigen,
+dir bald von Abgaben, bald von Tod und juengsten Gericht vorsprechen,
+Grablieder ueber deinen Sarg singen werden, ohne sich ueber deine Wiege
+gebueckt und _Eia im Suse_ und andere Wiegenlieder gesungen zu haben.
+Armer Bauer, ich habe dich immer in Schutz genommen und diese Schrift,
+obgleich du sie nicht lesen wirst, ist eigentlich nur fuer dich und zu
+deinem Heil und Besten geschrieben. Viele Leute aus der Stadt klagen
+dich an, dass du trotz deiner Einfalt verschmizt bist, trotz deiner
+Rohheit nicht weniger als Kind der Natur bist, sie sagen, dass du dir
+eine und die andere Gewissenlosigkeit gar wenig zu Herzen nimmst. Aber
+ich habe ihnen immer geantwortet, unser Bauer hat nicht zu wenig
+Gewissen, er hat zu viel. Er hat zwei Gewissen, ein hochdeutsches und
+ein plattdeutsches, und das eine ist _ihm_ zu fein, das andere _uns_ zu
+grob und dickhaeutig. Zu diesem wird ihm in seinem eigenen Hause der
+Flachs gesponnen, jenes webt ihm die Moral und die Dogmatik; in dem
+einen sitzt er wohl und warm und es ist sein Kleid und Brusttuch so
+lange er lebt, in dem andern friert ihn und er haelt es nur deswegen im
+Schrank, um damit einmal anstaendig unter die Schaar der Engel zu treten.
+
+Ist ihm sein Verhaeltniss zum Staat durch den hochdeutschen Unterricht
+vielleicht klarer geworden, als sein Verhaeltniss zur Kirche? Erwirbt er
+sich durch das hochdeutsche Medium, das einzige, das ihm Aufschluesse
+ueber eine so wichtige Angelegenheit geben kann, Kenntnisse von seinen
+Rechten und Pflichten im Staats-Verein, ist ihm dadurch ein Gefuehl von
+Selbststaendigkeit, ein Bewusstsein von den Grenzen der Freiheit und des
+Zwanges, von Gesetz und Willkuehr aufgegangen, Gemeinsinn geweckt: sein
+dumpfes egoistisches Selbst zu einem Bruderkreise erweitert, der Wohl
+und Weh an allen Gliedern zugleich und gemeinschaftlich spuert? _Wie_ das
+alles? Seine Beamte klaeren ihn nicht auf und er selber--er liest nicht,
+er nimmt keine Schrift, kein Blatt zur Hand, er laesst sich auch nicht
+vorlesen, das ist gelehrt, hochdeutsch, geht ueber seinen Horizont, laesst
+sich nicht weiter besprechen, sein Verstand hat kaum einen Begriff,
+seine Sprache kein analoges Wort dafuer. Armer Bauer. Und wenn Wunder
+geschaehen und die tausend Stimmen der Zeit, die fuer dich und an dich
+gesprochen, dein Ohr nicht erreichen, wenn sie sich verwandelten und
+ergoessen in eine goettliche Stimme, die vom Himmel riefe: Bauer, hebe dein
+Kreuz auf und wandle--du wuerdest liegen bleiben und sprechen: das ist
+hochdeutsch.
+
+Wie er seine Acker vorteilhafter bestellen, seine Geraethe brauchbarer
+einrichten, nuetzlicher dieses und jenes betreiben, wohlfeiler dieses und
+jenes haben koenne, das lehren ihn Blaetter und Schriften, von
+Gesellschaften oder Einzelnen herausgegeben, vergebens: er liest sie
+nicht. Schlaegt man ihm sonstige Verbesserungen und Veraenderungen vor, so
+schuettelt er den Kopf und bleibt starrsinnig beim Alten. _Dat geit nich,
+dat wil ik nich, dat kan ik nich, ne dat do ik nich_; unglueckselige,
+stupide Worte, wie viele beabsichtigte Wohlthaten macht ihr taeglich
+scheitern, habt ihr scheitern gemacht. Unseliger Geist der Traegheit, der
+hier mit der Sprache Hand in Hand hinschlentert, mit dieser vereint,
+durch diese gestaerkt allem Neuen und Bewegenden Feindschaft erklaert.
+Wann erlebt der Menschenfreund, dass dieses unsaubere Paar geschieden
+wird. Wann erscheint die Zeit, wo diese Eselsbruecke zwischen Gestern und
+Vorgestern abgebrochen wird, wo die einzig; moegliche Verbindungsstrasse
+zwischen der heutigen Civilisation und dem norddeutschen Bauer, die
+hochdeutsche Sprache, diesem wahrhaft zugaenglich gemacht wird? Aermster,
+ich klage dich ja nicht an, ich bedaure dich ja nur.
+
+Oder muss es so sein, muss der deutsche Bauer ein Klotz, ich sage ein
+Klotz bleiben. Ist es sein ewiges Schicksal nur die Plage des Lebens und
+nicht dessen Wohlthaten zu geniessen? Wird sich nicht einmal seine
+enggefurchte Stirn menschlich erheitern, ist es unvereinbar mit seinem
+Stande, seinem Loose, gebildeter Mensch zu sein, mit gebildeten Menschen
+auf gleichem Fuss zu leben, sich nicht allein mit Spaten und Pflug,
+sondern auch mit Kopf und Herzen zu beschaeftigen?
+
+ * * * * *
+
+Das sind sehr exotische Ideen in Niedersachsen! Ich weiss, ich weiss. Ich
+will sie aber aussprechen, ich will sie vertheidigen, ich will das
+Meinige dazu thun, dass _einheimische_ Ideen, Fragen und Wuensche daraus
+werden. Lange genug ist die Bildung ein ausschliessliches Vorrecht
+einiger Menschen, gewisser Staende gewesen. Das muss aufhoeren, gebildet
+sollen alle Menschen sein, gelehrt wer will. Volksbildung, und nicht
+bloss wie bisher Volksunterricht, soll und wird das Ideal, das
+Feldgeschrei der Zeit werden. Unsere Gelehrten, unsere Beamte, unsere
+guten Koepfe unter den Schriftstellern werden ihren Hochmuth fahren
+lassen, sich des Volkes erbarmen, und sich einmal erinnern, dass sie
+selber in der Mehrzahl aus dem Volke stammen. Noch im vorigen
+Jahrhundert gab sich so ein Gelehrter, Philosoph, Dichter, der
+vielleicht aus dem dunkelsten Stande geboren war, die laecherliche Miene,
+als ob er unmittelbar aus dem Haupt des Gottes der Goetter entsprungen
+sei und den Olymp besser kenne, als das Haus der armen Frau: die ihn mit
+Schmerzen geboren und mit Thraenen, Sorgen und Entbehrungen gross gezogen
+hatte. Kein Dichter stuermte seinen Schmerz und Unmuth ueber die
+Erniedrigung des Volks in die Saiten, kein Gelehrter schaemte und graemte
+sich, die ihm von Natur naechsten und liebsten Wesen von sich getrennt zu
+sehn durch eine ungeheure geistige Kluft, welche nur die Bildung der
+alten und neuen Welt auszufuellen vermogte. Lessing schreibt den Nathan,
+und beweist, dass der Jude eben so viel Ansprueche habe auf den Himmel als
+der Christ, aber er schreibt nichts, worin er beweist, dass der Bauer,
+sein Vetter, eben so viel Ansprueche habe den Nathan zu lesen, als der
+vornehme und gebildete Stadtmensch. Winkelmann steht am Fusse des
+Vatikans und erfuellt die Welt mit Orakelspruechen ueber die Schoenheiten
+des Apoll von Belvedere, ueber das goettliche zornblickende Auge, die
+geblaehten Nasenfluegel, die veraechtlich aufgeworfene Unterlippe, "eben
+hat er den Pfeil abgesandt nach den Kindern der Niobe, noch ist sein Arm
+erhoben," und im selbigen Augenblicke vielleicht, als er dieses spricht,
+hebt sein Vater, ein armer Altflicker, gedrueckt und gebueckt ueber den
+Leisten hingebogen, Pfriem und Nadel in die Hoehe, blickt mit
+geisttodten, stumpfen Augen auf einen Kinderschuh und gewaehrt den
+Anblick eines Menschen, gegen den gehalten der letzte Sclave des
+Praiteles, der an die Palaeste der altroemischen Grossen wie ein Hund
+angekettete Thuerwaechter apollinische Gestalten waren.
+
+Volksbildung, o das Wort hat einen griechischen Klang in meinen Ohren
+und ich muss daher fast bezweifeln, ob es auch von meinen Landsleuten
+gehoerig verstanden wird. Schulleute und Gelehrte werden schon wissen,
+was ich meine, ich brauche nur die Woerter zu nennen: [Griechisch:
+gymnasticha], _studia liberalia, id est_, wie mein alter Schuldirektor
+glossirend hinzufuegte, _studia libero homine digna_. Fuer das groessere
+Publikum muss ich mich wol zu einer etwas umstaendlichern Erklaerung
+anschicken und besonders fuer diejenigen, welche nicht begreifen, wie das
+Volk nicht bloss unterrichtet, in Lesen und Schreiben geuebt, sondern auch
+gebildet werden solle.
+
+Zur Volksbildung, wie zu jeder Bildung gehoert zweierlei, etwas Negatives
+und etwas Positives. Sage ich aber vorher, dass ich die Saiten nicht zu
+hoch spanne und dass ich so dem natuerlichen Muthwillen der Knaben die
+ganze koerperliche Gymnastik, und der Gunst der Goetter ihren
+Schoenheitssinn, ihre musikalische Praxis und dergleichen ueberlasse. Im
+Negativen ist die Aufgabe der Bildung, die _vis inertiae_ der rohen
+Natur vertreiben und bezwingen zu helfen--das Kapitel ist weitlaeufig--es
+besteht aber die _vis inertiae_, die Erbsuende des menschlichen
+Geschlechts, darin, dass im Allgemeinen der ungebildete Mensch--was nun
+gar der norddeutsche Bauer--Selbstdenken scheut, Vorurtheile pflegt,
+fremde Meinungen herleiert, Thier der Gewohnheit, tausendstes Echo,
+Sclave von Sclaven ist, besteht, wie schon die Bibel sagt, darin, dass er
+Augen hat zu sehen und nicht sieht, Ohren um zu hoeren und nicht hoert,
+besteht, um alles kurz zusammenzufassen, darin, dass er sich seines
+eigenen Verstandes, seines eigenen Gefuehls, seines eigenen Willens nur
+in den wenigsten Augenblicken des Lebens bewusst wird.--Der weichenden
+Kraft der Traegheit folgt, wie eine elastisch nachdrueckende Feder, die
+allmaehlich hervorspringende Kraft der Thaetigkeit. Diese soll beschaeftigt
+werden, _angemessenen_ Stoff finden, eine _bestimmte Richtung_ erhalten.
+Das ist das Geschaeft der Bildung im Positiven, das ist das Saeen des
+Weizenkorns, wenn der Acker von Steinen gereinigt, von unfruchtbarer
+traeger Last befreit, durchbrochen, gepfluegt und gefurcht. Trieb, Lust
+und Kraft zum Verarbeiten des Saamenkorns in sich spuerte. Mensch und
+Acker, diese beiden uraeltesten, natuerlichsten und durch den religioesen
+Stil aller heiligen Urkunden gleichsam geweihten Vergleichungsobjekte,
+sind sich hauptsaechlich darin aehnlich, dass der Schoepfer ueber beide das
+Wort ausgesprochen hat: erst gepfluegt und dann gesaeet--erst den starren
+traegen Zusammenhang der Oberflaeche, der Gemuethsdecke durchbrochen, dann
+hinein mit dem lieben Korn und--jedem Feld das seinige nach Art des
+Beduerfnisses, nach Guete und Beschaffenheit des Bodens[4].
+
+Lehrer, wollt ihr mehr als Lehrer, wollt ihr Bildner des Volks sein,
+lehrt denken, denken und abermals denken. Gedankenlosigkeit fuer eine
+Suende, bestraft sie wie einen Fehler, bindet meinetwegen euren Schuelern
+ein symbolisches Brett vor den Kopf oder stellt sie mit dem Kopf an die
+bretterne Wand, oder haengt ihnen, wie die Englaender thun, Eselsohren an,
+oder setzt sie, wie unsere Alten thaten, mit dem Steiss auf hoelzerne Esel
+und vor allen Dingen, huetet euch, selbst die Esel zu sein.
+
+Ich bin aber gar nicht gesonnen, bloss den Lehrern _ex professo_ die
+Volkserziehung anheim zu stellen--ihnen dieselbe auf den Stuecken zu
+laden, sollte ich wol sagen, bedenke ich das Loos so vieler tausend
+braven Maenner, die bei kuemmerlichem Brod ihre taegliche Noth und Sorge
+haben. Nur immer die Lehrer, nur alles auf ihre Kappe, nur alle Sorge,
+allen schlechten Erfolg der Erziehung auf ihren Antheil gewaelzt. Das ist
+bequem, bequem freilich, aber nicht patriotisch. Jeder Patriot ist
+gelegentlich und er sucht die Gelegenheit--Erzieher, Bildner der
+Menschen, in deren Umgebung er lebt, hier hebt er einen Stein auf, dort
+ist sein Wort eine Pflugschaar, welche ein Stueck harter Kruste aufreisst,
+dort ein Saamenkorn, das sich heimlich und zu einstiger Frucht in die
+Spalten des Gemueths einsenkt.
+
+Volksbildung, Wunsch meiner Wuensche, Ideal, nicht traeumerisches,
+abgoettisches, rueckwaerts gewandtes, aufwaerts in den leeren Himmel
+blickendes, ich glaube an Dich; Ideal, das keinem Dichter vielleicht
+Stoff zum Besingen gibt, das vielleicht unter der Wuerde des
+Metaphysikers steht, das die scholastische Zunft Ketzerei schilt und der
+Politiker belaechelt, Ideal meiner Seele, Ideal aller Patrioten, im Namen
+aller spreche ich es aus, ich glaube doch und noch immerfort an Dich.
+
+Lasst ihr gebildeten Niedersachsen die alten Feudalvorurtheile ueber den
+Stand eurer Bauern die unreifen Ansichten ueber ihre Bildungsfaehigkeit
+fallen und fahren; erstere sind so roh, wie leider der Bauernstand jetzt
+noch selber, letztere so intellektuell hochmuethig, wie man nur immer von
+einem Stand exklusiv Gebildeter im und ueber'm Volk erwarten kann.
+Bedenkt aber, was ich sage. Ein Leibnitz, zehn Jahr mit sich allein im
+dunkeln feuchten Kerker, kann so dumm und albern werden, dass
+Gaensejungen und Kuhhirten ihren Witz an ihm versuchen. Nun, Monaden
+sollen unsere Bauern freilich nicht erfinden, Leibnitze nicht werden,
+aber doch mit denselben Atomen _ihres Hirns_ ueber die Erscheinungen in
+der Welt, ueber Natur und Staat ihre Begriffe zusammensetzen, verbinden
+und aufloesen, Gedanken bilden, Urtheile faellen und ueberhaupt sollen sie
+geistige Operationen vornehmen, welche in Leibnitzens Kopf schaerfer oder
+abstrakt einseitiger durchgefuehrt die Lehre von urtheilbaren beseelten
+Weltstaeubchen zum Resultat hatten.
+
+Doch, das alles wird euch ein mecklenburgischer Bauer besser
+auseinandersetzen--wenn ihr nach einem Hundert oder Zweihundert Jahren
+zu _reveniren_ Gelegenheit finden solltet.
+
+ * * * * *
+
+Im vorherigen Abschnitt habe ich besonders oder ausschliesslich nur auf
+die durch die herrschende plattdeutsche Sprache verhinderte und daher
+auch trotz dem Unterricht im Hochdeutschen verfehlte Bildung des
+Landmanns Ruecksicht genommen[5]. Es ist aber auch schwer, wenn von der
+gewerbtreibenden Klasse, der grossen Bevoelkerung _norddeutscher Staedte_
+die Rede ist, die Hemmung und Stockung zu verkennen, welche die
+plattdeutsche Sprache, wo sie dem taeglichen Umgang angehoert, ueber die
+Koepfe verhaengt. Man stoesst sich da, wo der Block liegt, nur sind die
+Pfaehle, welche den engen plattdeutschen Ideenkreis in der Stadt wie auf
+dem Lande begrenzen und umpfloecken, hier mehr roh, dort mehr
+spiessbuergerlich abgeschaelt und hollaendisch ueberpinselt, das ist der
+Unterschied. Doch giebt es besonders aus groesseren norddeutschen Staedten,
+eine erfreuliche Thatsache zu berichten. Viele aus den mittleren
+achtbaren Staenden, Handwerker u.s.w. haben in neuer und neuester Zeit
+angefangen, sich und ihren Familien eine andere Stellung zur
+hochdeutschen Sprache und Kultur zu geben, als von ihren Vaetern und
+Vorfahren eingenommen wurde. Ruehmlich ist es, was diese fuer ihre Kinder
+thun, mit wie viel Opfern sie oft ihren Lieblingen Gelegenheit
+verschaffen, sich fuer ihren kuenftigen Stand so zu befaehigen, dass sie
+nicht, wie jetzt noch die Meisten aus dieser Klasse, mit leeren Haenden
+und offenen Maeulern den Strom der Einsichten, Ideen, Kenntnisse und
+Bestrebungen an sich vorueberrauschen sehen, der Europa, Amerika, die
+Welt erfuellt. Ruehmlich und verstaendig zugleich, denn es leitet sie der
+richtige Takt in der Beobachtung, dass Besitz und Vermoegen in der Welt
+immer mobiler werden, dass im raschen Wechsel der Dinge, ausser dem
+blinden Glueck, worauf zu rechnen Thorheit waere, Verstand und Kenntnisse,
+die aechten Magnete sind, um den aus den Taschen der Erwerbenden und
+Geniessenden lustig hin und her wandernden Besitz anzuziehen,
+zusammenzuhalten und zu vermehren.
+
+ * * * * *
+
+Waehrend der niedersaechsische Bauer bis ueber Kopf und Ohren im
+Plattdeutschen steckt, der Buergersmann aber schon anfaengt, sich
+zwangloser, als bisher, des hochdeutschen Mediums zu bedienen, sollte
+man vom Gebildeten _par exellence_, vom Musensohn, vom Beamten des
+Staats und der Kirche u.s.w. aussagen duerfen, dass er sich mit voelliger
+Freiheit und Lust in hochdeutscher Sprache und Bildung bewegte und vom
+plattdeutschen Idiom nur ausser und unter diesem Kreise Gebrauch machte.
+Allein die Sache verhaelt sich anders. Ich muss in dieser Hinsicht
+Gedanken aeussern, Erfahrungen mittheilen, welche meinem Gegenstande eine
+ganz eigentuemliche ueberraschende Wendung geben.
+
+Thatsache ist naemlich, dass die plattdeutsche Sprache Haus- und
+Familiensprache in Tausenden von Beamtenfamilien, Lieblingssprache auf
+allen norddeutschen Universitaeten ist. Diese Sprache also, die ich als
+Schranke alles Strebens und Lebens, als Feindin der Bildung betrachte,
+ist dieses so wenig in den Augen vieler meiner Landsleute, dass sie den
+vertrautesten Umgang mit ihr pflegen, dass sie ihr, der von Kanzel und
+Lehrstuhl und aus guter Gesellschaft laengst Vertriebenen, eine
+Freistaete am Heerde ihres Hauses gewaehren.
+
+Hier im Schooss der Familien erscheint sie als Exponentin der innigsten
+Verhaeltnisse. In Scherz und Ernst fuehrt sie oft das Wort, sie ist
+Vertraute der Gattenliebe, Organ der Kindererziehung, Sprache des
+Herzens, Lehrmeisterin der Sitte und praktischer Lebensklugheit. Hier
+hat sie auch meistens ihre Rohheiten abgelegt, kehrt die beste Seite
+heraus und scheint sich, gleichsam durch ihr Unglueck gebessert, des
+Vertrauens wuerdig zu machen.
+
+Kommt hinzu, dass ihre Schutzherrn nicht selten Maenner von Talent, Geist
+und Namen sind. Beruehmte Lebende koennte ich anfuehren, ich begnuege mich
+den seligen Johann Heinrich Voss zu nennen, der nicht allein in Eutin,
+sondern noch in Heidelberg bis an seinen Tod mit Frau, Familie und
+norddeutschen Gaesten am liebsten und oeftersten plattdeutsch sprach.
+
+Das sind Thatsachen. Wie gleiche ich sie aus mit der Behauptung, die
+plattdeutsche Sprache sei Feindin der Bildung, des Ideenwechsels, der
+geistigen Lebendigkeit; jetzt, da ich selbst nicht umhin konnte, Maenner
+von Geist und Talent, von Gelehrsamkeit, rastloser Thaetigkeit, Maenner
+wie Voss als plattdeutsche zu bezeichnen?
+
+Freilich, ich koennte den nachteiligen Einfluss der plattdeutschen Sprache
+eben nur auf das Volk und die Volksbildung beschraenken. Ich koennte mich
+etwa, um dem _gebildeten Plattdeutschen_ allen Anstoss aus dem Wege zu
+raeumen, folgendermassen darueber ausdruecken: _absolut dem Geiste lethal_
+ist das Plattdeutsche nur, wo hochdeutsch, sanskrit und boehmische Doerfer
+gleich bekannt sind, wie hie und da in Pommern und Meklenburg; was denn
+von den groessten Freunden des Plattdeutschen zugegeben werden muesste, da
+gar nicht zu laeugnen, dass an sich und fuer sich dasselbe nichts Lebendes
+und Bewegendes enthalte, sondern Todt und Stillstand selber sei;
+_geistig hemmend und laehmend_ bleibt aber das Plattdeutsche immer noch
+aus der Stufe der Gesellschaft, wo ihm zwar das Hochdeutsche
+verstaendlich naeher getreten, aber noch als ein Fremdes gegenueber steht;
+_ohne schaedlichen Einfluss und gleichsam indifferent fuer Geist und
+Bildung_ zeigte sich die plattdeutsche Sprache, da, wo sie der
+hochdeutschen nicht als Fremde gegenueber steht, sondern schwesterlich
+zur Seite geht.
+
+Allein, ich fuerchte, _indifferent_ ist ein Ausdruck, der hier schon aus
+allgemeinen psychologischen Gruenden unstatthaft erscheint. Zwei Sprachen
+auf der Zunge sind zwei Seelen im Leibe. Ist die eine Sprache die
+geliebtere, die Herzenssprache, so ist die andere, fuer welche Zwecke sie
+auch aufgespahrt wird, um ihren schoensten Anteil am Menschen zu kurz
+gekommen. Sie raecht sich, indem sie das nicht zurueckgiebt, was sie nicht
+empfaengt, sie schliesst ihre innerste Weihe nicht auf und laesst sich wol
+als aeusseres Werkzeug mit grosser Kunst und Kuenstelei, aber nicht als
+zweites Ich mit Liebe und Freiheit gebrauchen.
+
+Der hochdeutschen Sprache verdankt jeder Niedersachse sein veredeltes
+Selbst, ihr der aus dem Volk geborne Redner, Dichter, Schriftsteller
+sein Alles und Ruf und Namen im Kauf. Kann er ihr sein Herz dafuer nicht
+zurueckschenken, kann er sie nicht zur Sprache seiner haeuslichen Freuden
+und Leiden machen, muss sie verstummen, sobald er gemuethlich wird, so
+steht sein gebildetes und veredeltes Selbst im geheimen Kontrast zu
+seinem intimen Selbst und es wird sich daher auch an seiner Bildung, an
+seinen Gedichten, Reden, Schriften diese Einseitigkeit, dieser
+Widerspruch offenbaren und nachweisen muessen.
+
+Menzel hat's bekanntlich an Johann Heinrich Voss unternommen. Die Stelle
+in Menzels Literatur, die Voss betrift, ist bitter, frivol, einseitig,
+aber sie ist bedeutend und hat dieselbe nachwirkende Sensation
+hervorgebracht, wie das Urtheil ueber Goethe, das freilich noch
+einseitiger ausgefallen ist und sich selbst _a la_ Pustkuchen laecherlich
+machte. Als ich Menzels Worte zum erstenmal las, fuehlt ich mich empoert.
+Zeig dich nur erst als so einen _niedersaechsischen Bauer_, wie du den
+Voss zum Spotte nennst, rief ich im Zorn aus; allein ich musste mir einen
+Augenblick darauf selbst sagen, dass diese Anmuthung an einen
+Sueddeutschen weder billig noch selbst einladend genug klang und dass doch
+zugleich eben in meinem Ausrufe eine Art von halbem Zugestaendnisse lag.
+Wirklich hatte ich schon immer eine Ansicht ueber Voss als Dichter und
+Uebersetzer gehegt, die bei aller Achtung Vor dessen grossen,
+zweifellosen Verdiensten, durchaus nicht nach uebertriebener,
+philologischer Bewunderung und niedersaechsischem Patriotismus roch. Ich
+fand, dass er dem Genius der deutschen Sprache von Jahr zu Jahr mehr
+Zwang angethan, dass er zu roh und willkuehrlich an ihr gezimmert und
+losgehaemmert und dass kein Deutscher, selbst Voss nicht, solche Woerter,
+Wendungen und Redensarten in den Mund nehmen konnte, wovon seine
+prosaischen und poetischen Schriften voll sind. Gegenwaertig lautet mein
+Urtheil vielleicht noch entschiedener. Ich sehe an Johann Heinrich Voss
+bestaetigt, was ich eben aussprach. Die hochdeutsche Sprache hatte seine
+Liebe nicht voellig inne, daher erschloss sie ihm nicht ihr eigenes Herz,
+ihre Heimlichkeiten und Geheimnisse, ihre jungfraeuliche Natur, die
+Bluethe ihres Leibes und Geistes, lauter Gaben und Geschenke, die man im
+zaertlichen Umgang freiwillig von der Geliebten eintauscht, nicht aber
+durch Willkuehr und Zwang ihr abgewinnen kann.
+
+Indem ich dieses allen Gebildeten in Niedersachsen zu bedenken gebe, bin
+ich keinesweges abgeneigt, einer patriotisch-wohlmeinenden Stimme aus
+ihrer Mitte Aufmerksamkeit zu schenken, welche die Ueberzeugung aeussert,
+der Gebrauch der plattdeutschen Sprache in den Familien gebildeter
+Niedersachsen, welchen Einfluss er auch uebe auf die intellektuellen
+wahren oder ertraeumten Beduerfnisse, auf die verfeinerte Civilisation,
+Bildung oder Verbildung der Zeit--ich schattire absichtlich diese
+Ausdruecke mit dem bekannten Pinsel, der ohne Zweifel aus guter aber
+beschraenkter Absicht alles was der Gegenwart und der neuesten Zeit
+angehoert gegen die gute alte im Schwarzen und Bedenklichen lasst--der
+Gebrauch sei ein guter und treflicher in Ruecksicht auf den Charakter
+der Hausgenossen, weil mit der Sprache der Vaeter auch ihre alte
+ehrliche und treue Sitte, ihre Herzlichkeit, Gradheit und Biederkeit
+sich auf die Enkel fortpflanze.
+
+Aufrichtig, du mir immer liebe Stimme, wenn da aus schlichtem,
+patriotischem Herzen kommst, ich weiss nicht ob unsere Urgrossvaeter so
+ganz diesem schmeichelhaften Silbe glichen. Es ist sonderbar damit, man
+spricht immer von der guten alten Zeit und jedes aussterbende Geschlecht
+vermacht die Sage davon an das aufbluehende und die gute alte Zeit selbst
+laesst sich vor keinem sterblichen Auge sehn und ist immer um einige Stieg
+Jahre aelter, als die aeltesten lebenden Menschen. Ich muss laecheln, wenn
+ich an die Verlegenheit wohlmeinender Chronisten und Geschichtschreiber
+denke, wenn sie, um das moralische Maehrchen nicht zu Schanden werden zu
+lassen, sorgenvoll spaehende Blicke in die Vergangenheit werfen, um auch
+nur einen Zipfel, einen Saum von der Schleppe der alten Guten oder guten
+Alten zu erhaschen. Man gebe nur Acht, wie listig sie sich dabei
+benehmen. Sie lassen ihr nie unmittelbar ins Gesicht sehen, sie sagen
+nicht, nun kommt sie, oder da ist sie; im Gegentheil wimmeln die Blaetter
+ihrer Geschichte nicht selten eben vorher von klaeglichen Zustaenden,
+Schwaechen, Lastern und Erbaermlichkeiten der menschlichen Natur, wenn sie
+dem Abschluss einer auserwaehlten, kleinen, glaenzenden Periode sich
+naehern; dann aber, wenn der Vorhang faellt, die grellen Farben sich
+schwaechen, die boesen Beispiele nicht mehr so lebhaft der Idee von guten
+Sitten entgegenarbeiten, wenn das Bild der Zeit abzieht, dann zeigen sie
+auf ihren bordirten Saum und rufen dem Zuschauer wehmuethig zu, da geht
+sie, da geht sie hin die gute alte Zeit und nun werden die jungen Zeiten
+anwachsen, ihre Kinder, die sind aber sehr ausgeartet und werden alte
+Zeit schlechter. Das man die Geschichte der Sitten von einem ganz andern
+Standpunkt und mehr im Grossen der Welterscheinungen betrachten muss, das
+ahnen die guten Leute nicht.
+
+Fuer jeden Einzelnen ist es freilich immer eine Sache der Pietaet und ein
+wohlthuendes Gefuehl, sich seine Vorfahren als durchgaengig honette Leute
+vorzustellen. Der dunkele Buergerliche oder Baeuerliche kann dieser
+Vorstellung wenigstens ohne grossen geschichtlichen Anstoss und
+Widerspruch nachhaengen, er hat hierin einen Vortheil vor den
+beruehmtesten Adelsfamilien voraus. So ist in hochdeutschen buergerlichen
+Familien die Vorstellung vom Grossvater, Urgrossvater als altdeutschen
+Degenknopf die herschende und die liebste. Schwaecher und allgemeiner
+bezeichnet sind die _epitheta ornanti_ fuer baeuerliche Vorfahren,
+Degenknoepfe kann man sie schicklicherweise nicht nennen und der
+Bauerwitz ist bis jetzt noch nicht auf den Einfall gekommen, etwa die
+Ausdruecke von alten deutschen Piken, Sensen oder Messerscheiden auf sie
+anzuwenden. Ueberhaupt ist zu bemerken, dass das Wort deutsch nur
+hochdeutsch ist, und im originalen plattdeutsch des gemeinen Lebens
+nicht vorkommt, eben so wenig, wie die frueherhin angefuehrten Woerter
+Bildung und Verfassung, so dass die Redensart "das gebildete und
+verfassungsmaessige Deutschland" in plattdeutscher Sprache noch weniger
+als eine Redensart und gar nichts ist.
+
+Nach dieser vorlaeufigen Verstaendigung waere zunaechst der Hauptsatz
+einzuraeumen, mancherlei alte Sitte geht durch den Gebrauch der
+plattdeutschen Sprache auf die Glieder der Familie ueber,
+und--_Folgesatz_--wird ihnen zeitlebens etwas ausdruecken oder anhaengen,
+was sich nicht wol mit ihrer sonstigen Bildung vereinigen, sich nicht
+fuer die Zeit und heutige Gesellschaft schicken will--das aber--_Nach-
+und Beisatz_--den Umgang mit dem Volk, das Einwirken auf das Volk zu
+erleichtern geeignet sein mag.
+
+Letzteres betrachte ich in der That fuer sein unwichtiges Moment. Man
+sieht hier den Gebrauch der plattdeutschen Sprache in Prediger- und
+Beamtenfamilien unter seinen natuerlichsten und vortheilhaftesten
+Gesichtspunkt gestellt. Diese Familien, meistens selbst vom Lande und
+auf dem Lande besitzen und erregen nicht selten das Vertrauen des
+Landmanns und wie es andere Familien zum Beispiel in der Stadt giebt, in
+deren Mitte er sich fuer verrathen und verkauft halten wuerde, so trift er
+in jenen gleichsam naehere und entfernte Anverwandte und sieht in deren
+haeuslichem Leben wie in einen Spiegel, worin sein eigenes mit
+verschoenerten Zuegen ihm vertraulich entgegentritt.
+
+Doch ist keiner geringen Anzahl von diesen Familien die hoechst dringende
+Warnung zu ertheilen, vor dem allmaehligen herabsinken auf die baeuerliche
+Stufe der Kultur auf der Hut zu sein. Da sich im Plattdeutschen einmal
+nichts Gescheutes sprechen laesst, so nimmt die plattdeutsche
+Gemuetlichkeit nur zu leicht den Charakter der Traegheit an. Das Beduerfniss
+bedeutenderer Conversationen, zarterer Beruehrungen, die nur in einer
+gebildeten Sprache moeglich sind, regt sich immer schwaecher, die einfache
+Sitte verwandelt sich in rohe, das Herzliche ins Laeppische, das Gerade
+in's Plumpe, das Derbe in's Ungeschlachte und es tritt nur zu oft jener
+traurige Rueckschritt der Civilisation ein, den man Verbauerung nennt.
+Damit ist dem Bauer auch nicht geholfen, der Familie, den Kindern noch
+weniger.
+
+Wer sich also in seiner Neigung und Vorliebe fuer das Plattdeutsche im
+Haeuslichen auf einen Heros der deutschen Literatur wie Johann Heinrich
+Voss oder einen Pfarrer, wie Klaus Harms zu berufen gedenkt, der thut
+wohl, sich zuvoerderst die Fragen vorzulegen: bist du des Umschwungs
+deines geistigen Raederwerks auch so gewiss und sicher, wie jene, laeufst
+du keine Gefahr, dich fuer die Wissenschaft abzustumpfen, die Bewegung
+der Zeit aus dem Auge zu verlieren; darfst du nicht befuerchten, dich und
+deine Familie an den Bettelstab des Gedankens zu bringen, deinen Kindern
+eine unersaetzliche Zeit zu rauben, sie unerzogen in die Welt zu stossen
+und mit deinem ganzen Hause an den untersten Fuss der Civilisation
+herabzugleiten?
+
+Das moegten doch immer Fragen sein, die einer aengstlich gewissenhafter
+Beantwortung werth sind.
+
+ * * * * *
+
+Aber die plattdeutsche Sprache, ist, wie erwaehnt, Lieblingssprache auf
+allen norddeutschen Universitaeten und das wenigstens wird ihr waermster
+Freund nicht gut heissen koennen.
+
+Hier tritt sie als gefaehrlichste Bundesgenossin aller jener zahlreichen
+Uebel und Hemmnisse auf, die sich von Anfang an auf unsere Universitaeten
+verschworen zu haben scheinen, um die Humanitaet im Keim zu ersticken.
+Hier legt sie die idyllische ehrbare Miene ab, wodurch sie sich in
+laendlichem Pfarrhause Frau und Toechtern empfiehlt, zwanglos grob,
+ungenirt gemuetlich wandert sie in den Auditorien aus und ein, den Mund
+immer offen und nur pausirend, wenn der Professor spricht und der
+Student Religionsphilosophie, Metaphysik, Naturlehre und andere
+hochdeutsche _sublimia_ in sein Heft eintraegt. Zum Teufel ihr Herren
+_favete linguis!_ wie kommt die Sprache Boeotiens in Minervens Tempel.
+Ihr koennt freilich antworten, wie kommt Minervens Tempel zu unserer
+Universitaet, die nur eine alte wankende Ruine aus dem Mittelalter ist.
+Recht! aber wo euer Fuss hintritt, da soll Athen sein, geweihter Boden
+sein--_soll_, sage ich, denn warum sonst haben die Goetter dem
+jugendlichen Fuss die Sehne der Ungeduld und des heiligen Zorns
+verliehen, die mit einem Tritt zerstampft, was das Alter mit beiden
+Haenden nicht aus dem Wege schaffen kann, warum anders, als damit ihr
+Schoeneres, Besseres, Heiligeres aus dem Boden zaubern sollt. Ihr
+versteht mich nicht? Ich verstehe euch auch nicht, ich verstehe die edle
+norddeutsche Jugend nicht, die sich auf dem Musensitz einer Sprache
+bedient, die dem Dunkel des Geistes, der Barbarei vergangener Zeiten
+angehoert. Macht es dieser Jugend Scherz, ihre eigenen Studien, das
+akademische Leben, den duerren Scholastizismus und die Pedanterie des
+akademischen Instituts zu parodiren, zu travestiren, so sehe ich
+allerdings weder grossen Uebermuth in diesem Scherze, noch verkenne ich,
+wie sehr die plattdeutsche Sprache, ja schon ihr Klang, zu diesem Zweck
+sich eignet[6]; allein Scherz muss Scherz, das heisst fluechtig und
+wechselnd bleiben, und wenn derselbe Scherz und dieselbe Travestie drei
+Jahre alt wird, so muss man ein sehr ernsthaftes und langweiliges Gesicht
+dazu machen.
+
+Kann man nicht heiter, gesellig, witzig, selbst wenn Lust und Laune
+danach, derb und spasshaft im Element des Hochdeutschen sein. Ist die
+Sprache unserer Bauern humoristischer als die Sprache Abrahams a Sancta
+Clara, Lichtenberg, Jean Pauls. O ich kenne die niedersaechsischen Witze,
+sie stehen alle in einem kleinen grobloeschpapiernen Buch mit feinen
+Holzschnitten, das jaehrlich in diesem Jahre gedruckt wird. Es tritt
+darin auf "der Ruebezahl der Lueneburger Haide," der Repraesentant des
+niedersaechsischen Volkshumors, der geniale Till und ruelpst auf die
+anmuthigste Weise lauter Witze vor sich hin, die aus einer Zeit stammen,
+wo das Volk nur den groben Wanst, dagegen die Ritterschaft den Arm, die
+Geistlichkeit den Kopf des Staatsungeheuers repraesentirte.
+
+Oder was zieht ihr vor an der plattdeutschen Sprache? Ich weiss die
+Antwort nur zu gut, "sie macht uns Spass[7]; sie ist uns gemuethlich."
+Chorus von Goettingen, Rostock, Greifswalde, Kiel, sie macht uns Spass,
+sie ist uns gemuethlich, es wird uns wohl dabei! Auch in Jena,
+Heidelberg, Berlin, Bonn, wohin wir kommen und wo unserer zwei bis drei
+beisammen sind, da ist sie mitten unter uns. Sie gehoert mit zum Wesen
+der norddeutschen Landsmannschaft und das waere kein braver Holsat oder
+Meklenburger, oder Oldenburger, der nicht wenigstens drei Plattitueden am
+Leibe haette, plattes (Muetze) auf dem Kopf, plattes (Mappe) unter'm Arm
+und das liebe Platt im Munde.
+
+O Jugend, akademische, Bluethe der Norddeutschen, sei nicht so duftlos.
+Dufte etwas nach dem Geist der Alten--ich meine nicht deiner
+eigenen--bethaue deine Bluethen und Blaetter mit etwas Nass aus der
+Hippokrene, durchdringe sie mit etwas Oel aus der Lampe der Philosophie,
+empfinde, fuehle wenigstens nur die heisse Thraene des Unmuts und des
+Schmerzes, die der Genius deines Vaterlands auf dich herabtraeufelt.
+
+O Jugend, akademische, ihm ist uebel, wenn dir wohl ist. Mephistopheles
+freilich lacht und spoettelt dazu und wenn er dich in Auerbachs Keller
+platt und wohlbehaglich sitzen sieht so ruft er seinem Begleiter zu:
+
+ Da siehst du nun, wie leicht sich es leben laesst?
+ Dem Voelkchen da wird jeder Tag zum Fest.
+
+Wie hat sich seit den Tagen des Faustus die Welt veraendert, was ist
+nicht alles in den letzten 30, in den letzten 13, in den letzten 3
+Jahren geschehen und dieses Voelkchen ist noch immer das alte geblieben?
+Wo kommt es her? Wo geht es hin?
+
+Es gibt Ausnahmen, wie sollte es nicht. Aber ich spreche, wie immer in
+dieser Schrift, vom grossen Haufen, und der ist auf unsern Universitaeten
+noch immer der alte Stamm und das Plattdeutsche seine hartnaeckigste
+Wurzel.
+
+Es hat fast den Anschein, als muesste der Bauer erst mit gutem Beispiel
+vorangehn und die Sprache der Bildung gegen den Dialekt der Rohheit
+eintauschen, ehe der Student sich dazu entschliesst.
+
+Wie noethig thaete es Manchem, um auch nur den aeussern Schein seines
+Standes im Gespraech und Umgang mit Gebildeten zu retten. Ich schaeme
+mich's zu sagen, welche Erfahrungen ich gemacht habe.
+
+Wie noethig aber thut es Jedem, sich unablaessig in einer Sprache zu
+bewegen, die ihm erst zu der Herrschaft ueber sein Wissen verhelfen soll;
+wie noethig Jedem, sich einer Sprache zu entschlagen, welche diese
+Herrschaft missgoennt und streitig macht, welche wie das lichtlose dumpfe
+Chaos dicht hinter seiner aufzubauenden Welt lauert.
+
+Ohnehin fordert die hochdeutsche Sprache Uebung, viel Uebung. Sie faellt
+Einem nicht so in den Mund, wie dem Franzosen das franzoesische. Das
+Talent sich fertig und gelaeufig auszudruecken, ist immer noch ein
+selteneres, am seltensten in Nord-Deutschland. Sprache und Gedanke,
+Sprache und Gelehrsamkeit stehen haeufig im ungeheuersten Missverhaeltniss.
+Fern sei es von mir, den blossen Fluss der Worte, die Geschwaetzigkeit als
+eine Tugend zu preisen. Aber diese Wortangst, diese Wortplage, die so
+viele Sprechende befaellt, dieses Stottern, Ringen, Raedern und Braechen,
+das am Ende oft doch nur etwas Verschrobenes oder Triviales zu Tage
+foerdert, das alles deutet bei unsern Gelehrten auf eine klaegliche
+Unangemessenheit zwischen todtem Studiren und lebendigem Umtausch hin.
+
+Von dieser Seite betrachtet zeigt sich der geruegte Uebelstand auf
+norddeutschen Universitaeten im haesslichsten Licht. Der tuechtigste Kopf
+kann sich kaum vor der Masse des Fertigen, Vorgedachten, Positiven
+erwehren, das so regelmaessig wie der Rinnenguss einer Wassermuehle Tag fuer
+Tag auf ihn eindringt. Es gehoeren elastische Denkfibern, glueckliches
+Gedaechtniss (auch glueckliches Vergessen) und vor allem Freundesgespraeche
+dazu, um die ewige Nothwehr mit Erfolg fortzusetzen und das heiligste
+Gut der Persoenlichkeit, das Stoffbeherrschende, selbstbewusste,
+selbstdenkende Ich siegreich davonzutragen. Vor allem Freundesgespraeche,
+sage ich. Einsames Lernen, stilles Sammeln, Betrachten, Denken sind
+nothwendig; aber wer nicht spricht, erstickt, wird verwirrt, chaotisch
+und das eben ist der geistige Zustand der meisten jener Gelehrten, deren
+Sprechen ich so eben als Sprachangst und Sprachplage bezeichnet habe.
+
+Mit welchen Farben soll ich den barocken, laecherlich traurigen
+Geisteszustand einer plattdeutschen Studentenmasse schildern. _Ochsen_
+nennt sie selbst die mechanische Arbeit, die sie zum Behuf des Examens
+taeglich vornimmt. Jeden Tag schiebt sie fleissig ihren Karren Pandekten,
+Dogmatik u.s.w. in die Scheune ihres Gedaechtnisses.
+
+Liegt da das taegliche Pensum zu Hauf, so spannt sie sich aus, laesst's
+liegen, wo es liegt und--wird gemuethlich, plattdeutsch.
+
+_Humaniora_, erfrischende, belebende, hoeher hinantreibende Vortraege,
+hoert sie nicht, oder bekommt sie nicht zu hoeren, da leider an vielen
+Orten die _Humaniora_ nur als Antiquitaeten gelesen werden.
+
+Klingt es nicht manchmal als Ironie, wenn der Bauer seinen Sohn, oder
+des Amtmanns, Schulzen, einen Studeermakergesellen nennt?--O
+norddeutsche, studirende Jugend, nimm das platt aus dem Munde!
+
+ * * * * *
+
+Bis hierher hatte ich das Niedergeschriebene einem Freunde vorgelesen.
+Ich fragte diesen um sein Urtheil. Ich bin ueberrascht, sagte er nach
+einigem Zoegern: Ich habe ueber den Einfluss der plattdeutschen Sprache
+bisher nicht weiter nachgedacht, und das moegte wohl der Fall mit den
+meisten kuenftigen Lesern dieser Bogen sein. Nichts destoweniger habe ich
+diesen Einfluss dunkel und unangenehm empfunden; er macht, besonders wenn
+man aus dem Sueden zurueckkehrt, einen aehnlichen Eindruck, wie die
+veraenderte Athmosphaere, die fahle Luft und das haeufige Regenwetter des
+Nordens. Man findet sich darein, wie in ein nothwendiges Naturuebel.
+Allein mit der Sprache ist es wol ein Anderes. Sie haben Recht, wenn Sie
+einmal frueher aeusserten, man muesse sich selbst gegen das Nothwendige, das
+der physischen oder moralischen Ordnung angehoert, in Position setzen.
+Sie haben mir, darf ich sagen, ordentlich die Brust erleichtert, indem
+Sie mich auf einen bestimmten Landesfeind aufmerksam machen, mit dessen
+Vertilgung das Feld fuer die norddeutsche Civilisation gewonnen scheint.
+Das wird und muss nach Lesung Ihrer Schrift, das Gefuehl aller Patrioten
+sein, denen es in dieser Zeit wie Alpdruecken auf dem Herzen liegt. O
+wohl! o wohl! Die plattdeutsche Sprache ist das absolute Hemmniss des
+oeffentlichen Lebens, der Bildung und Humanitaet in Niedersachsen. So
+lange diese Sprache dem gemeinen Leben angehoert, werden, wie bisher,
+Mastochsen, Gaensebrueste und westphaelische Schinken die Hauptprodukte
+unserer Civilisation bleiben. Gegen die Civilisation selbst macht die
+plattdeutsche Sprache nicht allein gleichgueltig, sondern tueckisch und
+feindselig gestimmt. Warum ist das nicht laengst zur Sprache gebracht,
+Gegenstand des allgemeinsten und lebhaftesten Interesses geworden.
+
+Sie vergessen, sagte ich, dass Voss, Harms, Scheller, Baermann und andere
+wackere Maenner die Theilnahme des Publikums fuer diese Sprache, selbst
+fuer eine Literatur in derselben, haben in Anspruch nehmen wollen.
+
+Ich weiss, erwiederte er, ich habe unter andern den "_Bloottuegen_," den
+Henrik von Zuephten vom Pastor Harms gelesen. Damals dachte ich nichts
+anderes dabei, als dass so ein plattdeutsches Buch unbequem und schwer zu
+lesen und wahrscheinlich noch unbequemer zu schreiben sei.
+
+Was den Henrik von Zuephten betrift, bemerkte ich dagegen, so scheint mir
+der Verfasser einen Ungeheuern Missgriff in der Wahl des Stoffes gethan
+zu haben. Ich schaetze die alten Dithmarsen sehr hoch. Sie waren ein
+tapferer, unbezaehmlicher, ordentlich nach Freiheit und Unabhaengigkeit
+duerstender Menschenschlag, Bauern zu Pferde mit dem Schwerdt in der
+Hand, die Schweizer des Nordens oder vielmehr Wittekinds und seiner
+Sachsen ungebeugte und ungebrochene Enkel bis in's fuenfzehnte und
+sechszehnte Jahrhundert hinein. Nur weiss ich nicht, ob ein lutherischer
+Pfarrer von Heute, selbst wenn er geborner Dithmarse ist, einer so
+durchaus heidnischen Mannheit Gerechtigkeit widerfahren lassen kann;
+denn obwol die dithmarsische Groesse und Freiheit in christliche Zeiten
+fiel und die Verehrung der Jungfrau Maria in diesem Lande gerade hoeher
+getrieben wurde, als, wie es scheint, andeswo im Norden, so erhielt doch
+der hochfahrende und kampflustige Sinn der Einwohner durch sie nur eine
+sehr schwache christliche Faerbung und wol schwerlich hat die Brust eines
+mutigen Dithmarsers aus Furcht vor dem Himmel, der Geistlichkeit oder
+eigener Gewissenszartheit christliche Demuth dem Muth uebergeordnet, wie
+man solches in den Ritterbuechern des Mittelalters liest. Doch mag es
+damit sein, wie es will; ich muss bekennen, dass ich ueberhaupt keinen
+Geistlichen zum Geschichtschreiber wuensche, speziell nicht zum
+Dithmarsischen. Was mir aber auffiel, war, dass Pastor Harms sich grade
+einen Moment aus der dithmarsischen Geschichte gewaehlt hatte zur
+plattdeutschen Darstellung, der auf so schneidende Weise mit der
+altvaeterischen, derben Bonhommie, die er dieser Sprache im Eingang
+nachruehmt, im Kontrast steht: der Maertyrertod des ersten lutherischen
+Predigers in Dithmarsen. Diese kalte Wuth, dieser Hohn menschlichen
+Gefuehls, diese Spurlosigkeit alles Barmherzigen, womit hier der arme
+Mann einem langsamen und schauderhaften Tode ueberliefert wird, macht
+nicht nur an sich einen boesen Fleck in der dithmarsischen Geschichte
+aus, sondern erinnert auch sehr zur Unzeit, dass diese beste Zucht
+niedersaechsischer Maenner, die Dithmarsen, von jeher neben ihrer
+Tapferkeit und eisernen Sitte, mit asiatischer Barbarei an
+Gefuehllosigkeit gegen Feind und Freund gewetteifert haben, was den
+allerdings wol auf eine derbe und rohe, aber keineswegs auf so eine
+"alte und gemuethliche" Sprache hindeutet, wie's so etwa von einem
+unserer friedlichen und gutmuethigen Philister heutiger Zeit verstanden
+wird.--Fuegen Sie noch hinzu, sagte hierauf mein Freund, dass das
+Dithmarsen der Gegenwart, das noch ganz und gar plattdeutsch ist, und wo
+auch noch wirklich das beste platt[8] gesprochen wird, weder in
+moralischer noch in gesellschaftlicher Beruehrung ein sehr glaenzendes Lob
+auf dasselbe zuzulassen scheint. Die Armuth, Trunkfaelligkeit, die
+ungeheure Zahl der veruebten Mordbraende in Dithmarsen deuten auf einen
+sehr versunkenen sittlichen und buergerlichen Zustand. Eben er, der mit
+herrlichem Eifer fuer die Verbreitung religioeser und moralischer
+Lebensflammen erfuellte Pastor Harms hat in patriotischen Schriften
+seinen Schmerz darueber ausgesprochen. Was kann er aber, sage ich jetzt
+mit vollster Ueberzeugung, von der Mithuelfe einer Sprache erwarten,
+welche aller Mittheilung unbesiegliche Schranken entgegenstellt und das
+wahre Grab des hoeheren Leben ist. Es staende zu wuenschen, dass ein
+dithmarsischer Patriot den nachteiligen Einfluss der Sprache auf die
+Fortschritte der Civilsation und selbst auf die schoenere Humanitaet einer
+ausgezeichneten Einzelbildung aus der Allgemeinheit Ihrer Schrift
+uebertragen moege auf Dithmarsen und die Dithmarsen, wie sie sind und was
+sie vermoege ihrer Sprache sind und nur sein koennen.
+
+Ihr Wunsch ist der meinige, ich werde ihn, wie ueberhaupt unser
+Gespraech, vor's Publikum bringen, und zwar als integrirenden Theil
+meines Aufsatzes. Denn, glauben Sie mir, ohne Ihr Hinzukommen wuerde ich
+mich nie zur Herausgabe desselben bestimmt haben.
+
+Sie scherzen, oder wollen etwas sagen, was mir nicht klar ist.
+
+Hoeren Sie nur und urtheilen Sie selbst. Ich habe bisher darzustellen
+gesucht, dass die plattdeutsche Sprache sowol an sich unfaehig sei, die
+Keime der Civilisation zu fassen als auch, so lange sie taegliche
+Umgangssprache in Niedersachsen bliebe, alles Bemuehen zur Civilisation
+durch das Mittel der hochdeutschen Sprache vereiteln muesse. Ich habe
+diese Wahrheit nicht allein auf die unteren Kreise beschraenkt, ich habe
+fuehlbar zu machen gesucht, wie ohne unterliegende allgemeine
+Volksbildung, auch die hoehere Bildung des Einzelnen gefaehrdet sei und
+zum Beispiel die Extreme auf der jetzigen Leiter unserer Kultur, Bauer
+und Student oder Studirter, sich in demselben rohen und bildunglosen
+Medium wieder beruehren. Habe ich, wie ich meine und getrost der
+oeffentlichen Stimme ueberlasse, dieses mit unabweisbarer
+Handgreiflichkeit nachgewiesen, so werde ich allerdings der
+Uebereinstimmung aller Patrioten in der Behauptung gewiss sein, es sei
+nicht wuenschenswerth, dass die ohnehin aussterbende und vermodernde
+plattdeutsche Sprache, gehegt und gepflegt werde, es sey im Gegentheil
+wuenschenswerth, dass sie sich je eher je lieber aus dem Reiche der
+Lebendigen verliere. Und somit waere denn im verhofften guten Fall hie
+und da eine Meinung, eine Ansicht ueber das Wuenschenswerthe und nicht
+Wuenschenswerthe in dieser Angelegenheit oeffentlich angeregt. Aber sagen
+Sie mir, was ist eine Privat-Meinung, die einen frommen Wunsch zur Folge
+hat, im Angesicht eines oeffentlichen Gegenstandes, oder Widerstandes,
+der nichts meint und wuenscht, der nur so eben sich seiner breiten Fuesse
+bedient, um seine plumpe und gedankenlose Existenz durch alle Meinungen
+hindurch zu schieben und sich trotz aller Meinungen auf den Beinen zu
+behaupten, bis er etwa von selbst umfaellt, Meinungen und Ansichten haben
+wir im Ueberfluss, vortrefliche. Woran fehlt's? Am Korporativen der
+Meinung, welches die oeffentliche Meinung ist, welche die That mit sich
+fuehrt. Wuerde ich sonst, wenn ich nicht das fruchtlose Hin- und Hermeinen
+des Publikums zu gut kennte, mir die Beantwortung der ironischen Frage
+aufgelegt haben, ob man den wuenschenswerthen Untergang der Sprache ruhig
+sich selbst und der Zeit ueberlassen oder etwas dafuer thun, denselben
+moeglichst beschleunigen solle? Sie sehen aber wol, dass es mir damit
+nicht Ernst gewesen sein kann; denn bringt die wahre und lebhafte
+Darstellung eines grossen Uebels nicht unmittelbar und fuer sich das
+Gegenstreben, den Wunsch und das Umsehen nach Mitteln zur Abstellung
+desselben hervor, so ist alles weitere Reden und Zureden rein
+ueberfluessig, falls es nicht, wie bei manchen Maassregeln gegen die
+Cholera, mit aeusserm Zwang und obrigkeitlichem Befehl verbunden ist.
+
+Ich weiss aber nicht, was mir sagt, dass Sie im Auffassen dieser
+Angelegenheit der Repraesentant von sehr vielen Norddeutschen sind. Die
+Wahrheit hat auf Sie ihren vollen Eindruck nicht verfehlt, Sie freuen
+sich, ihren allgemeinen trueben Missmuth einem bestimmten Feind
+gegenuebergestellt zu sehen, Sie sinnen auf Mittel, ihn anzugreifen, Sie
+halten ein allgemeines lebhaftes und daher wirksames Interesse als
+durchaus in der Sache begruendet.
+
+So ist es, erwiederte mein Freund. Und ich glaube, auch darin irren Sie
+nicht, wenn Sie mich nach Ihrem Ausdruck fuer den Repraesentanten einer
+sehr namhaften Zahl und Klasse von Norddeutschen halten. Bedenken Sie
+nur allein den Stand des Schullehrers, der Jahr aus Jahr ein an der
+plattdeutschen Jugend sich fruchtlos abquaelt und gleichsam tagtaeglich
+Wasser ins Fass der Danaiden schoepft. Ihm vor allen wird ihre Schrift
+neuen Muth und Anstoss geben. Das Hauptmittel, davon sind Sie ohne
+Zweifel auch ueberzeugt, liegt in den Haenden dieser Maenner.
+
+Aber, fuegte er fragend hinzu, welchen Schluss geben Sie ihrer Arbeit? Ich
+denke doch, Sie lassen, wenn auch die zweite Frage billig ausfaellt, die
+dritte nicht ganz unbeantwortet. Welche Mittel halten Sie fuer die
+Ausrottung der plattdeutschen Sprache fuer die wirksamsten? Mir und
+meinen Kollegen, wie gesagt, liegt vorzueglich daran.
+
+Ich trug meinem Freunde darauf den folgenden Abschnitt vor, bemerkte
+aber, dass ich von ihm selbst oder von einem Genossen seines Standes
+etwas Erschoepfenderes in dieser Hinsicht verhoffte.
+
+ * * * * *
+
+Wer aber soll helfen gegen das Plattdeutsche im Volk? Wie kann dem
+Hochdeutschen geholfen werden?
+
+Wer? Alle Welt, nur der Staat nicht. Was der Staat gegen das
+plattdeutsche und fuer das Hochdeutsche thun konnte, hat er gethan, indem
+er jene aus der Kirche verbannt und sie vom Gerichtshofe ausschloss.
+
+Wer diese Schrift verbreitet, sie selbst oder ihre Ideen, wer sie
+oeffentlich angreift oder vertheidigt, wer ihr neue Gesichtspunkte
+hinzufuegt, deren es noch so viele giebt, wer die bereits aufgestellten
+modificirt, rektificirt, _der hilft, er mag wollen oder nicht_; denn er
+hilft eine oeffentliche Meinung bilden. Beleuchtet dieses gedankenlose
+Monstrum, Hannoverisches Platt, Meklenburgisches Platt und wie es sich
+ueberall nennt, von hinten oder von vorne, von der besten oder von der
+schlechtesten Seite, beleuchtet es nur, und glaubt mir, jedes Licht uebt
+eine chemische Zerstoerung auf sein Volumen aus. Besprecht es, besprecht
+es nur und seid ueberzeugt, jedes Wort im Guten oder Boesen ist ein
+Zauberbann, der ihm einen Fuss seines Gebietes verengt.
+
+Das ist das Schoene mit der guten Sache und der oeffentlichen Meinung und
+der neuen Zeit; wenn die drei einmal in Bewegung sind und sich auch
+nicht suchen, so verfehlen sie sich doch nicht.
+
+Ja, ich zweifle nicht, die oeffentliche Meinung wird sich bilden und sie
+wird grollen, wie ich, mit dem Plattdeutschen und das Grollen wird ueber
+die Koepfe unserer Bauern hinfahren und wird--ansteckend sein.
+
+Die Ansteckung ist die Hauptkraft der oeffentlichen Meinung und das
+Wunderbarste an ihr.
+
+Die wichtigsten Exekutoren der legislativen Gewalt oeffentlicher Meinung
+sind aber in unserm Fall unstreitig die Schullehrer, insbesondere die
+auf dem Lande. Auf den Grad des Anteils, der Einsicht, des guten Willens
+dieser grossen, nuetzlichen, im Stillen wirkenden Klasse von
+Staatsbuergern, deren Einfluss auf die Bildung der Landleute bedeutend
+groesser ist, als der Pastoraleinfluss, kommt unendlich viel an.
+
+Fassen diese, wie es ihnen zukommt und wie zu erwarten, die Sache der
+Civilisation mit Eifer auf, durchdringen sie sich von der Nothwendigkeit
+einer ununterbrochenen Attake auf das Plattdeutsche, stehen sie, wie es
+ihre Gewohnheit ist, beharrlich auf ihrem Stueck, so will ich sehen,
+welche wundergleiche Veraenderung dieses schon im Ablauf von zehn Jahren
+in einem Verhaeltniss von Hoch zu Platt hervorbringen wird.
+
+Ihre Hauptaufgabe waere, dahin zu streben, das Hochdeutsche
+_vertraulicher_ und _herzlicher_ zu machen--ein Weg, der nur durch die
+_Fertigkeit_ und _Unbekuemmertheit der Zunge_ hindurchgeht. Ihre Arbeit
+ist in der Schule, in den Familien, vor der Kommuene. Was die _Schule_
+betrift, so wuerde ich den Rath geben, in den ersten Schuljahren die
+Kinder weder zum Schreiben noch zum Lesen anzuhalten, nur zum Sprechen.
+Das Warum leuchtet ein. Auch die Aelteren muessten haeufiger mit Sprech-
+und Denkuebungen beschaeftigt werden--welche Gelegenheit zugleich auf den
+Verstand und durch diesen gegen die plattdeutsche Sprache zu wirken, in
+welcher dem Knaben von Haus aus alle fruehere Vorurtheile und Dummheiten
+eingepropft sind. Besondere Ruecksicht verdienen die Maedchen. Ihre
+Gemuether sind weicher, empfaenglicher, ihr Organ, gewoehnlich auch ihr
+Verstand leichter zu bilden und--sie sollen einmal Muetter, Hausfrauen,
+das heisst auf dem Lande, fuer das juengste Geschlecht im Hause alles in
+allem werden. Auch im _aelterlichen Hause_ bleibt viel zu wirken,
+besonders auf Hausfrauen und aeltere Toechter; der heiterste, zwangloseste
+Gesellschafter ist hier der beste, er bringt bald ein unterhaltendes
+Buch (kurze und erbauliche Geschichten, keine langweilige faselnde),
+bald einen interessanten Gegenstand zur Erzaehlung mit, eine Anekdote aus
+der Zeitgeschichte, oder meinentwegen einen Fall aus der Nachbarschaft,
+dem Dorfe mit, der, wie er versichert, sich im Plattdeutschen nicht
+ausnimmt. _Fuer die ganze Komuene_ ist er wirksam durch Einfuehrung
+periodischer Blaetter, Zeitungen, auf gemeinschaftliche Kosten zu halten
+und regelmaessig in Versammlung der Maenner vorzulesen, allenfalls durch
+aeltere, der Konfirmation entgegengehende Knaben, _als beneidete und
+ehrenvolle Belohnung_ ihrer Fortschritt im Lesen und Sprechen des
+Hochdeutschen.
+
+Ich deute nur an, aber ich komme mir vor, ich wuesste es auch auszufuehren
+als Schullehrer auf dem Lande, und Tausende besser als ich.
+
+So viel ist gewiss, waere ich Schullehrer, so wuerde ich fuer's Erste nur
+ein Ziel kennen: mein Dorf zu verhochdeutschen.
+
+Leeres Stroh wuerde ich glauben zu dreschen, so lange nicht die Garbe der
+hochdeutschen Sprache und Bildung mir auf dem freien Felde waechst.
+
+Eine Buergerkrone wuerde ich glauben verdient zu haben, wenn man mir im
+Alter nachruehmte: er hat diesen Flecken, sein Dorf, das sonst so dunkle,
+dumpfe, plattdeutsche Nest, mit der Kette der Civilisation in Kontakt
+gesetzt durch Ausrottung der plattdeutschen und Einfuehrung der
+Bildungssprache Deutschlands.
+
+
+Fussnoten:
+
+[1] Doch auch mit Ausnahme gewisser oertlicher und provinzieller
+Variationen, wie in Hamburg, Westphalen, Dithmarsen, wo selbst die
+Gebildeten, von deren Aussprache hier eigentlich die Rede ist, sich der
+Lokaltinten nicht enthalten.
+
+[2] Die Hexenprozesse, die mit wenig zahlreichen Ausnahmen erst nach Der
+Reformation und Hauptsaechlich im protestantischen Norddeutschland
+gefuehrt wurden und denen ein Glaube an den Einfluss boeser Geister zu
+Grunde lag, den Luther, in melancholischen Anfaellen selbst oft mit dem
+persoenlich ihm erscheinenden Teufel ringend, nur zu sehr genaehrt hatte,
+_diese Hexenprozesse haben Deutschland im 17ten Jahrhundert vielleicht
+mehr Menschen gekostet, als Spanien die Inquisition._
+
+[3] Reineke de Vos ist von hollaendischer und franzoesischer Abkunft, wenn
+auch die Maehrchen von Fuchs und andern Thieren urspruenglich in
+Deutschland sowol, als in Frankreich in Schwang gingen. Die
+plattdeutsche Uebersetzung scheint niemals Volksbuch gewesen zu sein,
+obgleich sie sehr gelungen ist; man koennte sie den Schwanengesang dieser
+Sprache nennen.
+
+[4] Wollte ich zu diesem, wie gesagt, naturrohen Bilde ein mehr dem
+Spiel der Phantasie angehoeriges hinzufuegen, so vergliche ich den blossen
+Lese- und Schreibunterricht unserer Landkinder mit der Unvernunft und
+Thorheit eines Ackermannes, der seinem Acker die Instrumente zur
+Bearbeitung, Spaten und Pflug, zur Selbstbearbeitung hinwirft.
+
+[5] Was koennte ich anfuehren, wollte ich von der niedrigsten Klasse
+norddeutscher Staedte sprechen, die sich, wie der Hamburger Poebel in
+Schnapps und unreinstem Plattdeutsch waelzt.
+
+[6] Wo willst Du hin, fragte Jemand einen Meklenburgischen Scholaren,
+der gerade auf den Postwagen stieg. Die Antwort war: Na Rostock, ik will
+mi op de Wissenschaften leggen.
+
+[7] Weniger Spaesse.
+
+[8] Doch nicht rein, sondern mit friesischen Woertern untermischt.
+
+ * * * * *
+
+Von demselben Verfasser sind bei uns erschienen:
+
+_Wienbarg_, _Dr._ L.,
+ Holland in den Jahren 1831 und 32, 2 Bde. 8,
+ 833-34. 2 Thlr. 16 Gr.
+
+ ---- ---- Jason. Episches Gedicht nach Pindar. Uebersetzt,
+ bevorredet und erlaeutert; mit einem
+ Zueignungsgedicht an Jason Sabalkansky. 8. 830.
+ 4 Gr.
+
+ ---- ---- Paganini's Leben und Charakter nach Schottky. Mit
+ Paganini's Bildnis. gr. 8. 830. 12 Gr.
+
+
+Unter der Presse befindet sich:
+
+ ---- ---- aesthetische Feldzuege. Dem jungen Deutschland
+ gewidmet. 8.
+
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Soll die plattdeutsche Sprache
+gepflegt oder ausgerottet werden?, by Ludolf Wienbarg
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SOLL DIE PLATTDEUTSCHE SPRACHE ***
+
+***** This file should be named 12660.txt or 12660.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ https://www.gutenberg.org/1/2/6/6/12660/
+
+Produced by Charles Franks and the DP Team
+
+Updated editions will replace the previous one--the old editions
+will be renamed.
+
+Creating the works from public domain print editions means that no
+one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
+permission and without paying copyright royalties. Special rules,
+set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
+copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
+protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project
+Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
+charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you
+do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
+rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose
+such as creation of derivative works, reports, performances and
+research. They may be modified and printed and given away--you may do
+practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
+subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
+
+
+
+*** START: FULL LICENSE ***
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+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
+PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
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+electronic works
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+If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
+Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
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+entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.
+
+1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
+used on or associated in any way with an electronic work by people who
+agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
+located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
+copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
+works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
+are removed. Of course, we hope that you will support the Project
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+ of receipt of the work.
+
+- You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg-tm works.
+
+1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
+electronic work or group of works on different terms than are set
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+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
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+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
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+interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
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+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
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+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at https://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit https://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including including checks, online payments and credit card
+donations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ https://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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